Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich zur Fortsetzung der Haushalts-
debatte.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für
das Haushaltsjahr 2014 ({0})
Drucksache 18/700
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2013 bis 2017
Drucksache 17/14301
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Für die heutige Aussprache haben wir gestern insgesamt eine Debattenzeit von achteinhalb Stunden beschlossen.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes, Einzelplan 04.
Ich darf hiermit das Wort der Kollegin Kipping für die
Fraktion Die Linke erteilen.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wann immer es um den Haushalt ging, hat diese Regierung stolz
unterstrichen, dass sie ab 2015 einen ausgeglichenen
Haushalt, also unter dem Strich eine schwarze Null, anstrebt. Aber schauen wir uns die Faktenlage doch einmal
genau an: Allein der Finanzmarktstabilisierungsfonds
hat ein Defizit von 25 Milliarden Euro eingefahren; er ist
nicht in den Haushalt eingebucht. Verschiedene Maßnahmen werden über die Sozialversicherung finanziert;
ich finde, das ist ein Buchungstrick. Infolgedessen
schmelzen die Sicherheitspolster der Sozialkassen. Halten wir also fest: Schwarz-Rot bezahlt Wahlgeschenke
aus den Krisenpolstern der Sozialkassen. Durch diesen
Buchungstrick watet Deutschland knietief im Dispo. Ich
finde, es ist nicht hinnehmbar, dass am Ende die Rentnerinnen und Rentner und die Verbraucherinnen und Verbraucher die Rechnung für diesen Buchungstrick zahlen
müssen.
({0})
Interessant ist in diesem Zusammenhang, wie sich die
prozentuale Beteiligung der Unternehmen am Sozialbudget über die Jahre verändert hat. Noch Anfang der
90er-Jahre hat die sogenannte Arbeitgeberseite immerhin ein Drittel des Sozialbudgets weggetragen; inzwischen ist es nur noch ein Viertel. Wenn also die Unternehmen und Konzerne weniger bezahlen, dann heißt das
im Klartext: Die privaten Haushalte und die öffentlichen
Kassen müssen mehr wegtragen. Vor diesem Hintergrund wäre es eine sinnvolle Reaktion gewesen, die
Konzerne stärker per Steuer heranzuziehen. Aber Sie haben gleich zu Beginn der Wahlperiode festgelegt: Wir
wollen keine höhere Körperschaftsteuer, wir wollen
keine Millionärsteuer, wir wollen keinen höheren Spitzensteuersatz.
Das heißt im Klartext: Auf der anderen Seite fehlt
Geld, und zwar vom Bund bis zur Kommune. Dem Bund
fehlt Geld, um zum Beispiel die Mitte, die am Steueraufkommen bisher überproportional beteiligt ist, zu entlasten. In der Kommune fehlt Geld für Kitas und für barrierefreien Bus- und Bahnverkehr. Ganz offensichtlich fehlt
auch Geld, um den Hebammen zu helfen. Wir haben hier
schon mehrmals darüber gesprochen: Die explodierenden Haftpflichtprämien treiben viele Hebammen in den
Ruin. Es gäbe eine Lösung, und zwar einen öffentlichen
Haftungsfonds. Wir haben dafür geworben, aber Ihr Gesundheitsminister hat dieses Vorhaben abgelehnt.
Die Hebammen lassen Sie also im Regen stehen. Als
es allerdings darum ging, einen Rüstungsexport nach
Saudi-Arabien mit einer Hermesbürgschaft in Milliardenhöhe abzusichern, waren Sie sofort dabei.
({1})
Allein diese Gegenüberstellung ist entlarvend für den
Geist der schwarz-roten Regierung. Diejenigen, die bei
der Ankunft im Leben helfen - das sind Hebammen -,
lassen Sie im Regen stehen. Denjenigen, die Geschäfte
mit dem Tod machen - bei Rüstungsexporten geht es um
nichts anderes als um Geschäfte mit dem Tod -,
({2})
greifen Sie sofort unter die Arme. Das ist entlarvend,
und das ist beschämend! Sie stehen hier einfach auf der
falschen Seite!
({3})
Nicht nur in dieser Frage ist bezeichnend, auf welcher
Seite Sie stehen. Wenn zum Beispiel die Frage im Raum
steht: „Bitten wir Millionäre stärker zur Kasse, um die
Mitte zu entlasten?“, stehen Sie auf der Seite der Millionäre, während wir ganz klar sagen: Unser Platz ist an der
Seite der Mitte
({4})
und auf der Seite derjenigen, die keine Lobby haben.
({5})
Wenn zum Beispiel die Frage im Raum steht: „Ziehen
wir die sogenannte Arbeitgeberseite stärker heran, um
Privathaushalte zu entlasten?“, ist Ihr Platz ganz eindeutig aufseiten der Konzerne, unserer jedoch bei den privaten Haushalten, und da sind wir richtig.
({6})
Wenn es zum Schwur kommt, steht diese Regierung
beständig aufseiten der großen Vermögen, der großen
Profite, aufseiten der Besitzenden.
({7})
Wir hingegen stehen auf der Seite der Mitte.
Die schwarze Null, die Sie für 2015 anstreben, wirft
einen langen Schatten und hat einen verdammt hohen
Preis. Zu diesem Preis gehört nicht nur, dass Sie die Sozialversicherung ausplündern; zu diesem Preis gehört
auch, dass wichtige Zukunftsinvestitionen ausbleiben.
Sie sind so auf diese schwarze Null fixiert, dass Sie die
großen gesellschaftlichen Aufgaben komplett ignorieren.
Zu diesen großen gesellschaftlichen Aufgaben gehört
erstens ein sozial-ökologischer Umbau im Sinne der Klimagerechtigkeit, zweitens der Kampf gegen Armut, drittens etwas zu tun gegen die um sich greifende Angst, die
disziplinierend wirkt, und der Einsatz für ein soziales
Europa. Gehen wir die Aufgaben einmal im Einzelnen
durch:
Der sozial-ökologische Umbau wird - ein bisschen
strahlen Sie das heute immer noch aus - eher als ein
Randthema, als ein Thema für Ökos behandelt. Aber der
Weltklimabericht hat uns die Brisanz deutlich vor Augen
geführt. Weltweit sind Millionen Menschen von Dürre
oder Überschwemmung bedroht, und ursächlich dafür ist
die von der Menschheit verursachte Klimaerwärmung.
Der Klimabericht macht eines deutlich: Ein Weiter-so ist
existenzielle Brandstiftung. Diesen Bericht ernst nehmen, heißt ganz klar: Wir müssen den sozial-ökologischen Umbau voranbringen.
Aber was passiert unter Schwarz-Rot? Unter
Schwarz-Rot verkommt selbst das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu einer reinen Industriesubventionierung.
Das ist nicht nur unsere Einschätzung; das ist auch die
Einschätzung des BUND. Um die Profite der Großindustrie zu schützen, bremsen Sie den Ausbau der erneuerbaren Energien aus, und Sie lassen ihn am Ende auch noch
von den privaten Verbraucherinnen und Verbrauchern
bezahlen. Das ist unsozial und unökologisch zugleich.
Das ist ein Kunststück, das man erst einmal hinkriegen
muss.
({8})
Wir meinen, es braucht stattdessen eine stärkere Förderung der erneuerbaren Energien. Die erneuerbaren
Energien müssen dezentral organisiert sein. Ich finde,
dieses Vermächtnis von Hermann Scheer dürfen Sie
nicht einfach übergehen. Vor allen Dingen muss das
Ganze sozial finanziert werden; denn es darf nicht sein,
dass die Ärmeren im Winter auf Wärme verzichten müssen.
({9})
Zu den großen gesellschaftlichen Herausforderungen
gehört auch der Kampf gegen Armut. Sicherlich, mit Ihrem Rentenpaket haben Sie einige Trippelschritte in die
richtige Richtung gemacht.
({10})
- Wenn Sie jetzt so stolz darauf sind: Viele Jahre lang
sind Sie in die falsche Richtung gelaufen.
({11})
Das zentrale zugrunde liegende Problem in der Rente
gehen Sie nicht an, nämlich dass die Rente immer weniger sicher vor Altersarmut schützt. Das Rentenniveau
von einst 53 Prozent sinkt auf 43,7 Prozent im Jahr
2030. Das klingt jetzt erst einmal technisch. Die Folge
davon ist aber, dass auch Menschen mit einem mittleren,
durchschnittlichen Einkommen in Zukunft nicht mehr
vor Altersarmut geschützt sind, und Sie - Sie alle; wir
Linken sind da die Ausnahme ({12})
haben diese Entwicklung mitgetragen. Ich finde, Sie
sollten das Problem ernst nehmen und endlich dafür sorgen, dass das Rentenniveau nicht weiter sinkt und dass
eine solidarische Mindestrente vor Altersarmut schützt.
({13})
Wenn es um die Armut der Erwerbslosen geht, dann
versuchen Sie noch nicht einmal, den Anschein zu erwecken, dass Ihnen dieser Punkt wichtig ist. Kurzum: Beim
Kampf gegen Armut betreiben Sie eines - Arbeitsverweigerung.
Menschen, die auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen
sind, müssen ihre Arbeitsbereitschaft beweisen und ihren Mitwirkungspflichten nachkommen. Wenn sie dies
nicht tun, drohen Sanktionen: erst um 30 Prozent, dann
um 60 Prozent, dann komplett. Die Linke lehnt diese Regelung ab. Aber ich finde, man sollte Sie durchaus an
den Regelungen messen, die Sie für andere getroffen haben. Beim Kampf gegen Armut verletzt diese Regierung
ihre Mitwirkungspflichten, betreibt diese Regierung Arbeitsverweigerung. Ich finde, dies ist ein klassischer Fall
für eine Sanktion: erst von 30 Prozent, dann von 60 Prozent und danach vielleicht eine Vollsanktionierung.
({14})
Zur dritten großen gesellschaftlichen Herausforderung. Wir haben in diesem Land eine Zunahme von disziplinierender Angst; sie hat ganz unterschiedliche Facetten. Da ist zum einen die junge Wissenschaftlerin, die
immer nur Arbeitsverträge von einem bis zwei Jahre bekommt und die mit ihrem Partner seit Jahren eine Pendelbeziehung führt, weil beide niemals in der gleichen
Stadt zumindest einen kurzfristigen Arbeitsvertrag haben. Wir wissen, das ist kein Einzelfall. Die Zahl der
sachgrundlosen Befristungen ist explodiert. Inzwischen
haben wir 1,3 Millionen sachgrundlose Befristungen.
Sie könnten hier etwas tun. Sie könnten einfach die sachgrundlose Befristung abschaffen. Wir als Linke haben
Ihnen diesen Vorschlag vorgelegt. Sie müssten nur dafür
stimmen. Dann wäre schon viel geholfen.
({15})
Da ist zum anderen die Sorge eines Beschäftigten in
der Kernbelegschaft, der sich bisher sicher gefühlt hat.
Aber tagtäglich bekommt er jetzt durch die Leiharbeiter,
die immer nur für einige Monate eingesetzt werden, vor
Augen geführt, dass man die gleiche Arbeit in der gleichen Zeit für die Hälfte des Geldes machen kann. Das
wirkt natürlich disziplinierend und ruft die Angst hervor,
ersetzbar zu sein. Hier könnten Sie etwas tun. Sie könnten französische Verhältnisse schaffen. Das heißt: vom
ersten Tag an gleicher Lohn für gleiche Arbeit plus eine
10-prozentige Flexibilitätszulage.
({16})
Zur zunehmenden Angstkultur gehört natürlich auch
die Angst der Erwerbslosen vor Sanktionen, die wie ein
Damoklesschwert über ihnen schwebt. Sie macht die
Leute gefügig und führt dazu, dass sie in Anstellungsgesprächen schlechte Löhne akzeptieren. Die Abschaffung
der Hartz-IV-Sanktionen könnte sehr viel bewirken, und
deswegen ist dies für mich eine Herzensangelegenheit.
({17})
Auch der zunehmende Druck, ständig am Limit arbeiten zu müssen, und die Angst, von überbordenden Überstunden erdrückt zu werden und nicht mithalten zu können, macht viele Menschen krank. Wenn es uns gelänge,
kürzere Arbeitszeiten für alle als Standard zu etablieren,
wäre dies ein enormer Fortschritt. Dafür setzen wir uns
ein.
({18})
Zu den großen gesellschaftlichen Aufgaben gehört
auch der Einsatz für ein soziales Europa. Dabei geht es
auch darum, die Spaltung Europas zu verhindern. Für
den Europakurs dieser Regierung war der Besuch von
Außenminister Steinmeier in Griechenland zu Beginn
dieses Jahres bezeichnend. Im Wahlprogramm der SPD
war noch zu lesen, Merkels Europapolitik sei - ich zitiere - „kaltherzig“. Sie sprachen in Ihrem Wahlprogramm von sozialen Verwerfungen. Doch wie agierte
Herr Steinmeier, als er dann Außenminister war? Kritisierte er womöglich den Kurs der Troika und wies auf
die sozialen Verwerfungen hin? Nein, er lobte in Athen
- ich zitiere - „den ersten Teil des Weges, den Griechenland gegangen ist“. Er sagte, er sei überzeugt, die Regierung verfüge über die Entschlossenheit, den Weg fortzusetzen.
Ich weiß sehr wohl, dass man Sie nicht für alle Entwicklungen in Griechenland direkt persönlich in Haftung nehmen kann. Aber wenn Sie in Griechenland den
Weg loben, dann müssen Sie auch wissen, dass zu dem
von Ihnen so gelobten Kürzungskurs gehört, dass das
griechische Gesundheitssystem wirklich an den Rand
des Kollapses getrieben worden ist. Lebensnotwendige
Herz-OPs können dort nicht mehr durchgeführt werden,
weil Gefäßstützen fehlen. Krebspatienten müssen auf lebensnotwendige Medikamente verzichten. Ärzte ohne
Grenzen ist zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Drittel
der griechischen Bevölkerung kaum noch Zugang zur
medizinischen Versorgung hat.
Deutschland hat den Spardruck innerhalb von Europa
stark gemacht. Dieser Spardruck führt zu einem Kürzungsdruck. Er führt dazu, dass in Griechenland nicht
einfach an Luxus gespart wird, sondern dass lebensnotwendige Maßnahmen unterlassen werden. Deswegen
sage ich: Das Kürzungsdiktat hat inzwischen ein Ausmaß angenommen, dass man bei lebensbedrohlichen
Krankheiten von einer unterlassenen Hilfeleistung sprechen muss. Deswegen steht für uns fest: Wahre Europäerinnen und Europäer verzichten auf das Kürzungsdiktat. Wahre Europäerinnen und Europäer setzen
stattdessen auf ein Europa der sozialen Rechte.
({19})
Ja, wir setzen auf ein Europa, das an der so schlichten
und doch bemerkenswerten Vision von Theodor Adorno
anknüpft:
Zart wäre einzig das Gröbste: daß niemand mehr
hungern soll.
Das heutige Europa ist davon weit entfernt. Dazu
trägt auch Ihre Kürzungspolitik bei.
({20})
Frau Merkel, so mancher meint, das zentrale Problem
Ihrer Regierung wäre, dass Sie sich streiten.
({21})
So mancher meint, Sie wären selbst für einen guten
Paartherapeuten ein verdammt schwieriger Fall. Ich
meine, das große Problem der schwarz-roten Regierung
liegt in der Ignoranz gegenüber den großen gesellschaftlichen Aufgaben. Sie ignorieren die sozialen Verwerfungen in diesem Land. Sie ignorieren den wachsenden
Reichtum in den Händen einiger weniger. Beim Kampf
gegen Armut betreiben Sie Arbeitsverweigerung, und
bei der Energiewende stehen Sie Seit’ an Seit’ mit
Sigmar Gabriel auf der Bremse. Ihre Europapolitik spaltet Europa. Das ist der falsche Kurs.
({22})
Ich jedoch meine, diese Gesellschaft braucht wahrlich
kein weiteres Artenschutzprogramm für die großen Profite. Diese Gesellschaft braucht vielmehr vollen Einsatz
für einen sozial-ökologischen Umbau im Sinne der Klimagerechtigkeit. Diese Gesellschaft braucht wahrlich
kein weiteres Förderungsprogramm für Millionäre.
Diese Gesellschaft braucht vielmehr vollen Einsatz für
Umverteilung, gegen Armut, für ein Europa der sozialen
Rechte. Wir, die Linke, streiten für eine Gesellschaft, die
frei ist von der Bürde der disziplinierenden Angst, die
frei ist von Armut. Ja, dafür stehen wir.
({23})
Das Wort erhält nun die Bundeskanzlerin Frau
Dr. Angela Merkel.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Frau Kollegin, Ihr Versuch,
über die Tatsachen zu sprechen, ist, glaube ich, kräftig
danebengegangen.
({0})
Was sind die Tatsachen? Mit dem Regierungsentwurf
zum Bundeshaushalt 2014 und der mittelfristigen Finanzplanung liegt der erste Haushalt ohne neue Schulden seit 1969 in greifbarer Nähe. Das heißt konkret:
2014 werden wir einen strukturell ausgeglichenen Haushalt haben. 2015 haben wir die Möglichkeit, keine neuen
Schulden zu machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind nicht einfach Zahlen, sondern das ist nicht mehr und nicht weniger als die Einlösung eines Versprechens an kommende
Generationen, einmal ohne zukünftige Schulden auszukommen, einmal mit dem auszukommen, was in die
Steuerkassen hineinkommt, einmal nicht auf Kosten der
Zukunft zu leben. Es ist das bewusste Bekenntnis der
Großen Koalition, sich um die Sorgen, Ansprüche und
Möglichkeiten zukünftiger Generationen zu kümmern.
Das ist unsere Pflicht - das sage ich ausdrücklich -, und
wir tun es, und das zum ersten Mal seit Jahrzehnten.
({1})
Zuallererst ist dies der Erfolg und das Verdienst im
Übrigen all derjenigen, die den Wohlstand erarbeiten,
der vielen Menschen, die sich für dieses Land einbringen
mit ihrem unternehmerischen Sachverstand und mit ihrer
Rolle als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Denen
gilt in dieser Stunde unser aller Dank, meine Damen und
Herren.
({2})
Das ist zum Zweiten auch das Verdienst vieler Bundesregierungen, auch dieser. Ich möchte die Gelegenheit
wahrnehmen, dem Bundesfinanzminister für seine ruhige, besonnene und nachdrückliche Art, diesen Kurs
immer wieder einzufordern, zu danken, genauso wie unseren Haushaltspolitikern, die darauf in den vielen Sitzungen der Begehrlichkeiten achten. Danke schön, dass
wir auf diesem Kurs gut vorangekommen sind!
({3})
Richtig ist doch, dass die Voraussetzungen in den
letzten Jahren alles andere als rosig waren. Ich will vielleicht noch mal daran erinnern: Kurz bevor wir die erste
Große Koalition 2009 beendeten, war es auch so, dass
ein ausgeglichener Haushalt in Reichweite lag.
({4})
Es ist also keine neue Idee. Wir sind dann allerdings in
eine Situation gekommen - ich habe da gestern schon
zugehört -, die wir vielleicht nicht vergessen sollten,
nämlich in eine internationale Finanz- und Wirtschaftskrise, die in Deutschland einen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts von 5 Prozent mit sich gebracht hat. Es
war richtig, diese Finanzkrise national so zu beantworten, dass wir reagiert haben, dass wir Konjunkturprogramme aufgelegt haben, dass wir Arbeitsplätze gesichert haben. Deshalb hat es länger gedauert, aber wir
haben diesen Kurs konsequent fortgesetzt, meine Damen
und Herren.
({5})
In der Zeit zwischen 2008 und der Bewältigung dieser
internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise haben wir
eines gelernt: Wir können nicht alleine Politik machen,
sondern unser Handeln hängt aufs Engste mit allem, was
auf der Welt passiert, zusammen. Das ist Globalisierung.
Keiner kann mehr heute alleine, für sich regieren, sondern jeder muss auch die Belange der anderen im Blick
haben. Deshalb kümmern wir uns um internationale Finanzmarktregulierung, gar nicht nur, weil wir das zu
Hause so brauchten - das könnten wir ja national regeln -,
sondern weil es unabänderlich ist, weil jeder Fehler, der
international passiert, zum Schluss auch uns und die
Menschen in Deutschland trifft. Insofern leben wir heute
in einer vernetzten Welt, auf die wir reagieren müssen.
Wir haben auch noch andere Unsicherheiten. Das ist
einmal die europäische Schuldenkrise, die nach wie vor
noch nicht überwunden ist. Es ist eine fragile Situation
weltweit - wenn wir auch auf manche Entwicklungen in
den Schwellenländern schauen. Und es kommen neue
Unsicherheiten dazu - das haben wir in den letzten Wochen gelernt -, wie uns das Beispiel der Ukraine zeigt.
Die illegale, völkerrechtswidrige Annexion der Krim hat
uns etwas vor Augen geführt, was wir eigentlich vergessen glaubten, nämlich dass wir über Freiheit, über internationales Recht, über Frieden und Einhaltung von Völkerrecht noch sprechen müssen. Deshalb, meine Damen
und Herren, müssen wir alle Anstrengungen darauf richten - das wird die Tätigkeit dieser Großen Koalition in
den nächsten Monaten sein -, für ein starkes Deutschland, für ein starkes Europa und für starke Partnerschaften in der Welt zu arbeiten. Wir wissen, wir können diese
Ziele nur gemeinsam erreichen. Das gilt für Deutschland, das gilt für Europa, und das gilt auch für die globalisierte Welt.
Wie sieht es nun aus, wenn wir auf Deutschland
schauen? Die Wirtschaftsprognosen sind einigermaßen
positiv: 1,8 Prozent Wachstum in diesem Jahr; das ist
mehr als der Durchschnitt im Euro-Raum. Der private
Konsum ist der Treiber unserer binnenwirtschaftlichen
Entwicklung. Der Export springt an, aber die Binnenkonjunktur trägt mehr zum Wachstum bei, als das in vergangenen Jahren der Fall war. Wir können heute sagen,
dass wir bislang zu den Gewinnern der Globalisierung
gehören, weil wir eine wettbewerbsfähige Industrie haben und weil wir einen sehr starken Mittelstand haben.
Aber es ist auch wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen: Das alles ist eine Momentaufnahme. Wenn man
sich die Dynamik der Welt anschaut, dann weiß man:
Die Wettbewerbsfähigkeit muss erhalten werden. Vor allen Dingen kann sie erhalten werden, indem wir unsere
Innovationsfähigkeit erhalten. Deshalb ist es wichtig,
dass wir nicht nur heute wettbewerbsfähig sind, sondern
dass wir international auch zu den Besten bei der Innovationskraft gehören und dass wir an vielen Stellen, gerade wegen unserer mittelständischen Unternehmen,
Weltmarktführer sind.
Die Bundesregierung legt auf diesen Punkt besonderen Wert, mit unserer Hightech-Strategie, mit unserer Innovationsstrategie, wo wir den Bogen von der Grundlagenforschung bis zur Anwendung im Mittelstand
spannen. Es darf und muss für Deutschland gelten:
Keine gute Idee darf auf der Strecke bleiben; alles muss
genutzt werden. Kreativität ist der Treiber unseres Wohlstands, meine Damen und Herren.
({6})
Wenn wir den Haushalt für dieses Jahr beraten, müssen wir uns auch fragen: Wo steht Deutschland in 5, in
10 oder in 20 Jahren? Wie können wir erreichen, dass
wir auch in Zukunft erfolgreich sind? Solide Finanzen,
wie mit dem Haushaltsplan für dieses und nächstes Jahr
sowie mit der mittelfristigen Finanzplanung vorgelegt,
bedeuten nicht nur, dass man keine Schulden macht,
sondern sie bedeuten genauso, dass man mit Weitblick
und Klugheit in die Zukunft unseres Landes investiert.
Ich möchte in diesem Zusammenhang vier Bereiche
nennen, in denen wir investieren:
Erstens. Wir investieren in unser wichtigstes Kapital,
und das sind die Menschen. Das sind Investitionen in
Bildung und Forschung. Wir unterstützen dabei die Länder und die Kommunen, indem wir ihnen bei der Finanzierung von Kitas, von Schulen und Hochschulen helfen.
Damit auch wirklich genügend Geld für diese Aufgaben
vorhanden ist, werden wir in dieser Legislaturperiode
insgesamt 6 Milliarden Euro mehr für die Unterstützung
genau dieser Bereiche zur Verfügung stellen.
Damit wir unser 3-Prozent-Ziel, also 3 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts für den Bereich Forschung und
Innovation, auch in den nächsten Jahren halten können
- wir haben es jetzt fast erreicht -, müssen wir 3 Milliarden Euro mehr in Forschung und Entwicklung hineingeben. Das tun wir. Damit werden wir zu den Ländern gehören, die in Bezug auf Forschung in Europa führend
sind. Weltweit gibt es Länder, die mehr investieren - ich
habe es hier oft gesagt: Südkorea, zum Beispiel -, aber
mit 3 Prozent sind wir recht gut dabei.
({7})
Zweitens. Wir investieren in die Zukunft der Verkehrsinfrastruktur. Wir werden hierfür 5 Milliarden Euro
einsetzen. Wir werden die Nutzerfinanzierung weiterentwickeln.
({8})
- Ich weiß, dass das sicherlich mehr sein könnte, aber,
meinen Damen und Herren, es sind immerhin 5 Milliarden Euro mehr als in der vergangenen Legislaturperiode.
Das ist ein unabdinglicher, wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
({9})
Drittens. Wir investieren in die Zukunft unserer Energieversorgung. Es geht darum, dauerhaft sichere, bezahlbare und umweltverträgliche Energie zur Verfügung zu
stellen. Wir haben uns in der Großen Koalition entschieden, angesichts der Tatsache, dass der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung derzeit
25 Prozent beträgt, einen neuen Pfad, einen berechenbaren Pfad für den Ausbau der erneuerbaren Energien einzuschlagen.
Wenn Sie sich die Situation im internationalen Vergleich anschauen, dann stellen Sie fest: Es ist relativ einzigartig, was wir tun. Wir sagen: Von heute 25 Prozent
werden wir bis 2025 den Anteil der erneuerbaren Energien auf 40 bis 45 Prozent ausbauen. Wir gehen damit
einen Weg, der uns das Erreichen des Ziels für 2050
- 80 Prozent der Erzeugung des Stroms aus erneuerbaren Energien - auf einem ganz berechenbaren Pfad möglich macht.
({10})
Mit der EEG-Novelle, die wir gestern im Kabinett
verabschiedet haben und die in den nächsten Wochen
hier im Hause beraten wird, kommt etwas ganz Wichti2324
ges für den Ausbau der erneuerbaren Energien zum ersten Mal zum Zuge, nämlich Berechenbarkeit. Es sind
klare Korridore vorgegeben, und natürlich kann ich
diese Korridore nur einhalten, indem ich, wenn mehr zugebaut wird, die Vergütungen reduziere, sodass ich einen
atmenden Deckel habe und die Korridore auch einhalten
kann.
Wir haben uns für einen vernünftigen Mix entschieden. Wir haben Gespräche mit den Ländern geführt. Ich
möchte dafür danken, dass hier Gemeinsamkeit entstanden ist. Wir werden natürlich die Beratungen hier im
Hause in aller Offenheit durchführen.
Damit können wir nicht versprechen, dass die EEGUmlage dauerhaft sinkt. Aber wir können versprechen,
dass die Kostendynamik der EEG-Umlage gebrochen ist
und dass wir auf einen vernünftigen Pfad kommen.
Meine Damen und Herren, das ist genau das, was die
Bürgerinnen und Bürger von uns erwarten; denn sie tragen die Energiewende. Ich will dafür ausdrücklich Dankeschön sagen; denn das macht nicht die Politik, das machen die Bürgerinnen und Bürger. Es war aber auch ein
Wunsch der Bürgerinnen und Bürger, eine neue Energiepolitik in Deutschland durchzusetzen. Das haben wir getan. Jetzt werden wir diesen Weg gemeinsam gehen.
({11})
Wenn wir über sichere Energieversorgung und über
die Energiewende, die wir durchführen, sprechen, dann
müssen wir auch sehen: Es war nicht beabsichtigt - das
kann nicht gewollt gewesen sein -, dass wir durch die
Energiewende unsere eigenen Stärken schwächen, nämlich die mittelständische Wirtschaft und die Industrie. In
Deutschland beträgt der Anteil der Industrieproduktion
am Bruttoinlandsprodukt über 20 Prozent. Damit sind
wir führend in Europa. Die Europäische Kommission hat
sich das Ziel gesetzt, weil sie sieht, dass wir in einem
globalen Wettbewerb stehen, dass die Industrie wieder
einen Anteil von 20 Prozent am europäischen Bruttoinlandsprodukt hat. Nun kann es doch nicht sein, dass
wir durch eine vernünftige Maßnahme, nämlich dadurch,
dass wir unsere Energieversorgung zukunftsfähig ausbauen, Arbeitsplätze vernichten und unsere Wirtschaft in
Gefahr bringen. Ich bin mir ganz sicher, dass die Bürgerinnen und Bürger auf gar keinen Fall wollen, dass sichere, zukunftsfähige Arbeitsplätze durch die Energiewende verlorengehen. Deshalb haben wir so entschieden
und für Ausnahmen für unsere im Wettbewerb stehende
Industrie gekämpft.
({12})
Ich will dem Bundeswirtschaftsminister ein ausdrückliches Dankeschön dafür sagen. Wir haben uns eingesetzt für ein Ziel, das im Kontext europäischer Probleme
das allervernünftigste und normalste ist. Wir reden Tag
und Nacht mit Recht darüber, wie hoch die Arbeitslosigkeit in Europa ist. Wir reden Tag und Nacht über die
Frage, wie wir für junge Leute neue Arbeitsplätze
schaffen können. Da können wir uns doch nicht sehenden Auges in Europa wegen einer vermeintlichen Rolle
im Klimaschutz damit abfinden, dass wir Arbeitsplätze
vernichten.
({13})
Nein, wir müssen Klimaschutz und Arbeitsplätze zusammenbringen. Sonst wird die Energiewende keine Akzeptanz in Deutschland haben.
({14})
Natürlich sind das Erneuerbare-Energien-Gesetz und
das, was die Kommission heute im Zusammenhang mit
den Leitlinien für Beihilfen beschließen wird, nur erste
Schritte bei der Gestaltung der Energiewende. Auf der
Grundlage dieses Ausbaupfads für erneuerbare Energien
müssen wir jetzt die Netzplanung anpassen und dann den
Netzausbau beschleunigen. Dafür sind die entsprechenden Vorkehrungen getroffen worden. Anschließend müssen wir uns natürlich mit den Kapazitätsmärkten beschäftigen, mit der Frage, wie wir eine vernünftige
Kombination hinbekommen können, wie wir die begrenzte Verfügbarkeit der erneuerbaren Energien - mit
Ausnahme der Biomasse - mit der Sicherstellung der
Grundversorgung in Einklang bringen können. Das werden die nächsten Schritte sein.
Damit niemand denkt, dann sei die Arbeit vorbei,
sage ich: Wir werden uns noch in dieser Legislaturperiode mit dem nächsten Schritt im Zusammenhang mit
dem Erneuerbare-Energien-Gesetz befassen müssen, nämlich mit der Ausschreibung der jeweiligen Kapazitäten.
Darauf wird die Europäische Kommission drängen, und
das ist auch richtig, um die Kosteneffizienz vernünftig
durchzusetzen. Wir werden also in der ganzen Legislaturperiode mit der Frage „Wie gestalten wir die Energiewende?“ beschäftigt sein. Ich bin aber sehr optimistisch,
dass uns das gut gelingen wird.
Viertens. Wir werden natürlich auch in einen Bereich
investieren, der unser Leben im 21. Jahrhundert in großem Maße prägt, nämlich in die Digitalisierung. Kaum
ein Lebensbereich kommt heute ohne digitale Techniken
aus, ob es das Auto ist, das Handy, die Flüge, die Bahnfahrten oder die industrielle Produktion. Wer sich in diesen Tagen auf der Hannover Messe die Produkte ansieht,
die den Weg zur Industrie 4.0 charakterisieren, der weiß,
in welch dramatischer Weise sich unsere gesamte Arbeitswelt verändern wird. Es ist beeindruckend, zu sehen, dass in Zukunft jede reale Fabrik noch einmal als
digitale Fabrik existieren wird, wie Produkte entwickelt
werden, wie Maschinen miteinander interagieren. All
das wird unser Arbeitsleben sehr stark verändern, genauso wie das im privaten Bereich der Fall ist.
Deshalb freue ich mich, dass die drei hauptzuständigen Minister bereits auf der CeBIT die Digitale Agenda
2014 bis 2017 vorgestellt haben. Diese Digitale Agenda
hat drei Komponenten: Eine Komponente sind gute Bedingungen, damit Start-ups, damit Unternehmen in
Deutschland in die Digitalisierung investieren können.
Das Zweite ist der Sicherheitsaspekt, den wir natürlich
brauchen. Die dritte Komponente ist die Versorgung mit
Breitband, damit jeder Zugang zu den digitalen Möglichkeiten hat.
Das Ausmaß der gesellschaftspolitischen Dimension
der Digitalisierung kann nicht überschätzt werden. Unser gesamtes Leben wird sich verändern. Natürlich muss
das gelten, was wir immer für die Wirtschaft gesagt haben: Auch die digitale Wirtschaft muss dem Menschen
dienen und nicht etwa umgekehrt. Das ist das Wesen der
sozialen Marktwirtschaft. Deshalb sind Datenschutz und
Datensicherheit ganz legitime Notwendigkeiten. Wir
werden noch viel arbeiten müssen, um das wirklich
durchzusetzen.
({15})
Die Bundesregierung hat hier erste Schritte unternommen; weitere werden folgen müssen. Wir haben eine
Taskforce „IT-Sicherheit in der Wirtschaft“ und das
Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik für
die Bürgerinnen und Bürger. Aber nationale Gesetzgebung allein wird hier nicht ausreichen, sondern wir werden natürlich international agieren müssen, zuallererst
einmal in Europa. Hier geht es weiter um die Diskussion
zur Datenschutzgrundverordnung. Das ist ein außerordentlich kompliziertes Unterfangen. Ich will das hier
noch einmal darstellen: Auf der einen Seite wissen wir
alle, dass wir ein gleiches Niveau von Datenschutz in
Europa brauchen; denn ansonsten können sich Internetunternehmen zum Beispiel immer in einem Land in Europa niederlassen, in dem es eben nicht dieses Datenschutzniveau gibt. Auf der anderen Seite brauchen wir
eine Einigung auf einem Niveau, das unserem Datenschutzniveau in Deutschland entspricht.
Das sehen aber nicht alle anderen Länder so wie wir.
Das heißt, wir werden in den nächsten Monaten zunehmend in eine Situation kommen, in der wir genau abwägen müssen, was besser ist: eine Datenschutzgrundverordnung in Europa oder aber kein einheitliches
Datenschutzniveau und damit immer wieder die Möglichkeit des Unterlaufens. Ich glaube, Deutschland muss,
auch wenn wir kritisiert werden, dass es etwas länger
dauert, mit aller Kraft auf ein vernünftiges Datenschutzniveau in Europa drängen. Alles andere kann ich mir
nicht vorstellen.
({16})
Wir brauchen auch Initiativen für einen verlässlicheren internationalen Datenschutz. Deutschland hat hier
gemeinsam mit Brasilien in den Vereinten Nationen Aktivitäten unternommen. Das ist ein dickes Brett, das zu
bohren ist. Ich glaube, wir müssen erst einmal in Europa
mit gutem Beispiel vorangehen, um international voranzukommen.
Alle Aufgaben, die ich bisher beschrieben habe, sind
Aufgaben, die für alle Länder dieser Erde gelten. Jeder,
der für seine Bevölkerung Wohlstand sicherstellen will,
braucht Wachstum und Innovationsfähigkeit und muss
sich damit weltweit in einem fairen Wettbewerb beweisen.
Auf Deutschland kommt eine zusätzliche Aufgabe zu:
die Bewältigung der demografischen Entwicklung. Mir
ist das noch einmal bewusst geworden, als ich in der
letzten Woche auf dem EU-Afrika-Gipfel war. Afrika ist
ein Kontinent, auf dem die Hälfte der Bevölkerung unter
18 Jahre alt ist. Das ist eine völlig andere Bevölkerungsstruktur als unsere in Europa. In Afrika betrachtet man
uns als einen wirklich alternden Kontinent und fragt, wie
wir ohne so viele junge Leute, wie sie es kennen, zurechtkommen. Wir müssen uns natürlich ganz entschieden auf die Veränderungen vorbereiten. Die sogenannten
Babyboomer - ich meine jetzt den stärksten Nachkriegsjahrgang - feiern in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag.
Sie werden noch 17 Jahre in der Erwerbstätigkeit sein;
danach werden wir abnehmende Zahlen haben. Das wird
sich natürlich massiv auf unsere Arbeitswelt auswirken.
Das heißt, wir müssen als Erstes überlegen: Wie können wir vor allen Dingen eine gute Struktur vor Ort hinbekommen, die die Belastungen aufgrund der demografischen Entwicklung auffangen und darauf reagieren
kann? Deshalb haben wir uns ganz bewusst entschieden,
die Kommunen weiter zu entlasten. Wolfgang Schäuble
hat hier gestern ausführlich dazu Stellung genommen.
Die Kommunen sind inzwischen vollständig von den
Kosten der Grundsicherung entlastet. Das sind in diesem
Jahr 5,5 Milliarden Euro für die Grundsicherung. Diese
Leistung mussten die Kommunen noch vor wenigen Jahren selber tragen. Wir wollen nun den nächsten Schritt
gehen und in dieser Legislaturperiode jedes Jahr 1 Milliarde Euro zusätzlich für die Kommunen zur Verfügung
stellen, mit Verabschiedung des Teilhabegesetzes aufwachsend auf 5 Milliarden Euro, weil wir den Kommunen auch bei der Eingliederung von Behinderten helfen
wollen.
({17})
Das ist eine Leistung, die wir deshalb zur Verfügung
stellen, weil wir überzeugt sind, dass die Lebenserfahrung jedes einzelnen Menschen zuallererst zu Hause, in
der Kommune vor Ort gesammelt wird, und weil wir
wissen, dass das große, oftmals ehrenamtliche Engagement der Kommunalpolitiker nur dann weiter Akzeptanz
finden wird, wenn in den Kommunen auch etwas zu gestalten ist, wenn dort etwas zu machen und nicht nur
Mangel zu verwalten ist.
({18})
Das zweite große Thema, das von Bedeutung ist,
wenn wir auf den demografischen Wandel reagieren
wollen, ist die Sicherung der Fachkräftebasis. Was haben
wir da für Möglichkeiten? Auf der einen Seite müssen
wir alles daransetzen, dass der Zuwachs an älteren Beschäftigten, der in den vergangenen Jahren stattgefunden
hat, weiter anhält. Wir müssen auf der anderen Seite
dazu beitragen, dass Frauen durch die verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie bessere Chancen im
Berufsleben bekommen. Wenn ich hier von Frauen spreche, spreche ich genauso von Eltern, also auch von Vätern. Wir haben in dieser Legislaturperiode mit dem
ElterngeldPlus bereits eine Initiative ergriffen, die die
Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie die Arbeitsteilung verbessert. Ich denke, was das Zeitmanagement
von Familien anbelangt, wird in den nächsten Jahren
noch viel zu leisten sein.
({19})
Wir müssen allerdings auch das gesellschaftliche Umfeld so gestalten, dass die Bedürfnisse von Familien, gerade auch von Frauen, besser widergespiegelt werden.
Das bedeutet, dass Frauen in Führungspositionen besser
vertreten sein müssen.
({20})
Das ist in erster Linie - das haben wir jetzt festgestellt eine Aufgabe für alle Gremien des Bundes. Da haben
wir noch eine Menge zu tun - die Frauenministerin
nickt -, aber ich weiß auch, dass es nicht so einfach ist,
alle Gremien entsprechend zu besetzen. Jedoch, wenn
wir die Unternehmen verpflichten wollen, wird man sich
zu Recht fragen: Wie sieht es denn in der Politik aus?
({21})
Es gab seitens der Wirtschaft, also zumindest der börsennotierten Unternehmen, bisher keinerlei Initiative,
der Politik zu zeigen, dass es die Wirtschaft besser
macht. Deshalb sehen wir uns jetzt doch gezwungen, gesetzliche Regelungen einzuführen, um die Sache ein
bisschen voranzubringen. Das ist wichtig.
({22})
- Es ist auch mal schön, wenn die SPD begeistert ist.
({23})
Ich bin es übrigens auch. Ich verstehe die Zurückhaltung
bei uns gar nicht. Wir haben schließlich sehr harte Auseinandersetzungen gehabt.
({24})
Ein dritter Punkt ist, dass wir heute die Fachkräftebasis für morgen sichern. Deshalb hat sich der Bund bei
der Finanzierung zusätzlicher Hochschulplätze engagiert. Er wird das im Rahmen des Hochschulpaktes auch
weiterhin tun, damit wir im nächsten Jahrzehnt ausreichend Absolventen haben. Die Investitionen in die Universitäten und Fachhochschulen haben aber auch zu einer Entwicklung geführt, die wir gestern im Kabinett
anlässlich der Vorlage des Berufsbildungsberichts diskutiert haben. Wir haben erkannt, dass wir die duale berufliche Ausbildung stärken müssen.
({25})
Wir wollen den Ausbildungspakt im Zusammenhang
mit einem Weiterbildungspakt neu auflegen. Wir müssen
jetzt wieder dafür sorgen, dass uns in den nächsten Jahren nicht noch einmal passiert, was letztes Jahr passiert
ist, nämlich dass 20 000 Absolventen keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, obwohl es ein Überangebot an Ausbildungsplätzen gab. Die Zahl von Anbietern
einer dualen Berufsausbildung sinkt. Dies muss geändert
werden.
Solide Finanzen, Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze das alles ist wichtig. Für das gesellschaftliche Klima ist
aber auch die Frage des sozialen Zusammenhalts von allergrößter Bedeutung. Hier kommen wir zu einigen Vorhaben, für die sich die Große Koalition entschieden hat
und die durchaus auch kontrovers diskutiert werden. Sie
sind aber in Anbetracht der Situation, in der wir uns befinden - nah an einem ausgeglichenen Haushalt, mehr
Beschäftigte als jemals zuvor -, für die Menschen insgesamt sehr wichtig.
Das gilt zum Beispiel für das Thema Mindestlohn.
Wir haben den Gesetzentwurf zum Mindestlohn im Kabinett verabschiedet. Er geht jetzt in die parlamentarischen Beratungen. Es sind noch einige Fragen zu klären,
und diese werden auch geklärt. Wir haben uns entschieden, eine Übergangszeit bis zum Ende 2016 zu ermöglichen, sofern abweichende Tarifverträge vorhanden sind.
Ansonsten tritt der Mindestlohn mit dem 1. Januar 2015
in Kraft. Wir haben uns entschieden, bei jungen Menschen unter 18 Jahren und ohne Berufsabschluss auf dem
Wege zur Ausbildung Ausnahmen zuzulassen. Gleiches
gilt für Praktika. Für Langzeitarbeitslose soll es eine
Frist von sechs Monaten geben, in denen zuerst die
Chance genutzt werden kann, überhaupt wieder eine Arbeit aufzunehmen, um danach in eine Phase des Mindestlohnbezugs zu gelangen.
Gerade bei den Langzeitarbeitslosen haben wir nach
wie vor ein Problem. Trotz der guten Beschäftigungslage
erscheint das Niveau von 3 Millionen Arbeitslosen
ziemlich zementiert. Deshalb begrüße ich, dass die Bundesarbeitsministerin jetzt Initiativen entfaltet, um zu
schauen, wie wir da rauskommen. Wir müssen vor allen
Dingen bei den unter 30- bzw. unter 35-jährigen Langzeitarbeitslosen schauen, dass wir vorankommen.
({26})
Wir haben mit Blick auf den sozialen Zusammenhalt
ein Rentenpaket mit vier wesentlichen Maßnahmen vorgelegt: die Berücksichtigung von Erziehungsleistungen
von Eltern, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, Erhöhung der Erwerbsminderungsrenten, ein steigendes
Rehabudget und abschlagsfreie Renten nach 45 Beitragsjahren. Letzterer Punkt wird ja noch sehr kontrovers
diskutiert. Ich freue mich, dass wir uns alle einig sind
- so haben wir das auch im Kabinett beschlossen -, dass
wir alle Anreize zur Frühverrentung ausräumen müssen.
Es lohnt die Mühe, darüber nachzudenken, wie wir das
effektiv machen können. Frühverrentung kann nicht das
Ansinnen sein. Im Übrigen wächst das Alter, ab dem wir
die abschlagsfreie Rente ermöglichen, über die Jahre
wieder auf 65 auf, weil wir davon ausgehen und auch
alle Kraft darauf lenken werden, dass die Beschäftigungschancen Älterer, auch der über 60-Jährigen, deutlich besser werden. Das ist eine Notwendigkeit bis zum
Ende des nächsten Jahrzehnts, um den demografischen
Wandel überhaupt zu bewältigen.
({27})
Von allergrößter Bedeutung sind natürlich die Fragen
einer sicheren, verlässlichen gesundheitlichen Versorgung und einer leistungsfähigen Pflegeversicherung. In
beiden Bereichen ergreifen wir Initiativen. Ich will hier
besonders das würdigen, was im Pflegebereich geschieht: Wir werden zum 1. Januar 2015 eine Reform
der Pflegeversicherung vorlegen. Die Beiträge werden
um 0,2 Prozentpunkte erhöht. Damit stehen 2,4 Milliarden Euro mehr für Pflegeleistungen zur Verfügung. Wir
werden mit aller Kraft darauf hinarbeiten, dass nicht die
Bürokratie, nicht die technischen Abläufe, sondern das,
was die Menschen brauchen, die Pflege des einzelnen
Menschen, wieder mehr im Vordergrund steht. Dazu
werden wir einen neuen Pflegebegriff erproben und
seine Praxistauglichkeit feststellen. Ich glaube, das ist
die richtige Art, dies Schritt für Schritt anzugehen. Vor
allen Dingen wollen wir die Pflegeberufe attraktiver machen, aber auch Pflege in der Familie in besonderer
Weise befördern.
({28})
Ein weiterer wichtiger Bereich für den Zusammenhalt
der Gesellschaft ist das gesamte Thema der Integration
von Migrantinnen und Migranten. In diesem Jahr werden wir einen Integrationsgipfel zum Thema „Ausbildung und Bildung“ abhalten. Gegen Ende des Jahres
werden wir dann hoffentlich auch einen neuen Ausbildungs- und Weiterbildungspakt haben; denn unser Ziel
muss natürlich sein, dass die Teilhabe der Migrantinnen
und Migranten an der Berufsausbildung, am beruflichen
Leben, am Arbeitsleben dieselbe ist wie bei denjenigen,
die schon lange bzw. immer in Deutschland leben. Das
haben wir, auch wenn es Fortschritte gibt, noch nicht erreicht. Deshalb wird die Integration auch in dieser Legislaturperiode ein wesentliches Element unserer Arbeit
sein.
Wir hoffen, dass wir mit dem gestern verabschiedeten
Entwurf zur Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts
für in Deutschland geborene Kinder einen Impuls setzen,
um den Migrantinnen und Migranten und ihren Kindern
zu sagen: Ihr seid hier willkommen. Ihr seid Teil unserer
Gesellschaft. Ihr bekommt alle Chancen, die andere auch
bekommen. Ihr sollt euch einbringen und werdet genauso gefördert. - Ich hoffe, dass dies seine Wirkung
nicht verfehlt, meine Damen und Herren.
({29})
In diesem Spektrum arbeiten wir in dem Umfang, den
Deutschland aus eigener Kraft leisten kann. Aber wir
wissen auch: Deutschland ist auf Dauer nur stark, wenn
es auch Europa gut geht, wenn auch Europa stark ist.
Deswegen setzen wir als Bundesregierung natürlich
auch darauf, die europäische Politik intensiv zu gestalten
und uns mit unserer Rolle dort einzubringen.
Meine Damen und Herren, aufgrund der Euro-Schuldenkrise haben wir schwere Jahre hinter uns. Wir können jetzt erste Erfolge sehen, und ich finde, wir dürfen
diese Erfolge nicht kleinreden, obwohl wir wissen, dass
wir damit den Weg natürlich noch nicht zu Ende gegangen sind. Weder sind die Zinssätze - schauen wir einmal
auf Deutschland - so, dass man heute sagen kann: „Das
Ganze ist schon wieder im Lot“, noch ist die Arbeitslosigkeit - gerade bei jungen Menschen in anderen europäischen Ländern - akzeptabel oder hinnehmbar.
Richtig ist und bleibt für mich aber doch, dass es vernünftig und notwendig war, einen Fiskalpakt zu entwickeln, mit dem wir dem Maastrichter Stabilitäts- und
Wachstumspakt wieder mehr Zähne gegeben haben;
denn es war doch eine der Erfahrungen, dass uns das
Nichteinhalten von Versprechungen und Beschlüssen in
eine solche Situation gebracht hat. Es ist richtig und
auch wichtig, dass wir sagen: Irland, Portugal, Spanien
und Griechenland haben bei allen Bemühungen, die
noch zu folgen haben, Fortschritte gemacht. Deshalb
werden wir das auch weiter so hervorheben.
Anfang Juli wird es in Italien einen Gipfel geben, der
sich wieder mit dem Thema Jugendarbeitslosigkeit beschäftigen wird. Dort wird es vor allen Dingen notwendig sein, zu schauen: Werden die in Europa bereitgestellten Mittel auch wirklich von den Ländern genutzt, die
die größten Probleme haben? Häufig sind nämlich zwar
Mittel für die Bekämpfung bestimmter Probleme vorhanden - natürlich wird dauernd darüber geredet, dass es
eigentlich mehr sein sollte -, aber wenn man dann einmal genauer hinguckt, sieht man, dass die Mittel gar
nicht abgerufen werden. Wir müssen jetzt erst einmal
Wert darauf legen, dass die in der europäischen Finanzplanung für die Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit
zusätzlich vorgesehenen 6 Milliarden Euro dafür genutzt
werden, wofür sie gebraucht werden, nämlich zur Schaffung von Arbeitsplätzen für junge Menschen.
({30})
Aus der Tatsache, dass wir von der Haushaltslage her
heute besser dastehen als vor Jahren, die Arbeitsmarktsituation in vielen Ländern aber noch nicht besser ist, zum
Teil sogar schlechter, ergibt sich im Übrigen auch die
Aufgabenstellung für das neue Europäische Parlament
und die neue Europäische Kommission: Wir müssen
gucken, wo wir Bürokratie abbauen und wie wir Unternehmen in Europa Chancen geben können - denn langfristige, dauerhafte Arbeitsplätze werden nur durch Unternehmen und nicht durch Staaten geschaffen -, und wir
müssen schauen, wie wir die Vorzüge eines Binnenmarktes auch im digitalen Bereich, im Energiebereich
und im Forschungsbereich wirklich zur Geltung kommen lassen können.
Das werden die Aufgaben sein, auf die sich Europa
konzentrieren muss. Nicht jede Aufgabe ist eine Aufgabe für Europa, aber die großen Aufgaben können inzwischen mit einer europäischen Dimension besser gelöst werden, als wir das alleine, als Nationalstaat,
könnten.
({31})
Wir sind bei der Bankenunion vorangekommen. Ich
will die Details hier jetzt nicht nennen. Das ist ein Riesenprojekt. Wenn Sie mich vor drei Jahren gefragt hätten: „Werden wir so weit kommen?“, dann hätte ich sehr
große Zweifel geäußert. Das bedeutet eine riesige Kraftanstrengung.
Deutschland ist im Übrigen in vielen Fragen vorangegangen:
Wir hatten schon eine Bankenabgabe, als es in Europa
noch keine Bankenabgabe gab. Damit haben wir ein Modell geliefert. Wir hatten auch schon einen Bankenabwicklungsmechanismus, als es in Europa noch keinen
solchen gab. Auch damit waren wir Vorreiter. Das heißt,
wir haben mit unseren nationalen Regelungen immer
wieder auch Hilfestellungen für europäische Regelungen
geben können, und ich bin sehr froh, dass wir hier jetzt
wirklich sehr gut vorangekommen sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, dass
wir, wenn wir uns nur auf unsere eigenen Belange konzentrieren, natürlich nicht erfolgreich sein können. Deshalb beschäftigt uns das Thema „Frieden, Freiheit und
Menschenwürde in Europa und in der Welt“ natürlich
sehr - gerade jetzt, in diesen Tagen.
