Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
herzlich zur 30. Sitzung des Bundestages in der laufen-
den Legislaturperiode.
Bevor wir unsere Haushaltsberatungen fortsetzen,
müssen wir noch Nachwahlen für den Stiftungsrat der
Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung durchfüh-
ren.
Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und
Medien schlägt vor, als Vertreter des Auswärtigen Amts
für die ausgeschiedene Staatsministerin Cornelia Pieper
den Staatsminister Michael Roth als ordentliches Mit-
glied zu berufen.
Als Vertreter der Beauftragten der Bundesregierung
für Kultur und Medien wird als ordentliches Mitglied die
Staatsministerin Monika Grütters für den ausgeschie-
denen Staatsminister Bernd Neumann und als persönli-
ches stellvertretendes Mitglied Herr Dr. Michael Roik
für Frau Dr. Ingeborg Berggreen-Merkel vorgeschlagen.
Schließlich soll als Vertreter des Bundes der Vertrie-
benen Herr Klaus Schuck für den verstorbenen Herrn
Hartmut Saenger als persönliches stellvertretendes Mit-
glied berufen werden.
Stimmen Sie diesen Vorschlägen zu? - Das ist offen-
sichtlich der Fall. Dann sind die Genannten in Ihrer je-
weiligen Funktion in den Stiftungsrat gewählt.
Für die Parlamentarische Versammlung des Euro-
parates schlägt die Fraktion der CDU/CSU als Vertreter
der Bundesrepublik Deutschland für die Kollegin Karin
Maag den Kollegen Dr. Andreas Schockenhoff als per-
sönliches stellvertretendes Mitglied vor. Darf ich auch
hierzu Ihr Einvernehmen feststellen? - Das ist der Fall.
Damit ist der Kollege Schockenhoff für die Parlamenta-
rische Versammlung als stellvertretendes Mitglied ge-
wählt.
Schließlich weise ich darauf hin, dass interfraktionell
vereinbart worden ist, die Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Energie auf der Druck-
sache 18/794 zur Sicherung von Wettbewerbsfähigkeit
durch Innovation und Zukunftsinvestitionen sowie die
Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses auf
den Drucksachen 18/1098 bis 18/1102 als Zusatzpunkt
zusammen mit dem Tagesordnungspunkt 8 aufzurufen.
Dabei soll, soweit erforderlich, von der Frist für den Be-
ginn der Beratungen abgewichen werden. Sind Sie auch
mit dieser Vereinbarung einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann können wir so verfahren.
Wir setzen die Haushaltsberatungen fort.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1a und 1b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für
das Haushaltsjahr 2014 ({0})
Drucksache 18/700
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2013 bis 2017
Drucksache 17/14301
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Am Dienstag haben wir für die heutige Aussprache
eine Redezeit von insgesamt zehn Stunden beschlossen.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, Einzelplan 09.
Ich darf als ersten Redner den Bundeswirtschaftsminister ans Pult bitten.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
Ihnen vorgelegten Bundeshaushalt werden wichtige
wirtschaftliche und politische Weichenstellungen getroffen. Wir sorgen in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs
und hoher Steuereinnahmen dafür, dass die staatlichen
Defizite nicht weiter ansteigen. Man kann dem Bundesfinanzminister zu diesem Bundeshaushalt nur gratulieren
und sozusagen in sozialdemokratischer Freundlichkeit
sagen: Sie sind wirklich ein wahrer Keynesianer. - Denn
der Gedanke „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“
steckt hinter dem Ganzen. Ich finde es wirklich ein großartiges Zeichen für unser Land, dass wir es schaffen,
ausgeglichene Haushalte aufzustellen. Ich glaube, das
sollte alle hier im Parlament freuen.
({0})
Angesichts dessen, dass man dem Finanzminister zu
diesem großen Erfolg wirklich gratulieren muss, möchte
ich anmerken, dass die Grundlagen zu diesem Haushalt
viele gelegt haben - die Bundeskanzlerin hat gestern
schon darauf hingewiesen: Es sind vor allem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die mit ihrer Leistungsfähigkeit den wirtschaftlichen Aufschwung
tragen, der uns zu diesen hohen Steuereinnahmen verhilft. Ohne die wirtschaftlichen Bemühungen, ohne das
Engagement von Industrie und verarbeitendem Gewerbe,
von Dienstleistungen, von Mittelstand, von kleinen Unternehmen und ohne den Tourismus nach Deutschland,
der übrigens immer stärker wächst, wäre dies überhaupt
nicht erreichbar.
Aber auch die Politik hat richtige Rahmenbedingungen gesetzt. Es begann unter SPD und Grünen, als sie
den verhängnisvollen Weg anderer europäischer Länder,
zu glauben, man müsse nur noch auf Finanzmärkte und
Internet setzen und könne verarbeitendes und produzierendes Gewerbe und Industrie vernachlässigen, nicht
mitgegangen sind. Das ist der Grund, warum wir heute
in Deutschland besser dastehen als viele andere Länder
in Europa. Wir sind ein Land, das nicht über Reindustrialisierung reden muss. Das ist die Grundlage unseres
wirtschaftlichen Erfolges.
({1})
Aber auch andere Koalitionen haben mit ihrer Politik
eine Menge dafür getan. Dass wir gemeinschaftlich in
der letzten großen Koalition den Vorschlag einer Schuldenbremse des damaligen Finanzministers in die Verfassung aufgenommen haben, war richtig. Es zeigt sich,
dass wir diese auch brauchen, um allen Versuchungen zu
widerstehen. Auch die letzte Bundesregierung hat diesen
Konsolidierungskurs und die Schuldenbremse im Blick
gehabt und das Land wirtschaftlich leistungsfähig organisiert. Noch einmal: Es ist ein Ergebnis vieler unterschiedlicher Partner in Wirtschaft, Gesellschaft, Gewerkschaften und auch hier im Hause. Deswegen sollte
das Haus insgesamt, wie ich finde, stolz darauf sein, dass
dieses Land diesen Konsolidierungskurs eingehalten hat.
({2})
Ganz nebenbei: Es ist weder wirtschaftlich vernünftig
noch sozial gerecht, wenn hart erarbeitete Steuergelder
zu einem immer größeren Teil für Zinsen aufgewandt
werden müssen. Wir konsolidieren den Haushalt aber
nicht nur, sondern fahren zugleich die Investitionen
hoch. Dass wir da noch besser sein könnten, ist völlig
unstrittig
({3})
- viel besser; das ist keine Frage, Herr Kollege Bartsch -,
aber dass wir in dieser Legislaturperiode 5 Milliarden
Euro zur Stärkung der Verkehrsinfrastruktur und 9 Milliarden Euro mehr für Bildung und Wissenschaft zur
Verfügung zu stellen, ist jedenfalls keine Kleinigkeit.
Auch das ist, wie ich finde, bemerkenswert an diesem
Haushalt.
({4})
Mein Damen und Herren, mit den politischen Entscheidungen dieser Koalition sichern wir die Energiewende und schützen zugleich industrielle Arbeitsplätze.
Wir beleben mit dem Bundeshaushalt die Binnennachfrage und stärken die Tarifautonomie. Gute Löhne sind
kein Zeichen der Schwäche, sondern sind ein Zeichen
der Stärke unseres Landes. Wer Menschen nach jahrzehntelanger Arbeit ohne Rentenkürzung in die Rente
gehen lässt, der gefährdet nicht künftige Generationen,
sondern benimmt sich schlicht anständig gegenüber den
eigenen Eltern.
({5})
Weder gute Löhne noch gute Renten sind etwas, für das
sich das Land schämen muss. Sie sind Zeichen des Zusammenhalts und der Gerechtigkeit in unserem Land.
({6})
- Dass es Menschen gibt, deren Renten nicht ausreichen,
ist kein Argument dafür, dass Ihre Fraktion dagegen
stimmt, Menschen nach 45 Versicherungsjahren ohne
Abzüge in die Rente gehen zu lassen. Eigentlich müssten
Sie dafür sein.
({7})
Wir beide können ja einmal Leute besuchen, die
45 Jahre Schichtarbeit hinter sich haben, und Sie erklären ihnen, warum Sie Rentenabzüge für gerechtfertigt
halten. Das können wir einmal machen.
({8})
- Die Erwerbsminderungsrente verbessern wir in diesem
Haushalt übrigens auch.
({9})
- Sie scheinen sich ja getroffen zu fühlen. Das verstehe
ich. Aber Sie brauchen einfach nur zuzustimmen, dann
nimmt die Betroffenheit ab.
({10})
Etwas mehr als 100 Tage nach dem Amtsantritt beweist die Bundesregierung mit diesem Haushalt Handlungsfähigkeit. Noch wichtiger ist: Die Menschen stehen
hinter den zentralen Projekten dieser Regierung. Die
Bürgerinnen und Bürger unseres Landes wollen solide
Haushalte und abnehmende Verschuldung. Die Bürgerinnen und Bürger stehen mit überwältigender Mehrheit
hinter dem Mindestlohn, ebenso hinter der abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren. Sie stehen ebenso
hinter der Anerkennung von Erziehungsleistungen der
Mütter bei der Rente, wie sie es richtig finden, dass wir
mehr Geld für Kindertagesstätten, Bildung und Hochschulen ausgeben.
({11})
Unsere Bürgerinnen und Bürger wollen auch eine bessere Finanzausstattung der Kommunen. Sie wollen die
Energiewende, aber eine Energiewende, die nicht mehr
im Treibsand politischer Verantwortungslosigkeit versinkt und nicht mehr im Nebeneinander und Gegeneinander von Interessen- und Lobbyistengruppen feststeckt,
sondern politisch vorangetrieben wird, eine Energiewende, die uns wieder Planungs- und Versorgungssicherheit gibt und bei der Kostenexplosionen nicht
ignoriert werden.
Alle diese Forderungen der Bürgerinnen und Bürger
unseres Landes finden Sie in der Politik dieser Regierung während der ersten drei Monate und auch im Bundeshaushalt wieder. Sicher: Viele Fragen sind noch offen, nicht alles ist fertig. Wie sollte es das auch sein?
Aber nach etwas mehr als 100 Tagen im Amt hat diese
Regierung inzwischen mehr geleistet als andere Regierungen in einer vollen Legislaturperiode.
({12})
- Sie konnten diese Erfahrung nicht machen, weil Sie
noch in keiner Regierung waren; aber dafür sorgen Sie ja
ständig selber.
({13})
- An mir soll es nicht liegen.
({14})
- Über den Rest, Herr Kollege Kauder, reden wir dann
aber auch noch einmal.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Kompass, der uns leitet, ist die soziale Marktwirtschaft, nicht
eine angeblich neu definierte, sondern die alte und immer noch aktuelle Idee, dass sich Arbeit für alle lohnen
soll, dass Leistung und Solidarität ebenso zusammengehören wie Freiheit und Verantwortung. Nach mehr als
zwei Jahrzehnten öffentlicher Diskreditierung hat sich
die soziale Marktwirtschaft wieder als das eigentliche
deutsche Erfolgsmodell herausgestellt. Jetzt wollen wir
dafür sorgen, dass diese soziale Marktwirtschaft für die
Menschen in unserem Land wieder etwas bedeutet. Wir
wollen Rahmenbedingungen schaffen, unter denen sich
unternehmerisches Engagement und Selbstständigkeit
lohnen, damit der Mittelstand seine Innovationskraft und
Flexibilität erhalten und die Globalisierung nutzen kann.
Deshalb wollen wir starke Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, die gute Löhne und gute Arbeitsbedingungen aushandeln. Aber weil das in den letzten Jahrzehnten oft anders war, wollen wir Menschen, die ihr
Leben lang gearbeitet haben, auch vor Altersarmut in einem reichen Land schützen.
({15})
Die soziale Marktwirtschaft Ludwig Erhards und Karl
Schillers ist unsere eigentliche Stärke. Wer sie unter dem
Etikett „neu“ abschaffen will, der wird, glaube ich, in
unserem Land scheitern.
({16})
Meine Damen und Herren, die wirtschaftlichen Prognosen für unser Land sind gut. Die Zunahme der Ausrüstungsinvestitionen und eine deutlich gestiegene Binnennachfrage sind dafür verantwortlich. Mit den im
Haushalt des Wirtschaftsministeriums veranlagten Programmen wie dem Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand oder der Aufstockung der Mittel für die
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“ fördern wir diese Entwicklung.
Beide Programme beinhalten übrigens nach wie vor einen starken Förderanteil für die ostdeutsche Wirtschaft,
was angesichts der immer noch existierenden Strukturschwäche der ostdeutschen Bundesländer auch wichtig
ist.
Aber es gibt auch Risiken für unsere wirtschaftliche
Entwicklung. Eines davon ist natürlich der Konflikt um
die Ukraine. Ich jedenfalls glaube, dass es richtig ist, der
russischen Regierung und dem russischen Präsidenten
klarzumachen, dass Europa mehr ist als irgendeine ökonomische Zweckgemeinschaft. Aber ich finde es genauso richtig, dass die Bundeskanzlerin und allen voran
der Bundesaußenminister sich darum bemühen, jede
Möglichkeit zur Deeskalation zu nutzen.
({17})
Das Gegenteil, Spekulieren über Militärstärke oder ständiges Rufen nach Wirtschaftssanktionen, befördert jedenfalls weder die Entwicklung des Friedens in Europa
noch die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes
und im Rest Europas.
({18})
Ich finde, es ist eine kluge Politik, auf der einen Seite zu
zeigen, dass wir uns unsere Werte nicht abkaufen lassen,
und auf der anderen Seite immer wieder Einladungen, zu
Verhandlungen zurückzukehren, auszusprechen.
In unserem Land stehen wir aber auch vor genügend
Schwierigkeiten und Herausforderungen. Das ist der
Fachkräftemangel, und das ist die Energiepolitik. Wir
haben in Deutschland ein weltweit einmaliges Experi2434
ment begonnen, nämlich die Transformation unserer
Energieversorgung vom fossilen und nuklearen Zeitalter
in das Zeitalter erneuerbarer Energien. Keine Frage, wir
sind mit 25 Prozent Anteil an erneuerbaren Energien auf
dem Strommarkt und Hunderttausenden neuen Arbeitsplätzen in diesem Bereich sehr erfolgreich auf dem Weg.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir die Komplexität
der Herausforderungen unterschätzt haben.
({19})
- Ich kann niemanden zwingen, sein eigenes Handeln zu
überprüfen. Das müssen Sie selbst tun.
Dass alle Parteien, die dafür waren, die Erneuerbaren
auszubauen - dazu gehört Ihre Partei genauso wie
meine, Herr Hofreiter -, „je schneller, desto besser“ und
nicht „je planbarer, desto besser“ als Leitmotiv hatten,
war ein Fehler in der Vergangenheit. Das sollten wir
auch offen sagen.
({20})
Nicht „je schneller, desto besser“ ist richtig, sondern „je
planbarer und berechenbarer, desto besser“.
({21})
Diese Bundesregierung hat die Politik der letzten Jahre
nur zum Teil zu verantworten. Wenn wir heute feststellen, dass die Stabilität der Netze von den Übertragungsnetzbetreibern unter Hinzurechnung von Kernkraftwerken im Ausland, die wir seit Jahren abgeschaltet sehen
wollen, sichergestellt wird, dann müssen wir zugeben,
dass es ein Problem in der Art unserer Energiewende
gibt.
({22})
Wer da wegschaut und erklärt: „Alle anderen sind
schuld“, und nicht erkennt, dass er selber einen Teil zur
Neustrukturierung beitragen muss, wird für Planbarkeit
und Berechenbarkeit nicht sorgen.
({23})
Das zu ändern, dem dient das neue Erneuerbare-Energien-Gesetz mit berechenbaren Ausbaukorridoren, neu
justierter und durchaus auch gekürzter Förderung und
Schritten hin zur Marktintegration auf dem Weg zu Ausschreibungen. Ich bin sehr froh, dass alle Bundesländer,
unabhängig von der jeweiligen politischen Konstellation, also nicht nur die Länder, die von Parteien regiert
werden, die die Bundesregierung tragen, erklärt haben,
dass sie diesen Weg für richtig halten und dieses Gesetz
im Bundesrat nicht aufhalten werden. Das ist ein großer
Fortschritt.
({24})
Dass wir zeitgleich die Gespräche mit der EU-Kommission zu einem erfolgreichen Abschluss bringen und
die deutsche Wirtschaft vor unzumutbaren Belastungen
schützen konnten, ist nicht irgendein Nebeneffekt, sondern die Voraussetzung dafür, dass wir die Unterstützung
in der Bevölkerung für die Energiewende behalten. Wer
glaubt, die Gefährdung Hunderttausender Industriearbeitsplätze habe keine Auswirkungen auf die Unterstützung der Energiewende, irrt sich gewaltig. Nur wenn
wir zeigen, dass industrieller Erfolg, Klimaschutz und
Energiewende zusammenpassen, erhalten wir in unserer
Bevölkerung die Zustimmung. Nur dann bekommen wir
im Ausland Unterstützung für unseren Weg. Wir wollten
doch beispielhaft sein und keinen deutschen Sonderweg
gehen.
({25})
Damit deutlich wird, dass wir hier nicht über Industrielobbyismus von irgendwelchen Großkonzernen reden,
sondern über das Überleben vieler Mittelständler, möchte
ich ein paar Beispiele nennen. Eine Papierfabrik mit
250 Mitarbeitern zahlte bisher 65 000 Euro an EEG-Umlage. Nach Auffassung der EU-Kommission hätte das auf
über 400 000 Euro steigen sollen. Ein Unternehmen der
Verpackungsindustrie zahlte bisher 135 000 Euro und
sollte nun 1,5 Millionen Euro zahlen. Beide Unternehmen hätten ihre Finanzkraft in den kommenden Jahren
nicht mehr in die Entwicklung ihrer Unternehmen und
erst recht nicht in gute Löhne stecken können, sondern
wären gezwungen gewesen, Programme zur massiven
Kostensenkung aufzulegen. Die Zeche hätten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Unternehmen gezahlt.
Diese wären uns für die Energiewende mit Sicherheit
verloren gegangen.
({26})
Auch in der Industrie sieht es nicht anders aus. Ein
Chemieunternehmen zahlte bisher bereits 735 000 Euro
EEG-Umlage und sollte nach Auffassung der EU-Kommission in Zukunft 15 Millionen Euro jährlich zahlen.
Das Unternehmen hätte schlicht das Land verlassen
müssen, wenn es nicht seine wirtschaftliche Existenz
hätte einstellen wollen. Nur diese wenigen Beispiele
- von denen gibt es Dutzende; nach den ersten Vorschlägen der Kommission hätte es Hunderte davon gegeben machen deutlich: Was wir hier geschafft haben, ist nicht
die Sicherung von nur ein paar großen Unternehmen,
sondern von vielen Hundert mittelständischen Unternehmen in unserem Land. Das war dringend geboten.
({27})
Was in den 80er- und 90er-Jahren die Arbeitskosten
waren, sind in Zukunft Energie- und Rohstoffkosten.
Diese bestimmen die Wettbewerbsfähigkeit dieses Landes. Das war der Grund, warum wir monatelang um den
Erhalt der Arbeitsplätze gerungen haben. Ich danke ausdrücklich - ich sage es einmal in der umgekehrten protokollarischen Reihenfolge - dem nicht anwesenden Chef
des Bundeskanzleramts, Peter Altmaier, und der deutschen Bundeskanzlerin, dass sie uns nachdrücklich und
von Anfang an unterstützt und begleitet haben. Ohne die
Zusammenarbeit in der Regierung wäre das mit Sicherheit nicht gelungen.
({28})
Jetzt wird eingewandt, den Preis dafür zahle der Verbraucher. Dazu muss man wissen, dass von den 450 000
deutschen Unternehmen gerade 2 000 eine teilweise
oder völlige Befreiung erhalten. Die Wirtschaft insgesamt trägt mit mehr als 7 Milliarden Euro fast genauso
viel zur EEG-Umlage bei wie die privaten Verbraucher.
Wenn wir nun die gesamte Befreiung für die deutsche
Wirtschaft aufgegeben hätten - manche haben das gefordert -, würde sich die Entlastung eines Dreipersonenhaushalts bei circa 40 Euro im Jahr bewegen. Einmal abgesehen davon, dass Sie hier in Berlin im Zweifel weit
mehr sparen können, indem Sie den Stromanbieter
wechseln: Was hilft es uns eigentlich, wenn wir 40 Euro
pro Haushalt sparen, aber diejenigen, die den Haushalt
durch ihr Erwerbseinkommen finanzieren, zu Hunderttausenden ihren Arbeitsplatz in Deutschland verlieren?
({29})
Außerdem lenkt die Debatte von dem eigentlichen
Problem ab. Die Debatte über die Verteilung der EEGUmlage lenkt von dem Problem ab, dass sie inzwischen
zu einer massiven Belastung geworden ist. Wir können
doch nicht so tun, als ob die Steigerung der EEG-Umlage in den letzten Jahren kein Problem gewesen wäre.
Das hat vielmehr etwas mit mangelnder Berechenbarkeit
zu tun, und das hat etwas mit mangelnder Planung zu
tun. Deswegen glaube ich nicht, dass die Industriebefreiungen das Problem sind, sondern eine in den letzten Jahren drastisch gestiegene EEG-Umlage. Deswegen müssen wir diese Entwicklung jetzt durchbrechen, und die
ersten Schritte dafür haben wir getan.
({30})
Sicher, vieles fehlt noch. Der Netzausbau geht zu
langsam voran, der Emissionshandel in Europa liegt am
Boden. Deswegen haben wir in Deutschland viel zu
hohe Braunkohleemissionen. Wir brauchen ein neues
Strommarktdesign, und wir müssen dringend die Frage
nach der Zukunft des konventionellen Kraftwerksparks
und der Stadtwerke beantworten. All das steht jetzt auf
der Tagesordnung.
Eine der großen Herausforderungen der Energiewende bleibt dabei die Steigerung der Energieeffizienz.
Seit Jahren reden wir von ihrer Verdoppelung, und seit
Jahren schaffen wir das nicht. Auch wenn der Energieund Klimafonds in diesem Haushalt steht, er ist wegen
des am Boden liegenden Emissionshandels unsicher und
viel zu gering ausgestattet. Gerade im Bereich der Einsparung von Wärme, Raumwärme und Warmwasser, liegen eigentlich die großen Chancen für Verbraucher und
Wirtschaft. Deshalb werden wir in den kommenden Jahren hier wesentlich mehr schaffen müssen. Investitionen
in die Energieeffizienz sind genauso wichtig wie Zukunftsinvestitionen in die öffentliche Infrastruktur. Auch
wenn wir in diesem Haushalt erste Schritte nach vorne
machen ({31})
- lesen Sie ihn einfach, dann werden Sie es merken -,
({32})
die Investitionen, die wir tätigen, gerade im Bereich der
Energieeffizienz, sind wesentlich zu gering.
Wer diese Herausforderung kennt, ärgert sich übrigens vor allen Dingen über diejenigen, die sich der Solidarität in unserem Land für solche Aufgaben entziehen,
indem sie zwar alles mitnehmen, was das Gemeinwesen
zu bieten hat, aber für Steuergerechtigkeit nur Hohn und
Spott übrig haben. Der erste Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit ist nicht die Erhöhung des Spitzensteuersatzes, sondern, dafür zu sorgen, dass die, die in diesem
Land eigentlich Steuern zahlen müssten, es auch tatsächlich tun.
({33})
Damit das auch von meiner Seite aus einmal klar gesagt wird: In dieser Legislaturperiode wird es nicht nur,
weil es in unserem Koalitionsvertrag steht, keine Steuererhöhung geben, sondern auch, weil es kein Mensch in
Deutschland verstehen würde, wenn wir angesichts sprudelnder Steuereinnahmen öffentlich erklärten, wir hätten
zu wenig und müssten die Staatseinnahmen erhöhen.
({34})
- Ich hoffe, Sie von der Union klatschen gleich auch
noch.
({35})
Was aber auch niemand versteht, ist, dass wir in einem Gemeinwesen wie Europa seit Jahren tatenlos zusehen, dass jeder Bäckermeister in Deutschland höhere
Steuersätze zahlt als große multinationale Unternehmen,
nur weil sie sich in Europa eine Steueroase aussuchen
können.
({36})
Mit Blick auf die kommende Europawahl sage ich: Ich
glaube, dass eine zentrale Aufgabe ist, dem entgegenzuwirken.
({37})
- Herr Kauder, damit Ihnen Ihr Lachen bleibt, erspare
ich Ihnen den Hinweis darauf, wie unterschiedlich sich
die beiden Spitzenkandidaten zu dieser Frage positionieren.
({38})
- Der eine hat das Modell, das ich kritisiere, zum Geschäftsmodell seines Landes gemacht, und der andere
will es verändern.
({39})
Wenn wir über Steuergerechtigkeit reden und wenn
wir über mehr Mittel reden, die wir für die Infrastruktur,
für Energieeffizienz und Bildung brauchen, dann müssen
wir dafür sorgen, dass Schritt für Schritt dort, wo die
Wertschöpfung entsteht, auch Steuern gezahlt werden,
und wir müssen verhindern, dass große Konzerne durch
Verschiebung ihres Sitzes in Steueroasen innerhalb der
Europäischen Union nicht einmal 10 Prozent Steuern
zahlen.
({40})
Meine Damen und Herren, wenn wir uns das vornehmen, dann werden wir es auch schaffen, die in allen Teilen des Hauses als problematisch angesehene kalte Progression auch wirklich zu beseitigen. Vor der Wahl
haben Sie Vorschläge zur Beseitigung der kalten Progression gemacht. Wir haben gesagt: So etwas machen
wir nur, wenn die Steuern erhöht werden. Jetzt haben wir
sozusagen fast die umgekehrte Lage. Es müsste doch mit
dem Teufel zugehen, wenn wir es nicht schafften, auch
im Zusammenhang mit dieser Debatte in Europa nach
Lösungen zu suchen, die berechtigte Kritik des DGBVorsitzenden an der kalten Progression aufzugreifen und
dafür Sorge zu tragen, dass die Binnennachfrage gestärkt
wird. Ich glaube, dass uns das im Laufe der Legislaturperiode gelingen muss. Wir werden dazu jedenfalls bereit sein.
({41})
Es bleibt also genug zu tun: Investitionen in die Infrastruktur, Fachkräftemangel, Energieeffizienz, Energiewende und immer wieder der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit auch in einer digitalen Ökonomie. Ich glaube,
dass wir mit diesem Haushalt und auch mit den Debatten, die wir um solche schwierigen Themen wie Energieeffizienz, Steuergerechtigkeit und kalte Progression führen, in dieser Legislaturperiode einen ersten Schritt tun.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({42})
Das Wort erhält nun der Kollege Roland Claus für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundeswirtschaftsminister Gabriel und Herr Bundesostminister - auch das darf ich sagen, weil Sie im Kabinett für
die ostdeutschen Bundesländer zuständig sind; Sie sind
im Zusammenhang mit der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ auch darauf eingegangen -, ein bisschen mehr Selbstbewusstsein für den Osten hätte ich mir von Ihnen in dieser
Funktion schon gewünscht. Es mangelt Ihnen doch sonst
nicht daran.
({0})
Ich will einmal die Bibel bemühen,
({1})
die ja einen Gabriel kennt, zwar nicht den Bundesminister, aber den Erzengel.
({2})
Dort heißt es:
Über dem Ulai-Kanal hörte ich eine Menschenstimme, die da rief: Gabriel, erkläre ihm die Vision!
Ich glaube, diese Stimme muss es gewesen sein, die
der Bundesminister gehört hat, als er seine Rede hier
vorbereitet hat.
({3})
Wir wollen natürlich von der Vision wieder auf den
Boden der Tatsachen kommen. Da lohnt ein Blick in den
Haushalt. Sie stellen uns einen Haushalt mit einem Volumen von 7,5 Milliarden Euro vor. Das ist jede Menge
Geld. Wenn man sich das aber näher anschaut, dann
sieht man, dass über die Hälfte davon für die Nachsorge
im Steinkohlebergbau und für die Subventionierung von
Luft- und Raumfahrt abgezogen werden muss. Es bleibt
also gerade einmal 1 Prozent des gesamten Bundesetats
für Wirtschaftsförderung übrig,
({4})
und damit, meine Damen und Herren, kann man in dieser Republik nicht wirklich Wirtschaftspolitik machen.
({5})
Angesichts eines von niemandem bezweifelten Investitionsstaus wäre in der Tat erforderlich, was die Linke
seit Jahren fordert: ein großes Zukunftsinvestitionsprogramm. Aber dann müsste man natürlich auch über neue
Einnahmemöglichkeiten reden, meine Damen und Herren.
({6})
Nun muss ich einmal erklären, was es mit der Subventionierung staatsnaher Monopolisten auf sich hat, die
ich immer kritisiere. Ich greife einmal ein Beispiel heraus: das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt.
Für diese Institution sind im Einzelplan 09 etwa 1,5 Milliarden Euro veranschlagt. Jetzt kommen die Tricks dieser Bundesregierung. Das ist nämlich längst nicht alles,
was in diese Institution fließt. Es gibt auch Zuwendungen aus dem Einzelplan Verkehr, es gibt Zuwendungen
aus dem Einzelplan Verteidigung, und es gibt - das erscheint mir doch ganz besonders interessant - auch aus
dem Bildungsetat eine Zuwendung.
({7})
Und unter den Projektträgern, die das Bundesbildungsministerium auszuwählen hat, nimmt dieses Zentrum
eine Monopolstellung ein und hat mehr als die Hälfte der
Projektträgerschaften inne. Wir sagen Ihnen: Solche
Tricks, aus mehreren Etats immer die gleichen Institutionen zu bedienen, werden wir Ihnen nicht durchgehen
lassen.
({8})
- Das werden Sie noch bezweifeln müssen; denn der
Dank dieser Institution ist immer wie folgt: Wenn der
Bund einmal etwas verlangt, dann kommt das in aller
Regel zeitverzögert und mit ganz großer Sicherheit überteuert. Dazu können Sie sich ganz viele Beispiele angucken.
({9})
Das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand ist
natürlich ein gutes Programm. Es hat aber - ich vergleiche es jetzt einmal mit dem Raumfahrtzentrum, über das
ich eben gesprochen habe - nur etwa ein Drittel des Volumens, das wir für die Subventionierung dieser Monopolisten einstellen, und es ist noch immer zu bürokratisch konstruiert. Deshalb haben wir alle zurzeit mit den
Briefen der Industrie- und Handelskammern zu tun, in
denen wir darauf aufmerksam gemacht werden, dass es
aufgrund der vorläufigen Haushaltsführung in diesem
Jahr schwer sein wird, dieses Innovationsprogramm
wirklich abzufinanzieren. Da kann ich nur uns alle dazu
aufrufen: Das müssen wir gemeinsam anpacken! Wir
müssen auch in den Ausschüssen dafür sorgen, dass
diese Mittel ankommen.
({10})
- Doch, wir waren dabei. Aber Sie wissen, Herr Kollege,
dass unser Tun nicht ausreichen wird, um den Erfordernissen tatsächlich gerecht zu werden. Davor kann man
doch nicht die Augen verschließen, meine Damen und
Herren.
({11})
Nun haben Sie den Titel „Fachkräftesicherung für
kleine und mittlere Unternehmen“ in den Haushalt eingestellt. Das klingt gut. Für entsprechende Programme
stehen 14 Millionen Euro zur Verfügung. Das ist weniger als der viel zitierte Tropfen auf den heißen Stein. Ich
weiß, dass Sie damit keine Stellen schaffen wollen, aber
bloß zum Vergleich: Wenn man das in Stellen umrechnen würde, käme man auf 200 Stellen. Meine Damen
und Herren, ein solches Pillepalleprogramm ist Augenwischerei. Es wird den Erfordernissen, um die es geht, in
keiner Weise gerecht.
({12})
Nach wie vor verschärft sich in Deutschland die Kluft
zwischen Regionen mit hoher Wirtschaftskraft und solchen mit geringer Wirtschaftskraft, also auch zwischen
Ost und West. Es ist inzwischen fast wie im Profifußball:
Wo das große Geld ist, wird auch Leistungskraft gekauft. Da müssen wir mit der Gemeinschaftsaufgabe
({13})
und anderen Instrumenten wirklich gegensteuern, meine
Damen und Herren!
({14})
Es ist halt noch immer so, dass der Osten in einer anderen wirtschaftspolitischen Liga spielt. Die 100 größten
ostdeutschen Unternehmen zusammengenommen haben
nicht einmal die Hälfte der Leistungskraft von Daimler;
das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite haben wir
hervorragende Chemieparks in Ostdeutschland, die noch
wachsen könnten. Dafür müssen wir etwas tun, meine
Damen und Herren!
Zum guten Schluss: Herr Minister Gabriel, hier ist
nicht der Erzengel gefragt, sondern der Bundesminister,
und deshalb bedarf Ihr Etat noch jeder Menge Änderungen. Da sind wir dabei.
({15})
Michael Fuchs ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Allererstes
möchte ich zum Ausdruck bringen, dass mich viele Äußerungen des Bundesministers heute besonders gefreut
haben.
({0})
Es ist nicht selbstverständlich und war nicht immer so,
aber heute ist es so.
({1})
Darauf möchte ich zuallererst eingehen.
Es ist gut, Herr Gabriel, dass Sie heute erwähnt haben, dass wir mit der Energiewende auch den einen oder
anderen Fehler gemacht haben und machen und dass wir
Strukturen verändern müssen, damit das nicht so weitergeht.
({2})
Überlegen Sie nur, dass die Bundesnetzagentur jetzt mit
Fessenheim - Sie haben ja das Kernkraftwerk Fessenheim angesprochen - kontrahieren muss, um sicherzustellen, dass Grafenrheinfeld abgeschaltet werden kann.
Das ist sicherlich ein Fehler; denn es ist das älteste Kernkraftwerk Frankreichs.
({3})
Nach einer Laufzeit von über 40 Jahren wird es allerhöchste Zeit, dass es abgeschaltet wird. Das wird zwar
permanent gefordert, aber wir brauchen es zur Netzstabilisierung in den Jahren 2015 und 2016, weil ansonsten
Grafenrheinfeld weiterlaufen müsste.
({4})
- Das wissen wir, und deswegen wissen wir auch - Herr
Gabriel, ich bin froh, dass Sie es eben noch erwähnt haben -, dass wir dahin gehend tätig werden müssen, damit
solche Fehlentscheidungen - sie sind zwangsweise gekommen; es hat ja keiner eine Alternative dazu - nicht
mehr sein müssen. Das bedeutet auch, dass wir in den
Netzausbau viel mehr Intensität stecken müssen. Nur
dann, wenn wir vernünftige Nord-Süd-Verbindungen haben, können wir nämlich verhindern, dass solche Kernkraftwerke noch einmal angeschaltet werden müssen,
um die Netzstabilität zu erreichen.
Ein zweiter Punkt, den Sie angesprochen haben und
den ich genauso sehe wie Sie, hat mich gefreut: Wir
müssen dafür sorgen, dass alle Unternehmen, die in
Deutschland Bruttowertschöpfung schaffen, hier ihre
Steuern zahlen. Es kann nicht sein, dass sie sich schlicht
und ergreifend in irgendwelche Steueroasen flüchten.
({5})
Ich weiß allerdings, dass der Bundesfinanzminister seit
Jahren darum kämpft. Es ist in meinen Augen ein ziemlicher Skandal, dass zwei Mitglieder der EU und der
Euro-Zone nach wie vor Transparenz bezüglich Konten
nicht sichergestellt haben. Ich rede über Österreich und
Luxemburg, die bis vor ganz kurzer Zeit keinerlei Transparenz hatten. Das, was wir von den Schweizern fordern,
haben wir in meinen Augen nicht intensiv genug in der
EU erreicht. All diese Steueroasen müssen ausgetrocknet
werden. Es kann auch nicht sein, dass sich die Engländer
ihrer Kanalinseln dermaßen erfreuen, wie sie es derzeit
tun. Auch das muss in diesem Hohen Hause einmal gesagt werden. Darin bin ich mit Ihnen völlig einig. Es ist
eine Aufgabe dieser Bundesregierung.
({6})
Ich weiß allerdings, dass der Bundesfinanzminister daran arbeitet.
({7})
Sie sehen, es gibt zwischen den Fraktionen und innerhalb der Bundesregierung ein hohes Maß an Einigkeit.
Das ist auch gut so.
Meine Damen und Herren, heute ist ein positiver Tag;
denn ich habe heute Morgen gelesen, dass Griechenland
zum ersten Mal mit einer Anleihe an den Markt zurückkehrt. Wenn das erfolgreich sein sollte, dann zeigt sich
daran, dass dank der Maßnahmen der Bundesregierung
- nicht nur dieser, sondern auch der letzten und der vorletzten - dafür gesorgt werden konnte, diese Länder
langsam wieder in den Markt zurückzuführen. Das ist
eine Erfolgsbotschaft für uns alle. Das zeigt, wie stabil
der Euro geworden ist. Das zeigt auch, dass wir insgesamt auf einem guten Weg sind. Dafür bin ich dankbar.
({8})
Dass es bei uns gut läuft, ist eine bekannte Tatsache.
Man sollte immer noch stolz darauf sein und den Mut
haben, dies zu erwähnen. Wir haben eine Rekordbeschäftigung, die es in Deutschland so noch nicht gegeben hat. Wir haben die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit
aller europäischen Länder.
({9})
Daran kann man noch arbeiten, man kann es immer noch
verbessern. In meinem Wahlkreis gibt es de facto keinen
einzigen Jugendlichen mehr, der ausbildbar ist.
({10})
Leider haben wir noch ein Defizit, indem nicht sichergestellt ist, dass alle Schüler die Schule so abschließen,
dass sie überhaupt ausbildungsfähig sind. Das ist an erster Stelle eine Aufgabe für die Familien. Es ist aber auch
eine Aufgabe für die Schulen, für die Länder. Als Bund
sind wir natürlich weniger gefordert. An erster Stelle haben die Länder da noch Hausaufgaben zu machen. Darauf sollten wir auch Wert legen. Es kann nicht sein, dass
ein junger Mensch keine Ausbildung hat; denn wenn er
keine Ausbildung hat, ist er der Hartz-IV-Empfänger der
Zukunft. Genau das wollen wir verhindern. Daran werden wir gemeinsam arbeiten.
({11})
Spanien, meine Damen und Herren, hat eine Jugendarbeitslosigkeit von annähernd 50 Prozent. Wir haben in
meiner Region eine Jugendarbeitslosigkeit von null. Wir
haben Folgendes gemacht - ich will das heute mal ganz
bewusst in diesem Hohen Hause erwähnen -: Wir haben
mit der Region Valencia eine Zusammenarbeit begonnen, auch unter Mitarbeit des spanischen Botschafters,
dem ich dafür dankbar bin. In Zusammenarbeit mit der
Region Valencia haben wir mittlerweile rund 40 junge
Leute nach Koblenz geholt. Dort werden sie in Zusammenarbeit mit der Handwerkskammer ausgebildet. Dann
wird versucht, sie in die Handwerksbetriebe zu vermitteln. Das funktioniert. Das duale Ausbildungssystem ist
dafür ideal. Die Kammern leisten eine tolle Arbeit. Das
kann, wenn es gut läuft, vielleicht auch ein Modell für
andere Regionen in Deutschland sein. Wir sollten über
solche Programme diskutieren und sie unter Umständen
auch ausbauen; denn das ist gute gelebte europäische Solidarität. Meiner Meinung nach ist das gerade in der jetzigen Situation, bei dieser hohen Jugendarbeitslosigkeit
in anderen Ländern, auch notwendig.
Lieber Herr Claus, es tut mir leid, aber ich hatte, als
ich eben Ihrer Rede zugehört habe, den Eindruck, dass es
in Ihrer Zeit in der DDR keinen Religionsunterricht gegeben haben kann; denn sonst hätten Sie den Erzengel
Gabriel nicht so falsch zitiert. Herr Gabriel hat nämlich
Visionen. Er hat auch gezeigt, dass diese Visionen richtig sind. Er hat nämlich die Energiewende in eine richtige Richtung gelenkt. Es ist wie beim Metzger: Es kann
immer noch ein bisschen mehr sein. Aber daran arbeiten
wir gemeinsam.
({12})
Meine Damen und Herren, früher standen die Arbeitskosten in Deutschland im Fokus, heute sind es die Energiekosten, und zwar nicht nur die Kosten von Strom,
sondern auch von Gas usw. Wir müssen die Frage der
Energiekosten permanent adressieren; wir müssen dafür
sorgen, dass die Energiekosten so niedrig wie möglich
sind.
({13})
Denn ansonsten werden große energieintensive Unternehmen Deutschland verlassen.
Hier muss ich ein bisschen Wasser in den Freudenwein gießen; denn ein Punkt macht mir Sorge: Der
VDMA - das ist ja kein ganz kleiner Verband - hat ausgerechnet, dass seine energieintensiven Unternehmen
nur noch 85 Prozent der Abschreibungen reinvestieren.
Das heißt, dass sie sich schleichend verabschieden. Ich
gehe nicht davon aus, dass sie vom Markt gehen, sondern davon, dass sie irgendwo anders investieren, und
das ist gefährlich. Darüber müssen wir nachdenken. Ich
bin der Meinung, Herr Minister, dass wir das, wenn das
gesamte Energiethema nicht mehr so viel Zeit in Anspruch nimmt, im Ministerium mit den entsprechenden
Verbänden adressieren sollten;
({14})
denn mir macht das Sorge. Wenn die Investitionsbereitschaft in Deutschland nicht mehr in dem Maße vorhanden ist, dann würde ich schon mal ganz gerne wissen,
warum das der Fall ist. Wir sollten ein bisschen darüber
nachdenken.
Wir haben uns mit dem EEG natürlich eine gewaltige
Last aufgeladen.
({15})
Meine Damen und Herren, 24 Milliarden Euro werden in
diesem Jahr für erneuerbare Energien ausgegeben. Wenn
Sie sich bitte mal die Etats der einzelnen Haushalte, die
wir in dieser Woche diskutieren, ansehen, dann werden
Sie feststellen, dass der Etat des Bundesverkehrsministers Dobrindt in etwa so groß ist wie der Betrag, den wir
für erneuerbare Energien ausgeben; das ist in etwa die
Größenordnung. Ob das so richtig ist, stelle ich wirklich
infrage.
Ich wünsche mir, dass die Maßnahmen, die das Bundeskabinett in der letzten Woche mit den Bundesländern,
mit den Ministerpräsidenten, verabschiedet hat, wirklich
so zielführend sind, dass Kosten bei den erneuerbaren
Energien nicht mehr wesentlich ansteigen. Diese werden
nicht zu irgendwelchen Preissenkungen führen. Es kann
auch nicht dazu kommen; denn wir sind für 20 Jahre in
der Verpflichtung, die EEG-Maßnahmen zu bezahlen.
Und was heißt das? Frühestens im Jahre 2025 werden
die ersten größeren Entlastungen kommen; denn
20 Jahre vorher, im Jahre 2005, begann der Anstieg der
Zahl der Maßnahmen nach dem EEG. Das heißt, die
richtigen Absenkungen werden erst gegen 2030 kommen. Bis dahin haben wir eher einen Aufwuchs als einen
Rückgang bei den Kosten der erneuerbaren Energien.
Das ist eine gewaltige Belastung für uns als Volkswirtschaft, für die Unternehmen, aber auch für die Familien.
Ich befürchte - Herr Gabriel, das muss ich schon sagen -, dass es mit den Maßnahmen, die wir jetzt ergriffen haben, immer noch zu einem Anstieg kommt, der zu
stark ist. Ich bin mir nicht so sicher, ob die Zahlen, die
uns da vorgelegt wurden - 0,2 Cent Anstieg pro Kilowattstunde -, richtig sind.
({16})
Ich bin eher der Meinung, dass das falsch gerechnet ist.
Ich will dazu ein Beispiel nennen. Ich habe in den Papieren gelesen, dass man davon ausgeht, dass der Strompreis an der Energiebörse, an der EEX in Leipzig, 4 Cent
pro Kilowattstunde beträgt. Man kann das ziemlich einfach im Internet recherchieren, ich habe das gestern getan. Wenn Sie einen Forward Price, also einen Preis für
2017, nehmen und größere Mengen einsetzen - was für
die meisten Unternehmen kein großes Problem ist -,
dann liegt der Preis bei 3,3 Cent.
({17})
Der Preis ist also jetzt schon deutlich niedriger als in den
Annahmen Ihres Hauses. Das bereitet mir ein bisschen
Sorge, weil das bedeutet, dass die Umsetzung des EEG
noch teurer wird, wenn das so bleibt. Es wird keine
Möglichkeit geben, den Strompreis da unten zu erhöhen,
({18})
einmal abgesehen davon, dass es für den Verbraucher
nachher ein Nullsummenspiel ist.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ob die ergriffenen Maßnahmen reichen, das müssen wir in den nächsten Jahren sehr
intensiv prüfen. Unter Umständen müssen wir noch einmal nachsteuern.
Besondere Bedenken habe ich in Bezug auf den Offshorewind; denn das wird für alle am teuersten und alle
am stärksten belasten,
({19})
die Verbraucher, die mittelständische Wirtschaft und die
Industrie insgesamt. Auch hier werden wir unter Umständen noch einmal nachsteuern müssen.
Wichtig ist auch, dass der Netzausbau noch stärker
beschleunigt wird. Ich habe das Thema Grafenrheinfeld
eben angesprochen. Wir müssen jeden Ministerpräsidenten bitten, nicht mehr in irgendeiner Weise blockierend
tätig zu sein, sondern mitzumachen.
({20})
- Ich habe von jedem Ministerpräsidenten gesprochen,
verehrte Frau Göring-Eckardt. Auch Herr Seehofer ist
Ministerpräsident.
({21})
Wenn ich jeden meine, dann ist Herr Seehofer automatisch mit dabei.
({22})
Wir stehen jetzt vor der Aufgabe, die Entwicklung in
diesem Bereich erfolgreich nach vorne zu bringen. Wenn
uns das nicht gelingt, dann geht die ganze Energiewende
in eine falsche Richtung. Es kann nicht sein, dass wir in
vielen Bereichen Deutschlands bei weitem zu viel Strom
haben und in anderen Bereichen zu wenig. Das müssen
wir ändern.
Dazu gehört auch, alle Kraft in die Forschung nach
Speichermöglichkeiten zu stecken. Dafür werden sowohl im Etat des Wirtschaftsministeriums als auch in
dem des Forschungsministeriums Mittel bereitgestellt,
aber unter Umständen ist das noch nicht genug. Nur
wenn wir vernünftige, sinnvolle und bezahlbare Speicher schaffen, können die erneuerbaren Energien so eingesetzt werden, wie wir uns das eigentlich vorgestellt
haben.
({23})
Ein weiterer Aspekt wird uns in der nächsten Zeit intensiv beschäftigten - er macht mir Sorge, weil er noch
einmal Geld kosten könnte bzw. Geld kosten wird -: das
berühmte Thema Kapazitätsmärkte. Meine Damen und
Herren, das hat mit Markt überhaupt nichts zu tun. Wir
müssen Lösungen finden, dass die Unternehmen, die
jetzt noch Kraftwerke betreiben, egal ob Gaskraftwerke
oder Kohlekraftwerke, diese auch am Netz halten, weil
wir kein einziges von diesen Kraftwerken abschalten
können, auch wenn wir noch so viel Strom aus erneuerbaren Energien produzieren.
({24})
Denn es gibt dummerweise Tage, an denen der liebe
Gott entschieden hat, dass der Wind nicht weht und die
Sonne nicht scheint. Da können die Grünen so viel Wind
machen, wie sie wollen: Das wird nicht wirklich helfen,
eine einzige Windmühle anzutreiben.
({25})
Wenn wir es nicht hinbekommen, genug Speichermöglichkeiten für Strom aus erneuerbaren Energien zu
schaffen, dann werden wir mit der Energiewende nicht
besonders glücklich. Für mich gehört unbedingt zusammen: erstens, den Strom dorthin zu bringen, wo er gebraucht wird, und zweitens, den Energieüberschuss, den
wir an vielen Tagen produzieren, sinnvoll zu speichern.
Nur wenn der Überschuss sinnvoll gespeichert werden
kann, macht das Ganze Sinn.
Lassen Sie mich zum Schluss kurz ein weiteres
Thema ansprechen, das ich für sehr wichtig halte. Ich bin
froh, dass wir in der Großen Koalition einen gemeinsamen Standpunkt gefunden haben; Volker Kauder hat das
gestern in seiner Rede auch gesagt: Wir müssen versuchen, einen transatlantischen Markt zu schaffen, einen
Markt mit über 800 Millionen Bürgern, so viel haben die
USA und Europa zusammen. Wenn uns das gelingt,
dann ist das für alle Beteiligten gut. Selbstverständlich
wissen wir, dass es unterschiedliche Standards gibt, die
in wesentlichen Bereichen berücksichtigt werden müssen. Selbstverständlich müssen alle Abstriche machen.
Aber:
Es wäre doch absurd,
- ich zitiere die Kanzlerin wenn die beiden größten Binnenmärkte der Welt
nicht zusammenkommen könnten. Dies wäre ein
Treppenwitz der Weltgeschichte.
Recht hat die Kanzlerin. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, ein Scheitern zu verhindern. Denn nur
wenn es einem intensiv exportorientierten Land wie
Deutschland gelingt, einen gemeinsamen Markt zu
schaffen, werden wir unseren Wohlstand erhalten können.
({26})
Das ist eine Aufgabe für die Politik. Wir alle haben die
Aufgabe, die Bevölkerung auf diesem Weg mitzunehmen. Dazu fordere ich Sie alle auf.
Danke.
({27})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun
der Kollege Oliver Krischer das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Bundesminister Gabriel, Sie sollten sich wirklich
einmal fragen, wo Sie stehen. Wenn Sie von Herrn
Fuchs, der uns hier etwas davon erzählt, dass man da unten Strompreise erhöhen müsse, der hier energiepolitische Märchen verbreitet, über den grünen Klo,
({0})
Klee gelobt werden, dann müssen Sie sich doch einmal
fragen, wo Sie stehen.
({1})
Das finde ich erschütternd.
Herr Gabriel, Sie haben davon geredet, Sie wollten
den Ausbau der erneuerbaren Energien marktwirtschaftlich gestalten, Sie wollten ihn planbar machen. Das, was
ich in dem von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf finde,
ist Abwürgen der Photovoltaik, das ist Abwürgen der
Bioenergie. Es wäre auch zum Abwürgen der Windenergie gekommen, wenn die Bundesländer das nicht am
Ende verhindert hätten. Darüber können sich die Bundesländer freuen, und dafür sollten wir sie loben.
({2})
Ich sage es noch einmal in aller Deutlichkeit: Im Bundesrat ist der dümmste Irrsinn verhindert worden. Es ist
verhindert worden, dass wir ausgerechnet die preiswerteste Form, Strom zu erzeugen - das ist preiswerter als
mit neuen Kohle- oder Gaskraftwerken - ausbremsen
und deckeln. Jetzt gibt es wenigstens eine Perspektive.
Das ist ein Erfolg, den wir Ihnen abgerungen haben.
({3})
Aber dabei belassen Sie es ja nicht. Sie lassen sich
von diesem energiepolitischen Amokläufer, Herrn
Seehofer, erpressen
({4})
und ändern jetzt das Bundesbaugesetz so, dass Windenergieanlagen in Zukunft einen Abstand von 2 000 Metern von der Wohnbebauung haben müssen.
({5})
Damit verhindern Sie jede Windenergieanlage in
Deutschland. - Dass Sie klatschen, zeigt, was Sie wollen: Sie wollen auch in diesem Bereich die Energiewende abwürgen.
({6})
Sie wollen keine Stromleitungen und das Ganze letztlich
beenden. Das ist Ihre Botschaft, wenn Sie an dieser
Stelle klatschen.
({7})
Ich komme zum Thema Ausnahmen, zu der Frage:
Wer bezahlt das Ganze? Das, was der Bundeswirtschafts- und -energieminister vorgelegt hat, ist schon ein
Husarenstück. Die Ansage war: Wir senken die Kosten
für die privaten Verbraucher um 1 Milliarde Euro. Herausgekommen ist, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher 2,5 Milliarden Euro mehr bezahlen sollen. Das
erinnert mich an das, was die erste Große Koalition mit
der Mehrwertsteuer gemacht hat. Das ist die Umdrehung, die Perversion des Gesagten.
({8})
Ich sage Ihnen: Das, was die Bundeskanzlerin gestern
hier von sich gegeben hat - sie hat gesagt: Die Verbraucherinnen und Verbraucher wollen die Energiewende;
dann sollen sie sie auch bezahlen -, ist eine Unverschämtheit.
({9})
Es kann nicht sein, dass die privaten Verbraucher zahlen
und am Ende nur die Industrie profitiert. Das hat nichts
mit Kostengerechtigkeit zu tun. Das zerstört die Akzeptanz der Energiewende.
({10})
Was Sie in Brüssel erreicht haben, ist Folgendes:
68 Branchen wie Fruchtsafthersteller, Seilknüpfer - so
schöne Dinge stehen da drin - oder Urananreicherungsanlagen, die wir in Nordrhein-Westfalen eigentlich stilllegen wollen,
({11})
können weiter befreit werden und weiterhin Privilegien
erhalten. Tatsache ist, dass wir in Deutschland die niedrigsten Industriestrompreise seit zehn Jahren haben und
wir aus Frankreich und den Niederlanden Beschwerden
erhalten, weil Deutschland Strompreisdumping betreibe.
Es ist eine absolute Chimäre, dass hier Industriearbeitsplätze wegen hoher Strompreise bedroht sind. Herr
Gabriel selbst hat auf meine Anfrage geantwortet, dass
es keinerlei empirische Belege dafür gibt, dass hohe
Strompreise zur Verlagerung von Industriearbeitsplätzen aus Deutschland führen. Das ist reine Propaganda.
({12})
Sie legen ja noch eins drauf. Beim Emissionshandel,
der absolut wirkungslos ist, an dem die Unternehmen
350 Millionen Euro verdient haben - es gibt Studien, die
belegen, dass der Emissionshandel zu zusätzlichen Einnahmen geführt hat -, setzen Sie jetzt im Bundeshaushalt eine Position ein, um aus Haushaltsmitteln weitere
Subventionen zahlen zu können. Das ist Irrsinn. Das
konterkariert die Energiewende.
({13})
Meine Damen und Herren, man fragt sich auch, welche energiepolitische Konsequenz Sie eigentlich aus der
Ukraine-Krise ziehen. Es ist ein absolutes Hammerstück,
dass dieser Bundeswirtschaftsminister null Problem damit hat, dass der größte Gasspeicher Westeuropas mitten
in der Krise an Gazprom verkauft wird. Die Russen lachen doch an der Stelle über uns, Putin macht Witze über
uns, wenn wir das widerspruchslos akzeptieren und noch
nicht einmal ernsthaft geprüft wird, ob dadurch die Energiesicherheit gefährdet wird. Das kann nicht sein.
({14})
Die Herausforderung müsste sein, den Gasverbrauch
in Deutschland zu reduzieren. Das Einzige, was ich von
dieser Bundesregierung dazu gehört habe, war die Empfehlung der Bundesumweltministerin, man möge doch in
Zukunft nur bis 20 Grad hochheizen und einen Pullover
anziehen. Meine Damen und Herren, es kann doch nicht
sein, dass das die Politik der Bundesregierung für Energieeffizienz ist! Das ist mir viel zu wenig.
({15})
Ich würde erwarten, dass Sie endlich wieder einen
Vorschlag machen, wie wir mithilfe steuerlicher Förderung die energetische Gebäudesanierung voranbringen.
({16})
Es kann doch nicht sein, dass wir auf der einen Seite
Milliarden zur Erhaltung des Systems Putin überweisen
und auf der anderen Seite darauf verzichten, dass hier
Arbeitsplätze für Handwerker und für die Bauindustrie
geschaffen werden. Das müsste die Herausforderung
sein. Dazu höre ich von Ihnen aber gar nichts.
({17})
Wenn man das bewertet, was Sie hier in den ersten
100 Tagen vorgelegt haben, muss man sagen: Erneuerbare werden ausgebremst, Klimaschutz kommt bei Ihnen
nicht vor und bei Gebäudesanierung und Energieeffizienz - angeblich die zweite Säule der Energiewende totale Fehlanzeige. Die Großen werde gepampert und
bekommen Milliardensubventionen, private Verbraucher, Handwerk und Mittelstand müssen zahlen. Das hat
mit Kosteneffizienz und Kostengerechtigkeit absolut
nichts zu tun.
Wenn sich hier jemand mit einer merkwürdigen Mischung aus Clement und Schröder als der neue Genosse
der Bosse profilieren will,
({18})
dann mag das ja eine parteipolitische oder persönliche
Profilierungsstrategie sein, das hat aber nichts mit der
Zukunftsfähigkeit Deutschlands zu tun. Das ist eine Gefahr für 400 000 Arbeitsplätze in der Branche der erneuerbaren Energien. Das ist eine Gefährdung einer klimafreundlichen und nachhaltigen Energieversorgung. Das
ist keine Zukunftsperspektive für unser Land.
Danke schön.
({19})
Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Jurk für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bei einer Konferenz vor britischen und deutschen Unternehmern in der Grafschaft Staffordshire fragte unlängst
der britische Handelsminister Ian Livingston: „Why
don’t we have a Mittelstand?“ Also: Warum haben wir
keinen Mittelstand? - Das macht deutlich, wo die Probleme in Großbritannien liegen. Sie wollen sich am Erfolgsmodell Deutschland orientieren, was die mittelständische Wirtschaft anbetrifft. Es geht darum, dass
insbesondere die britischen Mittelständler innovativer,
produktiver und kapitalstärker werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das zeigt
auch, dass die Stärke unserer kleinen und mittelständischen Unternehmen international anerkannt wird. Aber
nichts ist so wichtig wie der Blick in die Zukunft. Denn
wie vergänglich ist der Erfolg von gestern! Deshalb ist
es notwendig, dass wir die richtigen haushaltspolitischen
Rahmenbedingungen setzen. Dazu gehört eben auch,
dass wichtige Programme für den Mittelstand fortgeführt
werden, und zwar mit einem höheren Mittelansatz. Dabei denke ich insbesondere an die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, kurz
GRW, und das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, kurz ZIM.
({0})
Im Haushaltsentwurf der Bundesregierung wird bei
der GRW ein Aufwuchs des Ansatzes auf 583 Millionen
Euro vorgesehen, im Jahre 2015 dann auf 600 Millionen
Euro. Wir alle wissen, was im Koalitionsvertrag vereinbart wurde: Die Zielmarke lautet 624 Millionen Euro.
Ich gehe davon aus, dass sie erreicht wird, und zwar
nicht nur, weil die GRW für den Ausbau in strukturschwachen Regionen wichtig ist, sondern auch, weil sie
ein sehr zielorientiertes Förderinstrument ist und wir
Kompensationsmöglichkeiten im Hinblick auf den Wegfall der Investitionszulage und den Rückgang der europäischen Mittel brauchen.
Ich glaube, dass die Innovationskraft unserer Unternehmen durch das ZIM besonders gut unterstützt wurde.
Deshalb ist es richtig, dass der Entwurf der Bundesregierung hier einen Aufwuchs um 15 Millionen Euro auf
mittlerweile 530 Millionen Euro vorsieht.
({1})
Der Haushaltsausschuss hat übrigens unverzüglich
nach Vorlage des Bundesfinanzministeriums auf Antrag
des Bundeswirtschaftsministeriums den Weg frei gemacht, damit neue Mittel bewilligt werden können, sowohl für die GRW als auch für das ZIM; denn wir möchten keine Förderlücke entstehen lassen. Das ist deshalb
so wichtig, weil wir, glaube ich, in einer Zeit der vorläufigen Haushaltsführung auch unternehmerische Sicherheit gewährleisten müssen. Das haben wir mit dem Beschluss des Haushaltsausschusses getan.
({2})
Ich will weniger aufgeregt als mein Vorredner auf das
Thema „Energie und Energiewende“ eingehen. Meine
sehr verehrten Damen und Herren, ich finde es ausgesprochen richtig, dass die Kompetenzen der Energiepolitik in einem Ministerium, und zwar im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, gebündelt werden.
({3})
Es werden nicht nur die verschiedenen Förderprogramme zusammengeführt, sondern dadurch kann man
auch Synergieeffekte nutzen. So gibt es eine Förderung
aus dem Einzelplan 09. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, aus dem EKF im Einzelplan 60 Mittel bereitzustellen, um die Energiewende auszugestalten. Es ist richtig, dass die Räder ineinandergreifen müssen, denn die
verschiedenen Förderprogramme dürfen nicht nebeneinander laufen. Vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass
wir die Energiewende mithilfe der Förderprogramme
zum Erfolg führen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein hohes
Gut in der Politik ist für mich Planungssicherheit. Bei aller Kritik an den Kompromissen, die in den letzten Wochen und Monaten erzielt wurden, sage ich deutlich:
Herzlichen Dank, Sigmar Gabriel, für diese Herkulesleistung! Er hat die verschiedensten Einzelinteressen zusammengeführt und ein gutes Ergebnis vorgelegt. Dieses
Ergebnis schafft Planungssicherheit und Verlässlichkeit,
und man kann sich darauf einstellen.
({4})
Ich teile aber auch die Auffassung all derer, die sagen:
Wir müssen noch mehr in intelligente Netze und in Speicher investieren, denn das Thema Netzausbau steht an.
Im forschungstechnischen Bereich können wir viel
leisten. Aber wir müssen auch anwendungsorientierte
Projekte in Angriff nehmen. Ich glaube, das wird eine
unserer zukünftigen Hauptaufgaben sein. Ich spreche in
diesem Zusammenhang gerne von dem „schlafenden
Riesen“ der Energieeffizienz. Auch hier haben wir noch
riesige Potenziale. Ich glaube, dass wir sie in den nächsten Monaten und Jahren heben werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die industrielle Basis Deutschlands ist auf hohem Niveau. Das hat
uns erfolgreich durch die Wirtschafts- und Finanzkrise
der letzten Jahre geholfen. Es zeigt sich - und nicht bloß
am Beispiel des Mittelstandes in Großbritannien -, dass
andere Länder durchaus mit Respekt von Deutschland
sprechen und kopieren wollen, was wir gemacht haben.
Ich halte es für dringend notwendig, dass die industrielle
Basis in Europa verbreitert wird. Wir müssen aber eine
Diskussion darüber führen, dass wir mit Staaten in einem globalen Wettbewerb stehen, die auf der einen Seite
Staatsunternehmen finanzieren und auf der anderen Seite
privaten Unternehmen in einer Größenordnung staatliche
Zuschüsse verordnen, die die EU-Kommission niemals
als Beihilfe genehmigen würde. Das macht deutlich, worin unsere Aufgabenstellung besteht, insbesondere bei
dem wichtigen Thema Innovation.
Andererseits müssen wir - darauf hat der Bundeswirtschaftsminister völlig zu Recht hingewiesen - an dem
bewährten Prinzip der Sozialpartnerschaft in Deutschland festhalten. Unser Erfolgsmodell der Kooperation
zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden, also
Gewerkschaften, zwischen Unternehmensführungen und
Betriebsräten war erfolgreich und ist, glaube ich, auch
ein Garant für eine sichere Zukunft und ein hohes Maß
an Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland.
({5})
Ich war ausgesprochen froh, dass die Zuständigkeiten
für die Aufgaben der neuen Länder jetzt in das Ressort
des Bundeswirtschaftsministeriums gewechselt sind. Ich
wünsche Iris Gleicke und ihrem Team viel Erfolg bei der
Bewältigung der anstehenden Aufgaben. Ich denke, dass
vor dem Hintergrund der Wirtschaftlichkeitslücke von
etwa 30 Prozent, die wir im Osten im Vergleich zum
Westen immer noch zu verzeichnen haben, gerade die
Ansiedlung dieser Zuständigkeiten im Wirtschaftsministerium eine hohe Symbolkraft hat. Aber Symbolkraft ist
das eine; die konkrete Umsetzung in Projekte ist das andere. Deshalb müssen wir dafür Sorge tragen, dass die
zuständige Parlamentarische Staatssekretärin die finanziellen Ressourcen bekommt, die notwendig sind, damit
sie ihre Aufgaben erfüllen kann. Es geht nicht an, dass
Mittel im Bundesministerium des Innern kleben bleiben
und nicht an das Bundeswirtschaftsministerium übertragen werden.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, beim Blick
in den Haushalt fällt auf, dass sehr klar beschrieben
wird, dass man die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen stärken, hochqualifizierte Arbeitsplätze schaffen und sichern und die wichtige Energiewende gestalten muss.
Andererseits muss der Einzelplan 09 in diesem Jahr
durch eine globale Minderausgabe von 27 Millionen
Euro für die Finanzierung des Betreuungsgeldes aufkommen. Das heißt, das Geld dafür wird im Wirtschaftsministerium eingesammelt. Da muss ich mich schon
wundern und fragen, ob es denn richtig ist, dass wir uns
dann am Ende vielleicht über Kürzungen im Bereich der
Innovationsförderung, des Mittelstandes, der Fachkräftesicherung oder der energiepolitischen Förderbedingungen verständigen müssen. Das kann es nicht sein.
({7})
Von daher glaube ich - auch mit Blick darauf, dass die
globale Minderausgabe im nächsten Jahr auf sage und
schreibe 53 Millionen Euro aufwachsen soll -, dass wir
uns diesem Thema in besonderer Weise widmen sollten.
Bundesminister Gabriel hat bereits angedeutet, dass
er die Förderprogramme in seinem Haus alle auf Erfolg
kontrollieren will. Über die Evaluierung hinaus müssen
wir uns genau verständigen: Was wollen wir fortführen?
Was hat sich bewährt? Aber wir wollen ja auch Neues
implementieren. Damit werden wir uns vielleicht etwas
Zeit lassen. Das finde ich auch richtig. Es ist mir deshalb
wichtig, dass das, was jetzt vorgelegt wurde, ein erster
Schritt zur Umsetzung der Koalitionsvereinbarung ist
und dass wir über weitere Schritte im Jahre 2015 reden
werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Berichterstattergespräch, das wir kürzlich im Bundesministerium für
Wirtschaft und Energie geführt haben, stimmt mich zuversichtlich, dass wir konstruktive Beratungen zum Einzelplan 09 haben werden.
({8})
Lieber Kollege Jurk, ich gratuliere Ihnen herzlich zu
Ihrer ersten Rede als Mitglied des Deutschen Bundestages. Ihnen ist der Plenarsaal ja durchaus vertraut aus Ihrer früheren Zeit als Mitglied der sächsischen Staatsregierung; aber Ihnen wird aufgefallen sein, dass es einen
erheblichen Unterschied macht, in welcher Rolle man
hier an diesem Pult steht.
({0})
Alle guten Wünsche für die weitere Arbeit!
({1})
Klaus Ernst ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke.
({2})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn man diese Debatte über den Haushalt unserer Bundesrepublik verfolgt, bekommt man zurzeit
den Eindruck, die Welt sei rundweg in Ordnung: Die Beschäftigung entwickelt sich positiv, wir haben Wachstum.
Aber bewertet das Kriterium „Wachstum unserer
Wirtschaft“ auch schon, wie es den Menschen geht? Da
habe ich doch erhebliche Zweifel. Wenn man genau
hinschaut, wie sich die Entwicklung in unserem Lande
darstellt, dann stellt man fest: Das Bruttoinlandsprodukt ist zwischen 2000 und 2013 real, preisbereinigt, um
14,9 Prozent gewachsen. Das ist hervorragend, klasse.
Wenn man aber schaut, wem dieses Wachstum eigentlich zugutegekommen ist, dann zeigt sich ein durchaus
differenzierteres Bild; dann stellt man nämlich fest, dass
die Löhne im selben Zeitraum 1,9 Prozent an Wert verloren haben. Das heißt, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dieser Republik wurden vom Wachstum unserer
Wirtschaft nicht nur abgekoppelt, sondern haben real sogar weniger als vorher. Jetzt könnte man noch fragen,
wie das mit den Rentnerinnen und Rentnern ist. Die
langjährig Versicherten haben im selben Zeitraum preisbereinigt 30 Prozent ihrer Kaufkraft verloren.
Wenn man schaut, wo das Geld hingeflossen ist, bei
wem das Wachstum unserer Wirtschaft angekommen ist,
dann stellt man fest, dass zwischen 2000 und 2013 die
Unternehmens- und Vermögenseinkommen um 31 Prozent gestiegen sind.
Ich habe jetzt in Ihrem Bericht, Herr Minister, nichts
dazu gehört, ob diese Entwicklung akzeptabel ist, ob Sie
das ändern wollen oder ob auch in Zukunft das Wachstum einseitig der Gruppe derer zukommen soll, die ihr
Einkommen aus Unternehmertätigkeit oder Vermögen
bezieht. Ich sage: Für uns Linke ist das ein unhaltbarer
Zustand.
({0})
Auch die Arbeitnehmer gehören zu denen, die dieses
Land am Laufen halten, und deshalb müssen sie am
Wachstum beteiligt werden, meine Damen und Herren.
Ich habe im Jahreswirtschaftsbericht geblättert und
gesehen, dass auch im nächsten Jahr das Wachstum der
Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen
über dem Wachstum der Löhne liegen soll. Im Ergebnis
sinkt also die Lohnquote in der Bundesrepublik Deutschland. Sie haben das in Ihrem Bericht mit keiner Silbe erwähnt, Herr Minister. Ich halte das für sehr bedauerlich.
({1})
Meine Damen und Herren, Herr Mundorf vom Handelsblatt hat vor Jahren einmal geschrieben - ich habe
mir das gemerkt; ich fand das sehr schön -: Man kann
die Menschen zum Deichbau einteilen; aber man muss
ihnen sagen, wann die Flut vorüber ist. - Ich denke, die
Flut ist inzwischen vorüber. Es ist also wirklich Zeit,
dass wir grundsätzlich etwas ändern. Die Entwicklung
- ich habe es gesagt - geht aber so weiter.
Meine Damen und Herren, ich sehe in Ihrem Haushalt - Sie haben das gerade auch angesprochen, Herr
Gabriel - 5 Milliarden Euro mehr für die Verkehrsinfrastruktur und 9 Milliarden Euro mehr für die Bildung verteilt auf die ganze Legislatur. Sie wissen: Das ist
deutlich zu wenig. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat festgestellt, dass wir einen jährlichen Investitionsbedarf von 75 Milliarden Euro haben.
Wie wollen Sie denn mit diesem geringen Zuwachs
tatsächlich Impulse für das Wachstum in der Bundesrepublik Deutschland setzen? Wie wollen Sie damit den
Mangel, den wir bei der Infrastruktur in Deutschland inzwischen haben - zum Beispiel bei Brücken und Schulhäusern -, tatsächlich beseitigen? Eltern erklären sich inzwischen sogar bereit, Schulhäuser selber zu streichen,
weil die Zustände in den Schulhäusern so schlecht sind,
dass man sie den Schülern nicht mehr zumuten kann.
Wie wollen Sie das mit dem, was Sie hier vorlegen,
wirklich bewältigen? Fehlanzeige!
Was passiert eigentlich mit den um 31 Prozent gestiegenen Einkommen auf der Unternehmensseite? Als ich
Volkswirtschaft studiert habe, habe ich gelernt: Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und
die Arbeitsplätze von übermorgen. - Wir stellen jetzt
aber fest, dass die Investitionen im Vergleich zu den Gewinnen deutlich geringer gestiegen sind. Die Bruttoinvestitionen haben von 2000 bis 2012 nur um 2,1 Prozent zugenommen, wogegen der Einkommenszuwachs
der Unternehmen eben 31 Prozent betrug. Das ist ein
Riesenproblem, weil die Unternehmen, obwohl sie hervorragend verdienen, unzureichend investieren, und ich
sehe auch keine Maßnahmen der Bundesregierung, das
wirklich zu verändern.
({2})
Was passiert mit dem Geld, das die Unternehmen haben? Ich möchte die Europäische Kommission zitieren.
Die Europäische Kommission schreibt:
Die Unternehmen haben einen größeren Teil ihrer
Gewinne einbehalten, um Schulden abzubauen und
- jetzt kommt es vor allem um finanzielle Vermögenswerte zu erwerben.
Das heißt, sie horten die Kohle und spekulieren damit.
Wenn die Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt davon absieht - das ist das, was diese Bundesregierung
vorlegt -, wenigstens die Unternehmen höher zu besteuern, um die Mittel für Investitionen in diesem Haushalt
zu steigern, weil die Unternehmen selber diese Investitionen nicht tätigen - sie erfüllen ihre Pflicht nicht, ihre
Gewinne realwirtschaftlich wieder anzulegen, sondern
zocken damit -, dann macht diese Bundesregierung einen
Riesenfehler. Wir brauchen in dieser Zeit im Unternehmenssektor wirklich höhere Steuern, damit wir notwendige Investitionen in der Bundesrepublik Deutschland
tätigen können.
Sie können Ihren ausgeglichenen Haushalt hundertmal loben: Wenn er gleichzeitig mit Reduzierungen und
Griffen in die Sozialkassen verbunden ist, dann ist das
nichts wert. Sie haben keinen Mut, das Geld da zu holen,
wo es ist, und das bedaure ich sehr.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentribüne haben der Präsident des Parlaments des Staates Kuwait, Herr Marzouq Al-Ghanim, und seine Delegation
Platz genommen. Ich möchte Sie, sehr geehrter Herr Präsident, und die Kolleginnen und Kollegen des Parlaments im Namen der Mitglieder des Deutschen Bundestages ganz herzlich begrüßen.
({0})
Ich wünsche Ihnen für Ihren Aufenthalt in Deutschland und insbesondere für Ihr weiteres parlamentarisches
Wirken alles Gute, und wir freuen uns auf die weitere
Zusammenarbeit.
Das Wort erhält nun der Kollege Andreas Lämmel für
die CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Ernst, wenn man Sie hört und erlebt,
wie Sie sich hier ereifern, dann bekommt man richtig
Angst, dass Sie hier einmal einen Blutdruckkollaps erleiden könnten.
Sie sagen, dass Sie einmal Betriebswirtschaftslehre
studiert haben. Ein Examen können Sie aber bestimmt
nicht gemacht haben.
({0})
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie Ihr Studium jemals beendet haben.
In Thüringen wird jetzt allen Ernstes versucht, einen
linken Ministerpräsidenten zu installieren. Da kann ich
den Thüringern und meinen lieben Kollegen aus Thüringen nur mein herzliches Beileid aussprechen; denn es
würde ja furchtbar werden, wenn das wirklich eintreten
würde. Dass die Grünen in Thüringen das auch noch unterstützen, indem sie sagen, sie könnten in einer Regierung unter einem linken Ministerpräsidenten arbeiten,
haben die Thüringer nicht verdient. Sie haben das alles
schon einmal erlebt.
({1})
Herr Kollege Lämmel, ich habe den Eindruck, dass
der Kollege Ernst das nicht ganz nachvollziehen kann
und es deswegen gerne durch eine Zwischenfrage noch
einmal erläutert haben möchte.
Haben Sie Ihr Zeugnis dabei?
({0})
Bitte.
Herr Lämmel, es freut mich, dass Sie sich um meine
Abschlüsse sorgen. Ich habe übrigens nicht von Betriebswirtschaft, sondern von Volkswirtschaft gesprochen, falls Sie den Unterschied zu erkennen vermögen.
({0})
Meinen Abschluss können Sie übrigens nachlesen. Er
ist in verschiedenen Unterlagen des Deutschen Bundestages in meinem Lebenslauf angegeben. Ich kann Ihnen
sogar die Zeugnisse zeigen.
({1})
Meine Frage betrifft aber etwas anderes. Sie haben ja
schon einen Teil Ihrer Redezeit damit vergeudet, sehr
qualifiziert auf meine Abschlüsse einzugehen. Aber haben Sie eigentlich eine Erklärung für den Tatbestand,
den ich angesprochen habe, dass die Löhne in diesem
Lande seit zwölf Jahren sinken, während die Unternehmensgewinne um 31 Prozent gestiegen sind?
Dazu habe ich bis jetzt noch nichts von Ihnen gehört.
Aber das ist auch ein Problem der langen Redezeiten, die
den Regierungsfraktionen zurzeit zur Verfügung stehen:
Da kann man auch ein bisschen blödeln.
Ich werde Ihre Frage im Laufe meiner Rede beantworten. Sie können damit rechnen, dass Sie eine Antwort bekommen.
({0})
„Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands“:
Unter diesem Motto standen die Koalitionsverhandlungen. Genau darum geht es auch bei diesem Haushalt:
Wir müssen die Position der deutschen Volkswirtschaft
in der Welt stärken. Denn die Amerikaner, Asiaten und
Araber, sie alle schlafen nicht und sind drauf und dran,
sich Anteile am wirtschaftlichen Geschehen der Welt zu
erobern. Das heißt für uns: Wir müssen immer mit an
vorderster Front marschieren. Deshalb müssen wir unsere Haushaltsansätze, die wir veranschlagen, auch immer darauf richten, dass mit diesem Geld der größtmögliche Effekt erzielt wird.
Ein Blick in den Einzelplan 09 des Bundeswirtschaftsministeriums zeigt, dass ungefähr 50 Prozent der
Mittel für Forschung und Technologie eingesetzt werden. Das dient also genau dem Zweck, dass heute Entwicklungen vorangetrieben werden, die morgen den Unternehmen die Chance geben, wieder am Weltmarkt
mitzuspielen.
Das ist die hervorragende Botschaft: dass der hohe
Anteil für Forschung und Technologie auch in diesem
Haushaltsplan weiter ausgebaut wird. Denn das sind die
Grundlagen für Wachstum und Beschäftigung, Herr
Ernst. Wenn Sie sich die Lohnentwicklung der letzten
Jahre anschauen, merken Sie, dass Ihre Aussage nicht
hundertprozentig stimmen kann. Denn die Lohnentwicklung und die Tarifabschlüsse der letzten Jahre waren gerade deswegen so positiv, weil früher viel in Forschung
und Technologie investiert wurde und die deutsche Wirtschaft eine starke Stellung in der Welt hatte und dadurch
diese Löhne zahlen kann.
Meine Damen und Herren, es wurde schon darauf eingegangen: Kernstück des Ganzen im Wirtschaftshaushalt ist das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand.
Dazu muss ich nicht mehr viel sagen. Der Kollege Claus
- er ist nicht mehr anwesend - hat vorhin im Zusammenhang mit dem Thema vorläufige Haushaltsführung davon gesprochen, dass praktisch keine Anträge mehr
bearbeitet werden können. Herr Kollege Claus, das Problem ist also schon lange im Fluss.
({1})
Sie sind etwas spät dran, wenn Sie das heute noch einmal thematisieren.
Ich will noch kurz einen bemerkenswerten Punkt aus
dem ZIM ansprechen, nämlich dass die Säule der Kooperationsprojekte, also der Zusammenarbeit zwischen
wissenschaftlichen Einrichtungen, Universitäten und
Forschungseinrichtungen und der Wirtschaft, in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung genommen hat.
Es ist ein sehr gutes Zeichen, dass die staatlich finanzierte Forschungsinfrastruktur Leistungen für die wirtschaftliche Entwicklung erbringt.
Das ZIM werden wir auch in den nächsten Jahren
weiter gut fördern. Ich denke, es geht jetzt vor allem darum, die durchgängige Finanzierbarkeit des Programms
abzusichern.
Das Thema GRW, also die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, ist
mehrfach erwähnt worden. Wir haben das, was im Koalitionsvertrag steht, zunächst umgesetzt. Der Ansatz für
die GRW ist also angehoben worden. Die GRW ist aber
eine Gemeinschaftsaufgabe. Das heißt, 50 Prozent der
Mittel werden vom Bund aufgebracht; die übrigen
50 Prozent müssen die Länder aufbringen. Man kann
also nicht immer nur in eine Richtung blicken und fragen, ob der Bund seine Verpflichtungen erfüllt, sondern
man muss auch einige Länder immer wieder darauf hinweisen, dass auch sie die Verpflichtung haben, in ihre
Haushalte die entsprechenden Mittel einzustellen, damit
sie der Gemeinschaftsaufgabe zugutekommen können.
Auch das muss man immer wieder deutlich sagen.
Wenn man sich die Mittelabflüsse anschaut, dann sieht
man, dass einige Länder mehr dabei sind als andere.
({2})
Dazu gehören zum Beispiel Bayern - das ist klar; wenn
es was zu holen gibt, ist Bayern immer mit dabei - Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. Andere
Länder haben im letzten Jahr dagegen nicht einmal drei
Viertel ihrer Quoten in Anspruch genommen. An dieser
Stelle muss man sagen: Gemeinschaftsaufgabe heißt
auch, gemeinschaftlich Verantwortung zu tragen.
Ein weiterer wichtiger Baustein im Haushaltsplan 09
ist die Förderung der Außenwirtschaft. Deutschland ist
Exportweltmeister. Man kämpft immer mal wieder mit
China um die Führungsrolle. Wenn man die Exportzahlen auf die Bevölkerung umrechnet, bleibt Deutschland
aber eindeutig der Exportweltmeister. Das liegt unter anderem an unserem hervorragenden System der Außenhandelskammern, die weltweit agieren. Dieses System
ist ziemlich einmalig. Wir müssen es erhalten und ausbauen.
Allerdings - jetzt spreche ich als Vorsitzender des
Afrika-Kreises unserer Fraktion - fällt auf, dass ein gesamter Kontinent ziemlich dünn mit Außenhandelskammern besetzt ist. Herr Minister, wir müssen uns in nächster Zeit einmal darüber unterhalten, wie wir das Thema
der wirtschaftlichen Entwicklung in Afrika anpacken
können, wie wir die Präsenz der deutschen Wirtschaft in
Afrika erhöhen können und welche Instrumente wir dafür brauchen. Solange fast alle afrikanischen Staaten bei
Hermes in die höchste Risikoklasse, nämlich in die Risikoklasse 7, eingestuft sind und somit Investoren und
Exporteure kaum Kreditgarantien bekommen, werden
wir das Geschäft nicht in Gang kriegen. Darüber müssen
wir uns unterhalten. Ich denke, Afrika ist ein Kontinent
der Chancen. Da wollen wir als Deutsche nicht zu spät
kommen.
({3})
Sehr wichtig im Einzelplan 09 ist das Kapitel „Mittelstand: Gründen, Wachsen, Investieren“. Hier zeigt sich,
dass wir in Deutschland in den letzten Jahren vor allen
Dingen im Bereich der technologieorientierten Gründung eine Durststrecke hatten. Wir müssen uns gemeinsam Gedanken darüber machen, wie wir die lebendige
und mobile Gründerszene unterstützen können. Es gibt
zwar schon viele Bausteine, um dies zu erreichen - die
KfW, das ERP-Vermögen und andere Programme aus
dem Bundeswirtschaftsministerium -, aber eine Sparte
fehlt, nämlich das private Risikokapital. Wir haben im
Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir ein Venture-Capital-Gesetz verabschieden wollen. Das müssen wir jetzt
anpacken. Wir brauchen es dringend, um mit den Amerikanern und den Engländern mithalten zu können.
Erst gestern wurde mir wieder ein Fall von einer Softwarefirma geschildert, die an fehlenden 750 000 Euro
gescheitert ist und dann letztendlich von Amerikanern
übernommen wurde, die die Chance, die sich Ihnen
durch die entwickelte Software bot, erkannt haben und
risikofreudig zugegriffen haben. Hier ist aus meiner
Sicht noch einiges zu tun. Der Koalitionsvertrag zeigt
aber ganz klar, wohin die Reise gehen soll.
Ich komme zum Thema Fachkräfte. Das ist heute
zwar schon mehrfach angesprochen worden, zwei oder
drei Dinge sind aber noch nicht zur Sprache gekommen.
Wenn man sich die europäischen Staaten anschaut, dann
stellen wir immer wieder fest: Deutschland ist stark und
hat in den letzten Jahren an wirtschaftlicher Stärke gewonnen. Das liegt natürlich daran, dass wir hochausgebildete Facharbeiter bei uns haben. Das hängt auch damit zusammen, dass wir einen Meisterbrief haben, der
einen Handwerksmeister qualifiziert, fachliche Leistungen zu bringen, und zeigt, dass er auch in betriebswirtschaftlicher Hinsicht fit ist. Aus meiner Sicht kann es
nicht angehen, dass man von europäischer Seite jetzt die
Besseren auf ein mittelmäßiges Niveau zurückholen
will, damit die Staaten, die im Bereich der beruflichen
Ausbildung noch nicht so weit entwickelt sind, nicht so
schlecht dastehen. Mein Anspruch ist folgender: Man
sollte das beste System in andere Staaten exportieren,
um auch dort für eine hervorragend ausgebildete Facharbeiterschaft zu sorgen. Deswegen sage ich hier ganz
klipp und klar: Die CDU/CSU-Fraktion steht zum deutschen Meisterbrief und wird alle Angriffe auf diesen
Meisterbrief abwehren.
({4})
Abwehren wird die CDU/CSU-Fraktion ebenfalls
Angriffe auf die duale Berufsausbildung. Die duale Berufsausbildung ist der Garant für gute Facharbeiter. Wir
wären doch, wie man so schön sagt, mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir dieses System aufgeben würden. Auch hier gilt für uns: Wir verteidigen dieses System mit ganzer Kraft.
Die Wirtschaft besteht natürlich nicht nur aus Industrie und Gewerbe, sondern auch aus dem Dienstleistungssektor. In diesem Zusammenhang möchte ich einen
Bereich ansprechen, der hier sonst kaum Berücksichtigung findet, nämlich den Bereich Tourismus. Im Einzelplan 09 werden immerhin 28 Millionen Euro für die
Deutsche Zentrale für Tourismus ausgegeben. Diese soll
im Ausland Werbung machen, damit Gäste zahlreich
nach Deutschland kommen.
Die Touristiker werden im Wirtschaftsgetriebe immer
unterschätzt.
({5})
Es gab Menschen, die gesagt haben, das sei eine Spaßbranche. Das ist natürlich völliger Quatsch. Der Tourismus ist eine Dienstleistungsbranche, die ortsgebunden
ist, hervorragende Arbeit leistet und einen großen Anteil
am deutschen Bruttoinlandsprodukt erwirtschaftet. Man
käme nie auf die Idee, Arbeitsplätze aus diesem Bereich
irgendwo hin zu exportieren; das würde auch gar nicht
funktionieren. Die Arbeitsplätze bleiben hier im Lande.
Belastungen aus der Energiewende oder andere Belastungen, die der Branche auferlegt werden, treffen die
Touristiker ziemlich schwer.
({6})
Bei ihren Betrieben handelt es sich meistens um kleine
oder mittelständisch geprägte Familienbetriebe, für die
die Belastungen viel schwerer zu tragen sind als für
große Industriebetriebe. Deswegen möchte ich den Touristikern in Deutschland für ihre Leistungen danken; sie
kommen sonst immer etwas kurz. Sie sind vielfach in
den Regionen aktiv, in denen sehr wenig Industrie zu
finden ist. Das heißt, das wirtschaftliche Gleichgewicht
in unserem Lande wird auch durch die Branche des Tourismus wesentlich hergestellt.
({7})
Deswegen stehen wir zu den Ausgaben für den Tourismus, insbesondere für die Deutsche Zentrale für Tourismus. Wir hoffen, dass wir die Gästezahlen mithilfe
dieses Geldes weiter erhöhen können. Diese Gäste werden dann auch ein positives Deutschlandbild mit in ihre
Heimatländer nehmen.
Vielen Dank und gute Beratungen.
({8})
Anja Hajduk erhält nun das Wort für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Wirtschaftslage ist in der Tat ganz gut: Die
Konjunktur läuft, die Wachstumsprognose ist positiv,
Steuereinnahmen sprudeln und die Arbeitslosenquote ist
erneut gesunken. - Herr Minister, das sind sehr gute
Rahmenbedingungen für Ihre Arbeit. Wir konnten gestern und heute bei Ihrer eigenen Rede aber feststellen: Es
liegt eine Gefahr in diesem positiven Umfeld, nämlich
die Gefahr, dass Sie sich allzu selbstgefällig zurücklehnen und sich als Koalition in Selbstlob ergehen.
({0})
Es gibt auch in diesem Haushalt leider Belege dafür,
dass Sie die Herausforderungen trotz dieser guten Umstände nicht anpacken. Das kann man zusammenfassen:
Die Investitionsquote dümpelt vor sich hin. Der Mittelstand wird immer noch vernachlässigt. Die Energiewende wird nicht richtig angepackt.
({1})
Erster Punkt. Die Investitionen bleiben auf der Strecke, obwohl Sie im Koalitionsvertrag groß erklärt haben:
Wir setzen sowohl auf mehr Investitionen der öffentlichen Hand als auch auf bessere Rahmenbedingungen für
Private.
({2})
Was passiert denn bei der öffentlichen Hand, Herr
Heil? Nicht nur, dass die Investitionsquote in Deutschland unterhalb des OECD-Durchschnitts liegt, nein, die
Investitionsquote im Haushalt wird von 8,6 bis zum
Ende der Finanzplanperiode sogar auf 8,3 sinken. Es ist
sowieso ein Skandal, dass wir eine einstellige Investitionsquote haben. Darauf können Sie sich doch nicht
ausruhen wollen!
({3})
Sie sprechen hier so stolz von den 5 Milliarden Euro
zur Stärkung der Verkehrsinfrastruktur. Sie wissen aber
doch, dass das weit unterhalb des tatsächlichen Bedarfes
liegt. Wenn Sie von 40 Milliarden Euro an Steuermehreinnahmen in dieser Finanzplanperiode die Investitionen
mit nur 1,2 Milliarden Euro bedenken, dann ist das Ausweis einer schlechten Wirtschaftspolitik und einer mangelhaften Zukunftsorientierung.
({4})
Wir müssen doch im Sinne von Breitbandausbau, Bildungsinvestitionen und Sanierungsaufgaben mehr tun.
Ich habe kein Verständnis für Ihre Selbstgefälligkeit.
({5})
Zweitens. Der Mittelstand wird stiefmütterlich behandelt. Im Etat des Wirtschaftsministers machen die Ausgaben für den Mittelstand gerade einmal 12 Prozent aus.
Das liegt daran, dass Luftfahrt- und Großindustrie mit
großen Summen gefördert werden. Das liegt auch daran
- das muss man einmal angesichts der aktuellen energiepolitischen Diskussion erwähnen -, dass wir im Jahr
2014 noch 20 Prozent des Etats für die Steinkohleförderung ausgeben. Das ist eine Altlast, die man nicht vergessen darf, wenn man über Politik und die Zukunft der
Energieversorgung und -kosten redet.
({6})
Dann muss man auch noch sagen, dass leider von den
Mitteln aus den Programmen zur Mittelstandsförderung
immer noch zu wenig Anteile an die kleinen und mittleren Unternehmen gehen. Es sind nach unseren Berechnungen rund 25 Prozent. Bei der regionalen Wirtschaftsförderung denkt man immer: Mensch, da sind doch
88 Prozent der geförderten Unternehmen kleine und
mittlere. - Da muss ich Ihnen aber sagen: Wenn Sie auf
die Fördersumme schauen, erkennen Sie, dass es nur
48 Prozent der Mittel sind, die dahin fließen. Herr
Minister, Sie haben da noch eine ganze Menge umzusteuern. Davon ist leider bisher nichts zu sehen.
({7})
Ich möchte auch noch einmal auf die Energiewende
eingehen. Sie hatten vor dem Hintergrund der Maßnahmen der EU-Kommission mit Sicherheit keine leichte
Diskussion. Aber Sie müssen doch letztlich zugeben: Sie
haben Ihre selbstgesteckten Ziele nicht erreicht. Sie haben gesagt: Wir wollen die Kosten in den Griff bekommen. - Sie kommen jetzt mit einem Vorschlag, der durch
Ausweitung der Branchen und einer eben nicht zielgenauen und konzentrierten Definition von Ausnahmen für
Unternehmen, die damit auch zu deren Abnahme beitragen würde, die Belastungen für die privaten Verbraucher
auf insgesamt bis zu 8 Milliarden Euro erhöht. Sie haben
Ihre selbstgesteckten Ziele - Sie wollten den Betrag bei
den Ausnahmen auf 4 Milliarden Euro, also um 1 Milliarde Euro, senken - nicht erreicht. Ich habe Verständnis
dafür, dass Sie gesagt haben: Wir wollen keine Arbeitsplätze in Deutschland gefährden. - Aber im Sinne einer
fairen Kostenverteilung ist dieser Kompromiss, wenn
man ihn sich ehrlich anschaut, ein schwacher Kompromiss.
({8})
Ein weiterer Punkt. Ich finde es nicht ausreichend,
wenn Sie, Herr Gabriel, sagen - Herr Jurk hat das auch
gesagt -: Die Energieeffizienz ist ein schlafender Riese. Sie regieren. Wenn Sie finden, dass sie ein Riese ist,
dann müssen Sie mir einmal erklären, warum Sie sich
damit zufriedengeben, dass sie in Ihrem Haushalt ein
Zwerg bleibt.
({9})
Sie streichen bei der Energieeffizienz die Mittel zusammen: um 100 Millionen Euro beim Europäischen
Energieeffizienzfonds, die Mittel für das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien werden ebenso geAnja Hajduk
kürzt. Konsequent wäre es, diese Programme auszubauen. Von einer unabhängigen Expertenkommission ist
ganz aktuell festgestellt worden, dass gerade im Wärmesektor bezüglich Energieeffizienz und Energiewende
viel mehr passieren muss. Insofern haben Sie auch an
dieser Baustelle ganz viel zu tun und keinen Grund, sich
zurückzulehnen.
({10})
Meine Damen und Herren, wir brauchen ein neues
Denken, ein neues Handeln von Staat und Gesellschaft,
aber auch von jedem Einzelnen. Nachhaltigkeit muss das
Prinzip allen Tuns und aller Entwicklung sein. Deshalb
müssen wir die Globalisierung so gestalten, dass sie den
Menschen dient und nicht ausschließlich den Märkten
und der Wirtschaft. Nicht der freie Markt, Herr Gabriel,
ohne jegliche Kontrolle ist unser Leitbild, sondern eine
ökologisch-soziale Marktwirtschaft. Der Markt braucht
Grenzen. - An dieser Stelle hätten Sie von der Union
jetzt eigentlich klatschen können; denn diese Sätze stammen von Ihrem Minister Müller.
({11})
Die hat er im Januar und gestern in dieser Debatte gesagt. Er hat dabei für die ganze Regierung gesprochen.
An diesem Maßstab, Herr Gabriel, wollen doch auch
Sie sich messen lassen. Insofern haben Sie noch eine
Menge nachzubessern.
Schönen Dank.
({12})
Nächster Redner ist der Kollege Hubertus Heil für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute über die Wirtschaftspolitik
und die Energiepolitik in diesem Land. Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich
wundere mich schon - das muss ich offen sagen -, dass
es in einer Zeit, in der es darum geht, die Energiewende
tatsächlich zum Erfolg zu führen, quasi ein Auseinanderbrechen der Grünen in den Bundesländern und jener der
Bundestagsfraktion gibt.
({0})
Warum hat denn Herr Kretschmann das, was Sigmar
Gabriel zustande gebracht hat, gelobt, und warum reden
Sie das hier in Grund und Boden? So richtig passt das
nicht zusammen.
({1})
Nehmen wir uns die Punkte einmal im Einzelnen vor.
Frau Hajduk, ich finde es nicht in Ordnung, wenn Sie
Arbeitsplätze in der Industrie gegen die Interessen der
Verbraucher ausspielen.
({2})
Sie machen hier ganz billige Polemik.
