Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/28/2013

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, bitte ich Sie, sich von den Plätzen zu erheben. Der Deutsche Bundestag trauert um sein ehemaliges Mitglied Dieter-Julius Cronenberg, der heute vor einer Woche, am 21. November, gestorben ist. Dieter-Julius Cronenberg war fast zwei Jahrzehnte lang unser Kollege. Er gehörte dem Deutschen Bundestag von 1976 bis 1994 an. Seine politische Heimat fand er in der FDP, in der er sich ab 1961 engagierte, zunächst auf kommunaler Ebene, dann als Mitglied des Bundestages in Bonn. Verantwortung hat Dieter-Julius Cronenberg früh übernommen - nicht nur politisch, sondern auch als Unternehmer. Er führte in Arnsberg ein mittelständisches Familienunternehmen, das inzwischen auf eine über 300-jährige Geschichte zurückblicken kann. Er war sich dabei immer bewusst, dass unternehmerischer Erfolg zugleich auch bedeutet, soziale und gesellschaftliche Verantwortung für die Menschen, für die Stadt und für das Land zu übernehmen, in dem das Unternehmen erfolgreich agieren kann. Vielleicht erklärt sich aus dieser Einstellung heraus auch sein ausgeprägtes Interesse an Themen wie der Sozialpolitik, insbesondere der Alterssicherung. An den Rentenreformen der damaligen Zeit hat er maßgeblich mitgewirkt. Gerade auf diesen Gebieten war er ein anerkannter Experte seiner Fraktion und ein bei den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen geschätzter Fachmann. Mit dieser Fachkompetenz hat er zu vielen sozialpolitischen Entscheidungen für unser Land beigetragen. Fast zehn Jahre lang war Dieter-Julius Cronenberg Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Dieses hohe Amt füllte er souverän und überparteilich aus. Er stellte seine große Erfahrung in den Dienst unseres Parlamentes. Ihm gebühren unser Respekt und unsere Dankbarkeit für alles, was er in diesem Haus, für dieses Parlament und für unsere Demokratie über viele Jahre hinweg geleistet hat. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Seiner Witwe, seinen Kindern und allen Angehörigen spreche ich im Namen des ganzen Hauses unsere Anteilnahme aus. Ich danke Ihnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihnen mitteilen, dass interfraktionell vereinbart worden ist, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Einsetzung von Ausschüssen“ als Zusatzpunkt 1 aufzunehmen, zusammen mit Tagesordnungspunkt 1 aufzurufen und diesen damit verbundenen Tagesordnungspunkt mit einer Redezeit von jeweils fünf Minuten pro Fraktion zu debattieren. Nach dem Tagesordnungspunkt 6 soll darüber hinaus als Zusatzpunkt 2 eine vereinbarte Debatte zum vorläufigen Atomabkommen mit dem Iran im Umfang von 30 Minuten stattfinden. Schließlich soll der Tagesordnungspunkt 13 abgesetzt und stattdessen der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Operation Active Endeavour beenden“ als Zusatzpunkt 3 aufgerufen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen damit zu Tagesordnungspunkt 1 mit dem gerade vereinbarten Zusatzpunkt 1: 1 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD Einsetzung eines Hauptausschusses - Drucksache 18/101 ZP 1 Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einsetzung von Ausschüssen - Drucksache 18/102 Interfraktionell ist eine Diskussionsrunde mit Beiträgen von jeweils fünf Minuten vereinbart worden. - Da76 Präsident Dr. Norbert Lammert rüber besteht offenkundig Einvernehmen, also können wir so verfahren. Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael GrosseBrömer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Grosse-Brömer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003541, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland gibt es nach Bundestagswahlen einen Zeitraum, in dem sich die Regierung bildet. Wenn es keine absoluten Mehrheiten gibt, dann werden Koalitionen gebildet. Diese Koalitionen müssen vorbereitet sein. Mal ist die Aufgabe einfach, mal ist sie schwieriger. Wenn man nicht von Anfang an füreinander vorgesehen ist, ist sie nicht einfach. ({0}) Manchmal dauert es deshalb auch länger. Es war aber schon immer so, dass dieser Zeitraum abgewartet wurde. Wenn man es klug macht - so wie wir -, dann macht man zwischendurch Plenarsitzungen, damit das Parlament handlungsfähig ist. So findet heute eine Fragestunde statt, damit die Kontrolle der Regierung durch das Parlament funktioniert. Insofern haben wir uns fortentwickelt. Wir sind in den letzten Jahrzehnten besser geworden. Der Parlamentarismus hat in dieser Zeit gewonnen. ({1}) Jetzt gibt es Kritik - wahrscheinlich musste man länger darüber nachdenken, um überhaupt einen Kritikpunkt zu finden -: Die Grünen und die Linken wollen nun schon partout alle Ausschüsse bilden. Das hat es noch nie gegeben. ({2}) - Die Linke will es gar nicht mehr; das ist gut. ({3}) Klüger zu werden, ist ein Bestreben, das man nie aufgeben sollte. ({4}) Es liegt heute jedenfalls ein Antrag der Linken ({5}) - Pardon! -, der Grünen vor, alle Ausschüsse einzusetzen, wohlwissend - ich glaube, jedes Mitglied der Fraktion der Grünen weiß das -, dass die Ausschussbildung natürlich von der Ressortzuschneidung und natürlich auch von der personellen Ausstattung der Bundesregierung in all ihren Facetten abhängig ist. ({6}) Insofern ist der heute vorliegende Antrag, alle Ausschüsse zu bilden, jenseits jeglicher Parlamentspraxis. ({7}) Es gibt allerdings eine gute Lösung, um noch besser zu werden und die Ausschussarbeit trotzdem in der Zwischenzeit zu ermöglichen. Um nichts anderes geht es. Um den Zeitraum zu überbrücken, bis die Regierung gebildet ist, wollen wir heute einen Hauptausschuss einsetzen. Einen solchen Ausschuss gab es bisher nicht. Es wird ihn aber geben, damit der Parlamentarismus, damit die parlamentarische Arbeit, damit die Ausschussarbeit besser als in den letzten Jahrzehnten organisiert und durchgeführt werden können. Deswegen ist unser Vorschlag, einen Hauptausschuss einzusetzen, eine wesentlich bessere Lösung, als - das ist ja ein bisschen althergebracht - die Einsetzung aller Ausschüsse zu beantragen, wo Sie doch selbst wissen, dass dies zum aktuellen Zeitpunkt gar nicht geht. ({8}) Ich will Ihnen abschließend Folgendes sagen: Dieser Hauptausschuss ermöglicht allen Fraktionen die effiziente Mitarbeit bei der Gesetzesvorbereitung. Wir sollten daher im Interesse der Handlungsfähigkeit dieses Parlamentes, die sich bereits verbessert hat, die aber durch den Hauptausschuss noch besser werden kann, dem Wege der Vernunft folgen und nicht jetzt schon verfrühten oppositionellen Reflexen verfallen. Frau Haßelmann, noch können Sie den Antrag zurückziehen. Zustimmen werden wir ihm nicht; denn auch in der Sache ist das, was Sie da wollen, nicht begründbar. Herzlichen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Petra Sitte für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Kern streiten wir uns immer noch darüber, dass der Bundestag auch in der Phase der Bildung von Koalitionen und Regierungen verhandlungsfähig sein muss. Die Koalitionsverhandlungen dauern an. Die SPD muss ihre Mitgliederbefragung über die Bühne bekommen und dergleichen mehr. ({0}) Im Wesentlichen geht es aber darum, dass der Bundestag auch in dieser Phase seinen Aufgaben nachkommen muss. ({1}) Das ist zum einen Gesetzgebung, und das ist zum anderen natürlich Regierungskontrolle. Auch eine geschäftsführend amtierende Bundesregierung will kontrolliert werden. Frau Bundeskanzlerin hatte ja in der ersten Sitzung ausdrücklich zugestimmt. Wir sind uns ausnahmsweise in diesem Punkt einig. ({2}) Nun ist allerdings die Frage der Umsetzung strittig. Das haben wir eben schon gemerkt. Herr Grosse-Brömer hat da ein bisschen was durcheinandergeworfen. Es gab schon einen Antrag der Linken. Wir hatten darin beantragt, die Ausschüsse einzusetzen, die im Grundgesetz als ständige Ausschüsse vorgesehen sind. ({3}) Wir hatten darin außerdem beantragt, die Ausschüsse einzusetzen, die nach dem Haushaltsgesetz und nach der Geschäftsordnung des Bundestages vorgesehen sind. Das sind unter anderem der Petitionsausschuss, der Auswärtige Ausschuss, der Verteidigungsausschuss und der Europaausschuss. Die Einsetzung von Innen-, Rechtsund Finanzausschuss hatten wir ebenfalls beantragt, weil diese Ausschüsse seit mindestens der dritten Legislaturperiode in genau diesem Zuschnitt existieren und weil sie damit als quasi ständige Ausschüsse die Neubildung der Regierung und auch die Neubildung der Ausschüsse im Bundestag überdauert hätten. Deshalb ist der Antrag rechtskonform. ({4}) Nun wird seitens der SPD und der Union die Einsetzung eines Hauptausschusses beantragt. Wir haben überhaupt nichts dagegen, wenn Sie sich bemühen, dass der Bundestag arbeitsfähig wird, aber es muss rechtskonform geschehen. Dieser Hauptausschuss, so wie Sie ihn in Ihrem Einsetzungsantrag vorsehen, ist grundgesetzwidrig. Deshalb werden wir diesem Antrag auch nicht zustimmen. ({5}) Erstens. Er taucht weder im Grundgesetz noch in der Geschäftsordnung des Bundestages auf. Zweitens. Er ist singulär. Unsere Geschäftsordnung und das Grundgesetz sehen ausdrücklich vor, dass ständige Ausschüsse - Mehrzahl wohlgemerkt - einzusetzen sind. Drittens. Er ist aber auch kein Sonderausschuss, weil er sich nicht um einzelne Fragen kümmert, wie es die Geschäftsordnung vorsieht. An den Hauptausschuss sollen vielmehr viele Gesetzesvorlagen und Anträge überwiesen werden. Wir sehen das ja schon an der heutigen Tagesordnung. Viertens. Es ist auch kein ständiger Ausschuss, denn er soll mit der endgültigen Konstituierung der Ausschüsse wieder aufgelöst werden. Das haben Sie ja bereits gesagt. Das sind schon einmal vier Gründe, um dem Antrag auf Einsetzung dieses Ausschusses nicht zuzustimmen. ({6}) Fünftens. Besonders gravierend ist für uns allerdings, dass dem Hauptausschuss Aufgaben zugewiesen werden, die ihm gemäß Grundgesetz gar keinen Spielraum lassen. Verteidigungsfragen sind im Verteidigungsausschuss zu behandeln. Haushaltsfragen sind im Haushaltsausschuss zu behandeln und nicht in einem Hauptausschuss. Sechstens. Der Hauptausschuss verstößt allerdings auch - meine Kollegin hatte vorhin schon einen entsprechenden Einwurf gemacht - gegen die Ausübung des freien Mandats. Nach § 57 der Geschäftsordnung steht jedem Abgeordneten eine Mitarbeit in mindestens einem Ausschuss zu. Das Grundgesetz spricht hierbei von gleichen Rechten und Pflichten. Wenn aber gemäß Ihrem Einsetzungsverfahren nur 15 Prozent der Abgeordneten mitwirken können, dann bleiben 85 Prozent außen vor. ({7}) Nach unserem Antrag wären immerhin 592 Abgeordnete in die Situation gekommen, hier mitzuwirken. Dies sind zwei weitere Gründe für die Ablehnung des Antrags. ({8}) Nun stellen die Bündnisgrünen einen Antrag, der so aussieht, als könnte er rechtskonform sein. Sie beantragen nämlich nichts anderes, als alle Ausschüsse der 17. Wahlperiode einzusetzen. Das Problem ist, ({9}) dass auch dies keine ständigen Ausschüsse sind. Die Grünen sagen ja selbst, dass sie sich selbst auflösen sollen, sobald der endgültige Zuschnitt der Ausschüsse feststeht. Aufgrund dieses Punktes ist auch dieser Antrag nicht rechtskonform. ({10}) Dieser Antrag hat mich auch deshalb ein wenig gewundert, weil in der Runde der Parlamentarischen Geschäftsführer vonseiten der Grünen gesagt wurde: Die Gesetzentwürfe des Bundesrates sollten wir im Hauptausschuss beraten. - Okay, Sie müssen klären, welcher Widerspruch sich hier zeigt. ({11}) Fakt ist: Hätten Sie in der letzten Bundestagssitzung unserem Antrag zugestimmt, dann wäre der Bundestag längst arbeitsfähig, und er wäre es demokratisch und rechtskonform. Danke. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Thomas Oppermann ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute ist der 28. November. ({0}) Gestern sind erfolgreich die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD abgeschlossen worden. Bei normalem Verlauf der Dinge würde am morgigen Freitag ein kleiner oder ein großer Parteitag über den Koalitionsvertrag debattieren und entscheiden, und wir könnten dann am Montag mit der Wahl der Bundeskanzlerin die Regierungsbildung einleiten und noch im Laufe der Woche die Ausschüsse festlegen und konstituieren. Dass es diesmal anders läuft, liegt nicht nur an den sehr aufwendigen Sondierungsgesprächen, die den Koalitionsverhandlungen vorangegangen sind, sondern auch daran, dass die SPD sich entschieden hat, über diesen Koalitionsvertrag ihre Mitglieder entscheiden zu lassen. ({1}) Ich möchte bei Ihnen allen, Kollegen und Kolleginnen, um Verständnis dafür werben, dass wir ein solches demokratisches Experiment eingehen. Das hat bisher noch keine Partei so gemacht. Ich meine, das ist kein Rückschlag für unsere Demokratie, sondern das ist eher eine Bereicherung für unsere Demokratie. ({2}) Einen Parteitag mit 500 oder 600 Delegierten kann man an einem Wochenende durchführen. Wenn aber 470 000 Mitglieder der SPD diese Entscheidung treffen sollen, dann brauchen wir dafür zwei Wochen. Das sind zwei Wochen für mehr innerparteiliche Demokratie. ({3}) - Frau Göring-Eckardt, vielleicht läuft das Ganze ja sogar so gut, dass Sie am Ende in vergleichbaren Situationen auch einmal Ihre Mitglieder entscheiden lassen wollen. ({4}) Vielleicht gibt es demnächst schon in Hessen eine Gelegenheit, Ihre Mitglieder zur dortigen Koalition zu befragen. ({5}) Jetzt für eine Übergangszeit von nur zwei Wochen insgesamt 22 Ausschüsse mit 683 Mitgliedern bilden zu müssen, stellt aus meiner Sicht einen unverhältnismäßigen Aufwand dar; denn in zwei Wochen müssten wir das wieder komplett neu organisieren. Es liegen in der Tat Gesetzentwürfe vor, aber diese kann auch der Hauptausschuss kompetent beraten. Sie von den Grünen haben ja noch keinen einzigen Gesetzentwurf eingebracht, der beraten werden könnte. Die Linken haben immerhin einige Gesetzentwürfe vorgelegt; das muss man ja einmal feststellen. ({6}) Der Hauptausschuss ist natürlich nicht grundgesetzwidrig. Das ist ein Ausschuss, in dem das Parlament jetzt für einen kurzen Zeitraum entscheidet, wie es seine Arbeit organisiert. ({7}) Im Grundgesetz ist vorgesehen, dass das Parlament autonom ist, wenn es darum geht, seine eigene Arbeit zu regeln. Von dieser Autonomie machen wir jetzt Gebrauch. ({8}) Ich finde es gut, dass wir das Präsidium mit der Leitung des Hauptausschusses beauftragen, ({9}) nicht nur, weil dann mit der Person unseres Präsidenten auch eine kompetente Leitung des Hauptausschusses gewährleistet ist, sondern auch, weil die Vizepräsidenten der Parteien, die hier im Bundestag möglicherweise Oppositionsfraktionen sein werden, an der Leitung dieses Hauptausschusses beteiligt werden. Wir haben in den Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD auch geklärt, dass wir die Minderheitenrechte in diesem Parlament zur Geltung bringen wollen. Eine starke Demokratie braucht eine handlungsfähige Opposition. Das werden wir in Gesprächen mit allen Fraktionen in diesem Bundestag sicherstellen. Seien Sie bitte so einsichtig und vernünftig, uns die nächsten zwei Wochen mit dem Hauptausschuss leben zu lassen. Wir können zusagen, dass wir die Ausschüsse noch in diesem Jahr, noch vor Weihnachten, exakt definieren und einsetzen, ({10}) sodass sie dann im nächsten Jahr ihre Arbeit beginnen können. Vielen Dank. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zum Schluss dieser Runde spricht die Kollegin Britta Haßelmann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lieber Thomas Oppermann, ich glaube, in Sachen Basisdemokratie brauchen die Grünen keine Belehrungen der SPD. ({0}) Mit dem Thema Urabstimmungen haben wir Erfahrungen, über die wir uns gerne austauschen können. Wir haben zwei Urabstimmungen durchgeführt und können Ihnen sagen, was das bedeutet. ({1}) In Hinblick auf Hessen sei an der Stelle kurz erwähnt: Auch die Grünen in Hessen brauchen die Ratschläge der SPD-Bundestagsfraktion nicht, denn in Hessen wird eine Mitgliederversammlung über den Koalitionsvertrag entscheiden. Die Parteitage des Landesverbandes Hessen sind nämlich immer Mitgliederversammlungen für die gesamte Mitgliedschaft. ({2}) Nun aber zum Thema. Herr Grosse-Brömer, Sie haben sich gerade mit den beiden Plenarsitzungen und der Fragestunde, die das Parlament abhält, gerühmt. Meine Damen und Herren, allen Abgeordneten, auch Ihnen von der Union und von der SPD, muss es doch ein Anliegen sein, dass wir als Parlament endlich unsere Arbeit aufnehmen, ({3}) dass Sie Rechte und Pflichten haben, dass wir nicht länger im Stand-by-Modus bleiben ({4}) und darauf warten, dass die Koalitionsverhandlungen abgeschlossen werden. Dieser erste Schritt ist jetzt erfolgt. Der zweite Schritt ist: Wir warten auf Ressortzuschnitte. Erst danach können wir vielleicht die Arbeit aufnehmen. Das Problem ist doch: Bisher ist kein Zeitplan, ({5}) den Sie der Parlamentarischen Geschäftsführerin der Linken und mir zugesagt haben, bisher ist nichts eingehalten worden. Wir hatten klar vereinbart: Wenn Ihre Koalitionsverhandlungen abgeschlossen sind, dann stehen die Ressortzuschnitte, dann können wir über die Ausschüsse verhandeln. - Nichts davon ist der Fall. Gestern Abend haben wir erfahren, dass die Ressortzuschnitte erst nach dem Mitgliederentscheid erfolgen. Das heißt, wir sind weiterhin im Wartemodus, und das ist falsch, ({6}) und zwar für das gesamte Parlament, nicht nur für die Oppositionsfraktionen. Die Arbeitsfähigkeit des Bundestages muss hergestellt werden. ({7}) Sie ist durch die Einrichtung des Hauptausschusses allein noch nicht gegeben. Wer hat denn die beiden Plenarsitzungen, wer hat die Fragestunde beantragt? Wir haben den Präsidenten angeschrieben und beantragt, dass der Deutsche Bundestag tagt, sowohl am 18. November als auch am 28. November. ({8}) Wir waren es, die wollten, dass endlich eine Fragestunde stattfindet, ({9}) nicht die Unionsfraktion oder die SPD-Fraktion. So sieht es aus im Parlament, meine Damen und Herren. Sonst hätten Sie sich weiterhin nur mit sich selbst beschäftigt. ({10}) Bei allem Verständnis dafür, dass man für Koalitionsverhandlungen - auch wir haben diverse geführt - natürlich eine gewisse Zeit braucht: Das, was da jetzt stattfindet, ist ein absoluter Wirrwarr. ({11}) Erst hieß es: Wir brauchen eigentlich keinen Hauptausschuss. - Dann heißt es: Wir brauchen ihn jetzt doch. Die Gesetzentwürfe aus dem Bundesrat, die wir dort eigentlich hätten beraten sollen, werden da gar nicht beraten. Sie werden nämlich heute vom Bundestag beraten und sollen, indem vom Hauptausschuss nur die vom Haushaltsausschuss zu erledigende Prüfung ({12}) durchgeführt werden soll, kurzerhand zur zweiten und dritten Lesung wieder an den Bundestag überwiesen werden. ({13}) Das ist eine Geschichte, die wir immer wieder thematisiert haben. Wir wissen, dass es den Ländern sehr wichtig ist, dass wir die Bundesratsinitiativen, ({14}) also das AIFM-Steuer-Anpassungsgesetz und das Gesetz zur Änderung des Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetzes, noch in diesem Jahr verabschieden. Das ist für die Länder bedeutend. Aber dafür nutzen Sie den Hauptausschuss gar nicht. Sie richten ihn als großes Sammelbecken für jede unliebsame Initiative ein. Das hat man doch am allerbesten an der NSA-Geschichte gesehen: SPD und Union waren sich über unseren Entschließungsantrag zum Thema NSA-Abhörskan80 dal uneinig. Sie von der SPD haben hier flockige Reden darüber gehalten, was man alles tun muss und wie wahnsinnig schwierig das alles ist. Am Ende waren Sie sich nicht darüber einig, wie man mit dem Antrag der Grünen umgeht, und versenken ihn in einem Hauptausschuss. So sieht es aus. Dies jetzt als wahnsinnig guten Parlamentarismus zu verkaufen, führt doch völlig an der Sache vorbei. Ich bitte Sie! ({15}) Wir haben die Koalitionsverhandlungen abgewartet, die jetzt abgeschlossen sind. Bis auf die fünf Abgeordneten meiner Fraktionen, die wir jetzt für den Hauptausschuss benennen dürfen, ({16}) müssen alle anderen warten, bis sie erfahren, wie sie Ausschussarbeit, wie sie Parlamentsarbeit machen dürfen. Im Übrigen wollen doch auch die vielen Abgeordneten Ihrer Fraktionen endlich wissen, wann der Ressortzuschnitt steht. Er wird frühestens am 15. Dezember - der 16. Dezember wird uns genannt - stehen, weil erst dann der Mitgliederentscheid der SPD beendet ist. Bei allem Verständnis für Basisarbeit, Basisbefragungen und Mitgliederentscheid - wie gesagt, da brauchen wir keine Belehrung -: Ich finde, das Parlament kann nicht so lange warten. Wir wollen hier arbeiten, und wir wollen nicht länger im Stand-by-Modus sein. ({17}) Lassen Sie mich am Schluss, Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis, Sie selbst zitieren: Das Bemühen, das alles bis zur Kanzlerwahl zu vertagen, halte ich weder für plausibel noch für notwendig … So sehen wir es auch, und deshalb haben wir den Antrag auf Einsetzung der Ausschüsse gestellt. ({18})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/102 mit dem Titel „Einsetzung von Ausschüssen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist der Antrag mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/101 zur Einsetzung eines Hauptausschusses. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der Antragsteller gegen die Stimmen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke angenommen. Damit ist der Hauptausschuss eingesetzt. ({0}) Ich weise diejenigen, die von den Fraktionen dafür nominiert sind, darauf hin, dass er sich heute Nachmittag um 13.30 Uhr konstituiert. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan ({1}) auf Grundlage der Resolution 1996 ({2}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und Folgeresolutionen, zuletzt 2109 ({3}) vom 11. Juli 2013 - Drucksache 18/71 Wir werden über den Antrag am Ende der Debatte namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache unter Berücksichtigung der zwischen den Fraktionen vereinbarten Redezeiten insgesamt 38 Minuten vorgesehen. Das ist eine etwas kunstvolle und untypische Größenordnung, an die wir uns vielleicht gewöhnen müssen. Gibt es dagegen Einwände? - Das ist nicht der Fall. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister der Verteidigung, Thomas de Maizière. ({4})

Not found (Minister:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im dritten Jahr seiner Unabhängigkeit steht der Südsudan weiterhin vor großen Herausforderungen. Humanitäre Notlagen sowie eine schwierige Sicherheitslage prägen nach wie vor das Bild in verschiedenen Regionen des Landes. Allein in diesem Jahr waren über 1,8 Millionen Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Insbesondere im Bereich des nordöstlichen Bundeslandes Jonglei kommt es bei Auseinandersetzungen um Vieh und Weideland immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen. Circa 100 000 Menschen haben allein im letzten Jahr die betroffenen Siedlungsgebiete aus Furcht vor Angriffen verlassen. Dauernder Frieden im Südsudan kann nur erreicht werden, wenn die Grundursachen der dahinterliegenden Konflikte angegangen werden. Das ist ein schwieriger und ein langwieriger Weg nach 50 Jahren Bürgerkriegserfahrung. Trotz aller Defizite und Mängel, die es auch gegenüber der Regierung des Südsudan klar anzusprechen gilt, sind heute, zweieinhalb Jahre nach der Staatengründung, auch erste kleinere Erfolge zu verzeichnen: Die Menschenrechtssituation hat sich zumindest ansatzweise verbessert, auch wenn sie noch nicht annähernd so ist, wie wir sie uns erhoffen. Wie gefährlich der Einsatz ist, zeigt der Brennpunkt Juba. In den letzten Monaten gab es dort viele Fälle, in denen UN-Personal und internationale Diplomaten von militanten Kräften bedroht, verhaftet oder angegriffen worden sind. Dies sind Vorkommnisse, die nicht zu tolerieren sind. Dass die internationale Gemeinschaft dennoch den richtigen Weg eingeschlagen hat, verdeutlicht die kürzlich erfolgte Verurteilung von 92 südsudanesischen Soldaten wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen. Mit Unterstützung von UNMISS, einer Mission unter dem Mandat der Vereinten Nationen, ist es zudem gelungen, ein Versöhnungsabkommen zwischen den ethnischen Gruppen in der Region zu verhandeln. Dieses gilt es nun umzusetzen und zu überwachen. Die wirtschaftliche Lage hat sich aufgrund des wieder zugelassenen Ölexports zwar stabilisiert; für eine Linderung der humanitären Not kann die Regierung des Südsudan allerdings noch nicht annähernd eigenständig sorgen. Trotz dieser guten Ansätze gilt: Die Ausgangsbedingungen für den noch jungen Staat Südsudan sind schwierig, und er steht vor vielfältigen Herausforderungen. Die militärische Präsenz der VN-Mission im Südsudan bleibt deshalb weiterhin unverzichtbar. Es gilt, den Bedrohungen vor Ort zu begegnen, vertrauensbildend in der Fläche zu wirken und den Zugang für Personal der Vereinten Nationen und humanitäre Organisationen zu gewährleisten. Deutschland ist mit über 60 Nationen der internationalen Völkergemeinschaft dabei. Das soll auch in Zukunft so bleiben. Wir sind mit zuletzt 16 Soldaten in den Stäben vertreten. Durch den nicht ungefährlichen Einsatz unserer Soldaten sowie der derzeit sechs Polizisten leistet Deutschland seinen Beitrag zur Friedenskonsolidierung und zum längerfristigen Staatsaufbau. Auch wenn sich Fortschritte nur langsam abzeichnen, gilt Folgendes: Erstens. UNMISS leistet einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung und zum Aufbau des Südsudan. Zweitens. Die bloße Gegenwart, die große Präsenz der internationalen Gemeinschaft hat eine mäßigende Wirkung auf die Konfliktparteien und stabilisiert das gesamte regionale Umfeld. Drittens. Unser Engagement ist notwendig, um eine humanitäre Verschärfung sowie eine weitere militärische Eskalation in dieser unruhigen Region zu verhindern. Deswegen bitten wir als Bundesregierung um Ihre Zustimmung zur weiteren Beteiligung an UNMISS mit bis zu 50 Soldatinnen und Soldaten. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit Blick auf die Debatte heute Nachmittag noch ein paar Worte zu UNAMID sagen, zu der Mission in Darfur. Kernauftrag dieser Mission sind die Unterstützung des Friedensprozesses, der Schutz von Zivilisten und die Sicherung des Zugangs für humanitäre Hilfsorganisationen. Auch in Darfur leistet die UNO mit ihrer Mission, mit UNAMID, allein durch ihre Präsenz in Form von rund 21 000 Soldatinnen und Soldaten sowie Polizistinnen und Polizisten einen Beitrag zur Verbesserung der humanitären Lage vor Ort. UNAMID schafft den notwendigen Rahmen, innerhalb dessen sich die politischen Bemühungen um ein Ende der Krise in Darfur weiterentwickeln können. Deshalb ist auch diese Mission unverzichtbar. Mit unseren derzeit zehn Soldaten im Hauptquartier unterstützen wir als einziger westlicher Truppensteller neben der Türkei die Auftragsdurchführung der Mission. Die bei dieser VN-Mission eingesetzten Soldatinnen und Soldaten arbeiten unter den schwierigsten denkbaren Umständen. Ich möchte an dieser Stelle den Soldatinnen und Soldaten bei UNMISS und bei UNAMID sowie den dort eingesetzten Polizistinnen und Polizisten meine und unsere Hochachtung für ihr bemerkenswertes Engagement und ihre Professionalität aussprechen. ({0}) Bitte unterstützen Sie daher heute Nachmittag auch den Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung der Mission UNAMID in Darfur. Herzlichen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Christoph Strässer für die SPD-Fraktion. ({0})

Christoph Strässer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003644, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn einer neuen Legislaturperiode als erstes Thema in der Außenpolitik gleich über einen Auslandseinsatz der Bundeswehr im Rahmen eines Mandates der Vereinten Nationen zu debattieren und zu entscheiden, ist sicherlich nicht das, was sich die meisten von uns wünschen. Gut aber ist, dass wir darüber hier im Deutschen Bundestag debattieren, weil wir damit zum Ausdruck bringen, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist und sich daran auch nichts ändern wird. ({0}) Der Antrag der Bundesregierung, mit dem wir uns heute auseinanderzusetzen haben, bezieht sich auf eine Beteiligung deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan. Angesichts der Verantwortung der internationalen Gemeinschaft für die Entwicklung in dieser Region, die auch nach der Selbstständigkeit des Südsudan mehr als fragil ist, halten wir die Fortsetzung dieser Mission nicht nur für verantwortbar, sondern auch für notwendig. Die SPD-Fraktion wird dem Antrag daher zustimmen. Wir halten es für richtig, das UNMISS-Mandat bis Ende 2014 fortzuschreiben und eine Personalstärke von bis zu 50 deutschen Soldaten zu ermöglichen, und zwar auch, weil das ein Signal an den Sudan, an den Südsudan, an die Afrikanische Union sowie an die internationale Gemeinschaft ist, dass sich Deutschland weiter für eine nachhaltige Stabilität in der Region einsetzt. Gegenwärtig sind 16 deutsche Soldaten im Rahmen des Mandats im Einsatz. Sie leisten dort unverzichtbare Arbeit. Dafür danken wir ihnen wie auch den wenigen Polizisten und den vielen zivilen Helfern, die sich in der Region für die Umsetzung von Menschenrechten engagieren. ({1}) Es ist schon bemerkenswert - ich weiß, dass das dem Auftrag des Parlaments hinsichtlich des Bundeswehreinsatzes geschuldet ist -, dass wir hier nur über den Einsatz von Soldaten debattieren. Wir haben in der letzten Legislaturperiode zwei interfraktionelle Anträge zum Sudan eingebracht und in diesen eine nachhaltige, kohärente Menschenrechts- und Entwicklungspolitik gefordert. Davon sind wir nach jetzigem Stand im nationalen wie auch im internationalen Kontext leider noch weit entfernt trotz nicht unerheblicher Anstrengungen auch im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, wie sie auch im Mandatsantrag dargestellt werden. Die Ursachen für die anhaltende Instabilität sind vielfältig und hängen eng zusammen mit den Entwicklungen, die seit der Unabhängigkeit des Sudan im Jahre 1956 nicht beseitigt werden konnten. Da ist zum einen die Situation im Sudan insgesamt. Seit der Unabhängigkeit 1956 wird das Land von einem nur durch eine kurze Periode unterbrochenen Bürgerkrieg zwischen dem überwiegend arabisch-islamischen Norden und dem Süden des Landes erschüttert, der formal erst durch das umfassende Friedensabkommen von 2005 beendet wurde, das nur unter intensiver Beteiligung der internationalen Gemeinschaft zustande kommen konnte. Letztlich gab es eine Volksabstimmung, die zur Unabhängigkeit des Südens führte. Hinzu kamen Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und sesshaften Farmern um Ressourcen, die auch bedingt durch den Klimawandel immer geringer werden. Der seit 2003 andauernde Konflikt in der westlichen Region Darfur ist nur ein Brennpunkt für diese Entwicklung, der aber zeigt, dass eine nachhaltige Befriedung nur bei Lösung aller Konflikte in dieser Region denkbar ist. Hierzu bedarf es mehr als des UNMISS-Mandates. Hierzu bedarf es einer Fortschreibung des Länderkonzeptes und engerer Zusammenarbeit im europäischen Kontext, die wir von der nächsten Bundesregierung nachhaltig einfordern werden. Der zweite Konfliktherd ist die Situation zwischen Sudan und Südsudan. Nach wie vor sind nicht alle Vorgaben des umfassenden Friedensabkommens umgesetzt, insbesondere was den endgültigen Grenzverlauf und die Verteilung der Einkünfte aus der Erdölförderung angeht. Immer wieder kommt es zu Truppenbewegungen und Kämpfen zwischen den sudanesischen Streitkräften und der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee, SPLA. Diese immer wieder auch kriegerischen Auseinandersetzungen sind für die Menschen in der Grenzregion nicht mehr erträglich. Auch die VN-mandatierte Grenzüberwachung durch die Mission UNISFA kann dies nicht verhindern. Die humanitäre Situation wird immer schlimmer. Anhaltende Kämpfe in den Staaten Blauer Nil und Südkordofan im Süden des Sudan führten zur Flucht von mehr als 200 000 Menschen in den benachbarten Südsudan. Viele davon haben auf der Flucht ihr gesamtes Hab und Gut zurücklassen müssen. Seit Juni 2012 leistet der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen im Norden des Südsudan Not- und Überlebenshilfe für mehr als 115 000 Personen. Mehr als 400 000 Personen sind vertrieben worden. Aufgrund andauernder bewaffneter Konflikte sowie Nahrungsmittel- und Wasserknappheit können Flüchtlinge den Sudan nicht verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen. Auch die wirtschaftliche Situation ist prekär, nicht zuletzt deshalb, weil der Streit unter anderem über die Nutzung von Erdöl dazu geführt hat, dass sich Khartum Ölfelder im Süden angeeignet hat und dass der Südsudan zwischenzeitlich immer wieder beschlossen hat, die Erdölförderung zu unterbrechen. Vor allem die Zugehörigkeit der erdölreichen und landwirtschaftlich produktiven Region Abyei ist nach wie vor nicht geklärt. Schließlich ist auch die Entwicklung im Südsudan selbst weit hinter den Erwartungen zurück, die mit dem Abschluss des Friedensvertrages und der Selbstständigkeit verbunden waren. Das gilt für nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche. Es fehlt an vielem. Der Aufbau staatlicher und rechtsstaatlicher Strukturen kommt nur sehr langsam voran. Die ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln und insbesondere der Zugang zu sauberem Wasser sind nach wie vor nicht immer und für alle Gruppen der Bevölkerung gewährleistet. Auch gibt es immer wieder Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch die südsudanesischen Streitkräfte an der Zivilbevölkerung. Es gibt Nachrichten über schwere Zusammenstöße zwischen Gemeinschaften insbesondere in der Provinz Jonglei. All diese Tendenzen können natürlich nicht allein durch die Mission UNMISS beseitigt werden. Aber wir sind davon überzeugt, dass UNMISS ein Teil einer Entwicklung ist, die wir unterstützen sollten. Wir fordern auch nachhaltig, dass eine verstärkte Umsetzung der EU-Länderstrategie erfolgt. Sie existiert seit Januar 2012 und fordert in Zusammenarbeit mit UNMISS und nationalen wie internationalen Partnern den Einsatz für Konsolidierung von Demokratie, Achtung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit sowie verantwortungsvolle Staatsführung und Korruptionsbekämpfung. Was wir brauchen, ist eine außenpolitische Länderstrategie, die der Zweiteilung des Sudans und der Komplexität der Situation gerecht wird, eine Länderstrategie, die den Leitprinzipien von Demokratie, Achtung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, verantwortungsvoller Staatsführung und Korruptionsbekämpfung verpflichtet ist. Aber wir brauchen mehr als theoretische Konzepte. Wir brauchen vor allem deren Umsetzung. Deshalb steht für uns die Resolution 2046 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 2. Mai 2012 im Mittelpunkt. Der Friedensfahrplan der Afrikanischen Union zur Lösung der Konflikte muss tatkräftiger und mit mehr Mitteln unterstützt werden, als wir dies gegenwärtig tun. Wir sollten uns im VN-Sicherheitsrat weiterhin für robuste und der jeweiligen Situation angemessene Mandate starkmachen, um ein flexibles Eingreifen der VN-Friedensmissionen vor Ort zu ermöglichen. Ich würde mir wünschen, dass über die Rolle Deutschlands in diesem Zusammenhang in Zukunft intensiver und konkreter diskutiert wird. Unser friedensund sicherheitspolitisches Engagement im Südsudan ist deutlich verbesserungsfähig und verbesserungswürdig. Wir sollten außerdem die internationale Hilfe für die Republiken Sudan und Südsudan stärker mit der Verpflichtung zur Einhaltung von Menschenrechten sowie zur Bekämpfung von Korruption verbinden und damit auch Drittstaaten wie China stärker in den politischen Dialog mit einbeziehen. Zu erreichen ist dieses Ziel für den Sudan, für den Südsudan, für die gesamte ostafrikanische Region nur mit einer Politik, die den regionalen Besonderheiten gerecht wird, die eine demokratische Staatsführung forciert und die Einhaltung der Menschenrechte als Schlüssel zu einer nachhaltigen Entwicklung begreift. Soldaten, Ressourcenreichtum und wirtschaftliches Wachstum allein können eine solche Entwicklung nicht bewirken. Vielmehr geht es darum, politische Rahmenbedingungen zu schaffen, mit denen sich für die Mehrheit der Bevölkerung die Lebensbedingungen verbessern und die Armut verringern lassen. Armut ist nämlich nicht nur eine Folge von ungünstigen ökonomischen Rahmenbedingungen, sondern auch das Ergebnis mangelnder Partizipation und der Verletzung der Menschenrechte. Gerade die Menschen in Südsudan, die Zeit ihres Lebens nichts als Krieg und Ausbeutung erlebt haben, müssen endlich erfahren, dass Frieden nicht nur formal ist, sondern auch ihre materiellen und sozialen Lebensbedingungen nachhaltig verbessert. Sie brauchen die ganz konkrete Erfahrung und die Wirklichkeit einer sogenannten Friedensdividende. Meine Damen und Herren, zum Schluss dieser etwas dunklen Darstellung der Situation in der Region möchte ich aber auch noch etwas Positives mitteilen. Die Süddeutsche Zeitung hat gestern berichtet, dass vor wenigen Tagen zwei ostafrikanische Staaten erklärt haben, der UN-Kinderrechtskonvention beitreten zu wollen. ({2}) Neben Somalia tat dies auch der Südsudan. Das ist nicht nur ein formaler Akt. Vielmehr müsste und sollte ihre tatsächliche Umsetzung auch zu einer erheblichen Verbesserung der Situation von Kindern führen, insbesondere für solche, die immer noch als Kindersoldaten rekrutiert und ihr Leben lang traumatisiert werden. Ich glaube, wir sollten insbesondere das südsudanesische Parlament zu dieser Entscheidung auch von hier aus beglückwünschen. ({3}) Nunmehr, meine Damen und Herren, gibt es unter den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen nur noch einen Staat, der die Kinderrechtskonvention nicht ratifiziert hat. Das sind - wer ahnt es? - die Vereinigten Staaten von Amerika. Vielleicht können unsere Freunde jenseits des Atlantiks von dieser Entscheidung des südsudanesischen Parlaments etwas lernen; dann hätte diese Entscheidung eine noch größere Bedeutung als ohnehin schon. ({4}) Ich glaube, wir würden diesen Prozess von hier aus nachhaltig unterstützen. Herzlichen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Christine Buchholz ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. ({0})

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der geschäftsführende Verteidigungsminister, Herr de Maizière, hat gestern in unserer Fraktion für den Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes im Südsudan geworben. Das selbsterklärte Ziel der Mission UNMISS ist es, die Regierung des Südsudans, der sich vor zwei Jahren vom Norden abgespalten hat, bei der Friedenskonsolidierung zu unterstützen. Herr de Maizière hat gestern wörtlich gesagt: Für dieses Mandat gibt es seit der Bundestagsdebatte vor einem Jahr keinen neuen Sachstand, keine neuen Argumente. Dem widersprechen wir heftig. ({0}) Zum einen eskalierte der Konflikt zwischen Nord- und Südsudan. Als Folge des Streits um die Aufteilung der Ölgewinne stellte der Südsudan mehr als ein Jahr lang die Ölproduktion ein. Das hatte dramatische Folgen: Beispielsweise bürdete die Regierung dem Südsudan ein Spardiktat auf, das bis heute weiterbesteht und unter anderem dazu führt, dass Lehrer und Krankenschwestern seit zwei Monaten kein Gehalt mehr bekommen. Schließlich eskalierte der bewaffnete Konflikt im Bundesstaat Jonglei und in anderen Regionen. Selbst Juba ist, wie Herr de Maizière heute selbst gesagt hat, zu ei84 nem Brennpunkt geworden, was vorher nicht der Fall gewesen war. Ist das kein neuer Sachstand? Ich glaube, wir können bei allen Bundeswehreinsätzen ein und dasselbe Muster beobachten: Es wird keine ehrliche Bilanz gezogen. ({1}) Das gilt für den Einsatz im Südsudan genauso wie für den Einsatz in Afghanistan. Wir halten das für unverantwortlich. ({2}) Kernaufgabe der Mission UNMISS ist, wie gesagt, die Unterstützung der südsudanesischen Regierung bei der Friedenskonsolidierung. Die Bundesregierung verwischt dabei, dass die Armee der südsudanesischen Regierung, mit der der Frieden konsolidiert werden soll, selbst Teil des Problems ist. ({3}) Human Rights Watch hat 24 Vorfälle aus dem Bundesstaat Jonglei dokumentiert, in denen die südsudanesische Armee zwischen Dezember 2012 und Juli 2013 nahezu 100 Angehörige des Volks der Murle getötet hat, darunter Frauen und Kinder. Die südsudanesische Armee hat Gebäude von Hilfsorganisationen und Schulen zerstört und ganz nebenbei einen UN-Hubschrauber abgeschossen. Mit anderen Worten: UNMISS hat das, was die Bundesregierung als eine Kernaufgabe definiert, nicht im Entferntesten erreicht. Der Einsatz konsolidiert keinen Frieden. Das kann er auch nicht; denn Frieden kann nicht durch die Entsendung von Truppen von außen gebracht werden. ({4}) UNMISS besteht aus 7 000 Soldaten; die meisten von ihnen stammen selbst aus Entwicklungsländern. Der Antrag der Bundesregierung gibt keinerlei Auskunft darüber, was die Soldaten und auch die deutschen Stabsoffiziere genau machen; stattdessen wird lang und breit etwas zum Engagement der Entwicklungszusammenarbeit ausgeführt. Das ist wieder so eine Nebelkerze; denn entwicklungspolitische Projekte - von denen die Linke viele begrüßt - stehen hier überhaupt nicht zur Abstimmung. Zur Abstimmung steht die Beteiligung von bewaffneten Streitkräften. Aber niemand braucht Soldaten, um Wasser- und Bildungsprojekte durchzuführen. ({5}) UNMISS ist im Kern eine Militärmission und kostet pro Jahr fast 1 Milliarde US-Dollar. Das ist viel Geld, das besser angelegt werden könnte. Ich gebe Ihnen ein kleines Beispiel: Dieses Geld könnte angelegt werden in einem Präventionsprogramm gegen die grassierende Flusskrankheit - eine Krankheit, die zur Erblindung führt -, die ein großes Problem im Südsudan ist. Diese Krankheit ist nur eines von vielen fundamentalen Problemen. Es gibt im gesamten Südsudan nur vier Augenkliniken. Die Wahrheit ist: So wie Sie es anpacken, instrumentalisieren Sie die Entwicklungshilfe, um die Entsendung von Militär zu rechtfertigen. Mit Friedenssicherung hat das nichts zu tun. ({6}) Das merken die Menschen im Südsudan auch. Studenten aus Juba sagten zum zweiten Jahrestag der Staatsgründung im Juli 2013 - ich zitiere -: Wir sind jetzt frei; aber das Leben hat sich nicht verbessert. Kriminalität hat in Juba zugenommen, Bildung und Gesundheitsdienste sind teurer geworden. Worum es tatsächlich geht, kann man auch im neuen Koalitionsvertrag nachlesen; hier herrscht ja größte Eintracht zwischen SPD und Union. Von einer „Kultur der Zurückhaltung“, von der im schwarz-gelben Koalitionsvertrag vor vier Jahren zumindest noch zu lesen war, ist heute keine Rede mehr. In ihrem Koalitionsvertrag sprechen SPD und Union davon, die - Zitat - „globale Ordnung aktiv mitgestalten“ zu wollen. Das ist nicht mehr und nicht weniger als eine diplomatische Umschreibung für die Bereitschaft, in möglichst vielen Weltregionen mit Truppen dabei zu sein - ob mit Militärbeobachtern, mit Stabsoffizieren oder mit Kampfsoldaten. Herr Strässer hat das eben ja auch noch einmal gesagt, als er erwähnte, wir müssten uns in Zukunft für robuste und flexible Einsätze starkmachen. Das heißt im Klartext: Mit Schwarz-Rot wird es noch mehr Auslandseinsätze der Bundeswehr geben. Die Linke steht dafür, zivil zu helfen, statt Militär in alle Welt zu senden. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Agnieszka Brugger ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Südsudan steht am Scheideweg, und die internationale Gemeinschaft kann es sich nicht leisten, den jüngsten Staat der Welt scheitern zu sehen. Dieser Einschätzung von Hilde Johnson, der Leiterin der UN-Mission im Südsudan, können wir Grüne voll und ganz zustimmen; ({0}) denn die Menschen im Südsudan haben es verdient, dass wir sie auf dem Weg hin zu mehr Frieden, zu mehr Entwicklung und zu mehr Sicherheit nach Kräften unterstützen. Dazu leistet UNMISS einen sehr wertvollen Beitrag. Die Mission hat die Aufgabe, die Zivilbevölkerung zu schützen, den Aufbau staatlicher Strukturen zu fördern und die Menschenrechte zu stärken. Seit der Staatsgründung des Südsudan am 9. Juli 2011 konnte auf diesem Wege bereits einiges erreicht werden, vieles leider aber auch noch nicht. Seit der Wiederaufnahme der Erdölförderung erholt sich die katastrophale wirtschaftliche Lage des Landes sehr langsam, und 2012 sanken die Verbraucherpreise für die Zivilbevölkerung endlich wieder. Aber auch bei der Bekämpfung der Korruption hat sich einiges getan. Beispielsweise wurden 16 000 „Geisteroffiziere“ von der Gehaltsliste der südsudanesischen Polizei gestrichen. Gleiches, so hat der Präsident öffentlich angekündigt, soll auch beim Militär geschehen. Hier muss UNMISS bei der Korruptionsbekämpfung weiter den Finger in die Wunde legen. Positiv war auch die diesjährige Zusammenarbeit der südsudanesischen Regierung mit den NGOs und den UN-Hilfsorganisationen bei der sich jährlich wiederholenden Flutkatastrophe im November. Dadurch konnte für knapp 140 000 notleidende Menschen die Versorgung mit Lebensmitteln und Medizin gesichert werden. Meine Damen und Herren, natürlich können auch viele Schritte in die richtige Richtung keineswegs darüber hinwegtäuschen, dass es auch Rückschläge und berechtigten Anlass zur Sorge, aber eben auch zu deutlicher Kritik gegenüber der südsudanesischen Regierung und ihren Sicherheitskräften gibt. So kam es beispielsweise, wie Human Rights Watch berichtet, im Bezirk Pibor zu massiven Menschenrechtsverletzungen, verübt durch die Soldaten der südsudanesischen Armee bei Kämpfen gegen Rebellengruppen. Statt wie beauftragt die Menschen zu beschützen, haben die Soldaten Zivilistinnen und Zivilisten getötet und Schulen zerstört. UNMISS hat daraufhin an diesen Orten seine Präsenz verstärkt und den geflohenen Menschen Schutz geboten und sie aufgenommen. Wenn Sie den Bericht von Human Rights Watch gelesen hätten, dann wüssten Sie, Kollegin Buchholz, dass sie nicht zu dem Schluss kommen, dass UNMISS beendet werden sollte; vielmehr stellen sie fest, dass es UNMISS an Kapazitäten mangelt. ({1}) Vorfälle wie diese dürfen nicht vertuscht werden; sie müssen konsequent verfolgt und geahndet werden. Wir können auch feststellen, dass es hier im Gegensatz zu früher ein Umdenken gibt, dass nämlich Täter verfolgt und benannt werden, auch wenn es hierfür bei der Justiz noch an den notwendigen Kapazitäten mangelt. Ich finde, diese Vorfälle machen vor allem deutlich, dass der Fokus der Mission noch stärker auf die Wahrung der Menschenrechte gelegt werden muss - ganz besonders im Hinblick auf die südsudanesische Armee und Polizei. Meine Damen und Herren, Staatsgründungen geschehen nun einmal nicht am Reißbrett. Leider! Ich finde, ein echter Wille zur Unterstützung zeichnet sich dadurch aus, dass man nicht aufgibt, wenn es Rückschläge gibt und wenn einmal etwas nicht nach Plan läuft. Ich glaube, wir helfen den Menschen im Südsudan am besten und am meisten, wenn wir unsere Unterstützung ernsthaft, langfristig, verlässlich, aber eben auch kritisch gestalten. ({2}) Das gilt besonders im Hinblick auf die Parlamentsund Präsidentenwahlen in 2015; denn, um bei dem Bild von Hilde Johnson zu bleiben: Damit der Südsudan am Scheideweg die Richtung hin zu einem funktionierenden Staat einschlägt, braucht es auch weiterhin eine starke Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft. Wir Grüne begrüßen daher die breite Mehrheit für das UNMISS-Mandat hier im Bundestag und werden ihm auch zustimmen. Der heutige Sitzungstag findet auf Antrag der Grünen-Bundestagsfraktion statt. Weil sich Union und SPD hier gemeinsamen Lösungen versperrt haben, haben wir noch keinen wirklich arbeitsfähigen Bundestag. Bei den Reden von Herrn Oppermann und Herrn Grosse-Brömer vorhin konnte man den Eindruck gewinnen, das sei nicht weiter schlimm, das sei vielleicht sogar ganz lustig. - Ich finde es bedauerlich, dass wir bei Mandaten über die Entsendung der Bundeswehr statt der üblichen zwei Debatten im Parlament und intensiver Ausschussberatung nur die heutige Debatte, verbunden mit einer Sofortabstimmung, haben. Ich halte das für falsch. ({3}) Denn die Entscheidungen über Auslandseinsätze sind immer schwierig. Sie rühren, finde ich, mit am meisten an Herz und Gewissen der Abgeordneten. Ich glaube, dass wir dazu bestimmt nicht weniger, sondern tendenziell eher mehr Debatten und Diskussionen brauchen. ({4}) Das gilt nicht nur für die Debatten hier im Parlament, sondern auch für die Berichterstattungen der Medien. Gerade wenn es um Friedensmissionen der Vereinten Nationen geht, sucht man Meldungen und Berichte darüber häufig vergebens. Ich finde, diese Aufmerksamkeit haben nicht nur die Menschen verdient, die an eine friedliche Zukunft im Südsudan glauben, sondern vor allem auch die zivilen und militärischen Kräfte, die wir unter diesen schwierigen Bedingungen in einen Einsatz mit großen Herausforderungen schicken. Ihnen gilt auch unser Dank. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Philipp Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir verlängern heute ein Mandat, über das in der Öffentlichkeit nicht so viel diskutiert wird wie über andere Mandate, zum Beispiel das Mandat für den Einsatz im Kosovo oder in Afghanistan, die häufig in den Medien große Beachtung finden. Bei der Herausforderung, die wir vor allem auf dem afrikanischen Kontinent sehen, geht es hierbei um das äußerste Mittel, das unserer Außenpolitik zur Verfügung steht, nämlich den Einsatz von Soldaten. Das ist für uns das äußerste Mittel, die Ultima Ratio. Deshalb ist es keine leichte Entscheidung, Soldaten in den Südsudan oder auch nach Afghanistan oder in den Kosovo zu schicken. Ich bin deshalb froh, dass unsere Soldatinnen und Soldaten mit einer so großen und breiten Unterstützung in diese schwierige Mission geschickt werden, und danke all denjenigen, die diesem Mandat verantwortungsbewusst zustimmen wollen. Ich kritisiere aufs Schärfste das, was vorhin hier von Frau Buchholz gesagt worden ist. Ich halte es für zynisch, wenn Sie über das Schicksal der Menschen im Südsudan so reden, als würde es hier um irgendwelche imperialistischen Vorstellungen alter europäischer Kolonialmächte gehen. ({0}) Wir leisten mit unserem militärischen Einsatz an dieser Stelle einen humanitären Beitrag. Deshalb sprechen wir uns nachdrücklich für die Verlängerung des Mandats aus. ({1}) Der Minister hat es gesagt: Den meisten ist überhaupt nicht bewusst, dass wir zwar über einen neuen Staat reden, aber gleichzeitig über eine Region, in der seit 50 Jahren Bürgerkrieg herrscht. Wir haben seit der Unabhängigkeit des Südsudans am 9. Juli 2011 Schätzungen zufolge 1 500 Tote zu beklagen. Zehntausende Menschen sind immer noch auf der Flucht oder obdachlos. Vor diesem Hintergrund ist jede Anstrengung, die wir im zivilen Bereich, im politischen Bereich oder auch im militärischen Bereich leisten können, dringend notwendig. Es ist so, dass wir von Staatlichkeit weit entfernt sind, von Rechtsstaatlichkeit ohnedies. Auch fundamentale Voraussetzungen für eine Gesellschaft gibt es nicht. Das Währungssystem ist zusammengebrochen. Es hat sich eine Tauschwirtschaft etabliert, wobei der Tauschhandel vor allem im Bereich der Viehwirtschaft stattfindet. Gerade weil die Zahl der Konflikte um Weideland - auch das ist vorhin in der Debatte schon gesagt worden - oder auch um Vieh stark zunimmt, ist die Gefahr einer neuen Eskalationsstufe riesig groß. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, dort auch militärisch präsent zu sein. Ich bin froh, dass so viele Nationen der Weltgemeinschaft bereit sind, den Südsudan zu unterstützen und hier Verantwortung zu übernehmen. Leider - so muss man sagen - hat sich seit Mitte dieses Jahres die Situation verschlechtert; es wird von regelmäßigen Übergriffen der Armee auf die Zivilbevölkerung berichtet. Es gibt auch zwischen den aktivsten Rebellentruppen und der südsudanesischen Regierung kein Friedensabkommen. Das ist - natürlich neben dem, was wir dort militärisch leisten - eine unserer wichtigsten Aufgaben, nämlich zu versuchen, eine solche politische Lösung anzustreben und uns dort zu engagieren. Wie in so vielen Debatten betone ich an dieser Stelle, dass wir unsere militärischen Einsätze immer in das einbetten und entsprechend abstimmen, was wir im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit leisten und was wir im Bereich der Außenpolitik koordiniert an diplomatischen Vorschlägen einbringen. Deshalb ist dieses Mandat Teil eines Gesamtkonzepts, das dringend notwendig ist. Vor allem ist es, wie ich schon sagte, humanitär begründet. Die Berichterstatter und diejenigen, die sich mit dem Land ausführlich beschäftigen, wissen, dass von der Flut und der Überschwemmungskatastrophe in den letzten Wochen weit mehr als 150 000 Menschen direkt betroffen sind. Deshalb ist es richtig, die humanitären Anstrengungen weiter voranzutreiben, statt sie zu ignorieren. Die UNO leistet an dieser Stelle einen wichtigen Beitrag. Ich denke auch, dass der Rahmen eines UNOMandats der richtige ist. Deshalb eine grundsätzliche Anmerkung zu dem, was vorhin zu der betreffenden Stelle im Koalitionsvertrag gesagt worden ist: Selbstverständlich wollen wir global mehr Verantwortung übernehmen. Mehr Verantwortung drückt sich in verschiedenen Bereichen aus. Das kann als äußerstes Mittel, wie ich sagte, auch Militäreinsätze bedeuten. Aber für uns ist es wichtig, zu betonen: Wir sind davon überzeugt, dass kein Konflikt dieser Welt auch nicht der Konflikt im Südsudan - militärisch gelöst werden kann, sondern dass eine militärische Komponente immer nur ein Beitrag zu einer politischen Lösung sein kann. ({2}) Deshalb ist es richtig, dass der Deutsche Bundestag bei Bundeswehreinsätzen das letzte Wort hat. Dafür sprechen wir uns im Koalitionsvertrag eindeutig aus. Meine Damen und Herren, wir wollen mit diesem Mandat erreichen, dass im Südsudan Programme zur Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration sowie das Entstehen von Rechtsstaatlichkeit überhaupt möglich werden. Dafür engagieren wir uns auch im Verfassungsgebungsprozess. Wir sollten uns aber auch weiterhin mit großem Engagement dafür einsetzen, dass es zu diplomatischen und politischen Lösungen kommt, gerade was die Vermittlung zwischen Rebellengruppen und der südsudanesischen Regierung angeht. Das robuste Mandat ist notwendig. Es ist auch deshalb notwendig, weil die Gefahr eines Bürgerkrieges nach wie vor sehr groß ist bzw. täglich Menschen in Bedrängnis geraten. Deshalb werbe ich um die parlamentarische Zustimmung. Ich möchte nicht unterlassen, unseren Soldatinnen und Soldaten, den Entwicklungshelfern vor Ort und den Diplomaten, die in schwieriger Mission sind, zu danken und ihnen allen eine gute Weihnachtszeit zu wünschen. Denn so sehr wir uns auch mit Afghanistan, Kosovo und anderen Ländern beschäftigen: Die 16 Soldaten, über die der Minister vorhin gesprochen hat, sollten nicht in Vergessenheit geraten. Sie werden auch das Weihnachtsfest und andere wichtige Feiertage in einem Land verbringen, das logistisch nicht so gut ausgestattet ist wie vielleicht andere Länder, in denen Missionen stattfinden, über die wir häufiger reden. Deshalb wünsche ich den Menschen, die Dienst für unser Land leisten, und ihren Familien in den nächsten Wochen eine gute Zeit und werbe auch um Verständnis für die Familien, die diese Menschen unterstützen. Herzlichen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bevor ich dem Kollegen Reinhard Brandl als letztem Redner das Wort erteile, möchte ich die Kolleginnen und Kollegen, die offensichtlich noch keinen Platz gefunden haben, darauf aufmerksam machen, dass es tatsächlich noch hinreichend viele freie Sitzplätze gibt. ({0}) Wir sollten im Übrigen am Beginn der Legislaturperiode, in der es ja immer mal wieder namentliche Abstimmungen gibt, uns vielleicht für diese Wahlperiode ein etwas geordneteres Verfahren vornehmen. ({1}) Viele von Ihnen wissen auch von Ihren Besuchergruppen, dass sowohl von den Besuchern hier im Hause als auch von den Fernsehzuschauern immer wieder verständlicherweise kritisiert wird, dass sich zum Schluss solcher Debatten, die mit namentlichen Abstimmungen enden, eine beachtlich große Zahl von Kolleginnen und Kollegen in den Gängen oder am Rande des Saales aufhält, die an den Beratungen erkennbar keinen Anteil mehr nehmen, um anschließend aber selbstverständlich abzustimmen. Das lässt sich ganz gewiss verbessern, und das sollten wir versuchen. Deswegen bitte ich jetzt noch einmal, dass die Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht sitzen, sich um einen solchen Sitzplatz bemühen. Ich versichere auch feierlich: Es wird nicht eher abgestimmt, bevor der letzte Redner fertig ist. ({2}) Jetzt hat der Kollege Brandl das Wort. ({3})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich besonders, dass wir zu so einem prominenten Zeitpunkt über einen Einsatz in einem Land sprechen - nach dieser Debatte folgt die erste namentliche Abstimmung in dieser Legislaturperiode -, das normalerweise nicht so sehr im Fokus der Öffentlichkeit steht und im Bewusstsein der Menschen verankert ist, nämlich das Land Südsudan. Ich war letztes Jahr im Südsudan und habe dort mit vielen Menschen gesprochen, natürlich auch mit Vertretern der UN-Mission und mit Menschen außerhalb der Stadt Juba. Ich muss feststellen: Das Land ist nahe bei null. Es gibt außerhalb der Städte fast keinerlei Infrastruktur. Viele Orte sind schwer oder gar nicht zu erreichen. Schon allein deshalb tut sich die Regierung unheimlich schwer, ihre Bevölkerung zu erreichen, ganz zu schweigen davon, für die Sicherheit der Bevölkerung zu sorgen. Wenn ich an den Südsudan denke, dann sehe ich ein Land vor mir, das ständig am Abgrund balanciert und bei dem die latente Gefahr besteht, abzustürzen und damit das bisher Erreichte zu verlieren. Es wurde viel erreicht; die Vorredner haben bereits darauf hingewiesen. Das Land hat einen jahrzehntelangen Bürgerkrieg hinter sich. 2005 gab es ein umfassendes Friedensabkommen. Im Januar 2011 gab es das Referendum über die Unabhängigkeit. Im Juli 2011 folgte dann die Unabhängigkeit vom Sudan, die weitgehend unblutig erreicht werden konnte. Nun steht das Land vor einer neuen großen Herausforderung. Es steht vor der Herausforderung, ein Staatswesen aufzubauen. Dabei muss sich der Südsudan nicht nur vom Sudan mit seiner Hauptstadt Khartoum abgrenzen. Die große Herausforderung besteht vielmehr darin, alle Gruppen und Ethnien im Land einzubinden. Trotz der großen Nähe zum Abgrund hat der Südsudan es in den letzten Jahren immer wieder geschafft - manchmal erst im letzten Moment -, die Kurve zu bekommen. Aber das wäre ohne die große und wohlwollende Unterstützung - manchmal auch mit entsprechendem Druck - durch die Afrikanische Union und die internationale Gemeinschaft nicht möglich gewesen. Als ich im Südsudan war, hatte man ein paar Wochen zuvor beschlossen, die Ölförderung einzustellen, weil man sich mit dem Sudan, durch dessen Gebiet die Pipelines laufen, nicht über die Verteilung der Einnahmen einigen konnte. Dabei hat der Südsudan billigend in Kauf genommen, auf etwa 98 Prozent seiner Staatseinnahmen zu verzichten. Das hat natürlich auch uns bei unseren Anstrengungen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit zurückgeworfen. Aufgrund großen diplomatischen Drucks und internationaler Anstrengungen wurde erreicht, dass sich beide Länder wieder an einen Tisch setzten. Im September und Oktober dieses Jahres gab es Besuche und Gegenbesuche der Präsidenten. Die Lage hat sich entspannt. Das Öl fließt wieder. Wir erleben, dass das Land schon nach kurzer Zeit wieder einen wirtschaftlichen Aufschwung erfährt. Aber ohne Druck, ohne internationale Unterstützung und ohne das Engagement von UNMISS wäre dies nicht erreicht worden. UNMISS besteht aus einer zivilen Komponente - Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit - und einer militärischen Komponente, die angesichts der Si88 cherheitslage - auch zum Schutz der Zivilbevölkerung unerlässlich ist. Deutschland stellt von den insgesamt rund 7 000 Soldaten gerade einmal 16. Es handelt sich dabei um gut ausgebildete, hochprofessionelle Berufssoldaten mit hohen Dienstgraden, deren Aufgabe im Wesentlichen darin besteht, Soldaten mit hohen Dienstgraden in der südsudanesischen Armee zu beraten, ihnen zu helfen, ihre Aufgaben zu erfüllen, und sie dabei zu unterstützen, Strukturen aufzubauen, die Armee zahlenmäßig zu reduzieren und darauf zu achten, dass Menschenrechte und Gesetze innerhalb der Armee eingehalten werden. UNMISS hat bei vielen negativen Vorfällen auf Aufklärung gedrängt. Wohlgemerkt, wir stimmen heute nur über den Einsatz von 16 Soldaten, also über einen kleinen Teil von UNMISS, ab. Unsere Strategie für den Südsudan und den Sudan geht viel weiter. Wir haben im letzten Jahr über einen zehnseitigen interfraktionellen Antrag abgestimmt, in dem wir seitens des Parlaments unsere Südsudan- und Sudanpolitik umfassend dargestellt haben. Ich wünsche mir eines: dass wir dieser Region auch in dieser Legislaturperiode im Parlament einen so hohen Stellenwert einräumen. Das Land und die Menschen dort haben es verdient. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung be- waffneter deutscher Streitkräfte an der von den Verein- ten Nationen geführten Friedensmission im Südsudan. Über den Antrag auf der Drucksache 18/71 stimmen wir namentlich ab. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, insbesondere die langjährigen Kolleginnen und Kolle- gen, darauf zu achten, dass Sie die aktuellen Stimmkar- ten, also die der 18. Legislaturperiode, verwenden und dass diese Stimmkarten Ihren Namen tragen. Können mir bitte die Schriftführerinnen und Schrift- führer an den Urnen ein Signal geben, ob jeweils zwei Schriftführerinnen und Schriftführer vorhanden sind? - Das scheint der Fall zu sein. Dann eröffne ich hiermit die Abstimmung.1) Gibt es noch Kolleginnen und Kollegen, die im Saal anwesend sind, aber ihre Stimmkarte nicht abgegeben haben? - Nachdem die letzte Kollegin gerade ihre Stimmkarte abgegeben hat, schließe ich hiermit die Ab- stimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift- führer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir geben das Ergebnis der Abstimmung im Laufe des nächsten Tages- ordnungspunktes bekannt.2) Ich möchte Sie bitten, wieder Platz zu nehmen, damit wir in unserer Tagesordnung fortfahren können. - Ich bitte noch einmal darum, wieder Platz zu nehmen. Wir 1) Erklärung zur Abstimmung nach § 31 GO BT siehe Anlage 2 2) Ergebnis Seite 90 D hatten uns gerade darauf verständigt, dass die Beratungen des Deutschen Bundestages in der Regel im Sitzen stattfinden, während die Redner üblicherweise am Rednerpult stehen dürfen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes zum Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder und zur Änderung des Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetzes - Drucksache 18/69 Auch hier sind nach einer interfraktionellen Vereinbarung 38 Minuten für die Aussprache vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Dagmar Ziegler für die SPD-Fraktion. ({0})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kitaausbau in unserem Land ist in vollem Gange. Hunderttausende von zusätzlichen Plätzen in Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege haben Länder, Gemeinden und Träger in den vergangenen Jahren geschaffen. Ermöglicht wurde dies durch einen nationalen Kraftakt und durch das Engagement des Bundes. Denn es war der Bund, der in der letzten Großen Koalition zum Krippengipfel eingeladen hatte, Bundesmittel zur Verfügung gestellt hat und mit dem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz den Takt für den Ausbau von Bildung und Betreuung vorgab. ({0}) Wir müssen heute feststellen: Das Konzept ist aufgegangen. Der Rechtsanspruch ist am 1. August 2013 in Kraft getreten. Aber trotz all dieser Anstrengungen von Ländern, Kommunen und Trägern drohen Kitamittel jetzt zu verfallen; denn ein großer Teil dieser Mittel kann nicht mehr fristgerecht abgerufen werden, was ganz verschiedene Gründe hat: Es gibt den Bankrott von Bauunternehmen, es gibt Planungsunsicherheiten; auch die Flutkatastrophe im Mai und Juni hat einiges dazu beigetragen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat die Initiative ergriffen, einen Gesetzesantrag zur Verlängerung der Fristen entwickelt und in den Bundesrat eingebracht. Dieser Gesetzesantrag hat dort eine große Mehrheit erhalten. Der entsprechende Gesetzentwurf des Bundesrates liegt uns heute zur Abstimmung vor, und wir werben für die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Die Fristverlängerungen müssen vorgenommen werden. Das betrifft zum einen das Investitionsprogramm 2008 bis 2013. Dabei geht es um die Verlängerung der Abrufungsfristen um ein Jahr. Den Ländern soll es ermöglicht werden, die Mittel nicht nur bis zum 31. Dezember dieses Jahres, sondern bis zum 31. Dezember 2014 abzurufen. Es geht zum anderen um das Investitionsprogramm 2013/2014. Es wird die Verlängerung der Frist bis zum 30. Juni 2016 verlangt. Das begrüßen wir. Das Geld soll nicht verfallen. Es soll auch nicht zur Haushaltskonsolidierung beitragen. Die neuen Fristen sind auch so geplant, dass der Druck nicht nachlässt, was den Kitaausbau angeht, und dass die Verantwortlichen in Ländern und Kommunen weiterhin konzentriert am Kitaausbau arbeiten müssen. Der Ausbau ist noch lange nicht abgeschlossen; das wissen wir. Alle Expertinnen und Experten sind sich einig, dass die Nachfrage nach Kitaplätzen weiter zunehmen wird. Meine Fraktion wird deshalb dem Gesetzentwurf des Bundesrates heute zustimmen, und ich werbe auch bei allen anderen Fraktionen um diese Zustimmung. Ich weiß, dass uns allen der Kitaausbau am Herzen liegt. In der Tat ist der Kitaausbau die einzige familienpolitische Leistung, der die Gesamtevaluation der eheund familienbezogenen Leistungen durchweg ein exzellentes Zeugnis ausstellt. ({1}) Der Kitaausbau ist wichtig für bessere Bildungschancen und Integration, er ist wichtig für Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie für Gleichstellung, und er ist ein wirkungsvolles Mittel gegen Kinder- und Familienarmut. Ich betone ganz ausdrücklich: für Familien, die einen Betreuungsplatz in Anspruch nehmen wollen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben deshalb mit CDU und CSU im Koalitionsvertrag vereinbart, den Kitaausbau weiter zu befördern. Natürlich steht das unter dem Vorbehalt, dass unsere Mitglieder dem Koalitionsvertrag zustimmen. In dieser Legislaturperiode soll die Verbesserung der Qualität von Kitas und Kindertagespflege ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Wir wollen Fragen der Personalausstattung, der Qualifikation und Weiterbildung der Fachkräfte sowie Fragen des Fachkräfteangebots und der Sprachbildung regeln. Damit die Länder gemeinsam mit den Kommunen den weiteren Ausbau bewältigen können, wird der Bund den Ländern in dieser Legislaturperiode 6 Milliarden Euro für den weiteren Ausbau im Bereich Bildung zur Verfügung stellen. Dabei geht es um Verbesserungen bei Kitas, Schulen und Hochschulen. Ich bin davon überzeugt, dass die Fristverlängerungen kein Thema für eine größere politische Auseinandersetzung hier im Hohen Hause sein können. Vielen Dank. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Bundesregierung erteile ich der Bundesfamilienministerin Kristina Schröder das Wort. ({0})

Dr. Kristina Köhler (Minister:in)

Politiker ID: 11003569

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In wenigen Wochen enden die Fristen zum Abruf der Finanzierungshilfen des Bundes aus dem ersten Investitionsprogramm „Kinderbetreuungsfinanzierung“. Nach wie vor sind nicht alle Mittel abgerufen, und die meisten Länder haben signalisiert, dass sie es nicht schaffen werden, die Mittel bis zum Ende der Fristen komplett abzurufen. Deshalb beraten wir heute einen Gesetzentwurf zur Änderung des Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetzes. Es geht darum, dass die vom Bund bereitgestellten Mittel aus beiden Investitionsprogrammen länger als bisher vorgesehen für den Bau von Kitas zur Verfügung stehen und die Kommunen dadurch mehr Zeit bekommen, um die vom Bund geförderten Kitas fertigzustellen. Ich bitte Sie um Unterstützung für dieses Anliegen. ({0}) Sie wissen, dass ich in den letzten Jahren immer wieder zu Konflikten mit den Ländern bereit war, um Druck zu machen, damit wir pünktlich zum 1. August dieses Jahres den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz erfüllen können. Dieser Druck war auch nötig; denn wir alle hatten die Sorge, ob es gelingen wird, den Rechtsanspruch zum 1. August zu erfüllen. In so mancher Rede wie auch in den Medien wurden sogar Katastrophenszenarien über das Scheitern der Erfüllung des Rechtsanspruchs heraufbeschworen. Aber der Druck hat sich gelohnt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die befürchtete Klagewelle ist ausgeblieben. Eltern, die sich einen Kitaplatz oder einen Platz bei einer Tagesmutter für ihr Kind wünschen, bekommen in aller Regel einen Platz angeboten, auch wenn es nach wie vor Unterschiede von Kommune zu Kommune, manchmal sogar von Stadtteil zu Stadtteil gibt. Nach dem erfolgreichen Inkrafttreten des Rechtsanspruchs sind wir jetzt in der glücklichen Lage, den Ländern hinsichtlich der noch nicht abgerufenen Mittel etwas mehr Spielraum einzuräumen. Das ist im Sinne der Familien, die nicht irgendwo irgendwelche Betreuungsplätze brauchen, sondern gute Betreuungsplätze in ihrer Nähe. In den letzten Jahren habe ich in Deutschland unzählige Kitas besucht, um mir ein Bild zu machen. Natürlich habe ich mitbekommen, welche Probleme es beim Ausbau gibt. Zum Beispiel hat der Marburger Bürgermeister - er ist übrigens von den Grünen - mir berichtet, dass bei ihnen eine tolle neue Kita gebaut wird, und zwar in moderner Bauweise mit sehr viel Holz, aber dass durch die lang anhaltenden Regenfälle im Sommer die Trocknungszeit außergewöhnlich lange war, viel länger als eingeplant. Natürlich hätte man stur nach Zeitplan weitermachen können, aber dann hätte die Gefahr bestanden, dass man die Kita in zwei Jahren wieder dichtmachen muss, um die Mängel zu beseitigen. Das ist noch einer der harmloseren Fälle. In anderen Städten hat die Flutkatastrophe dieses Sommers Bauvorhaben um viele Monate zurückgeworfen. Es mussten über Wochen Wasserschäden beseitigt werden, bevor überhaupt weitergebaut werden konnte. Ich finde, es ist eine Selbstverständlichkeit, dass wir den Kommunen in dieser Situation helfen und für die Länder die Fristen für die Abrufung der Mittel verlängern. ({1}) Meine Damen und Herren, der Bund hat die Länder und die Kommunen in den letzten Jahren mit allen verfügbaren Kräften und Mitteln beim Ausbau der Kinderbetreuung unterstützt. Wir geben insgesamt 5,4 Milliarden Euro für den Ausbau der Kinderbetreuung. Gemeinsam mit der KfW haben wir ein zusätzliches Förderprogramm mit einem Kreditvolumen von 550 Millionen Euro aufgelegt, durch das bis heute 27 000 zusätzliche Kitaplätze entstanden sind. Wo es Ausbauhemmnisse gab, haben wir geholfen, diese zu beseitigen, nämlich mit dem 10-Punkte-Programm, das ich im Mai 2012 vorgelegt habe. Es war ja keine Selbstverständlichkeit, dass der Rechtsanspruch, so wie er 2007 konzipiert wurde, am Ende auch funktionieren würde. Da gab es manches nachzuarbeiten, zum Beispiel beim Controlling, zum Beispiel beim Nachweis, dass die Länder auch wirklich eigene Gelder in die Hand genommen haben. Auch die Verpflichtung der Länder, regelmäßig und zeitnah über die Zahl der neugeschaffenen Plätze Bericht zu erstatten, war 2007 nicht vorgesehen. Da mussten wir nacharbeiten. Wir haben die Länder über Jahre mit so viel Geld und Aufwand unterstützt wegen der hohen Bedeutung eines guten Kinderbetreuungsangebots: für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, für die Zukunftsperspektiven von Kindern gerade aus bildungsfernen Familien und für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Genau aus diesen Gründen werden wir jetzt die Kommunen bei ihren Umsetzungsproblemen nicht im Stich lassen. ({2}) Aber auch Bund und Länder dürfen sich nicht auf dem bisher Erreichten ausruhen. Ja, es ist unser großer gemeinsamer Erfolg, dass die Zahl der Kitaplätze für unter Dreijährige auf 800 000 gestiegen ist. Ja, es ist unser gemeinsamer Erfolg, dass es einen Rechtsanspruch gibt, auf den Eltern seit dem 1. August zählen können. Das alles ist ein großer Erfolg für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und für berufliche Chancen von Eltern, insbesondere von Frauen. Bei allen Anstrengungen für den Kitaausbau dürfen wir unseren wichtigsten Maßstab aber nicht aus den Augen verlieren: das Wohlergehen der Kinder. Für das Wohlergehen der Kinder, die in Kitas betreut werden, zählt nur eines, nämlich die Qualität. Dafür braucht es Geld. Der Bund unterstützt die Länder und Kommunen bei der Verbesserung der Qualität mit rund 3 Milliarden Euro. Ab 2015 werden es jährlich 845 Millionen Euro sein. Außerdem braucht es gut qualifizierte Erzieherinnen und Erzieher, die dafür auch angemessen bezahlt werden. Natürlich hat der Bund da immer leicht reden; denn das ist Aufgabe der Kommunen. Wir können aber mit gutem Beispiel vorangehen, beispielsweise mit unseren Bundesprogrammen. Bei der „Offensive Frühe Chancen“ bezahlen wir die Fachkräfte deutlich besser, um zu zeigen, welchen Wert diese Arbeit hat und welche angemessene Bezahlung sie verdient. ({3}) Nicht zuletzt braucht es in ganz Deutschland gleichwertige Qualitätsstandards. Mit dem Rechtsgutachten, das ich in diesem Zusammenhang auf den Weg gebracht habe, haben wir bereits in diese Richtung vorgearbeitet. In jedem Fall wird die Frage der Qualität der Kinderbetreuung in den nächsten Jahren im Mittelpunkt stehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese entsprechenden Maßnahmen umzusetzen, wird nicht mehr in meiner Verantwortung liegen. Diese Rede heute ist voraussichtlich meine letzte Rede als Bundesfamilienministerin im Deutschen Bundestag. Rückblickend kann ich sagen: Die vielleicht größte Herausforderung dieses Amtes bestand darin, sicherzustellen, dass Familienpolitik keine abgeleitete Arbeitsmarktpolitik ist, sondern dass es darauf ankommt, Familienpolitik an den Bedürfnissen und Wünschen von Familien und nicht an den Erfordernissen des Arbeitsmarktes zu orientieren. ({4}) Dabei wünsche ich meiner Nachfolgerin oder meinem Nachfolger eine glückliche Hand. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich möchte Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Friedensmission im Südsudan mitteilen: abgegebene Stimmen 603. Mit Ja haben gestimmt 541, mit Nein haben gestimmt 60. Zwei Kolleginnen oder Kollegen haben sich der Stimme enthalten. Damit ist der Antrag angenommen, und damit hat der Bundestag seine Zustimmung zur Fortsetzung dieser Mission erteilt. Präsident Dr. Norbert Lammert Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 602; davon ja: 540 nein: 60 enthalten: 2 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({0}) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. Andre Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({1}) Axel E. Fischer ({2}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich ({3}) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Astrid Grotelüschen Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Christian Haase Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({4}) Mark Helfrich Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Andreas Jung ({5}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Dr. Katja Leikert Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Reiner Meier Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Jan Metzler Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller ({6}) Stefan Müller ({7}) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({8}) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({9}) Anita Schäfer ({10}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt ({11}) Gabriele Schmidt ({12}) Patrick Schnieder Nadine Schön ({13}) Dr. Kristina Schröder ({14}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster ({15}) Christina Schwarzer Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Präsident Dr. Norbert Lammert Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl ({16}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Astrid Timmermann-Fechter Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({17}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg ({18}) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß ({19}) Sabine Weiss ({20}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({21}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner SPD Niels Annen Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({22}) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. Lars Castellucci Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier-Heite Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Michael Groß Uli Grötsch Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann ({23}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({24}) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Reinhold Jost Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({25}) Birgit Kömpel Dr. Hans-Ulrich Krüger Christine Lambrecht Christian Lange ({26}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Katja Mast Hilde Mattheis Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Mahmut Özdemir ({27}) Aydan Özoğuz Markus Paschke Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Florian Post Achim Post ({28}) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({29}) Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({30}) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder ({31}) Udo Schiefner Ulla Schmidt ({32}) Matthias Schmidt ({33}) Dagmar Schmidt ({34}) Carsten Schneider ({35}) Ursula Schulte Swen Schulz ({36}) Ewald Schurer Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Carsten Träger Rüdiger Veit Dirk Vöpel Ute Vogt Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Gülistan Yüksel Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Annalena Baerbock Marieluise Beck ({37}) Volker Beck ({38}) Ekin Deligöz Katharina Dröge Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Dr. Anton Hofreiter Dieter Janecek Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Oliver Krischer Stephan Kühn ({39}) Christian Kühn ({40}) Renate Künast Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Irene Mihalic Özcan Mutlu Präsident Dr. Norbert Lammert Dr. Konstantin von Notz Cem Özdemir Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({41}) Corinna Rüffer Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Frithjof Schmidt Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. Andre Hahn Dr. Rosemarie Hein Andrej Hunko Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Thomas Nord Harald Petzold ({42}) Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Sabine Zimmermann ({43}) Enthalten SPD Dr. Ute Finckh-Krämer Petra Hinz ({44}) ({45}) Ich erteile das Wort nun der Kollegin Diana Golze für die Fraktion Die Linke. ({46})

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Alles hat sein Gutes, sogar lang andauernde Koalitionsverhandlungen. Auch wenn sie den Nachteil haben, dass das Parlament, um es einmal diplomatisch auszudrücken, nur sporadisch arbeiten darf, so haben sie doch den Vorteil, dass eine geschäftsführende Ministerin heute zu einem Thema Rede und Antwort stehen muss, bei dem es um die Fehler geht, die in der Vergangenheit beim Kitaausbau gemacht wurden. Die Fehler, die durch den Gesetzentwurf des Bundesrates nun zum Teil ausgebügelt werden sollen, liegen hauptsächlich bei den beiden jüngsten Bundesregierungen. Die Fristverschiebung bezüglich der Finanzhilfen des Bundes ist natürlich der Kern dieses Gesetzentwurfes. Diese Fristverschiebung ist vor allem für die Kommunen wichtig, damit die Mittel länger abrufbar bleiben und die Bauvorhaben zu Ende geführt werden können. Doch geht es bei diesem Thema um mehr als nur um diese Fristverschiebung. Es geht vielmehr um die Darstellung einer Politik des Ignorierens, des Wegduckens und des Herausstehlens aus der Verantwortung des Bundes. ({0}) Schließlich war es der Bund, der es 2008 bei der Einrichtung des Sondervermögens zum Kitaausbau versäumt hat, verbindliche Berichtspflichten über die Verwendung der Mittel in die Vereinbarung aufzunehmen. Nun wird dies als Hauptgrund für die noch fehlenden Kitaplätze genannt. Fakt ist: Der Bund hat nicht nur diese Kontrollpflicht viel zu lange nicht wahrgenommen, sondern hat sich auch aus der Verantwortung gegenüber den Kommunen gestohlen, die für die Kitabauten in der Tat in Vorleistung getreten sind und dann den Rückzahlungen der Mittel teilweise über Jahre hinweg hinterherlaufen mussten. Es war ebenfalls der Bund, der den Betreuungsbedarf quasi freihändig bei 35 Prozent festgeschrieben hat. Man ging also davon aus, dass nur gut ein Drittel der Eltern einen vorhandenen Kitaplatz für ihre Kinder auch tatsächlich in Anspruch nehmen würde. Aber schon damals gab es Erhebungen, die davon ausgingen - sie waren auch glaubwürdig -, dass der Bedarf wesentlich höher liegen wird. Es war ebenfalls der Bund, der den Widerspruch zwischen diesem festgeschriebenen Ausbauziel und dem beschlossenen Rechtsanspruch völlig ignoriert hat. Denn wenn man einen festgeschriebenen Rechtsanspruch hat, kann ein Ausbauziel doch nur eine Orientierung sein. Aber nein, über Jahre hinweg haben die beiden Ministerinnen, die dafür zuständig waren, dieses Ausbauziel wie ein Naturgesetz vor sich hergetragen und waren nicht bereit und willens, hier nachzusteuern und zusätzliches Geld zu investieren. All dies kam zu spät. Auch das Ausbauziel ist nur minimal auf 38 Prozent korrigiert worden. Fatal ist dabei: Es sind die Länder und vor allem die Kommunen, die mit den Folgen alleingelassen wurden. Ebenfalls alleingelassen wurden die Handelnden vor Ort im Hinblick auf den Mangel an Fachkräften. Dass Sie uns Linken nicht zugehört haben, mag die Macht der Gewohnheit sein. Aber auch die zuständige Gewerk94 schaft Erziehung und Wissenschaft hat wieder und wieder gesagt: Wir brauchen zusätzliches Personal; es muss investiert werden. Bund, Länder und Kommunen müssen gemeinsam die Verantwortung für die Fachkräfte tragen. - Angesichts dessen frage ich mich: Warum ist dieser Ruf ignoriert worden? Frau geschäftsführende Ministerin Schröder, Sie sagen, dass über das Bundesprogramm „Offensive Frühe Chancen“ die Fachkräfte besser bezahlt werden. Sie dürfen aber nicht verschweigen, dass es sich dabei nur um halbe Stellen handelt, die von den Kommunen mit Stunden aufgestockt werden müssen, damit die betroffenen Menschen überhaupt davon leben können. Es nützt nichts, wenn man halbe Stellen gut finanziert. Denn es handelt sich hier in erster Linie um Frauen, die ihre Familien ernähren müssen und die von halben Stellen nicht leben können. ({1}) Die Liste der Versäumnisse seitens des Bundes ist lang. Die fehlende Debatte um Qualität war auch dem Umstand geschuldet, dass im Bundesgesetz keine Mindeststandards festgeschrieben worden sind. Die nach wie vor vorhandene Ungleichheit zwischen Kitas und Kindertagespflege hat ihre Ursachen auch darin, dass man nicht über bessere Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten reden wollte. Dann darf man sich nicht darüber wundern, dass es nach wie vor nicht genügend Tagespflegepersonen gibt. Nun schlägt der Bundesrat ein weiteres Mal die Korrektur eines Gesetzes der letzten Bundesregierung vor, das den Realitätstest nicht bestanden hat. Ich fürchte, das wird in Zukunft öfter der Fall sein. Ich fürchte es auch deshalb, weil ich mir angeschaut habe, was alles in der Nacht der langen Messer aus dem Entwurf des Koalitionsvertrages gestrichen worden ist. ({2}) Die Kinder sind die Opfer dieser Nacht gewesen. Die angedachten Verbesserungen beim BAföG, das Ganztagsschulprogramm, das Qualitätsgesetz für Kitas, das Thema Kinderarmut, all das kommt nicht mit einem Wort vor. Kindergeld und Kinderzuschlag werden nicht erwähnt. Es gibt keine Verbesserungen beim Bildungs- und Teilhabepaket, keine Einbeziehung der Leistungen für Kinder mit Behinderungen in die Jugendhilfe. Diese Liste ließe sich fortsetzen. Hier ist noch einiges zu tun, vor allem für die Opposition. Vielen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Caren Marks hat nun das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich noch einmal kurz in Erinnerung rufen: Im Dezember des Jahres 2008 hat die letzte Große Koalition ein wirklich wichtiges Gesetz für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, für mehr Chancengleichheit und für eine bessere frühkindliche Bildung und Betreuung auf den Weg gebracht: das Kinderförderungsgesetz, vielen unter KiföG bekannt. ({0}) In diesem Gesetz ist auch der Rechtsanspruch verankert, dass Eltern für ihre Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr einen Anspruch auf einen Bildungs- und Betreuungsplatz in einer Krippe oder bei einer Tagespflegeperson haben. Wir alle wissen: Das war ein großer Schritt; denn wir hatten, was diesen Punkt angeht, im Vergleich zu den meisten europäischen Nachbarländern einen riesigen Nachholbedarf. Es war auch eine große Kraftanstrengung. Seit dem 1. August dieses Jahres gilt dieser Rechtsanspruch, und zwar ohne Wenn und Aber. Das ist wirklich gut, richtig und notwendig. ({1}) Der Bund hat einige Milliarden Euro in die Hand genommen, sowohl für die Investitionskosten, also bauliche Maßnahmen, als auch - das will ich in diesem Zusammenhang noch einmal erwähnen - für die Betriebskosten, hinter denen sich in erster Linie die Personalkosten verbergen. Das heißt, hinter der Höhe der Betriebskosten verbirgt sich die Qualität. Die Mittel aus beiden Investitionsprogrammen sind überwiegend bewilligt und abgeflossen. Ich denke, es sollte unser gemeinsames Ziel sein, dass diese zum Aufbau einer besseren frühkindlichen Bildung und Betreuung, für mehr Chancengerechtigkeit und für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf verabredeten Mittel auch weiterhin diesem Zweck zugutekommen und nicht irgendeiner Frist anheimfallen. ({2}) Darum begrüßen wir als SPD-Bundestagsfraktion ausdrücklich die Bundesratsinitiative bezüglich der Fristverlängerung. Es wurden schon einige gut nachvollziehbare Gründe genannt, warum es zu Verzögerungen beim Mittelabruf kam. Es ist gut, wenn wir heute im Deutschen Bundestag dafür Sorge tragen, dass die erforderliche Verlängerung ermöglicht wird. Zu Recht hat der Bundesrat - auch das will ich an dieser Stelle noch einmal deutlich betonen - auf die Eilbedürftigkeit dieses Gesetzentwurfes hingewiesen. Wir finden es nicht nur gut, sondern auch notwendig, dass dieser Gesetzentwurf, der von uns heute im Bundestag verabschiedet wird, die noch im November stattfindende Bundesratssitzung erreicht und somit auf einen guten Weg gebracht werden kann, auf einen guten Weg im Sinne der Kinder und der Eltern in unserem Land. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich einen riesengroßen Dank an die Länder und an die Kommunen richten; denn es war eine gemeinsame, große KraftanstrenCaren Marks gung von Bund, Ländern und Kommunen. Wenn auch noch nicht alles perfekt ist: Beim Thema „frühkindliche Bildung und Betreuung“ ist doch vieles gelungen. Das hat auch etwas mit dem großen Engagement von Landespolitikerinnen und -politikern und Kommunalpolitikerinnen und -politikern zu tun. Herzlichen Dank dafür! ({3}) Bedanken möchte ich mich aber auch bei den vielen engagierten Erzieherinnen und Erziehern und Tagespflegepersonen. Ich finde, auch ihre Leistung kann bei diesem Tagesordnungspunkt in diesem Hohen Haus gewürdigt werden; denn auch sie haben eine große Kraftanstrengung unternommen. ({4}) Wir haben noch einiges vor uns, nicht nur was den Ausbau angeht, sondern vor allem auch was die Qualitätsoffensive angeht. Für diese Legislaturperiode haben wir uns gemeinsam mit den Ländern und Kommunen viel vorgenommen. Der Bund wird seiner Pflicht gerecht und nimmt 6 Milliarden Euro für eine Qualitätsoffensive in Kitas, Schulen und Hochschulen in die Hand. Ich denke, das ist das richtige Signal für die Familien und die Kinder in unserem Land und auch das richtige Unterstützungssignal für die Länder und Kommunen. Herzlichen Dank dafür! ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Katja Dörner, Bündnis 90/Die Grünen.