Die Lage in der Ukraine bleibt schwierig. Sie haben
das in den letzten Tagen wieder verfolgt, und es ist leider
an vielen Stellen nicht erkennbar, wie Russland zur Entspannung der Situation beiträgt. Deshalb werden wir auf
der einen Seite weiter das tun, was wir immer getan haben, nämlich die Gesprächsfäden nutzen, auf der anderen Seite aber auch klar und deutlich sagen: Die Ukraine
hat aus unserer Sicht ein Recht auf einen eigenen Entwicklungsweg. - Den werden wir einfordern. Die Ukrainer müssen über ihr Schicksal selber entscheiden, und
dabei werden wir der Ukraine behilflich sein.
({32})
Es ist jetzt dringend notwendig, dass die OSZE-Mission, die glücklicherweise angelaufen ist, auf die versprochenen 500 Personen aufgestockt wird.
Es ist dringend wichtig, dass es internationale Gespräche mit der Europäischen Union, mit den Vereinigten
Staaten von Amerika und auch mit Russland gibt -, aber
eben unter Beteiligung der Ukraine. Es ist wichtig, dass
der Verfassungsprozess in der Ukraine vorankommt. Es
ist wichtig, dass die Wahlen dort vernünftig vorbereitet
werden können. Es ist vor allen Dingen wichtig, dass
auch die internationale Finanzunterstützung anläuft. Das
IWF-Programm für die Ukraine ist beschlossen. Es ist
ein sehr anspruchsvolles Programm, das den Menschen
Opfer abverlangen wird. Aber die europäischen Mittel
und auch die IWF-Mittel müssen jetzt schnell fließen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wir diskutieren all dies in einem Jahr, in dem
sich der Beginn des Ersten Weltkriegs 100 Jahre, der des
Zweiten Weltkriegs 75 Jahre, der Fall der Mauer und das
Ende des Kalten Kriegs 25 Jahre jähren; Ereignisse, derer wir gedenken. Wir sind uns heute in Europa, aber
auch in der Welt insgesamt viel näher, als das wahrscheinlich in der Geschichte der Menschheit jemals der
Fall war.
Wir wissen, dass diejenigen, deren Denken nur um eigene Interessen kreist, die eine eindimensionale Weltsicht haben und die ohne Rücksicht auf andere ihre
Stärke ausspielen, keine Chance haben, Zukunft zu gestalten. Natürlich gehört für jeden von uns die nationale
Perspektive dazu, aber niemand, der erfolgreich sein
möchte, kann heute nur seine eigenen Belange in den
Vordergrund stellen. Er verbaut sich damit seine eigene
Zukunft.
Deshalb ist die einzig wahre Antwort auf die Probleme unserer Zeit ein positives Gestalten der Globalisierung. Wir brauchen eine neue Art des Miteinanders,
des fairen Interessenausgleichs auf der Welt. Wir wollen
und brauchen eine neue Art, bei Dissens und Streit kooperative Lösungen zu finden.
({33})
Je besser wir das in Deutschland miteinander praktizieren, desto eindrucksvoller ist die europäische Erfolgsgeschichte.
Das Modell des Interessenausgleichs ist das Modell
der Zukunft. Deutschland leistet seinen Beitrag dazu:
durch solide Finanzen und eine Wachstumspolitik, durch
einen starken inneren und äußeren Zusammenhalt und
durch ein starkes europäisches und globales Engagement.
Ich bitte Sie, auf diesem Weg mitzugehen, und danke
für Ihre Aufmerksamkeit.
({34})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin GöringEckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
100 Tage Schonfrist gesteht man jeder neuen Regierung
zu.
({0})
Union und SPD haben viele geschont, vor allem sich
selbst.
Heute behaupten Sie, Sie machten keine Schulden.
({1})
Ich sage Ihnen: Doch, Sie verschulden sich: an den Jungen, an den Armen und an der Umwelt.
({2})
Sie machen Politik für die Babyboomer - das wussten
wir schon -, seit neuestem auch für die BASF, die sich
sehr freut. Sie sind so etwas wie eine Amigo-Generation.
Die Generation der unter 30-Jährigen jedenfalls hat bei
Ihnen nichts zu lachen.
({3})
Die Industrieprivilegien beim EEG und damit die
Mehrkosten für Verbraucherinnen und Verbraucher, die
Sie alle gerade verabredet haben, sind auf einem Niveau,
das früher wenigstens jedem Sozialdemokraten die
Schamröte ins Gesicht getrieben hätte.
({4})
Sie verschieben jede schwierige Entscheidung auf die
nächste Legislaturperiode. Fast könnte man glauben: Jeder von Ihnen hofft darauf, an der nächsten Regierung
nicht beteiligt zu sein, damit Sie diesen Schlamassel
nicht ausbaden müssen.
({5})
Wie hieß doch damals der Spruch der westdeutschen
Jugend? Erst wenn die letzte Rentenkasse geplündert,
die letzte Sozialkasse geleert und alle Schulden angehäuft sind, werden Sie merken, dass man Koalitionsverträge nicht essen kann.
({6})
Zur Erinnerung: In der letzten Großen Koalition wollten Sie noch etwas erreichen, ganz unabhängig davon,
wie man das im Einzelnen findet. Damals haben Sie mit
einer kleineren Mehrheit die Föderalismusreform gestemmt, die Rente mit 67 eingeführt, Subventionen abgebaut, die teuer, aber populär waren, und auf den letzten Metern sogar noch die Schuldenbremse eingeführt.
Damals hatte man wenigstens noch das Gefühl, Sie wollen Verantwortung übernehmen.
({7})
Heute sind wir bei „Wünsch dir was“. Der Unterschied zum Märchen mit der guten Fee ist allerdings:
Hier hat nicht jeder drei Wünsche frei, sondern jedes
Mal, wenn einem ein neuer Wunsch einfällt, kriegt der
andere noch einen obendrauf erfüllt. Mit Verantwortung
hat das nichts zu tun.
({8})
Heute wickelt die eine Hälfte von Ihnen die eigene
Parteigeschichte ab, inklusive Franz Müntefering, während sich die andere auf den volkswirtschaftlichen Resten ausruht, die dann noch übrig bleiben. Meine Damen
und Herren, Sie haben 504 Mandate im Deutschen Bundestag.
({9})
Aber, ehrlich gesagt, in diesen 100 Tagen gab es noch
keine einzige neue Idee.
Sie beide vereint nicht etwa die Leidenschaft,
Deutschland für das 21. Jahrhundert fit zu machen. Sie
verteilen lieber leidenschaftlich, was Sie nicht bezahlen
können. Sie bestellen; die Kinder und Enkel bezahlen.
Sie machen Politik nach der Formel „Rente mit 70 minus 63 ist gleich Mütterrente“. Ich finde das absurd. Ich
finde, das hat mit Zukunft nichts zu tun, und mit Verantwortung für die Zukunft erst recht nicht.
({10})
Das Ganze kostet, wie Sie wissen, 160 Milliarden
Euro. Für die Schulsozialarbeit - ich glaube, keiner wird
einen Deut daran zweifeln, wie wichtig sie ist - werden
400 Millionen Euro fehlen. Aber die Schüler dürfen
nicht wählen, und die Kommunen und Länder nörgeln ja
eh immer nur herum.
({11})
Ich habe den Eindruck, Sie vergessen völlig, worauf es
eigentlich ankommt.
Liebe SPD, es ging ganz fix: Zuerst war es noch ein
zentrales Thema, dass die Kommunen und Länder unterstützt werden und wir in Bildung und Kinder investieren.
Jetzt handeln Sie nach dem Motto „2018 reicht auch
noch“. Das ist eine Mogelpackung, Frau Merkel. Sie unterstützen die Kommunen nicht, sondern Sie verschieben
es auf die Zukunft, und Sie bauen gerade an den Stellen
ab, wo es um diejenigen geht, die besonders viel Hilfe
bräuchten. Deswegen sage ich Ihnen: Auch das hat
nichts mit Verantwortung zu tun.
({12})
Die Wahrheit ist: Die Kommunen ächzen nach wie
vor unter dem Verfall der öffentlichen Infrastruktur. Das
Land lebt in Teilen von seiner Substanz. Vorhandene
Straßen und Brücken müssen gelegentlich repariert werden. Ich weiß, dass Sie es komisch finden, wenn das eine
Grüne sagt. Aber in diesem Punkt sind wir, ehrlich gesagt, ganz altmodisch: Erst repariert man etwas, bevor
etwas Neues angeschafft wird. Das kann ja nicht so
schwer sein.
({13})
Dass Sie vom Breitbandausbau reden, aber faktisch
überhaupt nichts dafür tun, ist absurd. Das zeigt, dass es
Ihnen auch ökonomisch und gesellschaftlich nicht um
die Zukunft geht. Herr Dobrindt hat gesagt, er will lieber
ein schnelleres Netz in den Bayerischen Wald bringen,
statt zu twittern. Jetzt stellen wir fest: Herr Dobrindt
twittert nicht, aber das schnelle Netz im Bayerischen
Wald wird es leider auch nicht geben.
({14})
Ich habe das Gefühl, dass Herr Dobrindt sich ganz
heimlich wahnsinnig doll um die Maut für Pkw kümmert, von der wir ewig lange nichts gehört haben. Ich
bin sehr gespannt, wann Sie wirklich Internet- und Infrastrukturminister werden, Herr Dobrindt.
({15})
Innenpolitisch habe ich den Eindruck, Frau Merkel,
Sie machen denselben Fehler wie Kohl in den 90ern: Sie
regieren faktisch in der Komfortzone. Vielleicht sollte
man auch das einmal in Erinnerung rufen: Zukunft ist
nicht die nächste Legislaturperiode. Zukunft ist die Zeit,
in der unsere Kinder Verantwortung für dieses Land
übernehmen. Dass es in Ihren Fraktionen wenigstens
noch ein paar junge Abgeordnete gibt, die Ansätze einer
Kritik an diesen Verschiebebahnhöfen und dem kurzfristigen Verscherbeln äußern, ist jedenfalls ein kleiner Beweis dafür, dass es bei Ihnen noch ein bisschen Lebendigkeit gibt. In der letzten halben Stunde hatte ich
allerdings, ehrlich gesagt, nicht das Gefühl, dass es hier
sehr viel Wachheit und Leidenschaft gab.
({16})
Sie werden sagen: Die Leute mögen mich ja dafür. - Das
mag sein, aber es reicht eben nicht, nur zu tun, was gerade gefällt. Können unsere Enkel eigentlich noch entscheiden, wo und wie sie leben wollen? Ist die Luft noch
sauber genug? Ist der Wald hinter dem Haus eigentlich
noch da, und kann man noch die berühmte Schlüsselblume sehen, außer bei Wikipedia?
({17})
- Sie finden das offenbar lustig. Ich finde es nicht lustig.
Jeden Tag wird in Deutschland eine Fläche von über
100 Fußballfeldern mit Häusern und Straßen bebaut. Jeden Tag verschwinden zwischen 50 und 100 Arten. Da
Sie das lustig finden, sage ich Ihnen: Nein, das ist nicht
albern. Man kann nicht am Sonntag von der Bewahrung
der Schöpfung reden und gleichzeitig die Massentierhaltung fördern
({18})
und in Brüssel gegen den eigenen Koalitionsvertrag und
gegen den Willen einer übergroßen Mehrheit in Deutschland dafür sorgen, dass Genmais zugelassen wird.
({19})
Sie können dann nicht sagen: Es ist uns egal, dass das
Zeug im Supermarktregal steht und nicht gekennzeichnet wird.
Wenn Frau Hendricks und Herr Gabriel in der Klimapolitik so weitermachen, dann kann ich Ihnen nur empfehlen: Schauen Sie sich einmal die Berichte an.
Schauen Sie sich einmal an, was uns die Wissenschaftler
gerade wieder in das Stammbuch geschrieben haben.
Wenn Sie so weitermachen, dann wird Olaf Scholz eines
Tages, wenn er dann noch regiert, seinen Stadtstaat nur
noch vom Schiff aus befahren können, weil er die Deiche gar nicht hoch genug bauen lassen konnte.
({20})
Die CO2-Emissionen steigen wieder. Wenn Sie so
weitermachen, dann verfehlt Deutschland das Klimaziel
von minus 40 Prozent nicht nur knapp, sondern krachend. Schwarz-rote Klimapolitik scheint vor allen Dingen dafür da zu sein, dass das Klima in der Koalition
stimmt
({21})
und dass die Industrie es wirklich gut hat. Ein Klimaaktionsplan wurde angekündigt. Umsetzung? - Fehlanzeige! Eine Reform des Emissionshandels wurde angekündigt. Umsetzung? - Null! Die Kürzung der Mittel
für den internationalen Klimaschutz um mehrere Hundert Millionen im Bundeshaushalt haben Sie allerdings
ganz schnell umgesetzt. Ein dreistelliger Millionenbetrag für den internationalen Klima- und Umweltschutz
ist einfach weg, einfach abgeräumt. Auch hier zeigen Sie
echte Verantwortungslosigkeit.
({22})
Wenn die zentrale Maßnahme der Umweltministerin
gegen steigende CO2-Emissionen in der Empfehlung an
die Bürgerinnen und Bürger darin besteht, weniger zu
heizen, dann merkt man: Frau Hendricks kennt den
Koalitionsvertrag ganz gut. Sie weiß: Angesichts der
Vorhaben dieser Regierung in Sachen Klimaschutz muss
man sich als Bürgerin ziemlich warm anziehen. Dass
sich angesichts dessen noch irgendjemand in Brüssel für
schärfere EU-Klimaziele oder für eine echte Reform des
Emissionshandels einsetzen wird, ist wahrhaft unwahrscheinlich. Diese Koalition ist direkt schlecht für das
Klima.
({23})
Frau Merkel, Sie haben vom Technologievorsprung
Deutschlands geredet. Da hätten wir ihn. Es ist aber völliger Quatsch, dass Arbeitsplätze wegfallen würden.
Nein, sie entstehen erst durch die erneuerbaren Energien.
Diesen Vorsprung könnten Sie tatsächlich zu einer großen Stärke Deutschlands machen. Aber im Moment räumen Sie ihn ab. Wir erinnern uns noch an die Zeit der
ersten Großen Koalition. Frau Merkel und Herr Gabriel
standen in roten Jacken vor Eisbergen. Damit sollte
deutlich gemacht werden: Die Eisberge schmelzen. Aber die klimapolitischen Ambitionen sind gleich mit
geschmolzen. Die rote Jacke hat ausgedient. Die Klimakanzlerin von 2007 sitzt warm und trocken, und der Umweltminister von damals schützt heute lieber angeblich
bedrohte Industriezweige als real bedrohte Arten. Wir
stellen uns Klimapolitik wirklich anders vor.
({24})
Es ist verantwortungslos, den Ausbau der Erneuerbaren zu deckeln, sodass sie gerade noch den Ausstieg aus
der Atomkraft kompensieren. Wer sich die EEG-Reform
anschaut, redet nur noch von einem Reförmchen. Das ist
übrigens nicht meine Formulierung. Diese können Sie
heute in allen Zeitungen lesen. Das Ganze ist in Wirklichkeit in erster Linie das, was Sie immer wollten, nämlich eine Bestandsgarantie für die dreckige Kohle. Diese
sollen wir weiterhin fördern. Nein, eine echte Energiewende, eine echte Energierevolution sieht anders aus.
Das trauen Sie sich nicht. Auch damit verscherbeln Sie
die Zukunft.
({25})
Herr Gabriel, jetzt ist die Maske gefallen. Sie wollen
so tun, als seien Sie der große Manager der Energiewende. Jetzt stellt sich heraus: In Wahrheit sind Sie der
energischste Lobbyist der Manager. Kleine Leute zahlen
bei Ihnen die Rechnung. Sie haben kaum mehr als
100 Tage gebraucht, um zum Genossen der Bosse zu
werden. Sie haben kaum mehr als 100 Tage gebraucht,
um solche Sätze zu sagen wie den: 40 Euro, das wird ja
wohl niemandem etwas ausmachen. - Doch ich sage Ihnen: Es macht gerade den kleinen Leuten etwas aus.
Dass die Industrie heute über die Ausnahmen, die Sie ihr
garantiert haben, jubelt, zeigt genau, dass Ihre Energiewende nicht nur eine klimapolitische Schieflage hat,
sondern auch eine soziale Schieflage. Manchmal
wünscht man sich schon Peer Steinbrück zurück, der gegenüber den Industrieleuten wenigstens einmal klare
Kante zeigt.
({26})
Dazu passt dann auch ganz gut, dass Sie ein Machtwort sprechen, wenn es um die Frauenquote geht. Das
passt perfekt ins Bild. Frau Schwesig darf jetzt nett über
Leitlinien reden, weil Ihnen die Jungs von der Industrie
gesagt haben, dass ihnen die Frauenquote wirklich nicht
passt. Die Frauen haben lange genug gewartet, es ist
endlich an der Zeit, dass die Quote kommt. Frau
Schwesig, nehmen Sie bitte Ihren Mumm zusammen,
und kämpfen Sie dafür! Reden Sie nicht mehr weiter darüber! Es ist genug geredet worden. Wir wollen endlich
Taten sehen, wenigstens an dieser Stelle. Das kostet
noch nicht einmal etwas.
({27})
Ich habe den Eindruck, dass hier so eine Art Grundkonflikt besteht. Nutzen Sie eigentlich Ihre große Mehrheit nur für den Machterhalt, oder gibt es bei Ihnen eine
Perspektive? Ich meine eine Perspektive nach dem
Motto: Versöhnung zwischen ökologisch verantworteter
Begrenzung und unaufgebbarer Freiheit in Wohlstand.
Freiheit in Wohlstand - darum würde es nämlich eigentlich gehen.
Ich gebe zu: Mir wären sogar ein paar Verbote ganz
lieb.
({28})
Wir sind Exportland Nummer drei, was die Waffenexporte angeht. Panzer nach Saudi-Arabien und Katar. Beschämend ist das, und beschämend ist auch Ihr Feigenblatt von mehr Transparenz. Ich möchte gerne, dass es
hier eine tatsächliche Wende gibt und dass wir davon absehen, Waffen in Länder zu exportieren, die weit weg
von Demokratie und dem sind, was wir mit Menschenrechten und Menschenwürde verbinden. Hier wäre nun
wirklich ein Verbot sehr sinnvoll.
({29})
Ich sage Ihnen auch: Wenn Sie einerseits über Energiesicherheit und über Unabhängigkeit reden, aber im
gleichen Atemzug den Verkauf des größten Gasspeichers
in Westeuropa ausgerechnet an die Firma Gazprom genehmigen, dann ist das unglaubwürdig, dann ist das absurd. Wenn Sie an solchen Stellen nicht glaubwürdig
werden, dann ist es auch mit der Außenpolitik, die ich an
dieser Stelle wirklich überzeugend fand, auf einmal sehr
schwierig. Dann wird nämlich hinten wieder eingerissen,
was man vorne eigentlich richtig gemacht hat.
({30})
Ich habe das Gefühl, Sie sind inzwischen so zufrieden
auf der Regierungsbank, dass Ihnen auch Visionen abhandengekommen sind, die Vision eines modernen Staates zum Beispiel, der Wohlstand mit Anstand und
Zukunft mit Schonung verbindet. Angesichts des Kräfteverhältnisses im Deutschen Bundestag haben Sie nicht
nur die Möglichkeit, sondern Sie haben doch eigentlich
die Pflicht und die Verantwortung, die Zukunft nicht zu
verscherbeln. Stattdessen nörgeln Sie lieber ein bisschen
herum, einmal am Verfassungsgericht, ein anderes Mal
an Griechenland oder an denen, die wenigstens den
Mund aufmachen. Ich finde, dieses Land hat etwas anderes verdient.
({31})
Wenn wir in diesen Tagen und Stunden in Richtung
Ukraine blicken, dann stellen wir fest, dass unsere Sorgen nicht kleiner geworden sind. Wahrscheinlich hoffen
wir hier alle gemeinsam, dass die Ukraine mit dem
25. Mai und demokratischen Wahlen Stabilität erlangt,
nicht mehr Spielball geopolitischer Interessen ist und
ökonomisch auf die Beine kommt.
Eigentlich ist es tragisch, dass es erst so eine außenpolitische Krise brauchte, damit allen wieder klar wird,
was der Wert Europas eigentlich ist, dass Europa für
viele Menschen gerade am Rande der EU eine Verheißung ist und kein Zweckbündnis, das einmal nützt und
einmal nicht. Dass Sie lieber Abwehrschlachten gegen
stärkere CO2-Reduzierung, bei den Grenzwerten für die
Pkw, gegen ambitionierte Klimaschutzziele und, und,
und geliefert haben, zeigt, dass wir an dem Europa, das
wir eigentlich wollen und für das wir eigentlich stehen,
lange genug mit dieser Regierung vorbeigeredet haben.
Jetzt ist Europa plötzlich als Friedensmacht gefordert.
Sie merken, eine ausschließlich utilitaristische Haltung
zu Europa einzunehmen, funktioniert nicht, wenn europäische Werte gefragt sind.
Wer ein Europa will, das auch machtpolitisch ernst
genommen wird, der muss dafür sorgen, dass dieses Europa stark ist, statt am Ende doch noch nach der NATO
zu rufen. Es ist eben keine kohärente Politik, wenn die
Verteidigungsministerin die ganze Zeit mit ihrer Militärrhetorik das Krisenmanagement unterwandert, das der
Außenminister diplomatisch auf europäischer Ebene betreibt. Diese Krise, Frau von der Leyen, taugt nicht zur
regierungsinternen Selbstdarstellung. Bleiben Sie dabei,
für ein starkes Europa und für eine friedliche Lösung zu
kämpfen.
({32})
Wo wir schon von europäischen Werten sprechen: Jedes Jahr fliehen Tausende Menschen nach Europa. Im
Mittelmeer ertrinken andere bei dem Versuch, Sicherheit zu finden. In der letzten Nacht wurden mehr als
1 000 Menschen gerettet - zum Glück.
In Syrien tobt seit drei Jahren ein fast schon vergessener Bürgerkrieg. Ein Drittel der Bevölkerung Syriens ist
auf der Flucht. Sie sollten darüber reden, was wir tun
können, um diesen Menschen zu helfen. Wir sind immer
noch bei gerade einmal 10 000 Kontingentflüchtlingen
aus Syrien. Im Libanon ist in der vergangenen Woche
der einmillionste Flüchtling aufgenommen worden. Die
Türkei ist schon nah an dieser Grenze. Nur einmal zum
Vergleich - weil Sie immer sagen, wir nähmen ja schon
so viele auf -: Wenn wir im gleichen Verhältnis wie Libanon und Türkei Flüchtlinge aufnähmen, dann würden
wir hier über 18 Millionen Flüchtlinge reden. Ich sage
Ihnen: Gemessen daran sind die Anstrengungen der
Bundesregierung nicht mehr als ein schlechter Witz.
({33})
Das ist nicht Ausdruck der internationalen Verantwortung, von der Sie immer so gern reden. Sehen Sie endlich der humanitären Verpflichtung und der Realität ins
Auge. Reden Sie mit den Ländern und Kommunen.
Herr Steinmeier, was nun wirklich gar nicht geht und
was Sie dringend aufklären müssen, ist, ob es wirklich
Missbrauch, ob es wirklich Bestechung bei der Terminvergabe in deutschen Vertretungen gab. Falls ja, dann
muss hier sehr schnell gehandelt werden.
({34})
Meine Damen und Herren, mehr tun und weniger
Politik antäuschen, das würde ich mir auch wünschen,
wenn es um die großen Skandale geht, die wir unter den
Kürzeln „NSU“ und „NSA“ kennen. 104 Tage dauert der
NSU-Prozess jetzt. Frau Merkel, Sie haben in Ihrer Gedenkrede vor den Hinterbliebenen rückhaltlose Aufklärung zugesagt, und Sie haben versprochen, alles zu tun,
damit sich so etwas nie wiederholen kann. Ich nehme Ihnen ab, dass Sie diese Worte ehrlich gemeint haben. Nur:
Es gibt bis heute weder eine neue Sicherheitsarchitektur,
noch wurden der strukturelle Rassismus und die Blindheit auf dem rechten Auge in den Sicherheitsbehörden
geheilt. Wir haben hier noch eine echte Hausaufgabe,
und ich verlange von Ihnen, dass Sie sie angehen und
dass Sie sie nicht „wegschwurbeln“ nach dem Motto: Es
wird ja hoffentlich nichts wieder passieren.
({35})
Die Sicherheitsbehörden wurschteln weiter vor sich
hin. Selbst Ihr Koalitionspartner CSU macht immer wieder weiter mit Scharfmacherei. Gestern, am Internationalen Roma-Tag, haben wir gehört, in welchem Ausmaß
Sinti und Roma bei uns in Europa und darüber hinaus
diskriminiert, beschimpft und verfolgt werden. Angesichts dessen klingt der Satz „Wer betrügt, der fliegt“
noch zynischer, noch kälter.
({36})
Dieser Satz hat nichts mit Menschenwürde zu tun. Hören
Sie damit auf, und fangen Sie an, Rassismus zu bekämpfen, weil es um die Menschenwürde aller geht.
({37})
Dazu gehört es dann auch, dass man bei der Reform
des Staatsbürgerschaftsrechts eben nicht wieder nur den
halben Weg geht. Willkommenskultur, das heißt doch
„Ihr seid wirklich willkommen“. Wir dürfen nicht wieder Staatsbürgerschaften erster und zweiter Klasse
schaffen. Deswegen sage ich Ihnen klar und deutlich:
Lassen Sie den Optionszwang komplett fallen! Erst dann
haben wir eine Willkommenskultur. Erst dann können
wir sagen: Ja, wir leben hier zusammen. Wir tun das
gern, weil wir etwas voneinander haben.
({38})
Im Innenausschuss mussten wir von Herrn Ziercke erfahren, dass das BKA heute so aufgestellt ist, dass die
rechte Hand nicht so genau weiß, was die linke tut. Jede
Woche gibt es etwas Neues, immer mehr Chaos. Frau
Merkel, was haben Sie eigentlich getan, als bekannt
wurde, dass Ihr Handy und die Telefonate und E-Mails
von Millionen von Deutschen abgehört wurden? Sie haben heute hier dargestellt, es sei sehr kompliziert, das alles europäisch zu regeln. Was haben Sie getan? Sie haben eine platonische Brieffreundschaft mit den USA und
mit Großbritannien begonnen. Wir wissen: Sie schreiben, aber niemand antwortet.
Dieser Skandal muss aufgeklärt werden. Ich bin heilfroh, dass wir jetzt den NSA-Untersuchungsausschuss
haben. Ich sage Ihnen: Es ist ein harter Job, dafür zu sorgen, dass die Rechte der Bürgerinnen und Bürger auf
Selbstbestimmung, auf Geheimnis, darauf, dass sie über
ihre eigenen Daten verfügen können, in diesem Land
wiederhergestellt werden. Deswegen ist es richtig, dass
Herr Snowden aussagt. Deswegen ist es richtig, dass wir
aufklären, mit aller Kraft und mit allen Mitteln, die uns
zur Verfügung stehen. Wir dürfen uns nicht zurückziehen und sagen, das sei kompliziert, sondern wir müssen
unsere Energie dafür einsetzen und sagen: Ja, das wollen
wir, und zwar bei aller Freundschaft.
({39})
Gestern war - das kann man nicht anders sagen - ein
großer Tag für die Bürgerrechte. Allen Hardlinern, die so
gerne davon reden, dass man durch die Vorratsdatenspeicherung die Sicherheit erhöhen würde, sage ich: Die
Vorratsdatenspeicherung war falsch, ist falsch und bleibt
falsch. Wir sind froh, dass der Europäische Gerichtshof
sehr deutlich gemacht hat, dass die anlasslose Speicherung von Millionen von Daten nicht geht, dass sie nichts
mit Bürgerrechten zu tun hat. Ich bin sehr froh, dass der
Europäische Gerichtshof dieses Zeichen für Bürgerrechte und Freiheit kurz vor der Europawahl gesetzt hat.
Heute stehe ich hier und kann sagen: Auch deswegen,
wegen der Freiheit, bin ich stolz, eine Europäerin zu
sein.
({40})
Es macht wirklich keinen Sinn, jetzt nationale Alleingänge zu starten.
Meine Damen und Herren, wenn man sich den Streit
um das Rentenpaket in Ihrer Koalition vor Augen führt,
muss man sagen: Bei diesem Paket und auch bei dem
Streit, den Sie darüber führen, vergessen Sie diejenigen,
die wirklich Unterstützung brauchen. Sie vergessen die
kommenden Generationen, lassen die Krankenschwester
und den Zahntechniker aber brav ihre Beiträge zahlen.
Sie vergessen diejenigen, die 30 Jahre lang wirklich hart
gearbeitet haben und nun nicht mehr können. Sie verfahren nach dem Motto „Nach mir die Sintflut“. Die Folgen
Ihrer Politik verschieben Sie auf das Jahr 2018; dann
wird es ja irgendwie weitergehen. Ich sage Ihnen: Das ist
nichts, Frau Nahles, worauf man stolz sein kann. Da fehlen die Fachkräfte. Da fehlt die Unterstützung für diejenigen, die ganz draußen sind.
({41})
Meine Damen und Herren, gestern haben Sie gesagt,
die Union wolle gegenüber der SPD vertragstreu sein.
Mir wäre es lieber, Sie wären vertragstreu gegenüber denen, die es wirklich nötig haben: gegenüber unseren
Kindern und Enkeln, gegenüber der Umwelt und dem
Klima, gegenüber all denen, die wirklich etwas riskieren, hart arbeiten und Verantwortung für sich und andere
übernehmen. Die alle werden nämlich nicht fragen:
„Habt ihr euch in der Großen Koalition damals gut verstanden?“, sondern die werden fragen: Habt ihr eigentlich auch an uns und unsere Zukunft gedacht? Deswegen: Übernehmen Sie Verantwortung, meine Damen und
Herren!
({42})
Für die SPD-Fraktion erhält nun Thomas Oppermann
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wer Frau Katrin Göring-Eckardt eben aufmerksam zugehört hat, der konnte den Eindruck gewinnen,
dass sich unser Land im Augenblick in einem ausgesprochen schlechten Zustand befindet.
({0})
Da haben Sie, Frau Göring-Eckardt, an der Wahrnehmung der allermeisten Menschen in diesem Lande komplett vorbeigeredet.
({1})
Sie haben kein Wort zur wirtschaftlichen Situation
verloren.
({2})
In der Tat, wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit seit
der Wende, gleichzeitig den höchsten Stand der Beschäftigung.
({3})
Wir haben Überschüsse in allen Sozialversicherungen.
Wir haben die höchsten Steuereinnahmen in der Geschichte dieses Landes.
({4})
Bund, Länder und Unternehmen zusammen geben in
diesem Jahr 80 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus. Auch wenn ich weiß, dass damit nicht alle
Probleme in diesem Land schon gelöst sind - die Wahrheit ist doch: Dieses Land steht augenblicklich ausgesprochen gut da, meine Damen und Herren.
({5})
So etwas zu sagen - ich weiß das aus eigener, noch
gar nicht so lange zurückliegender Erfahrung -, fällt in
der Opposition schwer,
({6})
aber Sie hätten allen Grund gehabt, darauf hinzuweisen;
denn, Frau Göring-Eckardt, Sie waren bei den Grünen
doch schon einmal Fraktionsvorsitzende, nämlich als
Rot-Grün vor zehn Jahren die Arbeitsmarktreformen
ganz entschlossen angepackt hat.
({7})
Sie haben einen ganz wesentlichen Anteil daran, dass
dieses Land heute wirtschaftlich so stark ist.
({8})
Ich finde, auch die Grünen können sich einmal über die
wirtschaftlichen Erfolge in diesem Land freuen.
({9})
Jetzt kommt es darauf an, alles dafür zu tun,
({10})
dass diese wirtschaftliche Stärke erhalten bleibt, und dafür zu sorgen, dass alle Menschen davon profitieren. Wir
wollen, dass alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland an der ökonomischen Stärke teilhaben können,
meine Damen und Herren.
({11})
Dass es uns im Augenblick so gut geht, ist keineswegs selbstverständlich. Die Krise auf der Krim hat uns
gezeigt, wie schnell die Stabilität in Europa in Gefahr
geraten kann. Russland hat auf der Krim eigenmächtig
Grenzen verschoben. Das war ein klarer Verstoß gegen
das Völkerrecht. Trotzdem oder gerade deshalb ist es
gut, dass die internationale Gemeinschaft auf Verhandlungen und Diplomatie setzt, um eine weitere Eskalation
zu verhindern. Konflikte können militärisch entschieden
werden; aber sie können nicht mit militärischen Mitteln
gelöst werden.
({12})
Deshalb bin ich froh, dass die Bundeskanzlerin und Bundesaußenminister Steinmeier von Anfang an klargemacht haben: Es gibt keine militärischen Optionen.
({13})
Dieser Konflikt muss mit diplomatischen und politischen Mitteln bearbeitet werden, zum Beispiel mit den
direkten Verhandlungen, die die Bundeskanzlerin angesprochen hat.
Die Menschen in der Ukraine kämpfen gegen Korruption und Gewalt. Sie kämpfen für Demokratie und für
freie Wahlen. Ich wünsche mir, dass sie am 25. Mai in
der Ukraine diese freien Wahlen ohne Störungen, ohne
Behinderungen durchführen können und dass die Einheit
ihres Landes erhalten bleibt.
({14})
Angesichts dieser existenziellen Fragen, mit denen
sich die Ukrainer auseinandersetzen müssen, empfinde
ich es - ich weiß nicht, wie es Ihnen geht - schon als einen gewissen Luxus, dass wir hier und heute im Bundestag die Vorlage eines strukturell ausgeglichenen Haushalts beraten dürfen; ich glaube, das sollte man auch
einmal erwähnen. Dieser Haushalt ist nicht selbstverständlich. Das ist eine Zäsur. Darauf mussten die Bürgerinnen und Bürger 46 Jahre lang warten. 46 Jahre haben
wir neue Schulden aufgetürmt. Damit ist jetzt Schluss.
Das ist eine ganz klare Botschaft an die jungen Menschen in diesem Land: Wir wollen damit aufhören, Politik auf dem Rücken der jungen Generation zu machen.
({15})
Ich bedanke mich bei Bundesfinanzminister Schäuble,
dass er uns einen solchen Haushalt vorgelegt hat. Dafür
müsste er eigentlich eine John-Maynard-Keynes-Medaille bekommen, wenn es so etwas gäbe. Wir schaffen
angesichts des hohen Schuldenstandes zwar keine echten
Reserven,
({16})
aber wir tun in wirtschaftlich guten Zeiten das Mindeste,
was wir tun können: Wir legen einen ausgeglichenen
Haushalt vor, damit wir in schlechten Zeiten auch wieder
handlungsfähig sein können.
({17})
Auf diese Weise hat die letzte Große Koalition - darauf ist schon hingewiesen worden - entscheidend dazu
beigetragen, dass wir heute wirtschaftlich stark sind. Ich
möchte ganz besonders Peer Steinbrück und Olaf Scholz
erwähnen. Ihnen haben wir es zu verdanken, dass
Deutschland in der Krise von 2009 seine industrielle Basis behalten hat. Ohne Kurzarbeitergeld und Konjunkturprogramm wäre vieles unwiederbringlich verloren gegangen. Gut, dass wir das verhindert haben.
({18})
Wir sollten aber natürlich auch nicht vergessen, dass
jetzt ein strukturell ausgeglichener und im nächsten Jahr
ein vollständig ausgeglichener Haushalt nicht allein das
Verdienst der Bundesregierung und der Politik sind;
denn wir profitieren zweifellos auch von der Schwäche
der anderen.
({19})
Wir profitieren von historisch niedrigen Zinsen durch
die Euro-Krise. Statt wie in 2008 40 Milliarden Euro
zahlt der Bund in 2014 voraussichtlich nur noch 30 Milliarden Euro Zinsen. Das sind zwar 25 Prozent weniger,
aber es sind immer noch 10 Prozent der gesamten Steuereinnahmen des Bundes. Mit anderen Worten: 10 Prozent der Steuereinnahmen führen wir direkt an Kapitalanleger ab, die jahrzehntelang von wachsender
Staatsverschuldung profitiert haben. Diese Art der Umverteilung können wir in Zukunft beenden.
({20})
Egal wie die jeweilige ökonomische Theorie zum
Schuldenmachen ausfällt: Faktisch verengen Schulden
und Zinsen den Spielraum für die gesamte Politik. Sie
begrenzen die Handlungsfähigkeit des Staates. Wir wollen einen handlungsfähigen Staat. Deshalb ist ein ausgeglichener Haushalt ein Haushalt für die Zukunft dieses
Landes.
({21})
Wir sagen Ja zur Schuldenbremse. Aber die Schuldenbremse darf keine Investitionsbremse werden.
({22})
Über die schwarze Null kann sich die schwäbische
Hausfrau nur dann richtig freuen, wenn ihr Haus auch in
Schuss ist.
Ein ausgeglichener Haushalt und öffentliche Investitionen sind kein Widerspruch. Beides ist gleichzeitig
möglich, wenn wir Haushaltsüberschüsse erwirtschaften
und sie in die richtige Richtung lenken. Das tun wir. Wir
investieren in dieser Legislaturperiode 6 Milliarden Euro
mehr in Bildung, 3 Milliarden mehr in Forschung, 5 Milliarden Euro für die öffentliche Verkehrsinfrastruktur
und 700 Millionen Euro in den Städtebau. Wir entlasten
Länder und Kommunen,
({23})
damit sie selber wieder in die Lage kommen, in Bildung
und Infrastruktur zu investieren.
Ich sage ganz klar: Die 6 Milliarden Euro, die wir den
Ländern für die Entlastung in den Bereichen Kita, Bildung und Hochschule zugesagt haben, brauchen sie dringend; denn die Länder haben es natürlich schwerer als
der Bund, zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen. Im Bund haben wir eine Personalkostenquote von
gut 8 Prozent; in den Ländern haben wir eine Personalkostenquote von gut 38 Prozent. Mit anderen Worten:
Niemand will, dass die Länder für die Haushaltskonsolidierung Polizeibeamte, Lehrer oder Professoren nach
Hause schicken. Sie müssen diesen Personalbestand erhalten, teilweise sogar aufbauen. Das sollten wir berücksichtigen und dafür sorgen, dass dieses Geld möglichst
bald zu den Ländern kommt.
({24})
Wenn es neue Spielräume im Haushalt geben sollte,
müssen wir über ihre Verwendung reden. Ich plädiere
dafür, dass wir dann Prioritäten setzen. Dazu gehören für
mich Investitionen in eine moderne Infrastruktur und in
bessere Bildungschancen. Was die Infrastruktur angeht:
Die 5 Milliarden Euro reichen vermutlich nicht aus für
eine durchgreifende Verbesserung der Situation. Deshalb
möchte ich Herrn Dobrindt, der im Augenblick nicht anwesend ist, zurufen: Wenn Sie den schnellstmöglichen
Weg wählen, die Einbeziehung der Bundesstraßen in die
Maut zu erreichen, dann haben Sie dabei die volle Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion.
({25})
Im Übrigen warten unsere Kommunen auf weitere
Entlastung durch die Reform der Eingliederungshilfe.
Schließlich sind wir uns auch darüber einig, dass es in
dieser Wahlperiode eine BAföG-Erhöhung geben muss.
Es kann nicht sein, dass wir 10 Milliarden Euro für die
Rente verwenden, aber am Ende kein Geld für BAföG
haben. Das muss zur Verfügung stehen, meine Damen
und Herren.
({26})
Viele Menschen wundern sich beim Blick auf ihren
Gehaltszettel, wie wenig Geld von einer Lohnerhöhung
übrig bleibt. Der Grund dafür ist die Steuerprogression.
Sie ist übrigens eine Errungenschaft des modernen Staates, weil sie ganz im Sinne der sozialen Marktwirtschaft
sicherstellt, dass die starken Schultern mehr tragen als
die schwachen, und weil sie dadurch die Kluft zwischen
den Gewinnern und Verlierern unserer Gesellschaft verkleinert. Aber wenn die Progression so gestaltet ist, dass
Lohnerhöhungen für Facharbeiter nach Abzug der Steuern gerade zum Erhalt der Kaufkraft reichen, dann ist
das weder fair noch gerecht. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir über den Abbau der kalten Progression
reden müssen, aber - das sage ich mit Blick auf die Debatte, die wir gestern hatten - ohne solide und vollständige Gegenfinanzierung wird das nicht möglich sein.
Auf keinen Fall wollen wir, dass nach einer Tarifreform
weniger Geld für Investitionen, Bildung, Infrastruktur
und kommunale Entlastung zur Verfügung steht.
({27})
Wir brauchen beides: ein gerechtes Steuersystem und Investitionen für die Zukunft.
Meine Damen und Herren, in den ersten hundert Tagen haben die Ministerien gute Arbeit gemacht; in den
nächsten hundert Tagen wird das Parlament die Hauptrolle spielen. Wir werden ein halbes Dutzend wichtiger
Gesetze beraten und verabschieden. Gestern hat das Kabinett die EEG-Reform beschlossen. Bei dieser Reform
geht es um nichts weniger als die Akzeptanz der Energiewende. Ich sage: Wenn wir mit der Reform weiter zugewartet hätten, dann wäre absehbar gewesen, dass dieses Jahrhundertprojekt im Volkszorn der Verbraucher
und in der Wut über die Abwanderung industrieller Arbeitsplätze untergegangen wäre. Ich bin deshalb froh,
dass Sigmar Gabriel das verhindert hat.
({28})
Er hat es geschafft, gegenüber einer Vielzahl von Partikularinteressen das allgemeine Wohl durchzusetzen. Er
hat es geschafft, gegen die Europäische Kommission die
Industrierabatte zu verteidigen. Frau Göring-Eckardt,
das hat doch nichts mit Lobby für die Industrie zu tun.
({29})
Das ist Lobby für hochwertige industrielle Arbeitsplätze
in Deutschland.
({30})
Ich lade Sie gerne zu einer Personalversammlung eines
Unternehmens ein, das stromintensiv produziert und im
internationalen Wettbewerb steht.
({31})
Dann können Sie diese Thesen ja noch einmal vortragen.
Wir begrenzen den Anstieg der Strompreise für Verbraucher und erhalten die Fähigkeit der stromintensiven
Industrie, zu wettbewerbsfähigen Bedingungen in
Deutschland weiter zu produzieren. Das hinzubekommen, war gewiss ein politischer Kraftakt. Dafür danke
ich dem Wirtschaftsminister.
({32})
Schon in der letzten Woche hat das Kabinett mit dem
Mindestlohn eines der wichtigsten Projekte aus dem Koalitionsvertrag auf den Weg gebracht. Der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro bedeutet
für Millionen von Menschen in diesem Land eine ganz
spürbare direkte Verbesserung ihres Lebens. Die meisten
der 4 Millionen Menschen, die weniger als 8,50 Euro
verdienen, bekommen die größte Lohnerhöhung ihres
Lebens. Aber nicht nur das: Ihrer Arbeit werden Wert
und Würde zurückgegeben.
({33})
Dass wir jetzt für alle Arbeitnehmer eine gesetzliche
Lohnuntergrenze bekommen, ist eine der wichtigsten
Sozialreformen der letzten Jahrzehnte. Der Mindestlohn
gehört in eine lange Reihe fortschrittlicher sozialer Gesetze in Deutschland. Das begann 1883 mit der Absicherung im Krankheitsfall; 1927 gab es die Absicherung bei
Arbeitslosigkeit. 1957 kam die dynamische Rente. 1995
kam der Schutz bei Pflegebedürftigkeit, der jetzt von
Gesundheitsminister Gröhe und der Koalition auf eine
neue Stufe gehoben wird. Diese Reformen sollten die
Arbeitnehmer dort schützen, wo sie der freie Markt nicht
schützt. Jetzt ergänzen wir die soziale Marktwirtschaft
um einen Schutz, der bisher gefehlt hat: der Schutz vor
Hungerlöhnen, vor Löhnen, bei denen man den ganzen
Tag arbeiten muss, von denen man aber nicht leben
kann. Diese Löhne wird es in Zukunft nicht mehr geben.
Ich bedanke mich bei Andrea Nahles dafür, dass sie das
so schnell vorangetrieben hat.
({34})
In der Gesetzesberatung werden wir alles besprechen.
Aber wir sollten nicht so tun, als könnten wir einfach
ganze Branchen oder Altersgruppen vom Mindestlohn
ausnehmen, ohne dass neue grobe Verzerrungen auf dem
Arbeitsmarkt herbeigeführt würden. Dann entwickeln
findige Unternehmer daraus sofort wieder ein Geschäftsmodell. Solche Anreize wollen wir nicht. Diese Anreize
wollen übrigens auch die Arbeitgeber nicht: Ein Unternehmer, der ordentliche Löhne zahlt, will keine Konkurrenz durch Unternehmer, die mit Billiglöhnen arbeiten.
({35})
Gesetzliche Mindestlöhne und Tarifverträge sorgen für
fairen Wettbewerb und gute Sozialpartnerschaft. Beides
wollen wir stärken.
Genauso wie der Mindestlohn ist auch das Rentenpaket ein Gebot der Gerechtigkeit und des Respekts. Denn
eine erfolgreiche Wirtschaft hängt nicht nur davon ab,
dass wir kreative Unternehmer und eine hohe Produktivität haben, sondern sie hängt auch davon ab, dass die
Menschen das Gefühl haben, dass es in diesem Lande
fair und gerecht zugeht. Deshalb schließen wir mit der
Mütterrente eine Gerechtigkeitslücke. Wir wollen, dass
die Lebensleistung von Müttern nicht nur in Sonntagsreden gewürdigt, sondern auch finanziell honoriert wird.
({36})
Das gilt auch für die Langzeitarbeitnehmer. Von allen
Menschen, die 2012 in Altersrente gegangen sind, taten
dies 39 Prozent bis zum Alter von 63. Dabei nehmen sie
zum Teil erhebliche Abschläge bei ihrer Rente in Kauf.
Wer im Alter von 63 dann schon 45 Jahre gearbeitet hat,
der empfindet solche Abschläge als eine ganz grobe Ungerechtigkeit. Viele von denen haben schon mit 15 oder
16 zu arbeiten begonnen. Diesen Arbeitnehmern wurde
nichts geschenkt. Die mussten hart arbeiten, und deshalb
wollen wir, dass sie jetzt nach 45 Beschäftigungsjahren
schon mit 63 eine abschlagsfreie Rente bekommen.
({37})
Ich finde, wir sollten damit aufhören, Menschen, die
45 Jahre gearbeitet haben, als „potenzielle Frührentner“
zu bezeichnen. Viele von denen haben länger gearbeitet
als die, die regulär in Rente gehen.
({38})
Ich sehe nicht die Gefahr einer Entlassungswelle; die
darf und wird es nicht geben. Erstens haben die Arbeitgeber es selber in der Hand. Ich glaube nicht, dass sie erfahrene und qualifizierte Arbeitnehmer vor Renteneintritt in die Arbeitslosigkeit schicken. Zweitens werden
wir im parlamentarischen Verfahren dafür sorgen, dass
es keine Vorteile bringt, wenn Arbeitnehmer zwei Jahre
vor der Rente freiwillig in die Arbeitslosigkeit gehen.
Drittens gibt es bei vielen den Wunsch, den Übergang
von der Arbeit in die Rente zwischen 60 und 67 und
auch in der Zeit danach flexibler zu gestalten. Wir sind
bereit, gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen
aus der Union dafür nach Wegen zu suchen; da sind wir
gesprächsbereit. Es gilt natürlich das Struck’sche Gesetz:
Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es in ihn hineingekommen ist. Aber es gibt auch ein zweites Gesetz.
Dieses Gesetz besagt: Kein Gesetzentwurf aus dem Kabinett darf in der parlamentarischen Beratung schlechter
werden.
({39})
Es gilt sozusagen auch ein Verschlechterungsverbot. Daran werden wir uns orientieren müssen.
({40})
Wir beschränken uns aber nicht auf ökonomische
Stärke und soziale Gerechtigkeit. Wir wollen auch, dass
Deutschland ein modernes, tolerantes und weltoffenes
Land bleibt. Mit dem Doppelpass und der Einführung einer Frauenquote in Aufsichtsräten schaffen wir Meilensteine im Staatsbürgerschaftsrecht und bei der Gleichstellung von Männern und Frauen. Darauf haben die
Menschen in diesem Lande lange gewartet.
({41})
Ohne die doppelte Staatsbürgerschaft würden in den
nächsten Jahren 400 000 junge Menschen, die in
Deutschland geboren und aufgewachsen sind, zu einer
schwerwiegenden Entscheidung gezwungen. Dabei haben viele von ihnen zwei Herzen in einer Brust. Zusammen mit der Integrationsbeauftragten Aydan Özoğuz bin
ich der Meinung, dass die Integration in Deutschland erfolgreicher wird und besser gelingt, wenn wir die jungen
Menschen nicht mehr zu dieser Entscheidung zwingen.
({42})
Justizminister Heiko Maas und Innenminister de Maizière
haben dazu einen sehr guten und unbürokratischen Kompromiss erarbeitet.
Die beiden Minister sind auch angesprochen, wenn es
um das Thema Vorratsdatenspeicherung geht. Der Europäische Gerichtshof hat jetzt entschieden. Wenn sowohl
das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht, als auch das höchste europäische Gericht die geltenden Formen der Vorratsdatenspeicherung verwerfen,
dann sollten wir einen Moment innehalten und überlegen, was das bedeutet. Ich glaube, dass ein schneller nationaler Alleingang jetzt nicht die richtige Antwort ist.
({43})
Wir müssen genau überlegen, wie wir das Verhältnis von
Freiheit und Sicherheit bestimmen wollen. Wir müssen
sehr sorgfältig überlegen: Wie viel Freiheit sind wir bereit herzugeben für mehr Sicherheit? Das ist die Grundlage, auf der wir jetzt miteinander sprechen müssen,
wenn es darum geht, wie mit der Situation umzugehen
ist. Ich bin sicher, dass wir am Ende eine gute Entscheidung treffen werden.
Meine Damen und Herren, Manuela Schwesig ist die
erste Frauenministerin in Deutschland, die mit der Mehrheit dieser Koalition eine gesetzliche Frauenquote für
börsennotierte Unternehmen auf den Weg bringt.
({44})
Kleine und mittlere Unternehmen müssen sich künftig
selbst verbindliche Vorgaben machen. - Jetzt müssten
meine Freunde von der CDU/CSU eigentlich klatschen.
({45})
- Gut. - Für die einen gilt eine gesetzliche Regelung, für
die anderen eine Selbstverpflichtung. Das Schöne daran
ist: Wir können sehen, was besser funktioniert.
({46})
Die Unternehmen werden jetzt in einen Wettbewerb um
die qualifiziertesten Frauen eintreten.
({47})
Ich sage Ihnen: Dieser Wettbewerb wird nicht scheitern;
denn noch nie gab es so viele gut ausgebildete Frauen in
Deutschland wie heute.
({48})
Meine Damen und Herren, den Kommunen, die derzeit mit steigenden Mieten und wachsenden sozialen
Problemen zu kämpfen haben, sagen wir ganz klar: Wir
lassen sie nicht im Stich! Deshalb haben wir schnelle
Hilfen für die Städte verabredet, die sich allein nicht helfen können. Bauministerin Barbara Hendricks wird dazu
die Mittel für das Programm „Soziale Stadt“ mehr als
verdreifachen. Damit helfen wir auch den Städten, die
von einer punktuell konzentrierten Zuwanderung besonders betroffen sind.
Und, ja, wir brauchen in den großen Ballungszentren
die Mietpreisbremse; nicht überall, aber wir brauchen sie
dort, wo alteingesessene Mieter durch steigende Mieten
aus ihrem Stadtviertel verdrängt werden. Wir brauchen
sie dort, wo die soziale Mischung in unseren Städten bedroht ist. Und wir brauchen sie nicht zuletzt dort, wo Familien keine Wohnung mehr in der Nähe von Kita und
Schule finden. Deshalb muss es in bestimmten Fällen die
Möglichkeit geben, den dramatischen Anstieg der Mieten zu stoppen. Das tun wir.
({49})
Genauso müssen wir auf dem Markt der Immobilienmakler aufräumen. Dort gibt es eine große Ungerechtigkeit: Viele Menschen bezahlen Maklergebühren, obwohl
sie nie in ihrem Leben einen Makler beauftragt haben.
Hier führen wir jetzt das Prinzip „Wer die Musik bestellt, der bezahlt sie auch“ ein. Das ist soziale Marktwirtschaft.
({50})
In den nächsten Wochen und Monaten kommt einiges
auf uns zu. Bis zur Sommerpause werden wir in den
Ausschüssen und im Plenum intensiv über die Gesetzentwürfe beraten. Ich freue mich auf die Beratungen in
der Koalition, auf die Beratungen mit Volker Kauder und
mit Gerda Hasselfeldt. Ich glaube, die Große Koalition
wird am Ende zeigen, dass wir auch bei schwierigen Gesetzen zu vernünftigen Kompromissen kommen. Das
wird Deutschland ökonomisch stärker und moderner machen, und es wird das Leben der Menschen in diesem
Lande Stück für Stück verbessern.