({3})
Tatsache ist, dass wir in Deutschland besser durch
die Krise gekommen sind als andere Länder, weil wir
funktionierende Wertschöpfungsketten haben, von den
Grundstoffindustrien über den produzierenden Mittelstand bis hin zu kleinen Unternehmen. Dass Sie in einer
solchen Situation die Existenz von Arbeitsplätzen oder
zumindest die Investitionen in Grundstoffindustrien gefährden,
({4})
indem Sie fordern, diese Industrien unmaßvoll einzubeziehen, finde ich schon ein starkes Stück.
({5})
Wir haben dafür gekämpft, dass es berechtigte Ausnahmen gibt. Die jetzigen Ausnahmen sind andere als
die zuvor. Sie sind nämlich an objektivierbaren Kriterien, die in der Diskussion mit der EU-Kommission zustande gekommen sind, zu messen.
({6})
Ich finde, es ist ein guter Erfolg, dass dieses Damoklesschwert über der Grundstoffindustrie in Deutschland von
unserem Minister beseitigt wurde.
({7})
Zum Umgang mit dem EEG. Wir sind uns doch einig,
dass wir den Ausbau erneuerbarer Energien wollen. Der
Anteil der erneuerbaren Energien liegt momentan bei
25 Prozent. Mit unserer Politik kommen wir in den
nächsten Jahren auf 45 Prozent. Deshalb kann vom Ausbremsen der Energiewende überhaupt nicht die Rede
sein.
({8})
Es geht um etwas anderes: Es geht um Planbarkeit und
Kosteneffizienz. Dass Sie sich dagegen wehren, ist nicht
in Ordnung.
({9})
Wir können doch nicht immer mehr Überförderung in
diesem Bereich zulassen und nur zuschauen, obwohl es
Planungs- und Investitionsunsicherheiten nicht nur für
die Erneuerbaren, sondern für die gesamte deutsche
Wirtschaft gibt.
Hubertus Heil ({10})
({11})
- Wenn Sie mir eine Frage stellen wollen, dann freue ich
mich darüber; denn meine Redezeit ist sehr kurz.
Ein bisschen mitwirken muss ich daran wohl auch
noch.
({0})
Verzeihung.
Wenn es schon bei ansonsten erkennbaren Differenzen zumindest in dieser Frage Einvernehmen zwischen
Koalition und Opposition gibt, will ich dem nicht im
Wege stehen. - Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Kollege Heil, es liegt wohl auch an
meiner Frage, ob Sie sich freuen, dass Ihre Redezeit verlängert wird. - Ich habe den Eindruck, dass Sie einen
sehr großen Popanz zwischen EEG-Reform und der
Wettbewerbsfähigkeit der Industrie aufbauen. Nehmen
Sie denn zur Kenntnis, dass in China, einem unserer
Wettbewerber, im letzten Jahr im Kraftwerksbau im Bereich der Erneuerbaren mehr investiert wurde als im Bereich der Fossilen und dass auf den Weltmärkten die Musik spielt, dass wir aber gleichzeitig - das nehme ich auf
Reisen im Ausland so wahr - unser Erfolgsprojekt Energiewende konsequent kaputtreden? Sie sind daran in erster Linie beteiligt.
({0})
Nein, lieber Herr Kollege, das nehme ich nicht zur
Kenntnis, und das ist nicht in Ordnung. Ich gehöre genauso wie Sie zu den Befürwortern dieser Energiewende. Wir beide sind für das Erreichen sehr ehrgeiziger
Klimaschutzziele unter den Bedingungen einer hochindustrialisierten Nation. Wir beide sind für den geordneten Ausstieg aus der Atomkraft. Wir beide sind sicherlich der Meinung, dass wir, wenn wir die doppelte
Energiewende in Deutschland schaffen - raus aus der
Kernkraft und rein in erneuerbare Energien -, deutschen
Technologien Chancen auf den Weltmärkten eröffnen.
Aber dafür müssen wir die Energiewende bei uns hinbekommen, Planungssicherheit schaffen und für Kosteneffizienz sorgen. Sie ignorieren das und nehmen
nicht zur Kenntnis, dass wir aufgrund der Überförderung immer mehr umwälzen müssen. Es geht nicht allein
um Menschen, die die Welt verbessern wollen, sondern
um geschäftliche Interessen.
Von Ausbremsen kann gar keine Rede sein.
({0})
Der Zubau in den nächsten Jahren wird dazu führen,
dass der Anteil der Erneuerbaren bei 45 Prozent liegt. Es
geht aber um Berechenbarkeit beim Zubau, damit wir
beispielsweise die Netzintegration leisten können. Ich
sage es noch einmal: Es geht auch um mehr Kosteneffizienz. Die Lernkurve im Bereich der Erneuerbaren, insbesondere bei Wind onshore und Photovoltaik, zeigt
mittlerweile so steil nach oben, dass wir die Erneuerbaren an den Markt heranführen können und nicht überfördern müssen. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.
({1})
- Frau Höhn, dass Sie, die Sie wirklich Verdienste in der
Energiepolitik haben, mit Ihrem starren Beharren auf
Überförderung der Energiewende einen Tort antun, sollten Sie auch einmal zur Kenntnis nehmen.
({2})
Ich will Ihnen deutlich sagen, dass das, was Bundesminister Gabriel mit Unterstützung der Bundesregierung, insbesondere des Kanzleramtsministers und der
Bundeskanzlerin, geschafft hat, nicht nur die Chancen
eröffnet, die Energiewende wieder in die richtigen Bahnen zu lenken, sondern auch zu einem Investitionsschub
in der gesamten deutschen Wirtschaft führen kann. Denn
die Unsicherheiten, die wir in den letzten Jahren auch
aufgrund von, ich sage einmal, erratischen Formen von
Energiepolitik erlebt haben, haben dazu geführt, dass Investitionen in vielen Bereichen blockiert wurden. Die lagen auf Halde im Bereich der erneuerbaren Energien, im
Bereich der Wirtschaft, auch der Grundstoffindustrien
selbst. Investitionen sind aber genau das, was wir brauchen.
Frau Hajduk, Sie haben zu Recht davon gesprochen,
dass wir nicht selbstzufrieden sein dürfen; denn wir haben in Deutschland sowohl bei den öffentlichen als auch
bei den privaten Investitionen - da hat das DIW vollkommen recht - eine ganze Menge in den nächsten Jahren zu leisten. Bei den öffentlichen Investitionen macht
sich diese Koalition auf den Weg.
({3})
Wir investieren 9 Milliarden Euro mehr in Bildung, Forschung und Wissenschaft. Wir werden die Kommunen
entlasten, weil die am meisten in die öffentliche Infrastruktur investieren. Wir steigern in diesem Haushalt die
Verkehrsinvestitionen um 5 Milliarden Euro.
({4})
Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Wir können immer noch
mehr fordern; aber es ist richtig, dass diese Bundesregierung bei Investitionen wirklich gute Schwerpunkte setzt.
({5})
Hubertus Heil ({6})
Wir müssen gleichzeitig darauf schauen, dass die privaten Investitionen, die in unserem Land zu niedrig sind,
in Unternehmen stattfinden, und dafür brauchen sie ordentliche Rahmenbedingungen. Das heißt vor allem Berechenbarkeit von Politik, und genau das schaffen wir im
Bereich der Energiepolitik. Da kehrt Berechenbarkeit
zurück.
({7})
Herr Bundesminister Gabriel, Sie sind nicht allein
Energieminister - das haben Sie bei der Vorstellung des
Jahreswirtschaftsberichts betont -, Sie sind Minister für
Wirtschaft und Energie. Ich will Ihnen sagen: Wir als
SPD-Bundestagsfraktion freuen uns, dass Sie mit Ihrer
Arbeit wieder auf eine aktive Wirtschafts-, Industrieund Mittelstandspolitik setzen und Sie nicht nach dem
Motto verfahren: Wirtschaft wird alleine in der Wirtschaft gemacht. - Nein, die Rahmensetzungen, die wir in
der Politik vornehmen, und die Initiativen, die wir ergreifen, haben für die Zukunft unserer Wirtschaft eine
entscheidende Bedeutung.
Wir stehen vor großen Herausforderungen. Wir können uns nicht selbstzufrieden zurücklehnen. Wir sind
sehr erfolgreich, wir sind Exportvizeweltmeister. Aber
wir stehen vor großen Aufgaben. Die Energiewende ist
die eine, der veränderte demografische Aufbau am Arbeitsmarkt ist die zweite. Die große Frage der Digitalisierung unserer Industrienation und der gesamten Wertschöpfungsketten - Stichwort „Industrie 4.0“; das wurde
dieser Tage auf der Hannover Messe intensiv diskutiert liegt vor uns. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zurückfallen. Es gibt eine ganze Menge von Unternehmen,
die in dieser Beziehung etwas leisten können; sie sind
aber leider nicht in Europa oder in Deutschland, sondern
in den Vereinigten Staaten von Amerika oder in Fernost.
Es bleibt also viel zu tun. Sie haben uns an Ihrer Seite,
wenn es darum geht, mit einer aktiven Wirtschaftspolitik
die Grundlagen dafür zu schaffen, dass unser Land erfolgreich bleibt. Wir wünschen Ihnen eine erfolgreiche
Hand. Wir danken Ihnen und auch den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern Ihres Ministeriums, die wirklich Großes beim Thema EEG geleistet haben, für die nächtelange Arbeit in den letzten Wochen. Jetzt sind wir als
Parlament gefragt, was die EEG-Reform betrifft. Wir
werden dafür sorgen, dass das Ganze vernünftig durch
das Parlament kommt.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Eva Bulling-Schröter ist die nächste Rednerin für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Gabriel, Sie haben ein blendendes Verhandlungstalent. Sie haben es in sicher harten Gesprächen geschafft,
den strengen Wettbewerbskommissar Almunia milde zu
stimmen. Sie haben die Geschenke an die Industrie einfach umverpackt. Das Öko-Institut berechnet dafür
Mehrkosten zwischen 300 Millionen Euro und 2,5 Milliarden Euro. Den Anteil der stromintensiven Industrie
an der EEG-Umlage von 5 Milliarden Euro - es werden
vielleicht mehr - zahlen weiterhin die normalen Stromkunden mit. Da kann ich nur sagen: Dieses Verhandlungsergebnis adelt Sie als Industrieminister oder, wie
vorher gesagt wurde, als Genossen der Bosse.
Wem nützt dieses neue EEG? Was ist mit den privaten
Haushalten, besonders mit den Verbraucherinnen und
Verbrauchern, die am Ende des Monats ihre Stromrechnung kaum bezahlen können? Es gäbe durchaus Möglichkeiten, sie zu entlasten.
({0})
Die Linke hat dazu einiges vorgeschlagen, zum Beispiel
die Senkung der Stromsteuer. Auch die SPD hatte vor
der Bundestagswahl diese Forderung erhoben.
({1})
- Ich weiß, das alte Spiel: Für den Kollegen Schäuble
steht die schwarze Null im Haushalt über allem. - Jetzt
frage ich Sie: Wann wollen Sie, Herr Gabriel, Ihr Verhandlungstalent an dieser Stelle einsetzen, für die Bürgerinnen und Bürger?
({2})
Mit dem EEG 2014 führen Sie exakt das schwarz-gelbe
Projekt aus 2012 weiter, das der Solarbranche bereits
schlimm zugesetzt hat.
Aber Ihre Einschnitte sind noch drastischer. Nun sollen die kleinen Bürgerenergieprojekte bluten, die bislang
knapp die Hälfte der gesamten installierten Leistung von
Energien aus Wind an Land, Sonne und Biomasse stellen. Neuanlagen werden über kurz oder lang in die verpflichtende Direktvermarktung gezwungen. Die bisherige Managementprämie entfällt.
Ich kritisiere aber noch mehr die ab 2017 geplanten
Ausschreibungen, mit denen die feste Einspeisevergütung endgültig Geschichte wird. In anderen Ländern haben Ausschreibungen zu höheren Vergütungssätzen und
Fehlsteuerungen geführt - das ist ja inzwischen bekannt -;
aber diese Erfahrungen ignorieren Sie einfach.
Auch hier möchte ich wieder fragen: Wem nützen die
Ausschreibungen?
({3})
Es sind zum Beispiel diejenigen, die die Investition, an
einer Ausschreibung teilzunehmen und nicht den Zuschlag zu bekommen, verkraften können: große Investoren, die hohe Risiken zu tragen bereit sind. Sie machen
Anwohnerenergieprojekten damit den Garaus und leiten
einen Paradigmenwechsel ein. Da sind wir wirklich vollkommen dagegen.
({4})
„Schluss mit Klein-Klein“ ist Ihre Devise auch hier, Herr
Industrieminister.
Ihr Einsatz für die Unternehmen stellt die hohe Zustimmung zur Energiewende bei den Bürgerinnen und
Bürgern wirklich auf die Probe. Die Stromkosten machen von den gesamten Energiekosten eines durchschnittlichen Haushalts nur ein Viertel aus. Heizkosten
schlagen viel stärker zu Buche. Auch darüber müssen
wir reden.
In den neuen Bundesländern müssen nun nach und
nach 75 Prozent der Heizungsanlagen, die nach der
Wende eingebaut wurden, ausgetauscht werden.
({5})
- Nicht nur in den neuen Bundesländern, das ist richtig.
Auch in den alten Bundesländern müssen sie ausgetauscht werden. - Warum legen Sie nicht ein Energiegesamtkonzept vor, das endlich auch der Gebäudeeffizienz
eine den Klimazielen angemessene Förderung zuspricht?
({6})
Aus dem Ministerium Gabriel hören wir, dass im
Grunde sofort eine Verdoppelung der Sanierungsrate von
derzeit 1 Prozent auf 2 Prozent erfolgen müsste, will
man, wie geplant, den Gebäudebestand bis 2050 nahezu
komplett energetisch saniert haben. Das ist auch notwendig; wir haben schon ein ganzes Jahrzehnt verloren.
Wann will die Bundesregierung den Sanierungsfahrplan, den die EU zum Ende dieses Monats einfordert,
vorlegen? Dazu haben wir noch gar nichts gehört. Wir
müssen davon wegkommen, die Gebäudeeffizienz und
natürlich auch die anderen Maßnahmen für Energie und
Klimaschutz über den Energie- und Klimafonds zu finanzieren. Wir sehen ja: Das funktioniert nicht. Der
Preis der Zertifikate ist viel zu niedrig. Vom Handel mit
ihnen geht nichts aus.
Die Linke fordert 5 Milliarden Euro jährlich für Effizienzmaßnahmen. Diese Förderung müsste verlässlich
sein. Gebäudesanierung darf eben nicht zu einem
Schwert gegen die Mieterinnen und Mieter werden. Die
Mieten müssen bezahlbar bleiben. Es kann nicht sein,
dass sich Mieten verdoppeln und Leute aus ihren Wohnungen ausziehen müssen, wie es in einigen Städten bereits der Fall ist.
({7})
Die dringend notwendige energetische Gebäudesanierung darf nicht ein Trick von Investoren sein, um die
Mieten in Innenstädten drastisch in die Höhe zu treiben.
Damit schaffen wir keine Akzeptanz, sondern nur Ablehnung. Wir wollen den sozial-ökologischen Umbau.
Dieser Umbau darf also nicht nur ökologisch, sondern er
muss auch sozial und bezahlbar sein. Ich denke, das ist
auch machbar, wenn die Gelder dementsprechend umverteilt werden.
({8})
Das Wort erhält nun der Kollege Karl Holmeier für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Die deutsche Wirtschaft bleibt auch 2014 die Lokomotive für Wachstum und Beschäftigung in Europa. Die
Bundesregierung erwartet laut Jahreswirtschaftsbericht
für das laufende Jahr ein etwas stärkeres Wachstum als
noch im Herbst des letzten Jahres vorausgesagt. Vor dem
Hintergrund, dass sie mit erheblichem Gegenwind aus
dem weltwirtschaftlichen und europäischen Umfeld zu
kämpfen hat, ist dies eine gute Nachricht. Das Wachstum
wird über das Jahr 2014 hinaus sogar zunehmend an
Substanz gewinnen.
Mit dem vorliegenden Haushalt tragen wir dazu bei,
diese guten Aussichten zu festigen. Wir fördern Innovationen. Die Innovationsförderung ist einer der Schwerpunkte im Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums.
Wir führen den Investitionszuschuss für Wagniskapital
fort. Die Finanzierungssituation junger innovativer Unternehmen wird weiter verbessert.
Was ganz wichtig ist, meine sehr verehrten Damen
und Herren: Wir fördern die regionale Wirtschaft. Die
Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
regionalen Wirtschaftsstruktur“ werden fortgeführt. Ich
möchte einen wirklich herzlichen Dank an die Bundesregierung, vor allem an unsere Bundeskanzlerin, dafür sagen, dass gerade die bayerischen Landkreise entlang der
Grenze zu Tschechien weiter im Fördergebiet sind.
({0})
Wir fördern den Mittelstand. Wir unterstützen Unternehmensgründungen und vor allem die Fachkräftesicherung.
Wir verfolgen einen konsequenten Konsolidierungskurs. Der Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums
leistet auch in diesem Jahr einen wichtigen Beitrag zur
Konsolidierung. Der Etat für 2014 wurde zwar erhöht;
dies ist aber im Wesentlichen darin begründet, dass die
Zuständigkeiten für die Energiewende hierher verlagert
wurden.
Wir schaffen verlässliche Rahmenbedingungen für
den Energiebereich. Energie muss sicher und bezahlbar
bleiben. Dies gilt sowohl für unsere Bürgerinnen und
Bürger als auch für unsere Wirtschaft. Deshalb reformieren wir das EEG. Am 8. April, vorgestern, hat das Bundeskabinett die EEG-Novelle beschlossen. Insgesamt
kann der Gesetzentwurf durchaus als ein positiver
Schritt hin zu einer Dämpfung des Strompreisanstiegs
gesehen werden. Mit der Einführung der verpflichtenden
Direktvermarktung und der Festschreibung des Systemwechsels hin zum Ausschreibungsmodell sind hierzu
entscheidende Weichen gestellt worden.
Im parlamentarischen Verfahren, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird es sicher noch zahlreiche
Punkte geben, bei denen wir genau hinsehen müssen.
Hierzu zählen zum Beispiel aus bayerischer Sicht in besonderer Weise die Biomasse und die Wasserkraft.
Auch sollten wir den Mechanismus zur Berechnung
der EEG-Umlage unter die Lupe nehmen. Wenn eine
feste Einspeisevergütung gezahlt wird, die erneuerbaren
Energien aber gleichzeitig eine strompreisdämpfende
Wirkung an den Spotmärkten entfalten, wird die EEGUmlage zwangsläufig immer weiter steigen. Die Frage
ist: Kann das so bleiben?
Wichtig ist auch, dass die Entlastungen für die energieintensiven Industrien erhalten bleiben. Die Befreiung
der energieintensiven Industrien von der EEG-Umlage
ist wettbewerbspolitisch unbedingt geboten. Das von der
EU-Kommission eingeleitete Beihilfeverfahren darf
nicht dazu führen und wird auch nicht dazu führen, dass
der Industriestandort Deutschland und seine Arbeitsplätze gefährdet werden. Ich danke hier wiederum unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel und unserem Minister Gabriel für die guten Verhandlungen.
In den Strompreisen wird sich eine Überarbeitung des
EEG aber sicherlich erst mittel- und langfristig bemerkbar machen. Deshalb müssen wir auch darüber nachdenken, wie wir die Verbraucher vielleicht kurzfristig entlasten können. Denkbar wäre zum Beispiel, dass die
EEG-Umlage ab einem bestimmten Betrag gedeckelt
wird und ein Teil der EEG-Umlage aus einem staatlichen
Fonds zwischenfinanziert wird. Das könnte man dann
ausgleichen, wenn die Umlage wieder sinkt.
Eines sollten wir uns aber immer wieder klarmachen:
Die Energiewende, meine sehr verehrten Damen und
Herren, hängt nicht allein am EEG. Es geht um weit
mehr. Wir brauchen ein neues Marktdesign, mehr Energieeffizienz, Speicherkapazitäten und auch neue Netze.
({1})
Wenn wir dieses Puzzle zusammensetzen, werden wir
die Energiewende meistern, und wir werden sie meistern. Wenn das jemand schafft, dann wird das Deutschland sein.
({2})
Wir sind uns dessen bewusst und berücksichtigen dies
auch im vorliegenden Haushalt. Wir fördern Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz. Die Unterstützung der unabhängigen Energieberatung für kleine und
mittlere Unternehmen und das CO2-Gebäudesanierungsprogramm führen wir auf hohem Niveau fort. Wir fördern Forschung und Entwicklung im Energiebereich.
Wir stellen erhebliche Mittel zur Forschung und Entwicklung in den Bereichen Energieeffizienz, erneuerbare
Energien und Sicherheitsforschung zur Verfügung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der vorliegende Haushalt zeigt, dass wir einen Plan dafür haben,
wie wir unsere Wirtschaft stärken wollen. Das kann man
von der Opposition, den Linken und den Grünen, in diesem Haus nicht behaupten. Sie wollen die Ausnahmen
für die energieintensive Industrie abschaffen.
({3})
Darüber muss man sich wirklich wundern; denn sie haben keine Alternative, mit der sie gewährleisten können,
dass die Industrie weiter wettbewerbsfähig bleibt. Die
Grünen waren es, die diese Maßnahmen mit eingeführt
haben.
({4})
Darüber hinaus waren sie es auch, die diese Ausnahmen
mit der zweiten EEG-Novelle 2003 ausgedehnt haben.
Dies zeigt: Sie empfinden keinerlei Verantwortung gegenüber unserer Wirtschaft. Ihnen ist es vollkommen
egal, ob Arbeitsplätze in Deutschland bestehen bleiben
oder ins Ausland verlagert werden.
({5})
Sie werfen uns immer wieder vor, dass die Energiepreise zu hoch sind. Ich frage Sie: Welche Alternativen
haben Sie anzubieten? Bezüglich der Überarbeitung der
EEG-Umlage haben Sie außer Worthülsen und Kritik an
unserer Arbeit nichts vorzuweisen.
({6})
Sie fordern immer wieder, den Fokus auf schwache
Verbraucher zu legen, wie wir gerade hörten. Man
müsste einen Weg finden, wie wir die Bezahlbarkeit von
Energie für alle Verbraucher und für die Wirtschaft auch
in Zukunft gewährleisten können. Daran arbeiten wir.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem
vorliegenden Haushalt gehen wir nicht nur in ein Zeitalter der erneuerbaren Energien, sondern wir gehen auch
in ein Zeitalter der konsolidierten Staatsfinanzen. Wir
schließen einen Kreis zu Franz Josef Strauß, der 1969
den letzten schuldenfreien Haushalt in Deutschland vorlegen konnte. Im Jahre 2015 werden wir wieder einen
schuldenfreien Haushalt in Deutschland vorlegen können. Darauf können wir stolz sein, genauso wie auf unsere Wirtschaft, die es auch weiterhin zu stärken gilt.
Daran werden wir in Zukunft arbeiten.
Herzlichen Dank.
({7})
Der nächste Redner ist der Kollege Thomas Gambke
für die Fraktion der Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie
haben gerade eine Rede von jemandem gehört, der das
Wort „Innovation“ vielleicht buchstabieren kann, aber
nicht verstanden hat.
({0})
Ich werde Ihnen das gleich beweisen.
Herr Fuchs, Sie haben das Kernkraftwerk Fessenheim
bezüglich Netzstabilität angesprochen. Fahren Sie einmal nach Kalifornien. Sehen Sie sich einmal an, wie dort
Netzstabilität hergestellt wird. Dort wird etwas ganz Intelligentes gemacht. Dort wurden erst einmal elektronische Steuerungsmethoden entwickelt und implementiert,
um jetzt die Erneuerbaren einzusetzen.
Was haben Sie gemacht? Sie haben acht Jahre lang
die Energiewende nicht gewollt. Sie haben die großen
Konzerne unterstützt und dabei etwas verschlafen, was
andere können und machen, nämlich Netzstabilität nicht
mit den rotierenden Massen von fossil angetriebenen
Dampfturbinen hinzubekommen, sondern mit Elektronik
und Intelligenz. Das müssen wir machen. Wir brauchen
Innovationen, um die Energiewende zu schaffen, und
nicht das, was uns hier erzählt wird.
({1})
Ich habe den Eindruck, dass manche Leute glauben,
wir brauchten den Heizer auf der E-Lok. Wenn wir die
neuen Technologien wirklich fördern wollen, dann müssen wir sie auch unterstützen. Sehen wir uns einmal den
Einzelplan 09 an - Kollegin Hajduk hat es gesagt -: Es
werden gerade einmal 12 Prozent für den Mittelstand zur
Verfügung gestellt. Wer ist denn der Treiber von Innovationen, wenn nicht der Mittelstand? Und dann, Herr
Gabriel, werden gerade einmal gut 10 Prozent für den
Mittelstand in Ihren Programmen zur Verfügung gestellt,
aber 1,4 Milliarden Euro für Kohlesubventionen und andere Großindustrien. Nein, das kann es nicht sein.
({2})
Sie hören, dass es angesichts der Pläne zu einer Rente
mit 63 Sorgen um die Rahmenbedingungen für den Mittelstand gibt. Anstatt zum Beispiel eine vernünftige Teilrente auf den Weg zu bringen, um die Beschäftigung im
Alter zu sichern, drängen Sie mit dem, was Sie vorhaben, Facharbeiter aus dem Mittelstand heraus. Das ist
schon ein ganz schön starkes Stück. Mittelstandsförderung und Innovationsförderung sehen anders aus.
({3})
Was könnten wir machen? Wir könnten endlich eine
steuerliche Forschungsförderung für kleine und mittlere
Unternehmen betreiben. Es wäre mutig, da mal ein Zeichen zu setzen. Ich höre immer aus Ihren Kreisen, dass
Sie das machen wollen; ich höre aber auch, dass der Finanzminister es nicht finanzieren will. Sie könnten auch
Thesaurierungsbegünstigungen für kleine und mittlere
Unternehmen verbessern, um ihr Eigenkapital zu stärken; auch das wäre mal ein Thema.
({4})
Es steht sogar im Koalitionsvertrag; Sie haben es schön
aus dem grünen Wahlprogramm abgeschrieben. Ich
freue mich darüber. Aber Sie müssen es endlich machen
und nicht nur darüber reden, damit dort eine Stärkung erfolgt.
({5})
Wir müssen Innovation und Mittelstand fördern. Es
gibt Unternehmen, die innovativ sind:
({6})
Es gibt eine Wäscherei, die Wäsche wäscht, ohne Wasser zu verbrauchen, weil das Wasser zu 100 Prozent im
Kreislauf verbleibt. Es gibt ein mittelständisches Unternehmen, das ein Verwaltungsgebäude unterhält, für das
es 140 Prozent der Energie, die es verbraucht, selber herstellt. Es gibt einen Hersteller von weißer Ware, der sich
das Ziel gesetzt hat, 25 Prozent Ressourceneinsparung in
fünf Jahren hinzubekommen. Er hat das öffentlich verkündet und berichtet jedes Jahr über die Fortschritte.
Und was machen wir? Wir verhindern, indem wir
zum Beispiel die Ergebnisse der Enquete-Kommission
„Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ nicht umsetzen,
dass bei unseren Zielsetzungen, den Zielsetzungen der
Politik, andere Maßstäbe als das Wachstum angelegt
werden. Das müssten wir endlich tun: Wir müssten Innovationen fordern und fördern, wir müssten neue Technologien fordern und fördern, aber nicht mit 10 Prozent des
Etats, sondern mit deutlich mehr Mitteln.
({7})
Lassen Sie mich ein Fazit ziehen. Dieser Einzelplan
lässt eine Zielorientierung vermissen. Gerade die fehlende Zielorientierung hindert Sie daran, etwas für die
neuen Technologien und - ich sage es noch mal - für den
Mittelstand zu tun. Es werden die alten Industrien gefördert. Ich denke, dass es in den Beratungen noch viel
Handlungsbedarf gibt, damit wir endlich einen Plan bekommen, der Deutschland wirklich nach vorne bringt.
Vielen Dank.
({8})
Danke, Herr Kollege. - Von meiner Seite guten Morgen an alle! Guten Morgen, Herr Kauder!
({0})
Der nächste Redner ist Jan Metzler für die CDU/CSU.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wirtschaft
braucht Vertrauen - das ist ein einfacher Satz, möchte
man annehmen. Aber wenn man genauer darüber nachdenkt, erkennt man: Es ist ein Satz, der uns fordert. Lassen Sie mich einige Gedankengänge zuvor ansetzen:
Deutschland steht gut da. Wir haben uns schon so an die
guten Nachrichten gewöhnt, dass man meinen könnte, es
wäre eine Selbstverständlichkeit, meine Damen und
Herren.
({0})
Die Zahlen belegen es: 1,8 Prozent erwartetes Wachstum in diesem und 2 Prozent im nächsten Jahr, rund
41,7 Millionen Erwerbstätige, niedrigste Jugendarbeitslosigkeit im EU-Vergleich und Verbraucher, die in bester
Kauflaune sind. Das ist keine Selbstverständlichkeit,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Denn es ist erst gut fünf Jahre her, dass die Krise auf ihrem Höhepunkt angekommen war. Die Börsen waren
weltweit auf Talfahrt, viele deutsche Unternehmen hielten sich mit Kurzarbeit über Wasser, und die Bankenwelt
stand vor einem massiven Umbruch. Große deutsche Tageszeitungen titelten: „Deutsche Ausfuhren sollen um
15 Prozent schrumpfen“, „Die Wirtschaftskrise erreicht
den Arbeitsmarkt“ oder „Im Sog der US-Börsen: Dax
knickt ein“.
Wie hat Deutschland es geschafft, beinahe unversehrt
aus dieser Krise herauszukommen? Automatisch? Ganz
sicher nicht. Erst die gemeinsame Anstrengung von Gesellschaft und Wirtschaft im Gleichklang mit den richtigen Weichenstellungen unserer konsequenten und besonnenen Politik haben dies möglich gemacht.
({2})
Dies ist gerade auch das Verdienst unserer leistungsstarken Industrie.
Dabei ist unser Land mittelständisch geprägt, mit einer Vielzahl erfolgreicher Familienunternehmen. Wir
sind das Land der Hidden Champions. Man ist doch immer wieder erstaunt, wenn man auf jene Unternehmen
trifft, die Marktführer in ihrer Branche sind, Millionen
umsetzen, aber den meisten Menschen doch völlig unbekannt sind. 1 500 dieser heimlichen deutschen Stars gehören zur Weltspitze. Genau hier liegt unser Potenzial;
denn unsere diversifizierte Wirtschaft im Bereich der
kleinen und mittleren Unternehmen stellt rund 70 Prozent der Arbeitsplätze. Das ist enorm, und darauf können
wir stolz sein.
({3})
Stellen Sie sich einmal vor, wir hätten vor Jahren denselben Fehler wie einige andere Länder gemacht, hätten
unsere Industrie zurückgedrängt und nur auf die Finanzbranche gesetzt. Dann würden wir jetzt ernüchtert feststellen, dass eine Reindustrialisierung, also eine Stärkung der eigentlichen Wertschöpfungskette rückwirkend
beinahe unmöglich ist. Hätten wir denselben Fehler gemacht, würden wir heute mit Sicherheit nicht so gut dastehen.
({4})
Glücklicherweise sind Industrie und Mittelstand so
tief in unserer Wirtschafts-DNA verankert, dass selbst
die Wirtschaftskrise diese Grundfeste nicht erschüttern
konnte. Nach wie vor hat die Industrie in Deutschland
einen Anteil von 20 Prozent an der Gesamtproduktion.
Das ist Spitze in Europa. Das soll auch so bleiben. Dafür
wurden seit Jahren die richtigen Rahmenbedingungen
geschaffen, die richtigen Weichen gestellt, und zwar mit
maßgeblichem Einsatz der CDU/CSU-Fraktion.
({5})
- Ja, ja, nach dem Motto „Stören Sie mich nicht mit Fakten, meine Meinung steht fest“.
Die Große Koalition setzt die richtigen Zeichen, sie
setzt an den richtigen Stellen an: Stichwort Fachkräftesicherung, Stichwort Forschungsoffensive, Stichwort Digitale Agenda. Die Liste ist lang.
Dass wir den guten Weg konsequent und besonnen
weitergehen, zeigt der vorliegende Einzelplan für Wirtschaft und Energie mit einem Gesamtetat von 7,4 Milliarden Euro. Mit mehr als einem Drittel dieses Etats fördern wir ausschließlich Innovation, Forschung und
Technologie in der deutschen Wirtschaft.
({6})
Dabei gilt für uns: Das eine tun, aber das andere nicht
lassen. Wir fördern unser Erfolgsmodell, unsere erfolgreiche Industrie und unseren traditionellen Mittelstand.
Gleichzeitig setzen wir wichtige Impulse für die Startup- und Gründerszene, den neuen deutschen Mittelstand.
({7})
Ich möchte zwei Beispiele hervorheben. Erstens. Mit
dem Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand, kurz
ZIM, und der Forschungsinfrastruktur fördern wir gezielt Forschung und Entwicklung im Mittelstand. Als
eine der Know-how-trächtigsten Wirtschaftsnationen
sorgen wir so weiterhin dafür, dass die Ideen unserer
Spitzenforscher und Tüftler im eigenen Land entwickelt
und hier nachhaltig zum Erfolg geführt werden.
Zweitens. Mit dem Förderprogramm EXIST unterstützen wir gezielt die Gründerszene im Hochschulumfeld. Wir setzen auf Forschergeist, Mut und Einsatzbereitschaft.
({8})
Die passgenauen, im Einzelplan festgeschriebenen
Maßnahmen setzen richtige Anreize und Rahmenbedingungen und somit Akzente für die zukünftige Entwick2456
lung der gesamten deutschen Wirtschaft. Wir vertrauen
der Wirtschaft.
Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie ist „made
in Germany“ übrigens ein maßgebliches Kaufargument
für die deutschen Verbraucher. Das Vertrauen in die
deutsche Wirtschaft ist also auch in der Gesellschaft vorhanden. Kein Wunder also, dass die Stimmung gut ist.
Kein Wunder also, dass junge, qualifizierte Menschen
aus aller Welt Deutschland als Ausbildungs- und Arbeitsstandort vermehrt in Betracht ziehen. Kein Wunder
also, dass wir im internationalen Vergleich so gut dastehen.
({9})
Aber auch in Zukunft dürfen wir uns nicht auf dem
Erreichten ausruhen. Kürzlich unterhielt ich mich mit
dem Gründer eines sehr erfolgreichen Start-ups. Er hat
den Standort Deutschland und die finanzielle Erstunterstützung ausdrücklich gelobt, zum Beispiel die Gründerkredite. Das Paradoxe: Als sich der Erfolg dann wirklich
einstellte und für die Expansion ein mittlerer einstelliger
Millionenbetrag nötig war, gab es keine deutsche Bank,
keinen Finanzierer, der das weitere Wachstum unterstützt hätte. Er sei als Geschäftsführer mit Ende 20 einfach zu jung und damit zu risikoreich für die Banken gewesen.
Ein ähnliches Beispiel: Wie wäre es wohl Mark Zuckerberg vor zehn Jahren in Deutschland ergangen?
Hätte man ihm, der gerade Anfang 20 war, einen Millionenkredit gewährt, um Facebook aufzubauen, das heute
auch für uns Politiker unerlässlich ist? Oftmals passen
Vertreter der neuen Gründerzeit nicht in unser Rollenbild
vom erfolgversprechenden Macher. Das sind nicht nur,
aber vor allem in der IT-Branche oftmals junge Leute
Mitte, Ende 20, die tolle Ideen haben, aber in den Augen
vieler noch grün hinter den Ohren sind.
Ich finde es richtig, dass wir mit der Digitalen Agenda
einen neuen Weg gehen und die Gesellschaft vom Vertrauen in junge Gründer überzeugen. Künftig nutzen wir
unsere Chancen hier noch besser; denn Kreativität ist der
Treiber unseres Wohlstandes.
({10})
Wenn ich von der Gründerszene, also dem neuen
deutschen Mittelstand spreche, spreche ich mitnichten
nur von der IT-Branche, sondern auch von jungen Unternehmerinnen und Unternehmern, die tolle Ideen in klassischen Branchen hervorbringen. Ein Beispiel ist die
Landwirtschaft. In meiner Heimat, in Rheinhessen, gibt
es viele Jungwinzer, die massiv in hochinnovative Ideen
und somit die Zukunft ihrer Familienbetriebe investieren. Sie sind damit nicht nur Botschafter meiner Heimat,
sondern mit ihren Produkten auch hochinnovative Botschafter für unser ganzes Land.
({11})
- Der Rheingau ist nicht zu vergessen. Dann können wir
noch die Mosel hinzunehmen und viele andere.
Das ist das Erfolgsrezept unserer Wirtschaft: das Miteinander unseres traditionellen Mittelstands mit dem
neuen deutschen Mittelstand. Das ist weltweit ein einmaliges Modell. Unser Ziel muss es auch in Zukunft
sein, auf jahrzehntelange Erfahrung zurückzugreifen,
von dieser zu profitieren und gleichzeitig offen zu sein
für neue Ideen. So können wir Netzwerke zwischen Industrie, Forschung und Gründerszene noch stärker befördern. Damit stärken wir unsere Position und unsere
Wettbewerbsfähigkeit, die Chancen eröffnet und die Industrie 4.0 maßgeblich nach vorne bringt.
Mit Blick auf den Einzelplan Wirtschaft und Energie
stelle ich fest: Wir tragen an den geeigneten Stellen den
Herausforderungen Rechnung; wir setzen die richtigen
Rahmenbedingungen für die deutsche Wirtschaft; wir
setzen Anreize für Neugründungen. Als junger Bundestagsabgeordneter sage ich: Wirtschaft braucht Vertrauen. - Das gilt gerade zu Beginn für die junge Generation, unseren neuen deutschen Mittelstand.
({12})
Mit dem Haushaltsplan untermauern wir unser Vertrauen
in die deutsche Wirtschaft. Ich finde, wir sind auf einem
guten, ich finde, wir sind auf dem richtigen Weg.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Lieber Kollege Metzler, nicht nur Ihre Fraktion und
der Koalitionspartner, sondern das ganze Haus gratuliert
Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
({0})
Da Sie Winzer sind, wünsche ich Ihnen auch noch einen guten Jahrgang.
({1})
- Mitbringen? Ja.
({2})
Der nächste Redner ist Andreas Mattfeldt von der
CDU/CSU. - Herr Mattfeldt, bitte.
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Uns wurde eben der Haushalt vorgestellt. Wir haben sehr viel gelernt. Wir haben gelernt,
wie wichtig Wein für die Wirtschaft in Deutschland ist.
Deshalb sende ich Ihnen auch von der Mosel herzliche
Grüße. Ich komme zwar nicht von der Mosel, aber mein
Betrieb ist dort ansässig.
Der Haushalt wurde vorgestellt. Nun stellen wir
Haushälter zusammen mit den Fachpolitikern vieles
noch einmal auf den Prüfstand. Wir machen das nicht,
um das Ministerium - Frau Zypries ist noch anwesend oder gar den Minister zu ärgern. Nein, es ist die ureigene
Aufgabe von uns Parlamentariern, alle gemachten Vorschläge auf den Prüfstand zu stellen und auf absolute
Notwendigkeit hin zu überprüfen.
({0})
Ich betone immer wieder, dass es in den Entscheidungsbereich von uns Parlamentariern fällt, die von den Steuerzahlern hart erarbeiteten Mittel so sinnvoll und so effektiv wie möglich zum Wohle der Menschen in
unserem Land einzusetzen.
({1})
Der Etat des Bundesministers Gabriel ist gegenüber
dem Entwurf aus dem vergangenen Jahr - das haben wir
bereits gehört - um circa 1,3 Milliarden Euro angewachsen. Dieser anständige Aufwuchs liegt an der Übernahme der Zuständigkeiten für die Energiewende, für
die CO2-Gebäudesanierung und für die neuen Länder.
Übrigens ist diese Aufgabenverlagerung aus den anderen
Ministerien eine Herkulesaufgabe, die von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Häuser mit Bravour geleistet wird. Hierfür auch von meiner Seite herzlichen
Dank.
({2})
Ich sage auch: Diese Aufgabenverlagerung ist nach meiner Einschätzung absolut notwendig, wenn die Energiewende, über die heute viel diskutiert worden ist, im vorgesehenen Zeitrahmen realisiert werden soll.
Der Bereich Energie und Nachhaltigkeit ist mit Mitteln in Höhe von 2,9 Milliarden Euro das größte Kapitel
im Etat, aber dieser Bereich ist nicht nur zahlenmäßig
der größte, sondern die Energiewende wird uns in den
kommenden Jahren auch als das zentrale Projekt begleiten. Es ist wohl die größte Herausforderung in dieser Legislaturperiode. Der endgültige Ausstieg aus der Kernenergie muss weiter umgesetzt werden. Der Anteil der
erneuerbaren Energien am Strommix muss erhöht werden. Stromtrassen müssen gebaut werden. Die Frage der
Entsorgung des Atommülls soll gelöst werden, und der
Abbau der Kernkraftwerke soll vorbereitet werden.
({3})
Das alles soll sich natürlich in einem finanziellen Rahmen abspielen, der die Strompreise nicht weiter steigen
lässt. Liebe Frau Zypries, das hört sich spielend leicht
an, aber ich glaube, Sie haben da eine gehörige Aufgabe
vor sich. Ich sage Ihnen: Das ist sicherlich alles andere
als leicht. Das erfordert einen enormen gemeinsamen
Kraftakt, der uns allen viel abverlangen wird.
({4})
Gerade vom Bau der Stromtrassen werden die Bürgerinnen und Bürger natürlich auch ganz besonders sichtbar betroffen sein. Ich weiß das aus eigener Erfahrung,
denn die geplante SuedLink-Trasse wird meinen Wahlkreis zum Teil erheblich queren. Natürlich erwarten ganz
viele in meinem Wahlkreis, dass ich mich gegen den Bau
dieser Stromtrasse stelle. Übrigens gibt es bei den Gegnern des Baus dieser Stromtrasse zahlreiche Schnittmengen mit denen, die vorher lautstark „Atomkraft? Nein
danke!“ geschrien haben. Nein, eine Dagegenpolitik ist
keine verantwortungsvolle Politik, im Gegenteil.
({5})
Wir brauchen diese Trasse dringend. Gerade nach der
Katastrophe im Kernkraftwerk in Fukushima gab es eine
fast schon übergroße Mehrheit in der deutschen Bevölkerung, die die Energiewende wollte und mit allen Konsequenzen mitgetragen hat. Der Bau der Stromtrassen
gehört zwingend dazu.
Wenn wir Ja sagen zu erneuerbaren Energien, dann
müssen wir auch Ja sagen zu den Stromtrassen. Eine Dagegenpolitik, Herr Krischer von den Grünen, die Sie
auch gerne in den Verbänden vor Ort vertreten, hilft uns
nicht weiter.
({6})
Dies gilt - das sage ich mit einem Blick auf meine bayerischen Freunde - auch ganz schonungslos für das
selbstbewusste Bundesland Bayern.
({7})
Es ist selbstverständlich, darauf zu achten, dass der
Trassenbau möglichst verträglich für Mensch und Natur
geschieht. In meinem Wahlkreis zum Beispiel sahen die
Ursprungsplanungen vor, dass die Trasse mitten durch
zwei Waldkindergärten verläuft. Das besorgt natürlich
nicht nur die Eltern. Deshalb begrüße ich es sehr, dass
der Netzbauer TenneT hier bereits nach Alternativverläufen sucht.
Die Große Koalition ist gerade dabei, zwingend notwendige Korrekturen am EEG vorzunehmen; das haben
wir bereits gehört. Die Energiewende muss so ausgestaltet werden, dass weder Verbraucher noch Industrie über
Gebühr belastet werden und trotzdem die anvisierten
Ziele erreicht werden.
Ich selbst bin nicht nur privater Stromverbraucher,
sondern - das wissen viele - komme aus der Lebensmittelindustrie. Dort bekomme ich die sehr hohen Stromkosten - im Vergleich mit vielen anderen auch europäischen Nachbarländern sind sie in Deutschland sehr hoch täglich zu spüren. Strom ist - das sage ich an die Adresse
der Kolleginnen und Kollegen von den Grünen - zumindest bei uns im Betrieb ein sehr hoher Kostenfaktor in
der Produktkalkulation. Wir stehen im Wettbewerb mit
Produzenten aus der Tschechei, aus Frankreich und aus
Polen
({8})
um die besten Plätze im deutschen Lebensmittelhandel.
Ich empfehle Ihnen dringend, sich ernsthafter mit
dem Mittelstand zusammenzusetzen.
({9})
Ich jedenfalls mache das täglich.
({10})
Ich erlebe dabei, übrigens auch bei guten Freunden, wie
intensiv darüber nachgedacht wird, Produktionen ins
Ausland zu verlagern. Sie können das - das haben Sie
heute hier auch wieder gemacht - anzweifeln. Ich sage
Ihnen aber: Das sind keine durchgeknallten Typen, die
nur die Politik aufschrecken wollen. Nein, es geht um
reale Existenzangst und um Arbeitsplätze. Diese dürfen
wir doch nicht gehen lassen. Unsere Nachbarländer haben hier Fehler gemacht und die Industrie ziehen lassen.
Viele bereuen dies heute bitter, zum Beispiel Großbritannien. Dort redet man aktuell von einer Reindustrialisierung. Großbritannien lässt sich diese Reindustrialisierung richtig viel kosten. Ich persönlich halte einen
solchen Weg für Deutschland nicht für erstrebenswert.
Deshalb meine Bitte an die Grünen: Besinnen wir uns
auf unsere Vernunft,
({11})
und unterstützen wir Handwerk, Mittelstand und Industrie zum Wohle von uns allen!
Meine Damen und Herren, diese Koalition hat sich
zum Ziel gesetzt, nicht nur die großen Unternehmen,
sondern ganz besonders - da widerspreche ich der linken
Seite dieses Hauses, Herr Claus - auch die mittelständischen Unternehmen zu unterstützen.
({12})
Denn wir wissen: Kleine und mittelständische Unternehmen, vor allen Dingen aber auch Familienunternehmen,
sind die Stütze unserer Wirtschaft. Gerade in der letzten
großen Wirtschaftskrise war es doch der Mittelstand, der
dafür gesorgt hat, dass Deutschland die Krise schneller
als andere Staaten überwunden hat. Mittelständler sind
es, die in Deutschland zahlreiche Arbeitsplätze zur Verfügung stellen, diese auch in wirtschaftlich schwierigen
Zeiten erhalten und immer wieder neue schaffen.
Wir haben nicht lange gezögert und im Vorgriff auf
den Haushalt 2014, also vorab - deshalb ist das, was Sie
gesagt haben, falsch -, Gelder für die Mittelstandsförderprogramme freigegeben.
({13})
Diese Vorabfreigabe war zwingend notwendig; denn
hierdurch werden Arbeitsplätze erhalten und sogar zahlreiche neue geschaffen. Auch wenn einigen im Land
eine Koalition von CDU, CSU und SPD seltsam erscheint, sehen Sie hieran, dass diese Koalition nicht nur
redet, sondern auch ganz praktisch und schnell handelt,
und zwar dort, wo es notwendig ist.
({14})
Allerdings darf bei einigen Förderprogrammen die Frage
erlaubt sein, ob gewährleistet ist, dass die vorhandenen
Mittel nicht wahllos nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden. Mir persönlich ist im Hinblick auf die Förderung wichtig, dass Arbeitsplätze am Ende dauerhaft
gesichert oder neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Ein nicht nur in meinem Wahlkreis, sondern auch
deutschlandweit erfolgreiches Programm - es ist bereits
angesprochen worden - ist das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand. Dabei handelt es sich um ein Programm, in dessen Rahmen unbürokratisch Mittel für
kleine und mittelständische Unternehmen bereitgestellt
werden, damit diese bestimmte Technologien verwirklichen können, wozu sie sonst nicht in der Lage wären.
Seit Bestehen dieses Programms im Jahr 2008 wurden
Forschungs- und Entwicklungsprojekte im Umfang von
über 7 Milliarden Euro initiiert. Was für mich viel wichtiger ist: Zwischen 2009 und 2011 wurden hierdurch bis
zu 70 000 Arbeitsplätze gesichert oder neu geschaffen.
Ich zumindest nenne das einen großartigen Erfolg,
meine Damen und Herren.
Da wir gerade über Arbeitsplätze sprechen: Ich habe
registriert, dass ein großer Flugzeugbauer stark von Fördergeldern profitiert. Diese Unterstützung der deutschen
Luft- und Raumfahrtindustrie leistet der deutsche Steuerzahler natürlich in der Erwartung, dass hierdurch Arbeitsplätze in unserem Land gesichert werden. Ich sage
ganz deutlich: Nicht akzeptabel ist es, dass wir auf der
einen Seite Unternehmen Steuergelder in enormer Höhe
zur Verfügung stellen und auf der anderen Seite Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden.
({15})
Kein Politiker in diesem Land kann es verantworten,
dass Unternehmen in Deutschland Steuergelder erhalten
und hiervon Arbeitsplätze in einem anderen Land finanziert werden. Diese Entwicklung werden wir im Blick
behalten.
Ich sage das auch vor dem Hintergrund von Zahlungen im Rahmen einer deutschen Kofinanzierung beim
Bau der Stadtbahn in Ho-Chi-Minh-City. Obwohl bereits
20 Millionen Euro von 86 Millionen Euro deutschen
Geldes geflossen sind, ist von dieser Stadtbahn im Stadtbild von Ho-Chi-Minh-City nichts erkennbar. Zwar sollen deutsche Unternehmen von der Auftragsvergabe profitieren, Frau Zypries,
({16})
ob allerdings jemals etwas realisiert wird, scheint heute
zumindest fraglich. Deshalb freue ich mich auf den Bericht des Ministeriums. Der Minister hat uns ja zugesagt,
nach seiner kommenden Südostasien-Reise hierzu einen
Bericht abzugeben.
Meine Damen und Herren, dieses Projekt ist ein gutes
Beispiel dafür, dass gerade wir Haushälter in den künftigen Beratungen sehr genau darauf achten müssen, welche Projekte in die Förderung aufgenommen werden. Ich
jedenfalls freue mich sehr auf die anstehenden Haushaltsberatungen, lade die Opposition ein, hieran konstruktiv mitzuwirken, und hoffe, dass wir gute, sachliche
Diskussionen führen.
Herzlichen Dank.
({17})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor.
Dann kommen wir jetzt zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung,
Einzelplan 30.
Die Debatte eröffnet die Ministerin Professor
Dr. Johanna Wanka.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Etat des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung ist, seit Angela Merkel Bundeskanzlerin
geworden ist, neunmal in Folge gewachsen. Dieser Etat
ist über die ganzen Jahre - 2005, 2006 etc. - jedes Jahr
gewachsen, auch in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise, auch in Situationen, in denen in anderen Bereichen
eingespart werden musste. Das war und ist nur möglich,
weil vonseiten der Bundesregierung - sowohl vonseiten
der Großen Koalition als auch vonseiten der letzten
Koalition - hier ein eindeutiger Schwerpunkt gesetzt
wurde. Und diese Aufwüchse waren nicht marginal: Von
2005 bis jetzt ist in diesem Bereich ein Aufwuchs um
mehr als 84 Prozent zu verzeichnen; das ist fast eine Verdopplung.
Wir haben uns in der Großen Koalition, SPD und
CDU/CSU - in diesem Punkt sind wir uns ganz einig; in
anderen auch -, vorgenommen, diese Schwerpunktsetzung weiter fortzusetzen.
({0})
Der Koalitionsvertrag macht dazu inhaltliche Aussagen,
aber auch finanzielle.
({1})
Von den 23 Milliarden Euro, die zusätzlich kommen, gehen 9 Milliarden Euro in den Bereich Bildung und Forschung. Das ist eine eindeutige Schwerpunktsetzung:
mehr als ein Drittel. Der Anteil des BMBF an diesen
9 Milliarden findet sich dabei noch nicht im Haushaltsplan.
Meine Damen und Herren, wir haben das 3-ProzentZiel als ein Indiz dafür, wie gut wir bei den Investitionen
in Forschung und Entwicklung sind. Wir haben es geschafft, dass jetzt 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
für Forschung und Entwicklung eingesetzt werden. Damit sind wir nicht nur in Europa, sondern auch international in der Spitzenliga. Das ist dennoch überhaupt kein
Grund, sich auf diesem Lob auszuruhen. Es wird außerordentlich schwierig, diesen Anteil zu halten oder ihn
sogar noch zu steigern. Um die Chancen, die wir haben
- Stichwort: Industrie 4.0 -, nutzen sowie die für die
Energiewende notwendige Forschung betreiben zu können, ist das aber existenziell.
Wenn man davon spricht, dass die 3 Prozent erreicht
sind, muss man auch sagen: Zwei Drittel von diesen
3 Prozent investiert die private Wirtschaft. Das soll auch
so sein. Dass die private Wirtschaft ihre Ausgaben für
Forschung und Entwicklung in den letzten Jahren so gesteigert hat, dafür tragen wir eine große Verantwortung;
dafür braucht es nämlich eine geeignete staatliche Förderpolitik. Im Rahmen der Hightech-Strategie, die seit
2007 existiert, haben wir neue Formate angeboten, haben wir Spitzencluster eingerichtet - wo die Wirtschaft
richtig viel Geld hingelegt hat, aber das Land auch -, die
die Wissenschaft und Wirtschaft in die Lage versetzen,
auf eine ganz andere Art und Weise zusammenzuarbeiten, haben wir die Förderinitiative „Forschungscampus“
eingeführt und Anwendungszentren eingerichtet. Diese
staatliche Förderpolitik hat dazu geführt, dass mehr private Investitionen in Forschung und Entwicklung in beachtlichen Größenordnungen geflossen sind.
({2})
Weil es erfolgreich ist, muss es weiterentwickelt werden;
an dieser Aufgabe arbeiten wir im Moment mit Hochdruck. In ein, zwei, sechs Wochen werden wir dem Kabinett eine Weiterentwicklung dieser Hightech-Strategie
vorlegen: als umfassende Innovationsstrategie, ressortübergreifend.
Meine Damen und Herren, wenn man über Forschungsgelder spricht, dann ist die Summe wichtig;
wichtig ist aber auch Verlässlichkeit. Durch den Pakt für
Forschung und Innovation haben die außeruniversitären
Forschungseinrichtungen und die Deutsche Forschungsgemeinschaft seit 2005 Planungssicherheit. Die wussten,
was jedes Jahr draufkommt und auch wirklich im Etat
bleibt. Das hatte Wirkung, da sind neue Strukturen entstanden. Das ist sehr viel attraktiver geworden für internationale Wissenschaftler.
Die Mittel für diesen Pakt für Forschung und Innovation, für diese Steigerungen, haben Bund und Länder
über die ganzen Jahre gemeinsam aufgebracht. Jetzt bestand die Gefahr, dass einige Länder - aus guten Gründen - sagen: Wir sind dazu nicht mehr in der Lage. Deswegen haben wir entschieden, dass der Bund den
Aufwuchs komplett finanzieren wird. Das entlastet die
Länder um Hunderte Millionen Euro. Wir verhandeln
bereits und wollen den neuen Pakt, der ab 2016 startet,
den Ministerpräsidenten im Dezember zur Beschlussfassung vorlegen, damit Verlässlichkeit und Planbarkeit
frühzeitig gewährleistet sind.
({3})
Wer sich damit auskennt oder an solchen Verhandlungen
schon beteiligt war, der weiß, dass sie schwierig und
kompliziert sind und dass unser Zeitplan ehrgeizig ist.
Die außeruniversitären Forschungseinrichtungen können nur in Kombination mit den Hochschulen gut sein.
Die Hochschulen - wir sagen das immer wieder - sind
das Herzstück des Wissenschaftssystems.
({4})
Der Bund - Annette Schavan weiß das - hat über viele
Jahre Milliarden neu in das System Hochschule investiert: zum Beispiel für den Qualitätspakt Lehre, für die
Exzellenzinitiative und über den DAAD.
Seit 2005 hat der Bund seine Anstrengungen für die
Hochschulen in den Ländern um über 100 Prozent gesteigert.
({5})
- Das hat er auch schon vorher immer getan, Herr
Rossmann. - Die Länder haben ihre Anstrengungen in
dieser Zeit auch um ungefähr 25 Prozent verstärkt.
Trotzdem ist die Grundfinanzierung der Hochschulen
oftmals problematisch.
Die Grundfinanzierung ist natürlich die Basis. Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag die Absicht bekräftigt - und sie werden wir umsetzen -, dass der Bund
in die Grundfinanzierung der Hochschulen einsteigt. Das
ist etwas ganz Neues und revolutionär. Über die Art und
Weise der Bereitstellung der Bundesmittel wird es uns
vielleicht möglich,
({6})
bei der Nachwuchsförderung, die uns alle immer umtreibt - SPD, CDU/CSU und auch die Grünen -, neue
Schritte für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu gehen.
({7})
Die Finanzierung der Exzellenzinitiative ist bis 2017
gesichert. Es muss aber frühzeitig klar sein, was danach
passiert. Das ist außerordentlich wichtig. Die Frage, wie
man daraus eine nachhaltige Entwicklung und nicht immer wieder einen neuen Wettbewerb macht, ist in dieser
Legislaturperiode zu beantworten. Ich habe den Ländern
meine Vorstellungen übermittelt, und wir befinden uns
dort in einer engen Abstimmung. Wichtig ist, dass für
alle Betroffenen frühzeitig klar ist, wie es hier weitergeht.
({8})
Heute früh kam im Radio die Nachricht, dass für das
Wirtschaftswachstum in diesem Jahr eine nochmalige
Steigerung vorausgesagt wird. Das ist ein Indiz für die
Leistungsfähigkeit des deutschen Wirtschaftssystems.
Eine wichtige Basis für die Leistungsfähigkeit sind die
Fachkräfte. Deren Ausbildung beruht auf zwei Säulen:
der akademischen Fachkräfteausbildung und der dualen
Ausbildung.
Im akademischen Bereich haben wir etwas geschafft,
was nicht immer herausgestellt wird, was für mich aber
fast die größte Leistung des Staates im Hinblick auf die
Bewältigung des demografischen Wandels darstellt,
nämlich den Hochschulpakt. Man muss sich das einmal
vorstellen: Seit 2007 war klar, dass die Zahl derer, die
ein Studium aufnehmen können, um Hunderttausende
größer wird, und in dieser ganzen Zeit haben wir keine
Demos auf der Straße von Eltern, Großeltern und Jugendlichen erlebt, sondern Bund und Länder haben es
gemeinsam geschafft, dass über den Hochschulpakt die
entsprechenden Kapazitäten aufgebaut wurden und jetzt
vorhanden sind, sodass diejenigen, die studieren wollten,
auch wirklich studieren können. Das ist auch im Hinblick auf die demografische Entwicklung ganz großartig.
({9})
Im Etat stehen für den Hochschulpakt II 8 Milliarden
Euro zur Verfügung. Durch den Koalitionsvertrag haben
wir grünes Licht für die Verhandlungen zum Hochschulpakt III und auch das notwendige Geld dafür.
Bei all diesen Dingen muss man sagen: Sowohl beim
Hochschulpakt als auch bei der Exzellenzinitiative und
an anderer Stelle gab es viele Kooperationen, aber die
Initiative ging an diesen Stellen immer vom Bund aus.
({10})
Danach ist es im Dialog verbessert und in die richtige
Form gebracht worden, aber der Bund hat an diesen Stellen Initiative gezeigt. Darüber muss man sich nicht wundern, und das ist auch keine Kritik an den Ländern. Warum soll ein Wissenschaftsminister von Bremen für
Mecklenburg-Vorpommern mitdenken? Für den Bund ist
es aber wichtig, immer das Gesamtsystem zu sehen.
({11})
- Man kann freiwillig immer alles tun. Ich bin an der
Realität orientiert, an dem, was ich in den vielen Jahren
erlebt habe.
Nachdem der Bund also initiativ war, erfolgt ein langer Diskussions- und Aushandlungsprozess, um wirklich
eine gute Lösung zu erreichen. Der Bund ist dabei nicht
derjenige, der immer von vornherein weiß, wie das am
besten geht. Das will ich überhaupt nicht behaupten.
Es ist wichtig, dass wir jetzt darüber diskutieren, wie
die 6 Milliarden Euro, die für die Entlastung der Länder
in den Bereichen Kita, Schule und Hochschule vorgesehen sind, verteilt werden. Es darf kein Blankoscheck
ausgestellt werden; denn uns ist gemeinsam wichtig,
dass dieses Geld auch wirklich bei den Betroffenen vor
Ort ankommt.
({12})
Es gibt allerdings schlimmere Probleme, als darüber
nachzudenken, wie Milliarden verteilt werden.
({13})
Für die berufliche Ausbildung als zweite Säule der
Fachkräfteausbildung haben wir die Wirtschaft, die Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen muss. Hier gibt es
auch eine Bundeskompetenz. Wir haben eine originäre
Kompetenz für diesen Bereich. Und wir haben die Situation, dass in den letzten Jahren vieles gelungen ist, auch
aufseiten der Länder und der BA.
Die Wirtschaft sieht aber, auch wenn sie zurzeit vor
allem über Energiepreise diskutiert, das größte Innovationshindernis in den nächsten Jahren im Fachkräftemangel, vor allem was Facharbeiter angeht. Deswegen
ist es außerordentlich wichtig, dass wir in dieser Legislaturperiode - die Zeit drängt, weil die Berechnungen
schon vorliegen - die berufliche Ausbildung stärken.
({14})
Es geht nicht darum, dass uns Konzepte fehlen. Wir haben zum Beispiel mit Nordrhein-Westfalen und Thüringen modellhaft Dinge geprobt, die sich bewährt haben.
Wichtig ist, dass es uns gelingt, individuelle Ansprache
präventiv - statt nachzuarbeiten, wenn es nicht funktioniert - in der 7. und 8. Klasse und möglichst flächendeckend - das hängt von der Finanzierung ab - anzubieten,
um an dieser Stelle zu besseren Ergebnissen zu kommen,
als es bei vielfältigen Bemühungen bisher der Fall war.
({15})
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Alles, was angesprochen wurde, ob es um die Forschung
geht oder um die Fachkräfte, wird nicht funktionieren,
wenn es uns nicht gelingt - das wurde auch in den vorhergehenden Reden immer wieder gesagt -, den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken und in dieser
reichen Bundesrepublik zu vermitteln, dass jeder optimistisch sein kann und Chancen hat. Es muss uns gelingen, zu motivieren, und da, wo es notwendig ist, zu stützen und zu ermutigen.
Deshalb ist Bildungsgerechtigkeit notwendig, damit
die Menschen das Gefühl haben, dass es im Bildungssystem in dieser Republik gerecht zugeht. Dieses Gefühl
haben sie aber an vielen Stellen nicht. Deswegen ist das
ein ganz entscheidender Schwerpunkt für diese Legislaturperiode.
In diesem Zusammenhang nenne ich das Stichwort
BAföG: Das novellieren wir in dieser Legislaturperiode.
({16})
Nicht nur für junge Frauen, sondern für Frauen insgesamt müssen wir noch mehr machen.
({17})
Wichtig ist auch die Einbeziehung der Migranten in die
Gesellschaft.
Ein weiteres Stichwort sind die neuen Länder. Sie
brauchen aber keine Almosen; es geht darum, die besondere Situation der neuen Länder zu berücksichtigen,
wenn man neue Förderinstrumente auflegt.
Für all das haben wir uns viel vorgenommen.
({18})
Wenn es nach mir geht, dann kann das Geld, das wir
haben, nicht besser als in unserem Einzelplan investiert
werden.
Danke schön.
({19})
Vielen Dank, Professor Wanka. - Das Wort hat
Roland Claus für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Bundesministerin, ich finde es zunächst einen schönen
Zufall, dass am Pult des Deutschen Bundestages unmittelbar nacheinander zwei Absolventen ein und derselben
Hochschule sprechen, nämlich der Technischen Hochschule in Merseburg. Wir hatten als Studierende gewiss
alle kühne Träume - wenn auch sicherlich sehr unterschiedliche -, aber das gehörte wohl nicht dazu.
6 Milliarden Euro mehr für Kindertagesstätten, Schulen und Hochschulen: Dieser Aufwuchs für die Länder
im Bereich Forschung und Entwicklung findet selbstverständlich auch die Zustimmung der Opposition im Deutschen Bundestag,
({0})
so wie wir auch mitgemacht haben, als wir im Haushaltsausschuss für das Zentrale Innovationsprogramm
Mittelstand den Weg freigemacht haben.
Sie wissen, dass es für die Koalition viel schwieriger
würde, wenn in den Zeiten der vorläufigen Haushaltsführung die Opposition nicht dazu bereit wäre, ihre Vorhaben durchzusetzen. Das sollte auch im Blick behalten
werden.
({1})
Ich gerate aber in einen riesigen Konflikt. Hier nehme
ich wahr: Das ist ein wahrer Segen für Bildung und Forschung. Wenn ich aber in mein Heimatbundesland Sachsen-Anhalt fahre, nehme ich an nahezu jedem Ortseingangsschild die heftigen Proteste der Bevölkerung gegen
geplante Schulschließungen wahr. Es ist so, dass die
Große Koalition in Sachsen-Anhalt ein Viertel aller
Grundschulen schließen wird. Ein Viertel! Das stößt in
der Gesellschaft natürlich auf Unverständnis und Protest. Jetzt lebe ich mit dieser Kontroverse und muss feststellen: Kontroverser geht es ja wohl nicht. Warum ist
das so? Das ist so, weil wir den unseligen Bildungsföderalismus haben, weil wir das Kooperationsverbot im
Grundgesetz verankert haben und weil wir im Bereich
der Bildung nicht einheitlich denken, sondern ein für
mich final gescheitertes zerklüftetes System des Flickenteppichs haben.
({2})
Das Konzept der sogenannten Föderalismusreform ist
so angelegt, dass reiche Länder in der Lage sind, die besten Lehrkräfte einzukaufen. Reich kauft Geist, und Arm
bleibt auch im Geiste arm. Das ist ein Zustand, der mit
der soeben beschworenen Solidarität in der Gesellschaft,
für die ich mich ausspreche - das hat auch die Ministerin
gesagt -, und mit gesellschaftlichem Zusammenhalt
nichts zu tun hat. Es handelt sich hierbei vielmehr um
eine Konzeption des Endsiegs des Ellbogens. Wir wollen
aber wirkliche Solidarität.
({3})
Herr Kollege Claus, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Rossmann?
Aber gerne doch.
Herr Kollege, kann der Umstand, dass nicht nur in
Sachsen-Anhalt, sondern in ganz vielen Bundesländern
die Diskussion um Schulorganisation, Schulzusammenführung und Schulschließungen geführt wird, nicht damit zusammenhängen, dass es nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern auch in vielen anderen Bundesländern
weniger Kinder gibt?
({0})
Das hat nichts mit dem Föderalismus oder dem Grundgesetz zu tun. Es handelt sich dabei vielmehr um eine
umfassende gesellschaftliche Veränderung.
({1})
Selbstverständlich hat das auch damit zu tun. Wir
können natürlich zählen und das auch absehen. Aber ein
Viertel der Schulen zu schließen, ist eine kulturelle Untat, wie ich finde.
({0})
In ostdeutschen Kleinstädten ist es doch so, dass nach
der Schließung von Betrieben, dem Kulturhaus und der
Gaststätte die Schule der letzte kulturelle Begegnungspunkt ist. Nach der Schulschließung müsste man dann
wohl auf den Friedhof ausweichen. Deshalb sagen wir:
Es muss eine vernünftige und zukunftsorientierte Politik
her. Dies müssen wir im Blick haben. Auf absehbare Zeit
wird sich wieder etwas ändern. Zählen können wir aber
natürlich, Herr Kollege; das können Sie annehmen.
({1})
Ich werde nächste Woche mit einigen meiner Bundestagskollegen eine ganze Reihe von Unternehmen besuchen. Natürlich geht es dabei um Energiepreise und Abgabenlasten. Ich erlebe aber mehr und mehr, dass die
Geschäftsführer dies immer erst als Zweites ansprechen.
Als Erstes fragen Sie mich immer: Wann sorgen Sie endlich dafür, dass wir wieder ein vernünftiges Bildungssystem und infolgedessen vernünftig ausgebildete junge
Leute bekommen?
({2})
Mit Blick auf meine Ostherkunft kommt dann die etwas
drohende Ansprache - egal, ob die Geschäftsführer aus
Ost oder West kommen -: Sie, Herr Claus, müssen doch
noch wissen, wie es geht.
({3})
Das wäre doch eine Chance für uns, etwas gut zu machen.
Ich möchte nun einige Etatposten im Einzelnen
durchgehen. Der Posten des BAföG, also des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, der Zugang zu günstigen
Krediten für junge Leute, die damit ihr Studium finanzieren, nimmt einen großen Anteil in Ihrem Etat ein. Ich
will darauf verweisen, dass 80 Prozent der mit diesen
Krediten Geförderten sagen: Wenn wir diese Möglichkeit nicht hätten, wäre uns der Weg zum Studium verwehrt gewesen. - Deshalb hat unsere Fraktion mit Blick
auf die Novellierung des BAföG einen Antrag vorgelegt,
in dem wir Ihnen Vorschläge machen. Wir hoffen, dass
diese Vorschläge auch Berücksichtigung finden.
Das BAföG wird in Zukunft eine noch größere Bedeutung haben. Ich möchte dazu ein aktuelles Beispiel
nennen: In meiner Kreisstadt in Naumburg, in der es
keine Universität und keine Hochschule gibt, ist seit
etwa zwei Jahren ein enormer Zuzug von Studentinnen
und Studenten festzustellen. Das hat damit zu tun, dass
in den benachbarten Universitäts- und Hochschulstädten
Jena und Weimar die Mieten für die Studentinnen und
Studenten nicht mehr zu bezahlen sind.
({4})
Deshalb weichen sie auf Städte wie Naumburg aus. Ich
sage Ihnen deshalb: Die vernünftige und zukunftsfähige
BAföG-Reform ist ein wichtiger Schritt. Wir sollten dabei auch beachten, dass wir in Anbetracht hinreichender
internationaler Studien aufgefordert sind, die in DeutschRoland Claus
land nach wie vor hohen sozialen Schranken beim Zugang zu Bildung abzubauen.
({5})
Ich will mich nun dem Thema Projektträger zuwenden. Hierunter sind, wie ich denke, eine Reihe kreativer
Überschriften zusammengefasst. Inzwischen wird man
hier den Erwartungen des Bundesrechnungshofes gerecht. Ich habe vorhin beim Thema Wirtschaftsetat kritisiert, dass ich es nicht in Ordnung finde, dass mehr als
50 Prozent der Projektträgerschaften an das Deutsche
Zentrum für Luft- und Raumfahrt gegeben werden; denn
wenn es zum Beispiel darum geht, sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche zurückzudrängen, sehe ich
nicht in erster Linie die Kompetenz eines Luft- und
Raumfahrtzentrums gegeben.
({6})
Mein letzter Punkt. Ich will, was die Hightech-Strategie des Bundes angeht, auf die Koordinierungsfunktion
des Bundesministeriums für Bildung und Forschung verweisen. Wir finden, dass Sie, Frau Ministerin, die Milliarden, die es mehr gibt, in Ihrem eigenen Etat ganz gut
bewirtschaften; bei vielen konkreten Dingen sind wir dabei. Ihre Behörde muss sich aber auch darum kümmern,
dass die in den anderen Etats eingestellten FuE-Vorhaben - das sind in der Regel Zusatzvorhaben - solide
finanziert werden. Wir stellen fest, dass da noch viele
Mängel zu beheben sind. Wir fordern deshalb die Bundesregierung insgesamt auf, dem BMBF die Chance einzuräumen, dieser Koordinierungsfunktion gerecht werden zu können.
Herr Claus.
Wir wollen natürlich, dass das eingestellte Geld solide verwendet wird, ausgeschöpft wird und für vernünftige Projekte verwendet wird.
Herr Claus, bitte denken Sie an Ihre Redezeit. Diese
ist nämlich zu Ende.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich würde noch gerne
über viele gute Erfahrungen aus dem Osten reden,
Das glaube ich Ihnen gerne.
- aber dafür werde ich einen anderen Sendeplatz suchen müssen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Danke, Herr Claus. - Hubertus Heil für die SPD ist
der nächste Redner.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Frau Bundesministerin Wanka, ich kann es bestätigen: Diese Regierung, die seit letztem Jahr im Amt ist, steht im Bereich
Bildung und Forschung seit 1998 in einer guten Tradition.
({0})
Daran sind, bis auf die Linkspartei, alle Parteien in diesem Haus beteiligt gewesen. Wir können das an Zahlen
belegen: Seit 1998, also seit der rot-grünen Zeit mit
Edelgard Bulmahn, der Zeit der ersten großen Koalition
mit Frau Schavan, der schwarz-gelben Zeit und in dieser
Regierung, haben wir es geschafft, den Etat von 7,2 Milliarden Euro auf 13 Milliarden Euro zu erhöhen. Das ist
fast eine Verdopplung. Das ist gut für Deutschland. Das
ist eine gute Tradition.
({1})
Wir wollen uns darauf aber nicht selbstzufrieden ausruhen, sondern wollen weitergehen. Deshalb ist im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir in dieser Legislaturperiode zusätzlich 6 Milliarden Euro für Kitas, Schulen
und Hochschulen und 3 Milliarden Euro für den Hochschulpakt, für den Pakt für Forschung und Innovation
sowie die Exzellenzinitiative zur Verfügung stellen werden.
Wir werden uns darüber zu unterhalten haben - Frau
Ministerin Wanka hat es bereits angesprochen -, wie das
Geld im Bundeshaushalt 2014 tatsächlich von A nach B
kommen soll. Ich sage an dieser Stelle - da bin ich ganz
bei Frau Wanka -: Es gibt Schlimmeres, als darüber zu
reden, wie man zusätzliches Geld investiert. Dabei muss
man sich von folgender Vorstellung tragen lassen: Das
Geld gehört nicht einem Ministerium, es gehört auch
nicht den Ländern, sondern es gehört in Bildung und
Forschung. Da werden wir pragmatische Wege finden.
({2})
Ich halte es an diesem Punkt mit Karl Popper, den
Helmut Schmidt immer zitiert: Es geht um pragmatisches Handeln für sittliche Zwecke. Der sittliche Zweck
ist, dass wir etwas für Bildung in diesem Land tun müssen. Den Pragmatismus kann ich nur beschreiben, indem
ich mir vorstelle, wie wir mit dieser Frage umgehen: Wir
können und müssen feststellen, wie die Verfassungslage
in diesem Land ist und wer zuständig ist. Zwei Drittel
der Aufwendungen für Bildung in diesem Land sind
nach der derzeitigen Verfassungslage von den Ländern
und Kommunen zu schultern. Es gibt kein Bundesland,
unabhängig von seiner haushalterischen Situation, das
sich nicht bemüht, in diesem Bereich mehr zu tun. Es hat
sich in den letzten Jahren viel verändert in den Bundesländern. Aber wir können auch sagen - das steht dem
Bund auch nicht schlecht an -, dass sich die Länder alle
Hubertus Heil ({3})
miteinander bemühen müssen - gerade nach dem PISASchock -, ihre Anstrengungen zu verstärken.
({4})
Wenn wir über die gesamte Bildungskette reden, müssen wir uns überlegen, wie wir mit der Verfassungswirklichkeit, die wir haben und die sich ja nicht kurzfristig
ändern wird, umgehen, damit das Geld wirklich bei der
Bildung ankommt. Da sage ich: Für den Bereich der Kitas gibt es einen geübten Weg, nämlich den der Betriebskosten. Das betrifft den Bereich der Kollegin Schwesig.
Dieser Haushalt ist nachher zu beraten. Die Summe von
1 Milliarde Euro, die zur Verfügung steht, kann über diesen Weg übermittelt werden. Für den Bereich der schulischen Bildung gibt es aufgrund der Tatsache, dass wir es
nicht miteinander hinbekommen haben, eine umfassende
Veränderung des Kooperationsverbotes im Grundgesetz
herbeizuführen, in dieser Situation nur einen pragmatischen Weg: Wenn man im Bereich der Schulen mit diesem Geld wirklich etwas bewegen möchte, muss man
die Länder gezielt so entlasten, dass sie in Schulen investieren können.
({5})
Für den Bereich der Hochschulen
({6})
- ja, ich sage gleich etwas dazu; ganz ruhig - gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, beispielsweise befristete
Programme. Wenn ich mir etwas wünsche - ich weiß,
Frau Ministerin, dass das auch Ihr Anliegen ist -, dann,
dass wir miteinander nach den großen Erfolgen, die wir
über die Hochschulpakte erzielt haben und auch fortsetzen werden, was die Zahl der Studierenden und der Studienplätze in diesem Land betrifft, auch etwas dafür tun,
dass diejenigen, die im Wissenschaftssystem eine Karriere einschlagen wollen, dauerhaft eine Chance haben,
im Wissenschaftssystem arbeiten zu können. Da geht es
darum, dass wir das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ändern, sodass der Missbrauch von Befristung aufhört.
({7})
Das geht aber nicht - da haben Sie vollkommen
recht -, ohne dass wir Geld zur Verfügung stellen, damit
tatsächlich solche Karrieremöglichkeiten vorhanden sind.
Wir dürfen nicht am eigenen Erfolg im Wissenschaftssystem ersticken, indem wir ganz viel produzieren, aber
den jungen Leuten keine Chance geben, als gute Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Mittelbau, aber
irgendwann auch in Professuren, Forschung und Lehre
betreiben zu können. Deshalb sage ich: Wenn wir das
jetzt auflösen, könnte ich mir vorstellen, dass wir bei den
6 Milliarden Euro für den Hochschulbereich durchaus in
Form eines Bundesprogramms einen Weg finden, um im
Bereich des Mittelbaus gezielt Geld von A nach B zu
bringen.
Das sind, wie gesagt, meine Überlegungen. Das ist
keine Einigung. Aber ich finde, uns allen muss klar sein:
Wir haben nicht mehr viel Zeit - das wissen wir alle -,
weil wir spätestens im Mai für den Fortgang der Haushaltsverhandlungen die Frage, wie wir mit den 6 Milliarden Euro und den 3 Milliarden Euro aus dem Koalitionsvertrag umgehen, beantworten müssen.
({8})
Ich habe das Gefühl und bin mir da sicher, dass die
Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion - ich sehe
den Kollegen Kretschmer - der Meinung sind, dass wir
wechselseitig so regierungsfähig sind, dass wir uns an
Verträge halten. Das werden wir auch tun.
({9})
Noch einmal: Es geht nicht um die Eitelkeiten von
Bundes- oder Landespolitikern, sondern es geht um die
Bildung in diesem Land. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Wir haben als Sozialdemokraten - ich bin froh,
dass die Ministerin auch diesen Punkt deutlich gemacht
hat - für den Bereich der Bildungspolitik einen ganz
einfachen Ansatz. Uns geht es in erster Linie um ein
Menschenbild, das von der Freiheitlichkeit des Lebens
geprägt ist. Wir wollen, dass in diesem Land nicht Hautfarbe, Herkunft oder Geschlecht die Menschen durch
Geburt auf ihre Verhältnisse festnageln, sondern wir
wollen, dass Menschen ihren eigenen Lebensweg gehen
können, dass sie frei leben können, dass das Leben offen
ist, dass es Lebenschancen gibt. Wenn man das will,
dann spielt die frühe Förderung von Kindern im Elternhaus, aber auch die öffentliche frühe Förderung von Kindern in Kitas und Schulen eine ganz entscheidende
Rolle.
({10})
Nach dem PISA-Schock, der ja ein doppelter war,
weil uns in Deutschland im Bereich der Leistungsfähigkeit und der Chancengleichheit Probleme nachgewiesen
wurden, sind wir in diesem Land ein wenig vorangekommen; aber wir sind noch nicht dort, wo wir sein
müssen, wenn wir über mögliche Chancengleichheit im
Bildungssystem reden. Es ist eine gesellschaftspolitische
Frage, ob in diesem Land wirklich wieder Leistung und
Leistungsfähigkeit zählen und nicht Herkunft.
({11})
Das ist der Unterschied zu früheren Diskussionen. Ich
finde - ich habe es an dieser Stelle auch gesagt -, dass
diese Große Koalition durchaus eine Chance bietet, im
Bereich der Bildungspolitik endlich ideologische Grabenkämpfe der 70er-Jahre zu überwinden.
({12})
Ich will es einmal karikieren: In den 70er-Jahren waren wir in der Situation, dass Konservative sehr starr gesagt haben: „Leistung ist wichtig“ und Sozialdemokraten
gesagt haben: „Chancengleichheit ist wichtig“. Ich sage:
Beides ist wichtig. Chancengleichheit und die Breite der
Bildung sind wichtig, damit Spitzenleistungen in diesem
Land auch möglich sind.
({13})
Hubertus Heil ({14})
Das betrifft die gesamte Bildungskette. Das betrifft
die Frage, wie wir mit der frühen Förderung umgehen,
übrigens nicht nur bei der Anzahl von Kitaplätzen, sondern auch bei der Qualifizierung der Menschen, die in
Kitas arbeiten und denen wir den Rücken stärken müssen, und deren Karriereperspektiven und Einkunftsmöglichkeiten.
({15})
Das betrifft vor allen Dingen Frauen. Es arbeiten nur
sehr wenige Männer in den Kitas.
({16})
- Stimmt, zu wenige. Ich könnte zynisch sagen: Wenn
die Bezahlung besser wäre, gäbe es dort ein paar mehr
Kerle; das muss man leider einräumen.
({17})
Wir reden hier über Menschen, die sich um unsere
kleinsten Kinder kümmern. Kollege Kretschmer und ich,
die wir von diesem Thema ganz persönlich betroffen
sind, wissen, dass es schön ist, wenn es sich hier um
Menschen handelt, die gut ausgebildet sind und sich liebevoll kümmern. Diesen muss man den Rücken stärken.
({18})
Zum schulischen Bereich. Herr Kollege Claus, Sie
mögen sich sicherlich wünschen, dass das Kooperationsverbot ganz verschwindet. Aber selbst dann wird aufgrund unserer föderalen Ordnung die originäre Zuständigkeit für die Schulpolitik bei den Ländern liegen.
({19})
Man muss sicherlich nicht jede Form von Kleinstaaterei
gut finden. Aber es wird so bleiben; das ist meine Prophezeiung. Trotzdem kann man sich mit Hinweis auf die
Verfassung nicht herausreden und nichts tun. Wir haben
im schulischen Bereich durchaus pragmatische Möglichkeiten, dafür zu sorgen, dass mit Unterstützung des Bundes in den Ländern mehr getan werden kann. Das betrifft
den Ausbau von Ganztagsschulen, den die Länder nun
schultern müssen. Das steht übrigens in der Tradition
eines früheren Ganztagsschulprogramms des Bundes
- 4 Milliarden Euro -, das damals eine riesige Welle ausgelöst hat und auf einen Anstoß der damaligen Bundesministerin Edelgard Bulmahn zurückgeht. Ich bin froh,
dass der Ausbau der Ganztagsschulen in diesem Land
vorankommt.
Das betrifft aber auch den Übergang von der schulischen zur beruflichen Bildung. Ich bin sehr froh, dass es
insgesamt - möglicherweise erst durch die Krisenerfahrungen in Europa - ein neues Bewusstsein für die berufliche Erstausbildung im dualen System gibt; das ist eine
sehr gute Sache.
({20})
Aber das heißt, dass wir auch etwas tun müssen, damit
junge Menschen nicht durch den Rost fallen. Es gibt
noch immer viel zu viele, die in Warteschleifen - auch in
schlecht qualifizierenden - hängen.
({21})
Das können wir uns in Zukunft nicht mehr leisten. Es ist
Aufgabe des schulischen Systems, Ausbildungsfähigkeit
zu organisieren. Es ist Aufgabe der Unternehmen, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Es ist Aufgabe
des Staates - in diesem Fall der Länder -, dafür zu sorgen, dass Berufsorientierung in den Schulen stattfinden
kann und dass die Berufsschulen nicht die Stiefkinder
unseres Bildungswesens sind.
({22})
Zum Schluss möchte ich einen Punkt ansprechen, der
eigentlich einer umfassenderen Erörterung bedürfte; aber
das werden meine Kollegen mit Sicherheit noch tun. Für
den Forschungsbereich des Ministeriums stellen wir
ebenfalls mehr Geld zur Verfügung. Deutschland ist exzellent in der Grundlagenforschung und auch in der anwendungsorientierten Forschung. Das müssen wir auch
bleiben. Deshalb werden wir unsere Anstrengungen sowohl im Hochschulsystem als auch in der außeruniversitären Forschung verstärken und dafür sorgen, dass dieses
Land Schritt halten kann. Wir stehen schließlich auf internationaler Ebene in harter Konkurrenz. Wenn wir
wollen, dass Produkte, Verfahren und Dienstleistungen
von morgen bei uns entwickelt werden, müssen sowohl
die Unternehmen als auch die öffentliche Hand mehr in
Forschung und Entwicklung investieren. Wenn wir das
hinbekommen, werden wir beispielsweise die Chancen
der Digitalisierung - Stichwort „Industrie 4.0“ - in
Deutschland nutzen können. Aber wir müssen uns sputen. Das wird diese Koalition tun.
Das müssen Sie jetzt auch.
Ich habe das auch getan, Frau Präsidentin.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Danke, Herr Kollege. - Das Wort hat Katja Dörner für
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Der Haushalt ist bekanntlich in Zahlen
gegossene Politik. Zahlen lügen nicht. Deshalb sind die
Reden der Ministerin und des Kollegen Hubertus Heil
schnell enttarnt als viel Eigenlob, viel heiße Luft, viel
Schein und sehr wenig Sein.
({0})
Diese Reden beinhalten einen viel zu großen Blick in die
Vergangenheit und zu wenig Blick in die Zukunft. Ich
halte es auch mit Karl Popper, der einmal gesagt hat:
Unsere Einstellung der Zukunft gegenüber muss
sein: Wir sind jetzt verantwortlich für das, was in
der Zukunft geschieht.
Genau das tun Sie nicht. Die Große Koalition nimmt die
großen Herausforderungen der Zukunft nicht an. Dieses
Problem dokumentiert sich sehr gut im Einzelplan für
das Ministerium von Frau Wanka.
({1})
Eine kleine Erinnerung - ich zitiere -:
Wir wollen die staatlichen Bildungsausgaben massiv erhöhen. Ab 2014
- das ist dieses Jahr wollen wir schrittweise aufbauend jährlich 20 Milliarden Euro mehr für Bildung investieren.
So heißt es im Wahlprogramm der SPD. Die CDU
schrieb: „Bildung steht im Mittelpunkt unseres Handelns.“
({2})
- Ja, da kann man klatschen. - Das hat sehr hohe Erwartungen geweckt. Gerade deshalb ist der Blick in den
Haushaltsplan so ernüchternd. Die nackten Zahlen sprechen eine ganz andere Sprache.
({3})
Was lesen wir denn im Haushalt von Frau Wanka?
Wir lesen zunächst einmal gar nichts. Das ist hier schon
mehrfach angesprochen worden. Der sowieso schon als
sehr mickrig geplante Aufwuchs in der Bildung hat es
noch nicht einmal in den Etat der Bildungsministerin geschafft. Fakt ist: Der Finanzminister hortet die zusätzlichen Mittel, weil die involvierte Ministerin und die Bundesregierung sich noch nicht einmal darauf verständigen
können, wie diese Gelder ausgegeben werden. Ich finde,
diese Posse ist mehr als nur ein Symbol dafür, dass sich
die Große Koalition nicht nur mit fliegenden Fahnen von
ihren großen Wahlversprechen verabschiedet hat, sondern auch aus der so lange angekündigten Bildungsrepublik Deutschland.
({4})
Aber diesen Abschied akzeptieren wir Grüne nicht,
weil ein Land wie Deutschland von Investitionen in die
Köpfe lebt und weil wir die Verantwortung dafür haben,
dass die Kinder und Jugendlichen in unserem Land ihre
Potenziale voll und ganz ausschöpfen können. Davon
sind wir trotz der vielen Bemühungen insbesondere vieler Bundesländer immer noch weit entfernt. Deshalb stehen wir Grüne felsenfest zur Erreichung des 7-ProzentZiels im Haushalt. Wir haben immer eine klare Priorität
für die Bildung im Haushalt dokumentiert und werden
das auch in diesem Jahr so tun.
({5})
6 Milliarden Euro soll es laut Koalitionsvertrag in der
laufenden Legislaturperiode für Kitas, Schulen und
Hochschulen geben. Frau Wanka will davon 5, Frau
Schwesig 2, und auch Frau Nahles will gerne 1 Milliarde
Euro abhaben. Das macht nicht 6, sondern 8 Milliarden.
Das zeigt im Übrigen auch, dass in der Bundesregierung
noch ein bisschen Bildung notwendig ist; denn die Differenz zwischen 8 und 6 ist immer noch 2. Da passt doch
einiges noch nicht zusammen.
Allerdings habe ich gelesen: Frau Wanka ist der Meinung, dass für Frau Schwesig 1 Milliarde reicht. Frau
Schwesig und Frau Wanka sind gemeinsam der Meinung, dass Frau Nahles eigentlich gar nichts abhaben
muss. Dann würde es wiederum mit den 6 Milliarden
klappen.
({6})
Diese ganze Feilscherei ist doch absurd, und sie zeigt
vor allem, dass die Große Koalition keinen Blick darauf
hat, was Kitas, Hochschulen und Schulen tatsächlich
brauchen. Sie knausert an den wichtigsten Stellen, bei
den Zukunftsinvestitionen in ebendiese Bereiche.
({7})
Aus meiner Sicht wurden die drei Ministerinnen nicht
nur gemeinsam unter die sprichwörtlich zu kurze Decke
gesteckt, nein, ihnen wurde ein Topflappen in die Hand
gedrückt, und an dem ziehen und zerren sie jetzt,
({8})
und am Ende werden alle drei ein paar Flusen in der
Hand haben. Das ist eben das Gegenteil der Bildungsrepublik Deutschland.
({9})
Wir beraten gerade ein Rentenpaket, das jährlich rund
9 Milliarden Euro kosten wird. Ich gönne ganz klar jeder
Rentnerin und jedem Rentner eine höhere Rente und
finde Wertschätzung für die Lebensleistung von Menschen sehr wichtig. Ich finde aber auch Investitionen in
die Köpfe unserer Kinder und Jugendlichen sehr wichtig. Ich finde, das Verhältnis von 9 Milliarden jährlich zu
1,5 Milliarden jährlich, wenn es tatsächlich dazu kommt,
ist einfach ungesund. Deshalb muss die Bundesregierung ihre Zusage zum 7-Prozent-Ziel endlich wahrmachen. Blumige Bekenntnisse im Koalitionsvertrag reichen eben nicht. Wir wollen konkrete Zahlen im
Haushaltsplan sehen.
({10})
Wenn wir über die 6 Milliarden Euro reden, die über
die Länder an die Kitas, Schulen und Hochschulen gehen sollen, dann muss aus unserer Sicht eines ganz klar
sein: Diese Mittel müssen zielgerichtet und zweckgebunden dort ankommen, wo sie tatsächlich gebraucht
werden, nämlich in den Kitas, in den Schulen und in den
Hochschulen. Wir sehen die große Gefahr, dass die Länderfinanzminister ihre Finger ausstrecken und das Geld
eher in andere Projekte oder in die Sanierung von Landeshaushalten fließt. Das wäre aus unserer Sicht völlig
inakzeptabel. Deshalb fordern wir die Bundesregierung
auf, hier eine glasklare Regelung mit den Ländern zu
finden.
({11})
Wir brauchen den Bund für massive Investitionen in
die Kitas. Auf den Ausbau der Plätze in den vergangenen Jahren muss jetzt die Qualitätsoffensive folgen. Dafür brauchen wir mindestens 1 Milliarde Euro im Jahr
und nicht 1 Milliarde Euro auf die ganze Legislaturperiode verstreut. Wir brauchen den Bund auch für den
Ausbau der Ganztagsschulen; denn der Ganztagsausbau
ist aus meiner Sicht ein wichtiger Schlüssel für mehr
Bildungsgerechtigkeit, für mehr Chancen für alle Kinder
und insbesondere für die, die in ihren eigenen Familien
nicht so viel Förderung mitbekommen.
Die Bundesländer werden dieser Herausforderung allein nicht gerecht. Es rächt sich an dieser Stelle, dass das
vermaledeite Kooperationsverbot bleibt. Auch da kann
ich weiterhin nicht verstehen, dass eine 80-prozentige
Mehrheit hier im Deutschen Bundestag es nicht schafft,
diesen mittlerweile als Irrweg identifizierten Fehler endlich zu beheben.
({12})
Auch das ist das Gegenteil der Bildungsrepublik
Deutschland.
Ich will zum Schluss noch auf das BAföG zu sprechen kommen. Die Situation beim BAföG ist ja einigermaßen absurd. Trotz steigender Studierendenzahlen und
des hohen Mittelabflusses im Jahr 2013 bleibt die angekündigte große BAföG-Reform wohl aus - oder auch
nicht, wir wissen es nicht. Die Ministerin hat es eben
noch einmal angekündigt. Sie ist aber im Koalitionsvertrag nicht erwähnt. Sie war in den Vorformen des Koalitionsvertrages erwähnt und ist dann leider herausgeflogen. Man fragt sich dann doch, was man - bei allem
Respekt - von einer Ministerin halten soll, die zur
BAföG-Reform ernsthaft öffentlich äußert: „Dass es
nicht im Vertrag steht, heißt nicht, dass es nicht kommt.“
Ich finde, Ministerinnen sollen Träume haben; aber sie
sollen vor allem mehr Geld für das BAföG im Bundeshaushalt haben. Keine BAföG-Erhöhung - auch das ist
das Gegenteil der Bildungsrepublik Deutschland.
({13})
Frau Kollegin.
Ich soll zum Schluss kommen.
Ja.
Das tue ich.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Zahlen lügen
nicht. Die Zahlen im Einzelplan 30 besagen eines ganz
deutlich: Die Bildungsrepublik Deutschland, das war
noch nicht und wird mit dieser Großen Koalition offensichtlich auch nicht kommen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nächster Redner:
Albert Rupprecht für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Liebe Kollegin Dörner, ich befürchte
fast, Sie werden mir nicht glauben, was ich jetzt sage;
aber es ist die Wahrheit:
Erstens. Wir leben nicht in einem maroden Wissenschafts- und Innovationssystem Deutschland, sondern
wir sind absolute Weltspitze.
Zweitens. Diese Position gäbe es nicht, wenn wir auf
Bundesebene in den letzten Jahren nicht substanzielle
Entscheidungen getroffen hätten.
({0})
Wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie vielleicht Professor Neugebauer, der letzte Woche Gast in
unserem Ausschuss war. Ich zitiere ihn sinngemäß. Er
sagte: Gäste aus der ganzen Welt besuchen die
Fraunhofer-Gesellschaft, um zu sehen, wie das deutsche
Wissenschafts- und Innovationssystem funktioniert.
Deutschland ist mit 12 Prozent Anteil am Weltmarkt bei
den forschungsintensiven Waren auf derselben Stufe wie
die USA und China. Pro Kopf der Bevölkerung ist
Deutschland weltweit mit großem Abstand an erster
Stelle. - Er bedankt sich bei uns, bei den zuständigen
Forschungs- und Bildungspolitikern, für die Beschlüsse
der letzten Jahre, weil diese Position ohne unsere Entscheidungen nie und nimmer möglich gewesen wäre.
({1})
Wir haben diese Spitzenstellung, weil es über Jahre
hinweg Leitbilder gab, die für uns alle gegolten haben,
und das - Kollege Heil, ich stimme Ihnen da zu - sogar
ein Stück weit unabhängig von der politischen Konstellation. Das war schon bei Heinz Riesenhuber so, das war
bei Kollegin Bulmahn so, das war insbesondere bei
Annette Schavan so, und es ist jetzt auch bei Ministerin
Wanka so.