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf werden Fristen verlängert, damit die Kommunen die Mittel aus dem Bundesprogramm für den U-3-Ausbau vollständig abrufen können. Damit werden schwarzgelbe Fehler der Vergangenheit korrigiert. Wir Grüne wollen den zügigen Kitaausbau, und deshalb ist es für uns selbstverständlich, dass wir diesem Gesetzentwurf zustimmen werden. ({0}) Genügend Kitaplätze, Ganztagsbetreuungsplätze und nicht zuletzt eine gute Qualität der Angebote in den Kitas - eine moderne Gesellschaft muss genau das leisten. Das in Deutschland hinzubekommen, ist weiterhin eine Zukunftsaufgabe, und das ganz klar auch für den Bund. Gute Kitas, in die Eltern ihre Kinder gerne geben - dafür leisten die Erzieherinnen und Erzieher in Deutschland schon heute Großartiges. Aber wir sind eben bestenfalls auf halbem Wege. Wir entsprechen den Wünschen und den Bedürfnissen der Eltern noch lange nicht. Bessere Kitas stehen ganz oben auf der Wunschliste der Eltern, und da ist der Bund in der Pflicht. ({1}) Ein Blick in den Koalitionsvertrag verrät: Vor diesem großen Handlungsbedarf verschließt die Große Koalition in spe komplett die Augen. Das nenne ich Arbeitsverweigerung, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD. Wenn man sich den Koalitionsvertrag der absehbaren Großen Koalition anschaut, dann sieht man: Eventuell, aber auch nur eventuell, soll es zusätzliche Mittel für Investitionen in U-3-Plätze geben, nämlich nur dann, wenn der Bedarf weiter steigt. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen: Schon heute liegt der Bedarf weit über dem, was der Bund anteilig mitfinanziert. Zum Ausbau der Ganztagsbetreuung finden wir im Vertrag kein einziges Wort. Ich möchte darauf hinweisen, dass der Ausbau der Ganztagsbetreuung ein ganz großes Versprechen der SPD im Wahlkampf war. Richtig wundert man sich, wenn man sich den Passus zu den Qualitätsstandards auf Bundesebene anschaut; alle Vorrednerinnen haben schon darauf Bezug genommen. Diese Passage im Vertrag ist ein reines Placebo, weil mehr Qualität in den Kitas nicht zum Nulltarif zu haben ist. ({2}) Geld für die Erfüllung der Qualitätsstandards soll es aber nicht geben. Ob die schönen Worte zur Qualität in den Kitas also einfach nur Lyrik bleiben oder die Kosten dann einfach zu den Ländern und Kommunen verschoben werden, bleibt abzuwarten. Ich finde das völlig inakzeptabel, liebe Kolleginnen und Kollegen; es ist ein Armutszeugnis für die drei Parteien, die im Wahlkampf beim Thema Kitaausbau den Hafen ganz schön weit aufgerissen haben. ({3}) Man muss auch die Sorge haben - auch darauf möchte ich hinweisen -, dass selbst das gute und wichtige Sprachbildungsprogramm offensichtlich abgewickelt werden soll. Anders als bei anderen vergleichbaren Programmen des Familienministeriums fehlt nämlich im Koalitionsvertrag die klare Aussage, dass es fortgesetzt wird, und es fehlt die konkrete Finanzierungszusage über 2014 hinaus. Ich finde, das ist ein echtes Drama, liebe Kolleginnen und Kollegen. Jeder weiß, wie wichtig gute Sprachbildung ist. Dass das Programm „Offensive Frühe Chancen: Schwerpunkt-Kitas Sprache & Integration“ en passant versenkt wird, macht mich richtig sauer. ({4}) Klar ist: Die Große Koalition hat offensichtlich nicht vor, in die Zukunft zu investieren. Es ist mehr als mickrig, was Union und SPD für Kitas tun wollen. Im Koalitionsvertrag steht kein Wort zur besseren materiellen Absicherung von Familien und zur Bekämpfung von Kinderarmut, zudem gibt es im Hinblick auf die Kitas bestenfalls Placebos. Das ist völlig inakzeptabel, liebe Kolleginnen und Kollegen. Da kritisiert der Familienbund der Katholiken völlig zu Recht, dass die neue Bun96 desregierung „mit einem Wortbruch in die neue Legislaturperiode“ startet. ({5}) Das sind zwar harte Worte, liebe Kolleginnen und Kollegen, ({6}) aber ich finde, sie sind durchaus richtig gewählt. ({7}) Für die Kitas kommt wenig. Was bleibt? Das Betreuungsgeld. Es kostet bekanntlich 2 Milliarden Euro, die für den Kitaausbau weiterhin fehlen werden. Manuela Schwesig hat das Betreuungsgeld unlängst als „Irrsinn“ bezeichnet. Wir müssen feststellen: Mit diesem Irrsinn soll es offensichtlich weitergehen. Ich denke, dass die Familien in diesem Land wissen, bei wem sie sich dafür bedanken können. ({8}) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir stimmen heute den Fristverlängerungen zu. Ich hoffe, die Kinder und Familien in Deutschland haben nicht das Pech, dass die Miniänderungen von heute dank der Großen Koalition das Einzige bleiben, was in dieser Legislaturperiode beim Kitaausbau passiert. Vielen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Dorothee Bär für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Vorrednerinnen haben ja bereits eingehend und detailliert dargelegt, wie sinnvoll der vorliegende Gesetzentwurf zur angestrebten Verlängerung der Fristen ist. Deswegen werde ich das alles jetzt nicht wiederholen. Aber ich möchte dennoch auf zwei meiner Vorrednerinnen eingehen; denn manchmal fragt man sich schon: In welchem Land leben Sie eigentlich? Frau Golze, ich war immer der Meinung, man müsse in Deutschland leben, um hier ein Mandat erringen zu können. Aber offensichtlich haben Sie von Deutschland überhaupt keine Ahnung. Bei Ihrer Rede hatte ich den Eindruck, Sie sprechen von einem anderen Land, aber nicht von den Realitäten in unserem Land, für das wir eigentlich zuständig sind. Sie leiden völlig an Realitätsverlust. ({0}) Das war wirklich so was von unsäglich, das hat mit unserer Lebensrealität null Komma null zu tun. Also: Willkommen in Deutschland! Wenn Sie Politik für die Bürgerinnen und Bürger machen wollen, dann sollten Sie sich auch mal die Situation vor Ort anschauen. ({1}) - Nein, das glaube ich nicht. Wie man heute bei den Grünen mitbekommen hat, ist Wahlkreisarbeit offensichtlich nicht wichtig. Möglicherweise liegt das daran, dass sie keine Wahlkreise vertreten; aber das ist ein anderes Thema. Frau Dörner, ich bin froh, dass die Menschen in Deutschland wissen, bei wem sie sich für das Betreuungsgeld zu bedanken haben; in diesem Punkt gebe ich Ihnen völlig recht. Ich lade Sie gerne in mein Büro ein; dann kann ich Ihnen die meterlange Reihe von Ordnern zeigen, die Dankeszuschriften von Eltern enthalten. ({2}) Ich bin froh, dass das Betreuungsgeld bleibt; denn damit können wir viel Gutes in unserem Land tun. ({3}) Lassen Sie mich meinen Blick darauf lenken, was der Bund in den letzten Jahren getan hat. Wir haben in den letzten Jahren wirklich viel für den Ausbau der Betreuung getan. Die Rednerinnen der SPD haben es angesprochen: Schon in der letzten Großen Koalition haben wir dafür gesorgt, dass der Ausbau von Kitaplätzen vorangetrieben wird. Damals haben wir auch den Rechtsanspruch durchgesetzt. Außerdem haben wir - oh Wunder - seit dem 1. August nicht das Horrorszenario erlebt, das von den Linken und den Grünen die ganze Zeit beschrieben wurde, dass nämlich die Zahl der Betreuungsplätze nicht ausreicht und wir von einer Klagewelle überrollt werden. Sie alle haben hier in den letzten Jahren in ihren Reden Schreckensszenarien verbreitet; das war teilweise wirklich Wahnsinn. Wir haben nicht nur einen großartigen Endspurt hingelegt, sondern auch für eine flächendeckende Versorgung gesorgt, mit der vor einigen Jahren noch keiner rechnen konnte. ({4}) Spannend ist natürlich auch, dass die große Klagewelle ausgeblieben ist. Die Ministerin hat heute einen grünen Bürgermeister zitiert. Ich habe an dieser Stelle in den letzten Jahren viele SPD-Bürgermeister und -Oberbürgermeister zitiert, die gesagt haben: Für uns ist das kein Problem. Unsere Kommunalpolitiker haben immer Verantwortung übernommen und wissen es zu schätzen, dass sich der Bund finanziell reingehängt hat, ohne die originäre Zuständigkeit zu haben. - Mein Fraktionsvorsitzender Volker Kauder hat mehrfach betont - nicht nur bei uns in der Fraktion, sondern auch hier im Plenum -, dass auch einmal anerkannt werden muss, dass der Bund, weil er wusste, dass es die Länder und die Kommunen nicht alleine schaffen, seiner Verantwortung gerecht wird. Das hat er auch getan. Was sagt der Deutsche Städte- und Gemeindebund dazu? Bundesweit gab es noch nicht einmal 50 Klagen. Bei Engpässen konnten in vielen Fällen einvernehmliche Lösungen erzielt werden. Sogar SPD-Oberbürgermeister haben zu mir gesagt: Frau Bär, das ist kein Thema, dann schaffen wir eben noch zusätzliche Plätze oder sorgen für Lösungen mit Tagesmüttern. Wir vor Ort sind flexibel genug, und wir kennen die Bedürfnisse unserer Städte und Gemeinden natürlich wesentlich besser, als das bei einer übergeordneten Stelle der Fall ist. Deswegen schaffen wir es auch, uns darum zu kümmern. Sogar in München, wo es im Vergleich zum Rest von Bayern mit der Kinderbetreuung immer noch etwas schwierig ist, wurden bislang maximal zehn Klagen eingereicht, zum Beispiel, weil die Eltern mit dem von der Stadt vorgeschlagenen Krippenplatz nicht einverstanden sind, weil die Entfernung zu groß ist. Der Ausbau der U-3-Plätze ist ein Riesenerfolg. Deswegen kann ich an dieser Stelle einerseits sagen: Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Andererseits möchte ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort ganz herzlich bedanken. Hier gibt es sehr engagierte Kräfte. Daher möchte ich allen denen, die in Kindergärten und in Kinderkrippen arbeiten, ein ganz herzliches Dankeschön und ein Vergelt’s Gott sagen. Jeder berufstätige Elternteil weiß, dass man ohne das Wissen, dass die Kinder gut versorgt sind, dass sie gut betreut sind, dass sie gefördert und gefordert werden, seine Arbeit nicht gut verrichten könnte. Deshalb auch von meiner Seite ein ganz herzliches Dankeschön! ({5}) Natürlich wissen wir, dass der Ausbau noch nicht abgeschlossen ist. Jedes Mal, wenn ein Rechtsanspruch in Kraft tritt, erhöht sich der Bedarf. Das ist völlig klar; das sagt auch das Deutsche Jugendinstitut. Wir wissen auch, dass wir die Qualität noch weiter verbessern müssen. Im Koalitionsvertrag, der offensichtlich weder von den Linken noch von den Grünen ordentlich gelesen wurde, haben wir vereinbart, dass der Bund zur weiteren Realisierung des Rechtsanspruchs im Bereich U 3 ein drittes Investitionsprogramm auflegen wird. Darüber hinaus unterstützt der Bund die Länder - das ist bereits fest vereinbart - jährlich mit 845 Millionen Euro bei der Finanzierung der Betriebskosten, wozu auch die besonders wichtigen Personalkosten zählen. Das ist eine große Summe, die die Länder auch in den nächsten Jahren erhalten werden. Wir haben noch andere Maßnahmen eingeleitet - ich erwähne sie, damit deutlich wird, dass es nicht nur um den Ausbau und um das Personal geht -: Die Bundesregierung hat eine Arbeitsgruppe zum Thema Fachkräftegewinnung etabliert. Wir haben das Aktionsprogramm Kindertagespflege. Wir haben Lohnkostenzuschüsse. Wir haben ein Serviceprogramm „Anschwung für frühe Chancen“. Wir haben ein Bundesprogramm „Lernort Praxis“. Wir haben die Initiative „Mehr Männer in Kitas“; dies ist ein wichtiger Baustein, um immer mehr Männer für die herausfordernden Berufe im Bereich der frühkindlichen Erziehung und Bildung zu begeistern. Wir haben selbstverständlich auch die „Offensive Frühe Chancen“, über die bis 2014 400 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden, um 4 000 Kitas in Deutschland zu Kitas mit dem Schwerpunkt Sprache und Integration weiterzuentwickeln. Das ist nur ein kleiner Teil der Maßnahmen und Initiativen. Man könnte noch hundert andere Maßnahmen und Initiativen aufzählen, die zeigen, dass wir uns die Förderung der Kinder in unserem Land ganz groß auf die Fahnen geschrieben haben; denn sie sind uns am wichtigsten. Sie werden in dieser Legislaturperiode feststellen können, dass wir auf diesen Bereich einen Schwerpunkt legen werden. Ich sage aber auch Folgendes: Wir haben schon sehr viel für die unter Dreijährigen getan. Mir ist es wichtig, dass wir, wenn wir in dieser Legislaturperiode über das Thema Familie reden, über eine ganzheitliche Familienpolitik reden. Dabei geht es nicht nur um U 3, auch nicht nur um Ü 3, sondern es geht um das ganze Leben, von der Geburt bis zum letzten Lebensabschnitt. Zeitgleich leben vier Generationen. Das ist die Regel und nicht die Ausnahme. Das heißt, wir müssen uns auch um die drei anderen Generationen kümmern. Ich nenne in diesem Zusammenhang nur das Stichwort „Pflege“. Wir haben also viel zu tun. Ich freue mich riesig auf diese Legislaturperiode. Ich glaube, dies war meine erste Rede zur Familienpolitik in den letzten vier Jahren, in der Frau Marks keinen Zwischenruf gemacht hat. Das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Danke schön. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Hier werden noch viele wunderbare und überraschende Freundschaften entstehen ({0}) und einzelne vielleicht auch zerbrechen. Das wollen wir in Ruhe der weiteren Entwicklung der Legislaturperiode überlassen. Wir kommen nun noch nicht sofort zur Abstimmung. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass die Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der Linken fristgerecht beantragt haben, gemäß § 80 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung ohne Ausschussüberweisung in die zweite Beratung einzutreten. Die zweite und dritte Beratung soll heute Nachmittag nach dem Tagesordnungspunkt 8 aufgerufen werden. In der Zwischenzeit könnte der Hauptausschuss, den wir heute Nachmittag konstituieren, als Haushaltsausschuss Gelegenheit zur Prüfung der Vorlage gemäß § 96 Abs. 4 der Geschäftsordnung haben. Präsident Dr. Norbert Lammert Das ist die Regelung, die sicherstellen soll, dass bei Gesetzgebungsvorhaben vorher geprüft wird, ob dafür überhaupt die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen bestehen. Zu diesem Antrag hat die Kollegin Haßelmann zur Geschäftsordnung das Wort gewünscht, das ich ihr hiermit erteile. ({1})

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident! - Vielen Dank auch für die kleinen Kommentierungen gleich am Anfang. Ich habe das Wort gewünscht, weil das, was Sie hier vorführen, ein kleines Stück aus Absurdistan ist. ({0}) Das sage ich, ehrlich gesagt, auch in Richtung der Linksfraktion. Ich bin überrascht, dass Sie diesen Antrag mit eingebracht haben. Um das einmal vorweg zu sagen: Ich bin dafür, und unsere Fraktion ist dezidiert dafür - das haben wir in allen Gesprächen mit den Fraktionen deutlich gemacht -, dass dieser Gesetzentwurf und auch der Gesetzentwurf, über den wir nachher beraten, der Entwurf eines AIFMSteuer-Anpassungsgesetzes - beides sind Initiativen aus dem Bundesrat -, noch in diesem Jahr verabschiedet werden. ({1}) Die Länder legen ganz großen Wert darauf, dass das passiert. Ich finde es richtig, diesem Wunsch zu entsprechen. ({2}) Wenn Sie aber einen Hauptausschuss einrichten, was Sie heute mit Mehrheit von Union und SPD gemacht haben, dann ist es fragwürdig, wenn Sie nicht sagen: Diese beiden Gesetzesinitiativen, die noch dieses Jahr verabschiedet werden müssen - das wollen auch wir -, kommen jetzt in diesen Hauptausschuss, und dort findet ein gemäß der Geschäftsordnung ordentliches Beratungsverfahren statt. Das, Frau Kipping, ist nicht so. ({3}) Der Präsident hat darauf hingewiesen, dass der Hauptausschuss die Vorlage heute nur als Haushaltsausschuss gemäß § 96 der Geschäftsordnung prüfen wird. Das heißt, Berichterstattung dazu ist in diesem Sinne so nicht möglich. ({4}) Wir hatten uns in einer PGF-Runde schon darauf verständigt - ihr erinnert euch sicher, Sie erinnern sich sicher -, diese beiden Gesetzentwürfe in der Woche vom 16. Dezember bis zum 19. Dezember 2013 im Bundestagsplenum in zweiter und dritter Lesung zu verabschieden, damit sie dann in den Bundesrat können. Das alles wurde durch diesen Antrag über den Haufen geworfen. Aus meiner Sicht gibt es keine sachliche Begründung dafür, dass wir heute sozusagen nur die Begleitung durch den Haushaltsausschuss vorsehen und nicht eine Beratung im Hauptausschuss. Ich weiß, dass es für viele der Zuhörerinnen und Zuhörer schwierig ist, dies alles nachzuvollziehen. Das Verfahren ist so, dass wir heute die zweite und dritte Beratung direkt machen, obwohl wir den Hauptausschuss eingesetzt haben. Das ist absolut kritikwürdig, da wir die Gesetzentwürfe auch nach einer Beratung noch in diesem Jahr verabschieden können. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Thomas Oppermann.

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Haßelmann, bei diesem Gesetzentwurf geht es ausschließlich darum, zu verhindern, dass die für die Länder und Kommunen vorgesehenen Kitamittel am Jahresende verfallen. Wir wollen erreichen, dass sie auch im nächsten Jahr verwendet werden können. Das ist das Einzige, um das es in diesem Gesetzentwurf geht. ({0}) Wir sind von allen rot-grünen Landesregierungen, vom rot-rot regierten Brandenburg und von allen sonstigen Landesregierungen inständig gebeten worden, den Gesetzentwurf heute zu verabschieden. ({1}) - Der Ausschuss nimmt doch nachher Stellung zu diesem Komplex. - Wir wollen den Gesetzentwurf heute verabschieden und wollen deshalb keine Ausschussüberweisung. Der Hauptausschuss befasst sich mit diesem Gesetzentwurf und nimmt Stellung dazu, aber wir machen keine Ausschussberatung, keine Anhörung oder sonstige Dinge, weil der Gesetzentwurf noch heute verabschiedet werden soll, damit er noch im November im Bundesrat endgültig beschlossen werden kann und damit die Kommunen und die Länder diese Mittel für den Kitaausbau weiter einplanen können. Nur darum geht es. Was Sie jetzt hier wollen, ist eine Förmelei und widerspricht exakt dem, was die Grünen in den Ländern von uns verlangt haben. Das halte ich nicht für angemessen, Frau Haßelmann. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Sitte.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es gibt Momente, Frau Haßelmann, in denen fällt selbst mir nichts mehr ein. ({0}) Ich erinnere mich an unsere Beratungen als Parlamentarische Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer, in denen wir über die Einsetzung eines Hauptausschusses geredet haben. Da haben Sie gesagt, dass Sie dem Hauptausschuss zustimmen, weil Sie in diesem Hauptausschuss diese beiden Gesetzentwürfe beraten haben wollen. Das findet heute statt; das ist das eine. Das andere ist: Wir haben grundsätzliche Kritik an dem Hauptausschuss geäußert; ich habe sie heute Morgen hinlänglich begründet. Jetzt gibt es diesen Hauptausschuss aber. Da kann man natürlich in eine Blockadehaltung verfallen und sagen: Wir schicken da keinen hin, wir machen da nicht mit, das alles ist nicht unsere Sache. - Es ist nun einmal so, dass sich der eine oder andere in diesem Haus demokratisch nicht durchsetzen kann. Das kann man beklagen. Aber am Ende stellt sich die Frage: Tun wir den Bürgerinnen und Bürgern damit einen Gefallen? ({1}) Ich muss sagen: Dieser Gesetzentwurf muss, so wie er jetzt ist, natürlich zum Jahresende verabschiedet werden. Das macht die Kritik an dem Hauptausschuss nicht gegenstandslos. Das macht auch unsere Grundkritik, dass der gesamte Kitaausbau schleppend vorangegangen ist, nicht gegenstandslos. Vor diesem Hintergrund haben wir allerdings beschlossen: Wir werden uns diesem Ansinnen von CDU/CSU und SPD anschließen. Wir wollen, dass es eine zügige Beratung gibt und dass die Frist aufgehoben wird. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir haben hier die ganz außergewöhnliche Situation, dass sich offensichtlich alle im Ziel einig sind, aber im Verfahren nicht. Ich will nach sorgfältiger Prüfung der Rechtslage drei knappe Bemerkungen dazu machen. Erstens. Das im Antrag beantragte Verfahren ist zweifellos außergewöhnlich. Seit der Reform der Geschäftsordnung im Jahr 1980 hat es einen solchen Beschluss im Deutschen Bundestag noch nicht gegeben. Zweitens. Wir sind uns ganz sicher darin einig, dass dieses Verfahren nicht das Modell der künftigen parlamentarischen Gesetzgebung hier im Hause sein kann. ({0}) Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass das irgendjemand ernsthaft in Erwägung ziehen könnte. Drittens. Nach dem Wortlaut unserer Geschäftsordnung ist der Antrag aber nicht offensichtlich unzulässig. ({1}) Deswegen stimmen wir darüber jetzt ab. Wir werden sicher noch Gelegenheit haben, die damit verbundenen grundsätzlichen und praktischen Fragen für die Zukunft im Ältestenrat in Ruhe miteinander zu bereden. ({2}) Auch ihn wird es irgendwann demnächst ja sicher geben. Dann greifen wir dieses Thema noch einmal auf. Jetzt lasse ich über den eingebrachten Antrag der drei genannten Fraktionen, die zweite und dritte Beratung des gerade debattierten Gesetzentwurfes nach dem Tagesordnungspunkt 8 als Zusatzpunkt 4 auf die Tagesordnung zu setzen, abstimmen. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser Geschäftsordnungsantrag, dieser Verfahrensantrag mit den Stimmen der antragstellenden Fraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beschlossen. Es wird dann so verfahren. Nun kommen wir zum Tagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von den Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann ({3}), Katja Kipping, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stabilisierung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung ({4}) - Drucksache 18/52 Überweisungsvorschlag: Hauptausschuss Auch hier haben sich die Fraktionen auf eine Aussprache mit der Dauer von 38 Minuten verständigt. Auch hierzu kann ich Einvernehmen feststellen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Matthias Birkwald für die antragstellende Fraktion Die Linke. ({5})

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich das rentenpolitische Ergebnis der Koalitionsverhandlungen einmal zusammenfassen: Die SPD hat die notwendigen Schritte im Kampf gegen die Altersarmut und für mehr Rentengerechtigkeit dem Sparwahn von CDU und CSU geopfert. Wurde das dramatische Absinken des Rentenniveaus gestoppt, wie von der SPD im Wahlkampf versprochen? Nein, die Renten werden auch künftig weiter den Löhnen hinterherhinken. Das, meine Damen und Herren von der Koalition in spe, ist Ihre größte Unterlassungssünde. Das Rentenniveau muss dringend wieder angehoben werden. ({0}) Aber damit nicht genug: Erstens. An der Rente erst ab 67 wird nicht gerüttelt. Zweitens. Eine echte, armutsfreie Mindestrente wird es nicht geben. Drittens. Die Angleichung der Renten im Osten an das Westniveau wird fast auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Deshalb ist der Koalitionsvertrag ein rentenpolitisches Armutszeugnis. ({1}) „Soziale Gerechtigkeit“, „Umverteilung von oben nach unten“, diese Worte kommen im Koalitionsvertrag kein einziges Mal vor. Das sollten sie aber; denn erst gestern haben OECD und Statistisches Bundesamt eindringlich gemahnt: Erstens. Deutschland ist weltweit das Schlusslicht in der Alterssicherung von Geringverdienenden. Zweitens. Das Armutsrisiko der 55- bis 64-Jährigen steigt. - Das ist ein unhaltbarer Zustand. ({2}) Diesen Zustand wollen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, bis 2017 einfach ignorieren. Erst in vier Jahren soll es einen flächendeckenden Mindestlohn und eine sogenannte Lebensleistungsrente für Geringverdienende geben - die ihren Namen nicht verdient. Vier Jahre verschenkt im Kampf gegen die Altersarmut! Das ist doch nicht zu fassen! ({3}) Die Erwerbsminderungsrenten für Kranke befinden sich seit Jahren im Sinkflug. Das darf nicht so bleiben. Niemand wird freiwillig krank. Die neue Koalition will nun die Zurechnungszeiten in einem Rutsch um zwei Jahre anheben. Immerhin, das bringt den Betroffenen 35 bis 40 Euro mehr. Aber die Hälfte der Erwerbsminderungsrenten liegt unter dem Sozialhilfeniveau. Deshalb ist Ihr Schritt zwar richtig; er greift aber viel zu kurz, weil Sie den 50-jährigen Busfahrer mit dem kaputten Rücken weiterhin mit völlig ungerechten Abschlägen bestrafen. Im Schnitt fehlen im Portemonnaie von Menschen, die nicht mehr voll arbeiten können, Monat für Monat rund 80 Euro. Darum fordere ich Sie auf, meine Damen und Herren von Union und SPD: Heben Sie die Zurechnungszeit um drei Jahre an und hören Sie auf die Präsidentin des Sozialverbandes VdK Deutschland, Ulrike Mascher! Sie hat gestern gesagt - ich zitiere -: Die Erwerbsminderungsrentner dürfen von CDU/ CSU und SPD nicht weiterhin mit der Beibehaltung der Abschläge bestraft werden. Sie müssen gestrichen werden! Recht hat Frau Mascher! ({4}) Nächstes Beispiel: die abschlagsfreie Rente ab 63 nach 45 Beitragsjahren. Okay, gut, heute hilft das manchen, vor allem Männern; aber in Zukunft wird wegen der massenhaft gebrochenen Erwerbsbiografien nur noch eine Minderheit 45 Beitragsjahre erreichen. Und dann heben Sie die Altersgrenze auch noch schrittweise wieder auf 65 Jahre an. Ist das die Handschrift der SPD, von der ständig die Rede ist? Nein, das ist der billige Ersatz der SPD ({5}) für die nicht erfolgte Aussetzung der Rente ab 67, und das ist ein Skandal. ({6}) Es geht so weiter: Die Riester-Rente ist ein Flop; das wissen mittlerweile alle. Die Zinsen sind tief im Keller, und Sie wollen die private Altersvorsorge auch noch stärken. So ein Wahnsinn! Was ist jetzt zu tun? Derzeit müssen die Rentenversicherungsbeiträge gesenkt werden, wenn die Rentenkasse gut gefüllt ist. Das ist unsinnig. ({7}) Deshalb wollen wir mit unserem Gesetzentwurf diesen Zwang ein für alle Mal abschaffen. ({8}) Die Rentenversicherung braucht jeden Cent. Wenn wir auf die Absenkung der Beiträge verzichteten, könnten wir erstens das Rentenniveau stabilisieren, zweitens die Rente erst ab 67 abschaffen und drittens die Erwerbsminderungsrenten deutlich verbessern. Das wäre der richtige Weg. ({9}) Das alles können wir aber vergessen, wenn Sie die höheren Mütterrenten aus Beiträgen finanzieren. Die Mütterrenten sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Darum dürfen sie nicht aus Beitragsmitteln finanziert werden, sondern sie müssen aus Steuermitteln finanziert werden. ({10}) Mit dieser Forderung befinden wir Linken uns in guter Gesellschaft: Der DGB und alle Sozialverbände sehen das auch so. Die Spitzen sämtlicher Sozialversicherungsträger - das ist einmalig - haben Union und SPD in einem gemeinsamen Appell aufgefordert, die Mütterrenten ausschließlich aus Steuermitteln zu finanzieren; denn nur so erreicht man, dass sich auch Reiche, Beamtinnen und Beamte, Selbstständige und Abgeordnete an der Finanzierung der höheren Mütterrenten beteiligen. Das wäre nur gerecht. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als Nächste spricht die Bundesministerin von der Leyen. ({0})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Deutsche Rentenversicherung ist keine kapitalgedeckte individualisierte Versicherungsform, sondern eine Sozialversicherung. Deshalb hat sie auch besondere Merkmale. Ich möchte auf vier dieser besonderen Merkmale eingehen, weil sich darin auch widerspiegelt, was wir in der Rente warum verändern wollen - die Reihenfolge ist keine Wertung -: Erstens. Wir haben eine umlagefinanzierte Rente. Das heißt, in dem Monat, in dem eingezahlt wird, wird gleichzeitig auch die Rente an die ältere Generation ausgezahlt. Das bedeutet im Klartext: Die Rente lebt von Kindern. Ohne Kinder keine Rente! ({0}) - „Kinder zahlen keine Beiträge“, aber Kinder sind die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler von morgen. Das heißt, wenn wir auch morgen eine Rente haben wollen, dann müssen heute Kinder erzogen werden. Das war in der Vergangenheit so, und das wird in der Zukunft so sein. Das ist das zentrale Merkmal einer umlagefinanzierten Rente. ({1}) Das ist auch einer der Gründe, warum wir die Mütterrente verbessern. Die Deutsche Rentenversicherung hat gerade aktuelle Zahlen herausgegeben. Wenn man sich die Zahlbeträge anschaut, dann sieht man, dass Erziehende - das sind klassischerweise die Mütter - im Durchschnitt 50 Euro pro Kind weniger im Monat haben. Ein Teil dieser Diskrepanz wird durch die Mütterrente gemindert, die übrigens für die Vergangenheit und für die Gegenwart zu einem Ausgleich führt. Selbstverständlich gibt es diesen Ausgleich auch in der Zukunft; denn auch dann gibt es die Mütterrente für die jetzt junge Generation. Zweites Merkmal einer Sozialversicherung: Alle, die sozialversicherungspflichtig arbeiten, müssen in die Rentenkasse einzahlen. Bis zur Beitragsbemessungsgrenze werden ihnen im Augenblick 9,45 Prozent des Arbeitnehmerbruttolohns abgezogen. „Bis zur Beitragsbemessungsgrenze“ heißt, dass insbesondere Menschen mit kleinem Einkommen ihren Beitrag zur Rentenversicherung leisten. Es bedeutet, dass diese Beiträge typischerweise die Steuern der „kleinen Leute“ sind. Je größer ein Einkommen ist, desto mehr wirkt die Beitragsbemessungsgrenze dämpfend, da die Abzüge für die Menschen mit größerem Einkommen nicht so relevant sind. Das ist einer der Hauptgründe, warum es in einer Sozialversicherung selbstverständlich sein muss, dass sich auch Menschen mit kleinem Einkommen darauf verlassen können, dass sie, wenn sie ein Leben lang Pflichtbeiträge eingezahlt haben, am Ende des Tages auch eine Rente haben, von der sie leben können. Das ist der zweite Punkt, den wir in diesem Koalitionsvertrag fest verankert haben, nämlich die Einführung einer solidarischen Lebensleistungsrente, die genau dieses Prinzip erfüllt. ({2}) Drittens. Die Rente ist keine Versicherungssumme, die einfach nur einmal ausbezahlt wird, sondern die gesetzliche Rente ist eine Versicherungsleistung, die bis zum letzten Lebenstag ausbezahlt wird. Das bedeutet für uns aber auch, dass wir als Gesellschaft klug einteilen müssen - insbesondere wenn sich die Lebenserwartung erhöht: Wie viel Zeit wird in Arbeit investiert, sprich: in die Beitragszahlung, und wie viel Zeit ist für den wohlverdienten Ruhestand da? Das ändert sich mit einer längeren Lebenserwartung. Deshalb haben wir auch das schrittweise Zugehen auf die Rente mit 67 bis zum Jahr 2029 eingeführt. Es gibt Menschen - und das wissen alle hier in diesem Raum -, bei denen der Berufseinstieg relativ spät erfolgt: Man besucht die Schule, man absolviert ein Studium, und es dauert eine ganze Weile, bevor man im Beruf ist und in die Rentenkasse einzahlt. Es gibt andere, die schon sehr viel früher arbeiten müssen - mit 16, 17, 18 Jahren. Diese haben typischerweise körperlich harte, anstrengende, auszehrende Berufe. Weil das so ist und weil wir eine soziale Rentenversicherung haben, die einen Ausgleich zum Beispiel zwischen den Generationen, zwischen den verschiedenen Funktionen „Kindererziehung“ und „harte körperliche Arbeit“ und zwischen den Menschen mit großem und kleinem Einkommen schafft, werden wir die abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren einführen. Sie gilt genau für diese Menschen, die lange eingezahlt, hart körperlich gearbeitet und im Durchschnitt sehr viel mehr Beitragsjahre haben, als das bei Akademikern oder Akademikerinnen typischerweise der Fall ist. Für diese Menschen wollen wir in dieser Großen Koalition etwas tun. ({3}) Viertens. Es ist eine Selbstverständlichkeit: Wen das Schicksal schwerer Krankheit ereilt, den lassen wir nicht hängen. Das ist das Grundprinzip der Erwerbsminderungsrente. Wir wissen, dass es hier ein Defizit gibt und dass sie verbessert werden muss. Auch das werden wir in der Großen Koalition tun. Ja, das alles muss finanziert werden. Es musste in der Vergangenheit finanziert werden, es muss heute finanziert werden und auch in Zukunft. Deshalb stabilisieren wir den Beitragssatz bei 18,9 Prozent. Deshalb wird es im Jahre 2018 zusätzlich zu den Bundesmitteln von 80 Milliarden Euro, die es schon heute gibt, weitere 2 Milliarden Euro zur Finanzierung der Mütterrente geben. Deshalb wird die solidarische Lebensleistungsrente durch Einsparungen bei der Grundsicherung im Alter - das ist Steuergeld - und die Abschmelzung des Wanderungsausgleichs an die Bundesknappschaft finanziert. Das sage ich alles vor dem Hintergrund, dass heute in den rund 250 Milliarden Euro, die für die Rente ausgegeben werden, 80 Milliarden Euro Bundesmittel enthalten sind. Damit leistet der Bund schon heute einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung der gesetzlichen Rente.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Ministerin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Das ist das Wichtigste, und das ist auch das Ende. All das, was ich eben beschrieben habe, funktioniert nur, wenn die Wirtschaft brummt und wenn die Menschen eine gute Arbeit haben. Das ist das Entscheidende. Heute sind die neuen Arbeitsmarktzahlen herausgekommen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigen liegt bei 29,8 Millionen. Das sind alleine im Vergleich zum Vorjahresmonat 380 000 mehr. Das ist das Entscheidende für solide Sozialkassen. Deshalb ist das große Ziel dieser Großen Koalition, die Vollbeschäftigung zu erreichen und den Menschen gute Arbeit und mehr Arbeit zu ermöglichen. Denn das ist die Basis unseres Wohlstandes. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt spricht die Kollegin Ferner. ({0})

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, dass wir im Gegensatz zur letzten Wahlperiode jetzt mit dieser Beitragssatzsenkerei Schluss machen, die eigentlich viel zu kurz gesprungen war. ({0}) Wir werden die Beitragssätze im kommenden Jahr stabil halten und dann im Zusammenhang mit dem, was im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist, wenn das Mitgliedervotum der SPD positiv ausgeht, eine langfristige Entscheidung hinsichtlich der Bandbreite der Schwankungsreserve treffen, damit wir nicht jedes Jahr wieder diese Diskussion haben werden. Die gesetzliche Rentenversicherung braucht Stabilität. Diese hat sie lange Jahre nicht gehabt. Wir werden ihr mit dieser Maßnahme Stabilität geben. Noch einmal in Richtung der jüngeren Abgeordneten, insbesondere aus der CDU/CSU-Fraktion, die glauben, es sei nicht generationengerecht, jetzt die Rentenversicherungsbeiträge stabil zu halten. Nein, das Gegenteil ist der Fall. Die jetzige rentennahe Generation zahlt durch diese Maßnahme höhere Beiträge, als sie es nach geltender Rechtslage tun müsste, damit sie, wenn sie selber in Rente geht - es werden in den kommenden Jahren immer mehr Menschen in Rente gehen -, ihre Rente bekommt und gleichzeitig auf die dann zahlende Generation nicht zu hohe Beitragssatzsprünge zukommen. Das ist die Folge stabiler Beitragssätze. ({1}) Wir haben, denke ich, bei den Verhandlungen ein sehr gutes Ergebnis erzielt. Herr Birkwald, wir haben keine, wie Sie sie gefordert haben, Rente von 1 100 Euro für alle ohne jede Bedingung, ohne jede Beitragszahlung und ohne Einkommensberechnung erreicht. Das wollen wir auch nicht. ({2}) Wir sind nämlich der Auffassung, dass ein anderes wichtiges Prinzip der Rentenversicherung auch in Zukunft eingehalten werden muss. Dieses Prinzip heißt Beitragsbezogenheit. Es bedeutet, dass jeder, der Beiträge in die Rentenversicherung eingezahlt hat, die Gewissheit hat, damit eine Rentenanwartschaft zu erwerben und diese auch in Zukunft gesichert bleibt. Eine rein steuerfinanzierte und einkommensunabhängige Rente, so wie Ihre Fraktion und Ihre Partei das will, würde im Ergebnis zu einer Rente nach Kassenlage führen. ({3}) Das wollen wir definitiv nicht. Das würde eine der ältesten Sozialversicherungen wirklich in den Abgrund treiben. ({4}) - Nein, das ist keine Lüge. Sie haben das doch plakatiert. Ich habe doch im Wahlkampf nicht die Plakate aufgehängt, auf denen Sie 1 100 Euro Rente für alle fordern. Das waren doch Sie. ({5}) - Ja gut, dann eben 1 050 Euro. Um die 50 Euro brauchen wir uns, glaube ich, nicht weiter zu streiten. Wenn unser Mitgliedervotum positiv ausfällt, dann wird es für viele deutliche Verbesserungen im Rentenrecht geben: für Mütter, für besonders langjährig Beschäftigte und für Menschen mit gebrochenen Erwerbsbiografien. Das sind insbesondere Frauen, die wegen fehlender Kinderbetreuungseinrichtungen gebrochene Erwerbsbiografien haben und Teilzeit arbeiten mussten, auch wenn sie es nicht unbedingt wollten, und anschließend nicht wieder in einen Vollzeitjob hineingekommen sind, aber auch Männer und Frauen aus Ostdeutschland, die in der Nachwendezeit häufig gebrochene Erwerbsbiografien haben. Wir werden Verbesserungen für Erwerbsgeminderte wie auch für diejenigen erzielen, die gleitende Übergänge vom Erwerbsleben in die Rente brauchen. Außerdem werden wir endlich, über 20 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung, eine Angleichung der Ost- an die Westrenten bekommen. ({6}) Das sind zentrale Forderungen der SPD gewesen, und die werden damit umgesetzt werden können. Die Mütterrente wird zum 1. Juli 2014 kommen. Das bedeutet einen Entgeltpunkt mehr in der gesetzlichen Rentenversicherung für diejenigen, die vor 1992 Kinder geboren haben. Wir hätten uns gewünscht, dass dabei Ostzeiten wie Westzeiten behandelt würden. ({7}) Wir hätten uns auch gewünscht, dass diese sozialpolitisch sinnvolle und notwendige Maßnahme steuerfinanziert worden wäre statt über die Sozialversicherungsbeiträge, wobei im Laufe dieser Wahlperiode noch 2 Milliarden Euro zusätzlich für die Rentenversicherung vorgesehen sind. Aber nicht wir waren diejenigen, die keine Steuererhöhungen bei den oberen 5 Prozent der Einkommensbezieher wollten, sondern die Union war gegen Steuererhöhungen. Deshalb bleibt, wenn man die Mütterrente will, nur die Möglichkeit, sie über Beiträge zu finanzieren. Aber in der Zukunft wird noch die Möglichkeit bestehen, darüber zu reden, spätestens in der nächsten Wahlperiode. ({8}) Wir haben Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente beschlossen, nämlich dass die Zurechnungszeit um zwei Jahre angehoben wird, und zwar auch zum 1. Juli 2014. Das ist besonders wichtig, weil gerade Menschen, die wegen einer Erwerbsminderung in Erwerbsminderungsrente gehen müssen, ganz besonders von Altersarmut betroffen sind. Wir werden außerdem eine Günstigerprüfung für die letzten vier Jahre einführen. Auch das ist nicht zu vernachlässigen. Denn es bedeutet, dass die betroffenen Menschen im Hinblick auf Zeiten, in denen sie schon krank waren und möglicherweise weniger Beiträge gezahlt haben, nach der Günstigerprüfung besser dastehen als bisher. Wir werden auch mehr Geld für Rehamaßnahmen ausgeben, weil eine vernünftige Reha und vor allen Dingen auch vernünftige Arbeitsbedingungen Voraussetzungen sind, um Erwerbsminderung zu vermeiden. ({9}) Wir haben darüber hinaus eine solidarische Lebensleistungsrente vereinbart - wir haben sie im Wahlkampf Solidarrente genannt; die Union hat sie Lebensleistungsrente genannt; jetzt ist daraus die solidarische Lebensleistungsrente geworden -, damit diejenigen, die heute von Altersarmut betroffen sind und auf weniger als 30 Entgeltpunkte - das sind 844 Euro - für ihr Alterseinkommen kommen, im Alter nicht trotz langjähriger Beschäftigung in die Grundsicherung fallen. Dafür gibt es eine Übergangszeit bis zum Jahr 2023, in der 35 Beitragsjahre notwendig sind, um die solidarische Lebensleistungsrente zu bekommen. Das hilft insbesondere Frauen: Frauen, die schlecht verdient haben, weil sie teilzeitbeschäftigt waren, Frauen, die schlechter bezahlt wurden als Männer, oder Frauen, die jemanden gepflegt haben. Aber es hilft auch Arbeitslosen, weil Zeiten von Arbeitslosigkeit bis zu fünf Jahren mit in die Berechnung einfließen. Deshalb profitieren neben den Frauen im Westen auch insbesondere die Menschen in den neuen Bundesländern, weil auch sie häufig gebrochene Erwerbsbiografien haben. ({10}) - Die Höhe dieser Rente wird davon abhängen, wie die Höherwertung erfolgt und welche Zeiten mit einbezogen werden. Es wird in einer zweiten Stufe eine bedarfsgeprüfte Grundsicherung im Alter geben, die dann allerdings einkommensabhängig berechnet wird. Herr Birkwald, ich finde das in Ordnung. Wenn jemand einen Partner oder eine Partnerin mit Einkommen hat oder über ein entsprechendes Alterseinkommen verfügt, das andere möglicherweise nicht haben, muss aus Steuermitteln nicht noch aufgestockt werden; denn dann ist eine ausreichende Versorgung vorhanden. Es geht uns vielmehr darum, diejenigen aus der Altersarmut herauszuholen, die ohne die nun vorgesehene Maßnahme in die Grundsicherung fallen würden. ({11}) Wir haben darüber hinaus erkannt - das wird heute Nachmittag noch Thema sein -, dass der Schlüssel für eine gute Rente eine gute Erwerbsbiografie ist. Vor diesem Hintergrund ist die Einführung eines Mindestlohns das zentrale Thema, damit diejenigen, die heute im Niedriglohnsektor arbeiten, zu besseren Renten kommen. Die bessere Tarifbindung, die wir vereinbart haben, trägt ebenfalls zu einer Verbesserung der Renten bei. Die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird sich insbesondere für Frauen - auch in der Rente - auszahlen; denn Frauen werden durchgängiger und mehr erwerbstätig sein können, als das heute der Fall ist. Ein weiteres Thema ist die befristete Teilzeit. Wir ermöglichen es, nach einer befristeten Zeit wieder sicher auf die Vollzeitstelle bzw. auf die alte Stelle mit gleicher Arbeitszeit wie zuvor zurückzukehren. Damit wird die Gefahr gebannt, in der Teilzeit gefangen zu sein und später auch nur eine Teilzeitrente zu beziehen. Ebenfalls ein wichtiger Punkt ist die Entgeltgleichheit. Wenn Frauen für gleiche bzw. gleichwertige Arbeit genauso viel bekommen wie Männer, werden sie am Ende bessere Renten beziehen. Das alles gehört zusammen, und das alles muss man auch zusammen sehen. ({12}) Wir haben des Weiteren eine Vereinbarung für besonders langjährig Beschäftigte getroffen. Es sind nicht viele, die 45 Beitragsjahre vorweisen können. Wir senken das Renteneintrittsalter für diese Personen von heute 65 Jahren auf 63 Jahre. Das wird parallel zum Renteneintrittsalter wieder angehoben. Aber man kann zwei Jahre früher abschlagsfrei in Rente gehen, als das ohne diese Regelung der Fall wäre. Dabei werden Zeiten der Arbeitslosigkeit berücksichtigt, was derzeit nicht der Fall ist. Insofern wird ein größerer Personenkreis davon profitieren. Herr Birkwald, wenn Sie nun sagen: „Das ist alles nichts“, dann kann ich nur festhalten: Es ist deutlich besser als der Status quo. ({13}) Wir möchten im Gegensatz zu Ihnen Verbesserungen für die Menschen erreichen und nicht irgendwelche Grundsätze vor uns hertragen, was im Ergebnis nicht dazu führt, dass es den Menschen besser geht. ({14}) Letzter Punkt, die Angleichung der Renten im Osten an die im Westen. Ja, das hat lange gedauert. Ich bin froh, dass wir in dieser Wahlperiode ein Gesetz mit dem schönen Namen „Rentenüberleitungsabschlussgesetz“ verabschieden werden. Diejenigen, die häufig Scrabble spielen, werden wahrscheinlich eine riesige Punktzahl erreichen, wenn sie dieses Wort legen können. Auf jeden Fall ist es für die Menschen in Ostdeutschland gut, zu wissen, dass spätestens wenn der Solidarpakt II ausläuft, die Renten in Ost und West gleich berechnet werden und dass es dann ein einheitliches Rentenrecht gibt. Das ist 30 Jahre nach der deutschen Einheit mehr als überfällig. ({15}) Wenn ich unter das alles einen Strich ziehe, dann glaube ich, dass wir angesichts der Verbesserungen im Rentenbereich getrost vor unsere Mitglieder treten können. Ich möchte an dieser Stelle Andrea Nahles und all denjenigen, die auf unserer Seite in der Koalitionsarbeitsgruppe dafür gestritten haben, danken. Das ist ein wirklich gutes Ergebnis. Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. ({16})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt spricht der Kollege Markus Kurth.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nun sieht es also so aus, dass alle Fraktionen im Deutschen Bundestag den Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht weiter senken wollen. Bei näherem Hinsehen gibt es jedoch gewaltige Unterschiede. Auf der einen Seite sieht die Fraktion Die Linke ausweislich der Begründung ihres Gesetzentwurfs die Aussetzung der Beitragssatzsenkung als Auftakt zu einer ganzen Kette von Beitragssatzerhöhungen, um in Zukunft sämtliche rentenpolitischen Reformen nicht nur zu verändern, sondern gleich abzuschaffen. Auf der anderen Seite wollen Union und SPD mit den Geldern der Beitragszahler sozialpolitische Geschenke machen, die eigentlich von der Allgemeinheit, das heißt von den Steuerzahlern, bezahlt werden müssen. Sie machen Weihnachtsgeschenke, die nur die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler finanzieren müssen. ({0}) Nur wir, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, wollen die Gelder der Rücklage zusammenhalten und im Sinne der Versicherten einsetzen, ({1}) und zwar für abschlagsfreie Erwerbsminderungsrenten, um die Rente mit 67 vernünftig zu flankieren, ({2}) für ein angemessenes Rehabudget, weil „Reha vor Rente“ sich rechnet und den Leuten ein längeres Verbleiben im Erwerbsleben ermöglicht, und für eine Demografierücklage, um den Beitragssatzanstieg ab 2018, den wir erwarten, abzufedern und für Generationengerechtigkeit zu sorgen. ({3}) Wenn ich manches hier so verfolge, kommen mir Erinnerungen an meine Kindheit. Ich bin im Rheinland geboren, in Bonn. Dort gibt es Karnevalsumzüge, und am Ende des Karnevalszuges fährt der Prinzenwagen. Von ihm werden besonders viele Bonbons geworfen, und diejenigen mit den stärksten Schultern und größten Beuteln, die sich vordrängeln, kriegen das meiste ab. ({4}) Wir erleben hier die Vorbeifahrt des rentenpolitischen Prinzenwagens, wir erleben, dass die Großkoalitionäre mit vollen Händen das Geld der Beitragszahler an die verteilen, die am lautesten schreien und sich vordrängeln. Das ist das Problem. ({5}) Damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich kann man über Dinge wie die sogenannte Mütterrente diskutieren. Es ist klar: Stichtagsregelungen bringen immer Ungerechtigkeiten mit sich. Einen Teil der Argumentation von Frau von der Leyen kann ich auch nachvollziehen. Und natürlich kann man über einen abschlagsfreien Rentenzugang mit 63 Jahren nach 45 Beitragsjahren sprechen. Aber dann muss man auch ehrlich darüber reden, wie man das finanziert. Das muss man bilanzieren. Es sind 10 Milliarden Euro, die Sie in die Hand nehmen. Wir haben - das hat uns im Wahlkampf leider nicht immer zum Wohle gereicht - vor unserem Wahlkampf genau gerechnet, überlegt und mit Steuererhöhungen argumentiert. Das haben Sie, meine Damen und Herren von der Union, sich erspart. ({6}) - Frau von der Leyen ruft mir von der Seite noch „Ja“ zu. - Sie haben gesagt: Wir erhöhen keine Steuern. Was Sie aber letzten Endes machen, ist, dass Sie die „Steuern der kleinen Leute“ erhöhen; genau so haben Sie eben die Beitragssätze genannt. Das ist unehrlich. ({7}) Sie loben sich, dass Sie auf Sicht fahren. Ja, das ist immer das Argument der Regierung Merkel gewesen. Nur, Ihr Sichtfeld ist furchtbar klein. ({8}) Sie sitzen nämlich krampfhaft am Lenkrad und schauen nur auf das nächste Stück der Wegstrecke. Gerade bei der Rentenversicherung würde es sich lohnen, den Blick zu heben, auf lange Sicht zu fahren und auch die Warnschilder am Rand zu beachten, die sozialpolitischen und die beitragssatzpolitischen Warnschilder. ({9}) Ist nicht erst letzte Woche am Mittwoch im Kabinett der Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung verabschiedet worden? Ist denn nicht ganz klar, welche Beitragssatzanstiege ab 2018 drohen? Das wissen Sie doch. Irgendwo auf dem Weg vom Kanzleramt zum Willy-Brandt-Haus muss der Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung wohl abhanden gekommen sein. Sonst könnten Sie so nicht handeln. ({10}) Sie von der SPD sprechen gern von der Koalition des kleinen Mannes. Frau Ferner, ich schätze Sie - Sie haben jetzt noch einmal alles aufgezählt -, aber, was die Koalition des kleinen Mannes betrifft, mal ehrlich: Der kleine Mann, der jetzt zwölf Jahre alt ist, ({11}) der in vier Jahren die Berufsausbildung beginnt und drei Jahre später in das Berufsleben eintritt, wird sich für die Beitragssatzerhöhung bedanken, die Sie ihm eingebrockt haben, und für die Beitragssatzerhöhungen, die Jahr für Jahr folgen werden. ({12}) Wenn ich das hier sehe, muss ich sagen: So viele Stimmen, die Sie haben, und so viel Mutlosigkeit; so viele Stimmen, die Sie haben, und so viel Feigheit vor der Zukunft. ({13})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als Nächster spricht Max Straubinger. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute einen Gesetzentwurf der Linken zu beraten. Ich bin versucht, zu sagen: Es geht in der 18. Legislaturperiode so weiter, wie die 17. Legislaturperiode beendet worden ist. Herr Birkwald, Ihre Rede war letztendlich dieselbe wie immer. Es hat sich nichts geändert. ({0}) - Nein, es hat sich nichts geändert; denn Sie sind immer noch im rentenpolitischen Nirwana. ({1}) - Da kommt er nicht mehr heraus. Ganz genau, Herr Kollege Zimmer. ({2}) Auf der einen Seite vorzuwerfen, dass die SPD dem Sparwahn der Union erlegen wäre, gleichzeitig aber zu sagen, wir würden Weihnachtsgeschenke verteilen, wie es gerade auch der Kollege Kurth getan hat, ist widersprüchlich. Sie tadeln uns, weil wir notwendige Verbesserungen in der Rentenversicherung vornehmen, und bezeichnen das als Weihnachtsgeschenk; Sie selbst aber stellen Anträge für eine abschlagsfreie EM-Rente und für die Aufhebung des Nachhaltigkeitsfaktors. Sie geißeln uns dafür, dass wir den Beitragssatz nicht senken, sind aber eigentlich dafür, dass der Beitragssatz nicht gesenkt wird. ({3}) Also, Herr Kollege Kurth, irgendwo sollte das, was Sie hier als rentenpolitisches Konzept darlegen, zusammenpassen. ({4}) So zeigt sich sehr deutlich, dass die Linke und die Grünen in diesem Haus in keinster Weise positive Vorstellungen von der Zukunft der Alterssicherung der Menschen haben. ({5}) Zur Alterssicherung der Menschen besagt ein OECDBericht, der morgen veröffentlicht wird - Herr Kollege Birkwald, Sie haben ihn hier bemüht -, klar und deutlich, dass die Nachhaltigkeit der deutschen Rentenversicherung die beste im Vergleich mit allen anderen Rentenversicherungssystemen der OECD-Länder ist, und zwar aufgrund der Maßnahmen, die wir in der Vergangenheit ergriffen haben: einmal der Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 bis zum Jahr 2029 - die Frau Ministerin hat es dargelegt - und darüber hinaus der Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors. Das heißt, die Menschen in Deutschland können sich auf die Stabilität unseres Rentenversicherungssystems verlassen. Das ist die beste Auszeichnung, vor allen Dingen auch für die Bürgerinnen und Bürger. ({6}) Auf der anderen Seite gilt es, dieses verlässliche Rentenversicherungssystem, das wir für die Bürgerinnen und Bürger über Jahrzehnte hinweg geschaffen haben, im Sinne der Gerechtigkeitsfrage weiterzuentwickeln. Diese Frage lösen wir, indem wir die Pläne für eine Mütterrente umsetzen, wie wir, CDU/CSU, es im Wahlkampf hervorgehoben haben. Damit gewähren wir ab dem 1. Juli nächsten Jahres, nicht schon ab Weihnachten, einen zusätzlichen Rentenpunkt. Viele Mütter in Deutschland verbessern somit ihre Rentenanwartschaften bzw. erhalten höhere aktive Renten. Ich bin der Meinung, das ist im besten Sinne des Gebots des Gerechtigkeitsausgleichs, der aus folgendem Grund erforderlich wurde: Für Kinder, die vor 1992 geboren worden sind, wird nur ein Rentenpunkt angerechnet, und für die nach 1992 geborenen werden drei Rentenpunkte zugrunde gelegt. Wir haben dies hier dargelegt. Ich bin dankbar, dass sich die zukünftigen Koalitionsfraktionen darauf geeinigt haben. ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Straubinger, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Birkwald zu?

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, sehr gerne, natürlich. Das verlängert meine Redezeit. ({0}) - Ja, sicherlich.

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin und Herr Kollege Straubinger, dass Sie diese Zwischenfrage zulassen. Herr Kollege Straubinger, Sie haben eben insinuiert, dass der OECD-Bericht von der Rentenversicherung in Deutschland schwärmt, vor allen Dingen haben Sie insinuiert, dass Geringverdienende eine auskömmliche Rente hätten. Das Gegenteil ist der Fall. Das können Sie in allen Zeitungen lesen. Ich zitiere jetzt einmal aus Ihrer Lieblingszeitung; das ist die Bild.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die kenne ich gar nicht.

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Selbst in der Bild heißt es unter der Überschrift „Feuer unterm Dach“: Die Warnungen werden lauter, und sie kommen nicht mehr nur aus Deutschland: Hunderttausenden Geringverdienern droht im Alter der Absturz in die Armut. … Deutschland, eine WirtschaftsWeltmacht, aber bei der Altersversorgung fast Entwicklungsland - das passt nicht zusammen. So die Bild-Zeitung. Die Kollegin, die bei der OECD zuständig ist, sagt, dass das Altersgeld von Geringverdienenden in Deutschland so niedrig sei wie in kaum einem anderen OECDLand. Geringverdienende haben in Deutschland im Schnitt netto 55 Prozent ihrer Bezüge, und in 27 OECDLändern liegt der Durchschnitt bei 82 Prozent. Also deutlich ist - das gilt auch für die Kollegin Ferner -: Heute stellt sich das Rentenversicherungssystem in Deutschland so dar, dass Geringverdienende sehr schlecht abgesichert sind. Deswegen brauchen wir eine „solidarische Mindestrente“, die den Namen auch verdient und von der Menschen im Alter armutsfrei leben können. Wir brauchen nicht irgendwelche „Geschichten“, die deutlich niedriger liegen. Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen: Die OECD hat das Gegenteil von dem gesagt, was Sie hier behauptet haben. Herzlichen Dank. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Birkwald, ich möchte Ihnen entgegensetzen - das kann dann die Bild-Zeitung auch schreiben -: In Deutschland gibt es Altersarmut nur in sehr, sehr begrenztem Maß: Nur 2,6 Prozent sind auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung angewiesen. ({0}) Das zeigt sehr deutlich, dass die Alterssicherungssysteme greifen. Sie ruhen ja auf drei Säulen. Sie reden immer nur von der gesetzlichen Rentenversicherung. Es gibt da auch noch die betriebliche Altersversorgung. ({1}) Genauso gibt es die private kapitalgedeckte Zusatzversorgung, die Sie aus ideologischen Gründen immer ablehnen, die aber unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit eine verbesserte Situation herbeiführt. ({2}) - Natürlich, Frau Ferner! - Im Alter wird ein ausreichendes Einkommen erzielt, wobei dies nicht allein die nachfolgende Generation zu leisten hat, weil vorher ja ein Ansparvorgang stattgefunden hat. Bei der Rentenversicherung haben wir ein Umlagesystem. Das bedeutet, dass die im Erwerbsleben Stehenden für die Rentenleistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung aufzukommen haben, während im anderen Fall ein Ansparvorgang stattfindet. ({3}) 90 Millionen Lebensversicherungsverträge und ausgeklügelte Altersversicherungssysteme in unseren Industriebetrieben in Deutschland sorgen dafür, dass im Alter eine gute Grundlage gegeben ist. ({4}) Im OECD-Bericht wird dies alles nicht ausreichend berücksichtigt, Herr Kollege Birkwald. ({5}) Darüber hinaus kommt natürlich noch hinzu - bleiben Sie bitte noch stehen, Herr Kollege; ich bin noch nicht fertig -, dass Folgendes in die Waagschale gelegt werden muss: Sie hantieren immer mit Prozentsätzen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Birkwald, das ist schon noch eine Antwort. Stehen Sie bitte wieder auf! ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber mir sind 56 Prozent von einem relativ hohen Durchschnittsgehalt - das ist die Grundlage des OECDBerichts - lieber als ein höherer Prozentsatz von einem sehr niedrigen Verdienst in anderen Ländern. ({0}) In Deutschland geht es den Menschen im Alter also weit besser als in vielen anderen Ländern. Das ist letztendlich das Wichtigste für unsere Menschen. Werte Damen und Herren, wir nehmen Verbesserungen vor. Das gilt auch in der Frage der Anerkennung von langjährigen Beitragszahlungen. Das war schon Grundlage bei der Umsetzung der Rente mit 67, wo wir darauf gedrängt haben, dass Menschen, die 45 Jahre Beiträge gezahlt haben, ab dem 65. Lebensjahr - das gilt in der Umsetzung seit 2002 - ohne Abschlag in Rente gehen können. Es ist ein guter Kompromiss gefunden worden es ist ein gelungener Kompromiss -, dass jetzt bei 45 Jahren Beitragszahlungsdauer bereits ab einem Alter von 63 Jahren - dann ansteigend - abschlagsfrei in Rente gegangen werden kann. Das ist angemessen für die Menschen, die in der gesetzlichen Rentenversicherung besonders langjährig versichert waren. Wir stehen dazu, und ich glaube, dass dies ein wichtiger Punkt ist. Ein Letztes noch. Gerade beim Übergang von der Erwerbstätigkeit in den Ruhestand gibt es derzeit einen sehr starken Bruch. Wenn jemand vorzeitig Rente in Anspruch nimmt, kann er nur ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis eingehen. Viele angehende Rentnerinnen und Rentner wollen aber sozusagen gleitend in den Ruhestand wechseln. Deshalb ist es richtig, wenn wir die Hinzuverdienstmöglichkeiten bei vorzeitiger Inanspruchnahme von Rentenleistungen ausweiten. Das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart. Ich glaube, das sind sehr viele positive Punkte. Ich nehme an, dass auch die SPD-Mitglieder, die ja zur Abstimmung aufgerufen sind, dem zustimmen können und dass wir dementsprechend eine zukunftsorientierte Renten- und Sozialpolitik für unser Land gestalten können. In diesem Sinne herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt spricht der Kollege Peter Weiß. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie uns zum Abschluss dieser Debatte doch einmal zurückschauen, woher wir kommen. Vor vier Jahren hatten wir einen Rentenversicherungsbeitrag von 19,9 Prozent. Diesen haben wir in den vergangenen vier Jahren um insgesamt 1 Prozentpunkt auf heute 18,9 Prozent absenken können. ({0}) Wir werden in dieser Legislaturperiode, so alle Prognosen, diesen Beitrag weiter stabil bei 18,9 Prozent halten können. Gleichzeitig werden wir zum Ende dieses Jahres in der gesetzlichen Rentenversicherung voraussichtlich eine Rücklage - sprich: ein Guthaben - von über 31 Milliarden Euro haben, die höchste Rücklage seit über zwanzig Jahren. Man kann überall, in jeder Debatte, ein Haar in der Suppe finden; aber ich meine, wir können eigentlich doch stolz darauf sein, dass wir in der Rentenversicherung einen relativ niedrigen Beitrag und gleichzeitig die höchsten Rücklagen seit über zwanzig Jahren haben. ({1}) Das verdanken wir einer gut laufenden Wirtschaft, gut laufenden Unternehmen und einer wachsenden Zahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die mit einem guten Lohn auch gute Sozialversicherungsbeiträge bezahlen. Wenn es ein Ziel zu Beginn einer neuen Legislaturperiode gibt, das uns einen sollte, dann sollte es das sein, diese gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, in der Wirtschaft weiter zu beflügeln, damit unsere Rentenversicherung, der Kern des deutschen Sozialstaates, auch in Zukunft gut finanziert ist, nicht ins Minus läuft und trotzdem die Beiträge für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Unternehmen stabil bleiben. Das muss unser gemeinsames Ziel sein. ({2}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich finde es richtig und auch notwendig, dass wir in einer solch guten Situation, in der wir uns befinden, die Handlungsmöglichkeiten nutzen, um allfällig notwendige Reformen im Rentenrecht durchzuführen. Dazu gehört, dass wir die Leistung derjenigen, die die Zukunft der Rentenversicherung gewährleisten, indem sie Kinder großziehen, in der Rente besser bewerten. Dafür war es höchste Zeit. Wir haben verabredet, das jetzt endlich zu machen. Peter Weiß ({3}) ({4}) Der zweite Punkt. Gerade Menschen, die wegen Krankheit oder einem Unfall vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden müssen und die liebend gerne länger gearbeitet hätten, sind heute in der Gefahr, dass sie mit der Erwerbsminderungsrente, die sie erhalten, nicht auskommen können. ({5}) Bereits 10 Prozent der Rentner in Deutschland, die Erwerbsminderungsrente erhalten, müssen ergänzend Grundsicherung beziehen. Deswegen ist es richtig, dass wir die Handlungsmöglichkeiten nutzen, durch ein besseres Berechnungsverfahren dafür zu sorgen, dass auch jemand, der vorzeitig wegen Krankheit oder Unfall aus dem Erwerbsleben ausscheiden muss, eine Rente erhält, die ihn möglichst nicht dazu zwingt, um zusätzliche staatliche Stütze anstehen zu müssen. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Weiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Andreae?

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte schön.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Weiß, Sie haben vorhin davon gesprochen, dass die Beitragssätze bei 18,9 Prozent stabil gehalten werden können und die Rentenkasse mit 31 Milliarden Euro voll ist. Sie sagten, es wäre jetzt an der Zeit, die Mütterrente einzuführen. Sie wissen, dass, wenn Sie die Mütterrente aus der Rentenkasse und damit aus den Beiträgen der Beitragszahler finanzieren, die 31 Milliarden Euro schmelzen werden; denn Sie werden jedes Jahr 6 bis 7 Milliarden Euro für die Mütterrente ausgeben müssen. Die Mütterrente ist definitiv eine versicherungsfremde Leistung. Sie hat mit den Beiträgen in die Rentenkasse nichts zu tun. Wenn Sie die Mütterrente wollen, dann müssen Sie sie - das ist zwingend logisch - über Steuermittel finanzieren. Ich möchte Sie noch auf ein Zitat aus einer Rede von Ihnen von vor einem Jahr hinweisen: Wenn ich die Rücklage aber verjubeln will, - das haben Sie gesagt dann habe ich für die Rentenversicherung nichts gewonnen, sondern werde sie auf alle Zeit mit höheren Belastungen versehen und künftig immer höhere Beiträge der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler erheben müssen. Erklären Sie mir, warum Sie nicht in der Lage sind, zu sagen: „Die Mütterrente muss zwingend logisch aus Steuermitteln finanziert werden und hat mit den Beitragszahlungen in die Rentenkasse nichts zu tun“! ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Andreae, Frau Bundesministerin von der Leyen hat in ihrer Rede bereits darauf hingewiesen, dass die gesetzliche Rentenversicherung schon heute in einem hohen Maß, nämlich zu einem Drittel ihrer Ausgaben, aus Steuermitteln finanziert ist. ({0}) Das heißt, die Beiträge der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler bestreiten nur zwei Drittel der jährlichen Ausgaben; ein Drittel kommt aus den Steuermitteln. ({1}) - Frau Ferner, dieser Betrag ist mehr als das, was wir für sogenannte versicherungsfremde Leistungen aus der Rentenversicherung ausgeben. Ich komme zu einem zweiten Punkt und möchte das, was die Frau Ministerin bereits vorgetragen hat, wiederholen: Es ist verabredet, dass ein zusätzlicher Bundeszuschuss in Höhe von 2 Milliarden Euro hinzukommen soll, um den Beitrag des Bundes zur Stabilisierung des Rentenniveaus und zur Stabilisierung des Rentenbeitragssatzes auch in Zukunft zu gewährleisten. ({2}) Ich finde: Zusammengerechnet ist es eine großartige Leistung, die wir aus dem Steueraufkommen erbringen. Das macht es uns möglich, die Leistungen so auszugestalten, wie wir es im Koalitionsvertrag miteinander verabredet haben. ({3}) Weil wir hier über den Beitragssatz diskutieren und weil Sie, Frau Kollegin Andreae, sich als mittelstandspolitische Sprecherin der Grünen gern bei Unternehmen in unserem Lande aufhalten, ({4}) möchte ich eines sagen: Für die Unternehmer in unserem Land ist eine Beitragssatzstabilität das Allerwichtigste, sodass sie wissen: Ich muss nicht mit Sprüngen nach unten oder nach oben rechnen, sondern kann stabil kalkulieren. ({5}) Würden wir den Beitragssatz jetzt senken, dann wäre klar, dass er in wenigen Jahren wieder deutlich nach oben gehen würde. Deswegen ist alles, was wir tun, eiPeter Weiß ({6}) nem Ziel verpflichtet: der Beitragssatzstabilität für die Unternehmen und für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland. ({7}) Unsere Bundeskanzlerin hat gestern bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages erklärt, dass es bei erfolgreicher Umsetzung dieses Koalitionsvertrages eine gute Chance gibt, dass es uns in vier Jahren, also 2017, besser gehen wird als heute. Diese Botschaft gilt uneingeschränkt auch für die Rentenpolitik. Ja, wir wollen für stabile Beiträge, eine ausreichende Finanzierung, Rücklagen in der Rentenversicherung und dort, wo es notwendig ist, für rentenpolitische Verbesserungen sorgen, damit es den Menschen 2017 besser geht als heute. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/52 an den Hauptausschuss vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Krischer, Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klimakonferenz in Warschau - Ohne deutsche Vorreiterrolle kein internationaler Klimaschutz - Drucksache 18/96 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe die erste Rednerin in dieser Runde auf: Das ist Annalena Baerbock. Sie haben das Wort!