Vielen Dank.
({51})
Volker Kauder ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
In der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zum
Start dieser Großen Koalition und gestern in der Rede
des Bundesfinanzministers zur Einbringung des Haushalts 2014 ist eine zentrale Botschaft dieser Großen Koalition immer wieder formuliert worden: Wir wollen
durch unsere gemeinsame Arbeit in dieser Koalition erreichen, dass es den Menschen nach diesen vier Jahren
besser geht als jetzt. Das ist ein ambitioniertes Ziel, weil
- darauf hat Thomas Oppermann zu Recht hingewiesen - unser Land schon jetzt gut dasteht und weil es den
Menschen schon jetzt objektiv und im Vergleich zu den
Menschen in anderen Ländern in Europa und in der Welt
gut geht.
Was ist der Maßstab dafür, dass wir sagen können:
„Es geht den Menschen besser“? Da kann man unterschiedliche Punkte formulieren. Ich glaube, der entscheidende Punkt ist, dass die Menschen Arbeit haben und die
junge Generation Chancen hat und damit Jung und Alt,
auch die mittlere Generation, jeder in unserem Land,
durch eigene Arbeit ihr Leben gestalten können. Das ist
es, was soziale Marktwirtschaft verlangt. Das hat etwas
mit Würde zu tun. Dass jeder aus eigener Kraft sein Leben gestalten kann, das ist unser Ziel in dieser Großen
Koalition.
({0})
Um das zu erreichen, brauchen wir unsere industrielle
Basis. Die Bundeskanzlerin hat vorhin darauf hingewiesen, dass bei uns der industrielle Sektor noch gut 20 Prozent bei der Wertschöpfung ausmacht. Wenn man die
Dienstleistungen, die zu diesem Bereich gehören, hinzurechnet, ist der Anteil sogar noch höher. Ich bin außerordentlich froh, dass Prognosen - daran sieht man übrigens, wie das mit Prognosen so ist -, die einmal
aufgestellt worden sind, dass wir auf dem direkten und
schnellen Marsch von der Industriegesellschaft in die
Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft seien,
Gott sei Dank nicht eingetreten sind. Überall in Europa
können wir es beobachten: Dort, wo es mit dem industriellen Sektor nicht stimmt, geht es den Menschen nicht
so gut wie bei uns in der Bundesrepublik Deutschland.
({1})
Deshalb ist es notwendig und wichtig, die wirtschaftliche Position, die wirtschaftliche Stärke unseres Landes
zu erhalten. Die wirtschaftliche Stärke hängt natürlich
von einigen Faktoren ab. Gerade in einem Industrieland
ist die Energieversorgung zentral. Man schaut in der
ganzen Welt auf uns, ob ein industrialisiertes Land wie
Deutschland die Energiewende so hinbekommt, dass die
Wirtschaft weiterhin gut laufen kann. Das ist wahrscheinlich eines der größten Vorhaben, das diese Große
Koalition bewältigen muss.
Erste Schritte wurden mit der Reform des EEG gemacht. Natürlich kann man sich wünschen, dieses oder
jenes etwas schneller zu erreichen. Aber wir wissen in
unserem Land doch nicht nur aus der Diskussion über
das EEG, dass wir in diesem föderalen Staat nur dann
gute Lösungen finden, wenn Bund und Länder zusammen zu einem Ergebnis kommen. In der letzten Woche
gab es hier durchaus einen Durchbruch. Wenn wir dann
in zwei Jahren zum Ausschreibungsmodell kommen,
sieht die Situation beim EEG ohnehin noch einmal anders aus.
Ich wünsche mir jetzt, dass im Gesetzgebungsverfahren auf jeden Fall - da stimme ich Thomas Oppermann
zu - keine Verschlechterungen eintreten, sondern vielleicht noch Verbesserungen und dass jeder seinen Beitrag dazu leistet, dafür auch im Bundesrat die erforderlichen Mehrheiten zu bekommen. Wir haben in der letzten
Legislaturperiode zweimal Anläufe genommen und hier
im Bundestag Beschlüsse gefasst, um das EEG zu verändern und zu einer kostengünstigeren Situation zu kommen, und sind zweimal im Bundesrat gescheitert. Deswegen kann man es gar nicht hoch genug einschätzen,
wenn es jetzt gelingt, die Länder mit ins Boot zu nehmen.
({2})
Eine der großen Sorgen nicht nur unserer Wirtschaftspolitiker in beiden Fraktionen, sondern von uns allen
war, dass unsere wirtschaftliche Stärke durch Entscheidungen der EU-Kommission gefährdet werden könnte.
Man hat es eigentlich gar nicht glauben können, dass
sich eine EU-Kommission auf den Weg macht und diejenigen in Europa, die stark sind und damit ganz Europa
mitnehmen können, womöglich schwächen will. Ich
weiß, welch schwierige Verhandlungen das waren. Herr
Wirtschaftsminister Gabriel, wir sind als CDU/CSUBundestagsfraktion sehr vorsichtig mit Lob vor allem an
sozialdemokratische Wirtschaftsminister. Wir sind da
sehr zurückhaltend.
({3})
Aber wir sind auch fair und anständig im Umgang miteinander. Deswegen sage ich Ihnen: Kompliment für das,
was Sie in Brüssel für unsere Wirtschaft und für unser
Land erreicht haben.
({4})
Die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass es wirtschaftlich weitergeht, heißt aber auch: Investitionen in
die Zukunft. Wie die Zukunft unserer Wirtschaft aussieht, kann man sich in diesen Tagen auf der Messe in
Hannover sehr genau anschauen. Bei aller Faszination
über das, was man dort erleben kann, zum Beispiel wie
Roboter miteinander umgehen, stellen sich aber auch
große Fragen. Man fragt sich: Gelingt es uns in Deutschland, auch in Zukunftsbereichen und nicht nur in der
klassischen Produktion Fuß zu fassen? Alles, was diese
Roboter miteinander machen, was ihnen antrainiert
wurde, wird von irgendwoher, von großen Rechenzentren aus gesteuert. Diese werden heute als Cloud bezeichnet, „Wolke“. Die Unternehmer sagen uns, dass es
in Europa keine einzige Institution gibt, die Clouds in
der notwendigen Größe zur Verfügung stellt. Dann ist
man überrascht - vielleicht auch der eine oder andere
von Ihnen -, wenn man hört, dass jemand, von dem man
geglaubt hat, er sei ein digitaler Buchhändler oder Warenversender, der größte Cloud-Besitzer ist. Ich spreche
dabei von Amazon. Amazon ist kein europäisches und
schon gar kein deutsches Unternehmen. Die Wirtschaft
braucht diese Unternehmen aber, damit die Abläufe
funktionieren.
Jetzt wird auf uns und vor allem auf den Bundesinnenminister die Frage zukommen: Wie kann man unVolker Kauder
serer Wirtschaft helfen, damit das, was sich in der Cloud
abspielt, auch sicher ist? Ich möchte darum bitten, dass
wir uns alle folgende Frage stellen: Was können wir machen, damit es nicht nur ein oder zwei Monopolisten
gibt, die diesen Markt beherrschen, sondern wir selber
zum Zug kommen? Wer einen so starken industriellen
Sektor hat, muss nach meiner Auffassung die digitalen
Voraussetzungen schaffen, und zwar möglichst im eigenen Land, und darf nicht von anderen abhängig sein. Dafür müssen wir unsere ganze Kraft einsetzen.
({5})
Wir müssen für Sicherheit sorgen und Kraftanstrengungen unternehmen, um hier voranzukommen.
Mit diesem Bundeshaushalt leisten wir einen Beitrag
dazu, dass es den Menschen besser geht. Wolfgang
Schäuble hat darauf hingewiesen, dass wir in dieser Legislaturperiode ein ambitioniertes Projekt haben, nämlich einen Haushalt ohne neue Schulden vorzulegen.
Dieses Projekt beginnt in diesem Jahr. 2015, 2016 und
2017 stehen wir dann vor der großen Herausforderung,
keine neuen Schulden zu machen. Lieber Wolfgang
Schäuble, herzlichen Dank, dass dieser Weg gegangen
wurde. Eines muss aber klar sein - das sage ich an die
gesamte Koalition gerichtet -: Wolfgang Schäuble ist
darauf angewiesen, dass wir alle mitmachen. Das kann
nicht nach dem Motto geschehen: Da müht sich einer, einen Haushalt ohne Schulden zu machen, und andere
überlegen, wie man neue Projekte in den Haushalt einbringen kann. - Deswegen sage ich zu, dass wir in diesen Haushaltsplanberatungen die Vorgaben nicht überschreiten werden. Wir werden eher versuchen, noch
etwas weniger Ausgaben zu produzieren. Es ist die Aufgabe einer Regierungskoalition, einen solch erfolgreichen Weg zu unterstützen. Das werden wir auch tun.
({6})
Im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung
- Wolfgang Schäuble hat völlig zu Recht darauf hingewiesen - spielt auch Zuverlässigkeit eine Rolle. Lieber
Kollege Oppermann, man kann hier ruhig einmal sagen,
dass die Zusammenarbeit mit Ihnen gut ist und wir unsere Projekte gut voranbringen. Allen Formulierungen in
dem einen oder anderen Organ oder Magazin zum Trotz
bin ich sicher: Wir werden diese Große Koalition zu einem genauso großen Erfolg führen wie die letzte.
({7})
- Frau Göring-Eckardt, es tut mir ja außerordentlich
leid. Ich hätte mich genauso gefreut, wenn ich hätte sagen können, dass wir gut zusammenarbeiten. Aber Sie
wollten nicht. Daher ist jetzt Schluss mit dem Thema.
({8})
Die Grünen mögen sich beruhigen. Wir können das
nachher noch bilateral besprechen.
Die Wirtschaft muss sich darauf verlassen können,
dass sie die großen Investitionen, von denen ich vorhin
gesprochen habe, auch finanziert bekommt. Nicht aus
Jux und Tollerei, sondern um die Wirtschaft in diese
Lage zu versetzen, haben wir gesagt: Das Geld muss in
unseren mittelständischen Betrieben und in der Wirtschaft bleiben. Deshalb gibt es in dieser Legislaturperiode keine Steuererhöhungen. Denn alle Steuererhöhungen, auch eine Erhöhung des sogenannten
Spitzensteuersatzes, schlagen bei den familiengeführten
Unternehmen sofort durch. Deswegen sage ich es an dieser Stelle noch einmal: Es gibt in dieser Legislaturperiode keine Steuererhöhungen, weder bei der Einkommensteuer noch bei der Vermögensteuer oder der
Erbschaftsteuer.
({9})
Das muss ich so klar betonen, um auf einen Punkt eingehen zu können: Ich teile die Auffassung, dass wir den
Menschen bei der kalten Progression durchaus etwas zurückgeben könnten.
({10})
Das ist übrigens eine Auffassung, die Sie, lieber Thomas
Oppermann, in der letzten Legislaturperiode bedauerlicherweise nicht geteilt haben.
({11})
- Augenblick, keine Aufregung! Wenn Sie diese Auffassung geteilt hätten, wären wir im Bundesrat letztes Jahr
schon weiter gekommen.
({12})
Jetzt wird die Diskussion neu geführt. Ich sage in aller
Bestimmtheit: Es wird, ganz egal, welches Projekt angedacht wird, auf keinen Fall eine Gegenfinanzierung
durch Steuererhöhungen geben. Wer das will - ich habe
das ein bisschen herausgehört -, muss seine Pläne gleich
begraben.
({13})
Es nützt relativ wenig - darüber sollten wir uns vielleicht demnächst einmal unterhalten -, ständig zu sagen:
„Wir könnten uns dies oder jenes vorstellen“, und dabei
den heimlichen Dissens zu haben, dass die einen Steuererhöhungen wollen und die anderen nicht. Dann lassen
wir das mit der kalten Progression lieber. Steuererhöhungen sind kein Ziel und keine Maßnahme.
Wenn wir die kalte Progression abmildern und die
Kommunen damit weniger Steuereinnahmen haben, darf
man aber nicht jammern: „Die Kommunen brauchen
Geld“, und erwarten, dass der Bund dies alles kompensiert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind bereit,
den Kommunen zu helfen, und wir sind auch bereit, den
Ländern zu helfen; wir haben dafür im Haushalt Mittel
vorgesehen. Aber eines geht beim besten Willen nicht:
dass man das austarierte System der Finanzierung durch
Steuern im Föderalismus dieses Landes völlig auf den
Kopf stellen will. Steuermehreinnahmen werden geteilt
nach dem Schlüssel: 48 oder 49 Prozent bekommt der
Bund, 52 oder 51 Prozent die Länder. Der Bund hat den
kleineren Anteil, die Länder den größeren Anteil. Aber
wenn es um Steuerentlastungen, um Steuersenkungen
geht, heißt es gern: Da beteiligen wir uns nicht. - Man
kann nicht bei Mehreinnahmen vom Verteilungsschlüssel profitieren, aber wenn es, wie bei der Abmilderung
der kalten Progression, um Steuersenkungen geht, erwarten, dass der Bund alles kompensiert. Ich kann nur
sagen: Eine solche Verschiebung dürfen wir nicht mitmachen; sonst kommt das gesamte System ins Wanken.
({14})
Da sind wir uns einig, lieber Thomas Oppermann; dann
kann man das aber auch durch Beifall entsprechend zeigen. - Damit wäre dieser Punkt auch geklärt. Man muss
bestimmte Dinge klarmachen, damit es da keine Probleme gibt.
Der letzte Punkt, auf den ich noch zu sprechen kommen möchte: Damit es den Menschen besser geht nach
diesen vier Jahren, muss es auch gerecht zugehen. In diesem Zusammenhang wird über das Thema Generationengerechtigkeit gesprochen. Auch beim Thema Generationengerechtigkeit kann man mehrere Faktoren
ansprechen. Der erste Punkt für Generationengerechtigkeit ist, dass wir den jungen Menschen - es sitzen heute
sehr viele junge Menschen auf der Tribüne - eine anständige Ausbildung ermöglichen; denn das ist die einzige Chance, dass sie nachher ein gutes Leben führen
können.
({15})
Dafür sind - das haben wir im Rahmen der Föderalismusreform beschlossen - zunächst einmal die Länder
zuständig. Der Bund ist bereit, einen Beitrag dazu zu
leisten. Der ist aber nur denkbar, wenn wir uns auch inhaltlich beteiligen können. Die Länder können vom
Bund nicht erwarten, dass er Geld gibt, sich aber ansonsten raushält. Das ist nicht der Weg, den wir hier im Deutschen Bundestag beschreiten können.
({16})
Die Ausbildung, auch über Universitäten, ist der erste
Punkt.
Der zweite Punkt ist, dass wir der jungen Generation
die Möglichkeit geben müssen, ihre Vorstellungen von
Politik und davon, wie sie leben wollen, auch umzusetzen. Das wird ohne Finanzmittel nicht gehen. Jetzt sage
ich einmal Folgendes: Die Diskussion, die jetzt darüber
geführt wird, in welchem Umfang die Rentenpakete die
Chancen der jungen Generation beeinträchtigen, ist die
eine Seite. Viel entscheidender als diese Rentenpakete,
die natürlich auch finanziert werden müssen, ist aber,
dass wir der jungen Generation nicht Jahr für Jahr neue
Schulden aufladen; denn diese Schulden haben etwas
Unangenehmes: Sie verlangen Zinsen und Rückzahlung;
daran kann man nichts ändern. Deswegen sage ich: Bei
aller Aufgeregtheit und auch bei manchem richtigen
Hinweis in der Rentendebatte sollten wir klar und deutlich machen: Das, was Wolfgang Schäuble mit dem ausgeglichenen Haushalt vorlegt, hat mehr Bedeutung für
die Generationengerechtigkeit als vieles andere. Das
muss klar und deutlich so gesagt werden; da sollten wir
uns überhaupt nicht irritieren lassen.
({17})
Ein Exportland mit einem großen industriellen Sektor
wie Deutschland braucht natürlich Märkte. In diesem
Zusammenhang wird oft über die Stärkung der Binnenkaufkraft gesprochen. Das ist auch okay. Du, Thomas,
und ich, wir wissen aber, dass in unseren Heimatländern
so viele Autos gebaut werden, dass man sie durch noch
so viel Binnenkaufkraft gar nicht auf unseren Heimatmarkt bringen kann. Deswegen brauchen wir Märkte.
Der europäische Markt spielt hier nach wie vor eine zentrale Rolle als Rückgrat unserer Exportnation. Es gibt
natürlich den amerikanischen Markt, den chinesischen
Markt und andere; aber wir brauchen ein festes Standbein, um nicht von diesen Märkten abhängig zu sein.
Das ist mit ein Grund dafür, dass wir uns darum bemühen - im Übrigen durchaus erfolgreich -, Europa wieder
flottzumachen. Das ist das zentrale Thema: Europa muss
wieder wettbewerbsfähig werden.
Man kann ja sagen: In der Vergangenheit sind Fehler
passiert. Das gibt es. Wenn man Fehler aber mehrfach
hintereinander macht, dann ist das kein Fehler mehr,
sondern Dummheit. Ein entscheidender Fehler war, dass
wir uns immer wieder nicht an die Regeln gehalten haben, die wir uns selber gegeben haben. Jetzt wird es endlich einmal Zeit, damit es auch jeder kapiert, dass die
Regeln und Gesetze, die wir uns gegeben haben, auch
eingehalten werden. Deshalb habe ich - Wahlkampf hin
oder her - wenig Verständnis dafür, dass gerade der Präsident des Europäischen Parlaments mit solchen Regeln
und Gesetzen etwas lax umgeht. Das sind falsche Signale an Frankreich.
({18})
Jedes Signal an Frankreich, dass man die Regeln nicht
einhalten muss, wird doch in Griechenland und anderswo aufmerksam verfolgt. Deswegen kann ich nur sagen: Regeln, die man sich gegeben hat, müssen eingehalten werden. Nur so erreichen wir Zuverlässigkeit in
einem notwendigen Prozess.
({19})
Ein letzter Punkt zum Thema Märkte: Auch das mit
den Amerikanern weiter zu verhandelnde und noch abzuschließende Freihandelsabkommen ist bedeutend.
Man kann jetzt darüber philosophieren, wie viele Arbeitsplätze das schaffen wird oder nicht. Wenn Freihandelsabkommen keinen Sinn hätten, dann hätte man sie
mit anderen nicht geschlossen. Sie haben einen Sinn.
Wir sind dabei, ein solches Abkommen mit anderen Ländern wie schon mit Japan abzuschließen; mit Amerika
halte ich das auch für notwendig.
Es ist aber auch klar, dass wir die Sorgen und Ängste,
die in diesem Zusammenhang aufkommen, diskutieren
und ernst nehmen müssen, dass wir mit den Menschen
darüber reden müssen. Wir müssen auch klarmachen,
was mit einem solchen Abkommen beabsichtigt ist. Wir
dürfen die Argumentationshoheit nicht denen überlassen, die aus ideologischen Gründen gegen ein Freihandelsabkommen sind. Das darf auf keinen Fall geschehen.
({20})
Wir müssen die Sorgen ernst nehmen. Es ist richtig, das
vor Ort zu erklären. Das können nicht allein Kommission oder Regierung machen. Vielmehr werden wir in
unseren Wahlkreisen darauf angesprochen. Deswegen
haben wir in der Koalition beschlossen, uns an der Diskussion offensiv zu beteiligen. Wir haben in der Koalition, zwischen SPD- und CDU/CSU-Bundestagsfraktion, eine Arbeitsgruppe vereinbart, in der Kolleginnen
und Kollegen aus allen Bereichen sind, die mit diesem
Thema zu tun haben, um uns in diesen Prozess einzuklinken und mit zu argumentieren. Wir werden dieses
Thema nicht einer europäischen Verhandlungskommission überlassen. Es ist für unser Land viel zu wichtig, als
dass wir es im Bundestag, in den Koalitionsfraktionen
ignorieren könnten. Ich bin dankbar dafür, dass es gelungen ist, hier gemeinsam einen Weg zu finden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden diesen
Haushalt in unseren Fraktionen, in der Koalition und
auch in diesem Parlament intensiv diskutieren und zum
Abschluss bringen. Dann freuen wir uns schon auf den
nächsten Haushalt, der bald kommen wird, den Haushalt
2015. Ich sage den Haushältern beider Fraktionen einen
herzlichen Dank für ihre Arbeit und ihre Mühen.
({21})
- Ich sage auch denjenigen in der Opposition, die uns
auf diesem Weg begleiten, einen herzlichen Dank. Wenn
Sie uns Steine in den Weg legen, Frau Roth, können Sie
nicht erwarten, dass ich mich dafür bedanke. Wenn Sie
konstruktiv sind, bedanke ich mich schon jetzt bei Ihnen
für Ihre Arbeit.
Diese Haushalte werden in den nächsten Jahren immer wieder Maßstab und Beurteilungsfaktor für uns
sein; denn daran können wir sehen, dass es den Menschen nach vier Jahren Großer Koalition in diesem Land
besser geht.
Herzlichen Dank.
({22})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Jetzt wollen wir einmal ehrlich
übers Geld reden.
({0})
„Die Zocker sind zurück“, heißt es im Handelsblatt in
einem Artikel vom Vortag. Das stimmt leider. Es werden
wieder hochriskante Geschäfte mit gefährlichen Schrottanleihen gemacht. Firmen, die nur eine eingeschränkte
Kreditwürdigkeit besitzen, bekommen von den Geldhäusern wieder Geld. Das Geschäft mit hochriskanten Krediten hatte im Jahr 2008, dem Krisenjahr in Europa, ein
Volumen von fast 80 Milliarden Dollar, vier Jahre später
von 90 Milliarden Dollar. Auch die verschachtelten Kreditverbriefungen, die 2008 ein Auslöser der Finanzkrise
waren, verkaufen sich wieder prächtig. Die Vorläufer einer neuen Finanzkrise sind für jeden, der es sehen will,
sichtbar. Sie, meine Damen und Herren von der Regierungsbank, dürfen davor nicht die Augen verschließen
und hier heile Welt spielen.
({1})
Frau Merkel, Sie haben sich hier als Vorreiterin der
Regulierung dargestellt. Das stimmt nicht; das lässt sich
in der Realität nicht nachweisen. Ganz im Gegenteil:
Alle guten Vorsätze, die Finanzmärkte zu regulieren,
scheinen vergessen. Ich darf Sie an Ihre eigenen Worte
erinnern. Sie sagten am 5. Oktober 2008 - Zitat -:
Wir sagen außerdem, dass diejenigen, die unverantwortliche Geschäfte gemacht haben, zur Verantwortung gezogen werden.
Dafür wird die Bundesregierung sorgen. Das sind
wir auch den Steuerzahlern in Deutschland schuldig. Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass
ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die Bundesregierung ein.
Frau Merkel, ich frage Sie: Wer wurde denn nun wirklich zur Rechenschaft gezogen? Warum dürfen Zocker
jetzt schon wieder unverantwortliche Geschäfte machen? Warum haben Sie die Finanzmärkte nicht wirksam
reguliert?
({2})
Ich kann Ihnen die Antwort geben: Sie haben vor diesen
Finanzmärkten bedingungslos kapituliert. Das werden
wir nicht akzeptieren.
({3})
Sie haben den Banken sogar noch goldene Rettungsschirme aufgespannt. Auch hierzu gibt es ein Zitat, jetzt
von Herrn Schäuble. Am 24. Juli 2010 erklärten Sie:
Solange Angela Merkel Bundeskanzlerin ist und
ich Finanzminister bin, würden Sie diese Wette verlieren. Die Rettungsschirme laufen aus. Das haben
wir klar vereinbart.
Die Wahrheit sieht ganz anders aus. Der Rettungsschirm
ESM existiert und arbeitet streng abgeschirmt von der
Öffentlichkeit im Interesse der Banken. Wir wollen endlich wissen, was mit unserem Geld geschieht, meine Damen und Herren.
({4})
In der Süddeutschen Zeitung stand Anfang der Woche
ein Artikel mit der Überschrift „Der Geruch absterbender Demokratie“. Ich zitiere daraus:
Diese Gegenwart bringe eine Art „Überbürger“ hervor, der den Restbürgern keine Rechenschaft mehr
schuldig sei. Verfassungen und soziale Übereinkünfte haben Grenzen, die Finanzwelt nicht.
Meine Damen und Herren von der Regierung, Ihre bedingungslose Kapitulation vor den Finanzeliten, den
„Überbürgern“, bedroht die Existenzen von Millionen
von Menschen in unserem Land, in Europa und in der
ganzen Welt. Das können wir nicht länger hinnehmen.
({5})
Ihre bedingungslose Kapitulation vor den Finanzeliten
bringt reihenweise Demokratien in Europa ins Wanken.
Sie müssen sich doch fragen: Warum erstarken faschistische, rassistische und antisemitische Parteien in vielen
Staaten Europas? Die letzten Wahlen haben es gezeigt.
Sie erstarken, weil die herrschende Politik in Brüssel
und in Berlin versagt hat, weil die Politik ihre Versprechen immer wieder gebrochen hat.
Immer mehr Menschen gewinnen den Eindruck, dass
die Politik ihnen keine Sicherheit vor den Finanzmärkten
bieten kann. Sie fühlen sich von den „Überbürgern“ auf
dem Finanzmarkt, auf dem Arbeitsmarkt und auf dem
Wohnungsmarkt schutzlos ausgeliefert. Wenn viele
Menschen die Hoffnung verlieren, dann müssen wir uns
doch fragen: Was folgt daraus? Hoffnungslosigkeit fördert entweder Aggression oder grenzenlose Gleichgültigkeit gegenüber der Demokratie. Das müssen wir gemeinsam verhindern.
({6})
Herr Schäuble erklärt als Finanzminister immer gern,
dass die anderen Staaten die Finanzmarktregulierung
nicht wollten und auch eine Finanztransaktionsteuer in
Europa kaum umsetzbar sei. Aber, Herr Schäuble, sind
Sie in Europa wirklich so wenig durchsetzungsfähig? Ich
glaube das nicht. Ich traue Ihnen mehr zu, wenn Sie nur
wollen.
({7})
Warum gelang es dieser Bundesregierung, brutale Kürzungspakete in Griechenland, Portugal, Spanien und Italien durchzusetzen, von denen sich diese Länder noch in
zehn Jahren nicht erholt haben werden? Warum gelingt
es der Bundesregierung, ganze Staaten neoliberal umzukrempeln, aber warum soll es ihr nicht gelingen, die Finanzmärkte zu regulieren? Das ist nicht zu verstehen.
({8})
Aber machen wir es etwas kleiner. Wenn die Bundesregierung sich angeblich in Europa nicht durchsetzen
kann, wenn es um die gerechte Besteuerung von Spekulanten geht, warum fangen Sie nicht einfach in Deutschland damit an? Frau Merkel, Sie haben gesagt, Deutschland sei Vorreiter der Regulierung. Darum frage ich Sie:
Warum gibt es nicht wenigstens in Deutschland eine Finanztransaktionsteuer? Das wäre doch der logische Anfang.
({9})
In Deutschland kann niemand diese Bundesregierung
daran hindern, ein gerechtes Steuersystem einzuführen
und die Finanzeliten in ihrem desaströsen Handeln einzuschränken, außer dieser Regierung selbst. Aber - Herr
Kauder hat es gerade noch einmal unterstrichen - mit
dem Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD selbst
schwere Ketten angelegt. Es ist, finde ich, ein beispielloser Akt der Selbstfesselung; denn dieser Koalitionsvertrag schließt Steuergerechtigkeit definitiv aus. Das ist
der falsche Weg.
({10})
Deutschland ist nach Analysen des Internationalen
Währungsfonds eines der wenigen Länder in Europa,
das sein Potenzial, seine Spielräume bei den Staatseinnahmen nicht nutzt. Dieser Spielraum macht nach Aussagen des Internationalen Währungsfonds, also nicht der
Linken, immerhin rund 80 Milliarden Euro zusätzliche
Einnahmen aus. 80 Milliarden! Stellen Sie sich das einmal vor: Mit 80 Milliarden Euro könnte man eine wirklich gerechte Rentenreform beschließen, ohne die Kassen zu plündern. Man könnte endlich das Kindergeld
erhöhen. Es ist doch eine lächerliche Aktion, dass man
die versprochene Erhöhung des Kindergelds ins Irgendwann, ins Nirwana verschiebt, nur um von der schwarzen Null weiter träumen zu können. Von der schwarzen
Null haben die Kinder und ihre Familien wirklich nichts,
Herr Schäuble.
({11})
Aber nein, die Regierung will diese großen Spielräume
nicht nutzen. Sie hat sich selbst Ketten angelegt, wenn es
um die gerechte Besteuerung von Vermögenden geht.
Sie hat sich auch Ketten angelegt, wenn es um die steuerliche Entlastung der Mittelschicht geht, die unter der
kalten Progression leidet. Wir finden als Linke: Das ist
verantwortungslos und sozial ungerecht.
({12})
In den letzten Monaten wurde viel über den Fußballmanager Hoeneß in den Medien berichtet. Sie erinnern
sich: Er hatte an den Steuerbehörden vorbei unbemerkt
28,5 Millionen Euro an Steuern hinterzogen. Aber warum fragt eigentlich niemand, wieso so viele Steuerbetrüger in unserem Land unentdeckt bleiben können? Ich
kann Ihnen die Frage relativ leicht beantworten. Allein
in den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Steuerberater
um 30 Prozent und die der Steueranwälte sogar um
60 Prozent gestiegen. Aber im gleichen Zeitraum wurden in den Finanzämtern, die die Kontrolle ausüben,
5 Prozent der Stellen abgebaut. Das passt doch wirklich
nicht zusammen.
({13})
Auch das scheint in Vergessenheit geraten zu sein: Der
Bundesfinanzminister hatte sich verpflichtet, 500 Prüfer
beim Bundeszentralamt für Steuern einzustellen. Diese
Prüfer des Bundesamtes sollten die Kollegen aus den
Ländern bei der Kontrolle von Unternehmen unterstützen. Doch weder der Bundesfinanzminister noch die
Landesfinanzminister haben offensichtlich ein Interesse
daran, Unternehmen bei der Steuergestaltung auf die
Schliche zu kommen.
Mein Fazit: Diese Bundesregierung hat auch in
Deutschland kein Interesse, alle Bürgerinnen und Bürger
gleich zu behandeln. Diese unhaltbaren Zustände wollen
und müssen wir ändern, wenn die Menschen nicht den
Glauben an Demokratie und Gerechtigkeit verlieren sollen.
({14})
Ob diese Bundesregierung zukunftsfähig ist, wird sich
daran zeigen, ob sie es schafft, den Finanzmarkt zu regulieren. Auch ein ausgeglichener Haushalt wäre nichts
wert, wenn er von der nächsten Finanzkrise aufgefressen
würde. Diese Erfahrung musste übrigens - wollen wir
noch einmal an ihn erinnern - der damalige Finanzminister Peer Steinbrück machen, der 2008, kurz vor
dem Ausbruch der Finanzkrise, hier im Deutschen Bundestag stolz die schwarze Null an die Wand malte. Er
sagte damals noch - wir erinnern uns auch daran -, die
Finanzkrise habe nur etwas mit Amerika zu tun. Amerika war dann schnell sehr nah. Auch daran sollten wir
uns erinnern.
({15})
Von der schwarzen Null von Peer Steinbrück blieb ein
schwarzes Loch übrig, in dem die Bundesregierung Milliarden für die Rettung von Banken versenkte. Die
schwarze Null wurde damals den Banken geopfert. Das
darf sich nicht wiederholen.
Vielen Dank.
({16})
Die Kollegin Bettina Hagedorn hat nun für die SPDFraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Kollegin Lötzsch, ich kann Ihre Aussage nicht
unwidersprochen stehen lassen, dass 2008/2009 die
schwarze Null den Banken geopfert wurde. Nein, wir haben damals in der Großen Koalition angesichts der Krise
und in der Hoffnung, dass ein Haushalt ohne Schulden in
greifbarer Nähe war - einen solchen Haushalt hatten wir
mit ganzer Kraft angestrebt -, das gemacht, was klug
und verantwortlich gegenüber den Menschen in Deutschland war. Wir haben nämlich zwei Konjunkturpakete im
Umfang von über 80 Milliarden Euro aufgelegt. Wir haben diese Pakete weit gefächert und den Kommunen
10 Milliarden Euro gegeben, um zu investieren. Wir haben übrigens auch das Kurzarbeitergeld eingeführt, was
viel Geld gekostet hat.
Warum haben wir das gemacht? Wir haben das gemacht, um die Menschen in Deutschland in dieser Krise
in Lohn und Brot zu halten. Wir haben das gemacht, um
die Unternehmen zu stärken, damit sie ihre guten Mitarbeiter nicht entlassen müssen. Wissen Sie was? Das war
eine großartige Entscheidung; denn das ist das Geheimrezept dafür, dass wir so gut durch die Krise gekommen
sind.
({0})
Insofern fällt es mir natürlich ausgesprochen schwer,
ausgerechnet Ihnen, Frau Lötzsch, die Erinnerung an
Peer Steinbrück zu überlassen. Darum möchte ich meine
Rede gerne mit einem Zitat beginnen:
Wir haben jetzt die historische Chance …, in
Deutschland nach 40 Jahren die Neuverschuldung
auf null zu senken und dann … für ganz Deutschland einen Mechanismus festzulegen, der eine Wiederholung des früheren Tempos in die Verschuldung verhindert. Das ist meiner Ansicht nach eine
verantwortliche Finanzpolitik im Sinne von Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit.
Ich bin sicher, Herr Schäuble, dass Sie sagen würden,
dieses Zitat könnte von Ihnen sein. Es ist aber nicht von
Ihnen. Es ist im September 2007 hier im Deutschen Bundestag bei der Haushaltsdebatte von Peer Steinbrück,
dem Finanzminister der Großen Koalition, gesprochen
worden.
({1})
Ich stelle dieses Zitat deshalb an den Anfang, weil es
so schön deutlich macht, dass wir mit der Großen Koalition von 2005 bis 2009 und mit der Großen Koalition
jetzt ab 2013 sehr wohl einen langen roten Faden haben.
Der Faden ist so lang und so rot, dass ich sogar die Kolleginnen und Kollegen der Grünen noch mit einbeziehen
will. Wir Haushälter konnten damals im Tiefschlaf vor
uns hersagen, dass unser größtes Ziel konsolidieren, sanieren und investieren ist, dass dieser Dreiklang eine
gute und verantwortbare Haushaltspolitik darstellt.
({2})
- Der Beifall könnte eigentlich vom ganzen Haus kommen. - Denn dieser Dreiklang hat eine Tradition von
mindestens zehn Jahren in diesem Haus. Dass wir das
auch über Fraktionsgrenzen hinweg über viele Jahre so
ernst genommen haben, ist der Grund dafür, warum es
uns in Deutschland insgesamt im Verhältnis zu anderen
so gut geht.
({3})
Wir waren auch immer von dem Bewusstsein getragen, dass wir nicht um des Sparens willen sparen, sondern dass wir das einerseits in Verantwortung vor der
neuen Generation tun - Generationengerechtigkeit ist
ein heute Morgen zu Recht häufig genannter Begriff -,
aber auch um Spielräume zu erwirtschaften, um in wichtigen Bereichen die Zukunftsfähigkeit unseres Landes sicherzustellen. Die gute Botschaft ist: Auch da haben wir
über Fraktionsgrenzen hinweg Einigkeit.
Den Löwenanteil der Investitionen, die wir schon seit
vielen Jahren tätigen und auch in dieser Großen Koalition wieder tätigen werden, bekommt der wichtige
Bereich der Bildung. Investitionen in die Köpfe der jungen Generation sind in einem Land, das einen demografischen Faktor wie das unsere hat, wichtig, um unsere
Zukunftsfähigkeit zu garantieren. Diese Bildungsinvestitionen im Umfang von 3 Milliarden Euro geben wir in
dem Bereich aus, für den wir ursächlich zuständig sind,
Hochschulbildung und Forschung. Aber auch die 6 Milliarden Euro, die wir über die Länder den Kommunen
zur Verfügung stellen, geben wir nicht einfach so, quasi
als Almosen wegen der Unterfinanzierung. Nein, wir geben ihnen das Geld in dem Bewusstsein, dass Bildung
schon in der Krippe und in der Kita anfängt.
Es geht auch um eine noch bessere Qualität in den
Schulen, um eine höhere Lehrerdichte, um Ganztagsschulen, es geht um eine qualitativ gute Bildungsbetreuung in ganz Deutschland. In weiten Teilen sind eben
Länder und Kommunen dafür zuständig. Wenn es denen
schlecht geht, dann können sie an dieser Stelle nicht das
leisten, was sie im gesamtstaatlichen Interesse in der Bildung dringend leisten müssen. Darum tun wir das.
({4})
In dieser und auch in der gestrigen Debatte sind die
Kommunen schon gewürdigt worden. Ich glaube, hier
einen etwas falschen Zungenschlag vernommen zu haben. Manche Äußerung ist verständlich; schließlich finden im Mai in Deutschland zehn Kommunalwahlen statt.
Daher steht hier manchmal der Wahlkampf mehr als die
Faktenlage im Mittelpunkt. Ich selbst habe 20 Jahre ehrenamtlich Kommunalpolitik gemacht. Ich war ehrenamtliche Bürgermeisterin und Amtsvorsteherin. Seit
2005 bin ich stellvertretende Sprecherin der AG Kommunalpolitik unserer Fraktion. Insofern bin ich, glaube
ich, frei von dem Vorwurf, dass ich bei den Sorgen und
Nöten der Kommunen nicht genügend hinschauen
würde. Ich finde schon, dass wir als Bundestag auch insgesamt stolz auf das sein dürfen, was wir für die Kommunen schon getan haben und was auch in Zukunft zu
tun wir uns im Koalitionsvertrag richtigerweise verpflichtet haben.
({5})
Auch da, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen, will ich Sie daran erinnern, dass wir es waren,
die dafür gesorgt haben, dass 4 Milliarden Euro für den
Ausbau der Ganztagsschulen in Deutschland zur Verfügung gestellt wurden, und dass wir es waren, die 2004
angestoßen haben, dass der Bund mehr Verantwortung
für die Schaffung von mehr Krippenplätzen in Deutschland übernimmt. In der Großen Koalition haben wir unser Eintreten dafür fortgesetzt, indem wir dafür gesorgt
haben, dass finanzielle Mittel im Umfang von fast 5 Milliarden Euro bis 2013 zur Verfügung gestellt werden.
Dies geschah, um den Kommunen in Deutschland die
Möglichkeit zu geben, eine verlässliche Krippeninfrastruktur aufzubauen. Darüber hinaus haben wir mit den
Kommunen verabredet - dieses Geld fließt seitdem Jahr
für Jahr über steuertechnische Umverteilungen -, dass
wir sie mit den Betriebskosten der Krippen nicht alleinlassen. Round about sind, wenn ich es richtig im Hinterkopf habe, knapp 1 Milliarde Euro pro Jahr vom Bund
an die Länder dafür geflossen und fließen weiter, in der
Hoffnung, dass sie sie an die Kommunen weiterleiten,
damit sie mehr Geld zur Verbesserung der Krippenbetreuung haben.
({6})
Gestern sagte ein Kollege - das war ein bisschen wie
Geschichtsklitterung -, dass Rot-Grün die Grundsicherung eingeführt und damit die Kommunen belastet habe.
Das ist nicht wahr. Als wir 2003 die Grundsicherung eingeführt haben - übrigens mit Zustimmung des Bundesrates -, haben wir uns auf eine Kostenteilung verständigt.
Wir jedenfalls haben das Recht auf Grundsicherung
überwiegend mit Blick auf diejenigen Frauen geschaffen, die sich, weil sie den Rückgriff auf ihre Verwandten
befürchteten, nicht getraut haben, zum Sozialamt zu gehen und Sozialhilfe zu beziehen; man sprach auch von
verschämter Altersarmut. In Wahrheit haben wir mit der
Grundsicherung eine Entlastung der Kommunen bewirkt. Für uns stand die Würde der Menschen im Mittelpunkt. Die Schaffung des Rechtsanspruchs auf Grundsicherung in Deutschland - nicht nur im Alter, sondern
auch bei Erwerbsunfähigkeit - ist eine große Leistung
dieses Hauses gewesen.
({7})
- Ja, ich finde, da können wir alle klatschen. Wir waren
alle daran beteiligt.
Der Punkt ist der, dass die Ausgaben für die Grundsicherung wegen der demografischen Entwicklung immer weiter gestiegen sind und dass diese Ausgaben damit die kommunalen Haushalte gesprengt haben. Wir
haben also in den letzten Jahren - auch das haben Bundestag und Bundesrat sehr wohl gemeinsam gemacht eine schrittweise Entlastung der Kommunen herbeigeführt. Obwohl die Kosten für die Grundsicherung ständig steigen und auch in Zukunft steigen werden, sollte
der Bund sie in immer höherem Maße tragen. In diesem
Jahr übernimmt er sie zu 100 Prozent. Die Kostenübernahme ist in vier Schritten vonstattengegangen. Vor vier
Jahren - damals war ich innerhalb meiner Fraktion für
den Haushalt Arbeit und Soziales zuständig - hat der
Bund noch 500 Millionen Euro pro Jahr für seinen Anteil an der Grundsicherung ausgegeben, und jetzt werden
es 5,5 Milliarden Euro sein. Das ist eine Entlastung der
Kommunen von 5 Milliarden Euro pro Jahr.
({8})
Diese Entlastung wird steigen, weil die Kosten für die
Grundsicherung steigen werden, und wir schultern diese
Kostensteigerung allein.
All das ist richtig. Es ist angesichts dessen richtig,
dass wir den Menschen diesen Rechtsanspruch gewähren wollen. Richtig ist auch, dass wir als Bund die Kosten dafür schultern. Aber ich finde, es darf in der aktuellen Debatte nicht vergessen werden.
({9})
Ich will auch daran erinnern: Als Bundestag und Bundesrat die Entlastung der Kommunen verabredet haben,
haben wir das im Zusammenhang mit anderen Themen,
die wir miteinander beraten haben, getan. Dabei ging es
um ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts und um die
Frage, ob Kinder aus bildungsfernen Schichten eigentlich genug Zugang zu Bildung haben. Wir haben damals
zwar nicht festgelegt, warum und wofür wir die Kommunen entlasten. Wir haben aber sehr wohl unserer Erwartung Ausdruck gegeben, dass diese Entlastung nicht
nach dem Motto „Linke Tasche, rechte Tasche“ - wir
verschulden uns, andere entschulden sich - erfolgt, sondern wir haben das Geld in der Erwartung gegeben, dass
es dort landet, wo es hingehört, nämlich in den Krippen,
in den Kitas, in den Schulen und bei den Familien, die
nicht so gut situiert sind, dass sie ihren Kindern gute Bildung ermöglichen können. Wir brauchen in Deutschland
jedes Kind, und zwar deshalb, weil wir zu wenige
Köpfe, zu wenige junge Menschen haben. Es muss Geld
investiert werden, damit in Zukunft nicht mehr so viele
junge Menschen ohne Schulabschluss die Schule verlassen. Die Verantwortung dafür tragen die Länder und zum
Teil auch die Kommunen.
({10})
Ich möchte zum Schluss zu einem weiteren Punkt
kommen, bei dem schon lange Zeit große Einigkeit besteht, dass mehr investiert werden muss: zu den Investitionen in die Infrastruktur. Herr Dobrindt, es ist festzuhalten, dass die Lkw-Maut schon lange in großem
Umfang zu den Investitionen im Verkehrsbereich beiträgt. Auch sie haben wir übrigens vor langer Zeit gemeinsam eingeführt, verbunden mit den Geburtswehen,
an die wir uns alle noch gut erinnern können, Stichwort
„Toll Collect“.
({11})
Nachdem die Einnahmen durch die Lkw-Maut von
2005 bis 2008 zwischen 2,9 und 3,5 Milliarden Euro pro
Jahr geschwankt sind, liegen sie seit 2009 verlässlich bei
4,3 bis 4,5 Milliarden Euro jährlich. Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, dass die Mehreinnahmen aus
der Maut eins zu eins die Investitionen im Verkehrsetat
stärken sollen. Dabei haben wir alle gedacht: Super,
wenn wir mehr Geld einnehmen, können wir mehr Geld
ausgeben. - Brauchen werden wir es in diesem Bereich;
da sind wir uns einig.
Leider wird es, Herr Dobrindt, laut Wegekostengutachten in den nächsten Jahren zu einem Minus von
2 Milliarden Euro kommen. Da wird es schon darauf ankommen, dass wir gemeinsam handeln. Wir können
diese Lücke nicht einfach so hinnehmen und sie aus
Steuermitteln stopfen. Dass wir sie stopfen wollen, ist
ganz klar. Wir haben auch dazu in unserem Koalitionsvertrag eine Verabredung getroffen, nämlich die, dass
wir die Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen ausweiten
wollen. Das dauert; das wissen wir. Die Einnahmen von
2 Milliarden Euro pro Jahr wird man vielleicht erst am
Ende dieser Legislatur generieren können,
({12})
vielleicht auch erst Anfang der nächsten Legislatur. Es
sollte nachhaltig denkenden Abgeordneten aber nicht
egal sein, ob diese Mehreinnahmen kommen. Denn für
die Zukunft garantieren sie, und zwar nachhaltig, dass
wir mehr Geld für die Infrastruktur, für unsere maroden
Straßen, Brücken, Wasserwege, Schienen usw., zur Verfügung haben. Wir brauchen dieses Geld.
({13})
Darum bitte ich Sie, Herr Dobrindt, sich hierfür mit ganzem Engagement einzusetzen. Thomas Oppermann hat
vorhin schon gesagt: Bei allem, was Sie in diesem Bereich machen, haben Sie unsere Unterstützung.
Gerade erst haben Sie angekündigt, 1 000 weitere Kilometer vierspuriger Bundesfernstraßen einbeziehen zu
wollen; das ist ausdrücklich richtig. Auch die Einbeziehung von Lkw ab 7,5 Tonnen ist richtig; wir unterstützen
das. Das wird in Anbetracht des bestehenden Konzessionsvertrages auch möglich sein. Zur Wahrheit gehört
aber auch, dass aktuell nur ungefähr 14 000 Kilometer
durch die Maut erfasst werden. Eigentlich streben wir
knapp 40 000 Kilometer an. Insofern ist die Einbeziehung 1 000 weiterer Kilometer von Bundesfernstraßen
natürlich ein kleiner Schritt, gleichwohl in die richtige
Richtung. Ich glaube, wir müssen uns gemeinsam mit
ganzem Engagement der Aufgabe widmen, die vorhandene Lücke zu schließen, damit wir in Zukunft in der Tat
mehr Geld für die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland
zur Verfügung haben.
({14})
Ich freue mich auf die gemeinsame Arbeit mit Ihnen.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Die Kollegin Tabea Rößner hat für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es
geht heute auch um den Haushalt der Beauftragten für
Kultur und Medien. Ich darf hier für die Kultur- und Medienpolitiker den Aufschlag machen.
Ich möchte Ihnen, Frau Staatsministerin, Frau
Grütters, noch einmal alles Gute für Ihr jetzt nicht mehr
ganz so neues Amt wünschen. Die erste Belastungsprobe
liegt bereits hinter Ihnen. Ihren Etat haben Sie zumindest
weitgehend verteidigen können.
Sie erwarten jetzt sicher ein Aber. Genau! Das kommt
auch: Aber ich befürchte, dass Sie Ihre Jobbeschreibung
nur zur Hälfte gelesen haben. Die besagt, dass Sie
Staatsministerin für Kultur - jetzt kommt es - und Medien sind. Davon ist bisher nur wenig zu sehen.
({0})
Nun ist die Medienpolitik ein sehr spannendes, aber
auch ein sehr schwieriges Feld. Die Einfluss- und Profilierungsmöglichkeiten gerade auf Bundesebene sind
nicht besonders groß, aber es gibt sie. Wenn ich mir die
Baustellen in der Medienpolitik anschaue, sehe ich einige Stellschrauben, die gedreht werden müssten. Das ist
vor allen Dingen eine Frage des Wollens. Mich beschleicht immer mehr das Gefühl, dass Sie nicht wollen.
Nehmen wir das Beispiel „Staatsferne bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten“. Dazu gab es vor
zwei Wochen ein bedeutsames Urteil vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Gericht bestätigte, was wir angeprangert hatten: Es gibt zu viel Staatseinfluss in den
Aufsichtsgremien des ZDF. Es wurde natürlich viel über
das Urteil geredet. Selbst Kollege Volker Kauder entdeckte plötzlich seine Liebe zur Staatsferne
({1})
und forderte gar, dass die Politik ganz aus dem ZDF raus
müsse.
({2})
- Kleine Gedankenstütze, Herr Kauder: Vor vier Jahren
pfiffen Sie noch die Unionsabgeordneten zurück, die
überlegten, unsere Klage zu unterstützen.
({3})
Woher der Sinneswandel plötzlich kommt, weiß niemand so genau.
Jedenfalls gibt es nun diesen Impuls eines nicht ganz
unbedeutenden Unionspolitikers. Da frage ich Sie, Frau
Staatsministerin: Hätten nicht Sie diesen Impuls geben
müssen? Bitte schieben Sie die Verantwortung jetzt nicht
auf die Länder ab. Auch die Bundesregierung hat hier
Aktien. Im ZDF-Verwaltungsrat sitzt nämlich ein Vertreter des Bundes: Ihr Vorgänger Bernd Neumann. Es wäre
doch ein gutes und wichtiges Signal, wenn Sie zukünftig
auf diesen Posten verzichten würden.
({4})
Oder nehmen wir das Beispiel der Pressekrise. Wir
hatten eine exzellente Pressevielfalt in Deutschland mit
vielen lebendigen Lokal- und Regionalredaktionen.
Wenn ich meinen Kindern heute davon erzähle, komme
ich mir vor wie die Großmutter, die früher alles besser
fand.
({5})
Aber die nackten Zahlen belegen: Die Oma hat recht.
Der Schwund ist dramatisch. Immer mehr Zeitungen
schließen oder legen Redaktionen zusammen. Durch
Pressefusionen schwindet die Meinungsvielfalt. Und
was macht die Bundesregierung? Nichts! Gar nichts!
({6})
Diese Regierung ist in der Kulturpolitik schon als Koalition der Hoch- und Repräsentationskultur bekannt. Sie
ist auch eine Große Koalition für die großen Medienhäuser. Die Kleinen müssen sehen, wo sie bleiben, und die
Großen können die Kleinen noch leichter schlucken.
Mit Ihrem Vorhaben werden Sie die Medienkonzentration noch beschleunigen, statt zu stoppen oder Vielfalt
zu sichern. Als zusätzliche Belohnung für Springer und
Konsorten wird das sinnlose Leistungsschutzrecht erst
einmal beibehalten. Da waren die geschätzten Kollegen
der SPD-Fraktion wohl so heiß auf die Regierungsverantwortung, dass sie alle ihre Reden dazu völlig vergessen haben.
({7})
Kleine Info: Sie, liebe Kollegen der SPD, waren vernünftigerweise gegen das Leistungsschutzrecht. Dann
kam Olaf Scholz und wollte lieber Standortpolitik als
Demokratieförderung machen, und dann winkte hier ein
Koalitionsvertrag. Dass Sie ein eigenes Projekt, nämlich
das Presseauskunftsgesetz, protestlos einfach wieder begraben haben, passt da übrigens ganz gut ins Bild. Ihre
Medienpolitik wird sicher nicht in die Heldensagen eingehen.
({8})
Die Leidtragenden dieser verfehlten schwarz-roten
Medienpolitik sind vor allem die Journalisten selbst.
Vom Leistungsschutzrecht profitieren sie gar nicht. Die
Pressefusionen führen dazu, dass Redaktionen geschlossen werden und Journalisten ihren Job verlieren. Es gäbe
aber Instrumente zur Hilfe, zum Beispiel ein durchsetzungsstarkes Urhebervertragsrecht, mit dem wir den
Journalisten etwas an die Hand geben können, das ihnen
wirklich hilft.
({9})
Es gibt sogar einen Vorschlag, fraktionsübergreifend aus
der Enquete-Kommission. Herr Dörmann, das wissen
Sie. Auch wir Grüne haben ebenfalls einen Vorschlag
gemacht. Aber dazu gibt es von der GroKo bisher nichts.
Ich fordere hier im Sinne der Journalisten deutlich mehr
Mut von Ihnen.
({10})
Apropos im Stich lassen: Nicht nur Journalisten bekommen oft nur Hungerlöhne. Der Großteil der KulturTabea Rößner
schaffenden arbeitet und lebt in prekären Verhältnissen.