({2})
- Es gab darüber hinaus andere Forschungspolitiker,
auch Kollegen Rüttgers. - Diese Orientierung geschah
durchaus mit unterschiedlicher Dynamik. Ein Heinz
Riesenhuber hatte außerordentlich viel Dynamik; die
Kollegin Bulmahn war vom Stil vielleicht ein bisschen
zurückhaltender.
({3})
Die Minister hatten auch unterschiedliche Finanzausstattungen. Aber die Leitbilder waren ein ganzes Stück immer dieselben. Diese Leitbilder waren und sind:
Erstens. Orientierung an der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Das große Industrieland Deutschland
muss sich schlichtweg dem Weltmarkt stellen. Wir ermöglichen den Wissenschaftsgesellschaften Max Planck,
Fraunhofer, Leibniz und Helmholtz - sie beschäftigen
75 000 Mitarbeiter und genießen einen exzellenten internationalen Ruf - jedes Jahr 5 Prozent Aufwuchs, geben
ihnen eine Perspektive, sodass sie Gas geben können.
Das führt genau zu den Ergebnissen, die der Präsident
der Fraunhofer-Gesellschaft bei uns im Ausschuss gelobt hat.
Wir haben das Wissenschaftsfreiheitsgesetz beschlossen. Mancher Haushälter hat seither graue Haare. Steffen
Kampeter hat deswegen inzwischen sogar eine Glatze.
Die Haushälter haben das überlebt. Aber es war ein
historischer Meilenstein für die Wissenschaftslandschaft in Deutschland, weil wir nicht mehr Details regeln, sondern Ziele vorgeben. Wir beauftragen die Wissenschaft und sagen: Wie ihr das schafft, wie ihr das
hinbekommt, das wisst ihr als Wissenschaftler selber am
besten.
({4})
Wir werden den Pakt für Forschung und Innovation
fortführen. Er wird 2015 nicht abrupt enden, sondern wir
werden ihn weiterführen. Auch darauf können sich die
Wissenschaftsorganisationen verlassen.
Wir werden die Hightech-Strategie und die Spitzencluster fortführen und sie noch stärker fokussieren, noch
stärker international ausrichten. Auch da werden wir beständig und nachhaltig sein.
Das zweite Leitbild war all die Jahre schon und insbesondere bei der Kollegin Bulmahn die Exzellenz. Die
Exzellenzinitiative hat in Deutschland in der Tat eine
Dynamik sondergleichen angestoßen und die Wissenschaftslandschaft massiv verändert. Wir werden diese
Dynamik der Exzellenzinitiative auch nach 2017, wenn
die jetzige Förderperiode ausläuft, fortführen.
„Exzellenz“ heißt: nach dem Besten streben. „Exzellenz“ heißt aber nicht, sich zu Tode hetzen. Es macht nur
Sinn, wenn es nachhaltig ist. Exzellente Leistung kann
eine Topuniversität erbringen. Aber exzellente Leistungen können auch Fachbereiche an kleineren Hochschulen oder Fachhochschulen erbringen, die, bundesweit
vorbildlich, in ihrer Mikroregion Technologietransfer organisieren; auch das kann exzellent sein. Wir stehen
nach wie vor zu diesem Begriff der Exzellenz, weil er
ein wegweisender ist. Nur: Wir müssen bei der Fortschreibung der Programmatik natürlich aus den vergangenen Jahren lernen und das weiterentwickeln. „Exzellenz“ heißt aber „Exzellenz“ und nicht „Gießkanne“, wie
mancher Landesfinanzminister zuzeiten glaubt, meint
und hofft.
({5})
Eines ist auch klar: Wir werden eine verlässliche dauerhafte Struktur als Nachfolge für die Exzellenzinitiative
nur hinbekommen, wenn wir die Verfassung dementsprechend anpassen. Das heißt, es braucht eine Grundgesetzänderung, um eine verlässliche Perspektive zu geben, und dafür möchte ich bei Ihnen allen ganz herzlich
werben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({6})
Drittes Leitbild - ich habe es mehrfach gesagt -: Verlässlichkeit und Langfristigkeit. Das leben wir mit den
Pakten, dem Hochschulpakt, dem Pakt für Forschung
und Innovation; das leben wir mit der Exzellenzinitiative
und anderen Vereinbarungen. Das ist schon ein Stück
Besonderheit. Der Bundeshaushalt ist immer auf ein Jahr
ausgerichtet. Dass wir in der Wissenschafts- und in der
Bildungspolitik Pakte über Jahre hinweg vereinbaren
und die auch halten, dass wir eine langfristige Perspektive geben, ist durchaus etwas Besonderes. Im deutschen
Wissenschafts- und Innovationssystem arbeiten inzwischen 570 000 Menschen. Das sind gegenüber 2005
20 Prozent mehr. Diese Menschen verdienen eine Perspektive statt eines Denkens von einem Jahr zum nächsten Jahr. Es ist etwas Besonderes, dass wir über das
Haushaltsrecht hinausgehen, Pakte über mehrere Jahre
vereinbaren, Verlässlichkeit und Langfristigkeit bieten.
({7})
Wenn wir vonseiten des Bundes Verlässlichkeit gewährleisten, dann erwarten wir, dass die Akteure vor Ort
das auch weitergeben. Wir erleben aber, dass die Wissenschaftsorganisationen, über viele Jahre hinweg mit
erheblichen Mitteln ausgestattet, die Beschäftigten, darunter nicht wenige Nachwuchswissenschaftler, mit Einjahresverträgen abspeisen.
({8})
An der Stelle sage ich ganz klar: Damit können wir uns
nicht zufriedengeben.
({9})
Wer Leistung bringt, darf nicht mit Kurzzeitverträgen
abgespeist werden, sondern verdient eine Perspektive.
({10})
Wir werden das einfordern. Wenn das nicht reicht, werden wir das auch erzwingen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({11})
Letzter Punkt. Ohne Moos nix los. Deswegen ist das
vierte Leitbild, das uns alle ein Stück geprägt hat, immer
noch prägt und uns Orientierung gibt: Priorität für ForAlbert Rupprecht
schung und Bildung auch im Haushalt. Da verkneife ich
mir - Herr Kollege Heil, Herr Kollege Rossmann, ich
bin ein freundlicher Koalitionspartner - die Bewertung
der Finanzdaten der rot-grünen Zeit und springe gleich
in unsere gemeinsame Zeit, die der vorigen Großen Koalition. Seit 2005 - Ministerin Wanka hat es gesagt - haben wir in unserem Haushalt einen Zuwachs um 84 Prozent. Das ist ein Riesenerfolg. Das ist weltweit,
abgesehen vielleicht von den asiatischen Ländern, ein
Spitzenwert.
Sehr geehrte Damen und Herren, 2014 werden wir gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung 500 Millionen
Euro mehr ausgeben, für den Hochschulpakt 640 Millionen Euro mehr. Das sind Zahlen, die sich wirklich sehen
lassen können.
Abschließend sei gesagt: In dieser Legislatur werden
wir - es ist schon genannt worden - 3 Milliarden Euro
mehr für Forschung und 6 Milliarden Euro mehr für Bildung ausgeben.
Wir werden im gesamten Haushalt in dieser Legislatur, über alle Ressorts hinweg, 23 Milliarden Euro
mehr zur Verfügung haben; das heißt, 40 Prozent dieser
Mehrausgaben fließen in unseren Bereich. Das ist ein
Riesenerfolg. Wir legen Priorität auf Forschung und
Bildung. Als Bildungs- und Forschungspolitiker bin ich
auch ein ganzes Stück stolz; denn das haben wir erarbeitet. Das ist nicht vom Himmel gefallen.
Danke schön.
({12})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste Rednerin:
Dr. Rosemarie Hein für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Rupprecht, Ihren Optimismus möchte ich haben.
({0})
Ich kann ihn nicht teilen. Aus diesem Grunde möchte ich
die Zahlen dieses Haushaltes in einen größeren Zusammenhang stellen.
Wenn wir den Einzelplan 30, der für Bildung,
Wissenschaft und Forschung zuständig ist, genauer betrachten, dann sehen wir: Er macht nicht einmal einen
Anteil von 5 Prozent des Gesamthaushaltes aus - das
sind immerhin fast 14 Milliarden Euro -, er ist damit der
viertgrößte Einzelhaushalt. Es gibt noch in einigen anderen Einzelplänen Geld für Bildung, zum Beispiel in den
Einzelplänen 05, 09, 11 und 17 - sie sind heute alle
schon einmal genannt worden -, aber das alles reicht
nicht aus. Es ändert sich vor allem seit Jahren nicht.
Darum kann ich die euphorischen Reden aus der Koalition nicht teilen. Vergleicht man nämlich wichtige Positionen, wie zum Beispiel das BAföG oder die Ausgaben
für die Berufsorientierung - das sind bekanntlich
Schwerpunkte der Koalition -, so sieht man, dass sich
die Summen gegenüber dem Haushalt 2013 nicht geändert haben. Hier fehlt mir einfach die Handschrift der
SPD; ich finde sie noch nicht. Auch die globale
Minderausgabe ist komischerweise auf den Cent genau
die gleiche.
Sie wollen 6 Milliarden Euro mehr für Bildung und
Wissenschaft ausgeben. Ich will mich in den Streit darüber, wer von dem Paket etwas abbekommt und ob es 6,
7 oder 8 Milliarden Euro sind, überhaupt nicht einmischen. Ich will diese Summe einmal in das Verhältnis
setzen zu den gesamten Ausgaben für Bildung in dieser
Gesellschaft. Wenn man sich einmal anschaut, wie die
öffentlichen Bildungsausgaben in dieser Gesellschaft
verteilt sind, so muss einen das Ergebnis sehr nachdenklich stimmen. Der jüngste Bildungsbericht gibt Auskunft
- dort kann man das nachlesen -: Die Länder tragen derzeit zehnmal so viel Finanzlast für die Bildung wie der
Bund, die Kommunen immer noch das Vierfache. Da
rächt sich, dass Bildung allein Ländersache und nicht
auch Bundessache ist.
Zu der ungerechten Lastenverteilung kommt auch
noch die Unterfinanzierung hinzu. In einer Studie der
GEW zur Bildungsfinanzierung von Henrik Piltz aus
dem Jahre 2011 wird festgestellt - das hat sich noch
nicht geändert -, dass es inzwischen einen Investitionsstau von 45 Milliarden Euro gibt, die von Bund, Ländern
und Kommunen gemeinsam aufgebracht werden müssten. Das können sie natürlich nicht, und das ist auch uns
klar. Aber man muss sich doch einmal die Dimension
vor Augen führen. Hinzu kommt - das macht das Ganze
nur noch schlimmer -, dass bei den laufenden Kosten,
wenn man die Ausfinanzierung aller Bildungsbereiche
berechnet und die Qualität ein wenig verbessern möchte,
sich ein Finanzierungsdefizit von noch einmal 56 Milliarden Euro ergibt, und zwar jedes Jahr. Das müssten
Bund, Länder und Kommunen eigentlich jedes Jahr gemeinsam drauflegen. Freuen Sie sich über die 6 Milliarden! Wir freuen uns auch - wenn sie denn kommen.
Aber das ist noch lange nicht das, was wir für Bildung
ausgeben müssten, um in diesem Land eine vernünftige
Bildungspolitik zu garantieren.
({1})
Es ist das Versäumnis von Jahrzehnten, das wir vor
uns herschieben und immer wieder mit bunten Pflastern
von Reparaturprogrammen bekleben. Solche Reparaturprogramme finden sich dann auch im Haushalt an den
verschiedensten Stellen. Das kann nicht zufriedenstellen:
weder im Bereich der allgemeinen Bildung noch im Bereich der beruflichen Bildung noch an den Hochschulen
und beim unzureichenden BAföG noch bei der Lehre
oder bei der Ausbildung dringend notwendiger Fachkräfte. Sie wollen laut Koalitionsvertrag zum Beispiel
„einen Schwerpunkt auf die Stärkung der beruflichen
Bildung legen“. Mehr Geld gibt es dafür im Moment
noch nicht. Sie wollen dazu „ein lokal verankertes Netzwerk von Beratungs- und Informationsangeboten“ - so
nennen Sie es - „auf den Weg bringen“. Noch eins?
Bildungsketten gibt es schon, und zwar seit 2010, eine
Allianz für Ausbildung auch, und alles hilft nichts. Das
RÜM, das Regionale Übergangsmanagement, das Bewerberinnen und Bewerber mit schlechteren Startchancen helfen sollte, eine Ausbildung zu finden, ist vielerorts unrühmlich eingegangen, nachdem es nicht mehr
gefördert wurde.
Die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze steigt
aber ebenso wie die Zahl der nicht vermittelten Bewerberinnen und Bewerber. Nur 65 Prozent der Ausbildungssuchenden bekommen einen Ausbildungsplatz.
Eine Viertelmillion Menschen sind im Übergangssystem
hängen geblieben. Das ist doch nicht zufriedenstellend;
das muss man doch kritisieren. Bildungsgerechtigkeit,
meine Damen und Herren, ist etwas anderes.
({2})
Auch in der Forschungspolitik gibt es Tricksereien
hin und her. Bei der Nachhaltigkeitsforschung haben Sie
zum Beispiel die Haushaltstitel einfach neu verteilt.
Wenn man es nachrechnet und nachprüft, dann sieht
man: Es kommt sogar eine Kürzung heraus.
({3})
In diesem Haushalt findet man vor allem Stillstand.
Es geht eigentlich nichts wirklich voran. Die Aufwüchse
sind, dort wo es sie gibt, spärlich. Zielzahlen bleiben
teilweise hinter dem Ist des Jahres 2012 zurück. Und die
Bundesregierung lobt die schwarze Null. Haushaltskonsolidierung ist gut und richtig. Nur, was nützt die
schwarze Null, wenn der Kitt aus den Fenstern vieler
Schulen bröckelt? Was nützt die schwarze Null, wenn
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler prekär beschäftigt sind? Sie haben das eben selbst kritisiert. Und
was nützt die schwarze Null, wenn sich das BAföG nicht
mehr an den Lebenshaltungskosten orientiert? Solch
eine schwarze Null können Sie sich einrahmen und an
die Wand hängen; aber sie nützt gar nichts,
({4})
nicht den Lernenden, nicht den Kommunen, nicht den
Ländern, auch nicht den Lehrenden.
Auch Sie müssen anerkennen: Wir haben ein Einnahmeproblem. Wenn wir dieses Einnahmeproblem nicht
lösen, dann werden wir Haushaltskonsolidierung immer
auf dem Rücken derer betreiben, die eigentlich davon
profitieren sollten.
Frau Hein, kommen Sie bitte zum Ende.
Ich komme sofort zum Ende, würde aber gerne noch
auf eine Aussage des Kollegen Rossmann antworten:
Unsere Grundschulschließungen haben überhaupt nichts
mit zurückgehenden Schülerzahlen zu tun, sondern
damit, dass die Mindestschülerzahlen für Grundschulen
erhöht werden. Die Klassen werden also größer. Mehr ist
es leider nicht.
({0})
Den Rest haben wir schon im Jahr 2000 hinter uns gebracht.
Vielen Dank.
({1})
Danke, Frau Kollegin. - Nächster Redner ist Swen
Schulz für die SPD.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin
Mitglied des Haushaltsausschusses, und zu Beginn einer
Legislaturperiode, vor allem dann, wenn es einen Wechsel der Regierungskoalition gegeben hat, macht man einen Kassensturz. Dieser Kassensturz hat für den Bereich
Bildung und Forschung zwei zentrale Ergebnisse gebracht. Das erste ist bereits angesprochen worden: Wir
haben einen enorm angestiegenen Haushalt für Bildung
und Forschung. Rot-Grün hat damit angefangen, die
Große Koalition hat es fortgesetzt, und Schwarz-Gelb
hat eine ordentliche Schippe obendrauf gelegt. Das ist
aller Ehren wert.
({0})
Das ist die gute Nachricht.
Die schlechte Nachricht kann ich dem Koalitionspartner CDU/CSU leider nicht ersparen. Das zweite Ergebnis dieses Kassensturzes ist, dass in der Finanzplanung
für die Zukunft ein Milliardenloch klafft. Auch so etwas
festzustellen, gehört nun mal zu einer ehrlichen Eröffnungsbilanz dazu. Es fehlen in den nächsten Jahren rund
5 Milliarden Euro für die Finanzierung der schwarzgelben Versprechungen. Da sind die neuen Ziele aus der
Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU/CSU noch
nicht mit eingerechnet.
Umso wichtiger ist, dass diese Koalition in ihrem Vertrag eine Prioritätensetzung zugunsten von Bildung und
Forschung vorgenommen hat. Das ist eine starke Ansage; Ministerin Wanka hat darauf hingewiesen. Aber
das Finanzloch führt dazu, dass die Große Koalition
nicht aus dem Vollen schöpfen können wird, und das ist
noch vorsichtig ausgedrückt. Denn von den 9 Milliarden
Euro, die wir zusätzlich für Bildung und Forschung
vorgesehen haben, sind 6 Milliarden Euro den Ländern
versprochen; sie können nicht umstandslos dem Bundeshaushalt zugerechnet werden. Die verbliebenen
3 Milliarden Euro sind dann halt knapp, sehr knapp, um
all das zu finanzieren, was wir finanzieren wollen und
müssen. Dass wir uns vorgenommen haben, keine
neuen, zusätzlichen Schulden zu machen, und gleichzeiSwen Schulz ({1})
tig eine aktive Steuerpolitik und den Abbau von Subventionen ausgeschlossen haben, das vergrößert den Spielraum für Bildung und Forschung nicht; auch das muss
man ehrlich sagen.
Das ist ganz nüchtern betrachtet die Ausgangslage,
die ich hier als Haushälter beschreiben will und muss:
Licht und Schatten, starker Haushalt, zusätzliche
Milliarden, aber eben auch große Verpflichtungen und
ambitionierte Ziele. Das bedeutet, dass es schwierig
wird. Doch wenn es leicht wäre, müssten nicht wir es
machen.
({2})
Darum: Begeben wir uns an die Arbeit! Wir wollen sorgfältig Prioritäten setzen, aber auch prüfen, in welchen
Bereichen noch Luft ist.
Ich will für die SPD einige Schwerpunkte benennen,
die sicherlich auch die Unterstützung von CDU/CSU
finden; denn sie sind im Koalitionsvertrag enthalten. Wir
wollen zum Beispiel Menschen bei der Grundbildung
und der Alphabetisierung unterstützen.
({3})
Wir haben hier im Deutschen Bundestag in der letzten
Legislaturperiode eine Studie vorgelegt bekommen, die
uns alle bewegt hat. Demnach sind Millionen Erwachsene in Deutschland sogenannte funktionale Analphabeten, das heißt, sie können nicht gut lesen und schreiben. Das bedeutet nicht, dass sie dumm oder ungebildet
sind - im Gegenteil. Aber sie brauchen Unterstützung.
Darum wollen wir die Angebote der Grundbildung verbessern. Das ist wichtig.
({4})
Wir wollen die Menschen noch besser unterstützen,
die im Ausland Qualifikationen erworben haben. Es ist
ein Jammer, dass viele ihre Kraft und ihre Kenntnisse
hier nicht einbringen können. Da müssen wir noch mehr
tun.
Wir legen weiterhin einen Schwerpunkt auf die
Förderung der Hochschulen, damit möglichst viele
Menschen gut studieren können.
Diese drei Beispiele - Grundbildung, Anerkennung,
Studium - machen deutlich, dass wir Bildungsförderung
in der gesamten Breite bis hin zur Spitze denken. Wir
müssen das zusammen betrachten.
({5})
Wir wollen in der Forschung die außeruniversitären
Institute, die Universitäten und die Fachhochschulen
fördern. Fachhochschulen leisten wichtige Beiträge im
Wissenschaftssystem; das wollen wir honorieren.
({6})
Wir fördern Forschungsprogramme für neue Technologien, aber auch Arbeits- und Dienstleistungsforschung
für bessere Perspektiven der Beschäftigten. In unserer
Philosophie kommt Sicherheitsforschung nicht ohne
Geistes- und Kulturwissenschaften und Friedensforschung aus. Sie sehen: Die Dinge sind komplex, und
darum verfolgen wir einen umfassenden Förderansatz,
der die verschiedenen Aspekte berücksichtigt.
Weil wir aber finanziell nicht aus dem Vollen schöpfen können, brauchen wir an verschiedenen Stellen
clevere, kreative Lösungen, um unsere Ziele zu erreichen. So ist die berufliche Bildung, der Übergang von
Schule zum Beruf, von zentraler Bedeutung. Darum
wollen wir uns kümmern.
({7})
Wir müssen dabei bedenken, dass sich viele darum
kümmern: Kommunen, Länder, die Agentur für Arbeit,
mehrere Bundesministerien. Kluge Politik setzt nicht
immer noch eins obendrauf - so gut das gemeint sein
mag -, sondern kluge Politik stimmt Maßnahmen ab, sie
vermeidet Doppelförderungen und Konflikte. Weniger
kann an einigen Stellen auch mehr sein.
({8})
Es geht nicht darum, im Deutschen Bundestag noch ein
weiteres Milliardenprojekt vorzuweisen, sondern es geht
jetzt darum, den Menschen in ihrer Realität, in ihrer
Lebenssituation zu helfen.
({9})
Der wissenschaftliche Nachwuchs ist ein weiteres
wichtiges Thema. Natürlich hätte ich gerne ein Extraprogramm mit frischem Geld, um die Perspektiven für
Nachwuchswissenschaftler zu verbessern, aber - der
Kollege Rupprecht hat vollkommen recht; er hat das
vorhin dargestellt - wir müssen bedenken, was wir den
Forschungseinrichtungen und Hochschulen bereits an
Mitteln zur Verfügung stellen. Wir müssen sicherstellen,
dass diese eine ordentliche Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses organisieren. Unser Ziel ist klar:
Nachwuchswissenschaftler müssen in Deutschland attraktive Bedingungen vorfinden. Das ist wichtig für die
Wissenschaft, wichtig für unsere Wettbewerbsfähigkeit
und wichtig für unsere gesellschaftliche Entwicklung.
({10})
Ein Thema ist nicht im Koalitionsvertrag enthalten,
für das wir uns aber umso leidenschaftlicher einsetzen:
das BAföG. Das BAföG ist die soziale Bildungsfinanzierung für Schüler und Studierende, die sich von Haus aus
Bildung nicht gut leisten können.
({11})
In diesem Bereich ist seit Jahren nichts mehr gemacht
worden. Da müssen wir ran. Es muss auch neues, zusätzliches Geld zur Verfügung gestellt werden. Thomas
Oppermann, unser Fraktionsvorsitzender, hat das gestern
in der Generaldebatte sehr zutreffend auf den Punkt gebracht: Es kann nicht sein, dass wir mehrere Milliarden
zusätzlich für Rentenpolitik vorsehen, aber für das
BAföG dann kein Geld mehr da ist. Das BAföG muss
Swen Schulz ({12})
substanziell erhöht und strukturell verbessert werden.
Das ist ein klares Ziel der SPD.
({13})
Lassen Sie mich zum Abschluss noch ein Wort zum
Verhältnis von Bund und Ländern sagen. Das ist in der
Bildungspolitik besonders heikel und auch in unseren
Debatten hier im Bundestag immer wieder Thema. Die
SPD ist der Auffassung - Hubertus Heil hat das angesprochen -, dass wir mehr Kooperationen von Bund und
Ländern im Bildungs- und Wissenschaftsbereich ermöglichen sollten. Dafür sollten wir auch das Grundgesetz
öffnen. Solange das aber nicht erreicht ist, müssen wir
uns mit zweitbesten Lösungen behelfen. Der Koalitionsvertrag hat eine Entlastung von 6 Milliarden Euro für die
Länder im Bildungsbereich vorgesehen. Ich bin - es ist
mir wichtig, das hier zu betonen - vollkommen der Meinung von Bildungsministerin Wanka: Das darf kein
Blankoscheck sein. Wir müssen sicherstellen, dass das
Geld tatsächlich in den Krippen, in den Kitas, in den
Schulen und in den Hochschulen landet. Sonst ist das
keine vernünftige Bildungspolitik.
({14})
Wenn wir das schaffen und dazu auch noch das
BAföG verbessern, dann haben wir einiges hinbekommen. Bis dahin gibt es viel Arbeit. Ich freue mich darauf.
Herzlichen Dank.
({15})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächster Redner: Kai
Gehring für die Bündnisgrünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Rednerinnen und Redner der Koalition haben sehr
viel über die Vergangenheit gesprochen.
({0})
Das ist kein Zufall; denn der Haushaltsentwurf 2014,
über den wir heute sprechen, ist die Dokumentation einer bildungs- und wissenschaftspolitischen Lethargie.
({1})
Im Koalitionsvertrag und auch heute hier wurde vollmundig das 6-plus-3-Milliarden-Euro-Paket für Bildung
und Forschung verkündet. Problem ist nur, dass bisher
kein einziger zusätzlicher Cent im Haushalt von Frau
Wanka angekommen ist.
({2})
Das ist sehr beunruhigend und zukunftsvergessen.
({3})
Die Menschen in unserem Land wollen eine höhere
Priorität für Bildung und Forschung. Sie erleben im Alltag marode Schulen, schlechte Ausbildungsbedingungen, Warteschleifen und überfüllte Hörsäle. Es ist ja
schön, dass wir uns in der Debatte einig sind, dass die
6 plus 3 Milliarden Euro, wenn es überhaupt dazu
kommt,
({4})
gezielt in diese Institutionen fließen müssen, das heißt,
dass wir eine Zweckbindung für Zukunftsinvestitionen
brauchen. Derzeit erleben wir aber eine Selbstblockade
in der Koalition. Wenn Sie Ihre Konflikte und auch Ihre
Konzeptionslosigkeit nicht überwinden, dann droht die
Bundesbildungsministerin das erste Sparopfer von
Schäubles schwarzer Null zu werden. Man fragt sich
wirklich, ob das Geld nachher überhaupt noch da ist.
({5})
Zukunftsinvestitionen abzuwürgen, wäre fatal.
Deutschland braucht beherztes Handeln für mehr Chancen, Kreativität und Innovationen, für Kinder und Erfinder. Das ist nicht nur ein Gebot der Bildungsgerechtigkeit, sondern auch der ökonomischen Vernunft. Ich muss
es Ihnen hier noch einmal sagen: Schon der Koalitionsvertrag war eine richtig herbe Enttäuschung: kein Ganztagsschulprogramm, keine Schulsozialarbeit, kein Kippen des Kooperationsverbots, keine BAföG-Erhöhung,
keine steuerliche Forschungsförderung, keine Klarheit
über die Zukunft der Wissenschaftspakte, um nur einige
Punkte zu nennen. Der Haushalt weist infolgedessen
mehr Leerstellen als Zukunftsprojekte aus. Bei Bildung
und Forschung lieferte die Große Koalition in ihren ersten 114 Tagen nur große Konfusion und ganz kleines
Karo.
({6})
An dieser Stelle möchte ich Ministerin Wanka ganz
herzlich im Plenum des Bundestages begrüßen. In der
ersten Debatte über Ihre Vorhaben wurde deutlich, dass
Sie - leider - wenig vorhaben. Wir führten dann eine
große Diskussion im Bundestag über das BAföG und das
Kippen des Kooperationsverbots. Dabei waren Sie leider
nicht anwesend.
({7})
Der Grund für diese Parlamentsabstinenz dürfte sein,
dass Sie hinsichtlich Ihrer Finanz- und Vorhabenplanung
derzeit eigentlich eher eine Bundesprüfstelle für Bildung
und Forschung leiten, aber kein wirklich handlungsfähiges Bildungsministerium. Dieser wichtige Zukunftsbereich und das Ziel der Bildungsrepublik vertragen einfach
keine Hängepartie. Sie müssen endlich konzeptionell
und finanziell loslegen, Frau Wanka.
({8})
Als Ministerin verstecken Sie sich seit Monaten hinter sehr klangvollen Programmnamen wie der HightechStrategie, die jetzt Innovationsstrategie heißen soll. Aber
was steckt eigentlich dahinter? Wann legen Sie los? Welche konkreten Vorschläge werden Sie zum Beispiel für
die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und
für anständige Personalkategorien liefern? Da sehen wir
große Lücken. Innovation funktioniert nicht, wenn die
Köpfe, die etwas entwickeln sollen, keine Verlässlichkeit
haben. Zur Verbesserung der Bedingungen des wissenschaftlichen Nachwuchses liegen ganz tolle Initiativen
der rot-grünen Länder im Bundesrat vor. Diese könnten
Sie doch aufgreifen und umsetzen. Novellieren Sie das
Wissenschaftszeitvertragsgesetz! Das wäre ein ganz
konkretes Regierungsvorhaben.
({9})
Hochschulen müssen das Herzstück jeder guten Innovationsstrategie sein. Im Koalitionsvertrag kündigen Sie
an, deren Grundfinanzierung zu verbessern. Doch wie
wollen Sie das eigentlich machen? Da bin ich heute in
dieser Haushaltsdebatte nicht klüger geworden. Beim
Hochschulpakt hingegen kann man schon heute an den
Zahlen sehen, dass er derzeit unterfinanziert ist. Auch
die Zukunft der Programmpauschalen ist bei Ihnen völlig ungeklärt; das Thema taucht auch im Koalitionsvertrag nicht auf. Lassen Sie die Universitäten, die Fachhochschulen und die Forschungseinrichtungen nicht
länger im Unklaren, sondern stellen Sie endlich die Weichen für die Zukunft der Wissenschaftspakte!
In der Forschungspolitik setzen Sie falsche Schwerpunkte. Bei der Nachhaltigkeitsforschung kürzen Sie
massiv die Mittel. Zukunftsthemen wie Open Access
und mehr Transparenz verschlafen Sie. Das ganze Land
redet über die Energiewende, die Forschungsministerin
aber kaum. In der Energieforschung halten Sie weiterhin
lieber an der Förderung der Kernfusion fest,
({10})
anstatt in echte Zukunftstechnologien zu investieren. Ich
sagen Ihnen: Die Energiewende wird nur gelingen, wenn
die Forschungsmittel zu den erneuerbaren Energien und
zu intelligenten Leitungs- und Speichertechnologien umgeschichtet werden. Auf diese Forschung sollten Sie die
Mittel konzentrieren. Dann kann die Energiewende gelingen.
({11})
Herr Kollege!
Ein letzter Punkt. - Sie haben ganz am Ende Ihrer
Rede doch noch von Chancengerechtigkeit und Bildungsaufstieg gesprochen. Sie müssen Ihre Ankündigungen aber auch einmal konkret umsetzen. Ich habe
heute wieder gehört, dass Sie eine BAföG-Novelle vorlegen wollen. Tun Sie es bitte endlich! Wir halten das für
dringend notwendig. Sie müssen deutlich mehr in diesen
Haushalt investieren; denn sonst ist er nicht generationen- und zukunftsgerecht.
Herr Kollege!
Jetzt ist die Zeit der Sonntagsreden vorbei.
Ihre ist auch vorbei.
Jetzt müssen Sie handeln.
({0})
Nächster Redner ist Michael Kretschmer für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Man muss natürlich sagen, Kai Gehring: Wir
wollten mit den Grünen regieren, und wir hatten die
Möglichkeit eröffnet, in Gesprächen zu erörtern, was
man gemeinsam machen kann. Es war die grüne Partei,
die am Ende gesagt hat: Nein, wir wollen nicht; wir wollen diese Verantwortung nicht wahrnehmen. Man kann
sich natürlich danach hier hinstellen und schimpfen wie
ein Rohrspatz, was alles nicht passiert, und darlegen,
was man sich selbst überlegt hat; aber dabei darf man
nicht vergessen, dass man die Chance, mitzuregieren,
nicht genutzt hat.
({0})
Jetzt bleibt nur, vernünftig mitzuarbeiten und konstruktive Vorschläge zu machen, und zwar nicht auf der
Ebene der Überschriften, sondern im Detail.
Von den 23 Milliarden Euro, die wir in dieser Legislaturperiode bei einem gedeckelten Haushalt zusätzlich investieren wollen, sind 9 Milliarden Euro für die Bildung,
die Wissenschaft und die Forschung. Das zeigt, wo wir,
CDU/CSU und SPD, die Prioritäten setzen.
({1})
Innovationspolitik zieht sich wie ein roter Faden durch
unseren Koalitionsvertrag. Auch im Bereich der Bildung
setzen wir Akzente.
Es gilt, die Erfolge der vergangenen Jahre fortzusetzen. Zu diesen Erfolgen gehört - die Information, die wir
gerade gehört haben, ist falsch -, dass wir seit 2005 die
Zahl derjenigen, die im Übergangssystem gefangen sind,
um 160 000 Personen reduziert haben. Das sind 38 Prozent weniger. Ich finde, das ist ein Erfolg.
({2})
Wenn wir über die Frage der Finanzverteilung sprechen, müssen wir noch einmal deutlich machen: In der
Zeit von 1998 bis 2004 ist der Haushalt des BMBF um
1,2 Milliarden Euro aufgewachsen. In der Zeit von 2005
bis heute sind es - Albert Rupprecht hat darauf hingewiesen - 6,3 Milliarden Euro, also 84 Prozent. Wenn
jetzt von einem Kassensturz die Rede ist, dann gehört
zur Wahrheit dazu, dass wir zunächst einmal sagen müssen: Was die Bildungs- und Wissenschaftspolitik betrifft,
gibt es kein Springen von Jahr zu Jahr. Vielmehr muss es
hier Kontinuität geben. Es war immer klar, dass das, was
in den letzten Jahren begonnen wurde und was wir mit
den Ländern vereinbart haben, weitergehen muss. Die
Grundlage der 9 Milliarden Euro, die wir in dieser Legislaturperiode zusätzlich ausgeben werden, ist das, was
in den vergangenen Jahren vereinbart worden ist und
was wir uns gemeinsam vorgenommen haben.
Wir wollen 500 Millionen Euro für eine neue Exzellenzinitiative Lehrerbildung bereitstellen und die Fortführung des Hochschulpaktes sichern. Wir wollen mehr
jungen Leuten die Aufnahme eines Studiums ermöglichen. Wir wollen den Pakt für Forschung und Innovation, der schon angesprochen worden ist, fortführen. Das
heißt, es wird zu einem weiteren Aufwuchs bei den Mitteln für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen kommen. So zu tun, als würde man jetzt neues Geld in die
Hand nehmen, um völlig neue Dinge zu machen, geht an
der Realität vollkommen vorbei.
({3})
Wenn mein Kollege Swen Schulz diesen Eindruck erweckt haben sollte, dann ist er fehlerhaft.
({4})
Es gibt noch einen Eindruck, der fehlerhaft ist: dass
dieses Geld, diese 9 Milliarden Euro, entweder Bundesgeld oder Landesgeld ist. Jeder Euro, den wir in diesem
Bereich investieren, kommt den Ländern zugute. Wenn
wir den Hochschulen Geld geben, geschieht dies über
die Forschungsförderung, über die Programmpauschale
oder über den Hochschulpakt. Max-Planck-Gesellschaft,
Leibniz-Gemeinschaft, Helmholtz-Gemeinschaft und
Fraunhofer-Gesellschaft sind Einrichtungen, die von
Bund und Ländern gemeinsam getragen werden. Es ist
großer Mumpitz, wenn hier erzählt wird, dass es da einen Unterschied gibt. Nein, meine Damen und Herren,
wir wollen diese 9 Milliarden Euro vernünftig einsetzen,
damit sie dem Gesamtsystem der Bundesrepublik
Deutschland nutzen; denn dann nutzen sie auch den Ländern. Dafür zu sorgen, ist unser Ziel.
({5})
Ich möchte ganz deutlich sagen: Wir haben in den
vergangenen Jahren auch in die Forschung investiert.
Wir haben mit der Overhead-Finanzierung forschungsstarke, exzellente Einrichtungen in besonderer Weise unterstützt. Aber nun stellen wir fest, dass die Grundfinanzierung der Hochschulen aufseiten der Länder nicht in
dem Maße mitgewachsen ist, wie wir uns das alle gewünscht hätten. Die Ministerin hat gesagt: Die Länder
haben zusätzlich investiert. - Das gilt es anzuerkennen.
Der Bund hat deutlich investiert. Deswegen, finde ich,
ist es unredlich, auf den Bund zu zeigen und zu sagen:
Da ist der Schuldige.
Wir haben besondere Prioritäten gesetzt. Wir wollen
das auch in der Zukunft tun. Wir haben gesagt: Wir wollen in die Grundfinanzierung der Hochschulen einsteigen, weil wir der Meinung sind, dass die Hochschulen
als Herzstück des Wissenschaftssystems eine besondere
Unterstützung brauchen. - Das dürfen wir aber nicht zulasten der Forschungsförderung und der Programmpauschale tun. Nur gemeinsam wird daraus eine wirklich
gute Sache.
({6})
Der Pakt für Forschung und Innovation - zunächst
verzeichnete er 3 Prozent Aufwuchs, dann 5 Prozent; in
den nächsten Jahren beträgt der Aufwuchs wieder 3 Prozent - ist die deutliche Ansage in die Welt hinaus, dass
dieses Land im internationalen Wettbewerb bestehen
will. Wir formulieren klare Erwartungen an die außeruniversitäre Forschung, auch was die Kooperation mit
den Hochschulen angeht.
({7})
Deswegen ist es auch für die Länder ganz wichtig, dass
wir in diesem Bereich aktiv sind. Wir wollen diesen Beitrag natürlich auch deswegen leisten, weil wir wissen: Je
weiter eine Technologie fortgeschritten ist, je näher man
an die Grenzen des Machbaren kommt, desto teurer wird
die Angelegenheit. Deswegen sind die 3 Prozent Aufwuchs das Mindeste, was man tun muss. Ich glaube, es
ist ein ganz starkes Signal, das wir den Ländern geben.
({8})
Es geht darum, die Erfolge der vergangenen 10,
15 Jahre zu sichern, die Exzellenzinitiative zu stärken
und den Hochschulpakt fortzuführen. Wir stellen mit
diesem Haushalt das dafür notwendige Geld zur Verfügung. Jetzt geht es darum, dass wir auch weiterhin agieren. Wir übernehmen Verantwortung für Kommunen und
Länder, auch im Bereich der Bildung. Noch nie gab es so
viel Kooperation. Noch nie in der Vergangenheit haben
wir so viel Geld zur Verfügung gestellt und zur Verfügung gehabt. Deswegen ist es unredlich, sich hinter dem
Kooperationsverbot zu verstecken und zu sagen: Da ist
das Problem. - Nein, meine Damen und Herren, wo ein
Wille ist, ist immer auch ein Weg. Wir haben mit dem
Bildungs- und Teilhabepaket, mit unserem Beitrag zur
kulturellen Bildung und mit Initiativen wie der Stiftung
„Haus der kleinen Forscher“ Wichtiges geleistet. Das
werden wir auch in der Zukunft tun.
({9})
Die Diskussion um die Chancengerechtigkeit im Bereich der Bildung bzw. Chancengleichheit, wie von linker Seite häufiger gesagt wurde, führt natürlich zu einem
Punkt, der einmal ausdiskutiert gehört: Das Beispiel
DDR ist aus meiner Sicht ein schlechtes. In der DDR haben nur 11 Prozent eines Jahrgangs Abitur gemacht.
({10})
Das System der DDR war damit höchst elitär. Zum Vergleich: In der Bundesrepublik nehmen heute 40 bis
50 Prozent eines Jahrgangs ein Studium auf. Es gab in
der DDR keine großen Erfolge im Bereich der Bildung
und im Bereich der Wissenschaft.
({11})
- Welche großen Innovationen, Herr Kollege, kamen aus
dem sozialistischen Ostblock? Ich kenne keine.
({12})
Das Bildungs- und Wissenschaftssystem der freiheitlichen Demokratie ist dem der sozialistischen Staaten immer überlegen gewesen,
({13})
weil Chancengleichheit in der Tat etwas ganz anderes ist
als Chancengerechtigkeit. Ich denke, das muss einmal
kritisch ausdiskutiert werden, damit wir uns hier nicht irreführen lassen.
({14})
Noch einmal: Bund und Länder sollen in den kommenden vier Jahren gemeinsam in diesem Bereich aktiv
sein. Wir sind dazu bereit. Wir wollen die Mittel vernünftig einsetzen. Alle sind eingeladen, mit klugen Ideen
mitzuarbeiten und mitzudiskutieren.
Herzlichen Dank.
({15})
Danke, Herr Kollege. - Nächster Redner: Oliver
Kaczmarek für die SPD.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Es ist normal, dass der erste
Haushaltsentwurf nach einem Regierungswechsel noch
nicht den Koalitionsvertrag, die Prioritäten der neuen
Regierung und der sie tragenden Fraktionen vollkommen abbildet.
({0})
Umso wichtiger ist es, dass wir die nächsten Wochen
und Monate nutzen, insbesondere als Koalitionsfraktionen, die notwendigen Schwerpunkte noch zu verfeinern.
Wir wollen, dass sich der Geist des Koalitionsvertrages
im Haushalt widerspiegelt; denn der Koalitionsvertrag
ist eine sehr gute Grundlage für vier Jahre Fortschritt in
der Bildungs- und Forschungspolitik.
({1})
Im Koalitionsvertrag ist deutlich zu lesen: Die Große
Koalition wird bei den Bildungs- und Forschungsausgaben einen klaren Schwerpunkt setzen. Mehrfach genannt
worden sind die 6 Milliarden Euro, die wir in den nächsten vier Jahren mobilisieren werden, um die Länder bei
ihren Aufgaben im Hinblick auf Kitas, Hochschulen und
Schulen zu unterstützen. Ich möchte an dieser Stelle
noch einmal betonen, dass das ein ganz starkes Signal
ist; denn der Bund signalisiert den Ländern damit, dass
er seiner gesamtstaatlichen Verantwortung nachkommt.
Es ist ein starkes und ein begrüßenswertes Signal, dass
Bund und Länder Hand in Hand für Bildung und Forschung Verantwortung übernehmen.
({2})
Etwa 12,5 Prozent der Bildungsausgaben insgesamt
werden vom Bund und gut zwei Drittel von den Ländern
getragen. Daran zeigt sich - Frau Ministerin, Sie haben
vollkommen recht -, dass der Bund bei vielen Projekten
als Initiator auftritt; das geht auch angesichts der finanziellen Ressourcen gar nicht anders. Aber er sollte auch
ein kooperativer Partner sein. Ein Gegeneinander von
Bund und Ländern wäre an dieser Stelle völlig kontraproduktiv und angesichts der Verfassung auch geradezu
absurd.
({3})
Ich möchte an dieser Stelle noch etwas zu dem Zitat
aus dem Wahlprogramm der SPD sagen, zu den 20 Milliarden Euro, die zusätzlich in Bildung und Forschung
fließen sollen. Ich halte dieses Ziel nach wie vor für richtig. Zunächst werden 9 Milliarden Euro für Bildung und
Forschung herauskommen.
({4})
Man kann natürlich angesichts der politischen Umstände, in denen wir uns bewegen, sagen: 9 Milliarden
Euro, das interessiert uns nicht. Wir wollen 20 Milliarden Euro; was darunter ist, nehmen wir nicht, und was
die nächsten vier Jahre passiert, ist uns egal. - Man kann
aber auch nehmen, was man erreichen kann. Ich sage:
Wir schämen uns nicht, dass wir in den Koalitionsverhandlungen 9 Milliarden Euro zusätzlich mobilisiert haben. Man nimmt das und gestaltet. Die Sozialdemokraten haben sich immer fürs Gestalten entschieden, und
das ist auch gut so.
({5})
Ich möchte noch einen Punkt benennen, der mir gestern in der Generalaussprache mächtig auf die Nerven
gegangen ist: Müssen Rente und Bildung eigentlich ständig gegeneinander ausgespielt werden? Ich glaube, dass
das falsch ist. Das erkennt man, wenn man sich die gesamtstaatlichen Ausgaben ansieht, die für Bildung aufgewendet werden. Vor allen Dingen aber ist es das Ge2476
genteil von Generationengerechtigkeit. Ich glaube, dass
es nicht im Interesse der Studierenden, der Wissenschaftler ist, gegen die Interessen ihrer Mütter und Väter
gestellt zu werden.
({6})
Generationengerechtigkeit ist nie eine Einbahnstraße gewesen. Wenn Sie versuchen, Teile der Gesellschaft gegeneinander auszuspielen, sage ich: Das finde ich nicht
in Ordnung, und das machen wir nicht mit.
({7})
Meine Damen und Herren, vor uns liegen intensive
Wochen, in denen wir die Grundlagen dafür schaffen
wollen, die Ziele der Großen Koalition im Haushalt des
Bundes auszugestalten. Meine Kollegen haben schon
vieles angesprochen. Die Big Points sind: BAföG und
Weiterentwicklung der drei Pakte. Das sind sicherlich
große Aufgaben, für die wir das meiste Geld mobilisieren müssen. Ich möchte aber noch einige Punkte erwähnen - teilweise hat das mein Kollege Swen Schulz schon
getan -, die auch von Bedeutung sind und bei denen wir
als Große Koalition unsere Handschrift im Bundeshaushalt erkennen lassen können.
Erster Punkt. Wir wollen die Ausbildungsgarantie
umsetzen. Über die Bedeutung der beruflichen Bildung
ist von diesem Pult aus schon viel gesagt worden. Deswegen will ich an dieser Stelle nur eines sagen: Die Bedeutung der beruflichen Bildung wird nicht dadurch abgemildert, dass wir einen gesetzlichen Mindestlohn
einführen und hier eine klare Altersgrenze setzen, wie es
die Bundesregierung vorschlägt. Eine Ausbildung werden junge Leute immer dann machen, wenn sie damit
eine langfristige Perspektive verbinden und eben auch
ein Einkommen, das ihnen sicher ist.
({8})
Deswegen müssen wir mit den Unternehmen, mit der
Wirtschaft dringend über die zweite Schwelle reden.
Hier gibt es immer noch zu viel Unklarheit. Wir als SPD
begrüßen natürlich den, wie ich glaube, einstimmig beschlossenen Gesetzentwurf der Bundesregierung zum
gesetzlichen Mindestlohn. Auch aus bildungspolitischer
Sicht freuen wir uns über diesen Fortschritt.
({9})
Zweiter Punkt. Swen Schulz hat schon die Alpha-Dekade angesprochen. Das ist ein großer Fortschritt für
7,5 Millionen Menschen. Wir wollen, dass sich das auch
im Haushalt niederschlägt.
Dritter Punkt. Wir wollen in dieser Wahlperiode einen
klaren Schwerpunkt auf die Digitalisierung in den Bereichen Bildung und Wissenschaft setzen. Das muss sich in
den nächsten vier Jahren auch im Haushalt niederschlagen, genauso wie die Stärkung der Geistes- und Sozialwissenschaften, der Arbeitsforschung und der Dienstleistungsforschung.
Ich komme zum Schluss. Nicht jedes dieser Ziele
wird schon im nächsten Haushalt abgebildet werden,
manche aber schon. Wir müssen in den nächsten Wochen daran arbeiten, dass sich die Handschrift der Großen Koalition im Bundeshaushalt wiederfindet. Ich freue
mich darauf, dass der Koalitionsvertrag jetzt ein Stück
gelebte Bildungs- und Forschungspolitik wird.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächster Redner ist
Tankred Schipanski für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich denke, zu den Rahmenbedingungen des Haushaltsplanes haben unsere Ministerin und die Kollegen
Kretschmer und Rupprecht schon viel gesagt. Sie wissen, dieses Haus misst dem Thema „Forschung und Entwicklung“ eine außerordentlich hohe Priorität bei. Ich
will an dieser Stelle nicht noch einmal auf die einzelnen
Projekte in unserem Einzelplan 30 eingehen, sondern
darf den Blick auf ein anderes Feld lenken.
Wir haben vorhin die Debatte zum Haushalt des
Ministeriums für Wirtschaft und Energie geführt, und
Sie wissen: Auch in diesem Bereich haben wir industrienahe Forschungseinrichtungen. Der Kollege Mattfeldt
hatte sehr zu Recht darauf hingewiesen, dass die
350 Millionen Euro Forschungsmittel aus dem ZIM,
dem Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand, vorzeitig freigegeben wurden. Ich denke, das ist ein ganz
wichtiger Schritt, den der Haushaltsausschuss am 2. April dieses Jahres gegangen ist. Ganz herzlichen Dank dafür!
({0})
Sie wissen, dass es außerordentlich wichtig ist, dass
diese Forschungsmittel freigegeben wurden. Für den Bereich Forschung und Entwicklung wurden insgesamt
660 Millionen Euro vorzeitig freigegeben. Ich denke,
durch die Aufhebung dieser Sperre hat der Haushaltsausschuss ein sehr wichtiges Signal gesendet.
Wenn wir uns die konkreten Programme ansehen,
dann dürfen wir feststellen, dass unser Ministerium, das
BMBF, mit seiner Programmplanung eine Vorbildfunktion für alle anderen Ministerien hat. Schauen wir uns
das Programm „Zwanzig20 - Partnerschaft für Innovation“ an! Dieses Programm ist Teil der Innovationsinitiative „Unternehmen Region“ und fördert entsprechend den
regionalen Bedürfnissen der neuen Länder. Mit diesem
Programm sollen die in den neuen Ländern aufgebauten
herausragenden wirtschaftlichen und wissenschaftlichen
Kompetenzen durch überregionale und interdisziplinäre
Kooperation systematisch für die Zukunft ausgebaut
werden. Vorhandene Akteure sollen sich also über die
Region hinaus grenzüberschreitend vernetzen. Ich denke,
das ist ein spannender überregionaler und interdiszipliTankred Schipanski
närer Ansatz. Diesen Ansatz wählt nunmehr auch das
Bundeswirtschaftsministerium für sein Innovationsprogramm INNO-KOM und für die ZIM-Programme, also
wieder für die industrienahe Forschung. Das BMBF leistet hier also eine Pionierarbeit für die ganze Bundesregierung. Auch dafür, Frau Ministerin, ein herzliches
Dankeschön!
({1})
Wenn von einigen Rednern in dieser Debatte eine falsche Schwerpunktsetzung in diesem Haushalt kritisiert
wurde, dann kann ich dem nur ausdrücklich widersprechen. Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte in ihrer
gestrigen Haushaltsrede sehr richtig fest: „Kreativität ist
der Treiber unseres Wohlstands“. Kreativität erreiche ich
nur über Innovation. Daher ist es konsequent und richtig,
wenn wir unsere Hightech-Strategie zu einer Innovationsstrategie weiterentwickeln. Wir werden noch Gelegenheit haben, das in diesem Hohen Hause zu debattieren.
({2})
Wir setzen im Einzelplan 30 die richtigen Schwerpunkte, um unsere Bildungsrepublik Deutschland voranzubringen. Natürlich können wir auch Schwerpunkte ergänzen. Das ist richtig, und das soll man auch tun. Mit
Blick auf die aktuellen politischen Entwicklungen darf
ich heute einen Vorschlag unterbreiten. Ich komme gerade aus dem NSA-Untersuchungsausschuss und bin
auch Mitglied in dem neuen Bundestagsausschuss Digitale Agenda. Ich darf für einen Aufwuchs im Bereich der
IT-Sicherheitsforschung plädieren; denn gemeinsamer
Gedanke beider Ausschüsse ist es, konstruktive Empfehlungen zu erarbeiten, wie wir die Kommunikation in
Deutschland sicherer machen können, was wir tun können, um Ausspähen bei Kommunikationsvorgängen zu
unterbinden oder zumindest deutlich zu erschweren. Wir
haben im Wissenschaftsbereich bereits wichtige Player.
Ich erinnere zum Beispiel an die Fraunhofer-Institute,
die sich sehr intensiv mit dieser Fragestellung beschäftigen. Daher kann ich mir vorstellen, dass wir in der anstehenden Debatte um den Haushalt bei der IT-Sicherheitsforschung noch einen wichtigen Schwerpunkt setzen.
({3})
Lassen Sie mich mit Blick auf unsere Haushaltsdebatte einen weiteren Punkt ansprechen. Am 18. Oktober 2012 haben wir in diesem Haus das Wissenschaftsfreiheitsgesetz verabschiedet. Das war ein großer Tag für
unsere deutschen Wissenschaftsorganisationen, und es
war ein entscheidender Tag für die Mitglieder des Haushaltsausschusses. Ich darf an dieser Stelle vonseiten unserer Fraktion nochmals Annette Schavan, Wolfgang
Schäuble und Ecki Rehberg ganz herzlich danken, die
uns Wissenschaftspolitiker in diesem komplizierten Gesetzgebungsverfahren sehr gut begleitet haben.
Haushaltsrechtlich ist dieses Gesetz ein Meilenstein
in der Wissenschaftsgeschichte. Wir erinnern uns: Die
christlich-liberale Koalition hat durch dieses Gesetz eine
wissenschaftsadäquate, am Forschungsprozess orientierte Mittelausgabe ermöglicht und somit einen optimalen Mitteleinsatz gewährleistet. Der Haushaltsausschuss
hatte mit diesem Gesetz Kontrollmöglichkeiten abgegeben und die Transparenz des Bundeshaushaltes eingeschränkt. Mit dem Blick der Haushälter haben die
Wissenschaftsorganisationen mit diesem Gesetz einen
Vertrauensvorschuss auf dem Weg zu mehr Autonomie
und Transparenz erhalten.
Wir waren uns überfraktionell einig, dass mehr Freiheit für unsere Forschungseinrichtungen auch immer
mehr Verantwortung bedeutet. Kontrollmöglichkeiten haben wir natürlich auch heute noch über den MonitoringBericht und den Bundesrechnungshof. Ein Blick in den
Monitoring-Bericht, der gemeinsam mit dem Bericht zur
Umsetzung des Paktes für Forschung und Innovation
vorgelegt wird, zeigt, dass der Gedanke des Wissenschaftsfreiheitsgesetzes gelebt wird und die Instrumente
rege genutzt werden. Das gilt für alle Bereiche, ob Haushalt, Personal, Bau oder Beteiligungen. Ich darf in der
Haushaltsdebatte zwei Themen herausgreifen, nämlich
Haushaltsführung und Personal.
Bei der Haushaltsführung haben wir durch die Einführung von Globalhaushalten eine flexiblere Mittelverfügbarkeit ermöglicht. Stichworte in diesem Zusammenhang sind die überjährige Verwendung von Mitteln, die
Zuweisung von Mitteln zur Selbstbewirtschaftung und
somit die Möglichkeit, dass unsere Forschungseinrichtungen Gelder für größere Investitionen ansparen können.
({4})
Wir haben eine gegenseitige Deckungsfähigkeit von Betriebshaushalt und Investitionshaushalt. Allein im Jahr
2013 hat die Fraunhofer-Gesellschaft 30 Millionen Euro
aus dem Betriebshaushalt zur Deckung des Investitionshaushaltes verwendet. Wir geben also unseren Forschungsorganisationen die richtigen Spielräume.
Die zweite große Regelungsmaterie des Wissenschaftsfreiheitsgesetzes war der Personalbereich. Wir
haben, wie Sie wissen, die starren Stellenpläne abgeschafft.
({5})
Wir geben ihnen die Möglichkeit, die Stellenbesetzung
noch stärker am wissenschaftlichen Bedarf zu orientieren. Wir haben ein neues Vergütungssystem eingeführt,
um Berufungen aus der Wirtschaft und aus dem Ausland
zu erleichtern. Die Wissenschaftsorganisationen loben
dies ausdrücklich in ihrem Monitoring-Bericht. Erfolgsbeteiligungen, zusätzliche Sachleistungen und zusätzliche Vergütungen, das sind die Instrumente, mit denen
das sehr erfolgreich läuft, und zwar nicht nur, wie damals befürchtet, für Professoren oder Spitzenwissenschaftler, sondern auch für den wissenschaftlichen Nachwuchs und wissenschaftsrelevantes Personal.
In diesem Sinne darf ich, weil dies soeben gefragt
wird, festhalten, dass das Gesetz sehr viel mit dem Haushalt zu tun hat. Die Haushälter haben nämlich eine ganze
Menge Macht an die Wissenschaftspolitik abgegeben.
Deshalb ist es ganz wichtig, im Rahmen der Haushaltsdebatte einmal anzusprechen, dass wir das Spannungsfeld zwischen Wissenschaftsfreiheit und haushaltsrechtlichen Kontrollinteressen aufgelöst haben. Das war ein
richtiger Schritt. Daran wollte ich am heutigen Tag ausdrücklich erinnern.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste Rednerin in der
Debatte ist Dr. Daniela De Ridder für die SPD.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! In der vergangenen Woche konnte ich
hier im Bundestag eine Delegation aus Ghana begrüßen.
Ich hatte dabei auch Gelegenheit, den Bildungsminister
Ghanas kennenzulernen. Herr Kaufmann - Sie waren
auch eingeladen -, hätten Sie gedacht, dass Kitas und
Vorschulen in Ghana gut etabliert sind? Dem Bildungsetat, so versicherte mir der Minister, stünden die
meisten Ressourcen zur Verfügung, und das Bildungsministerium verfüge über das meiste Personal. Frau
Hein, da kann man neidisch werden. Wir können von
Ghana lernen. Die ghanaische Delegation war eigentlich
gekommen, um von uns zu lernen. Sie erteilte uns aber
unbewusst eine Lektion.
Wir wollen den Etat für Bildung und Forschung deutlich erhöhen. Diese Forderung haben wir, wie Sie alle
wissen, im Koalitionsvertrag verankert. Es geht dabei
auch um das Zusammenwirken von Bund und Ländern.
Ja, wir wollen Aufgaben und finanzielle Spielräume
intelligent nutzen, und zwar auch zugunsten unserer
Kommunen. Ja, es geht um viel Geld - das will ich ausdrücklich betonen -, und es geht um noch mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Wir wollen weiter in Krippen und
Kitas sowie in Schulen und Hochschulen investieren.
Auch den Forschungsbereich werden wir mit Milliardenbeträgen stärken. Frau Dörner, wer allerdings 6 bzw.
9 Milliarden Euro für eine Quantité négligeable hält, der
hat offensichtlich das Verhältnis zum Geld verloren.
({0})
Die SPD - das versichere ich auch Ihnen in der Opposition - wird sich stetig, auch innerhalb der Großen Koalition, dafür einsetzen, dass wir das finanziell flankieren. Deshalb sage ich ganz deutlich: Wir brauchen gut
finanzierte Bildungsangebote durch alle Phasen des Lebens. Denn das viel zitierte lebenslange Lernen beginnt
mit dem ersten Lebenstag.
Frau Wanka, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie in
der Bildungspolitik eine adäquate Partnerin, nämlich die
Familienministerin Manuela Schwesig, gefunden haben,
die Ihnen dabei mit Sicherheit zur Seite stehen wird. Es
war in der vergangenen Legislaturperiode nicht immer
so, dass Bildungsministerium und Familienministerium
eng zusammenstanden. Das wird aber jetzt eine Selbstverständlichkeit werden.
Der Ausbau von Kitas und guten Betreuungsangeboten wird erheblich mehr Kindern die Chance geben,
durch Bildung die Welt zu entdecken. Frühkindliche Bildung ist nämlich ein Versuch der Vermeidung sozialer
Spreizung.
({1})
Die Teilhabe an Bildung ist ein Grundrecht, und zwar
von Anfang an. Wir von der SPD werden das in der Großen Koalition sicherstellen; auch das versichere ich der
Opposition. Deshalb betone ich: Wir brauchen nicht nur
einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz, sondern auch
eine hohe Betreuungsqualität mit gut ausgebildeten Erzieherinnen und Erziehern - Hubertus Heil erwähnte das
bereits -, deren Arbeit wir deutlich besser wertschätzen
müssen.
({2})
Was uns allen, die wir hier sitzen und die wir Verantwortung für die öffentlichen Haushalte tragen, stets klar
sein muss, ist Folgendes: Unzureichende Bildung schafft
hohe Folgekosten für die öffentlichen Haushalte. Deshalb ist es so wichtig, dass wir vernetzt denken, und
zwar von der frühkindlichen Bildung über die Schule bis
hin zu Bildungsangeboten im Alter. Unsere Wirtschaft
braucht engagierte Universitäten und Fachhochschulen
genauso wie das duale Ausbildungssystem und eine gute
berufliche Bildung. Lieber Herr Rupprecht, wir brauchen außerdem eine gut entwickelte Forschungslandschaft.
Die Ergebnisse der Bertelsmann-Studie, im Rahmen
derer untersucht wurde, was unzureichende Bildung kostet, machen deutlich, dass vor allem sozial benachteiligte
Kinder oder Kinder mit Migrationshintergrund sehr früh
einen Zugang zu guten Bildungsangeboten brauchen.
Gerade sie könnten enorm von guter früher Bildung profitieren.
({3})
Deutschland verschenkt enormes Wachstumspotenzial durch unzureichende Bildung. So lautet die warnende Bilanz der Bertelsmann-Studie - und die Bertelsmann-Stiftung ist nicht wirklich eine Kaderschmiede
sozialdemokratischer Provenienz -, dass wir dieses
Wachstumspotenzial nicht verschenken dürfen. Wenn
wir also unsere öffentlichen Haushalte absichern und
Schuldenlast abbauen wollen, dann müssen wir - auch
da bin ich bei Ihnen - präventiv handeln.
Ich bin mir ganz sicher, Frau Wanka - lassen Sie mich
das zum Schluss sagen -, dass Sie gut mit Manuela
Schwesig zusammenarbeiten werden und Frau Dörner
Lügen strafen werden, die hier ja schon unterstellt, dass
es einen Zickenkrieg geben könnte.
({4})
Frauen sind klüger. Wir sind dies auch.
Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Anette
Hübinger das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Als 13. Rednerin in dieser Debatte hat man es am Rednerpult nicht einfach; denn im Grunde genommen ist zu diesem Haushalt
sehr umfassend sehr viel Wahres, manch Auslegungsfähiges gesagt worden. Festzustellen bleibt: Mit dieser Debatte setzen wir den Startschuss für den Haushalt im Jahr
2014 und damit für die Verankerung prioritärer Maßnahmen im Bereich Bildung und Forschung, getreu der
Überschrift unseres Koalitionsvertrages: „Deutschlands
Zukunft gestalten“.
Die Zukunft Deutschlands hängt vor allem und insbesondere von Bildung und Forschung ab; denn Bildung
beugt - das wissen wir alle - Armut vor, Bildung und
gute Ausbildung genauso wie eine exzellente Forschung
sorgen dafür, dass wir in Deutschland in der Lage sind,
nachhaltig gute und innovative Arbeitsplätze zu schaffen, die für unseren Wohlstand sorgen.
({0})
Unser gemeinsames Ziel muss daher sein, dass die
finanzielle Aufwärtsentwicklung dieses Einzelplans, so
wie schon in der Vergangenheit geschehen, weitergeht.
Ich möchte die Zahl an dieser Stelle noch einmal nennen, weil sie so wunderbar ist: Knapp 14 Milliarden Euro stehen in diesem Einzelplan, ohne die Gelder,
die bei Herrn Minister Schäuble im Einzelplan 60 geparkt sind; darüber haben wir heute schon diskutiert. Das
ist ein Rekord bei Bildung und Forschung. Darauf können wir stolz sein.
({1})
Diese positive Entwicklung hat dazu geführt, dass
Deutschland mit seinem dualen beruflichen Ausbildungssystem, aber auch mit seiner exzellenten Forschung und seinen exzellenten und zukunftsweisenden
Forschungsprogrammen in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt ist. Das muss so bleiben.
({2})
Gerade die internationale Entwicklung in einer globalisierten Welt schreitet rasant weiter voran. Bildung und
Forschung sind hier Dreh- und Angelpunkt, den wir in
Deutschland weiter unterstützen wollen; denn Stillstand
heißt hier Rückschritt. Das können wir uns nicht leisten.
({3})
Folgerichtig messen wir Bildung und Forschung in
dieser Legislaturperiode wieder einen hohen Stellenwert
bei und haben dazu Ziele im Koalitionsvertrag vereinbart. Um diese Ziele mit Leben zu erfüllen, müssen wir
in den nächsten Jahren gemeinsam unser Wissenschaftssystem weiterentwickeln, über das Ob und das Wie der
Pakte entscheiden, Wege finden, wie wir die duale Ausbildung weiter stärken und an die neuen Herausforderungen anpassen können. Wir müssen noch mehr Augenmerk auf die frühkindliche Bildung legen; denn alle
Menschen brauchen in unserem schönen Deutschland
die gleichen Bildungschancen.
({4})
In vielen Gesprächen, die ich als Fachpolitikerin in
den letzten acht Jahren geführt habe, wurde immer wieder das Instrument der Bildungsketten mit Potenzialanalyse und Berufseinstiegsbegleitung gerade für junge
Menschen, die sich etwas schwerer tun, ganz besonders
gelobt. Hier setzen wir im neuen Haushalt einen ganz
besonderen Schwerpunkt.
({5})
Daneben müssen wir auch unsere Grundlagen- und
die angewandte Forschung stärken und für die Herausforderung unserer Zeit fitmachen. Gebündelt sind diese
in der Hightech-Strategie. Energiewende und alles, was
sich forschungsmäßig um dieses Thema herum abspielt,
ist - das wurde heute auch schon angesprochen - prioritär. Dazu gehören Sicherheitsfragen; denn Sicherheitsfragen sind Friedensfragen. Dazu gehören aber auch
Sicherheitsfragen im Netz, die Digitalisierung der Wissenschaft und Gesundheitsfragen wie der Umgang mit
Demenz oder eine neue Wirkstoffinitiative, die wir starten wollen, um angesichts der Herausforderungen in der
Welt besser aufgestellt zu sein. All diesen Herausforderungen haben wir uns als Große Koalition gerne gestellt.
Noch ein weiteres Ziel haben wir uns gesetzt: Das ist die
schwarze Null. Darüber wurde heute auch schon öfter
diskutiert.
Liebe Frau Kollegin Hein, es ist eine wichtige Aufgabe, diese schwarze Null zu erreichen; denn nicht nur
Investitionen in Bildung und Forschung sorgen dafür,
dass die junge Generation eine Zukunft hat, sondern
auch die Tatsache, dass die Schulden nicht weiter anwachsen. Damit schaffen wir für die jungen Menschen
erst einmal die Perspektiven, ihre Zukunft zu gestalten.
({6})
All das hat die Große Koalition für Bildung, Wissenschaft und Forschung auch getan, indem sie 9 Milliarden
Euro - für den Bildungsbereich 6 Milliarden und für den
Forschungsbereich 3 Milliarden Euro - zur Verfügung
stellt. Ich danke ganz besonders der Bundeskanzlerin,
dass sie in ihrer Rede auch noch einmal das 3-ProzentZiel, das auch ein europäisches Ziel ist, für Deutschland
benannt hat,
({7})
nämlich 3 Prozent des Bruttoinlandprodukts in Forschung zu investieren und 7 Prozent in Bildung, sodass
wir auf der Basis unseres einmal gefassten 10-ProzentZiels auch weiterarbeiten können.
({8})
Die Ressortentscheidung, wohin diese 6 Milliarden
Euro - 9 Milliarden Euro waren ja schon vorgesehen hinfließen sollen, müssen wir noch treffen. Ich denke,
Herr Schulz, auch dieser Einzelplan, bei dem Sie einige
Löcher gesehen haben, ist gut aufgestellt. Wir werden
uns dann als Haushälter darum kümmern, dass diese
Gelder ordnungsgemäß so angelegt werden, dass wir ein
Mitsprache- bzw. Mitbestimmungsrecht haben. Dennoch
müssen wir mit diesen Geldern dafür sorgen, dass, wie
im Koalitionsvertrag versprochen, die Länder eine Entlastung erfahren. Das kann nur in einem gemeinsamen
Aufeinanderzugehen geschehen; denn alle Pakte, die wir
einmal beschlossen haben, laufen in den nächsten Jahren
aus. Wenn wir das Wissenschaftssystem auf gute Beine
stellen wollen, heißt das: Wir müssen Länder und Bund
hinsichtlich ihrer Aufgabenteilung so verzahnen, dass jeder seinen Part spielen kann und ordnungsgemäß komplementär auch spielt.
({9})
Darauf werden wir als Haushaltspolitiker mit achten.
Aber schauen wir, was in den nächsten Wochen auf uns
zukommt. Wie gesagt, es ist der Startschuss für diesen
Haushalt. Wir haben mit Sicherheit große Diskussionen
vor uns; denn jeder möchte gerne mehr. Frau Kollegin
Dörner sprach vom Topfläppchen. Das hat mich auch ein
bisschen peinlich berührt. 6 Milliarden Euro sind wirklich kein Topfläppchen; denn bei mir sind das solche
kleinen Dinger. Topfläppchen mit drei Ministerien, die
miteinander diskutierend um Gelder ringen, in Verbindung zu bringen, hat, wenn es dann auch noch drei
Frauen sind, einen leicht pejorativen Beigeschmack, den
ich eigentlich so nicht haben will.
({10})
Warten wir es also ab, wie das Geld zu verteilen ist.
Ich muss sagen: Als ehemalige Bildungs- und Forschungspolitikerin bin ich der Meinung, das Geld gehört
ganz überwiegend in den Einzelplan 30. Wir wissen
- das haben wir in der Vergangenheit bewiesen - gut damit umzugehen. Der Bund hat in diesem Bereich in den
letzten Jahren wichtige Impulse gesetzt und wird es auch
weiter tun.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmel-
dungen liegen mir zu diesem Einzelplan nicht vor.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 f auf:
a) Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2012
- Vorlage der Haushaltsrechnung des Bundes
für das Haushaltsjahr 2012 -
Drucksache 17/14009
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2012
- Vorlage der Vermögensrechnung des Bun-
des für das Haushaltsjahr 2012 -
Drucksache 17/14010
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Sozialbericht 2013
Drucksache 17/14332
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zu Ausgangslage und Perspektiven der Post-2015-Agenda
für nachhaltige Entwicklung - Gemeinsame
globale Herausforderungen, Interessen und
Ziele
Drucksache 17/14667 ({1})
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({2})
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Eingliederungsbericht 2012 der Bundesagentur für Arbeit
Drucksache 18/104
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
f) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über den Stand
von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit
und über das Unfall- und Berufskrankheitengeschehen in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2012
Drucksache 18/179
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Sportausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss Digitale Agenda
Bei diesen Tagesordnungspunkten handelt es sich um
Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Ich frage Sie jetzt, ob Sie damit einverstanden sind. - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 i sowie
die Zusatzpunkte a bis f auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 a auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bildung der Kommission „Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ - Verantwortung für
nachfolgende Generationen übernehmen
Drucksache 18/1068
Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Antrag mit den
Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen Stimmen der Linken angenommen worden.
Ich komme zum Tagesordnungspunkt 8 b:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Ralph
Lenkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Atommüll-Endlagersuche vom Kopf auf die
Füße stellen
Drucksache 18/1069
Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Antrag mit den
Stimmen der Koalition und der Grünen gegen die Stimmen der Linken abgelehnt worden.
Damit komme ich zu den Tagesordnungspunkten 8 c
bis 8 i. Das sind die Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 8 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2})
Sammelübersicht 33 zu Petitionen
Drucksache 18/985
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 33 mit den
Stimmen des gesamten Hauses angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 8 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3})
Sammelübersicht 34 zu Petitionen
Drucksache 18/986
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 34 mit allen
Stimmen des Hauses angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 8 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4})
Sammelübersicht 35 zu Petitionen
Drucksache 18/987
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 35 mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen
der Fraktion Die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/
Die Grünen angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 8 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5})
Sammelübersicht 36 zu Petitionen
Drucksache 18/988
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 36 mit allen
Stimmen des Hauses angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 8 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6})
Sammelübersicht 37 zu Petitionen
Drucksache 18/989
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 37 mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die
Linke gegen Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden.
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0})
Sammelübersicht 38 zu Petitionen
Drucksache 18/990
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 38 mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und von Bündnis 90/
Die Grünen gegen Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 8 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1})
Sammelübersicht 39 zu Petitionen
Drucksache 18/991
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 39 mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke
angenommen worden.
Ich komme zum Zusatzpunkt a:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Oliver Krischer,
Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wettbewerbsfähigkeit durch Innovation und
Zukunftsinvestitionen sichern
Drucksachen 18/493, 18/794
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/794, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/493 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Damit ist die Beschlussempfehlung des Ausschusses mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen worden.
Wir kommen zu weiteren Beschlussempfehlungen
des Petitionsausschusses.
Zusatzpunkt b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3})
Sammelübersicht 40 zu Petitionen
Drucksache 18/1098
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 40 mit den
Stimmen des gesamten Hauses angenommen worden.
Zusatzpunkt c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4})
Sammelübersicht 41 zu Petitionen
Drucksache 18/1099
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 41 mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden.
Zusatzpunkt d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5})
Sammelübersicht 42 zu Petitionen
Drucksache 18/1100
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 42 mit den
Stimmen des gesamten Hauses angenommen worden.
Zusatzpunkt e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6})
Sammelübersicht 43 zu Petitionen
Drucksache 18/1101
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 43 auf
Drucksache 18/1101 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei
Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen
worden.
Zusatzpunkt f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7})
Sammelübersicht 44 zu Petitionen
Drucksache 18/1102
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent-
hält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 44 mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die
Linke angenommen worden.
Damit haben wir diesen großen Komplex abgeschlos-
sen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 a auf:
Wahl der Mitglieder der „Kommission Lage-
rung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ gemäß
§ 3 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 und 2, Satz 3
des Standortauswahlgesetzes
Drucksache 18/1070
Hierzu liegt mir eine persönliche Erklärung zur Ab-
stimmung nach § 31 der Geschäftsordnung des Deut-
schen Bundestages von Julia Verlinden, Peter Meiwald
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
und Corinna Rüffer vor. Diese nehmen wir ins Protokoll
auf.1)
Wer stimmt dem Wahlvorschlag der Fraktionen der
CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf der
Drucksache 18/1070 zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist dieser Vorschlag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Mehrheit der
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und bei wenigen Enthaltungen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen
worden.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 b auf:
Wahl der Mitglieder der „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ gemäß
§ 3 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3, Satz 4 und 5
des Standortauswahlgesetzes
Drucksache 18/1071
Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag aller Fraktionen des Hauses? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Damit ist dieser Wahlvorschlag bei drei Enthaltungen des Bündnisses 90/Die Grünen und Zustimmung
des übrigen Hauses angenommen worden.
Wir setzen die Haushaltsberatungen jetzt fort und
kommen zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Einzelplan 17.
Als erste Rednerin hat das Wort die Bundesministerin
Manuela Schwesig.
({8})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren Abgeordnete! „Ohne Moos nix los“, so würden es wahrscheinlich viele Jugendliche spätestens morgen, wenn für die meisten die Osterferien beginnen, zu
ihren Eltern sagen, wenn es darum geht, am Abend noch
einmal loszuziehen und vorher mit den Eltern eine Taschengeldverhandlung aufzunehmen. In dieser Haushaltsdebatte stellt sich ebenfalls die Frage: Wie ist das
eigentlich mit den Jugendlichen? Ist es so, dass die Alten
zu viel in unserem Haushalt bekommen und dass die
Jungen zu schlecht dabei wegkommen? Diese Generationenfrage wird in dieser Debatte beim Thema „Rente
mit 63“ und beim Thema „Mütterrente“ gestellt.
Ich halte diese Debatte für falsch
({0})
und auch für viel zu kurz gesprungen. Im Übrigen sieht
es die junge Generation genauso. 83 Prozent der 18- bis
29-Jährigen finden es gerecht, dass wir die Mütterrente
aufstocken, und 75 Prozent finden die abschlagsfreie
Rente mit 63 gerecht.
1) Anlage 2
Gibt es also einen Generationenkonflikt? Junge Menschen sagen und wissen, dass sie länger arbeiten müssen.
83 Prozent der jungen Menschen gehen davon aus, dass
sie für ihr Alter privat vorsorgen müssen. Die überwiegende Mehrheit der jungen Menschen geht aber vor
allem davon aus, dass dieses Thema nur im Zusammenspiel der Generationen und nicht in einem Gegeneinander zu lösen ist. Ich finde, Politik wäre klug beraten,
auf junge Menschen zu hören. Es geht um ein Miteinander der Generationen und nicht um ein Gegeneinander.
({1})
Genau diese Aufgabe sehe ich: ein Miteinander und
nicht ein Gegeneinander der Generationen zu fördern
und darauf zu schauen, was sich die jungen Menschen
wünschen. Sie wünschen sich gute Bildung, eine gute
Ausbildung. Sie wünschen sich, die Chance zu haben,
Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Daran
müssen wir messen, ob wir für die jungen Menschen in
unserem Land genug tun.
({2})
Diese Frage müssen sich alle Fraktionen hier im
Raum stellen. Denn die Frage von guter Bildung fängt in
der Kita an und geht über die Ganztagsschule bis hin zu
Ausbildung und Hochschule. Die Frage von guter Ausbildung wird auch in Kommunen und Ländern entschieden. Das gilt auch für die Frage der Vereinbarkeit von
Familie und Beruf. Insofern stehen wir alle hier gemeinsam in der Verantwortung; schließlich tragen unsere Parteien in Kommunen und Ländern Verantwortung.
Was tun wir im Bund? Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, die Bildungskette um 6 Milliarden Euro weiter zu unterstützen, weil es wichtig ist, dass
Kommunen und Länder die Möglichkeit haben, in Bildung zu investieren. Bildung fängt am Anfang des Lebens an. Es ist wichtig, in den Ausbau und vor allem in
die Qualität von Kitas, Ganztagsschulen, Ausbildung
und Hochschulen zu investieren. Folglich ist es gut, dass
wir in den nächsten Jahren diese 6 Milliarden Euro investieren. Da gibt es keinen Streit zwischen den Häusern, sondern Bund und Länder müssen sich verständigen. Da können Sie, verehrte Abgeordnete der Grünen
und der Linken, gern mithelfen.
({3})
Der Bund wird außerdem weiter den Kitaausbau unterstützen. Schon bevor diese Koalition stand, haben wir
in den Koalitionsverhandlungen dafür gesorgt, dass die
Gelder - 161 Millionen Euro in 2013 - nicht versanden,
weil sie nicht abgerufen werden, sondern dass sie weiter
zur Verfügung stehen.
({4})
Wir werden in den nächsten Jahren dafür sorgen, dass
die laufenden Kosten für den Betrieb von Kitas nicht
weiter ansteigen. Das kommt der Qualität in den Kitas
zugute. Das ist ein gerechter Beitrag für Kinderpolitik in
unserem Land.
Wir wollen außerdem Kinder schützen. Wir werden
zur Unterstützung von Familien mit kleinen Kindern zusätzlich 6 Millionen Euro für das Netzwerk „Frühe Hilfen“ ausgeben. Es geht darum, dass wir Familien starkmachen, sodass Kinder aus Familien nicht herausgeholt
werden müssen, weil die Spirale des Drucks dies erzwingt. Ich wiederhole: Wir müssen Familien früh starkmachen. Wir müssen Kinder und ihre Familien schützen.
Wir werden zusätzlich 4 Millionen Euro für die
Sprachförderung zur Verfügung stellen, für eine gute
Bildung, für Bildung von Anfang an. 4 Millionen Euro
für Sprachförderung in Kitas zusätzlich!
({5})
Wir werden außerdem dafür sorgen, dass eine eigenständige Jugendpolitik gemacht werden kann. Junge
Menschen wünschen sich, nicht nur über Jugendarbeitslosigkeit und Komasaufen definiert zu werden,
({6})
sondern sie wünschen sich eine eigenständige Jugendpolitik, die ihnen Freiräume für ihre Interessen und Bedürfnisse eröffnet.
({7})
Hierfür brauchen wir die Jugendverbände. Deshalb werden wir die Jugendverbände weiter unterstützen. Ein
Signal geht von diesem Haushalt aus: Wir werden die
Förderung der Jugendverbände verstärken. Diese Förderung aus dem Kinder- und Jugendplan 2014 steigt, einschließlich der Förderung von Jugendorganisationen
politischer Parteien, auf 16,82 Millionen Euro an.
Junge Menschen in unserem Land - das zeigt eine aktuelle Allensbach-Studie, die ich Ihnen hier exklusiv
vorstelle - wünschen sich auch Familie. 20- bis 34-Jährige haben eine hohe Berufsorientierung, aber auch den
Wunsch nach einer eigenen Familie. Dazu brauchen wir
Zeit, Geld und Infrastruktur. Deswegen investieren wir
in gute Ganztagskitas und Ganztagsschulen. Deswegen
stellen wir dafür Geld zur Verfügung.
Wir investieren aber auch 130 Milliarden Euro in Familienleistungen, unter anderem in das Elterngeld. Das
Elterngeld wächst in diesem Haushalt auf, weil immer
mehr Frauen berufstätig sind und zum Glück auch immer mehr Männer, die arbeiten, Elternzeit nehmen. An
dieser Stelle will ich allen Kritikern, die immer wieder
monieren: „Das Elterngeld wird zu teuer“, sagen: Das ist
gut angelegtes Geld.
({8})
Die Eltern, die arbeiten und den Spagat zwischen Beruf
und Familie wagen, sind die Leistungsträger dieser Gesellschaft. Deshalb ist es gerecht, dass wir sie unterstützen.
Wir werden sie in Zukunft mit dem ElterngeldPlus
noch besser unterstützen. Ich danke ausdrücklich Herrn
Dr. Schweitzer aus der Wirtschaft, der anders als andere
schnell erkannt hat, wie gut die Idee der Familienarbeitszeit ist. Es ist wichtig, Zeit für Familie zu haben.
({9})
Aber nicht immer braucht man Geld, um Gewinn zu
machen. Ein Gewinn wird sein, wenn mehr Frauen in
Führungspositionen ankommen. Deswegen werden wir
ein Gesetz zur Förderung von Frauen in Führungspositionen auf den Weg bringen. Ich habe bewusst die Eckpunkte bzw. die Leitlinien vorgelegt, um mit Wirtschaft
und Gewerkschaften ins Gespräch zu kommen. Es geht
nicht darum, ihnen einen Gesetzentwurf aufzutischen
und zu sagen: So wird es jetzt gemacht. - Es geht darum,
gemeinsam eine Lösung dafür zu finden, wie wir mehr
Frauen in Führungspositionen bekommen. Junge Frauen,
alle Frauen in Deutschland, die gut ausgebildet sind,
wollen und müssen in Führungspositionen. Für uns ist
die Frage der Quote nicht mehr eine Frage des Ob, sondern eine Frage des Wie. Die Frauenquote wird kommen, und sie wird ein Gewinn für Deutschland sein.
({10})
Es geht auch darum, Zeit für Familie zu haben, wenn
pflegebedürftige Angehörige in der Familie sind; das
wünschen sich laut der Umfrage übrigens auch die jungen Menschen. Zwei Drittel der jungen Menschen sind
bereit, ihre Familie zu unterstützen, wenn Pflegebedarf
besteht. Deswegen ist es gut und richtig, dass wir jetzt
eine Pflegereform auf den Weg bringen, mit der dafür
gesorgt wird, dass mehr Zeit zur Verfügung steht und die
Pflegefachkräfte besser bezahlt werden.
Ich habe mich mit Herrn Gröhe darauf geeinigt, dass
wir aus der Pflegeversicherung auch eine Auszeit für
Familien finanzieren:
({11})
die zehntägige Auszeit für Familien, um einen akuten
Pflegefall zu organisieren. Das ist ein wichtiger Beitrag
für bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, ein
wichtiger Beitrag für die Familien in Deutschland, finanziert aus der Pflegeversicherung.
({12})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme
mit meiner Redezeit in einen Generationenkonflikt, weil
in diesen acht Minuten natürlich nicht alles zu sagen ist.
Wir haben noch viele andere wichtige Programme und
Projekte im Haushalt abgesichert. Der Haushalt steigt
an.
Einen letzten Punkt möchte ich ansprechen; dieser
findet sich noch nicht im Einzelplan wieder, kommt aber
hinein. Ich weiß, dass uns die Unterstützung für heute
Erwachsene, die als Kinder und Jugendliche Gewalt und
Druck in Kinderheimen der DDR erlebt haben, gemeinsam ein wichtiges Anliegen ist; Herr Patzelt hat es letztens angesprochen. In der letzten Legislaturperiode
wurde über Parteigrenzen hinweg und in Abstimmung
zwischen Bund und Ländern ein Fonds aufgelegt. Das
Geld reicht nicht. Wir brauchen vielleicht noch einmal
200 Millionen Euro.
Ich freue mich, dass es uns gelungen ist - ich danke
an dieser Stelle ausdrücklich meiner Mannschaft, aber
auch den Länderkollegen -, eine Einigung zu erzielen.
Wir werden den Fonds „Heimerziehung Ost“ aufstocken. Der Bund ist bereit, 100 Millionen Euro zusätzlich
zur Verfügung zu stellen - mit dem Länderanteil zusammen wären das dann 200 Millionen Euro; eine erste
Tranche ist in 2014 vorgesehen -, damit die Menschen,
die zur DDR-Zeit Unrecht erlitten haben, darauf vertrauen können, dass wir im 25. Jahr des Mauerfalls an
ihrer Seite stehen und sie nicht im Stich lassen.
({13})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Generationengerechtigkeit bemisst sich auch daran, dass wir unseren
Kindern und Enkeln nicht immer größere Schuldenberge
hinterlassen. Deshalb stehe ich als Familienministerin in
der Verantwortung, dass wir auch in den nächsten Jahren
einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen und uns auf den
Weg machen, Schulden abzubauen. Das geht. Das kenne
ich bereits aus meinem Heimatbundesland. Dennoch
sage ich: Die Generationengerechtigkeit darf nicht auf
dem Rücken der Kinder und Jugendlichen ausgetragen
werden.
({14})
Es muss uns beides gelingen: Wir müssen Schulden abbauen und gleichzeitig mehr für die Kinder und Jugendlichen investieren. Das tun wir. So sieht Generationengerechtigkeit aus.
Danke.
({15})
Als nächster Redner hat der Kollege Michael Leutert
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben das Ministerium
von Kristina Schröder übernommen. Damit haben Sie eigentlich eine leichte Aufgabe: Es kann nämlich nur besser werden.
({0})
Als erste Maßnahme haben Sie die Extremismusklausel gestrichen. Das war ein wichtiger und richtiger
Schritt, den wir als Linke sehr begrüßen.
({1})
Wir beraten heute den Haushalt des Bundesministeriums
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Das ist ein
großes Aufgabenspektrum. Dafür stehen 8 Milliarden
Euro zur Verfügung. Das sind allerdings nur 2,6 Prozent
des Gesamtetats. Davon muss man noch die 7 Milliarden
Euro abziehen, die gesetzlich gebunden sind, weil ja
Leistungen wie zum Beispiel das Elterngeld oder das
Betreuungsgeld, also das Lieblingsprojekt der CSU, die
Herdprämie, den Betroffenen zustehen. Nach Abzug dieser Leistungen und der Personal- und Verwaltungskosten
bleibt nicht einmal 1 Milliarde Euro übrig, um den großen Aufgabenbereich, der hier beschrieben wurde, auszufüllen. Angesichts der Ziele, die Sie sich gesteckt haben, und angesichts der Probleme, die zu lösen sind,
bleibt kein großer Handlungsspielraum.
Ihre Ziele haben Sie so formuliert: moderne Familienpolitik, starke Gleichstellungspolitik, gute Kinderpolitik,
engagierte Jugendpolitik, eine Seniorenpolitik, die dazu
beiträgt, dass sich die Älteren mehr einbringen können,
und Stärkung von Demokratie und Toleranz. Das ist allerdings, ehrlich gesagt, etwas dürftig, weil ich nicht
weiß, was ich mir darunter vorstellen soll. Wo sind denn
Ihre Konzepte für eine moderne Familienpolitik? Was
heißt eigentlich bei Ihnen „gute Kinderpolitik“ oder
„engagierte Jugendpolitik“? Bis jetzt sind es einfach nur
Überschriften, die erst einmal ausgefüllt werden müssen.
Da ist das Parteiprogramm der Linken konkreter.
({2})
Dass Sie nichts in der Hand haben, merkt man am
vorliegenden Haushalt. Da steht einfach nichts Neues
drin. Es ist nichts Innovatives dabei. Es ist die Fortschreibung des alten Haushaltes.
({3})
Sie wollen bzw. müssen 1 Milliarde Euro mehr ausgeben, weil es einen höheren Bedarf beim Elterngeld gibt
und weil Sie das von der CSU durchgedrückte Lieblingsprojekt, die Herdprämie, umsetzen müssen. Zugleich hat
sich auch die CDU in Person von Wolfgang Schäuble
gegen Sie durchgesetzt: So kommt die Kindergelderhöhung erst ab 2016. Im Übrigen hat schon Schwarz-Gelb
das Kindergeld nicht erhöht. Sie setzen diese Politik jetzt
fort.
({4})
Auf diesem Weg bekommen Sie keine Unterstützung der
Linken.
Im Gegensatz zu Ihren Zielen sind die Probleme unserer Gesellschaft wesentlich konkreter.
Stichwort Kinderarmut: 2,5 Millionen Kinder in
Deutschland - das sind ungefähr 20 Prozent - leben in
Armut oder sind von Armut bedroht. Zu diesem Thema
habe ich von Ihnen noch gar nichts gehört. Aber genau
daran wird man Sie messen, ob es den Kindern in
Deutschland nach vier Jahren Großer Koalition besser
oder schlechter geht. Die Mehrheit der Bürgerinnen und
Bürger möchte, dass es in diesem Bereich zu Verbesse2486
rungen kommt. Das hat eine Umfrage des Deutschen
Kinderhilfswerks gezeigt. 66 Prozent der Bürgerinnen
und Bürger wären sogar bereit, mehr Steuern zu bezahlen, um die Kinderarmut in Deutschland zu bekämpfen.
Das zweite Problem, das ich ansprechen möchte, ist
Rechtsextremismus. In Ihrem Etat befinden sich die Programme gegen Rechtsextremismus und seit Kristina
Schröder auch die Programme gegen Linksextremismus.
Bitte erklären Sie uns doch einmal, warum Sie die Praxis
fortsetzen, dass die Projekte gegen Linksextremismus zu
90 Prozent, die Programme gegen Rechtsextremismus
jedoch lediglich mit 50 Prozent bezuschusst werden. Ich
sage Ihnen: Allein in Sachsen gab es im Jahr 2013 wieder 223 Angriffe von Rechtsextremisten. Das waren
68 Angriffe mehr als im Jahr 2012. Es ist ganz klar: Wir
haben auf der Straße kein Problem mit Linksextremisten; wir haben auf der Straße ganz klar ein Problem mit
Nazis.
({5})
Dem müssen die Programme auch Rechnung tragen.
Im Übrigen halte ich es für ein ewiges Dilemma, dass
die Initiativen gegen rechts immer wieder um ihr Geld
bangen müssen. Gerade in diesem Bereich halte ich eine
institutionelle Förderung für sehr angebracht.
({6})
Das wäre im Übrigen auch eine Form der Anerkennung
der Menschen, die sich Rechtsextremisten und Nazis in
diesem Land engagiert entgegenstellen.
Dritter Punkt, den ich ansprechen möchte: Bundesfreiwilligendienst. Dieser Dienst wurde ja als Ersatz für
den wegfallenden Zivildienst eingeführt. Das war alles
gut gemeint, aber schlecht gemacht.
({7})
Das beginnt damit, dass wir auf Bundesebene mittlerweile eine Vielzahl an Freiwilligendiensten haben. Sie
existieren alle nebeneinander her. Da gibt es den freiwilligen sozialen Dienst, den freiwilligen ökologischen Dienst,
den internationalen Freiwilligendienst, den kulturellen Freiwilligendienst im Ausland, den Zivilen Friedensdienst, den
entwicklungspolitischen Freiwilligendienst und dann eben
auch noch den Bundesfreiwilligendienst.
({8})
- Ja. Ich frage Sie aber: Wäre es nicht sinnvoll, diese
Dienste zu koordinieren, zusammenzufassen und einen
Jugendfreiwilligendienst hier im Land zu schaffen? ({9})
Das ist im Übrigen eine Sache, die Sie, Frau Ministerin,
persönlich in einer Pressemitteilung gefordert haben, als
der Bundesfreiwilligendienst 2011 eingeführt wurde. Sie
haben damals gesagt:
Frau Schröders Gesetz … ist und bleibt der falsche
Weg. Hier werden Doppelstrukturen geschaffen, die
… unnötig Geld verbraten. Die Bundesfamilienministerin hat damit die einmalige Chance vertan,
… einen einheitlichen und für die Jugendlichen
attraktiven Freiwilligendienst zu schaffen …
({10})
Ich kann Ihnen nur sagen: Verpassen Sie jetzt nicht die
Chance!
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Ministerin, ich
glaube, es gibt in dem Bereich viel zu tun. Legen Sie
bitte in den nächsten Wochen Konzepte zu Ihren Ankündigungen vor, damit wir die Haushaltsberatungen
ordentlich führen können. Befreien Sie sich insbesondere von den Erblasten Ihrer Vorgängerin und von den
Daumenschrauben, die Ihnen von der Union angelegt
werden.
({12})
Stellen Sie einen Haushalt mit Ihrer Handschrift auf!
Den jetzt vorliegenden Etat können wir als Linke so
nicht unterstützen.
Danke.
({13})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Nadine Schön
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Leutert, ich finde es unglaublich, dass
Sie hier ans Rednerpult gehen und offensichtliche Unwahrheiten verbreiten. Sie waren auch in der letzten Legislaturperiode Mitglied dieses Haushaltes.
({0})
- Des Hauses. Ich weiß nicht, ob Sie damals schon im
Haushaltsausschuss waren, aber Sie waren Mitglied des
Parlamentes. - Als erste Maßnahme hatte die damalige
Koalition das Kindergeld und den Kinderfreibetrag erhöht, genau so, wie wir es im Wahlprogramm versprochen hatten.
({1})
Nadine Schön ({2})
Und Sie stellen sich hier hin und sagen, das Kindergeld
sei nicht erhöht worden. Das ist eine Lüge, und es wäre
gut, wenn Sie das öffentlich richtigstellen würden.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Haushalt des
Ministeriums umfasst 7,96 Milliarden Euro. Das sind
7,96 Milliarden Euro, die einem wichtigen Ziel dienen,
nämlich der Stärkung des Zusammenhalts unserer Gesellschaft. Wir wollen mehr Miteinander und mehr Gemeinsamkeit, auch zwischen den Generationen, zwischen
den Kulturen. Darum geht es uns in der Familienpolitik;
dafür setzen wir uns mit den 7,96 Milliarden Euro in diesem Haushalt ein.
Jetzt wissen wir: Es ist nicht der Staat allein, der den
Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken kann. Das
Geld kann nur Mittel dazu sein und dabei helfen. Es sind
die Menschen, die den Zusammenhalt stärken können.
Deshalb ist es so, sehr geehrter Herr Leutert, dass mehr
Geld nicht automatisch zu mehr Zusammenhalt führt.
Die Mittel allein schaffen noch keinen Zusammenhalt.
Nein, wenn man sich die einzelnen Titel des Haushalts
anschaut, dann erkennt man: Wir verbinden damit klare
Botschaften.
Da ist zum einen das Thema Bundesfreiwilligendienst, das auch Sie erwähnt haben. 167 Millionen Euro
stecken wir in den Bundesfreiwilligendienst. Daneben
fördern wir unter anderem aus dem Kinder- und Jugendplan des Bundes viele Projekte im Bereich der Kinderund Jugendpolitik, die mit insgesamt 383 Millionen
Euro zu Buche schlagen.
Wenn Sie sagen, es sei blöd, dass es einen ökologischen, einen sozialen und einen kulturellen Freiwilligendienst gibt, dann sage ich Ihnen: Genau das ist das Gute
am Bundesfreiwilligendienst.