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! 5 200 Tote und 3,5 Millionen vertriebene Philippinerinnen und Philippiner - die Mahnung an die Staaten der Welt vor der Weltklimakonferenz hätte nicht mächtiger ausfallen können. Doch trotz aller Solidaritätsbekundungen verdeutlichten die Staaten in Warschau, welch niedrigen Stellenwert sie dem Klimaschutz mittlerweile einräumen. Die - ohnehin als technische COP angesetzte - Klimakonferenz war geprägt von einer Ambitionslosigkeit der Staaten, die ihresgleichen sucht. Japan und Australien kippten schon vorab ihre Klimaambitionen. Der Gastgeber Polen veranstaltete parallel zur Weltklimakonferenz einen Kohlegipfel, und Sie, Herr Altmaier, verdeutlichten mit Ihrer Stippvisite, welche Priorität der Klimawandel bei Ihnen hat. Sie haben lieber abends mit Maybrit Illner auf dem Sofa geplaudert, anstatt mit den Chinesen ernsthaft über CO2-Reduktionsziele zu diskutieren. ({0}) In Ihrer Rede erwähnten Sie ganz kurz: „Wir sind wieder da im Klimaschutz“. Ich fragte mich angesichts dessen, dass Deutschland in Warschau beim Klimaindex gerade auf den beschämenden 19. Platz zurückgestuft wurde, was Sie mit „da“ eigentlich meinten. Der Koalitionsvertrag gibt darauf jetzt eine Antwort. Mit „da“ war nicht die Vorreiterschaft im internationalen Klimaschutz gemeint, mit „da“ war gemeint: Wir sind wieder da im Kohlezeitalter in Deutschland. ({1}) Von dem so wichtigen Klimaschutzgesetz, das Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, in mehreren Bundesländern gemeinsam mit den Grünen mittragen, findet sich keine Spur mehr im Koalitionsvertrag. Stattdessen heißt es in Ihrem Vertrag, die Braunkohle, also der Klimakiller Nummer eins, spiele nach wie vor eine bedeutende Rolle und konventionelle Kraftwerke seien auf absehbare Zeit unverzichtbar. Mit Blick auf den Fahrplan für ein neues Klimaabkommen in Paris 2015, für den sich die EU in Warschau zu Recht sehr starkgemacht hat, kann man angesichts dieser Vorhaben nur hoffen, dass Ihr Koalitionsvertrag nicht so schnell ins Englische übersetzt wird. Denn erklären Sie mir bitte einmal, wie Sie die Entwicklungsländer dazu bewegen wollen, in den nächsten Monaten ambitionierte Reduktionsziele auf den Tisch zu legen, wenn Deutschland selber weiter Klimakiller - wie bei mir in Brandenburg das Kraftwerk Jänschwalde, das mehr CO2 ausstößt als 26 afrikanische Staaten zusammen - langfristig am Netz halten will, sehr verehrte Damen und Herren von der SPD und der CDU/CSU. ({2}) Ihr Koalitionsvertrag mag Schritte in die richtige Richtung enthalten. Man muss aber ganz klar sagen: Für die Energiewende und die internationale Klimapolitik ist er ein Desaster. Während in Warschau eines der wirklich positiven Signale war, dass vor Ort die erneuerbaren Energien weiter ausgebaut werden, dass mittlerweile 70 Prozent der weltweiten Investitionen der Energieindustrie in Erneuerbare gehen, deckeln Sie den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland. Die Beschränkung des Ökostromanteils auf 45 Prozent bis 2025 und bis 60 Prozent bis 2030 halbiert das heutige Ausbautempo. Ich frage Sie sehr direkt, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU/CSU: Ist Ihnen eigentlich klar, dass Ihre Pläne zur Windhöffigkeit bedeuten, dass in Zukunft südlich von Hannover so gut wie kein neues Windrad mehr gebaut werden kann? Ich frage auch Sie, lieber Herr Altmaier, wie Sie mit solchen Plä110 nen, die den Erneuerbaren die Flügel stutzen und dem Klimaschutz „Made in Germany“ eine Absage erteilen, in den nächsten Monaten international ernsthaft für ambitionierte Ziele werben wollen. Eine für ein neues Klimaschutzabkommen so wichtige Vorreiterschaft hieße, über 80 Prozent der Bevölkerung in unserem Land, die für die Energiewende stehen, und Millionen von Menschen, die die Energiewende mit eigenen Solaranlagen auf ihren Dächern tagtäglich vorantreiben, nicht weiter vor den Kopf zu stoßen. Vorreiter sein hieße, die Warnungen der direkt vom Klimawandel betroffenen Entwicklungsländer ernst zu nehmen und den jüngst veröffentlichten Sachstandsbericht des IPCC mit Maßnahmen zu untermauern. Vorreiter sein hieße, Mindestwirkungsgrade für fossile Kraftwerke festzusetzen und den Aufschluss neuer Tagebaue durch eine Novelle zum Bergrecht auszuschließen. Vorreiter sein hieße, sich auf europäischer Ebene bis zum Frühjahrsgipfel der EU für ernsthafte und ambitionierte CO2Reduktionsziele von mindestens 55 Prozent bis 2030 einzusetzen. ({3}) Vorreiter sein hieße auch, meine sehr verehrten Damen und Herren, den Emissionshandel wieder zu einem scharfen Schwert des Klimaschutzes zu machen, indem wir eine Preisuntergrenze für CO2-Zertifikate einführen und für eine dauerhafte Marktverknappung sorgen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kollegin Baerbock, es gibt den Wunsch einer Zwischenfrage aus den Reihen der CDU/CSU. Lassen Sie sie zu?

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, fragen Sie ruhig.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Die Kollegin Baerbock lässt die Frage zu. ({0}) Bitte, Herr Kollege.

Dr. Philipp Lengsfeld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004338, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! - Liebe Kollegin Baerbock, vielen Dank, dass ich eine Zwischenfrage stellen darf. Ich hätte sie auch am Ende der Rede stellen können. Da es aber meine erste Zwischenfrage ist, stelle ich sie jetzt direkt.

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dies ist auch meine erste Rede; das trifft sich gut. ({0})

Dr. Philipp Lengsfeld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004338, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben in Ihrer sehr emotionalen Rede auf die schreckliche Katastrophe auf den Philippinen abgehoben. Ihnen ist aber schon klar - das meine ich jetzt ohne Zynismus -, dass der Taifun und seine schrecklichen Auswirkungen auf den Philippinen, wenn überhaupt, nur sehr peripher etwas mit dem Klimawandel zu tun haben. ({0}) Ich beziehe mich dabei auf einen Fachartikel, der vor einiger Zeit im Tagesspiegel erschienen ist und in dem sehr deutlich ausgeführt wurde, dass die jahrzehntelange Entwaldung kombiniert mit dem massiven Bevölkerungsanstieg mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Hauptursache für die schreckliche Dimension dieser Katastrophe auf den Philippinen ist. Ich finde - das wäre meine Frage -, wir sollten in dieser Diskussion zu einer etwas sachlicheren Betrachtung solcher Ereignisse kommen; denn es kann nicht sein, dass jeder Taifun - Taifune wird es auch in der Zukunft immer wieder geben; das ist ein Stück weit eine Zwangsläufigkeit - die Debatte befördert und damit Diskussionen, die wir auf einer sachlichen und wirtschaftlich relevanten Basis führen müssen, ein Stück weit übertüncht werden. Vielen Dank.

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank für Ihre Frage. - Ich hätte nicht gedacht, dass Sie den Koalitionsvertrag noch übertreffen können. Darin wird ja anerkannt, dass der Klimawandel vom Menschen gemacht ist. Das erkennt ja nicht nur die Bundesregierung, sondern, wie ich glaube, so gut wie jeder in diesem Land an. Wenn Sie das nicht anerkennen, dann gehören Sie zu einer deutlichen Minderheit. ({0}) Natürlich kann man nie sagen, ob ein einzelner Taifun vom Klimawandel verursacht ist. Aber die Erderwärmung und vor allen Dingen die Erwärmung der Meere führen dazu - lesen Sie das einmal genau nach -, dass sich die Wirbelstürme weltweit, nicht nur auf den Philippinen, sondern auch bei uns, verschärft haben. Ich glaube, es gibt doch fachliche Studien, die das untermauern. Sie haben die Entwaldung angesprochen, die ich zum Ende meiner Rede ohnehin erwähnt hätte. Wir sind ja in Warschau zum Glück dazu gekommen, dass das Wiederaufforstungsprogramm REDD+ auf den Weg gebracht wurde, dass Mittel bereitgestellt werden und dass wir uns weltweit für eine Eindämmung der Abholzung von Tropenwäldern einsetzen. Ein schöner Nebeneffekt war - dafür sind solche internationalen Konferenzen ja auch immer gut -, dass indigene Völker jetzt erstmalig international anerkannt werden, womit ihr Schutz einhergeht. In diesem Sinne war, glaube ich, der Taifun eine sehr gute Mahnung, sowohl in Richtung Klimawandel als auch bezogen auf die Entwaldung, die global gerade stattfindet. ({1}) Zum Schluss ist mir eines wahnsinnig wichtig: Ich glaube, alle, die gesehen haben, dass die Preise im Emissionshandel durch das Backloading eben nicht nach oben gegangen sind, dass wir immer noch bei 5 Euro pro Tonne CO2 kreisen, obwohl wir eigentlich Preise von 25 bis 30 Euro pro Tonne bräuchten, haben verstanden, dass wir dringend etwas tun müssen. Einige der Forderungen, gerade auch von anderen internationalen Delegationen, lauteten ja, dass die EU hier endlich handeln muss. Daher fordern wir Sie in unserem Antrag dazu auf, sich in Vorbereitung des Frühjahrsgipfels auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass wir den Emissionshandel wieder zu dem machen, was er eigentlich sein sollte: ein scharfes Schwert im Klimaschutz, das zu einer dauerhaften Marktverknappung beim Emissionshandel führt. ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

In diesem Sinne möchte ich bei Ihnen, liebe Parlamentarierinnen und Parlamentarier, dafür werben, dass wir heute trotz dieses Koalitionsvertrages als Parlament deutlich machen, dass Deutschland den Klimaschutz in Zukunft nicht ersatzlos streichen will, sondern dass wir mit ambitionierten Schritten auf dem Weg nach Paris voranschreiten. Dafür brauchen wir ambitionierte Maßnahmen vonseiten Deutschlands und von der EU. Stimmen Sie bitte deshalb unserem Antrag zu! Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Dies war die erste Rede der Kollegin Baerbock, gleich mit einer Zwischenfrage. Herzlichen Glückwunsch! ({0}) Jetzt spricht der Bundesminister Altmaier.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Baerbock, auch ich gratuliere Ihnen herzlich zu Ihrer Jungfernrede und wünsche Ihnen eine gute und interessante Arbeit im Deutschen Bundestag. ({0}) Die Vereinbarungen von Warschau sind ein wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg zu einem großen Klimaabkommen in Paris, das alles andere als sicher, aber dringend notwendig ist; sie sind nicht mehr und auch nicht weniger. Vor allen Dingen haben die getroffenen Vereinbarungen - wie bei allen anderen Klimakonferenzen seit Kioto - die Hoffnungen von Millionen von Menschen nicht erfüllt, die unter dem Klimawandel leiden oder die - wie wir in Deutschland, in Europa und in anderen Ländern - hoffen, dass sich die Weltgemeinschaft endlich einmal dazu aufrafft, etwas Durchgreifendes zu tun. Trotzdem haben wir gemeinsam die Verantwortung, die Fortschritte, die wir erreichen, und die Beiträge, die wir leisten, nicht kleinzureden, so wie es heute hier und auch in manchen Kommentaren geschehen ist; denn wir befinden uns in einer Situation, in der es der Klimaschutz weltweit schwerer hat als vor 10 oder 15 Jahren. Die Banken- und Börsenkrise, die Staatsschuldenkrise, die weltweite Wirtschaftskrise, all das hat dazu geführt, dass eine Reihe von Staaten ihre Ambitionen zurückgeschraubt haben und andere Staaten beim Eingehen von Verpflichtungen vorsichtig sind. Wir haben die Situation, dass Länder wie Japan und Australien beim Klimaschutz eher auf dem Rückmarsch sind und dass Schwellen- und Entwicklungsländer wie Indien, China und Brasilien beim Eingehen von Verpflichtungen sehr vorsichtig sind, obwohl sie erkannt haben, dass sie mit weiterhin ungehemmt steigenden CO2-Emissionen den Ast absägen, auf dem sie selber sitzen. Vor diesem Hintergrund haben wir alle gemeinsam die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass es beim Klimaschutz nicht rückwärts, sondern vorwärts geht und dass wir in Paris im Jahre 2015 zum ersten Mal ein Abkommen erreichen, das nicht nur einige Industrieländer, sondern alle Länder auf dieser Welt verpflichtet, also für alle Länder klare und nachvollziehbare Minderungsverpflichtungen festschreibt. Davon sind wir noch ein erhebliches Stück entfernt.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Bundesminister, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höhn zu?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Von der Kollegin Höhn jederzeit.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. - Herr Bundesumweltminister, ich habe Ihren Koalitionsvertrag genau studiert. Darin haben Sie sehr deutlich geschrieben, es müsse sichergestellt werden, dass es sich beim Backloading, für das Sie sich zu Recht eingesetzt haben - es ist jetzt auch auf EU-Ebene beschlossen -, um eine einmalige Maßnahme handelt: Die Zertifikate müssen zurück in den Markt, und mehr gibt es auch nicht. Nun wissen Sie, dass Backloading nicht reicht. Wenn Sie also, wie Sie eben gesagt haben, für einen ehrgeizigen Klimaschutz stehen, wenn Sie Länder wie China und Indien dazu bringen wollen, etwas zu tun - auch China muss etwas tun; der durchschnittliche CO2-Ausstoß pro Kopf ist dort schon fast so hoch wie in Europa -, dann muss Europa vorangehen. Also: Backloading reicht nicht. Bedeutet dieser Koalitionsvertrag, dass Sie sich nicht für ein Set-aside und für eine Reduktion der CO2Emissionen um 30 Prozent bis 2020 einsetzen werden? Wie wollen Sie unter diesen Bedingungen die anderen Länder dazu bringen, etwas zu tun?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Kollegin Höhn, ich kann mich erinnern: In den letzten anderthalb Jahren haben Sie mich eigentlich alle vier Wochen gefragt, warum es beim Backloading nicht endlich einmal vorangeht; Sie haben uns alles Mögliche unterstellt. Nun ist die Bundestagswahl gerade einmal sechs Wochen vorüber, und wir haben das Backloading im Ministerrat in Brüssel beschlossen; es ist auf dem allerbesten Weg. Da hätten Sie vielleicht wenigstens einmal anerkennend sagen können, dass wir in diesem Punkt partei- und fraktionsübergreifend einen Fortschritt erzielt haben. ({0}) Das war der erste Punkt. Der zweite Punkt: Das Backloading findet einmalig statt, weil es nicht ständig willkürliche Eingriffe in ein Handelssystem geben kann, das nach marktwirtschaftlichen Kriterien funktioniert. Aber das schließt nicht aus, dass wir uns in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren auf eine strukturelle Reform des Emissionshandelssystems verständigen, ({1}) um ihn wirksamer und besser zu machen. Was niemand will, ist, dass es je nach Kassenlage Eingriffe gibt, die niemand voraussehen und kalkulieren kann. Wir brauchen auch in diesem Bereich Beständigkeit und Verlässlichkeit. ({2}) Es ist deshalb auch wichtig, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass wir uns im Koalitionsvertrag eindeutig zu unseren Zielen beim Klimaschutz und bei den erneuerbaren Energien bekennen, die für die Bundesregierung - für alle Bundesregierungen der letzten 20 Jahre - maßgeblich waren. Das bedeutet, dass wir den Ausstoß von CO2 in Deutschland bis 2050 um 80 bis 95 Prozent reduzieren wollen. Von diesem Ziel gehen wir nicht ab. Wir wollen, dass Europa insgesamt Vorreiter wird. ({3}) Wir haben uns im Koalitionsvertrag dazu bekannt, dass wir innerhalb der EU ein ambitioniertes Treibhausgasminderungsziel von mindestens 40 Prozent für das Jahr 2030 festsetzen und dass wir in einer Zieltrias darüber hinaus auch ambitionierte Ziele in Bezug auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz beschließen. All das macht deutlich, dass Deutschland auch in Europa ein Vorreiter beim Klimaschutz bleibt. Aber es macht auch deutlich, dass wir das mit Augenmaß tun und dass wir es so tun wollen, dass die Unternehmen und die Arbeitsplätze in Deutschland erhalten bleiben, dass sie sich an die neuen Bedingungen anpassen können und dass wir unsere Vorreiterstellung, auch was die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und die Zahl von Industriearbeitsplätzen in Deutschland angeht, auch in Zukunft erhalten und verteidigen können. Das ist übrigens ein wichtiges Ziel; denn es nützt gar nichts, liebe Frau Kollegin Höhn, wenn wir hier in Deutschland die strengsten Klimaschutzauflagen haben, aber gleichzeitig die Unternehmen, die Stahl, Kupfer, Aluminium und anderes produzieren, in Ländern produzieren, in denen es diese Klimaschutzauflagen nicht gibt. Dann haben wir am Ende für den Klimaschutz nicht mehr, sondern weniger erreicht. Das ist der Grund, warum wir ein weltweites Abkommen brauchen, das für alle Länder gleichermaßen verbindlich ist. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe sowohl in Warschau als auch an anderer Stelle nachdrücklich betont, dass ich der Auffassung bin, dass sich auch jene Länder bewegen müssen, die schon damals in Kopenhagen verhindert haben, dass wir ein notwendiges Abkommen beschließen konnten. Das sind vor allen Dingen die großen Länder USA und China. In beiden Fällen haben sich die politischen Führungen, Präsident Obama und die neue Staats- und Parteiführung in China, in den letzten Monaten klimapolitisch konstruktiv und positiv geäußert. Wir finden aber, dass das noch nicht in ausreichendem Maße das reflektiert, was auf internationalen Klimaschutzkonferenzen möglich ist. Jedenfalls haben wir das in dieser Form in Warschau nicht vorgefunden. Es war wichtig, dass wir in Warschau einen Fahrplan für Paris ausgearbeitet haben, der vorsieht, dass alle Länder aufgefordert sind, deutlich vor der Konferenz, nämlich bereits im März 2015, ihre eigenen Verpflichtungen und Beiträge vorzulegen und offenzulegen; denn dann können wir einschätzen, ob die vorgesehenen Maßnahmen ausreichen, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Anschließend werden wir darüber sprechen, inwieweit der Erfolg der Beiträge, die in der Zeit, bevor das Abkommen 2020 in Kraft tritt, geleistet werden, nachzuprüfen ist. Sie sehen: Das ist alles hochkomplex und hochkompliziert. Wir haben in Bezug auf Deutschland im Übrigen auch klargemacht, dass wir zu unseren Zusagen zur internationalen Klimafinanzierung stehen. Wir haben klargemacht, dass wir zu unseren Zusagen für den Green Climate Fund stehen. Wir haben klargemacht, dass wir zu unseren sonstigen Zusagen stehen. Aber es kann nicht sein, dass nur Norwegen, Schweden, Deutschland und einige andere Länder diese Beiträge leisten. Wir erwarten, dass andere Länder in vergleichbarer Situation diesem Beispiel folgen und ebenfalls ihre nationalen Beiträge entsprechend erhöhen und ihre Zusagen einlösen. ({5}) Wir haben in einem Bereich - ich freue mich sehr, dass die Kollegin Baerbock das angesprochen hat - einen wirklichen Durchbruch erzielt, und zwar beim Waldschutz. Ich habe an der entsprechenden Konferenz in Warschau nicht nur teilgenommen, sondern auch noch einmal die deutsche Position vertreten. Wir haben nicht nur die finanziellen Mittel für den Waldschutz erhöht, sondern wir haben vor allen Dingen zum ersten Mal mit dem Methodenhandbuch einen unabhängigen Überprüfungsmechanismus für die erreichten Emissionsminderungen in Entwicklungsländern geschaffen. Es wird für die Industrieländer viel einfacher und viel attraktiver sein, in den Waldschutz in Entwicklungsländern zu investieren, wenn klar ist, dass die gesteckten Ziele tatsächlich überprüfbar und verifizierbar sind; denn nur dann lohnt es sich im Endeffekt, entsprechende Gelder einzusetzen. Genau das haben wir erreicht, übrigens gemeinsam mit unseren Kollegen und Freunden aus Großbritannien und Norwegen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden in den nächsten Wochen und Monaten harte Arbeit vor uns haben. Wir werden mit der Reform des deutschen EEG, die wir im nächsten Jahr beginnen, deutlich machen: Wir stehen zu den erneuerbaren Energien, aber sie müssen so bezahlbar werden, dass sie sich auch Länder wie China und Indien leisten können. Wir werden im Frühjahr deutlich machen, dass sich die Europäische Union ein ambitioniertes Klimaschutzziel für das Jahr 2030 gesetzt hat. Wir werden alle Kräfte einsetzen, damit der Klimaschutzgipfel in Paris im Jahre 2015 endlich ein Klimaschutzgipfel wird, der diesen Namen auch verdient. In diesem Sinne: Die Anstrengungen lohnen sich. Der Kollege, der die Zwischenfrage gestellt hat, die Kollegin Baerbock und alle anderen in diesem Hause sind herzlich eingeladen, die neue Bundesregierung in diesen Anstrengungen zu unterstützen. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin spricht jetzt die Kollegin Bulling-Schröter. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn unsere Nachkommen eines Tages schauen, was in den Geschichtsbüchern über die Weltklimakrise steht, dann werden sie nur zu einem Schluss kommen können: mit Vollgas gegen die Wand. Der Warschauer Klimagipfel - meine Vorredner haben ihn bereits angesprochen -, aber auch der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD weisen in diese Richtung. Ich glaube nicht, dass die künftige Bundesregierung es wirklich ernst meint mit dem Klimaschutz, erst recht nicht unter der Ägide der Möchtegernklimakanzlerin Merkel. Der Klimagipfel in Warschau hat gezeigt, dass sich die Klimakrise weltweit weiter zuspitzt. Trotz aller Warnungen der Wissenschaft wird immer noch zu wenig gehandelt, auch und gerade in Deutschland. ({0}) Die Gefahr des Klimawandels wird kollektiv verdrängt. Damit meine ich nicht nur die Klimawandelleugner in der CDU, von denen sich einer vorhin zu Wort gemeldet hat. Wir kennen die Arbeitsteilung von der letzten Großen Koalition: Die SPD schmeißt ihre Wahlversprechen über Bord, um mit Volldampf Kurs auf mehr Braunkohletagebau und mehr Kohlekraftwerke zu nehmen. ({1}) Verpufft ist auch Steinbrücks noch im August angekündigte staatliche Strompreisaufsicht, mit deren Hilfe Energiearmut und Stromsperren verhindert und die Willkür der Stromversorger bei der Preisbildung beendet werden sollten. Wie steht es so schön im Koalitionsvertrag: Begrenzung der „Kostendynamik beim Ausbau der erneuerbaren Energien“, und man will „der Entwicklung der konventionellen Energiewirtschaft einen stabilen Rahmen“ geben. Was hinter dieser Verklausulierung steht, ist ja wohl klar: Der Ausbau der Erzeugung von Energie aus Wind und Sonne wird gebremst; schwarz wie Kohle ist die Zukunft. Damit hat Hannelore Kraft zum wiederholten Male ihre schützende Hand über die sogenannte fossile Energieindustrie gehalten. Und die CDU? Die zieht mit. Wenn es dem Klima an den Kragen geht, dann ist die Union sogar noch besser. Ich nenne nur die QuandtSpenden und Daimlers frisch gebackenen Lobbychef Eckart von Klaeden. Die Autolobby ist stark. Sie sorgt dafür, dass in Brüssel die Begrenzung des CO2-Ausstoßes bei Pkw ausgebremst wird und durch eine Blockade im Rat die Rechte des Europaparlaments infrage gestellt werden. Das BMW-Mandat wird geflissentlich umgesetzt: Bloß keine Unternehmensinteressen antasten, weder in Europa noch im Bund! Den Vorschlag der SPD, ein Klimaschutzgesetz auf den Weg zu bringen, haben die Herren von der CDU auch zu Fall gebracht. Der Klimaexperte der SPD twitterte dazu: Klimaschutz im Koalitionsvertrag - Note drei minus. Mal sehen, ob die SPD die Versetzung schafft. Klar ist, dass wir mehr Arbeitsplätze brauchen; aber wir brauchen ökologische Arbeitsplätze, mit weniger CO2-Ausstoß. Ich sage Ihnen: Das ist machbar. ({2}) Für Millionen von Menschen, die nicht erst seit heute unter den Folgen der Gletscherschmelze, unter den Folgen von Überschwemmungen und Dürren leiden, wird Deutschland unter dieser Großen Koalition - das ist eine große Kohle- und Autokoalition - wenig Gutes bringen. Das hat natürlich mit Kapitalismus zu tun. Wir müssen Nein sagen zu dieser Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen, ({3}) und zwar nicht nur zwischen dem Bodensee und Rügen, sondern weltweit. Die Verweigerung der Regierungsparteien, die freien Kräfte des Marktes an die Leine zu nehmen, ist nicht nur ein Beleg für die Beißhemmung der Politik gegenüber der Wirtschaft - dieser Vorwurf stimmt einfach -; aufs Spiel gesetzt wird die Atmosphäre des ganzen Planeten. Ich sage Ihnen: Diese Wirtschaft, meine Damen und Herren, tötet. - Darüber regt sich ja niemand auf. Das wundert mich. ({4}) Die Forderung nach weniger Egoismus und mehr Gerechtigkeit, gerade auch in Klimafragen, würde ich sofort unterschreiben. Gestellt hat sie kein Geringerer als Papst Franziskus in seiner jüngsten Erklärung zur Reformierung der katholischen Kirche. Sie arbeitet sogar an einer Umweltenzyklika. Wenn selbst der Vatikan das sagt, dann, meine ich, sollten auch Sie ihm einmal zuhören und nicht nur ich als alte Linke. ({5}) Zum Schluss noch: Es gibt im Internet ein BlaBlaMeter, das Texte auf ihren Aussagegehalt prüft und ganz unideologisch entlarvt, wie viel um den heißen Brei herumgeredet wird. Wir haben dort einmal die Klimavereinbarung aus dem Koalitionsvertrag eingegeben. Ich zitiere das Ergebnis: Ihr Text riecht schon deutlich nach heißer Luft. Sie wollen hier wohl offensichtlich etwas verkaufen oder jemanden tief beeindrucken. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss. - Die Linke sagt: Wir wollen eine gerechte Klimapolitik und eine Energiewende ohne Stromsperren und Industrieprivilegien. Wir brauchen Klimagerechtigkeit weltweit. Nach 20 Jahren erfolgloser Klimapolitik heißt das für uns auch, dass der Status Klimaflüchtling in die UN-Flüchtlingskonvention aufgenommen werden muss. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Es spricht jetzt der Kollege Frank Schwabe. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal ganz herzlichen Dank an diejenigen, die für uns verhandelt haben, an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, an die Chefdiplomaten des Bundesumweltministeriums und anderer deutscher Ministerien. Wir haben international wirklich einen guten Ruf. Ich glaube, den Dank dafür muss man aussprechen. ({0}) Ich will mich auch bei den Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundestag bedanken. Es war gut, dass wir dort mit einer Delegation vertreten waren; denn so können wir besser verstehen, wie die internationalen Prozesse jenseits der nackten Vertragstexte ablaufen. Es ist auch gut, dass wir die deutsche Position dort durchaus differenziert darstellen konnten. Was die Ergebnisse dieser Klimakonferenz und auch die Ergebnisse der Konferenzen der letzten Jahre betrifft, empfehle ich einen nüchternen Blick. Wir brauchen diese Klimakonferenzen; das ist meine Quintessenz der letzten Jahre. Wir haben gesehen, dass wir beim Waldschutz und auch beim Umgang mit klimawandelbedingten Schäden durchaus Fortschritte erreicht haben. Das ist das eine. Wir brauchen also diesen Prozess; ich würde ihn nicht über Bord werfen. Aber wahr ist auch: Wir brauchen ergänzende Prozesse. Wir brauchen, wie es international genannt wird, Vorreiterallianzen. Auch da ist es gut, dass Deutschland im Rahmen von IKI-Projekten und anderen Projekten international eine Menge guter Arbeit leistet. Allerdings - auch das will ich sagen - war das, was wir in den letzten vier Jahren auf höchster Ebene, auf Ministerebene gesehen haben, zu schwach. Ich weiß bis heute nicht, was der Club der Energiewende-Staaten eigentlich sein soll. Es wird Aufgabe der zukünftigen Koalition sein, Klarheit darüber zu schaffen. ({1}) Das ist meiner Meinung nach das, was gebraucht wird. Deutschland hat eine große Verantwortung. Der Begriff der Energiewende ist - das war auf der Konferenz interessant - in der Tat ein Begriff, den alle durchbuchstabieren können; egal ob Chinesen, Menschen aus Bangladesch, Nigeria, Peru oder Mexiko, alle konnten uns sagen, was Energiewende bedeutet. Auch wenn wir unterschiedliche Einschätzungen dazu haben, wer für die Energiewende verantwortlich ist und wer sie eher blockiert, sind wir uns, glaube ich, einig, dass Deutschland diese Verantwortung hat. Dafür müssen wir unsere nationalen Aufgaben erledigen, und wir müssen europäisch und international wieder zurück auf das Spielfeld. Wir brauchen in Deutschland in den nächsten vier Jahren eine Renaissance einer ambitionierten Klimaschutzpolitik. ({2}) Ich jedenfalls finde, dass es in den letzten vier Jahren Stillstand bis Rückschritt gegeben hat. Ich will auch aufzeigen, wo der Rückschritt in den letzten Jahren stattfand. Es gab in der Tat eine viel zu lange Blockade beim Emissionshandel, insbesondere beim Backloading, aber nicht nur dort. Es gab eine Blockade im Bereich der Energieeffizienz. Es gab eine Blockade bei den CO2Frank Schwabe Grenzwerten bei Automobilen. Es gibt faktisch auch eine Blockade hinsichtlich eines Einfuhrstopps von Ölen aus Teersanden. Ich erwarte, dass eine neue deutsche Bundesregierung diese Blockaden in den nächsten vier Jahren auflöst. ({3}) Ich erwarte, dass die neue Koalition ihre Hausaufgaben macht. Vor ihr liegen eine ganze Menge Aufgaben, und insbesondere drei Aufgaben müssen jetzt sehr kurzfristig erledigt werden. Erstens. Wir brauchen einen klaren nationalen Rahmen, wie wir Klimaschutzpolitik eigentlich organisieren und kontrollieren wollen. Ich gebe zu - so kommt die Drei minus zustande -, ich hätte mir ein Klimaschutzgesetz gewünscht, wie es andere Länder auf der Welt und Bundesländer in Deutschland haben. Ich glaube, das hätte uns einen klaren Rahmen für die nationale Politik gegeben. Es hätte auch Orientierung für den internationalen Prozess gegeben. ({4}) Ich bedaure, dass es ein solches Klimaschutzgesetz jetzt nicht geben soll. Zum Klimaschutzplan. Meine Einschätzung ist, dass es den letzten vernünftigen Klimaschutzplan - so etwas Ähnliches hat es schon einmal gegeben - am 23. August 2007 gegeben hat, nämlich das IEKP, das Integrierte Energie- und Klimaprogramm, die sogenannten Meseberger Beschlüsse mit ihren 29 Punkten. Ich glaube, dass wir einen solchen Plan sehr schnell brauchen, noch deutlich vor der Konferenz in Paris. Es wird nämlich auch international erwartet, dass wir auf den Tisch legen, was wir erreichen wollen, und ein vernünftiges Controlling der Maßnahmen beschließen. Zweitens. Wir werden im Hinblick auf die EU-2030Ziele ganz schnell handlungsfähig werden müssen. Dabei begrüße ich es, dass im Koalitionsvertrag ausdrücklich steht, dass wir für das Jahr 2030 drei Ziele haben wollen - die sogenannte Zieltrias -: für die Reduktion von Treibhausgasen, für den Ausbau im Bereich der erneuerbaren Energien und für die Energieeffizienz. Es ist vollkommen klar - egal wie man rechnet -: Wenn wir die internationalen Verpflichtungen ernst nehmen, dann wird das Ziel, bis zum Jahr 2030 eine Treibhausgasreduktion um 40 Prozent zu erzielen, nicht ausreichen. Im Koalitionsvertrag steht „mindestens 40 Prozent“. Ich sage: Das Ganze wird sich mehr in Richtung 50 Prozent bewegen müssen, wenn wir im Rahmen des internationalen Prozesses überhaupt ernst genommen werden wollen. ({5}) Drittens. Wir brauchen in der Tat - ich glaube, auch das ist bei Bundesminister Altmaier zwischen den Zeilen deutlich geworden - eine Reform des Emissionshandels, die über das Backloading hinausgeht. Das, was im Koalitionsvertrag steht, ist - so würde ich das interpretieren - auf die aktuelle Situation bezogen. ({6}) Es wird zukünftig Vorschläge der Kommission geben. Ich habe die Vermutung, dass Deutschland diese Vorschläge sehr fortschrittlich begleiten wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe zu - die SPD befindet sich ja gerade in einem Diskussionsprozess, wie wir mit dieser Großen Koalition umgehen -: Ich bin kein Anhänger einer Großen Koalition. Aber ich glaube, dass wir in den Jahren 2005 bis 2009 im Bereich der Klimapolitik eine ordentliche Arbeit geleistet haben. Das ist auch unsere Aufgabe und unser Job für die nächsten vier Jahre. Ich freue mich dabei darauf, dass die Opposition das, was wir in der Koalition machen werden, kontrollieren wird; so soll es sein. Ich freue mich aber auch darauf, dass wir über die Fraktionsgrenzen hinaus eine sehr intensive Debatte über die Rolle Deutschlands führen werden und dies auch auf internationalen Konferenzen immer wieder deutlich wird. Glückauf! ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat der Kollege Andreas Jung das Wort. ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will vorweg betonen, was wir hier schon oft betont haben: Für meine Fraktion gibt es keinen begründeten Zweifel, dass der Klimawandel voranschreitet, dass er schneller voranschreitet, als wir alle gemeinsam befürchtet haben, dass er menschengemacht ist, dass er mit unserem Handeln, mit dem Ausstoß von CO2 zu tun hat und dass wir aus diesem Grund genau hier ansetzen müssen und wirksame Maßnahmen und Erfolge brauchen. Ich will auch angesichts der Herausforderungen der Finanzkrise und der Wirtschaftskrise sagen: Klimawandel und Klimaschutz sind die wichtigste globale Herausforderung, die die Menschheit in diesem Jahrhundert hat. Deshalb müssen wir dies gemeinsam angehen. Selbstverständlich ist, gemessen an dieser Herausforderung, bei diesem Gipfel wenig, ernüchternd wenig herausgekommen. Selbstverständlich sind die Schritte immer zu klein. Selbstverständlich verbindet uns deshalb der Wille: Da muss mehr passieren. Wir brauchen mehr Ambitionen. Wir müssen jetzt endlich den Durchbruch erzielen. - Manche haben geglaubt - wir haben es gehofft -, Warschau könnte eine wichtige Station auf dem Weg nach Paris sein. Spätestens dann, wenn man mit dem Zug stundenlang nach Polen fährt, weiß man: Wer nach Paris will, für den ist Warschau bestenfalls ein Umweg. Andreas Jung ({0}) Trotzdem wäre es falsch, zu sagen: „Da ist gar nichts herausgekommen, wir haben nichts erreicht“, und das hat hier auch niemand getan. Wir haben in Warschau einige wichtige Schritte gemacht. Für mich der wichtigste ist der Durchbruch beim Waldschutz. Dieses Thema sollten wir nicht kleinreden; immerhin entsteht ein Drittel der weltweiten CO2-Emissionen durch Landnutzungsänderungen, die allermeisten durch Rodungen. Deshalb ist der Durchbruch beim Waldschutz ein großer Erfolg, auf dem wir aufbauen müssen. ({1}) Dafür hatte sich die Bundesregierung eingesetzt, genauso wie für den Anpassungsfonds. Bundesumweltminister Altmaier hat in seiner Rede den deutschen Beitrag für diesen Anpassungsfonds angekündigt. Das hat eine Dynamik ausgelöst, die dazu geführt hat, dass der Anpassungsfonds jetzt tatsächlich kommen wird, dass er funktionieren wird. Das ist ein zweiter Punkt, an dem wir vorangekommen sind. Darauf gilt es jetzt aufzubauen. Selbstverständlich müssen wir weiter die Vorreiterrolle einnehmen, die wir in Deutschland immer für uns in Anspruch genommen und immer ausgefüllt haben. Ich glaube, wir können da auf etwas aufbauen, und das müssen wir auch. Worum geht es dabei? Es geht erstens um Ziele. Weil über den Koalitionsvertrag gesprochen wurde, will ich sagen: Es ist falsch, wenn behauptet wird, der Koalitionsvertrag sei ein Weg ins Kohlezeitalter. Wir bekennen uns in diesem Koalitionsvertrag zu den ehrgeizigen Klimazielen, die wir in Deutschland haben und die da heißen: bis 2020 Reduktion der CO2Emissionen um 40 Prozent gegenüber 1990, bis 2050 sogar um 80 bis 95 Prozent. Die Koalition bekennt sich zu diesem ehrgeizigen, ambitionierten Programm. Diese Ziele müssen wir gemeinsam erreichen. ({2}) Die EU muss genauso ambitioniert vorangehen. Wir haben formuliert, dass wir die CO2-Emissionen bis 2030 um mindestens 40 Prozent reduzieren wollen. Ich will an dieser Stelle betonen, dass das Wort „mindestens“ zeigt, dass es da noch Spielraum nach oben gibt; Frank Schwabe hat das ebenfalls gesagt. Gerade wir Klimapolitiker werden darauf drängen, hier noch ambitionierter vorzugehen, und wir werden dieses Anliegen kraftvoll in die europäische Debatte einbringen. Das gilt auch für den Emissionshandel. Ich bin dem Bundesumweltminister ausdrücklich dankbar dafür, dass er sich vehement für das Backloading eingesetzt hat. Hier hat es in den letzten Wochen einen Erfolg gegeben. Wir konnten das Signal geben - da sind wir uns alle einig -: Das ist ein wichtiger Schritt. Für mich ist auch klar: Es ist nur ein erster Schritt, wir müssen hier noch weiter gehen. Deshalb bin ich Peter Altmaier dankbar, dass er ausdrücklich gesagt hat, dass er diesen Schritt mit der Offenheit für strukturelle Reformen verbindet. Ich meine, die brauchen wir. Backloading war die NotOP. Nach der Not-OP kommt die Reha. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dieses Instrument zu stabilisieren. ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen?

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Jung, Sie sprechen beim Backloading jetzt von einer Notoperation und sagen, es müsse weitergehen. Ich schaue in Ihren Koalitionsvertrag. Da steht drin, das Backloading soll ein einmaliger Eingriff in das System bleiben, es soll nichts weiter geschehen. Ich kann diesen Koalitionsvertrag nur so interpretieren - die ganze Welt tut das -, dass Sie am Emissionshandel nichts weiter ändern wollen, dass Sie nichts weiter dafür tun wollen, dass der Emissionshandel in Zukunft wieder funktioniert, und sehenden Auges in Kauf nehmen wollen, dass das einzige Instrument der europäischen Energie- und Klimapolitik kaputtgeht. Ich finde, es ist ein Unding, dass, obwohl Sie im Koalitionsvertrag gestern etwas völlig anderes vereinbart haben, Sie sich alle schön hier hinstellen und so tun, als würden Sie beim Emissionshandel etwas machen wollen. Da bitte ich doch um die Ehrlichkeit, zu sagen: Diese Große Koalition hat nicht die Kraft, das zu tun, was eigentlich erforderlich ist und was Sie hier einfordern. Da bitte ich Sie um eine Erläuterung. ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, Sie behaupten, es werde nur so getan, als wolle man etwas machen, aber es passiere nichts. Diese Aussage ist durch die Fakten schon widerlegt. Noch bevor dieser Koalitionsvertrag überhaupt unterschrieben war, noch bevor es grünes oder rotes Licht für diese Koalition gab, hat man sich darauf geeinigt, diese Hängepartie zu beenden. Es war in den letzten Monaten eine Hängepartie, weil man sich bisher nicht darauf einigen konnte, dass man diesen Schritt zum Backloading geht. Der Bundesumweltminister wollte es, aber das war insgesamt nicht durchsetzbar. Jetzt haben wir es quasi als Vorschuss geschafft, uns für das Backloading auszusprechen. Wir sind uns einig, es war zu spät, es wäre besser gewesen, es wäre früher passiert, aber das zeigt: Noch bevor die Koalition überhaupt in Kraft getreten ist und arbeiten konnte, ist der erste Schritt gemacht worden. - Dies wollte ich zuerst einmal in den Mittelpunkt stellen. Das eine ist also - hier will ich auf das verweisen, was Peter Altmaier vorhin gesagt hat - die „Not-OP“, wie ich es nenne, eine Ultima Ratio, die einen Markteingriff darstellt. Wir alle würden uns wünschen, dass das nicht Andreas Jung ({0}) notwendig wäre und dass der Emissionshandel funktionieren würde, ohne dass man diesen außerordentlichen Eingriff hätte machen müssen. Den hat man jetzt aber gemacht. Das entlastet uns aber nicht davon, darüber nachzudenken, wie wir beim Emissionshandel strukturell weiterkommen können und wie wir strukturell die Voraussetzungen dafür schaffen, dass er seine Minderungswirkung erreicht und gleichzeitig Innovationsignale aussendet. Diese Diskussion steht wiederum im Zusammenhang mit der Diskussion um die Erhöhung der EU-Klimaschutzziele, die in der Europäischen Union noch aussteht. Ich verspreche mir davon, dass uns beides gelingt, nämlich die Erhöhung der EU-Klimaschutzziele, wodurch mehr Druck für den Emissionshandel entsteht, und am Ende ein gutes Ergebnis für den Klimaschutz. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Jung, es gab noch den Wunsch nach einer zweiten Zwischenfrage, und zwar von der Kollegin Bulling-Schröter.

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne, bitte.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich habe noch eine Bitte an den Kollegen Krischer. Wir haben hier die, wie ich finde, gut eingeführte und akzeptierte Regel, dass man bei der Beantwortung seiner Frage stehen bleibt. ({0}) Frau Bulling-Schröter.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das ist sehr nett, vielen Dank. - Kollege Jung, Sie haben von einer „Notoperation“ gesprochen. Wir beide sind keine Ärzte. Wenn es ein Problem gibt und man operieren muss, dann operiert man ja die ganze Wunde und nicht nur ein Drittel. So sehe ich das auch beim Zertifikatehandel. Wir wissen, dass die Zertifikate durch das Backloading jetzt um 50 Cent teurer geworden sind. Wir beide und zumindest alle Klimapolitiker wissen, dass die Zertifikate einen wesentlich höheren Preis haben müssten, damit sie relevant werden und Investitionen in den Betrieben auslösen. Wir haben das im Umweltausschuss oft diskutiert und waren uns über die Parteien hinweg relativ einig, dass wir so viele Zertifikate wie möglich - möglichst alle - stilllegen sollten, und zwar bleibend. Es gibt faule Zertifikate im Zusammenhang mit dem CDM; das ist nach vielen Jahren der Diskussion inzwischen nicht mehr umstritten. Das hat aber doch nichts mit der Marktwirtschaft zu tun. Wenn diese Zertifikate stillgelegt wären, kann man in der EU und in der UN entsprechende Kriterien und Regularien miteinander vereinbaren, sodass es diese Überallokation und faulen Zertifikate nicht mehr gibt. Der erste Schritt wäre doch, das so auf die Reihe zu bringen, dass es dann wirklich funktioniert.

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, es ist ja das Ziel, das so zu auf die Reihe zu bringen, dass es funktioniert. Das, was wir hier diskutieren, können wir aber nicht von der europäischen Diskussion loslösen. Der Vorschlag, den die EU gemacht hat und der auf dem Tisch lag, war das Backloading. Diesem Vorschlag haben wir erst einmal zugestimmt. Auch auf europäischer Ebene wird die Diskussion ganz sicher weitergehen, und natürlich wird es dabei auch um CDM gehen. Zum CDM will ich sagen: Selbstverständlich gab es CDM-Zertifikate, bei denen die ökologische Integrität nicht sichergestellt war. Dem ist zu einem großen Teil schon der Riegel vorgeschoben worden. Es hat dort Veränderungen gegeben, und es ist nicht mehr ohne Weiteres möglich, solche Projekte zu machen, wie das in der Vergangenheit der Fall war. Das sind zwei Beispiele dafür, dass die Debatte und die Entscheidungen Schritt für Schritt erfolgen. Ich will einfach die Botschaft aussenden: Für mich und für uns ist diese Debatte nicht am Ende, und für uns ist der Emissionshandel das Herzstück der EU-Klimapolitik. Das gilt es zu bewahren, und dafür arbeiten wir. Danke. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Matthias Miersch das Wort. ({0})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin den Grünen dankbar, dass sie diesen Antrag hier eingebracht haben, weil wir damit zu Beginn dieser Legislaturperiode die Möglichkeit haben, über eines der zentralen politischen Themen zu sprechen, die uns sicherlich nicht nur die nächsten vier Jahre, sondern viele Jahrzehnte beschäftigen werden. Jeder, der schon einmal an einer Klimakonferenz teilgenommen hat, weiß, wie unterschiedlich die Interessen zwischen den Industriestaaten, zwischen den Entwicklungsländern, zwischen den Schwellenländern sind, ja auch zwischen den Ländern der Europäischen Union und, wie wir angesichts dieser Debatte auch wieder feststellen konnten, auch in diesem Haus. Hier hat eben ein Kollege von der CDU/CSU die Frage gestellt: Wie ist das mit dem Klimawandel und seine Auswirkungen auf die Philippinen? Ich glaube, diese Frage illustriert, dass auch wir hier in diesem Parlament eigentlich noch nicht die Voraussetzung dafür erfüllen, diese Menschheitsaufgabe wirklich zu begreifen. Es ist leider immer so, dass in der Vergangenheit erst die großen Katastrophen passieren mussten, bevor die Politik gehandelt hat. Hier haben wir es mit einem Phänomen zu tun, bei dem wir als Politiker beweisen müssen, ob wir tatsächlich nachhaltig denken können, ob wir Folgen viel größeren Ausmaßes volkswirtschaftlicher Art heute verhindern und das kurzfristige Denken überwinden können. Insofern gehört der Klimaschutz natürlich ins Zentrum unserer Überlegungen. Ja, in jeder Koalition gibt es Kompromisse. Ja, möglicherweise würde der Koalitionsvertrag völlig anders aussehen, wenn nur Umweltpolitiker an ihm gearbeitet hätten. Ja, Frau Bulling-Schröter, es gibt auch bei den Linken Kohlebefürworter. Ich nenne hier beispielsweise den brandenburgischen Wirtschaftsminister, der deutlich macht, wie wichtig der Übergang vom fossilen ins erneuerbare Zeitalter ist. Ich bin mir sicher, Sie stimmen nicht mit allem überein. Das, was wir in den nächsten vier Jahren in dieser Großen Koalition schaffen müssen, ist - das ist auch die Messlatte, die wir uns alle gefallen lassen müssen -, ob wir als Bundesrepublik Deutschland - da haben die Grünen recht, wenn sie sagen, man braucht nationale Vorbilder - weiter ein nationales Vorbild darstellen. Das muss unsere Messlatte sein. ({0}) Dazu gehört, dass wir versuchen, mit einer Stimme zu sprechen, Herr Kollege Altmaier. Die erste Große Koalition mit einem sozialdemokratischen Umweltminister hat bewiesen - das jedenfalls sagen alle großen Umweltorganisationen -, dass diese vier Jahre für Klima- und Umweltschutz nicht schlecht gewesen sind. Aber das, was wir die letzten vier Jahre erlebt haben - nun hatten Sie die Sozis nicht an Ihrer Seite -, war eben genau das Gegenteil. Wir haben diese Vorbildfunktion nicht länger einnehmen können, sondern wir haben uns hier als Bundesrepublik Deutschland kein gutes Zeugnis ausgestellt, weil wir uns blockiert haben, weil Wirtschaftsminister und Umweltminister keine einheitliche Vorgehensweise hatten. Über den Koalitionsvertrag kann man an vielen Stellen diskutieren. ({1}) - Das müssen wir, im Übrigen auch hier im Parlament, weil das Parlament nicht die Bundesregierung ist. Deswegen müssen wir das Ganze an der einen oder anderen Stelle auch vorantreiben, glaube ich. - Der Koalitionsvertrag gibt eines wieder: Es wird im Bereich Klima und Energie eine Sprachregelung geben; Backloading ist da nur ein kleiner Bereich. Ich bin froh, dass der Bereich Effizienz ein ganzes Kapitel hat. Insofern: Nehmen wir es heute als Auftakt, dieses Thema ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen! (Oliver Krischer ({2}) Wir werden, Herr Krischer, im Fachausschuss sicherlich über diesen Antrag und über die Möglichkeiten, zu gemeinsamen Empfehlungen zu kommen, sprechen; denn es geht darum, Lösungen gemeinsam zu entwickeln, weil es gerade im Bereich Energie und Umwelt wenig bringt, alle vier Jahre etwas Neues zu machen. Lassen Sie es uns deshalb als Auftakt nehmen. So verstehe ich die Debatte heute. Vier Jahre liegen vor uns. Ich glaube, die Große Koalition kann durchaus auch im Bereich Klima und Energie beweisen, dass Dinge positiv zu verändern sind. In diesem Sinne freue ich mich auf eine gute Zusammenarbeit von uns allen. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als letzter Redner in dieser Runde spricht der Kollege Göppel.

Josef Göppel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003537, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus gegebenem Anlass beginne ich mit der Schilderung des Besuchs einer Schulklasse, den ich kürzlich machte. Es ging um die Frage: „Kann der Mensch das Klima verändern, wo der Himmel doch so hoch ist?“ Die Arbeitsgruppe Klima in dieser Schule hat die Erde so groß gestaltet wie einen Fußball, und als Erdatmosphäre hat sie ihn mit einer dünnen Haut überzogen. Das war ein Millimeter auf diesem Fußball, und dann beginnt der freie Weltraum. Es gab in dieser Klasse dann niemanden mehr, der nicht geglaubt hat, dass der Mensch das Klima beeinflussen kann. Das ist auch die Frage, vor der solche Konferenzen wie die in Warschau immer wieder stehen. Ich beginne mit einem der Erfolge. Die noch benötigten 100 Millionen US-Dollar für den Anpassungsfonds gegen den Klimawandel und zum Schutz von Küstengebieten sind überschritten. Das Ziel sind aber 100 Milliarden US-Dollar bis zum Jahr 2020. Die 100 Millionen US-Dollar konnten nur dadurch erreicht werden, dass Deutschland eine großzügige Zusage von 40 Millionen US-Dollar gemacht hat. Aber bis zum Jahr 2020 sollen 100 Milliarden US-Dollar - das ist tausendmal so viel aufgebracht werden, damit bestimmte Teile der Erde bewohnbar bleiben und riesige Flüchtlingsbewegungen in vermeintlich sichere Zonen der Erde unterbleiben können. Damit wird deutlich, um welche Aufgabe es geht. Deswegen ist es wichtig, dass Deutschland wieder da ist. Das ist für den Umweltminister eine Herausforderung, aber auch für uns. Ich teile die Meinung des Kollegen Miersch, dass es in den nächsten Jahren sehr auch auf das Parlament anJosef Göppel kommt, zum Beispiel bei der Frage, ob die nun vereinbarten Ziele zum Ausbau der erneuerbaren Energien noch mit unseren Klimaschutzzielen zusammenpassen. Wenn wir die Minderung des Klimagasausstoßes um 80 bis 95 Prozent bis 2050 erreichen wollen, dann müssen wir den Anteil der erneuerbaren Energien pro Jahrzehnt um 20 Prozent steigern. Denn niemand wird glauben, dass der Verkehr, die privaten Haushalte oder das Gewerbe so viel erbringen können, dass wir auf der anderen Seite bei der Energieversorgung bzw. beim Zubau der erneuerbaren Energie zurückhinken können. Darin liegt eine wesentliche Aufgabe. Deswegen bin ich nach wie vor dafür, dass wir unsere Ziele, die in dem erwähnten Klimaschutzplan niederzuschreiben sind, als international sichtbares und glaubwürdiges Signal in einem Gesetz niederlegen. Wir brauchen keine neuen Ziele, sondern wir müssen die vorhandenen Ziele international sichtbar und glaubwürdig verankern, damit auch die deutsche Wirtschaft und die deutsche Technik der bevorzugte Partner der Entwicklungsländer in der Welt bleiben und wir unsere Anstrengungen auch wirtschaftlich verwerten können. ({0}) Dazu gehört auch eine CO2-Obergrenze für jede erzeugte Kilowattstunde Strom. Anders wird es nicht gehen. Gute Beispiele dafür sind nicht nur Großbritannien, sondern auch die USA. Die Beseitigung der Konstruktionsfehler des europäischen Emissionshandels ist ein langwieriges Unterfangen. Deswegen plädiere ich für nationale Maßnahmen, wie sie Großbritannien und die USA ergreifen. Das wird letztlich unserer Glaubwürdigkeit dienen, aber auch der Stellung der deutschen Wirtschaft in der Welt. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 18/96. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD sowie die Fraktion Die Linke wünschen Überweisung an den Hauptausschuss. Wir stimmen nach ständiger Übung daher zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die Überweisung an den Ausschuss? - Wer stimmt gegen die beantragte Überweisung? - Wer enthält sich? - Damit ist der Antrag auf Ausschussüberweisung mit den Stimmen der CDU/ CSU, der SPD und der Linken gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Damit ist die Überweisung so beschlossen. Damit stimmen wir im Übrigen heute über den Antrag auf Drucksache 18/96 in der Sache nicht ab.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Fragestunde - Drucksache 18/87 Für die Fragestunde haben wir anderthalb Stunden vorgesehen. Unser Ziel ist, dass möglichst viele Fragen beantwortet werden und dass möglichst viele zu Wort kommen. Deswegen hatten wir uns in der letzten Legislaturperiode darauf geeinigt, dass für die ersten Antworten der Regierung jeweils zwei Minuten und für die folgenden jeweils eine Minute zur Verfügung stehen. Damit das jeder, auch diejenigen, die nicht über ein entsprechendes Zeitgefühl verfügen, verfolgen kann, gibt es Ampeln, die das farblich anzeigen. Die letzten 30 Sekunden werden durch gelbes Licht angezeigt. Wenn die Zeit dann vorbei ist, leuchtet es rot. Wir bitten alle, sich möglichst daran zu halten, auch wenn das nicht bei jeder Materie gleich gut gelingen kann. Zuerst kommen wir zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung steht Frau Staatsministerin Professor Dr. Maria Böhmer zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 der Abgeordneten Lisa Paus von Bündnis 90/Die Grünen auf: Inwieweit hat Staatsminister a. D. Eckart von Klaeden in seiner Amtszeit Einfluss auf die Bearbeitung des Themas Elektromobilität genommen, hier insbesondere auf den Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität und die „Gemeinsame Geschäftsstelle Elektromobilität“ der Bundesregierung? Frau Staatsministerin, bitte.

Not found (Gast)

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Ich beantworte die erste Frage der Abgeordneten Lisa Paus wie folgt: Staatsminister a. D. von Klaeden war für das Thema Elektromobilität nicht zuständig und hat nach Kenntnis der Bundesregierung auch keinen Einfluss auf dessen Bearbeitung genommen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine Zusatzfrage? - Bitte, Frau Paus.

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Professor Böhmer, Sie hatten mir bereits auf meine schriftliche Frage geantwortet, dass Herr von Klaeden sehr wohl umfassende Kenntnis von internen Vorlagen in Bezug auf die Regulierungsvorhaben auf europäischer Ebene hatte, die für den Daimler-Konzern von zentraler Bedeutung sind. Sie sind jetzt dennoch davon überzeugt, dass Herr von Klaeden nichts davon im Rahmen seiner zahlreichen Treffen mit Daimler-Vertretern, über die Sie auch Auskunft gegeben haben, thematisiert hat. Können Sie mir doch noch einmal erläutern, wie Sie zu der Einschätzung kommen, dass er nicht über dieses Thema gesprochen und keinen Einfluss genommen haben kann, obwohl es zahlreiche Treffen mit Daimler-Vertretern gab?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Staatsministerin Böhmer, bitte.

Not found (Gast)

Frau Kollegin Paus, ich hatte Ihnen bereits in meinem Schreiben vom 14. November 2013 darauf geantwortet; es ging um die schriftliche Frage 28. Ich zitiere: „Es ging um allgemeine bundespolitische Themen und die Krise im Euro-Raum.“

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Wir kommen zur Frage 2 der Abgeordneten Lisa Paus: Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung unternommen, um Loyalitätskonflikte des Staatsministers a. D. Eckart von Klaeden im direkten dienstlichen Kontakt zu Christoph Brand von der Investmentbank Goldman Sachs zu verhindern?

Not found (Gast)

Ich nehme Stellung zur zweiten Frage: Staatsminister a. D. von Klaeden führte eine Vielzahl von Gesprächen mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Verbänden auf nationaler wie europäischer Ebene. Dies gehörte zu seinen Aufgaben. Dabei verhielt er sich stets loyal gegenüber den Pflichten seines Amtes und der Politik der Bundesregierung. Für irgendwelche Maßnahmen gab es keinen Anlass.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin? - Bitte schön.

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es war aus den schriftlichen Antworten auch hervorgegangen, dass Herr von Klaeden zu dem EADS-Fall 18 Vorlagen gesehen hat - sie teilweise auch in Vertretung von Herrn Pofalla bekommen hat - und dass Herr von Klaeden sich 23-mal mit einem der zuständigen und von Daimler beauftragten Partner von Goldman Sachs getroffen hat. Können Sie mir erklären, welche dienstlichen Notwendigkeiten den Staatsminister im Bundeskanzleramt dazu führten, irgendwelche anderen Themen mit einem Partner der weltweit größten Investmentbank bei diesen 23 Terminen zu besprechen, wenn bei diesen 23 Terminen nicht ein einziges Mal über das Thema EADS und die 18 Vorlagen gesprochen worden ist?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Staatsministerin, bitte.

Not found (Gast)

Frau Kollegin Paus, ich komme jetzt wieder auf mein Schreiben vom 14. November 2013 zurück. Dort hatte ich abschließend bei der Frage 30 formuliert: Bei seinen Treffen mit Christoph Brand - Sie fragten damals auch nach Dirk Notheis, deshalb bin ich auch auf ihn eingegangen und Dirk Notheis hat Staatsminister a. D. Eckart von Klaeden nicht über dieses Thema gesprochen. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine Frage dazu von Herrn Beck. Bitte.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Können Sie uns als Parlament die Gegenstände der Gesprächsthemen - es waren ja offensichtlich eine ganze Reihe von Terminen - hier kurz wiedergeben, damit wir uns ein Bild machen können, wie plausibel die Antwort ist, dass dieses Thema nicht ein einziges Mal behandelt worden sein soll?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Staatsministerin, bitte.

Not found (Gast)

Herr Kollege Beck, darüber ist nichts bekannt. ({0}) - Herr Kollege Beck, ich habe es schon zweimal getan und zitiere gerne noch einmal die schriftlichen Antworten, die ich gegeben habe. Das erste Zitat war aus der Antwort auf die Frage 28; Sie können das gerne noch einmal hören. Es ging um allgemeine bundespolitische Themen und die Krise im Euro-Raum. Bei dem zweiten Zitat war die Formulierung, dass „nicht über dieses Thema gesprochen“ worden ist. Das ist der Stand der Dinge.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die nächste Zusatzfrage hat der Kollege Schick.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich muss zugeben, dass ich jetzt Ihre Argumentation nicht verstanden habe, dass Sie eine Antwort auf die Frage gegeben hätten, welche sonstigen dienstlichen Gründe es gegeben habe. Nur dann wird die Sache ja plausibel. Deswegen wäre ich dankbar für die Beantwortung der Frage und will sie an dieser Stelle um einen Unterpunkt ergänzen. Herr von Klaeden war auch der Bund-Länder-Koordinator. Die Länder haben auch EADS-Anteile. Welchen Zusammenhang gibt es da? War es nicht sogar seine Aufgabe als Bund-LänderKoordinator, genau diese Fragestellung zu bearbeiten, oder wer sonst hat es gemacht?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Staatsministerin, ich bitte, zu antworten.

Not found (Gast)

Ich rekurriere jetzt noch einmal auf die schriftlich vorliegende Antwort vom 14. November zu der damals gestellten Frage 30 - ich zitiere -: Staatsminister a. D. Eckart von Klaeden hat in Angelegenheiten des Verkaufs der EADS-Anteile der Daimler AG an die KfW Bankengruppe keine Entscheidungen getroffen. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Gibt es weitere Fragen zu diesem Punkt? - Das ist nicht der Fall. Dann bedanken wir uns herzlich bei der Frau Staatsministerin. Ich will den Zwischenruf des Kollegen Beck aufgreifen. Das Parlament darf fragen, wie es das für richtig hält, und die Regierung darf antworten, wie sie es für richtig hält. Das ist die Regel in diesem Hause. ({0}) Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Ernst Burgbacher bereit. Ich rufe Frage 3 der Kollegin Annette Groth von der Linken auf: Welche konkreten Schritte wird die Bundesregierung unternehmen, damit die Öffentlichkeit und der Deutsche Bundestag über den Stand der Verhandlungen über das geplante Freihandelsabkommen USA - EU informiert werden? Bitte, Herr Staatssekretär.

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Kollegin Groth, die Bundesregierung setzt sich dafür ein, dass die Verhandlungen über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft möglichst transparent verlaufen. Sie hat dies mehrfach gegenüber der Europäischen Kommission eingefordert. Sie fragen einmal nach der Information der Öffentlichkeit. Die Verhandlungen über dieses Abkommen werden von der Europäischen Kommission geführt. Sowohl die Europäische Kommission als auch die USRegierung haben im Vorfeld des Verhandlungsbeginns öffentliche Konsultationen durchgeführt. Begleitend zu den Verhandlungsrunden führt die EU-Kommission zudem Anhörungen mit der Zivilgesellschaft, mit Verbänden durch, so zuletzt am 15. November in Brüssel im Nachgang zur zweiten Verhandlungsrunde, die vom 11. bis 15. November erfolgte. Der Bundesregierung ist die Einbindung der Zivilgesellschaft und der Verbände ein Kernanliegen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hat im April und im November dieses Jahres eine Verbändeanhörung zu den Verhandlungen durchgeführt und im September 2013 Nichtregierungsorganisationen zu einem Informationsgespräch über handelspolitische Fragen mit dem Schwerpunkt TTIP eingeladen. Auch im weiteren Verhandlungsverlauf sollen Verbände und Nichtregierungsorganisationen eingebunden und informiert werden. Die Europäische Kommission plant, die Öffentlichkeit auch im weiteren Verfahren umfassend zu informieren, natürlich auch über ihre Internetseite. Schließlich zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages: Die Bundesregierung wird dem Deutschen Bundestag gemäß den Bestimmungen des EUZBBG, abhängig von den Fortschritten der Verhandlungen, auch weiterhin regelmäßig auf eigene Initiative und auf Wunsch des Deutschen Bundestages unterrichten. Sämtliche einschlägigen Dokumente und Berichte werden an den Bundestag übermittelt. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Recht herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. - Gibt es dazu von der Kollegin Groth den Wunsch nach einer Zusatzfrage? - Bitte schön.

Annette Groth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004047, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Wenn das so ist, wie Sie es sagen, dann wundert es mich, dass sämtliche Umweltverbände, Gewerkschaften, andere Verbände und Organisationen immer wieder nach den Dokumenten bei der EU fragen und die EU deren Herausgabe verweigert. In den USA bekommen die Berater der 600 größten international tätigen Unternehmen die Dokumente aus den Verhandlungen, und sie schalten sich dann sofort ein, etwa indem sie schriftlich vorbringen, was sie gerne noch verhandelt haben möchten. Das ist den europäischen und den deutschen Umweltverbänden sowie anderen Organisationen bislang nicht möglich gewesen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Staatssekretär, bitte.

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Kollegin, ich habe ja gerade gesagt - darum geht es übrigens auch in der Antwort auf die nächste Frage -: Verhandlungsführer ist die EU-Kommission; die EU informiert. Aber wir selbst, gerade das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, haben in zwei Anhörungen und verschiedenen anderen Gesprächen Verbände und die Zivilgesellschaft auf eigenes Betreiben hin informiert. Ich denke, das wird auch so fortgesetzt werden.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank. - Gibt es zu diesem Komplex weitere Fragen? - Bitte schön, Kollege Lenkert von der Partei Die Linke.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Es ist für die Öffentlichkeit sehr schwierig gewesen, zu erfahren, über welche konkreten Bereiche man mit welchen Zielsetzungen verhandelt. Mich würde also interessieren, welche Themenbereiche komplett zur Verhandlung stehen und welche Zielsetzungen die Bundesregierung in den jeweiligen Bereichen bei diesen Verhandlungen erreichen will.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege, auch darüber haben wir ausführlich informiert. Ich gehe davon aus, dass auch die nächste Bundesregierung das tun wird. Wir haben das Parlament informiert. Wir haben, wie gesagt, in zwei Anhörungen informiert. Aber - das bezieht sich, wie gesagt, schon auf die nächste Frage - das Verhandlungsmandat hat die EU-Kommission. Wir sind natürlich auf den verschiedensten Wegen ständig im Gespräch mit der EU-Kommission.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Es gibt noch weitere Nachfragewünsche. Die erste Nachfrage stellt der Kollege Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen, die nächste Frau Kollegin Hupach von der Fraktion Die Linke. Herr Ströbele, bitte.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Burgbacher, Sie haben gesagt: Der Deutsche Bundestag wird informiert. Nun sind wir ja hier der Deutsche Bundestag - immer noch. ({0}) Wen informieren Sie denn derzeit? Haben Sie etwa den heute neu eingesetzten Ausschuss informiert, oder verteilen Sie jetzt hier Ihre Unterlagen, oder was ist für Sie „der Deutsche Bundestag“? ({1})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Staatssekretär, bitte.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege Ströbele, Sie sind natürlich der Deutsche Bundestag, aber es gehören auch noch einige andere dazu. Es ist auch eine besondere Situation, dass der neue Deutsche Bundestag die alte Regierung befragt. Wir haben in vielen Gesprächen informiert. Ob der neu eingesetzte Hauptausschuss den Wunsch hat, informiert zu werden, entzieht sich meiner Kenntnis; ich habe darauf keine Hinweise. Aber selbstverständlich beantworten wir die Fragen, die Sie gestellt haben. Ich habe die Frage danach beantwortet, was wir gemacht haben, und ich betone noch einmal: Wir haben auf eigene Initiative unseres Ministeriums informiert, und es war der Bundesregierung insgesamt ein Anliegen, zu informieren. Ich habe auch die gesetzlichen Grundlagen genannt, Herr Kollege Ströbele, wonach selbstverständlich der Deutsche Bundestag auf seinen Wunsch hin, aber auch auf Initiative der Bundesregierung informiert wird.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Danke schön, Herr Staatssekretär. - Jetzt die Kollegin Hupach von der Fraktion Die Linke und danach die Kollegin Hänsel von der Fraktion Die Linke, bitte.

Sigrid Hupach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004309, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, welche Auswirkungen könnte das Freihandelsabkommen für den Bereich Kultur und Medien und dessen Förderstrukturen in Deutschland haben? Die Kulturverbände warnen und haben Angst, dass bei Wegfall der tarifären oder nichttarifären Handelshemmnisse etwa die Buchpreisbindung oder der reduzierte Mehrwertsteuersatz wegfallen könnten oder dass auch Bereiche des öffentlich-rechtlichen Rundfunks betroffen sein könnten. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Kollegin, Sie wissen, dass der Bereich Kultur und Medien eigentlich nicht einbezogen ist, dass die Amerikaner aber den Versuch machen, ihn einzubeziehen. Darüber wird jetzt geredet. Ich gehe aber davon aus, dass die Bedenken, die Sie geäußert haben, ganz schnell zerstreut werden. Auch wir haben übrigens ein paar Punkte, die wir noch hineinbringen wollen. Der Bereich Kultur und Medien ist bisher nicht Verhandlungsgegenstand.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank. - Jetzt die Kollegin Frau Hänsel, Fraktion Die Linke, und dann die Kollegin Frau Haßelmann, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Ich habe eine Nachfrage, Herr Burgbacher, bezüglich der Information. Wie konkret informieren Sie denn den Bundestag und die Parlamentarierinnen und Parlamentarier? Ich habe nie eine Einladung zu einer Anhörung gesehen. Ich habe bisher null Zugang zu Informationen zu diesen Verhandlungen. Meine konkrete Frage: Können Sie sicherstellen, dass ich, wenn ich Sie jetzt anschreibe, von Ihnen Informationen über den derzeit aktuellsten Verhandlungsstand zugeschickt bekomme?

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Kollegin Hänsel, ich habe auch die gesetzliche Grundlage genannt. Wenn Sie die Bundesregierung anschreiben, werden Sie selbstverständlich die Informationen bekommen, die im Augenblick vorhanden sind. Das ist ein Thema, was immer sehr offen gefahren wurde. Wir sind auch mit der EU-Kommission im Gespräch. Wir legen allergrößten Wert darauf, dass die Verhandlungen sehr transparent laufen und gerade das Parlament informiert wird.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herzlichen Dank. - Frau Kollegin Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen, bitte.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Burgbacher, ich möchte doch einmal nachfragen, was die Informationsrechte der Abgeordneten und die Informationspflichten gegenüber den Abgeordneten angeht. Meinem Kollegen Ströbele hatten Sie gerade erklärt, dass Sie alle möglichen Initiativen unternommen haben, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages zu informieren. Es könnte sich ja um einen Einzelfall handeln, wenn Herr Ströbele nichts gekriegt hat. Aber ich habe auch nichts gekriegt, weder brieflich, noch per Mail, noch durch irgendeine Unterrichtung. Deshalb möchte ich mich mit so einer Aussage, wie Sie sie hier treffen: „Die Abgeordneten sind ausreichend informiert“, nicht zufriedengeben, sondern möchte Sie jetzt fragen: Auf welche Art und Weise haben Sie denn den Abgeordneten die entsprechenden Informationen zukommen lassen?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Staatssekretär, bitte.

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Kollegin, es ist doch völlig klar, dass der Bundestag, wie es jetzt gerade geschieht, fragen kann und wir antworten, dass wir dann, wenn ein Ausschuss an die Bundesregierung herantritt, ({0}) entsprechend antworten werden ({1}) und dass der Bundestag nach dem EUZBBG ausdrücklich dieses Recht hat. Wir stehen ja eigentlich erst am Anfang dieser Verhandlungen. Natürlich wird die Information erfolgen. Die Bundesregierung wird es von sich aus tun; aber der Bundestag hat jederzeit das Recht, diese Informationen nachzufragen. Wenn das bisher geschehen ist, haben wir auch geantwortet.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die nächste Frage zu diesem Komplex hat Kollege Ebner, Bündnis 90/Die Grünen.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident. - Herr Burgbacher, wie erklären Sie sich angesichts Ihrer Aussagen denn, dass die Mitglieder des Bundestages, sowohl des alten als auch des neuen Bundestages, nicht über den Inhalt des Verhandlungsmandates, das die EU-Kommission bekommen hat, informiert wurden, und dies, obwohl dies auch Thema in den Ausschüssen der 17. Wahlperiode war?

Not found (Staatssekretär:in)

Wir haben in der 17. Wahlperiode alle Anfragen beantwortet. Wir haben offengelegt, was offenzulegen war. Ich kann nur sagen: Ich gehe davon aus, dass die neue Bundesregierung das genau so tun wird. ({0}) Dieses Thema ist Gegenstand der ersten Sitzung; wir antworten. Mehr kann ich für die neue Bundesregierung heute allerdings nicht sagen. Dafür werden Sie Verständnis haben.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. - Frau Kollegin Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, wir sind tatsächlich in einer Übergangsphase. Sie haben den Vorteil, dass Sie im Gegensatz zu Abgeordneten, die schon in der 17. Legislaturperiode hier Mitglied waren, im Moment weder mit Umzügen noch mit Sonstigem beschäftigt sind. Deshalb gehe ich davon aus, dass in Ihrem wohlsortierten Haus eine Übersicht darüber vorliegt, welches Gremium oder welcher Abgeordnete der 17. Legislaturperiode an welchem Tag mit welchem Inhalt zu diesen Vorgängen unterrichtet wurde. Sind Sie, wenn Sie das jetzt nicht dabei haben, in der Lage, uns im Nachgang zu dieser Fragestunde diese Übersicht zuzustellen, damit wir dann gezielt weiterarbeiten können?

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Kollegin Pau, ich habe das wirklich nicht dabei. Aber ich werde das selbstverständlich mitnehmen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Dann kommen wir zur Frage 4 der Kollegin Groth: Wer verhandelt für die EU das geplante Freihandelsabkommen USA - EU, und wie ist die Bundesregierung in den Verhandlungsprozess integriert und informiert? Vizepräsident Peter Hintze Diese Frage wurde zwar immanent schon beantwortet, wir wollen sie natürlich dennoch aufrufen. Herr Staatssekretär, bitte zu Frage 4, auch wenn sie zum Teil schon behandelt wurde.

Not found (Staatssekretär:in)

Sehr gerne. Es geht um die Frage, wer eigentlich die Verhandlungen über TTIP auf europäischer Seite führt. Ich habe das schon gesagt: Sie werden von der EU-Kommission und dort von der Generaldirektion Handel geführt. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben der EU-Kommission ein entsprechendes Mandat - auch darüber haben wir geredet - zur Führung der Verhandlungen mit den USA erteilt. Handelskommissar Karel de Gucht ist der für die TTIP-Verhandlungen politisch verantwortliche EU-Kommissar. Ignacio Garcia Bercero aus der Generaldirektion Handel ist Hauptverhandlungsführer der Europäischen Kommission. Die EU hat für die umfangreiche Zahl von Arbeitsgruppen - es sind über 20 - jeweils Verhandlungsführer benannt, deren Namen auf der Internetseite der EUKommission abrufbar sind. Die Verhandlungsführer auf EU-Seite werden themenabhängig von Fachexperten aus den betroffenen Generaldirektionen der EU-Kommission und der Regulierungsbehörden begleitet.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank. - Haben Sie eine Zusatzfrage? - Bitte schön, Frau Kollegin Groth.

Annette Groth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004047, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir wissen aus Medienberichten sehr gut, wie sich das in den USA abspielt. Ich kenne mich ja nun etwas in Brüssel und mit den Lobbyverbänden aus. Daher frage ich Sie noch einmal: Sind Businesseurope - das ist der größte Unternehmerverband Europas - oder andere Unternehmen, Gewerkschaften und Verbände direkt beteiligt? Wie sind diese Unternehmen und Verbände in diesen Diskussions- und Verhandlungsprozess eingebunden?

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Kollegin, ich sage es noch einmal: Wir machen es auf deutscher Seite. Wir haben zwei Anhörungen im BMWi gemacht, und zwar ausdrücklich mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, mit den Verbänden. Natürlich gehe ich davon aus, dass die Verbände auf europäischer Ebene genauso mit der Kommission in ständigem Austausch sind.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie noch eine Nachfrage?

Annette Groth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004047, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Wir haben viele Kollegen, die sich mit Fragen einschalten. Das sind die Kollegin Hupach, der Kollege Beck und dann der Kollege Lenkert. - Bitte, Frau Kollegin Hupach, Fraktion Die Linke.

Sigrid Hupach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004309, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke. - Sehr geehrter Herr Burgbacher, Sie sagten eben, dass die Verhandlungen im Kultur- und Medienbereich noch in der Schwebe sind. Frau Herkes hatte aber bereits im Juni Frankreich für das Veto in diesem Bereich kritisiert. Können wir also davon ausgehen, dass sich die Bundesregierung im Verhandlungsprozess für die Herausnahme des Kultur- und Medienbereichs einsetzt, oder ist das nicht der Fall?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident, wir kommen jetzt zurück zur ersten Frage. Ich kann gerne etwas dazu sagen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Das ist nicht ganz in Ordnung. Wir wollen aber heute milde sein. Es wäre nett, wenn Sie trotzdem noch etwas zu dieser Frage sagen würden.

Not found (Staatssekretär:in)

Ich habe es vorhin bereits gesagt: Die USA haben einen Text zu den Themen Audiovision und Kultur vorgelegt. Dieser Bereich ist vom EU-Mandat ausgenommen. Wir möchten etwa einen Annex zum Bereich Maschinenbau hineinbringen. Dieser ist im Moment nicht enthalten. Das muss nun abgewartet werden. Wie gesagt: Im Moment ist der Bereich Kultur noch ausgenommen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Danke schön. - Der Kollege Beck, Bündnis 90/Die Grünen, hat eine Frage dazu.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nach § 4 Abs. 1 des EUZBBG ist die Bundesregierung verpflichtet, das Parlament frühzeitig, umfassend und fortlaufend über alle Vorhaben der Europäischen Union zu unterrichten. Wann hat die Bundesregierung den Deutschen Bundestag zum letzten Mal förmlich über dieses Vorhaben der Europäischen Union unterrichtet? Die Unterrichtung erfolgt in der Regel schriftlich und, wie gesagt, fortlaufend und umfassend. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es seit Monaten keine neuen Entwicklungen, die einen Bericht notwendig machen, gegeben hat.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege Beck, die Daten habe ich jetzt nicht bei mir. Wir liefern sie aber gerne nach. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Danke schön, Herr Staatssekretär. - Der Kollege Lenkert von der Fraktion Die Linke hat noch eine Frage zu diesem Komplex. - Bitte.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Burgbacher, Sie sprachen davon, dass ein Verhandlungsmandat von der Bundesregierung ausgesprochen ist. Dieses ist sicherlich auch unterstützt worden. Ich würde von Ihnen gern wissen, ob in diesem Verhandlungsmandat Regelungen zum Investorenschutz nach dem Energiecharta-Vertrag und den üblichen bilateralen Abkommen zum Investorenschutz enthalten sind und, wenn ja, ob sie sich auch auf die Bereiche Landwirtschaft, Gentechnik und Fracking erstrecken?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Staatssekretär.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege, ich kann Ihnen sagen: Das Thema Investorenschutz spielt natürlich eine große Rolle. Ich bitte Sie aber um Verständnis dafür, dass ich die Details, die ich jetzt nicht zur Hand habe, nachliefere. Denn diese lagen im Rahmen der Frage nicht auf dem Tisch.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich denke, so können wir uns verständigen. Weitere Fragen zu diesem Komplex liegen nicht vor. Herr Staatssekretär Burgbacher steht aber weiterhin zur Beantwortung bereit. Ich rufe Frage 5 des Kollegen Peter Meiwald, Bündnis 90/Die Grünen, auf: Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die ökologischen und ökonomischen Schäden durch den Erdölaustritt aus dem Kavernenfeld in Etzel vom 17. November 2013 zu beziffern, und welche konkreten Schritte zum Beispiel im Bergrecht plant die Bundesregierung zur Verhinderung zukünftiger Umweltschadensereignisse im Gefolge des Betriebs von Kavernen zur Speicherung fossiler Brennstoffe? Herr Staatssekretär, bitte.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege Meiwald, der Vollzug des Bergrechts liegt in der ausschließlichen Zuständigkeit der Länder. Die Bundesregierung ist dafür nicht zuständig und hat von daher auch keine eigenen Kenntnisse über die Auswirkung des Erdölaustritts. Nach Informationen der Bundesregierung trat das Erdöl aus einer Leckage in einer überirdischen Armatur aus. Die Ursache hierfür ist noch nicht bekannt. Das Bundesberggesetz legt allgemein fest, dass von Bergbaumaßnahmen keine gemeinschädlichen Einwirkungen ausgehen dürfen, und ermächtigt die zuständigen Landesbehörden mit umfassenden Erlaubnisund Kontrollzuständigkeiten. Die Bundesregierung sieht momentan keinen Zusammenhang zwischen dem Ereignis und den gesetzlichen Regelungen zum Bergrecht oder zum Wasserschutz und plant vor dem Hintergrund des Vorfalls keine konkreten Schritte. Sie fragen dann - Sie sind ja neu im Bundestag -, welche konkreten Schritte die Bundesregierung plant. Wenn mir der Präsident eine Viertelstunde gibt, dann schaue ich im Koalitionsvertrag nach, ob diesbezüglich etwas drinsteht. - Das ist natürlich eine Sache, die dann gemacht werden muss.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine Viertelstunde wird nicht genehmigt. - Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege Meiwald?

Peter Meiwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004351, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gibt es Erkenntnisse, dass die Notwendigkeit besteht, am Bergrecht insgesamt oder hinsichtlich der Bundeszuständigkeit im Bergrecht etwas zu verändern, damit solche Dinge zukünftig nicht mehr dem willkürlichen Durchsetzen auf Landesebene unterliegen, und einen Grundriegel vorzuschieben, demzufolge der Bund in diesem Bereich Verantwortung hat und dieser entsprechend nachkommen muss?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Staatssekretär.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege Meiwald, der Fall sieht im Augenblick folgendermaßen aus: Circa 40 000 Liter Rohöl sind über einen Zeitraum von 20 Stunden ausgetreten. Eine Gefährdung des Wattenmeers oder des Trinkwassers scheint nach bisherigem Stand ausgeschlossen. Für den Fall zuständig ist die niedersächsische Landesregierung. Der niedersächsische Wirtschaftsminister hat sich dem jetzt angenommen und die Koordination des Schadenmanagements übernommen. Weitere Informationen liegen im Moment nicht vor. Nach unseren Erkenntnissen hat auch Niedersachsen im Augenblick noch keine Informationen über die eigentliche Ursache. Ich glaube, man sollte neue Informationen abwarten, bevor man über weitere Dinge nachdenkt.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Vielen Dank, Herr Burgbacher. - Wir haben jetzt einen ganzen Schwung von Nachfragen. Als Erster Herr Behrens, Fraktion Die Linke, dann Frau Zimmermann, Fraktion Die Linke, und dann eine Kollegin von den Grünen.

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir haben gerade gehört, dass die Bundesregierung keinen Handlungsbedarf sieht. Gleichwohl sind 40 000 Liter, die oberirdisch abfließen, nicht nichts und besorgen die dortige Bevölkerung sehr stark. Meine Frage bezieht sich auf die besondere Situation der Betreibergesellschaft, der ehemals staatlichen Investitionsgesellschaft, IVG, die sich im Moment in Insol126 venz befindet: Welches Schadensregulierungsszenario ist aus Bundessicht eigentlich vorstellbar? Ich denke, die Bürgerinnen und Bürger haben es nicht verdient, dass man sie bei solchen Fragen alleinlässt.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Kollege, es ist nicht so, dass wir leichtfertig darüber hinweggehen. In der Bundesrepublik Deutschland haben wir aber eine klare Verteilung der Kompetenz. Diese liegt im Augenblick ganz klar bei der Landesregierung des Landes Niedersachsen. Natürlich stehen wir in engem Kontakt. Die Frage hier war aber, was bergrechtlich zu tun ist. Ich bin der Überzeugung, dass wir zunächst einmal nähere Informationen abwarten sollten. Diese hat die Landesregierung Niedersachsen offenbar auch noch nicht. Dann muss man natürlich alle weiteren Konsequenzen mit dem Land Niedersachsen besprechen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank. - Als Nächste die Kollegin Zimmermann, Fraktion Die Linke. Bitte.