Die Kreativen haben aber mehr verdient, als nur die Lücken in ihrer sozialen Absicherung festzustellen. Die
Kreativwirtschaft boomt, und da brauchen die Kreativen
ein klares Bekenntnis für eine bessere soziale und wirtschaftliche Absicherung.
({11})
Schauen wir noch kurz auf die Filmpolitik. Frau
Grütters, ich bin mir nicht sicher, ob Ihr Vorgänger
glücklich darüber ist, wie Sie mit seinem Erbe, dem
Deutschen Filmförderfonds, umgehen. Das war ja sein
Steckenpferd und - kleiner Tipp - bietet hervorragende
Anschlussverwendungen. An dieser Stelle herzlichen
Glückwunsch an Herrn Neumann zu seiner Wahl zum
Präsidenten der Filmförderanstalt.
Sie, Frau Grütters, haben im Februar auf dem Deutschen Produzententag versprochen, dass es für die Filmförderung bei den 70 Millionen Euro wie im Vorjahr
bleiben wird. Aber im Haushaltsentwurf stehen plötzlich
nur noch 60 Millionen Euro drin. Das verstehe ich nicht.
Die Mittel aus dem Filmförderfonds sind doch bekanntermaßen hervorragend investiert; denn jeder investierte
Euro bringt weitere 6 Euro für die deutsche Filmwirtschaft. Warum Sie hier wortbrüchig werden, 10 Millionen Euro streichen und so dem deutschen Film 70 Millionen Euro entziehen, das müssen Sie bitte einmal
erklären.
({12})
Aber zurück zur Beauftragten für Kultur und - immer
noch - Medien. Meine Sorge, dass die Medienpolitik
nicht Ihr Herzensthema ist, spiegelt sich auch im Haushaltsentwurf wider. Es sind viele Gaben für die Kultur
enthalten, manche sinnvolle und manche weniger sinnvolle. Und zu Medien? Eines der wenigen schönen medienpolitischen Projekte, den Computerspielpreis, ließen
Sie gleich ganz zu Ihrem Kollegen Herrn Dobrindt wandern. Warum, ist mir wirklich schleierhaft. Ich dachte
immer, es handele sich hier um ein Kulturgut.
({13})
Wenn jetzt beim Autorennspiel „Need for Speed“ eine
Pkw-Maut eingeführt wird, dann wissen wir jedenfalls,
wer es war.
Man sieht, es gäbe in der Medienpolitik eine riesige
Spielwiese, auf der Sie sich als Staatsministerin für Kultur und eben Medien austoben könnten. Ich möchte Sie
ausdrücklich dazu ermutigen.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat die Kollegin Gerda Hasselfeldt für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich muss jetzt leider zur allgemeinen Haushaltsdebatte
zurückkommen.
({0})
Da können wir heute einen wirklich historischen Wendepunkt in der Haushaltspolitik unseres Landes erleben.
Der Bundesfinanzminister kann für das Jahr 2014 einen
strukturell ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Für das
nächste Jahr wird ein ausgeglichener Haushalt ohne
Neuverschuldung erwartet. Das ist eine großartige Leistung, die vor Jahren nicht vorhersehbar war. Es ist die
Leistung dieser Bundesregierung, wofür ich herzlich
danke.
({1})
Das ist umso bemerkenswerter, als wir zu Beginn der
Regierungszeit von Angela Merkel eine ganze Reihe von
Problemen und Herausforderungen zu bewältigen hatten. Wir hatten 2005 eine hohe Arbeitslosigkeit und eine
hohe Verschuldung übernommen. Dann kam, bald nachdem sich die ersten positiven Effekte zeigten, die internationale Wirtschafts- und Finanzkrise hinzu, eine Krise,
wie sie die Nachkriegszeit noch nicht erlebt hatte. Bald
darauf gab es in Europa die Staatsschuldenkrise, die
ebenfalls zu bewältigen war. Meine Damen und Herren,
auch diese Krisenzeiten wurden gut bewältigt. Sie wurden richtig bewältigt mit den richtigen politischen Entscheidungen, mit den richtigen soliden strukturellen
Haushaltsentscheidungen. Das war die Richtlinie dieser
Politik. Strukturreformen und solide Haushaltspolitik
bestimmten die Politik, die dazu führte, dass wir besser
aus der Krise herausgekommen sind, als wir hineingegangen sind.
({2})
Wir haben eine Stabilitätskultur entwickelt, die nicht
nur die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Schuldenbremse erfüllte, sondern auch Spielräume eröffnete - das
wurde heute schon mehrfach angesprochen - für die
junge Generation, für diejenigen, die nach uns kommen.
Diese generationengerechte Haushalts- und Finanzpolitik hat mittlerweile Vorbildfunktion in Europa und in der
ganzen Welt.
({3})
Wir alle haben erlebt, zu welchen fatalen Auswirkungen eine zu hohe Verschuldung in manchen europäischen Ländern geführt hat: auf die wirtschaftliche Situation, auf die Beschäftigung, auf die soziale Situation der
Menschen. Heute können wir sagen: Auch dieser Kurs
war richtig, nämlich in Europa darauf zu setzen, dass jedes europäische Land seine Hausaufgaben machen
muss. Es war auch richtig, nicht auf die Vergemeinschaftung von Schulden, auf Euro-Bonds, zu setzen, sondern
auf eine solide Haushaltsführung, auf die Einhaltung der
Auflagen, die gemacht werden, und auf die Durchfüh2348
rung von Strukturreformen. Auch damit haben wir uns
durchgesetzt, und es war erfolgreich.
({4})
Jetzt kann man sich natürlich fragen: Warum eigentlich solide Haushaltspolitik? Steht das auf dem Papier,
kann man sich darüber freuen und es wieder zur Seite legen? Nein, meine Damen und Herren, es ist die Grundlage für unsere politische Verantwortung insgesamt. Das
kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Ich bin mit
18 Jahren in die CSU eingetreten. Es war damals, 1968,
für ein Mädchen aus dem Bayerischen Wald nicht unbedingt selbstverständlich, in eine damals eher männlich
geprägte Partei einzutreten.
({5})
Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das, was
mich damals motiviert hat und was auch heute noch ein
wichtiger Teil meiner politischen Arbeit ist, ist die Tatsache, dass ich damals als junges Mädchen ernst genommen wurde und dass ich mich ernst genommen fühlte
und mitgestalten konnte. Ich spürte, dass dort Männer
am Werk sind - damals waren überwiegend Männer in
der Partei -, die auch ein Interesse daran haben, dass die
junge Generation in diesem Land Chancen hat, dass sie
auch in ländlichen Regionen Chancen hat. Ich habe das
persönlich erlebt. Deshalb ist es mir so wichtig, immer
wieder zu sagen, dass die Union die Partei ist, die für die
nachwachsende Generation sorgt; wir sorgen dafür, dass
die jungen Leute künftig auch Chancen haben, dass wir
ihnen keine Schulden überlassen. Sie haben ein Anrecht
auf eine Zukunft ohne Altlasten.
({6})
Manchmal denke ich, gerade die Grünen tun immer
so, als wollten sie für Nachhaltigkeit sorgen und würde
ihnen nachhaltige Politik in besonderer Weise am Herzen liegen. Im Land Baden-Württemberg - man braucht
nicht sehr weit zurückzuschauen; denn dort sind sie in
der Verantwortung - haben sie gezeigt, wie weit es mit
der Nachhaltigkeit bestellt ist.
({7})
Sie haben ein Land übernommen, das seit einigen Jahren
keine neuen Schulden mehr machte. Kaum waren Sie in
der Verantwortung, wurden neue Schulden gemacht. An
diesem Beispiel zeigt sich: Mit Nachhaltigkeit haben die
Grünen nichts, aber auch gar nichts am Hut.
({8})
Nun ist solide Haushaltspolitik aber auch die wichtigste Grundlage dafür, dass es den Menschen gut geht,
dass wir eine gute wirtschaftliche Entwicklung, Beschäftigung und sichere Arbeitsplätze haben. Das sind keine
Gegensätze; das sehen wir an all den Ländern, in denen
das praktiziert wird. Solide Haushaltspolitik ist die eine
Seite und eine gute wirtschaftliche Entwicklung die andere Seite ein und derselben Medaille. Das gehört zusammen; das eine ist die Voraussetzung für das andere.
Deshalb müssen wir alles daransetzen, dass wir die gute
wirtschaftliche Entwicklung, die wir in den letzten Jahren hatten, nicht aufs Spiel setzen, sondern weiterführen
und dabei niemanden, auch nicht die Schwächeren, auf
der Strecke lassen.
({9})
Dazu gehört als Erstes, dass wir die wichtigste Ressource, die wir in unserem Land haben, nämlich die
Menschen, in ihrer unterschiedlichen Art und mit ihren
ganz unterschiedlichen Talenten ernst nehmen und entsprechend fördern, und zwar diejenigen, die eher theoretisch begabt sind, an den Universitäten und Hochschulen. Wir müssen also so viel, wie wir können, in die
Forschung stecken. Die Bundeskanzlerin hat heute unter
Nennung von Zahlen darauf hingewiesen. Wir haben
schon in der letzten Legislaturperiode unsere Anstrengungen in diesem Bereich verstärkt und werden in dieser
Legislaturperiode noch darüber hinaus etwas tun; wir
werden die Hochschulen zusätzlich fördern. Aber, meine
Damen und Herren, das alleine ist es nicht. Das Leben
beginnt nicht erst mit dem Abitur und schon gar nicht
erst mit dem Studium.
({10})
Praktisch orientierte Ausbildungsplätze sind mindestens
genauso wichtig wie theoretisch orientierte Studienplätze.
({11})
Deshalb begrüße ich es sehr, dass die Bundesbildungsund -forschungsministerin immer wieder darauf hinweist. Gerade der gestern vom Kabinett beschlossene
Berufsbildungsbericht gibt uns Anlass dazu, immer wieder neu darüber nachzudenken. Wir müssen uns bewusst
machen, dass wir im Bereich der beruflichen Bildung
nicht einfach zur Seite schauen dürfen, sondern jedes Talent ernst nehmen und fördern müssen.
Ich möchte aber auch darauf hinweisen: Wenn wir
über Bildung reden, dann reden wir nicht nur über eine
Bundesangelegenheit; primär ist das eine Aufgabe der
Länder. Wenn zum Beispiel die Schulsozialarbeit so
hochgepriesen wird, dann frage ich mich: Warum tun
denn die Länder, obwohl sie so gepriesen wird, nicht
mehr dafür? Es ist originäre Aufgabe der Länder, in den
Schulen die Voraussetzungen dafür zu schaffen.
({12})
Der zweite Ansatzpunkt, wenn es um sichere Arbeitsplätze geht, ist die Infrastruktur: die Infrastruktur im
Verkehrsbereich, die digitale Infrastruktur. Dazu ist
heute schon viel gesagt worden. Angesichts der Aufholarbeit aufgrund der Versäumnisse, die wir in den vergangenen Jahrzehnten angehäuft haben, begrüße ich es sehr,
dass wir diesem Bereich in dieser Legislaturperiode
neuen Schwung verleihen, etwa indem wir zusätzliche
Mittel von etwa 5 Milliarden Euro in die Verkehrsinfrastruktur investieren und den Breitbandinfrastrukturausbau forcieren. Die Betriebe, die Menschen in den ländliGerda Hasselfeldt
chen Räumen sind genauso wichtig wie die in den
Ballungsgebieten, und sie brauchen das schnelle Internet
genauso wie die in den Ballungsgebieten.
({13})
Ein vierter Bereich, der auch zur Infrastruktur gehört,
ist der energiepolitische Bereich. Auch dazu ist heute
schon viel gesagt worden. Auch ich möchte ganz herzlich der Bundeskanzlerin und dem Bundeswirtschaftsminister dafür danken, dass sie in den Verhandlungen
mit der EU-Kommission auf europäischer Ebene eine
Regelung hinbekommen haben, durch die die industrielle Basis unseres Landes und damit Hunderttausende
von Arbeitsplätzen gesichert werden, meine Damen und
Herren. Das ist ein ganz großer Fortschritt, gerade vor
dem Hintergrund, was wir dazu noch vor einigen Wochen von der EU-Kommission zu hören bekamen. Herzlichen Dank dafür!
({14})
Meine Damen und Herren, wir leben nicht nur von
Angebot und Nachfrage. Wir leben nicht nur von Geld.
Nicht nur Finanzen und Wirtschaft sind wichtig, sondern
auch die Antworten auf die Frage: Wie gehen wir miteinander um? Wie halten wir über die Generationen hinweg zusammen? Welche Werte verbinden uns? In diesem Zusammenhang stellt sich zum Beispiel auch die
Frage: Was ist uns Erziehung wert? Ich sage Ihnen für
meine Partei ganz deutlich: Erziehung ist nicht nur die
originäre Aufgabe der Eltern, sondern sie ist einer der
wichtigsten Aspekte in unserem Zusammenleben überhaupt. Erziehungsleistung ist Lebensleistung, die von
den Eltern für ihre Kinder erbracht wird. Sie ist nicht nur
für ihre Kinder wichtig, sondern für die ganze Gesellschaft, für uns alle miteinander.
({15})
Es ist deshalb richtig, dass wir nicht nur über die Mütterrente diskutieren, wie vor der Wahl, sondern dass wir
diese auch realisieren. Wir sorgen für eine bessere Anerkennung der Erziehungszeiten in der Rentenversicherung für jene Mütter, die ihre Kinder unter schwierigeren
Bedingungen als heute erzogen haben, die zu weiten Teilen auf Erwerbstätigkeit verzichtet haben. Nun erkennen
wir diese Leistung der Mütter auch für vor 1992 geborene Kinder an. Diese Verbesserung setzen wir mit der
Verabschiedung des Rentenpakets um.
({16})
Wir wissen, dass wir vor großen demografischen Herausforderungen stehen. Deshalb haben wir uns in den
Koalitionsverhandlungen eindeutig darauf verständigt:
Am Grundsatz der Rente mit 67 wird nicht gerüttelt. Wir
haben uns auch darauf verständigt, eine Übergangsregelung zu schaffen, die vorsieht, dass man ab 63 Jahren
nach 45 Beitragsjahren abschlagsfrei in Rente gehen
kann. Dazu stehe ich. Das haben wir vereinbart.
Es gibt darüber hinaus noch eine Reihe von Problemen, die wir zu bewältigen haben, insbesondere die mit
der Rente ab 63 verbundene Gefahr der Frühverrentung.
Diese Probleme müssen wir in aller Kollegialität, in Offenheit und in konstruktiven Diskussionen bewältigen.
Ich bin zuversichtlich, dass wir das hinbekommen. Die
Gespräche in den vergangenen Tagen haben ja durchaus
Anlass zu dieser Zuversicht gegeben.
Wir sind nicht gewählt, um uns in der Koalition nur
zu streiten. Vielmehr sollten wir in Auseinandersetzungen den besten Weg für die Menschen in unserem Land,
für ihre Arbeitsplätze und ihre soziale Sicherung erarbeiten. Das eint uns. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass
wir eine gute Lösung hinbekommen.
({17})
Meine Damen und Herren, Volker Kauder hat vorhin
gesagt: Das Ziel dieser Koalition ist, dass es den Menschen am Ende dieser Legislaturperiode noch besser
geht als vorher. Genau das ist das Ziel. Meine Damen
und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Ziel
werden wir erreichen, wenn wir uns an dem Dreiklang
orientieren, der auch diesen Haushalt prägt, nämlich erstens stabile Finanzen, zweitens sichere Arbeitsplätze und
drittens gesellschaftlicher Zusammenhalt. Das ist der
Dreiklang, der im vorliegenden Haushaltsentwurf zum
Ausdruck kommt. Dieser Haushaltsentwurf ist die beste
Grundlage, um die Ziele dieser Koalition zu erreichen.
({18})
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin
Sigrid Hupach das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Wir kommen jetzt wieder zur Kultur. Wir
sehen uns gern als Kulturnation. Aber wie unterstreicht
das dieser Haushaltsentwurf?
Die Linke begrüßt, dass nicht gekürzt wird. Wir finden jedoch, dass 1,6 Prozent des Gesamtetats der öffentlichen Haushalte für die Kultur zu wenig sind.
({0})
Die soziale Lage der Kulturschaffenden in unserem
Land hat sich nicht verbessert. Nach wie vor liegen ihre
Einkünfte, ob sie im Theater arbeiten, Kostüme entwerfen, Tänzer oder Musiker sind, nur knapp über dem
Existenzminimum. Der Koalitionsvertrag versprach
Hoffnung mit einem großen Abschnitt zur Kultur. Das
war erfreulich. Gut hundert Tage nach Verabschiedung
ist aber nicht zu erkennen, wie diese Versprechungen mit
dem vorliegenden Haushalt eingelöst werden sollen.
Verdoppelt wurden die Mittel für die Provenienzforschung, die sich mit der Herkunftsgeschichte von Kunstund Kulturgütern befasst. Frau Grütters plant ein „Deutsches Zentrum Kulturgutverluste“. Es war höchste Zeit
hierfür - 15 Jahre nach der Washingtoner Erklärung und
fast 70 Jahre nach Kriegsende. Wir begrüßen diese Entwicklung sehr.
({1})
Aber gemäß seiner bisherigen Konzeption löst ein solches Zentrum die Probleme der Länder auf dem Gebiet
der Provenienzforschung nicht. Was die Länder und ihre
Museen brauchen, sind entsprechendes Personal und
Geld. Das Geld dafür fehlt aber. 4 Millionen Euro vom
Bund für die Provenienzforschung sind so gesehen viel
und wenig zugleich.
Im letzten Haushalt gab es für ein Denkmalschutzsonderprogramm noch Mittel. Im neuen Entwurf sucht man
dies leider vergebens, trotz Ankündigung im Koalitionsvertrag. Es war aber gerade dieses Programm, das zum
Erhalt der Infrastruktur in den Ländern beigetragen hat.
Hier muss dringend nachgebessert werden.
({2})
Den kooperativen Kulturföderalismus auszubauen
war eine weitere Aussage im Koalitionsvertrag. Für uns
ein Hoffnungsschimmer, fordern wir doch seit Jahren ein
Kooperationsgebot im Bereich Kultur und eine Gemeinschaftsaufgabe Kultur. Ohne dies bleibt dem Bund nur
die Kulturstiftung des Bundes. Die Kriterien der Bundeskulturförderung müssten überdacht und die Kulturstiftung des Bundes genau wie ihre Fonds gestärkt werden. Das war in der letzten Legislatur noch die Aussage
der SPD. Von einem neuen Musikfonds war die Rede:
ansatzweise im Koalitionsvertrag noch vorhanden, aber
im Haushalt findet man dazu nichts mehr. Die Kulturstiftung des Bundes verliert sogar ihren einmaligen Aufwuchs in Höhe von 5 Millionen Euro. Dies werden wir
nicht hinnehmen. Wir werden erneut eine Aufstockung
um 10 Millionen Euro fordern.
({3})
Erbepflege geht einmal mehr vor Neukonzeption. Dabei müsste doch allen Beteiligten klar sein, dass einem
Wandel der kulturellen Produktionsbedingungen, einem
Umbruch der Wahrnehmung und Nutzung von Kultur,
wie wir ihn aktuell erleben, auch ein Wandel der Förderstrukturen folgen muss.
Nach Berlin fließen circa 40 Prozent der gesamten
Mittel für die Bundeskulturförderung. Das ist nicht einfach mit dem Gedanken des kooperativen Kulturföderalismus in Einklang zu bringen. Trotzdem wird über
Museumsneubauten mit Kosten in dreistelliger Millionenhöhe öffentlich nachgedacht. Umsetzen müsste dies
die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, eine Stiftung, die
chronisch unterfinanziert ist, die seit Jahren mit einer
Vielzahl von Bau- und Sanierungsprojekten überlastet,
wenn nicht überfordert ist, und deren Bauetat in diesem
Haushalt um keinen einzigen Euro aufgestockt wird.
Wie soll diese Stiftung ein neues Museum der Moderne
finanzieren? Was wir jetzt brauchen, ist eine grundsätzliche Debatte über die Finanzierung der Stiftung und eine
deutliche Aufstockung ihrer Mittel.
Neben Visionen von Museumsneubauten brauchen
wir auch, Frau Grütters, Visionen für die Kulturförderung der Zukunft. Zeitgemäße Kulturpolitik muss Antworten haben auf die aktuellen Herausforderungen wie
zum Beispiel den demografischen Wandel oder die Digitalisierung. Künstlerinnen und Kreative müssen ausreichend sozial abgesichert sein.
({4})
Für viele dieser Punkte hat die Linke bereits Vorschläge
vorgelegt.
({5})
Frau Grütters, Sie haben kürzlich im Spiegel gefordert
- Zitat -: „Gebt mir die Millionen.“ Dazu sage ich:
Kämpfen Sie um die Millionen - für die Kultur!
Danke.
({6})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Dr. HansUlrich Krüger das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Große Koalition macht eine gute Arbeit.
({0})
Dies beweist der jetzt vorliegende Gesetzentwurf zum
Haushalt. Wir brauchen auch in diesem Jahr, wie es unser geehrter, leider viel zu früh verstorbener Kollege
Peter Struck anlässlich eines derartigen Einbringungsvorgangs einmal gesagt hat, „unser Licht nicht unter den
Scheffel zu stellen“. Einen auf der einen Seite strukturell
ausgeglichenen Haushalt und auf der anderen ein in den
Koalitionsverhandlungen gutes und sozial gerechtes,
aber vor allen Dingen finanzierbares Investitionsprogramm zu gestalten, das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine Kunst. Und wir alle wissen: Kunst kommt
von Können.
Die Koalition hat sich viel vorgenommen, und sie
wird auch viel erreichen. Für eine Haushaltskonsolidierung braucht man zum einen Disziplin und zum anderen
eine gute gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Beide
Faktoren liegen vor, ja, sie geben uns den Spielraum, die
in den Koalitionsverhandlungen prioritär vereinbarten
Ziele umzusetzen: die Rente mit 63, die Mütterrente, Investitionen in Bildung und Forschung, Unterstützung der
Kommunen.
Gestaltungsspielräume zu nutzen und gleichzeitig zukünftige Generationen zu entlasten, sind von jeher sozialdemokratische Anliegen.
({1})
Mit der in der letzten Großen Koalition im Grundgesetz
verankerten Schuldenbremse haben wir eine Grundlage
hierfür bereits geschaffen. Mit den mutigen Reformen
noch unter Gerhard Schröder sowie dem entschlossenen
und heute auch schon mehrfach angesprochenen Handeln des Finanzministers Peer Steinbrück und des Arbeitsministers Olaf Scholz während der Finanzkrise
durch ein umfassendes Konjunkturpaket haben wir eine
weitere Basis dafür geschaffen, dass wir heute über einen strukturell ausgeglichenen Haushalt für das Jahr
2014 beraten können und für 2015 einen Haushalt ganz
ohne neue Schulden vorzeigen wollen und werden.
({2})
Das nenne ich „Investieren in die Zukunft“.
Wie ich schon eingangs feststellte: Zum einen einen
strukturell ausgeglichenen Haushalt aufzustellen und
zum anderen Geld für wichtige Investitionen in die Hand
zu nehmen, ist eine Kunst. Beides ist voneinander abhängig. Ich kann behaupten, dass die SPD die in der Regierung vorhandenen Spielräume für die richtigen Prioritäten nutzt. Lassen Sie mich das kurz vorstellen.
Die Lebensleistung von Menschen muss anerkannt
werden. Wer 45 Jahre gearbeitet hat, darf und soll die
Früchte seiner Arbeit auch ernten können; die Kollegin
Hasselfeldt hat soeben zutreffend darauf hingewiesen.
Das heißt, wer mit 18 oder sogar früher angefangen hat,
hart zu arbeiten, kann mit 63 in den Ruhestand gehen.
Nicht jeder von uns leistet einen solchen Solidaritätsbeitrag, indem er derart lange Beiträge in unser Sozialversicherungssystem einzahlt. Insofern ist die Anerkennung
der Lebensleistung dieser Menschen nicht nur sozial gerecht, sondern auch sachgerechte Fürsorge des Staates.
Deswegen liegt die Zustimmung für die Rente mit 63 für
langjährig Versicherte in der Bevölkerung bei 87 Prozent
und bei den 18- bis 34-Jährigen sogar bei 89 Prozent.
Gerade der Großteil der jungen Generation steht vollständig hinter dem Plan, Menschen, die jahrzehntelang
hart gearbeitet haben, einen früheren Rentenzugang
ohne Abschläge zu ermöglichen. Der Rentenbeitragssatz
in der Deutschen Rentenversicherung bleibt 2014 also
bei 18,9 Prozent. Es bleibt damit beim Status quo.
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht genug:
Wir verbessern auch die Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der Rente für Väter und Mütter, deren
Kinder vor 1992 geboren wurden. Auch das ist ein Gebot der Fairness. Eltern, die ihre Kinder erziehen, wissen, was das heißt. Kindererziehung und Kinderbetreuung sind ein Fulltime-Job. Von daher ist es nur fair und
sozial gerecht, dass die Kindererziehungszeit mit einem
weiteren Entgeltpunkt berechnet wird. Zukünftig, also
ab dem 1. Juli 2014, erhalten demgemäß Väter und Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, pro Kind
zwei Jahre Erziehungszeit angerechnet und damit eine
erhöhte Rente.
Diese „Mütterrente“ wird zunächst aus den Beiträgen
der Rentenversicherung und den Rücklagen finanziert.
Als SPD - das bekenne ich ganz freimütig - hätten wir
uns vorstellen können, hierfür Steuermittel heranzuziehen. Dies jedoch war aus den bekannten Gründen in den
Verhandlungen nicht umsetzbar. Somit wird es 2019 einen zusätzlichen Bundeszuschuss aus Steuermitteln an
die gesetzliche Rentenversicherung geben. Diese Mittel
werden dann bis 2022 auf 2 Milliarden Euro jährlich erhöht. Sie sehen, meine Damen und Herren, auch die
Mütterrente ist ein Gebot staatlicher Fairness.
Einen dritten Punkt möchte ich ebenfalls noch erwähnen, nämlich die Erwerbsminderungsrente. Auch diese erhöhen wir. Die Erwerbsminderungsrente erhalten bekanntermaßen Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen,
zum Beispiel wegen eines Unfalls, nicht mehr berufstätig
sein können. Auch hier ist staatliche Fairness angebracht.
Wir werden daher die Erwerbsminderungsrente ebenfalls
ab dem 1. Juli 2014 um 5 Prozent erhöhen. Nur ein handlungsfähiger Staat ist in der Lage, sich stark zu machen
für sozialen Ausgleich und gesellschaftliche Teilhabe.
Das tun wir. Das wollen wir.
Ein weiterer wichtiger Förderungsschwerpunkt sind Investitionen in Bildung und Forschung. Bildung und Forschung ist und wird ein Schwerpunkt unserer gemeinsamen Politik bleiben. 14 Milliarden Euro werden hierfür
im Haushalt zur Verfügung gestellt. Wir reagieren damit
auch auf die stark gestiegene Zahl von Studienanfängern
und -anfängerinnen. Es ist gut und wichtig, dass immer
mehr junge Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten einen guten Schulabschluss schaffen und Zugang zu
den Universitäten und so zu optimaler Chancengleichheit
im Leben erhalten. Das kostet Geld. Von daher ist es
nicht nur richtig, sondern notwendig, dass der Bund
2014 circa 1,8 Milliarden Euro zur Verfügung stellt, womit die Länder bei der Schaffung zusätzlicher Studienplätze unterstützt werden. In diesem Zusammenhang
müssen natürlich auch die Studienbedingungen und die
Qualität der Lehre verbessert werden. Wir müssen es darüber hinaus auch als Baustelle und Hausaufgabe für die
aktuelle Legislatur ansehen, eine grundlegende Reform
des BAföG zu erarbeiten und auch zu beschließen.
({3})
Ein besonderes Anliegen sozialdemokratischer Politik ist die Stärkung der Leistungsfähigkeit unseres Bildungssystems. Um es mit den Worten der nordrheinwestfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft auszudrücken: „Wir wollen kein Kind zurücklassen.“ Das
Gleiche gilt für Schüler, Jugendliche und Studenten. Anders gesagt: Die Chancen junger Menschen dürfen nicht
vom Geldbeutel der Eltern abhängen.
({4})
Auch die Forschung wird weiter gestärkt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die entsprechenden Einrichtungen
erhalten 5 Prozent höhere Zuwendungen.
Eine weitere prioritäre Maßnahme - das wurde heute
schon angesprochen - ist die Erhöhung der Mittel für die
Städtebauförderung. Ich erinnere nur daran, dass das
Projekt „Soziale Stadt“ zuletzt noch mit 28,5 Millionen
Euro, also knapp 30 Millionen Euro, dotiert war. Wir haben mittlerweile eine Dotation von 150 Millionen Euro
festgelegt. Ich erinnere daran, dass wir die Mittel für die
Städtebauförderung auf 700 Millionen Euro angehoben
haben.
({5})
Das ist etwas, was angesichts der Lage der Kommunen
bitter nötig ist.
Im Zusammenhang mit den Kommunen komme ich
nun zu einem zentralen und wichtigen Thema dieses
Bundeshaushalts. Ja, wir haben im Koalitionsvertrag
vereinbart, dass der Bund die Kommunen finanziell entlastet. Das ist angesichts der Belastung finanzschwacher
Städte und Gemeinden bitter nötig. Viele Städte und
Kommunen, die erhebliche Leistungen zu erbringen haben, können ihre Haushalte kaum noch stemmen. Sie
stehen häufig unter dem Druck von Haushaltssiche2352
rungskonzepten und verlieren damit das ureigenste kommunale Instrument der Selbstverwaltungshoheit. An dieser Stelle sind wir gefordert.
Ab 2014 - auch das ist angesprochen worden - übernimmt der Bund vollständig die Kosten der Grundsicherung in Höhe von aktuell 5,5 Milliarden Euro. Das ist ein
großer, für die Gemeinden direkt positiv spürbarer Erfolg sozialdemokratischer Politik, der - ich erinnere daran - nicht zuletzt aufgrund der rot-grünen Hartnäckigkeit im Vermittlungsausschuss zustande gekommen ist.
Ferner haben wir vereinbart, dass die Kommunen im
Rahmen der Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes in einem Umfang von 5 Milliarden Euro jährlich von
den Kosten der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen entlastet werden. Wir stehen fest zur Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes in dieser Legislatur;
daran wird nicht gerüttelt. Und eines, liebe Kolleginnen
und Kollegen, ist auch klar: Bis dieses Gesetz erarbeitet
ist, werden die Kommunen, beginnend ab Januar 2015,
um 1 Milliarde Euro jährlich entlastet. Ziel ist es, dass
das Bundesministerium für Arbeit und Soziales noch in
diesem Jahr mit den Arbeiten an diesem Gesetzgebungsvorhaben beginnt. Im Zuge des Bundesteilhabegesetzes
soll die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht weiterentwickelt werden, das Leben von Menschen mit Behinderung eindeutig und konkret verbessert
werden. Wir werden daher alles dafür tun, dass dieses
Gesetz in 2016 verabschiedet wird. Wir definieren auch
ganz klar das angestrebte Ziel, bereits 2017 zu einer höheren Entlastung der Kommunen zu kommen.
Sie sehen, meine Damen und Herren, auf der einen
Seite einen strukturell ausgeglichenen Haushalt zu präsentieren und auf der anderen Seite Zukunftsinvestitionen für die Menschen in unserem Land vorzusehen,
schließt sich nicht aus, nein, das ist unabdingbar miteinander verbunden. Wir betreiben insofern eine Politik
der ökonomischen Vernunft.
Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der Debatte um die Einnahmen und Ausgaben
der öffentlichen Hand zum Schluss noch ein paar Sätze
zur Steuerehrlichkeit in unserer Gesellschaft sagen, einem
Thema, welches uns, die Medien und die Menschen im
Land in den letzten Wochen sehr bewegt hat. Ich möchte
daher in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass es
der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert
Walter-Borjans war, der mit dem beharrlichen, damals
von vielen beschimpften, heute aber von fast allen bejahten Ankauf von Steuer-CDs nicht nur eine Diskussion
über Steuerehrlichkeit und Steuermoral in Gang gesetzt
hat, sondern auch dafür gesorgt hat, dass so mancher hinterzogene Steuereuro doch noch in die Staatskasse geflossen ist.
({6})
Nordrhein-Westfalen hat für den Kauf von Steuer-CDs
bislang einen einstelligen Millionenbetrag ausgegeben
und dadurch im Gegenzug mehr als 300 Millionen Euro
an entzogenen Steuern für die Bürger eingenommen wie ich finde, eine gute Rendite.
Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen - auch an
die Opposition gerichtet -: Die Große Koalition packt an
allen Fronten, auf allen Ebenen die Probleme an. Wir
sind auf einem sehr guten Weg. Diesen werden wir weitergehen. Ich lade Sie daher ein, unsere Arbeit bei den
Haushaltsberatungen zu unterstützen.
Ich danke Ihnen.
({7})
Das Wort hat die Staatsministerin und Beauftragte der
Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika
Grütters.
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Gleich zwei Ereignisse haben uns Kulturfreunde - übrigens
weltweit - in den letzten Tagen sehr bewegt: Das eine war
der Durchbruch bei der Bearbeitung des sogenannten
Schwabinger Kunstfundes und das andere die große Ausstellung von Ai Weiwei im Martin-Gropius-Bau. Ich finde,
beide Ereignisse - deshalb erwähne ich sie hier eingangs sagen sehr viel aus über unser Verständnis als Kulturnation.
Gestern konnten wir immerhin erleichtert feststellen,
dass Herr Gurlitt sich bereit erklärt hat, die Raubkunst
freiwillig - das ist erstmals in der Geschichte der Republik so - an die Erben der damaligen, meist jüdischen
Besitzer zurückzugeben. Das ist nicht nur ein großer Erfolg in diesem spektakulären Fall, sondern das zeigt vor
allem, dass Deutschland auch 70 Jahre nach Ende des
Zweiten Weltkrieges nicht aufhört, seine Vergangenheit
aufzuarbeiten, selbst wenn es wehtut.
({0})
- Ich finde, dass das, worum es hier geht, einen Applaus
wert ist, insbesondere weil sich ein Privater, der das
nicht hätte tun müssen, freiwillig dazu bereit erklärt hat.
Vor allen Dingen wird eines dabei sichtbar: Es geht im
Einzelfall nicht immer nur um den materiellen Ausgleich, sondern auch um die Anerkennung der Opferbiografien,
({1})
also auch um so etwas wie die moralische Durchdringung unser aller Geschichte.
Vor genau einer Woche haben wir im Martin-GropiusBau die weltweit größte Ausstellung des Künstlers Ai
Weiwei eröffnet, die deshalb weltweit so viel Aussehen
erregt, weil er in China unter Hausarrest steht und weil
seine Kunst, die subversiv ist und manchmal fast verführerisch ästhetisch, obwohl er in allen seinen Arbeiten immer wieder auch die Unterdrückung, die er erfahren hat,
aufarbeitet, so etwas ist wie ein Manifest gegen Ungerechtigkeit und gegen Willkür.
Daran wird deutlich, dass Kunst und Kultur - das gilt
nicht nur für Deutschland, sondern überall - kein dekorativer Luxus sind, sondern eine Haltung, ein Modus des
Zusammenlebens. Die Künstler denken über die Bedingungen unserer Existenz und über die Verfasstheit einer
Gesellschaft nach, und man kann eine Gesellschaft sehr
genau daran erkennen, wie sie mit ebendiesen Künstlern
umgeht. Das ist eine Art Lackmustest für die Demokratie
und für die Achtung der Menschenrechte. Friedrich
Schiller hat das, wie ich finde, einmal sehr poetisch in
die Worte gefasst: „Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit.“
Der Schutz dieser Freiheiten, unter denen Geist und
Kultur gedeihen, muss deshalb auch oberster Grundsatz
jeder verantwortlichen Kulturpolitik sein; denn es kann
ja nur der Staat sein, der diese Kunst und diese Freiheit
schützt. Das heißt, wenn wir heute über den Kulturetat
der Bundesregierung sprechen, dann sprechen wir über
nichts Geringeres als über die Grundlage unseres Zusammenlebens.
Ganz konkret: Ein Staat wie Deutschland, der reich an
kulturellen Traditionen ist, dessen Brüche aber auch sehr
radikal sind, muss eben auch im Umgang mit seinen
Kulturgütern Klarheit schaffen und nach fairen und gerechten Lösungen suchen. Deshalb bin ich sehr dankbar
- und das ist nicht banal -, dass wir die Mittel für Provenienzrecherche und für die Rückgabe tatsächlich noch in
diesem Haushalt für 2014 verdoppeln konnten.
Es kann sein, dass das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste spät kommt, aber es kommt noch zur rechten
Zeit. Das macht einmal mehr deutlich, wie wichtig uns
die Aufgabe ist. Deshalb bin ich wirklich dankbar und
immer noch beeindruckt, dass ausgerechnet meine israelische Kollegin Limor Livnat bei unserem Besuch unvermittelt - das war nicht geplant - einmal mehr gesagt hat,
sie bewundere, was wir in der kurzen Zeit gemacht haben. Sie fragte sogar, ob wir deutsche Provenienzforscher in israelische Museen schicken können. Wenn das
kein Vertrauensbeweis ist!
({2})
Jetzt, verehrte liebe Kollegin Rößner, komme ich zur
Medienpolitik, und zwar zu dem Teil, den der Bund zu
verantworten hat. Ich weiß, Sie haben sich ins ZDF verbissen, aber das ist und bleibt Ländersache. - Übrigens,
zu persönlichen Raufereien: Ich neige wirklich nicht
dazu, gleich meinen Amtsvorgänger aus dem Amt zu jagen.
Kommen wir also zur Medienpolitik des Bundes.
Die Krisen in der Ukraine und der Arabische Frühling
- oder das, was davon übrig geblieben ist - zeigen uns
einmal mehr, wie wichtig unabhängiger, freier Journalismus ist. Die Deutsche Welle als Auslandssender
steht eben für Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Menschenrechte, Demokratie und soziale Marktwirtschaft.
({3})
- Da können Sie gerne lachen. Ich finde, es ist nicht zum
Lachen, sondern wichtiger denn je.
({4})
Der Wettbewerb um die Weltöffentlichkeit, um Werte
und Ideen hat sich drastisch verschärft. Die Deutsche
Welle konkurriert inzwischen mit mindestens 26 internationalen Sendern, und viele von denen stehen eben nicht
für freie Meinungsäußerung, sondern für eine aggressive
und tendenziöse Berichterstattung und nicht selten für
Zensur und Propaganda. Trotzdem ist es der Deutschen
Welle in den letzten Jahren gelungen, die Nutzung ihres
Angebots um 17 Prozent auf immerhin 101 Millionen
Zuschauer pro Woche zu steigern. Ich glaube, das ist ein
Zeichen für hohe Glaubwürdigkeit. Sie setzt daneben natürlich auch mit mutigen Entscheidungen ein Zeichen,
wie der, die Satiresendung des Ägypters Bassem Youssef
in ihr Programm zu übernehmen; da hat es starke Konkurrenz, nicht zuletzt von der BBC, gegeben.
Deshalb ist es wichtig, dass wir die Deutsche Welle stärken. Dies haben wir in diesem Haushalt kurzfristig mit mindestens 2 Millionen Euro mehr - auch über ODA-Mittel getan, und das soll nicht das letzte Wort gewesen sein.
({5})
Helfen Sie also mit, die Deutsche Welle zu stärken und
zu stabilisieren.
Noch ein paar Worte zum Thema Filmförderfonds. Er
ist hier angesprochen worden. Dafür standen jahrelang
60 Millionen Euro zur Verfügung. Das verteidige ich
auch. Als die Mittel einmalig auf 70 Millionen Euro aufgestockt wurden, sind - das müssten Sie wissen - nur
62 Millionen Euro abgeflossen, nicht mehr.
Ich finde es traurig, dass wir alle die Filmförderung
immer nur auf diesen einen Fonds reduzieren und nichts
über die Drehbuchpreise, über die Förderung des Kinderfilms in Deutschland, über das Oberhausener Filmfestival und beispielsweise über die Berlinale sagen. Ich
fände es besser, wenn wir die Filmförderung ernst nähmen. Sie steht ganz oben auf unserer Agenda und nimmt
mehr Raum ein als fast alle anderen Themen.
({6})
Frau Kollegin Grütters, gestatten Sie eine Frage oder
Bemerkung der Kollegin Rößner?
Ja.
Vielen Dank, Frau Grütters. - Ich will im Zusammenhang mit dem Deutschen Filmförderfonds nachfragen.
Sie haben am 6. Februar dieses Jahres - das ist gerade
einmal zwei Monate her - gesagt - ich zitiere -:
Filme brauchen Förderer - einer der wichtigsten
Grundpfeiler der Filmförderung in Deutschland ist
der Deutsche Filmförderfonds ({0}). Im letzten
Jahr wurden im Rahmen des DFFF 70 Millionen
Euro für die Produktion von Kinofilmen zur Verfügung gestellt. Auch der im Juni letzten Jahres beschlossene Entwurf des Bundeshaushaltes 2014
sieht für dieses Jahr eine Förderung in Höhe von
70 Millionen Euro vor. Und dabei wollen wir auch
gerne bleiben!
Das war Ihre Ankündigung. Deshalb wundere ich
mich jetzt, dass - Monika Grütters, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin:
Frau Kollegin, wir reden im Moment über den Regierungsentwurf.
({1})
In dem waren immer 60 Millionen Euro vorgesehen.
({2})
Die 10 Millionen Euro, die hinzukommen, hoffe ich,
ehrlich gesagt, im parlamentarischen Verfahren verteidigen zu können. Sie sollten aber zumindest zur Kenntnis
nehmen, dass in einem Jahr nur 62,4 Millionen Euro abgeflossen sind.
({3})
Wir alle gemeinsam können dafür werben, dass es im
parlamentarischen Verfahren - das war zumindest in den
vergangenen zwei Jahren so - wieder zu einer Aufstockung kommt. Aber wir reden jetzt über den Regierungsentwurf.
Jetzt möchte ich weitermachen. Die Wahrung unseres
kulturellen Erbes ist das eine Thema. Ich komme zu einem anderen Thema, das Sie angesprochen haben, nämlich der Fürsorge für die Künstler, die für uns wichtig
sind. Deswegen hat für die Kollegin Nahles - jetzt ist sie
nicht mehr da - und für mich die Künstlersozialkasse,
die vor 31 Jahren gegründet wurde, wieder einmal Priorität in unserer Politik, und wir haben bereits innerhalb
der ersten 100 Tage dafür gekämpft, dass dieser kulturpolitische Meilenstein
({4})
- jetzt gibt es eine Diskussion um den Filmförderfonds;
das finde ich schade, weil die Künstlersozialkasse mindestens genauso wichtig ist - nicht beschädigt wird.
({5})
Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass Künstler angemessen bezahlt und sozial abgesichert werden. Ich bin
der Kollegin dankbar, dass sie schon jetzt einen Entwurf
vorgelegt hat, auf den wir uns verständigt haben und der
am 30. April im Kabinett beraten werden soll, damit die
Künstler tatsächlich besser abgesichert werden.
Frau Hupach, ich komme zum Thema kooperativer
Kulturföderalismus. Ich finde, wir Kulturleute können
noch einigermaßen froh darüber sein, dass die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen in
der Kultur relativ gut funktioniert. Ich erinnere an den
Bildungsbereich, in dem man sich selbst auf die Aufhebung des Kooperationsverbotes zur Finanzierung der
Hochschulen nicht einigen kann.
Ich habe immerhin bereits zwei Monate nach Amtsantritt nicht nur die Kulturminister, sondern auch Vertreter der Kommunen zum Gespräch eingeladen. Wir haben
uns für die gemeinsame Arbeit drei wichtige Themen
vorgenommen. Das ist mehr, als es je gegeben hat, und
natürlich werde ich weiter daran arbeiten.
({6})
Freiheit von Kunst und Kultur heißt natürlich auch
Freiheit von Geldsorgen. Geld ist nicht alles. Aber ohne
Geld geht fast nichts. 1,6 Prozent der Mittel in den öffentlichen Haushalten für Kultur sind übrigens nicht
viel, aber wir sind damit immer noch das Land mit der
weltweit höchsten Kulturdichte.
Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, dass es mit der
großen Unterstützung durch das Parlament, durch die
Haushälter und auch durch den Finanzminister - das ist
in Zeiten von Schuldenbremse, ausgeglichenen Haushalten oder dem ehrgeizigen Ziel der Schuldentilgung nicht
wenig - gelungen ist, den Etatansatz zu verteidigen. Ich
hoffe natürlich ein bisschen auf die Parlamentarierinnen
und Parlamentarier. Ich nenne hier das Stichwort Denkmalschutzprogramm.
Ihre Unterstützung und Ihrer aller Solidarität haben
dazu geführt, dass die Kultur in unserem Land einen so
hohen Stellenwert hat. Ich möchte mich auch ausdrücklich bei der Opposition bedanken; denn das große Einvernehmen ist fraktionsübergreifend und beschränkt sich
nicht auf die Koalitionsfraktionen.
Wie sagte Schiller: „Die Kunst ist eine Tochter der
Freiheit.“ Ich finde, sie ist auch das geistige Band, das
uns zusammenhält. Hoffen wir gemeinsam, dass es stark
bleibt und hält.
Ich bedanke mich.
({7})
Die Kollegin Dr. Eva Högl hat nun für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
liebe Kollegen! Diese Koalition hat vereinbart, den Kulturhaushalt des Bundes auf hohem Niveau weiterzuentwickeln. Weiter heißt es - ich darf zitieren -: „Kultur ist
keine Subvention, sondern eine Investition in unsere ZuDr. Eva Högl
kunft.“ So haben wir das in unserem Koalitionsvertrag
niedergelegt.
({0})
Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, und trotzdem
wissen gerade die Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker, dass wir diese vermeintliche Selbstverständlichkeit
mit Leben füllen müssen und dass wir Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker einen ganz langen Atem brauchen und unsere Anliegen häufig gegen massive Widerstände durchsetzen müssen.
Gestatten Sie mir, Frau Bundeskanzlerin, dass ich an
einen Ihrer Vorgänger erinnere. 1998 - es war also eine
rot-grüne Bundesregierung - hat es Gerhard Schröder
durchgesetzt, dass wir einen Beauftragten für Kultur und
Medien bekommen. Das war damals Michael Naumann.
Ich darf auch sagen, dass ich froh bin, dass wir mit Ihnen, liebe Frau Grütters, so eine engagierte und durchsetzungsstarke Person an dieser Stelle haben und sicherlich noch viel bewegen können.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie werden verstehen, dass ich es als Berlinerin begrüße, dass wir in unserer Kulturpolitik einen Akzent auf die Hauptstadtkultur
legen und dass viele der bereitgestellten Mittel des Bundes nach Berlin und dort direkt in kulturelle Einrichtungen und Projekte fließen. Zahlreiche dieser Einrichtungen und Projekte haben ihren Standort sogar in meinem
Wahlkreis, nämlich in Berlin-Mitte. Deswegen freue ich
mich darüber ganz besonders.
Wichtig ist aber vor allem, dass wir uns der Bedeutung Berlins als Kulturhauptstadt bewusst sind und dass
wir Berlin nicht nur unterstützen, sondern auch mit Berlin gemeinsam vor Ort eine gute Kulturpolitik gestalten,
von der auch wir sehr stark profitieren.
({2})
Lassen Sie mich drei aktuelle Themen kurz anreißen.
Das Stichwort Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist
schon gefallen. Diese Stiftung gehört zu den größten und
bedeutendsten Kultureinrichtungen, die wir in Deutschland haben, und leistet ganz hervorragende Arbeit.
Ich möchte einen Punkt ansprechen, liebe Frau
Grütters, den Sie in den letzten Wochen in die Diskussion geworfen haben, nämlich den Standort der alten
Meister bzw. den Umzug der alten Meister vom Kulturforum auf die Museumsinsel. Ich finde es als Kulturpolitikerin richtig und wichtig, Visionen zu haben und Perspektiven zu entwickeln. Das ist notwendig. Das
brauchen wir insbesondere in der Kulturpolitik. Es ist
eine charmante Idee, auf der Museumsinsel alle Kunstwerke zu versammeln, die dort hingehören.
Aber wir Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker
wissen auch - das sage ich mit Blick auf die Haushälterinnen und Haushälter -, dass wir die besten Pragmatiker
sein müssen. Deswegen müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass nicht alles, was künstlerisch ideal und eine
schöne Vision wäre, tatsächlich durchsetzbar ist.
Es gehört auch zur Haushaltsdebatte, zu sagen: Vielleicht reicht ein bisschen weniger, wenn es dafür durchsetzbar ist. Wenn wir aber den Umzug und schöne Gebäude für das Kulturforum wollen, was ich mir als
Berlinerin wünschen würde, dann müssen wir alle gemeinsam - so ehrlich sollten wir miteinander sein; Frau
Grütters hat eben schon gesagt, dass sie auf die Parlamentarier setzt - eine ganze Menge mehr Geld in die
Hand nehmen.
Stichwort Humboldtforum - das ist ein wichtiges
Thema für uns alle im Deutschen Bundestag -: Wir wollen das Humboldtforum zu einem Zentrum machen, das
ein beliebter Ort im Herzen von Berlin ist, wo etwas
stattfindet und wo alle gerne hingehen. Deswegen diskutieren wir jetzt nicht länger über das Schloss, ob wir es
gut finden oder ob wir uns ein anderes Gebäude hätten
vorstellen können; vielmehr ist es jetzt unsere Aufgabe,
darüber zu debattieren, was dort stattfinden soll.
Wir laden die Kulturen der Welt ins Herz von Berlin
ein. Das ist eine ganz hervorragende Entscheidung. Deswegen müssen wir gemeinsam in den nächsten Wochen,
Monaten und Jahren darüber debattieren, was genau dort
stattfinden soll und wie wir das Humboldtforum als lebendigen Ort der Kultur gestalten.
({3})
Jetzt habe ich viel über Hochkultur gesprochen. Ich
möchte nicht schließen, ohne deutlich zu machen, dass
Kunst und Kultur aus vielen kleinen Projekten und Initiativen bestehen, für die sich Einzelne zusammentun
und eine Existenz gründen. Das gilt im Übrigen nicht
nur für Kunst und Kultur, sondern auch für Medien. Deswegen ist es unglaublich wichtig, dass wir all diejenigen
Kulturschaffenden - ganz kleine, feine Initiativen - unterstützen, nicht nur im Bereich der sozialen Sicherheit
durch die Künstlersozialkasse, sondern auch durch Programme und Projekte, beispielsweise Atelierprogramme,
dass wir ihnen einen guten Start verschaffen und es vor
allen Dingen - darauf kommt es in der Kulturpolitik an vielen Menschen ermöglichen, diese Kultur nicht nur zu
genießen und sich an ihr zu beteiligen, sondern sie aktiv
zu gestalten und sich damit auseinanderzusetzen.
Kulturpolitik ist beste Gesellschaftspolitik. Das setzt
voraus, dass möglichst viele an ihr partizipieren. Auch
das ist unsere Aufgabe, wenn wir über den Kulturhaushalt diskutieren.
Vielen Dank.
({4})
Der Kollege Rüdiger Kruse hat nun für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Kollegin Rößner von den Grünen - sie ist nicht
mehr anwesend - hat sich vehement für die Filmförderung eingesetzt, was natürlich eine gute Sache ist. Daher
mag es geschenkt sein, dass sie nicht Gleiches mit Gleichem verglichen hat. Die Regierungsentwürfe sind mit
60 Millionen Euro gleich geblieben. Wir haben dann als
Parlament noch 70 Millionen Euro draufgelegt.
({0})
- 10 Millionen Euro, Entschuldigung; ich will da keine
Erwartungen wecken. - Wenn man einmalig etwas
drauflegt, wird das oft im Nachgang quasi noch bestraft,
weil das dann für immer gefordert wird. Wenn aber von
70 Millionen Euro nur circa 63 Millionen Euro abfließen, war die Erwartung, dass es sich um einen begierigen Schwamm handelt, der viel mehr aufsaugen könnte,
wohl doch nicht richtig. Das heißt, so schlecht liegen wir
mit den 60 Millionen Euro nicht.
Wenn man denn vergleichen will, dann müssten die
Grünen in diesem Punkt vergleichen, was sie zu ihrer
Regierungszeit mit dem Deutschen Filmförderfonds gemacht haben. Wie hoch waren die Zahlen damals? Waren das 60 Millionen, 50 Millionen, 30 Millionen,
20 Millionen oder 10 Millionen Euro? - Es waren
0 Euro! Das ist der Ausgangspunkt gewesen.
({1})
Angesichts dessen ist es kein schlechtes Ergebnis, dass
2014 wieder 60 Millionen Euro für den deutschen Film
zur Verfügung gestellt werden.