({4})
Jeder Jugendliche soll selbst entscheiden, wofür er sich
engagieren möchte. Mit diesen Mitteln senden wir genau
diese Botschaft: Engagiert euch! Setzt euch für andere
ein! Nehmt euch die Zeit für ein Gespräch mit anderen!
Nehmt euch ein halbes Jahr oder ein Jahr Zeit! Stellt
euch in den Dienst der Sache und dient damit auch unserem Vaterland! Bringt unser Land voran! Sie können das
kritisieren und gerne einen Einheitsdienst für alle fordern. Ich glaube nicht, dass es das ist, was die Menschen
in unserem Land wollen. Gerade die vielen Jugendlichen, die sich engagieren, sollten Sie doch loben, sollten
Sie animieren, sich mehr zu engagieren, statt zu fordern:
Wir wollen lieber einen Einheitsdienst für alle, am besten noch mit einer einheitlichen Uniform.
({5})
Wir setzen gemeinsam mit Bundesgesundheitsminister Gröhe im Haushalt einen deutlichen Schwerpunkt auf
das Thema Pflege. Auch damit ist eine Botschaft verbunden, nämlich die Botschaft: Wir wollen anerkennen,
dass die allermeiste Pflegearbeit in diesem Lande zu
Hause in den Familien geleistet wird. Mit sehr viel Zeit,
mit sehr viel Liebe und mit sehr viel Aufopferung werden die meisten Menschen in unserem Land gepflegt,
und das wollen wir stärker politisch unterstützen.
Wir wollen auch die harte Arbeit derjenigen, die in
den Pflegeheimen arbeiten, besser anerkennen. Wir wollen nach Wegen suchen, sie zu entlasten. Auch das ist
eine Botschaft dieses Haushaltes, auch das dient dem
Zusammenhalt unserer Gesellschaft.
In dieser Legislaturperiode wollen wir gerade auf diesen wichtigen Punkt besonderes Augenmerk legen; denn
Pflege betrifft alle Familien. Es hat zwar nicht jeder Kinder, aber jeder hat Eltern. Deshalb machen wir, die Familienpolitiker und Gesundheitspolitiker, die Pflege zum
Schwerpunkt unserer gemeinsamen Arbeit.
({6})
Wir geben 5,3 Milliarden Euro für das Elterngeld aus.
Auch damit ist eine Botschaft verbunden, nämlich die
Botschaft: Wir wollen, dass Kinder in unserem Land
willkommen sind. Wir wollen, dass Familien, gerade
junge Familien, in den ersten Jahren Zeit für Familie haben, dass sie selbst entscheiden können, wie sie leben,
und dass sie selbst entscheiden können, wie sie Zeit für
Familie und Berufstätigkeit miteinander verbinden. Wir
wollen das Elterngeld deswegen noch weiter flexibilisieren, wir wollen die Partnerschaftlichkeit stärken. Das
Elterngeld ist ein Erfolgsmodell, das ElterngeldPlus
wird ebenfalls ein Erfolgsmodell sein. Deshalb investieren wir mehr als 5,3 Milliarden Euro, und ich finde, das
ist sehr gut angelegtes Geld.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, hinter all diesen
Maßnahmen steckt die Botschaft: Wir wollen ein familienfreundliches Deutschland. Doch lassen Sie uns auch
ein bisschen selbstkritisch sein. Schauen wir uns einmal
an, wie viel Geld wir in Familien investieren. Das betrifft nicht nur diesen Haushalt. Bund, Länder, Kommunen bringen zusammengerechnet 200 Milliarden Euro
auf, die in Deutschland in die Familien fließen. Wenn
wir das mit anderen Ländern vergleichen, dann sehen
wir: In Frankreich zum Beispiel gibt der Staat viel weniger Geld für Familien aus, trotzdem gilt Frankreich als
familienfreundlicheres Land als Deutschland.
({8})
- Wir müssen uns die Frage stellen, woran das liegt. Da
gebe ich Ihnen, liebe Kollegin, völlig Recht.
Lassen Sie uns gemeinsam überlegen, ob unser Alltag, ob unser Leben und unsere Arbeit an die Familien
wirklich die Botschaft sendet: Ihr seid willkommen in
Nadine Schön ({9})
Deutschland, wir wollen familienfreundlich sein, wir
wollen, dass Kinder, dass ältere Menschen ganz normal
dazugehören, wir wollen, dass Familien mehr Kinder bekommen. Ich finde: In ganz vielen Bereichen ist das
nicht der Fall.
Es ist von daher gut, dass Eric Schweitzer für den
DIHK gesagt hat, sie wollen das Thema flexible Arbeitszeiten wieder intensiver angehen. Aber ich sage auch:
Damit allein ist es leider nicht getan. Mit flexiblen Arbeitszeiten allein schafft man noch keine Familienfreundlichkeit. Dazu gehört auch, dass die Unternehmen
hinterfragen, ob sie den Beschäftigten in Teilzeit ebenso
Karrierewege eröffnen. Sie müssen sich auch fragen, ob
man nicht den Alltag im Unternehmen ändern kann, ob
man die Meetings aus den Abendstunden in die Kernzeit
verlegen kann und ob tatsächlich derjenige der Fleißigste
ist, der am längsten im Büro sitzt. Da muss viel mehr
passieren. Änderungen beim Thema Arbeitszeiten allein
reichen nicht aus.
Wir sind dennoch froh, dass die Initiative Familienbewusste Arbeitszeiten, die Politik und Wirtschaft in der
letzten Legislaturperiode gemeinsam aufgelegt haben,
nun verstärkt angegangen wird. In allen Unternehmen
soll die Frage gestellt werden, wie man familienfreundlicher werden kann. Das kommt den Menschen in unserem Land zugute, das kommt aber auch den Unternehmen zugute; denn sie brauchen die Fachkräfte. Ich setze
sehr darauf, dass sich vieles im Alltag der Unternehmen
ändert.
Im Alltag der Menschen muss sich ebenfalls etwas
ändern. Wenn wir Einkaufen gehen, stellen wir fest, dass
viele Geschäfte nicht familienfreundlich sind. Es gibt oft
keine Eltern-Kind-Parkplätze. Es gibt oft keine geeigneten Kassen. Es gibt oft keinen Raum, wo Eltern ihre Kinder wickeln und stillen können. In all diesen Bereichen
sind andere Länder viel familienfreundlicher. Das mag
nach Banalitäten klingen, aber ich glaube, diese kleinen
Dinge machen unseren Alltag, unser Leben familienfreundlicher. Darauf müssen wir auch als Politik ein stärkeres Augenmerk legen.
({10})
Wir brauchen eine breite Debatte darüber, wie wir unser Land familienfreundlicher machen. Wir brauchen
ebenfalls eine breite Debatte darüber, wie wir unser Land
generationenfreundlicher machen. Über das Thema Generationengerechtigkeit wird in diesen Tagen sehr viel diskutiert, gerade im Zusammenhang mit dem Thema
Rente. Dazu möchte ich eines sagen: Wir geben nun sehr
viel Geld für die Mütterrente aus; das stimmt. Viele
jüngere Menschen in unserem Land beklagen sich und
sagen: Das ist ein Angriff auf die Generationengerechtigkeit. Ich sage: Das ist kein Angriff auf die Generationengerechtigkeit. Die Mütterrente ist ein wichtiges Element der Generationengerechtigkeit; denn hätte es die
Mütter damals nicht gegeben, dann gäbe es uns heute
auch nicht. Ich finde es schon ziemlich vermessen, dass
wir Jungen jetzt sagen: Tja, wir haben drei Rentenpunkte, wir haben Kitabetreuung, wir haben Elterngeld
und Betreuungsgeld, wir haben steuerliche Entlastungen,
die steuerliche Absetzbarkeit, wir haben kostenlose
Nachmittagsbetreuung, Kitas, Kindergärten, alles, was
man sich vorstellen kann, aber wir gönnen unseren Müttern, die all das nicht hatten, den zweiten Rentenpunkt
nicht.
({11})
Das hat etwas mit Ehrlichkeit und Generationengerechtigkeit zu tun.
({12})
Deshalb bin ich der Meinung, dass wir auch für die Mütterrente eintreten müssen; denn auch sie ist ein Teil der
Generationengerechtigkeit.
({13})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben viel zu
tun. Der Haushalt enthält viele gute Projekte, die die
Menschen in unserem Land umsetzen müssen. Wir haben das Ziel, den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft
zu stärken. Das wollen wir als Familienpolitiker tun. Wir
brauchen dafür aber auch die Wirtschaft. Wir brauchen
die Gesellschaft. Wir brauchen die Taktgeber des Alltags. Deshalb kann ich nur alle ermuntern, die großen
Fragen zum Thema Familienfreundlichkeit gemeinsam
zu diskutieren. Dann können wir vieles für unser Land
erreichen. Dann bekommen wir auch wieder Lust auf
Kinder
({14})
und Lust auf Familie. Dafür lohnt es sich zu arbeiten.
({15})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ekin Deligöz
das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das, was die Vertreterin der Koalitionsfraktionen hier
gesagt hat, und das, was Sie, Frau Ministerin, gesagt haben, hört sich alles sehr gut an.
({0})
Das ist alles sehr wohlklingend. Auch Ihr Koalitionsvertrag liest sich zunächst ganz gut.
({1})
Wenn man sich dann den Haushaltsentwurf, den Sie uns
vorgelegt haben, ansieht, ist man enttäuscht, weil sich
nichts von dem, was Sie hier versprechen, in Ihrer Vorlage abbildet.
({2})
Ihr Anspruch und die Realität klaffen extrem auseinander.
Ja, Ihr Einzelplan wächst, aber doch nur wegen steigender Inanspruchnahme von Elterngeld und Betreuungsgeld. Sie reden hier großartig von Ausbau und Qualität der Kindertagesbetreuung. Wo spiegelt sich das
denn wider? Diese Aufgabe ist dringend. Wir unterstützen Sie. Wir stehen dabei an Ihrer Seite und kämpfen dafür. Aber statt sich dafür einzusetzen, machen Sie daraus
erst einen Ressortstreit. Dann sagen sie hier: Ein richtiger Ressortstreit ist das nicht; die Länder sind auch noch
mit dabei. Und dann befürworten Sie so eine Art Pauschalüberweisung ohne Bindung an einen Auftrag. Sie
kämpfen ja noch nicht einmal dafür, Frau Ministerin.
Wir hätten von Ihnen wenigstens erwartet,
({3})
dass Sie sich dafür einsetzen, dafür einstehen und kämpfen, dass Sie sagen: „Ja, ich will mich für die Qualität
einsetzen“, statt hier weichzuspülen und sich herauszureden.
({4})
Sie könnten zum Beispiel Qualität verbindlich machen, indem Sie Standards setzen. Sie könnten das Kinder- und Jugendhilfegesetz ändern und sagen: „Das ist
verbindlich“, und nur dann das Geld überweisen. Aber
das machen Sie nicht. Das steht noch nicht einmal in Ihrem Koalitionsvertrag. Dieses Thema nehmen Sie noch
nicht einmal mehr in den Mund. Im Wahlkampf sah das
anders aus.
Selbst von den in Aussicht stehenden 1,5 Milliarden
Euro findet sich nichts in Ihrem Haushalt. Wenn Sie das
sozusagen trotzdem anpreisen, haben Sie den Kampf
schon verloren, und mit Ihnen haben auch die Kinder
und die Eltern diesen Kampf verloren. Das ist der Auftrag an Sie. Leider reichen warme Worte da nicht aus.
Sie müssen jetzt dazu stehen.
({5})
Das, was beim Elterngeld passiert, ist gut und erwünscht. Wir wollen, dass es von mehr Vätern in Anspruch genommen wird. Aber von einem Erfolgsmodell
können wir beim Betreuungsgeld schon nicht mehr sprechen. Es bindet eine halbe Milliarde Euro - das wird
jetzt immer mehr; die SPD klang da schon einmal ganz
anders -, und Sie alle wissen doch, dass wir das Geld
brauchen. Die gleichzeitige Teilerwerbstätigkeit von Elternpaaren hätten wir längst haben können. Es ging aber
nicht, weil das Geld fehlte. Über die Partnermonate im
Elterngeld reden wir gar nicht mehr. Beim Kindergeld
streiten Sie, Frau Schön. Ja, in der letzten Wahlperiode
haben Sie etwas geändert.
({6})
In dieser Wahlperiode werden Sie die Freibeträge für die
Besserverdienenden anpassen. Für die Kindergeldempfänger wird womöglich gar nichts herausspringen.
({7})
Und die Kinder von Eltern im ALG-II-Bezug schauen
aus der Ferne zu. Das ist Ihre Art von Gerechtigkeit in
diesem Land: Wer nichts hat, der geht leer aus. Damit
rühmen Sie sich hier auch noch.
({8})
Überhaupt: Zum Thema Kinderarmut habe ich bisher
kein einziges Wort gehört. Weder in Ihrem Koalitionsvertrag noch in den Reden findet Kinderarmut überhaupt
noch Platz. Das verwundert mich auch nicht. Eine Reform des Kinderzuschlags wird in den kommenden vier
Jahren ausbleiben. Ein angemessener Regelsatz wird,
wenn überhaupt, in die weite Ferne verschoben werden.
Der Unterhaltsvorschuss wird definitiv unangetastet
bleiben. Alleinerziehende Mütter, die vorwiegend von
Armut betroffen sind, bekommen zwar einen Freibetrag
- den Sie vielleicht anheben wollen -, aber nur die, die
auch ein entsprechendes Gehalt haben, profitieren davon. Alle anderen werden leer ausgehen.
Ich wünschte mir von Ihnen wirklich mehr Einsatz,
Frau Ministerin; denn eigentlich wissen Sie es besser.
Sie waren einmal eine Ministerin, die genau diese Themen in die Hand genommen hat. Umso enttäuschender
ist, dass Sie jetzt eine solche Vogel-Strauß-Politik machen und das alles gar nicht mehr wahrnehmen wollen.
({9})
Frau Ministerin, Sie haben womöglich auch keine andere Chance. Sie wollen verwalten statt gestalten.
({10})
Das liegt auch daran, dass der Wille zur Gestaltung Mut
zur Prioritätensetzung und Mut zur politischen Entscheidungsfindung voraussetzt. Diesen Mut haben Sie nicht.
Sie haben mit dem Koalitionsvertrag nämlich ein Stillhalteabkommen abgeschlossen.
({11})
Sie akzeptieren das Betreuungsgeld, sie akzeptieren das,
was Ihre Kollegen wollen, und damit haben Sie sich darauf eingelassen, auf die Gestaltung all der Punkte zu
verzichten, bei denen wir in diesem Land eigentlich Bewegung brauchen - zum Beispiel die Reform der Familienförderung oder eine gezielte Armutsförderung. Wir
brauchen auch in Ihrem Haus Macherinnen.
Frau Schön, Sie sprechen hier über die Evaluation der
Familienleistungen. Das ist nun die dritte Wahlperiode,
seitdem das angestoßen wurde. Wir wissen alles.
({12})
Wir haben Papiere und Studienergebnisse ohne Ende.
Wir kennen die Evaluationen. Sie liegen uns allen vor,
bleiben aber ohne Konsequenzen. Sie sagen: Von
180 Milliarden Euro, die dort investiert werden, fließen
zwei Drittel des Geldes in Steuern und Transfers und ein
Drittel in die Infrastruktur. Die anderen Länder haben
uns voraus, dass sie in die Infrastruktur investieren, in
die Qualität, in die Strukturen. Das alles wissen wir.
Aber Sie setzen mit dem Betreuungsgeld eher noch eins
drauf, statt sich um das zu kümmern, was fehlt.
Sie sprachen auch von Generationengerechtigkeit. Ja,
auch wir wollen diese, aber wir sagen: Wenn schon Solidarität, dann nicht nur Solidarität der Beitragszahler,
sondern Solidarität der gesamten Gesellschaft, sei es mit
den Rentnern, sei es mit unseren Kindern. Das ist echte
Solidarität.
({13})
Sie aber verschieben die Belastungen aus allen Richtungen auf die Kinder.
Eines kommt bei Ihnen überhaupt nicht vor. Wenn wir
schon über Seniorenpolitik reden, frage ich: Wer setzt
sich denn für die Frau ein, die im Alter von Grundsicherung leben wird? Wo bleibt Ihr Engagement gegen Altersarmut? Diese wird in Zukunft weiblich sein. Aber
das findet bei Ihnen gar nicht statt. Zwei Wochen Pflegezeit werden da nichts nutzen. Das wird ein Tropfen auf
den heißen Stein sein, auch wenn Sie sich damit rühmen.
Nötig ist vielmehr, dass wir uns für die Rechte dieser
Frauen einsetzen.
All dies aufzuzählen, ist frustrierend. Daher will ich
auch etwas Positives sagen.
({14})
Ich begrüße wirklich ausdrücklich - ich heiße dies aus
Überzeugung gut -, dass das Ministerium den Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs finanziell abgesichert hat.
({15})
An diesem Punkt kann man wirklich sehen, wie sehr es
notwendig ist, dass die Politik über Parteigrenzen hinweg zusammenhält, wenn es um Kinderschutz und die
Rechte der Kinder geht.
({16})
Ich wünschte mir, ehrlich gesagt, noch etwas mehr als
die finanzielle Absicherung der Beauftragtenstelle und
theoretische Kinderschutzdebatten, ich wünschte mir,
dass wir tatsächlich den Mut haben, Kinderrechte auch
ins Grundgesetz zu schreiben; denn das wäre wirklich
ein Meilenstein. Wir hätten vielleicht eine Mehrheit dafür. Aber daran, dass Sie den Mut und den Gestaltungswillen dazu haben, zweifle ich inzwischen.
({17})
Als nächster Redner hat der Kollege Marcus
Weinberg das Wort.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich komme gleich zu meiner Vorrednerin;
keine Angst. Ich will nur zunächst die Bemerkung über
das Taschengeld aufgreifen, weil der Vergleich mit Taschengeldverhandlungen durchaus treffend ist. Eines
muss ich sagen, und zwar unter haushaltspolitischen
Aspekten und als Elternteil, das Taschengeld ausgibt:
Wir können nur das Geld ausgeben, das wir haben.
Ich möchte im Hinblick auf den Haushalt drei Vorbemerkungen dazu machen, die für uns Familienpolitiker
wichtig und von Bedeutung sind:
Erste Bemerkung. Wir müssen in sehr kluger und umsichtiger Weise überlegen, wie wir die Gelder ausgeben.
Das sage ich gerade vor dem Hintergrund, dass wir Steuermittel, bevor wir sie verteilen können, erst einnehmen
müssen. Hier gilt der Grundsatz: Schulden, die wir heute
nicht machen, müssen unsere Kinder auch nicht zurückzahlen.
({0})
Das ist auch eine Errungenschaft der Familienpolitiker,
die diesen Einzelplan hier und heute beraten. Insofern ist
die schwarze Null, die wir für 2015 anstreben, ein epochaler Wechsel, ein Paradigmenwechsel im Hinblick auf
die Struktur des Haushalts.
({1})
Zweite Bemerkung. Das Gute am Einzelplan 17 ist,
dass wir uns in weiten Teilen einig sind, dass wir etwas
für die Familien tun und Geld in die Zukunft der Familien investieren wollen.
({2})
An dieser Stelle komme ich auf den Punkt zu sprechen,
den Sie erwähnt haben - Sie waren ja so enttäuscht -:
Vergleichen wir doch einmal die Situation, die Sie uns
2005 hinterlassen haben, mit dem, was wir in den letzten
acht Jahren aufgebaut haben.
({3})
Ich nenne nur zwei Haushaltstitel, in denen es zu einem
Paradigmenwechsel kam: Das ist Bildung und das ist Familie. Im Bereich Bildung geben wir heute 85 Prozent
mehr aus, als unter Rot-Grün ausgegeben wurde.
({4})
Für den Bereich Familie stellen wir 7,96 Milliarden Euro zur Verfügung. Im letzten Haushalt, den Sie
Marcus Weinberg ({5})
mitverantwortet haben, waren es 4,57 Milliarden Euro.
Das ist eine Steigerung um etwa 74 Prozent. Seit 2005
wird in diesem Land in Zukunft, in Familien und in Bildung investiert. Das ist im Vergleich zu Ihrer Regierungszeit ein Fortschritt.
({6})
Dritte Bemerkung. Bei den Haushaltsberatungen gilt
ein Prinzip, das viele vergessen haben: das Prinzip der
Subsidiarität. Wir wollen die Eigenverantwortlichkeit
und die Selbstständigkeit stärken.
({7})
Wir wollen Jugendlichen und Kindern, Frauen und Männern Teilhabe ermöglichen. Wir müssen die Selbstständigkeit und die Entfaltung von Fähigkeiten ermöglichen.
Für die verschiedenen Lebensphasen sind im Haushalt
unterschiedliche Leistungen vorgesehen. Die erste
Frage, die wir uns in den Beratungen stellen müssen,
lautet: Welche Möglichkeiten haben wir? Zweitens müssen wir uns fragen: Was wollen die Familien? In diesem
Haushalt muss deutlich zum Ausdruck kommen, was die
Familien wollen.
Wenn man sich anschaut, welche Wünsche Familien
äußern, dann stellt man fest: Die vier Wünsche, die von
Familien am häufigsten genannt werden, sind die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, bessere Bildungschancen für Kinder, gerade für Kinder aus bedürftigen
Familien, die finanzielle Stärkung junger Familien und
der Ausbau des Angebots an Krippenplätzen. Das waren
die Top-4-Nennungen von Familien.
Was haben wir in den letzten vier bzw. acht Jahren getan, und wo setzen wir mit Blick auf die nächsten Jahre
an? Ich möchte einige Beispiele nennen. Zur finanziellen
Unterstützung von Familien haben wir das Elterngeld
eingeführt. Das Elterngeld ist ein Erfolgsmodell.
5,37 Milliarden Euro geben wir dafür pro Jahr aus. Das
ist gut angelegtes Geld, weil es den Erwartungen und
Wünschen der Familien gerecht wird. Kindergeld und
Kinderfreibeträge wurden bereits angesprochen; hierfür
stellen wir circa 40 Milliarden Euro pro Jahr bereit. Da
ich auch kleinere Titel ansprechen will, weil sie wichtig
sind und unsere familienpolitischen Leitlinien deutlich
machen, erwähne ich auch die Bundesstiftung „Mutter
und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens“, die mit
92 Millionen Euro unterstützt wird.
({8})
Ein Beispiel für die Stärkung der Elternkompetenz ist
die Bundesinitiative „Netzwerk Frühe Hilfen und Familienhebammen“. Hierfür wurden 51 Millionen Euro in
den Haushalt eingestellt, und diese Mittel wurden verstetigt. Sie kommen der frühen Förderung von Familien,
die ihre Erziehungs- und Betreuungsleistung nicht so
leisten können, wie wir uns das vorstellen, zugute. Für
das Programm „Schwerpunkt-Kitas, Sprache & Integration“ stellen wir insgesamt 126 Millionen Euro zur Verfügung.
Lassen Sie mich ein letztes, signifikantes Beispiel
nennen. Eine Bitte von Familien lautete: Baut die Krippenplätze aus! - Es geht also um die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf. Seit dem 1. August letzten Jahres
gibt es den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz.
Auch das ist ein Paradigmenwechsel: dass wir es geschafft haben, dies in Deutschland hinzubekommen. Dafür haben wir 5,4 Milliarden Euro investiert.
({9})
845 Millionen Euro stellen wir dauerhaft bereit zur
Unterstützung der Länder. Da greife ich gerne auf, was
die Ministerin gesagt hat: Das Ziel muss sein, jetzt zu
überprüfen, wo wir die Qualität in diesem Bereich stärken können.
Aber eines muss auch deutlich gesagt werden: Wir
geben vonseiten des Bundes nicht Geld an die Länder
und sagen dann: Macht damit, was ihr wollt! - Wir erwarten von den Ländern, dass sie die Mittel auch entsprechend einsetzen und dass sie ihren Teil beitragen.
Deshalb werden wir alle Qualitätssteigerungen sehr eng
mit den Ländern - die bei dieser Aufgabe originär in der
Verantwortung sind - absprechen. Ich glaube, es wird
uns gelingen, dieses in den nächsten drei, dreieinhalb
Jahren im Rahmen eines Gesprächs oder eines Gipfels
mit den Ländern zu vereinbaren.
Mit den Maßnahmen der letzten Jahre und den Maßnahmen, die jetzt im Haushalt verstetigt werden - mit
den Mitteln, die zur Verfügung stehen -, schaffen wir es,
zwei Folien zusammenzuschieben. Dahinter steht die
Grundpositionierung unserer Familienpolitik. Welche
Grundpositionen definieren wir als Familienpolitiker?
Wir haben drei Grundpositionen:
Wir wollen den Eltern, den Familien nicht vorschreiben, wie sie ihr Familienbild gestalten sollen. Genau das
ist der Unterschied zwischen uns und Ihnen. Sie von der
Linken haben bei Ihrer Wortmeldung gerade noch einmal deutlich gemacht: Sie wollen eine Familie haben,
Sie wollen nur einen Dienst haben und möglicherweise
auch nur eine Partei.
({10})
Das ist nicht unser Prinzip in der Bundesrepublik
Deutschland. Wir wollen die Vielfalt der Familien anerkennen.
({11})
Diese Vielfalt, die sich gerade, auch durch die Veränderung der Familien, in den letzten Jahren herausgebildet
hat, müssen wir politisch durch Maßnahmen und Angebote unterstützen.
({12})
Und: Wir müssen uns unter dem Gesichtspunkt der
Wahlfreiheit genau überlegen, welche Angebote für welche Familienmodelle die passenden sind. Beim Modell
der Elternzeit - angesprochen wurde auch die Flexibili2492
Marcus Weinberg ({13})
sierung durch das neue ElterngeldPlus - gelingt es uns
doch auch, auf die verschiedenen Formen von Familie
und die Entwürfe von Menschen politisch genau die
richtigen Antworten zu finden: die Vielfalt zu stärken,
die Wahlfreiheit zu stärken und auch Vertrauen in die Familien zu haben. Wir wollen den Familien nicht vorschreiben, was sie zu tun haben: ob sie ihre Kinder in
eine Kindertagesstätte bringen oder ob sie die Kinderbetreuung zu Hause organisieren.
({14})
Wir stehen nicht über den Eltern, wir stehen an der Seite
der Familien, wir unterstützen sie politisch, wo wir können, in ihrer eigenen Freiheit.
({15})
Wir blicken jetzt voraus, Richtung 2014/2015. Viele
Themen wurden bereits angesprochen: dass man Müttern und Vätern in ihren Wünschen gerecht wird, partnerschaftlich mehr Zeit für die Familie und für die Kinder aufzubringen. Ich begrüße die Diskussion über die
sogenannte 35-Stunden-Woche für junge Eltern. Wenn
das von der Wirtschaft so formuliert wird, dann findet
das unseren vollen Applaus. Wir sagen aber auch: Das
kann die Wirtschaft alles in weiten Teilen schon regeln.
Der kulturelle Wandel, den wir erzeugen müssen, muss
nicht von uns mit finanziellen Mitteln angereichert werden, sondern das müssen Wirtschaft und Gesellschaft
schon so hinbekommen.
({16})
Wir haben aber den Blick darauf, wo wir dieses bei
den Leistungen, die wir anbieten, unterstützen können.
Die Elternzeit und das ElterngeldPlus, die Flexibilisierung - das heißt, verschiedene Modelle müssen auch
verschiedene Ergebnisse haben -, sind da der richtige
Weg. Wenn junge Familien Partnerschaftlichkeit leben
wollen, dann sind wir dafür, beim ElterngeldPlus vier
Monate zusätzlich bereitzustellen. Das ist ein klares
Signal, dass junge Eltern, die Erwerbstätigkeit und Familienzeit miteinander kombinieren wollen, von uns dabei unterstützt werden.
Ich glaube, das sind die richtigen Maßnahmen, und
diese Maßnahmen bilden sich auch in den großen Linien
im Haushalt ab.
Herr Weinberg, lassen Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Leutert zu?
Immer.
({0})
Eigentlich war das eher als Statement gedacht; aber
wir können es auch als Zwischenfrage machen.
Herr Kollege, weil es jetzt mehrmals angesprochen
wurde: Können Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass ich,
als ich vorhin über die Vielzahl der Dienste gesprochen
habe, damit einen SPD-Vorschlag noch einmal präsentiert habe? Sie richten sich in Ihren Reden immer gegen
uns, Marcus Weinberg ({0}) ({1}):
Aber Sie haben es ja gesagt.
- wenn Sie sagen, wir hätten gern eine Einheitspartei,
eine Einheitsfamilie und einen einheitlichen Dienst. Das
war aber ein Vorschlag der Ministerin aus dem Jahr
2011, dass es sinnvoller wäre, diese Dienste miteinander
zu koordinieren. Dabei geht es uns nicht darum, die Inhalte zu vereinheitlichen; vielmehr geht es mir als Haushälter darum - ich hoffe, das ist Ihnen sympathisch -,
Geld zu sparen, sorgsam mit den Steuergeldern umzugehen. Ich dachte immer, das ist auch in Ihrem Interesse.
Das ist offensichtlich nicht so.
Mein zweiter Punkt: Die Wahlfreiheit, von der Sie reden, ist hervorragend; aber welche Wahlfreiheit haben
denn arme Familien? Sie haben die Wahl zwischen
Hartz IV und Elterngeld. Diese Wahlfreiheit lehnen wir
ab.
Sorgen Sie dafür, dass es weniger arme Kinder gibt,
dann kommen wir auch zusammen.
({0})
Lieber geschätzter Herr Kollege, Sie sind hier in der
politischen Verantwortung, und in Ihrer Rede haben Sie
uns eines deutlich gemacht: Sie wollen nicht, dass sich
junge Menschen zwischen einem freiwilligen ökologischen Dienst, einem freiwilligen sozialen Dienst oder
was auch immer entscheiden können.
({0})
Sie haben gesagt, Sie wollen das in einem Dienst zusammenführen. Das entspricht nicht unserem Ansatz der
Vielfalt.
({1})
Wir wollen jungen Menschen verschiedene Dinge anbieten können - übrigens auch im Hinblick auf das Zeitfenster.
Der Bundesfreiwilligendienst ist eine Erfolgsgeschichte der letzten Jahre. Sie haben damals hier kritisiert, das alles wäre gar nicht umsetzbar, die Jugendlichen hätten gar kein Interesse daran, und dieses ganze
System wäre zum Scheitern verurteilt. Nehmen Sie bitte
zur Kenntnis: Heute können wir sagen, die jungen Menschen haben mehr für den Zusammenhalt der GesellMarcus Weinberg ({2})
schaft und der Gemeinschaft übrig, als wir - zumindest
Sie - denken.
Die Erfolgsgeschichte des Bundesfreiwilligendienstes
stärkt unsere Gesellschaft insgesamt; denn sie zeigt, dass
junge Menschen sich in unterschiedlichen Diensten und
nicht nur in einem Dienst engagieren wollen. Ich glaube,
das ist der Unterschied zwischen Ihrer Grundphilosophie
und unserer. Wir wollen Vielfalt stärken - auch für die
jungen Menschen -, und das tun wir auch.
Vielen Dank.
({3})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Diana Golze
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Es wurde heute schon mehrfach gesagt:
Ein Haushalt ist in Zahlen gegossene Politik. - Schon
nach dem Lesen des Koalitionsvertrags kann man hier
jedoch nicht viele Hoffnungen haben, aber bekanntlich
soll man die ja nicht aufgeben. Da auf 183 Seiten Koalitionsvertrag das Wort „Kinderarmut“ nicht einmal vorkommt - Frau Schön, auch Sie haben das gesagt -, mache ich mir aber nicht viele Hoffnungen, dass man das
Problem lösen will.
Wie gesagt: Kindergeld und Kinderfreibetrag kommen bei Kindern von Hartz-IV-Beziehenden überhaupt
nicht an.
({0})
Für sie haben Sie nichts; Sie haben keine Lösungen vorgeschlagen - auch in diesem Haushalt nicht.
({1})
Ich habe auch deshalb die Hoffnung gehabt, dass sich
hier etwas ändern wird, weil Sie ziemlich viel Zeit gebraucht haben, um uns diesen Haushaltsentwurf vorzulegen. Nach der Lektüre frage ich mich allerdings: Warum? Bis auf die Drucksachennummer entspricht er
nämlich fast dem Entwurf, der uns schon im Sommer
des letzten Jahres von Schwarz-Gelb zugestellt worden
ist. Warum haben wir das dann nicht schon längst diskutiert? Warum muss der Familienausschuss morgen um
8 Uhr zu einer Sondersitzung zusammenkommen und
schon in der nächsten Sitzungswoche unseren Einzelplan
beschließen? Warum haben wir die Zeit bis zum April
nicht genutzt, um eine wirkliche, an der Sache orientierte
Diskussion zu führen?
Vor allem frage ich mich aber: Warum unterscheiden
sich die Haushalte nicht aufgrund dessen, dass es unterschiedliche Regierungen sind? Warum unterscheiden sie
sich im Bereich der Familienpolitik nicht? Worin liegt
- das frage ich allen Ernstes - der Mehrwert eines SPDgeführten Familienministeriums?
({2})
Ich möchte die einzelnen Themengebiete einmal kurz
beleuchten:
Sie haben zur letzten Bundestagswahl ein SPD-Wahlprogramm gehabt, in dem es um moderne Familienpolitik, unterschiedliche Lebensentwürfe, die verwirklicht
werden können sollen, Partnerschaftlichkeit, Ganztagsbildung und eine gute materielle Absicherung für Kinder
ging. Was ist davon im Haushaltsentwurf aber tatsächlich übrig geblieben?
Das Betreuungsgeld - ich muss es einfach noch einmal sagen - wollten Sie, sobald Sie in der Regierung
sind, als Allererstes abschaffen. Alleine in diesem Jahr
schlägt es mit 515 Millionen Euro zu Buche. Mehr als
eine halbe Milliarde Euro wollen Sie dafür ausgeben,
dass Eltern ihre Kinder nicht in die Kitas geben,
({3})
die - Herr Weinberg, Sie haben es angesprochen - mit
5,4 Milliarden Euro Bundesmitteln gefördert worden
sind. Ich verstehe das nicht. Das ist hinausgeschmissenes
Geld.
({4})
Statt dieses Geld in eine Qualitätsoffensive für Kitas
zu stecken, wird davon nicht einmal gesprochen. Das
Kitaqualitätsgesetz steht nicht im Koalitionsvertrag und
findet sich deshalb auch nicht im Haushalt wieder.
Sie sagen jetzt, Sie wollen 6 Milliarden Euro ausgeben. Das ist ganz prima. 5,4 Milliarden Euro haben Sie
einmal allein für den Kitaausbau ausgegeben. Jetzt wollen Sie für insgesamt 6 Milliarden Euro für die Kitas, die
Schulen, die Hochschulen und die Forschung gelobt
werden.
({5})
- Das andere war auch zusätzlich. - Dafür kann man
nicht gelobt werden. Damit kann man das, was Sie hier
behaupten, einfach nicht umsetzen.
({6})
Im Bundestagswahlkampf haben wir über die Familienförderung und deren Zielgenauigkeit gesprochen. Die
SPD hat in ihrem Wahlprogramm zu Recht festgestellt,
dass ein Spitzenverdiener für seine Kinder mehr entlastet
wird als ein Normalverdiener, und Sie haben das zu
Recht als ungerecht beschrieben. Es ändert sich aber
nichts daran - auch in diesem Haushalt nicht.
Klar, die Mittel für das Kindergeld stehen nicht in unserem Einzelplan; aber die Familienministerin hat bei
der Aushandlung zwischen den Ressorts anscheinend
nicht genug Einfluss gehabt. Denn die sparsame Kinder2494
gelderhöhung um 2 Euro wurde auf die lange Bank geschoben. Der Kinderfreibetrag soll aber erhöht werden.
Es bleibt also dabei, dass ich als Bundestagsabgeordnete für meine beiden Kinder stärker entlastet werde als
meine Nachbarin, die in einem Supermarkt arbeitet. Eine
Hartz-IV-Bezieherin bekommt gar nichts für ihre Kinder,
weil das Kindergeld beim Arbeitslosengeld II angerechnet wird. Das ist und bleibt ungerecht; es ist ein großer
Fehler.
({7})
Die Reform des Kinderzuschlags ist schon angesprochen worden. Der Kinderzuschlag wurde seinerzeit erfunden, um Eltern den Weg zu Hartz IV zu ersparen,
wenn sie nur aufgrund des Bedarfs ihrer Kinder in
Hartz IV rutschen würden. Der Kinderzuschlag sollte
seit längerem reformiert werden. In diesem Haushalt
wird der Ansatz sogar noch gekürzt, und zwar um fast
10 Millionen Euro. Das kann ich nicht nachvollziehen.
Das Versprechen der Anrechnungsfreiheit von Elterngeld und Betreuungsgeld auf das Arbeitslosengeld II
wird auch in diesem Haushalt nicht erfüllt. Es ist im
Haushaltsplan nicht auffindbar. Wo bitte ist die Förderung von Familien mit kleinen Einkommen? Wo ist die
Förderung von Familien ohne Erwerbseinkommen? Ich
kann das in diesem Haushalt nicht finden. Dieses Wahlversprechen ist nicht erfüllt worden.
({8})
Ich komme zum Thema Alleinerziehende. Alleinerziehende, die das Problem haben, dass geschiedene oder
getrennte Partner den Unterhalt für die Kinder nicht
zahlen, haben die Möglichkeit, einen sogenannten Unterhaltsvorschuss zu beantragen. Der Tigerentenklub
hatte 2009 im Koalitionsvertrag versprochen, den Unterhaltsausschuss auszuweiten. Nicht einmal ein solches
Versprechen findet sich im aktuellen Koalitionsvertrag.
Aber jetzt setzt dieser Haushalt noch eins drauf: Der
Ansatz für Unterhaltsvorschuss wird sogar noch um
20 Millionen Euro gekürzt. An der sinkenden Zahl der
Alleinerziehenden, die auf diese Leistung angewiesen
sind, kann es nicht liegen. Bitte erklären Sie mir diese
Kürzung! Aber erklären Sie sie vor allem den Betroffenen!
({9})
Zu guter Letzt zur Jugendpolitik: Sie wollten für eine
gute Jugendpolitik gute Infrastruktur zur Verfügung stellen, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD. Auch die
CDU/CSU hat festgestellt, der Kinder- und Jugendplan
habe sich - ich zitiere - „als wichtiges Instrument erwiesen, um die Arbeit der Jugendverbände zu unterstützen“.
Im letzten Haushalt hat die SPD dafür noch 5 Millionen
Euro mehr beantragt. Wie erklären Sie es - vor allem
den Jugendverbänden, die davon betroffen sind -, dass
der Kinder- und Jugendplan um 1,5 Millionen Euro gekürzt wird?
({10})
Das ist nicht verlässlich. Es werden Strukturen abgebaut und Angebote gestrichen. Ich kann das nicht nachvollziehen.
({11})
Zu der Vereinheitlichung von Freiwilligendiensten,
die Sie uns unterstellen: Uns ging es einfach darum, zu
prüfen, warum die Jugendlichen in den Freiwilligendiensten unterschiedlich behandelt werden. Warum bekommen sie eine unterschiedlich hohe Entschädigung
dafür? Warum kann man das nicht angleichen, und zwar
auf dem hohen Niveau statt auf dem niedrigen? Wenn
man das Engagement dieser jungen Leute anerkennen
will, dann haben wir noch einen weiten Weg vor uns.
({12})
Ich bitte darum, dass die Anträge der Opposition in
den Haushaltsberatungen ernsthaft geprüft werden,
({13})
auch wenn wir wenig Zeit dafür haben, statt sie aufgrund
des Absenders einfach abzulehnen.
Vielen Dank.
({14})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Carola
Reimann das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frauen bekommen für ihre Arbeit immer noch ein Viertel weniger Gehalt als Männer. Das ist ein fortwährender
Skandal und ein eklatanter Verstoß gegen die Würde der
Frauen und auch gegen das Gleichbehandlungsgebot unseres Grundgesetzes.
({0})
Über Jahre und Jahrzehnte haben Frauen diese Ungerechtigkeit mehr oder minder klaglos hingenommen.
Jetzt endlich tut sich etwas. Manuela Schwesig und
Andrea Nahles ergreifen die Initiative. Sie haben gemeinsam ein Maßnahmenpaket geschnürt, um Frauen
endlich zu ihrem Recht auf gleiche und bessere Bezahlung zu verhelfen.
Dieses Maßnahmenbündel wird sich auch auf den
Bundeshaushalt positiv auswirken. Denn gerecht bezahlte Frauen zahlen mehr Steuern. Gerecht bezahlte
Frauen sind weniger auf ergänzende Sozialleistungen
angewiesen - im Übrigen gilt das auch für deren Kinder,
Kollegin Golze -, und gerecht bezahlte Frauen sind im
Alter seltener arm, womit wir auch die gesamte Rentenproblematik angesprochen haben.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu den Maßnahmen
gehört erstens die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Der gesetzliche Mindestlohn ist nicht irgendeine Reform. Er ist eine soziale Errungenschaft, und profitieren werden von ihm vor allem Frauen. Denn sie sind
diejenigen, die häufig mit Niedriglöhnen in schlechten
Jobs abgespeist werden. Mehr als 2 Millionen weibliche
Beschäftigte werden künftig mehr Geld in der Lohntüte
haben.
Zu den Maßnahmen gehört zweitens gleicher Lohn
für gleiche und gleichwertige Arbeit. Es kann passieren,
dass Frauen und Männer im gleichen Betrieb für die
gleiche Tätigkeit unterschiedlich bezahlt werden. Das
muss sich ändern. Wir wollen ein individuelles Auskunftsrecht einführen, das den Beschäftigten erlaubt, die
Bezahlung von Kollegen zu erfragen und mit ihrer vergleichen zu können. So kann eine Lohnungleichheit im
Betrieb überhaupt erst sichtbar werden. Für Unternehmen, die nicht fair und gleich bezahlen, wollen wir verbindliche Verfahren entwickeln, mithilfe derer Arbeitgeber, Betriebsräte und Beschäftigte gemeinsam mit ihrem
Unternehmen für Entgeltgleichheit sorgen können.
({2})
Zu den Maßnahmen gehört drittens die gesetzliche
Quote für Frauen in Aufsichtsräten. Das hat Signalfunktion. Frauen kommen trotz bester Leistung und bester
Qualifikation immer noch nicht oben in den Chefetagen
der Unternehmen an. In den Behörden herrscht viel zu
oft noch eine nahezu hundertprozentige Männerquote.
Auch das ist ein wesentlicher Grund für die Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen. Dieser Männerquote machen wir den Garaus, indem wir gesetzliche
Regelungen zugunsten von Frauen, die in Führungspositionen arbeiten möchten, einführen. Auf diese Weise
werden Frauen die Türen zu Chefinnenbüros und somit
auch zu Spitzengehältern geöffnet. Damit sind wir wieder beim Geld.
({3})
Zu den Maßnahmen gehören viertens stärkere Rechte
für Teilzeitbeschäftigte. Entscheidet sich eine Frau familienbedingt für Teilzeit, muss sie in Anbetracht einer
schlechteren Entlohnung und des Verzichts auf berufliche Entwicklung häufig einen sehr hohen Preis bezahlen. Damit Teilzeit für Frauen nicht länger zur Falle
wird, führen wir einen Rechtsanspruch ein, der es den
Beschäftigten ermöglicht, auf eine Vollzeitstelle zurückzukehren.
({4})
Wir müssen gleichzeitig dafür sorgen, dass diese
Teilzeitarbeit nicht länger diskriminiert wird und Teilzeitbeschäftigte ganz selbstverständlich Karriere machen
können.
Beim Elterngeld werden wir die Benachteiligung von
Teilzeitbeschäftigten abschaffen. Wir werden das bestehende Elterngeld erweitern und um ein ElterngeldPlus
ergänzen. Damit wird es künftig möglich, nach der
Geburt eines Kindes früher in Teilzeit in den Beruf zurückzukehren, und zwar ohne benachteiligt zu werden,
wie es bisher beim Elterngeld der Fall war.
Ich bin froh, dass unser Erfolgsmodell Elterngeld bei
den Eltern weiterhin so gut ankommt und es auch von
immer mehr Vätern in Anspruch genommen wird. Das
erklärt auch den deutlichen Anstieg an Mitteln im Haushalt für das Elterngeld. Auch wenn Haushälter von Natur
aus Aufwüchsen eher kritisch gegenüberstehen - Kollege Leutert hat gerade gesagt, wir sparen lieber -: Dieser Aufwuchs beim Elterngeld ist gut investiert,
({5})
und zwar in Familien und in ein familienfreundlicheres
Deutschland.
Vielen Dank.
({6})
Als nächste Rednerin hat Franziska Brantner das
Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Irgendwie erleben wir jetzt schon zum x-ten Mal die Selbstbeweihräucherung dieser Großaktionäre. Ich halte es bald nicht
mehr aus.
({0})
- Großkoalitionäre; sorry.
({1})
- Mal gucken! Wie war das: „Genosse der Bosse“? - Sie
machen uns hier pausenlos ein X für ein U vor. Sie tun
so, als ob Sie etwas für die nächsten Generationen täten,
nur weil Sie einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen.
({2})
Das ist aber bei den derzeitigen wirtschaftlichen Daten
und den niedrigen Zinsen kein Hexenwerk; das hat übrigens Herr Oppermann selber zugegeben.
({3})
Wer von den Jüngeren hier im Raum - es sind ja leider nicht so wahnsinnig viele 2496
({4})
- da oben, danke schön; Sie werden gleich hören, warum
ich von den Jüngeren gesprochen habe -, glaubt denn
ernsthaft daran, dass wir mit 63 Jahren in Rente gehen
können? Es wird, wenn wir Glück haben, wohl eher mit
73 Jahren sein, weil die Rentenkassen von Ihnen so sehr
geplündert wurden. Mit 73 sind wir doch froh, wenn wir
endlich in Rente gehen können, oder? Sie da oben auf
den Zuschauertribünen werden wahrscheinlich erst mit
80 Jahren in Rente gehen können, wenn die Rentenkassen weiter geplündert werden.
({5})
Wer glaubt denn wirklich, dass mit dem vorliegenden
Haushalt und mit diesen Entscheidungen die richtigen
Prioritäten für die nächsten Generationen gesetzt werden? Wer glaubt denn wirklich, dass hier genügend und
ausreichend in Bildung und in die Chancen und Möglichkeiten der nächsten Generationen investiert wird?
Wer glaubt wirklich, dass 160 Milliarden Euro für die
Rentner zu 6 Milliarden Euro für Betreuung und Bildung
und Forschung das richtige Verhältnis sind?
({6})
Dabei helfen diese Milliarden noch nicht einmal bei
der Bekämpfung von Altersarmut; das ist ja das Traurige
daran. Wenn die Milliarden wenigstens zur Bekämpfung
von Altersarmut beitragen würden, dann wäre das
wenigstens etwas, aber sie helfen hierbei ja noch nicht
einmal.
Wir brauchen dringend mehr Geld für gute Kitas, für
gute Schulen, für gute Ganztagsschulen. Wir brauchen
nicht nur ein Satt und Sauber, sondern Bildung und
Chancen.
({7})
Ich nenne ein Beispiel. Überall in Deutschland ist folgende Situation permanent zu finden: Zwei Betreuer und
zehn Kinder unter zwei Jahren.
({8})
Nehmen wir einmal an, diese zwei Betreuer sind Herr
Weinberg - Herr Weinberg, hören Sie mir zu ({9})
und Herr Rix. Diese beiden haben zehn Kinder unter
zwei Jahren zu betreuen,
({10})
die nicht alleine auf den Topf können, die nicht alleine
essen können, die nicht mehr als ein paar Worte sprechen
können und die auch sonst ziemlich viel Aufmerksamkeit brauchen. Dann wird Herr Weinberg krank und Sie,
Herr Rix, sind alleine mit den zehn Kindern. Dann bekommen Sie richtig Spaß. Sie werden nach Hilfe und
Verstärkung rufen.
Was wir also brauchen, ist Geld zur Verstärkung des
Betreuungspersonals für die Kinder.
({11})
- Er kann das mit den zehn Kindern? Na gut.
Achtung - auch die Linke passt bitte auf -: Dann
kommt eine Stimme aus der Wohlfühllounge der Großen
Koalition und sagt: Hey, Marcus, hey, Sönke, habt ihr
vergessen: Die Kleinen sind weder Stammwähler der
CDU noch der SPD - ({12})
- Ja, klar.
Sie sehen nichts in Ihrem Koalitionsvertrag vor, Sie
machen nichts in diesem Haushalt, damit endlich genügend Geld in die Qualität fließt. Sie sagen, insgesamt
gebe es genug Geld, aber Sie machen keinen guten Vorschlag, damit Geld in die Qualität fließt.
({13})
Gegen Kinderarmut unternehmen Sie auch nichts.
Frau Schwesig, Sie haben vorgeschlagen, den Kinderzuschlag zu erhöhen. Dazu ist in diesem Haushalt aber
gar nichts zu finden. Die Mittel zum Kinderzuschlag
werden sogar reduziert, und zwar um 10 Millionen Euro;
das wurde schon genannt.
({14})
In Deutschland lebt jeder zweite, der alleinerziehend ist,
von Hartz IV. Ich finde, es ist eine Schande für dieses
reiche Land Deutschland, dass der Status „Alleinerziehend“ ein so großer Faktor ist, um bei Hartz IV zu landen. Was machen Sie beim Unterhaltsvorschuss: Wie
wollen Sie diesen vereinfachen? Wollen Sie die Grenze
von zwölf Jahren aufheben? Wollen Sie Bürokratie abbauen? Auch dazu haben wir keine Vorlagen.
Es gibt von Ihnen auch keine besonderen Alternativen. Okay, Sie haben das Betreuungsgeld erhöht; das
stimmt. Das Kindergeld wird dagegen nicht erhöht, und
zwar ohne Begründung. Auf eine Anfrage von uns hat
die Regierung geantwortet, man könne sich auf keine
Begründung einigen, warum es keine Erhöhung beim
Kindergeld gibt.
({15})
Sie können sich noch nicht einmal auf eine Begründung
einigen. Das finde ich interessant. Eine Erhöhung wird
vielleicht 2016 als Wahlkampfgeschenk angekündigt.
Die Gelder für die Finanzierung von Schulsozialarbeitern laufen aus. Das macht 400 Millionen Euro.
Und Sie kommen mit 4 Millionen Euro für Sprachförderung! Dann feiern Sie sich für diesen Haushalt auch
noch, anstatt sich richtig dafür zu schämen.
({16})
Ein letzter Punkt zur Vereinbarkeit von Familie und
Beruf und zum ElterngeldPlus. Wir begrüßen die Einführung, denken aber, dass der Fokus zu stark auf Familien mit Kleinkindern und noch längst nicht auf den Beschäftigten liegt. Was Sie vorhin gesagt haben, Frau
Schön, ist absolut richtig. Ich bin bei Ihnen, wenn Sie sagen, wir müssten noch andere Rahmenbedingungen auf
dem Arbeitsmarkt schaffen. Warum ist es in Deutschland
nicht möglich, mit Kindern Vollzeit zu arbeiten? Das
muss doch auch bei uns möglich sein. Die einzige
Option kann doch nicht sein, Teilzeit zu arbeiten. Denn
manche Menschen können es sich gar nicht leisten,
Teilzeit zu arbeiten. Ich finde, wie auch Herr Weinberg
gesagt hat, dass es nicht Aufgabe des Staates sein kann,
die Teilzeit der Eltern permanent zu finanzieren. Wir
brauchen eine Antwort darauf, ob auch eine Vollzeittätigkeit mit Familie vereinbar ist.
({17})
Unsere Antwort darauf ist, dass es rechtliche Rahmenbedingungen zum Beispiel mit einem Recht auf
familienfreundliche Arbeitszeiten geben muss. Das gibt
es in Deutschland noch nicht, aber in vielen anderen europäischen Ländern.
({18})
Das wäre ein Vorschlag, von dem ich denke, dass diese
Regierung ihn aufnehmen könnte. Dann könnte sie auch
die restlichen Faktoren endlich angehen, von denen Frau
Schön korrekterweise gesprochen hat.
Ich danke Ihnen.
({19})
Als nächster Redner hat der Kollege Peter Tauber das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Brantner, Grund, sich zu schämen hat man manchmal in vielerlei Hinsicht. Aber bei dem Haushalt, den
wir hier vorlegen, bei dem, was wir zum Teil an Kontinuität haben, zum Teil aber auch an neuen Projekten vorbringen, ist das ein sehr starkes Wort, das Sie an die
Ministerin adressieren. Mich würde einmal interessieren,
wann Sie sich eigentlich schämen. Ich finde es sehr ungebührlich, eine Debatte, die wir sehr gerne in der Sache
führen, emotional so aufzuladen und vor allem dann
noch mit solchen Vorwürfen und einer solchen gespielten Entrüstung hier aufzutreten. Das wird der Sache
nicht gerecht.
({0})
- Sie schreien ja schon wieder dazwischen. Das zeigt ja,
dass Sie offensichtlich keine Argumente haben. Deswegen wird gleich wieder zur Lautstärke gegriffen.
Wenn wir uns den Haushalt anschauen - das ist natürlich sehr spannend, wenn wir hier in der Runde sitzen
und ein paar vertraute Gesichter sehen, Kolleginnen und
Kollegen, die in den letzten vier Jahren schon in der Familienpolitik miteinander diskutiert haben, durchaus in
anderer Konstellation -, dann gibt es ja ein paar Punkte,
die ganz bemerkenswert sind. Ich rate uns - deswegen
habe ich Sie auch persönlich zu Beginn der Debatte adressiert -, da ein bisschen abzurüsten. Wenn wir es nämlich ernst damit meinen, dass es uns um die Familien und
um die Kinder geht, dann können wir uns diesen ganzen
Schabernack zwischendurch, den Sie da eben vollführt
haben, gerne schenken.
({1})
Wenn wir bei den Perspektivwechseln sind - das ist
für Sie vielleicht nicht so nötig; denn Sie sind einfach
stumpf in der Opposition sitzen geblieben, die Linke
auch -, dann muss man natürlich sagen
({2})
- bei Ihnen ist es auch gut so; das wird auch noch lange
so bleiben -,
({3})
dass in der Großen Koalition Christdemokraten und Sozialdemokraten miteinander um den richtigen Weg ringen, und dann werden wir feststellen, dass es Bereiche
gibt, in denen sich durch das Aufeinanderzugehen neue
Positionen ergeben und wir an manchen Stellen jetzt
auch gemeinsam wichtige Dinge machen.
({4})
Ich will ein Beispiel nennen, weil es in der Debatte
auch schon eine Rolle spielte: das Thema Extremismusklausel. Sie wissen, die war uns wichtig. Die SPD hat
immer dagegen argumentiert. Jetzt ist das Formblatt, das
bei Förderanträgen separat zu unterschreiben war, weg.
Die Ministerin hat sich mit ihrem Kollegen, Herrn de
Maizière, darauf verständigt, dass die Sache selbst, um
die es uns ging, nämlich dass wir nicht wollen, dass
Extremisten gefördert werden, um Extremisten zu bekämpfen, durch eine Verwaltungsvereinbarung weiterhin
gewährleistet ist. So, finde ich, kann man in der Sache
gut miteinander arbeiten. Es bleibt dabei: Wir wollen
junge Menschen für Demokratie begeistern. Deswegen
gibt es Programme gegen Rechtsextremismus, der nach
wie vor ein großes Problem in dieser Gesellschaft ist.
Aber wir sind da nicht blind und nehmen jede Form von
Extremismus in diesem Land als Gefahr für die Demokratie ernst. Das machen wir jetzt gemeinsam. Ich finde,
das ist ein gutes Signal.
({5})
Ein weiteres gutes Signal ist die Eigenständige Jugendpolitik, weil wir natürlich die Aufgabe haben, uns
auch um solche jungen Menschen zu kümmern, die es
schwer haben, die einen Bruch in ihrem Lebenslauf erfahren haben, die es nicht alleine schaffen, wieder auf
die Beine zu kommen. Es gibt aber auch viele junge
Menschen, die beeindruckend sind, die ihr Leben selbst
in die Hand nehmen, die etwas auf den Weg bringen. Um
die muss sich Politik genauso kümmern; für die müssen
wir auch Angebote machen. Deswegen ist es so wichtig,
dass die Eigenständige Jugendpolitik weitergeht.
({6})
Dazu gehören als nächste Säule natürlich die Freiwilligendienste. Die Wahrheit ist: Zu Beginn der Debatte
über die Aussetzung der Wehrpflicht und das Ende des
Zivildienstes war die Zahl derjenigen, die gesagt haben:
„Es funktioniert. Wir bauen eine neue Säule der Freiwilligendienste neben das bestehende FSJ“, sehr überschaubar. Inzwischen gibt es jährlich 100 000 Menschen, die
einen Freiwilligendienst leisten - in der ganzen Vielfalt.
Das zeigt doch, dass es richtig ist, auf diese Vielfalt zu
setzen, unterschiedliche Angebote zu machen - vom
Bundesfreiwilligendienst bis zum klassischen FSJ oder
dem FÖJ -, um es Menschen zu ermöglichen, sich ehrenamtlich zu engagieren, sogar für einen längeren Zeitraum.
Wenn das dazu führt, dass das im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes auch Ältere machen, dann sind
wir sehr schnell bei dem Anspruch, dass es nicht nur darum geht, den Jüngeren eine Perspektive zu vermitteln,
sondern auch darum, den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt, den Zusammenhalt der Generationen zu
fördern. Das, finde ich, wird durch diesen Bundesfreiwilligendienst, gerade wenn ihn Ältere leisten, ganz
wunderbar zum Ausdruck gebracht.
({7})
Als eine weitere Säule gehört dazu das Projekt der
Mehrgenerationenhäuser, das sich inzwischen in der
zweiten Förderstufe befindet. Wir müssen dringend
überlegen, wie wir das verstetigen und eine Fortsetzung
über diesen Förderzeitraum hinaus ermöglichen. Diese
Mehrgenerationenhäuser sind oft Leuchttürme für den
Zusammenhalt der Generationen in unserem Land.
({8})
Frau Ministerin, wenn wir gemeinsam einen Weg finden,
das zu verstetigen, wäre das aus unserer Sicht eine wirklich gute Sache.
Bislang habe ich vor allem gesellschaftspolitische
Punkte genannt. Wenn wir aber über die Situation von
Familien im Speziellen reden, dann wird sehr schnell
klar: Es gibt eine Fülle von Themenfeldern, mit denen
wir uns permanent beschäftigen müssen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nach wie vor ein Thema,
genauso wie die wirtschaftliche Stabilität zugunsten von
Familien. Kinder zu fördern, gerade diejenigen, die zu
Hause keine Förderung erfahren, wird ein Thema bleiben. Wir werden hier immer an der Sollbruchstelle entlang arbeiten und dabei berücksichtigen müssen, dass
die Förderung durch beide Elternteile oder ein Elternteil
immer besser sein wird, wenn es mit Liebe und Herzblut
geschieht, als die durch staatliche Institutionen, die nur
auffangen können. Trotzdem brauchen wir für Kinder,
die zu Hause keine Förderung erfahren, staatliche Institutionen. Deswegen gibt es das Bildungs- und Teilhabepaket. An manchen Stellen brauchen wir auch mehr
Betreuungsangebote. Aber wir sollten aufhören, zu glauben, der Staat könne das komplett auffangen, was Eltern
oft auf hervorragende Art und Weise leisten. Staatliche
Angebote können nur eine Ergänzung sein. Aber diese
brauchen wir für viele Kinder.
({9})
Wir müssen auch darüber reden, welche Rahmenbedingungen diese Gesellschaft für junge Paare setzt. Viele
junge Paare wünschen sich Kinder, bekommen aber aus
verschiedenen Gründen keine. Wir wollen, dass sich
mehr Paare für Kinder entscheiden. In diesem Zusammenhang müssen wir auch darüber debattieren, wie wir
einen Ausgleich zwischen denjenigen, die Kinder haben,
und denen, die keine haben, schaffen können, und zwar
auch bei den sozialen Sicherungssystemen. Ich finde es
richtig, dass es im Pflegebereich eine Komponente gibt,
die Kinderlose stärker beteiligt; denn diese haben im
Zweifelsfall niemanden, der sie später pflegt oder der
Beiträge zahlt. Diese Debatte werden wir im Zusammenhang mit Ausbau und Weiterentwicklung der sozialen
Sicherungssysteme dringend führen müssen.
({10})
Drei Faktoren spielen in der Debatte eine zentrale
Rolle. Wir reden seit Jahren über die Infrastruktur. Des
Weiteren reden wir über Geld. Das ist bekanntlich
knapp, weil die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse einen ausgeglichenen Haushalt erfordert. Zudem
ist es uns ein Herzensanliegen, endlich einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Für die Glaubwürdigkeit
der Politik ist es wichtig, dass wir es endlich schaffen,
nur so viel Geld auszugeben, wie wir einnehmen. Keine
Familie könnte auf Dauer anders wirtschaften. Wir tun
es nun. Das ist auch gut so, insbesondere wenn wir über
Familien reden.
({11})
- Darauf komme ich gleich zurück. Danke für das Stichwort!
Ein weiterer entscheidender Punkt ist die Zeit. Diesen
Faktor hat Kristina Schröder in den letzten vier Jahren in
die Debatte neu eingebracht. Frau Ministerin, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie sagen: Das bleibt ein Faktor
in der Debatte. - Natürlich brauchen Familien Zeit für
sich. Es macht keinen Sinn, sich eine Familie zu wünschen, wenn man sie nicht leben kann. Angesichts desDr. Peter Tauber
sen werden wir bei allen Debatten um das liebe Geld immer wieder darauf hinweisen müssen: Wir wollen keine
vollkommene Ökonomisierung von Familie.
({12})
Familie entzieht sich an vielen Stellen einer Berechnung
auf Cent und Euro. Vielmehr geht es darum, Freiräume
zu schaffen, um Gesellschaft und Familie erlebbar zu
machen, um Kinder zu beobachten und mit ihnen groß
zu werden und um im Alter jemanden zu haben, der sich
um einen kümmert. All das prägt Familie und macht unsere Gesellschaft erst solidarisch und menschlich. Es ist
ganz wichtig, dass wir darüber reden.
Ich empfehle jedem, auch Ihnen, lieber Herr Kollege
Leutert - herzlichen Dank für den Zuruf zum Betreuungsgeld -, die sehr lesenswerte Studie der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften unter Federführung von Herrn Professor Günter Stock. Er hat
uns allen folgenden wichtigen Punkt mit auf den Weg
gegeben: Wir sollten uns von dem Gedanken verabschieden, dass es ein Konzept gibt, das auf jeden und alle
passt. „One fits all“ gibt es in der Familienpolitik nicht
mehr, allein weil sich unsere Gesellschaft so verändert
hat und vielfältiger geworden ist.
({13})
Wenn dem so ist, dann brauchen wir für jeden ein passendes Angebot. Damit bin ich beim Betreuungsgeld.
Herr Leutert, Sie waren genauso wie viele andere immer
dagegen. Aber es ist ein Erfolg, und viele freuen sich darüber und brauchen es. Andere wiederum brauchen andere Antworten, Modelle und Projekte. Ich jedenfalls
sehe mich außerstande, über Familien zu richten, zu urteilen oder ihnen vorzuschreiben, was für sie das Richtige ist.
({14})
Ich will ein Land, in dem die Familien selber entscheiden und aussuchen können, was sie wollen. Sie sind auf
einem anderen Weg: Sie wollen zurück zu einem Staat,
der allen alles vorschreibt. Auf diesem Weg können Sie
gerne weiterlaufen. Aber ich bin mir ziemlich sicher,
dass Sie dann weitgehend alleine laufen.
In diesem Sinne haben wir die richtigen Weichenstellungen gewählt. Ich freue mich auf die Debatten - auch
mit Ihnen, lieber Herr Kollege - in den nächsten Jahren.
Herzlichen Dank.
({15})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner
hat Sönke Rix das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Peter Tauber, dass du ausgerechnet zum Schluss
das Betreuungsgeld angesprochen hast,
({0})
war ein bisschen gemein; denn wir halten das Betreuungsgeld nach wie vor für falsch.
({1})
Man darf hier auch einmal sagen, dass man sich in diesem Punkt in der Koalition nicht geeinigt hat. Es ist nun
einmal so bei Koalitionen, dass man sich nicht in allen
Punkten einigt. Gegen das Betreuungsgeld sind sogar
alle anderen Fraktionen. Allerdings haben wir jetzt für
vier Jahre ein anderes Bündnis. Es ist nicht so, dass wir
wegen eines Punktes bzw. wegen einiger Punkte, bei denen wir uns nicht durchgesetzt haben, keine gute Politik
machen könnten, ganz im Gegenteil.
Gerhard Schröder hat vor kurzem seinen 70. Geburtstag gefeiert. Gerhard Schröder wird immer dann, wenn
wir über Familienpolitik sprechen, mit einem Ausspruch
in Verbindung gebracht, der ihm bis heute sehr leid tut.
Er hat sich mehrfach dafür entschuldigt. Ihm ist einmal
bei einem Redebeitrag nicht der volle Name des Ministeriums, um das es gerade geht, eingefallen, und das war
der einzige Grund, warum er ein nicht so schönes Wort
dafür benutzt hat. Er hat sich dafür entschuldigt.
Man muss aber auch sagen: Unter seiner Kanzlerschaft, unter Rot-Grün im Übrigen, hat die Modernisierung der Familienpolitik begonnen. Es ist nicht so, dass
unter seiner Kanzlerschaft und unter Rot-Grün in der Familienpolitik nichts geschehen wäre. Ich erinnere an das
Ganztagsschulprogramm, das Bundesgleichstellungsgesetz, aber auch die Eingetragenen Lebenspartnerschaften
und vieles mehr - alles Dinge, auf die wir jetzt aufbauen.
Daher sage ich zu seinem 70. Geburtstag: Ich habe ihm
diesen Fauxpas schon längst verziehen.
({2})
Wenn ich von Erfolgen unter Rot-Grün spreche, dann
sage ich auch, dass in der ersten Großen Koalition diese
Erfolgsgeschichte in der Familienpolitik in vielen Punkten weiterging. Auch da kam es mit dem Elterngeld, der
Elternzeit und dem Krippenplatzausbau zu wirklich
großartigen Leistungen in Sachen Familienpolitik, die
wir gemeinsam in der Großen Koalition gewuppt haben,
übrigens mit sehr großer Unterstützung der Länder, die
rot-grün und schwarz-gelb regiert waren. Auf diese Erfolge kann man stolz sein, und auf diese kann man aufbauen. Es ist gut, wenn Sozialdemokraten mitregieren.
Zur Familienpolitik der letzten vier Jahre will ich
nicht so viel sagen.
({3})
Jetzt sind wir in der zweiten Großen Koalition. Uns
wurde gesagt, uns fehle der Mut und der Gestaltungswille. Ich weiß nicht mehr, von wem es kam.
({4})
- Entschuldigung, genau, von dir kam das. Ich glaube,
auch Diana Golze hat das gesagt. - Ich finde das ein
bisschen vermessen; denn die Grünen hatten das Angebot, mit der Union vernünftige Koalitionsverhandlungen
zu führen.
({5})
Aber schon nach den Sondierungsgesprächen zu sagen:
„Nein, wir machen es nicht“ und denjenigen, die sich auf
Kompromisse geeinigt haben, vorzuwerfen, sie hätten
keinen Mut und keinen Gestaltungswillen, ist ein bisschen scheinheilig.
({6})
Ich finde es auch scheinheilig von Ihnen, den Linken;
denn Sie haben keine große Bereitschaft zur Beteiligung
an einer Regierung.
Wir beweisen Mut und Gestaltungswillen in dieser
Koalition; denn wir bauen auf dem auf, was wir in der
Vergangenheit geleistet haben. Das ElterngeldPlus beispielsweise kommt jetzt. Das erfolgreiche Modell Elterngeld, das wir gemeinsam in der ersten Großen Koalition eingeführt haben, erweitern wir jetzt. Wir bringen
eine Gerechtigkeitskomponente für diejenigen ein, die
sich länger die gemeinsame Zeit teilen wollen. Das ist
ein wichtiger, guter Schritt zur Familienarbeitszeit. Das
ist sehr gut an dieser Stelle und zeugt von Gestaltung.
Das ist pure Gestaltung.
({7})
Zur Gleichstellungspolitik. Die Themen „Quote“ und
„Frauen in Führungspositionen“ sind schon angesprochen worden. Das haben wir unter Rot-Grün und das hat
Schwarz-Gelb nicht hinbekommen. Jetzt haben wir es in
der Großen Koalition hinbekommen. Nun sagen Sie
nicht, dass es keine Gestaltung an dieser Stelle gibt. Im
Gegenteil: Wir machen jetzt Gesetze daraus. Wir bringen
das in Gesetzesform, was wir lange Zeit gemeinsam gefordert haben, und das ist gut so.
({8})
Wir machen Tempo an dieser Stelle. In den ersten
100 Tagen liegen schon zwei Konzepte zum ElterngeldPlus
und zum Thema „Frauen in Führungspositionen“ auf
dem Tisch. So schnell, finde ich, hat kaum eine Familienministerin ihre Arbeit begonnen und ganz konkret
zur Verbesserung der Situation der Menschen beigetragen. Dafür herzlichen Dank!
({9})
Ich will noch ganz kurz auf die Tatsache eingehen,
dass wir angeblich nichts gegen die Kinderarmut machen. Auch da sage ich noch einmal an die beiden Oppositionsfraktionen gerichtet: Vielleicht sind Sie ein bisschen neidisch darauf, dass wir den gesetzlichen
Mindestlohn einführen.
({10})
Wenn das kein Schritt zur Beseitigung von Familienarmut und Kinderarmut ist, was denn sonst? Das machen
wir als Große Koalition. Auch das ist ein Schritt zur Bekämpfung von Armut. Ich finde, das kann man durchaus
als wichtigen Schritt anerkennen.
Zum Thema „Mehr Geld für Krippen“. Ich finde es ja
ganz nett, dass Sie Marcus Weinberg und mich in eine
gemeinsame Kindergartengruppe stecken wollen - als
Betreuer natürlich. Ich habe da Erfahrung; ich habe das
beruflich gemacht: Ich habe in Kindertagesstätten gearbeitet. Es stimmt, es ist nicht einfach, große Gruppen zu
betreuen, gerade wenn man allein ist und auch noch andere Dinge zu tun hat. Aber genau aus diesem Grund haben wir das 6-Milliarden-Euro-Paket aufgelegt. Aus diesem Paket wird auch Geld in Krippenplätze fließen.
({11})
Auch damit machen wir unseren Gestaltungswillen deutlich: Wir gestalten die Lösung des Problems fehlender
Krippenplätze.
Insofern bin ich guten Mutes. Die ersten 100 Tage haben gut angefangen. Der jetzige Haushalt enthält gute
Ansätze. Vor uns liegen erfolgreiche vier Jahre für
Frauen, Familie, Senioren und Jugend.
Danke schön.
({12})
Jetzt hat als nächste Rednerin die Kollegin Sylvia
Pantel das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir
können nicht oft genug betonen, dass wir für 2014 erstmals einen strukturell ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Das ist auch für unsere Jugend ein wichtiger Beitrag. Wir, der Bund, sind nah am Ziel, das nächste Jahr
keine neuen Schulden aufzunehmen. Das ist das erste
Mal seit 46 Jahren.
Wir konsolidieren den Haushalt und setzen gleichzeitig familienpolitische Akzente. Das sieht man daran,
dass der Etat des Ministeriums für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend um 1 Milliarde Euro erhöht wird,
also auf 7,96 Milliarden Euro ansteigt. Man darf bitte
nicht vergessen, dass wir auch noch die Kommunen und
die Länder haben, die ihren Beitrag selbst leisten müssen
und deren Dienstleistungen vor Ort eine gewisse Qualität erreichen sollen.
Wir wollen, dass Eltern tatsächlich wählen können,
wie sie ihr Familienleben organisieren. Ob sie vom Betreuungsgeld, vom Elterngeld oder vom Kitaausbau profitieren, das ist allein Sache der Familien.
({0})
Familien sollen sich mit ihren Bedürfnissen nicht nach
dem Staat richten - wie Sie von der Linken das gerne
hätten -, sondern der Staat muss die Familien dabei unterstützen, wie sie sind, was sie selbst wollen und was
sie benötigen.
Das Betreuungsgeld als Anerkennung von Erziehungsleistungen ist allen Unkenrufen zum Trotz eine Erfolgsgeschichte:
({1})
Bereits in den ersten fünf Monaten sind 65 000 Anträge
eingegangen. All diesen Antragstellern können Sie erzählen, dass sie falsch liegen. Wir sind für Wahlfreiheit.
({2})
Wir haben in diesem Jahr 515 Millionen Euro für das
Betreuungsgeld in den Haushalt eingestellt. Wir wollen,
dass Eltern selber entscheiden und nicht bevormundet
werden.
({3})
Für das Elterngeld sind knapp 5,4 Milliarden Euro im
Haushalt veranschlagt. Das geplante ElterngeldPlus
hilft, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter zu
verbessern. Obwohl es nicht Aufgabe des Bundes ist, unterstützen wir den Ausbau von U-3-Plätzen weiter, da
wir jährlich Betriebskosten in Höhe von fast 800 Millionen Euro übernehmen.
Wir schaffen Angebote für Jung und Alt. Die über
500 vom Bund seit 2006 geförderten Mehrgenerationenhäuser haben sich bewährt. In Düsseldorf gibt es ein mir
gut bekanntes Beispiel: das Mehrgenerationenhaus HellGa. Es ist eine Begegnungsstätte, wo verschiedene Generationen nachbarschaftlich ins Gespräch kommen, wo
gefeiert wird und man sich gegenseitig unterstützt. Diese
Koalition stellt sich ihrer Verantwortung und fördert die
Mehrgenerationenhäuser auch in 2014 mit über 6 Millionen Euro. Ich bin Ihnen, Frau Familienministerin
Schwesig, dankbar, dass Sie sagen, dass die Mehrgenerationenhäuser, die wir bereits haben, bestehen bleiben
und dass wir die ausfallenden Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds gemeinsam auffangen wollen.
({4})
Wir stärken die Zivilgesellschaft mit dem Bundesfreiwilligendienst; das wurde schon mehrfach erwähnt. Der
Bundesfreiwilligendienst ist ein einmaliges Erfolgsprogramm. Sie haben ihn mehrfach kritisiert, aber auch hier
sprechen die Zahlen eine andere Sprache.
An dieser Stelle danke ich allen Freiwilligen und ehrenamtlich Engagierten, sei es bei der freiwilligen Feuerwehr oder im Katastrophenschutz, aber auch denen in
Kirchen, Vereinen und Verbänden.
({5})
Ihr Einsatz ist unbezahlbar.
Auch in diesem Jahr hat der Bundesfreiwilligendienst
wieder rund 35 000 Freiwillige. Da ist Platz für junge
und alte engagierte Helferinnen und Helfer. Wir freuen
uns, dass das Familienministerium unseren Wünschen,
alle Zusagen einzuhalten und die Unterstützung nicht zu
reduzieren, entsprochen hat. In den parlamentarischen
Beratungen werden wir gemeinsam sicherstellen, dass
die notwendigen Mittel auch bereitgestellt werden.
Wir sorgen - das ist auch schon gesagt worden - mit
den beiden Fonds für die Opfer der Heimerziehung in
Ost und West. Diese Fonds wurden in 2012 zusammen
mit den Kirchen und Ländern eingerichtet, um Kindern,
die in Heimen Opfer von Gewalt geworden sind, zu helfen. Wir haben versprochen, dass wir helfen, und wir
halten Wort. Da die Zahl der Betroffenen größer ist als
erwartet, werden wir uns alle bemühen müssen, für ausreichende finanzielle Ausstattung zu sorgen, um die Verletzungen und Schäden aus ihrer Kindheit zu lindern.
Wir waren uns einig, dass dies eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die wir alle erfüllen müssen.
Lassen Sie mich mit einem Zitat schließen:
Für uns sind Familienarbeit und Erwerbsarbeit
gleichwertig. … Aufgabe unserer Politik ist es aber,
schrittweise die Wahlmöglichkeiten zu erweitern,
indem möglichst viele flexible Lösungen angeboten
werden.
Weiter heißt es dort: Wir wollen den „von uns durchgesetzten ‚Erziehungsurlaub‘ zu einem ‚Anspruch auf Familienzeit‘“ - heute heißt das „Mehr Zeit für Familien“ fortentwickeln. - Das ist ein Zitat aus dem CDU-Beschluss „Lust auf Familie“ von 1999.
Das, was wir heute umsetzen, hat einen langen Vorlauf. Wir können froh sein, dass das, was damals eine Vision war, für die wir oft belächelt wurden, heute mit finanziellen Mitteln unterlegt und Wirklichkeit ist.
An dieser Stelle möchte ich noch sagen: Selbstverständlich kann man nach dem Motto „Höher, besser,
mehr“ überall noch mehr fordern. Aber das ist ein Haushalt, der Verantwortung zeigt. Wir wollen uns nicht
überschulden, sondern möchten auch den uns nachfolgenden Generationen noch Spielräume lassen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({6})
Dies war die erste Rede der Kollegin Pantel. Herzlichen Glückwunsch!
({0})
Als nächste Rednerin, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat die Kollegin Gülistan Yüksel das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, heute
hier meine erste Rede zur Einbringung des Haushalts,
des Einzelplans 17, halten zu dürfen.
Ich verstehe den Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend als einen Ausschuss, der die persönlichen Bereiche unseres gemeinschaftlichen Zusammenlebens berührt, also die Dinge, die den Menschen am
Herzen liegen und sie direkt betreffen - und das unabhängig von Religion und Nationalität. Deshalb bin ich
gerne in diesem Ausschuss.
In diesem Sinne bin ich auch froh, dass wir mit
Manuela Schwesig heute eine Ministerin haben, die wieder eine Familien-, Senioren-, Frauen- und auch Kinderund Jugendpolitik verfolgt, die alle gesellschaftlichen
Ebenen mit einbezieht.
({0})
Der Dreiklang aus Geld, Angeboten und Zeit ist hierbei
ein wichtiger und richtiger Ansatz für eine moderne Familienpolitik; denn sie berücksichtigt die Vielfalt der Lebensentwürfe und gibt jedem den größtmöglichen, individuellen Gestaltungsraum.
Als Mutter von zwei Kindern, die nebenbei immer berufstätig war, weiß ich aus eigener Erfahrung, wie
schwierig es ist, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Nach der Geburt meiner Tochter hatte ich die
Möglichkeit, weiter arbeiten zu können, und das Glück,
einen verständnisvollen Chef zu haben, der es mir ermöglichte, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Leider hat nicht jeder heute diese Möglichkeit. Sie
sollte aber Standard in unserer Gesellschaft werden.
({1})
Menschen sollten sich nicht zwischen Kind oder Karriere entscheiden müssen. Kinder müssen erwünscht und
gewünscht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Um
diesen notwendigen Wandel in der Denke herbeizuführen, muss Politik es den Menschen ermöglichen, ihren
Familienalltag entsprechend flexibler zu gestalten.
Wir haben dazu im Koalitionsvertrag einige Fortschritte vorzuweisen. Es wurde heute schon mehrmals
erwähnt: Durch die 6 Milliarden Euro mehr für Kitas,
Schulen und Hochschulen werden im Laufe der nächsten
vier Jahre die Länder durch den Bund stärker unterstützt.
Dies trägt nicht nur zu einer Verbesserung der Bildungschancen für Kinder bei, sondern fördert zusätzlich auch
noch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
({2})
Die Elternzeit wird flexibler gestaltet und das Elterngeld weiterentwickelt. Es wird ein Rückkehrrecht aus
der Teilzeit in die Vollzeitbeschäftigung geben. Die dynamische Entwicklung des Elterngeldes und der gestiegene Bedarf im neuen Haushalt zeigen, dass wir auf dem
richtigen Weg sind. Der Anteil der Väter, die sich an der
Elternzeit beteiligen, ist noch weiter ausbaufähig, obwohl wir schon einen leichten Anstieg bei den Vätermonaten beobachten können. Unsere Maßnahmen wirken,
und wir werden sie weiter ausbauen.
({3})
Durch die Pflegereform und ein Pflegeberufegesetz
werden Menschen mehr Unterstützung bei der Pflege ihrer Angehörigen bekommen. Das ist ein wichtiger Baustein für den familiären Zusammenhalt und für würdevolles Altern.
Zum Thema „Gleicher Lohn für Männer und Frauen“
haben wir sehr konkrete Maßnahmen ergriffen. Die
Gleichstellung im Erwerbsleben wird durch die Herstellung von Entgeltgleichheit sowie mit der Frauenquote in
Führungspositionen vorangetrieben. Auch der Mindestlohn hilft dabei, geschlechterspezifische Lohnunterschiede zu bekämpfen.
({4})
Die im Haushalt vorgesehene finanzielle und personelle Aufstockung der Antidiskriminierungsstelle unterstützt positiv die Bekämpfung von ungleicher Behandlung. Der aktuelle Bericht über Diskriminierung im
Bildungsbereich und im Arbeitsleben liefert uns eine
verlässliche Grundlage dafür, wo wir als Gesetzgeber
noch tätig werden müssen.
Hier im Bundestag haben wir gemeinsam die Möglichkeit, etwas zu ändern. Wir können es nicht hinnehmen, dass junge Menschen aufgrund ihres Namens oder
ihrer ethnischen oder religiösen Herkunft bei der Bewerbung um einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz benachteiligt werden
({5})
oder dass Frauen immer noch weniger Geld verdienen
und nur schwer in die oberen Chefetagen aufsteigen. Wir
werden also, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, die Ergebnisse der Evaluierung der Antidiskriminierungsstelle
umsetzen.
Auch begrüße ich die zusätzlichen 1,5 Millionen Euro
für Maßnahmen zur Stärkung von Vielfalt, Toleranz und
Demokratie, die der Bund in diesem Haushalt bereitstellt. Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus haben keinen Platz in unserer demokratischen Gesellschaft, die auf Vielfalt und Toleranz aufbaut.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns dafür
gemeinsam streiten und dafür sorgen, dass diese zentralen Aufgaben auch entsprechend gewürdigt werden: zum
einen durch politische Aufmerksamkeit und zum anderen durch die entsprechende finanzielle Ausstattung im
Haushalt. Dabei muss auch ressortübergreifend gedacht
werden. Ein gutes Beispiel dafür ist die Finanzierung des
Heimkinderfonds Ost. Diese Aufgabe kann nicht allein
vom Einzelplan 17 geschultert werden.
Dies sind nur einige wenige wichtige Maßnahmen.
Uns stehen noch zahlreiche Herausforderungen bevor.
Aber, wie Albert Einstein so schön sagte: „Inmitten von
Schwierigkeiten liegen günstige Gelegenheiten.“ Sie sehen, dass wir mit vielen Vorhaben im Bereich der Familienpolitik auf dem richtigen Weg sind.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Auch Ihnen, Frau Yüksel, herzlichen Glückwunsch
zu Ihrer ersten Rede.
({0})
Als nächster Redner hat der Kollege Alois Rainer das
Wort.
({1})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Unsere Bundeskanzlerin
Dr. Angela Merkel sagte in ihrer gestrigen Rede: „Wir
investieren in unser wichtigstes Kapital, und das sind die
Menschen.“ Wir investieren in die Familien in Deutschland, und das, meine Damen und Herren, ist auch gut so.
({0})
Mit dem Haushalt 2014 machen wir einen großen
Schritt in die richtige Richtung; denn schon für das Jahr
2015 und für die folgenden Jahre planen wir keine
Neuverschuldung. Dies zeigt, dass wir unsere Verantwortung für die künftigen Generationen sehr ernst nehmen. In diesem Zusammenhang sprechen wir heute über
den Finanzplan des Bundesministeriums für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend.
Im vorliegenden Haushaltsentwurf ist sehr deutlich
eine Politik zu erkennen, die das Miteinander aller Generationen in unserem Land fördert. Wir wollen eine familienfreundliche Gesellschaft, eine familienfreundliche
Bildungslandschaft und darüber hinaus, meine sehr
verehrten Damen und Herren, eine Gesellschaft, in der
Kinder herzlich willkommen sind.
({1})
Wir sprechen bei diesem Einzelplan in diesem Jahr von
Ausgaben in Höhe von rund 7,9 Milliarden Euro. Das
entspricht einer Erhöhung um circa 1 Milliarde Euro.
Diese Aufstockung untermauert nochmals, wie wichtig
uns die Menschen und insbesondere die Familien in unserem Land sind.
({2})
Es wurde schon mehrfach angesprochen: Das Elterngeld nimmt mit 5,37 Milliarden Euro den größten Posten
im Einzelplan 17 ein. Das Elterngeld ist und bleibt ein
sehr wichtiges Instrument im Rahmen unserer Verantwortung für die Familien in Deutschland. So ersetzt das
Elterngeld grundsätzlich 67 Prozent des nach der Geburt
des Kindes wegfallenden Erwerbseinkommens. Mindestens aber erhalten alle anspruchsberechtigten Eltern
300 Euro, und für Geringverdiener, Mehrkinderfamilien
und Familien mit einer Mehrlingsgeburt wird das Elterngeld zusätzlich erhöht. Aufgrund der guten Resonanz
wurde der Ansatz für das Elterngeld für dieses Jahr noch
mal um 470 Millionen Euro angehoben. Dies zeigt zum
einen, wie gut das Elterngeld von den Menschen, von
den Familien, angenommen wird. Zum anderen ist positiv zu verzeichnen, dass mitunter auch die Geburtenzahlen in Deutschland ansteigen. Bereits im letzten Jahr ergab sich daher ein Anstieg der Geburtenzahl von rund
1,5 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Dies
hatte zur Folge, dass die ursprüngliche Prognose von
660 000 Geburten übertroffen wurde und tatsächlich
670 000 Geburten zu verzeichnen waren.
Ein weiterer wesentlicher Ansatz im Etat des Einzelplans - da muss ich ein bisschen schmunzeln; da gibt es
viele Freunde - ist natürlich für das Betreuungsgeld.
({3})
- Doch, die Freunde sind in der Mehrheit. - Mit der Erhöhung um 460 Millionen Euro auf jetzt 515 Millionen
Euro reagieren wir darauf, meine sehr verehrten Damen
und Herren, dass das Betreuungsgeld angenommen wird.
({4})
Es zeigt, dass es richtig war, diesen Schritt trotz der
schwierigen Diskussionen zu gehen und das Betreuungsgeld einzuführen.
({5})
Damit haben Eltern und junge Familien die Möglichkeit,
ein Stück weit unabhängiger über die Betreuungs- und
Erziehungsaufgaben in der Familie oder im privaten
Umfeld zu entscheiden.
({6})
Darüber hinaus wurde - das freut mich besonders auch die Erhöhung der Zuweisung an die Conterganstiftung um 120 Millionen Euro im Familienhaushalt berücksichtigt. Damit wollen wir, meine sehr verehrten
Damen und Herren, sicherstellen, dass die Leistungen an
die Contergangeschädigten in Form der Conterganrenten
und medizinischen Hilfen weiter erbracht werden
können.
({7})
Angesichts dieser Bilanz und dieser Zahlen kann uns
wohl kaum der Vorwurf gemacht werden, wir würden
nicht genügend Mittel in den Einzelplan 17 einstellen.
Vielmehr setzen wir uns - wie ich bereits eingangs
beschrieben habe - bewusst dafür ein, dass zum Beispiel
die Eltern die Wahlfreiheit bei der Kindererziehung behalten, aber auch, dass Familien gerade in den schwierigen Anfangsjahren finanziell unterstützt werden.
({8})
Ein Punkt, der noch große Beachtung finden muss, ist
der Bundesfreiwilligendienst. Es geht vor allem um einen vielseitigen Bundesfreiwilligendienst. Hier engagieren sich Frauen und Männer für das Allgemeinwohl und
leisten dadurch einen erheblichen, unglaublich wichtigen Beitrag für eine stabile Gesellschaft. Dafür möchte
ich denen, die sich für den Bundesfreiwilligendienst zur
Verfügung stellen, herzlich danken und ihnen meine Anerkennung aussprechen.
({9})
Es ist wichtig, dass wir das Engagement weiter nutzen
und eine dauerhafte Finanzierung sicherstellen können.
Die steigende Lebenserwartung der Menschen und
das Älterwerden der Gesellschaft beinhalten neue Herausforderungen, bieten aber auch neue Chancen. Unsere
Politik für Senioren zielt zum einen darauf ab, die Älteren in ihrem Engagement bei der Entfaltung ihrer
Kompetenzen und Kapazitäten zu unterstützen und zu
fördern, und zum anderen, die Vereinbarkeit von Pflege
und eigener Erwerbstätigkeit zu verbessern.
Mit den Mehrgenerationenhäusern, die die Potenziale
aller Generationen - die Bewohner spiegeln den Querschnitt der Gesellschaft wider - fördern, haben wir eine
sehr innovative Antwort auf die Herausforderungen der
demografischen Entwicklung gefunden. So wurde im
Koalitionsvertrag festgehalten, dass ein Konzept entwickelt wird, damit nach dem Wegfall der ESF-Mittel die
Finanzierung der Mehrgenerationenhäuser sichergestellt
ist.
Insgesamt kann man festhalten, dass der vorliegende
Haushaltsentwurf eine gute Grundlage für die kommenden Beratungen ist. Mir ist völlig klar: An einen Haushälter werden viele Wünsche herangetragen. Wünsche
gibt es immer und viele. Leider kann man nicht alle
Wünsche erfüllen. Wichtig ist es, Prioritäten zu setzen.
In diesem sehr guten Haushaltsentwurf wurden sie entsprechend gesetzt.
Liebe Frau Dr. Brantner, sehr verehrte Kollegen, ich
könnte Ihnen in der mir verbleibenden Redezeit über
meine Erfahrungen als amtierender Bürgermeister, leider
nicht mehr lange, berichten. Ich könnte Ihnen einige Beispiele nennen, wie es in einer Kindertagesstätte zugehen
kann, wenn sie gut organisiert ist, auch wenn jemand
fehlt. Wenn der Wille zur Flexibilität vorhanden ist, dann
funktioniert es sehr gut. An meinem Dialekt ist zu erkennen, wo es gut funktioniert: Ich komme nämlich aus
Bayern.
Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin in der Debatte ist
Uli Gottschalck, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! - Das ist heute übrigens die zweite
Präsidentin, die bei unserer Debatte den Vorsitz hat. So
viel zum Thema „Frauen in Führungspositionen“.
({0})
Toll, dass wir das hinbekommen haben. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde mich nicht an mein
Redekonzept halten. Viel lieber möchte ich mit einigen
Legenden und Unwahrheiten aufräumen, die von der
Opposition teilweise verbreitet wurden.
Ich bin sehr froh, dass wir endlich eine Familienministerin haben - die Altlast Betreuungsgeld ist hier ein
warnendes Beispiel -, die mit Herz und Verstand für
Familien, Frauen, Senioren, Kinder und Jugend arbeitet,
und das engagiert und gern.
({1})
Sie hat in den Koalitionsverhandlungen sehr gut verhandelt. Diese Erfolge setzt sie jetzt sukzessive um.
Zu dem, was ich hier von Herrn Leutert gehört habe,
der mir als Hauptberichterstatter zu dem Einzelplan 17
bisher, ehrlich gesagt, nicht besonders aufgefallen ist,
({2})
kann ich nur sagen: Höher, schöner, breiter - das geht
immer. Aber man muss auch ein Stück weit erwarten
können, dass von euch Vorschläge und Konzeptionen
vorgelegt werden. Wie hättet ihr es denn gerne? Es ist
ein bisschen schwierig, wenn man immer nur fordert.
({3})
Ich bleibe bei den Linken und komme zu Frau Golze.
Frau Golze, es stimmt einfach nicht, dass wir beim Kinder- und Jugendplan kürzen. Lesen bildet, aber fragen
hilft auch.
({4})
Das ist in einen anderen Titel ausgelagert worden; das
steht auch unten drunter. 1,2 Millionen Euro sind in einen anderen Titel für die politische Bildung junger Leute
geflossen. In diesem Bereich sind es sogar 370 000 Euro
mehr.
({5})
Das ist für meinen Geschmack zwar immer noch zu wenig, aber es ist ein Anfang. Es ist schlicht gelogen, dass
wir um 1,2 Millionen Euro kürzen. Das stimmt nicht.
({6})
In diesem Zusammenhang will ich gleich einen anderen Punkt ansprechen: Ich bin mir mit dem sehr geschätzten Unionshaushälter einig, dass wir an diesem
Punkt nacharbeiten möchten, um die Jugendverbände
noch ein wenig besser zu unterstützen. Wir suchen nach
Spielräumen. Das machen wir gemeinsam.
({7})
Frau Golze, es stimmt auch nicht, dass wir beim
Unterhaltsvorschuss kürzen. Wir kürzen auch nicht beim
Kinderzuschlag, was Frau Brantner gesagt hat.
({8})
Das sind Pflichtleistungen. Das sind gesetzlich vorgeschriebene Leistungen, die bezahlt werden müssen.
({9})
- Vielleicht macht der Herr Leutert mit Ihnen einmal ein
kleines Haushaltsseminar, um Ihnen das näherzubringen.
({10})
Frau Kollegin Gottschalck, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin der Linken?
({0})
Sehr gerne.
Bitte schön.
Es tut mir leid, Herr Weinberg, dass Sie um Viertel
nach drei nicht mehr über Familienpolitik reden wollen.
Dazu fällt mir nichts mehr ein.
({0})
Frau Kollegin, danke, dass Sie die Frage zulassen. Ich
habe von dem gekürzten Haushaltstitel gesprochen. Ich
habe Sie gebeten, mir zur erklären, wie Sie darauf kommen. Ich habe gesagt, dass ich nicht glaube, dass es
weniger Alleinerziehende gibt, die einen Unterhaltsvorschuss brauchen. Bitte erklären Sie mir das einfach.
Ich habe hier Fragen gestellt. Über die sozialen Netzwerke wird mir sogar schon gesagt: Mensch, du hast so
viele Fragen gestellt, aber du bekommst keine Antworten. Ich hätte gerne eine Antwort, und zwar nicht morgen
früh um 8 Uhr in der einstündigen Sitzung des Familienausschusses. Ich hätte gerne eine wirklich sachliche Bearbeitung dieses Themas. Ich habe viele Fragen gestellt.
Ich würde mich freuen, wenn Sie eine davon beantworten könnten.
Frau Golze, ich denke, es ist nicht meine Aufgabe, Sie
in Haushaltsrecht zu unterrichten. Diesbezüglich möchte
ich Sie an Herr Leutert verweisen.
({0})
Es folgen noch viele Beratungen. Ich komme gerne in
Ihre Sitzung und unterstütze Sie, wenn Sie Fragen
haben.
({1})
Ich würde jetzt gerne mit meinem Redebeitrag weitermachen.
Gestatten Sie auch noch eine Zwischenfrage des Kollegen Leutert?
Ich möchte jetzt erst einmal weitermachen. Vielleicht
stellt er seine Frage zum Schluss meiner Rede.
({0})
Sie dürfen die Kollegin Golze dann unterrichten.
Danke.
Genau. - Ich verstehe ehrlich gesagt nicht - das gilt
auch für die Kollegin der Grünen -, warum man sich bei
diesem Thema so echauffieren muss.
({0})
Wir haben verhandelt. In Koalitionsverhandlungen muss
man Kompromisse eingehen. Ihr müsst euch nur einmal
die Grünen in Hessen anschauen. Dann werdet ihr sehen,
wie geschmeidig die Grünen dort geworden sind.
({1})
Dafür haben wir wirklich dicke Punkte herausverhandelt. Hier wurde zum Beispiel die Qualifizierungsoffensive lässig abgetan. Sie wurde belächelt, und es wurde
gesagt, das seien gerade einmal 4 Millionen Euro.