Pia Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004454, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Ob des großen Schadens und der Wiederholbarkeit des Schadens bin ich der Meinung, dass sich die Bundesregierung nicht ganz aus der Verantwortung stehlen kann. Deshalb frage ich die Bundesregierung bzw. Sie: Welche Maßnahmen sind vorgesehen? Ich denke zum Beispiel an eine gesetzliche Regelung, derzufolge Kavernenbesitzer und -betreiber in einen Fonds einzahlen, um die Schäden wenigstens finanziell zu kompensieren. Sind Maßnahmen ähnlicher Art vorgesehen?

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Kollegin, selbst wenn ich Ihnen eine Antwort geben könnte, würde es dem Stil des Hauses widersprechen, wenn wir jetzt - ich sage das ganz bewusst als Vertreter der bisherigen Bundesregierung - Dinge ankündigen, die in die Verantwortung einer neuen Bundesregierung fallen. Ich habe gesagt, was wir im Augenblick machen. Es gibt - das ist ganz klar - einen engen Kontakt zu Niedersachsen, um zu sehen, wo es Handlungsbedarf gibt. Gesetzesänderungen sind aber wahrlich eine Sache der neuen Bundesregierung. Es wäre ein schlechter Stil, wenn wir uns dazu in irgendeiner Weise äußern würden.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. - Die nächste Frage von Frau Kollegin Verlinden, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Burgbacher, ich möchte noch einmal auf den Punkt Schadensregulierung zurückkommen. Es ist so, dass der Mutterkonzern hoch verschuldet ist. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Staat einspringen muss, um die Schäden der Ölkatastrophe zu lindern. Deshalb noch einmal ganz explizit die Frage an Sie: In welcher Höhe müsste im Fall des Falles die Bundesrepublik oder das Land Niedersachsen eintreten, wenn die Versicherung des Unternehmens nicht einspringt und das Unternehmen selbst die durch diese Katastrophe hervorgerufenen Schäden nicht regulieren kann, weil das Geld dafür nicht da ist?

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Kollegin, noch einmal ganz deutlich: Wir nehmen die Situation sehr ernst. Aber jetzt ist zunächst einmal die Landesregierung Niedersachsen gefordert, hier tätig zu werden. Ich gehe davon aus, dass das gemacht wird. Wir haben klare Verteilungen, und wir werden natürlich mit dem Land Niedersachsen reden. Aber es wäre falsch, wenn wir uns hier einmischen würden. Jetzt ist Niedersachsen am Zug.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herzlichen Dank. - Die nächste Frage hat noch einmal der Kollege Lenkert, Fraktion Die Linke. Bitte.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär Burgbacher, es droht die Insolvenz einer Firma, und die Begleichung der Schäden droht auf die Steuerzahler zurückzufallen. Nach Bundesberggesetz ist es möglich, eine Verordnung zur Einrichtung eines Haftungsfonds zu erlassen, in den jeder Bergwerksbetreiber vorsorglich einzahlen muss, um in solchen Fällen Geldmittel zur Verfügung zu haben. Beabsichtigt die Bundesregierung in Anbetracht des aktuellen Falles, eine solche Verordnung auf den Weg zu bringen?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich schließe noch einmal an meine vorherige Antwort an: Es wäre schlechter Stil, wenn ich sagen würde, was eine künftige Bundesregierung beabsichtigt. Deshalb bitte ich um Verständnis, dass ich das jetzt nicht tun werde.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Recht herzlichen Dank. - Die Frage 6 des Kollegen Koenigs wird schriftlich beantwortet. Damit sind wir mit diesem Komplex und dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie fertig. Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Die Beantwortung übernimmt Frau Staatsministerin Cornelia Pieper. Die Fragen 7 und 8 des Kollegen Frithjof Schmidt, die Frage 9 der Kollegin Katja Keul und die Frage 10 des Kollegen Omid Nouripour werden schriftlich beantwortet. Vizepräsident Peter Hintze Ich rufe die Frage 11, gestellt von der Kollegin Agnieszka Brugger, Bündnis 90/Die Grünen, auf: Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass von US-Stützpunkten in Deutschland keine Beteiligung an extralegalen Hinrichtungen, die das Völkerrecht verletzen, erfolgt? Bitte, Frau Staatsministerin.

Not found (Gast)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Abgeordnete Brugger, ich antworte für die Bundesregierung wie folgt: Nach NATO-Truppenstatut und Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut sind die amerikanischen Streitkräfte auf deutschem Staatsgebiet verpflichtet, deutsches Recht zu achten. Als Entsendestaat müssen die Vereinigten Staaten von Amerika die dafür erforderlichen Maßnahmen treffen. Die Bundesregierung wird natürlich auch in Zukunft auf die Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen für die amerikanischen Streitkräfte in Deutschland achten. Auch zu diesem Themenbereich steht die Bundesregierung in einem engen Dialog mit der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin? - Bitte.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Mich würde interessieren - es gibt ja viele Hinweise darauf; die ersten stammen aus dem Mai und Juni dieses Jahres und waren wiederholt Gegenstand verschiedener parlamentarischer Anfragen -, welche Kenntnisse die Bundesregierung darüber hat, dass über AFRICOM ein US-Stützpunkt maßgeblich an der Durchführung von gezielten Tötungen durch Drohnen in Afrika beteiligt ist.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Staatsministerin, bitte.

Not found (Gast)

Frau Abgeordnete, die Bundesregierung verfügt über keine Erkenntnisse zu möglichen völkerrechtswidrigen Handlungen durch Verbündete auf deutschem Boden. Eine Stellungnahme zu hypothetischen Fragestellungen gibt die Bundesregierung nicht ab. Sie wissen, dass es in der Berichterstattung einiger Medien Hinweise darauf gab. Eine Pflicht zur Einhaltung deutschen Rechts für hier stationierte NATO-Truppen besteht, wie Sie wissen, gemäß Art. II NATO-Truppenstatut. Für Taten, die nur nach deutschem Recht strafbar sind, sind nach Art. VII NATO-Truppenstatut deutsche Gerichte zuständig. Von daher kann ich Ihnen dazu keine neuen Erkenntnisse der Bundesregierung mitteilen.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Habe ich das richtig verstanden: Auch angesichts der zahlreichen belastbaren Hinweise, die es gibt, hat die Bundesregierung beschlossen, hier nicht noch einmal tätig zu werden und sich eigene Kenntnisse zu beschaffen? Und nicht noch einmal nachzufragen und sich über diesen Tatbestand zu informieren, um festzustellen, ob hier eventuell von Deutschland aus Völkerrecht gebrochen wird?

Not found (Gast)

Frau Abgeordnete, ich kann nur wiederholen, dass der Bundesregierung keine neuen Erkenntnisse zu möglichen völkerrechtswidrigen Handlungen vorliegen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herzlichen Dank. - Frau Kollegin Hänsel von der Linken und dann Frau Kollegin Keul von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Frau Hänsel, bitte.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke. - Ich habe auch noch eine Nachfrage; denn wir hatten dazu schon im Juni dieses Jahres eine Kleine Anfrage gestellt. Damals gab es ja die ersten Berichte bezüglich eines geheimen US-Drohnenkrieges, unter anderem von AFRICOM und Ramstein aus. Sie antworteten für die Bundesregierung darauf, dass dies gegenüber dem US-Präsidenten und dem US-Außenminister angesprochen worden sei und Sie keinen Grund zu der Annahme hätten, dass durch in Deutschland stationierte US-Streitkräfte deutsches Recht oder Völkerrecht verletzt werde. Dann muss es doch zwischen den Regierungen der USA und Deutschland Thema gewesen sein. Deswegen meine Frage: Von wem haben Sie eine Antwort bekommen? Wen haben Sie da konkret angesprochen? Gibt es darauf noch einmal eine Reaktion von Ihrer Seite? Denn es gibt ja neue Berichte vom November über diesen Drohnenkrieg.

Not found (Gast)

Frau Abgeordnete, natürlich hat die Bundesregierung, insbesondere der Außenminister, Herr Dr. Westerwelle, dies auch im Interesse des Parlaments - wir nehmen Ihre Anfragen sehr ernst - gegenüber Außenminister Kerry und dem amerikanischen Präsidenten Obama ins Gespräch gebracht. Uns ist von beiden Seiten zugesichert worden, dass es an US-Stützpunkten in Deutschland keine völkerrechtswidrige Beteiligung an extralegalen Hinrichtungen gibt.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herzlichen Dank. - Frau Kollegin Keul hat die nächste Frage.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Frau Staatsministerin, wie kann es denn sein, dass der Generalbundesanwalt ermittelt, wenn Sie keinerlei Anhaltspunkte für derartige Geschehnisse haben? Hat er möglicherweise Erkenntnisse, die die Bundesregierung nicht hat? Wie gedenken Sie diese Lücke zu schließen?

Not found (Gast)

In der Tat prüft der Generalbundesanwalt derzeit im Rahmen eines Beobachtungsvorganges, ob hinreichende Anhaltspunkte für eine in seine Zuständigkeit fallende Straftat vorliegen. Weiter gehende Erkenntnisse haben wir dazu nicht.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank. - Herr van Aken, Fraktion Die Linke, hat die nächste Frage. Danach kommen Herr Liebich und Herr Beck. - Bitte.

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Frau Pieper, Sie haben jetzt einfach geantwortet: Es liegen Ihnen keine Hinweise auf völkerrechtswidrige Handlungen vor. Insofern stellt sich die Frage: Was ist für Sie denn völkerrechtswidrig? Ich frage ganz konkret: Liegen Ihnen unabhängig vom Begriff „völkerrechtswidrig“ - egal wie Sie es rechtlich einschätzen - Hinweise darauf vor, dass von amerikanischen Stützpunkten auf deutschem Boden aus bewaffnete Drohnen anderswo in der Welt gesteuert werden? Ja oder nein?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, ich kann es nur immer wiederholen: Uns liegen dazu keine Erkenntnisse vor. Sie wissen: Diese Vorgänge können nur in Einzelfallprüfungen völkerrechtlich bewertet werden. Diese würde die Bundesregierung gegebenenfalls vornehmen. Aber uns liegen keine neuen Erkenntnisse vor.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die nächste Frage stellt Herr Kollege Liebich, Fraktion Die Linke.

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatsministerin, trifft es zu, dass eine Institution der Bundesregierung, nämlich die sogenannte Hauptstelle für Befragungswesen, Asylbewerberinnen und Asylbewerber in Deutschland befragt hat, um Erkenntnisse zum Zielerfassungssystem für Drohneneinsätze zu gewinnen?

Not found (Gast)

Das trifft nicht zu, Herr Abgeordneter.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Danke schön. - Die nächste Frage stellt der Kollege Beck, Bündnis 90/Die Grünen. Bitte.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatsministerin, Sie nehmen für die Bunderegierung in Anspruch, bislang nichts über diese Vorgänge zu wissen. Die Süddeutsche Zeitung berichtet heute über einen Fall in Somalia, in dem der Vater eines Menschen, den die Süddeutsche Zeitung als Salman Abdullahi bezeichnet, im Februar 2012 durch Drohnen getötet worden sein soll. Der Artikel legt nahe, dass die „kill chain“ bis in die AFRICOM-Einheit in Deutschland hineinreicht. Hat die Bundesregierung die Absicht, diesem Fall nachzugehen, also sowohl mit den dort genannten Quellen zu reden als auch nachzuforschen, was der AFRICOMVerbindungsoffizier der Bundeswehr über diese Fragen weiß, dessen Aufgabe die Sicherstellung des Informationsaustausches einschließlich der Pflege der bestehenden Informationsbeziehungen ist? Wenn Sie nichts darüber wissen, sollten Sie Ihrem Unwissen in gewisser Weise in Eigeninitiative abhelfen.

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, in den Medien sind des Öfteren Berichte über Drohneneinsätze, die scheinbar stattgefunden haben, zu verzeichnen. Das ARD-Magazin Panorama und die Süddeutsche Zeitung haben sich mehrmals veranlasst gesehen, darüber zu berichten. Natürlich nimmt man das ernst. Aber ich kann Ihnen nur sagen: Der Bundesregierung liegen keine eigenen gesicherten Erkenntnisse ({0}) zu den von US-Streitkräften in der Bundesrepublik Deutschland geplanten oder durchgeführten Einsätzen vor. ({1}) Ein regelmäßiger Informationsaustausch bezüglich der laufenden Aktivitäten der US-Streitkräfte in Deutschland findet nicht statt. Die Bundesregierung wird auch nicht über alle Einsätze und Aktivitäten der genannten US-Kommandos und -Einrichtungen informiert.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Kollegin Kotting-Uhl von Bündnis 90/Die Grünen stellt die nächste Frage zu dieser Thematik, danach Herr Kollege Ströbele, ebenfalls Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön, Frau Kotting-Uhl.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatsministerin, im Zusammenhang mit der Beantwortung der Frage von Frau Brugger war viel von Völkerrecht die Rede. Ich würde sie gerne mit unserem Grundgesetz in Zusammenhang bringen. Unser Grundgesetz kennt keine Todesstrafe. Wenn der Verdacht besteht, dass von deutschem Boden aus gezielte Hinrichtungen stattfinden, ist das für Sie nicht Anlass genug, anders nachzufragen bzw. sich anders zu informieren, ob so etwas tatsächlich stattfindet, als es Ihre Antworten hier suggerieren?

Not found (Gast)

Ich kann Ihnen nur noch einmal versichern, Frau Abgeordnete, dass der Bundesregierung keine Erkenntnisse über extralegale Hinrichtungen vorliegen. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die nächste Frage stellt der Kollege Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen. Bitte.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke. - Frau Staatsministerin, ich habe dazu eine sehr naheliegende Frage. AFRICOM heißt eine der Kommandozentralen in Deutschland, in Stuttgart. Nun liegt Deutschland ja nicht in Afrika, sondern Afrika ist ein eigener Kontinent. Welche Erklärung hat eigentlich die Bundesregierung dafür, dass eine Kommandozentrale, die für Afrika zuständig ist, ausgerechnet in Deutschland, in Stuttgart, stationiert sein muss? Welche Erklärung haben Sie - also nicht Sie persönlich, sondern die Bundesregierung - dafür von den US-Behörden bekommen?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter Ströbele, Sie wissen: AFRICOM in Stuttgart ist eines von sechs regionalen Hauptquartieren des US-Verteidigungsministeriums. Auftrag von AFRICOM ist die Koordinierung der Aktivitäten des US-Verteidigungsministeriums und anderer US-Ministerien und -Behörden in Afrika. Die Aufstellung von AFRICOM begann im Oktober 2007, also zu Zeiten der vorletzten Bundesregierung, allerdings auch unter der Ägide von U.S. EUCOM. Am 1. Oktober 2008 wurde es dann als eigenständiges Kommando in Dienst gestellt. AFRICOM verfügt derzeit über insgesamt 2 000 Dienstposten, die etwa zur Hälfte militärisch bzw. zivil besetzt sind. Sie sagten schon: Das Hauptquartier ist in Stuttgart. Es war anfangs als Übergangsstandort vorgesehen. Im Februar 2013 wurde uns bekannt, dass das Kommando dort dauerhaft stationiert bleiben soll. Es gab Anfragen bezüglich des Umzugs auf den afrikanischen Kontinent, der aber von den meisten afrikanischen Staaten abgelehnt wurde. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herzlichen Dank. - Die nächste Frage stellt der Kollege Ebner von Bündnis 90/Die Grünen, danach der Kollege Dr. Neu von der Fraktion Die Linke. Kollegen Liebich möchte ich darauf hinweisen, dass er sein Nachfragerecht ausgeschöpft hat, weil er schon eine Frage gestellt hat. Sie sind lange dabei und werden sich an das Verfahren wieder erinnern. Es sollen ja möglichst viele Kolleginnen und Kollegen eine Frage stellen können. Herr Ebner, bitte.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident. - Frau Staatsministerin, ich möchte auf die Nachfrage des Kollegen Beck zurückkommen, die Sie nicht beantwortet haben. Ich möchte aber dringend darum bitten, dass Sie diese ernsthaft beantworten. Es geht um die Frage: Was macht die Bundesregierung, um den soeben geschilderten Fall, über den heute in den Medien berichtet wurde, aufzuklären? Geht die Bundesregierung dieser Sache überhaupt nach? Ich denke, darauf sollten wir eine Antwort bekommen. Danke schön.

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, natürlich wird die Bundesregierung in Gesprächen mit den amerikanischen Regierungsbehörden dem noch einmal nachgehen, aber ich kann Ihnen nochmals versichern: Uns liegen keine neuen Erkenntnisse zu diesen Fällen vor.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Kollege Dr. Neu, Fraktion Die Linke.

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatsministerin Pieper, Sie hatten darauf hingewiesen, dass die meisten afrikanischen Staaten eine Stationierung von AFRICOM auf ihren Territorien abgelehnt haben. Mit welcher Motivation haben Sie die Stationierung von AFRICOM auf deutschem Territorium zugelassen, und gab es seitens afrikanischer Staaten Proteste gegenüber der Bundesregierung aufgrund der Stationierung von AFRICOM auf deutschem Territorium?

Not found (Gast)

Zum letzten Teil Ihrer Frage: Mir sind seitens der afrikanischen Staaten keinerlei Proteste bekannt. Zum ersten Teil Ihrer Frage: Ich darf Sie daran erinnern, dass diese Entscheidung zu Zeiten der vorletzten Bundesregierung getroffen worden ist. Die Entscheidung damals im Kabinett haben der damalige Außenminister und für das Verteidigungsministerium der Staatssekretär getroffen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herzlichen Dank. - Wir bleiben beim Thema AFRICOM. Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten Uwe Kekeritz auf: Warum wurde der Deutsche Bundestag - vergleiche die am 15. November 2013 erschienene Publikation Geheimer Krieg der Journalisten Christian Fuchs und John Goetz, Seite 30 bis 36 - nicht mit der 2007 getroffenen Entscheidung über die Ansiedlung des US-Afrikakommandos - AFRICOM in Deutschland befasst, und welche Mitglieder der Bundesregierung, einschließlich Staatssekretärinnen/-sekretäre, haben diese Entscheidung getroffen - bitte mit jeweiliger Begründung? Vizepräsident Peter Hintze Ich bitte Frau Staatsministerin Pieper um die Beantwortung der Frage.

Not found (Gast)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Abgeordneter, wir bleiben bei dem Themenfeld. Bis zur Einrichtung des regionalen US-amerikanischen Afrikakommandos, AFRICOM, im Jahr 2007 war das in Stuttgart angesiedelte amerikanische Europäische Kommando EUCOM in der damaligen amerikanischen Streitkräftestruktur auch für Afrika zuständig. Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika hat die Bundesregierung am 15. Januar 2007 über ihre organisatorische Maßnahme unterrichtet, die entsprechende Zuständigkeit aus EUCOM herauszulösen, ein neues, für Afrika zuständiges regionales Militärkommando AFRICOM zu schaffen und bis auf Weiteres ebenfalls in Stuttgart anzusiedeln. Für Stuttgart sprach aus amerikanischer Sicht vor allem, dass so die vorhandene Infrastruktur genutzt werden konnte. Ich will noch einmal bekräftigen: Die damalige Bundesregierung, also das Auswärtige Amt und das Bundesministerium der Verteidigung, sah im Januar 2007 keinen Anlass, die Zustimmung zur Einrichtung von AFRICOM auf dieser Grundlage zu verweigern. Gleichfalls sah die Bundesregierung aus den vorgenannten Gründen keinen Anlass, den Deutschen Bundestag mit dieser Entscheidung, die sie im Rahmen ihrer exekutiven Eigenverantwortung getroffen hat, zu befassen. Wenn ich mich recht entsinne, hatten wir 2007 eine Große Koalition.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Möchten Sie eine Nachfrage stellen, Herr Kollege Kekeritz?

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber sicher doch.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Bitte.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Nachfrage erübrigt sich eigentlich, weil ich die Antwort schon weiß: Es gibt keine Erkenntnisse. Aber ich bin über Ihre Flexibilität sehr erstaunt. Sie haben jetzt viermal geantwortet: Es gibt keine Erkenntnisse. Dann haben Sie gesagt: Es gibt keine gesicherten Erkenntnisse. Dann sagten Sie: Es gibt keine neuen Erkenntnisse. - Was ist denn nun richtig: Sie haben keine gesicherten Erkenntnisse? Sie haben Erkenntnisse? Ich verstehe nicht, warum Sie die Erkenntnisse nicht haben, obwohl doch allgemein bekannt ist - das steht in den USA in den Blättern und wurde von der US-amerikanischen Regierung nie dementiert -, dass die Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland notwendig sind, um solche Drohneneinsätze überhaupt fliegen zu können. Warum sagen Sie hier, dass Sie keine Erkenntnisse haben, obwohl das im Blätterwald nachzulesen ist und von der US-amerikanischen Regierung nicht dementiert wird? Was wollen Sie tun, um dieses Defizit zu beseitigen?

Not found (Gast)

Alle drei Formen der Erkenntnisse, die wir nicht haben, sind gültig und richtig. ({0}) Ich kann im Deutschen Bundestag auch nicht für die amerikanischen Medien sprechen, Herr Abgeordneter.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich hoffe jetzt, das falsch verstanden zu haben; denn das, was ich eben verstanden habe, ist: All die Erkenntnisse, die nicht vorliegen, sind richtig. ({0}) Gestatten Sie mir, dies als Zynismus zu qualifizieren. Danke schön.

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, ich kann auf die Fragen, die Sie immer wieder gleich stellen, nur die gleiche Antwort geben. ({0}) Wenn Sie diese anzweifeln, ist dies Ihr gutes Recht. Aber ich glaube, Herr Präsident, es ist mein gutes Recht, für die Bundesregierung die Antwort zu geben, die richtig und auch gültig ist. Sie können davon ausgehen, dass wir keine weiteren Erkenntnisse bisher haben. ({1})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich finde, wir können alle entspannt bleiben. Es gibt noch weitere Fragen dazu, sodass das Thema sicherlich noch vertieft behandelt wird. - Kollege Liebich von der Fraktion Die Linke, danach Frau Kollegin Hänsel, ebenfalls von der Fraktion Die Linke. - Bitte schön, Kollege Liebich.

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatsministerin Pieper, Sie haben vorhin auf meine Frage gesagt, dass die sogenannte Hauptstelle für das Befragungswesen keine Befragungen für dieses Zielerfassungssystem von AFRICOM durchführen würde. Nun hat uns aber die Bundesregierung auf unsere Anfrage hin bestätigt, dass Befragungen von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern durch die Hauptstelle für das Befragungswesen durchgeführt werden. Mich würde interessieren, mit welchem Ziel eine Geheimdienstinstitution der Bundesrepublik Deutschland Schutzsuchende hier in Deutschland befragt.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Staatsministerin.

Not found (Gast)

Die Erkenntnisse, die Ihnen vorliegen, liegen dem Auswärtigen Amt so nicht vor.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Danke schön. - Frau Kollegin Hänsel von der Fraktion Die Linke. Bitte schön.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatsministerin, es geht immer wieder um die nicht vorliegenden Erkenntnisse der Bundesregierung. Deshalb lautet meine Frage: Werden Sie heute Abend ab 21.45 Uhr die Sendungen in der ARD zum geheimen Krieg, zu den US-Spezialeinheiten von AFRICOM, die in Deutschland stationiert sind, und zu den US-Drohnenangriffen anschauen, um Ihre Erkenntnisse zu vertiefen?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die Frage ist ungewöhnlich, aber wir bitten die Staatsministerin, trotzdem darauf zu antworten.

Not found (Gast)

Ich weiß die Informationsberichte der uns bekannten Sendungen der öffentlich-rechtlichen Anstalten sehr zu schätzen. Heute Abend habe ich jedoch andere Verpflichtungen. Aber ich werde es mir dann gerne in der Mediathek des entsprechenden Senders ansehen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herzlichen Dank. - Die Fragen 13 und 14 der Kollegin Franziska Brantner werden schriftlich beantwortet. Damit kommen wir zur Frage 15 des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen: Ist die Bundesregierung bereit und willens, dem Bundestag all ihre völkerrechtlichen Vereinbarungen, bi- und multilateralen Abkommen nebst zugehöriger Protokolle, Verbalnoten, Verwaltungsvereinbarungen und Ähnliches mit den ehemals westalliierten Stationierungsstaaten sowie zwischen deutschen und deren Sicherheits- und Militärdienststellen über deren Tun in oder bezüglich Deutschland kurzfristig zur Überprüfung zugänglich zu machen - unter Angabe aller deutschen Rechtsnormen -, welche unter Umständen die Entsendestaaten nebst militärischem sowie zivilem Gefolge auf deutschem Boden von uneingeschränkter Beachtung deutschen Rechts oder dessen Kontrolle befreien, und teilt die Bundesregierung meine Auffassung ({0}), dass sie - damit künftig die Entsendestaaten nebst militärischem sowie zivilem Gefolge auf deutschem Boden ihre Privilegien nicht zu möglichen Kriegshandlungen und Geheimdienstausspähung missbrauchen, sondern uneingeschränkt deutsches Recht beachten und dies überall kontrollieren lassen - kurzfristig ihr Kündigungsrecht nutzen sollte bezüglich des letzteren - nach Auffassung des oben genannten Bundesverwaltungsrichters Dieter Deiseroth - entgegenstehenden Deutschland- und Aufenthaltsvertrags sowie des NATO-Truppenstatuts nebst Zusatzabkommen aus den 50er-Jahren, womit die Bundesregierung unter anderem die Einsetzung des US-Militärkommandos AFRICOM in Stuttgart rechtfertigte ({1})? Frau Staatsministerin Pieper, bitte.

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter Ströbele, die völkerrechtlichen Übereinkünfte der Bundesrepublik Deutschland sind im Bundesgesetzblatt Teil II veröffentlicht und damit allgemein zugänglich. Soweit sie dem Geheimschutz unterliegen, gelten, wie Sie wissen, die entsprechenden Regelungen. Die genannten internationalen Verträge bieten keine Rechtsgrundlage für die in Medienberichten behaupteten Vorgänge. Eine Kündigung und Neuverhandlung dieser Verträge wäre daher weder geeignet noch erforderlich, um Maßnahmen im Sinne Ihrer Fragestellung zu ergreifen. Dies wäre auch außen- und sicherheitspolitisch in keiner Weise wünschenswert. Die Bundesregierung teilt daher nicht Ihre in der Fragestellung zum Ausdruck kommende Auffassung. Vielmehr erwartet die Bundesregierung, dass die Entsendestaaten auf deutschem Boden deutsches Recht einhalten. Dies hat die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika der Bundesregierung zugesichert, wie ich auch schon bei der Beantwortung der vorhergehenden Fragen erwähnte. Die Bundesregierung steht hierzu weiterhin in intensivem Kontakt mit der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Kollege Ströbele, Sie schauen so, als wollten Sie eine Zusatzfrage stellen.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da haben Sie vollkommen recht, Herr Präsident. Frau Staatsministerin, mir ist auch bekannt, dass die USA immer wieder betonen und gerade im Zusammenhang mit der NSA-Spionageaffäre immer wieder betont haben, dass sie in Deutschland deutsches Recht und Gesetz einhalten. Haben Sie nicht mit mir daran Zweifel, dass sie das tatsächlich tun, oder können Sie mir eine Bestimmung nach deutschem Recht oder Gesetz nennen, die es zulässt, die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland durch einen US-Geheimdienst abzuhören?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat mit dem Acht-Punkte-Programm der Bundeskanzlerin für einen besseren Schutz der Privatsphäre sofort reagiert. So wurden im August 2013 durch das Auswärtige Amt zum Beispiel die Verwaltungsvereinbarungen von 1968/69 mit der Französischen Republik, dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland und den Vereinigten Staaten von Amerika im gegenseitigen Einvernehmen aufgehoben. Ich denke, das ist ein Zeichen dafür, dass wir gehandelt haben.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine zweite Zusatzfrage des Kollegen Ströbele. Bitte schön.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatsministerin, Sie beantworten beharrlich meine Fragen nicht, sondern lesen etwas ab, das auf Ihrem Zettel steht. Ich frage Sie noch einmal ganz konkret: Können Sie nach dem, was ich in meiner ersten Frage dargestellt habe, bestätigen, dass die US-Regierung gegenüber der deutschen Bundesregierung die Unwahrheit gesagt hat, wenn sie behauptet hat, dass die NSA, also der militärische Geheimdienst der Vereinigten Staaten von Nordamerika, in Deutschland Gesetz und Recht achtet, weil es in Deutschland kein Gesetz und kein Recht gibt, das es zulässt, die Bundeskanzlerin bzw. ihr Handy abzuhören?

Not found (Gast)

Die amerikanischen Regierungsvertreter, die ich schon nannte, bis hin zum Präsidenten haben uns zugesichert, dass deutsches Recht eingehalten wird. Sie wissen, dass die Durchsetzung des deutschen Rechts, auch Strafrechts, insbesondere den Strafverfolgungsbehörden und den deutschen Gerichten obliegt.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine weitere Frage wird von der Kollegin Keul, Bündnis 90/Die Grünen, angemeldet. Bitte schön.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatsministerin, es steht ja außer Frage, dass in der Vergangenheit das Handy der Kanzlerin abgehört wurde. Sind wir uns beide darüber einig, dass dies gegen deutsches Recht verstößt?

Not found (Gast)

In der Tat hat die Bundesregierung natürlich auch gegenüber den amerikanischen Regierungsvertretern bis hin zum Präsidenten - das konnten Sie in den Medien verfolgen - ihre Verwunderung zum Ausdruck gebracht. ({0}) Wir arbeiten, wie Sie wissen, an internationalen Datenschutzabkommen. Ich glaube, das ist auch der richtige Weg. Man sollte nicht auf Verunsicherung und hypothetische Behauptungen setzen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herzlichen Dank. - Frau Kollegin Hänsel, Fraktion Die Linke, stellt eine Zusatzfrage.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Frau Staatsministerin, im Zusammenhang mit dem Skandal, dass das Handy der Kanzlerin abgehört wurde, gab es auch Berichte, unter anderem im Spiegel, über eine mögliche Abhörzentrale oder -anlage auf dem Dach der US-Botschaft, 200 Meter Luftlinie von uns entfernt. Meine Frage: Hat die Bundesregierung oder haben Strafverfolgungsbehörden schon versucht, sich Zugang zu dieser Abhöranlage zu verschaffen? Wenn ja, wie war die Reaktion der US-Botschaft? War es möglich, sie zu besichtigen? Wenn nein, weshalb nicht?

Not found (Gast)

Frau Abgeordnete, wie wahrscheinlich auch Sie wissen, folgen solchen Dingen, die öffentlich sind und in den Medien stehen, Untersuchungen des Bundesverfassungsschutzes. Ich will aber ausdrücklich sagen, dass Fragen der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit im Parlamentarischen Kontrollgremium behandelt werden und nicht öffentlich hier im Bundestag.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herzlichen Dank. Wir kommen damit zur Frage 16, ebenfalls von der Kollegin Hänsel, Die Linke: In welcher Weise gedenkt die Bundesregierung den bereits mehrfach gemachten Anschuldigungen von NDR und Süddeutscher Zeitung nachzugehen ({0}), dass vom AFRICOM Stuttgart und der US-Base Ramstein aus US-Drohneneinsätze zur gezielten Tötung von Menschen in Afrika, zum Beispiel in Somalia und im Nahen Osten, gesteuert und koordiniert werden? Frau Staatsministerin.

Not found (Gast)

Liebe Frau Hänsel, eigene gesicherte Erkenntnisse zu von US-Streitkräften in der Bundesrepublik Deutschland angeblich geplanten oder geführten Drohneneinsätzen liegen der Bundesregierung nicht vor. Die Bundesregierung steht jedoch auch hierzu mit den US-amerikanischen Partnern in einem kontinuierlichen Dialog. So hat der amerikanische Außenminister John Kerry am 31. Mai 2013 dem Bundesminister des Auswärtigen Dr. Guido Westerwelle versichert, dass jedwedes Handeln der Vereinigten Staaten von Amerika, auch von deutschem Staatsgebiet aus, streng nach den Regeln des Rechts erfolgt. Im Nachgang zum Deutschland-Besuch von US-Präsident Barack Obama bestätigte die amerikanische Regierung, dass von US-Einrichtungen in Deutschland bewaffnete Drohneneinsätze weder geflogen noch befehligt werden.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine Nachfrage dazu? - Bitte schön.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Frau Staatsministerin, in der Stuttgarter Zeitung vom 19. November 2013 war ein Interview mit den Journalisten, die diese US-Drohnenangriffe öffentlich gemacht haben, zu lesen, unter anderem mit Christian Fuchs. Er sagte in diesem Interview, dass laut internen Unterlagen des US-Verteidigungsministeriums solche Drohnenangriffe spätestens seit dem Jahr 2011 von Stuttgart aus koordiniert werden und nicht mehr die CIA, sondern das Militär zuständig ist. Meine Frage: Haben Sie Interesse an diesen US-Unterlagen, die den Journalisten wohl vorliegen? Bemühen Sie sich darum, Einsicht in diese Unterlagen zu bekommen?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Staatsministerin.

Not found (Gast)

Sicher haben wir daran Interesse. Aber ich kann Ihnen nur noch einmal versichern, Frau Abgeordnete, dass die Bundesregierung ihre Erkenntnisse nicht auf Behauptungen in Medienberichten und Interviews stützt. ({0})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe eine weitere Nachfrage. In diesem Interview sagt der Journalist Christian Fuchs, dass er im Rahmen seiner Ermittlungen bezüglich der NSA-Einrichtungen auf diesen US-Militärbasen, unter anderem in Ramstein, einen Anruf von der deutschen Polizei erhalten hat. Am Ende des Gesprächs sei der Satz gefallen: „Passen Sie auf, was Sie tun. In Guantánamo ist immer noch ein Platz frei.“ Wie würden Sie solch einen Kommentar bewerten?

Not found (Gast)

Sie stellen hier schwerwiegende Vorwürfe in den Raum. - Dazu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor; aber wir sind gern bereit, dem nachzugehen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Recht herzlichen Dank! Die Fragen 17 und 18 des Abgeordneten Andrej Hunko werden schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zu Frage 19 der Abgeordneten Inge Höger, Fraktion Die Linke: Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung in den letzten sechs Monaten unternommen, damit die auf 2013 verschobene internationale Konferenz für eine massenvernichtungswaffenfreie Zone Naher und Mittlerer Osten zeitnah stattfinden kann, und inwiefern hat sie versucht, ihren Bündnispartner Israel zur Teilnahme zu bewegen? Frau Staatsministerin Pieper, bitte.

Not found (Gast)

Liebe Frau Abgeordnete Höger, die Bundesregierung hat die Verschiebung der Helsinki-Konferenz zur Errichtung einer von Massenvernichtungswaffen und Trägermitteln freien Zone im Nahen und Mittleren Osten ohne Nennung eines neuen Termins sehr bedauert. Aus Sicht der Bundesregierung sollte die Konferenz möglichst noch vor der dritten und letzten Vorbereitungssitzung im Überprüfungszyklus des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages im Frühjahr 2014 abgehalten werden. Die Einigung auf diese Konferenz war ein wichtiges Element bei der Verständigung auf ein Schlussdokument bei der Überprüfungskonferenz des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages 2010. Gemäß dem Schlussdokument von 2010 sind die Staaten dazu aufgerufen, ohne Druck von außen die Modalitäten des Prozesses selbst festzulegen. In enger Abstimmung mit dem Vermittler Jaakko Laajava, den Ausrichtern sowie den EU-Partnern setzt sich die Bundesregierung in bi- und multilateralen Gesprächen mit den betroffenen Staaten aus der Region für eine breite Teilnahme an dem Vorbereitungsprozess und der Konferenz selbst ein. Der Staat Israel ist nicht Mitglied des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages. Bei ihren Gesprächen mit israelischen Vertretern weist die Bundesregierung darauf hin, dass eine erfolgreiche Konferenz den Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag stärken würde - wovon dann natürlich auch Israel profitierte. Dementsprechend wirbt die Bundesregierung aktiv für eine Teilnahme Israels an der Helsinki-Konferenz sowie weiterhin für den Beitritt Israels zum Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag als Nichtnuklearwaffenstaat.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herzlichen Dank. - Eine Nachfrage, Frau Abgeordnete Höger?

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Frau Staatsministerin Pieper, ich würde gerne noch wissen, ob Sie Erkenntnisse haben, warum diese Konferenz in Helsinki 2012, die ja schon anberaumt war, im Gegensatz zu dem Beschluss der Überprüfungskonferenz von 2010 nicht zustande gekommen ist. Sie haben gesagt, Sie wünschen sich, dass sie bis Mai 2014 zustande kommt. Das ist nicht mehr lange hin. Was unternimmt die Bundesregierung, um ein schnellstmögliches Zustandekommen der Konferenz zu erreichen?

Not found (Gast)

Ich will vielleicht noch einmal erwähnen, dass für eine erfolgreiche Konferenz eine Dialog- und Kompromissbereitschaft auf allen Seiten erforderlich ist. Nur dann kann die Konferenz der Auftakt zu einem Prozess werden, der zu mehr Vertrauen zwischen den einzelnen Akteuren und damit auch zu mehr Sicherheit in der Region sowie längerfristig auch zur Einrichtung einer massenvernichtungswaffenfreien Zone führt. Die Bundesregierung wird natürlich weiterhin in Gesprächen auch mit den Partnern, insbesondere mit der israelischen Regierung, auf eine erfolgreiche Konferenz hinwirken.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herzlichen Dank. - Frau Höger, Sie haben noch eine zweite Nachfrage.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Pieper, sehen Sie in den Ergebnissen des Abkommens mit dem Iran eine Chance für das Zustandekommen einer Konferenz für eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im Nahen Osten?

Not found (Gast)

Die Ergebnisse der Gespräche mit dem Iran sind, wenn auch ein erster wichtiger Schritt, sicher noch ein kleines und junges Pflänzchen. Natürlich werden auch sie dazu beitragen, dass wir dem Ziel, im Nahen und Mittleren Osten eine massenvernichtungswaffenfreie Zone einzurichten, näher kommen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die Fragen 20 und 21 des Kollegen Wolfgang Gehrcke sowie die Frage 22 des Abgeordneten Manuel Sarrazin werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 23 der Kollegin Marieluise Beck, Bündnis 90/Die Grünen, auf: Wie sieht die Bundesregierung vor dem Vilnius-Gipfel die Perspektive für die Östliche Partnerschaft angesichts der Tatsache, dass die Ukraine die Vorbereitung zur Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU per präsidialem Dekret gestoppt hat, das fast vollständig ausgehandelte Abkommen mit Armenien wegen der Entscheidung des Landes für einen Beitritt zur Zollunion mit Russland, Belarus und Kasachstan nicht mehr paraphiert werden kann und Aserbaidschan und Belarus derzeit die Voraussetzungen für eine Vertiefung der Beziehungen mit der EU fehlen ({0})? Bitte, Frau Staatsministerin.

Not found (Gast)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Abgeordnete Beck, das ist eine sehr aktuelle Frage, weil der Gipfel zur Östlichen Partnerschaft, wie wir wissen, morgen stattfindet. Die Östliche Partnerschaft der Europäischen Union ist und bleibt ein Instrument europäischer Politik, das unseren osteuropäischen Nachbarn eine völlig neue Qualität der Annäherung an die EU bietet. Dass dieses Instrument weiterhin attraktiv bleibt, zeigt sich auch daran, dass neben der Republik Moldau und Georgien auch die Ukraine, die Republik Armenien, die Republik Aserbaidschan und die Republik Belarus ihr großes Interesse an einer fortgesetzten Zusammenarbeit auch weiterhin bekundet haben. Es bleibt im strategischen Interesse Deutschlands und der Europäischen Union, die Weiterentwicklung der Länder der Östlichen Partnerschaft in Richtung Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und gute Regierungsführung zu befördern und die wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder zu stärken.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Zu einer Zusatzfrage Frau Kollegin Beck, bitte.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatsministerin, die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung explizit gesagt, dass die Östliche Partnerschaft keine Beitrittsperspektive eröffnen soll. Teilt das Auswärtige Amt diese Einschätzung, und kann die Bundeskanzlerin vor diesem Hintergrund tatsächlich von einem erfolgreichen Instrumentarium sprechen? Ich frage dies insbesondere aufgrund der Tatsache, dass Länder wie Belarus und Armenien ganz eindeutig in die Eurasische Union streben bzw. schon in ihr sind, dass die Situation mit Blick auf die Ukraine jetzt festgefahren ist, dass Aserbaidschan in keiner Weise demokratischen oder rechtsstaatlichen Kriterien genügt und dass Moldawien quasi einen Frozen Conflict im eigenen Land hat, sodass wir eher vor einer Destabilisierung des gesamten östlichen europäischen Raums Sorge haben müssen.

Not found (Gast)

Frau Abgeordnete, ich kann Ihre Besorgnis verstehen und auch nachvollziehen. Ich glaube aber, dass wir ein Interesse daran haben müssen, dass die Östliche Partnerschaft zu einem Erfolg der europäischen Transformationspolitik wird, und das ist auch das Bestreben der Bundesregierung. In der Tat steht eine EU-Beitrittsperspektive bei der Östlichen Partnerschaft nicht auf der Agenda, wie die Bundeskanzlerin das in ihrer Regierungserklärung auch geäußert hat. Sie wissen aber auch, dass sich auf der Basis des Prinzips „More for more“ auch noch ganz andere ambitionierte Möglichkeiten für die Partner in der Östlichen Partnerschaft zur Annäherung an die EU bieten. Ich will hier nur einmal erwähnen, dass neben den Assoziierungsabkommen, die ja zumindest mit Georgien und Moldau erfolgreich paraphiert werden, auch ein Visumserleichterungsabkommen mit der Republik Aserbaidschan abgeschlossen werden wird, und natürlich steht auch der Ukraine auf der Konferenz in Vilnius weiterhin die Tür offen, das Assoziierungsabkommen zu unterschreiben, woran wir ein sehr großes Interesse haben. Ich glaube, wichtig ist, dass man in der Östlichen Partnerschaft weiterhin den Dialog führt und die Türen offen hält; denn die Ukraine und Präsident Janukowitsch haben erklärt, dass sie auch weiterhin Partner der Europäischen Union sein wollen. Ich denke, daran müssen wir weiter arbeiten.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Noch eine Zusatzfrage? - Frau Kollegin Beck, bitte.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatsministerin, Sie haben in Ihrer Antwort auf meine Frage zu der Beitrittsperspektive den Begriff „Agenda“ benutzt. Nun ist bekannt, dass die Antwort auf die Frage, ob es sich hier um eine Beitrittsperspektive handelt oder nicht, offengelassen wurde. Sie sagen jetzt, das stehe nicht auf der Agenda. Soll ich das so verstehen, dass die Bundesregierung ihrerseits erklärt, dass diese Instrumente der Assoziierung nicht mit einer Beitrittsperspektive verbunden sein sollen? Das würde, wenn ich das noch ergänzen darf, den Willen und auch den Mut der Ukraine, dieses Abkommen zu unterzeichnen, angesichts der Politik Russlands - diese Marieluise Beck ({0}) Politik spürt die Ukraine sehr deutlich, um es vorsichtig auszudrücken - meiner Einschätzung nach natürlich schwächen.

Not found (Gast)

Ihrem letzten Satz kann ich nur zustimmen. Ich glaube, wir alle sollten ein Interesse daran haben, dass die Ukraine weiterhin die Perspektive hat, mit der Europäischen Union zusammenzuarbeiten, und dass sie vor allen Dingen auch bereit ist, das Assoziierungsabkommen abzuschließen. Ich kann nicht für die neue Bundesregierung sprechen - das hat mein Kollege schon gesagt -; das würde zu weit gehen. Aber die Kanzlerin hat eindeutig erklärt, dass die Türen für ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine weiterhin offen stehen und dass wir bereit sind, über alle Schwierigkeiten zu sprechen. Ich glaube, dass unsere Partner, die sich im Transformationsprozess befinden, also auch die Ukraine, diese Worte wohl hören und dass sie bereit sein werden, weitere Verhandlungen zu führen. Ich sehe, wie auch Sie, mit großer Sorge, welcher Druck von russischer Seite auf diese ehemaligen Sowjetrepubliken ausgeübt wird. Ich glaube, es liegt auch in unserer Verantwortung, dass wir in Zukunft weiterhin Gesprächspartner für die Mitgliedsländer der Östlichen Partnerschaft bleiben, um sie nicht in die Arme einer Diktatur zu treiben.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herzlichen Dank. - Kollege Dr. Neu hat noch eine Nachfrage. Bitte schön.

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der NATO-Generalsekretär hat seinerzeit einmal kundgetan, dass eine Integration in die EU immer durch eine Integration in die NATO-Strukturen begleitet werden sollte. Wie weit werden die Assoziierungsgespräche für Staaten wie Ukraine, Georgien, Serbien etc. durch Perspektiven eines Beitritts zur NATO begleitet?

Not found (Gast)

Das ist eine Frage des Einzelfalls. Man kann nicht alle Länder der Östlichen Partnerschaft gleich behandeln, weil es unterschiedlicher Voraussetzungen und Bedingungen bedarf, um Mitgliedschaften in anderen Allianzen, wie zum Beispiel der NATO, eingehen zu können. Neben dieser Einzelfallprüfung ist es auch wichtig, im Gespräch zu bleiben. Diese Ergebnisoffenheit heißt aber nicht, dass es schon endgültige Festlegungen gibt.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herzlichen Dank. - Die nächste Nachfrage hat der Kollege Ostendorff, Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatsministerin, gestatten Sie mir eine praktische Frage. Zwischen der EU und der Ukraine wurden Assoziierungsverhandlungen geführt. Die Bundesregierung hat im Vorgriff auf das Ergebnis dieser Verhandlungen und auf die Unterzeichnung des Abkommens weitreichende Hermesbürgschaften ausgereicht. Gerade der Wirtschaftsminister, der Ihrer Partei angehört, hat hier Türen geöffnet. Es sind in der Ukraine riesige Produktionskapazitäten mit dem Ziel aufgebaut worden, dass dann, wenn das Assoziierungsabkommen geschlossen ist, die erzeugten Agrarprodukte zollfrei in die EU geliefert werden. Wir wissen gar nicht, woran wir jetzt sind. Hier hat sich die bisherige Bundesregierung sehr stark engagiert. Was ist der Stand der Dinge? Wie geht man jetzt mit der neuen Situation hinsichtlich der Assoziierung um?

Not found (Gast)

Wie Sie wissen, Herr Abgeordneter, ist das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine in erster Linie ein Freihandelsabkommen. Von daher haben wir natürlich die Bestrebung, dieses Abkommen wie auch die Fragen der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der guten Regierungsführung, die uns in diesem Zusammenhang auch wichtig sind, zum Erfolg zu führen. Auch wenn der Prozess jetzt ins Stocken geraten ist, sind wir weiter bestrebt, die Gespräche voranzutreiben. Ich sagte bereits, dass die Bundesregierung hieran ein großes Interesse hat. Was den aktuellen Stand der Hermesbürgschaften anbelangt, möchte ich Ihnen gerne die Informationen über meine Kollegen im Bundeswirtschaftsministerium weiterreichen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Recht herzlichen Dank. - Damit sind wir mit unserer Frageliste zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes am Ende. Herzlichen Dank, Frau Staatsministerin Pieper. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder bereit. Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Ströbele auf: Inwieweit trifft es zu ({0}), dass die Bundesregierung dem USUnternehmen Computer Sciences Corporation, CSC, bzw. Töchtern, unter anderem in Wiesbaden, welches aufgrund eines Rahmenvertrags mit der CIA 2003 bis 2006 dessen Entführungsprogramm durchgeführt haben soll und dessen Agenten in Kriegsgebiete befördert haben soll, von 2009 bis 2013 insgesamt 100 vor allem sensible IT-Aufträge für 25,5 Millionen Euro erteilte, seit 1990 gar für 180 Millionen Euro sowie durch die Bundeswehr seither weitere 364 Aufträge für über 115 Millionen Euro, und wird die Bundesregierung nun, nachdem laut Fuchs/Goetz Associated Press schon im September 2011 die Entführungsflüge der CSC-Gruppe publizierte, ihre noch offenen Verträge mit dieser sonderkündigen, dieser keine neuen Verträge erteilen sowie alle bisherigen Verträge Vizepräsident Peter Hintze dem Fragesteller und dem Deutschen Bundestag zugänglich machen, um eine kritische Prüfung der Vertragsinhalte sowie der Angemessenheit der Dotierung zu ermöglichen? Ich bitte Herrn Staatssekretär Dr. Schröder um Beantwortung.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Herr Präsident! Herr Abgeordneter, die Antwort ist etwas länger. Die Frage ist allerdings fast genauso lang und umfasst eigentlich drei Fragen. Ich beantworte sie wie folgt: Die Auftragsvergabe an die in Deutschland tätigen Tochterfirmen von CSC war bereits wiederholt Gegenstand parlamentarischer Anfragen. Dabei handelte es sich in erster Linie um IT-Unterstützungsdienstleistungen. Sie finden umfassende Informationen in den Bundestagsdrucksachen aus der letzten Wahlperiode: Drucksachen 17/10305, 17/10352 und 17/14530, darin die schriftlichen Fragen 10 und 21. Die in Ihrer Frage enthaltenen Zahlen beruhen offenbar auf einer Auswertung der in den entsprechenden Drucksachen enthaltenen Antworten mit Stand August 2013, die ich daher bestätigen kann. Für den Verteidigungsbereich wurde hingegen seit 1990 eine Zahl von 424 Aufträgen im Wert von 146,2 Millionen Euro erfasst. Seit August 2013 wurden an Tochterunternehmen von CSC weitere Aufträge erteilt bzw. weitere Abrufe aus Rahmenverträgen getätigt. Somit erhöhen sich entsprechend dem Ergebnis einer kurzfristig durchgeführten kursorischen Abfrage innerhalb der Bundesregierung die genannten Zahlen um etwa 3 Millionen Euro. Es ist nicht beabsichtigt, laufende Verträge - unabhängig davon, ob sie vor August 2013 oder später geschlossen wurden - durch eine Sonderkündigung zu beendigen. Die Bundesregierung sieht zum jetzigen Zeitpunkt keine Veranlassung, ihre Auftragsvergabepraxis in Bezug auf CSC zu ändern. Insbesondere sieht sie keine Veranlassung für den Ausschluss der Firma CSC aus dem reglementierten Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge. Die Vergabe öffentlicher Aufträge unterliegt zudem einem ab gewissen Schwellenwerten durch das Recht der Europäischen Union vorgegebenen streng reglementierten Verfahren, das seitens des Bundes einzuhalten ist. Das nationale Vergaberecht baut auf diesen europarechtlichen Vorgaben auf. Es garantiert zum Beispiel allen potenziellen Bewerbern einen freien Zugang zu den Beschaffungsmärkten der öffentlichen Hand und sieht Transparenz, insbesondere eine Veröffentlichung der Ausschreibung, und eine Dokumentation des Verfahrens vor. Aufträge dürfen nur an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Bieter vergeben werden. Die Bundesregierung hat keine Anhaltspunkte dafür, dass die Firma CSC Deutschland in irgendeiner Weise gegen Sicherheits- oder Vertraulichkeitsauflagen verstoßen hat. Es bestehen insbesondere auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass CSC Deutschland als selbstständige Gesellschaft vertrauliche Informationen an die amerikanische CSC weitergegeben hat, die von dort aus in andere Hände gelangt sein können. Insofern bestehen keine Anhaltspunkte für eine Unzuverlässigkeit von CSC Deutschland im vergaberechtlichen Sinne. Es liegen auch keine Erkenntnisse vor, dass sich Mitarbeiter von CSC wegen Beteiligung an einer Verschleppung strafbar gemacht haben. Das parlamentarische Frage- und Informationsrecht vermittelt keinen Anspruch auf Offenlegung oder Übersendung von Dokumenten an den Bundestag. Der Vertragsgegenstand der dargestellten Verträge war über den öffentlichen Ausschreibungstext der zugrunde liegenden Ausschreibung jedermann zugänglich. Die für einen individualisierten Auftragnehmer anfallenden und abzurechnenden Vertragsentgelte zählen hingegen zu dessen Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Die betreffenden Informationen sind nur einem sehr beschränkten Personenkreis bekannt und werden auch nach dem Willen der informierten Personen innerhalb der Unternehmen nicht publiziert. Diese Vertragsentgelte dokumentieren den Umfang der mit bestimmten Vertragspartnern in bestimmten Geschäftsfeldern in einem erkennbaren Zeitraum erzielten Umsetzung und beruhen auf vertraulichen einzelvertraglichen Vereinbarungen. Die Bundesregierung wird daher im Rahmen ihrer verfassungsrechtlich gebotenen Auskunftspflicht dem Bundestag auf entsprechende Fragen antworten, ihm aber keine internen Unterlagen überlassen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Wir haben jetzt alle einmal das rote Signal ignoriert, weil die Frage des Kollegen Ströbele wirklich sehr lang und detailliert war. Deswegen war es auch richtig, dass die Bundesregierung auf die einzelnen Fragen konkret geantwortet hat. Kollege Ströbele hat noch eine Nachfrage.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, um das eigentliche Problem haben Sie sich herumgedrückt. Deshalb stelle ich dazu eine konkrete Nachfrage. Im ersten Drittel meiner Frage wird gegen die Firma Computer Sciences Corporation der Vorwurf erhoben, dass diese Firma seit zehn Jahren oder länger an Entführungsflügen, den sogenannten Renditions, beteiligt gewesen sein soll, was bereits 2011 von Associated Press veröffentlicht worden ist. Ist denn die Bundesregierung dem ungeheuerlichen Verdacht einmal nachgegangen, ob diese Firma solche Rendition-Flüge tatsächlich durchgeführt hat, und hat sie darüber nachgedacht, ob eine Firma, die so etwas macht und sich damit an völkerrechtswidrigen Verbrechen beteiligt, weiterhin Vertragspartner sein kann?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Staatssekretär, bitte.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Wir gehen diesen Vorwürfen selbstverständlich nach. Es stellt sich die Frage, inwieweit sich einzelne Mitarbeiter von CSC strafbar gemacht haben könnten. Das wird sicherlich auch die Staatsanwaltschaft München I weiterhin untersuchen, die mit dem Fall ohnehin betraut ist.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine weitere Zusatzfrage, Kollege Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Darf ich Sie so verstehen, dass Sie bisher dieser Frage nicht nachgegangen sind und deshalb keine Erkenntnisse haben, und fragen, warum Sie Berichten über die Beteiligung an völkerrechtswidrigen Verbrechen nicht nachgegangen sind? Nicht einzelne Mitarbeiter, die vielleicht einen Fehler gemacht haben, sind verantwortlich, sondern die Firma hat unter Billigung und Federführung der Geschäftsführung diese Rendition-Flüge durchgeführt. Im Rahmen dieser Flüge, die der Verbringung von Personen zur Folter in Gefängnisse dienen, ist auch ein deutscher Staatsbürger vom Balkan nach Afghanistan in ein Foltergefängnis verschleppt worden.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Die damit befasste Staatsanwaltschaft München I wird sich der Sache sicherlich annehmen und unter Umständen Zeugen befragen. Bei Abschluss der Rahmenverträge lagen keine Erkenntnisse vor. Wenn nun weitere Erkenntnisse vorliegen, stellt sich vor allem die Frage, wer dafür Verantwortung getragen hat. Was wusste insbesondere die Geschäftsleitung? Handelt es sich lediglich um eine Dienstleistung wie die Beschaffung von Flügen, oder war die Firma auch an der Durchführung der Flüge beteiligt? All diese Fragen gilt es insbesondere im Rahmen eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens zu klären.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Kollege Kekeritz von Bündnis 90/Die Grünen hat eine Zusatzfrage. Bitte schön.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. - Herr Schröder, Sie haben sehr viel gemeinsam mit Frau Staatssekretärin Pieper, die ebenfalls nie Erkenntnisse hat. Ist der Bundesregierung bekannt, dass 2003 der von der CIA entführte deutsche Staatsbürger Khaled elMasri in einem von der Computer Sciences Corporation bereitgestellten Flugzeug verschleppt und gefoltert wurde? Das war auch in der Presse zu lesen. Das ist allgemein bekannt. Ich nehme trotzdem an, dass die Bundesregierung nichts davon gehört hat.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Der Fall war auch Gegenstand eines Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages. Da hat die Bundesregierung ihre Erkenntnisse sehr detailliert mitgeteilt.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Konsequenzen sind wichtig. Welche gibt es?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine weitere Zusatzfrage dürfen Sie eigentlich nicht mehr stellen, Herr Kekeritz. Ich nehme an, dass Sie bereits zu Ihrer Frage 26 überleiten. Ist es Ihnen recht, dass wir diese Frage jetzt aufrufen? - Das scheint der Fall zu sein. Dann rufe ich die Frage 26 des Kollegen Uwe Kekeritz auf: Ist der Bundesregierung bekannt, dass, wie in der am 15. November 2013 erschienenen Publikation Geheimer Krieg der Journalisten Christian Fuchs und John Goetz auf den Seiten 206 bis 212 dargestellt, der 2003 von der CIA entführte deutsche Staatsbürger Khaled el-Masri in einem von der Computer Sciences Corporation, CSC, bereitgestellten Flugzeug verschleppt und gefoltert wurde, und welche Konsequenzen wird sie aus diesen Vorwürfen für ihre Auftragsvergabepraxis an die CSC und deren Tochterunternehmen ziehen? Herr Staatssekretär, wenn Sie so nett wären, die Frage 26 des Kollegen Kekeritz, die den gleichen Sachverhalt betrifft, zu beantworten. Dann sind wir gleich am Ende der Fragestunde.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung hat ihre Erkenntnisse über die Vorgänge im Zusammenhang mit der Entführung von Khaled el-Masri im diesbezüglichen 1. Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode dargelegt. Seitdem haben sich keine neuen Erkenntnisse ergeben. Die Bundesregierung hat weiterhin keine Anhaltspunkte dafür, dass sich Mitarbeiter von CSC wegen Verschleppung strafbar gemacht haben. Die Bundesregierung sieht derzeit keine Veranlassung, ihre Auftragsvergabe und Konzessionspraxis in Bezug auf die Firma CSC zu ändern. Insbesondere sieht sie keine Veranlassung für einen Ausschluss der Firma CSC aus dem reglementierten Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge bzw. Konzessionen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine Zusatzfrage, Kollege Kekeritz. Bitte schön.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich wollte gerne von Ihnen wissen, ob es schriftlich fixierte Kriterien für die Prüfung der Zuverlässigkeit privater Dienstleister im Hinblick auf die Wahrung nationaler Sicherheits- und Datenschutzinteressen gibt, die bei der Vergabe öffentlicher Aufträge durch die Bundesbehörden angewendet werden.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Wann jemand nicht zuverlässig ist, ist justiziabel. Dazu gibt es eine entsprechende Rechtsprechung.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine zweite Frage?

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Ich hätte gerne gewusst: Gibt es schriftlich fixierte Kriterien, und können wir diese einsehen?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Natürlich können Sie die Vergabe einsehen. Da sind die Kriterien, die zu erfüllen sind, bereits vorgegeben. Insofern liegen diese innerhalb des Vergabeverfahrens schriftlich vor.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Ende der Fragestunde. Die restlichen Fragen werden gemäß unserer Geschäftsordnung schriftlich beantwortet. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: Vereinbarte Debatte zu dem vorläufigen Atomabkommen mit dem Iran Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich erteile Herrn Bundesminister Dr. Westerwelle das Wort. Bitte schön.

Not found (Minister:in)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Nach fast zehn Jahren sehr schwieriger Verhandlungen haben wir am vergangenen Wochenende erstmals substanzielle Schritte mit dem Iran vereinbaren können. Diese Genfer Vereinbarung markiert einen sichtbaren Wendepunkt nach zehn Jahren Verhandlungen, auch Jahren des Stillstands und der Konfrontation. Ich will vorab sehr deutlich sagen: Das, was in Genf vereinbart worden ist, bringt uns unserem gemeinsamen Ziel, eine atomare Bewaffnung des Iran zu verhindern, einen wichtigen und bedeutenden Schritt näher. Wir wollen dieses Ziel mit diplomatischen, politischen Mitteln erreichen. Insoweit ist dieses zweifelsohne eine Wendemarke. Diejenigen, die in den letzten deutschen Bundestagen gewesen sind, wissen, dass wir viele Jahre eine Phase der Sprachlosigkeit gehabt haben. Ich selbst habe hier oft gestanden und zur iranischen Nuklearfrage gesprochen und immer wieder auf die Notwendigkeit einer politischen und diplomatischen Lösung hingewiesen. Diesem Ziel einer politisch-diplomatischen Lösung sind wir näher gekommen. Es gibt sie noch nicht, aber wir sind dieser Lösung näher gekommen. Insoweit ist diese Vereinbarung ein Erfolg für die Welt, für die Sicherheitsarchitektur der Welt, für die Sicherheit der Region und ausdrücklich auch für die Sicherheit unseres wichtigen Partners Israel. Die Bundesregierung sowie der gesamte Deutsche Bundestag - das gilt auch für frühere Amtsperioden - haben bzw. hatten die Sicherheitsinteressen Israels und der gesamten Region stets fest im Blick. Erstmals wird der weitere Ausbau des iranischen Atomprogramms gestoppt. Besonders kritische Bereiche werden eingestellt oder zurückgeführt. Ich möchte ausdrücklich diesen Verhandlungserfolg würdigen, nicht nur im Hinblick auf die Geschlossenheit der E3+3-Verhandlungspartner, sondern auch im Hinblick auf die geschickte Leitung der Hohen Vertreterin Catherine Ashton. Das ist in meinen Augen eine wirklich gute Leistung gewesen, die vom Europäischen Auswärtigen Dienst unter der Leitung von Catherine Ashton erbracht worden ist. Es waren sehr schwierige Verhandlungen, die mit großem Geschick von der Hohen Vertreterin der Europäischen Union geführt worden sind. Wichtig ist allerdings, festzuhalten, dass dieses ein erster Schritt ist. Es ist nicht die finale Vereinbarung, sondern es sind Eckpunkte einer finalen Vereinbarung skizziert worden. Das heißt, die eigentliche Arbeit im Detail, die eigentliche Implementierung steht uns noch bevor. Deswegen will ich hier nur kursorisch einige Aspekte nennen: Iran setzt seine 20-prozentige Urananreicherung aus. Er verdünnt seinen Vorrat an 20-prozentigem Material oder verarbeitet es weiter in Richtung zivil nutzbaren Brennstoffs. Auch hier ist es mir wichtig, deutlich zu machen: Das Recht Irans, die Atomkraft, die nukleare Energie, für nachgewiesenermaßen zivile Zwecke zu nutzen, ist von uns nie in Zweifel gezogen worden. Insoweit ist es nicht zu kritisieren, dass eine solche Vereinbarung getroffen werden konnte. Iran wird keine zusätzlichen oder leistungsfähigeren Zentrifugen zur Urananreicherung installieren und in Betrieb nehmen. Der Ausbau des Plutoniumreaktors in Arak kommt faktisch zum Stillstand. Das ist natürlich auch deshalb von besonderer Bedeutung, weil es ja zwei Wege geben kann, um zu einer nuklearen Bewaffnung zu gelangen, nämlich einmal den Weg der Anreicherung und auf der anderen Seite den Weg über den Schwerwasserreaktor. Insofern war die Einbeziehung von Arak von großer Bedeutung. Übrigens war dies bis in die letzten Stunden einer der wichtigsten und neuralgischen Punkte unserer Verhandlungen. Entscheidend ist, dass Iran sich im vereinbarten Aktionsplan zu sehr weitgehender Transparenz verpflichtet hat. Die internationale Gemeinschaft braucht Iran also nicht nur zu glauben, sondern sie wird auch vor Ort überprüfen, ob die Zusagen eingehalten werden können. Tägliche Inspektionen sollen sicherstellen, dass Iran kein militärisches Nuklearprogramm betreibt. Dies ist auch vor dem Hintergrund einiger kritischer Bemerkungen wichtig, die nachzulesen waren; darauf möchte ich ausdrücklich eingehen. Es ist Transparenz und es ist Kontrolle vereinbart worden. Insoweit ist das ein weBundesminister Dr. Guido Westerwelle sentlicher Fortschritt. Die Behauptung, man handele hier im guten Glauben oder man sei ausschließlich auf das Vertrauen angewiesen, trifft nicht zu. „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, und deswegen ist die Kontrolle bei den Genfer Verhandlungen fest vereinbart worden. ({0}) - Ich weiß, dass Ihnen dieses Zitat von Lenin besonders gut gefällt. ({1}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Abgeordnete, im Gegenzug haben die E3+3-Staaten Iran Sanktionslockerungen in Aussicht gestellt. Iran darf für einen Zeitraum von sechs Monaten einen Anteil von insgesamt 4,2 Milliarden US-Dollar aus eingefrorenen Erlösen seiner Ölverkäufe ausbezahlt bekommen. Außerdem soll der Handel mit Edelmetallen und petrochemischen Produkten sowie auf dem Automobilsektor geöffnet werden. Die europäischen Obergrenzen für genehmigungsfreien Handel mit Iran werden angehoben. Aber auch hier ist es wieder wichtig, auf das zu achten, was wirklich vereinbart worden ist, und nicht auf das, was oberflächlich darüber berichtet oder auch kritisiert worden ist: Die Sanktionen werden suspendiert, jedoch nicht aufgehoben. Hält sich der Iran nicht an seine Zusagen, treten die Sanktionen wieder vollständig in Kraft, und der Kernbestand an Sanktionen, die Schlüsselsanktionen, in den Bereichen Öl, Gas und Finanzen bleibt von der Vereinbarung vorerst unberührt, das heißt unangetastet. Wir haben in Genf einen wichtigen, aber eben nur einen ersten Schritt mit einer Laufzeit von sechs Monaten vereinbart. Das ist nicht zu unterschätzen ob seiner Bedeutung für die Verbesserung der Sicherheitslage in der gesamten Region. Die Verhandlungen über eine abschließende Lösung im Atomstreit stehen noch aus. Sie sollen binnen eines Jahres zum Abschluss gebracht werden. Es liegt jetzt an Iran, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Entscheidend ist eine transparente, überprüfbare Umsetzung der Vereinbarung, und es sind allein die Erfolge bei der Umsetzung der Genfer Vereinbarung, die das politische Momentum für eine abschließende Lösung im Atomstreit bringen können. Ich möchte mit der Bemerkung schließen: Ich bin nach wie vor fest davon überzeugt, dass eine dauerhafte Lösung nur auf dem Verhandlungswege erzielt werden kann. Die jetzt amtierende, noch geschäftsführend sich im Amt befindende Bundesregierung hat in der letzten Legislaturperiode immer darauf Wert gelegt, dass wir eine politische und diplomatische Lösung finden. Wir wollen eine Verhandlungslösung. ({2}) Wir beteiligen uns nicht an militärischen Interventionsszenarien. ({3}) Ich glaube, das ist eine richtige Politik gewesen. Das wird unter anderem auch durch die Vereinbarung von Genf noch einmal eindrucksvoll bestätigt. Eine Verhandlungslösung ist möglich. Sie ist noch nicht erreicht, aber wir sind in Genf einen wesentlichen Schritt, ein gutes Stück des Weges hin zu einer solchen Verhandlungslösung gegangen. Deswegen liegt dieses Abkommen meines Erachtens im Interesse unserer europäischen Überlegungen, im Interesse des Westens und der Welt insgesamt. Ich sage zum Schluss mit großem Nachdruck, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten: Zu glauben, dass es hier „ausschließlich“ - ich setze das in Anführungsstriche - um die Sicherheitsinteressen eines Landes ginge, nämlich unseres engen Partners und Freundes Israel, geht fehl. Es geht um die Sicherheitslage in der gesamten Region, es geht um die Sicherheitsarchitektur der gesamten Region. ({4}) Man kann hinzufügen: Jedem, der sich wirklich mit der Sache befasst und mit der Frage, was es für Auswirkungen haben könnte, käme es zu einer militärischen Konfrontation, wird klar: Es geht hier in Wahrheit um die Sicherheitsarchitektur und um die Sicherheits- und Friedensinteressen der gesamten Welt. Deswegen ist die Genfer Vereinbarung ({5}) eine Vereinbarung, die man wirklich als guten Schritt bezeichnen kann. Sie hat es meines Erachtens auch verdient, überparteilich die Würdigung in diesem Hause, aber auch außerhalb dieses Hauses bei anderen wichtigen politischen Akteuren zu erhalten. Vielen Dank. ({6})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächster hat das Wort der Kollege Dr. Rolf Mützenich von der SPD-Fraktion. - Bitte. ({0})

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Vereinbarung zwischen der Islamischen Republik Iran, den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates und Deutschland ist ein bedeutender Schritt auf dem Weg zu einer friedlichen Lösung der Atomkrise, aber noch kein abschließender Erfolg; der muss in den nächsten Monaten erarbeitet werden. Dennoch lassen sich nach meinem Dafürhalten erste Schlussfolgerungen für die zukünftige Außenpolitik ziehen: Erstens. Diplomatie und Vertrauensbildung sind die besten Instrumente zur Bewältigung internationaler Krisen. Zweitens. Die Europäische Union und deren Mitglieder können gemeinsam etwas erreichen. Drittens. Die USA und Russland bleiben bei der Bearbeitung internationaler Konflikte aufeinander angewiesen. Viertens. Das Zwischenabkommen und ein späterer Vertrag können das Bindeglied für weitere Initiativen sein. Fünftens. Die Verhaltensänderung des Iran ist Teil äußeren und inneren Wandels. Sechstens. Weitere Abrüstung in Europa und im Nahen Osten sowie präventive Rüstungskontrolle bleiben unerlässlich und können vorbildlich wirken. Ich möchte versuchen, zu diesen sechs Schlussfolgerungen grundsätzliche Bemerkungen zu machen: Erstens. In der Tat, Herr Bundesaußenminister, Diplomatie und Vertrauensbildung haben Vorrang, insbesondere deswegen, weil sie ein guter europäischer Erfahrungsschatz sind. Mit Diplomatie und Vertrauensbildung ist die Teilung in Europa überwunden worden, und gleichzeitig sind Spannungen abgebaut worden. Deswegen ist dieses Instrumentarium das Instrumentarium der ersten Wahl. Mit dem Zwischenabkommen mit dem Iran stehen wir möglicherweise - ich will jetzt nicht unbedingt große historische Worte wählen - durchaus an einem Wendepunkt, weil der Nahe und Mittlere Osten in den letzten Jahren immer wieder auch Schablone für sogenannte große Pläne war und teilweise auch Interventionen von außen hat erdulden und erleiden müssen. An dieser Stelle ist möglicherweise sozusagen ein Wendepunkt in der internationalen Politik gegeben. Ich bin froh - so kann ich als Sozialdemokrat nur sagen -, dass ich Mitglied einer Partei bin, die damals in Regierungsverantwortung die Intervention im Irak gegen alle Widerstände abgelehnt hat. Ich finde, das war damals eine richtige Entscheidung. ({0}) Wenn man vom zweiten Erfahrungsschatz spricht, geht es darum, aus den Erfahrungen der Entspannungspolitik zu lernen. Wir brauchen heute, in Zeiten neuer Spannungen, eine Entspannungspolitik - darüber haben wir, glaube ich, keine unterschiedlichen Auffassungen -, indem wir Realitäten zwar anerkennen, uns aber nicht mit ihnen abfinden. Das ist sozusagen der Kern von „Wandel durch Annäherung“. Ich glaube, dass dieser Erfahrungsschatz durchaus Wirkung entfaltet, insbesondere dann, wenn Europa darum gebeten wird, an der Bearbeitung internationaler Krisen mitzuarbeiten. Der andere Aspekt in dieser Frage ist nach meinem Dafürhalten, dass die Umbrüche in der arabischen Welt durchaus Instabilitäten aufzeigen, wahrscheinlich auch für die nächsten Jahrzehnte, auch auf Europa bezogen. Aber die dortigen Machthaber wissen auch - ich glaube, einige sind klug genug -: Sie brauchen Wandel, Wandel im Äußeren und Wandel im Inneren. Das sollten wir nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern auch unterstützen. Zur zweiten Anmerkung, die ich machen will. In der Europäischen Union können wir gemeinsam zum Nutzen vieler etwas erreichen. Ich finde, auch das wird durch das Zwischenübereinkommen mit dem Iran deutlich. Die Europäische Union hat mit ihrer vielgescholtenen Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik bewiesen, dass Europa durchaus in der Lage ist, Instrumente aus dem historischen Erfahrungsschatz anzubieten und sie zum Nutzen aller einzusetzen. Es waren Deutschland, Großbritannien und Frankreich, die 2003 diese Initiative gestartet haben. Ich danke allen Bundesregierungen und den Diplomatinnen und Diplomaten, dass sie so nachhaltig und so beharrlich an der Erreichung dieses Zieles gearbeitet haben. Ich danke natürlich auch der amtierenden Bundesregierung und Ihnen, Herr Bundesaußenminister. Darüber hinaus sollen hier aber auch Lady Ashton und der im Aufbau befindliche Europäische Auswärtige Dienst genannt werden; denn deren aktuelles Handeln ist ein Bravourstück auf dem Weg zu einer Herausbildung einer zukünftigen europäischen Gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik. Ich bin froh, dass hierüber im Parlament sozusagen Gemeinsamkeit besteht; schließlich haben wir in den vergangenen Jahren durchaus den einen oder anderen Außenminister in Europa erlebt, der nicht immer Gutes über Lady Ashton gesagt hat. Im Rahmen meiner zweiten Anmerkung will ich auch den Deutschen Bundestag erwähnen. Ich glaube, jetzt kommt es auch auf uns an, darauf, dass wir unsere Arbeit machen. Wenn ich es richtig beobachte, dann könnten die Parlamente im Iran und offensichtlich auch in den USA - der Kongress auf der einen, die Madschlis auf der anderen Seite - einer erfolgreichen Umsetzung des Abkommens möglicherweise den einen oder anderen Stein in den Weg legen. Ich finde, wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier können eine Menge zur Vertrauensbildung beitragen. Deswegen wäre ich froh, wenn vonseiten des deutschen Parlamentes Initiativen ausgingen, auch die Parlamentarierinnen und Parlamentarier im Iran von diesem wichtigen Abkommen zu überzeugen. Ein weiterer Punkt. Es wird möglicherweise dazu kommen, dass die Internationale Atomenergie-Organisation, die ja im Zusammenhang mit der Überprüfung des Iran wertvolle, aber zusätzliche Arbeit leisten müssen wird, mehr Finanzmittel braucht. Auch das muss vonseiten des Deutschen Bundestages positiv beantwortet werden. Zum dritten Punkt, den ich gerne ansprechen möchte. Wir haben gesehen, dass die USA und Russland weiterhin unerlässliche Partner für die Bewältigung internationaler Konflikte sind. Ich finde, das eröffnet neue Chancen für die Genfer Konferenz über Syrien und im Zusammenhang mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt. Deswegen sollten, wenn es denn gelingt, zwischen den USA und Russland zumindest bei internationalen Krisen neues Vertrauen aufzubauen, gerade vonseiten der Europäischen Union, aber auch vonseiten seiner Mitgliedsländer weitere Initiativen für eine gute Zusammenarbeit mit Russland ausgehen. Es sollten aber auch durchaus offene Worte über das, was uns hinsichtlich der Außenpolitik der Russischen Föderation nicht passt, gesagt werden. Europa ist aufgerufen, dieses Momentum einer Zusammenarbeit zwischen Russland und den USA bei weiteren internationalen Krisen zu befördern. Europa sollte in diesem Zusammenhang aber auch die Volksrepublik China an ihre wachsende Verantwortung erinnern. Sie ist Teil der Sechsergruppe gewesen; sie profitiert immer noch sehr stark von den Erfolgen, wobei sie sich sozusagen in der zweiten oder dritten Reihe aufhält. Die Volksrepublik China wird in Zukunft mehr Verantwortung tragen müssen. Ich glaube, Europa muss das verlangen. Der vierte Aspekt. Die Zwischenvereinbarung könnte ein Bindeglied für weitere Initiativen im Nahen und Mittleren Osten sein. Es ist sinnvoll, auch vor dem Hintergrund des europäischen Erfahrungsschatzes, an den Aufbau regionaler Sicherheitssysteme zu erinnern, um Spannungen abzubauen und Vertrauen zu schaffen, sowie Abrüstung und Rüstungskontrolle als Instrument für diese Vertrauensbildung zu beschreiben. Insbesondere dürfen auch von Deutschland aus keine Rüstungsexporte in Spannungsgebiete erfolgen. ({1}) Es gibt einen weiteren Aspekt - er ist eben angesprochen worden; das ist mein fünfter Punkt -: Trotz aller Enttäuschung, dass es kein konkretes Datum im Hinblick auf die Schaffung einer massenvernichtungswaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten gibt, müssen wir weiter daran arbeiten. In der Fragestunde haben wir gehört, dass die Bundesregierung hier weiterhin alles Notwendige unternehmen wird. Eines will ich deutlich machen: Wir können nicht immer nur sagen: „Wir können etwas einbringen“, sondern müssen auch zur Kenntnis nehmen, wenn es positive Signale in dieser Region gibt. Ich finde, der Appell vonseiten des Iran und der Türkei an die syrischen Gewaltakteure, eine Waffenruhe zur Genfer Konferenz zu vereinbaren, ist nicht nur wichtig, sondern unerlässlich, auch wenn es ein nur kleiner Erfolg ist. Europa sollte das würdigen. Deswegen bin ich der Meinung: Der Iran gehört mit an den Verhandlungstisch in Genf, wenn es um die Frage der Beendigung des Bürgerkrieges in Syrien geht. ({2}) Eine Verhaltensänderung des Iran ist mit Sicherheit Teil äußeren, aber auch inneren Wandels. Deswegen will ich auch hier noch einmal deutlich sagen: Wir vom Deutschen Bundestag kritisieren und werden immer wieder darauf hinweisen, dass es Menschenrechtsverletzungen im Iran gibt. Es ist an der iranischen Regierung, die jetzige Chance, wo der außenpolitische Druck möglicherweise geringer wird, zu nutzen, um im Inneren zu einem Wandel beizutragen. Auch das war immer der Ansatzpunkt einer Entspannungspolitik. Ich finde, das gehört mit dazu. Möglicherweise, auch wenn das auf den ersten Blick nicht so erscheint, könnte die Situation der Instabilität im Nahen und Mittleren Osten zu einem Umdenken im iranischen politischen System beigetragen haben. Es könnte dazu geführt haben, dass geglaubt wird, dass ein Regimesturz nicht mehr auf der Tagesordnung steht. Es ist glaubhaft, was Präsident Obama gesagt hat; denn Präsident Obama ist eben nicht an weiteren Instabilitäten interessiert. Wir sollten dieses kleine Fenster des Umdenkens durchaus nutzen, um Initiativen voranzubringen. Deswegen - das ist der sechste Punkt - glaube ich, dass wir in Europa gehalten sind, mit gutem Vorbild voranzugehen. Wir müssen für Rüstungskontrolle und Abrüstung, für konventionelle Abrüstung, nukleare Abrüstung und viele andere Dinge mehr eintreten. Wir müssen insbesondere die Vertrauensbildung und die Maxime, die Präsident Obama eingeführt hat, nämlich dass Respekt in den internationalen Beziehungen wichtig ist, voranbringen. Zum Abschluss, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, möchte ich mich gerne bei Ihnen persönlich, Herr Bundesaußenminister, für die faire und gute Zusammenarbeit im Auswärtigen Ausschuss bedanken. Alles Gute! ({3})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich erteile als Nächstem das Wort dem Kollegen Jan van Aken, Fraktion Die Linke. ({0})