({2})
Das ist ein guter Einstieg für eine Momentaufnahme
in diesem Land. In diesem Augenblick leben wir in einem Wohlfühlland; Sie kennen das vielleicht. Dann
kommt meistens herbe Kritik. Obwohl ich keine rheinische Frohnatur bin, fühle ich mich gerne wohl. Ich finde
es gut, dass die meisten Menschen sagen: Es lebt sich
gut in Deutschland; wir sind gerne hier. - Sie haben das
auch verdient; denn sie haben das alles über Jahrzehnte
mit viel Leistung aufgebaut. Von außen betrachtet - ich
betone: von außen -, aus Sicht der Mehrzahl der anderen
Länder, ist Deutschland wahrscheinlich so etwas wie ein
Paradies. Nun gibt es zwischen dem Wohlfühlaugenblick, den wir gerade erleben, und dem Paradies entscheidende Unterschiede. Das Paradies ist für die Ewigkeit, aber erst in der Ewigkeit. Der Augenblick - das
besagt schon das Wort - ist ein Moment, der wieder vergeht. Wenn man den Wunsch hat, dass der Augenblick
verweilen soll, dann muss man etwas dafür tun. Damit
verhält es sich in etwa so, als ob Sie in einem strömungsschnellen Fluss rudern. Wenn Sie nicht nur auf der Stelle
bleiben, nicht nur Fahrt übers Wasser, sondern über
Grund machen, dann sind Sie richtig gut. Wenn Sie dann
aber vor lauter Freude die Ruder hochklappen und sagen: „Was haben wir vollbracht!“, dann sind Sie ganz
schnell wieder hinter dem Ausgangspunkt und treiben irgendwann hinaus auf das offene Meer. Viel Glück! Das
bedeutet, dass der Mensch, solange er lebt, eben streben
muss. Wir müssen also etwas tun, um den Wohlfühlaugenblick zu verlängern. Wenn wir dann noch den Ehrgeiz haben, das zum Ende der Legislaturperiode zu verbessern, bedeutet das, dass noch viel zu tun ist.
Ein wesentliches Kriterium des Haushalts 2014 ist,
dass er zum ersten Mal seit langer Zeit die Zukunftsfähigkeit in sich trägt. Wenn wir das so machen, dann können wir das auch so weitermachen. Wenn wir eine
schwarze Null schreiben, dann ist das ein sehr guter Ansatz. Genau das schulden wir zukünftigen Generationen.
Aber wie machen wir das in Zukunft? Wo gibt es noch
Bereiche, in denen wir in den nächsten vier Jahren mehr
tun müssen? Vergleichen wir das Ganze einmal mit dem
Körperbau. Damit Gehirn, Lunge und alles andere funktionieren, gibt es im Körper eine Infrastruktur, bestehend
unter anderem aus Arterien, Venen und Nerven. Was tun
wir für die Infrastruktur, um das Ganze zu unterhalten?
Uns stehen rund 300 Milliarden Euro zur Verfügung.
Diese Summe wird von Arbeitnehmern und Arbeitgebern erwirtschaftet und uns über Steuern übereignet, damit wir dieses Geld für das Land wieder vernünftig ausgeben. Um dauerhaft Steuereinnahmen in Höhe von
rund 300 Milliarden Euro zu verdienen, investieren wir
in die Infrastruktur round about 12 bis 13 Milliarden
Euro. Das ist nicht sehr viel. Wenn man eine Rendite zu
erwarten hat, wenn man ohne Steuererhöhungen in Zukunft mehr machen möchte, dann muss man bei gleichen
Steuersätzen versuchen, aus den Steuereinnahmen mehr
zu machen. Selbst wenn man das Niveau nur halten will,
wird man investieren müssen. Das heißt, perspektivisch
sind wir gut beraten, wenn wir dieses Segment noch weiter ausbauen. Die 5 Milliarden Euro mehr in dieser Legislaturperiode sind ein richtiges Zeichen; das ist ein erster Schritt. Aber bekanntlich bestehen längere Wege
nicht nur aus einem Schritt. Das heißt, wir müssen noch
weiter gehen.
Wenn man sich etwas wünschen dürfte, dann wäre es,
dass man sich darauf einigt, in den nächsten 20 Jahren
eine Politik zu betreiben, mit der der Nachholbedarf in
der Infrastruktur in Höhe von 60 bis 80 Milliarden Euro
in diesem Zeitraum gedeckt wird. Dahin sollte man das
Ganze steuern. Das wäre schon einmal ein guter Beitrag.
Wasserstraßen, Schienen und Autobahnen sind sehr
wichtig, aber sie sind nicht identitätsstiftend.
Damit sind wir bei dem Thema, das eben stark anklang, nämlich der Kultur. Diese ist sehr identitätsstiftend und sagt viel über ein Land aus. Sie trägt viel dazu
bei, dass man sich dort wohlfühlt. Wir haben vorhin über
die Infrastruktur gesprochen, wo viel gebaut wird. Bei
einem Staatsbau gibt es immer die Abteilung Kunst am
Bau. Es wäre jetzt vielleicht abfällig, wenn ich sagen
würde, Monika Grütters sei die Staatsministerin für
Kunst am Bau. Das klingt so ähnlich wie „Frauen und
Gedöns“. Aber wenn ihr Etat so groß wäre wie der für
Kunst am Bau, dann beliefe er sich auf immerhin 2 bis
3 Prozent des Gesamtetats. Nun ist Wolfgang Schäuble
nicht mehr da, sonst wäre er jetzt erschrocken. Denn das
wäre selbst bei 2 Prozent des Gesamtetats eine Verfünffachung der Mittel. Es ist wichtig, langfristig einen Aufwuchs bei den Mitteln für Kulturpolitik anzustreben,
aber wir könnten niemals durch Bundesmittel das kompensieren, was die Länder kürzen könnten. Die Länder
müssen also weiterhin zu ihren Verpflichtungen stehen,
und der Bund muss seine Aufgaben erledigen.
Wir müssen noch etwas sehen: Die Aufgabe des Bundes strahlt sehr stark nach Europa aus. Wenn wir unsere
Kulturpolitik noch stärker europaaffin ausrichten, das
heißt mit unseren Partnern die kulturelle Identität Europas stärken, dann leisten wir einen sehr guten Beitrag zur
Identitätsstiftung, und wir leisten auch einen Beitrag
dazu - Wolfgang Schäuble hat es gestern in seiner Rede
gesagt -, dass ein Europa, das an Bevölkerung, anders
als der Rest der Welt, nicht zunehmen wird und dessen
Anteil an der Weltwirtschaft nicht zunehmen wird, noch
als attraktiver Partner gesehen wird, dass Deutschland
ein Land ist, in das man reisen möchte, wo man leben
möchte und wo man arbeiten möchte, weil man sich hier
wohlfühlen kann.
Vielen Dank.
({3})
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Hiltrud Lotze
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Einzelplan der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, über den wir hier gerade sprechen, beläuft sich auf knapp 1,4 Milliarden
Euro. Das ist verglichen mit der Gesamtsumme des Bundeshaushaltes eine kleine Zahl, aber doch eine erkleckliche Summe Geld. Geld hilft, das wissen wir alle, auch in
der Kultur. Gleichzeitig ist es aber so, dass die Bedeutung und die Aufgabe der Kultur weit über die ökonomische Erfassung hinausgehen.
Kultur muss geschichtsbewusst sein. In kaum einem
anderen Bereich besteht eine so enge Verknüpfung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und auch Zukunft wie
im Kulturbereich; denn die Art und Weise, wie wir heute
in unserer Gesellschaft zusammenleben, ist geprägt
durch unsere Erfahrungen in der Vergangenheit. Wir
müssen also bedeutende Ereignisse unserer Geschichte
immer wieder mitdenken, wir müssen uns an sie erinnern, und wir müssen ihrer gedenken. Deswegen ist zum
Beispiel die Erinnerungskultur, die Aufarbeitung und die
Auseinandersetzung mit unserer Geschichte, mit der
Systemgeschichte, ganz besonders wichtig. Das ist besonders für junge Menschen wichtig, die selber einen
Teil der Geschichte nicht erlebt haben, und das stabilisiert auch die Demokratie.
({0})
Für Projekte, Veranstaltungen und Konferenzen anlässlich der Gedenktage, über die hier schon gesprochen
wurde - wir gedenken in diesem Jahr des Ausbruchs des
Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren, des Ausbruchs des
Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren und des Falls der
Mauer vor 25 Jahren - und die sich mit der Geschichte
künstlerisch und wissenschaftlich auseinandersetzen,
sind im Haushalt 500 000 Euro vorgesehen. Für die
friedliche Revolution vor 25 Jahren - sie ist eines der
einschneidendsten Ereignisse der europäischen und
deutschen Freiheits- und Demokratiebewegung - gibt es
ebenfalls Geld: Seit Anfang des Jahres fördert das BKM
Veranstaltungen und Ausstellungen zu diesem Anlass.
Besonders erwähnen möchte ich die Open-Air-Ausstellung „Friedliche Revolution 1989/1990“ der RobertHavemann-Gesellschaft, deren Finanzierung jetzt durch
den Haushalt BKM dauerhaft gesichert ist. Das hatten
wir auch im Koalitionsvertrag so vereinbart.
({1})
Wie die Vergangenheit unsere Gegenwart beeinflusst,
sehen wir am aktuellen Fall Gurlitt; auch darüber ist hier
schon gesprochen worden. Durch die Enteignung und
den Abkauf von Kunst zu Ramschpreisen während der
NS-Zeit ist jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern
ein großes Unrecht geschehen. Das ist uns heute eine
moralische Verpflichtung, den Gesichtspunkt der Provenienz stärker zu berücksichtigen und rechtliche Regelungen zu Verjährung und Entschädigung zu überdenken.
Dieser Verantwortung stellen wir uns. Deswegen werden
die entsprechenden Mittel im Bundeshaushalt um 2 Millionen Euro aufgestockt.
Gleichzeitig arbeitet unser Bundesjustizminister an
rechtlichen Lösungen, um der moralischen Verpflichtung besser gerecht zu werden. Denn der Fall Gurlitt
zeigt - auch wenn gerade in diesen Tagen eine Vereinbarung zustande gekommen ist -, dass es nicht nur die öffentlichen Museen sind, die betroffen sind; vielmehr
sind es eben auch private Sammlungen, bei denen wir
genauer hinschauen müssen. Ich denke, da sind wir uns
einig, liebe Kolleginnen und Kollegen: Unrecht der Vergangenheit darf eben auch in der Gegenwart keinen Bestand haben.
Dass sich der Bundesjustizminister intensiv mit dieser
Frage befasst, zeigt, dass Kultur in der Bundesregierung
nicht nur bei der Kulturstaatsministerin, sondern auch in
den anderen Ressorts eine wichtige Rolle spielt. Es ist
schon darauf hingewiesen worden, dass Andrea Nahles,
unsere Bundesarbeitsministerin, in diesen Tagen einen
Gesetzentwurf vorstellt, mit dem die Künstlersozialversicherung stabilisiert und mit dem vor allen Dingen ein
Anstieg des Abgabesatzes verhindert werden soll. Diesen Gesetzentwurf wollen wir noch vor der Sommerpause hier im Plenum beschließen.
Kultur lässt sich natürlich nicht auf gleiche Weise
finanzieren wie zum Beispiel ein Stück neue Autobahn,
von der man weiß, wie lang und wie breit sie werden
soll; Kultur ist eben nicht statisch. Es braucht deswegen
Spielraum im Haushalt BKM, um die Förderkulisse lebendig zu halten und um flexibel zu sein im Hinblick auf
Dinge, die sich neu entwickeln. Ich schließe mich da Eva
Högls Auffassung an, dass wir das bei den zukünftigen
Haushaltsverfahren im Blick behalten müssen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({2})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen jetzt zu dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts, Einzelplan 05.
Das Wort hat der Bundesminister Dr. Frank-Walter
Steinmeier.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Außenpolitik ist erkennbar zurück auf der politischen Tagesordnung, und das in einer Dringlichkeit, die
sich kaum jemand von uns gewünscht hätte, nicht einmal
die Außenpolitiker in den unterschiedlichen Fraktionen
dieses Parlaments.
({0})
- Oder anders, ganz richtig. Vielen Dank.
Es ist kein Jahr her, da konnte man den Eindruck gewinnen, unter den politischen Disziplinen sei die Außenpolitik vielleicht diejenige, die schon auf die Rote Liste
der aussterbenden Arten gehört. Fall der Mauer, Ende
der Blockkonfrontation, deutsche Wiedervereinigung manche haben gedacht: Wenn es nicht das Ende der Geschichte ist, dann ist es aber zumindest der Anfang vom
ewigen Frieden. Viele von uns haben gedacht: Jetzt beginnt die Zeit, in der die jährliche Auszahlung der Friedensdividende kommt. Der Bedarf an klassischer Außenpolitik des 20. Jahrhunderts schien sozusagen schon
gedeckt. Große Teile des politischen Feuilletons - und
nicht nur die - haben sich darin überboten, den Bedeutungsschwund von Außenpolitik mit immer neuen Argumenten zu belegen. Wer dem widersprochen hat, der
wurde - ich kann mich erinnern - gleich als politischer
Nostalgiker behandelt. Sie wissen: Ich war da immer anderer Meinung.
Mit dem Fall der Mauer war der Kalte Krieg zu Ende.
Den mutigen Bürgerinnen und Bürgern in Polen und der
früheren DDR und denen, die in Tschechien, Ungarn und
anderswo geholfen haben, gebührt unser Dank. Aber
was war passiert? Die alte Ordnung mit ihren zynischen
Gewissheiten, die die Welt in zwei Lager geteilt hat, in
Ost und West, war hinweggefegt. Aber eine neue Ordnung war eben nicht entstanden. Im Gegenteil: 25 Jahre
nach dem Mauerfall ist die Welt immer noch auf der Suche nach einer neuen Ordnung, und sie wird es bleiben.
Es gibt ganz neue Spieler auf der Weltbühne, in Asien
und Südamerika, die nicht nur nach wirtschaftlichem
Einfluss suchen, sondern auch um politische Macht ringen. Es entstehen neue Interessen und natürlich auch neue
Konflikte um Interessen. Die Welt wird multipolar - ja;
aber das macht sie ganz offenbar nicht einfacher.
Was viele nicht geglaubt hätten, zeigt sich jetzt im
Konflikt um die Ukraine: Der Kalte Krieg wirft seine
langen Schatten immer noch auf diese neue, veränderte
Welt. Der Konflikt um die Ukraine holt uns auf den harten Boden der Realität zurück. Deshalb, meine Damen
und Herren, ist jetzt nicht die Zeit für Rückschau und
Rechtfertigung, sondern jetzt ist es an der Zeit, zu handeln. Wenn wir eine neue Spaltung Europas verhindern
wollen, dann kommt es jetzt auf eine kraftvolle und
kluge deutsche Außenpolitik im Bündnis mit unseren
Nachbarn und der Europäischen Union an. Das ist das,
was wir tun.
({1})
Inmitten dieser Welt, die seit 25 Jahren auf der Suche
nach einer neuen Rangordnung ist und neue Interessenkonflikte austrägt, ist auf diesem Kontinent dennoch etwas gewachsen, was aus den Jahrhunderten von Kriegen
und Konfrontationen in Europa herausragt: eine europäische Sicherheitsarchitektur, die uns vor dem Rückfall in
Gewalt geschützt hat. Ich könnte es auch anders sagen:
Nach endlosem Leid, Abermillionen von Opfern und
Toten ist sie in jahrzehntelanger Arbeit von vielen Generationen von Politikerinnen und Politikern mühevoll errichtet worden: eine Sicherheitsarchitektur mit Verzicht
auf nationale Eiferei, mit Versöhnung, mit guter Nachbarschaft, mit transatlantischen Beziehungen, mit Ostpolitik, mit der KSZE, mit europäischer Integration, mit
dem Abriss des Eisernen Vorhangs, mit der Annäherung
von Ost und West.
Weil das alles so ist, sage ich auch: Jetzt, da an der
Grenze Europas gezündelt wird, müssen sich die Staaten
Europas geschlossen vor dieses Friedenswerk stellen.
Wir dürfen nicht erlauben, dass dieses in Jahrzehnten gewachsene Friedenswerk in wenigen Wochen zerstört
wird. Wir dürfen das nicht zulassen! Dagegen werden
wir uns mit aller Macht stemmen, meine Damen und
Herren.
({2})
Ich glaube, dass dies einer der vielen Gründe ist, weshalb wir seit Beginn des Jahres etwas intensiver als sonst
über die Verantwortung unseres Landes in der Welt reden. Ich habe hier in einer meiner ersten Reden in meiner zweiten Amtsperiode davor gewarnt, die Wahrnehmung von Außenpolitik zu sehr aus der Öffentlichkeit
und der Politik zu verdrängen, und habe gesagt: Wir sind
ein wenig zu groß und ein wenig zu wichtig, um internationale Politik immer nur von der Seitenauslinie zu kommentieren. - Andere erwarten da mehr von uns, mehr als
Schulnoten, die wir von hier aus vergeben, mehr als öffentliches Reden und kraftvolle Statements. Wenn es
nottut und wenn es nicht kontraproduktiv ist, eben auch
Einmischung, mindestens aber Engagement. Ich erinnere
uns alle daran: Nicht nur durch Tun, sondern auch durch
Unterlassen können wir uns schuldig machen, wenn die
Möglichkeit des Handelns besteht.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, genau das ist gemeint. Mit „Verantwortung in
der Außenpolitik“ ist nicht eine Militarisierung der Außenpolitik gemeint. „Verantwortung“ ist kein mehr oder
weniger verschlüsseltes Codewort für Militäreinsätze.
Außenpolitik kann Militäreinsätze als Ultima Ratio nicht
ausschließen, aber sie ist das Gegenteil von militärischer
Eiferei. Sie ist ihrem Wesen nach ausgerichtet auf Verhinderung von gewaltsamen Konflikten, auf Vermeidung
von Sackgassen und Automatismen sowie auf Vermeidung von Eskalationen ohne Exit. Das ist der Weg, für
den die deutsche Außenpolitik weiter stehen will. Für
diesen Weg bin ich mir der Unterstützung dieses Hauses
ganz gewiss. Herzlichen Dank dafür!
({3})
Nun mag der Weg, den ich damit beschreibe, gelegentlich etwas anstrengend und - das kann ich Ihnen
versichern - häufig sogar frustrierend sein. Er verlangt
auch Mut. Es ist sogar riskant, diesen Weg zu gehen,
weil das Risiko des Scheiterns leichter sichtbar wird als
bei lang dauernden militärischen Konflikten. Dennoch:
Aus meiner Sicht bleibt es der einzige Weg, auf dem wir
unserer Verantwortung gerecht werden können.
Schwierig ist der Weg auch deshalb, weil politische
Lösungen, über die ich rede, langsamer reifen als die öffentlichen Erwartungen. Die öffentlichen Erwartungen
- das verstehe ich auch - sind getrieben von Sorgen - zu
Recht. Öffentliche Erwartungen sind getrieben von Bildern. Jede dieser Sorgen, jede Ungeduld im Angesicht
solcher Krisen - ob in der Ukraine, in Syrien oder in
Afrika - kann ich verstehen, und dennoch warne ich vor
der Erwartung einfacher oder sogar ganz schneller Lösungen. Ich sage im Gegenteil - das ist mein Credo,
meine Damen und Herren -: Wo andere kopflos handeln,
da dürfen nicht auch wir noch kopflos sein, sondern
müssen für Vernunft in der Außenpolitik stehen.
({4})
Das ist jedenfalls die Haltung, mit der ich mit meinen
beiden Kollegen aus Polen und Frankreich am 20. Februar nach Kiew gereist bin, im Wissen um die Risiken
- das Ganze kann schiefgehen - und im Wissen um die
Verantwortung, die man dann übernimmt, wenn man
hinfährt.
Ich kann Ihnen versichern: Auch am Ende des Tages,
nach 30 Stunden Verhandlungen, als das Blutvergießen
beendet war, hat sich niemand von uns dreien irgendwelche Illusionen gemacht. Noch vor der Abfahrt aus
Kiew, noch bevor wir überhaupt wussten, dass Herr
Janukowitsch an diesem Tag sein eigenes Land und die
Menschen in der Ukraine im Stich lassen wird, haben
wir gesagt: Das, was erreicht ist, ist allenfalls ein Zwischenschritt, aber nicht die politische Lösung.
Leider erleben wir jeden Tag, wie berechtigt diese Befürchtung war. Wenige Tage später eskalierte die Krise
erneut, auch durch die politisch inakzeptable, verfassungswidrige und völkerrechtswidrige Annexion der
Krim. Ich sage es auch hier noch einmal - ich habe es öffentlich viele Male gesagt -: Wer sieben Jahrzehnte nach
Kriegsende beginnt, bestehende Grenzen in Europa mutwillig zu korrigieren, der verletzt nicht nur Völkerrecht,
sondern öffnet auch die Büchse der Pandora, aus der,
wenn das zum Modell wird, Unfrieden immer wieder
neu entstehen wird.
({5})
Selbst wenn auch wir in Europa nicht jeden Tag alles
richtig machen, meine Damen und Herren: Dafür trägt
Russland die Verantwortung.
({6})
Aber was bedeutet das? Auch wenn wir sagen: „Russland trägt die Verantwortung für die Lage, wie sie jetzt
entstanden ist“, kann uns die weitere Entwicklung in diesem Raum, in der Ukraine und in der Nachbarschaft der
Ukraine, nicht gleichgültig sein. Es ist ein Konflikt in
unserer allernächsten Nachbarschaft. Meine Hoffnung
ist immer noch, dass Russland es am Ende so sieht, dass
weder es selbst noch die Europäische Union ein Interesse daran haben kann - keiner kann ein Interesse daran
haben -, dass in dem Raum zwischen uns die Ukraine
politisch und wirtschaftlich kollabiert.
Das ist der Grund dafür, dass wir gesagt haben: Das
kann uns nicht gleichgültig sein. Wir werden versuchen,
Hilfe zu organisieren: über den IWF, über die Europäische Union. Aber das wird auch bilateral stattfinden
müssen. Es geht dabei doch weiß Gott nicht nur um
Geld.
Was steht in der Ukraine an? Ein Kampf gegen die
Korruption, der für viele von uns Voraussetzung dafür
ist, dass wir überhaupt Geldleistungen tätigen; eine Reform der Verwaltung, die von Grund auf stattfinden
muss; eine Reform des Justizwesens, damit wieder Vertrauen in eine ordentlich arbeitende Justiz geschaffen
werden kann; eine Dezentralisierung, von der man in der
Ukraine nur ganz vage Vorstellungen hat, weil sie dort
nie betrieben worden ist. Überall ist eben nicht nur guter
Rat, sondern tatkräftige Unterstützung gefragt.
Deshalb sind nicht nur einzelne Fachminister in Kiew
und in der Ukraine gewesen. In der vergangenen Woche
waren auch Staatssekretäre aus fünf Bundesministerien
dort, die einen Tag lang abgeglichen haben, wo es Bedarf für jetzt zu leistende Unterstützung und Beratung
gibt. Daraus werden wir ein Programm stricken.
Ich darf mich auch für die Bereitschaft dieses Hohen
Hauses, eine Parlamentarierdelegation in diesen Tagen
in die Ostukraine zu schicken, ganz herzlich bedanken.
Damit machen wir deutlich: Ihr seid nicht vergessen. Das ist ganz besonders wichtig. Deshalb sage ich in Verantwortung für die deutsche Außenpolitik: Herzlichen
Dank für die Initiative und herzlichen Dank an diejenigen, die dorthin reisen!
({7})
Das alles ist notwendig zur Stabilisierung. Aber es
bringt uns den politischen Lösungen nicht näher. Deshalb muss unser Ehrgeiz darüber hinaus greifen. Sie haben gesehen, wie mühevoll es war, die internationale
Staatengemeinschaft davon zu überzeugen, eine Beobachtermission auf den Weg zu bringen. Das ist Gott
sei Dank gelungen. Aber auch das hat uns nur eine
kleine Atempause verschafft; denn die Lage in der Ostukraine - in Donezk, in Luhansk und anderen Städten eskaliert täglich aufs Neue.
Man kann nur froh und dankbar sein, dass bisher keiner die Nerven verloren hat und dass keine Opfer zu verzeichnen sind. Es zeigt uns aber täglich, wie riskant die
Lage ist. Mein Credo ist daher: Es muss uns im nächsten
Schritt gelingen, das zu realisieren, worüber wir seit vielen Wochen öffentlich sprechen, nämlich Russland und
die Ukraine zu einem direkten Gespräch über das, was in
den nächsten Tagen und Wochen zu tun ist, zusammenzuführen, begleitet von der Europäischen Union und den
Vereinigten Staaten. In vielen Tickermeldungen wird bereits berichtet, dass die internationale Kontaktgruppe,
auf die wir Tag für Tag hinarbeiten, vielleicht schon in
der kommenden Woche ihr erstes Vorbereitungstreffen
haben wird und dann ihre Arbeit aufnehmen wird. Das
ist notwendig, und ich hoffe, wir kommen dahin.
({8})
Wir konzentrieren uns auf die Ukraine. Irgendjemand
hat in der Debatte heute Morgen bereits kritisiert, dass
uns dabei aus dem Blick gerät, dass in Syrien weiter gestorben wird. Deshalb muss es uns gelingen, uns in den
nächsten Wochen wieder intensiver um die Bürgerkriegssituation in Syrien und um den Nahost-Friedensprozess zu kümmern. Ich werde noch heute mit dem
amerikanischen Außenminister telefonieren und mit ihm
über den Stand der Gespräche und auch über die Krise
des nahöstlichen Friedensprozesses sprechen. Ich werde
am Wochenende in Hiroshima sein und dort der Ereignisse des Zweiten Weltkrieges und der vielen Opfer und
Toten gedenken. Auf dem Rückweg werde ich in China
über Chinas Verantwortung im Sicherheitsrat diskutieren, insbesondere was angesichts der jetzt anstehenden
Fragen die Haltung Chinas zur Lage in der Ukraine betrifft.
Meine Damen und Herren, all das ist wichtig. Aber
genauso wichtig und in der Gesamtheit unverzichtbar,
obwohl weniger beachtet in der Öffentlichkeit, die Sanktionsdebatten viel aufregender findet, sind eine deutsche
Schule in Athen oder Mexiko, ein Wasserkraftwerk in
Angola, die Polizistenausbildung in Afghanistan, die
Chemiewaffenvernichtung in Syrien, ein deutsch-afrikanisches Rechtsinstitut in Daressalam oder ein deutschrussisches Jahr der Literatur.
Ein abschließendes Wort. Auch die klassische Außenpolitik muss erkennen, dass sich die Konflikte auf der
Welt verändern, dass konfessionelle, religiöse und ethnische Dimensionen in internationalen Konflikten inzwischen eine große Dominanz gefunden haben und dass
wir unseren Blick auf die Welt verändern müssen. Mit
den geostrategischen Ansätzen des 19. und 20. Jahrhunderts werden wir uns Lösungen nicht mehr nähern können.
Henry Kissinger hat gesagt: Außenpolitik ist Perzeption. - Wir müssen versuchen, mit den Köpfen anderer
zu denken. Dazu ist auswärtige Kultur- und Bildungspolitik erforderlich. Dazu gehören beispielsweise der
Austausch, den das Goethe-Institut organisiert, die vielen Studenten, die der DAAD zueinanderbringt, und
viele andere Initiativen.
({9})
Meine Damen und Herren, wir werden das auch benötigen; denn demografisch gesehen sind wir in der Situation, dass unsere Gesellschaft älter wird. Daher brauchen
wir viele junge Leute bei uns. Ich bin ganz gewiss: Es
wird nicht reichen, dass wir an den Botschaften Broschüren der deutschen Hochschulen auslegen. Wir werden in diese Länder hineingehen müssen und werden
über die Vermittlung der deutschen Sprache einen Kontakt zu unserem Land herstellen müssen, um den Ehrgeiz
und das Interesse zu einem frühen Zeitpunkt zu wecken,
nämlich zu Schulbeginn und nicht erst am Ende der Bildungslaufbahn.
Deshalb sage ich Ihnen: Außenpolitik ist in diesem
Bereich der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik
nicht nur jeden Euro wert. Mit Blick auf die nächsten
Jahre sollten wir gemeinsam schauen, wie viel Abstand
wir zu Frankreich, Großbritannien und vielen anderen
Staaten noch aufzuholen haben.
Herzlichen Dank Ihnen allen.
({10})
Vielen Dank, Frank-Walter Steinmeier. - Das Wort
hat Michael Leutert für die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Außenminister, seit Ihrem Amtsantritt und heute wieder sprechen Sie davon, dass die Rolle
Deutschlands in der Welt größer geworden ist und dass
wir uns mehr engagieren müssen. Sie selbst haben Ihre
Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz angesprochen. Der Satz „Deutschland ist zu groß, um Weltpolitik
nur von der Außenlinie zu kommentieren“ ist der am
meisten zitierte Satz. Ich glaube allerdings, dass der
nächste Satz, den Sie dort sagten, wesentlich wichtiger
ist, zumindest für die heutige Beratung:
Entscheidend ist aber vor allem anderen, dass wir
gemeinsam mit anderen intensiver und kreativer darüber nachdenken, wie wir den Instrumentenkasten
der Diplomatie ausstatten und für kluge Initiativen
nutzbar machen.
Nun ist die Stunde der Wahrheit gekommen. Wir haben die Stunde der Haushaltsberatungen. Ich frage Sie:
Wie viel Geld sind Sie denn bereit zu geben für die kreativeren Ideen, die klugen Initiativen oder die Ausstattung
des diplomatischen Instrumentenkastens?
({0})
Sie haben einen Haushaltsentwurf vorgelegt, der eine
Antwort darauf gibt, die Sie kennen, Herr Außenminister: Sie geben nichts dafür. Sie geben nicht mehr, sondern Sie nehmen. Noch immer bewegt sich der Anteil
des Haushalts des Auswärtigen Amts am Gesamthaushalt bei ungefähr 1 Prozent. Das war schon vor zehn Jahren so, daran hat sich nichts geändert.
({1})
- Vorher waren es 0,9 Prozent. Wir sind bei ungefähr
1 Prozent.
Dass es aber auch anders geht, kann man sehen, wenn
man sich zum Beispiel den Bereich Bildung und Forschung anschaut. Alle Fraktionen waren sich vor Jahren
einig, dass in diesem Bereich mehr getan werden muss.
Aus diesem Grund ist der Etat im Bereich Bildung und
Forschung von 8 auf mittlerweile fast 14 Milliarden
Euro, das sind 6 Milliarden Euro mehr, angewachsen.
Das heißt, wenn der politische Wille da ist, kann man etwas tun.
Im Bereich der zivilen Außenpolitik allerdings, wo
die Aufgaben nicht kleiner sind - Sie haben es angesprochen: Syrien, Ukraine, die arabischen Länder oder die
vielen Brennpunkte in Afrika, derzeit Mali und die Zentralafrikanische Republik -, wo die Aufgaben also unermesslich groß sind, sind wir gerade einmal bereit,
3,5 Milliarden Euro auszugeben. In den wichtigsten Bereichen, die in den 3,5 Milliarden Euro versteckt sind,
kürzen Sie auch noch: zum Beispiel im Bereich Abrüstung und Rüstungskontrolle 2 Millionen Euro weniger,
im Bereich Krisenprävention, Friedenserhaltung und
Konfliktbewältigung ebenfalls 2 Millionen Euro weniger und für die Afrika-Initiative - Afrika wird bei uns in
der Politik zurzeit ganz großgeschrieben - 1 Million
Euro weniger.
Das, liebe Genossen - ({2})
- Das war ein Freud’scher Versprecher. Ich freue mich,
dass sich so viele angesprochen fühlen. - Das, liebe Kolleginnen und Kollegen
({3})
- Sie sind gerne eingeladen -, ist exakt der falsche Weg.
Wir brauchen mehr Geld in der zivilen Außenpolitik.
Herr Steinmeier, haben Sie Mut! Die Linke unterstützt
Sie dabei.
({4})
Ich habe soeben die Afrika-Initiative angesprochen.
Es wurde groß ein neues, umfassendes Afrika-Konzept
angekündigt, zusammen mit dem Entwicklungshilfeministerium und dem Verteidigungsministerium. In der öffentlichen Wahrnehmung hat derzeit allerdings Frau von
der Leyen die Federführung. Von aktuell 15 Auslandsmandaten werden 8 in Afrika wahrgenommen. Damit,
liebe Kolleginnen und Kollegen, geht die Glaubwürdigkeit der Außenpolitik verloren. Ich kann es niemandem
übel nehmen, wenn er denkt, es gehe Deutschland nur
um mehr militärische Präsenz im Ausland. Wir befinden
uns bei der Gewichtung von militärischem und zivilem
Engagement im Ausland gerade in einer Schieflage, die
wir als Linke so nicht hinnehmen werden.
({5})
Sie macht es auch für Sie schwierig, liebe Kollegen von
der Koalition, der Öffentlichkeit einen Einsatz zu erklären, der einmal etwas sinnvoller ist.
Schauen Sie bitte nach Mali: Dort haben wir in den
letzten Jahren 225 Millionen Euro in die Entwicklungshilfe investiert. Für den Bundeswehreinsatz werden jetzt
100 Millionen Euro ausgegeben. Wir müssen uns doch
fragen, was dort schiefgelaufen ist: Wurde zu wenig
Geld eingesetzt? Wurde das Geld in Mali falsch eingesetzt? Was sind die Gründe dafür, dass islamistische
Fundamentalisten dort die Oberhand gewinnen konnten?
Ich bin fest davon überzeugt, dass Extremisten - egal
ob es islamisch-fundamentalistische Extremisten wie in
Mali oder faschistische Gruppen wie in der Ukraine sind überall dort, wo soziale Schieflagen existieren, wo Armut um sich greift, ein leichtes Spiel haben. Aus diesem
Grund, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es dringend
notwendig, in der Außenpolitik präventiv aktiv zu werden. Es ist notwendig, im internationalen Bereich zivile
Maßnahmen, Maßnahmen, die Armut beseitigen und
Demokratie und Sicherheit stärken, nachhaltig zu ergreifen. Das sind im Übrigen die besten Garanten dafür, dass
die Bundeswehr nicht eingesetzt werden muss.
({6})
Das ist langfristige Friedenspolitik. Insofern ist es zwingend erforderlich, dass die Mittel für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Friedenserhaltung erhöht werden. Sie
hätten für diese Maßnahmen die volle Unterstützung der
Linken.
Danke.
({7})
Danke, Herr Kollege. - Nächster Redner ist
Dr. Andreas Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Lage in der Ukraine und die Beziehungen zu Russland sind heute ein wesentlicher Schwerpunkt dieser Debatte, und das ist auch richtig. Denn durch die völkerrechtswidrige russische Annexion der Krim ist die Lage
in Europa grundlegend verändert worden. Europa ist unsicherer geworden. Unsere Nachbarn im Osten, insbesondere die baltischen Staaten, aber auch die Polen, fühlen sich existenziell bedroht. Nicht zuletzt befinden wir
uns mit Russland in einem geostrategischen und systemischen Wettbewerb um die Ukraine. Das hat erhebliche
Auswirkungen auf unsere Außen-, Sicherheits- und Europapolitik.
Mit der Unterschrift unter dem Assoziierungsabkommen hat die Europäische Union diesen Wettbewerb an2362
genommen - nicht mit militärischen Drohungen, Erpressung oder Landraub, sondern mit den Mitteln der Soft
Power und des Völkerrechts. Das sind die Mittel des
21. Jahrhunderts, auch wenn sich der Weg damit schwieriger gestaltet. Dieser Wettbewerb wird auch erhebliche
finanzielle Auswirkungen haben; das müssen wir klar
sagen. Wir müssen die Zusammenarbeit zwischen der
EU und der Ukraine zu einer Erfolgsgeschichte machen.
Denn es geht nicht nur um die Ukraine; es geht um Frieden, Sicherheit und die Stärke des Rechts in ganz Europa.
Zum Zweiten erfordert das eine Überprüfung der bisherigen EU-Russland-Politik. Landraub und Völkerrechtsbruch sind keine Kavaliersdelikte. Russland hat
Vertrauen zerstört.
({0})
Natürlich muss weiterhin mit Russland gesprochen und
verhandelt werden, mit dem Ziel, diese schwierige Lage
zu entspannen. Aber eine strategische Partnerschaft, eine
Modernisierungspartnerschaft und eine G 8 sind nicht
möglich, solange nicht von Russland mit konkreten
Maßnahmen eine neue Grundlage dafür geschaffen wird.
Zum Dritten erfordern Russlands Politik des Rechts
des Stärkeren und sein militärisches Drohen auch für unsere NATO-Politik Konsequenzen. Abschreckung und
Détente - das glaubten wir in Europa bereits überwunden
zu haben. Leider ist dies jetzt wieder aktuell geworden.
Doch ich bin überzeugt, dass wir diese Herausforderungen erfolgreich bewältigen werden: durch Geschlossenheit der EU und im Bündnis, durch Festigkeit in unseren
Werten und Prinzipien und durch den politischen Willen,
unsere Zusammenarbeit mit der Ukraine zu einer Erfolgsgeschichte zu machen.
Die EU hat die politische Kraft und die wirtschaftliche Stärke, diese Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen. Sie hat mit ihren westlichen Partnern dafür die
erforderlichen Finanzmittel und das politische und wirtschaftliche Know-how. Deshalb war die schnelle Finanzhilfe von EU und IWF an die Ukraine als erster
Schritt so wichtig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir erfolgreich sein wollen, dann müssen wir die Lage nüchtern
und vor allem realistisch analysieren. Wir müssen uns
vor Fehleinschätzungen hüten.
Ich möchte drei Beispiele nennen, wo ich Gefahren
sehe:
Erstes Beispiel. Es wird gesagt, wir sollten unsere östlichen Nachbarn nicht in eine Entweder-oder-Situation
drängen.
({1})
- Nein. - Das ist eine sehr problematische Aussage. Das
haben wir, das hat die EU nie getan, und dann sollten wir
das auch nicht so formulieren. Es war doch ausschließlich Russland, das die Ukraine vor eine solche Entscheidung stellte und immer noch stellt, beispielsweise im
Herbst letzten Jahres, als Russland durch Einfuhrverbote
und mit der Androhung von Gaspreisanhebungen eine
Unterschrift unter das Assoziierungsabkommen verhinderte. Es ist ausschließlich Russland, das heute mit militärischen Drohungen an der Grenze, mit Gaspreisanhebungen um 80 Prozent und mit Destabilisierungsversuchen
insbesondere im Osten des Landes die Ukraine von einer
engeren Anbindung an die EU abzuhalten versucht.
Mein zweites Beispiel. Es wird gesagt: Weder die
Östliche Partnerschaft der EU noch die Abkommen, die
die EU mit ihren Partnern schließt, sind gegen Russland
gerichtet. Ja, das ist richtig - aus westlicher Sicht, aus
unserer Sicht. Deswegen war es ein Fehler, dass die EU
nicht Moskaus berechtigte wirtschaftliche Interessen im
Osten der Ukraine im Vorfeld der Unterzeichnung des
Assoziierungsabkommens berücksichtigt hat.
({2})
Das muss nachgebessert werden.
Genauso richtig ist aber auch, dass Moskau nicht verstehen will, dass die Politik der Östlichen Partnerschaft
nicht gegen Russland gerichtet ist. Wer den Russen genau zugehört hat, konnte seit Jahren wissen, dass Moskau ein Problem damit haben würde, wenn die Ukraine
eines Tages mit dem Assoziierungsabkommen eine enge
Anbindung an die EU eingehen würde.
Die Zollunion und die Eurasische Union waren Instrumente, um das zu verhindern. Diese Instrumente haben sich als untauglich erwiesen, weil sie gleichermaßen
geprägt sind von politischer Hegemonie und mangelnder
wirtschaftlicher Attraktivität. Das wollen die Ukraine
und andere östliche Partner nicht.
Es wäre gut, wenn wir uns ganz klar darauf einstellten, dass Russland alles tun wird, um eine engere Anbindung der Ukraine und beispielsweise auch Moldaus an
die EU zu verhindern; denn in seinem Nullsummendenken betrachtet Moskau dies als Machtverlust und nicht
als Chance, mit stabilen, demokratischen, rechtsstaatlichen und wirtschaftlich modernen Nachbarn zusammenzuarbeiten und davon zu profitieren. Nein, im Gegenteil:
Solche stabilen und demokratischen Nachbarn werden in
Moskau als Bedrohung gesehen, weil sie das eigene autokratische System und die Eliten-Kleptokratie infrage
stellen.
({3})
Denn nichts wird die Politik in Moskau mehr unter Reformdruck setzen als ein Erfolg der Modernisierungspolitik in der Nachbarschaft, und das will Moskau nicht.
Das ist der Grund, warum wir endlich verstehen müssen, dass es sich hierbei nicht nur um einen geostrategischen Wettbewerb handelt, sondern auch um einen systemischen Konflikt. Wir sind für die Menschen, übrigens
nicht nur in der Ukraine, schlichtweg attraktiver.
Genau in diesem Kontext steht mein drittes Beispiel.
Es wird gesagt, in einer Kontaktgruppe solle auch darüber gesprochen werden, wer welchen Beitrag zur Stabilisierung der Ukraine leisten kann; denn schließlich
habe Russland kein Interesse an einem kollabierenden
Staatswesen in seiner Nachbarschaft. Zumindest im Augenblick ist das westliches Wunschdenken. Das entspricht überhaupt nicht dem Nullsummendenken MosDr. Andreas Schockenhoff
kaus. Ein Interesse an der Zusammenarbeit mit der
Ukraine kann man Moskau zwar durchaus unterstellen
- es hat das Interesse, dass die Zusammenarbeit mit den
Wirtschaftspartnern in der Ostukraine funktioniert; das
ist ja auch legitim -, aber warum sollte Russland sich ansonsten an einer Stabilisierung der Ukraine beteiligen,
wenn es ihre engere Anbindung an die EU verhindern
will und russische Vorherrschaft anstrebt? Die Gaspreiserhöhungen und das Drängen auf eine Föderalisierung
der Ukraine - in Wahrheit geht es hierbei um die staatliche Zerschlagung der Ukraine -, sind das nicht Maßnahmen, um in seiner Nachbarschaft genau das Kollabieren
des Staatswesens herbeizuführen, an dem es angeblich
kein Interesse hat?
Deshalb müssen wir uns darauf einstellen, dass Moskau vorerst keinen Beitrag zur Stabilisierung leisten,
sondern weiterhin alles tun wird, um die Wiederaufbaubemühungen von EU und IWF zu stören. Es wird
versuchen, die mit dem langen und belastenden Transformationsprozess einhergehende Unzufriedenheit der
Bevölkerung auszunutzen, um gegen die Regierung in
Kiew Widerstand zu schüren und den EU-Partner zu destabilisieren. Wir sehen das jeden Abend im Fernsehen.
Russland wird versuchen, das Land zu spalten. Donezk
und Charkiw sind wiederholt Beispiele dafür. Auf diese
Realität müssen wir uns erst einmal einstellen. Wenn
sich Moskau irgendwann doch anders verhalten sollte,
wäre das umso besser. Wir sind froh, wenn das sobald
wie möglich geschieht.
Was bedeutet das jetzt für unsere Beziehungen zu
Russland insgesamt? Ich sage ganz deutlich: Die Europäische Union und die NATO haben nach wie vor ein
strategisches Interesse an einer engen Zusammenarbeit
mit einem starken, politisch und wirtschaftlich modernen, rechtsstaatlich-demokratisch verfassten und auch so
handelnden Russland. Eine stabile und prosperierende
Entwicklung Europas wird am besten mit Russland zu
erreichen sein. Dieser Grundsatz ist nach wie vor richtig,
und er muss der langfristige Leitgedanke unserer Russland-Politik bleiben. Wir stehen zur kooperativen Sicherheit mit Russland; aber das setzt die Einhaltung von
Spielregeln und Verträgen voraus. Mit der Annexion der
Krim ist jetzt eine völlig andere Lage geschaffen worden. Dem müssen wir durch eine Überprüfung unserer
Russland-Politik Rechnung tragen. Das Wichtigste ist
Geschlossenheit; denn insbesondere die EU muss davon
ausgehen, dass Russland, wie schon in der Vergangenheit, versuchen wird, sie zu spalten.
Die künftige Zusammenarbeit mit Russland sollte
deshalb von drei Kernfragen geprägt sein:
Erstens. Wie machen wir uns unabhängiger von Russland? Das wird insbesondere für eine neue Betrachtung
der gesamten EU-Energiepolitik gelten, um die zum Teil
sehr hohe Abhängigkeit einiger Staaten von russischem
Öl und Gas zu verringern.
Zweitens. Was wollen wir von Russland? Russland
muss alles tun, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Es muss als Erstes sein militärisches Drohpotenzial
zurückziehen. Die russische Regierung muss dann überzeugend darlegen, dass sie ein echtes Interesse an erneuerten, breit angelegten und nicht wie in der letzten Zeit
selektiven EU-Russland-Beziehungen hat. Dazu gehört,
dass auch Russland die berechtigten Interessen der gemeinsamen Nachbarn berücksichtigt, auf hegemoniale
Konzepte verzichtet und mit diesen Nachbarn auf der
Grundlage der Gleichberechtigung zusammenarbeitet.
Drittens. Was wollen wir mit Russland? Klar ist:
Russland braucht die Europäische Union mehr als umgekehrt. Deshalb sollten wir uns nicht ständig fragen, was
wir Russland anbieten können, damit es zur Zusammenarbeit zurückkehrt. Es ist Russland, das jetzt am Zug ist.
So hat es Außenminister Steinmeier kürzlich formuliert.
Beispiel Modernisierungspartnerschaft: Es kann künftig nur um eine echte Modernisierungspartnerschaft gehen. Das heißt, solange die russische Regierung darunter
auch weiterhin nur die Lieferung von westlichem Knowhow und Investitionen versteht, nicht aber auch die
Modernisierung der Gesellschaft, Rechtsstaatlichkeit,
weniger Korruption und mehr Partizipation, gibt es für
eine Erneuerung der Modernisierungspartnerschaft keine
Grundlage.
Beispiel Wiederaufnahme der Visagespräche: Ja, wir
wollen, dass die sogenannten normalen Russen, die jungen Menschen, die Mittelständler oder die Vertreter der
Zivilgesellschaft in den Genuss von Visaerleichterungen
kommen, aber wir wollen keine Bevorzugung von
Dienstpassinhabern.
({4})
Es ist nicht akzeptabel, dass die sowieso schon Privilegierten des Systems auch noch Visaprivilegien bekommen.
Jetzt wird von manchem in der EU der russische Vorschlag einer gemeinsamen Freihandelszone von Wladiwostok bis Lissabon ins Spiel gebracht. Ja, das ist ein
sinnvolles Zukunftsprojekt, aber auch hier gilt, was ich
eben sagte: Russland muss die Souveränität seiner Nachbarn respektieren. Das ist derzeit weder bei der Ukraine
noch bei der Republik Moldau noch bei Georgien der
Fall.
Noch ein Wort zur NATO-Russland-Zusammenarbeit.
Russland hat die NATO-Russland-Grundakte in vielen
Punkten verletzt. Aber das ist kein Grund, dass auch die
NATO dieses Abkommen verletzt. Deshalb war es richtig, die konkrete militärische Zusammenarbeit einzustellen, aber den NATO-Russland-Rat als Gesprächsforum
zu erhalten, um zu einer kooperativen Zusammenarbeit
zurückkehren zu können. Es ist auch richtig, dass sich
Deutschland am Air Policing für die baltischen Staaten
aktiv beteiligt. Ich halte es zudem für erforderlich, dass
die NATO dem Bedrohungsgefühl unserer polnischen
Nachbarn durch temporäre Stationierungen Rechnung
trägt, beispielsweise durch das Vorziehen bereits geplanter Manöver, aber nicht durch permanente militärische
Stationierungen.
Was schließlich die Diskussion über die Frage einer
NATO-Mitgliedschaft der Ukraine betrifft, so muss ich
sagen, dass sich diese Frage aus den bekannten Gründen
in absehbarer Zeit nicht stellt. Doch wir sollten nicht
Moskau zu Recht die Missachtung der Souveränität der
Ukraine vorwerfen und selbst gleichzeitig ihre Souveränität in der freien Wahl des Bündnisses infrage stellen,
indem wir sagen, die Ukraine könne kein NATO-Mitglied werden. Das widerspricht übrigens klar der Beschlusslage der NATO. Aber wie gesagt: Diese Frage
stellt sich in absehbarer Zeit nicht.
Der SPD-Vorsitzende Gabriel hat Ende März in einer
großen deutschen Tageszeitung dazu aufgerufen, für die
Solidarität mit der Ukraine auch wirtschaftliche Nachteile in Kauf zu nehmen. Besonders die Europäer müssten beweisen, so Gabriel, dass es ihnen um mehr gehe
als eine rein ökonomische Zweckgemeinschaft. Dazu
gehöre - ich zitiere -:
Den Demokraten in der Ukraine wirtschaftlich und
politisch zu helfen, in den Aufbau dieses Landes
nachhaltig und langfristig zu investieren und im
Zweifel auch bereit zu sein, auf wirtschaftliche Vorteile in den Außenbeziehungen zu Russland so
lange zu verzichten, bis Konflikte auf dem Kontinent wieder am Verhandlungstisch gelöst werden
und die Sicherheit aller europäischer Nachbarstaaten gewährleistet ist …
Ende des Zitats.
Und, Herr Kollege, Ende Ihrer Redezeit schon seit geraumer Zeit.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich denke, wir sollten uns von dieser realistischen und zugleich werteorientierten Außenpolitik leiten lassen. Dann werden wir Erfolg haben.
Danke.
({0})
Danke, Herr Kollege. - Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Frithjof Schmidt für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Außenminister, durch die dramatischen Entwicklungen in der Ukraine und das völkerrechtswidrige Vorgehen Russlands sind Sie ins Zentrum des europäischen
Krisenmanagements gerückt. Ich will ganz klar sagen:
Wir Grüne finden, dass Sie das gut gemacht haben. Mein
Respekt für Ihren persönlichen Einsatz!
({0})
Es war gut, das Weimarer Dreieck aus Frankreich,
Polen und Deutschland als Handlungsebene zu nehmen.
Es gibt einen Punkt, an dem wir uns ein entschlosseneres
europäisches Vorgehen wünschen. Das ist der Stopp aller
Waffenexporte nach Russland. Das darf nicht weitergehen.
({1})
Ansonsten begrüßen wir, dass der Dreistufenplan der
Europäischen Union bisher mit dem nötigen Augenmaß
umgesetzt wurde. Wir unterstützen Sie insbesondere
dann, wenn Sie sich in der NATO für die dringend nötige
Zurückhaltung in dieser Situation einsetzen. Das kann
man leider nicht von allen Mitgliedern der Bundesregierung behaupten. Die Ansagen der Europäischen Union
sind klar und notwendig. Aber Säbelrasseln durch Spekulationen über Truppenverlegungen und maßlose historische Vergleiche - ich denke dabei an Frau von der
Leyen und an Herrn Schäuble - sind in dieser gefährlichen Lage völlig verfehlt.
({2})
Jetzt ist wohl allen klar, dass wir eine Grundsatzdebatte über die Beziehung zu Russland brauchen. Die
bisherige Strategie einer strategischen Modernisierungspartnerschaft ist gänzlich gescheitert. Putin betreibt
schon lange eine repressive und modernisierungsfeindliche Innenpolitik. Nun kommt noch die hegemoniale
Aggression gegen die Ukraine hinzu. Europa braucht
friedliche Partnerschaften mit Russland; das ist keine
Frage. Daran müssen wir arbeiten. Es braucht aber keine
Kumpanei mit einem autoritären Regime; das muss auch
klar sein.
({3})
Ich möchte ein Wort an die Linken richten. Gregor
Gysi hat uns wegen unserer Kritik an Putin vorgeworfen,
wir seien russenfeindlich.
({4})
Ich sage Ihnen dazu: Wir unterstützen und bewundern
das demokratische Russland von Pussy Riot. Sie dagegen beschönigen die nationalistische, autoritäre Herrschaft von Putin. Das ist der Unterschied zwischen uns.
({5})
Wir sorgen uns um die Bürgerrechtler von MEMORIAL
und nicht um die Staatskapitalisten von Gazprom.
({6})
Das ist die Aufgabe einer demokratischen Linken in
Europa. Aber das verstehen Sie einfach nicht.