({2})
- Ekin, hörst du vielleicht einmal zu?
({3})
Du bist Haushälterin. Wenn du in den Haushaltsentwurf
schaust, wirst du feststellen, dass die Mittel für die Qualifizierungsoffensive in 2014 um 4 Millionen Euro stei2506
gen, mit Verpflichtungsermächtigungen. 2017 stehen wir
dann bei 100 Millionen Euro. Ich denke, das ist eine
wichtige Botschaft. Wir geben 100 Millionen Euro für
diese Qualifizierungsoffensive aus. Aber man kann nicht
alles sofort haben.
({4})
Gerade der Bereich frühkindliche Bildung ist der
Ministerin und uns besonders wichtig; denn frühkindliche Bildung ist auch volkswirtschaftlich sinnvoll
({5})
und hat etwas mit Chancengleichheit zu tun.
({6})
Deshalb hoffe ich sehr, dass unser Haus von diesen
6 Milliarden Euro, die für Krippen, für Schulen,
({7})
für Kitas und Hochschulen vorgesehen sind, angemessen
profitiert.
({8})
Aber ich räume auch mit dem Vorurteil auf, das Sie gerade vorgebracht haben. Sie haben gesagt, dass dies auch
die Forschung umfasst. Das stimmt nicht. Für die Forschung gibt es 3 Milliarden Euro extra. Das kommt dann
Bildung und Forschung zugute.
({9})
Also immer schön bei der Wahrheit bleiben. Ich denke,
das wird uns allen weiterhelfen.
Ich finde, es ist ein guter Entwurf. Ich wollte noch etwas zum BAFzA sagen, aber dafür reicht meine Redezeit nicht. Uns liegt ein guter Entwurf vor, den wir in
nächster Zeit beraten werden. Ich bin sehr guter Hoffnung, dass wir konstruktiv, sehr fachlich und vielleicht
auch sachlich orientiert an dieses Vorhaben herangehen
können.
Ich bedanke mich und freue mich auf die Zusammenarbeit.
({10})
Vielen Dank. - Das Wort zu einer Kurzintervention
erhält jetzt der Kollege Leutert.
Frau Kollegin Gottschalck, es tut mir leid, dass wir
uns noch nicht kennengelernt haben. Wir werden es in
den nächsten vier Jahren bestimmt tun. Ich habe die
Hauptberichterstattung für dieses Ministerium erst neu
übernommen. Das ist nun einmal so. Ich habe acht Jahre
lang darum gekämpft, dieses tolle Ministerium als
Hauptberichterstatter begleiten zu können.
({0})
Ich wurde um Aufklärung darüber gebeten, wie sich
das nun im Haushalt verhält. Ich kann bestätigen: Wenn
in einem Titel eine niedrigere Zahl steht als im vorherigen Haushalt, dann ist das eine Kürzung, und wenn Sie
nicht nachweisen können, dass der Bedarf geringer ist
als vorher, dann ist das sogar eine ungerechtfertigte Kürzung.
({1})
Frau Kollegin Gottschalck.
Herr Leutert, Sie haben Haushaltspolitik schon früher
gemacht als ich. Ich denke, ich muss Ihnen nicht erklären, dass es sich um Ausgabereste handelt, die dafür verwendet werden.
({0})
Das ist keine Leistungskürzung. Vielleicht lernen Sie das
auch noch, Frau Golze.
({1})
Vielen Dank. - Weitere Wortmeldungen zu diesem
Einzelplan liegen nicht vor.
Wir kommen deshalb zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit, Einzelplan 15.
Ich bitte jetzt, zügig die Plätze zu wechseln. - Herr
Kollege Lauterbach, bitte nehmen Sie Platz.
({0})
Ich eröffne die Debatte. Das Wort für die Bundesregierung hat Herr Bundesminister Hermann Gröhe.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn
wir erst am Anfang dieser Haushaltsberatungen stehen,
möchte ich mich gleich zu Beginn bei den Berichterstatterinnen und Berichterstattern zum Einzelplan 15 für die
bisherige gute Zusammenarbeit bedanken. Ich freue
mich auf die Fortsetzung dieser Zusammenarbeit bei der
konkreten weiteren Beratung in den nächsten Wochen.
Wenn man, wie es bei mir der Fall ist, einen Ressorthaushalt das erste Mal vor diesem Haus zu vertreten hat,
dann schaut man natürlich nach, wie die Situation in der
Vergangenheit war. Wie war die Lage in der vergangeBundesminister Hermann Gröhe
nen Legislaturperiode? Was hat sich verändert? Welche
neuen Herausforderungen haben wir?
Vier Jahre zurückgeschaut, am Beginn der letzten Legislaturperiode, standen die sozialen Sicherungssysteme
noch ganz im Zeichen des Schocks aufgrund der Finanzkrise. Die Furcht vor Beitragserhöhungen war groß, die
Einnahmeseite stand unter Druck. Um 3,9 Milliarden Euro musste damals der Bundeszuschuss erhöht
werden, um die Krankenversicherung hinsichtlich ihrer
Finanzlage zu stützen. Wir haben uns damals zu Recht
dafür entschieden, auch eine höhere Verschuldung in
Kauf zu nehmen, um die sozialen Sicherungssysteme in
diesem Land stabil zu halten.
Heute können wir feststellen: Die gesetzliche Krankenversicherung und der Gesundheitsfonds stehen gut
da. Allein im Gesundheitsfonds stehen Liquiditätsreserven von 13,6 Milliarden Euro zur Verfügung. Die Rücklagen der gesetzlichen Krankenversicherung sind zugleich auf rund 18 Milliarden Euro angewachsen. Zu
Beginn der letzten Legislaturperiode hatte die Sozialversicherung Hilfe aus dem Bundeshaushalt nötig. Heute
sind wir in der Lage, einen wichtigen Beitrag zur Konsolidierung des Bundeshaushalts zu leisten.
({0})
Das ist aber kein Selbstzweck. Gesunde Staatsfinanzen und ein solides, solidarisches Gesundheitswesen bedingen einander. Unsere Politik der Haushaltskonsolidierung stärkt die wirtschaftliche Entwicklung und damit
die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt. Gute und sichere
Arbeitsplätze sind aber auch das Fundament unseres
leistungsfähigen Gesundheitswesens. Verantwortungslose Schuldenmacherei oder ein grenzenloses Drehen an
der Beitragsschraube vernichten Arbeitsplätze und würden auch die Verlässlichkeit unserer sozialen Sicherungssysteme untergraben. Deshalb ist beides mit uns
nicht zu machen.
({1})
Lassen Sie mich an dieser Stelle mit einigen Missverständnissen aufräumen - ich will hoffen, dass es Missverständnisse waren; sonst müsste ich den Beitrag von
Frau Kipping in der Generaldebatte schon als Boshaftigkeit verstehen -: Die vorgesehene Absenkung des
Bundeszuschusses auf 10,5 Milliarden Euro führt keineswegs dazu, dass Abstriche bei der Gesundheitsversorgung gemacht werden müssen. Keine einzige medizinische Leistung wird dadurch infrage gestellt;
({2})
denn Kürzungen bei den Krankenkassen wird es nicht
geben. Das Argument, die Krankenkassen müssten deswegen die Beitragssätze erhöhen, geht völlig an der
Wirklichkeit vorbei. Den Krankenkassen stehen auch für
die Jahre 2014 und 2015 die vollen 14 Milliarden Euro
aus Steuermitteln zur Verfügung. Die Versicherten werden nicht zusätzlich belastet,
({3})
weil wir die Mindereinnahmen durch die Entnahme aus
der Liquiditätsreserve, die prall gefüllt ist, ausgleichen.
Da Sie in den nächsten Jahren zu erwartende Ausgabensteigerungen angesprochen haben, weise ich Sie auf
den Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes hin, in dem
ausdrücklich festgelegt ist, dass der Bundeszuschuss bereits im nächsten Jahr um 1 Milliarde Euro ansteigen
wird, 2016 dann auf 14 Milliarden Euro und ab dem Jahr
2017 auf 14,5 Milliarden Euro. Das spricht für eine verantwortungsvolle Finanzpolitik, die sowohl die konjunkturelle Lage als auch die Stabilität unserer Sozialkassen
im Auge hat. Diese werden wir auch in Zukunft fortsetzen.
({4})
Meine Damen, meine Herren, zum Sozialstaatsprinzip der Bundesrepublik Deutschland gehört zentral, dass
sich alle Menschen in unserem Land darauf verlassen
können, dass ihnen bei Krankheit, bei Pflegebedürftigkeit oder im Fall eines Unfalls menschliche Zuwendung
und qualifizierte Hilfe zuteil werden. Deutschland verfügt über ein solidarisches und leistungsfähiges Gesundheitswesen, das vielen in der Welt als Vorbild dient. Damit dies auch in Zukunft so bleibt, halte ich folgende
Weichenstellungen für erforderlich:
Erstens: solide Finanzen. Gleich zu Beginn dieser Legislaturperiode haben wir dem mit zwei Gesetzen Rechnung getragen. Mit dem 14. SGB-V-Änderungsgesetz
wurden der Preisstopp für Arzneimittel verlängert und
der Herstellerrabatt auf 7 Prozent festgeschrieben; die
GKV spart dadurch im Jahr rund 650 Millionen Euro.
Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur
und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung sichert Beschäftigung in Deutschland, stärkt die Finanzstruktur der Kassen, sorgt für gerechte Ausgleiche,
schützt Versicherte vor Überforderung und fördert den
notwendigen Wettbewerb zwischen den Kassen.
Mit der Festschreibung des Beitragssatzes für die Arbeitgeber vermeiden wir zusätzliche Belastungen bei den
Lohnnebenkosten; denn wir wollen Wachstum und Arbeitsplätze weiter fördern.
({5})
Die einkommensunabhängigen Zusatzprämien werden künftig entfallen, sie werden verschmolzen mit dem
bisherigen 0,9-prozentigen Zusatzbeitrag, den die Mitglieder seit Juli 2005 zu entrichten hatten. Der neue persönliche, einkommensabhängige Zusatzbeitrag wird von
Kasse zu Kasse variieren. Also erhalten die Versicherten
ein klares Preissignal und haben im Falle von Preiserhöhungen auch ein Sonderkündigungsrecht. Der Wettbewerb wird so gefördert. Das zeigt bereits Wirkung: Sieben gesetzliche Krankenkassen wollen im nächsten Jahr
ihre Beiträge senken. Das ist im Sinne der Versicherten
in unserem Land.
({6})
Zweitens. Wir sichern verlässliche Strukturen. Eine
gute Gesundheitspolitik schafft verlässliche Strukturen,
damit sich die Menschen im Krankheitsfall auf medizinische Versorgung verlassen können, die bezahlbar und
die gut erreichbar ist.
Das gilt für die ambulante Versorgung: Deshalb haben
wir zum 1. April dieses Jahres die Hausarztverträge gestärkt und wollen noch in diesem Jahr die Möglichkeiten
zur Einrichtung von Medizinischen Versorgungszentren
verbessern.
({7})
Das gilt aber auch für die stationäre Versorgung: Deshalb werden wir schon bald in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit den Ländern darüber reden, wie wir eine
qualitativ hochwertige, flächendeckende Krankenhausversorgung in unserem Land sicherstellen können.
Von zentraler Bedeutung für mich sind die umfassenden Verbesserungen im Bereich der Pflege. In 15 Jahren
werden rund 1 Million Menschen mehr in diesem Land
pflegebedürftig sein als heute. Deshalb wird der Ausbau
der Leistungen der Pflegeversicherung ein wesentlicher
Schwerpunkt der Arbeit dieser Bundesregierung sein.
({8})
Das ist ein echter Kraftakt, den wir den Pflegebedürftigen in unserem Land schuldig sind.
({9})
Wir gehen diese Verbesserungen zügig an: In dieser
Woche ist der Gesetzentwurf für die erste Stufe der Pflegereform in die Ressort-, Länder- und Verbändeabstimmung gegangen. Zum 1. Januar des nächsten Jahres wollen wir umfassende Leistungsverbesserungen im
Umfang von insgesamt 2,4 Milliarden Euro für eine bessere Unterstützung der Pflege zu Hause, für mehr Betreuungskräfte in unseren Pflegeeinrichtungen und für
eine Anpassung der Leistungssätze an die Preisentwicklung der letzten Jahre umsetzen.
Vorgestern habe ich dem Spitzenverband der Pflegekassen grünes Licht gegeben für den Start einer Erprobungsphase für die umfassende Umsetzung des neuen
Pflegebedürftigkeitsbegriffs.
({10})
In zwei Studien werden wir bis Anfang 2015 die praktische Anwendung, die Alltagstauglichkeit des neuen Begutachtungssystems testen. 4 000 Personen im gesamten
Bundesgebiet werden dann vergleichend nach dem alten
und nach dem neuen System begutachtet, um daraus für
die anschließende Umsetzung zu lernen, wenn wir den
neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und das neue Begutachtungssystem in gesetzliche Regelungen gießen.
({11})
Meine Damen, meine Herren, die Beschäftigten in
den Pflegeberufen, ob in der Alten- oder in der Krankenpflege, leisten Tag für Tag Eindrucksvolles. Wir wollen
ihre Arbeitsbedingungen spürbar verbessern.
({12})
Wir wollen zugleich für Anerkennung und für qualifizierten Nachwuchs im Bereich der Pflege werben. Auch
das finden Sie im Haushalt wieder: So möchte das Bundesgesundheitsministerium eine Kampagne für die Pflegeberufe starten. Neben den zahlreichen Informationen
rund um die Pflegereform werden wir hierfür insgesamt
3 Millionen Euro ausgeben.
Das ist nur ein Teil des Gesamtbetrages von 43 Millionen Euro, den wir für Prävention und Aufklärung aufwenden möchten. So gibt es etwa eine weitere Kampagne im Bereich der Organspende; sie soll in diesem Jahr
mit 7,5 Millionen Euro und damit mit noch höheren Mitteln als im letzten Jahr fortgesetzt werden.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Klein-Schmeink?
Ja.
Entschuldigung; das war gar keine Meldung.
Ich hätte es gestattet.
Meine Damen, meine Herren, lassen Sie mich eine
weitere Weichenstellung ansprechen: gute Qualität. Ein
weiterer finanzieller Schwerpunkt unseres Haushaltes
liegt auf der Forschung. Dieser Titel umfasst 23,5 Millionen Euro. Hierin sind Förderungen enthalten, die die
Qualität in unserem Gesundheitssystem weiter voranbringen sollen: zum Beispiel der Ausbau der Versorgungsforschung - nicht zuletzt im Hinblick auf die Versorgung im ländlichen Raum -, Strategien zur
Bekämpfung von Krebs mit einem Schwerpunkt auf der
Stärkung von Früherkennungsangeboten, die Optimierung der Patientensicherheit - etwa in Bezug auf Arzneimittel und ihre Wechselwirkungen - und unsere Strategie zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen.
Lassen Sie mich noch einen weiteren Titel erwähnen,
der mir besonders am Herzen liegt. Es geht um das
Thema Kindergesundheit. Wir haben den 2012 ausgelaufenen Titel zur Kindergesundheit wieder aufgenommen.
Diese Mittel wollen wir unter anderem für eine Bestandsaufnahme der kinder- und jugendpsychiatrischen
Versorgung in unserem Land nutzen.
({0})
Ich erwarte mir davon Erkenntnisse darüber, wo wir einen Nachbesserungsbedarf bei der Versorgung von Kindern und Jugendlichen haben und wie wir diese BevölBundesminister Hermann Gröhe
kerungsgruppe mit unserer Präventionsarbeit besser
erreichen können.
Hierfür und für die anderen genannten Punkte erbitte
ich Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank.
({1})
Herzlichen Dank. - Nächster Redner in der Debatte
ist der Kollege Harald Weinberg, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Gröhe, es wird Sie nicht wundern, dass meine
Bilanz etwas anders ausfällt. Es zeichnet sich nämlich
schon jetzt ab, dass die Bürgerinnen und Bürger von dieser Bundesregierung im Bereich der Gesundheitspolitik
nicht viel erwarten können.
Den Koalitionsvertrag kann man in großen Teilen mit
den Worten „Weiter so!“ zusammenfassen. Das gilt im
Guten wie im Schlechten. Dort, wo das Gesundheitssystem gut funktioniert, kann und sollte man es natürlich
auch dabei belassen. Es gibt aber eben auch Probleme,
die auf eine Lösung warten und die Millionen Bürgerinnen und Bürger betreffen. Der Koalitionsvertrag und die
Bundesregierung wirken hier sehr uninspiriert und mutlos.
Der Dienst für Gesellschaftspolitik - dfg - bezeichnete Herrn Gröhe schon einmal als „Null-Bock-Minister“. Ich will ihm das persönlich nicht vorhalten, aber in
der Gesundheitspolitik haben wir eine Null-Bock-Koalition, die die anstehenden Probleme nicht anpackt.
({0})
Ein Problem, das in Deutschland lebende Menschen
wirklich betrifft - nicht nur die Kranken -, ist die ungerechte Finanzierung. Im Kern wird diese in vielen Punkten ungerecht bleiben.
Erklären Sie mir, warum ein Facharbeiter mit
3 500 Euro im Monat knapp 330 Euro für Kranken- und
Pflegeversicherung zahlt, während der Erbe eines Hauses, der 2 500 Euro Mieteinnahmen pro Monat erzielt
und nebenbei noch 1 000 Euro in Teilzeitarbeit verdient,
nicht einmal 100 Euro im Monat zahlen muss. Beide haben im Monat 3 500 Euro brutto, der eine zahlt aber
dreieinhalb Mal so viel wie der andere.
Ein Selbstständiger - ein Kioskbesitzer, ein Imbissverkäufer oder ein Wirt -, der sich mit gerade einmal
800 Euro im Monat über Wasser halten kann: Warum
zahlt er einen Regelbeitrag von über 300 Euro?
Warum muss ein privat Krankenversicherter im Ruhestand jährlich teils zweistellige Beitragserhöhungen hinnehmen, und wie soll er das in Zukunft dauerhaft bezahlen?
Was ist daran gerecht, wenn die Arbeitgeber weniger
zur Finanzierung der Krankenversicherung beitragen als
die Arbeitnehmer?
({1})
Was ist daran gerecht, dass alle künftigen Beitragserhöhungen alleine von den Versicherten gezahlt werden, der
Arbeitgeber davon also gar nichts mehr zahlt?
Ist es sinnvoll, dass zwei Patienten mit derselben
Krankheit eine unterschiedliche Behandlung bekommen,
je nachdem, ob sie privat oder gesetzlich versichert sind?
Das alles sind Ungerechtigkeiten, die mit einer Bürgerinnen- und Bürgerversicherung behoben werden
könnten.
({2})
Aber genau das wollen Union und SPD bis mindestens
2017 nicht tun. So haben sie es verabredet. Deshalb haben wir bei diesen Problemen einen Stillstand.
So weit, so schlecht.
Was ist mit dem Pflegenotstand in Krankenhäusern?
Die Ursache hierfür liegt in der Finanzierung der Krankenhäuser, die für einen scharfen Wettbewerb der Kliniken untereinander sorgt. In diesem Wettbewerb ist das
Krankenhaus am erfolgreichsten, das am meisten am
Personal spart.
Je weniger Pflegekräfte sich um die Patienten kümmern, desto länger dauert es bis zur Entlassung und bis
zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit und umso
häufiger sterben die Patientinnen und Patienten. Das sagen uns Studien.
Was ist mit der Krankenhaushygiene? 30 000 Menschen sterben jährlich an Krankenhausinfektionen - rund
zehnmal so viele wie an Verkehrsunfällen -, zum Teil
auch als Resultat des Personalmangels. In Deutschland
wäre ein Krankenhaus, das so viel Personal zur Verfügung stellt, wie es in vergleichbaren Ländern üblich ist,
binnen Monaten pleite. Da stimmt doch das Finanzierungssystem nicht. Wir müssen darüber nachdenken, wie
wir das Finanzierungssystem auf eine neue Grundlage
stellen. Denn das darf nicht sein.
({3})
Herr Minister, im Koalitionsvertrag geben Sie immerhin zu verstehen, dass Sie das Problem in Teilen verstanden haben. Aber Sie planen keine einzige wirkungsvolle
Maßnahme, die für mehr Personal in den Kliniken sorgt.
Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass Krankenhäuser
nachweisen müssen, dass sie das ihnen von den Kassen
überwiesene Geld auch für Personal einsetzen. Bereits
jetzt sind die Kosten für Pflegekräfte in der Fallpauschalenkalkulation berücksichtigt. Aber wenn wir mehr Personal in den Krankenhäusern wollen - das brauchen wir
auch dringend -, dann muss es mehr Geld außerhalb der
Fallpauschalen geben. So einfach ist das.
({4})
Mehr Geld sieht der Koalitionsvertrag aber nicht vor.
Das Qualitätsinstitut, das Sie nun planen, ist sicherlich
keine falsche Sache.
({5})
Das Institut wird aber keine Qualitätsverbesserungen
bringen, sondern zunächst einmal nur die Qualität messen. Wenn das Personal fehlt, wird es nicht zu Qualitätsverbesserungen kommen.
Was ist mit der flächendeckenden ambulanten Versorgung? Union und SPD singen bereits im zweiten Satz
des Gesundheitsteils im Koalitionsvertrag ein Loblied
auf die Freiberuflichkeit der Ärztinnen und Ärzte. Im
Klartext heißt das, dass die Arztpraxen möglichst keine
Konkurrenz bekommen sollen. Selbst dort, wo es einen
Ärztemangel gibt und wo sich kein Arzt niederlassen
will, darf das örtliche Krankenhaus nur so lange ambulante Leistungen erbringen, bis sich vielleicht doch ein
Arzt in der Nähe niedergelassen hat. Ich frage Sie: Welches Krankenhaus tätigt unter diesen unsicheren Rahmenbedingungen die notwendigen Investitionen? Keines, vermute ich.
Aber eine Maßnahme haben Sie bereits beschlossen:
Der Finanzminister will einen ausgeglichenen Haushalt,
und gleichzeitig ist von der wichtigsten SPD-Wahlkampfforderung, mehr Steuern von Wohlhabenden zu
erheben, nichts übrig geblieben. Was also tun? Man
greift in die Reserven des Gesundheitsfonds. 6 Milliarden Euro packen Sie in diesem und im nächsten Jahr aus
dem Gesundheitsfonds in den Bundeshaushalt. Das ist
das Geld, das die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler in den letzten Jahren eingebracht haben.
({6})
Der Bundeszuschuss - um das an dieser Stelle auch
dem Publikum noch einmal deutlich zu sagen - dient
dazu, versicherungsfremde Leistungen zu finanzieren.
Wenn wir den Bundeszuschuss kürzen, dann bedeutet
das gleichzeitig, dass Beitragsmittel für versicherungsfremde Leistungen, beispielsweise die Mitversicherung
von Familienangehörigen, herangezogen werden. Insofern gehen Sie also doch an die Beitragsmittel heran. Um
diese Argumentation kommen Sie nicht herum.
({7})
Die Beitragszahler sind hauptsächlich Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen. Geschont werden dafür
insbesondere Bezieher hoher Einkommen und Besitzer
großer Vermögen. Insofern gilt das Motto „Nimm es den
Armen und gib es den Reichen“. So könnte man diese
umgekehrte Robin-Hood-Politik von Union und SPD zusammenfassen.
({8})
Fazit: Diese Koalition verweigert sich der Lösung
drängender Probleme, entscheidet im Zweifel gegen die
Versicherten und für die Arbeitgeber, für Gutverdienende und die Pharmaindustrie. Sie haben gesagt, dass
der Rabatt mit dem AMNOG eingeführt wurde. Sie haben aber vergessen, zu erwähnen, dass der Rabatt vorher
höher war und entsprechend gesenkt worden ist.
({9})
Ich fürchte, an diesem Kurs wird sich, sofern die Koalition so lange durchhält, bis 2017 nichts ändern.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion erhält jetzt das
Wort Professor Dr. Karl Lauterbach.
({0})
Frau Präsidentin! Mein Platz war eben noch nicht frei,
sonst hätte ich schon gesessen.
Das habe ich von hier aus anders gesehen.
Dann war die Perspektive schlecht. - Ich will zunächst auf die Rede von Herrn Weinberg eingehen. Ich
halte es für sehr problematisch, wenn wir uns mit
Schmähungen beschäftigen, die in dubiosen Branchendiensten über uns zu lesen sind. Das ist einfach nicht gut.
({0})
Ich halte es für falsch, dass wir solche Dienste aufwerten, indem wir deren Beschimpfungen, die wir alle
gelegentlich ertragen müssen, auch noch im Hohen
Haus, im Parlament, zitieren.
({1})
Von daher bitte ich Sie: Unterlassen Sie das schlicht und
ergreifend! Dafür sind wir sonst über kurz oder lang alle
betroffen. Das ist eine Aufwertung von Schmutz, den
wir im Parlament nicht benötigen, meine sehr verehrten
Damen und Herren.
({2})
Bevor ich zu meiner eigentlichen Rede komme, muss
ich sagen: Sie haben einiges gesagt, das schlicht nicht
stimmt. Ich fange einmal mit den wichtigsten Fehlern
an:
Sie haben darauf hingewiesen, dass wir für die Fallpauschalen kein zusätzliches Geld in die Hand nehmen.
Das ist schlicht nicht richtig. Wir haben vorgesehen, dass
für die Hochkostenfälle mehr Geld zur Verfügung gestellt wird. Wir haben eine bessere finanzielle Berücksichtigung dieser Fälle in den Universitätskliniken vorgesehen. Es steht nirgendwo ein Wort davon, dass dies
kostenneutral ist. Es ist also ganz klar, dass wir für die
Fallpauschalen mehr Geld ausgeben werden. Es handelt
sich dabei vor allem um Fälle, bei denen das besonders
nötig ist und deren Kosten mit den Mitteln für die HochDr. Karl Lauterbach
kostenkliniken nicht abgedeckt werden können. Es ist
daher schlichtweg falsch, zu behaupten, dass wir nicht
mehr Geld für die Fallpauschalen ausgeben. Das ist eine
falsche Kritik.
Es ist auch falsch, dass die Kliniken in den unterversorgten Gebieten die Leistungen nur beschränkt anbieten
dürfen. Das stimmt schlicht nicht. Wir öffnen die Kliniken in unterversorgten Gebiete für die fachärztliche Versorgung. Diese Öffnung ist nicht zeitlich befristet. Somit
ist auch das schlicht eine falsche Kritik.
Es ist auch falsch, dass das Institut für Qualitätssicherung in der Heilmittelversorgung nicht etatisiert ist. Wir
haben festgelegt, dass es genauso etatisiert sein soll wie
das funktionierende IQWiG, dem wir alle so viel verdanken, und zwar nach dem gleichen Leistungsgesetz und
der gleichen Höhe, wie es bisher der Fall war. Somit verfügt es über eine solide Finanzierungsbasis. Über die
Höhe können wir streiten. Sie können ja vorschlagen,
dafür mehr auszugeben, beachten Sie aber, dass für das
IQH die höchsten Ausgaben in Europa für ein Institut
dieser Art bereitgestellt werden. Es gibt in keinem anderen europäischen Land ein Institut oder Bundesinstitut,
das einen solchen Routineetat zur Verfügung gestellt bekommt. Sie reden also etwas klein, was wir gerade eingeführt haben. Das ist eine Fehldarstellung. Das stimmt
so schlicht nicht.
({3})
Es ist ebenfalls unwahr, dass wir - so haben Sie es gesagt - den Bundeszuschuss gekürzt haben und deshalb
versicherungsfremde Leistungen demnächst verstärkt
aus Versicherungsmitteln bezahlt werden müssen. Das
ist falsch. Bis 2017 - der Haushalt gilt für die gesamte
Legislaturperiode - wird der Etat, der aus Bundesmitteln
bezahlt wird, um eine halbe Milliarde Euro erhöht, und
zwar von 14 Milliarden Euro auf 14,5 Milliarden Euro.
Das ist eine Erhöhung.
Man kann darüber streiten, ob das reicht; ganz klar.
Man kann sagen: Das reicht nicht. - Aber in der Zeit bis
dahin wird keine einzige Leistung aus den Rücklagen
des Fonds bezahlt werden müssen. Sie haben nicht erwähnt, dass Überschüsse in Höhe von 30 Milliarden
Euro im Fonds und in den Kassen liegen. Diese Überschüsse blieben unerwähnt. Zum Ende der Legislaturperiode werden wir einen höheren Bundeszuschuss haben
als vorher. Es handelt sich also um eine Aufstockung des
Bundeszuschusses für die versicherungsfremden Leistungen und nicht um eine Kürzung, wie Sie fälschlicherweise behauptet haben. Daher war auch diese Behauptung schlicht unwahr. Es war eine Kritik, die auf der
Grundlage einer Fehldarstellung vorgetragen wurde.
({4})
Ich sage ganz offen: Ihre Rede war uninspiriert und
vor allen Dingen - das ist viel wichtiger - uninformiert.
So werden Sie hier im Hohen Hause keinen Erfolg haben. Das ist zumindest meine Überzeugung.
({5})
Es soll hier keine große Lobhudelei sein - ich mag
das selbst nicht -, aber wir haben aus meiner Sicht ein
paar Dinge erreicht, die nicht klein sind. Wenn wir das
Preismoratorium nicht fortgesetzt hätten, dann wären die
Preise zum Jahresbeginn explosionsartig gestiegen. Wir
haben das Preismoratorium und die Festsetzung des Herstellerrabatts auf 7 Prozent schnell umgesetzt. Das spart
bis zum Ende der Legislaturperiode immerhin über
3 Milliarden Euro.
Man kann nun natürlich sagen: Das reicht uns nicht.
Ein höherer Rabatt wäre noch besser gewesen. - Das
müssen Sie aber auch rechtlich begründen können. Wir
können den Rabatt nicht willkürlich festsetzen, nach
dem Motto der Linkspartei: Es darf ein Stückchen mehr
sein, zum Beispiel 20 oder 25 Prozent. Je mehr Umverteilung, desto besser, immer drauf auf die Pharmaindustrie! - Sie müssen das begründen, und zwar vor
dem Hintergrund, dass wir derzeit Überschüsse in Höhe
von 30 Milliarden Euro haben. Wir haben den Rabatt damals richtigerweise in dieser Höhe eingeführt, weil die
Kassen hohe Defizite gemacht haben. Jetzt machen die
Kassen Überschüsse. Das müssen wir nun bei der Festsetzung der Rabatte berücksichtigen;
({6})
denn dies ist keine Willküraktion. Wir können den
Rabatt nicht wie auf einem Basar festlegen; er muss angemessen sein. Ein Rabatt von 7 Prozent war aus meiner
Sicht angemessen. Wir haben den Preisanstieg bei den
Pharmaprodukten dadurch abbremsen können.
Wir haben damals zu Oppositionszeiten gemeinsam
dafür gekämpft, dass die Hausärzte bessere Arbeitsbedingungen bekommen. Ich sage in aller Klarheit: Bei
den Hausarztverträgen ist jede Vergütungsbeschränkung
entfallen. Das ist für die Hausärzte ein Durchbruch, wie
es ihn seit Jahren nicht mehr gegeben hat. Wir haben die
Hausarztverträge verbessert, indem wir die Qualitätssicherung zur Grundlage gemacht haben und die Chronikerprogramme darin verankert haben. Das ist eine
Entbürokratisierung, und es wird zu einer Verbesserung
der hausärztlichen Versorgung bei gleichzeitiger Qualitätssicherung führen.
Ich habe kein einziges Wort der Anerkennung gehört
- das sage ich auch an die Adresse der Grünen -, obwohl
wir diese Forderung, die wir selbst in der Opposition immer aufgestellt haben, erfüllt haben. Ich danke der Union
und dem Minister dafür, dass dieser Weg gemeinsam
gegangen wurde. Die hausärztliche Versorgung ist die
Grundlage für jede Qualitätsverbesserung in der ambulanten Medizin in Deutschland.
({7})
Was die Finanzierung anbetrifft, ist zu sagen, dass es
gelungen ist, die Kopfpauschalen abzuschaffen.
({8})
Es ist richtig, dass nicht jedes Element der Bürgerversicherung bereits umgesetzt wurde. Aber machen wir uns
nichts vor: Wir sind in einer Großen Koalition, und in ei2512
ner Großen Koalition muss man sich fair einigen. Die
faire Einigung sah so aus: Die Zusatzbeiträge werden
wieder einkommensabhängig erhoben.
({9})
Das heißt, Einkommensschwache profitieren von den
höheren Beiträgen der Besserverdienenden. Es kommt
sozusagen innerhalb der Kassen zu mehr Umverteilung
zwischen den Einkommensstarken und den Einkommensschwachen.
Es kommt auch zu mehr Umverteilung zwischen den
Kassen, weil der Finanzausgleich auf 100 Prozent ausgedehnt wurde. Das heißt, die Kassen mit mehr einkommensstarken Versicherten unterstützen die Kassen mit
mehr einkommensschwächeren Versicherten. Das ist ein
wichtiger Schritt in Richtung mehr Solidarität in unserem System. Das ersetzt zwar nicht die Bürgerversicherung komplett, aber immerhin wird dadurch die Solidargemeinschaft gestärkt. Diese Maßnahme wird dazu
führen, dass Einkommensschwache geringere Beiträge
zahlen müssen als Einkommensstarke.
Sie vergaßen auch zu erwähnen, dass wir die Zusatzbeiträge für diejenigen, die Arbeitslosengeld II beziehen,
komplett abgeschafft haben. Da wird kein Zusatzbeitrag
fällig. Auch das ist ein Schritt in Richtung Solidarisierung. Wir konnten nicht alles erreichen, aber es ist ein
wichtiger Zwischenschritt, auf den wir stolz sein
können.
({10})
Ich kann nur ganz kurz auf die große Pflegereform
eingehen. Die große Pflegereform wird aus meiner Sicht
eine der wichtigsten Reformen in unserem Solidarsystem sein, die wir in den letzten Jahren gemacht haben.
Diese Reform hat ein Gesamtvolumen von fast 6 Milliarden Euro. Die Leistungen im ambulanten und stationären Sektor werden dynamisiert, und die Vergütung für
die ambulante und stationäre Leistung - derzeit gibt es
eine unterschiedliche Vergütung auch bei gleicher
Leistung - wird angeglichen. Das neue System wird die
gesamte Pflege entbürokratisieren: weniger Schreibarbeiten, mehr Pflege. Die Familien werden mehr unterstützt, weil ein Teil des Geldes für die Kurzzeit-, Tagesund Nachtpflege ausgegeben wird. Es handelt sich außerdem um ein lernendes System.
Wir legen auch noch einen Vorsorgefonds für die
Babyboomer-Generation auf. Dazu stehen wir als SPD.
Damit hier kein falscher Eindruck entsteht, sage ich: Wir
stehen zum gesamten Koalitionsvertrag. Dazu zählt auch
die Rücklage für die Babyboomer-Generation in Höhe
von 1,2 Milliarden Euro pro Jahr.
Wir werden an dem System in Gänze festhalten, indem wir die Solidarität ausbauen, die Qualität bei Pflege
und Gesundheit verbessern und das System nachhaltig
finanzieren. Wir tun dies in einer Art und Weise, dass es
weniger Bürokratie, aber mehr Transparenz gibt.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({11})
Vielen Dank. - Nächster Redner in der Debatte ist die
Kollegin Maria Klein-Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr verehrter Herr Minister! Wir haben von
den Mitgliedern der Großen Koalition gerade schöne
Geschichten gehört,
({0})
die girlandenreich erzählen sollten, dass man auf einem
guten Weg ist, dass wir auf der einen Seite eine stabile
Finanzierung bekommen werden und auf der anderen
Seite mehr Qualität im Gesundheitswesen.
({1})
Die Wahrheit ist eine ganz andere.
({2})
Herr Minister, Sie haben ja auch eine Rückschau vorgenommen. Wenn man sich anschaut, wie die Situation
in den Krankenhäusern und in der Pflege ist, gehört zu
dieser Rückschau ganz elementar der enorme Reformstau im Krankenhausbereich und in der Pflege, den
Sie von Schwarz-Gelb geerbt haben. Das ist die große
Aufgabe, die Sie sich jetzt auch vorgenommen haben.
Das ist richtig, das ist gut. Eine Reform ist mehr als
überfällig.
({3})
Ob es gelingen wird, diese Reform mit den vorgesehenen finanziellen Mitteln auch tatsächlich zu stemmen,
bleibt noch dahingestellt. Meine Kollegin wird ja auch
gleich für den Bereich der Pflege noch einmal den Finger in die Wunde legen.
Dann haben Sie versucht, darüber hinwegzureden und
haben erzählt, dass wir ja heute die erste Haushaltsberatung der Großen Koalition im Bereich Gesundheit erleben. Die Wahrheit ist erst einmal: 95 Prozent dieses
Haushaltes machen die Zuschüsse zum Gesundheitsfonds aus. Diese Zuschüsse sind nicht etwa Verhandlungsmasse, abhängig von der Finanzlage, sondern sie
sind gesetzlich fixiert mit einem Auftrag. Dieser Auftrag
heißt: Es ist ein Zuschuss des Steuerzahlers für den
Beitragszahler für versicherungsfremde Leistungen. Sie
wollten das vertuschen, indem Sie darauf verwiesen haben, dass wir eine große Rücklage bei den Kassen und
im Gesundheitsfonds hätten. Die Wahrheit ist aber:
Diese Zuschüsse sind dazu da, beitragsfremde Leistungen abzudecken im Bereich des Elterngeldes, des Kinderkrankengeldes, der Mitversicherung von Kindern und
Ehepartnern. Das sind doch die eigentlichen Funktionen.
({4})
Da geht es um 30 Milliarden Euro. Der Zuschuss
deckt mit den insgesamt im Gesetz vorgegebenen
14 Milliarden Euro sowieso nur einen kleinen Teil ab.
Wenn Sie dort jetzt Geld entnehmen, machen Sie genau
das, was der Kollege von den Linken betont hat: Sie
nehmen Geld aus den Taschen der Beitragszahler, um einen vernünftigen und stabilen Haushalt vorweisen zu
können.
({5})
Aber das ist das Gegenteil von solider Finanzierung.
Das ist das Gegenteil von nachhaltiger Finanzierung.
Das ist ein Griff in die Kassen der Sozialversicherung.
({6})
Zusätzlich wollen Sie ja im Zuge der finanziellen
Reform, die Sie in Kürze angehen wollen, einen Zusatzbeitrag einführen, der die Versicherten erneut zur Kasse
bitten wird. Das ist zutiefst ungerecht.
({7})
Das, liebe SPD, ist auch das Gegenteil dessen, was
Sie gemeinsam mit uns und den Linken im Wahlkampf
versprochen haben. Sie sind wie wir für eine solidarische
Finanzierung eingetreten.
({8})
Wo bleibt genau dieses Konzept? Das möchte ich sehen.
({9})
- Das Konzept hatte trotzdem einen großen Rückhalt in
der Bevölkerung; das wissen Sie.
({10})
Nun hat der Minister ja auch noch einmal darauf hingewiesen, dass wir mit der Einführung des pauschalen
Zusatzbeitrages vielleicht ein bisschen viel Wettbewerb
im Gesundheitswesen hatten, sozusagen eine Überstrapazierung des Wettbewerbs, der dazu geführt hat,
dass die Kassen sehr stark auf ihre Ausgaben geschaut
haben. Sie meinen, dass Sie jetzt mit dem prozentualen
Zusatzbeitragssatz einen moderateren Weg gehen. Fakt
ist aber: Sie werden den Preiswettbewerb weiter fortsetzen. Das wird dazu führen, dass die Leistungen schlechter werden, dass die Krankenkassen nicht in bessere
Qualität und bessere Versorgung investieren, sondern
wie das Kaninchen auf die Schlange schauen werden,
wie ihr Beitragssatz und ihre Position im Preiswettbewerb der Krankenkassen aussehen werden. Das ist das
Gegenteil von Gerechtigkeit und Qualität in der Versorgung. Genau dieser Weg wurde schon während der
schwarz-gelben Regierungszeit beschritten. Der Schwerpunkt liegt vor allem auf Preiswettbewerb und Finanzen.
Es gibt nur wenige Investitionen in wirklich gute Qualität. Eine solche Herangehensweise ist angesichts des demografischen Wandels nicht zu verantworten.
Herzlichen Dank.
({11})
Vielen Dank. - Dr. Georg Nüßlein ist der nächste
Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Weinberg, Sie haben von der Null-Bock-Koalition
gesprochen. Schon die Wortwahl passt nicht zu dieser
Koalition. Das ist eher Ihr Jargon. Da Sie aber schon von
null Bock sprechen: Ich habe keine Lust auf die Bürgerversicherung, die Ihnen vorschwebt; denn diese führt zu
Gleichmacherei und dazu, dass alles gleichmäßig
schlechter wird.
Herr Lauterbach hat die Kompromisslinie sehr gut beschrieben und Ihnen vorgehalten, worauf wir uns sinnvollerweise verständigt haben und was das für diejenigen bringt, auf die es ankommt, nämlich für die
Patientinnen und Patienten, die Versicherten.
Da ich den Eindruck habe, dass die Opposition momentan nichts anderes zu tun hat, als uns den Start madig
zu machen und so zu tun, als ginge hier nichts voran,
will ich unterstreichen: Entgegen aller Unkenrufe hat
diese Koalition auch im gesundheitspolitischen Bereich
einen ausgezeichneten Start hingelegt.
({0})
Wir haben im Arzneimittelbereich ausgewogene Maßnahmen beschlossen. Die Verlängerung des Preismoratoriums und die Anhebung der Herstellerrabatte helfen, die
Ausgaben im Griff zu behalten. Die Beendigung des
Aufrufs der Bestandsmarktarzneimittel trägt eindeutig
zum Bürokratieabbau bei, vermeidet Streitfälle und gibt
den Arzneimittelherstellern verlässliche Perspektiven.
Denn zur Wahrheit gehört auch: Wir brauchen für die
Arzneimittelhersteller in diesem Land, das einmal die
Apotheke der Welt war, verlässliche Perspektiven und
die komplette Wertschöpfungskette. Das ist nicht nur
unter industriepolitischen Aspekten wichtig, sondern
auch entscheidend für die Versorgung der Patienten. Ich
erinnere nur an die Lieferengpässe, die uns gelegentlich
drücken, beispielsweise bei den Impfstoffen. Im Laufe
dieser Legislaturperiode müssen wir prüfen, ob die Rahmenbedingungen zum Beispiel bei der Preisfindung verbessert werden müssen.
Wir haben im Koalitionsvertrag - wie ich meine, zu
Recht - vereinbart, dass wir möglichst bald in einen Dialog mit der Pharmaindustrie treten, nicht um einer Lobby
nachzulaufen, sondern im Bewusstsein, dass die Pharmaindustrie in Deutschland hohe Umsatzrenditen erzielt
und für Deutschland wichtig ist. Sie ist genauso wichtig
wie die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum. Ich
bin dem Bundesgesundheitsminister sehr dankbar, dass
wir gleich zu Beginn ein Signal an die Hausärzteschaft
gesendet und die Vergütungsdeckelung beseitigt haben.
Man kann sicherlich viele theoretische Diskussionen
darüber führen, wie sich der ländlichen Raum für die
hausärztliche Versorgung attraktiver gestalten lässt. Aber
zum Schluss müssen Taten folgen. Dass es dabei auch
um Euro und Cent geht, dürfte jedem in diesem Haus
klar sein.
Nun haben wir den Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in
der GKV auf den Weg gebracht. Dieses Gesetz wird an
verschiedenen Stellen Nutzen stiften. Die Festschreibung der Arbeitgeberbeiträge ist hier schon kritisiert
worden. Sie ist aber aus meiner Sicht ein Beitrag, um in
diesem Land Arbeitsplätze zu sichern.
Wir haben in der Tat einen einkommensabhängigen
Zusatzbeitrag statt des Sozialausgleichs über Steuermittel vereinbart. Er ist geeignet, Bürokratie zu reduzieren.
Wir werden in einem ersten Schritt die Beiträge für alle
senken. Nur die Kassen, die zusätzliche Mittel benötigen, werden Zusatzbeiträge erheben. Dadurch haben wir
mehr Transparenz und mehr Wettbewerb. Es werden etliche Kassen sein - darüber brauchen wir nicht zu diskutieren -, aber wir haben, wie gesagt, mehr Transparenz
und mehr Wettbewerb. Die Kassen erhalten mehr Beitragsautonomie und die Versicherten ein Sonderkündigungsrecht; das möchte ich ganz ausdrücklich sagen.
Das können sie wahrnehmen, je nachdem, ob ihnen die
Kosten mehr am Herzen liegen oder ob aus ihrer Sicht
das Serviceangebot wichtiger ist. Ich glaube, dass wir an
der Stelle einen guten Schritt vorangekommen sind.
Nun wurde hier verschiedentlich die Reduzierung des
Bundeszuschusses an den Gesundheitsfonds angesprochen. Ich weiß, dass das ein Einfallstor für Kritik der
Opposition ist, weil man verschiedene Rechnungen aufmachen und allerhand behaupten kann. Wenn man aber
angesichts der Tatsache, dass 30 Milliarden Euro auf
Halde liegen, am Anfang weniger und später, wenn das
Geld knapp wird, mehr zahlt, dann kann das doch nicht
Anlass für Kritik sein; denn das Geld fehlt an der Stelle
nicht.
Kollege Nüßlein, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Klein-Schmeink?
Ich nehme an, dass die Kollegin mir wieder dasselbe
vorrechnen wird wie vorhin, aber gerne.
({0})
Wir rechnen jetzt nicht einfach, sondern es geht darum, dass der Zuschuss von 14 Milliarden Euro definitiv
im § 221 des SGB V fixiert ist, und zwar genau für den
Zweck der Abgeltung versicherungsfremder Leistungen.
Es ist also nicht so, dass man je nach Kassenlage einen
Zuschuss dort hinschieben kann oder nicht. Vielmehr ist
dieser Zuschuss zur Abdeckung von bestimmten Kosten
vorgesehen. Insgesamt sind es 30 Milliarden Euro, die
aufzubringen wären, aber 14 Milliarden Euro stehen im
Gesetz. Das ist das eine.
Der andere Gesichtspunkt ist: Wenn weniger Zuschuss an den Gesundheitsfonds gegeben wird, wird das
dazu führen, dass dann, wenn der Gesundheitsfonds leer
ist - das wird er Ende 2015 sein -, der Beitragszahler
nach Ihren Plänen ihn alleine wieder auffüllen, also alleine die Kosten tragen muss. Sehe ich das richtig, oder
wie würden Sie das beschreiben?
Liebe Frau Kollegin, das ist Ihre Sicht der Dinge. Ich
sehe ganz klar, dass wir das Gesetz und auch den Zuschuss regeln. Wir sagen in dem Zusammenhang: Wir
zahlen das Geld dann in diesen Fonds, wenn es notwendig ist und wenn es als Ausgleich gebraucht wird. Das
werden wir in höherem Maße zu dem Zeitpunkt tun,
wenn die Gelder, wie Sie es richtig beschreiben, fehlen.
Daher drückt mich die Sorge nicht, dass die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler in diesem Zusammenhang
draufzahlen.
({0})
Wir werden an dieser Stelle unserer Verpflichtung, wie
es alle Redner der Koalition beschrieben haben, komplett nachkommen. Seien Sie da nicht in Sorge!
({1})
Ich will auch die Regelung zum Risikostrukturausgleich ansprechen, die mehr Gerechtigkeit zwischen den
Kassen schaffen soll. Deshalb werden wir im Zusammenhang mit diesem Mechanismus insbesondere über
das Krankengeld reden. Das Krankengeld ist eine einkommensabhängige Entgeltfortzahlung. Deshalb muss
man die Einkommensstrukturen der Versicherten in den
unterschiedlichen Krankenkassen - die weichen voneinander ab - entsprechend berücksichtigen.
Nun hat vorhin jemand gesagt, wir würden nicht auf
die Qualität schauen. Auch das ist falsch. Es ist im Gesetzentwurf ein Institut für Qualitätssicherung und
Transparenz im Gesundheitswesen vorgesehen. Gerade
die Verbesserung der Qualität in der medizinischen Versorgung ist dieser Koalition ein entscheidendes Anliegen. Ich möchte deutlich machen: Qualität ist das entscheidende Wort, nicht Staatsmedizin.
({2})
Ich sage Ja zu einer Verbesserung der Qualität. Wir
müssen aber darauf achten, dass die Diagnose- und Therapiefreiheit nicht durch Standardisierung oder Reglementierung eingeschränkt wird.
({3})
Arzt und Patient brauchen Freiheit bei der Behandlung
von Krankheiten, um dem individuellen Fall Rechnung
zu tragen.
({4})
- Ich erkläre es Ihnen gleich.
Die freie Arztwahl und die freie Krankenhauswahl
sind elementare Voraussetzungen für eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung. Ich sage das besonders
deshalb, weil wir auch vorhaben, Regelungen zu den
Wartezeiten zu treffen. Das macht Sinn, weil es viele bedrückt, dass sie nicht rechtzeitig einen Termin bei dem
Facharzt bekommen, den sie sich ausgesucht haben.
Aber das Ganze kann man nicht schematisch, losgelöst
von individuellen Fragestellungen, etwa von der Frage,
welchen Arzt die entsprechende Person für sich ausgesucht hat, klären. Deshalb werden wir über dieses Thema
noch eine ganze Menge nachdenken müssen.
({5})
In den nächsten Wochen wird der Gesetzentwurf zur
ersten Stufe der Reform der Pflegeversicherung vorbereitet. Es gibt vielfältige Leistungsverbesserungen mit
einem Gesamtvolumen von 2,5 Milliarden Euro. Mir ist
es ganz wichtig, dass wir den Grundsatz „Ambulant vor
stationär“ ganz nach vorne rücken. Natürlich haben die
pflegebedürftigen Menschen einen Anspruch darauf,
möglichst lange in ihrem gewohnten Umfeld zu verbleiben.
Wenn man den Grundsatz „Ambulant vor stationär“
nach vorne rückt, dann gehört dazu, dass wir bestehende
Betreuungsleistungen in der ambulanten Pflege ausbauen
- das wollen wir tun -, dass wir niederschwellige Entlastungsleistungen zugunsten Pflegebedürftiger und ihrer
Angehörigen verbessern, dass wir dafür sorgen, dass wir
die häusliche Pflege flexibler gestalten, dass wir Leistungen zu deren Stabilisierung voranbringen - Stichwort
kurzzeitige Verhinderungspflege, Tages- und Nachtpflege -, dass wir Zuschüsse für Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes auf den Weg bringen.
Das sind aus meiner Sicht wichtige Themen, die wir
in diesem Zusammenhang bearbeiten müssen, und das
neben dem allseits diskutierten Pflegebedürftigkeitsbegriff. Wir haben hier ganz genau überlegt, wie wir vorgehen: erst ein Gutachten erstellen lassen, die Ergebnisse
Anfang 2015 haben und dann nach dem Grundsatz
„Sorgfalt vor Schnelligkeit“ den neuen Pflegebegriff
einführen. Das macht aus meiner Sicht absolut Sinn. Der
Minister hat auch ganz deutlich gesagt, dass es besonders auf die Rekrutierung von Pflegekräften ankommt.
Dafür reicht es nicht aus, nur ins Ausland zu schauen,
um dort Menschen abzuwerben und dafür zu sorgen,
dass sie hierherkommen.
({6})
Herr Kollege Nüßlein, gestatten Sie noch eine kurze
Zwischenfrage der Kollegin Vogler?
Ja, eine Zwischenfrage gestatte ich noch.
Sie haben danach noch eine ganz kurze Redezeit.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Danke, Herr Kollege, dass Sie diese Zwischenfrage zulassen. - Sie haben
gerade erneut davon gesprochen, „Sorgfalt vor Schnelligkeit“ gelte bei der Umsetzung des neuen Pflegebegriffs. Nun debattieren dieses Haus und die ganze gesundheitspolitische Welt schon seit circa zehn Jahren
über den neuen Pflegebegriff. Die vorherigen Bundesregierungen haben bereits zwei eingesetzte Expertenbeiräte an dieser Frage verschlissen,
({0})
die jeweils substanzielle Vorschläge gemacht haben, die
einen neuen Pflegebegriff ausgearbeitet haben. Das liegt
alles auf dem Tisch.
Meinen Sie nicht, dass jetzt langsam der Zeitpunkt
wäre, auch einmal auf die Vorarbeiten zurückzugreifen,
darauf zu vertrauen, dass sie sorgfältig sind, und ein kleines bisschen Schnelligkeit an den Tag zu legen, im Interesse der Menschen mit Pflegebedarf, ihrer Angehörigen
und der Pflegekräfte, die schon seit längerer Zeit auf
eine Anpassung der Leistungen warten?
({1})
Liebe Kollegin, ich weiß, dass es für eine Linke viel
verlangt ist, wenn ich sage: Vertrauen Sie auf das, was
diese Bundesregierung hier in großer Ausgewogenheit
und mit viel Sorgfalt leistet. Wir werden dieses Gutachten abwarten. Es geht um alles. Wir geben über 2 Milliarden Euro zusätzlich aus. Es muss sichergestellt
werden, dass dieses Geld am Schluss bei den Pflegebedürftigen respektive bei den pflegenden Personen ankommt und nicht sonst irgendwo landet. Es muss auch in
Ihrem Interesse sein, meine Damen und Herren, dass das
gelingt. Trauen Sie uns!
({0})
Das wird so kommen.
({1})
Aus Zeitgründen kann ich das, was ich zur Sterbehilfe
und Palliativmedizin sagen wollte, leider nicht ausführen. Aber es gibt bestimmt noch genügend andere Gelegenheiten, das zu diskutieren.
Ich möchte noch einmal ganz klar unterstreichen:
Diese Bundesregierung hat auch im Gesundheitsbereich
einen guten Start hingelegt.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({2})
Vielen Dank. - Herr Kollege Nüßlein, es gibt sicher
noch viele Gelegenheiten, die anderen Themen anzusprechen. Aber wir danken Ihnen jetzt insbesondere,
weil Sie heute an Ihrem Geburtstag zu uns gesprochen
haben. Dazu herzlichen Glückwunsch vom gesamten
Haus!
({0})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Pia Zimmermann,
Fraktion Die Linke.
({1})
Danke schön. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Erst einmal auch von mir noch herzlichen
Glückwunsch zum Geburtstag, Herr Dr. Nüßlein!
({0})
Meine Damen und Herren, gute Pflege ist individuell,
sie ist selbstbestimmt, und sie muss sich an den Bedürfnissen der Betroffenen orientieren.
({1})
Gute Pflege ist vollumfänglich und beinhaltet gesellschaftliche Teilhabe.
({2})
Gute Pflege wird von ausgebildetem Personal erbracht unter guten Arbeitsbedingungen und bei guter Bezahlung. Und: Gute Pflege ist Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge und ein Menschenrecht.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor diesem
Hintergrund möchte ich auf die von Herrn Minister
Gröhe vorgestellten Vorhaben im Pflegebereich eingehen.
Durch eine Erhöhung des Beitragssatzes zur Pflegeversicherung wollen Sie etwa 3,6 Milliarden Euro jährlich mehr einnehmen. Wenn ich aber betrachte, was Sie
damit alles umsetzen wollen, dann muss ich sagen, dass
Sie heute schon jeden Euro mindestens zweimal ausgegeben haben. Der Löwenanteil der Mehreinnahmen
kommt gar nicht als verbesserte Pflegeleistung bei den
Menschen mit Pflegebedarf an:
Ein Drittel der Summe benötigen Sie für schon bestehende Leistungen, um sie der allgemeinen Preisentwicklung anzupassen - mindestens, wenn nicht sogar deutlich mehr! Die Höhe müsste allerdings geprüft werden.
So sieht es auch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz
von 2008 vor.
Doch was planen Sie? Sie zäumen das Pferd von hinten auf. Sie prüfen erst gar nicht, wie viel für den Ausgleich der Kostenentwicklung zu veranschlagen ist. Sie
legen einfach irgendeinen Betrag fest. Das ist Politik
nach Kassenlage auf dem Rücken der Menschen mit
Pflegebedarf und ihrer Angehörigen, und das ist mit uns
Linken nicht zu machen.
({4})
Ein weiteres Drittel wollen Sie bei der Deutschen
Bundesbank in einem Fonds für die geburtenstarken
Jahrgänge zurücklegen. Meine Damen und Herren, wie
geht denn so etwas? Das Geld benötigen wir jetzt dringend in der Pflege. Wir können es doch nicht einfach zurücklegen und dort schmoren lassen.
({5})
Herr Minister Gröhe, Sie sehen: Es bleibt von dem
Geld, das Sie mehr einnehmen, gar nicht so viel übrig.
Sie versprechen den Menschen Leistungsverbesserungen
in der häuslichen und ambulanten Pflege sowie im stationären Bereich, von denen Sie heute schon wissen,
dass Sie sie überhaupt nicht einhalten können.
Bei alledem verwundert es nicht, dass Sie, Herr
Gröhe, die Familie als Deutschlands Pflegedienst Nummer eins bezeichnen.
({6})
Das stimmt natürlich. Die Familie ist nicht nur der
größte Pflegedienst, sondern auch der kostengünstigste.
Genau da wollen Sie ansetzen.
Selbstverständlich müssen die Angehörigen, die zu
Hause pflegen wollen, und die zu Pflegenden, die zu
Hause von ihren Angehörigen gepflegt werden wollen,
bestmögliche Unterstützung haben. Aber die Betonung
liegt auf „wollen“; das darf nicht aus finanzieller Not heraus passieren.
({7})
Anders gesagt: Bei guter und selbstbestimmter Pflege
darf es Unterschiede zwischen Arm und Reich nicht geben. Herr Dr. Nüßlein, wenn Sie das „Gleichmacherei“
nennen, soll mir das recht sein;
({8})
wenn Sie es umsetzen würden, wäre es mir noch mehr
recht.
({9})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gute Pflege
ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Sie darf nicht von privaten Zusatzversicherungen abhängig sein. Deshalb
können Sie den sogenannten Pflege-Bahr auch gleich
wieder einmotten.
({10})
Diese private Zusatzversicherung bedient im Wesentlichen die Versicherungswirtschaft und bringt den Versicherten kaum Leistungen. Ich vermute, Sie haben das
schon selbst gemerkt. So erkläre zumindest ich mir das
Absenken der staatlichen Förderung im Haushalt 2014
für ebendiese Versicherung von 100 Millionen Euro auf
33 Millionen Euro.
Meine Damen und Herren, wenn Sie die eingangs von
mir benannten Punkte ernst nehmen und eine gute, individuelle und selbstbestimmte Pflege für alle wollen,
wenn Sie möchten, dass Pflegeberufe wieder Spaß machen und ein auskömmliches Einkommen bringen, wenn
Sie den neuen Pflegebegriff mit Leben füllen wollen,
und zwar sofort, dann gibt es nur eine Antwort auf all
diese Fragen: die solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung, in die alle, unabhängig von Berufsgruppe
und Selbstständigkeit, entsprechend dem jeweiligen Einkommen einzahlen.
({11})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gute umfassende Pflege ist ein Menschenrecht. Sie haben die Verantwortung, dies auch zu gewährleisten. Handeln Sie
endlich im Interesse der Pflegebedürftigen, ihrer Angehörigen und des Pflegepersonals.
Herzlichen Dank.
({12})
Vielen Dank. - Petra Hinz ist die nächste Rednerin für
die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte, liebe Frau Präsidentin! Ich habe mir gewünscht, dass Sie heute die Sitzung leiten. Mit der ehemaligen Ministerin im Rücken kann es nur positive Inspirationen geben.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Eigentlich wollte ich mit einem Zitat von
Johann Wolfgang von Goethe beginnen. Ich spare es mir
einfach. In den zurückliegenden Tagen der Debatte über
den Haushalt ist mir aufgefallen, dass wir von der Opposition keine Gegenvorschläge, sondern
({1})
immer wieder gehört haben - um Ihre Worte zu verwenden -: Null Bock. Und: Sie haben noch nichts auf den
Weg gebracht. - Herr Minister Gröhe hat es gerade deutlich gemacht: Gerade im Bereich Gesundheit und Pflege
versuchen Sie, Angstszenarien aufzubauen.
({2})
In dieser Zeit, wo wir seit Anfang des Jahres dabei sind,
den Koalitionsvertrag umzusetzen, und den ersten Haushalt der Koalition einbringen und debattieren, erwarten
Sie schon die Bilanz, die wir Ihnen Ende 2017 vorstellen
werden. Das verstehe ich nicht unter konstruktiver Zusammenarbeit.
Erlauben Sie mir, in diesem Zusammenhang auch
Folgendes deutlich zu machen: Mein Kollege Karl
Lauterbach hat in seinem Wortbeitrag darauf hingewiesen, dass man dafür und dagegen sein kann. Man kann
deutlich machen, dass man für den Ansatz im Haushalt
oder dagegen ist. Man kann deutlich machen, dass der
Ansatz zu niedrig oder zu hoch ist. Darüber kann man
sich inhaltlich streiten. Wenn aber hier ein Dialog in der
Art stattfindet, dass zuerst ein Redner Behauptungen
aufstellt, darauf aus der Regierungskoalition entgegnet
wird und der nächste Redner darüber hinwegredet, frage
ich: Was bringt eine Debatte im Deutschen Bundestag,
wenn es nur darum geht, vorgefertigte Meinungen vorzutragen, und das, was mit unserem ersten Haushalt eingebracht wird, nicht zur Kenntnis genommen wird? Für
die Unterstellung, dass wir nicht an die Pflegenden, die
unter erschwerten Bedingungen arbeiten, und die zu
Pflegenden denken und dass wir nicht daran arbeiten
wollen, dass es in diesem Bereich eine Verbesserung
gibt, müssen Sie erst einmal den Beweis liefern. Ich
finde diese Herangehensweise, die wir in den letzten Tagen - nicht grundsätzlich, in einzelnen Debattenbeiträgen aber schon - erlebt haben, nicht sehr konstruktiv und
zielführend. Das ist für die Menschen draußen sicherlich
sehr verwirrend.
Zur Frage der Kostensteigerung. Sie haben, als es um
den Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds ging, unterschiedliche Worte gewählt. Sie haben uns vorgeworfen, dass wir den Gesundheitsfonds plündern werden
oder dass sich - darauf sind Sie, Herr Minister, gerade
eingegangen - dadurch möglicherweise Kostensteigerungen im Gesundheits- oder im Pflegebereich ergeben.
Wir sollen und müssen ehrlich sein - Frau Zimmermann,
Sie haben darüber gerade gesprochen: In der Tat: Pflege
kostet Geld. Wir müssen hier eine Debatte führen, wie
viel Geld es uns noch kosten wird; denn Pflege gibt es
nicht zum Nulltarif. Wir reden über Pflegebedürftige,
und wir reden über Pflegende.
({3})
Ja, wir reden aber auch über die Menschen, die es ehrenamtlich machen. Ich weiß, wovon ich rede: Es gibt
Situationen, in denen man seine Lebensplanung umstellt,
um einen Familienangehörigen pflegen zu können. All
das gibt es, und dem wollen wir in den nächsten vier Jahren Rechnung tragen.
({4})
Ich komme zur Frage der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Ja, es muss schnell passieren,
aber auch da haben wir einen Zeitplan, der festlegt, wann
die Gutachten und die Ergebnisse vorgelegt werden.
Ja, wir wollen eine Qualifizierung im Bereich der
Dienste und der Einrichtungen. Ja, wir wollen, dass die
Pflegearbeit professionalisiert wird. Dafür werden entsprechend Mittel bereitgestellt.
Ja, wir wollen, dass die Vereinbarkeit von Pflege und
Beruf verbessert wird. Frau Präsidentin, Sie haben in Ih2518
Petra Hinz ({5})
ren Jahren als Gesundheitsministerin dafür gesorgt, dass
man in der Situation, dass ein Pflegefall eintritt, wenigstens in den ersten zehn Tagen freigestellt wird, um die
ersten Maßnahmen durchführen zu können.
Als Haushälterin möchte ich natürlich auch auf die
Rahmendaten des Haushalts eingehen. Es ist in der Tat
der erste Haushalt nach Rösler und Bahr. Ich mache mir
da gar nichts vor: In dem Haushalt, der jetzt zu beraten
ist, können natürlich nicht all die Dinge enthalten sein,
die wir im Koalitionsvertrag verabredet haben. Maßstab
werden die folgenden Haushaltsberatungen sein. In der
Tat belaufen sich die Gesamtausgaben für Pflege und
Gesundheit auf 11 Milliarden Euro. Das sind rund
3,7 Prozent des Gesamthaushaltes.
Ja, es stimmt: Ein großer Teil unseres Etats ist aufgrund gesetzlicher Verpflichtungen gebunden. Umso
wichtiger ist es, erstens die gesetzlichen Bedingungen zu
erfüllen und zweitens die Möglichkeiten zu nutzen, die
die Mittel für gesundheitspolitische Maßnahmen in
Höhe von 78,6 Millionen Euro bieten, über deren Verwendung wir entscheiden. Auch wenn es nur ein kleiner
Anteil des Etats ist, sollten wir darüber reden.
Wir stellen auch Mittel für Prävention und Aufklärung zur Verfügung. Hier geht es unter anderem um Aufklärung im Aids- und Drogenbereich. Hier finden sich
auch die Pflegekampagnen wieder; es ist schon angesprochen worden. Hinzu kommen die Bereiche Forschung und Öffentlichkeitsarbeit.
Wir haben in unserem ersten Berichterstattergespräch
den Minister gebeten, uns alle Maßnahmen, Aufgaben
und Finanzen im Bereich der Querschnittsarbeit darzulegen. Es geht darum, deutlich zu machen, dass Gesundheit und Pflege - wir haben es gerade von der Kollegin
Schwesig gehört, die sich auch mit der Pflege beschäftigt - Querschnittsaufgaben sind. Wir werden daran insgesamt arbeiten.
Ich möchte einen Punkt besonders hervorheben, und
zwar die Förderung der Kindergesundheit. Ja, es war ein
Fehler des damaligen Gesundheitsministers, das entsprechende Programm auslaufen zu lassen, ohne eine Kompensation zu leisten, ohne andere Konzepte, ohne Alternativen auf den Tisch zu legen und entsprechende Mittel
in den Haushalt einzustellen. Umso wichtiger ist das jetzige Signal, das wir aussenden, indem wir 500 000 Euro
für die Förderung der Kindergesundheit einstellen.
({6})
Was im Einzelnen dahintersteckt, haben die Fachkolleginnen und -kollegen diskutiert. Wir warten jetzt auf die
Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys.
Der Bericht wird im Mai dieses Jahres vom RobertKoch-Institut vorgestellt. Daran muss weiteres Handeln
anknüpfen.
„Gesundheitliche Aufklärung der Bevölkerung“ - unter dieser Überschrift finden wir zwölf weitere Maßnahmen. Ich möchte nur drei ansprechen, und zwar die Aufklärung zur Organspende, für die 7,5 Millionen Euro
eingestellt werden, die Aufklärungskampagne zur Steigerung der Durchimpfung, für die 3 Millionen Euro eingestellt werden, und die Kampagne zur Gesundheit von
Kindern und Jugendlichen, für die 2,1 Millionen Euro
eingestellt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aufstockung
der Mittel für die Aufklärung zur Organspende geschieht
vor dem Hintergrund - das muss man so ansprechen, wie
es tatsächlich ist -, dass in dem Bereich unverantwortlich gehandelt wurde. Wir wollen wieder für die Organspende werben. Das, was in dem Bereich geschehen ist,
ist ein Skandal, und man muss es ansprechen.
({7})
Ein anderer Punkt, den ich hier ansprechen möchte,
ist der Bereich Aids. Die Mittel für Forschungs- und
Entwicklungsvorhaben zur Erkennung und Bekämpfung
von Aids werden in unserem Haushalt nicht gekürzt. Im
Gegenteil: Die Mittel für diesen Bereich werden stabilisiert. Wir werden sehen, welche weiteren Maßnahmen
wir brauchen, um hier voranzukommen.
Frau Professor Dr. Pott von der Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung hat uns in unserem Berichterstattergespräch sehr eindringlich und nachhaltig die
Arbeit des Instituts dargelegt und deutlich gemacht:
Trotz der zurückgehenden Infektionszahlen müssen wir
noch mehr Mittel für die Aufklärung in diesem Bereich
bereitstellen.
({8})
Ich komme zu einem Herzensanliegen von mir: die
Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIVinfizierte Personen“. Wir müssen uns fragen, wie wir
künftig die Finanzierung der Stiftung sicherstellen wollen. Eigentlich hätte bereits der damalige Gesundheitsminister Bahr etwas zur Lösung beitragen müssen.
Wir werden uns diesem Thema jetzt verstärkt stellen.
Ich erinnere an den Film Blutgeld, und ich erinnere daran: Es geht um 1 500 Bluter, die in den 1980er-Jahren
mit HIV infiziert wurden. Inzwischen leben nur noch
400 Betroffene. Ihnen gegenüber haben wir eine gesellschaftliche Verpflichtung, der wir nachkommen müssen.
({9})
Ich spreche das so direkt an, weil wir in der Tat gemeinsam an einer Lösung für die Betroffenen arbeiten
müssen. Wir dürfen uns nicht wegducken. Alle Ebenen
- Bund, Länder, DRK, aber auch die Pharmaindustrie müssen einen Beitrag leisten. Wir werden alles dafür
tun, um eine Regelung für die Zeit nach 2017 zu erarbeiten. Es kann nicht sein, dass dieses Thema immer wieder
im Rahmen von Haushaltsdebatten aufgegriffen werden
muss.
Ich wollte noch etwas zum Thema internationale Zusammenarbeit sagen, aber dafür reicht meine Redezeit
nicht. Frau Präsidentin, ich hoffe aber, dass Sie mir noch
Gelegenheit geben, Dank zu sagen.
Ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen, den
Mitberichterstattern Frau Deligöz, Frau Lötzsch und
Herrn Heiderich, und aus meinem Fachbereich insbesondere meinem Kollegen Burkhard Blienert. Mein Dank
Petra Hinz ({10})
gilt allen Kolleginnen und Kollegen aus der Facharbeitsgemeinschaft und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
der Institute, die uns im Rahmen des Berichterstattergesprächs Rede und Antwort gestanden haben. Mein Dank
gilt auch dem Finanzministerium.
Zu Beginn meiner Rede wollte ich eigentlich ein Zitat
bringen. Zum Schluss meiner Rede möchte ich mit dem
folgenden Zitat des Heilpraktikers Erhard Blanck dem
Gesundheitsministerium einen Wahlspruch, und zwar rezeptfrei, ans Herz legen:
Wir sollten alles für die Gesundheit tun. Wir haben
ja sonst nichts zu tun.
Sehr geehrter Herr Minister Gröhe, vielen Dank für
das erste Berichterstattergespräch. In der Tat: Die Messlatte wird der Haushalt des Jahres 2015 sein. In diesem
Sinne wünsche ich uns eine gute und konstruktive Beratung - für die Menschen und für die Gesundheit.
({11})
Vielen Dank. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich jetzt das Wort der Kollegin Elisabeth
Scharfenberg.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Herr Laumann,
schön, dass auch Sie da sind. Es ist Zeit, Tacheles zu reden über die Pflegepolitik dieser Koalition. Anders als
Sie uns seit Tagen glauben machen möchten, haben wir
keinen Anlass zur Freude. Ihre pflegepolitischen Aktivitäten und Ihre Streitigkeiten sind eher Anlass zur Enttäuschung.
({0})
Ja, Sie wollen viel Geld für die Pflegereform in die
Hand nehmen. Das ist auch dringend notwendig. Sie hatten eigentlich genug Zeit, in den unionsgeführten Bundesregierungen zentrale Reformen anzupacken, aber das
ist nicht geschehen.
({1})
Mehr Geld für die Pflege - ja, aber mehr Geld allein
ist kein Wert an sich. Wir sind es den Pflegebedürftigen
und den Versicherten schuldig, genau zu schauen, was
mit dem Geld eigentlich passieren soll; denn die müssen
das schließlich alles bezahlen.
Vor allem sollte man, gerade kurz vor Ostern, nicht
über ungelegte Eier gackern.
({2})
Für die erste Stufe der Pflegereform liegt uns seit gestern
ein Gesetzentwurf vor. Für den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff wird da schon mal kein Geld verwendet. Am
Dienstag haben Sie, Herr Gesundheitsminister Gröhe,
auf einer Pressekonferenz laut verkündet, dass nun die
Erprobung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs beginnt. Eigentlich, so haben Sie gesagt, beginnt damit ja
schon die Einführung des Pflegebegriffs. - Herr Gröhe,
was beginnt denn mit der Erprobung? Das stimmt doch
einfach nicht!
({3})
Die Erprobung einer Sache ist doch nicht gleichbedeutend mit ihrer Einführung. Sie gackern nur. Ich sage Ihnen: Dieses Ei ist noch lange nicht gelegt.
({4})
Vor 2017, das haben Sie selbst gesagt, rechnen Sie
nicht mit der Umsetzung des Pflegebegriffs. Das sind
aber fast noch drei Jahre! Warum denn eine weitere Erprobung? Die könnte längst abgeschlossen sein. Vier
Jahre haben Sie in der schwarz-gelben Koalition einfach
verplempert und nichts davon auf den Weg gebracht.
Wie erklären Sie den Menschen, dass sie weiter warten
müssen? Gerade Menschen mit einer Demenz oder einer
geistigen Behinderung bekommen heute oft keine oder
nur unzureichende Leistungen von der Pflegeversicherung. Mit dem neuen Pflegebegriff soll der Pflegebedarf
dieser Menschen endlich objektiv festgestellt werden.
Sie sollen endlich einen festgeschriebenen Anspruch auf
Leistungen der Pflegeversicherung erhalten. Das ist bisher nicht der Fall. Daran ändern auch die Leistungsverbesserungen, die Sie mit diesem Gesetzentwurf auf den
Weg bringen wollen, nichts.
({5})
Ich frage Sie: Warum schustern Sie am bestehenden
System herum, an dem System, das Sie mit dem neuen
Pflegebegriff grundlegend verändern wollen? So machen Sie die Einführung des neuen Pflegebegriffs nur
noch schwieriger, übrigens auch immer teurer. Die
Wahrheit ist: Sie schinden wieder einmal Zeit. Sie verteilen jetzt ein paar Wohltaten und halten sich damit ein
Hintertürchen offen. Werden Sie am Ende des Tages den
neuen Pflegebegriff doch noch ad acta legen?
Klar ist: Der neue Pflegebegriff ist nicht umsonst zu
haben. Sollten Sie befürchten, dass der neue Pflegebegriff zu teuer wird, dann sollten Sie vielleicht jetzt über
eine alternative Finanzierung nachdenken. Dazu fordere
ich auch die SPD auf.
({6})
Meine Damen und Herren von der SPD, erinnern Sie
sich doch an Ihre eigenen Konzepte, und setzen Sie sich
für eine Pflege-Bürgerversicherung ein! Eine PflegeBürgerversicherung wäre solidarisch und gerecht. Durch
die Einbeziehung aller Bürgerinnen und Bürger und aller
Einkunftsarten würden neue finanzielle Spielräume entstehen. So könnten wir den neuen Pflegebegriff auf zumutbare Weise finanzieren.
({7})
Zum Schluss: Lassen Sie endlich die Finger vom
Pflegevorsorgefonds! Damit legen Sie den Beitragszahlern ein besonders faules Ei ins Nest.
({8})
Das mag von außen ganz schön gefärbt sein; aber unter
der Schale, wenn der Lack ab ist, Herr Spahn, fängt es
ordentlich an zu stinken. Bis gestern hatte ich die Hoffnung, dass sich Herr Spahns Märchen vom Vorsorgefonds als goldener Topf nicht durchsetzt. Gestern hat uns
leider die Realität eingeholt: Der Fonds steht tatsächlich
im Gesetzentwurf.
({9})
Alle Befürchtungen, die wir und zahlreiche Experten Ihnen seit Monaten vortragen, werden sich bestätigen. Dieser Fonds kann und wird nicht funktionieren. Er ist auch
bei der Bundesbank nicht davor geschützt, zu anderen
Zwecken missbraucht zu werden. Das konnten wir in einem Beitrag von Herrn Laumann lesen, der das ebenfalls
bezweifelt. Das sagt übrigens auch die Bundesbank
selbst, beispielsweise im Monatsbericht vom März. Herr
Gröhe, ich frage Sie: Lesen Sie so etwas überhaupt? Das
muss man doch wissen.
Das Entscheidende ist: Der Fonds soll bis zum Jahr
2055 wieder leer sein. Das steht so im Gesetzentwurf.
Und dann? Dann muss der Beitragssatz natürlich wieder
steigen. Das scheint zu Ihnen überhaupt nicht durchzudringen. Wir wissen doch schon heute, dass die Zahl der
Pflegebedürftigen etwa ab 2060 leicht sinken wird. Es
wird aber auch weniger junge Menschen geben, die Beiträge zahlen. Die Formel ist unterm Strich doch ganz
einfach: Weniger junge Menschen zahlen für mehr alte
Menschen.
({10})
Also kann der Beitragssatz nicht sinken. Der Beitragssatz wird dann konstant auf hohem Niveau bleiben. Dieser Fonds ist nicht nachhaltig und nicht generationengerecht. Er ist ein einziger Bluff.
Herr Minister, wenn Sie den neuen Pflegebegriff
wirklich wollen - das bezweifle ich, ehrlich gesagt, inzwischen -, dann können wir uns diesen Fonds nicht
leisten, dann brauchen wir eine solidarische Bürgerversicherung. Steuern Sie um! Noch haben Sie die Zeit dazu.
Vielen Dank.
({11})
Vielen Dank. - Maria Michalk ist jetzt die nächste
Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, in einer Gesundheitsdebatte, erst recht in
den Haushaltsberatungen, ist der Hauch von Zynismus,
der sich hier im Raum ein bisschen verbreitet hat, nicht
angebracht.
({0})
Angesichts des Verlaufs der Debatte ist es mir wichtig, auf Folgendes hinzuweisen: Das System des
Gesundheitswesens in Deutschland beinhaltet eine Einnahmen- und Ausgabenpolitik, getragen vom Gesundheitsfonds und den Krankenkassen. Das, was für den
Haushalt relevant ist, ist der Steuerzuschuss. Die Einnahmen und Ausgaben im deutschen Gesundheitswesen
sind fast genauso hoch - das ist eine Milliardensumme wie unser gesamter Bundeshaushalt. Das muss hier einfach einmal gesagt werden.
({1})
- Aber das hat niemand so gesagt. Es ist der Eindruck erweckt worden, als ob wir durch Kürzungen bei Zuschüssen oder nicht ausreichende Aufwüchse bei Titeln im
Entwurf des Haushaltes des Gesundheitsministeriums
den Herausforderungen der Zukunft und der aktuellen
Situation nicht Rechnung tragen.
Hier macht sich ein falscher Eindruck breit. Deshalb
ist es mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass in der haushaltseinführenden Rede unseres Bundesfinanzministers
ganz deutlich zur Sprache gekommen ist, dass dieser
strukturell ausgeglichene Haushalt mit dem Blick auf
das nächste Jahr dank guter politischer Rahmenbedingungen möglich geworden ist,
({2})
aber vor allem, weil die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes wirklich hervorragend ist.
Der stärkste Impuls für diese wirtschaftliche Entwicklung kommt aus der Binnennachfrage. Zur Binnennachfrage zählt auch die Nachfrage nach Leistungen im deutschen Gesundheitswesen.
({3})
Wir sollten würdigen, dass der eine oder andere Bürger
oder die eine oder andere Bürgerin gemerkt hat, dass
man nicht nur zum Doktor gehen sollte, wenn man
Schmerzen hat, sondern dass auch Prophylaxe wichtig
ist, dass man präventive Beobachtungen vornehmen
oder zur Vorsorge gehen sollte.
({4})
Letztlich sollte man den kleinen Doktor, den jeder in
sich trägt, arbeiten lassen, damit nicht erst dann Gesundheitsleistungen in Anspruch genommen werden, wenn
sie akut gebraucht werden. Dafür haben wir zwar ein
hervorragendes Gesundheitswesen in Deutschland; aber
es ist auch wichtig, dass wir präventive Maßnahmen und
Vorsorge nicht kleinreden.
({5})
Frau Kollegin Michalk, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Klein-Schmeink?
Gerne.
Sie beschäftigen sich ja gerade ausführlich mit dem
Thema Prävention. Ist Ihnen bewusst, dass gerade in den
letzten drei Jahren unter Schwarz-Gelb die Aufwendungen für Prävention drastisch reduziert wurden, dass also
gerade das, was Sie als wichtiges Ziel benannt haben,
nicht erreicht ist?
Liebe Frau Kollegin, Sie wissen genauso gut wie ich,
dass wir in der letzten Legislaturperiode ein Präventionsgesetz auf den Weg gebracht hatten, in dem vorgesehen
war, dass die Mittel für präventive Maßnahmen auf
500 Millionen Euro steigen.
({0})
Durch den Bundesrat wurde dies dann doch nicht zum
Gesetz. Ich kann mich erinnern, dass auch Sie nicht ganz
unbeteiligt daran waren.
({1})
Zweitens wissen wir, dass - dies habe ich am Anfang
angesprochen - der einzelne Bürger erkannt hat, dass er
auch selber etwas tun muss. Viele tun etwas; das muss
man lobend erwähnen. Das schlägt sich nicht im Haushalt nieder, aber in der gesamtwirtschaftlichen Bilanz.
Deshalb sprechen wir auch von der Gesundheitswirtschaft. Diese ist Bestandteil unserer gesamten volkswirtschaftlichen Entwicklung. - Ich bin noch nicht fertig.
Das ist die Antwort auf Ihre Frage. - Der eine oder andere Bürger fährt in seinem zweiten Urlaub im Jahr vielleicht auch einmal in eine Kureinrichtung und wird insofern präventiv tätig. Das finden wir richtig. Ich glaube,
das wird in Zukunft vermehrt der Fall sein. Die gesamte
Ausgabensystematik in der Gesundheitswirtschaft, wenn
ich diesen Begriff noch einmal nennen darf, ist ein
wachsender Prozess, und das ist gut so.
Ich will auf einen anderen Aspekt näher eingehen, der
hier schon eine Rolle gespielt hat: die demografische
Entwicklung. Die Menschen werden immer älter und
wollen möglichst lange vital und mobil bleiben. Sie nutzen bessere Behandlungsmethoden, Medikamente, neue
Diagnoseverfahren und die Medizintechnologien, um bis
ins hohe Lebensalter mehr Lebensqualität zu haben.
Gleichzeitig sind die Krankheitsbilder im Alter komplexer; die Behandlungsbedarfe sind es dadurch auch. Darauf müssen wir uns einstellen, auch in der Pflege; das
ist schon zur Sprache gekommen. Entsprechend lenken
wir die Finanzströme. Wir justieren das immer wieder
neu, manchmal auch sehr kleinteilig. Ich denke da an
§ 87 a im SGB V.
Wir erhoffen uns aus der breiteren Versorgungsforschung weitere Erkenntnisse und Optionen, um an genau
diesen vielen kleinen Schrauben zu drehen. Im Gesundheitswesen ist es nicht so, dass man einmal den großen
Wurf macht und dann zehn Jahre Ruhe hat. Dafür ist unser System viel zu komplex und die Lebenswirklichkeit
der Menschen zu unterschiedlich.
Ich komme auf zwei Entwicklungen zu sprechen, einmal aus der Versichertensicht und einmal aus der Leistungserbringersicht. Wer krank ist, will natürlich schnell
Hilfe bekommen und einen Arzt aufsuchen; darauf haben wir in der letzten Koalition mit der feingliedrigen
Bedarfsplanung reagiert. Bei Unklarheiten im Krankheitsbild möchte man schnell einen klärenden Termin
bei einem Facharzt bekommen; wir antworteten mit der
Vierwochenfrist. Im Pflegefall will man, dass die Einstufung in die Pflegestufe relativ rasch erfolgt; wir antworteten mit einer Frist gegenüber dem MDK. - Diese Liste
könnte man fortsetzen.
Was die Leistungserbringerseite angeht, wissen wir,
dass es nicht mehr den Doktor gibt, der 20 Stunden am
Tag die Arbeit in seiner Praxis erledigt und Hausbesuche
absolviert. Die Medizin wird weiblicher. Deshalb ist die
Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie viel stärker in den Fokus zu nehmen als vielleicht in den vielen
Jahren zuvor; wir antworteten auf diese Entwicklung
durch eine modifizierte Vertretungsmöglichkeit, aber natürlich haben wir da noch mehr zu tun. Was die Apotheker auf dem Land betrifft, haben wir gemerkt, dass es
sich für sie nicht lohnt, einen Nachtdienst anzubieten;
wir haben darauf mit einer Nachtdienstpauschale reagiert. Da kann doch niemand sagen, wir würden auf die
aktuelle Entwicklung nicht reagieren. Alles ist im Fluss.
({2})
Kritische Analyse ist immer eine Momentaufnahme.
Sie ist wichtig, damit wir das Gesamtziel im Auge behalten. Das Gesamtziel ist und bleibt, für alle Menschen in
unserem Land unabhängig vom Alter die Angebote im
Gesundheitswesen entsprechend der neuesten medizinischen Entwicklung sicherzustellen.
Herr Kollege Weinberg, auch ich will Ihnen antworten: Wenn Ihre These stimmen würde, dann wären die
Aussagen des MLP-Gesundheitsreports 2014 falsch.
Denn 80 Prozent der Menschen in diesem Land sagen:
Das Gesundheitswesen in Deutschland ist gut bis sehr
gut.
({3})
Das sollte man nicht geringschätzen. Dabei geht es nämlich um Vertrauen, das die Menschen haben: in Ärzte,
Krankenhäuser, Pflegekräfte, Laboranten und Hebammen, aber auch in Orthopäden, Augenoptiker und Zahn2522
techniker. Warum ist das so? Das ist so, weil wir ein sehr
gutes Ausbildungssystem haben. Wir geben den Menschen eine verpflichtende Weiterbildung auf. Deshalb
sage ich an dieser Stelle: Wir lassen nicht durch Wind
aus Brüssel an unserem bewährten Ausbildungssystem
rütteln, weder dann, wenn es um Pflegekräfte geht, noch
dann, wenn es, wie aktuell, um die Handwerksmeister
geht.
({4})
Frau Kollegin Michalk, denken Sie bitte an die Redezeit.
Zum Schluss möchte ich sagen: Wir werden bei Modellprojekten bleiben. Sie haben sie kritisiert. Ich finde,
sie sind richtig. Neben den Modellprojekten, die im Pflegebereich laufen, haben wir seit dem 1. April dieses Jahres übrigens auch ein männliches Modellprojekt, liebevoll „ARMIN“ genannt, in dessen Rahmen in enger
Kooperation mit allen Leistungserbringern getestet wird,
ob die Wirkstoffverordnung zu einer qualitativ besseren
Leistungserbringung im Interesse der Versicherten führt.
Wir sind auf das Ergebnis in fünf Jahren gespannt. Ich
wünsche mir schon heute,
Frau Kollegin Michalk!
- dass der Gesundheitsausschuss ganz schnell für die
Umsetzung sorgt und dies in Gesetzesform gießt. Das
zeigt, dass wir nicht nur auf die jetzige Legislaturperiode
schauen, sondern auch in die Zukunft.
Danke schön.
({0})
Vielen Dank. - Nächster Redner in der Debatte ist der
Kollege Burkhard Blienert, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Herr Bundesminister Gröhe! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte einen direkten
Blick auf den Haushalt werfen. Wir haben viel über die
Pflege und andere Bereiche gehört. Diese Themen
werden uns an anderen Tagen noch beschäftigen. Heute
geht es erst einmal um die Zahlen des Haushalts
des Bundesgesundheitsministeriums. Hinter diesen
Zahlen verbergen sich erste Vorstellungen von unserer
Gesundheitspolitik. Dabei geht es um die alten und
neuen gesundheitspolitischen Herausforderungen, die
wir in nächster Zeit bewältigen müssen. Es wird deutlich, dass wir uns wieder auf dem richtigen Weg, auf
dem Weg einer präventiven Gesundheitspolitik, befinden
({0})
und dass auch ein verhältnismäßig kleiner Haushalt eine
große Wirkung entfalten kann.
Wir müssen uns natürlich die Frage stellen: Was
macht gute Gesundheitspolitik aus, wann ist sie erfolgreich und nachhaltig? Unserer Ansicht nach ist das dann
der Fall, wenn das Prinzip gilt: erst Gesundheit bewahren und dann, wenn notwendig, Krankheiten heilen. Das
Merkmal für nachhaltige Gesundheitspolitik ist daher:
Sie muss vorsorgen, sie muss auf Gesundheitsgefahren
hinweisen und über Gesundheitsrisiken aufklären, und
sie muss Menschen weitestgehend vor Krankheit bewahren. Vorsorgende Gesundheitspolitik ist damit auch ein
Teil des vorsorgenden Sozialstaates. Sie muss daher eng
mit der Bildungs- und Familienpolitik wie auch mit der
aktiven Arbeitsmarktpolitik verzahnt werden.
({1})
An dieser Stelle erinnere ich schon daran: Prävention
und Gesundheitsförderung spielen sich in Lebenswelten
wie der Kita, der Schule, dem Betrieb, aber auch im
Pflegeheim ab. Der kommunalen Gesundheitsvorsorge
wird dabei in nächster Zeit eine größere Bedeutung zukommen.
({2})
Prävention ist daher ein zentraler Bereich unserer Gesundheitspolitik. Prävention ist keine Einbahnstraße.
({3})
Prävention muss alle Teile der Gesellschaft erreichen.
Ich möchte einige Beispiele dafür nennen, vor welchen Herausforderungen wir stehen: Erst vor kurzem
gab es wieder Meldungen über die wachsende Drogenproblematik an der deutsch-tschechischen Grenze. Insbesondere Jugendliche, teilweise jünger als 16 Jahre,
greifen immer häufiger zur Modedroge Crystal, aus ganz
unterschiedlichen Gründen. Für relativ wenig Geld ein
Maximum an Leistungsfähigkeit kaufen, das ist der
Wunsch der Jugendlichen. Die enormen Risiken und gefährlichen Nebenwirkungen werden ignoriert. Hier müssen wir handeln. Hier muss Aufklärungsarbeit geleistet
werden - hier müssen Projekte über die Gefahren informieren -, und den Betroffenen muss geholfen werden.
({4})
Sehen wir uns das Feld der Onlinesucht an. Jeder
fünfte Jugendliche in Deutschland ist computerabhängig
oder zumindest gefährdet. Meistens betrifft es die Jungs.
Onlinespiele, soziale Netzwerke, all dies gehört bei vielen Jugendlichen zur täglichen Freizeitbeschäftigung.
Hier ein Post und dann noch schnell in den Chat, das ist
normal. Die Übergänge zwischen Freizeitgestaltung und
Sucht sind oftmals fließend und nur schwer erkennbar.
Außerdem gibt es noch eine große Unsicherheit in der
Gesellschaft, ab wann wir jemanden als onlinesüchtig
bezeichnen müssen. Von 30 Stunden pro Woche ist häufig die Rede. Aber stimmt das tatsächlich? Und was passiert dann? Wo ist Hilfe, wie sieht die Hilfe aus? Was
machen die Angehörigen, die oftmals erst dann etwas
mitbekommen, wenn das Kind sprichwörtlich online
verschwunden ist? Sinnvolle und vorsorgende Gesundheitspolitik kann auch vor dieser besorgniserregenden
Entwicklung nicht die Augen verschließen. Auch hier
müssen Beratungsangebote gesichert und ausgebaut
werden. Eltern und Jugendliche brauchen Anlaufstellen,
die niedrigschwellig helfen.
({5})
Die Diagnose wäre damit klar. Stimmt auch die Therapie? Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem
Haushalt setzt die Große Koalition den Schwerpunkt im
Bereich der Prävention. Über 43 Millionen Euro werden
für Präventions- und Aufklärungsarbeit eingestellt, Geld,
das dringend für die Sicherstellung von Projekten zum
Beispiel in der Sucht- und Drogenprävention benötigt
wird. Hier muss auch gesagt werden: Schon vor 2009 hat
Gesundheitsministerin Ulla Schmidt viele richtige und
wichtige Modellprojekte aufgelegt.
({6})
In den letzten vier Jahren sind viele Projekte leider ausgelaufen; wir haben dies in der letzten Wahlperiode zu
Recht immer wieder kritisiert.
Präventionsangebote kosten Geld, das sich aber langfristig auszahlt. Deshalb sind im Haushalt für die Arbeit
gegen Drogen- und Suchtmittelmissbrauch über 12 Millionen Euro eingestellt. Wir werden auch eine Dreiviertelmillion für Computer- und Onlinesucht-Prävention
zur Verfügung stellen. Auch den Bereich der Glücksspiele müssen wir im Auge behalten. Glücksspielsucht
ist ein ernstzunehmendes Problem in unserer Gesellschaft.
Nur eine Zahl hierzu: Allein die Belastungen der
Krankenkassen aufgrund der Behandlung belaufen sich
auf eine halbe Milliarde Euro. Auch das müssen wir
noch stärker in den Blick nehmen. Auch institutionell
verbessern wir die Präventionsarbeit. Mit 4 Millionen
Euro mehr statten wir die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus. Das sind im Vergleich zu 2013
knapp 25 Prozent mehr.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Prävention hat viele
Facetten. Sie ist für vorsorgende Gesundheitspolitik unablässig und kostet Geld. Gesundheitsrisiken sind abhängig von Lebensgewohnheiten und Umwelteinflüssen,
aber auch vom sozialen Status. Richtige Präventionsarbeit muss hierauf reagieren. Es ist an uns, das alles nicht
aus den Augen zu verlieren. Neue Entwicklungen müssen in der Gesundheitsvorsorge mitgedacht und aufgenommen werden. Fakt ist aber auch: Politik kann nicht
alles regeln. Manches kann aber nur durch Politik befördert werden.
Vorsorge beginnt natürlich im Denken und Handeln
jedes Einzelnen. Deshalb müssen wir mit unseren Beratungsangeboten dort ansetzen, wo wir die Menschen finden und abholen können, damit wir niemanden aus dem
Blick verlieren. Mit diesem ersten Haushalt der Großen
Koalition untermauern wir dies.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({8})
Vielen Dank, Herr Kollege Blienert. Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zu Ihrer ersten Rede hier im Deutschen Bundestag.
({0})
Die Kollegin Karin Maag hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Bei Gesamtausgaben von 11 Milliarden
Euro sind für die eigentlich gesundheitspolitisch relevanten Aufgaben insgesamt 78 Millionen Euro veranschlagt.
({0})
Von diesen Ausgabentiteln mit einem Gesamtvolumen
von 78 Millionen Euro liegen mir weiterhin natürlich
vor allem die Ausgabentitel für die Aids- und die Drogenaufklärung am Herzen. Mit der Mittelaufstockung
auch der vergangenen Jahre, Herr Kollege, wurde die
Reichweite der Maßnahmen erhöht und der zielgruppenspezifische Ansatz verbessert, und da bleiben wir weiterhin eng dran.
({1})
Auch die Mittel für die Forschung in diesem Bereich
in Höhe von 1,6 Millionen Euro wurden wieder gut angelegt. Ein Beispiel für den Bereich Aids: Wir sprechen
hier in mittlerweile rund 20 Fällen - das hört sich wenig
an, ist aber eine bahnbrechende Verbesserung - von
funktioneller Heilung; das heißt, diese Menschen sind
praktisch virusfrei, ohne spezielle Medikamente. Hier ist
das Geld also wirklich toll angelegt.
Frau Hinz, ich bin mit Ihnen absolut einer Meinung:
2014, spätestens aber 2015 müssen wir die Mittel für die
Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIVinfizierte Personen“ aufstocken. Das haben Sie vollkommen richtig gesagt.