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Westerwelle, das fand ich gut. Ich kann Ihnen eigentlich in fast allen Punkten zustimmen. ({0}) - In einem Punkt stimme ich nicht mit Ihnen überein; aber ansonsten kann ich wirklich fast alles teilen, was Sie gesagt haben. Denn ich kann mich von Herzen richtig über diese Einigung mit dem Iran freuen. Machen wir uns nichts vor: Das heißt doch, dass erstens die Kriegsgefahr im Mittleren Osten tatsächlich ein kleines bisschen geringer und dass zweitens die Gefahr eines nuklear bewaffneten Iran tatsächlich deutlich geringer geworden ist. Das sind zwei gute Nachrichten. ({1}) Das ist auch ein Erfolg der Diplomatie. Ich fand es sehr gut, dass Sie das ausdrücklich betont haben. Es ist auch ein Erfolg der europäischen Diplomatie, der Diplomatie von Frau Ashton; das müssen wir hier ganz deutlich sagen. Danke auch an Herrn Mützenich dafür, dass er das gesagt hat. Wir müssen Frau Ashton von hier aus ein großes Lob aussprechen. ({2}) Eines möchte ich vorwegsagen - vielleicht gibt es da einen Dissens -: Ich halte es für völlig absurd, jetzt so zu tun, als ob es die harten Sanktionen waren, die den Iran an den Verhandlungstisch bewegt haben. Ich halte das für völlig absurd. Das können Sie gleich vergessen. Denn auch vor einem Jahr waren die Sanktionen gegen den Iran hammerhart. Auch vor einem Jahr war die Wirtschaftslage in Teheran völlig desolat, und trotzdem hat es vor einem Jahr keine Einigung gegeben. Es ist völlig klar: Mit noch so harten Sanktionen erzeugen Sie bei dieser Frage, die für den Iran eine Frage der nationalen Souveränität ist, überhaupt keinen Druck, um irgendeine Lösung herbeizuführen. Diese Lösung ist erst durch zwei Wahlen möglich geworden. Die eine war die Wiederwahl von Obama in den USA, der in der zweiten Amtszeit eine ganz andere Flexibilität hat. Die zweite war die Wahl des neuen iranischen Präsidenten Rohani, der zeitgleich mit Obama zum ersten Mal seit Jahren offensichtlich kompromiss- und verhandlungsbereiter ist, als es in den Jahren zuvor der Fall war. ({3}) Wenn alle Hardliner gewesen wären und weiter nach harten Sanktionen gerufen hätten, dann hätte es diese Einigung nicht gegeben. Dies ist eine ganz klare Ansage an Herrn Mißfelder von der CDU, der immer wieder einem militärischen Angriff auf Iran das Wort geredet hat. Wenn Herr Mißfelder in Genf mit am Verhandlungstisch gesessen hätte, dann hätte es diese Einigung nicht gegeben. Ich bin froh, dass er nicht dabei war. Ich hoffe, er wird auch in Zukunft nicht dabei sein. ({4}) Diese Einigung im Atomstreit zeigt eines ganz deutlich: Zwang funktioniert in der Außenpolitik nur ganz, ganz selten. Beim zivilen iranischen Atomprogramm funktioniert es noch viel weniger. Denn es ist innerhalb des Iran die zentrale Frage der nationalen Souveränität. Ein noch so moderater Präsident im Iran könnte niemals an diese Frage herangehen, könnte nicht auf Druck von außen reagieren. Das funktioniert nicht, zumal - auch das hat Herr Westerwelle richtigerweise gesagt - der Iran nach dem Atomwaffensperrvertrag ein Recht auf ein ziviles Atomprogramm hat. Er hat sogar das Recht auf Urananreicherung. Ich persönlich finde das falsch. Von mir aus könnten wir schon heute einen weltweiten Atomausstieg beschließen. Aber das ist eine völlig andere Debatte. ({5}) Die Einigung in Genf ist gut, weil sie ausgeglichen ist, weil beide Seiten zwar kleine, aber doch gleich lange Schritte aufeinander zugegangen sind. ({6}) Auf der einen Seite darf die Urananreicherung im Iran weitergehen, aber nur eingeschränkt und nicht mehr mit einem Anreicherungsgrad von 20 Prozent. Zudem gibt es einen Baustopp an den wichtigsten Anlagen, nicht nur am Schwerwasserreaktor, sondern auch an den Urananreicherungsanlagen. Auf der anderen Seite werden die Sanktionen etwas gelockert. Das ist für mich ein tragfähiges Fundament für künftige Schritte. Aus meiner Sicht gibt es jetzt vier Dinge, die wir tun sollten - das richtet sich natürlich mehr an Herrn Steinmeier als an Herrn Westerwelle; es ist in die Zukunft gedacht -: Erstens. Das ist ganz wichtig: Ruhe bewahren. Machen wir uns nichts vor: Es gibt genug Kräfte, die diese Einigung nicht wollen. Es sind die Hardliner in Teheran, die jede Art der Verhandlung mit dem Erzfeind USA ablehnen. Es sind die Hardliner in Washington, die natürlich jede Art der Einigung mit dem Erzfeind Iran ablehnen. Und dann gibt es die unheilige Allianz zwischen Israel und den Golfstaaten, die das Abkommen am liebsten torpedieren würden. Wir werden Provokationen erleben. Ich kann den 5+1-Staaten immer wieder nur sagen: Ruhe bewahren, sich nicht provozieren lassen und den Geist von Genf aufrechterhalten. Das wird in den nächsten sechs Monaten das Wichtigste sein. Zweitens. Sie sollten unbedingt und sofort in den Ländern der Region für die Einigung werben. Ganz vorn ist hier natürlich Israel. Werben Sie in Israel dafür, dass diese Einigung mehr Sicherheit für Israel bedeutet und nicht weniger. Auch das ist eine Aufgabe für einen künftigen deutschen Außenminister. ({7}) Drittens. Die versprochenen und beschlossenen Sanktionserleichterungen müssen so schnell wie möglich und so großzügig wie möglich umgesetzt werden. Ich habe es hier schon mehrfach gesagt: Es kostet nicht viel, auch einmal zwei, drei Schritte in Vorleistung zu gehen. Es geht dabei doch um Folgendes - das ist übrigens der Dissens, den wir haben, Herr Westerwelle -: Es geht darum, Vertrauen auf beiden Seiten wiederherzustellen. Es geht nicht nur darum, dass der Westen Vertrauen in den Iran haben muss. Auch umgekehrt gibt es dort ein berechtigtes Misstrauen. Vertrauen muss auf beiden Seiten hergestellt werden. Dabei würde es helfen - ich komme damit zum Schluss -, in den nächsten Wochen und Monaten die Sanktionserleichterungen sehr großzügig durchzusetzen. Viertens und letztens. Wir sollten jetzt diese Chance nutzen, den Iran auch auf anderen Feldern einzubinden. Herr Mützenich hat es bereits gesagt: Dabei geht es zum Beispiel um Syrien. Aber auch der EU-Menschenrechtsdialog mit dem Iran könnte wieder aufgenommen werden. Dann könnten wir verhindern, dass die dramatische Menschenrechtslage im Iran zugunsten des Atomstreits vernachlässigt wird. ({8}) Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte. Das gilt natürlich auch für den Iran, das gilt aber für alle Länder in dieser Region, auch für Israel und die Golfstaaten. Danke schön. ({9})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächste Rednerin ist die Kollegin Agnieszka Brugger, Bündnis 90/Die Grünen. - Bitte schön.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine große Chance mit Risiken und vor allem auch ein Erfolg der Diplomatie, allerdings mit offenem Ausgang - so lässt sich meiner Meinung nach das Übergangsabkommen, das die fünf Vetomächte der Vereinten Nationen und Deutschland mit dem Iran in Genf verhandelt haben, am besten beschreiben. Der Iran verpflichtet sich, Teile seines Atomprogramms auszusetzen und mehr Inspektionen seiner Anlagen zuzulassen. Im Gegenzug soll ein Teil der Sanktionen gelockert und sollen vorerst keine weiteren verhängt werden. Gemischt und sehr unterschiedlich wurde dieses Abkommen anschließend bewertet. Ich stehe immer noch unter dem Eindruck, dass Sie sich, Herr Außenminister Westerwelle, so einig mit dem Kollegen van Aken sind. Ich finde, das ist ein ganz besonderer Moment, und das zeigt auch, dass es hier einen großen Zuspruch für dieses Verhandlungsergebnis gibt. ({0}) Sie haben das Abkommen einen Wendepunkt genannt. US-Außenminister Kerry twitterte, es sei ein erster Schritt, die Welt sicherer zu machen. Der israelische Ministerpräsident Netanjahu hat das Abkommen hingegen deutlich kritisiert. Allerdings zeigt die Debatte in Israel nicht nur sehr nachvollziehbare Sorgen über das iranische Atomprogramm, sondern auch sehr unterschiedliche Ansichten und Bewertungen dieses Abkommens. Nach Jahren der Eskalation und des eisigen Stillstands, nach Jahren der mehr als berechtigten Sorge, dass der Iran in Zukunft über Atomwaffen verfügen könnte, ist nun eine erste Vereinbarung getroffen worden, die allen Seiten, wie ich finde, durchaus große Zugeständnisse abverlangt. Das ist ein großer Erfolg. ({1}) Ziel muss es jetzt sein, diesen Weg der Verhandlungen weiter zu beschreiten und die Vereinbarung zügig und schnell umzusetzen, um anschließend, nach den vereinbarten sechs Monaten, in denen Transparenz geschaffen und Vertrauen erworben werden muss, ein belastbares und verbindlicheres Abkommen zu erreichen. Wie diese sechs Monate genutzt werden und wie die Umsetzung dieser Vereinbarung ausfällt, wird dabei nicht nur für die Entwicklung der nächsten Wochen und Monate, sondern für Jahre ausschlaggebend sein. Es liegt jetzt an der neuen Regierung in Teheran, der internationalen Gemeinschaft glaubhaft zu beweisen, dass sie ernsthaft an einer langfristigen und tragbaren Lösung des Atomkonflikts interessiert ist. Dazu muss der Iran nun schnell und transparent seine Vertrauenswürdigkeit unter Beweis stellen. Die Hochanreicherung von Uran auf 20 Prozent muss gestoppt und die bestehenden Vorräte müssen in höchstens 5-prozentig angereichertes Uran umgewandelt werden. Auch die Aktivitäten um den Schwerwasserreaktor Arak müssen gestoppt und die Kontrolle durch die Internationale Atomenergie-Organisation uneingeschränkt ermöglicht werden. Denn nur durch die zügige und anhaltende Umsetzung dieser Vereinbarung kann der Iran die bestehenden Zweifel, dass es sich um bloße Lippenbekenntnisse handeln könnte, langsam aus dem Weg räumen. Ziel der auferlegten Sanktionen war es, den Iran an den Verhandlungstisch zu bringen. Das ist gelungen. Nun muss die internationale Gemeinschaft im Gegenzug aber auch bereit sein, die Sanktionen zu lockern, wenn die iranische Seite ihren Verpflichtungen nachkommt. Dabei sollten vor allem die Sanktionen im Fokus stehen, die die Zivilbevölkerung treffen. Absolut kontraproduktiv sind an dieser Stelle die Stimmen der Republikaner aus den USA, die in der aktuellen Situation eine Verschärfung der Sanktionen fordern. Das würde ein automatisches Ende dieses Erfolges, ein automatisches Ende der Verhandlungen und Gespräche bedeuten. Meine Damen und Herren, wir sollten aber auch nicht in allzu große Euphorie verfallen. Denn es ist zu früh, von einer wirklichen Lösung des Atomkonflikts zu sprechen, weil in diesen sechs Monaten viel passieren kann, zum Guten, aber eben auch zum Schlechten. Trotz des berechtigten Aufatmens aufgrund dieser Einigung muss eines klar sein: Sie ist kein Anlass, die erschreckende Rhetorik des iranischen Regimes gegenüber Israel oder die nach wie vor krassen und eklatanten Menschenrechtsverletzungen im Iran oder die verheerende Rolle, die der Iran im blutigen Syrien-Konflikt spielt, auszublenden. Es ist aber auch klar: Das Übergangsabkommen ist eben doch ein großer Erfolg der Diplomatie. Wer das bestreitet, muss sich klarmachen, dass die Alternativen, die auf dem Tisch lagen - mit dieser Formulierung wurde ja immer wieder über einen Militärschlag gesprochen -, in ihren Auswirkungen katastrophal gewesen wären. Auf der einen Seite hätte nicht toleriert werden können, dass der Iran sein Atomprogramm in vollem Umfang weiterbetreibt, während immer schärfere Sanktionen die Zivilbevölkerung treffen. Auf der anderen Seite hätte eine militärische Eskalation dieses Konflikts unberechenbare Folgen für eine Region gehabt, die ohnehin schon durch zahlreiche Krisen und Konflikte destabilisiert ist. Die Einigung ist bei allen berechtigten Zweifeln und Unwägbarkeiten durchaus ein Anlass, Hoffnung zu fassen, dass vielleicht ein Anfang gemacht wurde, diesen Konflikt auf diplomatischem Wege zu bearbeiten und irgendwann vielleicht wirklich lösen zu können. Wir sollten alles dafür tun, diesen Weg entschieden weiter zu beschreiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Stefan Liebich ({2})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Als Nächster hat der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff von der CDU/CSUFraktion das Wort. ({0})

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 2002, als bis dahin geheime iranische Nuklearanlagen und Beschaffungsaktivitäten aufgedeckt wurden, besteht der Verdacht, dass der Iran ein geheimes Atomwaffenprogramm betreibt. Noch hat der Iran wohl keine Atomwaffen, aber die IAEO zeigt sich in ihren Berichten seit fast zehn Jahren immer besorgter über den möglichen militärischen Charakter des iranischen Nuklearprogramms. Der UN-Sicherheitsrat hat Teheran in zahlreichen Resolutionen zur Klärung der offenen Fragen aufgefordert und seit 2006 mehrere Sanktionsresolutionen verabschiedet. Deutschland und die fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder setzen seit Jahren mit großer Geduld auf eine diplomatische Lösung des Konflikts. Der Iran hat aber bisher nur auf Zeit gespielt. Die nun in Genf getroffene Vereinbarung bedeutet erstmals eine politische Einigung über erste Schritte zur Lösung des Konflikts. Das begrüßen wir außerordentlich. Der Verhandlungsansatz, der auf Kooperationsangebote und gezielte Sanktionen setzt, hat sich als richtig erwiesen und zu Bewegung in den zuvor festgefahrenen Verhandlungen geführt. Es hat sich auch als richtig erwiesen, alle Optionen auf dem Tisch zu belassen. Der Iran hat einer langen Liste konkreter Forderungen zugestimmt. Sie sind, wie es die Frankfurter Allgemeine Zeitung richtig beschrieben hat, „das größte Bremsmanöver …, seit das iranische Atomprogramm den Kinderschuhen entwachsen ist.“ Das Sanktionsregime bleibt im Kern intakt, und Teheran hat unter den Bedingungen dieses Interimsabkommens nicht die Möglichkeit, heimlich die Entwicklung umfassender nuklearer Kapazitäten voranzutreiben. Teheran muss nun der IAEO den unbegrenzten Zugang zu den Nuklearanlagen ermöglichen. Aber der Außenminister hat zu Recht gesagt: Die Genfer Übergangslösung ist noch kein Endzustand. Der Iran ist jetzt aufgefordert, nicht nur die Auflagen von Genf zu erfüllen, sondern auch die nächsten Monate zu nutzen, um eine substanzielle Lösung des Gesamtkonfliktes zu ermöglichen. Der Iran muss, gemäß den Forderungen aus verschiedenen UN-Resolutionen, endlich den ausschließlich friedlichen Charakter seines Nuklearprogramms nachprüfbar unter Beweis stellen. Wir nehmen die israelischen Besorgnisse hinsichtlich dieser ersten Vereinbarung, aber auch die der unmittelbaren Nachbarn des Iran sehr ernst. Israel kann die Gefahr seiner möglichen nuklearen Vernichtung durch den Iran nicht ignorieren. Auch die neue Koalition bekennt sich zu unserer besonderen Verantwortung gegenüber Israel. Das Existenzrecht und die Sicherheit Israels sind für uns nicht verhandelbar. ({0}) Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, es bleibt dabei: Ein nuklear bewaffneter Iran wäre eine Gefahr für die gesamte Region und darüber hinaus. Den weltweiten Bemühungen um Abrüstung und Nonproliferation würde ein schwerer Schaden zugefügt. Ein nukleares Wettrüsten wäre die Folge: Saudi-Arabien, Ägypten und auch die Türkei haben schon erkennen lassen, dass sie sich bei einer atomaren Bewaffnung des Iran zum nuklearen Nachrüsten gezwungen sähen. Niemand spricht dem Iran das Recht auf die zivile Nutzung der Atomenergie ab. Der Iran hat aber nach seinen Verpflichtungen aus dem Nichtverbreitungsvertrag kein Recht auf eine nukleare Bewaffnung. Eine iranische Atombombe würde eine erhebliche Gefährdung des Weltfriedens bedeuten und auch uns bedrohen. Schon jetzt verfügt Teheran über Langstreckenraketen, die Europa erreichen können. Wir müssen deshalb auch in Zukunft verhindern, dass der Iran die Fähigkeit hat, Atomwaffen herzustellen. Bis dahin halten wir - auch die neue Koalition - an unserem doppelten Ansatz fest: Verhandlungen und Sanktionsdruck. Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, Außenminister Westerwelle hat sich in den vergangenen vier Jahren mit Verve für eine diplomatische Lösung des Konfliktes eingesetzt. Herr Minister, die Vereinbarung von Genf ist auch Ihr Erfolg. Dafür, für Ihren Dienst für unser Land und für die stets gute und kollegiale Zusammenarbeit möchte ich Ihnen im Namen der CDU/CSU-Fraktion unseren ganz besonderen Dank aussprechen. ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Thomas Silberhorn von der CDU/CSU. ({0})

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Interimsabkommen mit dem Iran bringt Bewegung in den Atomstreit: zum ersten Mal seit 2004 mit einem substanziellen Fortschritt. Das ist nicht nur ein erfolgreicher Zwischenschritt für alle Beteiligten, es ist insbesondere auch ein Verhandlungserfolg der Europäischen Union à la bonne heure. So stelle ich mir europäische Integration vor: dass wir in den wichtigen Fragen erfolgreich sind. Wenn wir den Menschen erklären wollen, warum europäische Integration wichtig ist, dann ist es notwendig, dass die Europäische Union die wichtigen Dinge anpackt und löst und uns nicht mit Belanglosigkeiten behelligt. Das ist ein gutes Beispiel für Integration. Ich will hinzufügen, dass sich auch das Format, in dem verhandelt worden ist, bewährt hat und entwicklungsfähig ist. Ich weiß nicht, wie viele Koalitionsverträge es in den letzten Jahren gegeben hat, in denen steht, dass wir einen europäischen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen anstreben und auch als Deutsche bereit sind, enger mitzuarbeiten. Dieses Format der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates plus Deutschland wird den Gegebenheiten in besonderem Maße gerecht, und weil es sich hier bewährt hat, glaube ich, dass es ein Format ist, das sich ausbauen lässt. Meine Damen und Herren, dieses Interimsabkommen ist eine Chance für die internationale Gemeinschaft genauso wie für den Iran. Wir wissen nicht, wann der Iran die Schwelle zur Atomwaffenfähigkeit überschritten hätte. Aber es hätte in einem Zeitraum von sechs Monaten, auf den dieses Interimsabkommen ausgelegt ist, durchaus der Fall sein können. Dann wären wir vor einer völlig veränderten Situation gestanden. Jetzt haben wir zumindest eine Atempause. Das Interimsabkommen ist auch eine Chance für den Iran, jetzt einen Kurswechsel vorzunehmen, wenngleich klar ist: Es ist ein erster Schritt, und der Weg zu einer dauerhaften Lösung ist noch weit. Darüber sind sich die Verhandlungsparteien übrigens völlig im Klaren gewesen; denn in dem Text ist noch nicht einmal von einem ersten Schritt die Rede, sondern von Elementen eines ersten Schrittes. Das zeigt, dass man sich völlig im Klaren darüber ist, was noch zu tun ist. Eine Lehre kann man aus dem bisherigen Verhandlungsprozess ziehen: Die Sanktionen der internationalen Gemeinschaft haben gewirkt. Die Sanktionen sind ein wirksames Instrument, wenn sie entschlossen von allen durchgesetzt werden. Auch das ist eine wichtige Botschaft an alle ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates. Dieses Instrument hat seine Wirkung gezeigt. Wenn nun einzelne Sanktionen suspendiert werden und wenn eingefrorene Gelder durch die USA ausgezahlt werden, dann ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese Leistungen nur Zug um Zug gegen die Umsetzung dieses Interimsabkommens erfolgen können. Es muss klar sein, dass Sanktionen sofort wieder verschärft werden müssen, wenn die Umsetzung dieses Abkommens nicht vorankommt. Deswegen ist es notwendig, dass diese Inspektionen täglich durchgeführt werden. Dass überhaupt umfassende Inspektionen vereinbart worden sind, ist ein wichtiger Verhandlungsfortschritt; denn anderenfalls hätte man gar nicht feststellen können, wann der Iran die Schwelle zur Atomwaffenfähigkeit überschreitet. Die internationale Gemeinschaft hat gleichwohl erhebliche Vorleistungen erbracht. Ich darf daran erinnern, dass noch im Jahr 2004 selbst die Uranumwandlung verboten worden war. Jetzt ist auch eine - zeitlich nachgelagerte - Anreicherung bis zu 5 Prozent zulässig, aber immerhin gibt es die klare Verpflichtung, dass über 5 Prozent angereichertes Uran zu verflüssigen oder zu oxidieren ist. Dieser Abbau der Vorräte bedeutet, dass das Interimsabkommen mehr ist als eine bloße Stillstandsverpflichtung. Es kann eine Vertrauensbasis für eine dauerhafte Lösung bieten, wenngleich man natürlich feststellen muss, dass grundsätzlich alle Schritte reversibel sein können. Wir können nicht ausschließen, dass sich der Iran wieder anders entscheidet, aber wir können darauf hinwirken, dass die Sanktionen in einem solchen Fall sofort wieder verschärft werden. Ich kann insofern die Skepsis mancher Beteiligter und mancher Dritter nachvollziehen. Dieses Abkommen bietet aber dennoch Anlass zu verhaltenem Optimismus. Es kann Vertrauen wachsen, wenn dieses Interimsabkommen jetzt umgesetzt wird und wenn die Verhandlungen für eine dauerhafte Lösung zügig fortgesetzt werden. Dabei werden die Fragen zum Schwerwasserreaktor in Arak ebenso wie mögliche militärische Testversuche in Parchin Gegenstand der Verhandlungen sein müssen. Wir müssen - damit will ich schließen - die Bedenken Israels gleichwohl ernst nehmen. Ich teile nicht die Bewertung, dass dieses Zwischenabkommen ein historischer Fehler ist. Aber der Iran hat die Weltöffentlichkeit nun einmal oft genug enttäuscht. Deswegen ist es jetzt Sache des Iran, den Nachweis zu erbringen, dass hier kein taktischer Zeitgewinn erzielt worden ist, sondern es um eine ernsthafte Lösung dieses Problems geht. Immerhin bietet dieses Interimsabkommen die Chance, die Verschwörungstheoretiker zu widerlegen, die glauben machen wollen, dass alle es darauf angelegt haben, den Iran zu isolieren. Es gibt eine Lösung. Es gibt keinen Konflikt, der hoffungslos und ohne Lösung wäre. Deswegen müssen wir die iranische Öffentlichkeit, insbesondere die junge Generation dieses Landes einbeziehen. Sie muss eine Perspektive erhalten. Wir müssen auf wirtschaftliche Entspannung achten und es der iranischen Führung ermöglichen, sichtbare Ergebnisse vorzuweisen und zu zeigen, dass sie es besser macht als die Vorgängerregierung in diesem Land. Vielen Dank. ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nach diesem Beitrag vom Kollegen Silberhorn schließe ich die Aussprache. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-HybridOperation in Darfur ({0}) auf Grundlage der Resolution 1769 ({1}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom Vizepräsident Johannes Singhammer 31. Juli 2007 und folgender Resolutionen, zuletzt 2113 ({2}) vom 30. Juli 2013 - Drucksache 18/72 Ich weise darauf hin, dass wir später über diesen Antrag namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist Kollege Philipp Mißfelder, CDU/CSU. ({3})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Eigentlich wollte auch ich dem Bundesaußenminister danken, aber er ist leider nicht mehr anwesend. Der Kollege Schockenhoff hat ihm ja schon ausführlich gedankt. Im Namen der Arbeitsgruppe „Auswärtiges“ der CDU/CSU-Fraktion möchte ich dem Bundesaußenminister aber dennoch dafür danken, dass er während seines vierjährigen Wirkens Deutschland als Friedensmacht positioniert hat. Ich möchte ihm für sein Engagement in diesem Bereich danken. Auch im Namen von Andreas Schockenhoff möchte ich das für unsere Fraktion betonen. Dieses Lob kann man ihm ja vielleicht überbringen. Meine Damen und Herren, wir beraten jetzt über ein Mandat - das ist ähnlich wie heute Vormittag bei der Debatte über den Einsatz im Südsudan -, das wenig Aufmerksamkeit findet, aber einen sehr ernsten Hintergrund hat. Wir sehen, dass die Lage im Sudan insgesamt nicht stabil ist. Trotz der Bemühungen des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag stehen wir einer sehr großen Herausforderung gegenüber. Bei dem Machthaber im Sudan handelt es sich um jemanden, der des Völkermords angeklagt ist und mit internationalem Haftbefehl gesucht wird. Allein die Tatsache, dass das Töten im Land weitergeht, sollte uns besorgen. Nach Angaben der sudanesischen Ärztevereinigung haben die Sicherheitskräfte im September und Anfang Oktober mehr als 200 Menschen getötet. Insgesamt 800 Menschen sollen verhaftet worden sein. Zum Hintergrund: Es wird zum Teil von einer Arabellion gesprochen, also von einem Vorgang, der mit dem arabischen Frühling vergleichbar ist. Allerdings sind die Hintergründe in diesem vom Krieg zerriebenen Land natürlich ganz anders als in Nordafrika, weswegen man diesen Vergleich nicht so einfach führen kann. Es wird dort mit großer Brutalität vorgegangen. Seitens offizieller Stellen gibt es nahezu täglich Meldungen, die uns zeigen, dass die Menschenrechte nicht ernst genommen werden und man auch nicht an einer friedlichen Kooperation mit der Opposition interessiert ist. Der Informationsminister des Landes hat zum Beispiel vor ein paar Tagen zur Kenntnis gegeben, dass die Bilder, die uns aus dem Sudan erreicht haben, eigentlich aus Ägypten stammen würden und dass die Bilder von Opfern Fälschungen seien. Allein das zeigt, dass die Regierung im Land selbst nicht in der Lage ist, auf diplomatische Art und Weise mit uns umzugehen, sondern dass hier gelogen wird und dass die Öffentlichkeit getäuscht wird, um das Töten im eigenen Land zu vertuschen. Die wirtschaftliche Situation ist spektakulär negativ. Der Staat hat kein Geld, die Inflation ist hoch, und die Armee, deren Angehörige immer unzufriedener werden, verschlingt enorm viel Geld. In Ländern, die sich in einem Konflikt befinden, ist es häufig so, dass sich die Armee einen Großteil der Ressourcen des Landes einverleibt. Nach der Unabhängigkeit des Südsudan, über den wir heute Vormittag diskutiert haben, hat sich die Situation verschärft. Im Grunde müssten beide Länder kooperieren; denn der Süden hat das Öl, und der Norden hat die Pipelines und die Durchleitungswege. Trotzdem ist es nicht möglich, ein vernünftiges Verhältnis auszubalancieren, bei dem beide Länder von den wirtschaftlichen Vorteilen des Ölexports profitieren. Vorhin in der Diskussion ist schon über den wachsenden Einfluss Chinas gesprochen worden. Auch an dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass natürlich andere aufstrebende Mächte in der Region präsent sind und an der Lösung dieser Konflikte nicht immer unbedingt konstruktiv mitwirken. Umso mehr befürworte ich unseren militärischen Beitrag, den wir an dieser Stelle leisten. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass er sich breit einbettet in ein ziviles Engagement, das wir massiv vorantreiben. Die humanitäre Lage ist aber trotz des zivilen Engagements dermaßen schlecht, dass eine militärische Präsenz vonnöten ist. Unkontrollierte Waffenströme sorgen für einen permanenten Nachschub für alle Milizen, für alle Regierungstruppen, die dort aktiv sind. ({0}) - Schön, dass Sie es reinrufen. - Deshalb bin ich froh, dass wir hinsichtlich der Waffenexporte eine tragfähige Lösung gefunden haben. Ich glaube, dass der Deutsche Bundestag gut daran tut, die Waffenexporte, die aus unserem Land herausgehen, stärker im Blick zu haben. Das stellen wir mit der Koalitionsvereinbarung, die wir jetzt auf den Weg bringen, sicher. ({1}) Ich möchte der Bundeswehr danken, die in dieser schwierigen Mission einen wichtigen Beitrag leistet. Die Situation dort ist nicht ungefährlich. Wir sind mit einer geringen Zahl Soldaten dort im Einsatz. Die maximale Obergrenze des Mandats beträgt 50 Personen. Aktuell sind neun Deutsche im Hauptquartier von UNAMID eingesetzt. Wir haben vor ein paar Wochen erlebt, dass nigerianische Soldaten, die zur internationalen Schutztruppe gehören, getötet wurden. Allein dieser spektakuläre Angriff auf vier Soldaten aus Nigeria zeigt, dass die Situation keineswegs harmlos ist, sondern brandgefährlich. Viele Leute vergessen, dass seit 2003 nach UNOSchätzung insgesamt 300 000 Menschen getötet worden sind. Es handelt sich also um eine große Katastrophe. Deshalb werbe ich dafür, dass wir unsere Bemühungen, unter anderem zur Setzung von internationalen Normen im Rahmen des Internationalen Strafgerichtshofs, vorantreiben. Zur Durchsetzung des internationalen Rechts müssen wir diese UNO-Mission notwendigerweise unterstützen. Ich bitte Sie daher im Namen meiner Fraktion um Zustimmung. Herzlichen Dank. ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Rainer Arnold, SPD. ({0})

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren jedes Jahr über die Verlängerung des Mandates, und manche fragen sich: Wir haben 10, 11, in der Spitze 13 Soldaten dort gehabt, muss das wirklich sein? ({0}) Ich meine ja, nicht nur aufgrund unseres parlamentarischen Vorbehalts - ein wichtiges Recht des Deutschen Bundestages, das an keiner Stelle angekratzt werden darf -, sondern auch weil es wichtig ist, dass Darfur und der Sudan kein vergessener Konflikt werden. Das ist die größte humanitäre Katastrophe, die wir auf unserem Globus seit vielen Jahren haben. Deutschland, Europa und die Vereinten Nationen können und dürfen nicht wegschauen. Mein Vorredner hat es schon gesagt: Es gab über 300 000 Tote, 2 Millionen Flüchtlinge, davon 250 000 im Nachbarland Tschad. Auch dort herrschen unglaubliche Verhältnisse, die diese Region weiter destabilisieren. Dieser Konflikt ist im Jahre 2003 eskaliert; vorher war er latent. Wir sehen heute: Es ist - trotz aller Versuche in den Jahren 2011 und 2013 - nur bedingt gelungen, Friedensprozesse stärker zu implementieren; das ist ganz eindeutig. Wir mussten lernen: Zu den ursprünglich etwas klarer abschätzbaren Konflikten - auf der einen Seite die Regierung des Sudans, auf der anderen Seite eine große Rebellengruppe - sind sehr große interne Konflikte auch unter den Aufständischen dazugekommen. Das heißt, dieser Konflikt ist viel komplizierter geworden. Das Schlimme ist: Eigentlich gehören nicht nur der Präsident und einige seiner Minister aus dem Sudan, sondern auch Rebellenführer vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Dies wäre angesagt und das notwendige Zeichen. Wir können nur hoffen, dass man ihrer habhaft wird. ({1}) Der seit 2012 laufende Doha Peace Process will auch die anderen Rebellengruppen mit einbeziehen. Das ist ein mühsamer Prozess. Aber es ist auch Aufgabe der Soldaten, mandatiert durch die Vereinten Nationen und die Afrikanische Union - deshalb diese Hybridmission -, diesen Friedensprozess trotz der komplexen Gemengelage voranzubringen. UNAMID verfügt im Augenblick wirklich über sehr wenige Soldaten. Insgesamt sind es aber immerhin fast 15 000. Sie ist also durchaus eine UN-Mission, die Kraft entwickeln kann. Hinzu kommt, dass wir 4 500 Soldaten im Sudan haben. Ich möchte, obwohl wir die Bundeswehr entsenden, nicht vergessen, auch die Polizisten zu erwähnen. Es sind und waren immer auch deutsche Polizisten in dieser schwierigen Lage in Darfur tätig. Sie haben dabei geholfen, Polizeistrukturen aufzubauen, und leisten wichtige Ausbildungsarbeiten. Herzlichen Dank den Soldaten und Polizisten, die dort in unserem Auftrag arbeiten! ({2}) Es wird ja immer wieder eine kritische Debatte über die Fähigkeiten der Vereinten Nationen geführt: Können sie solche Einsätze wirklich fahren? Haben sie die Führungsfähigkeit? Ich glaube, entscheidend wird in den nächsten Jahren sein: Wenn man wirklich will, dass das Gewaltmonopol bei den Vereinten Nationen liegt, dann muss man als Staatengemeinschaft auch stärker dafür sorgen, dass sie in der Lage sind, in solchen Missionen tatkräftig eingesetzt zu werden und ihren Auftrag zu erfüllen. Insofern können wir nicht glücklich darüber sein, dass wir Deutsche mit zehn oder elf Soldaten dabei sind. Das ist immerhin ein erster Schritt. Aber im Grunde genommen ist Deutschland im Augenblick das einzige westliche Industrieland, das diese UN-Friedensmission überhaupt unterstützt. Im Rahmen der Polizeimission tun es die Türken und die Deutschen; auch das ist zu wenig. Wir sollten uns darauf einstellen, dass wir uns, nachdem wir unsere Aufgabe in Afghanistan beendet haben, verstärkt um die internationalen Friedensmissionen der Vereinten Nationen kümmern müssen; dies wird erwartet. Sie brauchen nicht in erster Linie Massen von Soldaten, sondern Beratung, Führungsfähigkeit und technische Unterstützung. Es ist zum Teil schändlich, wie wir die Soldaten gerade in Afrika im Stich lassen. ({3}) Heute Morgen haben wir schon über das andere Mandat im Hinblick auf den Sudan diskutiert. Da wurde von den Linken der übliche Satz gesagt - er kommt bei Ihnen in fast jeder Rede vor -: Mit Soldaten kann man keinen Frieden schaffen. ({4}) Frau Kollegin, das ist wohl wahr; das ist eine Binsenweisheit. Es behauptet aber auch niemand, dass man dies könne. Die Soldaten sind aber oft nötig, weil es sonst überhaupt keine andere Ordnungsmacht gibt. Es gibt in dieser geplagten Region keine funktionierenden Polizeien und keine staatliche Ordnung. Ich würde mir wünschen, die Linken würden wenigstens bei diesem Mandat, das doppelt legitimiert ist, mit dem zutiefst humanitäre Aufgaben erfüllt werden, durch das Menschen geschützt werden, durch das entwaffnet wird - auch das ist eine Aufgabe -, mit dem die Versorgung der Flüchtlinge sichergestellt wird und bei dem die Deutschen mit zehn Soldaten vertreten sind, anfangen, ihre Position ein bisschen zu reflektieren. Gerade Linke haben doch eigentlich eine internationale Sichtweise auf die Krisenbewältigung; sie haben auch eine internationale Verantwortung. ({5}) Die Sozialdemokraten stehen auch weiterhin zu dieser Verantwortung: Wir stimmen diesem Mandat zu. Herzlichen Dank. ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kathrin Vogler, Die Linke. ({0})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Arnold, ich weiß nicht, woher Sie die Nebelkerzen bekommen haben, die Sie da wieder geworfen haben. Reden wir doch einmal über das, worum es heute geht: Zum sechsten Mal wollen heute alle Fraktionen außer der Linken den Bundeswehreinsatz im Rahmen von UNAMID im Sudan verlängern. Wieder behaupten Sie, dieser Einsatz sei ein wichtiger Beitrag zum Frieden in Darfur. Schauen wir uns also an, wie es um den Frieden in Darfur steht! Seit dieser Einsatz 2007 begonnen wurde, gab es eine ganze Reihe von Friedensabkommen, die abgesichert werden sollten. All diese Abkommen haben eines gemeinsam: Kein einziges Abkommen wurde eingehalten, weder vom sudanesischen Militär noch von den verschiedenen Rebellengruppen. UNAMID kann schon deshalb keine friedenssichernde Maßnahme sein, weil es keinen Frieden gibt, den man sichern könnte. ({0}) Die Jagd auf Kriegsverbrecher - lieber Kollege Arnold, das sollten Sie wissen! - ist nicht Aufgabe von UNAMID. UNAMID kann noch nicht einmal die Zivilbevölkerung schützen, weil jeder Schritt, jedes Eingreifen mit der sudanesischen Zentralregierung, also mit einer der Konfliktparteien, abgestimmt werden muss. ({1}) In den letzten Monaten haben die Kämpfe wieder massiv zugenommen. Erst vor wenigen Wochen kam es zu Auseinandersetzungen mit unzähligen Todesopfern. Allein in diesem Jahr haben die Vereinten Nationen in Darfur 460 000 Flüchtlinge gezählt. ({2}) Da müssten Sie doch den Erfolg Ihrer Strategie, Militär einzusetzen, einmal evaluieren und ehrliche Schlussfolgerungen ziehen! ({3}) Denn die Gewalt - und damit das Leid von Millionen Menschen - geht doch unvermindert weiter. Warum ist die Situation in Darfur eigentlich so dramatisch? Die Konflikte sind im Kern eine Folge ökologischer Verwüstungen, im wahrsten Sinne des Wortes: Dürre und Bodenerosion haben zu massenhaftem Hunger geführt. Die hungernden Menschen sind mitsamt ihrem Vieh in fruchtbarere Gegenden gezogen. Dort kam es dann zu Kämpfen um Land und Wasser. Die sudanesische Regierung hat dem nicht nur tatenlos zugesehen, sie hat die verschiedenen Gruppen auch noch systematisch gegeneinander ausgespielt. Auch ausländische Mächte haben ihre Stellvertreter bewaffnet und damit die Destabilisierung der Region befeuert. Ich habe mich gefreut, als die Bundesregierung im April dieses Jahres 16 Millionen Euro in Aussicht gestellt hat, mit denen die Ursachen des Hungers in Darfur bekämpft werden sollten. Nun lese ich, dass noch in diesem Jahr mit der Umsetzung der Maßnahmen begonnen werden soll. Da müssen Sie sich aber ein bisschen beeilen! ({4}) Ich hoffe nur, dass diese 16 Millionen Euro jetzt wirklich eingesetzt werden für Projekte, die Menschen Zugang zu Wasser und Nahrung verschaffen und die damit nachhaltig dem Frieden dienen - nachhaltiger jedenfalls als UNAMID. ({5}) Obwohl Sie wissen, dass, wenn man Konflikte lösen will, man die Ursachen bekämpfen muss und Konflikte nur politisch gelöst werden können, verlängern Sie alle zusammen diesen kontraproduktiven Militäreinsatz ein ums andere Mal. Die Linke macht das nicht mit, wir werden das auch weiterhin nicht mitmachen: Wir werden diesem Einsatz nicht zustimmen. ({6}) Nun argumentieren Sie, angesichts all des Leids dürften wir doch nicht nichts tun. Ja, da stimme ich Ihnen zu. Aber das Militär ist in jedem Fall und so eben auch in diesem Fall das schlechteste Mittel. Ohne UNAMID hätKathrin Vogler ten wir jährlich 513 000 Euro mehr in der Staatskasse, die wir für zivile Hilfe einsetzen könnten. ({7}) Jetzt lese ich im Koalitionsvertrag von Union und SPD, dass die Krisenprävention und die Bearbeitung von Konflikten mit zivilen Mitteln ein stärkeres Gewicht bekommen sollen. ({8}) Das finde ich gut. Fangen Sie doch hier und heute damit an: Beenden Sie den Militäreinsatz, und verstärken Sie die Anstrengungen für eine Dialoglösung! ({9}) Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, setzen Sie sich zuallererst dafür ein, dass die humanitäre Hilfe alle bedürftigen Menschen erreicht und nicht von den Konfliktparteien für eigene Interessen missbraucht wird. Gleichzeitig sagt der Koalitionsvertrag auch, dass Sie künftig noch stärker auf das Militär setzen wollen. Sie nennen das - hier kommt wieder eine Nebelkerze - „globale Verantwortung“ und meinen militärische Interventionen. Sie wollen Soldaten künftig öfter auch am Parlament vorbei einsetzen und planen dafür eine eigene Kommission, die das Parlamentsbeteiligungsgesetz aufweichen soll, und Sie wollen die zivilen Mittel noch stärker mit dem Militär verknüpfen. ({10}) Wir haben in Afghanistan ja gesehen, wohin das führt: Wo das Militär das Sagen hat, da können Hilfsorganisationen nicht frei arbeiten. ({11}) Sie verlieren ihre Neutralität und werden behindert und gefährdet. Erst Anfang der Woche sind in Afghanistan sieben Mitarbeiter einer französischen Hilfsorganisation getötet worden. Daraus sollten wir auch für den Sudan endlich Konsequenzen ziehen. Zivile Hilfe muss unabhängig vom Militär sein. Wenn Sie wirklich helfen wollen, dann lassen Sie das Militär raus. ({12})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist Kollegin Katja Keul, Bündnis 90/Die Grünen.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zehn Jahren brach in der sudanischen Region Darfur ein grauenhafter Bürgerkrieg um knapper werdende Lebensgrundlagen wie Weideland und Wasser aus. Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und massive Vertreibungen waren die Folge. Schätzungsweise 300 000 Menschen verloren ihr Leben. 2 Millionen Menschen befinden sich bis heute allein innerhalb des Landes auf der Flucht. Eine nicht unerhebliche Ursache dieses Elends ist der von uns mit verursachte Klimawandel. Schon deswegen sind wir als Teil der internationalen Gemeinschaft mit in der Verantwortung. Wir können nur hoffen, dass die von Dürre, Krieg und Hunger geplagten Menschen von dem Desaster in Warschau nicht zu viel mitbekommen haben. ({0}) Eine weitere Ursache ist die Brutalität des Regimes in Khartoum. Umar al-Baschir, gegen den ein Haftbefehl des Internationalen Gerichtshofs vorliegt, unterstützt nach wie vor Milizen, die mit äußerster Brutalität gegen die Zivilbevölkerung vorgehen, und behindert gleichzeitig die Arbeit von Hilfsorganisationen. Vor sechs Jahren hat UNAMID die afrikanische Vorgängermission AMISOM II abgelöst. Mit 19 700 Soldaten, Militärbeobachtern und Polizisten ist sie eine der größten Friedensmissionen weltweit. Daran beteiligt sich Deutschland laut Mandat mit aktuell neun Soldaten und vier Polizisten. Mal ganz im Ernst, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken: An der übermäßigen Beteiligung Deutschlands liegt es mit Sicherheit nicht, dass sich das Waffenstillstandsabkommen bislang nicht umsetzen ließ. ({1}) An alle anderen auf der anderen Seite des Hauses: Wir sollten endlich die Kapazitäten für PeacekeepingMissionen der UN verstärken, statt mit bis zu 700 Soldatinnen und Soldaten im Mittelmeer Terroristen zu jagen. Beenden Sie endlich diesen Quatsch! Die NATO wird es verkraften, und die UNO dagegen kann durchaus mehr deutsche Unterstützung gebrauchen. ({2}) Seit Anfang dieses Jahres konstatiert der UN-Generalsekretär wieder eine Zunahme bewaffneter Auseinandersetzungen in Darfur. Allein 2013 wurden 300 000 Menschen vertrieben und mindestens 800 getötet. Angesichts der aktuellen Herausforderung fordert der UNSicherheitsrat eine Stärkung der logistischen und operativen Fähigkeiten von UNAMID. Was kann Deutschland im Rahmen der EU dazu beitragen? Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist der große Schwerpunkt des EU-Rates im Dezember. Konkrete Vorschläge für die bessere Unterstützung der Vereinten Nationen auf dem Gebiet der Friedenssicherung finden sich allerdings nicht auf der Tagesordnung. Statt dessen beschäftigen sich die EUStaatschefs lieber damit, wie der europäische Rüstungsmarkt so gestaltet werden kann, dass die Rüstungsbetriebe in Zukunft trotz der Überkapazitäten überleben können, und wie Europa endlich zu einer eigenen Drohne kommt. Für die deutsche Rüstungsindustrie hat Merkel den Weg zu neuen zahlungskräftigen Kunden in aller Welt ohnehin schon freigemacht. Dabei sind Waffenexporte in Krisenregionen immer eine Gefahr für den Frieden. Im Sudan sind es vor allen Dingen China und Russland, die mit Waffenlieferungen Öl ins Feuer gießen. Nehmen Sie also den im Sommer von uns ratifizierten UN-Waffenhandelsvertrag ernst, und gehen Sie mit gutem Beispiel voran! Den Rüstungsexportbericht jetzt zweimal im Jahr vorzulegen, Herr Mißfelder, reicht dabei sicher nicht. Liebe Genossinnen und Genossen von der SPD, hierzu hatten wir im letzten Jahr schon ganz andere konkrete Vorschläge auf dem Tisch liegen. ({3}) Wenn wir unseren Blick auf Darfur, auf die Region und die Nachbarstaaten erweitern, fällt mir noch ein weiteres Thema ein, das auf dem Gipfel im Dezember Thema sein sollte. Der Nachbarstaat, die Zentralafrikanische Republik, versinkt derzeit in einer Welle der Gewalt und destabilisiert die gesamte Region. Manche Beobachter sprechen von einem drohenden Genozid. Es würden bereits Macheten in der Bevölkerung verteilt. Was macht unsere zivile Krisenprävention? Was machen denn unsere Frühwarnsysteme? Die Franzosen hatten es nach dem Putsch Anfang dieses Jahres dieses Mal abgelehnt, die für Afrika zuständige Weltpolizei zu spielen. Jetzt entsenden sie in diesen Tagen doch wieder 1 000 Soldaten, um das Schlimmste zu verhindern. Wo ist denn da bitte die europäische Strategie? In einer solchen Situation kann man doch auf einem Gipfel zur Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik nicht allen Ernstes über die wirtschaftlichen Interessen der eigenen Rüstungsindustrie sprechen. ({4}) Für die Menschen in Darfur hat UNAMID noch keinen Frieden sichern können, aber ohne UNAMID hätten die Hilfsorganisationen noch größere Schwierigkeiten, den Menschen die humanitäre Hilfe zukommen zu lassen, die sie so dringend benötigen. ({5}) Den Mitarbeitern, die sich trotz der anhaltenden Gewalt vor Ort für UNAMID und die zivilen Hilfsorganisationen einsetzen, gebührt unser aller Dank und Respekt. Meine Fraktion ist von der Sinnhaftigkeit von UNAMID überzeugt und wird dem Mandat wie auch in den vergangenen Jahren die Zustimmung erteilen. ({6}) Vielen Dank. ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Es spricht jetzt Kollege Florian Hahn, CDU/CSU. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir heute Vormittag das Mandat UNMISS debattiert und verlängert haben - dabei ging es um den Südsudan -, geht es jetzt um das UNAMIDMandat im Sudan. UNAMID ist eine Hybridmission von Vereinten Nationen und Afrikanischer Union. An dieser Mission sind aktuell 46 Nationen beteiligt. Deutschland als einziges EU-Land ist aktuell mit neun oder elf - das variiert ein wenig - Soldatinnen und Soldaten und vier Polizisten dabei. Die drei größten Truppensteller sind Ruanda mit 3 200 Soldaten, Nigeria mit 2 600 Soldaten und Ägypten mit 2 500 Soldaten. Daran zeigt sich der wichtige und essenzielle Ansatz, dass die Afrikaner selbst in die Lage kommen müssen, auf ihrem Kontinent für Sicherheit zu sorgen. Wir wollen sie dabei unterstützen, dass sie diese Eigenverantwortung verstärkt übernehmen. Warum ist dieses Mandat für Sudan so wichtig? Die Kämpfe - das haben schon viele Kollegen in ihren Beiträgen zum Ausdruck gebracht - zwischen Rebellen, Milizen und Armee haben seit 2003 zu mehr als 300 000 Toten und 2,5 Millionen Flüchtlingen geführt. Die Konflikte brechen immer wieder auf. Es geht dabei um Religionskonflikte; es geht um ethnische Konflikte; es geht auch um den Zugang zu wichtigen Rohstoffen. Es ist daher wichtig, die Umsetzung des Friedensabkommens von 2006 und den Friedensprozess an sich zu unterstützen. Welchen Beitrag leistet UNAMID dabei? Erstens einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung und zum Aufbau, zweitens, die militärische Präsenz wirkt mäßigend auf die Konfliktparteien, und drittens, die Mission verhindert eine weitere Verschlechterung der humanitären Situation. Unsere Soldaten sind im Hauptquartier eingesetzt, nämlich bei der Stabsfunktion im Bereich Einsatzführung, Logistik, Ausbildung und Personal. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch einmal auf die Debatte von heute Vormittag zu dem Mandat UNMISS zurückkommen. Ich habe mich sehr geärgert; denn die Kollegin Buchholz, die ich jetzt leider nicht sehe, hat dort gesagt: … niemand braucht Soldaten, um Wasser- und Bildungsprojekte durchzuführen. ({0}) Ich finde das wirklich zynisch. Das müssen Sie einmal den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Hilfsorganisationen und deren Familien sagen. ({1}) Wir alle wissen ganz genau, dass diese Ziel massiver Angriffe vonseiten der Rebellen sind. Sie brauchen den Schutz von Sicherheitskräften. Wir sind im Übrigen auch froh, dass UNAMID den Zugang für humanitäre Hilfe überhaupt erst möglich macht. ({2}) Kolleginnen und Kollegen, dieser Einsatz genießt vielleicht nicht dieselbe Aufmerksamkeit wie beispielsweise der Einsatz in Afghanistan. Das mag vielleicht der Tatsache geschuldet sein, dass nur elf Soldaten von uns mit dabei sind. Ich bin unserem Minister de Maizière sehr dankbar dafür, dass er gestern in unserer Fraktion, aber auch heute in der Debatte zum UNMISS-Mandat deutlich zum Ausdruck gebracht hat, welche Leistungen unsere Soldaten dort vollbringen, vor allem, wenn man bedenkt, unter welchen Voraussetzungen und unter welcher Gefährdung sie dort ihren Dienst versehen. Das kommt in der Öffentlichkeit ein bisschen zu kurz. Deswegen möchte ich an dieser Stelle den Soldatinnen und Soldaten dort sehr herzlich danken und ihnen viel Erfolg, Gesundheit und Gottes Segen für die Aufgaben wünschen, die noch vor ihnen liegen. ({3}) Sehr geehrte Damen und Herren, UNAMID leistet einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der humanitären Situation im Sudan. UNAMID bildet den Rahmen, der die Bewältigung der politischen Konflikte überhaupt erst möglich macht. Wir stehen für Verlässlichkeit und Bündnistreue. Wir wollen ein guter Partner bei der Gestaltung einer gerechten Weltordnung sein. Daher müssen wir diesem Mandat zustimmen. Herzlichen Dank. ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist Dr. Sascha Raabe, SPD. ({0})

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Im Sudan herrscht seit Jahren bittere Armut. Die humanitäre Katastrophe ist zum Teil in Vergessenheit geraten, zum Teil leider immer nur dann im Fokus der Öffentlichkeit, wenn wir darüber reden, ob deutsche Soldaten dort weiter an der richtigen und wichtigen UNAMID-Mission teilnehmen sollen. Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir über ein Land reden, das dauerhaft, auch wenn keine Kameras auf es gerichtet sind, zu den ärmsten Ländern der Welt gehört. Es ist das Land mit der höchsten Müttersterblichkeitsrate der Welt. Mehr als die Hälfte der Menschen leben in bitterer Armut. Wir haben schon gehört, dass die Konfliktursachen dort vielfältig sind: Die Konflikte sind teils ethnisch-religiös, aber auch ganz stark verschärft durch mangelnden Zugang zu Wasser und Weideland. Sie sind auch dadurch bedingt, dass es bittere Armut gibt. Ich glaube, als Politiker im deutschen Parlament, die über einen großen Etat verfügen können, müssen wir mehr finanzielle Mittel aufbringen, um nicht nur in Sudan dafür zu sorgen, dass dort, wo es Hunger und Not gibt, geholfen werden kann, sondern auch in den Nachbarländern Subsahara-Afrikas dafür zu sorgen, dass sich dort so etwas wie in Sudan nicht entwickeln kann. Dafür bitte ich Sie um Unterstützung. ({0}) Wir möchten deshalb nicht nur den Soldatinnen und Soldaten und den deutschen Polizeibeamten danken, die dort ihren Dienst tun, sondern auch all den Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfern, die unter ganz schweren Bedingungen und auch unter Einsatz ihres Lebens und ihrer Gesundheit dort tätig sind. Ihnen allen auch vom ganzen Hause ein herzliches Dankeschön! ({1}) Wir haben die Zahlen bereits gehört. Dieses Land ist extrem gebeutelt: Es hat 300 000 Tote gegeben. Fast 2 Millionen Menschen leben in Flüchtlingslagern. Bei aller richtigen Betrachtungsweise der Konfliktursachen, auf die ich noch zu sprechen komme, kann ich als Entwicklungspolitiker - das sage ich ausdrücklich nicht als Verteidigungspolitiker; denn ich bin mit Leib und Seele seit vielen Jahren Mitglied des entwicklungspolitischen Ausschusses - die Haltung der Linksfraktion nicht verstehen. Ich kann nicht verstehen, wie man sich, wenn man weiß, dass es grausame Massenvergewaltigungen, brutale Überfalle und gewaltsame Plünderungen gibt, die den Alltag der Menschen dort bestimmen, dann einer Mission verweigern kann, die versucht, den geschundenen Menschen, die in Flüchtlingslagern Schutz suchen, wenigstens ein bisschen zu helfen. Wie kann man sich verweigern, diese Lager und die armen Menschen auch mit militärischem Schutz zu sichern? Das ist schäbig und verantwortungslos, und es ist absolut nicht tolerierbar. ({2}) Man muss das eine tun, ohne das andere zu lassen. Natürlich kann das Militär diesen Konflikt nicht lösen. Ich gehöre zu denjenigen, die immer sagen - dafür werbe ich auch -: Ja, wir brauchen Entwicklungspolitik als vorausschauende Friedenspolitik. Wir müssen die Mittel der zivilen Krisenprävention stärken. - Ich bin froh, dass wir dies genauso wie die Stärkung der Rolle des zivilen Friedensdienstes im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben. Es ist auch gut, dass wir im Koalitionsvertrag festgelegt haben, den Fokus stärker auf die ärmsten und die fragilen Staaten zu legen. Es war sicherlich ein Fehler - das gilt im Hinblick auf die alte Regierung -, die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit in diesem Jahr zu kürzen ({3}) und sie gemäß der mittelfristigen Finanzplanung bis 2017 weiter zu kürzen. Deshalb bin ich froh, dass wir uns in den Koalitionsverhandlungen durchsetzen konnten und dass in den nächsten vier Jahren ohne Finanzierungsvorbehalt wenigstens 2 Milliarden Euro mehr, sozusagen als sicheres Geld, für die ärmsten Länder zur Verfügung stehen. Das ist ein erster wichtiger Erfolg. ({4}) Ich sage aber auch: Bei diesen zusätzlichen 2 Milliarden Euro dürfen wir nicht stehen bleiben. Auf dem Weg zum 0,7-Prozent-Ziel, zu dessen Erreichen sich Deutschland verpflichtet hat, gilt es, mehr finanzielle Anstrengungen zu unternehmen. Ich bitte auch die neuen Kolleginnen und Kollegen im Parlament, sich parteiübergreifend in den Haushaltsberatungen, wenn es irgendwo noch Spielraum gibt - sei es durch die Einführung einer Finanztransaktionsteuer oder aufgrund von zusätzlichen Geldern, die durch die Bekämpfung der Steuerflucht eingenommen werden -, dafür einzusetzen, dass endlich mehr Geld in den vier Jahren, also mehr als die zusätzlichen 2 Milliarden Euro, für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung gestellt wird. Dann brauchen wir nicht mehr über teure Militäreinsätze zu reden. Wir sparen viel mehr Geld, wenn wir jetzt den Menschen dort, aber auch in den Nachbarstaaten Sudans in Subsahara-Afrika helfen, wo die Ärmsten der Armen leben. Entwicklungspolitik als vorausschauende Friedenspolitik kann solche Konflikte wie den in Rede stehenden verhindern. In diesem Sinne bitte ich Sie heute um Zustimmung zu dieser Mission und in den nächsten Haushaltsberatungen - ich werde Sie daran erinnern - um Zustimmung zur Bereitstellung von wesentlich mehr Geld für die gute und präventive Entwicklungszusammenarbeit. Vielen Dank. ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Letzter Redner in dieser Aussprache ist Kollege Johannes Selle, CDU/CSU. ({0})

Johannes Selle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002798, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Natürlich würde ich jetzt lieber sagen: Wir brauchen nach sieben Jahren UNAMID diese Mission nicht mehr. Alles ist friedlich. Entwicklung kann stattfinden. - Aber bedauerlicherweise ist die humanitäre Lage in der Region prekär. Noch immer sind 1,9 Millionen Vertriebene in Flüchtlingslagern auf Nahrungsmittelhilfe und Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Implementierung des 2011 in Doha beschlossenen Friedensabkommens hinkt dem Zeitplan hinterher. Die wichtigsten Rebellenorganisationen, das Justice and Equality Movement, JEM, sowie die beiden Gruppen um Minni Minnawi und Abdel Wahid, haben das Abkommen zunächst abgelehnt. Der Beitritt des JEM zu diesem Abkommen im Jahr 2013 ist als wichtiger Erfolg zu werten. Zwischen der sudanesischen Armee und Rebellengruppen wie auch zwischen den einzelnen Milizen selbst kommt es immer wieder zu blutigen Kämpfen. UNAMID ist daher auch sieben Jahre nach ihrem Beginn keine einfache Mission. Erst am vergangenen Sonntag wurde ein ruandischer Soldat tödlich verwundet. Es ist wichtig, dass wir die Arbeit der Soldaten würdigen. Am Sonnabend letzter Woche traf ich den dienstältesten deutschen Offizier, Oberst Simon, in Juba, der bei UNMISS dient. Er war außerordentlich erfreut über das Interesse des Parlaments an der Arbeit der Soldaten und übermittelte die Grüße seiner Offizierskameraden, die ihn dazu ausdrücklich aufforderten. Daher möchte auch ich allen Soldaten und Polizisten von UN-Friedenssicherungsmissionen danken. Sie bemühen sich um Sicherheit und Stabilität. Ganz besonders denken wir an die deutschen Einsatzkontingente, die einen gefährlichen Dienst tun und auf die für uns selbstverständlichen Annehmlichkeiten verzichten müssen. Wir brauchen diesen Dienst, schätzen ihn hoch ein und werden ihn unterstützen. Wir wünschen den Soldaten und Polizisten eine sichere Adventszeit. In der letzten Woche bat der sudanesische Innenminister während seines Besuches in Deutschland um Unterstützung bei der Bewältigung der Folgen des enormen Zustroms von Flüchtlingen aus Ostafrika, dem sich Sudan gegenübersieht. Das ist ein Thema, das ohne Zweifel in unserem eigenen Interesse liegt. Natürlich wurden von mir die wichtigen Themen wie Schutz der Menschenrechte, das Verhältnis zum Südsudan und nicht zuletzt die Lage in Darfur angesprochen. Immer wieder muss klargemacht werden, dass die Wahrung der Menschenrechte für uns oberste Priorität hat und dass die exzessive Gewaltanwendung, wie sie sich zuletzt im September bei Demonstrationen in der Hauptstadt Khartoum manifestierte, völlig inakzeptabel ist. Wir sollten alle Bemühungen unterstützen, die die Beilegung der Konflikte in diesem Land auf politischem Wege voranbringen. Ebenfalls im November befand sich eine hochrangige Delegation der Sudan Revolutionary Front, des Zusammenschlusses der einzelnen Rebellenorganisationen, auf Einladung des Auswärtigen Amtes in Berlin. Auch dieses Gespräch wurde genutzt, um die einzelnen Organisationen eindringlich auf ihre Verantwortung für Frieden und Schutz der Zivilbevölkerung hinzuweisen. Wichtiger Punkt dabei war, dass sowohl Abdel Wahid als auch Minni Minnawi, die beiden verbliebenen Führer von Rebellenorganisationen und Nichtunterzeichner des DohaAbkommens, mit am Tisch saßen und sich, wenn auch verhalten, eine politische Lösung unter Führung der Sudan Revolutionary Front vorstellen konnten. Wir sind in kleinen Schritten vorangekommen und waren noch nie so nahe an einer politischen Lösung. Deshalb müssen wir beharrlich in diese Richtung weitergehen. Deutschland genießt ein hohes Ansehen auch in dieser Region. Deshalb gehört es zu unserer Verantwortung, unsere relativ kleine personelle Beteiligung an UNAMID fortzusetzen. Die zehn entsandten Bundeswehrsoldaten und fünf Polizisten leisten im UNAMID-Hauptquartier anerkannte und geschätzte Stabsarbeit. Deutschland ist als einziges westliches Land an dieser Mission beteiligt. Bei UNAMID geht es nicht nur um die militärische Komponente der Mission, sondern es geht auch um die politischen Anstrengungen zur Umsetzung des DohaFriedensvertrages. Liebe Kollegen, die vom neuen Missionsleiter Mohammed Ibn Chambas angekündigte Intensivierung der politischen Bemühungen UNAMIDs müssen wir doch unterstützen. Die Kosten der Mission sind enorm, und mir wäre lieber, dass dieses Geld in konkrete Entwicklungsprojekte investiert würde. Aber ohne Sicherheit kann es keine Entwicklung geben. Im Gegenteil: Vorhandene Infrastruktur wird bei den Kämpfen zerstört. UNAMID ist nur ein Teil unseres Ansatzes der vernetzten Sicherheit, neben der humanitären Hilfe und den bereits erwähnten 16 Millionen Euro, die für Wiederaufbauprojekte in diesem Jahr bereitgestellt werden. Letzteres sollten wir als Parlament eng begleiten und vor allem auf Eile in der Umsetzung drängen. Ein klares Ja zur Verlängerung des Einsatzes ist ein klares Bekenntnis zu unserer Verantwortung für Frieden und Sicherheit in der Welt. Ein Ja ist auch ein klares Zeichen an die Afrikanische Union, dass wir sie nun, da sie sich verstärkt der Verantwortung für ihren eigenen Kontinent stellt, nicht im Stich lassen. Stimmen Sie deshalb dem Antrag zu! ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Hiermit schließe ich die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Operation in Darfur UNAMID. Wir stimmen über den Antrag auf Drucksache 18/72 namentlich ab. Ich bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist jetzt der Fall. Ich eröffne die Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Ich habe den Eindruck, dass jetzt alle, die ihre Stimme abgeben wollten, dies auch getan haben. Dann schließe ich hiermit die Abstim- mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Ab- stimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) 1) Ergebnis Seite 161 C Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 8 auf: - Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Investmentsteuergesetzes und anderer Gesetze an das AIFM-Umsetzungsgesetz ({0}) - Drucksache 18/68 ({1}) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Investmentsteuergesetzes und anderer Gesetze an das AIFM-Umsetzungsgesetz ({2}) - Bericht des Hauptausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 18/113 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne hiermit die Aussprache. Erste Rednerin ist Kollegin Ingrid Arndt-Brauer, SPD. ({3}) Frau Kollegin, bevor Sie das Wort ergreifen, darf ich alle, die hier im Saal wichtige Gespräche führen, bitten, diese Gespräche außerhalb des Plenarsaals fortzusetzen, damit Sie als Rednerin uneingeschränkte Aufmerksamkeit genießen können. - Bitte schön, Frau Kollegin.

Ingrid Arndt-Brauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. Ich habe ja ein Mikrofon, und ich kann auch ein bisschen lauter reden. Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben es in den nächsten 30 Minuten mit einer etwas schwierigen Materie zu tun. Deswegen: Wer daran interessiert ist, muss ein bisschen zuhören. Es geht um das AIFM-Steuer-Anpassungsgesetz; das ist ein Gesetz über alternative Investmentfonds. Wir passen das Investmentsteuergesetz und andere Gesetze an das AIFM-Umsetzungsgesetz an. Das ist nötig geworden, weil Konzerne Verpflichtungen intern übertragen können, zum Beispiel ihre Pensionsforderungen. Es können dafür Rückstellungen gebildet werden. Das kann bisher in einer bestimmten Art und Weise gehandelt werden. Das geht - dazu komme ich gleich noch demnächst nicht mehr. Kleine und mittlere Unternehmen sind davon nicht betroffen; die können ihren Gesamtaufwand weiterhin voll verrechnen. Wir haben heute die erste, zweite und dritte Lesung. Es ist das erste Mal, dass ich so etwas erlebe. Aber - wir haben das schon heute Morgen gehört - es ist dringend; denn wir brauchen Rechtssicherheit bei der Investmentbesteuerung. Wir haben am 14. Dezember 2011 ein Urteil des Bundesfinanzhofs bekommen, das die bisherige Bilanzierungspraxis bei Pensionsrückstellungen geändert hat. Die Veräußerung von Pensionsansprüchen würde ohne gesetzliche Eingriffe beim Veräußerer soge154 nannte stille Lasten heben, die auf einen Schlag zu erheblichen Steuerausfällen führten. Bei der Ausgliederung von Verpflichtungen realisiert der Übertragende Verluste, sogenannte stille Lasten; der Erwerber realisiert einen Gewinn. Für den Fall, dass wir nicht eingreifen, beziffern die Bundesländer die möglichen Steuerausfälle auf 15 Milliarden Euro. Wir müssen dieses Gesetz bis zum 31. Dezember dieses Jahres verabschieden, das heißt, es muss auch den Bundesrat noch rechtzeitig erreichen. Durch bereits in der Vergangenheit erfolgte Steuergestaltungen, die manche Kreditinstitute auch gezielt gefördert haben, sind bisher schon Steuerausfälle von knapp 4 Milliarden Euro entstanden. Das heißt, wir müssen jetzt dringend handeln. Wir alle wissen: Wir brauchen Geld, nicht nur für die Umsetzung des Koalitionsvertrags, sondern auch für alles mögliche andere. Das Vermittlungsverfahren im Bundesrat hat sich ein bisschen hingezogen; es ging über den Sommer, ist aber jetzt abgeschlossen. Der vorliegende Gesetzentwurf entspricht der Einigung im Bundesrat. Der gefundene Kompromiss ist meiner Meinung nach für alle Seiten tragbar. Sowohl Verluste als auch Gewinne sollen steuerlich über einen längeren Zeitraum verteilt werden, also nicht schlagartig realisiert werden können, was ja zu erheblichen Steuerausfällen führt. Verluste können steuerlich über 15 Jahre verteilt werden. Damit sind die Steuerausfälle erträglich. Die Regelung führt immer noch zu geringen Mindereinnahmen, aber damit müssen wir leben. Es geht eben um Pensionsrückstellungen, und die sind steuerlich geltend zu machen. Auf der Seite des erwerbenden Unternehmens werden die Gewinne nach der gesetzlichen Neuregelung voll einbezogen, zeitlich unbegrenzt. Das heißt, da findet eine Besteuerung statt. Auf diese Weise kann die öffentliche Hand die Steuerausfälle infolge der geltend gemachten Verluste weitestmöglich kompensieren. Für Altfälle, die vor dem Tag des BFH-Urteils entstanden sind, also vor dem 14. Dezember 2011, wird - auch das war im Bundesrat lange sehr umstritten Vertrauensschutz gewährt. In den Fällen kann der Anschaffungsertrag, der Gewinn, die Differenz zwischen dem niedrigeren Steuerbilanzwert und dem höheren Handelsbilanzwert, steuerlich über 20 Jahre verteilt werden. Ich denke, das ist eine ganz gute Regelung; sie stellt den Vertrauensschutz sicher. Neben der Verhinderung von Steuersparmodellen mittels Hebung dieser stillen Lasten beinhaltet der Gesetzentwurf eine Reihe weiterer wichtiger Neuregelungen. Mein Kollege Lothar Binding wird dies noch detailliert ausführen. Ich will nur kurz andeuten: Es gab die Diskussion, ob man Investmentkommanditgesellschaften für Pensionsansprüche schaffen sollte. Wir waren eher der Meinung, dies nicht zu tun; denn das führte nicht zu einer Steuervereinfachung. Hier konnten wir uns aber nicht komplett durchsetzen. Jetzt haben wir eine strikte Zweckbindung der InvestmentKG an die Abdeckung der betrieblichen Altersvorsorgeverpflichtungen. Es ist trotzdem noch relativ kompliziert. Aber wir hoffen, dass es sinnvoll ist. Des Weiteren wird es Regelungen geben, um das FATCA-Abkommen zum Austausch von Steuerdaten mit den USA oder in Zukunft auch mit anderen Staaten zu ermöglichen. Auch hierfür bilden wir heute die gesetzliche Grundlage. Details, auch zum Thema „Goldfinger“ - das hat nichts mit James Bond zu tun, ist aber auch recht interessant -, wird mein Kollege weiter ausführen. Ich appelliere noch einmal an Sie alle, obwohl wir die erste, zweite und dritte Lesung sehr kompakt machen: Stimmen Sie bitte zu! Es ist sehr wichtig, dass diese Steuerausfälle nicht entstehen, dass wir dieser Steuergestaltung Einhalt gebieten können. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Es spricht jetzt für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Koschyk. ({0})

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Arndt-Brauer hat es schon gesagt: Ein Ziel des AIFM-Steuer-Anpassungsgesetzes ist das Schließen von Gestaltungslücken im Investmentsteuerrecht. Aber dieses Gesetz hat noch andere wichtige Bausteine. Gleich zu Beginn möchte ich dem Kollegen Michael Meister, unserem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, aber auch dem nordrhein-westfälischen Finanzminister, Herrn Walter-Borjans, dafür danken, dass sie im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat diesen Gesetzentwurf durch hervorragende Arbeit vorbereitet haben. ({0}) Es hat keinen Sinn mehr, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, warum dieser wunderbare Vermittlungsvorschlag von Michael Meister und Minister WalterBorjans das Parlament am letzten Sitzungstag der Legislaturperiode nicht erreicht hat. Es ist müßig, darüber nachzusinnen. Jetzt - die Kollegin Arndt-Brauer hat das zu Recht gesagt - müssen wir auch im Interesse des Erhalts von Steuersubstrat diesen Gesetzentwurf in Bundestag und Bundesrat bis zum Jahresende beschließen. Ich gehe übrigens davon aus, nachdem dieser Gesetzentwurf die Zustimmung aller Bundesländer im Bundesrat gefunden hat, dass alle Fraktionen des Bundestages - sie alle sind ja an Länderregierungen beteiligt, egal ob in Form von Rot-Rot oder in Form von Rot-Grün - diesem Vorschlag des Bundesrates, der auf einem Ergebnis des Vermittlungsausschusses beruht, zustimmen. Lassen Sie mich noch einmal die zentralen Inhalte dieses Gesetzentwurfes deutlich machen. Wir müssen aufgrund der AIFM-Richtlinie notwendige Anpassungen im Investmentsteuergesetz vornehmen. Wir wollen GeParl. Staatssekretär Hartmut Koschyk staltungsspielräume im Investmentsteuerrecht beenden. Wir wollen allerdings auch im Sinne des Standortes Deutschland die steuerrechtlichen Rahmenbedingungen schaffen, um die grenzüberschreitende Bündelung von Altersvorsorgevermögen auch in Deutschland zu ermöglichen. Dafür gibt es einen schönen englischen Begriff: Pension Asset Pooling. Ich bin immer dafür, dass wir unseren deutschen Mitbürgerinnen und Mitbürgern die deutsche Übersetzung solcher schwierigen Begriffe erklären, vor allem wenn der Kollege Singhammer heute dem Bundestag als Präsident vorsteht. Es geht also um die grenzüberschreitende Bündelung von Altersvorsorgevermögen, was auch im Interesse der pensionsberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland ist. Die Kollegin Arndt-Brauer hat es bereits gesagt: Wir haben FATCA unterzeichnet, ein wichtiges Gesetz. Das zeigt, dass es trotz der Beschwernisse, die wir zu Recht in Deutschland aufgrund der NSA-Ausspähaffäre haben, bei wichtigen deutsch-amerikanischen Gesetzesvorhaben bezüglich eines gemeinsamen Vorgehens bei der Steuergestaltung vorangeht. Dann hat die Kollegin Arndt-Brauer gesagt, dass wir jetzt endlich dem Gestaltungsmodell „Goldfinger“, was nichts mit James Bond zu tun hat, einen Riegel vorgeschoben haben. Diesbezüglich haben wir aber auch schon mit einem vorausgehenden Gesetz gehandelt. Jetzt schließen wir das Ganze ab. Lassen Sie mich zu der Bündelung grenzüberschreitender Altersvorsorgevermögen kommen. Das ist wichtig, damit auch die Altersvorsorgesysteme grenzüberschreitend zusammengelegt werden können. Von den Effizienzgewinnen - ich habe es schon gesagt - profitieren am Schluss auch pensionsberechtigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland. Natürlich ist es wichtig - das war ja ein Begehr des Bundesrates -, dass durch diese wichtige Maßnahme, die dem Investitionsstandort Deutschland dient, keine neuen Gestaltungsspielräume entstehen. Deshalb haben wir diese neue Möglichkeit so gestaltet, dass die Gestaltungsspielräume, die auf der einen Seite geschlossen werden, auf der anderen Seite nicht neu eröffnet werden können. Lassen Sie mich noch etwas zu FATCA sagen. ({1}) Das ist ein amerikanisches Gesetzeswerk, der sogenannte Foreign Account Tax Compliance Act, durch den Amerika einen wichtigen Beitrag geleistet hat, um nichtkooperationswillige Staaten, also Staaten, die nicht bereit sind, Aufklärung bei auslandsbezogenen Steuersachverhalten zu leisten, zum Einlenken zu bewegen. Insofern war es gut und richtig, dass Deutschland und andere EU-Staaten mit den USA dieses Abkommen geschlossen haben. Es eröffnet uns jetzt die Möglichkeit, an auslandsbezogene Sachverhalte in den USA heranzukommen. Aber solche Auskunftsersuchen beruhen immer auf Gegenseitigkeit. Wir wollen Informationen der Amerikaner zur Aufklärung von Auslandssachverhalten im Steuerrecht; die Amerikaner wollen Informationen von uns. Das Ganze muss auf gesetzlicher Grundlage erfolgen. Dabei muss man auch Belange des Datenschutzes berücksichtigen. Das ist in einer Verordnung geregelt. Schließlich haben wir den „Goldfinger“-Sparmodellen, die es ermöglicht haben, dass Steuerpflichtige durch den Kauf von Gold künstliche Verluste erzeugen und sich dadurch einer Besteuerung nach ihrer wahren Leistungsfähigkeit entziehen konnten, im Jahressteuergesetz den ersten Riegel vorgeschoben. Jetzt schieben wir dieser Gestaltung endgültig einen Riegel vor. Das zeigt übrigens, dass wir im Parlament immer, wenn wir erkennen, dass es missbräuchliche Gestaltung gibt, in der Lage sind, schnell zu reagieren. Das haben wir auch bei diesen Sachverhalten getan. Ich darf mich noch einmal bei Michael Meister und Minister Walter-Borjans bedanken. Wenn die nicht über den Sommer klug vorgearbeitet hätten, ({2}) könnten wir heute nicht einen so vorzüglichen Gesetzentwurf beschließen. Jetzt würde ich sagen, liebe Vertreter der Grünen: Gebt euch einen Ruck und handelt genauso verantwortungsbewusst wie die Grünen, die in den Landesregierungen beteiligt sind, und kartet hier nicht nach! Wir wissen schon, an wem es gelegen hat, dass wir das in der letzten Wahlperiode nicht mehr haben beschließen können. Aber jetzt solltet ihr einmal verantwortungsbewusst handeln, auch als Opposition, und diesem guten Gesetzentwurf eure Zustimmung nicht versagen. Herzlichen Dank. ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Ich danke dem Staatssekretär, insbesondere für die zusätzlichen, an das Präsidium gerichteten Erklärungen und Erläuterungen. Nächster Redner ist der Kollege Richard Pitterle, Die Linke. ({0})