Zurück zur Regierung. Herr Außenminister, in anderen wichtigen Bereichen der Außenpolitik haben wir
deutlich Kritik zu üben. Ich beginne mit dem EU-AfrikaGipfel der letzten Woche. Hier haben Sie leider eine falsche Politik fortgeführt. Seit 2007 belastet der Konflikt
um die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen die Beziehungen zu den afrikanischen Staaten sehr. Es ist völlig
unverständlich, dass von den afrikanischen Ländern weiDr. Frithjof Schmidt
terhin eine Marktöffnung von 75 oder 80 Prozent gefordert wird, die dort ganze Wirtschaftszweige gefährden
würde. Das schadet den Zielen unserer eigenen Entwicklungspolitik und unserer eigenen Außenpolitik. Das darf
die Bundesregierung nicht weiter mitmachen.
({7})
Die Drohung von Anfang Oktober, den europäischen
Markt für die Produkte aller afrikanischen Länder, die
solche Abkommen bis dahin nicht unterzeichnen, dichtzumachen, ist eine unwürdige Erpressung. Das muss
vom Tisch. Das ist doch keine partnerschaftliche Außenpolitik auf Augenhöhe mit Afrika. Das ist auch eine Angelegenheit des Außenministers.
({8})
Wir beraten heute den Haushalt. Deutschland hat Finanzierungszusagen für das Erreichen der Millenniumsziele und der internationalen Klimaschutzziele gegeben.
Das ist eine zentrale außenpolitische Frage in Bezug auf
Deutschlands Rolle in den Vereinten Nationen. Halten
wir diese Zusagen ein oder nicht? Haben wir wenigstens
einen Plan zum Erreichen des 0,7-Prozent-Ziels bei den
Mitteln für Entwicklungshilfe? Die Kanzlerin hat das
immer wieder versprochen. In den Haushaltsplänen ist
davon nichts, aber auch gar nichts zu erkennen. Das ist
außenpolitisches Versagen, weil es hier um unsere globale Verantwortung geht.
({9})
Meine Damen und Herren von der Koalition, auch in
Bezug auf das transatlantische Verhältnis kritisieren wir
Ihre Politik. Bei den Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen eiern Sie, was die zentralen Konflikte angeht,
immer noch herum. Im Abkommen sollen sogenannte außergerichtliche Schiedsgerichtsverfahren zwischen Investoren und Staaten verankert werden. Amerikanische
Unternehmen könnten dann die Europäische Union oder
ihre Mitgliedstaaten in Milliardenhöhe verklagen, wenn
sie ihre Gewinnchancen durch neue ordnungspolitische
Vorschriften gefährdet sähen. Das wäre der GAU für unsere europäischen Umwelt- und Sozialstandards. SPDMinister äußern sich kritisch. In der Union ist man dafür
und in Bayern dagegen. Was will die Bundesregierung
denn nun? Es muss doch eine klare Ansage geben. Hier
müssen Sie handeln.
Das ist nur die Spitze des handelspolitischen Eisbergs. Unter der Überschrift der regulatorischen
Kooperation wird offensichtlich über eine Art Handelsverträglichkeitsprüfung für alle europäischen Gesetzgebungsprozesse verhandelt. Höhere, neue Standards
wären dann in Europa automatisch nur noch im Einvernehmen mit den USA erreichbar. Das wäre die Unterordnung unserer Demokratie unter Wirtschaftsinteressen.
So dürfen die transatlantischen Beziehungen nicht gestaltet werden. Das ist eine Schlüsselfrage unserer Außenpolitik. Das kann man nicht ans Wirtschaftsministerium delegieren.
({10})
Setzen Sie sich für einen Stopp der TTIP-Verhandlungen
ein und für einen Neustart mit einer reduzierten Agenda
nach der Wahl der neuen EU-Kommission! Das wäre
eine wichtige europapolitische Initiative, die Sie ergreifen sollten.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({11})
Vielen Dank, lieber Kollege Schmidt. - Der nächste
Redner ist für die SPD Niels Annen.
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Eines steht wohl außer Frage: Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land diskutieren über Außenpolitik wie schon lange nicht mehr. Sie machen sich Sorgen, dass die stabile politische Nachkriegsordnung durch
die jüngsten Ereignisse infrage gestellt wird. Sie registrieren auch, dass es nicht immer einfach ist, Antworten
zu geben; dass wir um die richtigen Antworten hart ringen müssen, bevor wir zu Entscheidungen kommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Außenminister, aber auch die Bundeskanzlerin haben in den vergangenen Wochen, seit dem Ausbruch der Krise in der
Ukraine, in enger Abstimmung alles erdenklich Mögliche für eine diplomatische Lösung des Konflikts um die
Ukraine getan. Frank-Walter Steinmeier hat recht, wenn
er sagt: Man darf Staaten, auch die Ukraine, nicht vor
eine Entweder-oder-Entscheidung stellen. - Selbstverständlich ist die Ukraine, sind Georgien und die Republik Moldau eingeladen, in enger Kooperation mit der
EU zu arbeiten - wir wollen das auch -; aber das darf
doch nicht bedeuten, dass sich mit der Entscheidung für
eine Assoziierung mit der EU eine Entscheidung gegen
die Zusammenarbeit mit Russland verbindet. Eine Jaoder-Nein-Entscheidung ist doch auch deswegen unrealistisch, weil diese Länder Nachbarn Russlands bleiben
werden, und in der Nachbarschaft ist man gut beraten,
miteinander auszukommen.
({0})
Dieser Hinweis geht natürlich - auch im Anblick der
jüngsten Entwicklungen - vor allem in Richtung Moskau; denn ich habe schon meine Zweifel, ob das in Russland richtig verstanden worden ist. Gleichzeitig gilt
auch: Nicht jeder Debattenbeitrag der letzten Tage und
Wochen aus der EU oder der NATO war hilfreich. Kraftmeierei und Planspiele zur schnellen Ausdehnung und
Aufrüstung der NATO, wie wir sie regelmäßig vom
Noch-Generalsekretär Rasmussen zur Kenntnis nehmen
mussten,
({1})
all das ersetzt nicht den mühsamen Weg: das Ringen um
eine vernünftige, nachhaltige politische Lösung, im Gegenteil. Herr Kollege Schockenhoff, Sie haben von einem geostrategischen Wettbewerb gesprochen. Wenn
wir die Antwort in der gleichen Kategorie geben, in der
Herr Putin denkt, dann haben wir doch schon verloren,
({2})
weil wir den Charakter des europäischen Projektes und
die Grundlage für unseren kooperativen Ansatz damit
selber zur Disposition stellen. Das, liebe Kolleginnen
und Kollegen, kann nicht der richtige Weg sein.
({3})
Richtig ist: Russland scheint zurzeit vor Kraft kaum
laufen zu können - dabei schrumpft die Wirtschaft, Kapital wird abgezogen, die Modernisierung Russlands
stockt. Gerade deswegen setzen wir weiter auf Kooperation und Gespräche, unter anderem über eine Kontaktgruppe, die der Außenminister vorgeschlagen hat. Ankündigungen allein - dies haben wir in den letzten Tagen
häufig gehört - werden nicht ausreichen. Dass diese Ankündigungen nicht umgesetzt worden sind, hat dazu beigetragen, dass Vertrauen verlorengegangen ist. Es ist
gut, dass die Minister miteinander reden; aber wir müssen jetzt Taten sehen, und die Haltung Moskaus - auch
gegenüber den jüngsten Entwicklungen im Osten der
Ukraine - lässt doch daran zweifeln.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist auch
hier im Hause häufig nach dem Charakter der Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik gefragt worden,
und wir haben hier auch die eine oder andere polemische
Debatte dazu geführt. Ein Blick auf die letzten Wochen
zeigt: Es ist eine Politik, die auf Dialog und auf die
Überzeugungskraft der eigenen Argumente setzt und die
gesamte Bandbreite der außenpolitischen Instrumente
nutzt, eine Politik, die sich nicht der Verantwortung entzieht und die sich auch nicht hinter Floskeln versteckt.
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Der Vorwurf einer Militarisierung der Außenpolitik erweist sich
als das, was er stets war: eine Karikatur.
Ich möchte das anhand von zwei Beispielen noch einmal ins Gedächtnis rufen:
Erstens. Die neue Bundesregierung hat ihre Politik in
der Frage der Vernichtung syrischer Chemiewaffen geändert. Wir werden in diesem Haus ja darüber entscheiden. Das ist ein konkreter Beitrag zur Stärkung der internationalen Strukturen und zur Abrüstung und ein Teil
der neuen deutschen Außenpolitik.
Zweitens. Dasselbe gilt auch für die Debatte, die wir
hier über Afrika geführt haben. Ich finde, das war eine
sehr angemessene Debatte zur Lage in Ruanda. Wir stellen uns der Verantwortung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, ich
hatte in der Debatte um Zentralafrika angesichts der dramatischen Situation, offen gesagt, eher die Frage erwartet: Tut die Bundesregierung eigentlich genug? Sie haben von „Beihilfe zum Krieg“ gesprochen. Ich glaube,
das zeigt, in welche Richtung diese Debatte geht. Das ist
nicht angemessen.
({4})
Ich finde, der Haushalt entwickelt sich positiv. Insbesondere im Bereich der Krisenprävention kann es aber
sicherlich auch noch besser werden, und wir werden das
in die Beratungen hier auch mit einbringen. Ich finde es
aber wichtig, dass die zentralen Bereiche der deutschen
Außenpolitik durch den hier vorliegenden Etatansatz,
aber vor allem durch das Regierungshandeln gestärkt
worden sind.
Einer der Vorgänger von Frank-Walter Steinmeier im
Amt des Außenministers hat in großer Klarheit ausgesprochen, was in unserer Geschichte leider nicht immer
selbstverständlich war:
Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn werden im
Innern und nach außen.
Diese von Willy Brandt ausgegebene Richtschnur prägt
weiterhin unsere Außenpolitik.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege Annen. - Das Wort hat
Stefan Liebich für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Lieber Herr Annen, Sie haben gestern offenbar nicht zugehört. Die Frage, die Sie hier vermisst haben, hat der
Kollege Movassat gestellt. Er hat gefragt: Warum tut die
Bundesregierung nicht mehr in Zentralafrika? Der Unterschied ist, dass er nicht nach mehr Soldaten gefragt
hat, sondern nach mehr humanitärer Hilfe. Die Frage ist
hier aber ganz klar gestellt worden, und die werden wir
auch weiter stellen.
({0})
Es ist vom Außenminister angesprochen worden, dass
wir uns auch in dieser Debatte und insbesondere in den
nächsten Wochen und Monaten auch mit Syrien befassen
sollen. Ich will das hier in meinem kurzen Beitrag tun.
In dem schrecklichen Bürgerkrieg in Syrien, der von
allen Seiten mit unglaublicher Brutalität geführt wird,
sind inzwischen 140 000 Menschen ums Leben gekommen. Nachdem in diesem Krieg auch noch Massenvernichtungswaffen eingesetzt wurden, hat der UNSicherheitsrat klugerweise entschieden, dass diese Massenvernichtungswaffen außer Landes gebracht und vernichtet werden sollen. Dass sich die Bundesregierung
daran beteiligt, dass sie diesen Einsatz schützt und dass
diese Reststoffe hier in Munster vernichtet werden, finde
ich eine richtige Entscheidung.
({1})
Ich finde es gut, dass sich unser Land an der Zerstörung
von Waffen beteiligt. Das ist das Zweitbeste, was
Deutschland tun kann. Das Beste wäre es, Waffen gar
nicht erst zu exportieren.
({2})
Es ist kein Geheimnis, dass es dazu bei uns in der
Fraktion eine Kontroverse gibt, und manch einer wundert sich darüber. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich bin
gerne in einer Fraktion, die sich schwer damit tut, Soldaten ins Ausland zu schicken, und deshalb führe ich die
Debatte auch sehr gerne.
({3})
Ich möchte darüber hinaus das Thema Flüchtlinge ansprechen - Frau Göring-Eckardt hat das heute in ihrer
Rede auch schon getan -: Obwohl die Chemiewaffen außer Landes gebracht und vernichtet werden sollen, geht
der Krieg in unverminderter Härte weiter. Mittlerweile
sind 2,5 Millionen Syrerinnen und Syrer aus dem Land
geflohen, und über 5 Millionen Syrerinnen und Syrer
sind in Syrien auf der Flucht.
({4})
Jordanien, ein Land mit 6 Millionen Einwohnerinnen
und Einwohnern, hat jetzt den einmillionsten Flüchtling
aufgenommen. Deshalb müssen wir schon die Frage
stellen: Was machen wir eigentlich? Unser Land mit einer so großen Wirtschaftskraft und 80 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern kann mehr tun und muss
auch mehr tun.
({5})
Es wird hier - das finde ich sehr gut - über Fraktionsgrenzen hinweg daran gearbeitet, dass der Bundestag
endlich auch ein Zeichen in diese Richtung setzt. Wir
möchten daran gerne mitwirken. Offene Grenzen für
Menschen in Not - das ist unser Ziel.
({6})
Weiter zum Thema Flüchtlinge: Die Welt am Sonntag
hat am letzten Wochenende berichtet, dass syrische
Flüchtlinge einen Termin in der Beiruter Botschaft mit
bis zu 2 000 Dollar erkaufen müssen. Schuld daran sei
ein Computerprogramm in der Botschaft, das übrigens
- das habe ich heute vom Auswärtigen Amt erfahren weltweit in über 100 Botschaften der Bundesrepublik
Deutschland eingesetzt wird. Es ist angreifbar, und Kriminelle machen sich diese Angreifbarkeit zunutze. Damit wird dann Geld verdient. Kriminelle verdienen damit Geld, dass sie Menschen - das Auswärtige Amt hat
das bestätigt -, die um ihr Leben fliehen, zusätzlich ausbeuten. Außerdem wird die Zahl derer, die fliehen können und wollen, auf diejenigen begrenzt, die dieses Geld
zur Verfügung haben. Diese Praxis, Herr Außenminister,
muss beendet werden.
({7})
Ja, die Bundesregierung tut einiges. Vieles davon ist
unterstützenswert. Vieles kritisieren wir und werden es
auch weiter kritisieren. Aber zum Thema Syrien sind
drei Dinge wichtig: Wir müssen den UN-Sondergesandten Brahimi unterstützen. Wir müssen die Waffenexporte
nach Syrien stoppen, und die Chemiewaffen müssen vernichtet werden. Den Flüchtlingen vor Ort und überall auf
der Welt muss geholfen werden. Ich weiß, es gibt viele,
die sagen: Das ist nicht genug, man muss mehr tun. Aber der Krieg in Syrien ist nicht durch Militärinterventionen von außen zu stoppen. Die Dinge, die ich eben
genannt habe, können wir tun und sollten wir auch tun.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank, Herr Kollege Liebich. - Das Wort hat
Michael Brand für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Niemand kann heute internationale Politik erörtern, ohne
die Frage der Menschenrechte anzusprechen. Wir alle
sagen das bei vielen Gelegenheiten; denn dies ist unsere
Überzeugung. Wir alle möchten eine ideale Welt, in der
niemand in seinen unveräußerlichen Menschenrechten
beschränkt wird. Wir gedenken an zentralen Tagen der
Menschenrechte. Sie sind integraler Bestandteil unserer
Außenpolitik und unseres staatlichen Handelns im Inneren.
Menschenrechte sind unbestritten das höchste Gut,
das nationale und internationale Politik zu schützen hat.
Die Rechte der Menschen spielen in allen akuten Krisen
weltweit eine ganz zentrale Rolle. Deutsche und europäische Außenpolitik müssen folglich neben akuten Krisen immer die schlimmen Kriege und eben auch die stillen Katastrophen im Blick halten.
Ob wir über den brutalen Horror im syrischen Krieg
sprechen und die Millionen Flüchtlinge innerhalb des
Landes und bei den Nachbarn: Deutschland nimmt in besonderer Weise an humanitärer Hilfe und an den Versuchen zur Konfliktlösung teil. Ob wir über die Gewalt in
Zentralafrika, in Mali und anderswo mit all den Flüchtlingsströmen in die benachbarten Länder sprechen und
auch über die Maßnahme, in Zentralafrika im Auftrag
der Vereinten Nationen einen drohenden Genozid zu verhindern: Deutschland nimmt seine politische, humanitäre und auch militärische Verantwortung wahr, um einzelnen bedrohten Menschen und Gruppen zu Hilfe zu
kommen.
Es ist wichtig, dass wir im 21. Jahrhundert nicht nur
Deutschland, sondern mit uns auch die EU, die NATO
und die UN als verantwortlichen Gestalter und verlässlichen Partner der Welt stärken. In einer globalisierten und
immer mehr vernetzten Welt können Krisen oftmals nur
in einer verbundenen Strategie entschärft oder gelöst
werden. Es gehört im Übrigen auch dazu, lieber Herr
Kollege Liebich, zu erwähnen, dass Deutschland die Nation ist, die zu Recht die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat, und wir uns an der humanitären Hilfe sehr stark
beteiligen.
({0})
Zum Schutz der Menschen und ihrer Rechte müssen
diplomatische, zivilgesellschaftliche, humanitäre und
notfalls auch militärische Maßnahmen im Verbund eingesetzt werden. Die modernen Menschenrechte sind eine
bedrohte Art. Sie wurden hart errungen, und sie müssen
immer wieder verteidigt werden. Unsere globalisierte
Welt ist auch eine brutale Welt. Der Tod und das Elend
kommen viel häufiger eben nicht per Breaking News.
Was der Mensch dem Menschen antun kann, haben
wir vor fast genau 20 Jahren mitten in Afrika und mitten
in Europa erlebt. Vor Tagen haben wir mit Bedauern und
mit Beschämung auf unsere mangelhafte Bereitschaft
zur Hilfe in Ruanda zurückgeschaut. In diesem Jahr
2014 schauen alle zurück auf das, was vor 100 Jahren in
Sarajevo passierte. Dabei sind wir zum Teil sehr fixiert
auf das Attentat, das zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs führte. Aber kaum jemand denkt über die beschämende Rolle nach, die wir gespielt haben, als über
Hunderttausend Tote, Millionen Vertriebene und Zehntausende vergewaltigte Frauen im Krieg gegen BosnienHerzegowina zu beklagen waren.
Die heutigen Herausforderungen? Nicht einmal
20 Jahre ist der Krieg zu Ende, und wir schauen immer
noch nicht hin und lassen Land und Leute mit den Ergebnissen allein. Sie, Herr Außenminister, haben gerade
gesagt: Es geht eben nicht allein um Rückschau und
Rechtfertigung. - Sie haben recht. Es geht nicht allein
um Gedenken, sondern um die Konsequenzen heute.
Deswegen ist es auch notwendig, dass die Bundesregierung eine Initiative für den westlichen Balkan ergreift
und nicht nur die Gedenktage im Blick hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer im Flüchtlingslager Dadaab in Kenia das kaum erträgliche Leid der Familien mit ihren Kindern sehen musste, der weiß, dass
unsere humanitäre Hilfe hier im echten Sinne des Wortes
überlebenswichtig ist.
Wer aber zudem weiß, dass die Flüchtlingsströme
auch durch die staatliche Verwüstung Somalias durch die
extremistischen Al-Schabab-Milizen verursacht worden
sind, der stellt schnell fest, dass die Überlebenshilfe für
die Flüchtlinge nur ein Element der Gesamtstrategie sein
kann. Wenn sich ganze Dörfer vor dem Terror schützen
wollen und Menschen vom Kleinkind bis zum Greis in
die Wüsten und bis nach Kenia vertrieben werden, dann
ist das ein stiller Prozess, der uns auch als Politiker eigentlich laut aufschreien lassen müsste.
Um es mit einem Beispiel aus Dadaab zu sagen:
Wenn die Schwachen aus den Familien diese modernen
Todesmärsche nicht überleben und die schwachen Alten
den Jungen sagen, dass sie weitergehen und sie, die
Schwachen, zurücklassen sollen, damit die Jungen eine
Überlebenschance behalten, dann ist das eine Geste
menschlicher Größe, die uns schaudern lassen muss. Davor können wir uns als Menschen nur verneigen.
Allerdings müssen uns dieses Beispiel und andere vor
allem politisch aufrütteln und zum Handeln veranlassen.
Wir müssen den Opfern helfen, aber wir müssen auch
aktiv gegen die Ursachen solcher unmenschlichen Entwicklungen vorgehen.
Wir können stolz darauf sein, dass unser Land die
Lektion Menschenrechte gut gelernt hat. Die Menschenrechte zählen zur Staatsräson der Bundesrepublik
Deutschland. Wir erleben allerdings, dass die Menschenrechte weltweit unter Druck stehen, teils auch zum
Rückzug gedrängt werden. Wir stellen das fest, wenn
wir über die Verfolgung religiöser Minderheiten, vor allem christlicher Minderheiten, oder über die gewaltsame
Unterdrückung von Kinder- und Frauenrechten,
({1})
gar Menschenhandel und Zwangsprostitution sprechen,
übrigens auch in Europa. Deutschland ist zum Bordell
Europas geworden. Auch hier ist der Gesetzgeber, der
Deutsche Bundestag, gefordert.
({2})
- Ich kann Ihre Zwischenrufe nicht verstehen, Herr
Dehm. Bringen Sie sich in die Debatten ein, damit Menschenhandel und Zwangsprostitution in Europa keine
Chance haben!
({3})
Wir stellen das auch fest, wenn wir über die Unterdrückung von Grundrechten durch starke Partner Europas,
zum Beispiel China, sprechen.
({4})
Wir alle müssen zur Kenntnis nehmen, dass das moderne
Verständnis von der Würde des Menschen und selbst die
UN-Charta der Menschenrechte zum Spielball und zur
Verfügungsmasse gemacht werden. Das gilt selbst in
Europa.
Die akute Krise um die Annexion der Krim ist bereits
angesprochen worden. Sie ist auch deshalb ein Fanal,
weil die international garantierten Rechte der Menschen,
in diesem Fall von Minderheiten, erkennbar dafür missbraucht wurden, um blanke Großmachtpolitik zu betreiben.
Herr Brand, gestatten Sie eine Zwischenfrage nicht
von der Linken, sondern von den Grünen?
Gerne.
Sie haben gerade von Prostitution und dem Bordell
Deutschland gesprochen. Wie stehen Sie dazu, dass die
letzte Bundesregierung zum Beispiel die europäischen
Richtlinien in diesem Bereich immer noch nicht umgesetzt hat? Vielleicht wäre das ein erster Ansatz.
Ich glaube, der Vorschlag, den Sie vorgelegt haben,
wäre zu kurz gegriffen. Deswegen hat meine Fraktion
gestern ihre Vorschläge vorgelegt und der Öffentlichkeit
ein Eckpunktepapier vorgestellt. Ich glaube, man muss
grundsätzlich überlegen, ob das, was mit dem rot-grünen
Gesetz gut gemeint, aber nicht gut war - ({0})
- Ich glaube trotzdem, dass wir dem Thema Zwangsprostitution bzw. Prostitution in Deutschland nicht mit den
einzelnen Maßnahmen, die Sie gerade angesprochen haben und deren Umsetzung Sie einfordern, gerecht werden. Wir müssen vielmehr noch einmal grundsätzlich
über das Thema sprechen.
({1})
- Natürlich. Die Umsetzung der EU-Richtlinie ist das
eine. Aber wir wollen auch auf nationaler Ebene neue
Vorschläge machen. Ich schicke sie Ihnen gerne zu. Sie
sind gestern der Öffentlichkeit vorgestellt worden.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Vorgänge im
Zusammenhang mit der Krim-Krise sind auch deshalb so
gespenstisch, weil sie uns zeigen, dass sich die Gespenster der Vergangenheit - damit spreche ich mit Blick auf
die linke Seite des Hauses Russland an - im Internetzeitalter nicht einfach auflösen. Twitter, YouTube und Facebook sind mächtig. Gegen die Bereitschaft zur brutalen
Gewalt sind sie dennoch im Nachteil, wie wir an den
Versuchen der diktatorischen Zensur von China über Syrien bis hin zu Russland sehen.
Um es klarzumachen: Nicht Russland, sondern eine
Machtclique um Putin herum hat mit dieser Annexion
den Weg in die Welt des steinernen Zeitalters beschritten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist die Zivilgesellschaft in Russland, in der Ukraine und in anderen
Ländern der Erde, die unsere Solidarität verdient. Mutige Menschen verteidigen die Menschen- und Bürgerrechte, die als Ergebnis blutiger Kriege von den Vereinten Nationen fest verankert wurden.
Es ist gut zu wissen, dass hier im Hause ein breiter
Konsens darüber besteht, dass wir die Menschenrechte
nicht auf dem Markt zu meistbietenden Konditionen verkaufen. Es gibt dafür keine Rabatte. Die Menschenrechte
haben keinen Preis. Sie sind nicht in Geld oder Gold aufzuwiegen.
Ich danke zum Schluss dem Bundesaußenminister
und auch der Bundeskanzlerin dafür, dass sie gerade in
den letzten Monaten ein klares Profil gezeigt haben. Ich
will in diesen Dank auch unseren Bundespräsidenten
einschließen. Er hat in der vergangenen Woche den Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu
einem bemerkenswerten Dialog eingeladen. Er setzt in
seiner Präsidentschaft den Schwerpunkt beim Thema
Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Seine Rede auf
der Münchner Sicherheitskonferenz war nicht auf das
Militär fixiert, wie manche öffentliche Debatte glauben
machen wollte. Ich empfehle Ihnen eine Publikation von
Joachim Gauck. Sie ist lesenswert und ist mit folgendem
Satz aus einer seiner Reden überschrieben: „Jede Politik
ist auch Menschenrechtspolitik!“. Der Bundespräsident
hat recht. Ich danke allen, die den Einzelplan 05 unterstützen, um Schwerpunkte im Bereich der Menschenrechte und der humanitären Hilfe zu setzen.
Vielen Dank.
({2})
Danke, Herr Kollege. Danke auch für die Leseempfehlung.
Nächster Redner ist Dr. Tobias Lindner für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Herr Steinmeier, Sie haben heute eine durchaus
bemerkenswert engagierte Rede gehalten. Sie haben einiges gesagt, bei dem Sie unsere Unterstützung haben.
Sie haben aber auch einiges gesagt, bei dem Sie - das
liegt in der Natur von Opposition und Regierung - mit
Sicherheit nicht unsere Unterstützung haben. Sie haben
außerdem einiges gesagt, was mich ein bisschen verwirrt.
({0})
Sie haben über Auslandsschulen, auswärtige Kulturund Bildungspolitik sowie Krisenprävention gesprochen. Das ist durchaus zu begrüßen. Schaut man dann
aber in den Etat des Auswärtigen Amts, stößt man auf
Widersprüche. Es wird sich zeigen, ob sich diese in den
Haushaltsberatungen auflösen lassen. Heute wurde
schon vielfach über die Münchner Sicherheitskonferenz
und über Ihre Äußerung gesprochen, dass Deutschland
mehr Verantwortung übernehmen soll und dass die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der
Vereinten Nationen und der Europäischen Union gestärkt werden soll. Wenn Sie mehr Verantwortung nicht
mit mehr militärischem Engagement gleichsetzen, dann
haben Sie hierfür durchaus unsere Unterstützung. Mehr
Verantwortung bedeutet, dass Sie auch mehr Geld in Ihrem Etat zur Verfügung haben. Zum ersten Mal seit Jahren wächst der Etat des Auswärtigen Amts signifikant
an. Aber mehr Geld alleine hilft noch nicht, wenn es
nicht an den richtigen Stellen eingesetzt wird.
An dieser Stelle möchte ich auf die humanitäre Hilfe
eingehen, die heute schon vielfach - auch vom Kollegen
Liebich - angesprochen wurde. Den Ansatz für die humanitäre Hilfe erhöhen Sie um 117 Millionen Euro auf
insgesamt 303 Millionen Euro. In diesen Tagen beraten
wir über einen interfraktionellen Antrag betreffend Syrien. Dieser enthält noch keine Summe für humanitäre
Hilfe. Im letzten Jahr gab es nachträglich 243 Millionen
Euro für die humanitäre Hilfe dazu. Berechnungen der
Vereinten Nationen gehen von einem steigenden Mittel2370
bedarf aus. Die Krise in Syrien hat nicht plötzlich aufgehört. Es gibt weiterhin Flüchtlinge. Die katastrophalen
Zustände halten an. Wenn wir einen gleichbleibenden
Finanzierungsanteil Deutschlands unterstellen, dann
brauchen wir in diesem Jahr mindestens 353 Millionen
Euro, also 50 Millionen Euro mehr als im Etatansatz enthalten sind, um Syrien auf angemessene Art und Weise
helfen zu können. Hier, lieber Herr Steinmeier, wird in
den Haushaltsberatungen noch nachzusteuern sein. Es
reicht eben nicht, ständig nur eine Schüppe draufzulegen. Wir brauchen von Anfang an einen richtigen Mittelansatz.
({1})
Da ich über verlässliche Finanzierung rede, will ich
auf den Punkt der Krisenprävention eingehen, den Sie
ebenfalls erwähnt haben. Leider wird im Titel für Krisenprävention, der sowieso mehr gebrauchen könnte,
leicht gekürzt. Auch an dieser Stelle wird meine Fraktion in den Haushaltsberatungen Vorschläge machen, aus
denen hervorgeht, wie sich Strukturen und Mittelansätze
verstetigen lassen; denn auch Hilfsorganisationen können nur tätig sein, wenn sie eine verlässliche Planungsgrundlage haben. Zu einer verlässlichen Planungsgrundlage gehören auch verstetigte Mittel im Haushaltsplan.
({2})
Wie bereits erwähnt, werden auch die Mittel im Bereich Abrüstung und Rüstungskontrolle gekürzt. Das ist
ein falsches Signal. Man sollte nicht vergessen, dass wir
anschließend über den Einsatz der „Cape Ray“ und darüber beraten werden, was Deutschland tun kann, dass es
auf diesem Planeten weniger Chemiewaffen gibt. Ich
fordere Sie auf, meine Damen und Herren von der Koalition: Arbeiten Sie mit uns gemeinsam daran, dass diese
Mittel mehr und nicht weniger werden!
({3})
Ich will in der kurzen Zeit, die mir für diese Rede
noch bleibt, über die oft gelobte dritte Säule der Außenpolitik sprechen, über die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Einigkeit haben wir darüber, dass auswärtige Kultur- und Bildungspolitik eine wichtige Säule
unserer Außenpolitik ist, aber leider bildet sich das im
Etatentwurf nicht ab. Die Mittel für Auslandsschulen
sinken um 19 Millionen Euro, die Mittelkürzung für das
Goethe-Institut - Mittel in Höhe von 10 Millionen Euro
wurden unter Schwarz-Gelb gekürzt - schreiben Sie fort.
Nein, Herr Steinmeier, das hat nichts mit einer engagierten Kultur- und Bildungspolitik im Außenministerium
zu tun.
Lieber Herr Außenminister, Sie wollen der deutschen
Außenpolitik mehr Gewicht verleihen. Genauso wie
mehr Gewicht sind auch mehr Mittel an sich kein Selbstzweck; es kommt darauf an, wo man dieses Gewicht einbringt und wo man diese Mittel einsetzt. Sie müssen an
der richtigen Stelle und an den richtigen Strukturen eingesetzt werden. Meine Fraktion wird in den jetzt anstehenden Haushaltsberatungen an den Stellen, die ich
heute kritisiert habe, Vorschläge machen, wie man mit
mehr Mitteln tatsächlich zu verantwortungsvollerer und
verantwortungsbewussterer Außenpolitik in Deutschland kommt.
Ich danke Ihnen.
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste Rednerin ist
Gabriela Heinrich für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Meine Damen und Herren! Der Kollege Brand hat heute
bereits das Wort des Bundespräsidenten erwähnt: Jede
Politik ist auch Menschenrechtspolitik. - Der Satz bringt
es auf den Punkt: Die Menschenrechte müssen die Leitlinie jeder deutschen Politik sein. Jenseits aller übrigen
Bestrebungen nach kohärenter Politik muss alles, was
Politik ausmacht, auf dem Fundament der Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte und ihrer Folgeabkommen stehen.
Eine weitere Linie deutscher Politik muss sein: Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe dürfen niemanden vergessen. Es darf nicht sein, dass die Organisation
Ärzte ohne Grenzen eine Liste vergessener Krisen veröffentlichen muss, zuletzt im Dezember 2013 eine Liste
mit den Staaten Tschad, Zentralafrika, Swasiland,
Südsudan und Simbabwe.
Zentralafrika zum Beispiel ist keine vergessene Krise
mehr. Die internationale Staatengemeinschaft handelt,
und auch Deutschland kann seinen Teil leisten. Letzte
Woche haben wir hier zu Ruanda gesprochen. Viel war
die Rede von RtoP, von der Responsibility to Protect.
Gestern hat das Kabinett einen Antrag beschlossen: Es
geht um die Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Beteiligung an der Europäischen Überbrückungsmission in der Zentralafrikanischen Republik.
Wir werden morgen darüber beraten. Militarisierung?
Angesichts der aktuellen Situation muss die Frage doch
lauten: Schauen wir hin, oder schauen wir weg? Wenn
sich die Bundeswehr an dieser Mission beteiligt, wenn
sie zum Beispiel Verwundete transportiert, dann ist das
in meinen Augen eine aktive Menschenrechtspolitik, die
die Lehren aus dem Genozid von Ruanda und aus den
Gräueln von Srebrenica gezogen hat.
Eine der größten humanitären Krisen unserer Zeit
- Sie haben es angesprochen - ist die in Syrien. Syrien
zeigt, dass wir uns auch im Menschenrechtsausschuss
noch mehr mit humanitärer Hilfe beschäftigen müssen.
Wir haben im Deutschen Bundestag mehrfach über das
Leiden und die Not der syrischen Flüchtlinge gesprochen. Syrien ist ein Fall für die Responsibility to Protect,
aber eben nicht nur Syrien. Die Nachrichten sind voll
mit Berichten über Katastrophen in allen möglichen
Ländern. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst,
zu helfen, auch wenn sich oft zunächst ein Gefühl der
Hilflosigkeit einstellen mag. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst, Hilfe auch durch aufgestockte
Haushaltsmittel bereitzustellen.
Humanitäre Katastrophen kündigen sich an. Die Katastrophe im Südsudan kündigt sich an. Toby Lanzer, der
humanitäre Koordinator für den Südsudan bei der UNO,
hat letzte Woche eindringlich vor einer neuen Hungersnot gewarnt, einer drohenden Hungersnot, die vergleichbar mit der in Äthiopien in den 80er-Jahren ist. Sie droht
jetzt, wenn die Saat nicht rechtzeitig in den Boden gebracht wird. Sie droht in einem Land, das eigentlich
fruchtbar sein könnte und über ausreichend Ressourcen
verfügt, um sich selbst zu ernähren.
Ich halte fest: Wir dürfen diese Länder nicht vergessen. Aber wir dürfen auch nicht die Menschen vergessen,
die sich in vielen Ländern dieser Welt für die Menschenrechte einsetzen. Seit zehn Jahren gibt es die Leitlinien
der Europäischen Union zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern. Zu diesem Schutz gehört es, ihnen
die Sicherheit zu geben, dass sie in ihrem Kampf für die
Menschenrechte nicht allein sind. Die internationale Anerkennung und die internationale Beachtung können für
Menschenrechtsverteidiger eine Lebensversicherung sein.
Denn leider ist es so: Wer sich friedlich für die Menschenrechte einsetzt, wird in manchen Teilen der Welt
genau dafür verfolgt, verhaftet, gefoltert und ermordet.
Es gibt weltweit unzählige Beispiele für mutige Menschen, die sich in ihrer Heimat friedlich für die Menschenrechte einsetzen. Ich nenne hier stellvertretend Alice
Nkom aus Kamerun und Kasha Jacqueline Nabagesera
aus Uganda, die sich für die Rechte von Homosexuellen
einsetzen. Außerdem nenne ich Abdolfattah Soltani. Er
wurde im Iran unter anderem für die Errichtung des Zentrums für Menschenrechtsverteidiger angeklagt. Er ist
noch immer in Haft. Unsere Aufgabe ist es, diese Menschenrechtsverteidiger mit allen unseren Möglichkeiten
zu unterstützen, sie nicht alleinzulassen und die Vertreter
ihrer Länder immer wieder auf sie hinzuweisen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Die angesprochenen Krisen sind schrecklich und bringen
unermessliches Leid. Wir müssen uns unserer Verantwortung innerhalb der internationalen Gemeinschaft
stellen, und dazu gehört die ausreichende Finanzierung.
Ich danke daher besonders unserem Außenminister
Frank-Walter Steinmeier dafür, dass die Mittel für humanitäre Hilfsmaßnahmen und nicht zuletzt die Transformationspartnerschaften Nordafrika/Naher Osten deutlich
gestärkt werden sollen. Vielleicht müssen wir auch noch
eine Schüppe drauflegen. Wir können die Hoffnung
nicht aufgeben, dass das hilft, zumindest die Folgen der
schlimmsten Katastrophen zu lindern.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Das Wort hat
Alexander Ulrich für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie uns über Europa reden. Stellen wir uns einmal für einen Moment vor, dass die Europäische Union
gestärkt aus ihrer letzten Krise hervorgegangen ist:
Die größte Wirtschafts- und Finanzkrise seit dem
Zweiten Weltkrieg hat dazu geführt, dass die Verursacher der Krise mit höheren Steuern und Vermögensabgaben an den Krisenkosten beteiligt wurden. Die Finanzmärkte wurden streng reguliert. Die Großbanken wurden
unter demokratische Kontrolle gestellt. Die Finanztransaktionsteuer wurde eingeführt und brachte Milliardeneinnahmen. Die EU nutzte die Krise, um ihre Institutionen zu demokratisieren, und über alle wesentlichen
Fragen der EU gab es seitdem Volksabstimmungen. Die
riesige Attacke gegen Soziales, Arbeitnehmerrechte,
Umwelt und Demokratie durch die Wirtschaftsabkommen mit den USA und Kanada, TTIP und CETA, wurde
rechtzeitig erkannt und die Verhandlungen wurden daraufhin abgebrochen. Der von den Gewerkschaften vorgeschlagene Marshallplan für Europa führte zu Investitionen in zukunftsfähige und nachhaltige Arbeitsplätze
mit europaweit rund 10 Millionen neuen und guten Arbeitsplätzen. Die Arbeitslosigkeit in Europa geht seitdem deutlich zurück. Waffenexporte wurden verboten,
und der Krieg und der militärische Einsatz als Mittel der
Politik werden europaweit geächtet.
Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, leider ist die
Wirklichkeit eine ganz andere. Die EU steckt in der
schwersten Krise ihrer Geschichte. Seit Jahren geht es
nur noch bergab.
({0})
EU-weit gibt es heute 27 Millionen Arbeitslose, 11 Millionen mehr als noch im Jahr 2008. Jeder vierte EU-Bürger ist heute von Armut betroffen. Hunger, Obdachlosigkeit und Krankheiten wie HIV und Malaria sind wieder
Teil des europäischen Alltags geworden. Die Zahl der
Selbstmorde steigt rasant. Statt die Menschen vor dieser
sozialen Katastrophe zu schützen, haben die EU und ihre
Mitgliedstaaten in den letzten Jahren durch direkte Finanzspritzen und Bürgschaften 4,8 Billionen Euro Steuergelder in den Finanzsektor gepumpt. Dann wurde die
sogenannte Troika auf Europareise geschickt, um das
Geld von Arbeitnehmern, Arbeitslosen, Rentnern und
Kranken zu holen: durch Privatisierungen, Massenentlassungen, Sozialabbau und Lohn- und Rentenkürzungen. Was passierte hinsichtlich einer Beteiligung der Finanzwirtschaft? Nahezu nichts. Die letzte schwarz-gelbe
Bundesregierung hat mit großer Unterstützung der SPD
und auch der Grünen in der EU eine Krisenpolitik im Interesse der Großbanken und Konzerne und gegen die Interessen der Menschen durchgesetzt.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union, Grünen
und SPD, fragen Sie sich eigentlich hin und wieder einmal, warum sich angesichts einer solchen Politik immer
mehr Menschen von diesem Europa verabschieden?
Wundern Sie sich wirklich, warum angesichts einer
solch desaströsen Krisenpolitik leider auch viele Menschen den rechten Rattenfängern in Europa auf den Leim
gehen?
({2})
Sie sind mit Ihrer Politik dafür mitverantwortlich.
({3})
Die Kanzlerin wünscht sich eine marktkonforme Demokratie. Wir sagen: Nein, die Märkte müssen den Menschen dienen und sich der Demokratie unterordnen. Das
ist das Gebot der Stunde.
({4})
Herr Außenminister Steinmeier - vielleicht hören Sie
mir zu -, warum hat die SPD in der letzten Wahlperiode
und im Wahlkampf die Krisenpolitik der Kanzlerin eigentlich kritisiert? Die Wahrheit ist doch, dass die SPD
dieser unsozialen Politik hier im Bundestag immer die
Hand gereicht hat. Sie haben hier im Bundestag immer
zugestimmt. Es gibt im Hinblick auf diese desaströse
EU-Krisenpolitik keinerlei nennenswerte Unterschiede
zwischen SPD und Union.
({5})
Für das Europa, von dem ich am Anfang sprach, kann
man die Menschen begeistern. - Frau Präsidentin, ich
komme zum Schluss. ({6})
Für solch eine Europäische Union reichen wir Linke die
Hand. Für solch ein Europa kämpft die Linke auch am
25. Mai: für ein Europa der Menschen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa geht anders: sozial, friedlich
und demokratisch.
Vielen Dank.
({7})
Danke, Herr Kollege. - Das Wort hat Thomas
Dörflinger für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gehörte
von Beginn dieser Debatte an, als der Bundesaußenminister vortrug, zu den Kolleginnen und Kollegen, die
hoffnungsvoll waren und erwartet haben, dass die Debatte über den Einzelplan des Auswärtigen Amtes der
aktuell durchaus ernsten Situation in Europa gerecht
werden würde. Ich habe mit Freude vernommen, dass
Frithjof Schmidt den Bundesaußenminister sogar gelobt
hat und der Kollege Liebich einen für seine Verhältnisse
moderaten Beitrag in dieser Debatte geleistet hat. Diese
Hoffnung bestand bis eben, bis Alexander Ulrich gesprochen hat. Jetzt sind wir, was die Tonlage unserer Debatte angeht, wieder dort, wo wir auch sonst immer waren. Ich halte das nicht für angemessen.
({0})
- Das ist nicht überraschend, Herr Kollege Wellmann;
das ist richtig. Trotzdem ist es etwas betrüblich, weil die
gegenwärtige Situation in Europa den Ernst dieser Debatte erfordert. Der Bundesaußenminister hat in seinem
Beitrag die richtige Tonlage vorgegeben.
Wenn man von einer steigenden Verantwortung der
deutschen Außenpolitik redet, ist es, glaube ich, viel zu
kurz gesprungen, wenn man darunter anschließend nur
die quasi weltweit zu erwartende Omnipräsenz der Bundeswehr versteht. Das haben auch bei der Sicherheitskonferenz in München weder der Bundesaußenminister
noch der Bundespräsident noch andere Redner, die dort
vorgetragen haben, so gemeint oder gesagt.
Es ist richtig - auch wenn wir den Einzelplan des
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erst zu einem späteren Zeitpunkt
beraten -, in diesem Kontext auch auf die Vorschläge
von Gerd Müller einzugehen. Sie stehen in einem guten
Verhältnis, in einer guten Korrespondenz zu dem, was
der Bundesaußenminister mit Blick auf die Außenpolitik
der Bundesregierung vorgetragen hat: dass Außenpolitik
nicht in erster Linie eine militärische Dimension hat,
sondern erstens eine politische und zweitens selbstverständlich auch eine soziale. In diese Richtung gehen
auch die Vorschläge, die aus dem Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gekommen sind. Dafür bin ich seitens der CDU/CSU-Fraktion ausgesprochen dankbar.
({1})
Außenpolitik hat etwas mit Verantwortung, aber
selbstverständlich auch etwas mit Verlässlichkeit zu tun.
Verlässlichkeit erwarten nicht nur diejenigen, die bereits
Opfer einer Intervention aus der Nachbarschaft geworden sind, beispielsweise die Kolleginnen und Kollegen
in der Ukraine, sondern Verlässlichkeit erwarten zu
Recht auch diejenigen, die sich gegenwärtig mit der
Frage befassen müssen - und das durchaus ernsthaft und
berechtigt -, ob sie in naher Zukunft möglicherweise
selbst Opfer einer solchen Intervention werden. Die Mitglieder des Europaausschusses des Deutschen Bundestages haben am heutigen Nachmittag noch Gelegenheit,
mit dem Ministerpräsidenten der Republik Moldau darüber zu diskutieren. Ich bin gespannt auf dieses Gespräch.
Wer beispielsweise in das hineinhört, was eine Praktikantin in meinem Büro, die aus Georgien stammt, zu
diesem Thema sagt, wer Wortmeldungen etwa aus den
baltischen Staaten, aber auch aus Polen hört - der Bundesaußenminister hat darauf hingewiesen -, der spürt,
dass die Befürchtungen dort zu Recht bestehen, dass sich
damit auch gewisse Erwartungen an die Rolle der Bundesrepublik Deutschland verbinden. Da darf man sich
nicht auf eine Nabelschau konzentrieren.
Ich bin sehr dafür, dass wir in der Konzeption unserer
zukünftigen Überlegungen auch darauf abstellen - Andreas
Schockenhoff hat darauf hingewiesen -, das eigene Tun
aus der Vergangenheit einer kritischen Reflexion zu unterziehen, ob das die Rolle der Bundesrepublik, der Europäischen Union oder der NATO angeht - Fakt ist: es
ist richtig, wir haben in der Vergangenheit nicht alles
richtig gemacht -, aber wenn wir daraus sozusagen einen
permanenten Prozess der außenpolitischen Gewissenserforschung machen würden, dann legten wir die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland und damit letztlich auch der Europäischen Union ein ganzes Stück weit
lahm. Das kann weder in unserem Interesse sein noch im
Interesse derer, die auf unsere Verlässlichkeit und auf
unsere Verantwortung zählen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({2})
Jetzt stehen wir wenige Wochen vor einer Entscheidung. Am 25. Mai findet die Wahl zum Europäischen
Parlament statt. Da ist es natürlich wohlfeil, auf die eine
oder andere Fehlentwicklung in Europa hinzuweisen und
möglicherweise mit einem groben Keil auf einen groben
Klotz zu hauen. Das ist in dieser Debatte Gott sei Dank
nicht passiert. Es ist aber zu vermuten, dass das im
Wahlkampf wieder so sein wird. Ich rate uns dazu, in
den Wochen bis zum 25. Mai einen Blick auf das zu werfen, was in der Vergangenheit falsch gelaufen ist; die Europäische Union hat in ihrer Selbstorganisation nicht alles richtig gemacht. Ich glaube, dass es aber auch nottut,
an der einen oder anderen Stelle den Blick auf das zu
richten, was wir als Europapolitiker an Verbesserungsvorschlägen in die Debatte einbringen können.
Ich nenne exemplarisch eine Diskussion im dänischen
Parlament, die im Januar dieses Jahres zu einer Reihe
von Vorschlägen - 23 an der Zahl - geführt hat, wie man
die Rolle der nationalen Parlamente bei der Entscheidungsfindung auf der europäischen Ebene verbessern,
intensivieren könnte - zusammen mit den Entscheidungsträgern auf der europäischen Ebene, namentlich
der Kommission, dem Rat, aber auch dem Parlament.
Wenn man die 23 Vorschläge durchsieht, meine Damen und Herren, dann stellt man fest: Es sind ein paar
Vorschläge dabei, die im Grunde genommen das Mitwirkungsrecht des Deutschen Bundestages, also die deutsche Rechtslage, abbilden. Aber zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass die Mitwirkungsrechte nationaler
Parlamente in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen
Union keineswegs so ausgeprägt und ausgestaltet sind
wie in Deutschland. Deswegen, glaube ich, gehen die
Vorschläge, die aus Dänemark kommen, auch wenn sie
an der einen oder anderen Stelle nur die geltende Rechtslage in Deutschland abbilden, bezogen auf die Kolleginnen und Kollegen in den anderen nationalen Parlamenten durchaus in die richtige Richtung. Ich freue mich
darauf, wenn wir im Europaausschuss des Deutschen
Bundestages in den nächsten Wochen diese Vorschläge
einer genaueren Beratung unterziehen und in Kontakt
mit den Kolleginnen und Kollegen anderer Parlamente
darüber nachdenken, ob wir den einen oder anderen Vorschlag aus Dänemark weiterentwickeln und möglicherweise in die Tat umsetzen können, um Entscheidungsprozesse nicht nur auf der europäischen Ebene, sondern
auch auf der nationalen Ebene transparenter zu machen.
Das ist einer von den konkreten Vorschlägen, die mit
Blick auf den 25. Mai Sinn machen.
Ich will mit einem Dankeschön und einem Lob
schließen, einem Dankeschön und einem Lob deshalb,
weil ein nicht unmaßgebliches Mitglied dieses Hauses
ein Ceterum-censeo aufgegriffen hat, das uns fraktionsübergreifend eint. Das betrifft ein Thema, an dem wir
bereits in der 17. Legislaturperiode gearbeitet haben und
an dem die etwas Älteren auch schon in der 16. Wahlperiode und davor gearbeitet haben. Es geht um das
Sprachregime und das Übersetzungsregime der Europäischen Union. Im Europaausschuss ist das, wie gesagt, so
etwas wie das Ceterum-censeo aller Kolleginnen und
Kollegen.
Ich will mich beim Vizepräsidenten des Deutschen
Bundestages, bei Johannes Singhammer, bedanken, dass
er bei seinem jüngsten Aufenthalt in Brüssel das Thema
wieder auf die Agenda gesetzt hat - darin einer Tradition
folgend, die der Präsident des Deutschen Bundestages
bei seinen Unterredungen auf der europäischen Ebene
bereits seit vielen Jahren vertreten hat.
Dass das ein Thema ist, liegt nicht daran, dass wir
keine Fremdsprachen könnten. Jeder von uns ist aufgrund dessen, was er in der Schule oder Universität gelernt hat, der einen oder anderen Fremdsprache mächtig.
Aber wenn wir über komplizierte Sachverhalte beraten
- Herr Staatssekretär Kampeter beispielsweise, wenn es
um die finanziellen Herausforderungen in der Europäischen Union geht -, dann ist es gut, dass wir dies in unserer Muttersprache tun können und nicht auf Übersetzungen angewiesen sind.
({3})
Deswegen freue ich mich, wenn wir in der Zukunft auf
der Grundlage dessen, was Johannes Singhammer an
Beitrag geleistet hat, arbeiten können.
Herzlichen Dank.
({4})
Danke, Herr Kollege. - Das Wort hat Karl-Georg
Wellmann für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Wir haben heute mehrfach über die Ukraine und
über unsere damit verbundenen Sorgen gesprochen. Es
geht hier aber nur vordergründig um die Ukraine. In
Wahrheit geht es um die Position Russlands in Europa.
Wir haben Konzepte, die zeigen, welche Position
Russland in Europa haben sollte, und haben immer ge2374
sagt, dass wir uns Russland als strategischen Partner der
EU wünschen, und zwar möglichst in einem gemeinsamen Wirtschafts- und Sicherheitsrahmen. Dazu gehört
auch ein reger Austausch von Menschen, Kapital und
Know-how. Es ist jetzt an Russland, politische Konzepte
vorzulegen, die zeigen, wie sich Russland die Gestaltung
des europäischen Raumes vorstellt. Russland ist schlichtweg zu groß, um darauf zu verzichten, dass Russland seine
Konzepte für die Gestaltung dieses Raumes gemeinsam mit
uns vorlegt.
Es ist ganz klar: Die Ukraine entscheidet über ihre
Orientierung ganz alleine. Wenn sie sich für den Westen
entscheidet, ist das für uns maßgebend. Die EU wird dies
mit allen vorhandenen Möglichkeiten unterstützen. Versuche der Destabilisierung von außen werden scheitern.
Die Kosten einer Intervention wären für Russland sehr
hoch, finanziell und politisch. Wir wissen das. Wenn
Russland eine Intervention versuchen sollte, dann
könnte sich dieses Land sehr schnell überanstrengen,
ebenfalls politisch und finanziell.
Ich hoffe, dass sich niemand vertut: Die Europäische
Union hat für die Stabilisierung des Euro - ich glaube 800 Milliarden Euro mobilisiert. Ich bin ziemlich sicher,
dass die EU eher als Russland den Atem hätte, der
Ukraine auf die Beine zu helfen. Das notwendige Potenzial hätte die Ukraine allemal.