({2})
Die Renten sind bis maximal 2017 finanziert, und es
muss jetzt einfach zu einer Anschlussfinanzierung kommen. Hier bin ich auf Ihrer Seite.
Mit unserem neuen Koalitionspartner werden wir an
dem, was wir bisher gemacht haben, anknüpfen. Wir
werden für die Menschen, die Versicherten, die Patienten
da sein und sie in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen. Mit dem 14. Änderungsgesetz zum SGB V - das
wurde schon erwähnt - haben wir sofort begonnen, bei
der Arzneimittelversorgung nachzusteuern. In diesem
Zusammenhang ist mir wichtig: Wir haben den G-BA
beauftragt - das ist im Sinne der Patienten -, eine Substitutionsliste zu erstellen, um die Medikamentenversorgung der Patienten zu verbessern.
Aktuell steht die Neuordnung der GKV-Finanzen an.
Herr Lauterbach hat es erwähnt: Die Finanzreserven lagen 2013 bei rund 30 Milliarden Euro. Die Krankenkassen und der Gesundheitsfonds haben allein im letzten
Jahr einen Überschuss von 1,7 Milliarden Euro erzielt.
Dies war möglich, obwohl wir mit der Abschaffung
der Praxisgebühr eine finanzielle Entlastung erreicht haben, die Finanzmittel für die Krankenhäuser erhöht haben und den Apothekennotdienst deutlich besser vergüten. Wir senken deshalb den allgemeinen Beitragssatz
zum 1. Januar 2015 auf künftig paritätisch finanzierte
14,6 Prozent. Darüber hinaus wird es einen einkommensabhängigen Zusatzbeitrag geben. Wie hoch er ausfallen wird, kommt darauf an, wie wirtschaftlich eine
Kasse arbeitet. Jedenfalls sind rund 20 Millionen Versicherte Mitglieder von Kassen, die schon jetzt mit einem
niedrigeren Beitrag auskommen könnten. Ich bin mir sicher, dass diese Kassen ihre Versicherten an den finanziellen Reserven teilhaben lassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur, aber vor
allem auch ältere und kranke Menschen haben ein Recht
auf ein Leben in Würde. Deshalb verbessern wir weiterhin die Rahmenbedingungen der Pflege für die Betroffenen, die Familien und die Pflegeberufe. Wir sind davon
überzeugt, dass wir uns das leisten können und müssen,
vor allem weil es unserem christlichen Menschenbild
entspricht. In diesem Zusammenhang ist auch der Vorsorgefonds zu sehen, in den 1,2 Milliarden Euro fließen.
Damit sparen wir für die Zukunft. Ich gehöre der Generation der Babyboomer an. Wir stellen uns der Verantwortung für die Zukunft. Meine Generation wird mit
diesen Mitteln dazu beitragen, dass unsere Pflege, also
auch meine eigene, künftig finanziert werden kann. Das
halte ich für einen zentralen und wichtigen Ansatz.
({3})
Eine besondere Herausforderung für uns alle ist in
dieser Legislaturperiode die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung für alle Menschen, unabhängig von ihrem Wohnort. Uns liegt vor allem die Grundversorgung
am Herzen. Es ist alarmierend, dass in den nächsten zehn
Jahren 42 Prozent der Hausärzte aus Altersgründen ausscheiden. Gerade die hausärztlichen Sitze in den ländlichen Regionen - es wird aber auch in den Großstädten
langsam schwierig - sind schwer nachzubesetzen. Es ist
mir ein Anliegen, dass wir insbesondere mit den für die
universitäre Ausbildung zuständigen Ländern die Ausbildung so gestalten, dass das Berufsbild des Hausarztes
bzw. das Berufsbild eines in der Grundversorgung tätigen Arztes auch in der Ausbildung regelhaft auftaucht.
Wir müssen auch die Weiterbildung anpassen.
({4})
Es ist ein langwieriges Geschäft, neue Versorgungsinstrumente in die Regelversorgung im Lebensalltag zu
implementieren. Ob die hausärztliche Versorgung jetzt
mit dem 14. Änderungsgesetz bundesweit besser läuft,
wird sich zeigen. Ich hoffe es, und wir arbeiten daran.
Wir haben bereits 2011 die Bedarfsplanung und Vergütung flexibilisiert und regionalisiert. Das Umsetzungsverfahren hat viel Zeit in Anspruch genommen. 2013
war die Übergangsfrist zu Ende. Der G-BA hat 2012 die
Bedarfsplanungs-Richtlinie erstellt. Die Ergebnisse sind
noch nicht belastbar. Noch länger dauert die gesetzliche
Reglung zur ambulanten fachärztlichen Versorgung.
Diese neuen Regelungen müssen jetzt dringend mit Leben erfüllt werden. Angesichts der zähen Verhandlungen
innerhalb des G-BA ist es mir ein persönliches Anliegen,
die Position der Unparteiischen zu stärken. Sie müssen
Verantwortung für den Prozess übernehmen, steuern und
lenken.
({5})
Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ja. - Ich will noch den Innovationsfonds erwähnen.
Wir haben mit einer Vielzahl an Selektivverträgen, Ärztenetzen, Medizinischen Versorgungszentren usw. die
unterschiedlichsten intra- und intersektoralen Kooperationsformen. Diese müssen der jeweiligen Situation, den
Regionen und unterschiedlichen Krankheiten angepasst
werden. Es ist mir wichtig, dass passgenaue Lösungen
gefunden werden. Wenn die 225 Millionen Euro in die
Förderung sektorenübergreifender Versorgungsformen
fließen und es so zu Verbesserungen kommt, dann werden wir einige vernünftige Punkte in die Regelversorgung übernehmen können.
Ich denke, wir sind mit der Großen Koalition auf
einem guten Weg. Wir haben heute einiges gehört, was
uns wirklich weiterbringt. Ich bin sehr zuversichtlich,
dass wir in vier Jahren einige zentrale Verbesserungen
vorweisen können.
Danke schön.
({0})
Vielen Dank. - Letzter Redner zum Einzelplan 15 ist
der Kollege Helmut Heiderich, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste auf der Tribüne! Als Haushälter
muss man sich etwas mehr der finanziellen Seite zuwenHelmut Heiderich
den. Deswegen möchte ich mich am Anfang mit den
Vorwürfen von der linken Seite beschäftigen, die gestern
in der Generaldebatte, aber auch vorhin geäußert worden
sind. Es wurde behauptet, dieser Bundeshaushalt gefährde die Sozialkassen. Meine verehrten Kolleginnen
und Kollegen von der Linken, ich habe den Eindruck,
dass Sie immer noch nicht so ganz begriffen haben, was
eigentlich Sozialkassen sind. Sozialkassen werden von
den Bürgern und den Unternehmen gefüllt. Je besser die
wirtschaftliche Lage in einem Lande ist, desto besser
geht es den Sozialkassen.
Heute Morgen wurde der aktuelle Bericht der Forschungsinstitute veröffentlicht. Diese Institute haben
festgestellt, Deutschland steht vor einem weiteren Aufschwung und dafür verantwortlich ist dieser Bundeshaushalt. Mit dem Bundeshaushalt wird also die Situation der Sozialkassen verbessert. Das sollten Sie einmal
öffentlich sagen.
({0})
Ich will Sie bei dieser Gelegenheit zurückfragen:
Wann hatten wir in Deutschland jemals 42 Millionen Beschäftige? Wann hatten wir jemals 29 Millionen Menschen, die in die Sozialkassen eingezahlt haben?
({1})
Das ist ein Erfolg unserer Politik und stärkt die Sozialkassen. Das steht im Gegensatz zu dem, was Sie behaupten.
({2})
Herr Kollege Heiderich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weinberg?
Gerne.
Vielen Dank, Herr Kollege Heiderich, dass Sie die
Zwischenfrage zulassen. - Wir haben derzeit in Deutschland 134 Kassen. Wissen Sie, wie viele von denen im
letzten Jahr auf die Rücklage zugreifen mussten, also das
Jahr mit einer roten Zahl abgeschlossen haben? - Ich
kann es Ihnen sagen: Es waren 104 von 134 Kassen. Das
heißt, die Lage im Gesundheitsbereich und die Lage der
Kassen selbst sind gar nicht so rosig, wie Sie es darstellen.
({0})
Ich will Ihnen darauf antworten, dass es nicht auf die
Anzahl der Kassen ankommt, sondern darauf, wie viele
Versicherte betroffen sind. Wenn ich den Herrn Minister
vorhin richtig verstanden habe, dann ist es so, dass
aufgrund der Neuregelung der Versicherungsbeiträge die
Hälfte der Versicherten in Deutschland geringere Beiträge zahlen wird als vorher. Die Lage ist also offensichtlich sehr gut, und dies zeigt, dass wir hier auf einem
richtigen Weg sind.
({0})
Meine Damen und Herren, Sie können es auch umgekehrt sehen: Immer dann, wenn es in Deutschland wirtschaftlich schwierig war, haben auch die Sozialkassen zu
kämpfen gehabt. Das will ich am Beispiel des Gesundheitsfonds deutlich machen. Der Gesundheitsfonds, der
ja 2004 eingeführt worden ist, hat eine relativ wechselhafte Geschichte. Am Anfang wurden 2,5 Milliarden Euro für versicherungsfremde Leistungen zur Verfügung gestellt. Das ist deutlich weniger als heute.
Mit der Erlaubnis des Präsidenten möchte ich eine
Grafik hochhalten. Sie zeigt die Entwicklung des Zuschusses an den Gesundheitsfonds. In roter Farbe ist der
Anstieg dargestellt, den er normalerweise hätte nehmen
sollen. Im Jahr 2009 kam der wirtschaftliche Einbruch.
Was ist dann geschehen? Die Bundesregierung hat aus
konjunkturellen Gründen dem Gesundheitsfonds in den
darauffolgenden Jahren - dies ist in anderen Farben dargestellt - zusätzliche Milliarden gegeben: 2009 zusätzlich 3 Milliarden Euro, 2010 zusätzlich 11 Milliarden Euro und 2011 zusätzlich 8 Milliarden Euro. Das
Ministerium hat mir freundlicherweise ausgerechnet,
dass weit über 30 Milliarden Euro mehr in den Gesundheitsfonds gegeben worden sind, als nach der Berechnung der versicherungsfremden Leistungen eigentlich
notwendig gewesen wären. Das ist die Wahrheit zum
Gesundheitsfonds. Wenn wir jetzt aus konjunkturellen
Gründen etwas aus diesem Haushalt zurücknehmen,
dann ist das sozusagen ein Stück weit ein Ausgleich und
nicht, wie Sie behaupten, die Gefährdung dieses Gesundheitsfonds.
Auf der anderen Seite müssen wir auch darauf achten
- das sage ich auch einmal als Haushälter -, dass die
Ausgaben mittel- und längerfristig mit dem Wachstum
des BIP, mit dem Wirtschaftswachstum zur Deckung
gebracht werden müssen. Das sollten wir immer bedenken, wenn wir hier über Einzelmaßnahmen und Einzelprojekte reden.
Es gibt in diesem Haushalt eine Reihe von neuen
Schwerpunkten. Ich begrüße das außerordentlich. Es
sind schon einige davon angesprochen worden. Ich begrüße auch, dass wir hier auf dem Weg zu einem Innovationsfonds sind, weil wir diesen mit den neuen Schwerpunkten verbinden können. Ich unterstreiche noch
einmal ganz ausdrücklich: Es geht um die zusätzliche
ärztliche Versorgung im ländlichen Raum. Wir wissen
alle, dass das im Moment schwierig ist. Wir haben in den
letzten Jahren einige Schritte unternommen und einige
Verbesserungen eingeführt, aber wir sind noch lange
nicht am Ziel. Deswegen befürworte ich, dass wir mit
diesem Innovationsfonds das Thema „Ärzteversorgung
im ländlichen Raum“ aufgreifen.
({1})
Aber ich empfehle auch, dass wir uns in gleicher
Weise mit der Frage der stationären Versorgung in die2526
sen Räumen beschäftigen und damit, ob wir in Zukunft
noch kommunale oder kirchliche Krankenhäuser haben
wollen oder ob wir dahin kommen wollen, dass am
Schluss nur noch drei oder vier große Gesundheitskonzerne die gesamte stationäre Versorgung in Deutschland
übernehmen.
({2})
Das ist eine Frage, über die wir diskutieren müssen. Das
ist auch eine Frage, die wir mit diesem Innovationsfonds
aus meiner Sicht angehen müssen.
Ich begrüße ausdrücklich auch, dass die Bundesregierung die Position eines Pflegebeauftragten geschaffen
hat und dass wir mit der entsprechenden Ausstattung, die
in diesem Haushalt vorgesehen ist, die Möglichkeit haben, diese wichtige Aufgabe - das ist eben ja schon
mehrfach angesprochen worden - weiter zu stärken und
zu vertiefen. Auch da brauchen wir einfach nur einen
Blick auf das Tagesgeschehen zu werfen. Heute wurde
eine Studie vorgelegt, in der steht, dass Deutschland mit
einem Seniorenanteil von 20 Prozent und mit der geringsten Anzahl an Kindern in Europa dasjenige Land
ist, das am stärksten von der demografischen Entwicklung betroffen sein wird. Deswegen müssen wir uns in
dieser Richtung alle gemeinsam um Lösungen bemühen.
Da mag es an der einen oder anderen Stelle Unterschiede
in der Bewertung geben, aber wir müssen uns alle darüber im Klaren sein: Dieser Bereich der Pflege und der
Pflegeversicherung ist eine der großen Aufgaben im Gesundheitshaushalt für die nächsten Jahre.
({3})
Herr Kollege.
Ja, bitte schön.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Zimmermann?
Ja, gerne.
({0})
Vielen Dank, Herr Heiderich, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. - Ich wollte noch etwas zu dem Referentenentwurf sagen, weil Sie gesagt haben, dass in der
zweiten Stufe der Pflegebegriff eingeführt werden soll.
Da geht es ja darum, dass alle Einschränkungen, egal ob
körperliche oder geistig-kognitive, auch unter diesen
Pflegebegriff fallen. Jetzt haben Sie gesagt, Sie wollen
2016/2017 den Beitrag um 0,2 Prozentpunkte erhöhen
und damit Mehreinnahmen von 2,4 Milliarden Euro erzielen. Meine Frage dazu ist: Der Bremer Gesundheitsökonom Heinz Rothgang hat gesagt, dass diese 2,4 Milliarden Euro im Jahr gar nicht ausreichen. Der Kollege
ist ja erfahren. Er war ja auch in den Pflegeexpertenbeiräten mit dabei und hat das alles mit erarbeitet. Er sagt
nun, es müssten mindestens 4 Milliarden Euro sein.
Können Sie da zur Aufklärung beitragen?
Sie werden nicht erwarten, dass ich jetzt in der Kürze
der Zeit die Meinungen des einen oder anderen Experten
gegeneinander abwäge. Es ist völlig klar, dass immer die
Frage ist, was man alles hineinrechnen will, und dass
man sich natürlich unbegrenzt noch weitere Leistungen
ausdenken kann. Aber wir müssen die Mittel, die wir haben, und die Anforderungen, die auf uns zukommen,
miteinander in Einklang bringen. Die Pflegeversicherung war nie eine Vollversicherung. Wir haben von Anfang an gesagt, dass es sich hier um eine Teilhilfe bzw.
Teilunterstützung handelt. So müssen wir in dem Aufgabenbereich, den Sie gerade erwähnt haben, fortfahren.
Lassen Sie mich in der letzten Minute, die mir noch
zur Verfügung steht, auf einen anderen Punkt hinweisen.
Ich begrüße, dass wir uns mit diesem Bundeshaushalt in
die europäische Zusammenarbeit verstärkt einbringen;
das wurde vorhin kurz angedeutet. Deutschland hat gegenüber Griechenland die Verpflichtung übernommen,
das griechische Gesundheitssystem zu reformieren und
in ein modernes Gesundheitssystem zu überführen. Dort
stehen wir in der Verantwortung. Dafür müssen wir uns
im Haushalt entsprechend ausstatten. Ich begrüße ausdrücklich, dass wir hier so aktiv sind.
Lassen Sie mich kurz zusammenfassen. Der Gesundheitshaushalt unterstützt die weitere Entwicklung des
Gesundheitssystems in Deutschland. Wir stehen weltweit - auch darüber darf man vielleicht einmal ein Wort
verlieren - im Vergleich zu vielen anderen Ländern an
der Spitze, wenn es um die Leistungen geht, die wir unseren Bürgern gewähren. Dort wollen wir bleiben. Das
heißt aber nicht, dass wir das Geld mit vollen Händen
ausgeben können. Vielmehr müssen wir immer Anspruch und Möglichkeiten des Haushalts in Einklang
bringen. Das hat die Koalition mit diesem Haushalt gut
geschafft. So soll es in Zukunft weitergehen.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Heiderich. - Weitere
Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit haben wir
die Rednerliste zum Einzelplan 15 - Gesundheit - beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Auswärtigen Ausschusses
({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Beteiligung an der Europäischen Überbrückungsmission in der
Zentralafrikanischen Republik ({1}) auf Grundlage der Beschlüsse 2014/
73/GASP sowie 2014/183/GASP des Rates
der Europäischen Union vom 10. Februar
2014 und vom 1. April 2014 in Verbindung
mit den Resolutionen 2127 ({2}) und
2134 ({3}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 5. Dezember 2013
und vom 28. Januar 2014
Drucksachen 18/1081, 18/1095
- Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/1097
Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Erster Redner in dieser Aussprache ist der Kollege
Christoph Strässer für die SPD-Fraktion, dem ich hiermit das Wort erteile.
({5})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! „Kwibuka“ ist ein Wort aus
der Sprache Kinyarwanda, einer der Landessprachen
Ruandas. Dieses Wort bedeutet „erinnern“. Unter diesem
Motto standen zu Beginn dieser Woche die Gedenkveranstaltungen anlässlich des Genozids in Ruanda vor
20 Jahren. Ich hatte mit drei anderen Kollegen aus diesem Hohen Hause die Gelegenheit, an diesen Veranstaltungen teilzunehmen. Es war beeindruckend. Es war immer wieder die Botschaft an uns, die internationale
Gemeinschaft, zu hören, dass so etwas wie in Ruanda nie
wieder passieren darf. Ban Ki-moon, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, hat in seiner Rede klar und
deutlich gesagt: Die internationale Gemeinschaft, die
Vereinten Nationen, hat im Ruanda-Konflikt versagt.
Zitiert wurde immer wieder der damalige Kommandeur
der kanadischen Blauhelmtruppen, Roméo Dallaire, der
zu Beginn des Genozids nach New York gefunkt hat: Ich
brauche 4 000 bis 5 000 Soldaten. Dann kann ich den
Mörderbanden Einhalt gebieten. - Nicht nur das ist nicht
passiert. Die Truppen mussten sogar abgezogen werden,
und das Drama nahm seinen Lauf.
Daran sollten wir im Zusammenhang mit der Situation und der Entwicklung in der Zentralafrikanischen
Republik und dem Mandat denken, über das wir heute
entscheiden, in einem Land, von dessen Existenz viele
Menschen in Deutschland vor der aktuellen Krise - ich
habe viele Gespräche geführt - gar nichts wussten, aber
das nur am Rande.
Das Problem in der Zentralafrikanischen Republik ist
völlig klar. Die humanitäre Lage ist dramatisch. Der humanitäre Zugang, also konkrete Hilfe für Menschen in
Not, ist aufgrund der extrem fragilen Sicherheitslage außerordentlich erschwert.
Der VN-Beauftragte für humanitäre Hilfe, John Ging,
hat am 16. Januar vor einem Völkermord gewarnt. Die
gesamte Bevölkerung der Zentralafrikanischen Republik, also circa 4,6 Millionen Menschen, ist von der
Krise betroffen. 2,5 Millionen sind auf humanitäre Hilfe
angewiesen, davon 1,6 Millionen Menschen aktiv auf
Nahrungsmittelhilfe. Circa 1 Million Menschen sind im
Moment auf der Flucht, davon 615 000 im eigenen
Land, der Rest in den Nachbarländern, von denen wir
wissen, dass die Situation dort ebenfalls sehr schwierig
ist.
UNICEF berichtet frisch von der zunehmenden Aktivierung und Rekrutierung von Kindersoldaten in diesem
Konflikt. Mittlerweile schätzt UNICEF, dass es 3 500
Kinder betrifft, die zum Einsatz genötigt werden. Amnesty International beklagt den mangelnden Einsatz der
internationalen Gemeinschaft, die mangelnde Robustheit
des Mandats. Médecins sans Frontières, also Ärzte ohne
Grenzen, beklagen eine mangelnde und unzureichende
Reaktion auf die humanitäre Krise.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen muss
man sich, wie ich finde, wirklich anschauen, über was
wir heute eigentlich reden. Wir reden heute über die Beteiligung der Bundeswehr in Form von 80 Soldatinnen
und Soldaten sowie die Bereitstellung von strategischem
Lufttransport für Transportleistungen nach Bangui.
Ich weiß, worüber diskutiert wird. Ich kenne die ganzen Diskussionen; die führen wir relativ intensiv. Es geht
um die Frage: Ist eigentlich das Mandat, das wir anstreben, eine Militarisierung der Außenpolitik? Ich kann Ihnen nur sagen: Wir sind uns hier, glaube ich, völlig klar,
dass wir nie in der Lage sein werden, solche Krisen alleine mit militärischen Mitteln zu lösen. Aber das behauptet auch keiner. Das Militär ist aber erforderlich
- das sage ich ganz klar, und das fordern auch ganz viele
Menschen von uns -, um den Zugang der humanitären
Helfer in die Krisenregionen zu gewährleisten. Darum
geht es und um nichts anderes. Wer dem nicht zustimmt,
der sagt den Menschen in der Zentralafrikanischen Republik: Hilfe können wir euch nicht bieten, weil wir
nicht bereit sind, Militär zu entsenden. Ich finde das absolut unakzeptabel und werbe deshalb für dieses Mandat.
({0})
Ja, auch das ist richtig: Wenn wir über diesen Einsatz
reden - das ist immer bei Militäreinsätzen so -, dann
geht es um die Frage, ob Politik versagt hat. Wenn Militär eingesetzt werden muss, hat vorher Politik versagt.
Das ist so. Auch das sollte man zur Kenntnis nehmen;
denn nicht die Soldatinnen und Soldaten, die wir dahin
schicken, verursachen diese Krise, sondern die hat andere Gründe und andere Ursachen.
Aber ich sage auch eines an dieser Stelle: Es ist richtig und wichtig, den Staatsaufbau, den Aufbau von
Strukturen, den Zugang zu Gesundheit, Bildung, Wasser
und Nahrung zu ermöglichen. Das können die Soldatinnen und Soldaten nicht schaffen. Das ist die Aufgabe der
Politik. Aber wir müssen uns vor Augen halten, dass,
während wir diese Diskussion hier führen, in der Zentralafrikanischen Republik Menschen sterben. Dessen
müssen wir uns bewusst sein; denn es geht um klare
Aussagen zur Hilfe für Menschen in Not, es geht darum,
dass Menschen humanitäre Hilfe in Anspruch nehmen
können. Die humanitären Organisationen fordern uns im
Übrigen dazu auf, dass wir diese Bereitschaft an den Tag
legen und dass wir alles tun, damit geholfen wird. Um
nichts anderes geht es, und das geht nicht anders als mit
diesem Mittel.
({1})
Zum Schluss möchte ich ein Zitat von Tobias Zick
aus der Süddeutschen Zeitung vom Montag dieser Woche vortragen, das mich sehr überzeugt hat. Er hat im
Kommentar Folgendes geschrieben:
Die Lehren aus Ruanda - sie tauchen in diesen Tagen verlässlich in allerlei Trauerreden auf. Aber zugleich zeigt sich, dass die internationale Gemeinschaft, wenn es darauf ankommt, noch immer zum
Gedächtnisschwund neigt. Es wäre wünschenswert,
dass nun die Gedenkfeiern für die 800 000 toten
Ruander nicht nur dazu anregen, bedauernd zurückzublicken, auf das Versagen vor 20 Jahren, sondern
auch verantwortungsvoll nach vorn: auf das Schicksal der Menschen in Zentralafrika, in Südsudan und
Syrien.
Dem kann ich nur zustimmen. Unter diesem Aspekt bitte
ich Sie alle nach Möglichkeit um Zustimmung zu diesem
Mandat.
Herzlichen Dank.
({2})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist die Kollegin
Christine Buchholz, Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Ich habe
hier nicht den Ruf nach Soldaten gehört, sondern den
Schrei nach Hilfe.“ So kommentierte Entwicklungshilfeminister Müller seinen Besuch bei Flüchtlingen in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik.
Ich wünschte, Frau von der Leyen, Herr Steinmeier, Herr
Strässer, Sie würden Ihren Kollegen Müller ernster nehmen.
({0})
Sie wollen, dass die Bundeswehr eine Militäroperation der EU in Zentralafrika unterstützt. Ich meine, dass
dies keinen Beitrag zur Beseitigung des Elends leisten
wird.
({1})
Die EU-Mission wird unter Führung der französischen Armee laufen. Diese führt bereits seit vier Monaten die Operation Sangaris in Zentralafrika durch. Ziel
war die Entwaffnung muslimischer Séléka-Rebellen, die
2013 die Macht ergriffen hatten und Terror verbreiteten.
Was hat das französische Eingreifen gebracht? Das Morden geht weiter, nur die Kräfteverhältnisse haben sich
umgekehrt. Christliche Anti-Balaka-Milizen gewannen
mit dem französischen Eingreifen die Oberhand. Sie machen ihrerseits Jagd auf Muslime. Heute sind fast alle
Muslime auf der Flucht; viele wurden umgebracht. Die
französische Armee konnte oder wollte das nicht stoppen. Darüber sollten Sie hier reden.
({2})
Stattdessen tun Sie so, als könne sich die EU-Mission
neutral zwischen alle Fronten stellen und so das Land
befrieden.
({3})
Ich halte das für falsch; denn die Situation ist sehr viel
komplizierter:
({4})
Zum einen ist die ehemalige Kolonialmacht Frankreich nicht neutral. Sie verfolgt auch dort wirtschaftliche
Interessen. Denn so arm die Menschen in Zentralafrika
sind, so reich ist das Land an Bodenschätzen: Diamanten, Gold, Uranerz und Holz.
Zum anderen sind auch die in Zentralafrika stationierten Truppen der AU, der Afrikanischen Union, die die
europäischen und deutschen Soldaten nach Ihrem Willen
unterstützen sollen, nicht neutral. Ein Beispiel: Die Armeen Kongos und Ruandas standen bis vor kurzem
selbst noch im Krieg miteinander. Sie kontrollieren unterschiedliche Zonen in Zentralafrika und beäugen sich
misstrauisch. Die geplante EU-Mission in Zentralafrika
läuft Gefahr, sich in einen innerafrikanischen Stellvertreterkonflikt zu verstricken. Dieses Problem wird auch die
geplante UN-Mission im Herbst haben. Warum ignorieren Sie das?
({5})
Es wird noch komplizierter. Kamerun führt die AUFriedensmission an. Doch die Journalistin Simone
Schlindwein berichtete im März, dass AU-Soldaten aus
Kamerun in Bangui „Tisch an Tisch Bier mit Anti-Balaka-Führern trinken.“ Die Anti-Balaka sind aber genau
diejenigen, die die Pogrome gegen Muslime durchführen. Wie wollen Sie Anti-Balaka-Milizen entwaffnen,
wenn Teile der verbündeten afrikanischen Truppen mit
ihnen gemeinsame Sache machen?
({6})
Kommen wir zu den AU-Friedenstruppen des Tschad.
Vor zwei Wochen haben tschadische Truppen von einem
Laster aus mit Maschinenpistolen in einen Markt geschossen. Das sagt die UNO. 30 Tote und 300 Verletzte
gehen auf das Konto der tschadischen Truppen. Nun
zieht sich der Tschad mit seinen 850 Soldaten aus der
AU-Mission zurück. Die Bundesregierung und die EU
haben aber mit dem Tschad ihre eigene Mission geplant.
Was tun Sie jetzt?
Bislang widerspricht sich die Bundesregierung auch,
wenn es um das Verhältnis zu den offiziellen Streitkräften der Zentralafrikanischen Republik geht. Das Auswärtige Amt hat auf unsere Anfrage geantwortet, es
halte diese für einen Bestandteil einer möglichen Kooperation. Die UNO hat Ende März gesagt, diese Streitkräfte seien zu 80 Prozent mit Milizen der Anti-Balaka
durchsetzt. Sie handeln nach dem Motto: Wir wissen
zwar nicht, mit wem oder gegen wen wir eigentlich diese
EU-Mission aufstellen; Hauptsache, die Bundeswehr ist
dabei. Ich sage Ihnen: Das hat mit humanitärer Hilfe
nichts zu tun.
({7})
Die Lage in Zentralafrika ist nicht erst seit gestern katastrophal. Bereits 2013 baten Hilfsorganisationen in
Zentralafrika um Unterstützung. Damals hat die Bundesregierung nicht reagiert.
({8})
Nun wollen Sie endlich 10 Millionen Euro an Nothilfe
nach Zentralafrika geben. Das ist auch gut. Doch gemessen am geschätzten Bedarf von rund 400 Millionen Euro
ist es viel zu wenig.
({9})
Wir sagen Ihnen: Verzichten Sie auf den Bundeswehreinsatz, der 12 Millionen Euro kostet. Nehmen Sie
dieses Geld besser für die Nothilfe.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank, Frau Kollegin Buchholz. - Ich erteile
jetzt das Wort für die CDU/CSU der Kollegin Anita
Schäfer.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Der Sturz der Regierung in der Zentralafrikanischen Republik vor einem Jahr hat mittlerweile
zu einer Spirale wechselseitiger Vergeltung zwischen
Christen und Muslimen geführt, bei der die ursprünglichen Motive hinter dem Putsch keine Rolle mehr spielen
und stattdessen die religiöse Zugehörigkeit instrumentalisiert wird. Dabei geht es nicht um Glaubensfragen.
Menschen werden getötet, weil sie zur falschen Volksgruppe gehören, die angeblich Unrecht an der anderen
begangen hat. Wir kennen das von anderen Konflikten in
der Region. Die jetzige Brutalität steht der in jenen Konflikten in nichts nach. Die Warnung vor einem neuen
Ruanda liegt angesichts des Gedenkens vom Wochenende an die Opfer dieses Völkermordes vor 20 Jahren
nahe.
Ich glaube, das vielzitierte Versagen der internationalen Gemeinschaft von damals steht uns allen vor Augen,
wenn wir die derzeitigen Berichte aus Zentralafrika verfolgen. Die falsche religiöse Aufladung der Auseinandersetzung könnte zudem über die Region hinauswirken.
Schon rufen Islamisten weltweit zum Dschihad für Zentralafrika auf. Das Land gehört außerdem noch zum
Operationsgebiet der Lord’s Resistance Army mit ihrer
wirren Version eines fundamentalistischen Christentums, die für zahlreiche Gräueltaten in mehreren Nachbarstaaten verantwortlich ist.
Das alles sind Voraussetzungen für einen weiteren gescheiterten Staat, der grenzüberschreitende Instabilität
verursacht, als Basis für Terroristen jeglicher Couleur
dient und zum Flüchtlingselend auf unserem Nachbarkontinent beiträgt. Das darf auch uns in Europa nicht
egal sein, nicht aus humanitären und nicht aus sicherheitspolitischen Gründen.
Meine Damen und Herren, die Europäische Union
war bislang der Hauptpartner der Zentralafrikanischen
Republik in der Aufbauarbeit nach den früheren Friedensvereinbarungen zwischen 2007 und 2012. Der jetzige Konflikt zerstört auch das, was in den letzten Jahren
an Fortschritten gemacht worden war. Leider wird über
das sicherheitspolitische Engagement der EU immer nur
dann öffentlich gesprochen, wenn es um Militäreinsätze
geht, obwohl die das letzte und am seltensten eingesetzte
Instrument sind. Dasselbe gilt für das bilaterale Engagement Deutschlands. In der Debatte um Einsätze geht
dann die tägliche, viel weniger schlagzeilenträchtige Arbeit für zivile Konfliktprävention, Stabilisierung und
Staatsaufbau völlig unter.
Aber: Soldaten können auch notwendig sein, wie
jetzt. Mit der Mission EUFOR RCA unterstützen wir die
bereits laufenden Einsätze der Afrikanischen Union und
Frankreichs. Es handelt sich dabei angesichts des Ausmaßes der Katastrophe um eine bescheidene Operation.
Ziel ist die Sicherheit der Hauptstadt Bangui für eine
Übergangszeit, um insbesondere den Truppen der AUMission MISCA eine stabile Basis für die Befriedung
der ländlichen Gebiete zu geben. Nach spätestens sechs
Monaten wird MISCA hoffentlich eine ausreichende
Präsenz etabliert haben und im Herbst möglicherweise
ihrerseits in eine UN-Mission überführt werden; eine
solche hat der Sicherheitsrat soeben beschlossen.
Der deutsche Beitrag dazu ist vom Personal her gering, aber für den Erfolg entscheidend: neben der Beteiligung an den Hauptquartieren einerseits durch die
Gestellung von Fähigkeiten zur luftgestützten Verwundetenevakuierung und andererseits durch die Finanzierung strategischer Lufttransportkapazitäten, die der zivile
NATO-Dienstleister SALIS bereitstellt. Wir kommen
damit unserer Verantwortung gegenüber unseren Partnern in der EU und der Solidarität mit unseren afrikanischen Nachbarn nach, wie wir es kürzlich auf dem EUAfrika-Gipfel bekräftigt haben.
Anita Schäfer ({0})
Meine Damen und Herren, hinzuzufügen wäre, dass
eine solche Mission - ein Einsatz in Bataillonsstärke für
sechs Monate - genau dem Profil entspricht, für das die
EU-Battle-Groups geschaffen worden sind. In Zukunft
sollten die Mitgliedstaaten verstärkt darauf hinwirken,
dass dieses Instrument in solchen Fällen auch eingesetzt
wird. Wäre das geschehen, dann wäre im Vorlauf dieses
Einsatzes einiges vermieden worden, was nicht unbedingt zur Glaubwürdigkeit der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik beigetragen hat.
Es ist vollkommen nachvollziehbar, dass osteuropäische Mitglieder ihre anfänglichen Truppenzusagen angesichts der aktuellen Situation in der Ukraine reduziert
haben. Ich habe hier kürzlich schon in anderem Zusammenhang erwähnt, dass wir die Ängste dieser Partner angesichts des russischen Vorgehens auf der Krim ernst
nehmen müssen.
({1})
Wer sich direkt bedroht fühlt, wird seine knappen Kräfte
eher nicht in Afrika einsetzen wollen. Umso schwieriger
nachzuvollziehen ist, wenn dann nicht stattdessen diejenigen Truppen eingesetzt werden, die bereits für die EUBattle-Groups in Bereitschaft stehen.
Angesichts aktueller Herausforderungen wird die gemeinsame Nutzung militärischer Ressourcen in Europa
künftig noch wichtiger. Da kann es nicht nur bei Absichtserklärungen bleiben. Deutschland als Motor der
europäischen Integration sollte da im Sinne der kürzlich
diskutierten größeren sicherheitspolitischen Verantwortung durchaus einmal den Anstoß geben.
({2})
Meine Damen und Herren, es besteht also noch Verbesserungsbedarf, aber die jetzt anstehende Mission ist
aus den genannten Gründen richtig, und der deutsche
Beitrag dazu wichtig. Ich hoffe, dass wir damit eine weitere Verschärfung der Lage in der Zentralafrikanischen
Republik abwenden können und das Land diesen Konflikt überwindet. Dazu werden die EU und natürlich wir
selbst weiterhin auch mit zivilen Mitteln beitragen, ob
mit oder ohne öffentliche Aufmerksamkeit, sodass wir
hoffentlich kein neues Ruanda erleben werden.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Frithjof Schmidt,
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die humanitäre Lage in der Zentralafrikanischen Republik ist dramatisch. Das wissen wir alle. Die
staatliche Infrastruktur ist in weiten Teilen des Landes
zusammengebrochen. Täglich gibt es Berichte über Vertreibungen und Morde. Ethnische Unterschiede spielen
dabei eher weniger eine Rolle als religiöse Zuordnung
zum christlichen oder muslimischen Glauben. Aber
meist ist auch das eher ein Vorwand.
Frau Buchholz, kriminelle Banden und örtliche Warlords terrorisieren weite Teile des Landes. Es gibt meistens keine klaren Frontlinien und auch keine klar erkennbaren Gegner.
({0})
Das ist der Kern des Problems. Darauf geben Sie keine
Antwort.
({1})
Ich räume gerne ein, dass es nicht falsch ist, wenn wir
uns angesichts dieser Situation eine gewisse politische
Ratlosigkeit offen eingestehen. Die Eskalation der Gewalt in den letzten Monaten spricht da auf schreckliche
Weise für sich. Es darf aber nicht zur Ausrede werden,
nicht einzugreifen.
({2})
Aber die große Unübersichtlichkeit der Lage und viele
offene Fragen stellen uns schon vor eine schwierige Entscheidung.
Der Konflikt droht sich weiter auszubreiten. Die
Krise in Zentralafrika hat eine Sprengkraft, die die gesamte Region vom Tschad bis zum Norden des Kongo
destabilisieren könnte. Der Einsatz von Truppen der
Afrikanischen Union und ihre Unterstützung durch
Frankreich war daher richtig, reicht aber nicht aus. Deshalb ist es gut, dass die UNO jetzt ihre Verantwortung
wahrnehmen will und heute ein Mandat beschlossen hat.
Das ist eine gute Nachricht.
({3})
Diese Krise muss auf der Ebene der Vereinten Nationen
behandelt werden. Wo sonst?
Wenn es ein UN-Mandat gibt, dann müssen wir uns
damit auseinandersetzen, dass die Anforderung an uns
gestellt wird, das zu unterstützen. Eine dauerhafte UNPeacekeeping-Mission ist angesichts der Situation in
diesem Land dringend notwendig.
({4})
Nur so können mehr Stabilität und mehr Sicherheit für
die Menschen in Zentralafrika erreicht werden; da hat
die UNO recht. Es ist wichtig, dass diese Mission zustande kommt. Im September soll es so weit sein, und
das ist nicht viel Zeit für die Umsetzung einer so schwierigen Mission. Deshalb ist eine Zwischenlösung für die
nächsten sechs Monate absolut notwendig. Es ist richtig,
dass die Europäische Union und Deutschland sich dabei
engagieren, dabei helfen. Ich sage das, auch wenn heute
noch nicht sicher ist, dass sie in diesem Zeitrahmen
funktioniert.
Die Zentralafrikanische Republik gehört übrigens zur
Gruppe der Afrika/Karibik/Pazifik-Staaten, die seit Jahrzehnten sogar eine Paritätische Parlamentarische Versammlung mit der Europäischen Union haben. Ich selber
war dort mal fünf Jahre Mitglied. Es gibt für uns Europäer auch deshalb eine besondere politische Verpflichtung, der Bevölkerung dieses Partnerlandes beizustehen.
({5})
Das bedeutet: In den nächsten sechs Monaten müssen
die Voraussetzungen für die humanitäre Versorgung und
die elementare Sicherheit auch durch Militär hergestellt
werden. Es ist richtig, dass Deutschland trotz der unübersichtlichen Lage dabei hilft. Was aber nach der humanitären Nothilfe benötigt wird, ist ein langfristiges
Entwicklungskonzept für Zentralafrika.
({6})
Die Stabilisierung der Sicherheitslage muss mit einem
Konzept des zivilen Wiederaufbaus verbunden werden.
Dass Minister Müller nun 10 Millionen Euro an Soforthilfe für das Land und die zentralafrikanischen
Flüchtlinge zur Verfügung gestellt hat, das ist sehr zu begrüßen. Aber angesichts der katastrophalen Lage ist das
nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das kann nur ein
erster Schritt sein.
({7})
Der UN-Nothilfekoordinator beziffert den Bedarf des
Landes gegenwärtig auf fast 550 Millionen US-Dollar.
Wir können und wir müssen bei der zivilen Hilfe sehr
viel mehr tun. Wir erwarten hier weitere Initiativen der
Bunderegierung.
Der militärische Beitrag Deutschlands, über den wir
heute zu entscheiden haben, ist dabei nur ein, wenn auch
notwendiges Element, das helfen soll, die Voraussetzungen für zivile Hilfe zu stabilisieren.
({8})
Meine Fraktion wird dem Antrag der Bundesregierung
auf Mandatierung der Bundeswehr für diesen Einsatz
deshalb mit großer Mehrheit zustimmen.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({9})
Für die SPD spricht jetzt der Kollege Karl-Heinz
Brunner.
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Frau Bundesminister
von der Leyen! Meine sehr verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Ist es nicht bittere Ironie der Geschichte,
wenn Ban Ki-moon, der Generalsekretär der Vereinten
Nationen, auf dem Weg zum Tag des Gedenkens an die
Opfer des Genozids in Ruanda in der Zentralafrikanischen Republik haltmachen muss, um die dortigen Konfliktparteien eindringlich zu ermahnen? Er sagte:
Wiederholen Sie nicht die Fehler der Vergangenheit, ziehen Sie die Lehren daraus.
Ihnen, Kollegin Buchholz, will ich sagen: Wiederholen Sie nicht die Fehler der Vergangenheit, ziehen Sie
die Lehren daraus. - Sie haben noch bis zum Ende dieser
Debatte, bis zur namentlichen Abstimmung, Zeit, den
richtigen Weg zu finden.
({0})
Meine Damen und Herren, das vor wenigen Tagen
auch im Hohen Hause beschworene Credo „Nie wieder
Ruanda! - Nie wieder Völkermord!“ droht ausgerechnet
im Jahr der Erinnerung, dem Jahr der Mahnung, zu einer
Farce zu werden. Ethnisch-religiöse Säuberungen, Massenmorde ohne Sinn und Verstand sind in der Zentralafrikanischen Republik traurige Realität. Bewaffnete
Truppen, nein, Horden von Christen und Muslimen stehen sich mit nur dem einen Ziel gegenüber, die jeweils
anderen zu vernichten. Unaussprechliche Gräueltaten,
bei denen ohne Grund in Menschenmengen geschossen
wird, wodurch jene getroffen werden, die sich nicht
wehren, die nicht um ihr Leben laufen können, die
schutzlos sind: Kinder, Alte, Behinderte, Frauen,
Schwangere.
Kolleginnen und Kollegen, ein Land, eine Gesellschaft, läuft dort Amok; es droht in kompletter Anarchie
zu versinken, es befindet sich im freien Fall. Nicht nur,
weil die Milizen dort schlecht organisiert sind, sondern
auch, weil ihnen die Koordination fehlt, ist ein Völkermord im Augenblick noch unwahrscheinlich.
Ja, meine Kolleginnen und Kollegen, ich kann mich
täuschen, ich möchte mich auch gern täuschen, wenn ich
Parallelen zu Ruanda, zu Srebrenica, zu Bosnien-Herzegowina herstelle.
({1})
Doch als jemand, der in seinem Leben selbst erleben
musste, was aus Hass gegenüber anderen Religionen und
Ethnien und aus Rassenwahn geschieht, bin ich zutiefst
davon überzeugt, dass wir Einhalt gebieten müssen, dass
wir nicht neutral sein können, sondern Farbe bekennen
müssen. Ich bin überzeugt, dass es Auftrag und Pflicht
der internationalen Gemeinschaft ist, wenn schon die
bisherige Gewalt nicht verhindert werden konnte, eine
weitere Eskalation zu verhindern.
Meine Kolleginnen und Kollegen, wenn wir wirklich
eine Wertegemeinschaft sein wollen, dann müssen wir
dazu stehen, und dies nicht nur bei Sonntagsreden, dann
dürfen wir nicht wie 1994, als die Blauhelme aus
Ruanda abgezogen und Hunderttausende ihrem Schicksal überlassen wurden, nicht wie 1995 in Srebrenica, als
die Blauhelme zusahen, wie 8 000 Bosniaken niedergemetzelt wurden, die Augen verschließen. Wenn wir unsere Werte ernst nehmen, dann braucht es unseren Einsatz, und zwar jetzt eines kleinen, den die Menschen dort
benötigen,
({2})
einen Einsatz für die Afrikanische Union, die dringend
unsere Hilfe braucht, einen Einsatz, um die französischen Soldaten, die bereits dort sind, dabei zu unterstützen, Gewalt zu beenden, einen Einsatz, um zu helfen, demokratische Strukturen zu schaffen und die Wahlen im
Jahr 2015 vorzubereiten. Die Verantwortung, die Zivilisten zu schützen, ist Leitgedanke unseres Handelns und
damit der militärischen Überbrückungsmission, deren
Fokus auf medizinischer Versorgung und Lufttransport
liegt.
Anders als 1995 in Rest-Jugoslawien, anders als beim
Bürgerkrieg in Syrien sind sich dieses Mal die Afrikanische Union, die Vereinten Nationen, die etwa vor einer
Stunde im Sicherheitsrat der Peacekeeping Mission zugestimmt haben, und die Europäische Union einig, dass
Hilfe unmittelbar, jetzt und umfassend notwendig ist, um
das Morden zu stoppen und das Land wieder zu stabilisieren. Nutzen wir diese Einigkeit als wichtiges Zeichen,
als Zeichen einer Wertegemeinschaft, die dem sinnlosen
Morden die Stirn zeigt.
Unser Versprechen im Rahmen des EU-Afrika-Gipfels vergangene Woche, an einem Afrika der Chancen
mitzuwirken, ist nur glaubhaft, wenn wir jetzt unseren
Willen und unsere Entschlossenheit zeigen, der afrikanischen Bevölkerung in einer ihrer dunkelsten Stunden mit
allen Mitteln beizustehen. Afrika braucht afrikanische
Lösungen. Afrika braucht auch afrikanische Chancen.
Auch Zentralafrika! Gerade deshalb dürfen wir Zentralafrika nicht seinem Schicksal überlassen. Das sind wir
den Menschen schuldig.
({3})
Das sind wir aber auch uns schuldig, wenn wir Worte
wie „Nie wieder Auschwitz!“, „Nie wieder Ruanda!“,
„Nie wieder Srebrenica!“ nicht zu leeren Worthülsen
werden lassen wollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, dem
Ersuchen der Bundesregierung auf Entsendung im Rahmen eines Übergangsmandats zuzustimmen. Ich glaube,
die Menschen in Afrika haben es verdient, unseren Beistand zu erhalten.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Roderich
Kiesewetter, CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion
der CDU/CSU stimmt dem Antrag für das Mandat in
Zentralafrika zu; das haben wir schon Anfang der Woche
deutlich gemacht. Lassen Sie mich drei aus meiner Sicht
sehr wesentliche Punkte noch einmal herausstellen.
Erstens. Es geht auch um die deutsche Verantwortung
innerhalb der Europäischen Union. Es geht um unser Engagement innerhalb der Europäischen Union. Ich bin der
Kollegin Anita Schäfer ausgesprochen dankbar, dass sie
einen ganz wichtigen Punkt angesprochen hat. Wir brauchen zurzeit angesichts der Entwicklungen östlich der
EU und auch in unserer südlichen Nachbarschaft eine
absolut handlungsfähige Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, und wir brauchen eine NATO, die auf Rückversicherung setzt. Anita
Schäfer hat eines deutlich gemacht: Wir müssen unsere
Partner in der EU überzeugen, dass sie Kräfte für einen
Einsatz in Afrika zur Verfügung stellen. Das geht nur,
wenn wir Deutsche nicht an der Seite stehen, sondern
uns aktiv beteiligen. Deshalb stimmen wir dem Mandat
zu.
({0})
Zentralafrika hat über 4,5 Millionen Einwohner, über
die Hälfte davon ist auf humanitäre Hilfe angewiesen,
über 1 Million Menschen sind täglich auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen, 600 000 Menschen sind innerhalb
des Landes auf der Flucht, und 300 000 Menschen haben
ihr Land bereits verlassen. Das darf uns nicht kalt lassen,
jedenfalls nicht so kalt, wie es die Linken in diesem Fall
lässt.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin auch den
Grünen sehr dankbar. Was der Kollege Schmidt gesagt
hat, kann die Mehrheit des Hauses mittragen.
Das führt mich zu meinem zweiten Punkt. Es geht um
das Afrika-Konzept. Wir als Bundestag sind in der Lage,
sehr kurzfristig zu handeln. Wir haben dieses Mandat innerhalb einer Woche beraten. Die Minister von der
Leyen, Steinmeier und Müller
({2})
haben mit ihrer Ankündigung eines neuen weiterentwickelten Afrika-Konzepts klargemacht, dass wir auch
strategisch handeln wollen. Diese Bundesregierung nimmt
Afrika ernst. Das muss uns auch heute bewusst sein.
({3})
Dieses Ernstnehmen zeigt sich auch daran, dass unsere Bundeskanzlerin beim EU-Afrika-Gipfel klare Worte
gefunden hat. Wenn unsere Bundeskanzlerin, wenn unsere Regierung, wenn unser Bundestag deutlich macht,
dass wir als Europäische Union in Afrika handlungsfähig sein müssen, dann werden auch andere Staaten überzeugt werden und uns folgen. Wir müssen hier gemeinsam Verantwortung tragen. Deutschland kann das nicht
alleine. Wir wollen aber auch nicht, dass einzelne Staaten vorpreschen und ausschließlich militärische Lösungen erreichen. Deshalb brauchen wir ein zivil-militärisches Konzept mit diplomatischen Mitteln, mit Mitteln
der Entwicklungszusammenarbeit. Ich glaube, dieses
Ziel müssen wir in dieser Legislaturperiode unbedingt
erreichen. Wir brauchen ein zivil-militärisches AfrikaKonzept, das auf einer breiten Grundlage steht und auch
die Zivilgemeinschaft einbindet.
({4})
Ganz entscheidend ist aus meiner Sicht auch: Die Europäische Union engagiert sich mit zehn Missionen zivil-militärisch in Afrika, die Vereinten Nationen engagieren sich mit neun Missionen in Afrika, in denen
insbesondere die Afrikanische Union, also afrikanische
Staaten, Verantwortung tragen. Das macht 19 Missionen.
Es ist unsere Aufgabe, die dort engagierten Staaten, die
dort engagierten Gesellschaften aus Afrika zu unterstützen und zu befähigen, dass sie mit diplomatischen Mitteln, mit Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit und,
wo angebracht, auch mit militärischen Mitteln zur Konfliktlösung beitragen können. Hier sehen wir unsere Ertüchtigungsaufgabe. Das ist keine rein militärische Aufgabe. Dieses Afrika-Konzept sollten wir auch in der
Europäischen Union vertreten, damit auf Basis eines Gesamtkonzeptes diese 19 verschiedenen Missionen von
EU und Vereinten Nationen koordiniert werden.
Ich komme zu meinem abschließenden Punkt, zum
regionalen Zusammenhalt. Der Kollege Bartels, die Kollegin Wagner, der Kollege Juratovic und ich hatten vergangene Woche die Ehre, für den Deutschen Bundestag
bei der Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in Athen sein
zu dürfen. Wir haben die Gelegenheit genutzt und mit
der Hohen Repräsentantin über das Umfeld von Zentralafrika gesprochen. Dabei sind zwei Dinge deutlich geworden:
Erstens. In Mali leben 4 Millionen Malier mit einem
europäischen Pass. Sie sind französische Staatsbürger.
Wir wollen, dass diese dort eine Perspektive haben.
Der zweite Punkt ist Libyen. Es reicht nicht aus, liebe
Kolleginnen und Kollegen, wenn wir uns um Mali und
die Zentralafrikanische Republik kümmern. Wir haben
Frau Ashton ermutigt, mit Blick auf Libyen stärker nach
Lösungen zu suchen. Wenn wir an einem Afrika-Konzept arbeiten, dann geht es auch darum, dass wir verhindern, dass Libyen ein Rückzugsort für Islamisten wird,
ein Rückzugsort für ausländische Kämpfer, ein Rückzugsort für Terroristen und ein Ort, an dem Proliferation
an der Tagesordnung ist, also der Verkauf und die Verteilung von Waffen, und zwar nicht nur von Kleinwaffen,
sondern auch von schweren Waffensystemen. Wir brauchen ein Gesamtkonzept für diese Region. Der Einsatz,
über den wir heute entscheiden, ist ein Baustein, allerdings ein sehr wesentlicher.
Ich werbe um Ihre Unterstützung und fordere die Kollegen der Linken auf, ihre Position zu überdenken und
diese Menschen nicht zu vernachlässigen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Abschließender Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Reinhard Brandl, CDU/CSU.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist der letzte
Debattenbeitrag vor der namentlichen Abstimmung. Ich
darf bitten, auch diesem Redner zuzuhören und den Geräuschpegel im Plenum zu verringern.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Die katastrophale humanitäre Situation in
Zentralafrika, nahe am Völkermord, beschäftigt uns
schon seit Monaten. Ich möchte nicht verhehlen, dass ich
ebenso wie viele andere Kollegen in dieser Zeit hin- und
hergerissen war von der Frage, ob und, wenn ja, wie wir
den Menschen dort helfen können. Wir haben das auch
innerhalb der CSU sehr intensiv diskutiert und abgewogen.
Auf der einen Seite war Zentralafrika bisher nicht im
Fokus unserer Außenpolitik. Anders als zum Beispiel in
Mali, im Südsudan oder im Sudan haben wir in dem
Land relativ wenig Erfahrung, und wir haben auch kein
detailliertes Lagebild.
Auf der anderen Seite kann die internationale Gemeinschaft auch nicht einfach zusehen, wenn sich ein
Land Stück für Stück auf einen Völkermord zubewegt.
Dann geht es auch nicht mehr darum, wer welche Interessen oder wer welche Erfahrung in welchem Land hat,
sondern es geht dann ganz konkret darum, die Menschen
vor Ort vor Mord, Totschlag, Plündereien und Vergewaltigungen zu schützen.
({0})
Die Vereinten Nationen, die Afrikanische Union und
die Europäische Union mit Deutschland haben in den
letzten Wochen um eine Lösung gerungen. Ich finde, sie
haben auch vor dem Hintergrund der Entscheidung, die
heute vor etwa einer Stunde im UN-Sicherheitsrat getroffen wurde, eine gute Lösung gefunden. Dort wurde
die Einrichtung einer VN-Friedensmission, die die gesamte Bandbreite von zivilen und militärischen Instrumenten zur Krisenbewältigung abdeckt, beschlossen.
Die Mission wird wesentlich von den Nachbarländern,
also von Ländern der Afrikanischen Union, getragen. Sie
wird unter anderem Folgendes zum Ziel haben: Schutz
der Zivilbevölkerung, Entwaffnung, Wiedereinführung
des Rechtsstaats, Wiederherstellung der territorialen Integrität, Einrichtung von humanitären Korridoren, Hilfe
beim Wiederaufbau usw.
Bis diese VN-Mission aufwächst und tatsächlich in
Gang kommt, wird die Europäische Union sechs Monate
überbrücken, um die Bevölkerung zu schützen und die
humanitäre Notlage abzumildern. Diese Überbrückungsmission ist nur ein Teil des Engagements der Europäischen Gemeinschaft, das auch humanitäre Entwicklungshilfe und Entwicklungszusammenarbeit beinhaltet.
Ich sehe gerade in der ersten Reihe unseren Entwicklungshilfeminister Müller. Er war vor etwa zehn Tagen
in Zentralafrika, hat sich vor Ort ein Bild von der Lage
gemacht
({1})
und hat Soforthilfe in Höhe von etwa 10 Millionen Euro
für die Bereiche Nahrungsmittel, Wasseraufbereitung
und Verbesserung der hygienischen Zustände zugesagt.
Ich finde, auch das ist ein starkes Zeichen von Deutschland und dem BMZ.
({2})
Wir stimmen jetzt über den Beitrag der Bundeswehr
zu dieser Überbrückungsmission ab. Es geht dabei im
Wesentlichen um ein Flugzeug, sozusagen eine fliegende
Intensivstation, das in Köln stationiert ist und im Falle
des Falles, wenn es zu schweren medizinischen Notfällen vor Ort kommt, nach Bangui fliegt, dort etwa drei
Stunden verbleibt und dann die Verletzten in Krankenhäuser bringt. Um solche Rettungsmaßnahmen zu koordinieren, werden wir einige Personen vor Ort, vor allem
am Flughafen, einsetzen.
({3})
Die Mandatsobergrenze liegt bei 80 Soldaten. Der
Beitrag ist nicht groß, aber ohne diesen Beitrag wäre die
gesamte Überbrückungsmission nicht zustande gekommen. Es ist nicht nur ein Beitrag Deutschlands und
Frankreichs, sondern ein gemeinschaftlicher Beitrag der
Europäischen Union. Ich möchte Ihnen einmal vorlesen,
welche Länder ähnliche Beiträge wie wir zu dieser Mission leisten: Neben Deutschland und Frankreich sind es
Portugal, Großbritannien, Schweden, Polen, Estland, Litauen, Lettland, Finnland, Griechenland, Georgien, Spanien, Luxemburg und Italien. Dazu kommt Einzelpersonal aus anderen Ländern.
Meine Damen und Herren, diese Mission ist ein starkes Zeichen dafür, dass die Europäische Gemeinschaft,
wenn es um humanitäre Notlagen geht, zusammensteht
und bereit ist, Verantwortung zu übernehmen.
({4})
Wir wollen einen Teil dieser Verantwortung übernehmen. Wir werden unseren Teil dazu beitragen. Deswegen
bitte ich Sie jetzt gleich um Zustimmung zu diesem
Mandat.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Vielen Dank. - Es war noch eine Zwischenfrage des
Kollegen Petzold angemeldet.
({0})
Ich darf sagen: Wir haben auch noch ein bisschen Zeit,
({1})
und zwar deshalb, weil die akustische Information der
Kolleginnen und Kollegen über die namentliche Abstimmung derzeit nicht hinreichend funktioniert. Wir brauchen also noch ein bisschen Zeit, um alle Kolleginnen
und Kollegen davon in Kenntnis zu setzen, dass es jetzt
gleich zur namentlichen Abstimmung kommt. Insofern
sollte, denke ich, der Kollege Petzold seine Anmerkung
noch machen dürfen.
({2})
Vielen Dank, Herr Präsident, auch wenn die Frage
kein Lückenbüßer sein soll. - Ich möchte den Kollegen
Brandl bitten, noch einmal darzustellen, wie ich mir vor
dem Hintergrund der humanitären Hilfe, die geleistet
werden soll, den Verwundetentransport vorstellen soll.
Welche Personengruppen sollen denn tatsächlich transportiert werden? Wie viele Kinder und vor allen Dingen
wie viele verwundete Frauen sollen von den Transporten
tatsächlich erfasst werden?
Herr Kollege Brandl, wollen Sie dazu noch einmal
Stellung nehmen?
Gerne. - Verehrter Herr Kollege, vielen Dank für die
Frage.
Es geht, wie bei jedem Einsatz, darum, dass für die
Mission, für die dort eingesetzten Soldaten eine Rettungskette zur Verfügung steht. Einfache Verletzungen
können vor Ort in Krankenhäusern behandelt werden.
Bei schwereren Verletzungen steht dann unser strategischer Air MedEvac zur Verfügung. Je nachdem, ob es
die Lage und die Kapazitäten vor Ort ermöglichen, kann
diese Rettungskette aber auch für andere Personengruppen genutzt werden. Das ist ein guter und wichtiger Beitrag. Wir wissen, dass es gerade für die Soldaten wichtig
ist, dass die Rettungskette funktioniert. Ich bin froh, dass
wir diesen Beitrag, einen guten deutschen Beitrag, leisten können.
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank. - Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 18/1095 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte
zur Beteiligung an der Europäischen Überbrückungsmission in der Zentralafrikanischen Republik.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache
18/1081 anzunehmen. Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, bei der Stimmabgabe, wie üblich,
sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten, die
Sie verwenden, Ihren eigenen Namen tragen.
Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ich darf um
eine kurze Anzeige bitten, ob alle Plätze an den Wahlurnen besetzt sind. - Gibt es noch eine Abstimmungsurne,
die nicht besetzt ist? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die namentliche Abstimmung über diese Beschlussempfehlung.
Darf ich nachfragen, ob noch ein Mitglied des Hauses
anwesend ist, das seine Stimme abgeben möchte, aber
noch nicht abgegeben hat? - Sind alle, die abstimmen
wollen, auch schon hier im Plenarsaal? - Gibt es noch irgendjemanden, der seine Stimme nicht abgegeben hat? Ich sehe jetzt niemanden mehr, der noch nicht die Möglichkeit gehabt hätte, seine Stimme abzugeben. Ich gehe
deshalb davon aus, dass alle auch die akustischen Hinweise und Benachrichtigungen mittlerweile vernommen
haben. - Der Kollege Ströbele möchte seine Stimme
noch abgeben. Stimmt das?
({0})
- Sie haben die falsche eingeworfen? Das werden wir
dann nachher klären.
Dann schließe ich hiermit die Abstimmung und bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus-
zählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen
Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
1) Ergebnis Seite 2538 C
Wir setzen die Haushaltsberatungen fort und kommen
nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales.
Das Wort hat die Bundesministerin Andrea Nahles.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Einzelplan 11 ist ein großer Block. Wir reden hier heute
über richtig viel Geld.
({0})
Frau Ministerin, einen Moment bitte! - Darf ich noch
einmal um Ruhe bitten hier im Haus? Das ist ein sehr
wichtiger Haushalt, und ich bitte um die notwendige
Aufmerksamkeit.
({0})
Vielen Dank. - Wir reden hier heute über viel Geld:
122 Milliarden Euro, deutlich mehr als ein Drittel des
Gesamtetats. Auch in diesem Jahr stellt dieser Einzelplan den mit Abstand umfangreichsten Einzeletat dar. In
diesem Etat liegt eine wichtige Botschaft. Diese Zahlen
drücken aus, was unsere Gesellschaft zusammenhält:
Wir schaffen soziale Sicherheit, und wir schaffen vor
allem auch Teilhabe. Das drückt sich ganz konkret in
den vielen Maßnahmen und Initiativen aus, die wir hier
finanzieren.
({0})
Die Zuschüsse zur Rentenversicherung steigen auf
90,1 Milliarden Euro - mit dabei: Grundsicherung im
Alter und bei Erwerbsminderung -, 31,5 Milliarden
Euro fließen in die Arbeitsförderung und in die Grundsicherung, in das Arbeitslosengeld II, und 1,5 Milliarden
Euro leisten wir zur sozialen Entschädigung.
Wir halten den Menschen den Rücken frei, wenn sie
arbeitslos werden, und wir halten ihnen den Rücken frei,
wenn sie durch eine anhaltende Krankheit aus dem Erwerbsleben ausscheiden müssen. Das gilt natürlich auch
im Alter, wenn sie in Rente gehen. Daneben schaffen wir
aber auch Chancen für Junge, zeigen Anerkennung für
geleistete Arbeit und üben Solidarität. - Das alles steckt
hinter diesen Zahlen.
({1})
Ein Punkt steht dabei natürlich im Zentrum, nämlich
die Arbeit. Arbeiten heißt für die Menschen, etwas
leisten zu können und dafür dann auch verdiente Anerkennung zu bekommen. Dies für möglichst viele zu er2536
reichen, ist unser Ehrgeiz. Es ist das zentrale Anliegen
der Bundesregierung, denen, die Arbeit suchen, die
Chance zu geben, Arbeit zu bekommen, für die, die hart
arbeiten, einen fairen Lohn zu gewährleisten, denen, die
besonders lange gearbeitet haben, keine Abschläge
zuzumuten, und denen, die Kinder großziehen, diese
Leistung auch bei der Rente anzuerkennen. Das alles gehen wir an.
({2})
Ich verweise darauf, dass wir trotz sinkender Arbeitslosenzahlen die Mittel für die Betreuung und Vermittlung von Menschen, die Arbeit suchen, nicht absenken.
Wir haben vielmehr eine zusätzliche Mittelübertragung
von 350 Millionen Euro erreicht, die bereits in dieser
Woche in den Jobcentern vor Ort angekommen ist.
({3})
Gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit - das ist
mir ein persönliches Anliegen - bemühen wir uns, bei
jungen Leuten Arbeitslosigkeit zu vermeiden.
Ich war vor einigen Wochen bei Airbus in Hamburg
und habe dort einen jungen Mann getroffen, der Flugzeugteile verschraubte. Er hatte ordentlich zu tun. Man
muss sich als Passagier - ich fliege ja häufig - darauf
verlassen können, dass er seine Arbeit ordentlich macht.
Als er mir seine Geschichte erzählte, erfuhr ich, dass
es nicht selbstverständlich war, dass er dort seine Ausbildung machen konnte und eine Arbeit erhalten hat; denn
er war in der Schule keine große Leuchte, wie man so
sagt, und hat nur mit Mühe den Schulabschluss geschafft. Wenn sich nicht Leute um ihn gekümmert hätten, dann wäre er vielleicht nicht in Arbeit gekommen,
sondern möglicherweise in einer Warteschleife oder in
irgendeinem Gelegenheitsjob gelandet.
Darum geht es: Unser Schwerpunkt soll sein, dass
sich gerade im Übergang von der Schule in den Beruf
mehr gekümmert wird, damit wir nicht reihenweise, wie
das in den 2000er-Jahren leider zu oft passiert ist, junge
Menschen verlieren, die dann keine Ausbildung machen.
Jeder junge Mensch in Deutschland muss eine Ausbildung machen können und auch machen.
({4})
Frau Bundesministerin, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Zimmermann?
Bitte.
Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen,
Frau Ministerin. - Wir haben heute die Liste bekommen,
auf der steht, wie viel Geld an die einzelnen Jobcenter
geht. Wenn ich mir meinen Wahlkreis Zwickau anschaue, dann sehe ich, dass in diesem Jahr 796 000 Euro
zusätzlich dorthin fließen.
In meinem Wahlkreis gibt es 9 841 erwerbslose Menschen. Ich habe das einmal heruntergerechnet und bin
dabei von durchschnittlich 10 000 Euro ausgegangen;
das ist ja die Annahme für Weiterbildungsmaßnahmen
innerhalb der Arbeitsmarktpolitik. Damit würden davon
79 Menschen profitieren. 79 Menschen in Zwickau können von Ihren 350 Millionen Euro profitieren: Sehen Sie
das als ein gutes Verhältnis an?
({0})
Sie stellen das jetzt so dar, als ob das nur für 79 Personen insgesamt eine Chance auf eine Erwerbsbeteiligung
eröffnet. Das sind aber zusätzliche Mittel.
({0})
Wir haben Jahre der Kürzungen hinter uns. Nach diesen
Jahren der Kürzungen haben wir jetzt zusätzliche Mittel
aufgebracht, und ich glaube, dass sich die 79 Leute in
Ihrem Wahlkreis, die jetzt zusätzlich eine Chance bekommen, sehr darüber freuen werden.
({1})
Was das Thema Schule angeht, möchte ich Verbesserungen in der Kooperation erreichen, um mehr jungen
Menschen eine Chance zu geben. Das bedeutet zum Beispiel, dass sich die Schule auch nach der Beendigung der
Schulzeit dafür mit verantwortlich fühlt, was aus den
jungen Leuten wird.
Ich möchte, dass die Ämter alle an einem Strang ziehen, wenn es um die Betreuung von jungen Menschen
geht, und dass sich die Ämter nicht in Zuständigkeitsfragen verschleißen. Es geht darum, dass kein Jugendlicher zurückbleiben darf.
Das Ganze hat auch einen Namen. Wenn man das
nämlich gut organisiert - und das tun einige, zum Beispiel in Hamburg -, dann nennt sich das Jugendberufsagentur.
({2})
Ich möchte, dass wir überall in Deutschland diese
Kooperation hinbekommen, dass alle zum Wohle der
Menschen an einem Strang ziehen. Das kann auch anders organisiert werden als das Beispiel Hamburg. Das
ist vollkommen klar. Es ist nur ein gutes Modell. Aber
dass es überall dieser Anstrengung bedarf und dass wir
helfen müssen, die Kooperation zu verbessern, halte ich
für ein sehr wichtiges Ziel, und das packen wir an. Da
haben wir einen Schwerpunkt gesetzt.
({3})
Wir wollen gemeinsam mit Arbeitgebern und Gewerkschaften dem Ausbildungspakt neuen Schwung verleihen. Das ist auch nötig. Denn wir haben diese Woche
erlebt, dass die Bereitschaft, auszubilden, nachgelassen
hat. Es gibt zu wenig Betriebe, die ausbilden. Neue
Motivation zu schaffen und nach den Ursachen für die
nachlassende Bereitschaft zu fragen, ist, glaube ich, eine
gute Aufgabe für den Ausbildungspakt.
Wir wollen den Ausbildungspakt auch auf das Thema
Weiterbildung erweitern. Ich glaube, dass die Erstausbildung und weitere Qualifizierungsschritte immer besser
miteinander verzahnt werden müssen. Das müssen wir
gemeinsam in den Blick nehmen, und das werden wir
auch tun.
Zu viele Jugendliche bleiben in Deutschland ohne
Abschluss. Auch das ist ein Befund, der wieder aktuelle
Nahrung bekommen hat. Deswegen bitte ich auch in diesem Zusammenhang, die vorhandenen Möglichkeiten zu
nutzen. Denn es gibt Angebote, zum Beispiel das Spätstarterprogramm mit 100 000 Plätzen. Es gibt bestimmt
einige junge Leute zwischen 25 und 27 Jahre, die sagen:
Es war ein Fehler, dass ich keine Ausbildung gemacht
habe. Ich nutze jetzt die Möglichkeit: Ich drücke in fortgeschrittenem Alter noch die Schulbank und versuche,
das wettzumachen. - Dafür gibt es viele Angebote.
Ich fordere alle, die zuhören, auf: Nutzen Sie die
Möglichkeiten! Ergreifen Sie die zweite Chance! Wir
bieten dafür genügend Möglichkeiten. Es wird Ihnen
nutzen. Es ist erwiesen: Wer eine Ausbildung hat, ist viel
besser vor Arbeitslosigkeit gefeit. Wer keine Ausbildung
hat, gehört leider zu den Ersten, die aus den Betrieben
fliegen. Deswegen ist das ein so wichtiger Punkt.
({4})
Neben der Jugendarbeitslosigkeit, die wir, wie Sie
merken, zum Schwerpunkt machen wollen, ist das bedrückendste Thema die Frage: Wie können wir die Zahl
der Langzeitarbeitslosen reduzieren? Wir sind hier, offen
gesagt, seit einiger Zeit in einer gewissen Stagnation.
Wir haben eine positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Bei den Langzeitarbeitslosen bewegt sich noch zu
wenig.
Wir müssen, glaube ich, genauer hinschauen, wenn es
um die 1 Million Langzeitarbeitslose geht. Diese Gruppe
ist sehr unterschiedlich zusammengesetzt. Darin sind
Menschen, die länger als vier Jahre arbeitslos sind. Fast
die Hälfte der Langzeitarbeitslosen sind länger als vier
Jahre arbeitslos. Es ist klar, dass sehr viel mehr Betreuung notwendig ist und dass wir mehr Aufwand und
Kommunikation betreiben müssen - übrigens auch mit
den Arbeitgebern -, um diesen Menschen eine Chance
zu geben. Über 100 000 Langzeitarbeitslose sind
schwerbehindert. Für sie bedarf es einer besonderen Förderung. Nicht zuletzt können wir zunehmend erkennen,
dass langzeitarbeitslose Menschen psychische Beeinträchtigungen aufweisen. Auch hier fehlen aus meiner
Sicht noch passgenaue Angebote.
Eine andere Gruppe von Langzeitarbeitslosen - sie
umfasst einige Hunderttausend Menschen - hat mit entsprechender Unterstützung eine gute Chance auf eine
Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt. Für diese
Gruppe wird es auf jeden Fall ein Angebot im Rahmen
des neuen ESF-Programms geben. Wir werden gezielt
Akquise bei Arbeitgebern betreiben, um genau für diese
Menschen eine Brücke zu bauen.
Klar ist auch: Das ESF-Programm ist nur ein Förderansatz. Es werden noch weitere Maßnahmen hinzukommen. Wir werden alle Möglichkeiten nutzen - auch solche, die über das ESF-Programm hinausgehen -, um
Perspektiven für Menschen in Langzeitarbeitslosigkeit
zu schaffen. Ich sage ausdrücklich, dass dies ein persönlicher Schwerpunkt meiner Arbeit in den nächsten
Jahren sein wird. Wann, wenn nicht jetzt, wo der Arbeitsmarkt aufnahmefähiger als in den vergangenen
Jahrzehnten ist, wollen wir es schaffen? Jetzt ist die Zeit,
um für diese Gruppe neue Brücken in den Arbeitsmarkt
zu bauen.
({5})
Ich habe eben schon die Gruppe der Langzeitarbeitslosen mit Behinderung erwähnt. Dies ist eine besondere
Gruppe. Für mich ist es ein persönliches Anliegen, dass
wir die Inklusion dieser Menschen im Alltag erreichen.
Die Inklusion ist zwar schon - Gott sei Dank - im Bewusstsein der Gesellschaft verankert, aber sie muss auch
in den Betrieben, in den Schulen und überall dort, wo
gesellschaftliche Teilhabe für Menschen mit Behinderung noch nicht selbstverständlich ist, erreicht werden.
({6})
Wir werden mit dem Teilhabegesetz einen großen
Schritt machen. Wir werden im Jahr 2015 einen Schwerpunkt unserer Arbeit auf dieses Gesetz legen. Es wird
dann, so hoffe ich, 2016 im Gesetzblatt stehen. Die Gesetzgebung ist die eine Seite. Die andere Seite sind ganz
praktische Aspekte, die zeigen, wie bereichernd es sein
kann, Menschen mit Behinderung zu integrieren.
Ich habe kürzlich Fraport, die Betreibergesellschaft
am Frankfurter Flughafen, besucht und mit einer Frau
gesprochen, die dort seit 16 Jahren arbeitet und voll integriert ist. Sie ist eine richtige Stimmungskanone. Was ihren Arbeitsplatz von dem Arbeitsplatz der anderen unterscheidet, ist, dass sie an ihrer Tastatur eine Braille-Zeile
hat; denn sie ist blind. Dieses Beispiel zeigt mir: Wenn
sich Unternehmen öffnen, dann sind behinderte Arbeitnehmer eine Bereicherung. Dieses Thema sollten wir in
den nächsten Monaten nach vorne bringen und ins Zentrum unserer Bemühungen rücken. Ich glaube, dass
Menschen mit Behinderung viel Potenzial haben, das
wir aber noch nicht nutzen. Das ist der eigentliche Skandal.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die jungen Menschen brauchen einen guten Start ins Arbeitsleben. Dazu
bedarf es guter Arbeitsbedingungen und guter Löhne.
Mit dem Tarifpaket schaffen wir die Voraussetzungen,
um die Arbeitsbedingungen und die Rahmenbedingungen für gute Löhne in Deutschland deutlich zu verbessern.
Wir haben natürlich auch eine Verpflichtung gegenüber den Menschen, die nicht mehr im Erwerbsleben ste2538
hen. Ihre Lebensleistung muss mit einer verlässlichen
Rente anerkannt werden. Das schaffen wir mit dem Rentenpaket, das wir vorgelegt haben. Wir reden hier über
große Summen. Millionen Menschen tragen zum Funktionieren des Sozialstaats bei; gleichzeitig profitieren
Millionen Menschen davon. Das ist der Pakt, der in diesem Land seit Jahrzehnten im Rahmen unserer sozialen
Marktwirtschaft sehr gut funktioniert. Das soll so bleiben, und das werden wir sichern, auch mit dem Einzelplan 11 für das Jahr 2014.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank, Frau Ministerin.
Bevor wir mit der Rednerliste fortfahren, darf ich das
von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die
Empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung mit dem Titel „Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Beteiligung an der
Europäischen Überbrückungsmission in der Zentralafrikanischen Republik“ bekannt geben: abgegebene Stimmen 576. Mit Ja haben gestimmt 514, mit Nein haben
gestimmt 59, Enthaltungen 3. Die Beschlussempfehlung
ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 576;
davon
ja: 514
nein: 59
enthalten: 3
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Axel E. Fischer ({1})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich
({2})
Michael Frieser
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({3})
Uda Heller
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Stephan Mayer ({4})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
({5})
Stefan Müller ({6})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Wilfried Oellers
Vizepräsident Johannes Singhammer
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({7})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Anita Schäfer ({8})
Dr. Annette Schavan
Andreas Scheuer
Jana Schimke
Norbert Schindler
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({9})
Gabriele Schmidt ({10})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön ({11})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({12})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({13})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({14})
Peter Weiß ({15})
Sabine Weiss ({16})
Ingo Wellenreuther
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({17})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding ({18})
Willi Brase
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier-Heite
Dr. h.c. Gernot Erler
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann
({19})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({20})
Gabriela Heinrich
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({21})
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({22})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Andreas Rimkus
Dennis Rohde
René Röspel
Michael Roth ({23})
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({24})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
({25})
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({26})
Matthias Schmidt ({27})
Dagmar Schmidt ({28})
Carsten Schneider ({29})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({30})
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Vizepräsident Johannes Singhammer
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Volker Beck ({31})
Agnieszka Brugger
Katharina Dröge
Harald Ebner
Matthias Gastel
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({32})
Christian Kühn ({33})
Renate Künast
Steffi Lemke
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth ({34})
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Nein
SPD
Klaus Barthel
Petra Hinz ({35})
Waltraud Wolff
({36})
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Inge Höger
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({37})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Halina Wawzyniak
Birgit Wöllert
Pia Zimmermann
({38})
Enthalten
SPD
Marco Bülow
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Monika Lazar
Hans-Christian Ströbele
({39})
Wir fahren fort mit diesem Tagesordnungspunkt. Ich
erteile das Wort als nächster Rednerin der Kollegin
Dr. Gesine Lötzsch, Die Linke.
({40})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Frau Nahles, Sie haben zu Recht darauf verwiesen, dass der Einzelplan „Arbeit und Soziales“ mit Ausgaben von über 122 Milliarden Euro fast die
Hälfte des gesamten Bundeshaushaltes ausmacht und somit der größte Einzelplan ist. Die Bundesregierung verweist immer sehr gern auf diese Zahlen, um zu beweisen, wie sozial sie doch sei. In der Debatte am Dienstag
- Sie werden sich vielleicht erinnern - haben einige Kollegen von der Union die Meinung vertreten, wir als
Linke wären erst zufrieden, wenn der Sozialetat 100 Prozent des Bundeshaushaltes ausmachen würde. Ein besonders Pfiffiger aus der Union widersprach dann und
sagte: Nein, es müssten 110 Prozent sein. - Ich will Ihnen nur sagen: Mit dieser Auffassung sind Sie völlig auf
dem Holzweg.
({0})
Denn die Größe des Etats sagt noch nichts über die Art
der Politik aus. Ein großer Sozialetat zeigt doch auch,
wie hoch der Reparaturbedarf innerhalb unserer Gesellschaft ist.
({1})
Ich will Ihnen das an einem Beispiel erläutern. Nehmen wir einmal die sogenannten Aufstocker. Sie wissen
es alle: Das sind Menschen, die von ihrem Lohn ihren
Lebensunterhalt nicht bestreiten können. Heute ging
durch die Medien ein, wie ich nur sagen kann, absurdes
Urteil des Arbeitsgerichtes in Cottbus.
({2})
Ich habe es mit Empörung aufgenommen. Ich hoffe, Sie
auch.
({3})
Das Jobcenter in Cottbus hatte nämlich völlig zu Recht
geklagt, weil es Minilöhne aufstocken musste. Der Sachverhalt: Ein Anwalt zahlte in seiner Kanzlei einen Stundenlohn von 1,54 Euro für die eine Dame und von
1,65 Euro für die andere.
({4})
Das Arbeitsgericht, man höre und staune, wies nun die
Klage des Jobcenters ab, und zwar mit der Begründung,
dass die Beschäftigten schließlich mit dieser geringen
Bezahlung einverstanden gewesen seien, um auf dem
Arbeitsmarkt wieder Fuß fassen zu können.
({5})
Warum erzähle ich Ihnen das? Ich finde, dieser Fall
ist eine überzeugende Begründung dafür, warum es beim
Mindestlohn keine Ausnahmen für Langzeitarbeitslose
geben darf.
({6})
Es gibt einfach zu viele Arbeitgeber, die schlechte Löhne
zahlen und die die Mitarbeiter zum Amt schicken, damit
dieses dann ihre Löhne aufstockt. Das ist unsozial und
ungerecht. Es ist nicht nur ungerecht gegenüber den Arbeitnehmern, sondern auch gegenüber den Arbeitgebern,
die ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ordentliche
Löhne zahlen. Das dürfen wir nicht länger hinnehmen.
({7})
Im Augenblick ist es so, dass die Steuerzahler in jedem Jahr rund 10 Milliarden Euro aufbringen müssen,
um solche Löhne aufzustocken, damit diese Menschen
auch die notwendigsten Dinge, die sie zum Leben brauchen, finanzieren können. Wir finden es gut, dass endlich ansatzweise eine langjährige Forderung der Linken,
nämlich die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns, aufgegriffen wurde und demnächst
hier im Bundestag beschlossen wird. Das ist eine gute
Nachricht.
({8})
Auch wenn wir viele Punkte kritisieren, was ich ja eben
schon getan habe, können wir doch mit einer gewissen
Genugtuung feststellen, dass unsere Arbeit in der Opposition ihre Wirkung eben nicht verfehlt hat.
({9})
Die Einführung des Mindestlohnes von 8,50 Euro,
wie es von der Regierung vorgesehen ist, wird nach der
Studie eines Forschungsunternehmens die staatlichen
Haushalte um ungefähr 7 Milliarden Euro im Jahr entlasten. Das ist die gute Meldung. Die schlechte Meldung
ist, dass die 8,50 Euro Mindestlohn pro Stunde eben
nicht bei allen ausreichen, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Alleinerziehende können von 8,50 Euro
ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten. Allein die Wohnkosten fressen alles auf.
({10})
Deshalb ist unsere Forderung nach einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro so wichtig. Wir wollen, dass die Menschen von ihrer eigenen
Arbeit leben können, und zwar anständig.
({11})
Frau Nahles, seit einigen Monaten werben Sie für Ihr
Rentenpaket. Dafür haben Sie am Parlament vorbei mal
eben 1,5 Millionen Euro locker gemacht. Aber das will
ich hier nicht mehr auswalzen. Viel schlimmer ist, dass
Sie für etwas geworben haben, was noch gar nicht beschlossen ist und was von Ihrem Koalitionspartner, der
CDU/CSU, heftig attackiert wird. Einige Menschen haben Ihre Werbekampagne zu ernst genommen, und das
mit fatalen Folgen; denn wer jetzt seine Rente ab 63 beantragt, bekommt sie nach den alten Regeln, also mit
Abschlägen.
({12})
Ich finde, das ist etwas, was Politik überhaupt nicht machen darf, nämlich den Menschen etwas vorgaukeln und
sie zu fatalen Beschlüssen verleiten.
({13})
Abschließend noch ein Wort zur Mütterrente. Ich
finde, die Ungleichbehandlung von Müttern und Kindern aus Ost und West ist nicht hinnehmbar. Es gibt
überhaupt keinen Grund dafür, warum Kinder bzw. die
Erziehungsleistungen im Osten bzw. in der damaligen
DDR weniger wert sein sollen als im Westen. Der Unterschied beim Rentenpunkt - 28,61 Euro West und
26,39 Euro Ost - ist durch nichts gerechtfertigt.
({14})
Wir werden in diesem Jahr noch viel über die deutsche
Einheit sprechen. Wir haben - das wurde schon mehrmals gesagt - ein Gedenkjahr. Ich finde, 25 Jahre müssten wirklich ausreichen, um die Unterschiede zwischen
Ost und West zu beseitigen.
({15})
Wir sollten bei der Mütterrente damit anfangen.
Vielen Dank.
({16})
Für die CDU/CSU erteile ich als nächstem Redner
das Wort dem Kollegen Karl Schiewerling.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Rahmenbedingungen,
unter denen wir über den Bundeshaushalt und insbesondere den Haushalt für Arbeit und Soziales diskutieren,
sind denkbar gut. Wir haben Rekordbeschäftigung und
stetig sinkende Arbeitslosenzahlen sowie Rekordüberschüsse in den Kassen der Sozialversicherung zu verzeichnen. Das alles ist kein Zufall. Wir haben in den
letzten acht Jahren eine intelligente Wirtschafts-, Haushalts- und Sozialpolitik unter Leitung der Union betrie2542
ben. Wir haben die Grundlagen dafür geschaffen, dass
wir uns Dinge erlauben können - wir schließen Gerechtigkeitslücken -, an die wir vor acht Jahren noch nicht
einmal gedacht haben.
({0})
Das Beste ist: Das Frühjahrsgutachten, das heute vorgestellt wurde, bestätigt, dass die gute konjunkturelle Entwicklung anhält. Das ist die beste Botschaft; denn wir
können uns all diese sozialpolitischen Maßnahmen nur
erlauben, solange die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen. Wenn sie nicht stimmen, können wir in
der Sozialpolitik nichts machen. Ich glaube, dass die
Grundlagen dafür gut sind.
({1})
Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ist aus Sicht der
Union kein Instrument zur Umverteilung, sondern hat
den Prinzipien der Personenwürde, der subsidiären Hilfe
und der Solidarität zu folgen. Es geht um Chancen, Teilhabe und Leistungsgerechtigkeit. Die Arbeitsmarktpolitik ist von zentraler Bedeutung, weil es darum geht, für
faire Bedingungen am Arbeitsmarkt zu sorgen. Die beste
Sozialpolitik ist, Menschen in Arbeit zu bringen. Dafür
müssen wir alles tun, und dafür werden wir alles tun.
Im Mittelpunkt der Arbeitsmarktpolitik steht die Tarifautonomie. Arbeitgeber und Gewerkschaften entscheiden über die Arbeitsbedingungen. Die Spielregeln werden durch den Staat festgelegt. Ich freue mich sehr, dass
dies unstrittig ist; denn das ist Teil unserer freiheitlichen
Grundordnung in der Bundesrepublik Deutschland. Wir
wollen die Tarifautonomie stärken. Deswegen werden
wir ein Tarifvertragsgesetz verabschieden, das es in Zukunft erleichtert, abgeschlossene Tarifverträge, die eine
große Bedeutung haben, weil sie berechtigten öffentlichen Interessen dienen, für allgemeinverbindlich zu erklären. Damit werden wir für mehr Ordnung, von den
Tarifpartnern beschlossen, auf dem deutschen Arbeitsmarkt sorgen.
({2})
Ich freue mich, dass wir neben den 14 Branchen, für
die jetzt das Arbeitnehmer-Entsendegesetz gilt, die Möglichkeit eröffnen, dass auch andere Branchen dort unterkommen. Das ist wichtig, weil es nicht wenige Arbeitnehmer gibt, die jetzt aus osteuropäischen und anderen
Ländern zu uns kommen und faire Bedingungen auf unserem Arbeitsmarkt vorfinden sollen. Dafür ist das Arbeitnehmer-Entsendegesetz da. Das ist ein wichtiger
Beitrag zu mehr Gerechtigkeit auch auf dem Arbeitsmarkt, getragen von den Tarifvertragsparteien.
({3})
Wir werden den flächendeckenden Mindestlohn beschließen,
({4})
zum ersten und auch zum letzten Mal im Deutschen
Bundestag, weil dies danach eine Tarifkommission, bestehend aus Arbeitgebern und Gewerkschaften, machen
wird. Arbeitgeber und Gewerkschaften wissen am besten, wie die Bedingungen in ihrer Region oder Branche
sind, und haben den besten Überblick über den Arbeitsmarkt. Die werden die Entscheidungen treffen. Ich finde
es auch gut, dass diese Tarifkommission sich genau anschaut, welche Auswirkungen der Mindestlohn auf die
Beschäftigung haben wird; denn wir wissen letztendlich
noch nicht genau, wie der Mindestlohn und das Tarifpaket unter dem Strich wirken. Die Tarifpartner sind dafür
die richtigen Ansprechpartner, und sie können gute Zuarbeit zu der ohnehin geplanten Überprüfung unseres Tarifpakets leisten. Ich halte das für einen guten und für einen wichtigen Schritt.
({5})
Der Sozialstaat fußt auf stabilen Familienstrukturen
und auf Erwerbsarbeit. Der Sozialstaat braucht gute
Rahmenbedingungen. Wir wollen insbesondere deswegen denjenigen, die jetzt arbeitslos sind - die Bundesarbeitsministerin hat, wie ich finde, anhand beeindruckender Beispiele darauf hingewiesen, wo die Hilfen jetzt
anzusetzen sind -, zielgerichtet helfen, wieder in Beschäftigung zu kommen. Etwa 3 Millionen Menschen
sind ohne Arbeit. Darunter sind sehr viele, die sehr lange
arbeitslos sind. Wir wissen, dass sie es besonders schwer
haben, auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen.
Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Bundesarbeitsministerin das, was in der letzten Legislaturperiode bereits begonnen wurde, nämlich eine intensive Eins-zueins-Betreuung zunächst als Experimentum, jetzt in eine
Regelförderung überführen will, damit wir noch mehr
Menschen konkret helfen können, wieder in Beschäftigung zu kommen. Dabei wollen wir auch die Arbeitgeber beraten und begleiten; denn manche Schritte, die
dann erfolgen müssen, wenn die Betroffenen im Betrieb
sind, sind nicht ganz so einfach. Aber durch gute wechselseitige Hilfestellung werden wir das erreichen. Ich
halte das für einen wichtigen und für einen guten Schritt.
({6})
Frau Lötzsch, ich teile Ihre Auffassung nicht. Wenn
wir das Tarifgesetz, in dem auch der Mindestlohn geregelt ist, jetzt beschließen werden und für Langzeitarbeitslose für die Dauer eines halben Jahres der Mindestlohn von 8,50 Euro möglicherweise unterschritten wird,
dann kann man das, wie Sie es machen, unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit diskutieren.
({7})
- Ja, das kann man machen. - Aber ist es denn gerechter,
wenn ich Menschen einen Arbeitsplatz vorenthalte, weil
die Löhne zu hoch sind? Ich sage Ihnen: Unser Ziel ist,
Langzeitarbeitslose in Beschäftigung zu bringen. Wenn
sie zunächst einmal ein halbes Jahr lang nicht den Mindestlohn bekommen, aber eine Berufsperspektive erhalten, dann soll uns dieser Schritt viel wert sein; denn es
geht um Gerechtigkeit für die Menschen, die der Hilfe
besonders bedürfen.
({8})
Wir begrüßen ausdrücklich, dass wir konsequent in
den Bereich der beruflichen Bildung einsteigen und dass
das Bundesarbeitsministerium jetzt insbesondere denen
helfen will, die keine Berufsausbildung haben. Etwa
1,4 Millionen Menschen sind es, wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe, die weder eine Schul- noch eine Berufsausbildung haben. Sie werden auf dem Arbeitsmarkt
keine Perspektive haben, wenn wir ihnen nicht konsequent helfen. Hier greift das Prinzip „Fordern und Fördern“. Alle sind gefragt.
Das ist gewiss kein einfacher Weg, auch nicht für die
Menschen, die davon betroffen sind. Aber es ist ein lebensnotwendiger Weg für die Menschen, die in dieser
Situation sind. Denn unser Ziel muss es sein, dass sie eines Tages mit ihrer eigenen Hände und ihres eigenen
Kopfes Arbeit den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien verdienen können, um eine Grundlage für ihr Leben zu haben.
Wir vermeiden über diesen Weg jene Spirale, die im
Prinzip zwangsläufig in die Abhängigkeit vom sozialen
Transfersystem führt. Wir müssen den Betroffenen also
in dieser Situation tatkräftig unter die Arme greifen.
({9})
Wir halten es auch für notwendig, den Blick auf die
Menschen zu richten, die der besonderen Unterstützung
bedürfen, nämlich auf die Menschen mit einer Behinderung. Wir teilen ausdrücklich die Auffassung: Hier gibt
es viele Potenziale, die wir wecken und stärken müssen.
Wir begrüßen auch sehr, dass wir in der letzten Legislaturperiode begonnen haben, jungen Menschen in anderen Ländern, etwa in Spanien oder in Griechenland, die
Möglichkeit zu eröffnen, nach Deutschland zu kommen
und hier eine Berufsausbildung zu machen. Wir sehen,
dass es da im Augenblick sogar Engpässe gibt, weil die
Nachfrage plötzlich so gestiegen ist, dass wir finanziell
an unsere Grenzen gestoßen sind. Im Hinblick auf diejenigen, die jetzt in Spanien oder anderswo auf gepackten
Koffern sitzen und darauf warten, dass sie mit ihrer Berufsausbildung in Deutschland endlich beginnen können,
kann ich sagen: Wir wollen alles Notwendige versuchen,
diesen finanziellen Engpass zu beseitigen, damit sie eine
berufliche Perspektive bekommen.
Aber ich sage genauso deutlich: Wenn es um den
Fachkräftemangel geht - das, was ich beschrieben habe,
ist ja ein Teil der Diskussion um den Fachkräftemangel -,
müssen wir den Blick auch auf diejenigen Menschen
richten, die in unserem Land leben; sie dürfen wir nicht
außer Acht lassen. Ich denke an die Arbeitslosen, an die
Frauen, die in Erwerbsarbeit zurückwollen, an Menschen mit einer Behinderung, an Ältere, die wieder an
ihren Arbeitsplatz zurückwollen. Wir müssen die notwendigen Wege konsequent gehen, um den Fachkräftebedarf auch aus den eigenen Reihen zu decken. Denn
auch hier gibt es Menschen mit Begabungen und Fähigkeiten, die wir auf unserem Arbeitsmarkt dringend benötigen.
({10})
Ein etwas kritischer Punkt, der im Augenblick heftig
diskutiert wird, ist die Eingliederungshilfe. Wir kennen
die Diskussion im Hinblick auf die Kommunen, die sich
dazu im Augenblick abspielt. Ich will Ihnen sagen, dass
wir gerne sähen, dass von diesem Haus die Botschaft
ausgeht: Im Mittelpunkt steht der Mensch. Unser Anliegen besteht darin, den Menschen, die behindert sind, zu
helfen. Ihre Rahmenbedingungen wollen wir verbessern.
({11})
In einem zweiten Schritt reden wir darüber, wie die finanziellen Rahmenbedingungen für die Kommunen
sind. Wir stehen hier zu unserem Wort. Ich denke, dass
entsprechende Lösungswege gefunden werden.
Wenn wir in diesem Haushalt - das sei noch dazugesagt - 5,5 Milliarden Euro für die Grundsicherung im
Alter veranschlagt haben, dann bedeutet auch das eine
maßgebliche Entlastung für die Kommunen.
({12})
Ich halte es für notwendig, einmal in aller Deutlichkeit
zu sagen, dass wir hier bereits einen wichtigen Schritt
gegangen sind.
({13})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir können
vieles in der Sozialpolitik bewegen, wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen. Es ist richtig: Wir
wollen das Rentenpaket anpacken. In diesem Bundeshaushalt sind knapp 12 Milliarden Euro zur Finanzierung der sogenannten Mütterrente - Frauen, die vor
1992 Kinder geboren haben, wird auf ihr Rentenkonto
ein Rentenpunkt mehr gutgeschrieben - vorgesehen. Ich
finde, das ist ein wichtiger und guter Beitrag. Dies deutet
darauf hin - ich verweise darauf, dass dafür gerade einmal 6 Milliarden Euro real ausgegeben werden -, dass
der Staat schon einiges an Steuermitteln bereitstellt, um
diese Renten zu finanzieren.