Richard Pitterle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004129, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute ein Gesetz, das einen sehr langen Namen trägt, vereinfacht: AIFM-SteuerAnpassungsgesetz. Mit diesem Gesetz sollen einige Steuerschlupflöcher geschlossen werden. Das wird von allen Seiten betont. Der Finanzminister der nordrheinwestfälischen rot-grünen Regierung befürchtet sogar Milliardenverluste für den Fiskus, wenn das Gesetz heute nicht beschlossen wird. So weit, so gut. Aber was mir auffällt, ist, dass auch die Lobbyistenund Interessenverbände der Finanzindustrie dieses Ge156 setz wollen und man fast keine Proteste aus dieser Richtung wahrnimmt. Bei jeder klitzekleinen Regulierung des Finanzmarktes durch die verflossene schwarz-gelbe Koalition sah die Finanzindustrie eine Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands am Horizont. Ich frage mich: Warum hier nicht? Mit diesem Gesetz werden zwar Steuerschlupflöcher gestopft; aber Teile des Gesetzes ermöglichen der Finanzindustrie ein profitträchtiges Geschäftsmodell. Dort geht es um die betrieblichen Pensionskassen. Durch das Gesetz soll in Deutschland das sogenannte Pension Asset Pooling ermöglicht werden. Was bedeutet Pension Asset Pooling? Multinationale Konzerne wollen das Pensionsvermögen der weltweit für sie tätigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bündeln und gemeinsam verwalten. Alle gesammelten Beiträge für die Betriebsrente sollen also zentral angelegt, zentral verwaltet und zentral gesteuert werden. Mit dieser Bündelung wird zwar einerseits ein höheres Anlagevermögen erzielt, das zu höheren Zinssätzen angelegt sowie zu niedrigeren Kosten gemanagt werden kann; andererseits besteht die Gefahr, dass mit einer zentralen Anlagepolitik die Vermögensanlagerisiken stärker konzentriert werden. So werden Risiken aus Wechselkursschwankungen oder Anlageausfällen zulasten der Beschäftigten erhöht. Uns erscheint eine dezentrale Anlagepolitik weniger riskant, weil damit im Hinblick auf das gesamte weltweite Pensionsvermögen eine breitere und bessere Streuung der anzulegenden Mittel erreicht werden kann. ({0}) Bisher scheitert das weltweite Pension Asset Pooling in Deutschland an den bestehenden steuerrechtlichen Vorschriften. Zwar sehen wir auch, dass andere steuerrechtliche Regelungen Vorteile aufweisen könnten. Doch für wen? Sicher profitiert der Fiskus, wenn sich die multinationalen Konzerne mit dem gebündelten Vermögen dem Steuerregime im Lande unterwerfen. Aber auch die Finanzindustrie - das ist unübersehbar - reibt sich schon die Hände. Nach einer Untersuchung der Personalberatung Towers Watson betrugen allein die von den DAX30-Unternehmen angesammelten Pensionsvermögenswerte zum Jahresende 2012 circa 193 Milliarden Euro. Das Volumen aller für ein Pooling in Betracht kommenden Pensionsvermögenswerte ist noch erheblich größer, wenn man die übrigen deutschen Unternehmen sowie ausländische Unternehmen einbezieht. Die Linke sagt: Wenn es um die Pensionskassen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht, dann können die Geschäftsinteressen der Finanzindustrie nicht die entscheidende Leitlinie sein. ({1}) Daher können wir diesem Teil des Gesetzes nicht zustimmen. Wenn wir uns heute enthalten, dann deswegen, weil das Gesetz weitere Inhalte enthält, mit denen tatsächlich Steuerschlupflöcher geschlossen werden. Das betrifft zum Beispiel die Vermeidung von Steuerausfällen in einer möglichen Höhe von 15 Milliarden Euro, indem man auf die neue Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur unterschiedlichen Gewinnermittlung nach Handels- und Steuerrecht beim Verkauf von Betrieben reagiert. Hier soll und muss dringend das Schlupfloch möglicher Steuergestaltungsmodelle geschlossen werden. Schließlich soll durch das Gesetz die Möglichkeit unterbunden werden, mithilfe von Rohstoffkäufen, sogenannten „Goldfinger“-Geschäften, Steuern zu sparen. Mit diesen Geschäften hatten gut betuchte Menschen über Gold- und andere Rohstofffirmen nach britischem Recht ihre Steuerlast drücken können. Das soll künftig mit dem Gesetz unterbunden werden. Dem wollen wir nicht entgegentreten. ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist Dr. Thomas Gambke, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Thomas Gambke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004037, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Keine Frage: Die Verabschiedung dieses Gesetzes ist unabdingbar. Aber das Gesetz ist handwerklich einfach nicht in Ordnung. Ich werde Ihnen erläutern, warum wir uns nicht zu einer Enthaltung, sondern sogar zu einer Ablehnung entschieden haben. ({0}) - Weil wir nicht „hoffen“ wollen, Frau Arndt-Brauer, dass da etwas in Ordnung gebracht wird, wie Sie sich ausgedrückt haben, sondern angesichts des Volumens und der Bedeutung „wissen“ wollen. ({1}) Richtig, der Gesetzentwurf wurde in der 17. Legislaturperiode beraten; Frau Tillmann hat heute im Ausschuss darauf hingewiesen. Aber, Frau Tillmann, die SPD hatte ihn damals abgelehnt und der Bundesrat ebenfalls. ({2}) Der Gesetzentwurf ging dann in den Vermittlungsausschuss, und zwar aus gutem Grund: Er musste überarbeitet werden. Frau Arndt-Brauer hat das Problem gerade am Beispiel der stillen Lasten beschrieben. Es kamen noch andere wichtige Gesichtspunkte hinzu, zum Beispiel die „Goldfinger“-Regelung - darüber ist schon gesprochen worden -; aber es kam eben zu keiner Verabschiedung. Ich war im Vermittlungsausschuss dabei, als wir den zentralen Punkt „Asset Pooling“ und die neu einzurichtende Kommanditgesellschaft besprochen haben. Meine Damen und Herren von der Regierung, in diesem Punkt haben Sie versagt; ({3}) denn es hätte die Möglichkeit bestanden - und sie besteht noch heute -, diesen fraglichen Aspekt getrennt zu verhandeln und den Rest, der unsere Zustimmung finden würde, hier vorzutragen und zu verabschieden. Ich will erläutern, warum das so gefährlich ist - Kollege Pitterle hat darauf hingewiesen -: Das Volumen, über das wir hier reden, entspricht zwei Dritteln des Bundeshaushaltes. Wir reden also über mehrere Hundert Milliarden Euro, die in den Pools gesammelt werden. Wenn dann über eine transparente Besteuerung eine Steuergestaltung im Ausland ermöglicht wird - und in Ihrem eigenen Umdruck Nr. 8 erwähnen Sie diese Möglichkeit -, woraufhin der Bundesrat in seine Begründung schreibt, es seien möglicherweise keine Korrekturen, sondern neue gesetzliche Vorhaben notwendig, um die vorhandenen Löcher zu stopfen, dann kann ich nicht verstehen, dass Sie dieses Gesetz heute in der vorliegenden Form verabschieden wollen. ({4}) Herr Koschyk, ein Wort zum Thema Länder. Die Länder waren sich der Problematik bewusst. Angesichts des Volumens, um das es hier geht, haben die Länderfinanzminister gesagt: Bei einem möglichen Streit können wir den Streitwert nicht schultern; das heißt, im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung könnten wir nicht den Klageweg beschreiten, weil der Streitwert zu hoch ist. Deshalb müssen wir das wieder zurück in die Verantwortung der Bundessteuerverwaltung geben. - So ist das dann auch im Vermittlungsausschuss beschlossen worden. Das heißt: Nicht die Länder haben den Schwarzen Peter, sondern wir haben ihn wieder. Deshalb verstehe ich nicht, wie Sie aus Sicht des Bundes einer Übernahme der Risiken zustimmen können. ({5}) Ich will noch einen Punkt ansprechen, der erst kürzlich bekannt wurde und mich sehr betroffen gemacht hat. Es gibt Hinweise darauf - wir prüfen das zurzeit -, dass dieses Gesetz von einer internationalen Steuerkanzlei ausgearbeitet wurde. Dabei wissen wir doch, dass die Ausarbeitung eines Gesetzesvorhabens durch eine Kanzlei bedeutet, dass dieselbe Steuerkanzlei ihre Leistungen gleich an einen Konzern verkaufen kann, und da sie sich im Grunde genommen besser mit Steuerschlupflöchern auskennt als die Finanzverwaltungen, trägt sie dann möglicherweise dafür Sorge, dass nicht versteuerte Gewinne ins Ausland transferiert werden können. Ich kann einfach nicht verstehen, wie solch eine Gesetzesvorlage hier zur Abstimmung vorgelegt werden kann. Wie können Sie dafür Verantwortung übernehmen? ({6}) Der SPD kann ich nur sagen: Wir haben eine gewisse gemeinsame Verantwortung in Bezug auf die Hedgefonds. Warum haben Sie nicht aus den Fehlern gelernt? Wenn man einmal einen Fehler macht, dann ist das okay; aber Sie gehen ein zweites Mal ein so hohes Risiko ein. Ich verstehe nicht, wie Sie aus Ihrer Ablehnung auf einmal eine Zustimmung machen können. ({7}) Ganz zum Schluss möchte ich noch etwas zum Verfahren sagen. Es hätte die Möglichkeit gegeben, das Gesetz in einen funktionierenden Ausschuss einzubringen. Heute Morgen haben wir darüber geredet. Wenn Sie das Thema „Pension Pooling“ abgetrennt hätten, hätten wir im Übrigen schon im Sommer ein Gesetz gehabt - einschließlich FATCA, „Goldfinger“ und all den anderen Gestaltungsmöglichkeiten -, das wir hier in großer Einigkeit in Ruhe hätten verabschieden können. SPD und Union haben sich im Koalitionsvertrag sogar vorgenommen - ich habe es gestern gelesen -, ein Investmentsteuergesetz auf den Weg zu bringen. Warum, um Gottes Willen, haben Sie das nicht getan, sondern diesen kritischen Teil hineingebracht? Warum wollen Sie kein ordentliches Gesetz verabschieden? Diesem Gesetz können wir so nicht zustimmen. Vielen Dank. ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Es spricht jetzt Kollege Lothar Binding, SPD. ({0})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Auf die Verdächtigungen, die Thomas Gambke geäußert hat, möchte ich jetzt nicht eingehen. Ich glaube, wir warten ab, bis sie belegt sind. Es ist natürlich sehr schwierig, das hier zu reflektieren. Ich finde es auch schwierig, das an diesem Ort vorzutragen, ohne Belege vorzulegen. Die Praktiker in den Ländern, auch die Praktiker der Grünen, irritiert das; denn sie sehen das offenbar anders. Ich habe so ein bisschen den Eindruck, dass die Grünen ablehnen, weil die Zustimmung gesichert ist. Es ist verständlich, dass die Grünen diesen Gesetzentwurf ablehnen wollen, weil er möglicherweise Fehler enthält. Ich will gar nicht ausschließen, dass er Fehler enthält. Der Gesetzentwurf kann Fehler enthalten. Wir alle behaupten nicht, absolut fehlerfrei zu arbeiten. So selbstsicher sind wir nicht. Für die Korrektur von Fehlern gibt es aber die Möglichkeit der Novellierung. Die Grünen lehnen aber noch viel mehr ab - ich will nur die Stichworte nennen -: Sie lehnen auch die Regelungen gegen die internationale Gestaltung über Ausschüttungsreihenfolgen ab; sie lehnen die Regelungen gegen das Bond-Stripping ab; sie lehnen die Regelungen gegen die Gestaltung über Werbekostenabzugsregelungen ab; sie lehnen die Regelungen gegen die „Goldfinger“-Gestaltungen ab. Durch eine Ablehnung würden der internationalen Finanzindustrie Schlupflöcher ohne Ende geöffnet. Wollen Sie das? ({0}) Richard Pitterle hat gesagt, dass er den Aufschrei der Finanzindustrie vermisst. Ich finde, allein das Fehlen einer Beschwerde seitens der Industrie oder einer gesellschaftlichen Gruppe ist noch kein hinreichender Beleg dafür, dass ein Gesetzentwurf schlecht ist. Es könnte ja Lothar Binding ({1}) auch sein, dass der Aufschrei ausbleibt, weil große Teile in Ordnung sind. Was wollen wir mit dem Gesetz erreichen? Das ist ein Investmentfondsbesteuerungsgesetz. Jetzt kann man sagen: Das haben wir doch schon geregelt. Wo ist eigentlich das Problem? - Der eine Grund für diesen Gesetzentwurf ist eine europäische Regelung. Der andere Grund ist, dass wir klassische Fonds schon immer sehr vorsichtig besteuert haben, weil die Erträge ihrer Kunden an anderer Stelle besteuert werden. Der klassische Fonds sammelt Geld ein und investiert es. Dabei geht es aber nicht um ein Schiff oder die Filmindustrie. Der klassische Fonds ist auch kein Hedgefonds. Er engagiert sich nicht im Private-Equity-Bereich. Den grauen Markt wollen wir nicht schützen. Genau das ist das Problem, das wir heute lösen wollen: Wir wollen die guten Fonds in steuerlicher Hinsicht gewissermaßen schützen und die bösen erfassen. Die Grenze zwischen diesen beiden Seiten zu finden, ist natürlich extrem schwierig. Wo hört die reine Spekulation auf, und ab wann ist die Realwirtschaft betroffen? Ziel ist es, diese Grenze zu definieren. Wir haben ein kleines Problem. Mit dem Kapitalanlagegesetzbuch, das wir indiziert durch europäische Gesetzgebung aufgelegt haben - in diesem Zusammenhang kümmern wir uns um Hedgefonds und solche Sachen -, ist das Investmentgesetz aufgehoben worden. Jetzt ist es dummerweise so, dass sich das Investmentsteuergesetz auf dieses Investmentgesetz bezieht, das es aber nicht mehr gibt. Das heißt, wir haben ein Gesetz, das sich auf ein anderes bezieht, das es nicht mehr gibt. Jetzt hat der Bundesfinanzminister gesagt: Das ist ein Problem. Worauf beziehen wir uns, wenn es das Gesetz nicht mehr gibt? Wir legen ein BMF-Schreiben auf, also eine Richtlinie, die besagt, dass das Gesetz, das es nicht mehr gibt, doch noch in Kraft ist. ({2}) Das ist eine Hilfsmaßnahme, die zwar hilft, aber keine Rechtssicherheit schafft. Wir wollen aber Rechtssicherheit, eine vernünftige Basis für die Leute, die diese Gesetze anwenden. ({3}) - Genau, nach dem Stichwort „Rechtssicherheit“ hätte Applaus kommen müssen. Das ist nämlich ein Hauptziel, das mit dem AIFM-Steuer-Anpassungsgesetz verfolgt wird. Es soll die Lücke schließen und das BMFSchreiben, diese Richtlinie, überflüssig machen. Insofern hat dieser Gesetzentwurf heute Zustimmung verdient. ({4}) Man muss auch darauf hinweisen, warum heute Eile geboten ist. Man könnte doch sagen: Das machen wir nächstes Jahr. Die Antwort ist einfach: Es geht um große Beträge - das haben wir gehört -, und die meisten Kapitalerträge werden bekanntlich am Jahresende besteuert. Wenn wir dieses Gesetz nicht mehr in diesem Jahr verabschieden, dann hätten alle Gestaltungsmöglichkeiten, die ich eingangs genannt habe, für dieses Jahr Rechtsgültigkeit. ({5}) Die Steuererträge wären weg. Das wäre auch mit Blick auf die Ausgabenwünsche der Grünen schade. Wir wollen diese Steuereinnahmen sichern. Deshalb werden wir dieses Gesetz noch in diesem Jahr in Kraft treten lassen, damit das gesamte Jahr 2013 erfasst ist. ({6}) Deshalb steht auch in dem entsprechenden Paragrafen, dass es auf das Wirtschaftsjahr anzuwenden ist. Vielleicht noch eine ganz kleine Formalie: Wer die Begründung zu dem entsprechenden § 52 des Einkommensteuergesetzes liest, der findet etwas anderes. Dort steht nämlich: „anzuwenden … nach dem Tag der Verabschiedung“. Das ist ein kleiner Fehler, betrifft aber nur die Begründung. Das können wir heute nicht mehr korrigieren; dazu müsste ein Antrag gestellt werden. Wir wissen, dass wir die Begründung nicht beschließen und dass sich die Menschen bei der Gesetzesanwendung nicht auf eine Begründung beziehen, sondern auf das Gesetz, und im Gesetz steht es korrekt. Das wollte ich nur der Vollständigkeit halber auch für das Protokoll erwähnen; denn das ist für jemanden, der ein Gesetz puristisch liest, eine kleine Auffälligkeit. Jetzt schaffen wir eine Investmentkommanditgesellschaft, und man fragt sich, ob das klug ist oder nicht. Wir schaffen eine eigene Rechtsform, um letztendlich hier ein Problem zu lösen, das an einer anderen Stelle ziemlich kompliziert beschrieben ist. Die Antwort ist: Das ist deshalb nötig, weil wir für diese Fonds eine transparent zu besteuernde Gesellschaft brauchen. Was heißt eigentlich „transparent“? Transparent heißt ja durchsichtig. Solch ein Unternehmen sieht der Finanzminister nicht, weil dieses Unternehmen überhaupt keine Steuern zahlt, sondern der Finanzminister sieht nur den Menschen, dem dieses Unternehmen gehört; dieser muss dann Steuern zahlen. Beim Pension Asset Pooling - darüber haben wir heute schon viel gelernt - ist es so, dass bestimmte steuerliche Regelungen der USA in Deutschland nur für transparente Unternehmen gelten sollen. Deshalb wollen wir das einführen. Unsere Unternehmen sollen keine Nachteile dadurch haben, dass die USA für nicht transparente Unternehmen in Deutschland, zum Beispiel Körperschaften, diese Regel nicht zulassen. Um diese Regelungskonformität international zu etablieren, brauchen wir diese Kommanditgesellschaft, diese IKG. Ihre Schaffung ist natürlich insofern ärgerlich, weil sie vielleicht neue Schlupflöcher eröffnet. Deshalb wollen wir es nur auf diesen einen Anwendungsfall konzentrieren. Jetzt könnte man noch fragen: Warum macht ihr jetzt eigentlich so etwas Kompliziertes, ihr wollt das Investmentsteuerrecht doch sowieso im großen Stil korrigieren? Die Antwort ist, dass wir hier freundlich gegenüber denjenigen sind, die sich in diesem Metier bewegen. Deshalb greifen wir mit dieser Spezialregelung vor. Wir werden uns sicherlich vornehmen müssen, die InvestLothar Binding ({7}) mentbesteuerung in den nächsten Jahren noch einmal komplett anzugehen, natürlich europarechtskonform, das ist klar. Aber als Vorgriff auf diese globale Lösung ist das heute ein sehr guter erster Schritt. Ich hoffe, dass Sie mir da folgen können. Vielen Dank und alles Gute. ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die Kollegin Antje Tillmann, CDU/CSU. ({0})

Antje Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003646, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute Morgen darüber diskutiert, dass es schade ist, dass der Deutsche Bundestag jetzt schon seit mehreren Monaten in keinem geordneten Verfahren berät. Die Debatte zeigt, dass das nicht stimmt. Aber die Debatte zu diesem Gesetzentwurf zeigt auch, dass es auf keinen Fall an der künftigen Koalition liegt, dass in den vier Monaten, in denen keine regelmäßigen Sitzungswochen stattfanden, keine Gesetze verabschiedet wurden. Denn wir hätten im September dieses Jahres sehr wohl das AIFMSteuer-Anpassungsgesetz verabschiedet. Wir hatten drei Monate Zeit, diesen Gesetzentwurf zu verhandeln. Wir hatten eine erste, zweite und dritte Lesung im Bundestag. Wir hatten im Vermittlungsausschuss darüber beraten. Wir hatten einen Kompromiss, der heute in derselben Form wieder eingebracht wird, übrigens von der rotgrünen Landesregierung unterstützt, Herr Dr. Gambke. ({0}) Wir hätten den Bürgerinnen und Bürgern und den Kleinanlegern schon drei Monate früher die Rechtssicherheit geben können, die wir ihnen heute geben wollen. Herr Dr. Gambke, Sie sind der Einzige, den ich heute kritisieren darf. Mit den anderen sind wir ja künftig befreundet. ({1}) Diese Verzögerung hätten wir uns ersparen können. Von daher hoffe ich, dass wir jetzt auf dem Weg sind, diesen Gesetzentwurf zu verabschieden. Mein Kollege Binding hat deutlich gesagt: Die Rechtssicherheit hätte eigentlich zum 1. Juli 2013 schon bestehen müssen, Rechtssicherheit nicht in Bezug auf irgendwelche bizarren Finanzinstrumente, sondern für die Kleinanleger, für die Sparer, für diejenigen, die vielleicht ihre Altersvorsorge auch in Fonds investieren und über denen jetzt noch das Damoklesschwert der Besteuerung schwebt. Von daher ist es eilig. Ich glaube, es ist auch an der Zeit, dass wir uns entscheiden. Denn jedes Argument ist ausgetauscht, und wir haben, Gott sei Dank, heute in der Debatte nur die Kollegen, die die intensive Beratung im letzten Bundestag mitgemacht haben. Dieses Gesetz steht - das ist schon gesagt worden ganz extrem unter der Überschrift „Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuergestaltungen“. Wir gehen gegen Bond-Stripping vor; diese ganzen Steuergestaltungen haben ja schicke Namen. Wir verhindern, dass mit Invesmentfonds in Anleihen Zinsscheine und Anleihen auseinandergenommen und voneinander getrennt in verschiedenen Geschäftsjahren besteuert werden; denn diese Steuergestaltung führt zu Steuerverlusten. Dieser Umgehung schieben wir einen Riegel vor. Bond-Stripping ist mit dem Inkraftsetzen dieses Gesetzes nicht mehr möglich. Wir werden auch sicherstellen, dass nur die Werbungskosten abzugsfähig sind, bei denen Erträge in Deutschland versteuert werden. Diejenigen, die hier versteuern, dürfen damit zusammenhängende Aufwendungen natürlich abziehen. Aber wenn die Erträge in Deutschland steuerfrei sind, dürfen auch damit zusammenhängende Aufwendungen künftig nicht mehr die deutsche Steuer mindern. Das Gleiche machen wir bei der Ausschüttungsreihenfolge. Wir regeln im Gesetz erstmalig die Ausschüttungsreihenfolge, um sicherzustellen, dass Erträge nicht über Jahre durch dauerhafte Thesaurierung der Besteuerung entzogen sind und damit in der Finanzplanung des Finanzministers keine Rolle spielen. Herr Dr. Gambke, ich weiß nicht, ob dieser Gesetzentwurf von einer Rechtsanwalts- oder Steuerberatungskanzlei erstellt worden ist. Aber ich weiß, dass wir zumindest an zwei Punkten die Änderungsanträge selber formuliert haben: Die erste Frage lautete, ob wir OGAW genauso behandeln wie alternative Investmentfonds. Da haben wir nämlich noch eine Verschärfung in den Gesetzentwurf hineingebracht. Selbst OGAW müssen sich der Kontrolle unterziehen, ob der zugrundeliegende Zweck tatsächlich förderfähig ist. Bei der zweiten Frage ging es um die Möglichkeit, in erneuerbare Energien zu investieren; das dürfte ja eigentlich Ihre Zustimmung finden. Diese Möglichkeit haben wir in dem Gesetzentwurf zusätzlich geschaffen. Wir haben die Einschränkung selbst formuliert, dass die neue Investment-KG ausschließlich auf Pensionsvermögen anwendbar ist. Der ursprüngliche Gesetzentwurf war weitgehender. Da wir in den Beratungen die Möglichkeit erkannt haben, dass damit Steuergestaltungen vorgenommen werden, haben wir sie durch einen eigenen Änderungsantrag eingeschränkt. Herr Pitterle, Sie haben gesagt, Sie möchten nicht, dass Pensionsvermögen zentralisiert in einzelne Anlageformen fließt. Aber das ist ja gar nicht das Problem. Es ist nicht das Problem, welche Investitionen man mit diesen Anlagen tätigt, sondern wo sie verwaltet werden. Sie alle tun, was die Risiken betrifft, so, als würden PensionAsset-Fonds in der Welt nicht existieren. Doch, sie existieren schon jetzt. Sie existieren heute an der deutschen Steuer vorbei. Sie existieren heute an der deutschen Aufsicht vorbei. ({2}) Sie existieren als deutsches Altersvermögen, das ich sehr viel lieber unter deutscher Kontrolle und in deutscher Verwaltung hätte als in irgendeinem Schattenstaat, den wir überhaupt nicht kontrollieren können. ({3}) Aus meiner Sicht ist genau das Gegenteil richtig: Wir haben mehr Kontrolle über die Altersvermögen der Angestellten und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Unternehmen, indem wir es hier unter Aufsicht stellen. Wir haben ja schon im ersten Durchgang verabredet, dieses Modell selbstverständlich im Auge zu behalten. Jede größere Steuerrechtsänderung müssen wir nach einiger Zeit überprüfen. Wir müssen prüfen, ob die Folgen, die wir erwartet haben, auch eingetreten sind oder ob andere, schädliche Folgen eingetreten sind. Deshalb werden wir dieses Gesetz natürlich im Auge behalten und überprüfen. Wir haben die Möglichkeit des transparenten Informationsaustausches geschaffen. Das Wort „FATCA“ ist schon gefallen, der Begriff „Goldfinger“ schon erklärt worden. Frau Arndt-Brauer hat auch die Pensionsverpflichtungen angesprochen. Wir haben uns im Rahmen der Beratungen dieses Gesetzentwurfes auch mit zwei fachfremden Themen befasst, die heute noch nicht angesprochen worden sind. In der letzten Legislaturperiode haben wir in zwei Schritten den Grundfreibetrag angehoben. Wir haben die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland um 2 Milliarden Euro entlastet, indem wir den Grundfreibetrag an die Inflation angepasst haben. Wir wollten keine Steuern einnehmen, die nur durch eine verringerte Kaufkraft entstanden wären. Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir bei den Unterhaltsfreibeträgen nach § 33 des Einkommensteuergesetzes in gleicher Höhe auch diejenigen begünstigen, die andere Angehörige oder nahestehende Personen unterhalten. Das heißt, wir haben nicht nur diejenigen, die selber Steuern zahlen, entlastet, sondern wir entlasten auch diejenigen, die Hilfe leisten. Wir stärken damit Familien, den familiären Verbund und die Solidarität in den Familien. Zu einem letzten Punkt, der ein bisschen klein daherkommt. Wir haben für Brandunterstützungsvereine Sicherheit geschaffen. In ganz vielen - über 100 - Vereinen haben sich Firmen zu Brandunterstützungsvereinen zusammengetan, um sich gegen die Gefahr von Bränden abzusichern. Bei diesen Vereinen gab es hinsichtlich der Versteuerung große Unsicherheit. Auch für diese Vereine haben wir über einen Freibetrag Rechtssicherheit geschaffen, wir erkennen das Engagement zugunsten der Sicherheit von Betrieb und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern steuerlich an. Auch das ist ein Riesenvorteil dieses Gesetzes, auch darauf warten Vereine und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deshalb ist es gut und richtig, wenn wir dieses Gesetz heute verabschieden. Ich bin mir ziemlich sicher: Auch wenn wir das Gesetz in dieser Fassung noch vier Wochen weiter diskutieren würden, würde Herr Dr. Gambke trotzdem nicht zustimmen. Also spricht nichts dagegen, es heute zu verabschieden. Wir schaffen damit Rechtssicherheit für alle Bürgerinnen und Bürger. Danke. ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Hiermit schließe ich die Aussprache. Die Fraktionen der CDU/CSU, SPD und der Linken haben fristgemäß beantragt, gemäß § 80 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung ohne Ausschussüberweisung in die zweite Beratung einzutreten. Die zweite und die dritte Beratung sollen jetzt gleich im Anschluss erfolgen. Wir kommen jetzt zunächst zur Abstimmung über die Verfahrensweise in Form eines Geschäftsordnungsantrags. Zur Annahme dieses Geschäftsordnungsantrags ist wiederum eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder erforderlich. Deshalb frage ich jetzt zuerst - bitte Handzeichen geben -: Wer stimmt für den Geschäftsordnungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Eine Zweidrittelmehrheit ist gegeben durch Zustimmung der Mitglieder der CDU/CSU und der SPD und einem Teil der Linksfraktion bei Gegenstimmen der Grünen. Damit ist nach § 80 Abs. 2 der Geschäftsordnung diese Form der Abstimmung mit der erforderlichen Mehrheit angenommen. Wir treten daher unmittelbar in die zweite und die dritte Beratung ein. Zur zweiten Beratung liegt der Bericht des Hauptausschusses als Haushaltsausschuss nach § 96 Abs. 4 der Geschäftsordnung auf Drucksache 18/113 vor. ({0}) Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf auf Drucksache 18/68 ({1}) zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Zustimmung der Fraktion der CDU/CSU und der SPD und Gegenstimmen der Fraktion der Grünen und bei Enthaltung der Fraktion der Linken ist dieser Gesetzentwurf damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Zustimmung der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Linken ist dieser Gesetzentwurf damit angenommen. Ich gebe jetzt das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Vizepräsident Johannes Singhammer Abstimmung zum Antrag auf Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UNHybrid-Operation in Darfur, UNAMID, bekannt: abgegebene Stimmen 573. Mit Ja haben gestimmt 512. Mit Nein haben gestimmt 59. Enthalten haben sich 2 Mitglieder des Hauses. Der Antrag ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 571; davon ja: 511 nein: 58 enthalten: 2 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({2}) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. Andre Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({3}) Axel E. Fischer ({4}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich ({5}) Michael Frieser Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Astrid Grotelüschen Manfred Grund Oliver Grundmann Dr. Herlind Gundelach Monika Grütters Fritz Güntzler Christian Haase Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({6}) Mark Helfrich Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Andreas Jung ({7}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Dr. Katja Leikert Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Andreas Mattfeldt Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller ({8}) Stefan Müller ({9}) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({10}) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({11}) Anita Schäfer ({12}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt ({13}) Gabriele Schmidt ({14}) Patrick Schnieder Nadine Schön ({15}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster ({16}) Christina Schwarzer Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Tino Sorge Vizepräsident Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Matthäus Strebl Thomas Stritzl Thomas Strobl ({17}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Astrid Timmermann-Fechter Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({18}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg ({19}) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß ({20}) Sabine Weiss ({21}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({22}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner SPD Niels Annen Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({23}) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. Lars Castellucci Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier-Heite Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Michael Groß Uli Grötsch Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann ({24}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({25}) Gabriela Heinrich Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Christina Jantz Reinhold Jost Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Daniela Kolbe ({26}) Birgit Kömpel Dr. Hans-Ulrich Krüger Christine Lambrecht Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Katja Mast Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dietmar Nietan Ulli Nissen Mahmut Özdemir ({27}) Markus Paschke Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Florian Post Achim Post ({28}) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({29}) Susann Rüthrich Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({30}) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder ({31}) Udo Schiefner Ulla Schmidt ({32}) Matthias Schmidt ({33}) Dagmar Schmidt ({34}) Ursula Schulte Swen Schulz ({35}) Ewald Schurer Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Wolfgang Tiefensee Carsten Träger Rüdiger Veit Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Gülistan Yüksel Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Annalena Baerbock Marieluise Beck ({36}) Volker Beck ({37}) Ekin Deligöz Katharina Dröge Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Dr. Anton Hofreiter Dieter Janecek Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Oliver Krischer Christian Kühn ({38}) Renate Künast Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Irene Mihalic Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Vizepräsident Johannes Singhammer Cem Özdemir Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({39}) Corinna Rüffer Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Frithjof Schmidt Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. Andre Hahn Dr. Rosemarie Hein Andrej Hunko Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Michael Leutert Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Thomas Nord Harald Petzold ({40}) Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Sabine Zimmermann ({41}) Enthalten SPD Dr. Ute Finckh-Krämer Petra Hinz ({42}) Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 4 auf: - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes zum Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder und zur Änderung des Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetzes - Drucksache 18/69 - Bericht des Hauptausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 18/112 Wir haben heute Vormittag mit der nach § 80 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung erforderlichen Zweidrittelmehrheit beschlossen, jetzt in die zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes zum Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder und zur Änderung des Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetzes einzutreten. Der Bericht des Hauptausschusses als Haushaltsausschuss gemäß § 96 Abs. 4 der Geschäftsordnung liegt auf Drucksache 18/112 vor. Wir kommen damit unmittelbar zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf auf Drucksache 18/69 zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit Zustimmung aller Fraktionen angenommen. Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit mit Zustimmung aller Fraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Katja Kipping, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Mindestlohns ({43}) - Drucksache 18/6 Überweisungsvorschlag: Hauptausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kollege Klaus Ernst, Die Linke. ({44})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir bringen heute einen Gesetzentwurf ein, der wortgleich dem Gesetzentwurf ist, der vom Bundesrat am 1. März 2013 mit der Zustimmung der SPD, der Grünen und der Linken beschlossen wurde. Die Höhe des Mindestlohns wird in diesem Gesetzentwurf auf 8,50 Euro festgelegt. Wir wissen: Er schützt nicht vor Altersarmut. Ein Mindestlohn von 10 Euro wäre notwendig, um eine Rente zu erhalten, mit der man im Alter über der Grundsicherung läge, wenn man 45 Jahre lang zu einem solchen Lohn gearbeitet hätte. Wir bringen diesen Gesetzentwurf trotzdem ein, weil es hier im Deutschen Bundestag eigentlich eine Mehr164 heit dafür gibt. Die SPD, die Grünen und wir, wir alle haben im Wahlkampf massiv dafür geworben, einen entsprechenden Mindestlohn zu beschließen, und zwar im Gegensatz zu dem, was im Koalitionsvertrag vereinbart wurde - ich sage das hier gleich -, für alle und nicht erst ab 2017, sondern jetzt. Das steht im Gesetzentwurf des Bundesrates. ({0}) Wir haben hier eine Mehrheit dafür und könnten wirklich das Unwesen stoppen, dass Menschen trotz Vollzeitarbeit nicht von ihrem Lohn leben können und zum Amt gehen müssen, um aufzustocken. Ich sage Ihnen: Ich habe den Eindruck, dass die Wähler - auch die Wähler der Sozialdemokratischen Partei -, nachdem wir alle im Wahlkampf dafür geworben haben und auch dafür gewählt wurden, nicht verstehen, warum es hier im Deutschen Bundestag eine Mehrheit dafür gibt, diese Mehrheit aber offensichtlich nicht zum Tragen kommt und wir nicht rasch einen Mindestlohn für alle verabschieden. ({1}) Ich glaube, wenn es Schule macht, dass wir ohne Not trotz Mehrheit diese Mehrheit nicht realisieren und entsprechende Gesetze beschließen, dann bekommen wir irgendwann das Problem, dass sich die Leute fragen, warum sie eigentlich zur Wahl gehen, ({2}) wenn hinterher etwas ganz anderes herauskommt, als Sie in Ihren Wahlprogrammen vereinbart und den Wählern versprochen haben. Meine Damen und Herren, Sie haben jetzt die Möglichkeit, das zu korrigieren; das ist dringend notwendig. In den Koalitionsverhandlungen haben Sie zugestimmt, dass die Mindestlöhne von 8,50 Euro erst ab 2017 uneingeschränkt gelten. Das ist das Jahr, in dem die nächste Bundestagswahl stattfinden wird. Das ist die Position, die Sie vereinbart haben. Im Übrigen: Für wen gelten diese Mindestlohnregelungen erst ab 2017? Ausgerechnet für die, die gewerkschaftlich organisiert sind, weil Tarifverträge, in denen ein Lohn unterhalb der Grenze von 8,50 Euro vereinbart wurde, bis 2017 weiter gelten sollen. Wissen Sie eigentlich, was Sie hier machen? Ich weiß nicht, ob Ihnen das bewusst ist. Sie stellen damit Gewerkschaftsmitglieder deutlich schlechter als die anderen Beschäftigten. Für diese gilt der Mindestlohn. - Da brauchen Sie nicht mit dem Kopf zu schütteln. Lesen Sie doch einmal Ihren Koalitionsvertrag durch! Vielleicht hilft das in diesem Fall. Dann stellen Sie nämlich fest, dass für einen Teil der Beschäftigten der Mindestlohn ab 2015 und für die anderen erst ab dem 1. Januar 2017 gelten soll. Das bedeutet: Eine ungelernte Verkäuferin im Fleischerhandwerk in Sachsen-Anhalt erhält 5,53 Euro. Dieser Lohn gilt weiter. Der Tariflohn im Gaststättengewerbe im Saarland von 7,38 Euro gilt weiter. Wissen Sie eigentlich, was Sie da machen? Wissen Sie wirklich, was Sie da tun? Ich glaube das nicht. ({3}) Die CDU hat sich in dieser Frage möglicherweise durchgesetzt. Dabei tun Sie immer so, als ob Sie die Tarifautonomie retten wollten. Wenn Sie Gewerkschaftsmitglieder schlechterstellen als die übrigen Beschäftigten, dann retten Sie nicht die Tarifautonomie. Sie gefährden sie! Das ist das, was Sie wirklich wollen, meine Damen und Herren. ({4}) Eine weitere Formulierung lässt den Schluss zu, dass Sie im Übrigen Saisonarbeiter von einem Mindestlohn generell ausnehmen wollen. Es heißt im Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Dort steht nichts von der Würde des Deutschen. ({5}) Auch für ungarische, polnische oder sonstige Saisonarbeiter gilt das Grundgesetz. Von einem Lohn muss man anständig leben können. Unmöglich, was Sie da vereinbart haben. Und: Erst ab 1. Januar 2018 planen Sie eine erste Erhöhung der Mindestlöhne. Das bedeutet, dass der Mindestlohn von 8,50 Euro durch die Preissteigerung dann vielleicht nur noch 8 Euro wert ist. Damit erreichen Sie noch nicht einmal das, was Sie wirklich wollen, nämlich dass die Leute mit einer Arbeit nicht mehr aufstocken müssen. Viele werden zu diesem Zeitpunkt wieder zu Aufstockern werden, weil ihr Geld nicht reicht. Meine Damen und Herren, was als sozialdemokratisches Vorzeigeprojekt geplant war, ist ein purer Etikettenschwindel. ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich bin sofort fertig.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Ernst, ich wollte Sie nur fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen. Ich wollte nicht Ihre Redezeit beschneiden.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das finde ich sehr nett von Ihnen. Gerne lasse ich die Zwischenfrage zu. Wer möchte mir denn eine Zwischenfrage stellen?

Martin Patzelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004372, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Abgeordneter Ernst, ich will in Ihre Begründung hinein nur zu meiner Vergewisserung die Frage stellen: Würden Sie mit diesem Gesetzentwurf tatsächlich wissentlich das Risiko eingehen, dass Sie eine ganze Reihe von jungen Unternehmern und Dienstleistern in strukturschwachen Gebieten - ich weiß, wovon ich rede - in die Insolvenz treiben oder zur Aufgabe ihres Unternehmens zwingen? Würden Sie gleichzeitig, da Sie immer für die Arbeitnehmer eintreten, eine ganze Reihe, Hunderte, ja vielleicht Tausende Arbeitnehmer, die zumindest einen Teil ihres Lebensunterhaltes selber bestreiten und auch bestreiten wollen, dann in die völlige Abhängigkeit von Sozialtransfers schicken?

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Patzelt, danke für die Frage. Selbstverständlich wollen wir eines nicht, dass tatsächlich abhängig Beschäftigte durch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns ihren Job verlieren. Es gibt keine einzige Studie in dieser Republik oder in Europa, die den Zusammenhang herstellt, dass mit der Einführung eines Mindestlohns Arbeitsplätze verloren gehen. Keine einzige Studie! ({0}) Herr Kollege, Sie haben es wahrscheinlich nicht mitbekommen: Wir waren im letzten Jahr mit dem Ausschuss für Arbeit und Soziales in Österreich. ({1}) Dort gibt es einen faktischen Mindestlohn von 8,50 Euro. Die Arbeitslosigkeit, insbesondere auch die Jugendarbeitslosigkeit, hat in Österreich dasselbe niedrige Niveau wie hier, trotz eines faktischen Mindestlohns von 8,50 Euro. Es gibt also keinen Zusammenhang zwischen der Höhe des Mindestlohns und der Beschäftigung. Im Gegenteil, es gibt einen Zusammenhang, dass durch mehr Kaufkraft bei den Beschäftigten, die gegenwärtig 4 oder 5 Euro verdienen, die Nachfrage steigen könnte, was insbesondere dem Mittelstand und kleineren und mittleren Unternehmen zugutekäme. Das ist der Zusammenhang. Ich hoffe, dass Sie sich den einmal wirklich vor Augen führen. ({2}) Danke schön. Sie dürfen sich setzen. ({3}) Wollen Sie eine Zusatzfrage stellen? ({4})

Martin Patzelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004372, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Ihre Argumente stimmen: Warum wollen Sie das Ganze jetzt mit einer Hauruckaktion durchziehen, anstatt die Vereinbarung zwischen den Koalitionären abzuwarten und dann in einem kontrollierten Zeitraum mit abgefederten Folgen zu diesem Ziel zu kommen? ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Auch das ist eine schöne Frage. Weil wir seit vier Jahren, wenn nicht noch länger, in diesem Haus über die Mindestlöhne diskutieren. Weil inzwischen in ganz Europa um uns herum Mindestlöhne eingeführt worden sind - teilweise fast 10 Euro; in Frankreich sind es über 9 Euro - und weil die Leute es endlich satt haben, dass sie mit Billigstlöhnen abgespeist werden, von denen man nicht leben kann. Deshalb ist es Zeit, dass wir das endlich beenden. ({0}) Zum Schluss, meine Damen und Herren - das sage ich insbesondere der SPD -: Sie haben jetzt die Möglichkeit, vor Ihren Wählern nicht das Gesicht zu verlieren. Sie haben die Möglichkeit, Ihre Mitglieder mit dem, was Sie vereinbart haben, nicht in Verzweiflung zu treiben, und Sie haben vor allem die Möglichkeit, den Frauen und Männern, die offensichtlich bis zur nächsten Bundestagswahl 2017 warten müssen, bis sie einen vernünftigen Mindestlohn kriegen, jetzt vernünftige Löhne zu verschaffen. Das ist wichtiger als Ministerämter im Bündnis mit falschen Partnern und gegen Ihre Überzeugung zu stimmen. Danke fürs Zuhören. ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner für die Fraktion von CDU/CSU ist der Kollege Karl Schiewerling. ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Ernst, das war jetzt erhellend: Ihnen geht es um Mehrheit, uns geht es um Menschen. ({0}) Uns geht es darum, dass wir sachgerechte Lösungen finden. Denn in der Frage des Mindestlohns und der Frage der Gestaltung des Arbeitsmarktes geht es nicht nur um theoretische Lösungen, sondern in der Tat auch darum, wie was wirkt. Der neue Kollege aus Frankfurt/ Oder hat seine Situation geschildert, die er offensichtlich tagtäglich in den neuen Ländern erlebt. Wenn Sie mit Mindestlöhnen aus dem europäischen Ausland kommen: Natürlich haben wir in Österreich einen Mindestlohn - von Tarifpartnern gefunden. Natürlich haben wir in Frankreich einen Mindestlohn - mit der Konsequenz, dass die Jugendarbeitslosigkeit gestiegen ist. Natürlich haben wir in Bulgarien einen Mindestlohn. Er liegt, glaube ich, jetzt bei 98 Cent. Natürlich haben wir in den USA einen Mindestlohn. Er liegt bei 4,20 Dollar oder so. ({1}) Sie dürfen nicht ständig Birnen mit Äpfeln vergleichen. Ihr ganzes Ansinnen heute dient dazu, die SPD vorzuführen, um sie dazu zu bringen, sich hier sozusagen zu entblößen. Das ist Ihr Interesse. ({2}) Wenn es Ihnen wirklich um die Sache ginge, dann würden Sie mit anderen Argumenten kommen. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, einer der großen geistigen Väter der sozialen Marktwirtschaft, Professor Dr. Müller-Armack, lange Zeit, nämlich 13 Jahre lang, Abteilungsleiter und Staatssekretär bei Ludwig Erhard, hat 1946 in seinem Grundlagenwerk Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft geschrieben: Es ist marktwirtschaftlich durchaus unproblematisch, einen Mindestlohn einzuführen, solange der Gleichgewichtslohn nicht gestört wird. Das ist volkswirtschaftlich sauber. Wer stellt aber den Gleichgewichtslohn fest? Gleichgewichtslohn heißt, dass der Lohn nicht höher ist als die Produktivität. Wer stellt das fest? Der Deutsche Bundestag? Deswegen hat sich in Deutschland die Tarifautonomie entwickelt, und deswegen haben Tarifpartner sich zusammengetan, weil sie sagen: Wir kennen unsere Branche. Wir wissen genau, wie die Produktivität aussieht. Wir wissen genau, wie sich die Dinge entwickeln. - Das ist der Grund gewesen, warum sich die CDU in diesem Wahlkampf und in ihrem Wahlprogramm sehr deutlich für Mindestlöhne eingesetzt hat, und zwar für tarifliche Mindestlöhne, in Kenntnis dessen, dass die Marktzusammenhänge so sind, wie sie sind. Meine sehr verehrten Damen und Herren von den Linken, wenn ich mir Ihr Programm ansehe und es damit vergleiche, was wir in unserem Wahlprogramm mit unserem Mindestlohnkonzept und der Stärkung der Tarifautonomie durch die erleichterte Erstreckung der Allgemeinverbindlicherklärung, durch die Erweiterung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes für alle Branchen und andere Dinge mehr gefordert haben, will ich Ihnen sagen - das tut Ihnen vielleicht weh -: Wir haben für unser Programm 41,5 Prozent Zustimmung der Bevölkerung bekommen, und Sie sind unter 10 Prozent gesackt. ({4}) Deswegen rate ich Ihnen sehr dringend, sich bei all den Forderungen, die Sie hier äußern, zu fragen, ob Sie wirklich die Menschen erreichen und ihre Gefühlslage getroffen haben. ({5}) In der Tat, meine Damen und Herren: Wir haben in Deutschland in zwölf Branchen Mindestlöhne nach dem Entsendegesetz - übrigens alle unter CDU-Kanzlerschaft eingeführt - sowie im Bereich der Zeitarbeit, und wir wollen nach dem Koalitionsvertrag noch weiteren Branchen den Weg über das Entsendegesetz öffnen, damit sie auf diesem Weg konform mit den Tarifpartnern zu entsprechenden Lösungen kommen. Wir haben gemeinsam mit der SPD im vorliegenden Koalitionsvertrag in der Tat vereinbart - jeder weiß, dass wir keine Freunde dieser Lösung sind; aber Koalitionsvertrag ist Koalitionsvertrag -, dass es ab dem Jahre 2015 einen Mindestlohn gibt. Ab dem Jahre 2015 deswegen, weil sich beispielsweise Regionen und Branchen darauf einstellen müssen. Ich will Ihnen einmal ganz deutlich vor Augen führen, warum wir das so machen. Heute hat Spiegel Online die Nachricht verbreitet - ich bitte um Genehmigung, das kurz zu zitieren -: Ausgerechnet die „taz“ hat gerade erklärt, dass sie weder Mindestlohn für Volontäre noch Tarifgehalt für ihre Redakteure zahlen kann. Wie verträgt sich das mit dem Koalitionsvertrag? So fragt man sich dort: Wie sollen wir das hinbekommen, wenn die Volontäre bei uns zukünftig 8,50 Euro statt 5,50 Euro bekommen sollen? Sehen Sie, auch wir sind für gerechte Löhne. Deswegen haben wir mit unserem zukünftigen Koalitionspartner vereinbart, den Mindestlohn in Stufen einzuführen, sodass sich Branchen wie die oben genannte darauf einstellen können. Ich halte das für weitsichtig, für klug und für ein gutes Ergebnis der Koalitionsgespräche, in denen mühsam darum gerungen wurde - das gestehe ich ein -, wir aber am Schluss zu einem fairen Ergebnis gekommen sind, mit dem man leben kann. Das legt ganz nach Müller-Armack die Grundlage, dass die Menschen nicht hinten herunterfallen, die letztlich davon leben müssen. ({6}) Lassen Sie mich auf einen weiteren Irrtum hinweisen, den Sie, Herr Ernst, hier vorgetragen haben. Sie haben behauptet, man könne mit einem Mindestlohn die Aufstocker tatsächlich davor bewahren, in Zukunft auf Sozialhilfe angewiesen zu sein. Das ist purer Unfug. Wenn ein Aufstocker als Alleinverdiener 8,50 Euro Mindestlohn bekommt und drei Kinder zu versorgen hat, wird er weiterhin auf aufstockende Leistungen angewiesen sein. Sie glauben doch nicht im Ernst, allein über den Mindestlohn diese Probleme zu lösen. Die Regelung betreffend die Grundsicherung für Arbeitsuchende sieht vor, dass die Regelsätze und die Bedarfssätze so angepasst werden, dass beispielsweise die Inflation ausgeglichen wird und die Lebenshaltungskosten berücksichtigt werden. Wenn jemand wenig verdient und viele Kinder hat, wird er auch in Zukunft auf aufstockende Leistungen angewiesen sein. Ich sage Ihnen: Es ist nicht ehrenrührig, wenn der Staat den Familien hilft, in denen Vollzeit gearbeitet, Mindestlohn bezogen wird bzw. eine entsprechende tarifliche Absicherung vorliegt, das Geld aber trotzdem nicht reicht, im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihre finanziellen Ausgaben zu bestreiten. Ich glaube, dass wir im Hinblick auf die Zukunft insgesamt gut aufgestellt sind und dass wir mit dem vorliegenden Koalitionsvertrag in diesem Punkt eine gute Entscheidung getroffen haben, und zwar hinsichtlich der Gesamtheit der entsprechenden Regelungen. Dazu gehört, dass wir den Abschluss von Allgemeinverbindlicherklärungen erleichtern wollen. Das heißt, das 50-Prozent-Quorum wird wegfallen. Stattdessen muss die Allgemeinverbindlicherklärung im öffentlichen InteKarl Schiewerling resse geboten erscheinen. All das ist vernünftig ausgehandelt und passt zueinander. Die eigentliche Botschaft lautet: Wir wollen den Menschen helfen und dafür sorgen, dass es fair zugeht, als auch die Tarifpartnerschaft stärken. Das ist die eigentliche Überschrift. Dafür stehen wir ein. Ich halte das für den richtigen Weg. Herzlichen Dank. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege. - Schönen guten Abend von meiner Seite aus. Ich wünsche uns zwei angenehme Stunden. Die nächste Rednerin ist Andrea Nahles von der SPD. ({0})

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ab 1. Januar 2015 gilt in Deutschland ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro. ({0}) Damit verbessern wir sofort und auf einen Schlag das Leben von Millionen Menschen. Zurzeit haben 6,9 Millionen Menschen einen Stundenlohn von weniger als 8,50 Euro. Wir haben als SPD zusammen mit den Gewerkschaften und vielen anderen jahrelang für die Einführung eines Mindestlohns gestritten. Ich bin sehr glücklich, dass wir das jetzt durchgekämpft haben und dass nun der Mindestlohn kommt. ({1}) Wenn wir von einem Mindestlohn reden, dann meinen wir damit einen gesetzlich festgelegten Mindestlohn, der dynamisiert wird. Wir haben dafür eine Mindestlohnkommission geschaffen. Dann reden wir davon, dass er flächendeckend gilt, für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Damit sind junge Menschen in Ausbildung nicht gemeint, um auch das zu sagen. Die sind nämlich in einem Ausbildungsverhältnis. Dann reden wir davon, dass es keinen Unterschied zwischen West und Ost gibt, was uns sehr wichtig gewesen ist. Und dann reden wir davon, dass wir tatsächlich keine Ausnahmen zulassen; das heißt, er gilt auch für Minijobber und andere. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. ({2}) Wir haben aber - das hat Kollege Schiewerling richtig dargestellt ({3}) keine Veranlassung gesehen, in bestehende Tarifverträge einzugreifen. Es gibt zurzeit noch 41 Tarifverträge in Deutschland, die Tariflöhne unter 8,50 Euro vorsehen. Wir wollten jetzt nicht in das, was die Tarifpartner miteinander ausgehandelt haben, hineingrätschen. In vielen dieser Tarifverträge wurden ja übrigens auch Stufen verabredet, sodass die Löhne irgendwann, manche erst ab 2016, bei 8,50 Euro landen werden. Diese Tarifverträge sollen also die Chance haben, fortzubestehen. Wohlgemerkt, es gilt aber auch hier: Ab 31. Dezember 2016 ({4}) gilt überall, auch da, ein Mindestlohn von 8,50 Euro.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin Nahles, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen?

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, momentan nicht. Ich möchte jetzt weiter ausführen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Schlecht, dann wird nichts daraus.

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darüber hinaus lassen wir auch zu, dass noch neue Tarifverträge geschlossen werden. Warum auch nicht? Wir reden hier über Branchen und Regionen, in denen wir Tarifvertragswüsten haben, in denen die tarifvertragliche Abdeckung weniger als 40 Prozent beträgt. Warum sollten wir den Gewerkschaften jetzt nicht die Möglichkeit geben, neue Tarifverträge auszuhandeln, die zunächst weniger als 8,50 Euro vorsehen? ({0}) Es ist doch geradezu verrückt, daraus ein Problem zu machen. Das hat auch Michael Sommer, der das gestern kommentiert hat, klar gesagt - ich zitiere -: Wir sind bereit, in diese Verhandlungen hereinzugehen, um manchen Branchen zu ermöglichen, in den Mindestlohn hineinzuwachsen. - Herr Ernst, Sie haben das eben als großes Problem für die Gewerkschaften dargestellt. Die aber wollen das und haben genau diese tarifliche Ausgestaltung gewünscht. Deswegen kann ich mir nicht vorstellen, dass das eine Regelung gegen die Gewerkschaften ist. Nein, im Gegenteil, es ist eine Regelung mit den Gewerkschaften, die wir uns vorgenommen haben. ({1}) Wir müssen aber auch wirksame Kontrollen durchsetzen. Es darf uns nicht passieren, dass durch die Einführung von Mindestlöhnen Wettbewerbsverzerrungen entstehen, weil der eine Unternehmer sie zahlt, der andere aber nicht. Da haben wir eine ordnungspolitische Aufgabe vor uns. Das heißt auch, dass wir den Zoll, der dafür zuständig ist, entsprechend personell ausstatten müssen. Wir müssen vor allem auch sicherstellen - das ist eine wichtige Sache -, dass wir die Branchen, die sich das momentan noch nicht vorstellen können und Probleme sehen, in den Dialog integrieren. Wir haben nur gesagt: Wir wollen mit den Branchen, in denen es Anpassungsschwierigkeiten gibt, für die wir Übergangsregelungen brauchen, ins Gespräch kommen und Lösungen suchen; denn das Ziel muss doch sein, dass es nachher funktioniert, und zwar so, dass alle gut damit leben können und es den Menschen nutzt. Das ist der Anspruch, den wir in diesem Koalitionsvertrag niedergelegt haben. Das werden wir auch hinbekommen. Da bin ich sehr sicher. ({2}) Es ist ja schön, Herr Ernst, dass Sie Ihre Spielchen spielen und Gesetzentwürfe einbringen. Damit sind Sie von Ihrer Forderung nach einem Mindestlohn von 10 Euro ja sogar ohne Verhandlungen abgerückt. Sie schlagen ja in Ihrem Gesetzentwurf heute 8,50 Euro vor. Das finden wir klasse. Wir waren schon immer der Meinung, dass das eine vernünftige Lösung ist. ({3}) Wir vor allem haben kein Problem damit, dass das ein Kompromiss ist. Das ist nämlich etwas, was dazugehört, wenn man in einer Demokratie Mehrheiten bildet. ({4}) Das ist nichts, was mich belastet; das ist etwas, was ganz normal ist. Kompromiss bedeutet, dass man aufeinander zugeht. Aber das Entscheidende ist: Es ist ein guter Kompromiss geworden, vor allem für die Menschen in Deutschland. Das ist der entscheidende Punkt. ({5}) Ich möchte Ihnen sagen - das ist mir vor allem wichtig -, dass wir nicht nur den Mindestlohn regeln, sondern dass wir ein Gesamtpaket schnüren. Eine so deutliche Erleichterung der Allgemeinverbindlicherklärung, wie wir es uns hier vorgenommen haben, bedeutet, dass in Zukunft viele ganz normale Arbeitnehmer in Deutschland vielleicht wieder Weihnachtsgeld bekommen, 30 statt 24 Urlaubstage haben. Bisher ist es so, dass Arbeitnehmer da, wo es keine Tarifverträge gibt, das nicht haben. Wenn wir die Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung verbessern, dann tun wir auch für ganz viele Arbeitnehmer etwas, die mehr als den Mindestlohn verdienen. Wir wollen aber, dass es auch denen am Ende besser geht. ({6}) Es kann nicht in unserem Interesse sein, dass die Tarifpartnerschaft in Deutschland immer mehr unterhöhlt und zum Flickenteppich wird. Warum? Gerade in der Krise, die wir vor einigen Jahren erlebt haben, hat sich die Tarifpartnerschaft als Stabilitätsfaktor und Stärke unseres Landes erwiesen. Die Vorschläge, die wir hier erarbeitet haben, werden einen riesigen Beitrag zur Fortsetzung dieser Entwicklung leisten. Es wird ja öffentlich kritisiert, die Große Koalition stehe für viel Klein-Klein. ({7}) Mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro haben wir aber einen Durchbruch geschafft. Wenn das kein Meilenstein ist, dann frage ich mich: Was ist sonst ein Meilenstein? ({8}) Vielen Dank. ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Frau Kollegin. - Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Ernst zu einer Kurzintervention. Andrea Nahles, Sie haben anschließend die Möglichkeit, zu erwidern.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Nahles, ich habe den Eindruck, Ihr Beitrag orientierte sich an dem Lied, das Sie hier einmal gesungen haben: „Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt.“ ({0}) Ich möchte Sie darauf hinweisen, warum es in einigen Bereichen tatsächlich so schlechte Tarifverträge, die Sie jetzt auch noch fortschreiben wollen, gibt. Die Ursache dafür ist, dass Gewerkschaften dort noch Arbeitgeber gefunden haben, die bereit waren, oft äußerst schlechte Tarifverträge abzuschließen, um zumindest noch schlechtere Löhne zu verhindern. Die Gewerkschaften haben nie Tariflöhne in dieser Höhe gewollt. Kaum einmal kam in den Löhnen in diesen Bereichen die Leistungsfähigkeit, das Engagement der Beschäftigten zum Ausdruck. Jetzt habe ich eine Frage an Sie. Wie wollen Sie es eigentlich jemandem erklären, dass für einen Beschäftigten, der in keiner Gewerkschaft und nicht tarifgebunden ist, ab 1. Januar 2015 der Mindestlohn gilt, während er selber, der in einem anderen Betrieb der gleichen Branche, der womöglich auf der anderen Straßenseite liegt und in dem ein Tarifvertrag gilt, arbeitet, weniger Lohn bekommt, da die Neuregelung des Mindestlohns für ihn erst zwei Jahre später gilt? ({1}) - „Na und?“ Wenn das für Sie, Herr Kollege, kein Problem ist, dann müssten Sie wirklich einmal über Ihr Verhältnis zu den Gewerkschaften nachdenken. Im Ergebnis stellen Sie mit Ihrer Politik - ich bleibe dabei - die Gewerkschaften schlechter. Wenn Sie Gewerkschaftsmitglieder schlechterstellen als diejenigen, die nicht in einer Gewerkschaft sind, für die also kein Tarifvertrag gilt, dann ist das keine Beförderung, sondern eine Gefährdung der Tarifautonomie. Ich möchte, bitte schön, wissen, wie Sie das beschriebene Dilemma auflösen wollen? Was wollen Sie denn dem Arbeitnehmer sagen, der dieselbe Arbeit wie ein Kollege macht, aber durch Ihre Regelung ab 2015 weniger verdient? ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Nahles, zur Erwiderung, bitte.

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Ernst, erstens möchte ich, bevor hier Gerüchte aufkommen, einmal klarstellen: Durch diese Regelung wird niemand weniger als vorher verdienen. ({0}) Das Gegenteil ist der Fall. Zweitens. Ich möchte Ihnen sagen, dass wir ausdrücklich festgehalten haben, dass es um Verabredungen mit repräsentativen Tarifpartnern geht. Wir haben unsere Erfahrungen mit der Leiharbeit gemacht, als nicht repräsentative Gewerkschaften Dumpingtarife ausgehandelt haben. Dass das nicht mehr möglich ist, werden wir mit dieser Regelung klarstellen. ({1}) Drittens. Die Unternehmen konnten gegenüber den Gewerkschaften oft deshalb schlechtere Löhne durchdrücken, weil es in ganzen Regionen überhaupt keine Tarifstrukturen mehr gibt. Das ist vor allem in Ostdeutschland der Fall. Wenn wir das strukturell verbessern können, dann haben die Arbeitnehmer auf Dauer etwas von dieser Regelung. Als Letztes möchte ich Ihnen sagen, dass wir ganz sicher sind, dass wir es schaffen werden, die von mir hier bereits dargestellte Möglichkeit zur einfacheren Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen auch schnell durchzusetzen. ({2}) Was wir da machen, das muss man zusammendenken. Sie picken sich einen Punkt heraus. Es gibt aber ein Gesamtpaket. In der Kombination ist so eine deutliche Verbesserung da. Im Übrigen: Letzter Termin ist der 31. Dezember 2016, Herr Ernst. ({3}) Dann gilt das Günstigkeitsprinzip für alle bestehenden Tarifverträge, und dann haben wir einen Mindestlohn von 8,50 Euro überall. ({4}) Das ist der Zusammenhang. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. - Das Wort als nächste Rednerin hat Brigitte Pothmer von Bündnis 90/Die Grünen.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin, vielleicht darf ich zunächst sagen: Ich freue mich, dass ich unter Ihrer Amtsführung,

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich hoffe, das bleibt so.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- unter Ihrer großzügigen Amtsführung, von der ich auch zu profitieren hoffe, ({0}) heute hier meine Rede halten darf.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das wird Ihnen nicht auf die Redezeit angerechnet.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich will jetzt ganz deutlich sagen, Herr Ernst: Ich halte es für einen großen gesellschaftlichen Fortschritt, dass es zukünftig auch in Deutschland einen flächendeckenden Mindestlohn geben soll. ({0}) Ich halte es im Übrigen auch für einen Fortschritt - das sage ich einmal zur rechten Seite des Hauses -, dass es inzwischen offensichtlich doch Einigkeit darüber gibt, dass der Mindestlohn nicht der Untergang des Abendlands ist, sondern ein sinnvolles Instrument, um Lohndumping und Armutslöhne zu bekämpfen. ({1}) Aber, liebe Frau Nahles, ich habe mir den Koalitionsvertrag zu dem Thema natürlich sehr genau angesehen. Ich gebe zu: Da war eine ganze Menge Ernüchterung dabei. - Sie können nicht wegreden: Mindestens bei der Einführung des Mindestlohns haben Sie ein Zweiklassensystem. Für die einen gilt: Der Mindestlohn tritt 2015 in Kraft. Ich will an dieser Stelle sehr deutlich sagen: Ich halte es für notwendig, dass es eine Übergangsphase gibt; natürlich kann man einen Mindestlohn nicht von heute auf morgen einführen. Aber warum soll das, was für die einen Betriebe möglich ist, sich nämlich bis 2015 darauf einzustellen, für die anderen nicht möglich sein? ({2}) Frau Nahles, Sie werden gefragt werden. Wie wollen Sie es zum Beispiel den Beschäftigten des Wach- und Sicherheitsgewerbes, die nach einem repräsentativen Tarifvertrag 7,50 Euro verdienen, den Wäschereibeschäftigten, den Floristinnen, den Gärtnerinnen und den Tank170 warten erklären, dass sie noch zwei weitere Jahre für Dumpinglöhne arbeiten müssen? Ausgerechnet die - da hat Herr Ernst doch vollkommen recht -, die gewerkschaftlich organisiert sind, deren Betriebe sich unter dem Dach der Tarifvereinigung befinden, werden jetzt bestraft. Das ist ein Problem. Das können Sie nicht vom Tisch wischen. ({3}) Das ist keine Petitesse. Es ist auch keine kleine Gruppe. Es sind ungefähr 1 Million Menschen betroffen. Ich glaube nicht, Herr Schiewerling, dass Sie mit diesem Konzept Tarifverträge attraktiver machen. Wenn die Beschäftigten, die unter einen Tarifvertrag fallen, erleben, dass sie weniger verdienen als die, die in den sogenannten weißen Flecken arbeiten, dann macht es das nicht attraktiver, sich in diesem Bereich zu engagieren. ({4}) Einen weiteren Punkt finde ich problematisch. Sie frieren den Mindestlohn für vier Jahre ein. ({5}) - Genau. - Was heißt das denn konkret? Das heißt, dass der Mindestlohn 2018 real eigentlich nur noch 7,50 Euro beträgt. 2018 haben wir, was den realen Wert angeht, einen Mindestlohn von 7,50 Euro. Damit machen Sie aber Ihre eigene Argumentation kaputt. Sie haben gesagt, 8,50 Euro brauchen wir mindestens, damit ein alleinstehender Vollzeitbeschäftigter von seinem Lohn leben kann, ohne dass er zusätzlich Hartz IV bekommt. Wenn Sie den Mindestlohn so einfrieren, dann schicken Sie damit 2018 alle wieder in die Jobcenter. Das ist ein Problem. ({6}) Ich finde im Übrigen auch, dass Sie mit der Konstruktion der Mindestlohnkommission einen Riesenfehler begehen. Sie degradieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in dieser Kommission mitarbeiten sollen, zu stimmlosen Beratern. Das hat mit der Low Pay Commission, die es in England gibt und die für den Mindestlohn eine sehr große Akzeptanz geschaffen hat auch im Arbeitgeberlager -, überhaupt nichts mehr zu tun. ({7}) Wenn Sie die Mindestlohnkommission so lassen, wie Sie sie konzipiert haben, dann prognostiziere ich Ihnen, dass es zu den alten Grabenkämpfen zwischen Arbeitgeberlager und Gewerkschaften kommt, wie wir sie jetzt im Tarifausschuss haben. Das wird zum Stillstand führen. Das wird uns nicht weiterbringen. Deswegen müssen wir etwas tun. Sie verpfuschen mit diesem Konzept die Mindestlohnkommission. Das ist ein großer Fehler. ({8}) Jetzt hoffe ich auf das Gesetzgebungsverfahren. Ich hoffe, dass wir in diesem Gesetzgebungsverfahren tatsächlich die Chance erhalten, unsere guten, nachvollziehbaren und sachlichen Argumente einzubringen, Sie damit zu überzeugen. Ich verspreche Ihnen: Wenn es um einen guten Mindestlohn geht, dann machen wir jederzeit Überstunden. Ich danke Ihnen. ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Frau Kollegin, liebe Brigitte Pothmer. - Als nächster Redner hat das Wort Dr. Matthias Zimmer, CDU/CSU. ({0})

Prof. Dr. Matthias Zimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004192, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich gestehe, ich war sehr gespannt darauf, wie sich die Linke, diese Erben der geistigen Tradition eines Karl Marx, nun als stärkste Oppositionskraft im Deutschen Bundestag aufstellen würde. Würden wir intellektuelle Feuerwerke zu erwarten haben, tiefsinnige Einwände gegen eine Politik der Großen Koalition - dialektisch geschult -, zukunftsweisende Alternativvorschläge? ({0}) Als ich den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Mindestlohns in die Hand nahm, war ich dann doch etwas enttäuscht. Es ist eins zu eins der Gesetzentwurf der SPD aus der letzten Legislaturperiode, ({1}) also ein reines Plagiat. Nun ist ein Plagiat häufig ja auch Ausdruck einer besonderen Verehrung, ({2}) aber hier hatte ich eher den Eindruck: Es ist der Versuch, parlamentarische Spielchen zu treiben, wie ich sie im Deutschen Bundestag nicht vermutet hätte. ({3}) Und so drängt sich angesichts Ihrer Spielchen doch der Verdacht auf: Die einreichende Fraktion ist weniger in der intellektuellen Tradition von Karl Marx als in der Slapsticktradition von Groucho Marx. ({4}) Ich finde es schade, wie Sie dieses Thema missbrauchen. Das haben die Menschen, die auf Mindestlöhne angewiesen sind, nicht verdient. ({5}) Meine Damen und Herren, das Thema Mindestlohn hat uns in der letzten Legislaturperiode sehr beschäftigt. Ich darf an dieser Stelle an den verstorbenen Kollegen Ottmar Schreiner erinnern. Er hatte in einer seiner letzten Reden - auch zum Thema Mindestlohn - Adam Smith zitiert. Und Smith, dieser Stammvater des Kapitalismus, hatte in seinem Buch über den Wohlstand der Nationen - wohlgemerkt: den Wohlstand der Nationen, nicht den Reichtum Einzelner - den Begriff des gerechten Lohns geprägt. Smith hatte diesen definiert als einen Lohn, den ein Arbeiter braucht, um sich und seine Familie zu ernähren. Das Thema ist also schon über 200 Jahre alt. ({6}) Es ist im Übrigen auch in einer ganz ähnlichen Formulierung in der ersten großen Sozialenzyklika der katholischen Kirche von 1891 verwendet worden und seither auch eines der Schmuckkästchen christlich-sozialer Tradition. Smith war zwar Ökonom, aber er war auch - darauf hat Ottmar Schreiner ebenfalls hingewiesen - Moralphilosoph. Ihm war schon klar, dass der Markt kein Selbstzweck ist, sondern dass er auf den Menschen bezogen sein muss. Für Smith war deshalb klar: Der Mensch ist Mittelpunkt. Bei den modernen Ökonomen hat man bisweilen den Eindruck: Der Mensch ist Mittel. Punkt! Das kann und darf aber unser Anspruch in der Politik nicht sein. ({7}) Der Markt ist keine Naturgewalt, kein Schicksal. Er ist, mit einem Wort von Werner Sombart, die Kulturleistung des Menschen zur Daseinsvorsorge. Weil es eine Kulturleistung ist, muss der Markt auch geordnet werden und die Werte widerspiegeln, die uns wichtig sind. ({8}) Ich sehe schon manchmal mit Sorge, wie normativ blind die Vertreter der heutigen Volkswirtschaftslehre sind. Unter dem Bild des Homo oeconomicus, einer im Übrigen einzigen Beleidigung des Menschen, wird da Politik beurteilt in einer Art und Weise, der das hörende Herz völlig fehlt. Ich weiß beispielsweise nicht, worauf so mancher Ökonom seine Warnung gründet, ein Mindestlohn führe zum Abbau von Arbeitsplätzen. ({9}) Ich habe da zwei Einwände. Der erste Einwand ist ein moralischer. Professor Sinn hat einmal geschrieben, man müsse den Lohn nur weit genug fallen lassen, dann bekomme jeder eine Arbeit. Das mag ökonomisch richtig sein. Es ist aber zynisch und entspricht zumindest meinem Bild von einer Wirtschaft in einer Demokratie nicht. ({10}) Der zweite Einwand ist ein ökonomischer. Ich kenne keine wissenschaftliche Studie - Herr Kollege Ernst, Sie hatten das bereits in Ihrer Replik auf die Zwischenfrage erwähnt -, die einen Zusammenhang von Mindestlohn und Arbeitsplatzverlust schlüssig nachgewiesen hätte. Häufig ist sogar das Gegenteil der Fall. Deswegen rate ich dazu, gerade an dieser Stelle den sogenannten ökonomischen Sachverstand mit einer Prise Skepsis zu genießen. ({11}) Meine Damen und Herren, ich bin froh, dass wir zum Mindestlohn eine vernünftige Lösung gefunden haben, und ich wünsche mir, dass die intellektuelle Leistung der stärksten Oppositionspartei künftig in mehr bestehen möge als in der Aneignung fremder Leistung. Danke schön. ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Zimmer. - Als nächster Redner hat Hubertus Heil von der SPD das Wort. ({0})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin Claudia Roth! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Damen und Herren von der Linkspartei, es mag ja Parteien in diesem Hause geben, die ohne ein gesundes Feindbild gegenüber politischen Mitbewerbern nicht durch den Tag kommen. Ich finde, Ihre Rede und Ihre Art und Weise, wie Sie hier auftreten, entlarvt Sie selbst. Es geht Ihnen offensichtlich nicht mehr um die betroffenen Menschen, für die wir den gesetzlichen Mindestlohn einführen, sondern es geht Ihnen darum, Ihr Profilchen zu schärfen. Das ist aber billig und hat mit der Sache nichts zu tun. ({0}) Das mag zum einen damit zu tun haben, dass es Ihnen möglicherweise gefällt, Sozialdemokraten in Regierungsverantwortung wieder als Feindbild zu haben, und dass Sie so Ihre disparaten Truppen zusammenhalten können. Zum anderen mag das damit zu tun haben, Herr Ernst, dass Sie möglicherweise das Gefühl haben, dass Ihnen ein Thema, was Sie nie wirklich richtig besetzt haben, ganz abhandenkommt, weil Sozialdemokraten nicht dafür sorgen, dass das in Resolutionen steht, sondern dass es für den Menschen auch in das Gesetz kommt. ({1}) Hubertus Heil ({2}) Ich möchte an dieser Stelle einmal sehr deutlich sagen: Die Mutter des Erfolgs ist meine Kollegin Andrea Nahles. Liebe Andrea, ganz herzlichen Dank dafür. ({3}) Es ist der SPD unter der Leitung von Andrea Nahles gelungen, in der entsprechenden Arbeitsgruppe bei den Koalitionsverhandlungen dafür zu sorgen, dass zum 1. Januar 2015 für Millionen von Menschen der gesetzliche Mindestlohn endlich Realität wird. Um es deutlich zu sagen: Die kriegen mehr Geld. Sie tun ja gerade so, als würden sie weniger Geld bekommen. Das können Sie an dieser Stelle doch einmal anerkennen und sollten es nicht schlechtreden, wenn es Ihnen wirklich um die Menschen geht. ({4}) Zweitens. Ja, es gibt bis 2017 Übergangsregelungen. Wenn man allerdings genau in den Entwurf der Koalitionsvereinbarung schaut, erkennt man, dass dies nicht die Folgen hat, die Sie hier beschrieben haben. Sie haben behauptet, dass der Mindestlohn dann beispielsweise für ganze Berufsgruppen nicht gelten wird. Das stimmt nicht. Auch Minijobber bekommen dann den Mindestlohn. ({5}) Auch was die Saisonkräfte betrifft, sage ich Ihnen: Das, was Sie behaupten, stimmt nicht. Ich sage Ihnen etwas zu der Frage, wie es sich mit denjenigen verhält, für die zwischen 2015 und dem 31. Dezember 2016 tatsächlich noch abweichende Regelungen gelten: Das sind Menschen, bei denen es die Chance gibt, die Tarifbindung - gerade in Ostdeutschland - zu stärken. ({6}) Herr Ernst, Sie und ich sind Mitglied einer Gewerkschaft, der IG Metall. Ich frage Sie an dieser Stelle: Wundern Sie sich nicht zumindest darüber, dass Hartmut Meine, den wir beide gut kennen, den Mitgliedern meiner Partei bei dem anstehenden Mitgliedervotum eine Zustimmung empfiehlt, gerade aus dem Grund, dass wir, ausdrücklich im Interesse der arbeitenden Menschen in diesem Land, die Tarifbindung mit dem Gesamtpaket - mit dieser Regelung zum gesetzlichen Mindestlohn, übrigens auch mit den Rentenregelungen - wieder stärken? Das tun übrigens die Vorsitzenden aller DGB-Einzelgewerkschaften. Wollen Sie die für bekloppt erklären? Das frage ich an dieser Stelle einfach einmal unter Kollegen. ({7}) Haben Sie das Gefühl, dass die Führungen der Gewerkschaften keine Ahnung mehr von den arbeitenden Menschen in diesem Land haben? Wollen Sie die Gewerkschaftsbewegung in diesem Land diffamieren? Oder geht es Ihnen - das will ich Ihnen gar nicht unterstellen, weil Sie ein überzeugter Gewerkschafter sind - tatsächlich um das, was ich vorhin gesagt habe, nämlich darum, solch eine billige Aktion zu machen, die mit der Lebensrealität aber nichts zu tun hat? ({8}) Nachdem wir eben etwas über Philosophie gehört haben, sage ich Ihnen: Es gibt einen Maßstab für gute Politik, den Max Weber geprägt hat. Danach sind die drei Eigenschaften guter Politik die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen - das tun wir mit dieser Regelung, für die Menschen, die sie brauchen -, eine leidenschaftliche Überzeugung - in dieser Regelung steckt die sozialdemokratische Leidenschaft, dafür zu sorgen, dass Menschen, die hart arbeiten, davon leben können, die Leidenschaft, das Leben der Menschen konkret zu verbessern, die jetzt unter Armutslöhnen zu leiden haben sowie das notwendige Augenmaß im politischen Handeln. Augenmaß umfasst auch die Fähigkeit zu guten Kompromissen in der Demokratie. ({9}) Herr Kollege Ernst, ich spreche Ihnen eines nicht ab, nämlich dass Sie eine leidenschaftliche Überzeugung haben; das ist auch in Ordnung. Was Ihnen fehlt, ist jede Fähigkeit zur Übernahme von Verantwortung und jede Fähigkeit, das richtige Augenmaß für einen politischen Kompromiss zu finden. Das ist der Grund, warum Sie in der Opposition bleiben. ({10}) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Sozialdemokraten haben Wort gehalten: Es wird den gesetzlichen Mindestlohn geben. Wir sorgen dafür, dass Menschen, die hart arbeiten, von der Arbeit leben können. Wir sorgen dafür, dass vor allen Dingen eines in diesem Land wieder nach vorne kommt - denn unser Ziel ist nicht, dass Menschen vom Mindestlohn leben müssen; unser Ziel ist, dass die Menschen wieder anständige Löhne bekommen -: Mit der Regelung, die wir gefunden haben, stärken wir die Tarifbindung, also das, was die soziale Marktwirtschaft in diesem Land einmal ausgemacht hat, gerade auch in den Bereichen Ostdeutschlands, in denen sie nicht mehr Realität ist. Deshalb sage ich Ihnen: Wir sind stolz auf das, was wir durchgesetzt haben. Herzlichen Dank. ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Herr Kollege Hubertus Heil. - Ich gebe Michael Schlecht von den Linken das Wort zu einer Kurzintervention.

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Heil, ein Missverständnis muss man vielleicht gleich ausräumen: Ein Mindestlohn von 8,50 Euro ist natürlich ein Fortschritt, auch wenn die Linke meint, dass ein Mindestlohn von mindestens 10 Euro, eher noch mehr - vor allen Dingen in der ZeitMichael Schlecht achse, die hier angedacht ist -, notwendig ist. - Ich sage das nur, um diesen Punkt einmal klarzustellen. Viel wichtiger ist aber ein Punkt, auf den Sie jetzt nicht eingegangen sind und den Frau Pothmer schon thematisiert hat. Was sagen Sie eigentlich den Mitgliedern Ihrer Partei dazu, dass es zwar einen Mindestlohn von 8,50 Euro zum 1. Januar 2015 geben wird, aber in der Koalitionsvereinbarung festgelegt ist, dass der Mindestlohn von 8,50 Euro für mindestens drei Jahre festgeschrieben bleibt und möglichst erst Anfang 2018 korrigiert werden kann? Dabei ist vollkommen offen, wie der Mechanismus ausgestaltet wird, der regelt, ob es dann wirklich einmal mehr wird. Was sagen Sie, wenn das Mitglied fragt, warum Sie sich darauf eingelassen haben, dass dort drei Jahre nichts passiert? Ich war 20 Jahre lang Tarifpolitiker. Ich hätte nie einen Tarifabschluss getroffen, bei dem man sich für drei Jahre festlegt, und zwar im Lichte einer unabsehbaren Inflation. Wenn Inflation stattfindet, dann sind die 8,50 Euro im Jahr 2018 vermutlich nur noch so viel wert wie heute 7,50 Euro. Was sagen Sie Ihrem Mitglied, wenn es Sie fragt: Warum trefft ihr diese Festlegung für drei Jahre, wenn es gleichzeitig im Deutschen Bundestag eine Mehrheit dafür gäbe, einen Mindestlohn von 8,50 Euro zum 1. Januar 2015 ohne eine derartige Festlegung zu vereinbaren? Das ist doch wirklich ein großer Unterschied. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Hubertus Heil hat die Möglichkeit zu einer Antwort.

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Schlecht, auch Sie waren und sind in der Gewerkschaftsbewegung aktiv. Ich finde es ein bisschen schade, dass Sie nicht auf den Einwand eingegangen sind, dass beispielsweise die Führung sämtlicher Gewerkschaften des DGB unsere Vereinbarung unterstützt. Aber ich will Ihre Frage beantworten. Sie haben mich gefragt, was ich meinen Mitgliedern sagen würde. Erstens. Da ich meine Mitglieder kenne - in der Sozialdemokratie sind verantwortliche Menschen -, weiß ich, dass sie eines wissen: In Deutschland gibt es derzeit 1 Million Menschen, die weniger als 5 Euro in der Stunde verdienen. Mit der Regelung, die wir gefunden haben, ({0}) verbessern wir ab dem 1. Januar 2015 die Lebenssituation dieser Menschen auf einen Schlag. Darauf sind wir Sozialdemokraten stolz. ({1}) Zweitens. Ja, diese Übergangszeit ist ein Kompromiss, und zwar, wie ich finde, kein fauler, sondern ein angemessener. Wenn wir alleine auf der Welt wären, würden wir das vielleicht anders machen, das sage ich auch; aber der Kompromiss führt dazu, dass die Tarifbindung in unserem Land gestärkt wird. Es stimmt übrigens schlicht und ergreifend nicht, dass alle Tarifverträge bis zum 31. Dezember 2016 laufen; es gibt auch einige, die vorher auslaufen. Wir bekommen den Mindestlohn vor allen Dingen in den Bereichen, in denen wir ihn dringend brauchen: in den weißen Flecken nicht tarifgebundener Bereiche. Ich glaube - korrigiert mich, liebe Kollegen -, in Ostdeutschland arbeiten mittlerweile 40 Prozent der Beschäftigten in Bereichen, die keine Tarifbindung mehr haben. Wir sorgen dafür, dass auch sie zum 1. Januar 2015 auf einen Schlag den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro bekommen. Meine Antwort an Sie - Sie haben gefragt, wie meine Mitglieder das finden - ist deshalb: Meine Mitglieder wissen, dass wir das Leben von Millionen von Menschen zum 1. Januar 2015 konkret verbessern. Sie wissen, dass ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn kommt, dass es keine regionale Differenzierung mehr gibt und dass ab 2017 für ganz Deutschland endgültig der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro eingeführt wird. Frau Kollegin Pothmer, in diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen: Die Low Pay Commission wird dafür sorgen, dass die 8,50 Euro nicht das letzte Wort sind, sondern dass es im Laufe der Geschichte natürlich Anpassungen geben wird. Auf diese Leistung für die Menschen sind wir, wie gesagt, stolz. Herzlichen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Herr Kollege. - Als letzten Redner in dieser spannenden Debatte rufe ich Paul Lehrieder von der CDU/CSU auf. Sie haben das Wort. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mir ging es wie meinen Vorrednern. Als der Gesetzentwurf der Linkspartei eingebracht wurde, war mir völlig klar: Wir diskutieren über einen Mindestlohn von 10 Euro. Nichts anderes habe ich in den letzten Monaten hier in diesem Hohen Haus von Ihnen, Herr Klaus Ernst, und den Mitgliedern Ihrer Partei vernommen. Jetzt lese ich in Ihrem Gesetzentwurf in § 4: Der Mindestlohn beläuft sich auf mindestens 8,50 Euro brutto … Sie haben bereits erklärt, dass Sie - Copy and Paste - einen SPD-Antrag zugrunde gelegt haben. Aber bitte schön: Dann müssen Sie auch die Begründung überarbeiten. ({0}) Im dritten Absatz Ihrer Begründung schreiben Sie: Besonders betroffen von Stundenlöhnen unter 10 Euro sind in Deutschland Frauen. Wenn Sie also schon Anträge abschreiben, passen Sie wenigstens die Begründung an; sonst sieht man, welche Lohnhöhe diese Leistung wert ist. ({1}) Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe das Gefühl - Sie haben sich ja schon ein Stück weit entlarvt -, dass es Ihnen nicht um die Menschen in unserem Land geht. Ihnen haben Sie bis vor wenigen Wochen vorgegaukelt: Unter einem Stundenlohn von 10 Euro ist ein menschenwürdiges Leben nicht möglich. Jetzt kommen Sie, lieber Kollege Klaus Ernst, und sagen: 8,50 Euro reichen auch. Das ist doch Trickserei. - Frau Präsidentin, Herr Kollege Ernst will mir eine Frage stellen. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Wollen Sie antworten?

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, natürlich. Das ist abgesprochen, Frau Präsidentin; ich räume es ein.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ach, abgesprochen? Das könnten Sie mir ja vorher sagen. Dann kann ich mich darauf einstellen. - Herr Kollege Ernst, Sie haben also eine Frage.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Lehrieder, ich wollte nur darauf hinweisen: 8,50 Euro kommt vor 10 Euro. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

So weit kann ich auch rechnen. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, zur Volksschule müsste er vielleicht noch einmal gehen, dann würde er auch merken, dass es bei der Rente anders ist. Meine Damen und Herren, ich will noch einmal darauf hinweisen: 8,50 Euro ist eine Höhe, mit der gegenwärtig alle Parteien hier im Deutschen Bundestag einverstanden sind; letztendlich haben alle im Bundesrat einen entsprechenden Antrag gestellt, auch mit Zustimmung unserer Partei, die, wie Sie wissen, Regierungspartei in Brandenburg ist. Das bedeutet, wir hätten für diesen Gesetzentwurf eine Mehrheit, wenn sich jede Partei an das halten würde, was sie bei der Bundestagswahl gesagt hat, und an das, wofür sie selber im Bundesrat gestimmt hat. ({0}) Können Sie mir folgen, wenn ich sage, dass es aus Sicht eines Menschen, der einen Mindestlohn von 10 Euro für richtiger hält, durchaus akzeptabel ist, 8,50 Euro zu fordern, wenn man dafür eine Mehrheit hat, weil ja 8,50 Euro, wie gesagt, vor 10 Euro ist und das deshalb ein richtiger Schritt wäre? Das ist unsere Position, die wir hier eingebracht haben, Herr Lehrieder. Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land fragen sich doch Folgendes: Wenn es im Bundestag jetzt eine Mehrheit dafür gibt, einen Mindestlohn von 8,50 Euro einzuführen, und zwar ohne Ausnahme und nicht erst ab 2017, warum führt man ihn dann nicht einfach ein? Wir haben sie doch deswegen gewählt. - Können Sie sich das vorstellen?