Was wollen wir? Ich glaube, dass es richtig wäre, die
Ukraine gemeinsam mit Russland zu entwickeln. Dies
hätte Vorteile für alle. Natürlich müssen dabei auch die
Fragen einer Freihandelszone mit Russland, des Visaregimes und gemeinsamer trilateraler Industrieprojekte im
Raum stehen. Wir tun in diesem Zusammenhang gut daran - Andreas Schockenhoff hat darauf hingewiesen -,
die plausiblen strategischen Interessen Russlands zu berücksichtigen. Ich denke an bestimmte technologische
Projekte. So werden beispielsweise die Turbinen für
sämtliche Hubschrauber, die in Russland eingesetzt werden, im Rahmen eines ukrainisch-russischen Industrieprojekts in der Ukraine gebaut. Da haben die Russen
plausible strategische Interessen, die wir nicht vergessen
dürfen.
Uns muss die Frage beschäftigen, welche Aufgabe
Deutschland in der europäischen Politik zukommt. Jeder
von uns hat mit Gesprächspartnern aus Polen oder dem
Baltikum gesprochen, die mit hochgezogenen Augenbrauen fragen, was denn die deutsche Position ist und
welche Rolle wir gegenüber Russland spielen. Wir sollten
ganz klar sagen: Für uns ist die Einigkeit der Europäer das
wichtigste Ziel. Es ist selbstverständlich - das sage ich
noch einmal ausdrücklich -, dass wir natürlich keine Sondergespräche - zwischen Deutschland und Russland führen werden.
Alle fordern von uns Deutschen mehr Verantwortung.
Was bedeutet das? Es bedeutet zunächst einmal, festzustellen, dass das Weimarer Dreieck das Morden auf dem
Maidan beendet hat. Es bedeutet weiterhin, dass wir uns
mit unseren polnischen und französischen Freunden in
Fragen der europäischen Ostpolitik abstimmen müssen.
Aber Vorsicht! Plötzlich wird Führung von Deutschland
gefordert. Herr Rehn, Kommissar für Wirtschaft und
Währung, äußerte sich am Montag in der FAZ dahin gehend, dass viele in der Außenpolitik „mehr Führung
durch Deutschland“ wollen. Wissen wir eigentlich, was
das bedeutet? Als Erster hatte das Sikorski vor zwei Jahren angesprochen. Er bezog das aber auf die Euro-Krise,
als er sagte, er habe weniger Angst vor deutschen Panzern als davor, dass Deutschland in Europa zu wenig
führt.
Jetzt geht es nicht nur um eine wirtschafts- und währungspolitische Führung, sondern jetzt ist auch außenpolitische Führung gefordert. Donald Tusk forderte
letzte Woche in der Zeit eine „wahre politische Führung“. Auf Nachfrage sagte er: Vielleicht sollte man besser von Leitung statt von Führung sprechen. - Das macht
es uns nicht wirklich leichter; denn wenn wir leiten sollen, dann liegt auch die Verantwortung bei uns, das Wohl
und das Interesse der Europäischen Gemeinschaft zu definieren. Das sind jedenfalls die neuen Verantwortlichkeiten, über die wir uns klar werden müssen, so wie dies
der Außenminister und der Bundespräsident auf der Sicherheitskonferenz in München gesagt haben. Dazu
müssen wir erst einmal im Parlament eine Diskussion
führen und versuchen, einen Konsens herzustellen.
Diese Arbeit muss übrigens auch in der deutschen Öffentlichkeit bzw. der deutschen Gesellschaft geleistet
werden.
Meine Damen und Herren, die EU-Außenpolitik der
letzten Jahre war in Bezug auf den Osten Europas nicht
sehr eindrucksvoll; deshalb ist es besonders wichtig,
dass wir Deutschen die Initiative ergreifen und die Diskussion, von der ich sprach, untereinander führen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Wellmann. - Der letzte
Wortbeitrag in dieser Debatte kommt von Alois Karl für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Es entspricht einer guten Übung,
dass zum Schluss der Debattenbeiträge zu den jeweiligen Einzelplänen auch die Haushaltspolitiker sprechen.
({0})
Ich freue mich, dass ich das für die Koalition übernehmen darf. Ich mache das auch gerne in Ihrem Sinn, liebe
Frau Kollegin Barnett. Wir haben in den Haushaltsberatungen die Koalition vertreten, als es um die auswärtige
Politik ging.
Ich freue mich, sehr geehrter Herr Bundesaußenminister, dass ich den Haushalt des Auswärtigen Amts
vertreten darf; ist er doch der wichtigste von allen Haushalten.
({1})
- Zumindest einer der wichtigsten.
Wenn ich mich an die politische Jugendzeit, die wir in
der Jungen Union und sonst wo verbracht haben, erinnere,
({2})
so ist uns in Seminaren und andernorts manchmal gesagt
worden - es wäre gut gewesen, wenn Sie dabei gewesen
wären; Sie hätten manche Irrungen und Wirrungen nicht
begangen -,
({3})
dass Fehler in der Innenpolitik immer wieder korrigiert
werden können, dass Fehler in der Außenpolitik auf
lange Zeit nachwirken. In diesem Jahr, 2014, bieten uns
einige Gedenktage die Gelegenheit, uns zurückzuerinnern. Zum Beispiel erinnern wir in wenigen Wochen daran, dass der Erste Weltkrieg vor 100 Jahren ausgebrochen ist. Auch damals war es eine Fehlleistung der
Diplomaten, die ihrer Aufgabe nicht gerecht geworden
sind. Das war ein lang fortwirkendes Dilemma und eine
Katastrophe für Europa. Das Gleiche gilt für den Vertrag
von Versailles von 1919, der - auch das gehört in die
Außenpolitik - schlechte Friedensbedingungen gebracht
hat. Damit wurden die Grundlagen gelegt für die nationalsozialistischen Tendenzen in Deutschland mit ihren
antisemitischen Exzessen und den weiteren Folgen.
Denken wir in diesem Zusammenhang auch daran, dass
vor 75 Jahren der Zweite Weltkrieg ausgebrochen ist.
Meine Damen und Herren, diese Reihe ließe sich fortsetzen. 1949 ist in Deutschland das Grundgesetz in Kraft
getreten. Im Gesetz über den Auswärtigen Dienst sind
Sätze niedergelegt, die noch heute wahr sind. Da heißt
es:
Der Auswärtige Dienst … dient einer dauerhaften,
friedlichen und gerechten Ordnung in Europa und
zwischen den Völkern der Welt, der Wahrung der
unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft …
Schließlich hat er das Ansehen der Bundesrepublik
Deutschland zu stärken.
Dieser Politik sind wir seit 65 Jahren in der Tat verpflichtet. Wer einmal die Memoiren von Konrad
Adenauer liest - er war nicht nur der erste Bundeskanzler, sondern auch der erste deutsche Außenminister nach
dem Krieg -, der merkt auf geradezu jeder Seite sein
politisches Glaubensbekenntnis, dass die tiefe und feste
Einbindung Deutschlands in die westliche Wertegemeinschaft immer unser Ankerpunkt sein muss, und der kennt
Adenauers Credo, dass die deutsche Außenpolitik davon
getragen sein muss, dass wir verlässlicher Partner in der
westlichen Gemeinschaft sind. In dieser Weise betreiben
wir auch heute unsere Außenpolitik: Sie ist fest verankert.
Meine Damen und Herren, es mutet unangenehm an,
dass eine Meinungsumfrage in der letzten Woche zum
Thema Ukraine ergeben hat, dass zwar 45 Prozent der
Deutschen sagen, man solle sich fest an das westliche
Bündnis halten, aber 49 Prozent angeben, dass man sich
in der Ukraine tunlichst heraushalten solle. Das ist gerade das Gegenteil der Grundsätze deutscher Außenpolitik seit 65 Jahren. Ich danke Ihnen, Herr Außenminister
Steinmeier, dass Sie zusammen mit anderen in der Frage
der Ukraine Führung übernommen haben und Sie sich
nicht heraushalten. Auch auf diese Art und Weise sind
die Berechenbarkeit und die Verlässlichkeit der deutschen Außenpolitik sichtbar geworden.
Herr Minister, Sie stehen in der Tat in einer langen
Reihe von vornehmen Außenpolitikern. Ich habe Konrad
Adenauer erwähnt. Man müsste auch Willy Brandt nennen, Helmut Kohl sowieso, aber auch Hans-Dietrich
Genscher usw. Die Schwerpunkte ändern sich auch in
der Außenpolitik, aber es ist sehr wohl richtig, dass sich
die Grundsätze nicht verändern, dass die Wurzeln und
die Fundamente in der Tat die gleichen bleiben. Auf diesen Grundlagen betreiben wir unsere Außenpolitik. Sie
ist gut angelegt, wenn wir auch dafür Geld ausgeben, um
dafür zu sorgen, dass das Bild der Deutschen und
Deutschlands in der Welt ein gutes ist, indem wir die
auswärtige Kulturpolitik gut ausstatten, also viel Geld
für das Goethe-Institut, den Deutschen Akademischen
Austauschdienst, die Wilhelm-von-Humboldt-Stiftung
und vieles andere mehr ausgeben; dieses Geld ist gut angelegt.
Sehr geehrter Herr Außenminister, ich gebe Ihnen
recht, wenn Sie sagen, dass die Zeiten, in denen
Deutschland sich aus den Konflikten heraushalten
konnte, vorbei sind. Cash anstelle von alternativen außenpolitischen Ansätzen der deutschen Politik - das ist
keine Alternative mehr. Wir haben - wir sind zu groß, zu
bedeutsam und auch zu wichtig in der Welt - unsere
Rolle zu spielen. Es ist schon gesagt worden, dass der
Herr Bundespräsident dies bei der Münchner Sicherheitskonferenz in ähnlicher Weise gesagt hat, als er formulierte, dass Deutschland „sich als guter Partner früher,
entschiedener und substanzieller einbringen“ sollte, auch
dort, wo Krisen in der Welt herrschen. Sie, Herr Minister, haben das in ähnlicher Weise gesagt, Frau von der
Leyen und die Bundeskanzlerin ebenso.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, viele machen sich Idealvorstellungen: Überall mögen Frieden,
Freiheit und Wohlstand herrschen und die Menschenrechte gelten. Die Realität sieht vielerorts allerdings anders aus; das ist in der Tat wahr. Nehmen wir den Mittelmeerraum, unsere unmittelbare Nachbarschaft: Wir
waren bass erstaunt, dass in Tunesien, in Libyen, in
Ägypten Revolutionen über die Bühne gegangen sind.
Vorschnell haben viele vom Arabischen Frühling gesprochen, und das hat sich als sprachliche Verirrung herausgestellt. Die Realität sieht anders aus, gerade wenn
man Libyen oder Ägypten betrachtet. Trotzdem stellen
wir viel Geld für die sogenannten Transformationspartnerschaften ein und hoffen, dass wir damit dazu beitragen können, gerade in Ägypten und Libyen, aber auch in
anderen Ländern demokratische und rechtsstaatliche
Verhältnisse herbeizuführen.
Syrien ist erwähnt worden - welch ein Drama! Meine
sehr geehrten Damen und Herren, wenn man weiß, dass
im Libanon mehr als 1 Million Flüchtlinge und in Jordanien und der Türkei jeweils rund 600 000 Flüchtlinge
angekommen sind, dann erkennt man, was das für ein
unglaubliches menschliches Drama ist. Wir können uns
da nicht aus der Verantwortung stehlen. Gegenüber dem
Jahr 2012 haben wir unseren Beitrag mehr als verdoppelt, um hier menschliches Leid zu lindern.
({4})
Ich danke den Kollegen des Haushaltsausschusses, dass
es da zwischen uns allen gar keine Diskrepanz gibt und
wir auf einer Linie sind.
Die Afrika-Politik, begründet auch vom damaligen
Bundespräsidenten Horst Köhler mit seiner Partnerschaft für Afrika, ist angesprochen worden, die Ukraine
auch.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, noch einige
Sätze zum Baltikum. Im nächsten Jahr feiert Litauen das
25-jährige Bestehen seiner Selbstständigkeit, Estland
und Lettland tun das im Jahr 2016. Trotzdem herrscht
dort ein tiefes Misstrauen, eine Urangst gegenüber der
Politik der früheren Sowjetunion und des heutigen Russlands, eine Urangst, dass jene Bestrebungen, die wir von
der Krim und aus der Ukraine kennen, auf das Baltikum
übergreifen könnten.
Denken Sie an die Redezeit?
Ich denke daran.
Wunderbar.
Ich komme nach einem Schachtelsatz zum Ende, Frau
Vorsitzende.
({0})
Auf Hochdeutsch, bitte.
({0})
Wie ich weiß, sind Sie gebürtig aus Schwaben und leben in Augsburg. Vorhin habe ich die Rede des Kollegen
Dörflinger aus Baden-Württemberg gehört.
Wir müssen trotzdem zum Ende kommen.
Er hat gemeint: Man müsste Übersetzungen ins Deutsche haben. - Deutsch ist auch die erste Fremdsprache
für die Württemberger und die Schwaben.
({0})
Liebe Frau Präsidentin, mit diesem Misstrauen und
der Urangst der Balten beschäftigt sich auch unsere Politik. Es ist wichtig, diese auszuräumen. Herr Außenminister, Sie waren da und haben Farbe bekannt. Dafür
danke ich Ihnen herzlich.
Ich freue mich auf die Debatten im Haushaltsausschuss. Wir werden Ihren Haushalt - er ist einer der wenigen, der ansteigt, gegenüber dem Vorjahr um mehr als
4 Prozent - tatkräftig unterstützen. Wir freuen uns auf
die Gespräche.
Herzlichen Dank für die ersten Gespräche, die wir geführt haben. Sie waren getragen von gegenseitigem Respekt und Vertrauen. Ich bin mir sicher: Die deutsche Außenpolitik ist in Ihren Händen kompetent und gut
aufgehoben.
Vielen herzlichen Dank.
({1})
Vielen Dank, Kollege Alois Karl. - Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Dann
schließe ich die Aussprache.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am maritimen Begleitschutz bei der
Hydrolyse syrischer Chemiewaffen an Bord
der CAPE RAY im Rahmen der gemeinsamen
VN/OVCW-Mission zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen
Drucksachen 18/984, 18/1067
- Bericht des Haushaltsausschusses ({1})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/1096
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor. Über die Beschlussempfehlung zu dem
Antrag der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre und
sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Rolf Mützenich für die SPD.
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Für eine Region, die seit langem keinen Frieden mehr
kennt, ist die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen
einer der wenigen Lichtblicke. Wir sollten uns das angesichts der Dramatik, die in dieser Region derzeit vorherrscht, vergegenwärtigen. Insbesondere in Syrien - darauf haben alle Rednerinnen und Redner bei der
Diskussion über den Einzelplan des Auswärtigen Amtes
hier im Deutschen Bundestag hingewiesen - kennen die
Barbarei und die Verzweiflung der Menschen, die tagtäglich mit Gewalt und Vertreibung konfrontiert sind,
kein Ende.
Ich bin sicher, ich spreche für das gesamte Haus,
wenn ich sage, dass viele der Kolleginnen und Kollegen
auch in den eigenen Wahlkreisen von den Schicksalen
Einzelner wissen und versuchen, ganz persönlich zu helfen. Das ist einer der Beiträge, die Deutschland leisten
kann, insbesondere wenn es um humanitäre Hilfe geht.
Es gibt weitere Punkte in der Region, die Anlass zu
Pessimismus geben: die Rückkehr autoritärer Regime,
Aufrüstung und Mangel an Vertrauensbildung. Leider
herrscht an vielen Stellen noch Misstrauen. So wissen
wir immer noch nicht, ob wir Mitte dieses Jahres eine erfolgreiche Lösung der iranischen Atomkrise erleben
werden.
In diesen Tagen - der Bundesaußenminister hat es angesprochen - müssten wir uns die größten Sorgen auch
darum machen, dass die Friedensbemühungen im Nahen
Osten, die insbesondere vom amerikanischen Außenminister immer wieder sehr stark vorangetrieben worden
sind, am seidenen Faden hängen. Möglicherweise sind
sie bereits gescheitert.
Deswegen war es gut - das sage ich auch an die Mitglieder der Bundesregierung gerichtet -, dass die neue
Bundesregierung sofort entschieden hat, sich an der Vernichtung der Chemiewaffen zu beteiligen. Ich danke
dem Bundesaußenminister und der Verteidigungsministerin für ihre gemeinsame Initiative. Wir brauchen dafür
heute ein starkes Signal der Unterstützung aus dem
Deutschen Bundestag.
Das, worüber wir heute diskutieren, ist alles andere
als ein symbolisches Mandat. Deswegen will ich auf einzelne Punkte eingehen, die in den letzten Tagen immer
wieder verzweifelt gesucht wurden - so muss ich das sagen -, um eine Ablehnung zu rechtfertigen. Ich fand die
Argumente, die in der ersten Lesung vorgetragen worden
sind, schon sehr zweifelhaft. Das, was ich in den letzten
Tagen gehört und gelesen habe, hat diesen Eindruck verstärkt. Ich will einige Punkte benennen:
Einige sagen, es liege keine ausdrückliche Einladung
an die Bundesregierung, an Deutschland vor, sich an dieser Mission zu beteiligen. Ich bitte diejenigen, die das so
sehen, in die Resolution 2118 ({0}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zu schauen. Unter Ziffer 10
heißt es, dass der Sicherheitsrat die Mitgliedsländer bittet - ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin -,
Unterstützung bereitzustellen, darunter Personal,
technischen Sachverstand, Informationen, Ausrüstung, Finanzmittel und sonstige Ressourcen und
Hilfe, um die OVCW
- Organisation für das Verbot chemischer Waffen und die Vereinten Nationen in die Lage zu versetzen, die Beseitigung des Chemiewaffenprogramms
der Arabischen Republik Syrien durchzuführen,
und beschließt, die Mitgliedstaaten zu ermächtigen,
die vom Generaldirektor der OVCW ermittelten
chemischen Waffen zu erwerben, zu kontrollieren,
zu transportieren, weiterzugeben und zu vernichten …
Ich weiß nicht, ob es eine bessere Einladung geben
kann als die vom höchsten Souverän in der internationalen Politik. Ich finde, das sollten wir zur Kenntnis nehmen. Möglicherweise ist die Einladung etwas kompliziert ausgedrückt. Aber ich finde schon, dass wir die
Einladung annehmen sollten. Deutschland ist ein guter
Partner in den Vereinten Nationen. Deswegen sollten wir
diese Debatte nicht mehr führen.
Ein anderes Argument war, der Schutz sei unnötig.
Nun haben wir oft eine Debatte darüber geführt, ob die
syrische Regierung oder möglicherweise die Aufständischen für den Einsatz der Chemiewaffen, für den Angriff
mit chemischen Waffen verantwortlich sind. Ich glaube
immer noch, dass eine Menge Indizien dafür sprechen,
dass es das Regime Assad gewesen ist. Sie wissen auch,
dass diejenigen, die das im Namen der Vereinten Nationen überprüft haben, nicht ermächtigt waren, genau festzustellen, wer es war. Wenn Sie darauf hinweisen, dass
es auch die Aufständischen gewesen sein könnten, dann
ist es doch umso notwendiger, dass wir einen Schutz organisieren, insbesondere weil wir vor mehreren Jahren
Angriffe auf Kriegsschiffe erlebt haben, zum Beispiel
auf die USS „Cole“. Deswegen glaube ich, dass Schutz
letztlich notwendig ist, und es liegt auf der Hand, dass
sich Deutschland daran beteiligt.
Dann gab es das Argument: Das können die USA alleine. - In der Tat: Die USA können das alleine. Sie verfügen über das notwendige militärische Gerät. Wir wollen aber ausdrücklich nicht, dass die USA dies alleine
tun, und zwar aus einem ganz wichtigen Grund, einem
Grund, den wir nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges
in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegt haben.
Wir wollen das gemeinsam machen, nicht nur, um mitbestimmen zu können, sondern auch, um die Einbindung
von Partnern in ein solches Mandat zu erreichen. Ich
habe mich über dieses Argument gewundert; denn diejenigen, die gesagt haben: „Die USA können das alleine“,
reden sonst immer von der amerikanischen Hegemonie.
Ich glaube, wir sollten gemeinsam dafür sorgen, dass wir
die USA bei diesem Mandat unterstützen.
({1})
Es gab ein viertes Argument. Es wurde gesagt, dass
wir andere herausdrängen. Das stimmt überhaupt nicht.
Immer noch sind seitens der Vereinten Nationen viele
Staaten eingeladen. Russland und China haben es nicht
abgelehnt, beispielsweise den Transport weiterhin mit zu
übernehmen. Sie können sich beteiligen. Sie haben eben
nicht ausdrücklich feststellen wollen, dass sie nicht mehr
mit dabei sind. Es ist letztlich in ihrem Interesse, an der
Vernichtung der chemischen Waffen Syriens beteiligt zu
sein. Weiterhin steht diese Tür sehr weit offen. Ich
glaube, dass Russland sich in den nächsten Wochen aus
Eigeninteresse wieder massiv daran beteiligen wird, insbesondere weil - das hat der Außenminister festgestellt bisher nur 54 Prozent der chemischen Waffen gesichert
sind.
Als letzter Aspekt wurde in die Debatte die Frage eingebracht: Warum der Nordatlantik? Ich frage mich: Warum diskutieren wir hier ständig über Auslandseinsätze,
über Klarheit und Wahrheit eines Mandats? Wenn in den
nächsten Wochen möglicherweise aus Sicherheitsgründen, aus Witterungsgründen oder anderen Gründen die
Vernichtung im Mittelmeer nicht stattfinden kann, dann
machen wir das eben im Nordatlantik. Was spricht denn
gegen konkrete Abrüstung an dieser Stelle?
Ich möchte sehr deutlich sagen: Ich glaube, gerade
dieses neue Mandat schafft eine neue Qualität im Bereich der internationalen Politik, aber auch bei der Behandlung von Bürgerkriegen. Wir haben es damals beim
Vertrag von Dayton bezüglich des jugoslawischen Bürgerkriegs gesehen. Auch da ist Rüstungskontrolle eingebracht worden, leider zu spät, aber immerhin wurde sie
eingebracht. Jetzt sollen Abrüstung und Rüstungskontrolle helfen, die schlimme Situation in Syrien zu verbessern. Was spricht denn dagegen, für dieses Mandat zu
stimmen?
({2})
Ich glaube, es geht mit diesem Mandat mehr und verstärkt darum, den diplomatischen Weg zu gehen. Die
Bundesregierung versucht seit Wochen - der Bundesaußenminister hat es gerade in seiner Rede gesagt -, hier
wieder voranzukommen. Dass es keine Waffenlieferungen von Saudi-Arabien, von Katar, aber auch von Russland und vielen anderen Ländern aus geben darf, gehört
auf die Tagesordnung. Es geht auch um humanitäre Korridore im Rahmen einer Waffenruhe. Und in der Tat, die
Türkei muss in den nächsten Wochen in den Gremien
darüber Auskunft geben, wie sie heute auf diesen Konflikt in Syrien blickt. Auch das gehört zu einer ehrlichen
Diskussion.
Bundeswehrmandate - das sage ich an alle Fraktionen sind immer eine Einzelfallentscheidung. Ich habe hohen
Respekt vor jedem Einzelnen, der für sich in der Vergangenheit begründet hat, dass er einem bestimmten Mandat
nicht zustimmen kann. Das hat das Bundesverfassungsgericht so niedergelegt, und das hat insbesondere auch
dieses Hohe Haus immer wieder gewürdigt. Auch in unserer Fraktion gab es immer wieder unterschiedliche
Stimmen zu Bundeswehrmandaten.
Aber, ich finde, Sie sollten sich darüber klar werden,
dass es heute nicht darum geht, zu intervenieren oder
vielleicht Soldaten zur Friedenssicherung in Blauhelmmissionen oder anderweitig mit einem robusten Mandat
auszustatten. Das heute zur Abstimmung stehende Mandat ist vielmehr ein konkreter Beitrag zur Abrüstung. Es
soll helfen, das umzusetzen, was in dieser Region versucht wird, und gerade auch in Syrien ist es dringend
notwendig, die Fragen von Abrüstung und Diplomatie in
den Vordergrund zu stellen. Wenn man heute für dieses
Mandat stimmt, unterstützt man Abrüstung und Rüstungskontrolle.
Ich komme zu einem anderen Aspekt. Ich glaube, die
Beratungen über dieses Mandat hätten auch einen Beitrag zu einer in diesem Haus notwendigen Diskussion
zwischen allen Fraktionen leisten können, wann und ob
militärische Beteiligungen im Rahmen von Beschlüssen
der Vereinten Nationen sinnvoll sind und zur Friedenssicherung beitragen. Das habe ich vermisst. Ich finde, Sie
haben die Möglichkeit, zu dieser Debatte sachlich beizutragen, nicht genutzt.
Die internationale Politik steht in diesen Wochen vor
ungeahnten Herausforderungen. Noch immer hören und
sehen wir an zu vielen Orten verantwortungslose Unruhestifter. Die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen
unterstreicht deshalb mehr denn je auch die Bedeutung
der Diplomatie und der Abrüstung für die Wiederherstellung des Friedens. In diesen Tagen brauchen Diplomatie
und Abrüstung eine starke Stimme. Ich bitte um Ihre Unterstützung.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank, Rolf Mützenich. - Für die Linke Jan
van Aken.
({0})
Grüß Gott, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde, es ist wirklich keine einfache Frage. Es
gibt sehr viele sehr gute Argumente für diesen Einsatz,
und es gibt sehr viele sehr gute Argumente gegen diesen
Einsatz. Wir haben in der Fraktion darüber diskutiert. Er
wurde von verschiedenen Personen unterschiedlich bewertet. Einige werden dafür stimmen, einige dagegen,
andere werden sich enthalten.
Ich will ganz vorne anfangen. Es geht um die Vernichtung syrischer Chemiewaffen im Mittelmeer und
den militärischen Schutz durch eine deutsche Fregatte.
Ich glaube, in einem Punkt sind wir uns alle einig: Es ist
völlig richtig und wichtig, dass die syrischen Chemiewaffen jetzt komplett vernichtet werden.
({0})
Ich muss sagen, dass es für mich ganz persönlich auch
eine Herzensangelegenheit ist. Ich habe die letzten
15 Jahre vor allem damit zugebracht, für die Vernichtung
aller biologischen und chemischen Waffen auf der Welt
zu kämpfen, zwei Jahre lang auch als UN-Biowaffeninspektor. Deswegen bin ich jetzt sehr erleichtert und
froh darüber, dass auch das syrische Chemiewaffenprogramm endgültig vernichtet wird. Ich möchte an dieser
Stelle den UN-Inspektoren in Syrien danken, die teilweise unter Einsatz ihres Lebens dieses Programm mit
aufgeklärt und untersucht haben. Das verdient unser aller Respekt.
({1})
Es ist richtig, wie die Vernichtung der Waffen geschieht, nämlich auf einem Schiff im Mittelmeer. Das ist
unter Sicherheitsaspekten und aus ökologischer Sicht die
beste Methode. Da wird nichts ins Meer gekippt. Das ist
ein geschlossenes und solides System. Das finde ich als
alter Umweltaktivist völlig in Ordnung. Herr Mützenich,
natürlich muss dieser Prozess und muss auch das Schiff
bewacht werden. Dazu gibt es keine zwei Meinungen;
denn niemand kann ernsthaft riskieren, 20 Tonnen Senfgas mehrere Monate lang ungeschützt über das Mittelmeer schippern zu lassen. So gering die Gefahr auch sein
mag: Sie ist nicht gleich null.
Das alles sind sehr gute Argumente für diesen Einsatz. Aber wir können den Einsatz doch nicht isoliert betrachten. Er findet nicht in einem luftleeren Raum statt.
Praktisch zeitgleich, innerhalb einer Woche werden hier
im Bundestag zwei ganz neue Bundeswehrmandate verabschiedet: eines für Somalia und eines für die Zentralafrikanische Republik. Da wird doch in allerkürzester
Zeit genau das zur Realität, was Herr Gauck, Frau von
der Leyen und Herr Steinmeier erst vor kurzem verkündet haben, nämlich eine systematische Ausweitung von
Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Diese Militarisierung der deutschen Außenpolitik wird die Linke niemals
mittragen.
({2})
Sie reden hier immer von Verantwortung. Aber wissen Sie eigentlich, was in diesem Fall echte Verantwortung hieße? Fangen wir doch einmal an:
Erstens. Stoppen Sie endlich alle heiklen Chemiewaffenlieferungen,
({3})
vor allen Dingen an die Länder, die die Chemiewaffenkonvention noch nicht ratifiziert haben! Das haben wir
beantragt. Dem können Sie gleich zustimmen. Das wäre
einmal ein Beispiel dafür, wie man Verantwortung übernimmt.
Zweitens. Binden Sie Russland wieder ein! Es war ein
fataler Fehler, Russland rauszukegeln.
({4})
Wir wissen doch alle, dass Assad sein Chemiewaffenprogramm ohne den Druck aus Moskau nie aufgegeben
hätte. Sie aber kegeln Russland jetzt raus.
({5})
Drittens. Ziehen Sie sofort die Bundeswehr samt ihrer
Patriot-Raketen aus der Türkei zurück!
({6})
Denn damit unterstützen Sie eine ganz gefährliche Politik der Türkei auf Kosten der Menschen in Syrien. Das
wäre für mich Verantwortung. Diese verweigern Sie
aber. Das einzige, was Sie in einer solchen Situation tun,
ist das, was Sie so oft tun: mal wieder ein deutsches
Kriegsschiff schicken. Das ist zu wenig.
Hinzu kommt, dass das konkrete Mandat, zu dem Sie
hier einen Bericht vorgelegt haben, wirklich zum Himmel stinkt. Das gibt mir allen Grund zu Misstrauen. Sie
legen den gesamten Einsatz als NATO-Mandat an. Warum machen Sie daraus keine UN-geführte Operation?
Das machen Sie nicht; Sie legen das als NATO-Mandat
an. Dann weiten Sie den Einsatz auf den Nordatlantik
und alle angrenzenden Seegebiete aus. Wir haben nachgefragt: Warum? Herr Mützenich, auch von Ihnen habe
ich heute keine Antwort bekommen. Ich bekomme auch
aus den Ministerien keine Antwort. Der Einsatz wird
ohne jeden Grund auf die halbe Welt ausgeweitet. Was
soll das?
Jetzt kommt etwas, von dem ich befürchte, dass es
draußen in der Welt kein Mensch versteht: Sie wussten
vorgestern noch nicht einmal, wie viele Kriegsschiffe eigentlich vor Ort sind. Mir wurde vom Verteidigungsministerium im Auswärtigen Ausschuss gesagt, dort seien
zwei Kriegsschiffe, und zwar eines von den USA und eines von Deutschland - mehr nicht. Zur gleichen Zeit
hieß es im Verteidigungsausschuss, es seien drei Kriegsschiffe, ein U-Boot und vielleicht noch ein bisschen
mehr.
({7})
Wir haben nachgefragt. 24 Stunden lang haben wir keine
Antwort bekommen. Sowohl im Verteidigungsministerium als auch im Auswärtigen Amt wusste niemand, wie
viele Schiffe beteiligt sind.
({8})
Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, ein Mandat für einen
Bundeswehreinsatz auf einer so dubiosen Basis vorzuschlagen.
({9})
Das alles sind aus meiner Sicht sehr gute Argumente
gegen diesen Einsatz.
({10})
Wir haben diese Fragen, wie gesagt, innerhalb der Fraktion diskutiert. Jeder und jede von uns hat unterschiedli2380
che Gewichtungen vorgenommen. Deswegen werden
wir unterschiedlich abstimmen. Das ist auch gut so.
Ich selbst habe hier zwei Herzen in meiner Brust.
Schon aufgrund meiner persönlichen Geschichte in Sachen Abrüstung werde ich auf gar keinen Fall gegen diesen Einsatz stimmen. Aber ich kann ihm auch auf gar
keinen Fall zustimmen. Ich persönlich werde mich deshalb enthalten.
({11})
Ich bin im Übrigen der Meinung, dass Deutschland
keine Waffen exportieren und auch keine Chemiewaffenfabriken unterstützen sollte; das will ich ganz zum
Schluss noch sagen. Es waren - das wissen Sie - vor allem deutsche Firmen, die in den 80er- und 90er-Jahren
das syrische Chemiewaffenprogramm mit aufgebaut haben.
({12})
Ich befürchte sogar, dass der tödliche Einsatz von Giftgas am 21. August 2013 ohne deutsche Hilfe nicht möglich gewesen wäre. Ich finde, wir müssen alle endlich
Konsequenzen daraus ziehen und dafür sorgen, dass nie
wieder irgendwo auf der Welt ein Chemiewaffenprogramm aus Deutschland unterstützt wird.
({13})
Ich danke Ihnen.
({14})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Johann Wadephul, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Ich muss das Rednerpult erst noch einstellen; ich bin
nicht ganz so lang wie der Kollege, Herr Präsident.
Das geht von selbst. Warten Sie es entspannt ab! Jeder
findet hier bei uns seinen Level.
({0})
Einzelheiten dazu morgen in der Rechtsstellungskommission des Ältestenrates, der ich angehöre.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In der außenpolitischen Debatte lag der Schwerpunkt zu Recht bei der Situation in der Ukraine und dem
völkerrechtswidrigen Verhalten Russlands durch die faktische Annexion der Krim. Dabei ist der gesamte Nahostkonflikt, über den man viel sagen könnte, und insbesondere die kriegerische Situation in Syrien in den
Hintergrund getreten. Das ist angesichts der Tausenden
Toten nicht gerechtfertigt. Es ist gut, dass uns der Bundeswehreinsatz, über den wir heute beraten, Gelegenheit
gibt, ins Bewusstsein zu rufen, welche menschliche, humanitäre, zivilisatorische Katastrophe sich in dieser Region abspielt.
Das Zweistromland und die benachbarten Regionen
sind eine, wenn nicht die Wiege unserer westlichen, zunächst griechisch-römisch, dann christlich-jüdisch geprägten Welt. Dass hier Kulturstätten von einmaliger
Bedeutung versinken und Tausende von Menschen hingemordet werden, ist schrecklich. Wir müssen alles in
unserer Macht Stehende tun, um dem Einhalt zu gebieten. Da ist Enthaltung, Herr van Aken, keine Haltung.
Man muss vielmehr handeln,
({0})
auch vor dem Hintergrund, dass wir in diesem Jahr des
traurigen, 100 Jahre zurückliegenden Ausbruchs der
kriegerischen Handlungen gedenken, die allgemein als
Erster Weltkrieg bekannt geworden sind. Wenn man sich
überlegt: „Was ist das Markante an dieser Auseinandersetzung gewesen?“, dann sind da insbesondere die gräuelhaften Giftgaseinsätze zu nennen. Das hat zur Folge
gehabt, dass in der Zeit danach praktisch kein Giftgas
mehr eingesetzt worden ist, während des gesamten Kalten Krieges ebenfalls nicht. Das ist erst in Syrien wieder
der Fall gewesen.
({1})
Die Frage, wer nun dafür Verantwortung trägt, wer das
gemacht hat - Herr van Aken, Sie haben diese Frage in
der ersten Lesung nach vorne gekehrt -, lasse ich einmal
beiseite.
Wir können als Weltgemeinschaft und als diejenigen,
die immer wieder betonen, dass das Bestehen auf der
Schutzverantwortung ein wichtiges Prinzip der Vereinten Nationen geworden ist, nicht tatenlos zusehen, wenn
Giftgas wieder eingesetzt wird. Wir müssen es alle ächten, und wir müssen alle einschreiten, meine sehr verehrten Damen und Herren, und das sollten wir geschlossen
tun.
({2})
Wenn man die Krise in Syrien sieht, muss man feststellen: Es gibt sehr viel Dunkles, sehr viel Schatten,
sehr viel Trauriges, sehr viel, was einem wenig Hoffnung gibt: dass sich viele eingemischt haben, dass dort
zahlreiche Interessen kollidieren. Das ist alles bekannt,
und das werden wir nicht abschalten können. Aber wir
haben eine kleine, wichtige Sache gemeinsam erreicht,
und das ist ein Konsens bei den Vereinten Nationen - er
ist die Grundlage unseres Einsatzes und auch Ihres Antrags, Herr van Aken -, ein Konsens unter Einbindung
von China und unter Einbindung von Russland, worauf
Sie sehr viel Wert gelegt haben, dass diese Chemiewaffen jetzt vernichtet werden. Wie viele Jahre haben wir in
diesem Hause und an verschiedensten Stellen gemeinsam über die Ächtung von Atomwaffen, über die Ächtung von Chemiewaffen geredet! Jetzt wird das endlich
einmal gemacht. Das ist doch ein riesiger Erfolg der Vereinten Nationen. Das gibt doch Hoffnung, dass die Völker dieser Erde hier zusammenwirken und nicht immer
weitermachen in der Rüstungsspirale, sondern selber
merken, dass das menschlicher Wahnsinn ist, mit dem
man aufhören muss, dass man diese Waffen zerstören
muss. Das können wir alle nur begrüßen.
({3})
Die Koalitionsfähigkeit der Linksfraktion ist für mich
kein Thema, mit dem ich mich länger befassen will. Das
ist letzten Endes nicht die Ebene, auf der wir das hier
miteinander diskutieren sollten, auch wenn einige das
tun und wenn das für viele bei Ihnen offensichtlich der
Maßstab dafür ist, sich zu enthalten, um gewisse Zeichen
zu setzen. Das mögen Sie mit sich ausmachen. Ich
glaube aber, dass das nicht der Maßstab für unsere Diskussionen hier ist.
Die Frage ist doch, ob man in dieser Situation wirklich eine andere Entscheidung treffen kann. Diese Frage
stellt sich unabhängig vom Einsatzgebiet und der Frage,
ob Russland angesichts der „Angelegenheit Ukraine“,
um es einmal harmlos zu formulieren, aktuell beteiligt
sein sollte; denn das ist sekundär. Im Kern geht es doch
darum, ob dieser Einsatz möglich ist. Stellen Sie sich nur
einmal in Ihren kühnsten Träumen vor, es hinge von Ihrer Stimme ab, ob dieser Einsatz zustande kommt oder
nicht. Ihre Stimme wäre sozusagen die Conditio dafür,
dass dieser Einsatz durchgeführt wird. Sie würden ihn
dann also - auch mit einer Enthaltung - unmöglich machen?
({4})
Vor dieser politisch-moralischen Frage stehen Sie in diesem Hause, und hier versagen Sie aus meiner Sicht.
Was kann pazifistischer sein als die Vernichtung von
Waffen? Wann, wenn nicht jetzt, sollte man einem derartigen Einsatz zustimmen? Zu dieser Zustimmung rufe
ich Sie alle auf.
Herzlichen Dank.
({5})
Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Omid
Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am
16. März 1988 gab es einen Einsatz von Chemiewaffen
in Halabdscha. Einer meiner engsten Verwandten war an
diesem Tag dort. Er war Soldat und hatte deshalb die
volle Schutzmontur an. Ich habe ihn danach im Krankenhaus besucht, in dem er trotz der Schutzmontur sechs
Monate lang behandelt wurde. Die Bilder, die er aus seinem Kopf nicht mehr loswurde, waren Bilder des Grauens, die sich jeglicher Beschreibung entziehen. Das, was
man mitnimmt, wenn man solche Bilder gesehen oder
auch nur davon gehört hat, ist, dass man alles daransetzen muss, dass sich das nicht wiederholt.
Am 21. August letzten Jahres gab es eine Wiederholung in Ghuta mit Tausenden von Toten, darunter viele
Kinder. Sie sind gestorben, weil ihre Atemwege so verkrampft waren, dass sie nicht mehr atmen konnten.
Wahrscheinlich war der Einsatz von Chemiewaffen in
Ghuta nicht der erste Einsatz dieser Waffen in Syrien.
Das Gebot, das damals richtig war, gilt heute unverändert: Wir müssen alles dafür tun, dass sich solche Gräueltaten nicht wiederholen.
({0})
Wenn wir durch die Entsendung der Fregatte einen
Beitrag dazu leisten können - das ist kein großer Beitrag -, dass sich eine solche Gräueltat nicht wiederholt,
dann sollten wir das auch tun; denn wir wissen, dass gerade einmal die Hälfte der Chemiewaffen in Latakia ist
bzw. zumindest nicht mehr dort, wo sie eingesetzt werden können. Wir wissen auch, dass die Fristen für die
Zerstörung der Chemiewaffenanlagen bei einigen Anlagen längst verstrichen sind. Meiner Meinung nach ist in
dieser Debatte nicht die zentrale Frage, wer in Ghuta die
Chemiewaffen eingesetzt hat. Ich halte die Indizienlage
für klar und glaube, dass es das Assad-Regime war. Aber
auch wenn es das Assad-Regime nicht war, ist es notwendig, dass wir unseren Beitrag dazu leisten, dass diese
Chemiewaffen zerstört werden. Die Zerstörung ist ein
wichtiger Beitrag dazu und eine Bedingung dafür, dass
Syrien der Konvention gegen Chemiewaffen beitreten
kann.
Wir wissen, dass deutsche Unternehmen von 1983 bis
1993 stark dazu beigetragen haben, dass dieses riesige
Arsenal von Chemiewaffen in den Händen Assads ist.
Im Übrigen wiederholt sich hier die Geschichte: Das ist
nicht anders als in Halabdscha, wo das nicht zu Ende
aufgearbeitet worden ist. - Wir wissen, dass bis 2011
auch Dual-Use-Güter nach Syrien geliefert wurden. Ich
finde, allein deswegen erwächst Verantwortung auch für
den Deutschen Bundestag, alles dafür zu tun, dass sich
solche Gräueltaten nicht wiederholen.
({1})
Herr Kollege van Aken, ich kann Ihnen ganz sicher
nicht absprechen, dass Sie es sich schwer machen. Das
gilt ebenso für alle in diesem Hohen Hause bei Auslandseinsätzen, hoffe ich zumindest. Frieden ist aber immer
konkret; das wissen Sie besser als ich. Deshalb weiß ich,
ehrlich gesagt, nicht, was die Situation in Somalia - ich
habe dagegen gestimmt, als dieses Mandat beschlossen
wurde - mit der Vernichtung der Massenvernichtungswaffen in Syrien zu tun hat.
({2})
Wir haben Schwarz-Gelb kritisiert, weil diese Koalition nicht bereit war, sich an der Zerstörung der Massenvernichtungswaffen zu beteiligen. Wir haben es begrüßt,
dass sich Frank-Walter Steinmeier für die Große Koalition dieses Themas annimmt. Deshalb wird meine Fraktion diesem Mandat zustimmen.
Es gibt in diesem Zusammenhang zwei weitere
Gründe, die man nennen muss. Der eine Grund ist: Es ist
ein UN-mandatierter Einsatz. Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, dass es ein NATO-Einsatz sein könnte.
({3})
Das ist nicht richtig. - Der zweite Grund ist: Es ist eben
nicht so, dass Russland nicht dabei wäre. Russische Soldaten sind meines Wissens und nach dem, was uns berichtet wurde, in Latakia und wirken daran mit, dass die
Chemiewaffen gesichert sind, bevor sie auf die Schiffe
verladen werden. Es ist ein Wert an sich, dass es in diesen Zeiten eine militärische Kooperation mit Russland
gibt und wir diese unterstützen.
({4})
Ein letzter Punkt. Bei allen Gräueltaten im Zusammenhang mit Chemiewaffen und anderen Massenvernichtungswaffen dürfen wir eine Sache nicht vergessen:
Es ist wichtig, dass wir uns an der Abrüstung beteiligen.
Aber wir dürfen nicht vergessen, dass in Syrien mittlerweile über 150 000 Menschen getötet worden sind; die
meisten waren Zivilisten, Kinder und Frauen. Dies darf
auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die meisten
eben nicht in Ghuta gestorben sind, ohne das zu quantifizieren. Ja, wir reden heute über Massenvernichtungswaffen. Aber Abrüstung ist deutlich mehr als die Vernichtung von Massenvernichtungswaffen. Die meisten Opfer
in Syrien wurden durch Mörser, Scharfschützen und
Fassbomben getötet, die bekanntermaßen nur die Luftwaffe Assads geworfen haben kann. Wenn wir über Abrüstung reden, reicht es nicht, bei der Zerstörung von
Chemiewaffen stehen zu bleiben. Das geht weit darüber
hinaus.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen
Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits in der vergangenen Woche und auch heute in der
Debatte ist viel Richtiges zur Beteiligung Deutschlands
an der Vernichtung syrischer Chemiewaffen gesagt worden. Ich glaube, wir alle haben die Bilder aus dem vergangenen Sommer vor Augen, als in Syrien 1 500 Menschen durch Giftgas aus syrischen Armeebeständen
bestialisch ermordet wurden. Deshalb war es die richtige
Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft, sich
mit der UN-Resolution 2118 unter Einschluss von China
und Russland klar und deutlich zu positionieren.
Die Überschrift dieser Debatte ist eigentlich nicht
richtig. Einige Redner haben es bereits angesprochen:
Wir sprechen nicht über einen Militäreinsatz im herkömmlichen Sinne. Wir sprechen über ein Abrüstungsprojekt. Nach dem Verbot von Streumunition, nach der
Kontrolle der Kleinwaffen, nach der Eindämmung des
iranischen Atomprogramms ist das ein ganz wichtiges
Projekt, um für weniger Waffen in der Welt zu sorgen.
Dieses Projekt ist richtig, und deshalb ist es auch klar,
dass wir darüber hier im Haus eine große Übereinstimmung haben.
Mir ist, ehrlich gesagt, nicht klar, warum wir ein solches Projekt, eine solche Mission nicht einstimmig verabschieden. Ich habe in der Debatte kein Argument gehört, das für eine Enthaltung oder für eine Ablehnung
dieser Mission sprechen würde. Dieses Abrüstungsprojekt bietet Chancen. Es kann nicht sein, dass man einerseits Chemiewaffen ächtet und sich andererseits dann,
wenn man die Chance hat, an ihrer Vernichtung mitzuwirken, in die Büsche schlägt.
({0})
Dieses Verhalten zeigt vor allen Dingen eines: Wenn irgendjemand gedacht hat, in dieser Debatte könne man
unter Beweis stellen, dass die Fraktion Die Linke in der
Lage ist, außenpolitisch verantwortungsvoll für unser
Land zu handeln, dann ist jetzt der Gegenbeweis erbracht. Das zeigt nicht nur, dass Sie nicht regierungsfähig sind. Das zeugt auch von Politikunfähigkeit.
({1})
Da hilft es nicht, eine Stellvertreterdebatte über die Beteiligung Russlands zu führen. Da hilft es auch nicht,
von einer an den Haaren herbeigezogenen Symbolpolitik
für eine Neuakzentuierung deutscher Außenpolitik zu
sprechen.
Politik ist in der Tat konkret. Es geht darum, was wir
heute tun können. Unser Einsatz ist vernetzt. Es geht
auch um diplomatische Lösungen. Es geht auch darum,
dass wir zivile Hilfe leisten und dass wir unsere Kompetenz einsetzen, nicht nur mit der Fregatte „Augsburg“,
nicht nur mit 300 Soldatinnen und Soldaten, sondern
auch unsere Kompetenz, die Abfallprodukte nach der
Zerstörung der Waffen in Deutschland umweltgerecht zu
entsorgen.
Wir tun noch vieles darüber hinaus. Wir haben
500 Millionen Euro bereitgestellt, um die Flüchtlingsströme in den Anrainerstaaten von Syrien besser in den
Griff zu bekommen. Es gibt immerhin 4 Millionen
Flüchtlinge in der Region. Wir setzen uns dafür ein, dass
neben Schweden und Deutschland auch andere europäische Staaten mehr Flüchtlinge aufnehmen. All das sind
Beiträge, um dieser schwierigen Frage insgesamt gerecht zu werden. Wir übernehmen Verantwortung.
Noch etwas ist mir wichtig: Es geht auch um Verantwortung in der historischen Dimension. Der Kollege
Dr. Wadephul ist darauf eingegangen. Vor 99 Jahren, im
April 1915, waren es wir Deutschen, die als erste in
Flandern Giftgas eingesetzt haben. Damals sind
5 000 Soldaten ums Leben gekommen. 10 000 wurden
verletzt. Insgesamt sind im Ersten Weltkrieg 90 000 Soldaten durch Giftgas gestorben. Auch daraus erwächst
Verantwortung. Ich meine, dass wir dieser Verantwortung zügig gerecht werden müssen, weil wir nicht wissen und auch kaum beurteilen können, wie sich die Situation in Syrien weiter entwickeln wird. Wir wissen
nur, dass Assad nicht verlässlich ist, Versprechen bricht
und Fristen verstreichen lässt. Wir müssen alles dafür
tun, dass diese Chemiewaffen schnellstmöglich vernichtet werden, auch um zu verhindern, dass sie in die Hände
von Extremisten und Terroristen fallen. Wir haben in
Libyen gesehen, wie die Waffenbestände von Gaddafi
letztlich dazu geführt haben, dass al-Schabab in Somalia
und im Jemen aufrüsten konnte. All das müssen wir verhindern. Dies sind wir letztlich all denen schuldig, die in
dem dreijährigen Bürgerkrieg gestorben sind, den
150 000 Opfern und den 4 Millionen Flüchtlingen in der
Region. Das ist unsere Verantwortung. Deshalb werbe
ich für Zustimmung zu diesem Antrag der Bundesregierung.
Herzlichen Dank.
({2})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kollegin Julia Bartz, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg
und damit der Einsatz von Chemiewaffen. Wir alle hatten gehofft, dass es im 21. Jahrhundert keine neuen Bilder von Sarin- und Senfgasopfern geben würde. Aber am
21. August 2013 hat uns die Geschichte zum wiederholten Male eines anderen belehrt.
Heute geht es um die Vernichtung syrischer Chemiewaffen. Ich finde es mehr als bedauerlich, dass sich einige Kolleginnen und Kollegen weigern, dieses Abrüstungsprojekt zu unterstützen.
({0})
Das Verbrechen an der syrischen Bevölkerung hat gezeigt: Der Kampf gegen Massenvernichtungswaffen ist
noch lange nicht ausgefochten. Wir müssen verstärkt auf
internationale Konventionen setzen, um solche Verbrechen gegen die Menschlichkeit zukünftig zu verhindern.
({1})
Das Chemiewaffenübereinkommen von 1997 und die
Gründung der Organisation für das Verbot chemischer
Waffen sind wichtige Meilensteine im Kampf gegen
Chemiewaffen. Auch Syrien hat mittlerweile das internationale Chemiewaffenübereinkommen ratifiziert und
seine Chemiewaffenbestände offengelegt. Inzwischen
haben sich 190 Staaten für die Ächtung und Vernichtung
von Chemiewaffen ausgesprochen. Nur noch sechs Staaten fehlen zur weltweiten Einigung.
Deutschland bzw. der Deutsche Bundestag sollte
heute mit einer Stimme sprechen und im Kampf gegen
Chemiewaffen ein Zeichen der Einigkeit setzen.
({2})
Gerade für die Fraktion der Linken wäre die heutige
Abstimmung eine Chance, ihre ideologische Blockadehaltung zu überwinden und die Vernichtung von Chemiewaffen zu unterstützen. Seit 1997 sind die Chemiewaffenbestände rückläufig. Über 54 000 Tonnen
Chemikalien und Waffen wurden bereits vernichtet. Wir
kommen einer chemiewaffenfreien Welt langsam, aber
sicher näher. Aber Sie weigern sich weiterhin, daran mitzuwirken. Sie reden zwar viel von Abrüstung. Aber
wenn es ernst wird, verfallen Sie wieder in Ihre ideologische Ablehnungshaltung.
Wir hingegen übernehmen Verantwortung. Deutschland hat bereits finanziell und logistisch die Arbeit der
OVCW in Syrien unterstützt. Wir haben uns auch an der
Analyse der Chemiewaffenproben in Syrien im Rahmen
des Sellström-Berichts beteiligt. Darüber hinaus hat die
Bundesregierung angeboten, Reststoffe der Hydrolyse,
370 Tonnen Senfgashydrolysat, in Deutschland fachgerecht zu vernichten. Deutschland leistet einen wichtigen
Beitrag zur Vernichtung von Chemiewaffen.
Wir wollen heute den Einsatz der Bundeswehr am
maritimen Begleitschutz der „Cape Ray“ beschließen.
An Bord der „Cape Ray“, eines Spezialschiffs der USMarine, sollen die syrischen Chemiewaffen auf hoher
See in einem geschlossenen Hydrolysevorgang unschädlich gemacht werden. Die Gefährdungslage im Mittelmeer ist zwar als niedrig einzustufen. Aber die „Cape
Ray“ könnte durch ihre besondere Rolle und Symbolfunktion ein mögliches Ziel für Anschläge sein. Es ist
nicht auszumalen, was geschehen könnte, wenn diese
Chemiewaffen in falsche Hände geraten würden. Deshalb sollen sich bis zu 300 Soldatinnen und Soldaten mit
der Fregatte „Augsburg“ an der Absicherung der „Cape
Ray“ im Mittelmeer und gegebenenfalls im Nordatlantik
beteiligen. Das Mandat sieht ein solch großes Einsatzgebiet vor, weil der Hydrolysevorgang bei Sturm und rauer
See nicht durchgeführt werden kann. Je nach Wind und
Wetter soll die Möglichkeit bestehen, auf den Nordatlantik auszuweichen.