Der allgemeine Zuschuss zur Rentenversicherung
steigt zudem um 1,5 Milliarden Euro. Dieser Schritt ist
deswegen notwendig, weil wir den Rentenversicherungsbeitrag nicht abgesenkt haben; vielmehr zahlen Arbeitgeber und Versicherte unveränderte Beiträge zur
Rentenversicherung. Da zudem mehr und höhere Gehälter gezahlt werden, steigen auch die Mittel, die in die
Rentenversicherung fließen. Deswegen muss sich auch
der Bund mit einem höheren Zuschuss an der Stärkung
der Rentenversicherung beteiligen.
All dies wird dazu führen, dass wir die Situation der
Rentenkassen über einen längeren Zeitraum stabil halten
und damit eine gute Grundlage für die Finanzierung unseres Rentenpakets erwirtschaften.
({14})
Ich will einen letzten Gedanken nennen, der wichtig
und zentral ist. Wir haben Anfang dieses Jahrhunderts
erlebt, wie das wirtschaftspolitische Pendel aufgrund der
wirtschaftlich schwierigen Situation sehr stark in eine
Richtung ausgeschlagen ist: hin zur Flexibilität in allen
Bereichen.
Es ist völlig klar: Wir haben jetzt eine gute wirtschaftliche Situation, und das Pendel schlägt zurück. Wir müssen allerdings aufpassen - das sage ich aus Sicht der
Union sehr deutlich -, dass wir jetzt nicht wieder ins genaue Gegenteil verfallen. Zentral bei der sozialen Marktwirtschaft ist, dass wir wirtschaftliche Vernunft und soziale Notwendigkeit in einen vernünftigen Ausgleich
bringen. Die soziale Marktwirtschaft gibt dazu die richtigen und die notwendigen Antworten, und der Haushalt
der Bundesarbeitsministerin für das Jahr 2014 wird dem
auch gerecht.
Herzlichen Dank.
({15})
Vielen Dank, Herr Kollege Schiewerling. - Nächste
Rednerin ist für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin
Ekin Deligöz.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
fange mit der Rente an. Das derzeitige Aushängeschild
Ihres Hauses ist Ihr Rentenpaket. Das kann man auch sehen: Es gab dazu rechtzeitig Werbeplakate und eine
ganze Kampagne.
({0})
Frau Ministerin, da ich jetzt die Berichterstattung in diesem Bereich übernommen habe, fange ich damit an:
Diese Kampagne ist und bleibt politisch indiskutabel
und haushaltsrechtlich absolut bedenklich.
({1})
Mir ist jetzt zu Ohren gekommen, dass Sie in Ihrem
Haus eine weitere Kampagne planen, nämlich zum Mindestlohn - noch bevor dieser Haushalt beschlossen wird.
Ich kann dazu nur sagen: Es ist völlig okay, dass wir in
Deutschland keinen Shutdown wie in Amerika haben,
aber wir haben Regeln, und wir haben auch Regeln beim
Haushalt. Wir sind jetzt in den Verhandlungen. Es hat etwas mit Respekt vor dem Parlament und vor den Haushältern zu tun, dass man sich an diese Regeln hält und
nicht gutsherrenartig über Mittel für Öffentlichkeitsarbeit befindet.
({2})
Aber kommen wir zur Sache selber. Das Rentenpaket
belastet den Einzelplan 11 durch die zurückgenommene
Beitragssatzsenkung schon jetzt mit rund 1,5 Milliarden
Euro. Dazu werden die Belastungen der Beitragszahler
selbst kommen sowie die Belastungen der Länder- und
Kommunalhaushalte, die wir noch gar nicht beziffern
können. Die Leistungsausweitung selber kostet 9 Milliarden Euro jährlich. Herr Kollege Schiewerling, ich
weiß nicht, ob ich Sie richtig verstanden habe. Das Problem ist: Die Mittel kommen nicht aus den Steuermitteln, sondern sie kommen von den Beitragszahlern. Die
werden das gegenfinanzieren. Das Risiko einer Frühverrentungswelle etwa - wir haben im Haushaltsausschuss
gehört, wozu das alles führen kann - ist bei diesen Kosten noch gar nicht berücksichtigt. Es gibt schon jetzt
Zahlen, nach denen sich das Ganze bis zum Jahr 2030
auf 175 Milliarden Euro summieren wird. Das Ganze ist
nicht sachgerecht finanziert. Das Schlimmste ist: Es geht
definitiv nicht die drängendsten Probleme unserer Gesellschaft an.
({3})
Ich will das für Sie ein bisschen konkretisieren. Sie
haben, Frau Ministerin, jetzt und auch bei einer anderen
Debatte zum Rentenpaket von der Anerkennung von Lebensleistung gesprochen. Armut in Deutschland ist im
Augenblick jung und weiblich. Sie trifft die alleinerziehende Mutter, und sie trifft Eltern von Kindern. Armut in
Deutschland wird älter, bleibt aber weiblich. Viele von
den Frauen, die in Armut hinein älter werden, werden
45 Beitragsjahre nicht erreichen, weil sie Kinder erzogen
oder jemanden gepflegt haben oder aus anderen Gründen
nicht durchgängig gearbeitet haben.
Sie werden aber wohl auch leider nichts von Ihrer
Mütterrente haben, weil in dem Moment, wo sie Sozialleistungen in Anspruch nehmen, etwa Grundsicherung
beziehen, Witwenrente bekommen oder auch nur Wohngeld erhalten, diese Leistungen gegengerechnet werden.
Das heißt, sie werden mit Nullkommanullnull aus Ihrem
Paket herausfallen. Und wer redet hier von der Anerkennung von Lebensleistung?
({4})
Wer redet hier von der Verantwortung gegenüber diesen
Frauen? Auch sie haben eine Anerkennung verdient. Wir
Grüne sind für eine Garantierente, weil wir die Verantwortung für soziale Gerechtigkeit ernst nehmen.
Wenn ich mir Ihr Paket angucke, dann muss ich feststellen: Die Lebensleistungsrente wird auf der Zeitschiene
erst einmal verschoben, wenn sie in dieser Wahlperiode
überhaupt noch kommt. Leistungen im Falle von Erwerbsminderung, Rehabilitationsleistungen - das alles
kommt doch vorn und hinten nicht hin. Genau diese
Menschen werden bei Ihnen leer ausgehen. Deren Kinder wiederum werden das Ganze gegenfinanzieren.
({5})
- Bitte schön, Herr Kollege.
Ich sehe, dass die Zwischenfrage schon gestattet worden ist. Deshalb haben Sie das Wort, Herr Kollege.
Vizepräsident Johannes Singhammer
({0})
Liebe Frau Pothmer, die Debatte ist ein bisschen langweilig. Deswegen muss ich ein bisschen Würze hineinbringen.
Ich fand meine Rede nicht langweilig.
Liebe Frau Kollegin Deligöz, vielen Dank, dass Sie
mir die Zwischenfrage gestatten. - Meine Frage lautet
wie folgt: Können Sie mir zustimmen, dass die Legislaturperiode nicht 100 Tage, sondern vier Jahre dauert und
dass die Große Koalition genau die Probleme, die Sie
angesprochen haben, zum Beispiel die solidarische Lebensleistungsrente, als weiteres Rentenpaket in ihren
Koalitionsvertrag aufgenommen hat?
({0})
Lieber Herr Kollege, es wäre schön, wenn ich sagen
könnte: Ja, Sie haben noch drei Jahre Zeit.
({0})
Aber das, was Sie hier machen, ist leider keine Ausnahme. Sie bedienen sich der Beitragsgelder nicht nur
im Rentensystem, sondern auch im Gesundheits- und
Pflegebereich; das hat Methode. Deshalb kann man feststellen: Sie konsolidieren den Haushalt, indem Sie einfach Mittel aus den sozialen Sicherungssystemen herausnehmen, um gut dazustehen.
({1})
Deshalb glaube ich Ihnen das nicht. Sie sind in diesem
Fall nicht glaubwürdig.
Ich nenne ein anderes Beispiel: Angesichts dessen,
dass Sie im Moment so viel Geld verfrühstücken, wissen
wir doch beide, dass uns dies früher oder später auf die
Füße fallen wird. Wir werden es gegenfinanzieren müssen. Dann haben Sie nur zwei Alternativen: Entweder
Sie nehmen es aus dem Bundeshaushalt - dann können
Sie Ihre Konsolidierung nicht weiterführen - oder aus
den Beitragsgeldern. Das werden dann die Kinder der
Mütter finanzieren müssen.
({2})
- Ich bin noch nicht ganz fertig.
({3})
Sie werden den Unterhalt für ihre Mütter gewährleisten müssen, und sie werden erhöhte Beiträge und Steuern zahlen müssen. Das wird die Konsequenz Ihrer Politik sein. Mir fehlt der Glaube, dass es in den nächsten
drei Jahren viel besser werden wird.
({4})
Kommen wir zurück. Sie haben sich überall in den
Sozialversicherungssystemen bedient. In einem Bereich
schlagen Sie nicht zu. Das ist der Arbeitsmarkt. Warum?
Weil dort die Bundesmittel schon ausgeschöpft sind. Sehen Sie sich einmal die Rücklagen an, die es in der Bundesagentur gibt. Es gibt gerade einmal eine Rücklage
von 2,5 Milliarden Euro, also einen kleinen Puffer.
Wenn es nur eine leichte Eintrübung am Arbeitsmarkt
gibt - ich weiß, Sie gehen davon aus, dass alles super
werden wird -, dann werden wir in diesem Land weder
ausreichend Kurzarbeitergeld zahlen können noch anderweitig adäquat darauf reagieren können. Sie beuten
die Mittel der Sozialkassen bzw. der Sozialversicherung
auf Kosten der Menschen aus. Sie nehmen uns damit die
Handlungsfähigkeit im Falle einer Krise bzw. sogar im
Falle eines Ansatzes einer Krise. Eine höhere Rücklage
wäre notwendig, um überhaupt reaktionsfähig zu sein.
({5})
Sehen wir uns Ihre Sozialpolitik an. Die Eingliederungshilfe wird auf die ganz lange Bank geschoben. Den
Kommunen wird eine Kompensation zugesagt, und dann
werden sie gleich damit getröstet, dass es in diesem Jahr
leider nichts wird und sie vielleicht im nächsten Jahr
kommen wird.
({6})
Schauen wir uns die Bereiche Arbeitsmarkt, Armutsbekämpfung und Inklusion an. Hier müssen wir feststellen: Da ist leider nicht viel dahinter. Ehrlich gesagt, Frau
Ministerin, war ich von Ihrer Antwort auf die Frage der
Kollegin Zimmermann von den Linken enttäuscht.
({7})
Frau Zimmermann hat zwar eine komplizierte und detaillierte Frage gestellt, aber der Grundtenor war doch:
Was tun Sie gegen eine 1 Million Langzeitarbeitslose in
diesem Land? Ihre Antwort: „Aber 79 haben etwas davon“ reicht nicht aus. Als Ministerin müssen Sie Konzepte vorlegen. Als Ministerin müssen Sie uns sagen,
welche Ideen Sie haben. Sie dürfen sich nicht mit detailreichem Klein-Klein auseinandersetzen. Wir wissen,
dass das, was im Haushaltsentwurf steht, hinten und
vorne nicht ausreichen wird.
Kommen wir zu einem anderen Programm, zu MobiPro-EU. Wie groß war die Freude - zugegebenermaßen
vorwiegend von Ihrer Vorgängerin und der Kanzlerin -,
als sie dieses Programm mitten im Wahlkampf nach außen getragen haben! Haben wir nicht Europa damit versprochen, dass wir Jugendliche ausbilden werden? Heute
bekam ich die Antwort: Lediglich ein Bruchteil der Anfragen wird beantwortet. Eigentlich müssten Sie doppelt
so viele Mittel zur Verfügung stellen, um auch nur im
Ansatz einem Teil der Anfragen, die es gibt, überhaupt
entsprechen zu können.
({8})
Sie kündigen im Internet großartig an: „The Job of my
Life.“ Heraus kommt ein „No Job of my Life“; denn nur
ein Bruchteil der Menschen, die sich dafür interessieren,
wird davon etwas haben.
Frau Ministerin, es liegt an Ihnen, ob dies der Job Ihres Leben wird. Im Moment sehen wir leider keine Ansätze dazu.
({9})
Für die Sozialdemokraten erteile ich das Wort dem
Kollegen Ewald Schurer.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Zu Beginn möchte ich eine
alte und gute Übung aufnehmen und mich auch im Namen der Berichterstatter der Fraktionen beim BMAS für
die guten und rechtzeitig bereitgestellten Unterlagen bedanken, durch die wir überhaupt erst beratungsfähig
sind. Ich möchte auch den Berichterstattern für den bisher gepflegten guten Stil, Dialoge zwischen Opposition
und Koalition zu führen, meinen Dank aussprechen.
Meine Rede beginnt damit, dass ich wiederholen darf,
was die Frau Ministerin gesagt hat: Wir haben einen
Haushalt mit einem Volumen von 122,3 Milliarden
Euro. Das sind 41 Prozent des gesamten Etats des Bundes - eine Größenordnung, die, von der Quantität her,
für sehr viel spricht. Er enthält folgende Bausteine - sie
wurden schon genannt -: 88,5 Milliarden Euro an Zuschüssen für die Rentenversicherung und - nicht zu vergessen - für die Grundsicherung im Alter, 31,5 Milliarden Euro für die Arbeitsförderung, 1,5 Milliarden Euro
für die Entschädigung von Kriegsopfern und immerhin
0,8 Milliarden Euro für die Beförderung von Menschen
mit schweren Behinderungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, hinter all diesen
Kapiteln und Titeln stehen immer auch Inhalte; das ist
von der Frau Ministerin schon so intoniert worden. Ich
will drei Beispiele herausgreifen:
Eine über Jahre von den kommunalen Spitzenverbänden erhobene Forderung an den Bund war, die Kosten
der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
komplett zu übernehmen. Der Koalition, SPD und
Union, ist es nun gelungen, mit dem Entwurf die Voraussetzungen dafür zu schaffen, künftig die Kommunen an
dieser Stelle zu 100 Prozent zu entlasten. Ich finde, das
ist ein großer Erfolg.
({0})
Des Weiteren haben wir bei den Mitteln gemäß
SGB II, wie schon angesprochen, endlich für eine
Trendumkehr gesorgt, nachdem es hier in den letzten
Jahren - das darf ich kritisch in Richtung der Freundinnen und Freunde von der Union sagen - zu einer relativ
starken Ausholzung gekommen ist. Mit den Mitteln in
Höhe von viermal 350 Millionen Euro, sprich 1,4 Milliarden Euro, werden wir - auch wenn es hier schon Kritik gab - in der Lage sein, die Vermittlung von langzeitarbeitslosen Menschen in den Arbeitsmarkt in vielen
Fällen deutlich zu verbessern.
({1})
Das ist ein wesentlicher Schritt, ein erster Punkt, bei dem
es aber nicht bleiben darf; wir müssen diese Leistungen
verstetigen. Wir müssen die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen qualitativ und quantitativ ein wenig aufmörteln.
Ich spreche nun ein Programm an, das in der Öffentlichkeit sehr viel Kritik, aber auch Lob bekommen hat,
nämlich das Sonderprogramm MobiPro-EU. Es ist der
Versuch, einen solidarischen Beitrag zur Ausbildung von
jungen Menschen und Fachkräften aus europäischen
Ländern, vornehmlich aus Mittelmeerstaaten, zu leisten.
Das Programm ist erfolgreich. Im Augenblick gibt es
aufgrund der großen Nachfrage einen technischen Stopp;
aber das Programm wird in der Substanz weitergeführt,
so meine Information.
Ich möchte an dieser Stelle auf etwas hinweisen, das
keine Selbstverständlichkeit ist: Jenseits aller Streitigkeiten über die Ausgestaltung des Rentenpakets gibt es
in der Öffentlichkeit Respekt dafür - auch ich will meinen Respekt und meine Anerkennung aussprechen -,
dass die Ministerin und ihr Haus in der Lage waren, die
Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass das gesamte
Rentenpaket nach kurzer Zeit verabschiedet werden
kann - wir werden bis Mitte oder Ende Mai darüber beraten und es dann verabschieden - und schon zum 1. Juli
2014 in Kraft treten kann. Das ist für die Koalition, wie
ich finde, ein sehr großer Erfolg.
({2})
Ich komme jetzt auf ein Thema zu sprechen, das meines Erachtens im Augenblick neben dem Thema Mindestlohn im Brennpunkt steht: die Debatte um die Rente
mit 63. Frau Deligöz, Sie haben gerade im Zusammenhang mit dem Rentenpaket von einer Kampagne der
Bundesregierung gesprochen; das war aber nur eine
kleine Informationskampagne. Ich vernehme, dass es
draußen in der Öffentlichkeit eine Kampagne gibt, für
die die sogenannte Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft gerade Millionen von Euro einsammelt. Überall
im Lande wird mit wirklich bitteren polemischen Thesen
versucht, das Vorhaben der Rente mit 63 zu zerschießen,
aber ohne Erfolg; denn die jüngsten Umfragen besagen,
dass sogar die große Mehrheit der jungen Menschen
sagt: Wer 45 Jahre gearbeitet und Beiträge gezahlt hat, der
oder die verdient eine uneingeschränkte Rente mit 63.
({3})
Die Rente mit 63 ist ein riesiger Erfolg für uns. Die
Kampagne dagegen ist ein Misserfolg für die Protagonisten des alten ordo- oder neoliberalen Geistes - die stecken meines Erachtens in erster Linie hinter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Oder heißt sie
vielleicht Initiative Alte Soziale Marktwirtschaft? Ich
bringe das bewusst ein bisschen durcheinander; denn ich
sehe da keine inhaltliche Substanz. Für mich ist das eine
große Kampagne, bei der versucht wird, mit Missinformation gegen den Sozialstaat zu Felde ziehen und die öffentlichen Systeme wie etwa die gesetzliche Rente im
Lande zu diskreditieren.
Das geschieht vor dem Hintergrund, dass wir sozusagen gestern eine weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise
hatten: 2008, 2009 und 2010 wurden Billionen von Euro
auf ökonomischer Ebene vernichtet. So haben Millionen
von Menschen in Großbritannien ihre Alterssicherung,
die in Pensionsfonds angelegt war, verloren. Nun tun
diese Protagonisten so, als sei nichts gewesen. Die Krise
war ein Blattschuss für die privaten Versorgungssysteme, die damals durch die Geschäfte von Lehman Brothers und Co. den Bach runtergegangen sind. Vor diesem
Hintergrund finde ich es unsittlich und unseriös, so zu
argumentieren.
({4})
Ich komme auf die Substanz zu sprechen, die für mich
ein ganz wichtiger Punkt ist. Laut Berechnungen des
BMAS hatten - unter Berücksichtigung der bisherigen
Gesetzmäßigkeit bei der Rente - 150 000 Menschen die
Absicht, mit 63 Jahren, aber mit Abschlägen, in Rente zu
gehen. Durch die neuen Gesetzmäßigkeiten kämen bis
zu 50 000 Menschen dazu. Es geht also insgesamt um
rund 200 000 Menschen. Es sind also keine Millionen,
wie es die Kampagnenführer, die ich genannt habe, suggerieren. Es ist ersichtlich, dass sie provozieren wollen.
Wir wissen: Wenn die Rente mit 63 kommt, dann wird
uns das im ersten Jahr 900 Millionen Euro kosten.
Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass es in unserem Land eine große Zustimmung für die Rente mit 63
gibt, und das trotz der zum Teil demagogischen Kampagnen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang sagen,
dass ich es schade finde, dass auch Leitmedien in unserem Lande wie Handelsblatt, Süddeutsche Zeitung und
andere ständig und ohne jegliche Korrektur von der Initiative Alte/Neue Soziale Marktwirtschaft abschreiben
und so die Kampagne weiterführen.
Richtig ist: 80 Prozent der Menschen in unserem
Lande sind für die Rente mit 63. Selbst zwei Drittel der
jungen Menschen sagen - ich wiederhole mich -: Das ist
verdient und nicht geschenkt. Richtig ist, dass auch andere Bestandteile des Rentenpaketes traumhafte Zustimmungswerte von zum Teil 70, 80 oder 90 Prozent erhalten. Die Menschen haben ihre eigene Auffassung von
Ökonomie, die von ihrer Lebenserfahrung oder von ihrer
individuellen Lebensleistung abhängig ist.
({5})
Lassen Sie mich auf einen weiteren wichtigen Punkt
zu sprechen kommen. Um zur Versachlichung beizutragen, wäre es wichtig, sich die aktuelle Situation im
Lande hinsichtlich der Verrentung anzuschauen, um das
Programm „Rente mit 63“ in die gesellschaftliche Realität einbetten zu können. Nach den Werten der HansBöckler-Stiftung - sie greift auf die Daten der Deutschen
Rentenversicherung und auf die des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg zurück - liegt
der Altersdurchschnitt bei der Verrentung im Bereich
Hoch- und Tiefbau bei 57,6 Jahren und bei Maschinisten
- dies sind immerhin ein paar Hunderttausend - bei
59,6 Jahren. Bei Elektroberufen - hier arbeiten Millionen von Beschäftigten - liegt der Durchschnittswert
heute bei 60,1 Jahren und bei Kaufleuten im Handelsund Warenbereich bei 61,1 Jahren. In den Sozial- und
Erziehungsberufen ist der Wert mit 62,9 Jahren am
höchsten. - Nur wer diese Werte kennt, kann überhaupt
erst einschätzen, worüber wir reden. Das tun die Protagonisten, die ich genannt habe, nicht.
({6})
Herr Kollege Schurer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kurth?
Natürlich.
Herr Schurer, Sie haben das reale Renteneintrittsalter
in bestimmten Branchen aufgezählt. Die Werte lagen bei
ungefähr 60 Jahren, teilweise sogar darunter. Ich frage
Sie: Ist es nicht richtig, dass genau die Personen, die zu
den genannten Zeitpunkten in Rente gehen müssen,
überhaupt nichts von der Rente mit 63 haben, da sie ja
erkennbar vor dem 63. Lebensjahr in Rente gehen? Es ist
doch so, dass sie trotzdem erstens über ihre Beitragszahlungen und zweitens durch das niedrigere Rentenniveau,
das Ihr Paket bewirkt, dafür zahlen müssen. Finden Sie
das gerecht?
({0})
Ich finde es schade, dass Sie bei dem Spiel mitmachen, einzelne Gruppen innerhalb der Rentenversicherung gegeneinander auszuspielen.
({0})
Die Kritik der Grünen ist relativ unstet: Teilweise strapazieren Sie die Werte der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, teilweise kommen Sie mit einem Gerechtigkeitskodex daher.
({1})
- Das ist meine Antwort. - Die Rente mit 63 kann in der
Tat nicht alle Widersprüche innerhalb des Rentensystems auflösen,
({2})
aber sie ist eindeutig ein Beitrag für mehr Gerechtigkeit
für jene Menschen, die nach 45 Beitragsjahren ihre
Rente selbst erwirtschaftet haben.
({3})
Ich komme zu einem weiteren wichtigen Baustein,
zur Mütterrente. An die Freundinnen und Freunde der
Union gerichtet, sage ich: Ich wünsche mir, dass jetzt
nicht so viele Kolleginnen und Kollegen von der
Unionsfraktion wie wild durch die Gegend hoppeln
- Ostern steht vor der Tür - und in den Medien und
überall sonst aufgeregt sagen: Das mit der Rente mit 63
geht nicht. Es ist einfach eine Tatsache, dass wir Sozialdemokraten dem Projekt der Mütterrente geschlossen,
denke ich, zustimmen werden,
({4})
obwohl es sich bei diesem sozialpolitisch induzierten
Projekt - sprich: gewollten Projekt - um eine rein versicherungsfremde Leistung handelt.
({5})
Die Gelder dafür kommen erst einmal aus der Rücklage
der Deutschen Rentenversicherung und müssen später wir Sozialdemokraten glauben, in der nächsten Legislaturperiode - auf Dauer steuerlich refinanziert werden.
Darüber kann man reden. Meine Bitte ist: Sorgt innerhalb des eigenen Ladens für ein bisschen Ordnung. Wir
Sozialdemokraten sagen: Jawohl, die Mütterrente ist
verdient. Ein weiterer Rentenpunkt für vor 1992 geborene Kinder ist verdient. Dazu stehen wir Sozialdemokraten. Macht in der Union aber bitte nicht den Fehler,
alles frei laufen zu lassen. Wir haben in der Opposition
schon genügend Desorientierte; das ist bei der Opposition zum Teil reine Sekundärargumentation. Das reicht
doch schon.
({6})
Zur Erwerbsminderungsrente: 180 000 Menschen waren 2012 davon betroffen. Die Zurechnungszeit wird um
immerhin zwei Jahre erhöht, gerechnet wird also bis
zum 62. statt bis zum 60. Lebensjahr. Das ist für Menschen, die auf diese Rente angewiesen sind, eine gute
Geschichte.
({7})
Wir werden auch den Rehadeckel anheben.
Noch eine letzte Aussage - Frau Präsidentin, wenn
Sie erlauben -: In der Rentendebatte hat man manchmal
den Eindruck, dass es nur um Kosten geht. Ich sage
dazu: Die Rente wird auch künftig durch Beiträge, ergänzt durch eine Steuerfinanzierung, gesichert werden.
Auch in 10, 20 und 30 Jahren wird es die gesetzliche
Rente als großen Baustein der Alterssicherung der Menschen immer noch geben und geben müssen. In der Rentendiskussion wird oft der Fehler gemacht, zu glauben,
dass es sich bei der Rente nur um Kosten handelt. Das
sind aber nicht nur Kosten. Die Rente ist im Zusammenhang mit der Wertschöpfung der Volkswirtschaft zu sehen. Sie bemisst sich an den Produktivitätsfortschritten
der Volkswirtschaft, denn daran orientiert sich - nach
Möglichkeit - die Lohnpolitik. So trägt die Rente volkswirtschaftlich - makro- und mikroökonomisch - zur Bereicherung bei.
({8})
Bei der Ausschüttung der Rente handelt es sich um
Milliardenwerte, über die durch Konsum und Leistung
Menschen, die noch im Arbeitsleben stehen, beschäftigt
werden. Deshalb ist es ein großer humanistischer Fehler,
zu glauben, dass wir, wenn wir über die Sozialversicherungssysteme reden, nur über Kosten reden. Das stimmt
nicht. Diese Milliarden, bei denen es um verschiedene
Rentenbestandteile geht, fließen wieder in die Wirtschaft
und sind für die Ökonomie und für die Zukunft des Landes fundamental. Insofern trägt der Haushalt 2014 zum
wirtschaftlichen Wachstum und zur Sicherheit der Menschen in der Zukunft bei.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Sabine Zimmermann für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber, geschätzter Herr Schiewerling!
({0})
- Herr Schiewerling, hören Sie mir einmal zu. Meine
Zeit läuft sonst weg. - Sie klopfen sich hier immer schön
auf die Schulter - das tun viele von der CDU/CSU, aber
auch von der SPD -, wie toll auf dem Arbeitsmarkt alles
läuft, auch bezogen auf die letzten Jahre.
({1})
Sie sagen immer gerne, wie viele Menschen in den letzten Jahren in Arbeit gekommen sind. Soll ich Ihnen einSabine Zimmermann ({2})
mal ein paar andere Zahlen nennen? Wir haben in den
letzten Jahren einen enormen Wandel am Arbeitsmarkt
erlebt. Wir haben insgesamt 2,6 Millionen Menschen,
die einen Zweitjob brauchen.
({3})
Wir haben 1,4 Millionen Menschen, die aufstocken müssen. Wir haben 7,5 Millionen Menschen, die einen Minijob haben.
({4})
Wir haben fast 800 000 minijobbende Rentner. Jetzt sagen Sie mir nicht, die haben zu viel Zeit und wollen deshalb noch arbeiten.
({5})
Nein, sie haben kein Geld. Deswegen müssen sie zusätzlich noch einen Minijob machen.
({6})
Wir haben 2 Millionen Kinder, die bei uns in Deutschland in Armut leben. Das ist doch beschämend.
Ich will Ihnen noch einige Zahlen nennen, Herr
Schiewerling: Wir haben 1,1 Millionen langzeitarbeitslose Menschen, Tendenz steigend.
({7})
Wir haben 183 000 Menschen, die behindert sind und
arbeitslos sind, Tendenz in den letzten Jahren steigend.
Wir haben 650 000 arbeitslose Menschen, die über
55 Jahre alt sind, Tendenz steigend. Deshalb muss ich
Ihnen ehrlich sagen: Die Bilanz, die Sie hier immer ziehen, entspricht nicht der Realität. Die richtige Bilanz ist
die, die ich Ihnen jetzt genannt habe.
({8})
Dazu hat auch die Agenda 2010, meine Damen und Herren von der SPD, einen Beitrag geleistet.
({9})
Wir beraten heute - es ist schon öfter gesagt worden das Herzstück des Haushaltes, den Etat des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Hier geht es nicht
um Wohltaten, über die die Begünstigten sich freuen
dürfen oder für die sie dankbar sein müssen. Dieser
Haushalt zeigt, wie ernst Sie es mit der sozialen Gerechtigkeit bei uns in Deutschland meinen.
({10})
Da ist zum Beispiel die langzeitarbeitslose Textilarbeiterin aus Sachsen, die Hoffnung hat, aus den Geldern der
Arbeitsmarktförderung eine Weiterbildung bezahlt zu
bekommen und dann hoffentlich auch Arbeit zu finden.
Da sind die Friseurin aus dem Ruhrgebiet und die Kellnerin in Mecklenburg-Vorpommern, beide arbeiten zu
Niedriglöhnen und stocken zusätzlich mit Hartz IV auf.
Da sind auch die über 460 000 Rentnerinnen und Rentner, deren Alterssicherung so niedrig ist, dass sie diese
durch Sozialleistungen aufstocken müssen. Mit diesem
Etat werden keine Wohltaten finanziert, sondern dringende Unterstützungs- und Hilfeleistungen, die oft nicht
einmal ausreichen. Das ist beschämend.
({11})
Im Jahr 2010 beschloss die damalige schwarz-gelbe
Koalition ein Kürzungspaket, das auch heute noch den
Haushalt prägt. Um nur einiges zu nennen: Die Rentenbeiträge für Hartz-IV-Beziehende wurden abgeschafft,
das Elterngeld auf Hartz-IV-Leistungen angerechnet,
Gelder der Arbeitsmarktförderung in Millionenhöhe
wurden zusammengestrichen, und Kosten wurden auf
die Kommunen abgewälzt. Zählt man all diese Kürzungen zusammen, kommt unter dem Strich heraus, dass der
Haushalt in dem Bereich eigentlich um 13 Milliarden
Euro höher sein müsste. Aber so hoch ist er nicht.
Die Kollegin Bettina Hagedorn von der SPD hat damals in den Haushaltsberatungen gesagt - ich möchte sie
zitieren -:
Dieser Einzelplan des Bundeshaushalts wird wie
kein anderer Etatbereich geprägt … von den unsozialen, milliardenschweren Kürzungen zulasten von
Langzeitarbeitslosen und von dem Abschied aus einer verlässlichen aktiven Arbeitsmarktpolitik …
Sie sagte weiter, an die Regierung gerichtet:
Sie haben das große Ganze aus dem Blick verloren,
sowohl bei der sozialen Gerechtigkeit als auch bei
der Konsolidierung des Haushaltes.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, das, was Sie
damals gesagt haben, ist richtig. Aber es ist falsch, dass
Sie heute davon nichts mehr hören wollen, liebe Kollegin Mast.
({12})
Dieser Haushalt schreibt die falsche Politik der Vergangenheit einfach fort. Er ist sozial ungerecht. Er verwehrt vielen Menschen die Möglichkeit, ihre Zukunft in
die eigenen Hände zu nehmen. Nehmen wir als Beispiel
die Arbeitsmarktpolitik. Hier hat es in den zurückliegenden Jahren einen regelrechten Kahlschlag gegeben. Im
Bereich Hartz IV wurden die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik fast halbiert.
Was bedeutet das für die arbeitslose Textilarbeiterin
aus Sachsen, die gerne eine Weiterbildung zur Mechatronikerin machen will? Dies ist eigentlich eine tolle Idee,
denn dieser Beruf gehört zu den Mangelberufen, wie die
Bundesagentur für Arbeit feststellt. Ihr Problem ist jedoch, dass sie keinen Rechtsanspruch auf eine Qualifizierung hat. Die Mittel sind knapp. Statt einer neuen
Berufsausbildung bekommt sie eine kurzfristige Maßnahme. Das ist billiger, und sie verschwindet aus der Statistik. Das ist leider die bittere Realität, liebe Frau Ministerin Nahles.
({13})
Sabine Zimmermann ({14})
Im Bereich von Hartz IV sind 2013 nur noch 55 000
Erwerbslose in einer Maßnahme für eine berufliche Weiterbildung gefördert worden. Vor drei Jahren waren es
noch 85 000. Ähnlich schlimm sieht es im Bereich der
öffentlich geförderten Beschäftigung aus. Die Quittung
für diesen Kahlschlag bekommen wir Jahr für Jahr mit
der steigenden Zahl an langzeitarbeitslosen Menschen.
Das von der Bundesarbeitsministerin angekündigte neue
Programm für Langzeitarbeitslose ist hier allenfalls ein
Tropfen auf den heißen Stein. Ich hatte vorhin eine Frage
dazu gestellt. Auch die Ausgaben für Personal in den
Jobcentern will die Koalition weiterhin deckeln. Dabei
wissen wir doch, wie wichtig eine gute individuelle Betreuung bei der Vermittlung ist. Deswegen muss der Personaletat aufgestockt werden.
({15})
Nein, diese Koalition will keine Wende in der Arbeitsmarktpolitik.
Ich komme zum Schluss. Es ließen sich noch zahlreiche Beispiele aufzählen, die zeigen, dass dieser Haushalt
sozial ungerecht ist. Sie sagen immer zu uns: Wir müssen einen ausgeglichenen Haushalt haben. - Aber dann
müssen Sie bitte schön auch sagen, dass die Erwerbslosen, die Alleinerziehenden sowie die Rentnerinnen und
Rentner die Zeche dafür zahlen sollen. Sagen Sie auch
gleich dazu, dass Sie ruhig zuschauen, wenn die Schere
zwischen Arm und Reich in diesem Land immer weiter
auseinandergeht.
Kollegin Zimmerman.
Meine Damen und Herren, Ihnen fehlt der Wille und
der Mut, die Reichen zu besteuern. Das sieht man wieder
einmal ganz deutlich.
Danke schön.
({0})
Der Kollege Stephan Stracke hat für die CDU/CSUFraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ich habe manchmal den Eindruck, diese
Debatten sind, zum Teil jedenfalls, nämlich was die Opposition angeht, durch einen Wahrnehmungsschleier gekennzeichnet.
({0})
Richtig ist, dass die deutsche Wirtschaft blendend dasteht. Unser Land ist eines der wettbewerbsfähigsten und
innovativsten weltweit. Das zeigt sich auch auf dem Arbeitsmarkt. 42 Millionen Menschen sind in Deutschland
erwerbstätig. Wir haben ein Allzeithoch erreicht. Das ist
grundsätzlich prima. Das sollten wir auch so sagen und
es nicht schlechtreden.
({1})
Einer der Gründe, warum dies so ist, besteht darin,
dass wir auf Produktion statt auf Spekulation gesetzt haben.
({2})
Anders als andere Länder, die sich beispielsweise gnadenlos verzockt haben, weil sie gesagt haben: „Wir wollen den Weg in eine Dienstleistungsgesellschaft gehen;
wir setzen auf Banken“, haben wir immer darauf geachtet, nicht einseitig zu werden. Wir haben darauf geachtet,
einen stabilen industriellen Kern zu haben. Das ist die
Keimzelle und der Ausgangspunkt dafür, dass wir heute
so gut dastehen. Genau diesen Weg wollen wir gemeinsam weitergehen.
({3})
Ein weiterer Grund, warum wir gut dastehen, ist unsere Marktwirtschaft, die eine soziale ist. Wir wissen,
auch aus eigener leidvoller Erfahrung, dass Märkte immer einer Begrenzung bedürfen und dass entsprechende
Leitplanken gesetzt werden müssen, weil der Zusammenhalt in einer Gesellschaft ansonsten massiv auf dem
Spiel steht. Mit unserer sozialen Marktwirtschaft sind
wir gut gefahren. Unser Erfolgsrezept dabei lautet Sozialpartnerschaft.
({4})
Die Sozialpartnerschaft sorgt dafür, dass flächendeckend
gute und faire Löhne gezahlt werden und dass es in den
Betrieben gute Arbeitsbedingungen gibt. Dazu müssen
wir die Sozialpartner immer wieder ermahnen. Wir müssen ihnen deutlich machen: Da steht ihr in der Verantwortung. - Wir setzen auf die Kraft der Tarifvertragsparteien.
({5})
Wir wollen auch das Interesse der Tarifvertragsparteien
am Abschluss von Tarifverträgen hochhalten. Deswegen
führen wir beispielsweise eine vereinfachte Allgemeinverbindlichkeitserklärung ein.
Ein weiterer Grund, warum wir gut dastehen, ist, dass
unser Staat seine Rolle als aktiver Staat versteht. Darauf
können sich die Menschen gerade in Krisenzeiten verlassen. Der Bund hat Milliarden von Euro aufgewendet und
in Konjunkturprogramme zur Stärkung und Sicherung
des Arbeitsmarktes investiert. Das hat dazu geführt, dass
die meisten Arbeitsplätze sicher durch die Krise gebracht wurden. Unsere Unternehmen waren sich ihrer
sozialen Verantwortung, gerade in Krisenzeiten, bewusst. Deswegen sage ich ausdrücklich Dankeschön an
die Familienbetriebe und die Unternehmerinnen und UnStephan Stracke
ternehmer, die in Krisenzeiten gesagt haben: Wir setzen
auf unsere qualifizierten Arbeitskräfte und setzen sie
nicht frei; wir wollen keine Entlassungswelle. - Davon
profitieren wir jetzt, nachdem wir aus der Krise herausgekommen sind.
({6})
Das ist der Erfolg der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Höchste Produktivität, innovative Ideen und
Kreativität zeichnen sie aus. Dieser Erfolg muss sich
auch in der Höhe der Löhne widerspiegeln.
({7})
Das stärkt die Binnennachfrage als eine der Stützen der
konjunkturellen Entwicklung in diesem Land.
Die Folge ist, dass wir eine hohe Zahl von Arbeitsplätzen haben und mit Überschüssen in unseren sozialen
Sicherungssystemen reich gesegnet sind;
({8})
sie sind krisenfest.
({9})
Das Volumen beträgt insgesamt 800 Milliarden Euro pro
Jahr. Die Menschen sind damit in den letzten Jahren gut
gefahren, weil sie sich sicher sein konnten, dass sie
durch unsere sozialen Sicherungssysteme gegen zentrale
Lebensrisiken abgesichert sind, und weil sie sich darauf
verlassen konnten, dass ihnen in Not geholfen wird. Genau das wollen wir fortsetzen.
Ausdruck dessen ist der Haushalt der Bundesarbeitsministerin. Er ist mit einem Volumen von 122 Milliarden Euro der größte Ausgabenblock - sie hat es bereits
erwähnt - und macht rund 40 Prozent des gesamten
Bundeshaushalts aus. Dies sind im Übrigen 3 Milliarden
Euro mehr als im letzten Jahr. Das zeigt: Wir übernehmen die Verantwortung, die wir als starker Sozialstaat
haben, sehr bewusst, und wir machen eine Politik für
eine hohe Beschäftigungsquote. Die Arbeitslosenquote
hat sich seit 2005 halbiert. Besonders erfreulich ist die
Entwicklung der Jugendarbeitslosigkeit.
({10})
Hier stehen wir europaweit hervorragend da. Unser Ansporn muss es sein, die Jugendarbeitslosigkeit insgesamt
zu bekämpfen und sie gänzlich zu überwinden.
({11})
Dabei setzen wir auf einen Dreiklang von Vollbeschäftigung, guter Arbeit und sozialer Sicherheit.
({12})
Wir haben es in Bayern vorgemacht: Der bayerische
Arbeitsmarkt ist Monat für Monat Klassenbester, die Arbeitslosenquote Bayerns liegt 3 Prozentpunkte unter
dem Bundesdurchschnitt. Der Erfolg spricht bayerisch.
Deshalb ist auch der FC Bayern München Deutscher
Meister.
({13})
- Es gibt Gründe, warum wir insgesamt gut dastehen.
({14})
Wir wissen aber auch: Nichts ist in Stein gemeißelt, wir
dürfen uns auf den Erfolgen nicht ausruhen.
({15})
Deswegen ist der FC Bayern München dabei, sich in der
Champions League weiter fortzuentwickeln und auch in
diesem Jahr das Triple zu holen.
({16})
Aber das soll nur beispielhaft dafür stehen, was
Erfolg in diesem Land ausmacht. Diejenigen, die sich
anstrengen, die sollen auch ihren entsprechenden Lohn
haben. Unser größter Schatz sind die hervorragend qualifizierten Arbeitskräfte mit ihrem Wissen und Können.
Sie erarbeiten tagtäglich den Wohlstand in dieser Republik. Diesen größten Schatz gilt es entsprechend zu
pflegen. Deswegen ist uns die Fachkräftesicherung ein
wichtiges Anliegen, sie ist unser zentrales Ziel in der Arbeitsmarktpolitik. Die unionsgeführte Bundesregierung
hat im Juni 2011 ein langfristig angelegtes, wirksames
Konzept zur Sicherung der Fachkräftebasis angestoßen,
und wir sind erfolgreich.
({17})
In den Betrieben hat ein Umdenken stattgefunden, was
die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer angeht. Die Betriebe haben die Erfahrung gemacht: Wir müssen auch
auf ältere Arbeitnehmer setzen. - Wertschätzung schafft
eben auch Wertschöpfung.
({18})
Das ist es, was wir betonen wollen und den Unternehmen auch anraten: Schätzt auch die Wertschöpfung eurer
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, egal welcher Altersgruppe! Als sichtbares Ergebnis davon hat sich die Erwerbstätigenquote bei den Älteren zuletzt auf 64 Prozent
erhöht. Das ist ein Riesenerfolg. Wir sind damit nämlich
schon deutlich über dem EU-Ziel für 2020, das bei
60 Prozent liegt.
({19})
Wir wissen alle: Wir sind, gerade was die Beschäftigung Älterer angeht, noch lange nicht am Ziel. Aber wir
sind auf dem richtigen Weg. Hier sind die Unternehmen
gefordert, große Schritte zu tun und nicht nur KleinKlein. Wir unterstützen sie, beispielsweise indem wir
jetzt den Rehadeckel der demografischen Entwicklung
anpassen. Das ist auch ein Schritt dazu, dass wir nicht
immer nur über die Rente ab 67 reden, sondern auch tatsächlich das Arbeiten bis 67 ermöglichen. Alles andere
würden die Menschen auch als Rentenkürzung erfahren.
({20})
Wir brauchen ein ganzes Bündel von Maßnahmen.
Das betrifft die Rehabilitation, aber auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Deswegen haben wir in den
letzten Jahren als unionsgeführte Bundesregierung viel
Geld in die Hand genommen, um die Länder, um die
Kommunen dabei zu unterstützen, in entsprechende Betreuungsmöglichkeiten zu investieren. Wir wollen die
Vereinbarkeit von Pflege und Beruf verbessern. Deswegen gibt es in Zukunft eine Lohnersatzleistung für zehn
Tage, um spezifische Pflegesituationen zu organisieren.
Einer der Kernpunkte ist Bildung, Ausbildung und
lebenslanges Lernen. Keiner darf verloren gehen, jeder
verdient eine zweite oder gar dritte Chance. Dass
Deutschland die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in
Europa hat, kommt eben auch daher, dass wir in
Deutschland ein so gutes - duales - Berufsausbildungssystem haben. Dies gilt es zu sichern,
({21})
auch vor Überlegungen, die derzeit auf der europäischen
Ebene stattfinden. Hier müssen wir klar sagen: Das wollen wir nicht.
Zum anderen ist es gut, dass hier der Ausbildungspakt
in veränderter Form fortgesetzt wird; die Bundeskanzlerin hat das zuletzt beim Handwerkstag mit angekündigt.
Es ist gut, dass wir in diese Richtung gehen.
Wir müssen aufpassen, dass wir keine falschen Anreize setzen für diejenigen, die sagen: Ich gehe lieber in
einen Beruf, der einem gesetzlichen Mindestlohn unterliegt, und nicht in eine Ausbildung. Deswegen unternehmen wir hier die richtigen Dinge in diese Richtung.
Wohlstand zu erhalten, gelingt uns nur, wenn der
Fachkräftebedarf insgesamt gedeckt ist. Dazu gehört
auch, dass wir die Jobchancen für Langzeitarbeitslose
entsprechend erhöhen. Der deutsche Arbeitsmarkt ist
hier in großem Maße aufnahmefähig, und wir stellen
vonseiten des BMAS auch viel Geld für die Eingliederung zur Verfügung. Wir müssen aber aufpassen, dass
dieses Geld auch tatsächlich bei den Betroffenen ankommt.
Bayern hat bundesweit die niedrigste Arbeitslosenquote erreicht. Wir kommen jetzt an den Kernbestand
der Arbeitslosen. Deswegen müssen wir genau aufpassen, wie wir jetzt mit Langzeitarbeitslosen umgehen. Sie
weisen oftmals schwere und mehrfache Vermittlungshemmnisse auf, weshalb wir hier die notwendigen Mittel
brauchen. Ich weiß, dass aufgrund der entsprechenden
Verteilungsmechanismen nicht sichergestellt ist, dass die
notwendigen Mittel in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen, sondern diejenigen bestraft werden, die besonders erfolgreich sind. Wir haben das allerdings im
Koalitionsvertrag entsprechend festgelegt und werden
das auch angehen.
All das zeigt: Wir setzen auf Vollbeschäftigung, auf
gute Arbeit und auf gute soziale Sicherungssysteme in
diesem Land. Lassen Sie uns zusammen mit unserer
Bundesarbeitsministerin die Themen gemeinsam angehen.
Herzlichen Dank.
({22})
Das Wort hat die Kollegin Brigitte Pothmer für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Nahles, Sie wissen, ich bin eine glühende Unterstützerin
des gesetzlichen Mindestlohnes und stehe bei der Durchsetzung dieses Projektes nun wirklich auf Ihrer Seite,
({0})
aber ich würde Ihnen gerne einmal sagen: Sie sind nicht
nur die Ministerin für die Arbeitsplatzbesitzerinnen und
-besitzer, sondern Sie sind auch die Ministerin für die
Arbeitslosen.
({1})
Sosehr ich Ihr Engagement bei der Durchsetzung des
Mindestlohnes schätze, so enttäuscht bin ich doch über
den wirklichen Mangel an Engagement, wenn es um die
Belange von Arbeitslosen und Abgehängten geht.
({2})
- Liebe Frau Griese, Sie wollen mir doch nicht im Ernst
sagen, dass eine solche Rede diesen Mangel wirklich beseitigen könnte.
({3})
So bescheiden kann wirklich nur die SPD sein.
({4})
Ich weiß, das ist ein schwerer Vorwurf, aber ich finde,
er ist leicht begründbar: In der letzten Legislaturperiode,
Frau Ministerin, haben Sie gemeinsam mit uns den
schwarz-gelben Kahlschlag in der Arbeitsmarktpolitik
kritisiert.
({5})
Zu Recht, kann ich nur sagen. Das Problem ist aber, dass
diese Kritik bis heute nichts an Berechtigung eingebüßt
hat. Sie wissen ganz genauso gut wie ich: Wenn wir jetzt
nicht in die Qualifizierung von Arbeitslosen investieren,
dann werden wir sie ein Leben lang alimentieren. Das ist
ein Drama für die Betroffenen, das ist teuer, und das ist
schlecht für die Volkswirtschaft. Ich nenne jetzt nur noch
einmal das Stichwort Fachkräftemangel.
In der Opposition haben Sie 2013 mit genau dieser
Begründung 1,6 Milliarden Euro für die aktive Arbeitsmarktpolitik gefordert. Heute sind das noch 350 Millionen Euro. Frau Nahles, es ist Ihre Aufgabe, uns zu erklären, welche arbeitsmarktpolitischen Wunder sich in der
Zwischenzeit ereignet haben sollen, dass das Geld jetzt
plötzlich nicht mehr notwendig ist.
({6})
Diese 350 Millionen Euro, die im Laufe der Legislaturperiode angeblich auf 1,4 Milliarden Euro aufwachsen sollen, sind wirklich eine fiktive Summe, die nur auf
dem Papier steht.
({7})
Wenn die Jobcenter wirklich nur die Hälfte des Geldes
bekommen würden, das Sie angekündigt haben, dann
könnten sie froh sein. Ich nehme es Ihnen persönlich
übel, dass Sie in diesem Bereich schon jetzt mit
Taschenspielertricks arbeiten.
({8})
Den Gipfel finde ich aber wirklich, dass Sie den
Anteil, den Ihr Ministerium erbringen muss, damit das
unsägliche Betreuungsgeld gezahlt werden kann, den
Arbeitslosen aufdrücken. Die Arbeitslosen sollen die
500 Millionen Euro aufbringen, die das Betreuungsgeld
kostet. Das mag nicht viel Geld sein, aber ich finde, das
ist an Symbolkraft nicht mehr zu toppen.
Sie handeln nach dem Motto „Die Etats der Jobcenter
reichen sowieso von vorne bis hinten nicht; da kommt es
auf die 500 Millionen Euro auch nicht mehr an“. Ich
halte das für eine ungeheure Unverschämtheit.
Aber ich rede nicht nur vom Geld. Ich rede auch von
den Strukturen und den inhaltlichen Angeboten. Auch da
ist von den großen Versprechen eigentlich nichts mehr
übrig geblieben. Das ist schlecht für die Langzeitarbeitslosen.
Vielleicht erinnern Sie sich noch: Als ProjektitisProjekt haben Sie einst die Bürgerarbeit von Frau von
der Leyen verspottet. Jetzt haben Sie auch ein Projektitis-Projekt. Das hat nur einen anderen Namen und ist in
der Dimension viel kleiner.
Ihr Projektitis-Projekt heißt „Perspektiven in Betrieben“. Diejenigen, die sich auskennen, wissen, dass wir
dieses Projekt bereits kennen: als Modellprojekt in
verschiedenen Bundesländern. Die Ergebnisse sind mehr
als ernüchternd. 2013 sind genau 33 Personen über dieses Projekt in Arbeit gekommen. Für 2014 haben Sie
sich etwas Gigantisches vorgenommen: Es sollen tatsächlich 35 werden, die Sie darüber in Arbeit bringen.
Wollen Sie uns wirklich allen Ernstes erklären, Frau
Nahles, dass das Ihr Angebot für Langzeitarbeitslose ist?
Mit Verlaub, armseliger geht es nicht mehr.
({9})
Vielleicht noch ein paar Fakten: Von 2010 bis 2013
sind 190 000 Plätze in der öffentlich geförderten Beschäftigung weggefallen und damit sechsmal mehr, als
Sie schaffen wollen. Hinzu kommen noch die
26 000 Bürgerarbeitsplätze, die 2014 auslaufen. Zusammen sind das 216 000 Plätze, die für die Arbeitslosen
fehlen.
Auf diese Förderlücke reagieren Sie jetzt mit einem
Programm, das irgendwann - wann genau, weiß niemand - auf 30 000 Personen angewachsen sein soll. Das
ist weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein. Jeder
erkennt sofort, dass die Dimension des Problems und die
Dimension der Lösung in keiner Weise zusammenpassen. Mehrere Hunderttausend Leute werden nach Hause
geschickt und sind auf Angebote angewiesen, und Sie
kommen mit diesem ganz, ganz kleinen Karo. Frau
Nahles, ich finde, das ist beschämend.
({10})
Ich hatte darauf gesetzt, dass Sie nach jahrelangen
Debatten jetzt den verlässlichen sozialen Arbeitsmarkt
und den Passiv-Aktiv-Transfer auf den Weg bringen.
Dafür haben wir doch gemeinsam gestritten. Auch die
grün-roten und die rot-grünen Länder sind dafür in Vorleistung getreten.
({11})
Sie warten jetzt händeringend darauf, dass Sie ihnen die
Möglichkeit des Passiv-Aktiv-Transfers eröffnen.
Kollegin Pothmer, achten Sie bitte auf die Zeit.
Ich danke Ihnen. Ich komme zum Schluss. - Sie lassen also nicht nur die Arbeitslosen im Stich; Sie lassen
auch Ihre eigenen Länder im Stich.
Sie wissen genau wie ich: Die bisherige Politik für
Langzeitarbeitslose ist gescheitert.
({0})
Wir brauchen einen richtigen Paradigmenwechsel. Dafür
brauchen wir neue Strukturen.
({1})
Dafür brauchen wir genügend Geld, und wir brauchen
eine Ministerin, die auch für die Belange von Arbeitslosen brennt. Alle drei Punkte sind leider nicht in Sicht.
Ich danke Ihnen.
({2})
Die Kollegin Katja Mast hat nun für die SPDFraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Frau Pothmer, auch ich werde ausführen,
welche Verbesserungen wir in der Koalition für Langzeitarbeitslose und für Jugendliche auf den Weg bringen.
Wir sind verdammt stolz darauf. Ich sage Ihnen auch,
warum. Unsere Arbeitsministerin trägt mit ihrer Politik
dazu bei, dass ein ausgeglichener Haushalt keine einmalige Angelegenheit bleibt. Nein, unsere Politik sorgt dafür, dass es auch für künftige Generationen ausgeglichene Haushalte geben wird. Das ist der entscheidende
Punkt in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.
({0})
Wir freuen uns heute beispielsweise darüber, dass wir
es in drei Schritten geschafft haben, dass die Kosten für
die Grundsicherung im Alter zu 100 Prozent vom Bund
übernommen werden.
({1})
Früher mussten dafür die klammen Kommunen zahlen.
Wir können uns aber nicht nur darüber freuen, dass
wir die Kommunen entlasten. Unsere Politik hat nämlich
auch das Ziel, dass weniger Menschen in die Grundsicherung im Alter kommen und dass weniger Menschen
vom Arbeitslosengeld II betroffen sind. Deshalb ist es
uns so wichtig, Erwerbsarmut und Bildungsarmut auch
im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik zu bekämpfen. Wir
sagen der Arbeitslosigkeit den Kampf an, betreiben
Fachkräftesicherung und sorgen - es ist schön, dass die
CSU in Bayern dieses Thema auch schon für sich entdeckt hat - für gute Arbeitsplätze. Uns ist es nämlich
nicht egal, um welche Arbeit es geht. Für uns geht es immer um gute Arbeit.
({2})
Andrea Nahles sorgt mit dem Tarifpaket dafür, dass
4 Millionen Menschen künftig mehr verdienen als heute,
nämlich 8,50 Euro in der Stunde, und zwar gleichermaßen in Ost und in West. Das ist ein Beitrag zum Schutz
der Würde der Arbeit. Es geht um Gerechtigkeit bei der
Entlohnung. Es geht aber auch darum, dass man mit einem Stundenlohn von 8,50 Euro einerseits mehr Geld
ausgeben kann, was die Wirtschaft ankurbelt, andererseits mehr Steuern und Abgabe zahlen muss. Auch das
ist für die zukünftige Haushaltspolitik ein wichtiger
Punkt.
({3})
Wir haben uns vorgenommen, Leiharbeit und Werkverträge stärker zu regulieren. Auch das ist ein Beitrag
für gute Arbeit und für den Schutz der Würde der Arbeit
sowie für Zukunftsinvestitionen. Die Erhöhung des Eingliederungstitels um 350 Millionen Euro ist eine Kehrtwende in der Arbeitsmarktpolitik. Die letzten vier Jahre
wurde nur gekürzt. Wir sind jetzt diejenigen, die dafür
sorgen, dass für langzeitarbeitslose Menschen in dieser
Republik wieder mehr Geld ausgegeben werden kann.
Auch das ist notwendig.
({4})
Unsere Bundesarbeitsministerin sagt, dass das Geld
auch dazu verwendet werden kann, um Fachkräfte auszubilden und ein ESF-Programm aufzulegen. Damit organisieren wir Teilhabe und schaffen gute Arbeit für
Menschen, die heute in Langzeitarbeitslosigkeit sind. Ich
kann daran nichts Verwerfliches finden, Frau Pothmer.
({5})
Wir wollen mit unserem Koalitionspartner darüber
diskutieren, ob nicht auch der Eintritt in den sozialen Arbeitsmarkt möglich ist. Dann wären wir noch ein Stück
weiter. Ich bin sicher, dass wir zusammen gute Gespräche führen werden.
({6})
Unsere Arbeitsministerin will den Gedanken der Jugendberufsagenturen in ganz Deutschland verbreiten.
Mit diesen Agenturen helfen wir vielen Jugendlichen,
besser einen Job zu finden. Außerdem wollen wir, dass
es die Chance auf eine zweite Ausbildung gibt.
Kollegin Mast, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Pothmer?
Lassen Sie mich bitte diesen Gedanken noch zu Ende
bringen.
Dann ist Ihre Redezeit um. Dann haben Sie keine
Chance auf eine Verlängerung mehr.
Dann muss die Kollegin eine Kurzintervention nach
meiner Rede machen.
({0})
Jugendberufsagenturen und eine zweite Chance auf
Ausbildung für junge Erwachsene zwischen 25 und
35 Jahren sowie assistierte Ausbildung und die FördeKatja Mast
rung der Teilzeitausbildung, das sind unsere Vorhaben.
Es ist wichtig, dass junge Menschen eine Berufsausbildung haben, damit sie zukünftig nicht arbeitslos und arbeitsuchend werden. Damit leisten wir unseren Beitrag
für einen Haushalt der Zukunft und vor allen Dingen einen Beitrag für die Zukunft der Menschen.
Uns geht es um Investitionen in Menschen und in einen vorsorgenden Sozialstaat, der ein Garant dafür ist,
dass wir in dieser Republik zukünftig keine Schulden
mehr machen.
Vielen Dank.
({1})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Mark
Helfrich das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der
vorliegende Haushaltsentwurf bildet konsequent die Vereinbarungen des Koalitionsvertrages ab, ohne dabei von
den Grundsätzen des ersten Regierungsentwurfes aus
dem Sommer 2013 abzuweichen. Das war uns an dieser
Stelle sehr wichtig.
({0})
Wir bewegen uns mit dem Bundeshaushalt auf einem
nachhaltigen Konsolidierungspfad. Auf diesem Weg
stellt der strukturell ausgeglichene Haushalt 2014 eine
wichtige Wegmarke dar. Beginnend mit dem Jahr 2015
legen wir erstmalig seit 1969 einen Haushalt ohne neue
Schulden vor.
({1})
Das gibt Anlass zur Freude und ist zugleich ein eindrucksvoller Beleg von erfolgreicher Wachstums- und
Finanzpolitik verschiedener Regierungen unter Angela
Merkel.
Kommen wir zum Gegenstand dieses Tagesordnungspunktes. Der Einzelplan 11 hat mit seinen geplanten
Ausgaben von 122,3 Milliarden Euro einen Anteil am
Gesamthaushalt von annähernd 41 Prozent. Ich finde das
sehr beeindruckend. Damit ist der Einzelplan 11 der mit
Abstand höchstdotierte Einzelplan des Bundeshaushaltes.
Er ist untergliedert in zwei wesentliche Aufgabenbereiche, zum einen in die Rentenversicherung einschließlich
der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
- das sind round about 88,5 Milliarden Euro -, zum anderen in den Bereich der Arbeitsförderung nach dem
SGB II in Höhe von 31,5 Milliarden Euro. Damit liegt
allein schon der Bereich der Arbeitsförderung auf Augenhöhe mit dem Verteidigungsetat, dem zweitgrößten
Einzelplan im Bundeshaushalt.
({2})
Wir alle wissen: Ein Haushalt ist in Zahlen gegossene
Politik. Die Zahlen des Einzelplans 11 belegen, was uns
an Politik wichtig ist. Das ist zum einen eine auskömmliche und leistungsgerechte Altersversorgung. Zum anderen ist es, Menschen in Arbeit zu bringen und dafür auch
die bestmöglichen Rahmenbedingungen zu setzen. Insofern habe ich auch vorhin die Tiraden nicht so wirklich
nachvollziehen können, die zu diesem Punkt gekommen
sind.
Wir haben schon viel erreicht. Es gibt 42 Millionen
erwerbstätige Menschen. Das ist Rekord. 29,4 Millionen
Menschen üben eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aus. Wir haben 3 Millionen Arbeitslose. Das
sind immer noch zu viele. Aber dahinter verbirgt sich
eine Arbeitslosenquote, die wir uns vor einigen Jahren
nicht hätten träumen lassen. Das ist auch eine Arbeitslosenquote, um die uns viele andere Länder in der Europäischen Union beneiden.
({3})
Insbesondere bei der Jugendarbeitslosigkeit steht
Deutschland hervorragend da. Auch das ist ein gutes
Zeichen. Die Arbeitsmarktzahlen und -prognosen sind
uns Ansporn, diejenigen, die derzeit nicht in Arbeit sind,
nicht zu vergessen und die Eingliederungsleistungen auf
einem hohen Niveau zu belassen. Deshalb haben wir
auch den Eingliederungstitel im Bereich des SGB II,
also den Teil, der sich aus den Verwaltungskosten und
den Eingliederungsleistungen zusammensetzt, auf dem
Niveau von 2013 gelassen, nämlich bei 7,95 Milliarden
Euro. Zusätzlich gibt es in diesem Jahr dann, wie es im
Koalitionsvertrag vereinbart wurde, weitere 350 Millionen Euro, die als Haushaltsreste für diese Aufgaben in
Anspruch genommen werden können.
Ich möchte an dieser Stelle auch etwas zu der Diskussion um die gegenseitige Deckungsfähigkeit sagen; denn
diese 350 Millionen Euro können sowohl für das eine als
auch für das andere verwendet werden. Das ist auch
richtig so. Die reflexartige Verteufelung, die mitunter in
der politischen Diskussion stattfindet, ist einfach nicht
sachgerecht; denn eine erfolgreiche Integration in den
Arbeitsmarkt setzt eben auch eine hohe Betreuungsintensität und aktive Vermittlung durch qualifizierte Fallmanager voraus.
({4})
Es schwingt an dieser Stelle auch immer eine gehörige Portion Misstrauen mit, was unsere Arbeitsverwaltung betrifft. Ich glaube, wir sollten es den Spezialisten
in der Arbeitsverwaltung überlassen, zu entscheiden, wie
die Mittel am effektivsten und effizientesten eingesetzt
werden können. Wichtig ist dabei natürlich, dass das
Ganze zielorientiert geschieht und dass Eingliederungsmaßnahmen passgenau vergeben werden. Auch hier gilt
wie so häufig im Leben: Qualität geht vor Quantität.
({5})
Ein Fortschritt ist insoweit auch die Erhöhung der
Verpflichtungsermächtigung für das Jahr 2015. Dadurch
wird die Handlungsfähigkeit der Jobcenter gestärkt und
werden jahresübergreifende Fördermaßnahmen ermöglicht. Ich glaube, dass das für die Menschen ein großes
Plus ist. Es nutzt nichts, die soundsovielte 08/15-Maßnahme durchzuführen, die innerhalb eines Haushaltsjahres abgebildet werden kann. Nein, das ist nicht sinnvoll.
Insofern sind wir auch hier auf dem richtigen Weg.
({6})
Wir müssen nicht nur einen Blick auf die sinkende
bzw. stagnierende Arbeitslosigkeit werfen, sondern auch
ein anderes wichtiges Problem im Fokus behalten. Das
ist die Fachkräftesicherung. Der Rückgang bei den Arbeitskräften bzw. den Fachkräften wird in manchen
Branchen dieses Landes zu einem wirtschaftlichen Risiko. Schon jetzt reißen sich die Betriebe in bestimmten
Branchen um Nachwuchskräfte, zum Beispiel im Pflegebereich oder bei den technischen Berufsbildern. Dieses
Phänomen wird uns in den nächsten Jahren noch viel
stärker begleiten. Demografiebedingt werden wir massiv
unter Druck geraten.
Den Fachkräftemangel in Deutschland lindern und
Jugendlichen aus dem europäischen Ausland eine
Chance geben, das ist das Ziel von MobiPro-EU, einem
Sonderprogramm, das wir für sehr sinnvoll halten.
({7})
Es geht um ausbildungsinteressierte Jugendliche und arbeitslose junge Fachkräfte aus Europa. Egal ob sie am
Ende ihrer Ausbildung in ihre Heimatländer zurückkehren oder hierbleiben, es ist für alle Beteiligten eine große
Bereicherung und ein Gewinn. Die Mittel für dieses erfolgreiche Programm sind gegenüber dem Regierungsentwurf 2014 um 15 Millionen Euro auf 48 Millionen
Euro aufgestockt worden.
Kollege Helfrich, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Pothmer?
Ja.
Herr Kollege, ist Ihnen eigentlich bekannt, dass das
Projekt MobiPro gerade in allergrößten Schwierigkeiten
steckt? Wie wir inzwischen wissen, sind die Anträge, die
in den unterschiedlichen Ländern gestellt wurden, nicht
bewilligt. Die betroffenen Jugendlichen sitzen auf gepackten Koffern. Sie haben sich sozusagen auf das deutsche Wort verlassen und sind nun verlassen. Aber das ist
nur ein Teil des Problems. Ist Ihnen bekannt, dass die zugesagten Mittel für eine ganze Reihe von Jugendlichen,
die bereits in Deutschland sind und die Zusage erhalten
haben, hier einen Ausbildungsplatz oder Unterstützung
beim Praktikum zu bekommen, nicht fließen?
({0})
- Das ist so.
Zum einen ist das so nicht richtig. Zum anderen kann
Erfolg manchmal zum Verhängnis werden. Lassen Sie
uns gemeinsam dafür sorgen, dass diese immense Nachfrage tatsächlich befriedigt werden kann.
({0})
Wir alle wissen, dass die zur Verfügung stehenden Mittel
nicht auskömmlich sind. Es ist eine unangenehme Fügung, dass der Erfolg im Jahr einer Bundestagswahl einsetzt, in dem traditionell noch kein Haushalt aufgestellt
ist. Das spricht aber nicht gegen dieses Projekt.
({1})
Eine erfolgreiche Fachkräfte- und Nachwuchssicherung trägt dazu bei, unser umlagebasiertes gesetzliches
Rentenversicherungssystem zukunftsfähig zu machen
und damit auch zukünftigen Rentnergenerationen eine
auskömmliche Altersversorgung zu erhalten. Damit
komme ich zum zweiten großen Ausgabenbereich im
Einzelplan 11, zur Rentenversicherung sowie zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Hier sind
zwei wesentliche Veränderungen gegenüber dem Vorjahreshaushalt 2013 zu nennen. Zum einen tritt die letzte
Stufe der Entlastung der Kommunen im Bereich der
Grundsicherung in Kraft. Allein das sind 1,1 Milliarden
Euro - diese Zahl kann man gar nicht häufig genug nennen -, die den Kommunen bundesweit zugutekommen.
Zum anderen lassen sich die Auswirkungen des Rentenversicherungs-Leistungsverbesserungsgesetzes, des sogenannten Rentenpakets, wiederfinden. Wir legen heute
und im weiteren Beratungsverlauf die finanziellen
Grundlagen für die Mütterrente, für die abschlagsfreie
Rente nach 45 Beitragsjahren sowie für die Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente und bei Rehaleistungen.
Kollege Helfrich, achten Sie bitte auf die Zeit.
Ja, selbstverständlich. - Ich komme zum Schluss. Es
werden von den genannten Verbesserungen Millionen
Menschen profitieren. 88,5 Milliarden Euro gibt unser
Staat für die heutige Rentnergeneration aus. Das sind annähernd 30 Prozent des Bundeshaushalts. Damit setzen
wir trotz allen notwendigen Sparens ein klares Zeichen
dafür, dass Rente kein Almosen ist, sondern ein verdienter Lohn für Lebensleistung.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Ich möchte vorsorglich daran erinnern, dass wir die
Vereinbarung haben, dass überzogene Redezeiten einfach den nächsten Rednern der Fraktion in Rechnung gestellt werden, um in der Wortwahl der Haushaltsdebatte
zu bleiben.
Vizepräsidentin Petra Pau
({0})
Das Wort hat die Kollegin Gabriele Schmidt für die
Unionsfraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Besucher auf den Tribünen!
Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! In meinem
langen Berufsleben habe ich schon viele Haushaltspläne
gesehen, aber wirklich noch nie einen, der allein in dem
Bereich, den ich hier politisch vertrete, Arbeit und Soziales, die sagenhafte Summe von 122 Milliarden Euro
umfasst. Ich muss ganz ehrlich sagen: Das jagt mir ein
bisschen Respekt ein.
({0})
Das ist eigentlich unvorstellbar viel Geld, und es sind
noch einmal 3 Milliarden Euro mehr als im Jahr zuvor.
Mit der Höhe des Etats wächst unsere Verantwortung,
die Mittel da einzusetzen, wo es sinnvoll und notwendig
ist. Ich bin erst einmal froh, dass der Arbeits- und Sozialhaushalt nicht gekürzt, sondern noch erweitert
wurde. Auch wir Sozialpolitiker wissen, dass jeder Euro,
den wir ausgeben, erst einmal erwirtschaftet werden
muss. Es gibt aber Bereiche, in denen man besser sparen
kann als im Sozialetat.
({1})
Wofür geben wir das Geld aus? Es ist schon über viele
Einzelheiten gesprochen worden. Den weitaus größten
Teil umfassen die Leistungen an die Rentenversicherung. Das große Rentenpaket, über das wir seit Monaten
diskutieren, ist geschnürt. Ich wiederhole es gerne:
88 Milliarden Euro Steuermittel geben wir für Renten
aus, für die Beteiligung des Bundes an der Grundsicherung im Alter und bei der Erwerbsminderung. Dadurch
entlastet der Bund die Kommunen erheblich von den Sozialausgaben, ab 2014 durch eine 100-prozentige Erstattung der Nettoausgaben für die Ausführung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Wenn es
auch umstritten sein mag: Die Leute warten auf das Rentenpaket.
({2})
Die Menschen warten auf die Mütterrente, und ich
gebe ganz ehrlich zu: Auch ich profitiere von dieser
Mütterrentenregelung. Meine Töchter sind 1982 und 1984
auf die Welt gekommen. Ich habe sie als Witwe allein erziehen müssen, habe 100 D-Mark Kindergeld bekommen, und es gab keine Kitas und keine Ganztagsbetreuung in der Schule. Aber es geht nicht um mich, sondern
es geht um Millionen Mütter, die auf diese Rente warten.
({3})
Die Verkäuferin im Einzelhandel oder der Schreiner
im Küchenbau, der 45 Jahre lang Kisten und Kasten geschleppt hat, sie und andere warten auf die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren. Dafür sind anteilig Mittel im Haushalt bereitgestellt. Das haben wir
versprochen, und das halten wir auch.
({4})
Mit den Schwerpunkten des Einzelplans im Haushalt
schaffen wir eine solide Grundlage, um den Bedürfnissen von Menschen in einem leistungsfähigen und zuverlässigen Sozialstaat so gut wie möglich gerecht zu werden. Nun stellt der Bund für arbeitsmarktpolitische
Leistungen Finanzmittel in Höhe von 31,5 Milliarden
Euro zur Verfügung. Ich finde, das ist ganz schön viel.
Diese fließen fast ausschließlich in die Ausgaben für die
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach
dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch. Auch hier sollen
die Kommunen entlastet werden. Der Bund beispielsweise beteiligt sich an den Kosten der Unterkunft und
Heizung in den Jahren 2011 bis 2017, was zu Entlastungen von 8,7 Milliarden Euro führen wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen, dass
möglichst viele Menschen für ein menschenwürdiges
Leben einer Erwerbstätigkeit in einer Arbeitswelt mit
fairen Bedingungen nachgehen können. Die dauerhafte
Eingliederung in Arbeit ist daher ein wichtiges Ziel. Wir
haben ein Gesamtbudget von rund 8 Milliarden Euro für
Leistungen zur Eingliederung in Arbeit. Daraus werden
mit Sonderprogrammen wie „Perspektive 50plus“ derzeit 78 regionale Beschäftigungspakte für Ältere bei der
Eingliederung erwerbsfähiger Langzeitarbeitsloser über
50 unterstützt. Der Erfolg gibt diesem Programm recht.
({5})
Von den betroffenen 530 000 Langzeitarbeitslosen über
50 haben mehr als 63 000 Männer und Frauen allein im
Jahr 2012 den Einstieg in die Wiederbeschäftigung geschafft.
Ein weiteres Sonderprogramm ist vorhin schlechtgeredet worden. Ich weiß nicht, warum. Es ist das „Modellprojekt Bürgerarbeit“. Mit Bundesmitteln in Höhe
von 150 Millionen Euro wird dieser Ansatz zur Integration arbeitsloser erwerbsfähiger Leistungsberechtigter
erprobt. Allein in meinem Wahlkreis Waldshut gab es
Mittel für 50 solcher Arbeitsplätze. Der Geschäftsführer
der AWO in Waldshut, mit dem ich gestern telefoniert
habe, hat mir erklärt, dass er das Modell aus seiner Sicht
für erfolgreich hält, weil es für Menschen mit multiplen
Vermittlungshemmnissen in einem eher geschützten Bereich die Möglichkeit zu regelmäßiger Arbeit bietet.
Dieses Beispiel aus der Praxis zeigt doch, dass das Geld
genau da ankommt, wo es hingehört. Die AWO bedauert
übrigens tatsächlich, dass dieses Projekt Ende des Jahres
ausläuft.
({6})
Gabriele Schmidt ({7})
Wir kommen darauf noch zu sprechen. Ein neues Projekt
ist auch in Arbeit.
In dem vorliegenden Haushalt werden 3,5 Millionen
Euro für den „Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention“ und für den „Teilhabebericht“ bereitgestellt. Gerade letzte Woche haben wir über die Umsetzung der
UN-Behindertenrechtskonvention hier in diesem Haus
diskutiert.
Rund 261 Millionen Euro umfasst das finanzielle Volumen zur Stärkung der Gleichbehandlung und Förderung von Chancengleichheit und Inklusion. Der größte
Teil geht an Verkehrsunternehmen für die Erstattung von
Fahrgeldausfällen. Gut die Hälfte der schwerbehinderten
Menschen ist freifahrtberechtigt. Sie können ihren Alltag mit dieser Mobilität selbstbestimmter und unabhängiger gestalten. Wenn ein Sehbehinderter kostenlos den
ÖPNV benutzt, ist das ein kleiner, aber wichtiger Baustein zur Verwirklichung von Inklusion, für den Mittel
im Haushalt eingestellt sind.
({8})
Aus unserer Sicht ist der Einzelplan 11 die konsequente und verlässliche Umsetzung des Wahlprogramms
und des Koalitionsvertrags und damit der erklärte Wille
der CDU/CSU-Fraktion. Der Etat Arbeit und Soziales
ist, wie häufiger hier erwähnt, der größte Einzeletat im
Haushalt der Bundesrepublik. Er ist aber auch der Etat,
der bei den Menschen direkt ankommt, und genau deswegen ist er gut und richtig so.
({9})
Ich hatte gehofft, noch ein paar Sekunden Redezeit zu
haben; nun habe ich sie nicht mehr. Ich wollte eigentlich
Abgeordneten meiner eigenen Fraktion eben einmal widersprechen. Kollege Stracke, der Erfolg spricht nicht
nur bayerisch, sondern auch alemannisch und schwäbisch.
Vielen Dank.
({10})
Ebenfalls für die Unionsfraktion hat nun der Kollege
Axel E. Fischer das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige
Debatte über den Entwurf des Einzelplans 11, Arbeit
und Soziales, der Großen Koalition zeigt ganz deutlich:
Die christlich-liberale Koalition hat in den vergangenen
vier Jahren eine erfolgreiche Arbeit geleistet.
({0})
Wir haben mit einer vorausschauenden, zukunftsorientierten Wachstumspolitik, mit vielen ordnungspolitischen, notwendigen und sinnvollen Maßnahmen die Finanz- und Wirtschaftskrise erfolgreich gemeistert. Wir
haben viele Menschen wieder, andere neu in Arbeit gebracht. Wir haben den Bundeshaushalt konsolidiert. Wir
haben gerade im Bereich der Arbeitsvermittlung bei der
Aktivierung von Langzeitarbeitslosen und bei den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten Erfolg gehabt.
({1})
Dank einer auf Wachstum orientierten, auf sparsames
Haushalten und weniger auf Umverteilung ausgerichteten Politik haben wir heute eine solide finanzielle Basis
für eine zukunftsfähige Arbeits- und Sozialpolitik. Dank
der großen Leistungen von Arbeitnehmern und Unternehmern floriert die Wirtschaft, die Steuer- und Abgabenquellen sprudeln, und auch Löhne, Gehälter und
Renten sind gestiegen.
({2})
Die weiteren Aussichten sind gut: Die Bundesregierung rechnet im kommenden Jahr mit 2 Prozent realem
Wirtschaftswachstum, und die Lage am Arbeitsmarkt ist
bei steigender Erwerbstätigkeit mit unter 3 Millionen
Arbeitslosen stabil.
({3})
- Ich finde es bedauerlich, dass das bei den Grünen
keine Freude auslöst. Ich finde es schön, wenn die Wirtschaft so funktioniert, dass wir mit unter 3 Millionen Arbeitslosen sehr gut dastehen. Davon haben Sie in der rotgrünen Regierungszeit geträumt.
({4})
Die Bundesagentur für Arbeit wird 2014 und in den
kommenden Jahren - das mag Ihnen auch nicht gefallen,
aber zum Glück ist es so - voraussichtlich Überschüsse
erzielen können.
({5})
Ein ausgeglichener Bundeshaushalt mit schwarzer Null
ist greifbar nahe. Auch das hätten Sie sich in Ihrer Regierungszeit nie vorstellen können.
({6})
Liebe Frau Ministerin Nahles, Ihre Vorgängerin, Frau
Ministerin von der Leyen, und unser Kollege Staatssekretär Fuchtel haben ein Haus hinterlassen, das ordentAxel E. Fischer ({7})
lich aufgeräumt ist. Ich glaube, es liegt jetzt an uns, was
wir, was Sie, was wir gemeinsam daraus machen.
({8})
Deutschland ist gut durch die Krise gekommen. Der
Wachstumspakt hat gewirkt.
({9})
Damit treten verstärkt neue politische Herausforderungen in den Vordergrund.
Meine Damen und Herren, dem trägt die neue Bundesregierung in ihrem ersten Haushaltsentwurf schon
Rechnung. Die im Entwurf des Bundeshaushaltes
2014 für den Einzelplan 11 geplanten Ausgaben von
122,3 Milliarden Euro - das wurde schon mehrfach angesprochen - liegen um knapp 4 Milliarden Euro über
den Ansätzen des vergangenen Jahres. Dieser erste Anstieg nach Jahren konsequenter Einsparung ist beileibe
keine politische Kehrtwende; denn mit der Überwindung
der Wirtschafts- und Finanzkrise haben sich die arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Verhältnisse und Prioritäten
entsprechend geändert.
({10})
- Lieber Herr Kollege Kampeter, dann erwähne ich gern
auch Sie mit, da Sie als Staatssekretär im Finanzministerium Ihren Anteil daran gehabt haben.
({11})
Meine Damen und Herren, nachdem jetzt auch der
Kollege Kampeter im Protokoll entsprechend gewürdigt
wurde - den Kollegen Brauksiepe möchte ich natürlich
nicht vergessen -,
({12})
möchte ich fortfahren.
({13})
- Ich habe noch über zwei Minuten. Also keine Sorge!
Was ich transportieren will, kriege ich schon noch rüber.
({14})
- Wenn Sie eine Frage stellen wollen, gern! Dann habe
ich noch mehr Zeit.
Ich möchte feststellen, dass mit dieser Politik, die die
neue Regierung jetzt macht, im Wesentlichen das fortgesetzt wird, was die frühere Regierung vorangetrieben
hat.
({15})
Das heißt: Kontinuität ist angesagt.
Das Ziel der erfolgreichen Vermittlung langfristig Arbeitsloser in den ersten Arbeitsmarkt bleibt bestehen:
Trotz gesunkener Arbeitslosenzahlen will die Bundesregierung nicht nur an der Höhe der Eingliederungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch II festhalten; nein, sie
will zusätzlich jährlich weitere 350 Millionen Euro zur
Verfügung stellen. Sie wird auch deshalb mehr Mittel
bereitstellen, weil mit der Steigerung des Anteils schwer
zu vermittelnder Arbeitsloser zwangsläufig auch der individuelle Vermittlungsaufwand steigt.
({16})
Das weiß auch mein Freund und Kollege Ewald Schurer
von der SPD-Fraktion. Wir arbeiten übrigens ganz fantastisch zusammen.
({17})
Die Vermittler in der Bundesagentur für Arbeit, denen
ich an dieser Stelle für ihren Einsatz sehr herzlich danken möchte, müssen jetzt zunehmend dickere Bretter
bohren, um Arbeitsuchende in Arbeit zu bringen. Das ist
deutlich schwerer geworden.
In diesem Zusammenhang verweise ich auf die zielgerichteten Sonderprogramme des Bundes - auch diese
waren schon Thema in der heutigen Debatte - wie die
„Perspektive 50plus“, das Modellprojekt „Bürgerarbeit“
und das Bundesprogramm für arbeitsmarktferne Langzeitarbeitslose.
Meine Damen und Herren, unsere Gesellschaft besteht aber auch aus jungen Menschen.
({18})
Gerade auch diese sollten für einen erfolgreichen Start
ins Berufsleben unterstützt werden.
({19})
- Doch, das machen wir sehr wohl; denn die Bundesregierung führt das erfolgreiche 12-Milliarden-EuroProgramm für Bildung und Forschung aus der letzten
Legislaturperiode fort.
({20})
Deshalb sind im Regierungsentwurf 107 Millionen Euro
zusätzliche Mittel für die Kofinanzierung der Berufseinstiegsbegleitung und vor allem für das Sonderprogram
MobiPro-EU vorgesehen.
({21})
Dieses Programm, lieber Kollege Kampeter, war schon
mehrfach Thema heute. Ich möchte Ihnen noch einmal
dafür danken, dass Sie sehr schnell dafür gesorgt haben,
dass wir nicht in eine Lücke geraten sind. Das Entscheidende wird sein, dass wir Mittel und Wege finden - sogar dazu gab es heute eine Zwischenfrage -, dass wir
dieses Programm fortführen können und dass es nicht
austrocknet. Wir müssen schauen, wie wir im Einzelplan 11 ein bisschen drauflegen können, Frau Ministerin.
({22})
Axel E. Fischer ({23})
Ich hoffe, Sie können uns Vorschläge unterbreiten, woher wir das eine oder andere nehmen sollen.
Meine Damen und Herren, es blinkt das Licht des
Präsidenten. Ich möchte mich für Ihre Aufmerksamkeit
herzlich bedanken. Ich glaube, wir werden gute Beratungen zum Einzelplan 11 führen können. Ich danke Ihnen
für die Aufmerksamkeit und hoffe, dass auch die Opposition konstruktiv an dieser Etatberatung mitwirken
wird.
Herzlichen Dank.
({24})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen schließlich zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau
und Reaktorsicherheit, Einzelplan 16.
Ich bitte, die notwendigen Umgruppierungen in den
Fraktionen möglichst zügig vorzunehmen und die entsprechende Aufmerksamkeit herzustellen.
({0})
Nachdem auch die Zugangswege zum Rednerpult
wieder frei sind, hat die Bundesministerin Dr. Barbara
Hendricks das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Umwelt- und Naturschutz, Stadtentwicklung und Bauen,
gebündelt in einem Bundesministerium - das gab es
noch nie. Es gab also noch nie einen Haushaltsentwurf
für ein solches Haus. Deshalb freue ich mich, Ihnen
heute Abend einige interessante Neuigkeiten vorstellen
zu können.
In der vergangenen Woche wurde in Japan der zweite
Teil des neuen Sachstandsberichtes des Weltklimarates
IPCC verabschiedet. Der Bericht bestätigt, dass bei unverändertem Wachstum der Emissionen mit einem globalen Temperaturanstieg von 4 Grad Celsius gegenüber
vorindustriellem Niveau gerechnet werden muss und
dass daraus sehr hohe Risiken für Mensch, Gesellschaft
und Ökosysteme resultieren - eine Welt, die wir uns gar
nicht mehr vorstellen können. In dieser Woche tagt der
IPCC in Berlin, um den dritten Teil des Berichts zu verabschieden, der sich mit den Handlungsmöglichkeiten
im Klimaschutz befasst, also auch mit den Anpassungsmöglichkeiten beim Klimawandel.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Klimaschutz
steht bei mir ganz oben auf der umweltpolitischen
Agenda. Die Bundesregierung steht zur Umsetzung der
Kopenhagen-Zusage. Im Hinblick auf den BMUB-Haushalt schlägt sich das unter anderem darin nieder, dass wir
die internationale Klimaschutzinitiative auf erhöhtem
Niveau von rund 309 Millionen Euro fortführen,
({0})
um weltweit Klima- und Biodiversitätsprojekte in
Entwicklungs- und Schwellenländern zu fördern. Ein
schönes Beispiel ist ein deutsch-britisches Programm,
das mehrere Partnerländer dabei unterstützt, den Übergang zu einer emissionsarmen Entwicklung zu meistern.
Internationale Klimaschutzfinanzierung ist ein entscheidender Hebel im Hinblick auf ein ambitioniertes, neues
Klimaabkommen 2015 in Paris.
({1})
Darüber hinaus sind die bisher im Sondervermögen
„Energie- und Klimafonds“ für den internationalen
Klimaschutz vorgesehenen Mittel jetzt in den Haushalten des BMUB und des BMZ veranschlagt. Der BMUBAnteil beträgt fast 190 Millionen Euro.
Wir müssen verstärkt daran arbeiten, dass wir auch
unsere ehrgeizigen nationalen Klimaschutzziele erreichen. Ich werde in den nächsten Wochen erste Eckpunkte des Aktionsprogramms Klimaschutz 2020 an
meine Ressortkollegen versenden. In einer ressortübergreifenden Arbeitsgruppe werden wir auf der Basis dieser Eckpunkte die konkreten Maßnahmen verabreden
und sie im Herbst im Kabinett verabschieden. Ich
glaube, dass wir uns da alle gemeinsam noch viele Gedanken machen müssen und das nicht ohne Widerstände
gehen wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei aller Ambition:
Der Klimawandel ist im Gange, und er wird auch hier in
Deutschland verstärkte Auswirkungen haben. Wir haben
deshalb die Mittel des noch recht jungen Programms zur
Förderung von Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel noch einmal um 1 Million Euro auf nunmehr
4 Millionen Euro erhöht. Damit werden insbesondere innovative und modellhafte Projekte auf regionaler und
kommunaler Ebene gefördert.
({2})
Die Zuständigkeit für die Energiewende ist, wie Sie
wissen, auf den Bundeswirtschaftsminister übergegangen. Die bisher im BMUB-Haushalt veranschlagten
Programmmittel für erneuerbare Energien sowie der
Beitrag für die Internationale Organisation für Erneuerbare Energien, IRENA, sind deshalb in einem Umfang
von rund 425 Millionen Euro in den Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums umgesetzt worden. Die geänderte Veranschlagung ist der wesentliche Grund dafür,
dass die insgesamt veranschlagten Programmmittel für
die Bereiche Umwelt- und Naturschutz, Klimaschutz sowie Reaktorsicherheit und Strahlenschutz gegenüber
2013 um rund ein Viertel auf nunmehr gut 605 Millionen
Euro sinken.
Selbstverständlich bleibt die Energiewende für mein
Haus weiterhin ein wichtiges Thema.
({3})
Die Energiewende kann nur erfolgreich sein, wenn wir
dabei auch die vielfältigen Aspekte des Umwelt- und
Klimaschutzes berücksichtigen und sie umweltverträglich gestalten. Die ökologische Begleitforschung war
insoweit schon bisher eine Aufgabe des BMUB, die allerdings aus den Programmmitteln für erneuerbare Energien finanziert wurde. Deshalb sind von den zum Bundeswirtschaftsministerium umgesetzten Mitteln für die
erneuerbaren Energien dennoch 8 Millionen Euro im
BMUB-Haushalt verblieben und nunmehr im Umweltforschungsplan veranschlagt.
({4})
In diesen Kontext sind auch die Leistungen des neuen
Kompetenzzentrums „Naturschutz und Energiewende“
einzuordnen, dessen Einrichtung im Koalitionsvertrag
vereinbart wurde. Hier geht es insbesondere darum, bei
Interessenkonflikten zwischen dem Ausbau der erneuerbaren Energien und dem Naturschutz unter Bereitstellung besonderer fachlicher Expertise zu einer Versachlichung beizutragen und Konfliktvermeidung zu
betreiben.
Meine liebe Kolleginnen und Kollegen, beim Thema
kerntechnische Entsorgung sind wir mittlerweile auf einem guten Weg. Ich freue mich, dass wir uns hier und
heute mit der Kommission „Lagerung hochradioaktiver
Abfallstoffe“ befasst und uns auf eine Doppelspitze verständigt haben. Ich denke, dies ist für alle Beteiligten
durchaus eine nicht nur tragfähige, sondern gute Lösung,
die die Chance einer fairen und zielführenden Kommissionsarbeit eröffnet.
({5})
Für die wichtige Aufgabe als Brückenbauer wünsche
ich Frau Kollegin Heinen-Esser und Herrn Kollegen
Michael Müller eine glückliche Hand.
({6})
Ich werde in diesem Jahr das neue Bundesamt für
kerntechnische Entsorgung errichten. Mit dem BMUBHaushalt 2014 sind die Voraussetzungen für den Beginn
der Arbeit geschaffen worden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den Endlagern
können wir die Ausgaben um etwas mehr als 56 Millionen Euro absenken. Der Ansatz für das Projekt Gorleben
wird um 36 Millionen Euro auf nunmehr 40 Millionen
Euro abgesenkt. Dies entspricht der Schätzung des in
2014 anfallenden Aufwandes für die verbleibenden
Rest- und Übergangsarbeiten.
Für die Schachtanlage Asse veranschlagen wir etwas
mehr als 121 Millionen Euro, das sind rund 20 Millionen
Euro weniger als 2013. Die Absenkung trägt einerseits
den bestehenden Unwägbarkeiten und andererseits der
Möglichkeit Rechnung, den gegebenenfalls entstehenden Mehrbedarf zu decken. Die Ansätze für die Projekte
Konrad und Morsleben werden unverändert fortgeschrieben: Schacht Konrad mit 200 Millionen Euro und
Morsleben mit 50 Millionen Euro. Das sind die aktuellen
Kosten der Hinterlassenschaft der sogenannten friedlichen Nutzung der Kernenergie.
Lassen Sie mich nun zum Bereich Bauen und Stadtentwicklung kommen. Wir wollen diesen Bereich wieder
stärker in den Fokus der Bundespolitik stellen. Ein
Schwerpunkt meines Hauses wird darin bestehen, die
Städte zukunftsfähiger zu machen und sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Wir wollen lebenswerte
Städte, in denen auch in Zukunft Menschen aller Einkommensgruppen, jeden Alters und auch jeder Herkunft
nicht nur nebeneinander, sondern miteinander leben können.
({7})
Ab sofort wird es auch darum gehen, den Bereich Bau
und Stadtentwicklung sehr viel stärker als bisher mit
dem Umwelt- und Naturschutz zu verbinden. Dazu bietet die jetzt bestehende Bündelung der Aufgaben unter
einem Dach eine gute Chance. Städte sind die zentralen
Orte der ökologischen Modernisierung unserer Gesellschaft und des sozialen Ausgleichs.
Die Mittel für Wohnungswesen und Städtebau sowie
Hochbau und Fördermaßnahmen in Berlin und Bonn
stellen mit insgesamt knapp 2,2 Milliarden Euro rund
60 Prozent des neuen gesamten BMUB-Haushaltes dar.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bauleute haben
zwar relativ viel Geld mitgebracht, aber außer bei der
Städtebauförderung, für die uns in der Tat neue Mittel
zur Verfügung stehen, ist natürlich alles andere in Projekten verplant:
({8})
Bundesnachrichtendienst, Botschaft in Washington,
Deutsche Schule in Spanien usw. Diese Projekte sind im
Gange, und wir können nicht frei über das frische Geld
verfügen. Es hört sich nach mehr an, als es ist. Die Aufgaben sind natürlich trotzdem schön und herausfordernd.
Also: Die Mittel für die Städtebauförderung werden
deutlich aufgestockt. Gegenüber dem ersten Regierungsentwurf sehen wir bereits in diesem Jahr eine Erhöhung
um über 12 Millionen Euro auf nunmehr 399 Millionen
Euro vor. Das Gesamtvolumen 2014 wird auf 700 Millionen Euro erhöht, eine, wie ich finde, sehr richtige und
weitsichtige Entscheidung der Koalition.
({9})
Wir wissen, dass die Anzahl haushaltsschwacher
Kommunen in den letzten Jahren zugenommen hat.
Unser Ziel ist es, Kommunen und Regionen wieder
handlungsfähig zu machen. Das können wir durch die
Aufstockung der Bundesmittel für die Städtebauförderung jetzt deutlich besser tun. Das Geld wird in Städte
und Gemeinden aller Größenordnungen fließen, in
Metropolen ebenso wie in kleinere Gemeinden im ländlichen Raum.
Für den Programmtitel „Soziale Stadt“ stehen Mittel
in Höhe von 150 Millionen Euro zur Verfügung. Gemeinsam mit den Ländern fördern wir damit benachteiligte Stadtquartiere. Sie sollen städtebaulich aufgewertet
werden, indem zum Beispiel Begegnungsorte oder
Anlaufstellen geschaffen oder ausgebaut werden. Auch
öffentliche Plätze sollen sicher und lebenswert gestaltet
werden. Ich halte es für eine zentrale Zukunftsaufgabe
ganz allgemein, aber insbesondere auch für mein
Ressort, lebenswerte Wohnquartiere zu schaffen und das
soziale Miteinander zu gestalten.
Wie Sie sehen: Es tut sich etwas in der Städtebauförderung. Wir wollen nicht, dass Kommunen hinten
runterfallen. Wir wollen Chancengerechtigkeit, und wir
wollen eine soziale Stadtentwicklung in Deutschland
vorantreiben. Dazu gehören auch die im BMUBHaushalt veranschlagten Mittel zur nationalen Kofinanzierung des neuen ESF-Bundesprogramms „Bildung,
Wirtschaft, Arbeit im Quartier“ mit einem Gesamtvolumen von fast 65 Millionen Euro.
Wir werden das Wohngeld überarbeiten. - Ich will es
jetzt etwas kürzen.
({10})
- Nein, ich will nicht das Wohngeld kürzen, sondern den
Redefluss kürzen.
({11})
Wir haben uns das vorgenommen. Wir müssen dies mit
den Ländern verabreden. Die Änderung sehen wir für
2015 vor. Auch die Wohnungsbauprämie wird angepasst.
Ich würde es außerdem sehr begrüßen, wenn die
erneute Auflage eines Programms für altersgerechtes
Umbauen möglich gemacht werden könnte. Neben der
Novellierung des Wohngeldes wird dieses Programm ein
wichtiger Punkt sein,
({12})
der spätestens bei der Aufstellung des Haushalts 2015 zu
erörtern sein wird.
Der Ihnen heute vorliegende Haushalt des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ist mit den Haushalten der Vorjahre natürlich nicht mehr vergleichbar. Dies liegt nicht nur daran,
dass er erstmals und vollständig in der vom Haushaltsausschuss initiierten neuen Struktur erstellt worden ist.
Prägend sind vielmehr der neue Zuschnitt meines Hauses und die Übertragung umfangreicher neuer Zuständigkeiten. Das Gesamtvolumen liegt jetzt insgesamt bei
über 3,6 Milliarden Euro und hat sich im Vergleich zum
Haushalt 2013 mehr als verdoppelt. Das spiegelt den gewachsenen Aufgabenbereich wider.