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege, ich stelle eine Gegenfrage: Wofür stehen Sie jetzt eigentlich? Stehen Sie für einen Mindestlohn von 10 Euro, den Sie noch vor wenigen Wochen für richtig gehalten haben, ({0}) oder ist ein Mindestlohn von 8,50 Euro aus Ihrer Sicht inzwischen ausreichend? Herr Kollege Ernst, ich unterstelle Ihnen schlicht und ergreifend, dass Sie jetzt einen Mindestlohn von 8,50 Euro fordern, um unsere neue Lebensabschnittsgefährtin ein bisschen zu ärgern, ({1}) um die SPD ein bisschen in die Bredouille zu bringen, und nicht aus Überzeugung. ({2}) Lieber Kollege Klaus Ernst, nicht lachen, hören Sie mir lieber zu; das ist wichtig. Wenn es Ihnen um die Menschen gegangen wäre, dann hätten Sie weiterhin 10 Euro gefordert. Ich stelle fest: Die Linkspartei hat das Ziel eines Mindestlohns in Höhe von 10 Euro zumindest vorübergehend aufgegeben - Punkt. Das ist der Erkenntnisgewinn dieses Abends. ({3}) Sie können sich setzen, Herr Ernst. Viel mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich persönlich kein großer Fan eines politisch festgesetzten Mindestlohns bin und gerne bei unserem bisherigen, bewährten Modell geblieben wäre, nach dem die Lohnfindung allein Aufgabe der Tarifpartner war. Nicht mit einem politischen Mindestlohn, sondern mit einer marktwirtschaftlich organisierten Lohnuntergrenze sind wir in den letzten Jahren gut gefahren, wie die arbeitsmarkt- und die sozialpolitische Bilanz der unionsgeführten Bundesregierung ganz deutlich zeigt. Wir haben es trotz Krise geschafft, die Arbeitslosigkeit zu halbieren. Wir haben es sogar geschafft, sie unter die 3-Millionen-Marke zu bringen. ({4}) - Auch die Politik, Frau Kollegin Müller-Gemmeke. Klar ist allerdings auch, dass man in einer Koalition Kompromisse eingehen muss, insbesondere dann, wenn die Vorstellungen sehr weit auseinanderliegen, wie das bei der Festsetzung von Lohnuntergrenzen der Fall war. Ich denke, wir haben mit dem gestern präsentierten Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD einen guten und vor allem fairen Kompromiss gefunden, mit dem wir dafür Sorge tragen, dass es den Menschen in unserem Land besser geht und neue Chancen entstehen. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn eine Herzensangelegenheit unseres Partners ist. Unter Führung unserer Arbeitsministerin Frau von der Leyen haben wir mit der sogenannten Low Pay Commission, der Lohnfindungskommission - ich möchte ein gutes deutsches Wort dafür benutzen -, eine Möglichkeit zur Stärkung der Tarifvertragsparteien gefunden. Zum 1. Januar 2015 soll es einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro geben. Die Höhe des jeweiligen Mindestlohns wird von einer Kommission bestehend aus jeweils drei Vertretern von Gewerkschaften - das sollte Sie freuen, Herr Ernst und Arbeitgebern plus einem Vorsitzenden in regelmäßigen Abständen geprüft, gegebenenfalls angepasst und sodann mittels einer Rechtsverordnung staatlich erstreckt und somit allgemeinverbindlich. Jede Partei kann zusätzlich einen wissenschaftlichen Berater für die Mindestlohnkommission benennen, der jedoch kein Stimmrecht erhalten wird. Mit seinem Sachverstand soll er die Arbeit der Lohnfindungskommission begleiten. Ich sage aber auch ganz deutlich, dass durch die Einführung eines Mindestlohns keine Arbeitsplätze verloren gehen dürfen. Hierfür hat sich die Union mit aller Kraft eingesetzt, und das wird sie auch zukünftig tun. Frau Nahles, Sie haben ausgeführt, dass wir eine Regelung wollen, die allen Menschen nutzt. Dabei müssen wir auch an die denken, die möglicherweise durchs Raster fallen, wenn der Mindestlohn zu schnell eingeführt wird und deswegen in manchen Regionen oder Branchen tatsächlich Arbeitsplätze vernichtet werden. Wir sollten deswegen genau hinsehen, wenn wir in das Gesetzgebungsverfahren einsteigen. Ich bitte in diesem Zusammenhang um die konstruktive Mitwirkung der Freunde von der Linkspartei. Mal sehen, was Sie da Gutes einbringen können. ({5}) Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens werden wir einige Aspekte zu berücksichtigen haben: Die Einführung eines bundesweiten Mindestlohns ohne regionale Ausnahmen bereitet mir insbesondere mit Blick auf die ostdeutschen Länder große Sorgen. Meiner Ansicht nach besteht die Gefahr, dass zahlreiche Arbeitsplätze wegfallen. Denn in den neuen Bundesländern arbeitet bekanntermaßen ein Viertel der Menschen für weniger als 8,50 Euro pro Stunde; im Westen sind es lediglich 12 Prozent. Auch bei unserer europaweit gelobten dualen Ausbildung müssen wir ganz genau hinschauen. Da Lehrlinge derzeit im Schnitt zwischen 670 und 740 Euro im Monat verdienen, sehe ich die Gefahr, dass Schulabgänger sich zunächst kurzfristig einen Mindestlohnjob suchen, bei dem sie pro Stunde mehr als das Doppelte verdienen, statt eine Ausbildung zu beginnen. Auch dieses Risiko, diese Gefahr sollten wir in der Gesetzgebung berücksichtigen. Wir sollten darüber nachdenken und uns insofern hier auch ehrlich machen. Schwierigkeiten können sich auch im Bereich der Werkverträge oder bei den sogenannten Niedriglöhnern ergeben, die nicht zu einem festen Stundenlohn arbeiten. Hier besteht die Gefahr, dass der Mindestlohn umgangen wird und die Schwarzarbeit zunimmt. Durch den nun erstmalig kommenden einheitlichen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn verlieren die Tarifparteien - dies wurde bereits angesprochen bedauerlicherweise an Einfluss. Das sollte auch Ihnen Sorge machen. ({6}) Allerdings konnten wir in den Verhandlungen erreichen, dass es den Tarifpartnern bis Ende 2016 weiterhin möglich ist, Übergangsfristen festzulegen, und dass derzeit geltende Tarifverträge bis dahin fortgelten. Das heißt konkret, dass die Tarifpartner bis zur endgültigen Einführung des Mindestlohns auch Abschlüsse vereinbaren können, die unter 8,50 Euro liegen. Von den Vorrednern wurde bereits darauf hingewiesen. Unsere neue Vizepräsidentin gibt mir ein Zeichen, dass ich allmählich zum Ende kommen muss. - Ich bitte alle Wohlmeinenden, alle, denen es um die Menschen im Land geht, beim anstehenden Gesetzgebungsverfahren konstruktiv mitzuwirken. Wir werden schon etwas Gescheites herauskriegen. Herr Ernst, Frau Nahles, das werden wir schon hinbekommen. Herzlichen Dank. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön, Herr Kollege. Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/6 an den Hauptausschuss vorgeschlagen. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Ich sehe und höre nichts. Das ist also nicht der Fall. Damit ist die Überweisung zur gro- ßen Freude der Kollegen bei der Linkspartei so beschlos- sen. Vizepräsidentin Claudia Roth Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Risiko und Haftung zusammenführen - Gläu- bigerbeteiligung nach EZB-Bankentest si- cherstellen - Drucksache 18/97 - b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gemeinsam die Haftung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler beenden - Für einen einheitlichen europäischen Restrukturierungsmechanismus - Drucksache 18/98 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre einiges, aber dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich gebe das Wort Dr. Gerhard Schick von Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat diesen Tagesordnungspunkt heute beantragt, weil auf europäischer Ebene gerade ein Thema von enormer Wichtigkeit verhandelt wird und wir uns als deutsches Parlament - Regierungsbildung hin oder her - dringend damit beschäftigen müssen. ({0}) Ich zitiere Yves Mersch, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank: Das Projekt Bankenunion ist das vielleicht größte und wichtigste seit Gründung der Europäischen Währungsunion. - Ich finde, das kann man genau so sagen. Denn es geht um nicht mehr und nicht weniger als den Schutz der Steuerzahler vor erneuten Milliardenrisiken in Form der Übernahme von Bankschulden, die eigentlich mit dem Steuerzahler nichts zu tun haben sollten. Über fünf Jahre nach der Lehman-Pleite ist es immer noch nicht gesichert, dass, wenn eine Bank wackelt, nicht der Steuerzahler in die Pflicht genommen wird. Daran muss sich endlich etwas ändern. Wir in Deutschland haben das bei der Commerzbank, der IKB und der Hypo Real Estate erlebt, und das gilt auch in Europa. Unsere Fraktion hat einmal nachrechnen lassen, wie viel Steuerzahlergeld umsonst - besser gesagt: fälschlicherweise - aufgewendet wurde, um Bankschulden in Europa zu übernehmen. Das Ergebnis: Allein bei sieben Bankenrettungen hätten über 35 Milliarden Euro Steuergelder in Zypern, in Spanien und in Griechenland gespart werden können. Spanien hätte wahrscheinlich kein Rettungsprogramm gebraucht. Wir wollen, dass das nicht noch einmal vorkommt. ({1}) Die Europäische Union hat das ja auch erkannt. Seit Mitte 2012 stehen das Projekt Bankenunion und das Thema Bankenabwicklung fest auf der Agenda. Während hier die Regierungsbildung stattfindet, während hier das Parlament noch gar nicht richtig arbeitsfähig ist, verhandelt der Bundesfinanzminister auf europäischer Ebene natürlich weiter über dieses Projekt. Insbesondere an zwei Punkten gilt es jetzt nachzusteuern, weil er da auf dem falschen Pfad ist, und das kann teuer kommen. Wir haben zwei Anträge eingebracht, die genau diese zwei Punkte behandeln. Der erste Aspekt ist folgender: Wir brauchen eine Trennung zwischen Banken und Nationalstaaten, weil diese Verknüpfung dazu geführt hat, dass, wenn eine Bank wackelt, die Schulden auf den Staat übertragen werden. So weit sind sich eigentlich alle einig. Doch im Koalitionsvertrag findet man dazu nur wackelige Formulierungen wie: „Künftig soll da etwas gemacht werden“ oder: „Perspektivisch soll es einen Restrukturierungsfonds geben“, und man versteckt sich erneut hinter rechtlichen Fragestellungen. De facto heißt das: Deutschland steht beim wichtigen Projekt eines europäischen Abwicklungsfonds, den die Banken finanzieren, auf der Bremse. Das ist falsch. ({2}) Zweitens ist es falsch, dass die Entscheidung über die Abwicklung einer Bank nach dem Vorschlag des Bundesfinanzministers von den nationalen Regierungen zu treffen ist. Man muss doch daraus lernen, dass genau diese Art von Verhandlungen zwischen den Regierungen in der Vergangenheit erst zu diesen Milliardenlasten geführt haben. Wir brauchen endlich eine Institution in Europa, deren klarer gesetzlicher Auftrag es ist, den Steuerzahler vor neuen Lasten, die aus der Bankenrettung resultieren, zu schützen. ({3}) Es ist Eile geboten, jetzt den Steuerzahler zu schützen. Denn aufgrund des Stresstests der Europäischen Zentralbank wird sich schon sehr bald die Frage stellen: Was machen wir, wenn neuer Kapitalbedarf besteht? Der Ministerrat, der Ecofin, hat unter Mitwirkung der noch amtierenden Bundesregierung vor zwei Wochen die Risiken für den Steuerzahler ganz nebenbei deutlich erhöht. ({4}) Noch im Sommer dieses Jahres sagte uns Staatssekretär Steffen im Rahmen einer Beratung im Finanzausschuss, bevor der Steuerzahler in die Pflicht genommen werde, müssten erst einmal mindestens 8 Prozent der Bilanzsumme von den Gläubigern getragen werden. ({5}) In dem neuen Ecofin-Beschluss ist dieser Punkt nicht mehr enthalten. ({6}) An genau dieser Stelle haken wir ein und sagen: Hier muss nachgesteuert werden. Es muss sichergestellt werden, dass als Erstes die Gläubiger zahlen müssen und nicht wieder auf den Steuerzahler Rekurs genommen wird. - Wenn man hinterher jammert, ist es zu spät. Jetzt ist es an der Zeit, die Bedingungen richtig festzulegen, damit nicht erneut die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Europa in die Pflicht genommen werden. Das ist unser Ziel. Danke schön. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön, Herr Kollege. Sie haben Ihre Redezeit gar nicht ausgeschöpft; das kenne ich sonst anders. ({0}) Nächster Redner ist Ralph Brinkhaus für die CDU/CSU. ({1})

Ralph Brinkhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004021, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Bundestagspräsidentin! Vielleicht geht die Redezeit, die nicht ausgenutzt wird, ja an Sie über. Aber ich glaube, das ist nicht der Fall. Herr Schick, Sie haben ganz richtig gesagt, dass der Zweck dieser Debatte wahrscheinlich nicht Ihre Anträge sind - sie halte ich nämlich für überflüssig -, sondern die Tatsache ist, dass sich die Welt zwischen Bundestagswahl und Koalitionsbildung weitergedreht hat. Während sich die Welt weitergedreht hat, haben sich auch die Finanzmärkte weitergedreht. Auch die europäische Gesetzgebung hat sich weitergedreht. Das heißt, es sind wichtige Entscheidungen getroffen worden. Wir sind bei dem für den Verbraucherschutz so wichtigen Thema MiFID weitergekommen. Wir sind bei dem für die Versicherungen so wichtigen Projekt Solvency weitergekommen. Wir sind bei der zweiten Etappe im Hinblick auf die Bankenunion auf der Zielgeraden. Insofern ist es gut und richtig, dass sich der Deutsche Bundestag hier und heute zu diesem Thema positioniert. ({0}) Wenn man in die 17. Legislaturperiode zurückblickt und sich die letzten vier Jahre vor Augen führt, stellt man fest: Wir haben mehr als 30 Gesetze und Initiativen auf den Weg gebracht, um die Finanzmärkte zwar nicht zu bändigen, sie aber ein wenig sicherer zu machen. Wir haben dafür gesorgt, dass die Finanzinstitutionen weniger Risiken eingehen. Wir haben dafür gesorgt, dass die Risikotragfähigkeit steigt. Wir haben dafür gesorgt, dass wir, zumindest auf nationaler Ebene, vernünftige Aufsichtsstrukturen bekommen. Wir haben einen Restrukturierungsmechanismus erarbeitet. Wir haben ziemlich viel für den Verbraucherschutz getan. Meine Damen und Herren, wenn Sie sich ansehen, was im Koalitionsvertrag niedergelegt ist, stellen Sie fest, dass dieser Weg weitergegangen wird und sich eigentlich gar nicht schrecklich viel geändert hat. Wir werden damit leben müssen, dass unsere - wie hat es Paul Lehrieder eben genannt? - neue Lebensgefährtin - ich hoffe nicht, dass sie unsere neue Lebensrestbegleiterin ist ({1}) - unsere Lebensabschnittsbegleiterin, genau - sicherlich auch beim Thema Bankenregulierung einige sozialdemokratische Akzente mit einbringen wird. Das heißt, die Regelungen werden ein bisschen anders ausgestaltet. Aber die Grundlinie wird gleich bleiben. In der letzten Legislaturperiode haben wir ja erkannt, dass die Unterschiede nicht so groß waren, und das ist auch gut so. Im Rahmen der Regulierung haben wir festgestellt, dass der nationale Gesetzgeber an Grenzen stößt. Wir haben das festgestellt, als wir in einem nationalen Alleingang Leerverkäufe verboten haben; wir waren froh, dass man das auf europäischer Ebene nachvollzogen hat. Wir haben das festgestellt, als wir als eines der ersten Länder den Hochfrequenzhandel reguliert haben; es ist gut, dass das auch in der MiFID nachvollzogen wird. Wir haben das festgestellt, als wir als eines der ersten Länder ein Trennbankengesetz auf den Weg gebracht haben. Ich glaube, das wird unter Berücksichtigung der Liikanen-Vorschläge auf europäischer Ebene noch viel wirkmächtiger. Wir haben festgestellt, meine Damen und Herren, dass das Restrukturierungsgesetz, das wir gemacht haben, bestenfalls für größere national tätige Banken reicht, aber nicht für international tätige Banken. ({2}) Das ist auch ganz normal, meine Damen und Herren: weil Finanzmärkte an nationalen Grenzen nicht haltmachen. Die meisten Finanzinstitutionen agieren überregional und über nationale Grenzen hinweg. Selbst Finanzinstitutionen, die innerhalb nationaler Grenzen arbeiten, haben ein Schadenspotenzial, das über Landesgrenzen hinausreicht. Wir haben das in Spanien gesehen: Die Caixas - wahrlich nicht große Institute - hatten die Welt mit Produkten beglückt, die Schwierigkeiten machten. Das führte dazu, dass Spanien unter den ESM-Schirm schlüpfen musste. Insofern ist es gut und richtig, zu sagen: Wir haben gelernt, wir brauchen internationale Regeln. - Die Re178 geln, die wir in den letzten vier Jahren eingeführt haben, waren gar nicht so schlecht. Wir brauchen aber auch internationale Aufsichtsstrukturen, und wir brauchen internationale Problemlösungsmechanismen. Das war genau der Punkt, an dem der Gipfel vom 29. Juni 2012 - es waren die Morgenstunden des 29. Juni 2012 - angesetzt hat mit dem Bekenntnis: Ja, wir brauchen eine Bankenunion. Wir stehen zu dieser Bankenunion. Diese Bankenunion wird einen Überwachungsmechanismus, einen Aufsichtsmechanismus, und einen Abwicklungsmechanismus umfassen. Wir werden uns im Rahmen der Bankenunion auch noch mit einer dritten Säule beschäftigen müssen, nämlich einer harmonisierten Einlagensicherung. Bei dem gemeinsamen Aufsichtsmechanismus sind wir sehr weit gekommen: Die Europäische Zentralbank wird das übernehmen; sie wird Mitte nächsten Jahres an den Start gehen. Es laufen schon jetzt vorbereitende Aktionen, Belastungstests; das ist auch gut und richtig so. Es war nicht ganz einfach, das zu verhandeln, Herr Schick. Es gab große Probleme bei der Trennung der Geldpolitik von der Aufsichtspolitik im Rahmen der Europäischen Zentralbank. Wir waren auch nicht ganz einverstanden mit dem Vorschlag von Herrn Barnier, dass sich die europäische Aufsicht bis in die kleinsten Verästelungen des deutschen Finanzsystems erstrecken soll, dass die europäische Aufsichtsbehörde auch auf Sparkassen, Volksbanken und kleine Privatbanken direkten Zugriff bekommen soll. Wir haben uns erfolgreich dagegen gewehrt. Ich glaube, wir sind uns darin einig, dass dies im Interesse der Menschen in Deutschland und im Interesse des Wirtschaftsstandorts Deutschland war. ({3}) Jetzt sind wir in der zweiten Etappe; da geht es um den Abwicklungsmechanismus. Es gibt eine große Übereinstimmung: Wir brauchen Abwicklungsregeln, wir brauchen Abwicklungsinstitutionen, und wir brauchen Geld für die Abwicklung, einen Abwicklungsfonds. Wir sind uns bei den Abwicklungsregeln einig, dass wir eine Haftungskaskade brauchen. Wir wollen, dass zuerst die Eigentümer der Finanzinstitutionen haften. Wir wollen, dass danach die Gläubiger - diejenigen, die diesen Finanzinstitutionen Geld gegeben haben; Ausnahme: Kleinanleger - haften. Wir wollen, dass dann ein von Banken gefütterter Fonds für die ganze Sache haftet. Jetzt kommen wir zu einem Punkt, an dem wir unterschiedliche Vorstellungen haben: Wir wollen, dass die Nationalstaaten in der Verpflichtung bleiben, sich um ihre Banken zu kümmern. ({4}) Erst wenn das passiert ist, soll der europäische Steuerzahler eingreifen; das ist uns ganz wichtig. An diesem Punkt gibt es einen Bruch, an dem wir momentan verhandeln. Sie sagen, die Nationalstaaten müssten aus der Haftungskaskade herausgenommen werden, weil, wenn wir eine europäische Regulierung haben, auch eine europäische Verantwortung besteht, also auch europäische Haftung nötig ist. Ich will Ihnen drei Beispiele nennen, die diesen Gedanken widerlegen: Der Erfolg einer Bank hängt nicht allein davon ab, ob die Regulierung erfolgreich ist. Wenn es, wie in Griechenland, keine funktionierende Administration gibt, dann schadet das den lokalen Banken und erhöht das Insolvenzrisiko. Wenn, wie bei den Immobilien in Spanien, zugelassen wird, dass Blasen entstehen, dann schwächt das die Banken. Es gibt also eine nationale Verantwortung. Wenn, wie in Frankreich, eine verfehlte Steuer- und Haushaltspolitik gemacht wird, dann schwächt das die dortigen Banken und führt dazu, dass Risiken entstehen. Deswegen, meine Damen und Herren, ist es wichtig, dass wir die Nationalstaaten bei der Rettung bzw. Abwicklung von Banken nicht komplett aus der Verantwortung entlassen. ({5}) Sie haben behauptet, wir würden uns bei unserer Ablehnung eines europäischen Abwicklungsfonds hinter rechtlichen Begründungen verschanzen. Rechtlich, das hört sich für die Öffentlichkeit technisch an, so als ob jemand das Richtige wolle, ihm aber irgendwelche Leute mit rechtlichen Bedenken einen Strich durch die Rechnung machten. Fakt ist: Für einen gemeinsamen europäischen Abwicklungsfonds fehlt uns in den europäischen Verträgen momentan die Rechtsgrundlage. Jetzt kann man sagen: „Das ist nicht schlimm“; aber wir haben hier in Deutschland andere Erfahrungen gemacht. Wir haben einige Kollegen hier im Haus - es gibt da auch einige Professoren -, die alle Regelungen gerne daraufhin überprüfen, ob sie auch im Einklang mit dem Recht stehen. Sehen Sie es uns also bitte nach, dass wir beim Thema europäischer Abwicklungsfonds sehr vorsichtig sind und sagen: Solange wir dafür keine Rechtsgrundlage haben, brauchen wir ein System aus verschiedenen nationalen Fonds, die einander ergänzen. Wir haben aber noch ein weiteres Problem mit dieser Bankenunion. Als diese Veranstaltung am 29. Juni 2012 zu Ende war, haben einige Staatschefs aus südeuropäischen Ländern und auch der von Irland gesagt: Prima, ich muss jetzt nur ganz schnell unterschreiben, dass ich mich einem Aufsichtsmechanismus unterwerfe, dann habe ich eine Restmülldeponie für alle meine mit den Banken verbundenen Probleme gefunden. Alles, was ich früher in die Bankenrefinanzierung gesteckt und wofür ich Schulden gemacht habe, kann ich jetzt dorthin verlagern. Dann habe ich genug frisches Geld zur Verfügung, um meine unterkapitalisierten Banken zu stärken, und dann habe ich gegebenenfalls auch Geld, um die Abwicklung von Banken zu organisieren. Genau das wollen wir nicht. Wir wollen eine Bankenunion, die nach vorne gerichtet ist und in die „saubere“ Banken aufgenommen werden. Deswegen ist es auch wichtig, dass jetzt der Belastungstest erfolgt, bevor wir damit starten. Das halte ich für gut und richtig. ({6}) Diese Punkte diskutieren wir auf europäischer Ebene. Jetzt komme ich aber noch einmal zurück zu dem Antrag der Grünen. Der Antrag der Grünen steht in einer weniger guten Tradition der letzten vier Jahre. ({7}) Es wird nämlich ein Bruch konstruiert, den es wahrscheinlich auch gibt. Die Grünen sagen: Wir wollen als aufrechte Europäer möglichst europäische Lösungen, wir wollen den europäischen Institutionen ganz viel Kompetenz geben und ihnen die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen, während ihr von der CDU hier immer zurückhaltend seid. „Ihr bremst“, sagen Sie. Ganz ehrlich: Wir sind zurückhaltend, weil wir abwägen, ob es dem Subsidiaritätsgedanken entspricht, dass wir Dinge an die europäische Ebene abgeben, ({8}) und weil wir glauben, dass wir einige Dinge national besser regeln können. Wir wägen ab, indem wir uns fragen: Was kostet das unseren Steuerzahlern? Welche Bedeutung hat das industriepolitisch? Was bedeutet das für unsere Sparkassen, für unsere Volksbanken und für unsere Mittelständler? Schließlich wägen wir ab, was das für die Menschen in diesem Land bedeutet, die das Ganze nicht nur verstehen, sondern auch bezahlen müssen. Wenn sie das nicht verstehen und nicht mitgenommen werden, dann geben sie ihre Wählerstimmen - das haben wir sehr deutlich gesehen - Rechtsradikalen, anderen Radikalen, Euro-Skeptischen und sonstigen Parteien, was wir alle nicht wollen. Daher sind wir zögerlich und bremsen manchmal gerne. Wir freuen uns auf die Auseinandersetzung in dieser Wahlperiode. Ihre Anträge lehnen wir ab. ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Herr Kollege Brinkhaus. - Als nächster Redner spricht für die SPD Joachim Poß. ({0})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mich zunächst an einen möglichen Lebensabschnittspartner richten, an meinen Vorredner Brinkmann. ({0}) - „Brinkhaus“, Entschuldigung. Das war jetzt wirklich keine Absicht. ({1}) - Ach so, Sie haben gleich assoziiert. Nein, diese Assoziation wollte ich hier nicht in den Raum stellen. Ich will Ihnen aber Folgendes sagen: Erstens. Sie haben über die Kaskadenregelung gesprochen. Eines der größten Probleme für unsere Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ist sicherlich, dass das nicht erst 2018, sondern schon 2015 kommt, um Risiken zu begrenzen. Das scheint mir eher das Thema zu sein, über das wir hier diskutieren sollten. Zweitens. Frau Merkel, die demnächst ja auch eine mögliche Lebensabschnittspartnerin ist - je nachdem, was in meiner Partei dazu gesagt wird ({2}) - eine Chefin gibt es ja nicht; wir alle sind frei gewählte Abgeordnete -, hatte am 29. Juni 2012 eine schwache Minute. Das passiert ja jedem einmal. Sie hat damals eine Zusage gegeben, und wir versuchen jetzt gemeinschaftlich, das rückabzuwickeln - wenn wir hier ehrlich diskutieren wollen, dann müssen wir auch sagen, dass wir das mit dem Koalitionsvertrag in der vorliegenden Fassung ja versucht haben; Herr Schäuble hat das vorher im Grunde genommen auch schon versucht -, was durch die Zusage von Frau Merkel am 29. Juni 2012 ausgelöst wurde. ({3}) Im laufenden Jahr sind die Finanzmärkte von dramatischen Verwerfungen verschont geblieben. Trotzdem sollte niemand davon ausgehen, dass jetzt bereits alles getan ist, um Crashs und Bank Runs für die Zukunft zu vermeiden. Noch steht die europäische Bankenunion nicht, noch sind erst Regeln für die europäische Aufsicht verabschiedet worden. Das Abwicklungsregime - Sie haben darauf hingewiesen - und die Einlagensicherung im europäischen Kontext sind noch nicht beschlossen, und die Zeit drängt. Wir wissen: Im nächsten Jahr, 2014, wird ein neues Europäisches Parlament gewählt, und es wird eine neue EU-Kommission geben. Die Bankenunion sollte vorher in trockenen Tüchern sein, sonst drohen Verzögerungen, die wir nicht wollen. Darüber besteht, glaube ich, im Großen und Ganzen Einigkeit hier im Hohen Hause. Wir werden es also nur dann schaffen, zeitnah zur europäischen Bankenaufsicht ein europäisches Abwicklungsregime zu etablieren, wenn das nicht mit einer Vertragsänderung einhergeht. Eine Änderung der europäischen Verträge braucht nach aller Erfahrung ihre Zeit und würde nicht über Nacht durchzusetzen sein. Im Ecofin, dem Rat der europäischen Wirtschafts- und Finanzminister, wird zurzeit noch darüber gestritten, was im Rahmen der bestehenden Verträge geht und was nicht geht. Da hat - warum sollte man das hier verschweigen der geschäftsführende deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble eine spezielle Rechtsauffassung, die von vielen anderen seiner Kollegen und von der EU-Kommission nicht geteilt wird. ({4}) - Von der EZB auch nicht. ({5}) - Von der SPD wird diese Auffassung ebenfalls nicht geteilt. Es ist gut, dass Sie so nette Hinweise geben, Herr Kollege. Wir erwarten, dass es hier bald zu einer einvernehmlichen Lösung kommt. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD ist angesichts der Sachlage relativ klar formuliert, Herr Kollege Schick: Vor diesem Hintergrund unterstützen wir den zügigen Aufbau einer europäischen Abwicklungsbehörde … und eines einheitlichen europäischen Abwicklungsfonds, der perspektivisch vollständig durch Bankenabgaben finanziert werden soll. Wenn man sich Ihren Antrag zum Restrukturierungsmechanismus anschaut, dann muss man sagen: Er ist auch nicht ganz widerspruchsfrei. Im Großen und Ganzen haben wir, Grüne und SPD, in der Beurteilung dieses Politikbereichs, etwa bei der Euro-Raum-Stabilisierung und bei der Finanzmarktregulierung, in der Vergangenheit weitgehend übereingestimmt. Aber auch da scheint mir noch nicht alles ausformuliert zu sein. Ich will damit nur andeuten: Ich glaube, da sind noch alle Parteien, wenn man sich einmal bescheiden zurücknimmt, in einem Prozess.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege, lassen Sie eine Frage von Gerhard Schick zu?

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke. - Gerhard Schick, bitte.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, mich interessiert, was Sie denn von dem Vorhaben des Bundesfinanzministers halten, dass die nationalen Regierungen, deren Kompetenzen der Kollege Brinkhaus gerade noch einmal deutlich geschildert hat, gemeinsam über die Abwicklung einer Bank verhandeln sollen, und was Sie von dem Vorschlag des Bundesfinanzministers halten, dass es ein Netz von nationalen Fonds in nationaler Verantwortung geben soll, sodass im Zweifelsfall die Steuerzahler eines Landes herangezogen werden könnten. Das war bisher nicht die Position der SPD, wenn ich das richtig verfolgt habe. Mich interessiert, was die neue Koalition, wenn sie dann mit Ihnen gebildet wird, auf europäischer Ebene verhandeln wird; denn es geht um die Verhandlungen jetzt und nicht darum, was perspektivisch zu erwarten ist.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Schick, das kann zu diesem Zeitpunkt höchstens durch informelle Gespräche geschehen. Sie wissen ja, wie das geht. Wir führen diese informellen Gespräche mit dem geschäftsführenden Bundesfinanzminister und machen aus unseren Überzeugungen keinen Hehl. Dazu gehört, dass wir einen europäischen Ansatz einem Netzwerk auf nationaler Ebene vorziehen. Das haben wir auch zu verstehen gegeben. Wir sind mitten in einem Diskussionsprozess, soweit die Dinge nicht ganz eindeutig durch die Koalitionsvereinbarungen festgelegt sind. Wir stimmen aber darin überein, auf einer starken Beteiligung der Bankengläubiger und Bankeneigner zu bestehen, bevor nationale staatliche Mittel oder vielleicht sogar ESM-Mittel zur Bankenrestrukturierung oder -abwicklung eingesetzt werden; das ist vollkommen richtig. Ich denke, dass wir hierfür insgesamt in der Koalitionsvereinbarung ein kluges Verständnis entwickelt haben. Nachdem die Zusage am 29. Juni 2012 gemacht wurde, wollen wir eine direkte Bankenrekapitalisierung aus dem ESM nur unter äußerst restriktiven Bedingungen und als Ultima Ratio überhaupt möglich machen. Dies muss konditioniert geschehen, und zwar so, dass dieses Instrument vermutlich eher nicht genutzt werden wird. Gleichzeitig erhalten die Märkte das Signal, dass wir in Europa nichts ausschließen, um die Finanzmarktstabilität zu verteidigen und zu sichern. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Joachim Poß. - Jetzt kommt der nächste Redner - kein Lebensabschnittspartner -, Dr. Axel Troost. ({0})

Dr. Axel Troost (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003857, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für uns Linke bleibt die europäische Bankenunion vor allen Dingen eines: ein völlig unausgereiftes Konzept, das bisher mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt. Wenn es wirklich stimmt, dass das Projekt eine ähnliche Bedeutung hat wie die Einführung des Euro, dann muss man sagen, dass hier sehr, sehr schlampig gearbeitet wird. ({0}) Erstens. Fangen wir mit der europäischen Bankenaufsicht an, die der erste Schritt bzw. das Fundament ist. Es bleibt dabei: Die juristische Konstruktion, die mit der Ansiedlung einer europäischen Bankenaufsicht bei der EZB gefunden worden ist, ist und bleibt eine Notlösung. Sie ist juristisch umstritten und macht die EZB nicht stark für die Auseinandersetzung mit den Banken. Zweitens. Die Ansiedlung bei der EZB ist und bleibt falsch. Die Brandmauer gegenüber der Geldpolitik ist nicht zu errichten. Insofern bleibt es nicht nur eine Notlösung, sondern es ist eine falsche Konstruktion. Drittens. Der Hintergrund der bekannten Ergebnisse in der Nacht vom 27. auf den 28. Juli letzten Jahres bzw. das Motiv, das Ganze der EZB zu übertragen, ist, Banken möglichst schnell einen Zugang zum ESM zu verschaffen. ({1}) Deswegen muss ruck, zuck gehandelt werden. Wenn man sich das aber im Einzelnen anschaut, wird deutlich: Es ist sehr vieles unklar. Die Bankenunion ist sozusagen eine Euro-Zonen-Aufsicht. London als großer Kapitalmarkt bleibt außen vor. Es ist völlig unklar, wie die Schnittstellen funktionieren sollen. Es wird damit logischerweise zu einer Rivalität mit der existierenden europäischen Bankenaufsicht, der EBA, kommen, und das wird auch so bleiben. Wir gehen weg von der Allfinanzaufsicht, die wir bisher in Deutschland hatten. Die Kontrollrechte des Europäischen Parlaments sind eher geringer als die Kontrollrechte, die wir bei der BaFin haben. Insofern steht von diesem ganzen Konstrukt der Aufsicht, obwohl so getan wird, als stände es schon, erst sehr wenig. Die BaFin hat sich auf dieses „sehr wenig“ vorbereitet und stellt zusätzliches Personal ein, um diese Schnittstelle erst einmal doppelt abzusichern, weil man Angst vor dem hat, was passiert. Jetzt aber zum zweiten Schritt der Bankenunion, unserem eigentlichen Thema: dem europäischen Abwicklungsregime und Abwicklungsfonds für Banken. Eine Bankenabwicklung, wenn sie wirklich erfolgt, muss quasi an einem Wochenende durchgeführt werden. Sonst drohen Börsenchaos und ein Run auf andere Banken. Es ist völlig unklar, welches Gremium solche Entscheidungen in kurzer Zeit fällen soll, insbesondere vor dem Hintergrund, dass wir 17 Euro-Staaten haben, die mit der Abwicklung beschäftigt sind, jede große Bank aber eine Zweigstelle in London hat. Diese Zweigstellen sind aber gerade nicht in das Abwicklungsregime einbezogen. Es bleibt das Problem des hohen Gläubigerschutzes. Natürlich ist es richtig, dass Eigentümer und Gläubiger beteiligt werden sollen. Aber machen wir uns nichts vor: Clevere Gläubiger und clevere Eigentümer werden sich frühzeitig verabschieden und sich damit eben nicht in die Pflicht nehmen lassen. Aber selbst wenn das passiert, haben wir damit die Chance, vielleicht 30 Prozent oder, wenn es ganz hoch kommt, 40 Prozent abzudecken. Der Rest bleibt bei gigantisch großen Banken. Sie sagen zumindest heute in der Debatte: Dann kommt die Bankenabgabe; dann kommt der Bankenfonds, und zwar nach deutschem Modell. ({2}) Was bedeutet das deutsche Modell? Ich habe auf eine Anfrage beim Finanzministerium die Zahlen für 2013 erhalten: Das Aufkommen aus der Bankenabgabe beträgt 520 Millionen Euro bei einem Rückgang des Aufkommens der privaten Großbanken um über 43 Prozent. Über drei Jahre hinweg haben wir den Fonds um 1,8 Milliarden Euro aufgestockt. Sie sagen, Sie benötigen mindestens 70 Milliarden Euro. Dann brauchen wir noch 113 Jahre, um diesen Fonds in Deutschland aufzubauen. Und Sie wollen jetzt allen sagen: Wenn wir dieses Modell auf Europa übertragen, dann wird das eine Erfolgsgeschichte. - Das ist pure Augenwischerei. ({3}) Wir werden bei dem gigantischen Volumen, das Banken heute nach wie vor haben, mit so einer Bankenabgabe keine Finanzierungsalternative haben. Insofern bleibt es dabei: Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler werden betroffen bleiben. Deswegen gibt es aus unserer Sicht nur eines: Wir müssen die Banken verkleinern. Wir müssen den Finanzsektor herunterfahren. Sonst gibt es keine Chance, sich vor den Risiken zu schützen, die es nach wie vor dort gibt. Das ist ganz zentral. ({4}) Letzter Punkt. Liebe Kollegen von der SPD, wenn ich mir den Koalitionsvertrag im Bereich des Themenfeldes Finanzmärkte genau anschaue, dann kann ich nicht wirklich erkennen, wo Ihr Eintritt in die Koalition Veränderungen im Vergleich zur vorangegangenen Koalition von CDU, CSU und FDP mit sich bringt. Ich kann keine wirklichen Veränderungen erkennen. Danke schön. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön, Herr Kollege. - Der nächste Redner in dieser Debatte ist Dr. Hans Michelbach von der CDU/ CSU. ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich grüße Sie.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Grüß Gott. - Wir sind aus Bayern.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Roth, Sie sind eine bayerische Landsfrau. Ich hätte nie gedacht, dass Sie einmal Präsidentin werden.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das habe ich auch nicht gedacht.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber das ist eine schöne Sache. Auf jeden Fall gratuliere ich Ihnen, Frau Präsidentin.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke. ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser neuer Koalitionsvertrag legt klare Regeln für die Finanzmärkte fest. Der Grundsatz, dass in Zukunft kein Finanzmarktakteur, kein Finanzprodukt und kein Finanzmarkt ohne angemessene Regulierung bleiben darf, gilt weiterhin; das ist gut so. Wir bekennen uns in der Koalition gemeinsam zu strengeren Eigenkapital- und Liquiditätsstandards für Banken gemäß Basel III mit verbindlichen Schuldenobergrenzen, die den Risikogehalt der Geschäftsmodelle angemessen berücksichtigen. Wir bekennen uns zum bewährten Drei-Säulen-System der deutschen Kreditinstitute und werden seine Besonderheiten auch in Zukunft angemessen berücksichtigen. Wir unterstützen auf europäischer Ebene die Vorschläge der Liikanen-Expertengruppe, die eine Regulierung der Schattenbanken vorsieht. Wir begrüßen die Beibehaltung des Grundsatzes „Hilfe nur gegen Reformen“ in der EU-Rettungspolitik einschließlich der Abwehr einer europäischen Gemeinschaftshaftung über Euro-Bonds, Schuldentilgungsfonds oder ein zentrales europäisches Einlagensicherungssystem. Wir haben klare Vorstellungen betreffend eine funktionierende Bankenunion. Eine solche Union muss aus einer einheitlichen Bankenaufsicht, einem einheitlichen Regelwerk und einem einheitlichen Mechanismus zur Bankenabwicklung bestehen. Meine Damen und Herren von den Grünen, Nachhilfeunterricht durch die von Ihnen vorgelegten Anträge benötigen wir nicht. Ihre Anträge sind obsolet und nichts anderes als grüner Finanzmarktpopanz. Es ist deutlich zu erkennen, dass wir die Finanzmarktregulierung weit vorangebracht haben und auch in Zukunft weiter in die richtige Richtung voranbringen werden. ({0}) Ich sage Ihnen zum Thema einheitlicher europäischer Restrukturierungsmechanismus: Wir wollen diesen Abwicklungsmechanismus auf einer rechtssicheren Grundlage errichten, sodass Banken rechtzeitig, effektiv und effizient abgewickelt werden können. Ein zentraler Abwicklungsfonds darf aber nicht gleichzeitig die Blaupause für einen zentralisierten europäischen Einlagensicherungsfonds sein. Ich glaube, das wäre falsch. Ich teile die Auffassung, dass in der nächsten Krise, soweit es irgendwie möglich ist, nicht die Steuerzahler, sondern die privaten Eigentümer und Gläubiger, also diejenigen, die auch Gewinnchancen hatten, die Lasten tragen. Risikohaftung ist auch Teil der sozialen Marktwirtschaft. Daher unterstützen wir den zügigen Aufbau einer Abwicklungsbehörde, insbesondere für die systemrelevanten, grenzüberschreitend tätigen Banken. Dafür bedarf es einer rechtssicheren europäischen Grundlage; das ist das Wesentliche. Auf Basis der allgemeinen Binnenmarktkompetenz nach Art. 114 des AEUV wird nur ein Netzwerk aus nationalen Fonds und nationalen Bankenabgaben möglich sein. Damit ist klar, dass die Errichtung eines einheitlichen Fonds unter Berücksichtigung der Verantwortung der betroffenen Mitgliedstaaten sichergestellt werden muss. Es hilft aber nichts, die Haftung eines Staates durch die Haftung vieler Staaten zu ersetzen. Das bringt nichts und löst nicht die Verquickung von Banken und Staat auf. Wir brauchen die klare Haftungskaskade, von der wir immer gesprochen haben. Den Teufelskreis, in dem sich Pleitebanken und Verschuldungsstaaten befinden, wollen wir durchbrechen. ({1}) Angeschlagene Staaten und schwache Banken dürfen eben nicht in eine beschleunigte Abwärtsspirale kommen. Klar ist, dass auch eine direkte Kreditvergabe des ESM an den Bankenfonds abzulehnen ist. Hier bliebe die nationale Budgethoheit nicht ausreichend gewahrt. Das muss man klar sehen. Die Haftung von nur einem Staat würde auf andere Staaten verteilt werden. Das ist nicht Sinn und Zweck einer gemeinsamen europäischen Währung. Kredite durch den ESM setzen keine Anreize für einen Staat, Risiken im nationalen Bankensektor von vornherein möglichst gering zu halten. Der Haftungsgrundsatz muss auch in der Bankenunion erhalten bleiben. Das ist unsere wesentliche Botschaft für diesen Bereich. Eine Bankenunion, in der nur national tätige, kleinere Banken für risikoreiche Institute haften, darf es ebenfalls nicht geben. Deswegen müssen wir zum Thema Gläubigerbeteiligung im Antrag der Grünen sagen: Sie verlangen eine Mindestbeteiligung der Bankinvestoren in Höhe von 8 Prozent der Bilanzsumme jeder Bank und unterstellen, dass aus der Erklärung des Ecofin nicht deutlich werde, in welchem Umfang eine Beteiligung privater Gläubiger vor einer staatlichen Rekapitalisierung oder einem ESMProgramm erfolgen muss. Diese Annahme ist willkürlich, und sie ist falsch. Die Erklärung des Ecofin vom 14. November dieses Jahres macht das Gegenteil deutlich, nämlich dass erstens im Fall einer Kapitallücke bei einem Stresstest nicht der Steuerzahler zahlen soll, dass zweitens eine Haftungskaskade gilt - für diese hatte sich unser Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble eingesetzt - und dass drittens die Schließung der Kapitallücken durch die Banken selbst erfolgen muss. Gelingt dies nicht, muss Beihilferecht mittels Einbeziehung von Gläubigern erfolgen, und zwar bevor öffentliche Mittel der Mitgliedstaaten eingesetzt werden dürfen. Dabei ist wichtig, zu beachten, dass das Beihilferecht für Bail-in nur Mindestvorgaben macht, aber keine Obergrenzen festsetzt. Will also ein Mitgliedstaat beim Bail-in über die Mindestanforderungen hinausgehen, so kann er dies tun. Kann ein Mitgliedstaat verbleibende Kapitalisierungskosten nicht aus eigener Kraft decken, so kann er Hilfe beim ESM beantragen. Diese muss er aber als Mitgliedstaat beantragen. In der Ecofin-Erklärung wird festgelegt, dass vor einer Bereitstellung von ESM-Mitteln ein angemessenes Bail-in unter Beachtung des Beihilferechts stattfinden muss. Auch hier gilt, dass das Beihilferecht nur eine Mindestanforderung darstellt, über die man hinausgehen kann. Wir müssen hinsichtlich all dieser Entwicklungen bei der Bankenunion deutlich machen, dass wir in der letzten Legislaturperiode gemeinsam durchgesetzt haben, dass der Deutsche Bundestag bei diesen Maßnahmen ein faktisches Vetorecht hat. Wir sollten selbstbewusst imDr. h. c. Hans Michelbach mer wieder deutlich machen, dass es einen Automatismus nicht gibt. ({2}) Lassen Sie mich zum Abschluss ein Fazit ziehen: Die Anzeichen eines wirtschaftlichen Aufschwungs im Euro-Raum werden immer deutlicher, und der EuroRaum findet allmählich seinen Weg aus der Krise. Es gibt die notwendigen Reformen mit stärkeren Haushaltskonsolidierungen. Das ist gut so. Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir haben die richtigen Fundamente gelegt. Deswegen: Lassen Sie uns gemeinsam mit der Finanzmarktregulierung fortfahren! Dann können wir alles dafür tun, dass die Steuerzahler nicht mehr an den Hilfsmaßnahmen beteiligt werden. Herzlichen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Herr Kollege Dr. Michelbach. - Der letzte Redner in dieser Debatte ist Manfred Zöllmer von der SPD. ({0})

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon erstaunlich, zu erfahren, was der Chef der Deutschen Bank auf der Euro Finance Week von sich gegeben hat. Er hat natürlich Regulierung kritisiert - das gehört immer dazu -, und dann hat er gesagt, das Konzept von „too big to fail“ sei Unsinn, damit müsse nun Schluss sein. Lieber Herr Fitschen, „too big to fail“ ist kein Unsinn, „too big to fail“ ist das Problem. ({0}) Es ist wirklich schon dreist, so unverfroren wieder die alte Melodie zu singen, dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden. Denn das ist die Konsequenz. ({1}) Wir müssen feststellen, dass die wesentliche Ursache der Euro-Krise die Finanzmarktkrise war. Sie hat die Staaten in die Überschuldung getrieben - die Ausnahme war Griechenland -, weil Banken, die überschuldet waren, nicht den normalen marktwirtschaftlichen Gang in die Insolvenz antreten konnten. Hier könnte man Herrn Fitschen einmal über den Ordnungsrahmen einer Marktwirtschaft aufklären. Aber lassen wir das. Wenden wir uns jetzt Europa zu. Oberstes politisches Ziel der Sozialdemokratie ist es, zu verhindern, dass der Steuerzahler erneut bluten muss, und deswegen unterstützten wir von Anfang an die Bankenunion in Europa. Sie ist eine der zentralen Maßnahmen, um eine Wiederholung der Krise zu verhindern. Der geplante Stresstest der EZB soll sicherstellen, dass die Altlasten im Bankensystem vor Eintritt in die Bankenunion bereinigt werden. Wir wissen nicht, wie groß diese Altlasten sind; aber wir haben Befürchtungen, dass sie einfach da sind. Sanierung und Rekapitalisierung von Banken im europäischen Raum sind deshalb eine vordringliche Aufgabe. Wir haben über die Bankenaufsicht gesprochen. Ich will wegen meiner begrenzten Redezeit da nicht in die Details gehen. Lieber Kollege Troost, darüber sollten wir noch einmal separat diskutieren. Es muss jetzt darum gehen, eine entsprechende Regelung für die Abwicklung und Restrukturierung von Banken zu treffen: Wer macht es? Wer entscheidet? Wer finanziert? Ein Abwicklungsverfahren für marode Banken in Europa muss praktikabel sein - Herr Schick, ich stimme Ihnen zu, es muss über das Wochenende entschieden werden können; das ist völlig klar -; aber es muss auch rechtssicher sein. Warum rechtssicher? Weil in diesem Bereich jede Entscheidung mit Sicherheit beklagt wird. Wenn man das Ganze auf einer unsicheren Rechtsgrundlage durchführt, dann richtet man großes Chaos an. Nun gibt es unterschiedliche Rechtsauffassungen. Das muss man einfach konzedieren; das ist so. Ich bin kein Jurist - zum Glück. ({2}) Aber wir müssen das zur Kenntnis nehmen. Und wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der Bundesfinanzminister eine ganz klare Rechtsauffassung hat, die er von Anfang an geäußert hat. Er hat gesagt: Art. 114 AEUV ist nicht ausreichend. - Es geht um die Frage: Ist es noch Harmonisierung, oder ist es schon Zentralisierung? Darüber streiten sich die Juristen. Wir können diesen Streit nicht entscheiden; aber wir müssen politisch fordern, dass wir eine wasserdichte Lösung finden, die Rechtssicherheit gewährt, die also vor Gericht Bestand hat. Das ist unsere politische Forderung. Darüber hinaus brauchen wir eine Abwicklungsbehörde für die systemrelevanten grenzüberschreitenden Banken. Darüber, wie man das organisiert, gibt es verschiedene Vorschläge. Nun muss es darum gehen, in den Verhandlungen in Brüssel einen rechtssicheren Kompromiss zu finden. Wenn das auf der Basis der bestehenden Verträge nicht möglich ist, dann muss es als Zwischenlösung ein intergouvernementales Netzwerk mit nationalen Bankenabgaben geben, ({3}) bis die rechtlichen Voraussetzungen für eine gemeinschaftliche Institution geschaffen sind. Bis dahin bleiben die Mitgliedstaaten in der Tat in der Verantwortung. Aber Ziel bleibt, eine gemeinsame europäische Bankenabgabe einzuführen. Das ist für uns Sozialdemokraten wichtig. ({4}) Denn das oberste Ziel ist es: Steuerzahler dürfen nicht noch einmal herangezogen werden. Deshalb soll die Haftungskaskade kommen; dazu ist schon einiges gesagt worden. Nun haben wir aber das Problem, dass die Frage, wann die Neuregelung eigentlich in Kraft tritt, noch unbeantwortet ist. Das ist ein entscheidender Punkt. Die aktuellen Haftungsregeln gelten bisher bis 2018. Die Neuregelung muss aber vor Ablauf der aktuellen Haftungsregeln in Kraft treten. Das ist unsere politische Auffassung. Das ist ein ganz wichtiges Ziel, das der Minister erreichen muss, damit wir hier vernünftige Strukturen haben. Lieber Herr Schick, in Ihrem Antrag taucht so etwas nicht auf. ({5}) Wir sind bei Ihren Anträgen von der Qualität her eigentlich mehr gewohnt. Was Sie uns mit diesen Anträgen präsentieren, ist ein bisschen dünn. ({6}) - Gern, ({7}) aber dann ein bisschen substanzieller und auf den Sachverhalt bezogen! ({8}) Zur Rekapitalisierung der Banken und zum ESM hat der Kollege Poß Entsprechendes gesagt. Da hat es die Zusage der Bundeskanzlerin im Juli gegeben, unter Schwarz-Gelb noch. Das können wir jetzt nicht vom Tisch wischen. Was wir können, ist, dem Finanzminister eine glückliche Hand bei den schwierigen Verhandlungen in Brüssel zu wünschen; ({9}) denn wir wissen: Wir müssen jetzt Nägel mit Köpfen machen - ich komme zum Schluss -, durch die Europawahl verlieren wir sonst viel zu viel Zeit. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Herr Kollege. - Damit schließe ich die Aussprache. Jetzt kommen wir zur Abstimmung über die Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf den Drucksachen 18/97 und 18/98. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht jeweils Abstimmung in der Sache; die Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der Linken wünschen jeweils die Überweisung an den Hauptausschuss. Jetzt möchte ich zuerst feststellen, ob es eine Mehrheit für die Ausschussüberweisungen gibt. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragten Überweisungen? Wer stimmt dagegen? - Eigentlich kann sich jetzt niemand mehr enthalten. Ich frage trotzdem: Wer enthält sich? - Bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Linken und Ablehnung durch Bündnis 90/Die Grünen sind die Überweisungen so beschlossen. Deswegen stimmen wir heute in der Sache nicht ab. Vielen Dank für diese Debatte; ich habe viel gelernt. Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 11 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Programm „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ für den Zeitraum 2014-2020 - Drucksache 18/13 Überweisungsvorschlag: Hauptausschuss Auch hier wurde nach interfraktioneller Vereinbarung für die Aussprache eine Zeit von 38 Minuten vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Ich sehe nur jemanden, der unbedingt ganz schnell reden will. Dann ist die Zeit für die Aussprache sofort so beschlossen, und ich gebe Markus Grübel das Wort. ({0})

Markus Grübel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003542, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Gesetz, das wir heute beraten, ist wirklich kurz. Es besteht aus drei Sätzen. Im Verhältnis 2:1 werden diese Sätze auf zwei Artikel verteilt. Damit wird es wahrscheinlich das kürzeste Gesetz sein, das wir in dieser Wahlperiode beraten. ({0}) Das Gesetz schafft die Rechtsgrundlage für die Zustimmung des deutschen Vertreters im Rat zum Vorschlag für eine Verordnung über die Fortführung des Programms „Europa für Bürgerinnen und Bürger“, wie es etwas sperrig heißt. Diese europäische Verordnung hat nach einer langen Vorbemerkung 16 Artikel. Man kann das eigentlich zusammenfassen oder auf den Punkt bringen mit: Das Programm will Europa erlebbar machen. Es geht darum, über Ländergrenzen hinweg Bürgerinnen und Bürger, insbesondere die Jugend, zusammenzubringen. Es geht darum, die europäische Idee zu bewerben und Europa den Menschen näherzubringen. Das Programm setzt an der Zivilgesellschaft an und baut auf bürgerschaftliches Engagement. Es setzt auf die kleinen Einheiten, insbesondere auf Vereine und die Kommunen. Mit dem neuen Programm für den Zeitraum 2014 bis 2020 soll ein breites Spektrum an unterschiedlichen Aktionen abgedeckt werden. Ein bunter Strauß von Maßnahmen ist in dem Programm möglich. Es soll beispielsMarkus Grübel weise umfassen: Bürgerbegegnungen, Kontakte und Debatten zu Bürgerschaftsthemen, Veranstaltungen auf Ebene der Europäischen Union, Initiativen zur Sensibilisierung für Meilensteine in der Geschichte Europas sowie Initiativen mit dem Ziel, den europäischen Bürgerinnen und Bürgern, insbesondere der Jugend bei uns in Europa, die Geschichte der Europäischen Union und die Funktionsweise der Organe der Europäischen Union näherzubringen, und Debatten über europäische Themen. Dieses Programm passt gut zu dem, was wir, die CDU/CSU, in unserem Regierungsprogramm zu Europa und zum Ehrenamt gesagt haben. Es findet sich auch im Koalitionsvertrag wieder. Für unser Gemeinwesen ist das Engagement der Bürgerinnen und Bürger eine unverzichtbare Säule. Der Gedanke des bürgerschaftlichen Engagements und Ehrenamts ist nicht nur für das Miteinander innerhalb unseres Landes von zentraler Bedeutung. Es dient auch dem Zusammenhalt und dem Miteinander innerhalb Europas. ({1}) Die Förderung von Projekten, mit denen gerade jungen Menschen die Geschichte und das Wertefundament der Europäischen Union nähergebracht werden, ist wichtig. Gerade in diesen Tagen, in Zeiten der Wirtschaftsund Finanzkrise - das zeigte auch der letzte Tagesordnungspunkt - haben wir gemerkt, dass die Europäische Union einen Ansehensverlust erlitten hat. Beim Thema Europa denken wir an den Euro, an Krisenstaaten und Rettungspakete, aber viel zu wenig an die positiven Aspekte der europäischen Einigung. Gerade der Jugend sollte die Geschichte Europas - Kriege und Vertreibung einerseits sowie die Aussöhnung nach 1945 andererseits - stärker bewusst gemacht werden. Sinnvoll ist daher, dass die Themen „europäisches Geschichtsbewusstsein“ und „demokratisches Engagement und Bürgerbeteiligung“ die inhaltlichen Schwerpunkte sein sollen. Die Jugend, die die deutsche Teilung und die Teilung Europas nicht erlebt hat und die weder Krieg noch Stau an der Zollstation auf dem Brenner erlebt hat, für Europa zu begeistern, ist ein wichtiges Anliegen des Programms. ({2}) Darum ist es gut und richtig, Europa erlebbar zu machen. Es ist gut und richtig, Europa positiv erlebbar zu machen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Herr Kollege. - An den Stau am Brenner kann ich mich auch noch erinnern. Die nächste Rednerin ist Petra Crone für die SPD. ({0})

Petra Crone (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, Glückwunsch zu Ihrer ersten Sitzungsleitung! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass einer der ersten Tagesordnungspunkte der 18. Wahlperiode das Thema „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ ist. Der Gesetzentwurf der noch amtierenden Regierung mit dem etwas sperrigen Titel - der Entwurf ist kurz, aber der Titel ist sehr lang - „Gesetz zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Programm ‚Europa für Bürgerinnen und Bürger‘ für den Zeitraum 2014-2020“ soll die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, dass der deutsche Vertreter oder die deutsche Vertreterin im Rat dem Vorschlag des Rates zustimmen kann. Das hört sich technisch an und ist auch weitgehend technisch. Die Voraussetzung aufgrund des Integrationsverantwortungsgesetzes ermöglicht es uns aber, eine inhaltliche Debatte zum Thema „Europa und Bürgerbeteiligung“ zu führen. Das begrüßen wir, die SPD-Bundestagsfraktion, sehr. ({0}) „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ - das hört sich gut an. Die zur Abstimmung stehende EU-Verordnung soll die Themen „Europäisches Geschichtsbewusstsein“ und „Demokratisches Engagement und Bürgerbeteiligung“ zu inhaltlichen Schwerpunkten machen. Auch das hört sich gut an. Allerdings darf es nicht bei schönen Worten, aber wenig Taten bleiben. Der vorliegende Vorschlag des Rates ist zunächst eine Ansammlung schöner Worte, die einen angesichts der Politik der EU-Kommission in den letzten Jahren zweifeln lässt; denn es nützt überhaupt nichts, schöne Programme und Aktivitäten ins Leben zu rufen, wenn Europa von den Menschen vorwiegend mit Finanzen, Binnenmarkt, Ellenbogen, Sparbeschlüssen und Besserwisserei des Nordens gegenüber dem Süden in Verbindung gebracht wird. Europa braucht mehr Solidarität, Respekt, Begegnung und Menschlichkeit. ({1}) Diese Werte schaffen wir nicht mit Aktionsprogrammen, sondern nur mit solidarischer, sozialer und weitsichtiger Politik sowohl auf EU- als auch auf Bundesebene. Doch wäre es ungerecht, die Verordnung auf schöne Worte zu reduzieren; denn die Einzelziele „Europäisches Geschichtsbewusstsein“ und „Demokratisches Engagement und Bürgerbeteiligung“ werden konkret mit Leben erfüllt. Außerdem verstärken die genannten Programme die Begegnung und die Solidarität von EU-Bürgerinnen und -Bürgern. Die EU-Verordnung soll das Lernen und die Kooperationsaktivitäten von EU-Bürgern fördern, Kontaktstellen für das Programm einrichten und entsprechende Analysen implementieren. Offen bleibt für die SPD-Bundestagsfraktion, wie die Evaluierungen der Programme konkret erfolgen sollen und inwiefern die Nachhaltigkeit gesichert ist. Wir sehen doch, dass sich immer weniger eher einkommensschwache und bildungsfernere Bevölkerungsschichten am bürgerschaftlichen Engagement beteiligen. In diesem Zusammenhang hätte ich mir vor allem einen sozioöko186 nomischen Gradmesser für die Evaluierungen gewünscht. Auch die Aspekte Alter und Geschlecht werden lediglich vorgeschlagen. Dazu wird uns die Bundesregierung in den Ausschüssen noch mehr mitteilen müssen. In der 17. Wahlperiode ist leider die Chance verpasst worden, Engagementpolitik gemeinsam mit der Zivilgesellschaft zukunftsfest weiterzuentwickeln. Insofern überrascht es mich und freut es mich natürlich auch, dass die Bundesregierung der EU-Verordnung im Rat zustimmen möchte. Bürgerschaftliches Engagement kann die staatlichen Institutionen nur ergänzen, wenn es über die entsprechenden Mittel und öffentlichen Räume verfügt. Diesen Worten von Wolfgang Thierse schließe ich mich an und freue mich, auf dieser Grundlage die kommenden Gespräche zur Verordnung zu führen. Ich danke Ihnen. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herzlichen Dank, liebe Petra Crone. - Nächster Redner in dieser Debatte: Andrej Hunko von der Linken. ({0})

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden über das Programm „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ für die Jahre 2014 bis 2020. Für das Programm sind 229 Millionen Euro vorgesehen, mit dem Ziel der „Verbesserung der Voraussetzungen für eine demokratische Bürgerbeteiligung“. Das hört sich schön an. Zur Verbesserung der Voraussetzungen für eine demokratische Bürgerbeteiligung wären allerdings vor allem mehr demokratische Rechte der Bürgerinnen und Bürger angezeigt, wäre es angezeigt, das Demokratiedefizit auf europäischer Ebene anzugehen. Ich rede hier unter anderem von der Europäischen Bürgerinitiative, die in der vorliegenden Ratsverordnung als „einzigartige Möglichkeit, die Bürgerinnen und Bürger direkt an der Gestaltung der EU-Rechtsvorschriften mitwirken zu lassen“, dargestellt wird. Leider muss man sagen, dass die EBI eine einzigartig eingeschränkte Möglichkeit zur Mitwirkung ist, unter anderem, weil sie an die Umsetzung der bestehenden Verträge gebunden ist. Ich habe mir einmal die Liste der von der Europäischen Kommission abgelehnten Bürgerinitiativen der letzten Monate ausdrucken lassen. Da wurde zum Beispiel die Bildung einer öffentlichen Bank für eine soziale, ökologische und solidarische Entwicklung abgelehnt, weil sie nicht in den Verträgen vorgesehen ist. Ein europaweiter Atomausstieg wurde wegen Euratom abgelehnt. Eine Initiative gegen die grausame Behandlung von Tieren wurde abgelehnt. Ein europaweites Referendum, um demokratische Defizite aufzuheben, wurde abgelehnt. Das ist leider die Realität. Die Linke fordert hier mehr Demokratie auf europäischer Ebene, damit solche Initiativen, in denen sich Bürgerinnen und Bürger für europäische Themen engagieren, auch wirklich eine Chance haben. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ähnlich wie bei der EBI verhält es sich leider auch mit dem Programm „Europa für Bürgerinnen und Bürger“. Die Mittelvergabe wird vorrangig an den „Bezug zu den Strategien der Union“ gebunden. Die Strategie „Europa 2020“ als radikalisierte Fortsetzung der gescheiterten Lissabon-Strategie mit dem Dogma der EU als wettbewerbsfähigstem Wirtschaftsraum der Welt wird damit zur praktischen Richtschnur für Projektanträge. Kritische Projektträger, die vielleicht alternative Europa-Visionen haben, dürften es schwer haben. Völlig weltfremd wird es, wenn es in der Verordnung heißt - Zitat -: … die eindrucksvollen Errungenschaften in puncto Frieden und Stabilität in Europa, langfristiges nachhaltiges Wachstum … haben nicht immer zu einem starken Zugehörigkeitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger zur EU geführt. Das ist ja auch eben angesprochen worden. Auf Deutsch: Viele Menschen, insbesondere in Südeuropa, wenden sich von der EU ab, misstrauen ihr, und zwar gerade wegen der Art und Weise, wie EU-Kommission und EZB als Teil der Troika mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen umgehen, nämlich durch Kürzungen von sozialen Leistungen, von Löhnen, durch Personalabbau im öffentlichen Dienst, durch Deregulierung und erzwungene Privatisierung bis hin zur Wasserversorgung. Eine solche Politik führt zur Entfremdung der Bürgerinnen und Bürger von der EU. ({1}) Es ist jetzt leider auch zu befürchten, dass Projekte, die im Einklang mit der gegenwärtigen EU-Strategie stehen, bei der Mittelvergabe bevorzugt werden, während kritische Projekte drohen leer auszugehen. Das lehnen wir ab. ({2}) Ein letzter, aber wichtiger Punkt: In der Ratsverordnung ist von „europäischer Identität“ die Rede, im Kontext des Gedenkens an die Verbrechen totalitärer Regime in Europa. Bis zu 20 Prozent der Mittel könnten für Projekte abgerufen werden, die sich „mit den Ursachen für die totalitären Regime in der neueren Geschichte Europas“ auseinandersetzen. So notwendig die Auseinandersetzung mit dem Naziregime in Deutschland einerseits und dem Stalinismus in der Sowjetunion andererseits ist und so notwendig es wäre, sich darüber hinaus mit dem europäischen Kolonialismus und dem Ersten Weltkrieg auseinanderzusetzen, so entschieden lehnen wir jedoch die Gleichsetzung von Naziregime und Stalinismus ab, wie sie in der fragwürdigen Totalitarismustheorie zum Ausdruck kommt, ({3}) nicht zuletzt, weil sie auch eine Relativierung des Holocausts darstellt. Auf jeden Fall sollte die Frage des Sinns und Unsinns einer Totalitarismustheorie Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung sein und nicht zum Bezugsmerkmal bei der Vergabe von Mitteln zum Beispiel an Thinktanks oder Geschichtsvereine werden. Aus diesem Grund hat auch die Linksfraktion im Europäischen Parlament die entsprechende Verordnung abgelehnt. In ihrem Minderheitenvotum heißt es dazu: Wir haben gegen den Bericht gestimmt, weil wir uns für die folgenden Werte einsetzen: - die Vielfalt und Achtung der verschiedenen Kulturen und Völker Europas - die Trennung von politischer Tätigkeit und der Arbeit von Historikern und Forschern - die demokratischen Grundsätze, die Diskussionen und die Möglichkeit einer kritischen Sicht der Europäischen Union, ihres Aufbaus und ihrer Geschichte einschließen. Dem können wir uns hier im Bundestag nur anschließen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und bin gespannt, wie qualifiziert sich der heute gegründete Hauptausschuss mit diesem Thema auseinandersetzen wird. Vielen Dank.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön, Herr Kollege. - Dann kommt jetzt ein qualifizierter Beitrag unseres Kollegen Manuel Sarrazin, Bündnis 90/Die Grünen.

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielleicht ein Wort zur Faktenlage: Über das Programm „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ werden Städtepartnerschaften, Vereine, Bildungs-, Forschungs-, Kultur- und Jugendeinrichtungen, Stiftungen und Gewerkschaften gefördert, und die geförderten Aktionen müssen grundsätzlich transnational durchgeführt werden oder eine europäische Dimension haben. Ich dachte eigentlich, dass das Thema der internationalen Begegnungsarbeit etwas wäre, das sogar mich mit den Idealen der Linkspartei verbindet. ({0}) Aber man kann natürlich, so wie Sie es tun, die finanzielle Förderung dieses Bereichs mit fast 200 Millionen Euro ablehnen und hier irgendwelche geschichtspolitischen Ausführungen machen. ({1}) Vielleicht sollte man sich doch noch einmal vor Augen führen, verehrter Kollege Hunko, dass wir im nächsten Jahr verschiedenste Jahrestage haben, die auch vor dem Hintergrund der Europawahl und gerade vor dem Hintergrund der Krise eine wunderbare Gelegenheit bieten, beim Thema Geschichtsbewusstsein etwas vorzuleben. ({2}) - Wir haben nächstes Jahr den 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkrieges. Jetzt können wir einmal schauen, ob Ihnen auch die weiteren Jahrestage einfallen. Zum Beispiel haben wir im August einen Jahrestag: 75 Jahre Hitler-Stalin-Pakt. Das ist durchaus eine Gelegenheit, über die Geschichte Europas zu reden und auch die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts kritisch aufzugreifen. Im Juni nächsten Jahres ist beispielsweise das 25-jährige Jubiläum der ersten teildemokratischen Wahlen in der Volksrepublik Polen. Das ist ein wirklich grandioses Datum, um das Geschichtsbewusstsein zu stärken und dabei die gesamteuropäische Dimension einzubeziehen, die nicht klassisch westeuropäisch-links geprägt ist. Ich glaube, meine Damen und Herren, dass wir eine sehr wichtige Debatte führen, nicht, weil dieses Programm etwa das wichtigste wäre, auch nicht, weil hier die Flexibilitätsklausel angewandt wird und wir aktiv die Verfassungsidentität unseres Grundgesetzes nach der Lissabon-Rechtsprechung des Verfassungsgerichts leben, sondern weil es hier darum geht, Gelder freigeben zu können, damit die genannten Institutionen und die Städtepartnerschaften so schnell wie möglich auf die Gelder zugreifen und Projekte durchführen können, damit sich Menschen in Europa treffen und begegnen können. Leider debattieren wir den Gesetzentwurf erst jetzt. Er wurde uns von der Bundesregierung so spät vorgelegt, obwohl zumindest politisch schon seit Monaten die Zahl, die am Ende der Haushaltsverhandlungen herauskommen würde, vorlag. Das Problem ist, dass wir es nun aller Wahrscheinlichkeit nach aufgrund des Gesetzgebungsverfahrens in Deutschland im Zusammenhang mit dem Bundesrat und der erst dann folgenden Ratsbeschlüsse nicht hinbekommen werden, dass tatsächlich ab Januar Mittel fließen können. Das heißt, das europäische Miteinander wird - zumindest zum 1. Januar des geschichtsträchtigen Jahres 2014, in dem sich der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 1939 sowie die Osterweiterung 2004 jährt - erst einmal ausgesetzt, weil diese Regierung und auch dieses Parlament aufgrund der langen Koalitionsverhandlungen nicht rechtzeitig aus dem Knick gekommen sind und weil sich die alte Regierung nicht getraut hat, einfach einmal bis zum Ende der Legislatur vorzudenken. Das andere ist: Wir sagen oft sehr allgemein, es gebe eine große, böse Sparpolitik in Europa. Hier bietet sich eine gute Gelegenheit, zu sagen, dass es wirklich schade ist, dass die Politik, die Schwarz-Gelb im Zuge der Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen in den letzten Jahren gemacht hat, zu allgemeinen Einsparungen im EU-Haushalt geführt hat, was wiederum dazu führt, dass dieses Programm zur Förderung von Städtepartnerschaften, das die Begegnung junger Menschen fördern soll, in der vorliegenden Fassung weniger Mittel zur Verfügung hat. Dem Programm wurden zwischen 2013 und 2014 5 Millionen Euro gestrichen, und in der gesamten neuen Förderperiode stehen 30 Millionen Euro weniger zur Verfügung. Ich kann nur sagen: Da wurde der Rotstift an der falschen Stelle angesetzt. Dadurch fallen unserer Meinung nach wohlmeinende, lobenswerte und unterstützenswerte Projekte einem falschen Politikstil in Bezug auf die Finanzierung der Europäischen Union zum Opfer. Meine Damen und Herren, wir üben nicht nur Kritik, wir haben auch Vorschläge, wie man das Programm konkret ausgestalten könnte. Die Grünen haben immer auf allen Ebenen Verbesserungsvorschläge gemacht, unsere europäische Fraktion hat diese auch vorgetragen. Am Ende haben wir dem vorliegenden Programm trotzdem zugestimmt, weil wir, im Gegensatz zur Linkspartei, meinen: Es ist gut, wenn sich junge Menschen treffen, wenn über Städtepartnerschaften und Kulturinstitutionen Menschen miteinander über Geschichte und Politik ins Gespräch kommen. ({3}) Deswegen stimmen wir dem vorliegenden Gesetzentwurf zu. Danke. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön, Herr Kollege Sarrazin. - Nächste Rednerin: Daniela Ludwig für die CDU/CSU. ({0})

Daniela Raab (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über den Inhalt des Programms, über das wir heute debattieren, ist bereits viel Richtiges gesagt worden. Sehen Sie mir nach, dass ich das alles an dieser Stelle nicht wiederholen möchte. Ich glaube schon, dass das Programm jenseits der Kritik, die man auch vorbringen möchte, eine gewisse Daseinsberechtigung hat, zum einen natürlich, weil es Generationen und auch Institutionen über die Grenzen in Europa hinweg verbinden soll, zum anderen aber - und so verstehe ich es ein klein wenig -, weil es auch gewisse Vorurteile gegenüber der Europäischen Union, die gerade junge Menschen in sich tragen, beseitigen soll. Wir alle wissen, dass es viele junge Menschen gibt, die weder einen Krieg miterlebt haben noch die Teilung Europas bewusst wahrgenommen haben. Für sie ist Europa in allererster Linie nicht das, was es für uns ist, nämlich ein gigantisches Friedenswerk, sondern für sie ist es teilweise lästig. Sie nehmen Europa wahr als die EU-Kommission, die mit sinnlosen Richtlinien und Verordnungen um sich wirft. Die Gurkenkrümmung ist ein gern genanntes Beispiel. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass die Europäische Kommission bereits seit zehn Jahren an einer Schnullerkettenverordnung arbeitet, um möglichst viele Unfälle durch Schnullerketten zu verhindern. Das ist das - so lustig es klingt -, was die Menschen wahrnehmen ({0}) und was letztlich dafür sorgt, dass sie etwas frustriert sind, was die europäische Entwicklung angeht. Umso wichtiger ist es, dass wir nicht nur mit Programmen wie diesem, über das wir heute debattieren, dieser oftmals aufkeimenden Frustration gerade auch unter jüngeren Menschen entgegenwirken, sondern dass wir in unserer täglichen politischen Arbeit, für die wir Verantwortung tragen, auch darauf hinwirken, dass Europa transparenter, bürgerfreundlicher und an der einen oder anderen Stelle demokratischer wird, und zwar nicht nur dann, wenn wir das Europäische Parlament wählen. Deswegen finde ich es gut, dass wir diesen Gesetzentwurf heute auf den Weg bringen. Dadurch werden gute Initiativen finanziell gefördert. Diese Initiativen möge es bitte auch weiterhin geben. Daran müssen wir alle ein Interesse haben. ({1}) Wir müssen aber auch ein Interesse daran haben, dass klar wird - auch dafür ist dieses Programm gut -, dass Europa nicht irgendwo über uns ist, sondern dass es immer bei uns, dass es zwischen uns ist. Wir haben uns das Subsidiaritätsprinzip immer ganz groß auf die Fahnen geschrieben: Es soll ein Europa der Regionen sein. Es soll ein Mitmacheuropa werden; die Menschen sollen Europa mitgestalten. - Die Menschen können Europa am besten mitgestalten, wenn wir sie ordentlich darüber informieren, was Europa für ihr tägliches Leben bedeutet, wie sie Europa positiv für sich nutzen können. Ich glaube, dass wir die bei den Menschen vorhandene Skepsis gegenüber Europa nicht nur mithilfe dieses Programms, sondern auch durch unser tägliches politisches Handeln spürbar abbauen können. Deshalb ist dieses Programm, wie ich finde, ein Schritt in die richtige Richtung. Wir wollen nicht länger nur über die Gurkenrichtlinie, über die Schnullerkettenverordnung und über Euro-Rettungspakete sprechen, sondern auch darüber, dass es ein Europa der Völkerverständigung und insbesondere ein Europa der Jugend geben muss, von dem alle Nationen profitieren. Ich bin sehr froh, dass wir dieses Programm heute auf den Weg bringen und die Bundesregierung zustimmen will. Ich bin angesichts all der guten und konstruktiven Vorschläge, die wir von den verschiedenen Seiten gehört haben, sicher, dass wir einen guten Weg finden werden, dieses Programm bei uns in Deutschland ordentlich umzusetzen. Vielen herzlichen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön, Frau Kollegin Ludwig. - Nächste Rednerin ist Kerstin Griese für die SPD. ({0})

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist sehr sinnvoll, das Programm „Europa für Bürgerinnen und Bürger“, das es schon eine Zeit lang gibt, weiterzuführen - das beschließen wir heute -; denn es ist wichtig, Menschen für die europäische Idee zu begeistern. Das erreicht man übrigens am wenigsten, wenn man mit platten Vorurteilen, mit krummen Gurken oder Schnullerketten argumentiert. Man muss die Menschen vielmehr für die europäische Idee begeistern, ({0}) man muss Europa erlebbar machen. Viele junge Menschen, die ich kenne, erleben Europa in ihrem Alltag als eine Selbstverständlichkeit. Sie sind begeisterte und überzeugte Europäerinnen und Europäer. ({1}) Deutschland stimmt diesem Programm als letzter EUMitgliedstaat zu. Deshalb ist die Angelegenheit ein bisschen dringlich. Ich will ausdrücklich sagen, dass wir die beiden Schwerpunkte des Programms unterstützen. Der erste Schwerpunkt ist schon genannt worden: Das europäische Geschichtsbewusstsein soll gestärkt werden. In einer Studie der FU Berlin aus dem Jahr 2012 wurde festgestellt, dass nur die Hälfte der befragten Schülerinnen und Schüler den NS-Staat und nur ein Drittel die DDR als Diktatur einordnen. In Sachen Geschichtswissen gibt es also noch einiges zu tun. Die Studie zeigt sehr deutlich, dass das Wissen über die Geschichte Deutschlands und Europas verbessert werden muss; denn nur wenn man etwas über die Geschichte, auch über die eigene Geschichte weiß, kann man daraus lernen und mit diesem Wissen die Zukunft gestalten. Das ist auch deshalb wichtig, weil gerade in Zeiten großer Angst oder wenn Ängste geschürt werden, Geschichtswissen oft verloren geht. Ich will nur ein Beispiel nennen: Es ist besorgniserregend, dass in Griechenland die rechtsextreme, neofaschistische Partei Goldene Morgenröte inzwischen mit fast 30 Abgeordneten im Parlament sitzt. Das ist besorgniserregend und absolut geschichtsvergessen. ({2}) Aber auch in Ländern wie Frankreich und Ungarn erhalten rechtspopulistische Parteien Zuspruch und werden Angehörige der Roma-Minderheit verfolgt und diskriminiert. Um Diskriminierung und Gewalt zu verhindern, ist es wichtig, dass in Europa ein Bewusstsein für die gemeinsame Geschichte entwickelt wird. Den Menschen musst bewusst sein, dass Europa für Frieden und für das solidarische Miteinander der Völker steht. ({3}) Ich glaube, junge Menschen brauchen einen Kompass, um sich zurechtzufinden. Wenn sie in den Projekten, die über dieses Programm gefördert werden, Europa als eine Idee des Friedens begreifen, wenn sie lernen, dass die europäische Idee uns die längste Friedensphase gebracht hat, die wir je in Europa hatten, wenn sie ein Bewusstsein für diese Qualität Europas entwickeln, dann ist das von besonderem Wert. Über dieses Programm sind bereits schöne Projekte gefördert worden, zum Beispiel der Europäische Geschichtsweg. In einem niedersächsischen Ort haben Jugendliche aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Polen gemeinsam die Geschichte untersucht. Sie haben Tafeln entworfen, auf denen in fünf Sprachen europäische Themen behandelt werden, von den Römern über Karl den Großen, die Reformation, die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte bis hin zu den beiden Weltkriegen. Man darf Geschichte lernen, beschreiben und auch vergleichen, aber man darf sie nicht gleichsetzen. Deshalb finde ich es wichtig, dass wir im nächsten Jahr den 75. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs begehen, dass wir an den Beginn dieses fürchterlichen Krieges erinnern, dass wir im nächsten Jahr aber auch an den 25. Jahrestag des Falls der Mauer erinnern und dieses freudige Ereignis begehen. ({4}) Der zweite Schwerpunkt des EU-Programms ist die Stärkung des demokratischen Engagements und der Bürgerbeteiligung, also Europa wirklich von unten denken, den Bürgerinnen und Bürgern in Europa klarmachen, dass sie Macht und Einfluss haben. Wir haben in unserer Koalitionsvereinbarung, so sie denn von unseren Mitgliedern unterstützt werden wird, dazu eine schöne Aussage, die ich Ihnen zitieren will: Die Herausbildung einer europäischen Zivilgesellschaft ist eine essentielle Voraussetzung für eine lebendige europäische Demokratie. Besonders wichtig ist es, dafür auch die Jugendpolitik weiterzuentwickeln. Das sind zwei der guten Sätze in diesem Koalitionsvertrag. ({5}) Da zeigt sich auch ein Zusammenhang zwischen den beiden Themenschwerpunkten: Das Lernen aus der Geschichte, um heute Demokratie engagiert gestalten zu können, ist besonders wichtig für die junge Generation, die Europa so erleben kann. Ich als Abgeordnete habe das große Glück - wann hat man das schon einmal? -, dass aus diesem Programm ein Projekt in meinem Wahlkreis gefördert wurde. Nur 2 Städte in Deutschland und 37 Städte europaweit wurden bezüglich ihrer Städtepartnerschaften gefördert. Die Stadt Velbert hat vor ein paar Tagen eine große Partnerschaftskonferenz mit ihren Partnerstädten durchgeführt, ein Partnerschaftsnetzwerk gegründet und wird vor der Europawahl ein internationales Jugendcamp durchführen. Sie macht all das auch, um darauf aufmerksam zu machen, dass zu einem Europa der Bürgerinnen und Bürger gehört, dass möglichst viele Menschen zur Europawahl gehen. Es sollte unser gemeinsames Anliegen sein, klarzumachen, dass Demokratie zu Europa gehört und die Europawahl eine bessere Wahlbeteiligung als in den letzten Jahren braucht. ({6}) Bei dieser Europawahl wird es zum ersten Mal möglich sein, einen europäischen Spitzenkandidaten zu wählen. Das ist für uns Sozialdemokraten eine tolle Sache, weil unser Spitzenkandidat Martin Schulz ist. Wir sind großer Hoffnung, dass er ein grandioses Ergebnis erzielen wird. ({7}) Damit wird Europa ein Gesicht und eine Stimme gegeben. Es ist oft so, dass Menschen Europa als fern wahrnehmen. Da kann man einmal live und leibhaftig erleben, wie europäische Leidenschaft aussieht, und vor allem, wie sie sich anhört. Das beginnt im Aachener Grenzgebiet und geht bis nach ganz Europa. Insofern glaube ich: Europa muss praktisch erfahrbar werden. Es bleibt unsere Aufgabe, das den Menschen zu vermitteln. Die Europäische Bürgerinitiative ist schon genannt worden. Sie haben nur Negativbeispiele genannt. Ich will sagen, dass ich es sehr erfreulich finde, dass die Europäische Bürgerinitiative „Wasser ist Menschenrecht“ schon so erfolgreich war, ({8}) dass der Bereich Wasser aus der EU-Konzessionsrichtlinie herausgenommen worden ist. Die Bürgerinnen und Bürger Europas haben gesagt: Wasser ist ein Menschenrecht. Deshalb hoffe ich, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger sowie engagierte Menschen aus Vereinen, Verbänden und Initiativen an diesem EU-Programm teilhaben können, dass sie zur Stärkung des europäischen Geschichtsbewusstseins und der europäischen Zivilgesellschaft beitragen werden. Dafür wünsche ich allen viel Erfolg. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Johann Wadephul für die Unionsfraktion. ({0})

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass wir in Europa vor historischen Jahrestagen stehen. Vor 100 Jahren ist Willy Brandt geboren worden. Ich möchte großkoalitionär mit einem Ausspruch von ihm, meinem schleswig-holsteinischen Landsmann, beginnen. Willy Brandt hat einmal gesagt: Mit den Europa-Verhandlungen ist es wie mit dem Liebesspiel der Elefanten: Alles spielt sich auf hoher Ebene ab, wirbelt viel Staub auf - und es dauert sehr lange, bis etwas dabei herauskommt. ({0}) Man hätte ihm diese zoologischen Kenntnisse gar nicht zugetraut, aber auch da hatte er wahrscheinlich recht. Wer verhandelt, der schlägt sich nicht. Das ist in Europa nicht immer selbstverständlich gewesen. Es wurde schon darauf hingewiesen: Der Erste Weltkrieg brach vor 99 Jahren aus. Wir begehen im nächsten Jahr den 100. Jahrestag. Auch auf den Angriff auf Polen ist hingewiesen worden. Das waren schlimme Zeiten. Auch auf dem Balkan hat es noch vor ganz kurzer Zeit Auseinandersetzungen gegeben. Deswegen, glaube ich, müssen wir, auch wenn es schwer ist und junge Menschen das nicht sofort nachempfinden können - auch für uns liegen diese Ereignisse schon etliche Zeit zurück -, immer wieder den jungen Menschen sagen, was für ein Friedensprojekt Europa ist und wie dankbar wir sein können, dass wir dieses Europa haben ({1}) und dass Europa die richtige Lehre aus der Vergangenheit ist. Insbesondere Deutschland muss da selbstkritisch sein. Aber - auch das haben die Kollegen gesagt -: Diese Europäische Union, dieses gemeinsame Europa darf keine Kopfgeburt sein. Es darf keine Union sein, um deren Zukunft sich allein Politiker, Wissenschaftler oder Vertreter wirtschaftlicher Interessen streiten. Sie muss in den Herzen der Menschen verankert werden. Da müssen wir uns schon kritisch fragen, ob uns das gelungen ist. Ich glaube, wir haben Fortschritte erzielt. Auf die Europawahlen im nächsten Jahr ist hingewiesen worden. Wollen wir hoffen, dass die Wahlbeteiligung hoch sein wird und insbesondere solche Parteien gewählt werden, die Europa positiv gegenüberstehen, ({2}) die sich zwar streiten, aber, lieber Herr Hunko, Europa wollen. Ich gebe Ihnen recht: Mehr Demokratie ist auf europäischer Ebene notwendig. Betrachtet man die Art und Weise, wie die Gesetzgebung auf europäischer Ebene abläuft, muss man sagen: Das ist noch nicht die Demokratie, die wir uns vorstellen. ({3}) Deswegen brauchen wir mehr Europa und mehr Rechte für das Europäische Parlament. ({4}) Dann wird es auch leichter werden, Europa den Menschen zu erläutern. ({5}) Ich möchte auf zwei Punkte eingehen, die gerade eben auch hier in der Diskussion eine Rolle gespielt haben. Der erste Aspekt, Herr Hunko, betrifft die Euro-Skepsis, die in Griechenland bzw. in Südeuropa insgesamt verbreitet ist. Sie haben sie darauf zurückgeführt, dass die Troika im Rahmen der Staatsschuldenkrise Auflagen gemacht hat, und gesagt, dass man dort deswegen nicht mehr so sehr für Europa ist. In der Tat: Es gibt in Griechenland von rechts und auch von ganz links Kräfte, die antieuropäisch sind; das stimmt, und das kann man sehr schnell analysieren. Gefahr für eine freiheitliche Demokratie droht übrigens immer - das will ich Ihnen ganz offen sagen; Sie werden es nicht gerne hören - von ganz rechts und von ganz links, lieber Herr Hunko. ({6}) Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen; das ist so. Aber es gibt nicht nur in Griechenland Euro-Skepsis. Es gibt sie auch anderswo, beispielsweise in Großbritannien, und das, obwohl dieses Land noch nicht einmal zur Euro-Zone gehört. Hier kann man keinen ursächlichen Zusammenhang mit der Staatsschuldenkrise oder mit Auflagen der Europäischen Union herstellen. Trotzdem gibt es auch dort Euro-Skepsis. Wenn wir ganz ehrlich sind: Auch bei der Bundestagswahl hat Euro-Skepsis eine Rolle gespielt. Die AfD ist zwar an der Fünfprozentklausel gescheitert, aber Euro-Skepsis gibt es, wie gesagt, auch in Deutschland und England. Es ist konsequent, dieser Skepsis insgesamt entgegenzutreten. Deswegen hat die Union die Absicht, mit einem europapolitisch positiven Programm und vor allen Dingen mit einem Politiker mit britischen Wurzeln zur Europawahl anzutreten, der aus Schottland kommt. Die Schotten sind proeuropäisch. David McAllister ist der Richtige, der das verkörpert ({7}) und dafür sorgen wird, dass wir sicherlich wieder mit einer starken CDU/CSU in der EVP-Gruppe vertreten sein werden. Ich glaube, dieses Programm ist richtig. Es ist notwendig, dass wir es hier und heute gesetzgeberisch auf den Weg bringen. Wir alle sollten auch bei uns zu Hause einen Beitrag leisten. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Also: Lassen Sie uns alle gemeinsam jeden Tag auch bei uns zu Hause für Europa eintreten! Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/13 an den Hauptausschuss vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung - Drucksache 18/7 Überweisungsvorschlag: Hauptausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Jutta Krellmann für die Fraktion Die Linke. ({0})

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schade, dass wir heute erst so spät abends über das Thema „Sachgrundlose Befristung“ reden. Ich glaube nämlich, das ist ein sehr wichtiges, ein existenzielles Thema. Es ist so wichtig, dass ich mir wünschen würde, diese Debatte und die Ergebnisse dieser Debatte kämen noch heute bei den Menschen im Lande an, damit man darüber reden kann. ({0}) Ich möchte mit einem Beispiel aus der Praxis, das ich gerade erlebt habe, beginnen. Vor einer Woche war ich Gast bei der Betriebsversammlung eines Berliner Callcenters. Mehrere Hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter telefonieren und beraten dort, unter anderem für die Bundesagentur für Arbeit. Ich war schockiert, als ich hörte, wie viele engagierte Belegschaftsmitglieder in einem unsicheren, befristeten Arbeitsverhältnis festhängen: sagenhafte 95 Prozent der Belegschaft. Nur 5 Prozent haben einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Das ist ungeheuerlich. ({1}) Befristete Arbeitsverträge bedeuten für die Beschäftigten massiven Druck und unsichere Zukunftsperspektiven; das ist in besagtem Callcenter sehr deutlich geworden: Auf der Betriebsversammlung klagten alleinerziehende Frauen, dass sie „freiwillig“ samstags arbeiten sollen. Sie wissen nicht, wo sie ihre Kinder währenddessen unterbringen können. Sie wissen aber genau: Wer samstags nicht arbeitet, bekommt bei der Verlängerung seines befristeten Arbeitsvertrages Probleme. Was, bitte schön, soll daran freiwillig sein? Das ist doch Erpressung! ({2}) Arbeitshetze, Überstunden, Arbeit am Wochenende und zu späten Zeiten: Durch befristete Verträge wird den Beschäftigten mit dem Entzug ihrer Existenzgrundlage gedroht. Hinzu kommt schlechte Bezahlung: Stundenlöhne von 7,90 Euro sind keine Seltenheit. Es gibt keinen Tarifvertrag, und der Arbeitsschutz ist mangelhaft. Das Problem ist: Das geschilderte Beispiel ist kein Exotenbeispiel. Verhältnisse wie in diesem Callcenter findet man in Tausenden von Betrieben. Trotzdem stehen viele der Beschäftigten zu ihrem Job und sind von dem Produkt, über das sie beraten, überzeugt. Die Beschäftigten lassen sich trotz aller Widrigkeiten nicht unterkriegen. In dem gleichen Callcenter haben die Beschäftigten vor fünf Monaten einen Betriebsrat gewählt. Ich finde, unter den Bedingungen von massenhaften Befristungen ist es wirklich eine große Leistung, einen Betriebsrat zu wählen. Das verdient unsere Anerkennung. ({3}) Dieser Betriebsrat muss wieder neu gewählt werden. Bei fast der Hälfte der Betriebsratsmitglieder laufen die Verträge aus oder sie sind noch nicht verlängert. Das Problem ist: Befristet Beschäftigte genießen keinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz. Befristet beschäftigte Betriebsräte genießen darüber hinaus keinen besonderen Kündigungsschutz nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Das Unternehmen hat es in der Hand, unliebsame Beschäftigte und kritische Betriebsräte problemlos loszuwerden; angesichts der Befristung der Arbeitsverträge ist das nur eine Frage der Zeit. Das Schlimme ist: Die Unternehmen dürfen all dies; alles, was dort passiert, ist rechtlich zulässig. Deshalb müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen jetzt schnell geändert werden, und zwar noch vor der nächsten Betriebsratswahl im Frühjahr nächsten Jahres. ({4}) Belegschaften dürfen durch Befristungen nicht weiter daran gehindert werden, ihre Rechte wahrzunehmen. Dieses Callcenter ist kein Einzelfall in Deutschland. Deswegen meine Bitte und meine Aufforderung an alle: Die Linke hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, wie er in der letzten Legislaturperiode teilweise genau in ähnlicher Form vorgeschlagen wurde von uns, von den Grünen und von der SPD. Zu sachgrundlosen Befristungen steht in den Koalitionsvereinbarungen kein Wort. ({5}) Das heißt für mich: Es kann keinen Grund geben, warum man unserem Antrag jetzt nicht zustimmt. ({6}) Tausende von Menschen bekämen eine Zukunftsperspektive, bekämen Sicherheit für sich und ihre Familien, könnten für den Betriebsrat kandidieren. Deswegen meine Bitte: Stimmen Sie zu, damit wir Beschäftigten, die in Befristungen festhängen, endlich eine Perspektive geben können. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Dr. Carsten Linnemann das Wort. ({0})

Dr. Carsten Linnemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir sprechen heute über das Arbeitsmarktinstrument „Sachgrundlose Befristung“. Das Ganze passiert im Lichte der Koalitionsverhandlungen, die wir gestern abgeschlossen haben. Wir haben uns in den Koalitionsverhandlungen faktisch alle Arbeitsmarktinstrumente angesehen - immer unter der Überschrift: „Wo gibt es Schieflagen? Wo müssen wir etwas ändern?“ Beim Thema Zeitarbeit haben wir beispielsweise das Problem der Höchstüberlassungsdauer gelöst - ich persönlich hätte mir 24 Monate gewünscht, aber wir haben uns auf 18 Monate geeinigt; so ist das mit Kompromissen -, bei den Werkverträgen haben wir die Informationsrechte neu geregelt, und bei der sachgrundlosen Befristung haben wir - vor allen Dingen die Union - keinen Änderungsbedarf gesehen. Frau Krellmann, ich will Ihnen jetzt auch einmal sagen, warum nicht, und ich will all das, was Sie erklärt haben, ein bisschen relativieren: Erster Punkt. Sie müssen sich natürlich erst einmal ansehen, wie viele Menschen in Deutschland ein befristetes und wie viele ein unbefristetes Angestelltenverhältnis haben. Ich habe mir einmal die Zahlen vom IAB, einem Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit - es ist also höchst unverdächtig -, angeschaut. Es sagt, dass der Anteil befristeter Arbeitsverhältnisse seit 2006 mit unter 9 Prozent etwa gleichbleibend ist. Das heißt im Umkehrschluss: 91 Prozent der Menschen in Deutschland haben einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Das ist erst einmal eine gute Botschaft für dieses Land. ({0}) Zu den Neueinstellungen: Der Anteil der befristeten Neueinstellungen liegt seit 2005 in der Tat in einem Korridor von 43 bis 47 Prozent; aktuell sind es 44 Prozent. Die entscheidende Kennziffer ist aber doch die Übernahmequote. Es geht darum, dass die Menschen, die einen befristeten Arbeitsvertrag bekommen, auch die Aussicht auf einen unbefristeten Arbeitsvertrag haben. Diese Übernahmequote ist in den letzten Jahren signifikant gestiegen. 2009 wurden 30 Prozent von ihrem Arbeitgeber übernommen, jetzt liegt die Quote bei 39 Prozent, weil gerade auch die Arbeitgeber im Mittelstand, die kleinen und mittleren Betriebe, händeringend neue Beschäftigte suchen und deshalb einen großen Anreiz haben, diese Menschen möglichst schnell unbefristet einzustellen. ({1}) Das heißt, dieses Instrument ist eine Brücke in den Arbeitsmarkt - gerade für Berufseinsteiger. ({2}) Frau Krellmann, lassen Sie mich der Fairness halber zweitens sagen: Sie sprachen von den Gewerkschaften. Interessant ist, dass die Gewerkschaften diese sachgrundlose Befristung einschränken bzw. abschaffen wollen, während sie sie in den Tarifverträgen gleichzeitig selbst erlauben - gerade die DGB-Gewerkschaften -, und zwar nicht nur für 24 Monate, sondern sie nutzen auch die Öffnungsklausel und weiten diese sachgrundlose Befristung auf 48 Monate aus. ({3}) Das hat die IG BCE, die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, in fast allen Tarifverträgen so geregelt, ({4}) und auch für die IG Metall in Baden-Württemberg gelten diese 48 Monate in einigen Verträgen. Es macht deshalb keinen Sinn, dass der Gesetzgeber etwas verbietet, was bei vielen Tarifvertragsparteien gang und gäbe ist; und deswegen sehen wir hier auch keinen Änderungsbedarf. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Linnemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung der Kollegin Krellmann?

Dr. Carsten Linnemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte meine Rede gerne zu Ende bringen; ich bin sofort fertig. Drittens. Das letzte Beispiel ist die Frage - Sie haben das indirekt ja auch angesprochen -: Wo wird befristet? Wo finden Befristungen statt? Interessant ist, dass die Quote der befristeten Arbeitsverhältnisse in der Privatwirtschaft bei rund 7 Prozent liegt, während sie im öffentlichen Dienst mehr als doppelt so hoch ist. Im Bereich „Erziehung und Unterrichtung“ liegt sie beispielsweise bei 17 Prozent. Bei den Neueinstellungen wird das noch deutlicher: Im Bereich „Erziehung und Unterricht“ - öffentliche Verwaltung bzw. öffentliche Hand - beträgt die Quote fast 80 Prozent, während es im Mittelstand rund 20 Prozent sind, zum Beispiel 23 Prozent im Bereich „Baugewerbe, Information und Kommunikation“ usw. Das heißt, der Staat als Arbeitgeber muss erst einmal selbst seine Praxis überprüfen, bevor er überhaupt daran denken kann, regulierend in den Markt einzugreifen, um Mittelständler unter Druck zu setzen. Der Grund für diese Unterschiede ist klar: Es gibt einen eigenen Sachgrund in der öffentlichen Verwaltung, nämlich die Mittelbefristung. Diesen Sachgrund gibt es im Mittelstand nicht. Es gibt keinen Sachgrund Auftragslage oder Konjunkturlage. Wenn es ihn gäbe, dann könnte man ja über alles reden, aber den gibt es nicht. Deshalb halten wir an der sachgrundlosen Befristung fest. Wir sehen hier keinen Änderungsbedarf. Wir brauchen die flexiblen Arbeitsmarktinstrumente für die Erfolge am Arbeitsmarkt, und deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Krellmann hat zu einer Kurzintervention das Wort.

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Linnemann, ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, dass die Tarifverträge, von denen Sie gesprochen haben, Tarifregelungen vorsehen, die in der Krise ganz bewusst gemacht wurden, um zu verhindern, dass die Menschen erwerbslos werden. Sie boten neben der Kurzarbeit eine Möglichkeit, Menschen im Betrieb zu halten. Dieses Instrument soll nicht in der Zeit genutzt werden, in der es der Wirtschaft gut geht und wo man dieses Instrument im Grunde gar nicht braucht, sondern einen Fachkräftemangel beklagt. Das Problem ist: Von befristeten Verträgen sind 2,7 Millionen Menschen betroffen. Das sind fast 10 Prozent. Das heißt in der Konsequenz, 50 Prozent aller Neueinstellungen werden befristet eingestellt, obwohl es eine Probezeit gibt, von der Sie eben gar nicht gesprochen haben. Für das, was Sie beschrieben haben, ist die Probezeit da und nicht die Befristung von Beschäftigungsverhältnissen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Erwiderung, Kollege Linnemann.

Dr. Carsten Linnemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Krellmann, ich meine die laufenden Tarifverträge. Sie sind nicht auf die Zeit von damals beschränkt, sondern es handelt sich um laufende Tarifverträge. ({0}) Ich war selber in der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales bei den Koalitionsverhandlungen dabei. Es ist öffentlich - es ist auch nicht schlimm, das zu sagen -, wer die Gesprächspartner waren. Auf der anderen Seite waren zwei Vertreter der Gewerkschaft, die selbst als Chef einer Gewerkschaft diese Tarifverträge unterschrieben haben, die es noch immer gibt. Das ist einfach eine sachliche Beschreibung. Noch einmal, Frau Krellmann: Die meisten befristeten Verträge gibt es im öffentlichen Dienst. Fangen wir doch erst einmal da an, bevor wir versuchen, regulierend in den Markt, in den Mittelstand einzugreifen. Herzlichen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Anette Kramme das Wort. ({0})

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Linnemann und liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, die Große Koalition, die im Raum steht, wird leider nichts daran ändern, dass wir in der einen oder anderen Frage dennoch unterschiedlicher Meinung sind. ({0}) Das wird sich natürlich auch nicht so ohne Weiteres ändern. Ich muss ausnahmsweise der Frau Krellmann von den Linken recht geben, dass uns das angesprochene Thema befristete Beschäftigung sehr am Herzen liegt. Dabei geht es um die prekäre Beschäftigung insgesamt. Um wieder zum Koalitionsfrieden zurückzukommen: Ich finde, wir haben gemeinsam in dem möglichen Vertrag eine Menge erreicht, was dazu führen wird, dass die Zahl der prekären Beschäftigungsverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland abnehmen wird. ({1}) Da haben wir das Thema Mindestlohn. Ab dem 1. Januar 2015 werden wir bundesweit einen flächendeckenden, einheitlichen Mindestlohn einführen. Ich finde, das ist ein großer Erfolg für Deutschland. Das ist geradezu ein historisches Ereignis. ({2}) Wir gestatten es den Tarifvertragsparteien sogar, darüber hinauszugehen, zu sagen: Dieser gesetzliche Mindestlohn ist uns nicht hoch genug. Wir wollen über einen eigenen Mindestlohntarifvertrag einen noch höheren erreichen. - Auch das ist eine gute Geschichte. Dann haben wir ein Thema aufgegriffen, von dem ich behaupte: Es war in den letzten 20 oder 30 Jahren in diesem Raume nicht einmal diskussionsfähig. Wir haben gesagt: Wir gehen das Tarifvertragsgesetz an und reformieren die Allgemeinverbindlicherklärung. Für diejenigen, die es nicht so genau wissen: Die Allgemeinverbindlicherklärung soll bewirken, dass in einer Branche ein Tarifvertrag wie ein Gesetz wirkt. Damit sollen mögliche Missstände in einem Bereich beseitigt werden. Wir kümmern uns auch um das Thema Leiharbeit. Die Höchstüberlassungsdauer soll künftig bei lediglich 18 Monaten liegen. Das ist eine prima Geschichte. Wir ändern auch Kleinigkeiten - sie sind leider nicht hinreichend - beim Thema Equal Pay. Ich kann weitere Dinge nennen, beispielsweise bei der Entgeltgleichheit, die insbesondere Frauen betrifft. Ich finde es einen Skandal, dass Frauen in dieser Republik im Schnitt immer noch wesentlich weniger verdienen als Männer. ({3}) Wenn den Frauen künftig ein Auskunftsanspruch hilft, um Entgeltgleichheit durchzusetzen, dann ist das eine großartige Geschichte. Meine Damen und Herren von der Union, lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit für die Art und Weise danken, in der diese Koalitionsverhandlungen verlaufen sind. Meine Erfahrung war: Es waren konstruktive und fachkundige Gespräche, und das ist richtig gut gelaufen. Aber jedem Vertrag ist immanent, dass ein Kompromiss damit einhergeht. Ein Kompromiss beinhaltet gegenseitiges Nachgeben. Es gibt sogar den gängigen Spruch: Ein guter Kompromiss liegt dann vor, wenn beide Seiten heftig über denselben schimpfen. Ich kann Ihnen sicher sagen, dass wir als SPD dies an der einen oder anderen Stelle tun. Wenn wir über das Thema Maut reden, dann wird mir ganz anders. Wenn wir über die Fortsetzung des Betreuungsgeldes reden, bin ich auch nicht gerade erfreut. Wir wären auch der Auffassung gewesen, dass wir für dieses Land Steuererhöhungen gebraucht hätten. Aber wir haben diese nicht durchsetzen können. So ist auch das Thema sachgrundlose Befristung eines, das uns leider nicht zufriedenstellt. Es gibt eine Menge Fakten, die dafür sprechen, die sachgrundlose Befristung zu streichen. Fast 50 Prozent aller Neueinstellungen erfolgen befristet, wie erwähnt, gerade im öffentlichen Dienst, wobei meine persönliche Haltung zu dem Thema ist, dass gerade der öffentliche Dienst eine Vorbildfunktion einnehmen müsste, was Beschäftigungsverhältnisse angeht. ({4}) Daran können an sich alle hier im Raum mitwirken. Alle sind in irgendwelchen Landesregierungen vertreten und haben natürlich auch die Möglichkeit, mit den Kommunen zu reden. Ich finde, wir sollten dieses Thema gemeinsam angehen. Leider sind mittlerweile fast 10 Prozent aller Arbeitsverhältnisse insgesamt befristet. Dabei gibt es einen Aspekt, der, finde ich, besonders betroffen macht. Es sind gerade die jungen Menschen, die von Befristungen betroffen sind. 19 Prozent aller jungen Menschen bis 34 Jahre haben einen befristeten Arbeitsvertrag. Das ist eine Gruppe von Menschen, die in ihrer Lebensplanung eingeschränkt sind, und das in einem Alter, in dem an sich jede Menge Entscheidungen zu treffen sind, etwa ob man eine Familie gründet, ob man Investitionen größerer Art tätigt usw. Es geht also um die Lebensplanung. Befristete Beschäftigung hat auch etwas mit der Durchsetzung von Rechten zu tun. Umso häufiger sind befristet Beschäftigte deshalb überdies von Niedriglöhnen betroffen. Meine Damen und Herren von der Union, vielleicht überlegen Sie sich das Ganze noch einmal. Sie haben jetzt jede Menge gute Argumente geliefert bekommen. ({5}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend Folgendes sagen: Der Koalitionsvertrag als solcher ändert nichts an unserer Haltung zu befristeter Beschäftigung, wobei wir weitergehend der Auffassung sind, dass man auch über die Sachgrundbefristung nachdenken müsste. Ein Beispiel sei an dieser Stelle genannt. In meinem Wahlkreis gibt es ein Klinikum mit über 2 000 Beschäftigten. Dort gibt es auch immer wieder Erziehungszeitvertretungen. In einem solchen großen Krankenhaus gibt es jede Menge identischer Stationen: mehrere internistische Stationen, mehrere chirurgische Stationen, mehrere Intensivstationen usw. Statt jeweils mit Sachgrundbefristungen zu arbeiten, könnte man auch wunderbar Springer einsetzen. Alle gemeinsam müssen also auf allen Ebenen mitwirken, damit auch das besser wird. Unsere Position ist nicht verändert. Deshalb sagt auch unsere Fraktion Ja zu diesem Koalitionsvertrag. Ich bin mir sicher, unsere Mitglieder werden es auch tun. In dem Sinne hoffe ich, dass sich in den nächsten vier Jahren tatsächlich etwas positiv für die Menschen in diesem Lande wendet. Ganz herzlichen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Beate Müller-Gemmeke das Wort.

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mittlerweile hat fast jeder zweite neue Job ein Verfallsdatum, Herr Linnemann; das ist das Problem und nicht die absolute Zahl. Diese Entwicklung sehen wir mit großer Sorge. Deswegen haben wir in der letzten Wahlperiode einen fast identischen Antrag in den Bundestag eingebracht - wie heute die Linke. Wir hatten gehofft, dass sich die Große Koalition - anders als Schwarz-Gelb - endlich mit diesem Problem befasst und sich ihm stellt. Im Koalitionsvertrag steht aber kein einziges Wort zur sachgrundlosen Befristung. Ich finde, das geht überhaupt nicht. Ein Kapitel „Vollbeschäftigung, gute Arbeit und soziale Sicherheit“ ohne das Thema Befristung geht nicht; denn das ignoriert die Sorgen und die Ängste der Menschen. ({0}) Ich bleibe ganz kurz beim Koalitionsvertrag, weil dieser mehrfach angesprochen wurde. Natürlich sind Kompromisse notwendig, und natürlich gibt es auch Verbesserungen. Über den Mindestlohn haben wir schon diskutiert. Die Tarifautonomie wird gestärkt; das ist mir persönlich ein besonderes Anliegen. Die Werkverträge werden - ich sage mal - reguliert. Da sehen wir auch unsere Vorschläge teilweise verwirklicht. Das heißt, hier stimmt die Richtung. Ich hoffe: Sie setzen das auch wirklich um. Bei anderen Themen haben wir aber heftige Kritik. Enttäuschend finde ich beispielsweise die Pläne bei der Leiharbeit. Equal Pay soll es erst nach neun Monaten geben; das kennen wir eigentlich nur von der FDP. Das geht gar nicht. Die Begrenzung der Überlassungszeit ist richtig. Aber sie ist zu lang und muss vor allem an den Arbeitsplatz gebunden werden. Das heißt, bei der Leiharbeit werden wir uns noch viel streiten. ({1}) Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Minijobs. Hier fehlt die Rentenversicherungspflicht; das kann ich überhaupt nicht verstehen. ({2}) Eine Leerstelle gibt es insbesondere beim Beschäftigtendatenschutz. Hier brauchen wir endlich faire Regelungen zum Schutz der Beschäftigten. Das Kapitel „Gute Arbeit“ hat also etliche Lücken. Uns, der Opposition, wird die Arbeit nicht ausgehen. Die Diskussionen im Ausschuss gehen weiter. ({3}) Zurück zu den Befristungen; denn das Thema ist mir schon wichtig. Da es keine Koalitionspläne gibt, über die man reden kann, werde ich - wie in den letzten vier Jahren - einfach die Situation beschreiben, damit hier endlich etwas passiert. Die sachgrundlose Befristung hat sich in den letzten Jahren wie ein Virus ausgebreitet. Die Arbeitgeber nutzen natürlich diesen Vorteil; denn das ermöglicht ihnen eine extrem flexible Personalpolitik. Der Preis für die Beschäftigten ist aber hoch, wir meinen: zu hoch. ({4}) Beschäftigte, die befristet angestellt sind, haben ein hohes Armutsrisiko. Sie werden viel häufiger arbeitslos als regulär Beschäftigte. Sie können auch nicht über den Tag hinaus planen. Die ständige Unsicherheit belastet die Menschen. Viele machen sich Sorgen über die Zukunft und haben Angst vor Krankheit und Armut im Alter. Lebensqualität sieht anders aus. Wer weiterbeschäftigt werden will, verhält sich ruhig und wird nicht gerade auf seine Rechte pochen. Man verschlechtert ja nicht leichtfertig mögliche Chancen. Das wissen auch die Arbeitgeber. Deswegen sind die Arbeitsbedingungen häufig schlechter als bei regulärer Beschäftigung. Der Lohn ist niedriger, und es gibt weder Aufstiegs- noch Weiterbildungsmöglichkeiten. Das alles zusammen ist für uns nicht akzeptabel. Dabei beschäftigt mich eine Entwicklung ganz besonders; Frau Kramme hat sie schon angesprochen: Gerade junge Menschen sind von Befristungen besonders stark betroffen. Lebensplanung ist etwas, worüber viele jüngere Beschäftigte nur noch müde lächeln können. Das ist nicht nur ungerecht, sondern mit Blick auf den demografischen Wandel auch verantwortungslos; denn gerade junge Menschen brauchen ihren Platz in unserer älter werdenden Gesellschaft. Auch deswegen wollen wir die sachgrundlose Befristung abschaffen. ({5}) Ich höre immer, Betriebe seien dann nicht mehr flexibel genug in ihrer Personalplanung. Dazu sage ich: Es gibt eine ausreichend lange Probezeit. Kleine Betriebe sind vom Kündigungsschutz ganz befreit. Für die anderen gibt es noch immer die Befristung aus sachlichem Grund, beispielsweise für einen Zusatzauftrag, bei Saisonarbeiten oder für ein bestimmtes Projekt. Gleiches gilt bei Elternzeit, bei längerem Urlaub oder Krankheit. Wer gute Gründe hat, könnte also weiterhin befristen. Sachgrundlos, also einfach willkürlich, das soll aber künftig nicht mehr möglich sein. Durch Befristungen darf das unternehmerische Risiko nicht einfach auf die Beschäftigten übertragen werden. Auch der Kündigungsschutz darf nicht umgangen werden. Nur so wäre es richtig und auch fair. ({6}) Unser Ziel ist es also, eine neue, eine gerechte Balance herzustellen, die den Interessen der Arbeitgeber und der Beschäftigten gleichermaßen gerecht wird. Flexible Arbeitsverhältnisse dürfen keine Einbahnstraße sein; denn die Menschen brauchen soziale Sicherheit. Das Thema steht, wie ich schon gesagt habe, nicht im Koalitionsvertrag. Wir werden aber dranbleiben. Das kann ich Ihnen versichern. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Johann Wadephul für die Unionsfraktion. ({0})

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat steht zur sachgrundlosen Befristung nichts im Koalitionsvertrag, und das hat seinen Grund, nämlich den, dass wir an den Regelungen nichts ändern werden. Ich will Ihnen das kurz begründen. Die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverhältnissen gibt es seit Mitte der 80er-Jahre. Eingeführt wurde sie von Arbeitsminister Norbert Blüm. Nachdem sie Erfolge zeitigte und dafür gesorgt hat, dass es mehr Beschäftigung gegeben hat, war es Rot-Grün, Frau Kollegin Müller-Gemmeke, die diese in das Teilzeit- und Befristungsgesetz überführt hat. ({0}) Es war die Abgeordnete Dr. Thea Dückert, die am 26. Oktober 2000, damals der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angehörend, zur Einführung dieses Gesetzes sagte: Im Ganzen wird die Befristung ohne sachlichen Grund weiterhin ermöglicht; das ist uns wichtig. ({1}) Ich muss sagen: Die Kollegin Dückert hatte recht. ({2}) Die Arbeitsmarktlage gibt ihr recht. Bleiben Sie doch bitte bei dem, was Sie selber erkannt haben. Das hat für mehr Beschäftigung in Deutschland gesorgt. ({3}) Verabschieden Sie sich doch nicht von allen Reformen, die Sie durchgeführt haben! Es ist doch eine etwas schizophrene Situation: Wir werden europaweit dafür bewundert, uns wird dafür auf die Schultern geklopft. Da kommt man sich als Unionsmensch eigenartig vor: Wir werden dafür gelobt, was Rot-Grün für sinnvolle Reformen durchgeführt hat. Die mussten wir an manchen Stellen - bei Hartz IV haben Sie die Kinder vergessen usw. nachbessern. Das haben wir gemacht. Sie haben dem auch zugestimmt. Sie haben notwendige Arbeitsmarktreformen durchgeführt. Jetzt haben diese Erfolg. Aber das Schizophrene ist, dass Sie diese wieder zurückdrehen wollen. Das ist völlig irrsinnig, und das werden wir nicht machen. ({4}) Diese Reformen waren richtig und notwendig. Sie sorgen für Arbeitsplätze, und deswegen bleibt es dabei. ({5}) Das ist keine Märchenstunde. Schauen Sie sich doch schlicht und ergreifend die Arbeitsmarktzahlen in Deutschland an. ({6}) Wir haben noch nie so viele sozialversicherungspflichtig Beschäftigte gehabt wie heute. ({7}) Wir haben eine exzellente Situation in allen Kassen. ({8}) - Liebe Kollegen der Linksfraktion, Sie merken - diesen Verhandlungserfolg kann die SPD in der Tat für sich verbuchen -, dass Ihnen sozialpolitisch sämtliche Felle wegschwimmen. ({9}) Deswegen fangen Sie in einer parlamentarischen Ungeduld an, diese Themen noch einmal hochzukochen. Es ist schlicht und ergreifend in dem Bereich nicht mehr zu erreichen. Wir müssen bei dem bleiben, was sinnvollerweise vereinbart worden ist. Ich möchte in dieser Debatte zumindest einmal - das hat der Kollege Linnemann vorhin auch schon gemacht auf die Arbeitgeberseite zu sprechen kommen. Auch die gibt es. Nicht jeder Arbeitgeber, insbesondere der im betroffenen Mittelstand, ist ein schlimmer Ausbeuter, der jungen Menschen, von denen Sie hier die ganze Zeit reden, die Zukunft verbauen will. Wir reden doch praktisch über den Mittelstand. Befristete Arbeitsverhältnisse haben faktisch im Bereich der Kleinstbetriebe, das heißt in Betrieben mit bis zu zehn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, gar keine Bedeutung, weil diese Betriebe ohnehin jederzeit kündigen können. Da gilt das Kündigungsschutzgesetz überhaupt nicht. ({10}) Die Regelungen haben ebenso wenig Bedeutung bei größeren, tarifgebundenen Unternehmen, wo es entweder Haustarifverträge oder die von dem Kollegen Dr. Linnemann schon erwähnten Tarifverträge gibt - Stichwort IG BCE -, die eine zum Teil noch viel längere sachgrundlose Befristung zulassen. Betroffen sind die Betriebe, die sich in der schwierigen Sandwichposition, also dazwischen, befinden, das heißt mehr als zehn Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer haben, aber noch kein Großbetrieb sind, der ohnehin mitbestimmt ist, wo es einen Betriebsrat gibt, wo es eine Gewerkschaft gibt, wo auf solche Sachen ohnehin mit Einstellungskriterien und mit einem Haustarifvertrag reagiert wird. Diese Betriebe schaffen Arbeitsplätze in Deutschland. Sie brauchen in diesem Haus einen Anwalt, und das werden die Unionsfraktion und Personen wie Herr Dr. Linnemann als Vorsitzender unserer Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung sein. Menschen wie er sorgen dafür, dass diese Betriebe weiterhin einen Anwalt im Bundestag haben. Sie brauchen die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung, um atmen zu können. ({11}) Täuschen Sie sich nicht: Vermeintliche Sachgründe wie „Wir haben jetzt einen Auftrag, und zur Abwicklung dieses Auftrages stellen wir befristet mehr Menschen ein“ sind vor Arbeitsgerichten in Deutschland unsicher. Ich bin in diesem Bereich seit einigen Jahren beratend tätig. Als verantwortlicher Jurist wird man keinem Betriebsinhaber sagen können: Mit dieser Begründung kannst du dich, wenn die Auftragslage schlechter wird oder wenn dieser Auftrag abgewickelt ist, ohne Weiteres und ohne Abfindung wieder von den Arbeitnehmern trennen. - Diese Trennung wollen die Arbeitgeber ja nicht, um den Arbeitnehmern irgendetwas Schlechtes zu tun, sondern weil sie schlicht und ergreifend nicht mehr bezahlbar sind. Bevor Betriebe in die Gefahr kommen, notleidend zu werden oder sogar in die Insolvenz zu gehen, zumindest in eine ganz schwere Schieflage zu kommen, müssen wir dem Mittelstand die Luft zum Atmen geben. Insofern ist es richtig, dass dieses Instrumentarium erhalten bleibt. Wenn man sich den Koalitionsvertrag insgesamt anschaut - das ist in dieser Debatte etwas zu kurz gekommen -, dann muss man sagen: Er ist nicht zu mittelstandslastig, sondern er ist gerade im sozialpolitischen Bereich erheblicher Kritik aus dem Arbeitgeberlager ausgesetzt. Deswegen geht Ihre Kritik, dass wir die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht hinreichend gewürdigt hätten, vollkommen fehl. Das ist ein ausgewogener Koalitionsvertrag. Auch in diesem Bereich werden wir ihn umsetzen und dafür sorgen, dass es noch mehr Beschäftigung in Deutschland gibt. Vielen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Paul Lehrieder für die Unionsfraktion. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr gehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Einmal mehr beschäftigen wir uns heute mit der sachgrundlosen Befristung, einem arbeitsrechtlichen Instrument, das sich bewährt hat und dessen Abschaffung unseren Arbeitsmarkt belasten würde; Vorredner haben bereits darauf hingewiesen. Die Lage auf dem hiesigen Arbeitsmarkt ist so gut wie noch nie. Wir haben so hohe Beschäftigungsquoten wie nie zuvor, mit Abstand die geringste Jugendarbeitslosigkeit innerhalb der EU, und unserer Wirtschaft geht es ausgesprochen gut. Wir haben - das besagen die aktuellen Zahlen - über 300 000 mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse im Vergleich zum Vorjahresniveau. Wir haben insgesamt so viele sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse wie noch nie auf deutschem Grund und Boden. ({0}) Großen Anteil an diesem Erfolg haben unsere flexiblen Beschäftigungsformen; das gehört zur Wahrheit. Frau Kollegin Müller-Gemmeke, es war die rot-grüne Bundesregierung, die das Teilzeit- und Befristungsgesetz, das zum 1. Januar 2001 in Kraft getreten ist, eingeführt hat. Das war angesichts des damaligen verkrusteten Arbeitsmarkts richtig. Jetzt kommt Frau Kollegin Krellmann und sagt: Wir haben aber jetzt Fachkräftemangel; es schaut wieder ganz anders aus. - Frau Kollegin Krellmann, es gibt keinen Grund dazu, jetzt schon übermütig zu werden. Wir drehen das, was damals an Lockerung auf dem Arbeitsmarkt gemacht worden ist, nicht zurück. Wir fahren unsere Volkswirtschaft nicht mutwillig an die Wand, wie es unsere westlichen Nachbarn in Frankreich derzeit im Begriff sind zu tun. Lassen Sie uns nicht übermütig werden. Lassen Sie uns die probaten, die richtigen Instrumente, die RotGrün sinnvollerweise eingeführt hat, nutzen und nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Wir sollten diese Instrumente tatsächlich weiterentwickeln. Frau Kollegin Kramme hat darauf hingewiesen: Entsprechend sind wir bei der Leiharbeit vorgegangen; wir haben trotz unterschiedlicher Vorstellungen Equal Pay eingeführt. Wir haben etliches Gute, etliches Sinnvolle zur Einschränkung von Missbräuchen bei flexiblen arbeitsmarktpolitischen Instrumenten auf den Weg gebracht. Aber ein kompletter Verzicht auf die sachgrundlose Befristung würde den Arbeitsmarkt absolut kontraproduktiv belasten. Deshalb ist dieser Verzicht auch nicht im Koalitionsvertrag enthalten. Meine Damen und Herren, die aus diesen Instrumenten resultierende Flexibilisierung des Arbeitsmarktes hat zu einem beachtlichen Beschäftigungszuwachs geführt. Darauf können wir zu Recht stolz sein. Daran haben mehrere Bundesregierungen über mehrere Legislaturperioden mitgearbeitet. Wir sollten uns auch hüten, jetzt an diesen Bedingungen zu rütteln. Ihr Entwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ist aber genau solch ein Versuch. Mit der Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen würde ein bewährtes Instrument ersatzlos gestrichen, das für viele Unternehmen Anreize bietet, mehr Personal einzustellen, und das für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine wichtige Brücke in eine unbefristete Beschäftigung ist. ({1}) - Frau Kollegin Müller-Gemmeke, Sie haben doch sicher dem Kollegen Linnemann aufmerksam zugehört. Er hat gesagt: Wenn 40 Prozent aus einem befristeten Arbeitsverhältnis fest übernommen werden, dann sind das 40 Prozent Chancen, dann erhalten 40 Prozent der Menschen für ihre Lebensplanung eine Perspektive. ({2}) Das gehört zur Wahrheit dazu. ({3}) Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung wäre ein Nachteil für die Beschäftigungssituation in Deutschland. Deshalb lehnen wir den Entwurf ab, meine Damen und Herren. Selbstverständlich würde auch ich mir wünschen, dass alle Menschen in unserem Land von Anfang an einen unbefristeten Arbeitsvertrag erhalten. Das ist der Idealfall. Auf diesen arbeiten wir mit ganzer Kraft hin. Allerdings gibt es durchaus Situationen, in denen eine Befristung nicht nur sinnvoll, sondern geradezu geboten ist. Nur durch diese Flexibilisierung können wir mehr Menschen erfolgreich in Arbeit bringen. Das muss letztlich unser aller vorrangiges Ziel sein. Befristete Verträge haben hier eine wichtige Funktion und schaffen Anreize für Unternehmen, bei vorübergehend guter Auftragslage mehr Arbeitnehmer zu beschäftigen. Das schafft Jobs, ({4}) die viele Firmen nicht vergeben würden, wenn es die Möglichkeit der Befristung nicht gäbe. Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer birgt dies zugleich die Chance, sich zu beweisen und nach guter verlässlicher Arbeit einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu erhalten. Ja, es ist richtig: Wir müssen schauen, was im öffentlichen Dienst passiert. Frau Kollegin Kramme, wir beide kommen aus Bayern. Wir wissen: Das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz sieht vor, dass Eltern bei den Kindergärten immer nur jahresweise buchen können. Dass da unbefristete Arbeitsverhältnisse für den Träger schwierig sind, liegt in der Natur der Sache. Wir werden sehen müssen, dass wir für qualifizierte Jugenderzieherinnen in stärkerem Maße unbefristete Arbeitsverhältnisse hinbekommen und mit Springern bzw. mit anderen flexiblen Arbeitsverhältnissen trotzdem etwas mehr Flexibilität erreichen können. Gerade in Zeiten, in denen es auf dem Arbeitsmarkt so gut geht wie jetzt, sollten wir diese Instrumente - ich habe es vorhin bereits ausgeführt - nicht verwerfen, sondern uns darauf besinnen, warum wir derzeit so wenig Arbeitslose haben. Sicherlich stimme ich mit Ihnen überein, dass sich an der konkreten Ausgestaltung weiter feilen lässt, um Ungerechtigkeiten weitestgehend zu vermeiden und eventuellem Missbrauch wirksam entgegenzuwirken. ({5}) Unsere Lebensabschnittsgefährtin von der SPD hat bereits darauf hingewiesen, dass sie nicht locker lassen werden, dass sie aufpassen werden, dass wir die richtigen Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt machen. Aber ich warne davor, zum jetzigen Zeitpunkt das Kind mit dem Bade auszuschütten, übermütig zu werden und die sinnvollen rot-grünen Reformen der Agenda 2010 in Bausch und Bogen zu verdammen und über Bord zu werfen. Liebe Frau Müller-Gemmeke, ihr habt das damals richtig gemacht. Wir machen richtig weiter. Helfen Sie in der Legislaturperiode mit! Dann kriegen wir etwas Gescheites hin. Herzlichen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Vizepräsidentin Petra Pau Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/7 an den Hauptausschuss vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Omid Nouripour, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Operation Active Endeavour beenden - Drucksache 18/99 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Frithjof Schmidt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Frithjof Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004145, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist sicher schon spät, aber es ist notwendig, dass wir uns im Plenum mit diesem Bundeswehreinsatz noch vor Ende des Jahres beschäftigen. ({0}) Die Bundeswehr beteiligt sich seit über zehn Jahren an der Operation Active Endeavour. Der Sinn dieser militärischen Sondermission zur Aufklärung und Terrorbekämpfung im Mittelmeerraum ist schon seit langem mehr als fragwürdig. Die Begründung des Einsatzes mit dem NATO-Bündnisfall durch Art. 5 des Nordatlantikvertrages als Reaktion auf die Angriffe auf das World Trade Center in New York ist inzwischen völkerrechtlich hochproblematisch, mindestens jedoch schon lange überholt. ({1}) Der Bündnisfall gehört aufgehoben. ({2}) Genau das haben wir letztes Jahr beantragt und gegen eine Mandatserteilung gestimmt. Die Sozialdemokraten und die Linke waren ebenfalls dagegen. ({3}) Es ist eigentlich ein Grund zur Freude, wenn die geschäftsführende Bundesregierung darauf verzichtet, ein neues Mandat zu beantragen. Es läuft dann nämlich zum 31. Dezember dieses Jahres aus. Aber dann hört man Ankündigungen aus den Reihen von SPD und CDU, dass der Einsatz einfach ohne Mandat 2014 fortgesetzt werden soll. Jede Bundesregierung seit 2003 hat für diesen Einsatz ein Mandat des Bundestages für notwendig gehalten. Herr de Maizière hat das hier vor elf Monaten so begründet: Wenngleich der Schwerpunkt der Operation in der Präsenz und Überwachung liegt, sieht der Operationsplan … nach wie vor die Anwendung militärischer Gewalt zur Erfüllung des Auftrages vor, auch wenn die Anwendung der entsprechenden Befugnisse in der Vergangenheit überwiegend nicht zum Tragen gekommen ist. Die Mandatierung der deutschen Beteiligung durch den Deutschen Bundestag bleibt aufgrund der exekutiven Anteile des Auftrages weiterhin erforderlich. ({4}) Recht hat er damit gehabt, der Herr de Maizière. Wer in diesen Einsatz Soldaten schicken will, der braucht dafür ein Mandat. ({5}) Das war 2013 so, und das ist auch 2014 so. Weder die Lage noch der Operationsplan der NATO haben sich in zentralen Punkten verändert. Wenn aus SPD und CDU/ CSU jetzt die Zustimmungspflichtigkeit durch den Bundestag verneint wird, dann höhlen Sie die parlamentarische Kontrolle von Bundeswehreinsätzen im Kern aus und schaffen einen unseligen Präzedenzfall. Und deswegen muss hier klargestellt werden, was die Große Koalition vorhat. Ohne Mandat müssen Sie die deutsche Beteiligung an OAE beenden. Ich frage Sie: Sind Sie bereit dazu, oder wollen Sie wirklich das Parlament für das nächste Jahr umgehen? Wir alle wissen, dass Einsätze wie in Mali oder vor der Küste des Libanon durchaus in Grauzonen zwischen Polen wie Ausbildung oder Überwachung und möglichen Kampfhandlungen angesiedelt sind. Seit langem gab es in diesem Haus eine Art Grundkonsens zwischen allen Fraktionen: Im Zweifel für die Mandatspflichtigkeit. Die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz brauchen diese Klarheit des Mandates. Unterschiedliche Rechtsinterpretationen zwischen den Fraktionen des Bundestages dürfen nicht auf ihrem Rücken ausgetragen werden. Im Zweifel braucht es ein Mandat. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, Sie haben das bisher gewusst und getragen. Es war gut, dass wir diesen Konsens hatten. Ich sage Ihnen: Ich mag nicht glauben, dass ausgerechnet Sozialdemokraten das jetzt infrage stellen und die Union zu einer Revision ihrer bisher richtigen Grundsatzposition nötigen, nur weil sie ein taktisches Abstimmungsproblem in der Großen Koalition kommen sehen. ({7}) Das wäre wirklich ein trauriges Versagen und ist der Programmatik der Sozialdemokraten nicht würdig. ({8}) Stellen Sie die Beteiligung an der Operation Active Endeavour ein! Wenn Sie dazu nicht die Kraft haben, dann verabschieden Sie mit Ihrer Mehrheit ein Mandat. Aber hören Sie auf, das Parlamentsbeteiligungsgesetz politisch zu beschädigen! Danke für die Aufmerksamkeit. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Roderich Kiesewetter hat für die Unionsfraktion das Wort. ({0})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Dr. Schmidt, ich glaube, einige Ihrer Fragen kann ich sogar so beantworten, dass Sie erstaunt und erfreut sein werden. Ich denke, dass wir noch genügend Zeit für eine ausreichende parlamentarische Befassung zu diesem Thema haben werden. ({0}) Aber blicken wir kurz zurück: Es geht um das Mittelmeer. Wenn wir das Mittelmeer betrachten, so wissen wir, dass es eines der wichtigsten Transitrouten für den weltweiten Wirtschafts- und Handelsverkehr ist, dass es nicht nur aus handelspolitischer und wirtschaftspolitischer Bedeutung eine ganz entscheidende Region ist. Vielmehr geht es hier auch um den innereuropäischen und den transpazifischen Handel; es geht um den transatlantischen Handel. Wir haben Anfang des letzten Jahrzehnts eine Entscheidung getroffen, den Terrorismus zu bekämpfen, seinerzeit in der Auffassung, hier Bündnisverteidigung leisten zu müssen, und haben Art. 5 des NATO-Vertrages als Begründung genommen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Kiesewetter, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Gehrcke?

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne, Herr Gehrcke. Wir haben ja Zeit.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das hatten Sie ja bereits festgestellt, dass genügend Zeit zur Verfügung steht. - Könnten Sie Ihre Aussage etwas präzisieren? Dass noch genügend Zeit zur Verfügung steht, hat niemand bestritten - bis zum 31. Dezember. Kann ich Ihre Aussage so interpretieren, dass Sie als Teil der Mehrheitspartei der Koalition hier klarmachen: „Es wird einen Mandatsantrag der Bundesregierung geben, und er wird rechtzeitig dem Parlament vorgelegt“? Das heißt, noch im Dezember.

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich will Ihnen ermöglichen, dass Sie sich wieder hinsetzen können. Ich werde im Laufe meiner Rede darauf eingehen. Sie bekommen eine Antwort. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Entscheidende ist, dass wir eine Weiterentwicklung dieser Operation erlebt haben. Diese Weiterentwicklung der Operation bedeutet: zusätzliche Lagebeurteilung, Kommunikation und Kooperation mit Mittelmeeranrainern. Deshalb ist unsere Bundesregierung seit einigen Jahren bemüht, in der NATO dafür zu werben, dass wir den Art.-5-Prozess überdenken. Herr Kollege Gehrcke, Sie werden eine Antwort auf Ihre Frage bekommen, ich möchte aber zunächst auf den Antrag der Grünen eingehen. Herr Schmidt, Sie haben mit Ihrem Antrag zwei zentrale Vorwürfe in den Raum gestellt, auf die ich eingehen möchte. Zum einen sprechen Sie davon, dass es zumindest 2012 keine Mehrheit für den Einsatz gab, und leiten daraus ab, dass das auch weiterhin so ist. Zum anderen äußern Sie den Vorwurf, dass die Bundesregierung oder die Mehrheitsfraktionen den Parlamentsvorbehalt umgehen möchten. Zum ersten Punkt, zu den Mehrheiten, ist zu sagen, dass die parlamentarische Debatte 2012 durchaus anders verlaufen ist - Sie nicken -, als Sie es darstellen. Die Opposition, insbesondere SPD und Grüne, hat vor allem rechtliche Begründungen für das Abstimmungsverhalten vorgebracht. Sie haben sich nicht politisch gegen den Einsatz maritimer Streitkräfte im Mittelmeer im Rahmen der Operation Active Endeavour ausgesprochen. Sie haben die rechtliche Begründung abgelehnt. Mit der Feststellung des Bündnisfalls durch den Nordatlantikrat, damals im Sinne des Art. 5 NATO-Vertrag, war Deutschland im Rahmen der kollektiven Verteidigung aufgefordert, einen Beitrag zu leisten. Es gab auch entsprechende UNO-Resolutionen - die sind Ihnen bekannt - von 2001, nämlich die Resolutionen 1368 und 1373 des Weltsicherheitsrates. Wir sind uns in Deutschland, glaube ich, mittlerweile einig, dass wir zu einer Weiterentwicklung über den Art. 5 NATO-Vertrag hinaus kommen müssen. Dafür setzen wir uns auch bei unseren NATO-Partnern ein. Denn wir sollten gerade den kooperativen Ansatz von Sicherheit ausdehnen, indem wir zum Beispiel verstärkt Anrainerstaaten wie Tunesien oder Algerien in diese Mission mit einbeziehen. Im Übrigen gibt es auch eine Parlamentarische Versammlung der Union für den Mittelmeerraum, wo wir solche Fragen diskutieren können. Ich möchte gerade bei den jüngeren Kolleginnen und Kollegen, die erstmals hier im Bundestag sind, Werbung für diese Parlamentarische Versammlung machen, die unsere südliche Nachbarschaft intensiv einbezieht. Die sicherheitspolitische Notwendigkeit des Einsatzes im Mittelmeer wird - das werden wir sehen - im Januar vielleicht weiterhin von einer breiten Mehrheit des Parlaments getragen. Ich kann das auch aus den KoaliRoderich Kiesewetter tionsgesprächen bestätigen. In unserer Arbeitsgruppe „Außen, Verteidigung und Entwicklung“ haben wir intensiv darüber gesprochen. Wir wollen eine parlamentarische Absicherung. Aber ich möchte gerade deshalb auf Ihren zweiten, viel gewichtigeren Vorwurf eingehen: die mangelnde Parlamentsbeteiligung. Wir haben im Koalitionsvertrag - die Mitglieder der SPD müssen ja noch zustimmen - eindeutig klargemacht, dass eine Einschränkung des Parlamentsvorbehalts bei Mandatsentscheidungen nicht infrage kommt. Wir werden bestimmte Fragen der Beteiligung in internationalen Stäben über ein Jahr hinweg in einer unabhängigen Kommission beraten und dann über die Ergebnisse diskutieren. Die Einsätze der Bundeswehr werden aber auch künftig vom Parlament entschieden. Die parlamentarische Beteiligung ist, glaube ich, unbestritten, und wir werden auch künftig dieses bewährte Mittel fortsetzen. Das Verfahren zur künftigen Fortführung des OAE-Mandats, das Sie ja angemahnt haben, Herr Dr. Schmidt, lässt an dieser Grundhaltung keinen Zweifel. Ich möchte das gerne näher erläutern und komme damit auch auf Ihre Frage, Herr Gehrcke, zurück. Die Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Operation Active Endeavour wird in ihrer bisherigen Form am 31. Dezember enden und wird im Jahre 2014 in geänderter Form fortgesetzt. Wie sieht das im Einzelnen aus? Die künftige Beteiligung deutscher Streitkräfte wird sich nur noch auf den bündnisgemeinsamen Beitrag im Rahmen der schwimmenden Verbände der NATO, also im ständigen maritimen Einsatzverband und im Minenabwehrverband, und der fliegenden Verbände, bei AWACS, beschränken. Die bisherige Beteiligung im Rahmen des sogenannten Transits im Mittelmeer wird entfallen. Was bedeutet das? Künftig werden deutsche Schiffe außerhalb der ständigen Verbände keine Aufgaben der Operation Active Endeavour mehr übernehmen. Bisher war es so, dass Schiffe, sobald sie ins Mittelmeer einfuhren, quasi die Flagge der OAE, der Operation Active Endeavour, gehisst haben und sich die deutschen Soldaten auf den deutschen Schiffen gewissermaßen den Mantel der Operation Active Endeavour angezogen haben. ({1}) Diesen Mantel werden sie abstreifen; er wird bei Einfahrt künftig in der Kajüte bleiben. Früher wurde er erst bei Ausfahrt wieder abgelegt. Generell ist also festzuhalten, dass es bei der deutschen Beteiligung an den ständigen Einsatzverbänden bleiben wird und wir in der NATO darauf hinwirken werden, dass die Operation modifiziert wird. Der Operationsplan und die damit verbundenen Einsatzregeln sehen keine Maßnahmen mit irgendwelchen Eingriffsbefugnissen vor. Das hat sich gegenüber den ersten Mandaten der Jahre von 2001 bis 2003 deutlich geändert. Es kommt hinzu, dass im Januar 2014, also im übernächsten Monat, keinerlei deutsche Einsätze bei NATO-integrierten maritimen und fliegenden Verbänden unter dem Mandat der OAE vorgesehen sind. Im Januar wird also kein deutsches Schiff an einem ständigen Einsatzverband der NATO teilnehmen. Über die Notwendigkeit einer Parlamentsentscheidung kann deshalb nach dem Beschluss des Kabinetts im Januar entschieden werden. Also wird es im Januar nach einer Kabinettsentscheidung um die Frage gehen: Muss man das Parlament noch beteiligen oder nicht? - In jedem Falle hört es auf, dass sich deutsche Schiffe der Marine, wann immer sie das Mittelmeer befahren, den Mantel der Operation Active Endeavour überstreifen. Ich denke, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, damit ist Ihr Antrag in weiten Teilen obsolet. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend drei Punkte zum Einsatz im Rahmen der Operation Active Endeavour ansprechen: zur Bedrohung, zu den Partnern und zur strategischen Bedeutung. Zunächst zur Bedrohung. Ich glaube, es ist auch aus sicherheitspolitischen Gründen wichtig, dass es weiterhin eine internationale Präsenz der NATO im Mittelmeer gibt. Die Bedrohungen und Ereignisse sind bekannt: Es geht um den internationalen Terrorismus, um Fragen der Proliferation, um den Chemiewaffeneinsatz in Syrien; es gibt weitere negative Beispiele. Diese Bedrohungen und Ereignisse sind real.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Kiesewetter, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Keul?

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Kiesewetter, es ist eine sehr interessante Wendung, die Sie hier in den letzten 24 Stunden vollzogen haben. Nur zum besseren Verständnis - damit wir wissen, was Sie uns gerade erklärt haben -: Was heißt das für den Operationsplan, der nach wie vor exekutive Bestandteile enthält? Wird der Operationsplan durch nationale Vorbehalte eingeschränkt, oder wird er gar nicht mehr Grundlage des Einsatzes der deutschen Streitkräfte sein?

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Keul, es gibt keinen Grund, den Operationsplan zu ändern, weil wir unseren Beitrag bisher im Rahmen einer NATO-Mission leisten. ({0}) - Das ist richtig; das ändert sich auch nicht. Der Operationsplan ändert sich nicht dadurch, dass sich deutsche Schiffe nicht mehr als allein fahrende Schiffe an der Operation beteiligen; der Operationsplan bleibt unverändert. Es ist eine Frage der Kabinettsentscheidung, ob sich Deutschland weiter daran beteiligt. Diese Entscheidung fällt im Januar, und dann sehen wir weiter. - Vielen Dank, Frau Keul. Viel wichtiger aber ist, dass der Einsatz im Rahmen der Operation Active Endeavour in den anderen NATOMitgliedstaaten unumstritten ist. Das heißt, es kommt darauf an, dass wir innerhalb der NATO für eine Fortentwicklung werben. Wir wollen verlässliche Partner innerhalb der NATO sein; das haben wir heute auch bei den Diskussionen über UNAMID und UNMISS gezeigt. Hier können wir uns entsprechend einbringen. An das Thema Partner möchte ich anknüpfen. Deutschland kann aktuelle und auch künftige sicherheitspolitische Herausforderungen nur in enger Abstimmung mit den europäischen und transatlantischen Partnern meistern. Die Verlängerung der OAE ist bei uns in der Diskussion, bei unseren Partnern insgesamt aber unumstritten. Wir setzen auf Verlässlichkeit und Kontinuität und versuchen seit einigen Jahren, innerhalb der NATO dafür zu werben, den Anteil der Einsätze nach Art. 5 des NATO-Vertrages zu verändern. Wir werden sehen, was die nächsten Jahre bringen. Letztlich aber - das ist mein abschließender Punkt geht es natürlich auch um die strategische Bedeutung nicht nur der Operation Active Endeavour, sondern der Mittelmeerregion insgesamt. Die Operation Active Endeavour, die wir deutlich abgeschwächt haben und die ja wenig exekutive Anteile hat, ist ein Instrument zur Vertrauensbildung und zur Kooperation mit unseren Partnern geworden. Wir dürfen die Lage vor Ort nicht unterschätzen, auch mit Blick auf die Beteiligung der Staaten in der südlichen Nachbarschaft. Mit dem Schwerpunkt auf Aufklärung, Seeraumüberwachung und Lagefeststellung leistet die Operation Active Endeavour nun einmal einen wesentlichen Beitrag. Die Frage ist: Wie können wir das, was diese Operation leistet, in einer fortentwickelten Operation erhalten? Es ist der Kooperationsgedanke, der hier, wie ich glaube, ganz wesentlich ist. Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken, wie man diese Operation weiterentwickeln kann. Ich denke, dass wir uns zumindest in den beiden möglicherweise bald regierenden Parteien einig sind, dass dies nur in ganz enger Abstimmung mit der NATO geschehen kann. Lieber Herr Kollege Bartels, ich bin auf Ihren Beitrag gespannt. Ich weiß, wie sehr die SPD gerungen hat. Ich glaube aber, dass wir nun gemeinsam eine Lösung gefunden haben, mit der wir nicht nur gut leben können, sondern mit der wir auch in Brüssel unsere deutsche Position sehr gut vertreten und dafür werben können, dass die Operation Active Endeavour eine zunehmend kooperative Mission zur Beteiligung von Partnern in der südlichen Nachbarschaft wird. Aus diesen sehr nachvollziehbaren Gründen werden wir den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ablehnen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels für die SPD-Fraktion.

Dr. Hans Peter Bartels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003031, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Kiesewetter, es ist spannend, Ihnen zuzuhören. Sie gehörten ja schon einer Regierungsfraktion an. ({0}) Insofern haben Sie einen kleinen Informationsvorsprung, den Sie uns hier dargelegt haben. Man wird dann im Kabinett noch diskutieren müssen - Sie haben es gesagt -, was konkret geschehen soll. Heute ist klar, Kollege Schmidt: Wir reden nicht über eine Mandatsverlängerung, sondern über das Auslaufen dieses Mandats. Es gibt keinen Antrag auf Verlängerung. Sie haben den Antrag gestellt, das festzustellen. Das tun wir hier durch Wortbeiträge: Das Mandat läuft am 31. Dezember dieses Jahres aus. Die SPD hat seit 2009 mit der Ablehnung von OEF auch OAE abgelehnt. Ab 2010 waren das eigenständige Mandate, die wir ebenfalls jeweils im Bundestag abgelehnt haben. Im letzten Jahr haben wir festgestellt, dass auch bei den damaligen Regierungsfraktionen und den Rednern der Regierung, Minister de Maizière und Staatsminister Link von der FDP, ein Nachdenken darüber eingesetzt hat, ob das eigentlich noch richtig ist, was wir da im Mittelmeer machen. Ich zitiere, was Minister de Maizière in der Debatte vom 29. November 2012 dazu gesagt hat. Er sagte, man müsse eine Diskussion führen über die Notwendigkeit der Beibehaltung des Bündnisfalls, und diese Diskussion werde in der NATO von Deutschland initiiert. - Das war 2012. Staatsminister Michael Link sagte damals: Ja, die Bundesregierung setzt sich aktiv und engagiert in der NATO dafür ein, dass der Bündnisfall als Grundlage für den OAE-Einsatz der NATO im Mittelmeer künftig entfallen kann. Das ist bisher ohne Ergebnis geblieben. Insofern wird man daran arbeiten müssen. Die Äußerungen waren damals schon im Sinne des Mandatsnamens: Active Endeavour - tätiges Bemühen. Es gab also auch in der NATO tätiges Bemühen, hier etwas zu ändern. Aber noch ist nichts passiert. Wir Sozialdemokraten stellen fest: Zwölf Jahre nach 9/11 kann man nicht mehr so gut von Selbstverteidigung und Bündnisfall reden. Damals, als wir alle konkret vom Terror betroffen waren, war dies richtig. Wir mussten im Rahmen des Bündnisses etwas tun, im Rahmen der Operation Enduring Freedom, die zunächst keine NATO-Aktion war. Dies haben wir mandatiert; aber das Mandat läuft jetzt aus. So ist auch OAE zu einem Prüffall für die neue Koalition geworden. Natürlich besteht auf der Welt noch immer Terrorgefahr, auch für Deutschland. Zu bekämpfen ist der Terrorismus in konkreten militärischen Missionen, sofern er überhaupt militärisch bekämpft werden kann. So eine konkrete Mission haben wir in Afghanistan. Ansonsten ist Terrorismus überall auf der Welt durch die Polizei zu bekämpfen, insbesondere durch die internationale Zusammenarbeit der Polizei. Er ist dort zu bekämpfen, wo er droht, aber nicht in erster, zweiter oder dritter Linie durch ein NATO-Geschwader im Mittelmeer. ({1}) Die Mission im Mittelmeer ist heute eher symbolisch. Gleichzeitig wissen wir aber, dass die NATO im Mittelmeer präsent sein muss ({2}) und auch vorher schon im Mittelmeer präsent gewesen ist, ({3}) und zwar mit Standing Naval Force. Wir haben zwei Maritime Groups mit Fregatten, und wir haben zwei Minensuchverbände der NATO, davon jeweils einen Verband im Mittelmeer. An jeweils mindestens einem Verband beteiligt sich Deutschland. Insofern sind wir im Mittelmeer immer mit eigenen Kräften vertreten. Diese ständigen NATO-Verbände sind auch der Kern von OAE. OAE ist sozusagen keine Operation aus sich heraus. Es gibt quasi die Tradition, eine Operation zu sein. Die längere Tradition hat aber die Standing Naval Force im Mittelmeer. Diese Forces sind Kern der jeweiligen OAE-Mission, die einem eigenen Befehlshaber untersteht. Diese Forces wären aber auch ohne OAE dort. Auch wir wären ohne die Operation Active Endeavour dort. Ich habe mir von der Marine berichten lassen, was wir in den letzten zwei Jahren im Mittelmeer im Einsatz hatten: Wir waren mit 14 Fregatten, 3 Unterstützungsschiffen, 4 Minenabwehreinheiten und einem U-Boot beteiligt. - Nicht gleichzeitig. Kollege Gädechens rechnet schon die Größe der neuen Flotte aus, die mit der Großen Koalition kommt. ({4}) Das ist eine erhebliche Präsenz. Wir sind kontinuierlich vor Ort. Außerhalb von UNIFIL - östliches Mittelmeer haben wir eine dauerhafte, ständige, erhebliche Präsenz deutscher Marinestreitkräfte im Mittelmeer. Das soll auch so bleiben. Das ist sinnvoll. Das ist notwendig. Das ist auch vorher so gewesen. Aber ob wir dafür eine Operation auf der Grundlage eines Bündnisfalls, auf der Grundlage von Art. 5 des NATO-Vertrages brauchen, stellen wir doch sehr in Zweifel. Wir freuen uns, dass das unser Koalitionspartner in spe auch so sieht. Das ist an den Äußerungen in der letzten Debatte und Ihren Äußerungen heute abzulesen. Da ziehen wir am gleichen Strang. ({5}) Wir müssen die Sache in der NATO klären. Es gibt drei Möglichkeiten: Entweder die OAE entfällt - dann gibt es auch kein Mandatierungsproblem -, oder die exekutiven Befugnisse von OAE - Frau Kollegin Keul hat den Operationsplan angesprochen - entfallen. Dann wird das eine reine Beobachtungsgeschichte sein: Man sichtet den Schiffsverkehr und meldet an irgendeine Zentrale. Das kann man ohne Mandat machen. Wenn das nicht der Fall ist, wenn OAE bleibt, haben wir immer noch das Problem bzw. die Frage zu klären, was mit AWACS ist; denn AWACS ist eine integrierte Verwendung. Wenn AWACS eingesetzt wird, dann können wir mit unseren deutschen Kräften an Bord der AWACS-Maschinen, die von Geilenkirchen aus starten, im Zweifel die ganze Mission lahmlegen. Das ist nicht in unserem Interesse. Wir müssen darüber reden, ob das extra mandatiert werden muss. Ist der AWACS-Einsatz mandatspflichtig, wenn wir an der Operation ansonsten nicht teilnehmen, diesen Baustein aus dem NATO-Einsatz aber nicht herausnehmen wollen? Das muss das Kabinett klären, wenn wir endlich ein Kabinett haben, das handlungsfähig ist. Für uns ist klar - ich glaube, das kann ich für alle bisherigen, künftigen und gern gesehenen Koalitionspartner sagen -: Es darf keinen Einsatz bewaffneter Streitkräfte in bewaffneten Unternehmungen geben, ohne dass das Parlament darüber entschieden hat. ({6}) Dieser Grundsatz ist für uns nicht verhandelbar. Er gilt auch für die Zukunft dieses Mandats, über die noch zu verhandeln sein wird. Es ist aber auch klar, dass es, wenn es keine bewaffnete Unternehmung gibt, keine Mandatierung durch das Parlament geben muss. Wir müssen den Parlamentsvorbehalt nicht ins Leere laufen lassen. Das alte Mandat läuft also aus. Ob es ein neues geben wird, ist offen. Geklärt wird das von der neuen Regierung, auf die wir uns freuen. Schönen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Sevim Dağdelen für die Fraktion Die Linke. ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir als Linke unterstützen den Antrag der Grünenfraktion, die jetzt laufende Mission zu beenden. Ich muss meinem Vorredner von der SPD und dem Vorredner von der CDU/CSU-Fraktion eines sagen: Ich finde, das, was Sie hier heute Abend präsentieren, ist nichts weiter als eine Vernebelungsstrategie. ({0}) Der eine sagt: Das Mandat wird auslaufen; wir werden im neuen Jahr schauen, ob es ein neues modifiziertes Mandat geben wird. Das wird dann das Kabinett eventuell beschließen, und dann wird es eventuell eine Behandlung hier im Bundestag gemäß Parlamentsbeteiligungsgesetz geben. ({1}) Das ist meiner Meinung nach ganz schön viel „eventuell“. ({2}) Der Kollege von der SPD sagt, wir müssten jetzt drei Dinge angehen, drei Fragen seien zentral. Man müsse jetzt mit der NATO darüber sprechen, dass entweder OAE komplett entfällt oder eben die Exekutivbefugnisse entfallen, und darüber, wie die AWACS-Einsätze fortgeführt werden, wenn OAE weiterhin besteht. Ich finde, es ist wirklich mehr als fragwürdig, wie Sie hier über einen eventuellen Einsatz bewaffneter Streitkräfte, das heißt einen Bundeswehreinsatz im Ausland, reden. Sie haben hier heute Abend nur irgendwelche Taschenspielertricks präsentiert. ({3}) Sie sagen, dass die Schiffe dann eine andere Fahne haben werden, als ob es hier um eine bunte Segelregatta im Mittelmeer geht. ({4}) Sie sagen uns hier, dass die deutschen Schiffe nach Ende des Jahres einfach eine andere Fahne hissen werden als vorher, nämlich die NATO-Fahne OAE. Es geht bei dieser Mission doch nicht nur um Fahnen, sondern um eine flächendeckende Überwachung des Mittelmeers. Das hat auch der noch geschäftsführende Verteidigungsminister gestern Nachmittag der Linksfraktion bestätigt, als er zu den aktuellen drei Mandaten bei uns gesprochen hat. Hinzu kommt noch etwas. Ich würde Sie gern einmal fragen, ob das auch eine Rolle spielt. Bei der Mission soll es jetzt auch darum gehen, dass NATO-Schiffe im Mittelmeer zur Flüchtlingsjagd, zur Hetze gegen Flüchtlinge, die aus dem Norden Afrikas kommen, eingesetzt werden sollen. ({5}) - Sie brauchen hier gar nicht so loszubrüllen. - Meine Frage an die zukünftigen Koalitionsfraktionen ist, ob das Bestandteil Ihrer bisherigen Diskussionen darüber ist, wie Sie ein neues modifiziertes Mandat im Mittelmeer gestalten wollen, oder nicht. ({6}) Das ist eine berechtigte Frage. Es gibt Presseberichte, ({7}) dass NATO-Schiffe gegen Flüchtlinge eingesetzt werden sollen. Wenn Sie nicht so getroffen wären, würden Sie hier nicht so brüllen. ({8}) Ich möchte eine Antwort auf die Frage haben, ob in dem neuen Mandat möglicherweise auch Flüchtlingsbekämpfung vorgesehen wird. ({9}) Das Zweite, was ich hier ansprechen möchte, ist - es ist schon angesprochen worden - der NATO-Vertrag. So wie ich es heute Abend gesehen habe, sind eigentlich alle Fraktionen dafür, dass der Bündnisfall nach Art. 5 des NATO-Vertrages hier weg muss. Das würde heißen, dass es keine Beistandsverpflichtung mehr gibt, dass das aufgehoben wird. Ich kann nur für meine Fraktion sprechen: Wir würden es begrüßen und unterstützen, wenn Sie sagen, dass Art. 5 des NATO-Vertrages hier eigentlich nicht mehr gilt. In diesem Zusammenhang wiederhole ich unsere Aufforderung an Sie, an die künftigen Koalitionsfraktionen, hier keine Vernebelungsstrategie zu betreiben, sondern mit dem Parlament, mit den Oppositionsfraktionen darüber zu sprechen, was genau Sie eigentlich planen. Ich sage Ihnen noch eines: Dieser Einsatz wird keinen einzigen Tag ohne Mandat des Bundestages stattfinden. Wir werden gegebenenfalls den Weg nach Karlsruhe gehen, wie vielfach zuvor. Darauf können Sie sich verlassen. Kein Tag ohne Parlamentsbeteiligung, ohne Mandatierung für diesen Einsatz! ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Julia Bartz für die Unionsfraktion. ({0})

Julia Bartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004249, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Den Vorwurf, dass deutsche Soldaten Flüchtlinge hetzen, weisen wir in diesem Haus entschieden zurück. ({0}) Der Antrag der Grünen fordert de facto das sofortige Ende der Beteiligung Deutschlands an der Operation Active Endeavour und somit den Rückzug deutscher Truppen aus dieser NATO-Operation. ({1}) Den Forderungen Ihres Antrags widerspreche ich deutlich. Auch wenn eine nähere Betrachtung dieser Operation lohnt, ziehe ich andere Schlüsse, als Sie es tun. Wir streben eine Fort- und Weiterentwicklung der Operation Active Endeavour an. Ihren Vorwurf, dass bislang noch nichts geschehen sei, lasse ich nicht gelten. Wir verfolgen bereits seit längerer Zeit die Umwandlung der Mission in eine nicht auf Art. 5 des NATO-Vertrages gestützte Mission. Ende April 2013 haben wir hierzu einen NATO-Beschluss erreicht, der eine Perspektive für 2014/2015 aufzeigt. Innerhalb der NATO, einer Konsensorganisation, verhandeln wir darüber mit 27 Bündnispartnern. Das braucht Zeit. Schnellschüsse haben noch nie zu einer robusten Lösung geführt. ({2}) Es gibt gute Gründe, die für eine Präsenz im Mittelmeer sprechen: Erstens. Das Mittelmeer gehört zu den wichtigsten interkontinentalen Seewegen weltweit und hat eine zunehmende sicherheitspolitische Relevanz. Angesichts unserer wirtschaftlichen Verflechtungen und unserer starken Abhängigkeit von funktionierenden Seewegen liegt die sichere Nutzung des Mittelmeeres in unserem Interesse. Es ist für den innereuropäischen und transatlantischen Handel von geostrategisch vitaler Bedeutung. Rund ein Drittel aller über See verschifften Güter und ein Viertel aller Öltransporte weltweit werden durch das Mittelmeer geleitet. Jährlich durchqueren es 220 000 Handelsschiffe. Zur sicheren Nutzung des Mittelmeeres leistet die Operation Active Endeavour einen wichtigen Beitrag. ({3}) Die Lage in Nordafrika hat sich im vergangenen Jahr nicht beruhigt. Die Instabilität dieser Region hat weitreichende Auswirkungen auf unsere europäische und deutsche Sicherheitsarchitektur. Neben dem Menschen-, Drogen- und Waffenhandel nimmt die Zahl terroristischer Aktivitäten im gesamten nordafrikanischen Raum zu. Daher nimmt die Präsenz der NATO einen präventiven Ordnungsfaktor ein. Angesichts der Umwälzungen in der arabischen Welt brauchen wir ein aktuelles Lagebild der Region. Der Charakter der Operation Active Endeavour ist deshalb zunehmend durch die Möglichkeit bestimmt, auf multinationale und ressortübergreifende Informationsnetzwerke zurückzugreifen, den Datenaustausch mit zivilen Stellen zu forcieren und die Beteiligung von Nicht-NATO-Staaten zu fördern. OAE gibt uns dank maritimer und fliegender Aufklärung ein dichtes Lagebild über den gesamten Mittelmeerraum. Ein Austritt aus diesem Informationsnetzwerk wäre töricht und fahrlässig. Zweitens. Die Bundesrepublik Deutschland ist seit 2001 an der Operation Active Endeavour beteiligt. Als drittgrößter Truppensteller der OAE sind wir unseren Bündnispartnern in ganz besonderer Weise verpflichtet. Wir müssen unserer Rolle in der NATO gerecht werden. Wir stehen in der Verantwortung. Gleichzeitig stellt die weitere Beteiligung sicher, dass Deutschland den politischen Beistand im Sinne einer verlässlichen Bündnissolidarität aufrechterhält. Zudem gewährleisten wir unseren militärischen Beitrag im Rahmen der ständigen maritimen Einsatzverbände der NATO. Ein unilateraler Ausstieg aus der Operation Active Endeavour wäre mit einem erheblichen bündnis- und militärpolitischen Schaden verbunden. Vielmehr sollten wir die deutsche Verlässlichkeit im Bündnis und über das Bündnis hinaus aufrechterhalten. Drittens. OAE ist keine reine NATO-Angelegenheit. Verschiedene Länder, darunter auch Russland, haben sich an dieser Operation beteiligt. OAE hat sich in den vergangenen Jahren zu einer regelrechten Kooperationsplattform gewandelt, an der auch viele Mittelmeeranrainer mitwirken. Die Operation dient also neben den sicherheitspolitischen Aspekten der Vertrauensbildung über das Bündnis hinaus. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Präsenz der NATO im Mittelmeerraum ist uns in vielerlei Hinsicht nützlich und dient der Sicherheitsvorsorge Deutschlands. Die Instabilität Nordafrikas, die Signalwirkung unserer internationalen Zusammenarbeit und unsere bündnispolitische Verantwortung sprechen für eine weitere Beteiligung. Abschließend möchte ich den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr danken, insbesondere all jenen, die bei der Operation Active Endeavour eingesetzt waren. Danke. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Bartz, das war Ihre erste Rede hier im Hohen Hause. Ich gratuliere Ihnen nicht nur dazu, dass Sie diese Rede für Ihre Fraktion gehalten haben, sondern auch dazu, dass Ihnen etwas gelungen ist, was den wenigsten Kolleginnen und Kollegen bei ihrer ersten Rede gelingt, nämlich die Redezeit nicht nur einzuhalten, sondern sie sogar zu unterschreiten und damit das Präsidium nicht in Probleme zu stürzen, wie es sich bei einer ersten Rede verhalten soll. Wir wünschen Ihnen alles Gute für Ihre weitere Arbeit. ({0}) Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 18/99. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung an den Hauptausschuss. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Überweisung mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der antragstellenden Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, und der Fraktion Vizepräsidentin Petra Pau Die Linke so beschlossen. Damit stimmen wir über den Antrag auf Drucksache 18/99 heute nicht in der Sache ab. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Der Termin für die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags wird Ihnen rechtzeitig bekannt gegeben. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre sonstigen Vorhaben am heutigen Abend.