Umweltschutz und sozialen Ausgleich, die Belange
der Städte und der schutzbedürftigen Landschaft und der
Natur zusammenzudenken und danach zu handeln, das
bedeutet, nachhaltige Entwicklung ernst zu nehmen,
nachhaltige Entwicklung im besten Sinne. Dafür ist
mein Haus jetzt gut aufgestellt.
Herzlichen Dank.
({13})
Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Damen und
Herren! Frau Umweltministerin Hendricks, ehrlich: Wir
hatten Hoffnungen in Ihre Umwelt- und Klimapolitik gesetzt. Ich befasse mich in meiner Rede mit dem Klimaund Umweltteil. Dazu muss ich sagen: Ich höre Ihre
Worte wohl; allein, mir fehlt der Glaube. Zwei Beispiele:
Erstens: Klimaschutz. Der weltweite Kohlendioxidausstoß stieg auf Rekordniveau. Deutschland hat 1 Prozent der Weltbevölkerung, verursacht aber fast 3 Prozent
des Kohlendioxidausstoßes. Und was planen Sie im
Haushalt? Kürzung der Mittel für die Nationale Klimaschutzinitiative um ein Drittel, Kürzung der Mittel für
den Waldklimafonds um die Hälfte, Kürzung des Energieeffizienzfonds um 43 Prozent. Im Haushalt sind
400 Millionen Euro weniger für den Schutz des Klimas
und für den Schutz von Menschen vor den Folgen des
Klimawandels vorgesehen. Sorry, aber wenn Sie angesichts dessen mit einer Erhöhung des CO2-Gebäudesanierungsprogramms um 33 Millionen Euro daherkommen, ist das einfach nur noch peinlich.
({0})
Jetzt komme ich zu Ihrem Lieblingskind, zur stromintensiven Großindustrie. Sie stellt dank Ihres Haushaltsentwurfs und der Energiepläne von Herrn Gabriel schon
mal den Sekt kalt. Statt 6,24 Cent je Kilowattstunde zahlt
die stromintensive Großindustrie nur 0,05 Cent EEGUmlage.
({1})
Ein Tusch auf Union und SPD! Netzentgelte von durchschnittlich 5 Cent je Kilowattstunde zahlen alle, außer
der Großindustrie. Ein Tusch auf Union und SPD!
Strompreise von unter 4,5 Cent je Kilowattstunde für die
stromintensive Großindustrie. Darauf einen Tusch!
({2})
Der Bäcker, die Rentnerin, der Arbeitslose, die Studentin, die kleinen und mittleren Firmen hingegen stöhnen
über einen Strompreis von 30 Cent je Kilowattstunde.
Die müssen für die stromintensive Industrie mitbezahlen. Eine Zugabe haben Sie noch: Für die energieintenRalph Lenkert
sive Großindustrie, die derzeit unter einem Strompreis
von unter 4,5 Cent leidet, planen Sie weitere 350 Millionen Euro Zuschuss aus dem Klimafonds;
({3})
klar, zum Ausgleich für Wettbewerbsnachteile. Als diese
Unternehmen noch 6 Cent je Kilowattstunde bezahlten,
als für 1 Tonne CO2 bei der fossilen Stromerzeugung
noch jeweils 14 Euro in den Strompreis eingepreist wurden, da gab es diesen Zuschuss nicht. Heute, wo Vattenfall, RWE, Eon und EnBW nur noch 3,60 Euro je Zertifikat, je Tonne CO2 bezahlen müssen, wo der Strompreis
für Ihre Lieblinge bei unter 4,5 Cent liegt, zahlen Sie
350 Millionen Euro für Wettbewerbsnachteile? Das ist
Irrsinn. Stecken Sie diese Millionen besser in den Klimaschutz!
({4})
Zweitens: Hochwasser. 2002 war das Jahrhunderthochwasser im Elbe-Gebiet - mit Rekordpegeln. 2013
war das Jahrhunderthochwasser im Elbe-Gebiet - mit
neuen Rekordpegeln. Häufigere Jahrhunderthochwasser
zeugen vom Klimawandel.
Beim Hochwasserschutz wird viel zu wenig getan. Im
Juni 2013 kämpften die Menschen in Greiz, Gera und
anderen Orten mit der Jahrhundertflut. Die Rundfunkanstalten meldeten: Hochwasserwarnstufe 3 in Thüringen
ausgerufen. - Das ist die höchste Stufe in Thüringen. Die
Menschen in Sachsen-Anhalt, die flussabwärts wohnten,
hörten: „Stufe 3“, und dachten sich: Kein Problem, erst ab
Hochwasserstufe 4 wird es in Sachsen-Anhalt kritisch. Dann stand das Wasser bereits in der Stube. Deshalb fordert die Linke eine Koordinierung des Hochwasserschutzes und eine Vereinheitlichung der Hochwasserwarnstufen.
({5})
Der Saale-Orla-Kreis in Thüringen lebt vom Tourismus an den Saaletalsperren. Die Touristen finden Talsperren mit hohem Wasserstand schöner. Beim Hochwasser 2013 fehlte dann dringend benötigter Stauraum.
Dumm für Weißenfels und Halle an der Saale; die soffen
ab. Stecken Sie die 350 Millionen Euro in die Einrichtung von Überschwemmungsflächen, die Renaturierung
von Feuchtgebieten - das ist übrigens gleichzeitig Naturschutz -, abgestimmte technische Hochwasserschutzmaßnahmen und in eine gemeinsame Koordinierungsstelle Hochwasserschutz.
({6})
Frau Ministerin, wir beide kennen die kritische Situation in der Asse. Wir beide waren nach der Besichtigung
erschüttert. Aber wieso kämpfen Sie nicht für die notwendige Aufstockung der Gelder, um den Atommüll aus
der Asse zu holen?
({7})
Erst 2033 soll nach Ihrer Aussage die Bergung beginnen - viel zu spät. Bei Ihrem Tempo sehe ich bei der
Asse-Sanierung schwarz. Die Chancen für eine komplette Bergung des Atommülls sinken auf null.
Nach Ihrem Haushaltsentwurf sehe ich beim vorbeugenden Hochwasserschutz schwarz. Denn für die notwendigen Maßnahmen gibt es null Euro. Die Nullnummer beim Klimaschutz sorgt beim Temperaturanstieg für
schwarze Aussichten. Ihre Götzenanbetung, die schwarze
Null, verhindert Umweltschutz und muss aufhören. Investieren Sie in die Umwelt! Davon haben auch Ihre
Kinder etwas. Die Linke will beim Hochwasserschutz
vorbeugen, den Klimaschutz vorantreiben und die Asse
rechtzeitig sanieren. Sie können unsere Vorschläge gerne
einarbeiten.
({8})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege
Christian Haase.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Hendricks! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Vor uns liegt nicht nur
der Entwurf des Haushalts 2014, sondern auch die Leistungsbilanz von Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang
Schäuble. Der Bundeshaushalt für das laufende Jahr
weist erstmals seit Jahrzehnten kein strukturelles Defizit
auf. Im Gegenteil: Strukturell erwirtschaften wir einen
Überschuss von 1,8 Milliarden Euro.
({0})
Wolfgang Schäuble legt damit einen Meilenstein, von
dem aus wir im nächsten Jahr in die Nullverschuldung
gehen. Wir haben finanzielle Spielräume freigeschaufelt
und sind wieder in der Lage, uns auf langfristige Prioritäten in der Zukunft zu konzentrieren. Wir übernehmen
damit Verantwortung über die zeitlichen und geografischen Grenzen hinweg. Das ist Politik im Zeichen der
Nachhaltigkeit.
({1})
„Nachhaltigkeit“ ist ein Begriff, der ursprünglich aus
der Umweltpolitik kommt. Damit wird auch ein ganz
wichtiger Zusammenhang deutlich: Je solider wir unsere
Finanzpolitik gestalten, desto mehr können wir die Umweltpolitik zu einem zentralen Gestaltungsfeld der Politik entwickeln.
({2})
Das erreichen wir auch mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf für das laufende Jahr. Die Programmausgaben für den Umweltschutz und den Endlagerbereich steigen leicht auf 1 050 Millionen Euro.
({3})
Hinzu kommen 6,6 Milliarden Euro für den Umweltschutz in anderen Einzelplänen. Wenn man den Energieund Klimafonds mit 1,6 Milliarden Euro dazu nimmt, ist
deutlich, welche Summe wir in diesem Bereich in die
Hand nehmen.
({4})
Wir nehmen die Zukunft in den Blick: Insbesondere
die Forschungsausgaben für den Naturschutz steigen um
78 Prozent, die Mittel für Maßnahmen zur Anpassung an
den Klimawandel werden um 33 Prozent erhöht. Die
Endlagersuchkommission kommt. Der Asse-Fonds wird
erstmals aufgelegt, und das Bundesamt für kerntechnische Entsorgung wird auf den Weg gebracht.
Für die CDU/CSU in der Bundesregierung ist klar:
Deutschland trägt für eine sichere und saubere Zukunft
Verantwortung über die geografischen Grenzen hinaus.
({5})
Deshalb nehmen wir im Einzelplan des Umweltministeriums fast 8 Millionen Euro zusätzlich für die internationale Klimaschutzinitiative in die Hand.
({6})
Der IPCC-Bericht zu den Auswirkungen des Klimawandels bekräftigt unmissverständlich, dass die Welt
handeln muss, um der nächsten Generation eine saubere
und sichere Welt zu hinterlassen.
({7})
Dabei handeln wir glaubwürdig. Deutschland setzt unter
der Führung von Angela Merkel die Energiewende konsequent um und leitet damit auch international ein Umdenken ein.
({8})
Deutschland geht mit der CDU-geführten Bundesregierung als Vorreiter im Klimaschutz voran, auch wenn das
einige hier im Hause wurmt.
({9})
Wir werden nun schauen, wie die Verhandlungen zur
Anfinanzierung des Green Climate Fund im Mai dieses
Jahres ausgehen. Diesen Prozess werden wir aktiv begleiten. Aber da blicken wir vorwiegend auf den Haushaltsplanentwurf 2015.
({10})
Ich will daran erinnern: Im letzten Jahr haben wir
1,8 Milliarden Euro für die Finanzierung internationaler
Klimaschutzprojekte bereitgestellt.
({11})
Nun erwarte ich natürlich auch ein klares Bekenntnis der
anderen Staaten, spätestens 2015 in Paris.
Neben allen Finanzierungsrunden müssen und wollen
wir auch konkret werden; das Klima wartet nicht auf
uns. Ich messe deshalb dem Waldschutz eine besondere
Bedeutung für den Klimaschutz zu.
({12})
Wälder sind wichtige Klimaschützer, weil sie CO2 binden und speichern. Zugleich sind sie von den Auswirkungen des Klimawandels besonders betroffen. Nur
durch einen verantwortungsvollen Umgang mit dem
Wald können wir die Wiege der Nachhaltigkeit erhalten.
({13})
Der nationale Waldklimafonds als Teil des Energieund Klimafonds ist erfolgreich angelaufen, könnte aber
noch ausgebaut werden. Waldschutz ist aber insbesondere international von Bedeutung. Wir müssen daher gezielt weiterhin Maßnahmen zum Schutz der Tropenwälder fördern.
({14})
Mit der Aufstockung der Mittel für Investitionen zum
Schutz des Klimas und der Biodiversität im Ausland um
knapp 8 Millionen Euro leisten wir auch einen signifikanten Beitrag zur Erhöhung der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit. Auch hier sind wir erfolgreich
und glaubwürdig.
({15})
Meine Damen und Herren, sehr konkret wird der Umwelt- und Naturschutz für die Bürger vor Ort immer,
wenn es um Hochwasserkatastrophen wie im letzten Jahr
geht. Im Juni 2013 traf Deutschland die zweite sogenannte Jahrhundertflut. Gemeinsam mit den Bürgerinnen
und Bürgern, Kommunen und Ländern müssen wir dafür
sorgen, dass die Schäden bei zukünftigen Ereignissen
geringer werden. Ich hoffe, dass in den Beratungen der
Umweltministerkonferenz im August dieses Jahres eine
Einigung über eine endgültige Projektliste erfolgt und
wir aufsteigend ab 2015 konkrete Maßnahmen umsetzen. Wir dürfen die Bürgerinnen und Bürger - ich
glaube, da sind wir uns hier im Hause einig - hierbei
nicht im Stich lassen.
({16})
Überhaupt ist die Förderung von Bürgerbeteiligung
und Transparenz insbesondere bei umweltrelevanten
Großvorhaben ein neuer Schwerpunkt der Umweltpolitik.
({17})
Die massiven Proteste, zum Beispiel gegen den Bau der
erforderlichen großen Stromtrassen in unserem Land,
zeigen die Notwendigkeit. Die Umsetzung dieser Vorhaben kann nur gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern gelingen. Daher muss ein neues Grundverständnis
von Bürgerbeteiligung in der Umweltpolitik entwickelt
werden.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU hat vor der
Wahl und in den Koalitionsverhandlungen unmissverständlich klargemacht, dass Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Städtebau Vorrang genießen. Wir haben
Wort gehalten und geben ein klares Bekenntnis zur
Städtebauförderung ab: Die Programmmittel werden
von 455 Millionen Euro auf 700 Millionen Euro erhöht.
({18})
Wie in der letzten Legislaturperiode unterstützt der Bund
damit, wie auch an anderen Stellen, die Kommunen.
({19})
Denn die deutliche Erhöhung der Mittel für die Städtebauförderung hilft, den demografischen, sozialen und
ökonomischen Wandel zu meistern. Davon profitieren
die Menschen, aber auch die örtlichen Handwerker und
der Mittelstand im ganzen Land, von liebevollen Kurorten wie Bad Liebenstein bis Gelsenkirchen.
({20})
Wir haben dabei die besonderen Herausforderungen
in unseren größeren Städten im Blick. Wir wissen aber
auch, dass der Großteil der 82 Millionen Menschen nicht
in Großstädten, sondern in regionalen Mittelzentren und
im ländlichen Raum lebt.
({21})
Den Schwerpunkt der Städtebauförderung bilden deshalb die Mittel für den Stadtumbau Ost und West mit
zusammen 220 Millionen Euro. Zur Wahrung unseres
kulturellen Erbes erhöhen wir die Mittel für den Denkmalschutzbereich um 29 Millionen Euro auf 125 Millionen Euro.
Im Mittelpunkt steht aber auch das Programm „Soziale
Stadt“ mit 150 Millionen Euro. Mit einem kleineren Teil
der Mittel werden wir auf die besonderen Problemlagen in
einigen Großstädten reagieren. Aber insgesamt ist mir
auch hier eine breite Verteilung der Mittel im ganzen
Land wichtig. Neben den investiven Städtebaumitteln in
besonderen Problemlagen müssen weitere Mittel aus anderen Programmen und anderen Ministerien zusammenkommen, um einen integrierten Ansatz zu ermöglichen.
Ich setze da voll auf das Ergebnis der Staatssekretärrunde zur Armutsmigration.
({22})
Wir wissen aber auch: Die Zahl der Menschen ab
65 Jahre wird in den nächsten 30 Jahren von heute
17 auf 24 Millionen anwachsen. Dieser Entwicklung
müssen wir auch im Wohnungsbau begegnen, damit ältere Menschen möglichst lange selbstbestimmt in ihrer
vertrauten Umgebung leben können. Sozialpolitisch sind
hier Investitionen richtig; denn eine altersgerechte
Infrastruktur mindert den Bedarf an teuren Pflegeeinrichtungen. Deshalb wünsche ich mir, dass wir nach
Auslaufen des aktuellen Programms erneut initiativ werden können.
Meine Damen und Herren, ich freue mich auf konstruktive Gespräche.
({23})
Das Wort hat der Kollege Sven-Christian Kindler für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin Hendricks! Ich
will am Anfang kurz betonen, dass ich mich freue, dass
die Endlagerkommission kommt. Ich hoffe, dass die
Umweltverbände sich daran beteiligen werden, weil ihre
große Sachkenntnis für den Erfolg dieser Kommission
sehr wichtig ist.
({0})
Auf alles Weitere zu der Kommission wird meine Kollegin Sylvia Kotting-Uhl später in ihrer Rede vertieft eingehen. Ich will dazu als Haushälter nur einen Punkt ansprechen, und zwar die Errichtung des Bundesamts für
kerntechnische Entsorgung. Da frage ich mich schon,
Frau Ministerin, warum jetzt im Haushalt 40 Stellen
- zum Teil sehr hoch dotierte Stellen - vorgesehen sind,
obwohl viele Aufgaben und Kompetenzen noch im Nebel liegen. Wir werden das im Haushaltsausschuss sehr
kritisch überprüfen und da nachfragen, weil wir nicht
wollen, dass es nachher zu Geldverschwendung und zu
unnötiger Bürokratie kommt oder dass es Vorfestlegungen für den Endlagersuchprozess gibt.
({1})
Der Atomausstieg ist ein zentraler Teil der Energiewende; aber das zweite wichtige Motiv für die Energiewende war immer der Klimaschutz. Die Frage ist jetzt:
Wie ist es bei der Großen Koalition eigentlich um den
Klimaschutz bestellt? Ich habe Ihre schönen Worte, Frau
Ministerin, wohl gehört. Nur, mit der Realität im Haushalt hat das überhaupt nichts zu tun.
({2})
Wie viel Macht die Umweltministerin beim Thema Klimaschutz hat, steht symbolisch dafür, wie es in der Bundesregierung um den Klimaschutz steht. Die zentralen
Kompetenzen sind jetzt bei Energiewendeminister
Gabriel. Bei den wenigen Themen, wo Sie etwas machen
könnten, Frau Hendricks, wollen oder dürfen Sie nicht.
Das ist nicht nur eine Blamage für das Umweltministerium, das ist auch eine Katastrophe für den Klimaschutz.
({3})
Ich will Ihnen im Haushalt belegen, warum wir das so
sehen. Sie haben selber den IPCC-Bericht angesprochen.
Der UN-Klimarat tagt gerade hier in Berlin. Auch dazu
hören wir wieder schöne Worte; aber das passt eben
nicht zum Haushalt. Wenn man sich die entsprechenden
Haushaltsansätze anschaut - Umweltministerium, Entwicklungsministerium, Energie- und Klimafonds -, dann
sieht man, dass beim internationalen Klimaschutz 2014
mindestens 350 Millionen Euro weggekürzt wurden. Für
die darauffolgenden Jahre wurden die Verpflichtungsermächtigungen, also die Gelder für die nächsten Jahre,
um 1,2 Milliarden Euro zusammengekürzt. Damit senden Sie das verheerende Signal an die Welt, dass die
Bundesregierung jetzt den internationalen Klimaschutz,
die globale Gerechtigkeit endgültig beerdigt. Ich finde,
das ist verantwortungslos, das ist zukunftsvergessen.
({4})
Zu Deutschland. Bei dem zentralen Klimaschutzprojekt, Frau Hendricks, der Energiewende, haben Sie
nichts zu melden. Die Zuständigkeit für die Energiewende liegt jetzt beim Wirtschaftsminister. Das ist
schlecht für Klima und Gerechtigkeit; das ist nur gut für
die alten Wirtschaftsstrukturen. Das kann man auch an
dem Kompromiss in Brüssel sehen. Da hat Sigmar
Gabriel bis zu 2,5 Milliarden Euro zusätzliche Subventionen für die Großindustrie herausgeholt. Wer zahlt die
Zeche für diese Subventionspolitik? Die Zeche zahlen
die Verbraucher, die Kleinunternehmen, das Handwerk.
Das ist nicht nur schlecht für das Klima, das ist vor allen
Dingen auch ungerecht.
({5})
Wir Grüne setzen in diesen Haushaltsverhandlungen
auf das Motto: Investieren statt Subventionieren. Gerade
im Bereich Klimaschutz, im Bereich Naturschutz, bei
der Energiewende müssen wir viel Geld in die Hand
nehmen und in die Zukunft investieren. Wir sagen auch
klar: Das muss man solide gegenfinanzieren, und zwar
über den Abbau von klimaschädlichen Subventionen.
Kollege Lenkert hat es schon angesprochen: Mit den
350 Millionen Euro, die Sie neu in den Haushalt einstellen, schaffen Sie eine neue klimaschädliche Subvention
für die Großindustrie. Dabei hat Ihnen Ihr eigenes Haus,
Frau Hendricks, das Umweltbundesamt, bestätigt, dass
pro Jahr 50 Milliarden Euro an klimaschädlichen Subventionen gezahlt werden. Ich frage mich: Wann gehen
Sie das eigentlich an? Sie müssen natürlich kämpfen; das
ist klar. Sie müssen gegen Herrn Schäuble und auch gegen den Wirtschaftsminister, Herrn Gabriel, kämpfen.
Ich fordere Sie aber auf: Kämpfen Sie doch einmal! Machen Sie etwas für den Klimaschutz, und bauen Sie Subventionen ab!
({6})
Ich komme zum Baubereich. In Bezug auf die Städtebauförderung wurde gesagt, dass die Mittel für das Programm „Soziale Stadt“ erhöht werden. Dafür haben wir
Grüne in der letzten Legislaturperiode zusammen mit
der SPD gekämpft. Ich finde es gut, dass die Mittel für
die Städtebauförderung, insbesondere für das Programm
„Soziale Stadt“, erhöht werden; denn Schwarz-Gelb
hatte sie gekürzt. Das will ich einmal loben. Wir brauchen das Programm „Die soziale Stadt“ in Deutschland.
({7})
Die Frage ist aber, wie Sie das gegenfinanzieren. Der
Bauetat ist insgesamt nicht gestiegen. Das heißt, für die
Erhöhung der Mittel für die Städtebauförderung werden
über den Haushalt hinweg viele Bauprogramme nach der
Rasenmähermethode gekürzt. Zum Beispiel können jetzt
die beim Investitionsprogramm „Nationale UNESCOWelterbestätten“ gekürzten Mittel für die Städtebauförderung verwendet werden. Das bedeutet aber eben nur:
linke Tasche, rechte Tasche. Angesichts des großen Bedarfs an Investitionen im Baubereich ist das verheerend
und nicht sachgerecht.
({8})
Was die Gebiete Klimaschutz und Energieeffizienz
anbetrifft, sind Sie im Baubereich einfach blank. So haben Sie zum Beispiel die Mittel für Maßnahmen zur
energetischen Stadtsanierung auf fast die Hälfte zusammengestrichen. Das ist schlecht für das Klima, schlecht
für die Mieterinnen und Mieter und auch wieder schlecht
für das Handwerk. Frau Hendricks, gerade da, wo Sie für
den Klimaschutz etwas im Baubereich tun könnten, haben Sie nichts getan, und das finde ich besonders peinlich für eine Umweltministerin.
({9})
Ich weiß aber, Frau Hendricks: Es ist nicht allein Ihre
Schuld, dass Sie beim Klimaschutz so wenig machen
können. Das Problem ist der Subventionsminister und
Ihr Chef, Herr Gabriel. Frau Hendricks, wenn Sie sich
einmal entschließen sollten, ernsthaft etwas für den
Klimaschutz zu tun, und sich einen Ruck geben, dann
können Sie sich sicher sein, dass wir Grüne Sie gegen
Sigmar Gabriel unterstützen.
Vielen Dank.
({10})
Der Kollege Steffen-Claudio Lemme hat nun für die
SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte zunächst als Haushälter noch einmal darauf
verweisen, dass Frau Dr. Barbara Hendricks ein völlig
neu zusammengestelltes Haus übernommen hat. Herr
Kindler, die Zuständigkeit für die Energiewende wurde
abgegeben, und wir haben Verantwortung für den
Bereich „Städtebau und Wohnungswesen“ übernommen.
Durch diesen neuen Zuschnitt hat das Haus natürlich
eine starke Aufwertung erfahren. Gegenüber dem
Haushalt des Jahres 2013 hat sich der Etat mehr als verdoppelt.
Die Zusammenführung von Umwelt- und Baupolitik
ist meiner Einschätzung nach äußerst sinnvoll; denn die
Städtebauentwicklung und der Baubereich sind wichtige
Stellgrößen für den Klimaschutz. Es liegt in unserer
sozialen Verantwortung, dass das Wohnen trotz der
Energiewende für alle bezahlbar bleibt.
({0})
- Wir machen etwas.
({1})
Es geht darum, Soziales und Ökologie zukünftig stärker
miteinander zu denken.
({2})
- Sie quatschen. - In dieser Verantwortung stehen wir
alle.
Ich möchte auf drei Punkte des Haushaltsentwurfs zu
sprechen kommen: erstens Stadtentwicklung, zweitens
Naturschutz und drittens Klimaschutz.
Erstens. Die Aufstockung der Städtebaufördermittel
von 455 Millionen Euro auf 700 Millionen Euro ist ein
großer Erfolg, mit dem endlich eine jahrelange sozialdemokratische Forderung umgesetzt wird.
({3})
Besonders hervorheben möchte ich das Programm
„Soziale Stadt“, das wir zum Leitprogramm innerhalb
der Städtebauförderung machen. Mit diesem Programm
werden Städte und Gemeinden unterstützt, in denen
Arbeitslosigkeit, Bildungsarmut, vernachlässigte öffentliche Räume und soziale Konflikte gebündelt auftreten
und die somit der Gefahr einer sozialen Spaltung ausgesetzt sind. Anstatt wie zuletzt nur noch 40 Millionen
Euro dafür zur Verfügung zu stellen, werden wir dem
Programm mit diesem Haushalt endlich wieder einen höheren Stellenwert einräumen. Wir investieren 150 Millionen Euro in die „Soziale Stadt“. Neu ist auch: Bleiben
bei anderen Programmen der Städtebauförderung Gelder
übrig, können diese künftig ebenfalls in die „Soziale
Stadt“ fließen.
({4})
Diese Möglichkeit blieb jahrelang verwehrt. Die Neuerungen der Städtebauförderung sind ein großer Erfolg;
denn damit unterstützen wir konkret die Menschen,
Familien und Kinder in unserem Land, die Unterstützung brauchen.
({5})
Zweitens. Im Bereich des Naturschutzes werden die
wichtigen Ansätze fortgeführt. Hervorzuheben sind das
Bundesprogramm Biologische Vielfalt und die Ausgaben für Naturschutzgroßprojekte. Erst kürzlich waren
Sie, Frau Ministerin, in meinem Wahlkreis zu Gast, um
einen Fördermittelbescheid in Höhe von circa 10 Millionen Euro für das Naturschutzgroßprojekt „Hohe Schrecke“ in Thüringen zu überreichen.
Drittens, zum Klimaschutz. Der neueste Sachstandsbericht des Weltklimarates hat uns wiederholt die gravierenden Folgen des Klimawandels vor Augen geführt.
Um unser Ziel zu erreichen, den CO2-Ausstoß bis 2020
um 40 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu senken,
müssen wir daher starke Anstrengungen unternehmen.
Dieser Verantwortung sind wir uns bewusst.
({6})
Der Umwelt- und Klimaschutz ist, wie wir alle wissen, eine Querschnittsaufgabe, die nicht alleine beim
Umweltministerium liegt. Welche Bedeutung der Klimaschutz für die Koalition hat, zeigt sich beim Umweltetat
in der Ausgabenerhöhung um 189 Millionen Euro für
die Internationale Klimaschutzinitiative.
({7})
Man kann beim Haushalt des Bundesministeriums für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit also
wahrlich nicht von Einbußen beim Klimaschutz sprechen.
({8})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte
unserer Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks meine
Anerkennung dafür aussprechen, dass sie die umweltpolitischen Herausforderungen, vor denen wir stehen, zügig angeht und die richtigen Schwerpunkte zum Schutz
von Klima und Natur und zur Schaffung guten und
bezahlbaren Wohnraums setzt. Dennoch: Wir Berichterstatter der Koalition werden im parlamentarischen
Verfahren an der einen oder anderen Stelle versuchen,
nachzusteuern. Zu nennen ist insbesondere die Neuauf2568
lage eines Zuschussprogramms für den altersgerechten
Umbau.
({9})
Wir brauchen wieder eine zusätzliche, direkte Förderung von altersgerechten Umbaumaßnahmen. Vielen,
insbesondere einkommensschwächeren, älteren Menschen, bringen Kredite, wie es das bestehende Programm
der Kreditanstalt für Wiederaufbau vorsieht, nichts.
Denn viele ältere Menschen wollen keine Kredite mehr
aufnehmen, oder ihnen werden keine mehr gewährt.
Bislang sind nur circa 600 000 Wohnungen in unserem
Land altersgerecht. Das entspricht gerade einmal
1,2 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes. Dabei
wird sich die Zahl der Menschen im Alter über 80 Jahre
in unserem Land bis 2030 auf über 8 Millionen verdoppeln. Allein bis 2020 werden zusätzlich etwa 2,5 Millionen barrierearme Wohnungen benötigt. Wir wollen, dass
ältere Menschen möglichst lange in ihren eigenen vier
Wänden bleiben können.
({10})
Dies führt im Übrigen auch zur Vermeidung oder Verzögerung von Heimaufenthalten. Die Sozial- und Pflegekassen könnten so um 5 Milliarden Euro jährlich bzw.
im Jahr 2030 sogar um bis zu 7,5 Milliarden Euro jährlich entlastet werden. Dies belegt eine aktuelle Studie
der Prognos AG.
Über die Notwendigkeit eines solchen Programms
bereits ab diesem Jahr besteht auch über Fraktionsgrenzen hinweg Einigkeit. Daher werden wir uns in den
weiteren Haushaltsberatungen für entsprechende Mittel
starkmachen.
({11})
Ich ziehe ein Fazit: Im Haushalt 2014 wurden die
richtigen Schwerpunkte bei Umwelt, Klima, Naturschutz
und Wohnen gesetzt. Das Haus ist aus meiner Sicht gut
aufgestellt.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat der Kollege Roland Claus für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Bundesministerin, ich will über das Neuland in Ihrem
Etat, also über den neuen Sektor für Bauen und Wohnen,
reden. Sie haben mitgeteilt, dass Ihr Haus zusätzlich
mehr als 2 Milliarden Euro bekommen wird. Sie sagten,
die Bauleute hätten Ihnen das Geld mitgebracht, aber Ihnen gesagt, dass alles schon verplant ist. Wenn ich Ihnen
einen Tipp geben darf, Frau Bundesministerin: Wenn Sie
denen das glauben, dann haben Sie schon verloren.
({0})
Wie ich Sie von unserer früheren Zusammenarbeit her
kenne, sind Sie nicht so naiv, das zu glauben.
„Bauen und Umwelt“ hat einen gewissen Charme;
denn was wir bauen, bauen wir auch für unsere Enkel.
Wir sollten uns in der Politik allgemein, aber speziell in
der Bau- und Raumordnungspolitik immer fragen, ob
das, was wir gerade tun, wirklich enkeltauglich ist.
({1})
Ich will mit etwas Positivem anfangen. Ich habe mich
gefreut, dass Mitte der 90er-Jahre die Entscheidung gefallen ist, das Umweltbundesamt in die neuen Bundesländer nach Dessau, jetzt Dessau-Roßlau, zu geben. Ich
habe feststellen können, dass sich in den letzten Jahren
eine sehr intensive Ausstrahlung in die Region und von
der Region zurück entwickelt hat. Es gibt die großen
Chemiestandorte und die Bauhaustradition. Ich habe
mich natürlich darüber geärgert, dass dieses wunderbare
Beispiel nicht Schule gemacht hat und dass wir es mit einer ungeheuren Anhäufung von Bundesämtern in Bonn
zu tun haben. Dieses Beispiel, das zeigt, dass man auch
in den neuen Bundesländern etwas erfolgreich etablieren
kann, blieb einzigartig.
({2})
Bei der Städtebauförderung und beim Wohnungsbau
muss man ganz nüchtern sagen, dass die FDP bleibende
Schäden angerichtet hat. So wenig Konstruktives diese
Fraktion in diesem Hause geleistet hat, so intensiv hat
sie bleibende Schäden angerichtet. Das sieht man vor allem daran, wie die zukunftsfähige Wirkung der Maßnahmen in dem Einzelplan für Wohnungswesen und Städtebau zerstört wurde. Vieles lässt sich nicht so einfach
zurückholen.
({3})
Sie von der Koalition haben selbst gesagt, es gehe um
eine Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus. Wir
sind natürlich gern dabei. Aber bevor man etwas wiederbeleben kann, muss man sich zunächst eingestehen, dass
eine Sache nahezu tot ist. Hier müssen wirklich große
Anstrengungen unternommen werden. Wir wollen Sie da
mit einem Antrag unterstützen oder behelligen, wie immer Sie es bewerten wollen.
({4})
Wir haben in Ballungsräumen gegenwärtig in der Tat
eine besorgniserregende Mietenexplosion. Ich möchte
ein Beispiel nennen. Ich wohne in Berlin, im Wedding in
der Nähe der Bernauer Straße. Dort ist nach 1961 in hervorragender Weise ein sozialer Wohnungsbau mit historischem Bezug betrieben worden. Jetzt, 25 Jahre nach
dem Mauerfall, besteht die Gefahr, dass diese Errungenschaften des sozialen Wohnungsbaus - welch ein historischer Zynismus - wieder zunichte gemacht werden. So
etwas wollen wir und, so glaube ich, wir alle nicht.
({5})
Frau Ministerin, Sie wissen selbst, dass etliche Ihrer
Förderprogramme in einer Art Treibsand gefangen sind.
Es gibt Förderprogramme, die abgewickelt werden; es
gibt Förderprogramme, deren Mittel aufgestockt werden,
und es gibt welche, deren Mittel reduziert werden. Deshalb werden wir Ihnen im Haushaltsausschuss helfen
- das kann ich Ihnen versprechen; ich bitte, dies nicht als
Drohung zu verstehen -, den Treibsand zu sortieren und
in die Förderprogramme ein gewisse Richtung zu bringen.
Das betrifft insbesondere so erfolgreiche Projekte wie
das Programm „Soziale Stadt“, für das es in Ost und in
West hervorragende Beispiele gibt. Im Westen gibt es
Bremen-Tenever und im Osten Eisenhüttenstadt. Die
Freidemokraten, die das Heil immer nur in der Betonkomponente gesehen haben, haben die vernünftige Logik bekämpft, das Bauliche und das Gesellschaftlich-Soziale zusammenzubringen. Wie es läuft, wenn dieser
Grundsatz nicht beachtet wird, kann man an den Favelas
in Brasilien und an den Townships in Südafrika erkennen. Jetzt kommt es darauf an, diese Kompetenz zu reaktivieren.
({6})
Das Programm „Altersgerecht Umbauen“ im Bestand
wurde schon angesprochen. Lieber Kollege Lemme, ich
hoffe, dass dies nicht nur eine Absicht der Koalition ist.
Dieses Programm kommt aus der Mitte des Parlaments.
Es ist damals so schnell im Bundesetat zustande gekommen, weil sich alle Fraktionen im Bundestag einig waren, dass wir hier etwas Zukunftsfähiges, der demografischen Entwicklung Angepasstes leisten können. Das
muss verdammt noch mal wieder implementiert werden,
allerspätestens 2015.
({7})
Ich will auch sagen, dass mich nach wie vor ärgert,
dass wir uns in ostdeutschen Wohnungsunternehmen immer noch mit den Altschulden, also eigentlich fiktiven
Altschulden, herumplagen müssen. Ich war 1990 in der
Volkskammer und habe damals gute Gründe gehabt, gegen diese Altschuldenbelastung zu sprechen. Aber ich
hätte es nicht für möglich gehalten, dass ich im Jahre
2014 im Deutschen Bundestag darüber immer noch reden muss. Auch hier werden wir mit einem Antrag helfen.
({8})
Sie sind, Frau Ministerin, Inhaberin einer Schlossbaustelle geworden. Dazu kann man Ihnen, glaube ich, nicht
wirklich gratulieren. Sie tragen jetzt auch die politische
Verantwortung für das Bundesamt für Bauwesen und
Raumordnung in Bonn, schonend formuliert: ein Bundesamt in einer sehr schwierigen Situation. Nun haben
Sie trotzdem am Anfang gesagt, dass Sie sich freuen, Ihren Job zu machen. Ich kann Ihnen dazu nur eines anbieten: diese Freude auszufüllen. Ich glaube, gegen oder
ohne die Opposition kann das nichts werden. Bei einem
vernünftigen Umgang mit der Opposition könnte es geradezu klappen. Alles Gute!
({9})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Anja Weisgerber für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Der Einzelplan für das Umwelt- und Bauministerium ist an diesem langen Beratungstag leider der
letzte Tagesordnungspunkt.
({0})
Wir sollten diese Debatte aber dennoch sehr konzentriert
führen; denn auch hier geht es um wichtige Themen für
die Menschen in unserem Land.
Das Umweltressort hat in dieser Legislaturperiode ein
neues Gesicht bekommen: Zur Umweltpolitik ist die
Baupolitik hinzugekommen. Damit gibt es auch neue
Herausforderungen. Diesen Herausforderungen trägt der
vorliegende Haushaltsentwurf Rechnung. Damit nehmen
wir unsere Verantwortung für die Bürger, für die Umwelt
und für den Klimaschutz in der Welt wahr.
({1})
Der Schutz unseres Klimas ist eine grenzüberschreitende Herausforderung, die wir nur gemeinsam meistern
können. So ambitioniert wir in Europa und in der Welt in
puncto erneuerbare Energien und Energieeffizienz voranschreiten: Wir Deutsche alleine können das Weltklima nicht retten. Deshalb ist es wichtig, dass wir die
Länder in der Welt, die es selbst nicht schaffen, beim
Klimaschutz mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt unterstützen. Der Haushalt sieht deshalb rund 309 Millionen
Euro für die Internationale Klimaschutzinitiative vor.
({2})
Das ist in unserem Haushalt mehr als doppelt so viel wie
bislang, und das ist auch gut so.
({3})
2015 ist für den Klimaschutz ein wichtiges Jahr. Im
Dezember des nächsten Jahres findet die UN-Klimakonferenz in Paris statt. Dort wird es darum gehen, ob die
Welt das schafft, was in Kopenhagen nicht gelungen ist,
nämlich ein verbindliches Abkommen zur Reduzierung
der Treibhausgasemissionen zu beschließen, ein Abkommen, das die Chance wahrt, den globalen Temperaturanstieg auf 2 Grad zu beschränken. Das, muss man wohl
hinzufügen, ist vielleicht die letzte Chance. Deshalb
brauchen wir dafür alle Länder der Welt.
({4})
Meine Damen und Herren, rund 309 Millionen Euro
für den internationalen Klimaschutz sind viel Geld. Aber
sie sind nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Sie
sind ein sehr wirksamer Hebel, eine Hilfe für die, die bereit sind, zum Klimaschutz etwas beizutragen und diesen
Weg mit uns zu gehen; denn auf diese Weise gewinnen
wir vielleicht auch wichtige Verbündete in der Welt beim
Klimaschutz. Mit den Mitteln der Internationalen Klimaschutzinitiative können wir den Schwellen- und
Entwicklungsländern dabei helfen, dass auch sie ihre
Wirtschaft klimafreundlich aufbauen und die Treibhausgasemissionen bereits an der Quelle reduzieren.
({5})
Wir können den Ländern auch dabei helfen, sich an die
Folgen des Klimawandels anzupassen und die nachhaltige Nutzung von Wäldern und anderen Ökosystemen zu
fördern. Ein Beispiel dafür ist Kolumbien. Dort hat sich
die Regierung zum Ziel gesetzt, die Entwaldung bis
2020 vollständig zu stoppen. Das ist ein effektiver
Schlüssel im Kampf gegen den Klimawandel. Deshalb
ist unser Geld dort gut angelegt.
({6})
- Ich hätte mich gefreut, wenn zumindest in diesem
Punkt auch die Fraktion der Grünen geklatscht hätte.
({7})
Ein Problem, mit dem die Städte insbesondere in den
Ballungsgebieten zu kämpfen haben, ist die hohe Feinstaubbelastung. Im Europaparlament habe ich die Revision der Feinstaubrichtlinie mit verhandelt und weiß
daher, dass Feinstaub eine ernstzunehmende umweltbedingte Gesundheitsgefahr ist, die die Atemwege schädigt; das hat die Weltgesundheitsorganisation jüngst
wieder festgestellt. Deshalb ist es wichtig, dass wir die
Luftqualität nachhaltig verbessern und den Feinstaub an
der Quelle bekämpfen.
({8})
Wir haben daher im Koalitionsvertrag festgeschrieben,
dass wir die Umrüstung mit Rußpartikelfiltern für Pkw
und leichte Nutzfahrzeuge weiter fördern wollen.
({9})
Doch leider habe ich keinen entsprechenden Posten im
Haushalt gefunden. Liebe Ministerin Hendricks, wir von
der CDU/CSU fordern dies jedoch mit Nachdruck und
gehen davon aus, dass die Förderung dennoch mit freien
Mitteln aus dem Umwelthaushalt fortgesetzt wird.
({10})
Aktuell wird die öffentliche Debatte sehr stark durch
die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes geprägt,
so auch die Haushaltsdebatte der Wirtschaftspolitiker
heute Morgen. Ausbautempo der erneuerbaren Energien,
Fördersätze und Belastungen sind für Industrie und Verbraucher die vorherrschenden Themen. Über die andere
Seite der Medaille wird viel zu wenig gesprochen: die
Energieeffizienz. Darin steckt aber viel Einsparpotenzial
gerade im Gebäudebereich. Lassen Sie mich das an einigen Zahlen belegen: Rund 40 Prozent des Energieverbrauchs und etwa ein Drittel CO2-Emissionen in
Deutschland fallen im Gebäudebereich an. Etwa Dreiviertel des Altbaubestands wurden vor 1979 errichtet,
also bevor die erste Wärmeschutzverordnung in Kraft
trat. Rund 70 Prozent dieser Gebäude haben gar keine
Dämmung. Bei 20 Prozent ist sie unzureichend. 80 Prozent der Heizungen sind heute nicht auf dem Stand der
Technik. Dieses Einsparpotenzial müssen wir nutzen.
Mit Förderprogrammen alleine - so wichtig sie sind wird es uns aber nicht gelingen, die Sanierungsquote zu
verdoppeln. Deshalb fordere ich heute - genauso wie bereits in der Klimadebatte in der letzten Woche -: Es ist
unumgänglich, dass wir in Deutschland das Thema steuerliche Absetzbarkeit von Investitionen bei der Gebäudesanierung angehen. Dafür sollten wir als Umweltpolitiker gemeinsam kämpfen.
({11})
- Darauf gehe ich gleich ein. - Ich möchte an die Bundesländer appellieren, an denen die steuerliche Förderung in der letzten Legislaturperiode gescheitert ist: Bitte
bewegt euch! Das ist meine Botschaft an die Bundesländer.
({12})
Schiebt den Schwarzen Peter nicht immer zum Bundesfinanzminister!
({13})
Jeder investierte Euro, der circa 7 Euro an Folgeinvestitionen auslöst, kommt über die Steuereinnahmen wieder
zurück. Deshalb ist die Energieeffizienz für uns alle ein
Gewinnerthema.
({14})
Das sollten sich die Länder vor Augen führen.
({15})
Auch die Städtebauförderung kann einen wichtigen
Beitrag zur Steigerung der Energieeffizienz leisten. Die
Erhöhung der Mittel auf das Rekordniveau von 700 Millionen Euro ist daher ausdrücklich zu begrüßen. Das ist
ein starkes und wichtiges Signal an die Städte und Gemeinden in Deutschland.
({16})
Mit dem Programm „Soziale Stadt“ nehmen wir die Herausforderungen ernst, denen einige Städte durch Armutszuwanderung gegenüberstehen. Allerdings müssen
wir dabei, wie wir es in der Koalitionsvereinbarung festgehalten haben, endlich den ressortübergreifenden Ansatz anwenden. Städtebauförderung ist vor allem ein investives Element mit hoher Hebelwirkung. Deshalb hat
sich meine Fraktion ausdrücklich dafür eingesetzt, dass
die Programme „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau
West“ weiterhin den Schwerpunkt bilden.
Als Abgeordnete aus dem ländlichen Raum möchte
ich ganz deutlich betonen: Wir dürfen den Fokus nicht
nur auf die Städte legen, sondern wir brauchen auch die
Förderung im ländlichen Raum. Dort ist sie ganz besonders wichtig.
({17})
Städtebauförderung und die Förderung des ländlichen
Raumes sind auch im Hinblick auf die Flächen, die
durch die Bundeswehrreform und den Abzug von Gaststreitkräften frei werden, wichtig. Der Abzug von mehreren Tausend Gastsoldaten stellt für die Kommunen
einen enormen Einschnitt dar, und zwar für den Wohnungsmarkt, für die Wirtschaft, das Handwerk und den
Handel. Wenn große Kasernenanlagen plötzlich leer stehen, stellt das die Kommunen auch vor riesige städtebauliche Herausforderungen, Herausforderungen, die die
Kommunen auch als Chance nutzen können. Deshalb
sollte der Staat die Städte in Zukunft noch stärker durch
Städtebauförderungsmittel unterstützen.
({18})
Zum Abschluss möchte ich noch das Thema Hochwasserschutz ansprechen. Vor einem knappen Jahr haben
uns verheerende Hochwasser in Teilen Deutschlands
heimgesucht. Wir haben schnell reagiert und uns darauf
verständigt, ein nationales Hochwasserschutzprogramm
zu erarbeiten. Hier aber mein Appell: Die Finanzierung
dieses nationalen Hochwasserschutzprogramms darf
nicht zulasten der Förderung der ländlichen Räume im
Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe gehen. Die Dramatik der Ereignisse vor einem Jahr zeigt, dass wir beides
brauchen: ein Hochwasserschutzprogramm und die Gemeinschaftsaufgabe.
Vielen Dank.
({19})
Als nächster Rednerin erteile ich Kollegin Sylvia
Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir reden heute Abend auch über das
Schlimmste, was wir allen nachfolgenden Generationen
hinterlassen, den Atommüll, den Müll einer zukunftsvergessenen technologischen Fehlentscheidung, der Ignoranz von Risiken und Unwissen. Ja, so ist es: unverantwortlich.
Von daher ist es vielleicht sogar verständlich, dass
bisher keiner Verantwortung übernehmen wollte: hinund hergeschoben, in der Asse und in Morsleben versenkt, nach Frankreich zur Vermehrung verschickt und
für den radioaktiven Teil als Endlager Gorleben ausgeguckt, das so schön weit weg am ehemaligen Rand der
ehemaligen Republik lag. Dass der Müll dort nicht
längst versenkt wurde, ist Bürgerinitiativen zu verdanken, die 30 Jahre lang darauf hingewiesen haben, dass
ein solches Verfahren niemals Akzeptanz finden wird.
({0})
Um politisch endlich eine Verantwortungsübernahme
zu organisieren, brauchte es diejenigen, die sich im
Kampf gegen die Atomkraft als Partei gegründet haben,
die Grünen, es brauchte einen grünen Ministerpräsidenten und einen Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg,
der den Anstoß zur vergleichenden Endlagersuche festschrieb.
Es brauchte aber auch eine Neuausrichtung in der
Union, die kurz vorher in ihrem Abschlussbericht zum
Untersuchungsausschuss Gorleben dessen Auswahlverfahren noch als zielführend und beispielhaft festschrieb.
Diese Fähigkeit zur Neuausrichtung verdient Respekt.
Es war kein Selbstläufer, ausreichend politische Kräfte
in Bund und Ländern hinter dem Willen zum Neustart in
der Endlagersuche zu versammeln. Den breiten politischen Konsens zu erreichen, war ein langer Verhandlungsweg, bei dem - das ist richtig - die Zivilgesellschaft wenig eingebunden war.
Deshalb gibt es jetzt eine Kommission aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft, in deren Hände der Bundestag die nächsten Entscheidungen legt. Da geht es um die
Auswahl der Kriterien, neue Entwicklungen von Partizipation und die Evaluation des Standortauswahlgesetzes.
Nun gibt es die Kritik, dass die Kommission nur empfiehlt. Ja, am Ende entscheidet der Deutsche Bundestag
über die Empfehlungen der Kommission. Das sieht unsere Verfassung so vor. Aber den Empfehlungen einer
heterogenen, repräsentativ zusammengesetzten Kommission wird sich der Bundestag nicht entziehen können.
Deshalb, um den Bundestag auf die Ergebnisse und die
Empfehlungen der Kommission zu verpflichten, sind
auch die Wissenschaftler so heterogen zusammengesetzt, wie sie es eben sind.
Wir haben die Kommission heute eingesetzt. Leider
war das der Großen Koalition keine eigene Debatte wert.
Deswegen behandeln wir das jetzt hier etwas unwürdig.
Es fehlen in der Kommission für uns Grüne zwei elementar wichtige Namen: die Vertreter der Umweltverbände und Initiativen. Es fehlen die Namen derjenigen,
ohne deren jahrzehntelange Proteste gegen Atomkraft,
Atommülltransporte und falsche Endlager wir diese Debatte heute nicht führen würden.
({1})
Diese wichtigen Akteure mit ihrer hohen Kompetenz
sind für die Kommission nicht verzichtbar. Ich hoffe und
ich baue darauf, dass sie ihre Plätze in der Kommission
einnehmen.
Frau Kollegin?
Bitte schön.
Eine Zwischenfrage des Kollege Zdebel ist angemeldet. Mögen Sie sie hören?
Gerne.
Bitte schön.
Herzlichen Dank, Sylvia Kotting-Uhl, dass du die
Zwischenfrage zugelassen hast. - Ich frage mich, warum
du bzw. ihr der Einsetzung der Kommission jetzt schon
zugestimmt habt und den Umweltverbänden nicht mehr
Zeit gegeben habt, um tatsächlich mehr Vertrauensbildung zu ermöglichen. Es wäre durchaus möglich gewesen - auch ich habe an den Gesprächen teilgenommen -,
die Einsetzung der Kommission zum Beispiel um einige
Monate zu verzögern. Eure Zustimmung hat mich sehr
befremdet, ehrlich gesagt. Deswegen meine Frage an
dieser Stelle.
Vielen Dank für deine Frage. - Wir haben darüber ja
geredet. Ich meine, ich habe deutlich gemacht, dass ich
glaube, dass wir uns nicht leisten können, diese Kommission vor der Sommerpause nicht mehr ans Arbeiten
zu bringen.
({0})
Das wäre natürlich der Fall, wenn wir fünf Wochen abwarteten, bis wieder der Bundesrat beschließen kann;
denn der Einsetzung der Kommission muss der Bundesrat als zweites Gremium genauso wie der Bundestag zustimmen.
Die Umweltverbände haben nicht gefordert, nur diese
fünf Wochen zu warten, sondern sie wollten eigentlich
jetzt in einen Debattenprozess eintreten, den ich durchaus positiv bewerten würde, was aber hieße, dass wir gar
nicht wissen, ob wir selbst in dieser Legislatur überhaupt
noch dazu kommen, diese Kommission einzusetzen.
Weitere fünf Wochen Wartezeit hätten tatsächlich bedeutet, dass wir durch all die sich anschließenden Phasen
vor der Sommerpause vielleicht die konstituierende Sitzung, wahrscheinlich aber nicht mehr eine Arbeitssitzung hätten durchführen können. Das heißt, es hätten
auch über die Sommerpause keine Arbeitsaufträge vergeben werden können, und es wäre wieder ein halbes
Jahr verloren gewesen. Das empfinde ich als zu lang.
Ich habe die Umweltverbände bei unseren letzten Debatten nicht mehr so verstanden, dass es für sie ein extrem wichtiger Punkt sei, dass wir noch warteten. Vielmehr habe ich sie so verstanden, dass sie bereit sind, sich
jenseits davon jetzt zu verständigen, ob die Bedingungen
in der Kommission so sind, dass sie teilnehmen wollen
oder nicht. Diese Entscheidung können wir ihnen auch
nicht abnehmen.
({1})
Aus den Umweltverbänden kam viel Kritik am Gesetz, am Verfahren, an der Zusammensetzung der
Kommission. Als eine, die wie manche meiner Parteifreundinnen und -freunde länger Mitglied in einem Umweltverband als Mitglied der Grünen ist, kann ich einiges an dieser Kritik durchaus nachvollziehen. Auch als
Politikerin sage ich: Ja, man hätte manches in den letzten
beiden Jahren besser machen können - das BMU, wir
Parlamentarierinnen, ich. Auch die Umweltverbände
hätten einiges besser machen können: früher diskutieren,
früher manch guten Vorschlag einbringen.
Aber ich sage auch, dass die Zeit des Wartens, der
Verhandlungen und der Vordebatten jetzt vorbei ist. Es
ist ein falscher Denkansatz, dass es bei einer Aufgabe,
deren Auswirkungen sich über 1 Million Jahre erstrecken, egal ist, wann man damit anfängt. Politische Mehrheiten und Regierungen wechseln. Ich möchte nicht der
Möglichkeit Raum geben, dass sich in den Ländern
mehrheitlich wieder die Meinung breitmacht, dass die
Lösung Gorleben doch eigentlich ganz praktisch war.
Ich möchte auch nicht, dass die Ergebnisse der Kommission im nächsten Bundestagswahlkampf zerrieben werden.
Die Kommission muss jetzt anfangen, zu arbeiten. Sie
ist mindestens für die nächsten zwei Jahre der Ort der
Auseinandersetzung und der Entscheidungen. Sie bekommt vom Bundestag eine hohe Legitimation und eine
hohe Kompetenz, ihre Entscheidungen eigenständig zu
treffen, ohne Rücksicht auf Interessen. Was sie erarbeitet
und vor allem wie sie arbeitet, wird entscheidend dafür
sein, ob in der Gesellschaft Vertrauen in das Verfahren
der Endlagersuche entsteht. In dieser Metaaufgabe der
Kommission liegt die nicht geringe Gefahr ihres Scheiterns. Atommüll und Vertrauen sind kein Begriffspaar,
das sich aufdrängt.
Deshalb sind auch außerhalb der Kommission weitere
vertrauensbildende Maßnahmen notwendig. Die Bereitschaft zum Neuanfang muss erkennbar sein. Da geht es
um den alten Planfeststellungsantrag für Gorleben, den
Ministerin Hendricks zurückziehen muss. Es geht um
die neue kerntechnische Behörde, in der keine Abteilungen aufgebaut werden dürfen, die vor der Evaluierung
des Gesetzes Fakten schaffen.
({2})
Es geht um die 26 Castoren, die nicht mehr ins Zwischenlager Gorleben transportiert werden dürfen. Für
den Vertrauensaufbau reicht es eben nicht, wenn sich bei
der Lastenverteilung immer nur grüne Umweltminister
melden. Da muss auch mal ein schwarzer dabei sein.
({3})
Ich warte auf das Signal aus Bayern, sich an dieser politischen Aufgabe des Vertrauensaufbaus zu beteiligen.
Wir Grüne werden den Deutschen Bundestag erneut
auffordern, die Rückstellungen der AKW-Konzerne in
einen öffentlich-rechtlichen Fonds zu überführen. Die
gründliche Endlagersuche darf nicht unter Kostendruck
geraten, falls die Konzerne dank eines falschen Wirtschaftsmodells in den nächsten Jahren zahlungsunfähig
werden. Die Rückstellungen für die Entsorgung müssen
rechtzeitig gesichert werden.
Die Materie Atommüll trägt allerdings den Zweifel
und das Misstrauen in sich.
Frau Kollegin, Sie gucken ab und zu auf die Uhr?
Ich komme zu meiner letzten Aussage, wenn Sie mir
die noch erlauben, Herr Präsident. - Sowenig wir einen
Endlagerstandort finden werden, in dessen Sicherheit
wir alle zweifelsfrei vertrauen, sowenig werden wir ein
Verfahren finden, das alles Misstrauen überwindet. Das
entledigt uns nicht der Aufgabe, uns um den Müll zu
kümmern. Es ist gut, dass Bundestag und Bundesrat mit
dem Standortauswahlgesetz und dem Einsetzen der
Kommission die ersten Schritte gemeinsam unternommen haben. Es ist der Anfang auf einem langen, nicht
leichten Weg, und das ist mehr, als wir alle in diesem
Haus noch vor zwei Jahren gedacht hätten.
Vielen Dank.
({0})
Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen
Dr. Matthias Miersch, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu
dieser späten Stunde auch ein herzliches Willkommen
den Besucherinnen und Besuchern! Ich sehe, es sind vor
allen Dingen jüngere. Schön, dass ihr hier ausharrt!
({0})
Ich will heute ganz bewusst einmal anders anfangen,
weil ich glaube, dass diese Debatte, in der es eigentlich
darum geht, wie viel Geld wir in die Umweltpolitik, in
die Baupolitik dieses Landes stecken, ein schönes Beispiel - „schön“ in Anführungsstrichen! - dafür gibt, dass
die Grundsätze der Haushaltspolitik - man kann immer
nur das ausgeben, was man eingenommen hat - gerade
im Bereich der Umweltpolitik jedenfalls nicht immer
gelten.
Am Beispiel Atomenergie können wir etwas erkennen. Es ist viele Jahrzehnte den Menschen versprochen
worden: Hier handelt es sich um eine ganz billige Energie. - Wir sehen heute, dass wir es sein werden, dass ihr
es sein werdet, dass es zukünftige Generationen sein
werden, die viele Milliarden dafür aufbringen müssen,
dass der Müll aus der Energie, von der viele keinen Nutzen mehr haben, einigermaßen sicher verwahrt werden
kann. Es ist alles andere als eine billige Energie. Es ist
alles andere als nachhaltig gewesen, was viele Jahrzehnte praktiziert worden ist, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
({1})
Man muss sagen, dass das, was hier heute beschlossen worden ist, zumindest ein erster wichtiger Schritt ist,
nämlich auf die Suche zu gehen nach einer Lösung für
ein, wie ich es nenne, Menschheitsproblem.
Es gibt derzeit weltweit kein Beispiel eines funktionierenden Endlagers. Wir haben etwas begonnen, was es
in der Bundesrepublik Deutschland noch nie gegeben
hat. Wir haben ein Gesetz beschlossen, das ein Element
enthält, in dem der Gesetzgeber selbst sagt: Wir wollen
lernen. Wir wollen eine Kommission aus Vertretern zivilgesellschaftlicher Gruppen einsetzen, die uns sagt, ob
wir hier auf dem richtigen oder auf dem falschen Weg
sind. - Dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist für
mich jedenfalls ein wichtiger Schritt und gibt Anlass,
den Umweltverbänden, die damit jetzt noch hadern, zu
sagen: Bitte gebt uns einen Vertrauensvorschuss! Macht
mit bei dieser wichtigen Arbeit!
({2})
Natürlich ist es in einer Haushaltsdebatte so, dass man
als Opposition die Regierung angreift. Aber ich will an
dieser Stelle schon sagen: Es ist kein selbstverständlicher Schritt gewesen, den Barbara Hendricks als zuständige Umweltministerin gemacht hat, indem sie die Klage
gegen die Aufhebung des Rahmenbetriebsplans in Gorleben zurückgenommen hat. Das war ein ganz wichtiger
vertrauensbildender Schritt, und dafür gebührt ihr auch
unser Dank.
({3})
Aber die Fragen sind offen. Ob es uns gelingt, das Misstrauen der letzten Jahrzehnte in Vertrauen umzuwandeln
- davon bin ich überzeugt -, wird uns nur durch aktives
Handeln gelingen. Wir werden das nicht versprechen
können, sondern wir werden beweisen müssen, wie wir
als Gesetzgeber mit den ersten Ergebnissen der Kommission umgehen, wenn sie vorliegen. Ich wünsche mir
sehr, dass nicht zwei Jahre gewartet wird, sondern dass
es unter Umständen auch in Form von Zwischenberichten möglich ist, dass sich der Deutsche Bundestag frühzeitig mit den Dingen auseinandersetzt, um weitere vertrauensbildende Signale zu setzen. Ich glaube, für diese
Arbeit wäre es ein ganz wichtiger Schritt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Da man nur eine begrenzte Redezeit hat, sage ich abschließend, dass ich von den letzten Wochen sehr beeindruckt gewesen bin, weil es uns gelungen ist, das, was
Maria Flachsbart und Ute Vogt als zuständige Berichterstatterinnen im letzten Jahr mit Sylvia Kotting-Uhl
begonnen haben, auch im 18. Deutschen Bundestag fortzusetzen. Ich bedanke mich bei meinen Berichterstatterkollegen Steffen Kanitz, Sylvia Kotting-Uhl, aber auch
Hubertus Zdebel, der konstruktiv mitgearbeitet hat. Am
Ende konnten wir nicht zusammenkommen. Ich bin mir
aber sehr sicher, dass es uns gelingt, bei dieser großen
Frage zusammenzubleiben; denn es lohnt sich kein
parteipolitischer Streit. Wenn uns das bei den nächsten
großen Schritten, die skizziert worden sind, zum Beispiel im Bereich des Klimaschutzes - Frau Weisgerber,
ich nehme es gerne auf -, gelingen soll, dann werden wir
Barbara Hendricks gegenüber dem Finanzminister den
Rücken stärken müssen und deutlich machen, dass auch
hier möglicherweise die schwarze Null nicht alles ist,
sondern dass manche Investition für die Zukunft besser
ist. Gerade beim Klimaschutz gilt, dass jeder Euro wichtig ist. Insofern lassen Sie uns bei dieser Frage zusammenbleiben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen
Carsten Müller, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man hier vorne steht, dann ist es insbesondere
für jemanden, der aus dem östlichen Niedersachsen
kommt, zunächst verlockend, einige Worte zum Thema
Asse und Asse-Fonds zu verlieren. Ich habe die Bundesumweltministerin gehört und darf meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dass der um 20 Millionen Euro gekürzte
Ansatz bei der Asse nicht zu Verzögerungen führt. Ich
hoffe auch, dass sich in Sachen Asse-Fonds noch etwas
tut. Ich finde es prima, dass der Vorgänger Peter
Altmaier diesen Haushaltstitel aufgenommen hat. Das,
meine Damen und Herren, waren nur einleitende Bemerkungen.
Ich will heute ein Thema ansprechen, das bisher leider nur in der Rede meiner Kollegin Anja Weisgerber
angerissen wurde. Das ist das Thema Mobilität, Verkehr.
({0})
- Herr Kindler, seien Sie ganz beruhigt. Ich habe nicht
vor, auf Sie im Besonderen einzugehen, obwohl es sich
wahrscheinlich lohnen würde.
Meine Damen und Herren, Mobilität und Verkehr
sind eine wichtige Voraussetzung für persönliche Freiheit, für gesellschaftliche Teilhabe und natürlich auch
für Wohlstand und Wirtschaftswachstum. Aber wenn wir
dieses Thema behandeln, dann müssen wir im Blick behalten, dass wir Mobilität so gestalten müssen, dass wir
Ressourcen schonen und dass Mobilität nachhaltig
bleibt.
Im Energiekonzept 2010 wurde der Auftrag für den
Verkehrsbereich sehr präzise formuliert: Der Endenergieverbrauch muss reduziert werden, und zwar bis zum
Jahr 2020 um rund 10 Prozent. Bis zum Jahr 2050 haben
wir uns eine Absenkung um 40 Prozent im Vergleich zu
den Zahlen von 2005 vorgenommen. Meine Damen und
Herren, wir sind auf dem richtigen Weg. Erste Erfolge
zeichnen sich ab. Bisher ist es uns gelungen, den
Endenergieverbrauch im Vergleich zum Wert von vor
15 Jahren um 7,5 Prozent zu reduzieren. Aber das reicht
noch nicht. Die Geschwindigkeit muss erhöht werden.
Das ist natürlich auch dem Umstand geschuldet, dass der
Personen- und auch der Güterverkehr in der Vergangenheit quantitativ zugenommen haben.
Meine Damen und Herren, Pkw haben heute einen um
9 Prozent geringeren Schadstoffausstoß als im Jahr
1995. Bei Lkw ist uns ein noch größerer Schritt gelungen. Wir sind hier bei einer Minderung um rund 28 Prozent des Treibhausgasausstoßes und der Luftschadstoffe
angekommen. Ich habe es, glaube ich, in der letzten
Woche schon einmal gesagt - die Zahl finde ich persönlich sehr eindrucksvoll -: Gegenüber 2006 konnten der
CO2-Ausstoß neu zugelassener Pkw deutscher Marken
um 22 Prozent reduziert werden, und zwar von durchschnittlich 175 auf 136 Gramm pro Kilometer. Auch dieses Haus geht mit gutem Beispiel voran.
Diese Ergebnisse können sich sehen lassen. Die
Anstrengungen müssen fortgesetzt werden. Ich begrüße
sehr, dass das Ministerium im Verkehrsbereich sozusagen einen Dreiklang aus Forschen, Prüfen und Weiterentwickeln auf den Weg gebracht hat: Forschen zu
Mobilitätskonzepten und zum Mobilitätsverhalten, Prüfen und Messen von Emissionen, Weiterentwickeln von
Kraftstoffen und insbesondere Antriebssystemen.
Hierbei wird Elektromobilität eine ganz besondere
Rolle spielen. Sie ist der Schlüssel zu einer klimafreundlichen Mobilität und zu einem nachhaltigen Wandel in
diesem Bereich. Wir haben dort noch einiges zu tun. Eines ist ziemlich klar und liegt auf der Hand: Wir werden
das ursprünglich gesteckte Ziel von 1 Million elektrisch
angetriebenen Kraftfahrzeugen im Jahre 2020 nicht
erreichen können. Wir haben heute leider erst 13 000
elektrisch angetriebene Fahrzeuge auf den Straßen. Wir
haben aber immerhin im Jahr 2013 eine Verdopplung der
Neuzulassungen zu verzeichnen gehabt.
Ich finde es im Übrigen gut, dass die deutschen Kraftfahrzeughersteller bis Ende dieses Jahres 16 Serienmodelle mit Elektroantrieb auf den Markt gebracht
haben werden. Das zeigt uns, dass wir insbesondere für
diesen Bereich stabile Rahmenbedingungen brauchen.
Aus einem Gespräch vor gar nicht allzu langer Zeit
habe ich eine in diesem Haushalt gleichwohl noch nicht
abgebildete, aber für die Zukunft durchaus überlegenswerte Idee mitgenommen, nämlich tatsächlich darüber
nachzudenken, ob es gegebenenfalls Sinn macht, dass
wir bei der Besteuerung von Dienstwagen auch zur
Carsten Müller ({1})
privaten Nutzung die Bemessungsgrundlage bei Elektrofahrzeugen halbieren. Das würde der derzeitigen Situation durchaus Rechnung tragen, dass man für ein elektrisch angetriebenes Fahrzeug heute einen etwa doppelt
so hohen Kaufpreis aufwenden muss wie für ein vergleichbares konventionell angetriebenes Fahrzeug. Denn
das, meine Damen und Herren, macht es jetzt für den
steuerpflichtigen Endnutzer erst einmal unattraktiv, sich
für ein solches Fahrzeug zu entscheiden. Ich halte diese
Idee jedenfalls für verfolgenswert. Wir sollten gemeinsam Überlegungen dazu anstellen.
({2})
Meine Damen und Herren, ich will einen zweiten
Punkt konkret ansprechen - Anja Weisgerber hat ihn
schon angesprochen -: Partikelfilter. Auch dieser Punkt
war hier in der letzten Woche Gegenstand einer Debatte.
Ich hatte da gesagt: Sehr geehrte Frau Ministerin, da
muss Ihrem Haus einfach ein bedauerlicher Fehler unterlaufen sein. - Denn der Ansatz für die Förderung des
Einbaus von Partikelfiltern wurde auf null reduziert, und
das kann eigentlich nicht sein, und zwar, weil wir mit
dem Nachrüstprogramm eigentlich hervorragende Ergebnisse erzielt haben: Wir haben in den letzten zwei
Jahren hierfür 60 Millionen Euro zur Verfügung gestellt,
und 186 000 Fahrzeuge konnten nachgerüstet werden.
Das führt im Übrigen zu einer Wertschöpfung, die im
örtlichen Handwerk verbleibt und damit unseren Regionen zugutekommt. Der relativ schwere Fehler, diese
Mittel zu streichen - wahrscheinlich nur ein redaktioneller Fehler -,
({3})
muss meines Erachtens behoben werden. Ich habe einmal genauer nachgeschaut: Es kann tatsächlich nur ein
Irrtum sein, weil wir eine entsprechende Vereinbarung
im Koalitionsvertrag festgehalten haben.
({4})
Insofern glaube ich, meine Damen und Herren - da war
Herr Kollege Kindler etwas zu kleinmütig -, dass es dort
ganz bestimmt eine Entwicklung geben wird. Das wäre
im Sinne des Klimaschutzes gut angelegtes Geld.
({5})
- Immer schön sachte.
({6})
Ich will abschließend vier Leitlinien unserer Mobilitätspolitik im Umweltbereich aufzählen:
Erstens. Nachhaltige Mobilität darf weder die Unternehmen noch die Bürgerinnen und Bürger überfordern.
Zweitens. Nachhaltige Mobilität benötigt klare,
verlässliche Rahmenbedingungen. Dazu habe ich eben
etwas ausgeführt.
Drittens. Nachhaltige Mobilität muss allerdings auch
bezahlbar bleiben.
Viertens. Nachhaltige Mobilität muss die Wettbewerbsfähigkeit unserer deutschen Wirtschaft stärken.
Ich glaube, wir sind mit dem Haushaltsansatz insgesamt auf einem guten Weg.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit zur späten
Stunde.
({7})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kollegin Ute Vogt, SPD-Fraktion.
({0})
Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die bisherige Debatte hat gezeigt,
dass dieses Parlament in der nachfolgenden Haushaltsberatung in den Ausschüssen noch einiges zu tun hat.
Viele Bereiche wurde angesprochen, in denen wir Parlamentarier gefragt sind, mit dem Finanzminister um die
Stärkung des einen oder anderen Bereichs oder um eine
Aufstockung zu ringen. Ich freue mich über die Unterstützung des ganzen Hauses, beispielhaft will ich die
Aufstockung des Waldklimafonds und das Thema Hochwasserschutz nennen.
({0})
Wir befinden uns in der wunderbaren Situation, dass
der Finanzminister gleich zwei Häuser glücklich machen
kann; denn sowohl in Bezug auf den Waldklimafonds als
auch in Bezug auf den Hochwasserschutz sind das
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft involviert. Sie haben dort
sozusagen Aktien, sie müssen Gelder investieren.
Deshalb ist es wichtig - es wäre besonders ertragreich -,
dass wir alle daran arbeiten, dass der Finanzminister in
diesen Bereichen noch einmal deutlich nachlegt.
({1})
Das neu geschaffene Umweltministerium, das sich
um die Themen Umwelt und Bau kümmert, ist ein gutes
Umfeld für sozialdemokratische Politik. Ich freue mich,
dass die Christdemokraten diesen Weg mitgegangen
sind; denn für uns geht es in der Umweltpolitik nicht nur
um gesunde Umwelt für einige wenige, sondern in der
Umweltpolitik geht es immer auch um die soziale Gerechtigkeit in einer Gesellschaft.
({2})
Es geht darum, dass wir ein gutes Leben ermöglichen:
in guten Wohnungen, in Städten, in denen es Lebensräume gibt, wo sich Menschen entfalten können. Gutes
Leben bedeutet aber auch: saubere Luft, geschützt vor
Lärm und vor umweltschädigenden Einflüssen. In diesem Sinne war es gut, dass uns die Zusammenführung
des Hauses gelungen ist. Für uns stellt sich auch die
Frage, wie wir das gute Leben mit konkreten Projekten
ausfüllen.
Ich möchte ein Projekt ansprechen, das in den letzten
Jahren ein etwas stiefmütterliches Dasein gefristet hat:
die Energieeffizienz.
({3})
Sie ist der unterschätzte Sektor, wenn es darum geht,
tatsächlich mehr Reserven zu mobilisieren, vor allen
Dingen jetzt, wo es darum geht, Unabhängigkeit zum
Beispiel von Gasimporten zu erlangen. Deshalb freue
ich mich, dass in dem vorliegenden Haushaltsentwurf
auch für diesen Bereich Ansätze vorhanden sind. Ich
hoffe, dass wir stärker in das Thema einsteigen werden
und dass zum Beispiel der EU-Gipfel im Juni ein Effizienzgipfel sein wird und nicht etwa ein Fracking- oder
gar ein Atomgipfel auf EU-Ebene.
({4})
Ich darf zum Abschluss ergänzen, dass ich als früheres Mitglied des Untersuchungsausschusses Gorleben
die Freude der Kolleginnen und Kollegen teile, dass wir
jetzt den ersten Schritt gemacht haben, Schlussfolgerungen aus dem Ausschuss zu ziehen und eine neue Endlagersuche zu beginnen. Die Kommission steht. Ich darf
mich den Wünschen anschließen und hoffe, dass wir in
diesem Hohen Hause, wie in der vergangenen Legislaturperiode begonnen, trotz aller Schwierigkeit, die dieses Thema mit sich bringt, möglichst sachlich und
Schulter an Schulter vorgehen. Nur so können wir der
Verantwortung, dieses schwierige Problem zu lösen, gerecht werden.
Vielen Dank.
({5})
Als letztem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen
Christian Hirte, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Einige meiner Vorredner, auch die Ministerin,
hatten bereits darauf hingewiesen, dass der Etat in
diesem Jahr erheblich von den Vorjahresetats abweicht,
was an der Übernahme des Baubereichs, aber auch der
Übertragung des Kapitels der erneuerbaren Energien in
das Wirtschaftsressort, also im Wesentlichen am neuen
Zuschnitt liegt. Damit hat sich der politische Fokus
natürlich deutlich verschoben.
Wir haben einen Mittelaufwuchs von 1,6 Milliarden
auf 3,6 Milliarden Euro zu verzeichnen. Das ist eine so
gewaltige Steigerung, immerhin um über 100 Prozent,
dass wir Haushälter in der CDU/CSU-Fraktion uns darauf verständigt haben, diesen Etat künftig doppelt zu
betreuen. Ich bin für den Bereich Umwelt zuständig,
mein Kollege Dr. Berghegger, der im Anschluss reden
wird, ist für den Bereich Bau zuständig.
In den letzten Reden zur Einbringung des Einzelplans 16 haben wir hauptsächlich über die Energiewende
und viel weniger über Klima- und Umweltschutz gesprochen, weil wir anscheinend gemeinsam der Auffassung
waren, das sei irgendwie dasselbe. Bei allen Differenzen
und bei allem politischen Streit über den richtigen Weg
in der Energiepolitik sollten wir eines nicht vergessen:
Die Energiewende selbst ist nicht das eigentliche Ziel.
Sie ist nur Mittel zum Zweck. Nicht etwa, weil Kohlestrom altmodisch ist, haben wir mit dem Energiekonzept
eine Neuorganisation unserer Energieversorgung initiiert. Der eigentliche Grund war, Ressourcenschonung
zu betreiben und vor allem den CO2-Ausstoß zu vermindern, um den Treibhauseffekt zu begrenzen.
Die Oppositionsparteien, allen voran die Kollegen
von den Grünen, werden nicht müde, immer wieder zu
betonen, dass sich die Bundesregierung bei der Finanzierung von internationalen Klimaschutzprojekten aus der
Verantwortung stehlen wolle.
({0})
Dem ist mitnichten so.
({1})
Die Industrieländer haben zugesagt, die Entwicklungsländer bei ihren notwendigen Reformen und Transformationsprozessen hin zu einer kohlenstoffarmen und klimaangepassten Entwicklung finanziell zu unterstützen.
({2})
So haben sich die Industrieländer 2009 im Copenhagen
Accord dazu bekannt, langfristig, ab 2020, 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr aus unterschiedlichen Finanzierungsquellen bereitzustellen.
({3})
Die in Kopenhagen ebenfalls gemachte Fast-Start-Zusage, im Zeitraum 2010 bis 2012 zusätzliche öffentliche
Mittel in Höhe von 30 Milliarden US-Dollar bereitzustellen, haben die Industrieländer eingelöst. Dabei sind
die Zusagen der EU, auch diejenigen der Bundesrepublik Deutschland, übererfüllt worden.
({4})
Blicken wir zurück: Im Jahr 2013 hat Deutschland
1,8 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt nach
1,66 Milliarden Euro im Vorjahr.
Damit der Green Climate Fund bald seine Arbeit
aufnehmen kann, haben Umwelt- und EntwicklungshilChristian Hirte
feministerium bereits jetzt je 1 Million Euro für den
Verwaltungshaushalt zugesagt. Die Bundesregierung
geht derzeit auf der Grundlage des Arbeitsplans des
Green Climate Fund Boards für 2014 davon aus, dass die
erste Auffüllung noch in diesem Jahr erfolgt. Gegebenenfalls ist daher noch im anstehenden parlamentarischen
Verfahren über eine Anpassung der Verpflichtungsermächtigungen zu entscheiden. Wir werden sicherlich
noch gemeinsam darüber zu beraten haben.
Bislang sind im Bundesetat - auch das ist schon
mehrfach angeklungen - für die Internationale Klimaschutzinitiative 309 Millionen Euro veranschlagt. Das
sind 189 Millionen Euro mehr als im letzten Jahr.
({5})
Das ist positiv, darf aber nicht den Blick auf ein drängendes Problem verstellen, nämlich auf die Finanzausstattung des Energie- und Klimafonds. Für 2014 stehen
1,58 Milliarden Euro an geplanten Ausgaben an. Der
Bund will sich mit 655 Millionen Euro am EKF beteiligen. Wir werden sehen, wie sich die Einnahmen aus dem
Zertifikatehandel tatsächlich entwickeln. Ich sage an
dieser Stelle ganz offen: Es bleibt abzuwarten, wie sich
das im Januar beschlossene Backloading, das zu einer
Verbesserung der Einnahmesituation führen sollte, tatsächlich entwickelt, wie sich dann die Zertifikatepreise
entwickeln und damit natürlich auch die Finanzausstattung des EKF.
({6})
Sollte sich die Finanzausstattung des EKF dauerhaft problematisch gestalten und sich die chronische Unterfinanzierung zu einem permanenten Zustand entwickeln,
({7})
sollten wir, so meine ich, auch über die Finanzierung des
Fonds und über den Fonds als Ganzes nachdenken.
({8})
Gestern Abend war ich auf einer Veranstaltung der
KfW mit den Umweltverbänden. Ich denke, wir Deutschen haben zum Klimaschutz mehr beizutragen als nur
Geld. Aber ganz ohne Geld geht es nicht. Daher könnte
ich mir, gerade vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen mit den Förderbanken, vorstellen, eine Diskussion
über moderne Finanzierungsmöglichkeiten, über Drittmittelfinanzierung, über privates oder Stiftungs- und
auch über Fondskapital zu führen und uns darüber zu
verständigen.
({9})
Für den Naturschutz kann der Bund in diesem Jahr
mehr ausgeben als in den Vorjahren. Für Maßnahmen
zur Förderung des Naturschutzes und der Landschaftspflege waren 2013 49 Millionen Euro veranschlagt. Für
dieses Jahr sieht der Haushaltsentwurf einen Ausgabenanstieg um 8 Millionen Euro auf jetzt 57 Millionen Euro
vor. Die Erhöhung der Ausgaben wird vor allem Forschungsprojekten in Deutschland zugutekommen, die
sich mit der naturnahen Begleitforschung der Energiewende befassen.
({10})
Ebenso soll das neue Bundesprogramm Biologische
Vielfalt mit einem Ansatz von 15 Millionen Euro auf hohem Niveau fortgesetzt werden. Gefördert werden dabei
Maßnahmen, denen im Rahmen der Nationalen Strategie
zur biologischen Vielfalt eine gesamtstaatlich repräsentative Bedeutung zukommt. Nur weil der Feuersalamander,
liebe Kolleginnen und Kollegen, mit seiner schwarz-gelben Färbung quasi Inbegriff für dieses Programm und
seine Initiatoren ist, muss es ja nicht gleich schlecht sein.
Zuletzt komme ich zu einem wichtigen Bereich. Finanziell ist er mit den höchsten Risiken behaftet. Es geht um
den Bereich der Endlagerung. 2013 waren hier etwa
500 Millionen Euro etatisiert. Tatsächlich verausgabt
wurden dann aber etwa 333 Millionen Euro. Das heißt,
etwa 170 Millionen Euro sind als Haushaltsreste stehen
geblieben. Wolfgang Schäuble wird es gefreut haben.
Der Haushaltsentwurf für 2014 sieht nun weniger vor:
445 Millionen Euro. Die Absenkung erfolgte wegen der
gesunkenen Ausgaben bei den Projekten Gorleben und
Asse. Bei Gorleben vor allem deswegen, weil mit dem
Inkrafttreten des Standortauswahlgesetzes die Arbeiten
eingestellt wurden, bei der Asse, weil die Bedarfsschätzung auch für die Zukunft problematisch ist und wir
nicht genau einschätzen können, wie sich die Situation
entwickelt.
Einen abschließenden Punkt möchte ich noch nennen,
Herr Präsident. Ich hoffe, dass wir, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, jetzt in den parlamentarischen Haushaltsberatungen noch einmal über das Thema Rußpartikelfilter sprechen. In Kürze kommt es zur Scharfstellung
der Umweltzonen, vor allem an Rhein und Ruhr. Ich
denke, gerade für die Inhaber von Altdieselfahrzeugen
wird das eine problematische Situation. Deswegen werden wir uns als Union auch in den Haushaltsberatungen
dafür einsetzen und dafür kämpfen, die Förderung von
Rußpartikelfiltern, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen,
noch in den Haushalt aufzunehmen.
({11})
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen
Dr. André Berghegger, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Debatte neigt
sich allmählich dem Ende zu, aber als Haushälter
möchte ich noch einige grundsätzliche Erwägungen zu
diesem Einzelplan anstellen. Wir verfolgen ein übergeordnetes Ziel, und zwar 2014 einen strukturell ausgeglichenen Haushalt zu beschließen und natürlich 2015
einen Haushalt ohne neue Schulden. Das ist eine historische Chance. Dieser waren wir noch nie so nahe wie
jetzt. Ich denke, diese Aussage sollte man öfter wiederholen, damit sie sich wirklich festigt.
({0})
Daher sage ich vielen Dank an das Finanzministerium
für die große Leistung zur Vorlage dieses Haushaltsentwurfes.
Der Einzelplan 16 erfährt einen deutlichen Zuwachs;
wir haben es schon mehrfach gehört. Der wesentliche
Grund liegt natürlich in dem veränderten Ressortzuschnitt. Ich glaube, dieser Ressortzuschnitt ist auch sinnvoll. Denn im Baubereich geht es eben nicht nur um Eisen und Beton, sondern wichtig sind auch der Klimaund Umweltschutz. Das wird uns immer wieder bewusst,
wenn wir darüber nachdenken, dass rund 40 Prozent der
Energie, die in Deutschland verbraucht wird, in den Gebäuden verbraucht wird. Da haben wir auch die Schnittstelle zur Energiewende, dem wahrscheinlich größten
Projekt in dieser laufenden Legislaturperiode.
({1})
- Lassen Sie mich doch einmal ausreden. - Ich denke,
auch in diesem Ressort haben wir unter dem Stichwort
„Energetische Sanierung im Quartier“ gute Ansatzpunkte, um dieses Thema weiterzuverfolgen.
({2})
Im Rahmen der Haushaltsplanungen verfolgen wir
ein Leitmotiv, und zwar die wachstumsorientierte Konsolidierung. Ansätze werden also teilweise gekürzt, aber
wir setzen trotzdem Impulse für Wachstum. Das sind
auch keine Gegensätze; denn Konsolidierung und Wachstum gehören zusammen. Sie sind zwei Seiten einer Medaille und sichern am Ende unseren Wohlstand. Das
möchte ich am Beispiel der Städtebauförderung verdeutlichen.
Jeder, der kommunalpolitisch tätig ist, weiß das: Die
Städtebauförderung ist städtebaulich, sozialpolitisch und
kommunalpolitisch von großer Bedeutung. Hier werden
Investitionen in das Wohnumfeld, in die Infrastruktur
und in die Qualität des Wohnens getätigt. Wir können
auf den demografischen Wandel reagieren, und wir können auch dazu beitragen, energie- und klimapolitische
Ziele des Bundes zu verfolgen. Insgesamt - darauf
möchte ich Wert legen - erreichen wir hier aufgrund
der sehr großen Hebelwirkung einen hohen Wirtschaftsfaktor. Denn 1 Euro Städtebaufördermittel stößt rund
8,50 Euro an Folgeinvestitionen im Baubereich an.
({3})
Weiterhin ist es so, dass 5 000 Euro Städtebaufördermittel im Jahr einen Arbeitsplatz in der Baubranche und im
vorgelagerten Bereich für ein Jahr sichern. Ich denke,
das sind zwei Zahlen, die belegen, dass sich die Städtebauförderung auch rechnet, dass sie sich rentiert. Ich
denke, deswegen ist es jede Anstrengung wert, vernünftige Programme auf den Weg zu bringen.
({4})
Der letzte Punkt in diesem Bereich. Natürlich gibt es
auch Rückflüsse in die öffentlichen Kassen: über erhöhte
Steuer- und Abgabeaufkommen, über die angekurbelte
Konsumentennachfrage usw. usf. Insgesamt kann ich aus
kommunalpolitischer Sicht sagen: Städtebauförderprogramme sind segensreich; denn sie bewirken jede Menge
vor Ort.
({5})
Vor allen Dingen: Die unterschiedlichen Schwerpunkte kann man einzeln benennen. Wir haben das Programm „Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“; es dient der
Förderung der Innenentwicklung. Wir haben die Programme „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“; hier
erfolgt die Anpassung an den demografischen und an
den strukturellen Wandel. Wir haben das Programm „Soziale Stadt“; hier werden Investitionen im Quartier gemäß den Leitmotiven Integration und gesellschaftliche
Teilhabe getätigt. Mein Kollege Steffen-Claudio Lemme
hat das schon angesprochen. Nur: Ob dieses Programm
das Leitprogramm im Bereich der Städtebauförderung
ist, darüber kann man diskutieren. Ich denke, jedes Programm in diesem Bereich hat einen eigenen Schwerpunkt, und alle sind gleich viel wert.
({6})
Wir haben des Weiteren das Denkmalschutzprogramm
zum Erhalt historischer Stadtkerne. Auch die kleineren
Städte und Gemeinden werden berücksichtigt, und zwar
im Rahmen der Sicherung der Daseinsvorsorge im ländlichen Raum.
Die Maßnahmen sind alle bekannt und bewährt. Sie
bilden alle wichtigen Zukunftsthemen ab. Wir erfinden
das Rad in diesem Sinne nicht neu, aber wir stellen mehr
Geld bereit und halten Wort. Das schafft Vertrauen.
Die Städtebauförderung ist eine prioritäre Maßnahme
im Koalitionsvertrag; das heißt, es gibt keinen Finanzierungsvorbehalt. Wir stellen in der gesamten Legislaturperiode 600 Millionen Euro mehr bereit. Insgesamt verfolgen wir das Ziel, rund 700 Millionen Euro pro Jahr
zur Verfügung zu stellen. Ich denke, das ist für unsere
Handlungsweise eine sehr gute Basis.
({7})
Frau Ministerin Hendricks, bei dem Thema „Altersgerechtes Umbauen“ bin ich ganz dicht bei Ihnen. Wir
alle wissen doch, dass wir in diesem Bereich schon mit
wenig Geld sehr viel erreichen können. Durch kleinste
bauliche Veränderungen an einer Wohnung erleichtern
wir den Menschen die Alltagssituation. Ich glaube, wir
kämen damit auch dem Wunsch vieler älterer Menschen
nach mehr Eigenständigkeit und dem dauerhaften Verbleib in der gewohnten Umgebung nach.
Aber als Haushälter muss ich sagen: Wir haben einen
vorliegenden Haushaltsentwurf. Wenn wir daran Veränderungen vornehmen wollen, müssen wir sie unmittelbar,
nachhaltig und im eigenen Politikbereich gegenfinanzieren. Ich freue mich auf die kommenden Beratungen. Ich
bin gespannt, ob wir dieses Projekt hinbekommen.
({8})
Wir müssen sehen, ob wir das schaffen. Ich glaube aber,
angesichts dieser Voraussetzungen ist es einen Versuch
wert, in gemeinsamen Gesprächen nach einer Lösung zu
suchen.
({9})
Zum Abschluss möchte ich die Zahl des Tages nennen: 3 062. Was hat die Zahl 3 062 mit diesem Einzelplan zu tun?
({10})
Nichts. 3 062 Tage ist unsere Bundeskanzlerin heute im
Amt. Sie hat damit einen ihrer Amtsvorgänger, und zwar
Helmut Schmidt, überholt. Nur zwei Kanzler in dieser
Republik waren länger im Amt: Helmut Kohl und
Konrad Adenauer. An dieser Stelle von den meisten hier
im Saal - ich denke, das müsste so richtig formuliert
sein - einen herzlichen Glückwunsch und noch viele
weitere Tage im Amt!
({11})
Mit einem Augenzwinkern möchte ich dann wirklich
schließen: Wie viel Tage noch zur Amtszeit von Helmut
Kohl und Konrad Adenauer fehlen, erzähle ich Ihnen
beim nächsten Mal.
({12})
Als Schlussredner in dieser Debatte erteile ich dem
Kollegen Steffen Kanitz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute nicht nur über
den Haushalt der Ministerien gesprochen, sondern - das
ist ja auch deutlich geworden - eine wegweisende Entscheidung in Sachen Endlagersuche getroffen. Deswegen freut es mich, sagen zu können: Das ist ein guter Tag
für alle, die ernsthaft an einer Lösung für die Hinterlassenschaften des Atomzeitalters interessiert sind.
({0})
Wir haben heute Mittag die Kommission eingesetzt, die
die Vorarbeit für ein Standortauswahlverfahren leisten
soll. Damit ist ein wichtiger Meilenstein erreicht.
Ich danke meinen Koberichterstattern für die konstruktive Zusammenarbeit. Matthias Miersch hat das angesprochen. Ich habe diese Zusammenarbeit ebenfalls
als extrem konstruktiv empfunden. Ich bedanke mich
ebenso bei denjenigen, die sozusagen für die Vorarbeit
verantwortlich waren, bei Ute Vogt natürlich und bei
Maria Flachsbarth: Vielen, vielen Dank! Insbesondere
aber möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich bei Frau
Kotting-Uhl zu bedanken, die wirklich keinen ganz einfachen Stand hat in diesem Verfahren, aber das ganz hervorragend macht. Sie ist ab und zu Vorwürfen ausgesetzt, die nicht fair sind und nichts mit respektablem
Umgang miteinander zu tun haben. Insofern vielen, vielen Dank, dass Sie in diesem Verfahren sozusagen moderieren!
({1})
Die Kommission wird in den kommenden Monaten
einen umfassenden Bericht erarbeiten, der sämtliche entscheidungsrelevanten Kriterien für ein späteres Auswahlverfahren entwickelt. Die Arbeit der Kommission
stellt also eine Vorstufe zum eigentlichen Suchverfahren
dar.
Der kurzfristig eingebrachte Antrag der Linken enthält daher leider wenig Konstruktives. Im Gegenteil: Sie
scheinen die Absicht zu verfolgen, den angestoßenen
Prozess zu torpedieren.
({2})
Vor dem Hintergrund der guten Gespräche, Herr Kollege
Zdebel, die wir gemeinsam geführt haben - Sie haben ja
als Berichterstatter bis zum Schluss mitverhandelt -, ist
das mehr als bedauerlich. Sie behaupten, die Ergebnisse
der Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse seien
nicht zur Kenntnis genommen worden. Das entspricht
schlichtweg nicht den Fakten.
({3})
Das Standortauswahlgesetz ist doch gerade aus den
Ergebnissen des Gorleben-Untersuchungsausschusses
und der Lex Asse hervorgegangen. Erst die Aufarbeitung dieser Themen durch die Politik hat dem Prozess einen ganz neuen Impuls gegeben.
({4})
Sie betreiben insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen
von den Linken, genau den einseitigen Lobbyismus, den
Sie andernorts häufig kritisieren, indem sie sich zum ein2580
seitigen Sprachrohr einiger beteiligter Umweltverbände
machen. Zielorientierte Konsenssuche sieht leider anders aus.
({5})
Wir verstehen es als unser Ziel, das gesamte Meinungsspektrum abzubilden und alle Argumente auszutauschen. Daher haben wir uns auf zwei gleichberechtigte Vorsitzende geeinigt, ohne dafür das Gesetz zu
ändern. Beide Vorsitzende genießen ein hohes Maß an
Erfahrung, an Unabhängigkeit und an Akzeptanz. Zudem haben alle gesellschaftlichen Akteure die Möglichkeit, den Prozess mitzugestalten, wobei die politischen
Vertreter ausdrücklich kein Stimmrecht haben. Das ist
ein Novum in der Geschichte, liebe Kolleginnen und
Kollegen; das muss man auch einmal sagen.
({6})
Um auch die Umweltvertreter für eine Mitarbeit zu
gewinnen, haben wir in den vergangenen Wochen gemeinsam viele vertrauensbildende Maßnahmen ergriffen: Wir haben im Rahmen vieler Gespräche deutlich gemacht, dass wir auf ihre Expertise nicht verzichten
möchten. Wir haben einen fraktionsübergreifenden Antrag erarbeitet, der dies deutlich zum Ausdruck bringt
- vielleicht einmal kurz zusammengefasst -: Wir bekräftigen in diesem Antrag die Möglichkeit, dass das Gesetz
frühzeitig evaluiert wird; wir stärken das Konsensprinzip
über Regelungen in der Geschäftsordnung, die wir noch
gemeinsam verabreden wollen; wir benennen schon jetzt
den zeitlichen Aspekt, den wir durchaus sehen; wir betonen die Rechte von Minderheiten, auch externe Gutachten zu bestellen; wir stellen die Finanzierung der Kommission sicher. Wir als Politik, liebe Kolleginnen und
Kollegen, sind also in Vorleistung getreten. Ich meine,
jetzt sind die Umweltverbände dran.
({7})
Wir haben die Einsetzung der Kommission um einen
Monat verschoben, obwohl das Zeitfenster sehr eng bemessen ist. Wir haben monatelang über die Personalie
Ursula Heinen-Esser diskutiert, obwohl sie durch ihre
konstruktive Begleitung des Lex-Asse-Prozesses parteiübergreifend Akzeptanz genießt; das ist auch immer
wieder deutlich geworden. Wir haben ein starkes Signal
an die Umweltverbände gesendet, indem wir uns innerhalb weniger Tage auf Michael Müller, den Bundesvorsitzenden der NaturFreunde Deutschlands, als Kovorsitzenden geeinigt haben. Auch an dieser Stelle einmal
herzlichen Dank an die Länder, die das ermöglicht haben!
({8})
Unter dem Strich ist das Entgegenkommen unsererseits aus unserer Sicht ein faires Angebot. Das darf jetzt
aber nicht dazu führen, dass politische Verantwortung
verlagert wird. „Weniger Paranoia, mehr Pragmatismus“, liebe Kolleginnen und Kollegen,
({9})
steht morgen in der Neuen Osnabrücker Zeitung. In diesem Sinne erwarte ich von den Umweltverbänden, dass
sie ihre Verantwortung jetzt auch durch konstruktive
Mitarbeit wahrnehmen.
Ich fasse noch einmal kurz zusammen: Wir haben im
letzten Sommer fraktionsübergreifend unter Beteiligung
aller Akteure ein Gesetz auf den Weg gebracht, das den
Weg für ein neues Standortauswahlverfahren ermöglicht.
Wir haben uns darauf geeinigt, dass es keine Vorfestlegung geben soll - auch nicht auf Standorte. Stattdessen
wollen wir das Prinzip der weißen Landkarte anwenden.
Das heißt aber eben auch, dass keine Standorte a priori
ausgeschlossen werden.
Insofern hoffe ich, dass wir jetzt angesichts des engen
Zeitplans endlich in die Arbeit einsteigen können, und
freue mich auf die konstruktive Zusammenarbeit.
Vielen Dank.
({10})
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 11. April 2014, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.