Lassen Sie uns heute gemeinsam ein starkes Signal
für die weltweite Abrüstung senden.
({3})
Vor allem an die Kolleginnen und Kollegen der Linken
gerichtet, sage ich: Es gibt keinen einzigen sachlichen
Grund, der gegen die Beteiligung der Bundeswehr an
dieser internationalen Abrüstungsmission sprechen
würde.
({4})
Alles, was Sie heute vorgetragen haben, sind reine Ablenkungsmanöver.
({5})
Packen Sie Ihre Nebelkerzen ein, und stehen Sie zu Ihrem Wort! Sie reden zwar immer gerne von Abrüstung.
Aber wenn es darauf ankommt, legen Sie wieder Ihre
ideologischen Scheuklappen an. Zeigen Sie doch den
Zuschauern auf der Besuchertribüne und zu Hause an
den Fernsehgeräten und zeigen Sie den Kolleginnen und
Kollegen der anderen Fraktionen, wie ernst Sie es mit
der Abrüstung wirklich meinen! Ihr Verhalten ist doch
verantwortungslos. Zu einer verlässlichen Abrüstungspolitik sind Sie offensichtlich nicht in der Lage. Sie sind
auch nicht fähig, Verantwortung für Deutschland zu
übernehmen.
Meine Fraktion empfiehlt die Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung. Wir wollen heute ein klares
Zeichen für die weltweite Abrüstung geben. Ich bitte Sie
alle um Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksa-
che 18/1067 zum Antrag der Bundesregierung auf Betei-
ligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am maritimen
Begleitschutz bei der Hydrolyse syrischer Chemiewaf-
fen an Bord der „Cape Ray“ im Rahmen der gemeinsa-
men VN/OVCW-Mission zur Vernichtung der syrischen
Chemiewaffen. Zu dieser Abstimmung liegen uns meh-
rere schriftliche Erklärungen nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung vor.1) Eine mündliche Erklärung ist an-
gemeldet, zu der ich nach der Abstimmung das Wort
erteilen werden.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache
18/984 anzunehmen. Wir stimmen nun über die Be-
schlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze
einzunehmen.
1) Anlagen 2 bis 5
Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der
Fall.
Ich eröffne die namentliche Abstimmung über die
Beschlussempfehlung. Ich weise darauf hin, dass nach
der namentlichen Abstimmung noch eine Abstimmung
über einen Entschließungsantrag der Linken hier stattfin-
det.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der nament-
lichen Abstimmung werde ich Ihnen später bekannt ge-
ben.2)
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1078. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD
abgelehnt, bei Zustimmung der Fraktion Die Linke und
Enthaltung der Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Nun kommen wir zu einer mündlichen Erklärung zur
Abstimmung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung.
Ich gebe Frau Annette Groth, Fraktion Die Linke, das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe
heute gegen die Entsendung von 300 Soldatinnen und
Soldaten zum maritimen Begleitschutz des US-Schiffes
„Cape Ray“ gestimmt, weil diese Entsendung die formelle Legitimierung eines weiteren Bundeswehreinsatzes durch den Bundestag darstellt.
Die offizielle Begründung für die Militärmission,
dass die „Cape Ray“ gegen mögliche Bedrohungen aus
der Luft, über und unter Wasser unter Einschluss asymmetrischer Bedrohungen geschützt werden solle, da das
Spezialschiff mit den hochgefährlichen C-Stoffen an
Bord hohen Symbolcharakter habe und daher grundsätzlich ein potenzielles Angriffsziel darstelle, ist für mich
nicht überzeugend.
({0})
Es wird hier eine allgemeine Bedrohungslage konst-
ruiert, die mit der realen Sicherheitslage im Mittelmeer
nichts zu tun hat. Gleichzeitig betont der Antrag der
Bundesregierung selbst, dass die Bedrohungslage im
Mittelmeer und im Nordatlantik grundsätzlich als nied-
rig zu bewerten ist. Für mich ist die Sinnhaftigkeit eines
Bundeswehreinsatzes nicht erkennbar. Dass im Antrag
der Bundesregierung das mögliche Operationsgebiet
sehr breit ist und Mittelmeer, Nordatlantik und die an-
grenzenden Seegebiete umfasst, ist für mich nicht akzep-
tabel. Ich möchte ausdrücklich, dass die deutsche Au-
2) Ergebnis Seite 2387 D
ßenpolitik einen zivilen Beitrag zur Ächtung und
Vernichtung aller Massenvernichtungswaffen auf der
Welt leistet.
({1})
Die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen ist hierzu
ein wichtiger Beitrag, gerade im Hinblick auf eine mögliche Befriedung der Region. Einen weiteren Auslandseinsatz der Bundeswehr, der die Militarisierung der Außenpolitik vorantreibt, halte ich ausdrücklich für nicht
notwendig.
({2})
Ich lehne alle Militäreinsätze und Rüstungsexporte
grundsätzlich ab. Gerade weil ich für die Durchsetzung
der Menschenrechte in der Außenpolitik eintrete, lehne
ich alle Beschlüsse, die darauf abzielen, außenpolitische
Fragen militärisch zu lösen, konsequent ab.
Danke schön.
({3})
Wir setzen nun die Haushaltsberatungen fort.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung, Einzelplan 14.
Ich erteile das Wort Bundesministerin Dr. Ursula von
der Leyen.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich möchte jetzt den Haushalt 2014 des
Verteidigungsministeriums einbringen.
Ausgangspunkt aller Überlegungen zur Finanzausstattung der Bundeswehr bildet die Neuausrichtung. Wir
befinden uns jetzt im dritten Jahr der Neuausrichtung.
Mir ist wichtig, in Erinnerung zu rufen, was die drei
Grundziele der Neuausrichtung waren, nämlich eine
Bundeswehr, die sicherheitspolitischen Herausforderungen gewachsen ist, eine Bundeswehr, die demografiefest
ist, und eine Bundeswehr, die nachhaltig finanziert ist.
Dafür steht auch dieser Haushalt. Er fordert uns.
Ich möchte zunächst einmal auf das Thema der sicherheitspolitischen Herausforderungen eingehen, denen
die Bundeswehr und die Ausstattung der Bundeswehr
gewachsen sein müssen.
Wir hatten Anfang dieses Jahres eine intensive Debatte darüber, wie Deutschland seine Verantwortung in
den Bündnissen wahrnimmt. Ich bin und bleibe überzeugt davon, dass Indifferenz keine Option für uns ist.
Das bedeutet aber nicht automatisch, wie manch einer
insinuiert, dass es um mehr Auslandseinsätze geht. Das
kann es bedeuten; das muss es aber nicht bedeuten. Es
bedeutet vor allem eine klare Positionierung innerhalb
unserer Bündnisse, und zwar dadurch, dass wir klarstellen, ob wir bei einem Einsatz dabei sind und wie wir uns
ihn vorstellen. Das sind wir nicht nur unseren eigenen
Interessen schuldig, das sind wir nicht nur unseren Verbündeten schuldig, sondern das sind wir auch, wie ich
finde, der Bevölkerung schuldig. Denn es ist wichtig,
über die Art und Weise, wie die Bundeswehr eingesetzt
wird und wie sie arbeitet, offen zu sprechen.
({0})
Ich finde es auch wichtig, über die Breite des Auftrags, des Tätigkeitsprofils und der Leistungstiefe der
Bundeswehr zu reden. Wir sind zurzeit in rund 15 Auslandseinsätzen rund um den Globus mit der Bundeswehr
vertreten. Aber nur drei davon sind Kampfeinsätze: der
Einsatz in Afghanistan, die Piratenbekämpfung am Horn
von Afrika und der Einsatz im Kosovo. Bei allen anderen Einsätzen geht es um Ausbildung, Beratung, Unterstützung oder den Schutz der Bevölkerung.
Wir sollten auch darüber sprechen, was die Bundeswehr in der Breite tut: Soldatinnen und Soldaten bauen
Feldkrankenhäuser auf. In Afghanistan, im Kosovo und
in Mali versorgt unsere Sanität die anderen Partnernationen medizinisch mit. In Afghanistan bildet die Bundeswehr auch Fluglotsen und die Feuerwehr aus. Wir stellen
Personal an der Pionierschule in Masar-i-Scharif und an
der Logistikschule in Kabul. In Mali sind deutsche Soldatinnen und Soldaten in der Fährausbildung am Niger
im Einsatz, im türkischen Trabzon im Bereich der Logistik. All das leisten unsere Soldatinnen und Soldaten. Darüber sollten wir mehr sprechen, weil wir das wertschätzen.
({1})
Der Entwurf des Verteidigungshaushalts für 2014 entspricht diesen Anforderungen. Der Haushalt umfasst
rund 32,8 Milliarden Euro. Die Verteidigungsausgaben
sinken damit gegenüber dem Haushaltssoll von 2013 nominal um rund 422 Millionen Euro. Diese Senkung entsteht zum einen durch unseren solidarischen Anteil an
der Gegenfinanzierung des Betreuungsgeldes in Höhe
von 147,3 Millionen Euro. Zum anderen konnten wir
den Haushaltsansatz reduzieren, weil der Personalumfang der Bundeswehr, wie es mit der Neuausrichtung beschlossen worden ist, weiter abgenommen hat. Wir haben auch innerhalb des Plafonds einige Akzente anders
gesetzt, zum Beispiel im Bereich Betrieb, in dem die
Position Materialerhalt aufwächst. Das gilt sowohl für
das wartungsintensive Gerät als auch für die neuen, technologisch hochkomplexen Systeme.
Dieses Thema leitet den Blick auf den zweiten großen
Komplex, mit dem wir uns im Bündnis beschäftigen,
nämlich auf die aktuelle Diskussion in der NATO. Auch
wenn die Lösung des Konflikts um die Ukraine und die
Annexion der Krim einzig und allein auf diplomatischem Wege gefunden werden kann, ist es wichtig, dass
die NATO-Mitglieder im Osten Sicherheit haben.
({2})
Deshalb sind die Sorgen der baltischen NATO-Mitglieder und des NATO-Mitglieds Polen, die aus historischer
Erfahrung erwachsen, auch unsere Sorgen. Gerade wir
Deutschen haben über Jahrzehnte die Erfahrung gemacht, was für ein hoher Wert es ist, wenn man ein verlässliches Bündnis um sich herum weiß und darin fest
verankert ist. Wir wissen, dass diese Sicherheit und dieser Rückhalt erst den Gesprächsraum öffnen, den man
braucht, um aus einer Position der Sicherheit heraus wieder Dialogbereitschaft zu zeigen.
Deshalb haben die NATO-Außenminister mit ihren
Beschlüssen in der vergangenen Woche kluge Zeichen
der Solidarität mit unseren östlichen Partnern gesetzt.
Sie haben die Zeichen gesetzt, dass die NATO ihre Routineaktivitäten auf dem Gebiet der östlichen Mitgliedstaaten verdichtet - auch Deutschland ist gefragt, seinen
Beitrag zu leisten - und parallel dazu den Gesprächsraum mit Russland offenhalten wird. Diese Dualität,
meine Damen und Herren, ist der richtige Weg, um mit
dieser Krise umzugehen.
({3})
Auf einem weiteren Blatt steht die Frage, wie sich die
NATO auf mittlere Sicht organisiert. Die NATO wird im
Lichte der Krim-Krise, im Lichte der Krise um die
Ukraine natürlich intensiv darüber diskutieren, ob und in
welchem Maße sie sich auf das veränderte Verhalten
Russlands einstellen wird. Das wird sicherlich auch die
Diskussion im Bündnis mit Blick auf den NATO-Gipfel
im Sommer bestimmen.
Für uns ist klar, dass wir in Deutschland mit der Bundeswehr, gerade mit der Neuausrichtung, gut aufgestellt
sind. Der höchste Anteil dessen, was wir in der Bundeswehr vorhalten, ist für die Landes- und Bündnisverteidigung. Wir gehören innerhalb der Europäischen Union
und der NATO zu den größten Truppenstellern. Das
heißt, wir haben vorgesorgt.
Das alles ist nachhaltig finanziert. Das zeigt dieser
Haushalt. Das zeigt auch der durch den Finanzminister
Wolfgang Schäuble gestern eingebrachte Gesamthaushalt ohne strukturelle Neuverschuldung. Das bedeutet,
das zweite Ziel der Neuausrichtung, die nachhaltige
Finanzierung, ist durch diesen Haushalt auch gesichert.
({4})
Meine Damen und Herren, die verteidigungsinvestiven Ausgaben werden gegenüber dem Vorjahr um rund
7 Prozent abgesenkt. Sie wissen, dass es 2013 Minderausgaben gab: wegen Verzögerungen, Minderleistungen,
Stückzahlreduzierungen. Diesen verteidigungsinvestiven
Ausgaben oder - so muss ich besser sagen - Ansätzen
auf dem Papier stehen reale Projekte gegenüber, die aus
ganz unterschiedlichen Gründen erst verspätet vollzogen
werden; einige habe ich eben genannt.
Da absehbar ab dem Haushalt 2016, wenn die Projekte realisiert werden, Nachholeffekte wirksam werden,
haben wir gemeinsam mit dem Bundesministerium der
Finanzen durch Absenkung der Verstärkungsmöglichkeiten für das zivile Überhangpersonal - das ist im Einzelplan 60 enthalten - um 500 Millionen Euro in 2014
und um 300 Millionen Euro in 2015 erreicht, dass diese
Nachholeffekte finanzplanerisch aufgefangen werden.
Das bedeutet, im Entwurf des 48. Finanzplans ist ein entsprechender Aufwuchs des Einzelplans 14 um die eben
genannten 800 Millionen Euro ab 2016 vorgesehen. Somit wird eine Plafondverschiebung auf der Zeitachse realisiert.
Das bedeutet - um das Komplexe, was ich eben gesagt habe, etwas einfacher auszudrücken -: Wir sparen
sozusagen heute für morgen aufgrund der einmaligen
Verzögerungen, die gestern stattgefunden haben.
({5})
Meine Damen und Herren, das dritte Ziel der Neuausrichtung ist Demografiefestigkeit. Ein Drittel des Verteidigungshaushalts, nämlich 10,6 Milliarden Euro, sind
für Personalausgaben veranschlagt. Dieser Block hängt
von ganz vielen Faktoren ab. Ich möchte auf eine besondere Entwicklung eingehen.
Es gibt seit 2003 beim zivilen Personal innerhalb der
Bundeswehr einen Einstellungsstopp mit dem Ergebnis,
dass beim zivilen Personal sehr viele ältere Beschäftigte
immer weniger jungen Beschäftigten gegenüberstehen.
Das ist klar: Wenn wir seit zehn Jahren nicht mehr eingestellt haben, dann tut sich mit dem Ausscheiden der Älteren unweigerlich ein ernst zu nehmender Engpass auf.
Wenn die Älteren ausscheiden und in den Ruhestand gehen, bedeutet das, dass Fachwissen verloren geht, dass
Kompetenzen verloren gehen, ohne dass Jüngere mit
modernisiertem Wissen und Fachwissen nachgewachsen
sind.
Wir halten das für eine bedenkliche Entwicklung. Wir
haben deshalb den Einstellungsstopp aufgehoben. Wir
brauchen junge Leute in der Verwaltung.
({6})
Wir werden in diesem Jahr mehr Beamtinnen und Beamte einstellen bzw. einsetzen - bis zu einer Obergrenze
von 1 600. Wir werden auch mehr Auszubildende behalten - ich finde, das ist elementar für die Rekrutierung
von Nachwuchs - und mit großem Nachdruck daran arbeiten, dass die Übernahmequote deutlich erhöht wird.
Da bilden wir ja die Fachkräfte für die Zukunft im eigenen Hause aus.
({7})
Wir werden uns selbstverständlich auch weiter bemühen müssen, die Nachwuchswerbung für Soldatinnen
und Soldaten, also im militärischen Teil, zu verbessern.
Da sehen die Zahlen in diesem Jahr, das noch jung ist,
bisher sehr gut aus. Aber mittel- und langfristig müssen
wir immer wieder darum werben - das wissen wir -, Talente für die Bundeswehr zu gewinnen, und deshalb
müssen wir als Arbeitgeber viel attraktiver werden.
Wir verlangen von den jungen Menschen, die zu uns
kommen, auch viel. Die Bundeswehr erfüllt ihren AufBundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
trag mit hochmoderner, sehr komplexer Technologie. Sie
kooperiert eng mit Dutzenden von internationalen Partnern. Also ist selbstverständlich Internationalität genauso wie Technikverständnis gefragt. Sie denkt zunehmend in den Kategorien der vernetzten Sicherheit, das
heißt verzahnt mit Diplomatie, mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Auch diese Felder sind gefragt. Für diese
Aufgaben brauchen und wollen wir die besten jungen
Frauen und Männer unseres Landes begeistern.
({8})
Aber genau diese Zielgruppe, also die besten jungen
Männer und Frauen dieses Landes, kann künftig mehr
auswählen denn je. Sie will eine anspruchsvolle und
spannende Aufgabe. Das kann die Bundeswehr zweifelsohne bieten. Aber sie schaut auch auf die Arbeitsbedingungen und vergleicht diese mit anderen Angeboten.
Hier muss die Bundeswehr auf etlichen Feldern aufholen. Das gilt insbesondere für die Karriereperspektiven
für Frauen wie für Männer in unseren Streitkräften.
Wir wollen ein Konzept für die Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber auf den Weg
bringen. Dies wird in diesem Sommer geschehen und im
Herbst durch ein Gesetzgebungsverfahren flankiert werden. Deshalb sind die Kosten für die Umsetzung der ersten Maßnahmen im Haushalt noch nicht detailliert wiederzufinden. Überhaupt wird das Gesamtpaket zur
Steigerung der Attraktivität ohnehin nicht am Volumen
eines einzelnen Postens zu messen sein. Die Veränderungen müssen sich quer durch den ganzen Haushalt und
über eine Vielzahl von Maßnahmen ziehen.
Der mit Abstand wichtigste Teil der Attraktivitätsoffensive wird sich allerdings niemals im Haushalt abbilden lassen. Dieser Teil betrifft die Veränderung in den
Köpfen. Es geht um die Veränderung der Haltung, der
Einstellung des Arbeitgebers. Mit Arbeitgeber meine ich
alle Vorgesetzten in der Bundeswehr. Wenn diese Initiative Erfolg haben soll, dann müssen jeder und jede in der
Bundeswehr die Einstellung verändern, und zwar vom
Spieß bis zum General. Die Frage, wie die Rolle als Führungskraft ausgestaltet wird, wird maßgeblich darüber
entscheiden, ob diese Attraktivitätsoffensive erfolgreich
sein wird oder ob sie scheitern wird.
Wenn ich von Haltung und Einstellung sowie von
Veränderung in den Köpfen spreche, dann muss man
auch berücksichtigen, dass sich die Sicht der Gesellschaft auf die Bundeswehr ändert. Ich habe am Anfang
über die vielfältigen Einsätze der Bundeswehr gesprochen. Die Bundeswehr ist bereit, sich zu öffnen und
Transparenz darüber zu schaffen, was sie leistet und wie
sie ihre Aufgaben erfüllt. Das ist eine ganz große Vielfalt. Vieles, was an etlichen Orten der Welt, aber auch in
unserem Land geleistet wird, ist der Öffentlichkeit eher
wenig bekannt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist unsere Parlamentsarmee. Wir wollen mit diesem Haushalt dazu beitragen, dass die Leistungen, aber auch die Attraktivität
unserer Bundeswehr sichtbar werden. Auch dafür steht
dieser Haushalt.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({9})
Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung
„Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am maritimen Begleitschutz bei der Hydrolyse syrischer Chemiewaffen an Bord der CAPE RAY im Rahmen der gemeinsamen VN/OVCW-Mission zur Vernichtung der syrischen
Chemiewaffen“, Drucksachen 18/984, 18/1067, bekannt:
abgegebene Stimmen 589, mit Ja haben gestimmt 535,
mit Nein haben gestimmt 35, Enthaltungen 19. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 589;
davon
ja: 535
nein: 35
enthalten: 19
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({1})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich
({2})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Vizepräsident Peter Hintze
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({3})
Mark Helfrich
Uda Heller
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({4})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller
({5})
Stefan Müller ({6})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({7})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({8})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({9})
Gabriele Schmidt ({10})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({11})
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder
({12})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({13})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({14})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({15})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({16})
Sabine Weiss ({17})
Ingo Wellenreuther
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({18})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({19})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier-Heite
Dr. h.c. Gernot Erler
Saskia Esken
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Vizepräsident Peter Hintze
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Michael Hartmann
({20})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({21})
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({22})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir ({23})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({24})
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Michael Roth ({25})
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({26})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
({27})
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({28})
Matthias Schmidt ({29})
Dagmar Schmidt ({30})
Carsten Schneider ({31})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({32})
Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff
({33})
Gülistan Yüksel
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Roland Claus
Katrin Kunert
Stefan Liebich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Volker Beck ({34})
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Anja Hajduk
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({35})
Christian Kühn ({36})
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({37})
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Nein
DIE LINKE
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Heike Hänsel
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Jutta Krellmann
Sabine Leidig
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Richard Pitterle
Martina Renner
Azize Tank
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({38})
Enthalten
SPD
Petra Hinz ({39})
DIE LINKE
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Susanna Karawanskij
Jan Korte
Caren Lay
Ralph Lenkert
Thomas Lutze
Thomas Nord
Harald Petzold ({40})
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Birgit Wöllert
Vizepräsident Peter Hintze
Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen
Michael Leutert, Fraktion Die Linke, das Wort.
({41})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie verfügen als Verteidigungsministerin über fast 33 Milliarden Euro. Das sind
exakt 11 Prozent des Bundeshaushaltes. Das ist viel
Geld. Egal wie man politisch zu den Militärausgaben
steht, kann man einen sorgsamen Umgang mit den Steuergeldern erwarten. Das ist leider nicht der Fall. In Ihrem
Haus herrschen inakzeptable Zustände. Das darf ich,
nachdem Sie 112 Tage im Amt sind, so sagen. Ihre
Schonfrist ist also vorbei. Ich möchte das gern an zwei
Beispielen verdeutlichen.
Erstes Beispiel: Großwaffensysteme. Damit sind Systeme gemeint wie zum Beispiel der Kampfhubschrauber
Tiger, der Transporthubschrauber NH90, das Kampfflugzeug Eurofighter, das Transportflugzeug A400M,
der Schützenpanzer Puma oder die Fregatte F 125. Das
alles sind in der Öffentlichkeit bekannte Projekte.
Wir wissen mittlerweile alle, dass jede Anschaffung
den finanziellen Rahmen gesprengt hat. Wir wissen
auch, dass jede Anschaffung nicht zu dem Zeitpunkt geliefert wurde, wie eigentlich vertraglich fixiert war. Zum
Beispiel: Der Kampfhubschrauber Tiger wurde mit einer
Verzögerung von sechseinhalb Jahren geliefert, Kosten
3 Milliarden Euro. Der Transporthubschrauber NH90
wurde mit einer Verzögerung von zwölf Jahren geliefert;
Kosten 3,7 Milliarden Euro. Der Eurofighter hatte ein
Jahr Verzögerung; Kosten 15 Milliarden Euro. Der
A400M hat derzeit vier Jahre Verzögerung; Kosten über
9 Milliarden Euro. Wegen der Reduzierung der Stückzahl kostet ein Flugzeug nicht mehr 125 Millionen, sondern 175 Millionen Euro. Ich könnte das weiter fortsetzen, aber meine Redezeit ist leider begrenzt. Richtig,
Frau Ministerin, ist - das begrüßen wir -, dass Sie alle
Statusberichte zu diesen Rüstungsprojekten nicht gebilligt haben.
({0})
Sie haben personelle Konsequenzen gezogen mit der
Entlassung des verantwortlichen Staatssekretärs und des
zuständigen Abteilungsleiters. Auch das begrüßen wir.
Aber trotzdem geht es im Haushalt ohne Konsequenzen
weiter. Bei allen Waffensystemen gibt es mehr Geld. Für
den Eurofighter gibt es in diesem Jahr 85 Millionen Euro
mehr, für den A400M gibt es 175 Millionen Euro mehr
usw. Aber ich frage Sie: Wo ist das Geld eingeplant,
wenn es zur weiteren Reduzierung der Stückzahl
kommt? Wo ist das Geld eingeplant, welches EADS verlangt, weil weniger Eurofighter gekauft werden sollen?
Ich weiß nicht, ob allen klar ist, worum es geht: Wenn
zum Beispiel 100 Flugzeuge bestellt werden und der
Bundestag später der Meinung ist, dass man nur noch 50
benötigt, dann nimmt die Industrie das nicht so hin und
sagt „okay“, sondern dann sind Ausgleichszahlungen
fällig. Das muss im Haushalt dementsprechend eingeplant werden. Das ist es aber nicht.
Mein zweites Beispiel, Frau Ministerin - Sie haben es
vorhin angesprochen -, bezieht sich auf die Familienfreundlichkeit. Sie haben sich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch bei der Bundeswehr auf die Fahne
geschrieben. Ich erkenne derzeit nicht, wo im Bundeshaushalt mehr Mittel eingeplant sind.
Ich möchte Ihnen aber ein Beispiel nennen, wo ohne
zusätzliches Geld - es freut Haushälter immer, wenn etwas ohne zusätzliches Geld umgesetzt wird - eine Möglichkeit geschaffen würde, mehr Familienfreundlichkeit
einzuführen. Es geht mir um die Auslandseinsätze von
Soldatinnen mit Kindern unter drei Jahren oder auch alleinerziehenden Vätern von Kindern unter drei Jahren.
Ich möchte kurz erklären, worum es geht: Wenn eine
junge Soldatin oder ein junger Soldat ein Kind hat - sagen wir 18 oder 20 Monate alt - und ihr oder ihm befohlen wird, an einem Auslandseinsatz teilzunehmen, dann
ist das Kind kein Hinderungsgrund. Er oder sie muss
sich mit dem Befehlshaber einigen, ob er oder sie geht
oder nicht. Für die alleinerziehenden Männer ist es eigentlich noch schlimmer als für die Frau; denn die Soldatin als Mutter hat vielleicht noch einen Mann, der sich
als Vater um das Kind kümmern kann. Der alleinerziehende Vater hat per Definition niemanden, sonst würde
er nicht alleinerziehender Vater heißen.
({1})
Frau Ministerin, das steht im Bericht des Wehrbeauftragten. Der Wehrbeauftragte hat in seinem Bericht angeführt, dass er diese Zustände im Ministerium mehrmals
vorgetragen und um Änderung gebeten hat. Das Ministerium möchte allerdings an dieser Praxis festhalten. Dies
halte ich für dubios. Wir müssen quer durch alle Haushalte das Betreuungsgeld, das sich die CSU gewünscht
hat, ersparen, und zwar mit dem Argument, die Eltern
sollen sich zu Hause um ihre Kinder kümmern. Wenn
ein Auslandseinsatz befohlen wird, dann ist ein Kleinstkind für eine Soldatin oder einen Soldaten kein Hinderungsgrund. Das halte ich für absurd. Ich hoffe, dass Sie
das schon geregelt, nämlich abgeschafft haben.
({2})
Frau Ministerin, das waren zwei Beispiele. Ich bitte
Sie, nicht zu versuchen, diese Einwände der Opposition
unter den Teppich zu kehren, indem Sie immer wieder
neue öffentlichkeitswirksame Verlautbarungen anstellen.
Man hat viel von Ihnen gehört. Zuletzt waren es die Dicken, die in die Bundeswehr kommen sollen. So bekommen Sie keine Ordnung in Ihr Haus. Schaffen Sie Transparenz in Ihrem Haus! Die Öffentlichkeit hat ein Recht
darauf, zu erfahren, was von Ihrer Seite geplant ist und
wo die Probleme liegen. Immerhin erwarten Sie von den
Soldatinnen und Soldaten, dass sie im Ausland einen
Auftrag ausführen, der ihnen ihre Gesundheit und im
schlimmsten Fall ihr Leben kosten kann. Frau Ministerin, Sie haben sieben Kinder. Wir werden uns bestimmt
verstehen. Ich habe auch zwei Söhne. Ich bin der festen
Überzeugung: Die Familien haben das Recht, zu erfahren, worauf sich ihre Kinder, Väter, Mütter oder Geschwister einlassen, wenn sie sich bei der Bundeswehr
verpflichten. Den besten Job machen Sie, wenn Sie dafür
sorgen, dass kein Soldat, keine Soldatin in den AusMichael Leutert
landseinsatz gehen muss. Dafür hätten Sie unsere volle
Unterstützung - definitiv.
({3})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Rainer Arnold, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,
die Verteidigungsministerin hat viele Themen aufs Gleis
gesetzt. Das ist ambitioniert. Ich denke, es ist richtig und
notwendig, all diese Themen anzugehen. Bei manchen
ist das sogar überfällig. Ein Beispiel hat die Ministerin
heute genannt: die Korrekturen im Bereich der Zivilbeschäftigten. Das begrüßen wir sehr; wir haben lange darüber diskutiert und sie gefordert.
Wir wissen allerdings auch, Frau Ministerin: Die
Wegstrecke, um die Ziele zu erreichen, wird manchmal
steil sein, da wird es manchmal auch rumpeln.
({0})
Wir sagen Ihnen zu, dass wir Sie unterstützen werden,
dass wir die Rumpelsteine aus dem Weg räumen wollen,
damit wir das Ziel einer leistungsfähigen und attraktiven
Bundeswehr, das wir gemeinsam verfolgen, auch erreichen. Manchmal werden wir allerdings in der Koalition
auch darüber diskutieren müssen, wie die Weichen zu
stellen sind, um dieses Ziel auf dem besten Weg zu erreichen.
Sie haben auch heute die Debatte über die Frage erwähnt: Welche Verantwortung, welche Rolle hat
Deutschland in der Welt? Wir sind froh, dass diese Debatte angestoßen wurde; wir müssen sie führen. Es darf
jetzt aber nicht bei diesem Impuls, bei diesem Aufschlag
auf der Münchner Sicherheitskonferenz bleiben. Ich
glaube, wir als Parlament und auch Sie als Regierung
müssen miteinander darüber nachdenken, wie wir diese
Debatte in diesem Hohen Hause in den nächsten Jahren
fortführen wollen. Wir dürfen nicht nur immer über
Haushalt und Mandate reden, sondern wir müssen auch
öfter über Grundzüge der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik und über wohlverstandene deutsche Interessen reden.
Natürlich spüren wir alle, dass die Schere in dieser
Diskussion ziemlich weit auseinanderklafft: einerseits
Deutschlands Zurückhaltung, wenn es um militärische
Einsätze geht - daran ändert sich im Kern nichts; niemand sehnt sich danach, Soldaten in ferne Länder zu
schicken -, andererseits der Anspruch, den wir erfüllen
wollen, nämlich ein verlässlicher Partner in den internationalen Bündnissen zu sein. Hier bedarf es auch in der
deutschen Gesellschaft eines Diskurses und einer Klärung.
Ich verstehe manchmal die Linke nicht. Ich weiß angesichts der Art, wie Sie die Debatten führen, angesichts
dessen, dass Sie immer über eine Militarisierung der Außenpolitik reden, gar nicht, ob Sie sich selbst noch ernst
nehmen.
({1})
Nehmen Sie doch einfach einmal wahr: Wir haben viel,
viel weniger Soldaten im Auslandseinsatz als noch vor
Jahren; es ist etwa die Hälfte.
({2})
In all den Mandaten, die wir in den letzten Wochen und
auch heute neu beschlossen haben, geht es nicht darum,
Kriege zu führen, sondern um Ausbildung, um Vernichtung von Chemiewaffen, um Unterstützung, um Beobachtermissionen in Afrika und vieles andere mehr.
({3})
Aber klar ist: Wir müssen schon aufpassen, dass es
nicht dazu kommt, dass Deutschland zwar im Geleitzug
der internationalen Gemeinschaft sitzt, aber dort kein eigenes Bordpersonal hat. Wenn die Bundesrepublik international mehr mitgestalten will - das ist der formulierte
außenpolitische Anspruch dieser Regierung -, dann
müssen wir Verantwortung übernehmen; das ist ganz
klar. Dieser Wille, mitzugestalten, ist keine Anmaßung
von uns Deutschen, sondern stellt die Erfüllung der Erwartungen aller unserer Partner in den Bündnissen dar.
({4})
Natürlich wissen auch die deutschen Bürgerinnen und
Bürger: Unser Wohlstand hängt vom freien Handel ab
- das hat etwas mit sicheren Verkehrswegen auch auf
hoher See zu tun -, unser Wohlstand hängt auch von Stabilität in Krisenregionen ab, die über Rohstoffe verfügen. Denn wir wollen fair handeln können, damit die
Menschen dort und bei uns etwas davon haben.
Wenn man über den Anspruch diskutiert, in der internationalen Politik mehr zu tun, dann ist unter anderem
- das ist aber wirklich nur ein Modul davon - die Frage
zu klären: Welche Bundeswehr brauchen wir dazu? Da
schauen wir am heutigen Tag natürlich auch auf die Finanzen der Bundeswehr. Die Bundeswehr leistet in der
Tat einen wichtigen Beitrag zur Konsolidierung der
Staatsfinanzen - mit einem sinkenden Etat und einer sinkenden Zahl von Soldaten in den letzten Jahren. Trotzdem muss viel geleistet werden.
Der Wunsch der Bürgerinnen und Bürger, dass es
nach Ende des Kalten Krieges so etwas wie eine Friedensdividende gibt, ist also längst erfüllt worden. Zur
Zeit des Kalten Krieges betrug der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bundesetat noch 20 Prozent; dieses
Jahr liegt der Anteil, bereinigt um die Versorgungsleistungen, bei 9,45 Prozent. Während des Kalten Krieges
war es manchmal in gewisser Weise einfach, weil man
wusste, worauf man sich vorzubereiten hatte. Man
wusste auch, dass man sich möglichst so vorbereitet,
dass es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zum Einsatz
kommt. Mit Ende des Kalten Krieges sehen wir nun, wie
komplex die Welt ist und wie differenziert unsere militärischen Antworten sein müssen.
In den letzten Wochen haben wir außerdem gemerkt,
dass Russland ein schwieriger Partner ist. Mancher von
uns hatte ja die Hoffnung, dass sich nicht nur eine Interessenspartnerschaft mit Russland entwickelt, sondern
- das ist ja in Wirklichkeit der Wunsch der Menschen in
Russland und auch bei uns - dass auch freundschaftliche
Beziehungen zwischen unseren beiden Staaten aufgebaut werden können. Diese Hoffnung hat zweifellos einen Dämpfer bekommen.
Aber wir müssen aufpassen: Die Antwort auf die Probleme in der Ukraine und um die Ukraine kann nicht
sein, dass die NATO zum entscheidenden Akteur wird.
Es gibt keine militärischen, sondern nur diplomatische
Antworten. Es ist mühsam, aber wir müssen immer wieder dicke Bretter bohren. Wir sind in diesem Zusammenhang froh, dass der Außenminister auch auf der internationalen Bühne ein sehr engagierter Akteur ist.
({5})
Klar ist auch: Die Situation in den letzten Wochen hat
uns ein Stück weit die Kernaufgabe der NATO in Erinnerung gerufen; diese hat sich ja gar nicht verändert. Die
Botschaft lautet immer noch, dass ein Angriff auf einen
NATO-Partner als Angriff auf das ganze Bündnis verstanden wird und dass wir alle in einem solchen Fall verpflichtet sind, Beistand zu leisten. - Dies war immer so,
aber das wurde manchmal ein bisschen verdrängt.
Was nicht sein kann, ist, dass mancher in der NATO
und auch einige Politiker angesichts der Krise in der
Ukraine glauben, die vermeintliche Gunst der Stunde
nutzen zu können, um die NATO anders zu positionieren, als es ihrer Historie und unseren Erwartungen entspricht.
Klar ist: Die NATO ist ein verlässliches kollektives
Verteidigungsbündnis. Wir müssen auch in Zukunft in
der NATO immer wieder neu darüber nachdenken: Wie
bleiben wir als NATO so stark, dass wir unsere militärischen Fähigkeiten möglichst nie einsetzen müssen? Jeder weiß doch, was es bedeuten würde, wenn die NATO
diese tatsächlich zum Einsatz brächte.
In den letzten Jahren hatte ich viele Gelegenheiten,
mit Menschen im Baltikum zu sprechen. Deren Sorgen
und Befürchtungen angesichts der aktuellen Entwicklungen müssen wir ernst nehmen; das ist klar. Bei einer
genaueren Betrachtung werden wir aber merken: Die
Befürchtungen im Baltikum und bei manchen osteuropäischen Partnern sind nicht wirklich neu.
Die Botschaft ist: Wir Deutsche sind ein verlässlicher
Partner. Art. 5 des NATO-Vertrages gilt. Deshalb ist es
auch so wichtig, dass man nicht achtlos über die Aufnahme neuer NATO-Partner diskutiert und dabei gleichzeitig im Hinterkopf hat, dass dann Art. 5 des NATOVertrages möglicherweise gar nicht zum Tragen kommen kann. Solche Gedankenspiele stärken die NATO
nicht, sondern sie schwächen sie, weil auch in Zukunft
die zentrale Funktion der NATO sein muss, dass man
sich auf die Beistandsgarantie nach Art. 5 verlassen
kann.
({6})
Reden wir in diesem Kontext über die Funktion der
Bundeswehr. In allen Ländern muss bei Verteidigungsausgaben gespart werden, auch bei der deutschen Bundeswehr. Es wird nicht mehr Geld geben, zumindest
nicht in den nächsten Jahren. Aus den vielen Diskussionen geht eindeutig hervor: In den nächsten Jahren muss
mit Pooling, Sharing und Anlehnungspartnerschaft usw.
ernst gemacht werden. Nur über arbeitsteiliges Vorgehen
wird es uns gelingen, die knappen Mittel so effizient einzusetzen, dass die Fähigkeiten erhalten und, wo notwendig, auch modernisiert werden. Ich wünsche mir sehr
- das steht so im Koalitionsvertrag; die Ministerin setzt
hier ebenso wie der Außenminister Impulse -, dass
Deutschland Motor dieser vertieften Integration in der
NATO und auch im Bündnis der Europäischen Union
wird.
Um nicht missverstanden zu werden: Der parlamentarische Vorbehalt ist auf diesem Weg kein Hindernis. Er
ist eine Stärke Deutschlands. An die Grünen und die
Linken gerichtet sage ich: Sie können in der nun eingesetzten Kommission jederzeit mitarbeiten. Die Tür dazu
steht offen.
({7})
Statt mit Verdächtigungen, die jeder Grundlage entbehren, die Kommissionsarbeit schon im Vorfeld zu kritisieren, wäre es klüger, sich mit uns zusammenzusetzen und
zu überlegen, wo es Klärungsbedarf gibt und wo nachjustiert werden muss. Dabei kann es allerdings nicht um
ein Aushebeln der grundsätzlichen Politik gehen. Sie
sind eingeladen, gemeinsam mit uns darüber zu diskutieren.
Zum Thema Nachsteuern. Wir Sozialdemokraten legen auf folgende Tatsache Wert: Wenn wir in eine Koalition eintreten, dann wird nicht alles so bleiben, wie es in
der Vergangenheit war. Das gilt auch für die Bundeswehrreform, für die Struktur der Bundeswehr. Wir werden in den nächsten Tagen mit dem Koalitionspartner
und der Ministerin über unsere Vorstellungen von Nachsteuern diskutieren. Ein wichtiger Grundsatz wird sein:
nicht nur Breite vor Tiefe, nicht nur Absenken. Wir wissen nämlich: Wenn das alle NATO-Partner machen, sind
am Ende alle Mittelmaß. Das ist nicht das, was eine
starke NATO ausmacht. Wir werden vielmehr Schwerpunkte setzen müssen. Ich möchte das an zwei Beispielen kurz verdeutlichen.
Deutschland ist jetzt schon gut im Bereich der bodengebundenen Luftverteidigung; das ist ein richtiges Argument. Wir haben schon viel Geld ausgegeben, auch für
die Weiterentwicklung - Stichwort MEADS. Die deutsche Wirtschaft hat im Bereich Sensorik und bei anderen
Technologien auf dem Weltmarkt die Marktführerschaft
inne bzw. besitzt hohe Fähigkeiten. Deshalb wäre es
klug, die bodengebundene Luftverteidigung zu einem
Schwerpunkt der deutschen Verteidigungspolitik zu machen und den Bündnispartnern anzubieten.
Ich weiß, dass es einfach ist, Forderungen zu erheben,
die Geld kosten. Irgendwann muss man auch die Frage
beantworten, wie man das finanzieren will. Wenn wir die
bodengebundene Luftverteidigung stärken wollen - das
wird nicht billig sein -, dann ist es legitim, darüber nachzudenken, ob wir zugleich eine so hohe Stückzahl an
Kampffliegern brauchen oder es nicht klüger wäre, dass
Länder wie Großbritannien und Frankreich, die in diesem Bereich sehr stark sind, mehr machen als wir. Die
Eurofighter sind ja im Betrieb sehr teuer. Mit dem Geld,
das wir einsparen, wenn wir die Stückzahlen verringern,
kann man neue Ideen finanzieren.
Bei den Hubschraubern gilt übrigens Ähnliches. Wir
brauchen nicht weniger Hubschrauber, sondern das
Bündnis braucht mehr. Deutschland sollte keinen
schlechten Deal machen - er wird jetzt Global Deal genannt ({8})
und am Ende für weniger Hubschrauber mehr Geld bezahlen.
({9})
Wir sollten vielmehr die Fähigkeiten nutzen. Wir haben
Zeit, um Partner zu finden. Ich denke gerade an osteuropäische Partner - Stichwort Anlehnungspartnerschaft -,
die alleine kaum Hubschrauber finanzieren können. Wir
haben vier Jahre Zeit, Anlehnungspartner zu finden, mit
denen wir gemeinsam Hubschrauber betreiben können.
Damit würden wir das Bündnis stärken. Das ist eine Fähigkeit, bei der Deutschland jetzt schon gut ist.
Zu den Fähigkeiten, die gestärkt werden müssen, gehört auch der Sanitätsdienst. Wir dürfen nicht übersehen,
dass der Sanitätsdienst der Bundeswehr schon heute eine
tragende Säule bei Einsätzen der internationalen Gemeinschaft ist, weil wir da wirklich gut sind. Wir müssen
aber einkalkulieren, dass der hohe Frauenanteil in diesem Bereich - glücklicherweise! - zu vielen Kindern
und vielen Familienphasen führt. Auch dies müssen wir
miteinander besprechen.
({10})
Eines bleibt wichtig: Im Kern geht es nicht um Ausrüstung oder militärische Fähigkeiten, sondern es geht
um die Menschen bei der Bundeswehr. Denen haben wir
in den letzten Jahren in der Tat viel zugemutet: immer
wieder neue Reformen, immer wieder Einschnitte, immer wieder neue Einsatzgebiete. Viele mussten auch länger im Einsatz bleiben. Bei Mangelfähigkeiten mussten
die Soldaten zum Teil sogar unzumutbar lang im Einsatz
bleiben. Vor diesem Hintergrund ist das Thema Attraktivität in der Tat ein zentrales Thema; da sind wir ganz bei
Ihnen, Frau Ministerin.
Attraktivität ist aber mehr als soziale Rahmenbedingungen und Familienfreundlichkeit. Zur Attraktivität gehören auch die Arbeitsbedingungen an den Standorten.
Deshalb müssen wir, Frau Ministerin, wenn notwendig,
auch bei den Standorten nachbessern. Wir dürfen nicht
immer mehr verdichten, weil das effizient ist, weil wir
glauben, so Geld sparen zu können. Es macht keinen
Sinn, Geld für Attraktivitätsmaßnahmen auszugeben,
wenn gleichzeitig die Büros klein und die Arbeitsbedingungen schlecht sind. Das funktioniert so nicht.
Neben der Frage der Standorte gehören zur Attraktivität auch gutes Gerät und eine gute Ausstattung. Junge,
gut ausgebildete Menschen werden dann zur Bundeswehr kommen, wenn sie wissen, dass sie dort mit moderner Technik umgehen.
Am Schluss will ich noch Folgendes sagen: Diese
Koalition ist angetreten, um die Lebenssituation der
Menschen in Deutschland zu verbessern. Das gilt vom
sozialpolitischen Bereich bis zur Bundeswehr. Ich bin
ziemlich zuversichtlich: Wenn wir, Frau Ministerin und
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, das, was
jetzt andiskutiert und angeschoben wurde, in den nächsten Jahren konzentriert auf dem Gleis halten und die
Weichen gemeinsam richtig stellen, werden wir die Bedingungen für die Menschen bei der Bundeswehr, für
Soldaten und Zivilbeschäftigte, zum Guten wenden.
Dann ist die Bundeswehr ein attraktiver und interessanter Arbeitgeber. Diese Koalition hat eine Chance, das zu
erreichen.
Herr Kollege!
Ich bin fertig. - Ich möchte noch einmal an den
Grundkonsens zwischen CDU und SPD erinnern,
({0})
der sowohl in Regierungs- als auch in Oppositionszeiten
da war und der uns auch als Parlamentarier stark macht.
Mein Wunsch ist: Wir sollten ihn nutzen, um die Regierung dort, wo es richtig ist, zu stützen. Wir sollten ihn
aber auch nutzen, um die Regierung gelegentlich, wenn
das notwendig ist, anzuschieben und zu drängen. Dann
werden wir gemeinsam etwas erreichen.
Recht herzlichen Dank.
({1})
Als Nächstem erteile ich das Wort Kollegen
Dr. Tobias Lindner, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu Beginn Ihrer Amtszeit, liebe Frau von der
Leyen, hatte ich den Eindruck, dass Sie erst ein bisschen
gezögert haben, ob Sie dieses Amt, diesen neuen Verant2394
wortungsbereich übernehmen sollen. Aber kurz danach
haben Sie viele Dinge angekündigt. Sie haben selbst die
Ansprüche definiert, an denen Sie sich messen lassen
wollen. Das betrifft die Vereinbarkeit von Familie und
Dienst sowie eine Reform des Beschaffungsprozesses.
Diese Ansprüche haben Sie selbst definiert, und an diesen werden Sie sich messen lassen müssen.
Sie haben nicht nur Veränderungen angekündigt, sondern vielfach auch über Transparenz gesprochen, darüber, dass zu Beginn einer politischen Debatte eine ehrliche und vollständige Bestandsanalyse stehen muss. Sie
haben heute hier Ausführungen zu den drei Zielen der
Bundeswehrreform gemacht, unter anderem zum Thema
Finanzen.
Ich habe mir eben von meinem Büro geben lassen,
was Ihr Vorvorgänger, Karl-Theodor zu Guttenberg, am
26. Mai 2010 vor der Führungsakademie gesagt hat. Er
sprach darüber, dass der mittelfristig höchste strategische Parameter, quasi als Conditio sine qua non, für die
Zukunft der Bundeswehr die im Grundgesetz verankerte
Schuldenbremse sei. Zur Ehrlichkeit gehört nun einmal,
liebe Frau Ministerin, wenn Sie heute hier stehen und
über einen Etat von 32 Milliarden Euro reden, auch, zu
sagen, dass dieser Etat mittlerweile 5 Milliarden Euro
über dem liegt, was Karl-Theodor zu Gutenberg damals
in seiner mittelfristigen Finanzplanung für das Jahr 2010
veranschlagt hat. Das Ergebnis dieser Analyse kann somit nur lauten, dass die Bundeswehrreform zumindest an
ihren finanziellen Vorgaben, an dem Ziel, Einsparungen
zu leisten, bitter gescheitert ist.
({0})
- Darauf komme ich noch zu sprechen.
Ein zweiter Punkt, den Sie hier nur am Rande gestreift haben, ist der Aufwuchs von 800 Millionen Euro
in der mittelfristigen Finanzplanung, der darauf zurückgeht, dass Rüstungsprojekte zu spät zulaufen. Wir haben
es also nicht mit einem Absinken des Etats in diesem
Jahr zu tun, sondern in Wirklichkeit schieben Sie eine
Welle von fehlgeschlagenen Rüstungsprojekten vor sich
her.
Wenn Kollege Arnold hier Ideen präsentiert, wie man
MEADS weiter verwenden könnte, wie man ein taktisches Luftverteidigungssystem machen könnte, wenn
wir also in Zukunft für Rüstungsprojekte von heute zahlen sollen, die teurer werden und später kommen, kann
ich dazu nur sagen: Wir können Geld nur einmal ausgeben. Dieses Geld fehlt dann nicht nur innerhalb der Bundeswehr für notwendige Beschaffungen, zum Beispiel
Schutzwesten, oder für die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Dienst, sondern dieses Geld fehlt
dann auch in dem vorgelegten, strukturell ausgeglichenen Etatentwurf für andere wichtige Zukunftsausgaben
wie Bildung, Forschung und Teilhabe. Das ist alles andere als eine zukunftsgerichtete Finanzplanung, liebe
Frau von der Leyen.
({1})
An einem Thema haben Sie sich heute ein bisschen
vorbeigemogelt, nämlich um die Beschaffungspolitik.
Neben der Vereinbarkeit von Familie und Dienst ist dies
das zweite große Thema Ihrer bisherigen Amtszeit. Sie
haben sich bei einer Rüstungsklausur über die größten
15 Beschaffungsvorhaben informieren lassen. Sie haben
ausdrücklich keinen der Ihnen vorgelegten Projektstatusberichte gebilligt. Sie haben den verantwortlichen
Staatssekretär in den einstweiligen Ruhestand versetzt
und den verantwortlichen Abteilungsleiter von seinen
Aufgaben entbunden. Wohl wahr, ich habe den Eindruck, Sie haben erkannt, dass im Beschaffungsbereich
der größte Risikoposten im Bundeswehrhaushalt liegt.
({2})
Sie holen nun externe Berater in Ihr Haus. Sie kaufen
sich Zeit. Bisher ist aber noch nicht zu erkennen, welche
Lehren Sie aus diesen Erkenntnissen ziehen, liebe Frau
Ministerin. Sie verschieben mehr als 1 Milliarde Euro
aus 2013 in die Zukunft. In 2013 sind beispielsweise von
über 1 Milliarde Euro, die für den Eurofighter eingestellt
waren, gerade einmal 47 Millionen Euro abgeflossen.
Sie legen heute im Wissen darum, dass bei den Rüstungsprojekten der größte Problemberg in Ihrem Haus
liegt, einen Haushalt vor, der alles andere als Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit für das Jahr 2014 aufweisen wird. So geht das nicht.
({3})
Es geht auch nicht, dass Sie zwar Projektstatusberichte nicht billigen, Staatssekretäre in den Ruhestand
versetzen und Abteilungsleiter von ihren Aufgaben entbinden, aber gleichzeitig die Projekte weiterlaufen lassen, als wäre nichts geschehen. Sie billigen den Statusbericht nicht, leiten aber keine Schlussfolgerungen zu
konkreten Auswirkungen auf das Projekt ab! Frau von
der Leyen, ich will Ihnen an dieser Stelle ganz ehrlich
sagen: Wenn Sie es ernst damit meinen, dass Sie neue
Verhältnisse schaffen wollen, dass das Material, das die
Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr benötigen,
das beste sein soll, dass Mittel effizient verwendet werden sollen und dass das Beschaffungswesen neu strukturiert werden muss, dann müssen Sie diese 15 Rüstungsprojekte jetzt unterbrechen, und zwar mindestens so
lange, bis Ihrem Hause die Ergebnisse der Untersuchungen zu den neuen Strukturen vorliegen.
({4})
- Ich danke der Koalition für diesen Zwischenruf, dass
sie sich noch länger verzögern würden. Die Ministerin
hat ja selbst angekündigt, dass im Herbst die Ergebnisse
der Untersuchungen eines Beratungsunternehmens vorliegen und dass dann Entscheidungen folgen werden. Ich
bin gespannt, ob dieser Zeitplan eingehalten werden
kann.
Meine Fraktion, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird in den anstehenden Haushaltsberatungen für
diese 15 größten Rüstungsprojekte ein Moratorium beantragen.
({5})
Wir wollen, dass die Mittel im Haushalt so lange gesperrt bleiben, bis die Ergebnisse der Untersuchung, die
Sie selbst in Auftrag gegeben haben, vorliegen. Wir wollen nicht, dass weiterhin auch nur ein Cent an Steuergeldern in Projekte fließt, die risikobehaftet sind, während
man im Ministerium ganz klar erkannt hat, dass man etwas ändern muss. Deshalb werden wir uns für dieses
Moratorium starkmachen.
({6})
- Lieber Kollege Arnold, wenn ich über den Haushalt
des Verteidigungsministeriums rede, dann sorge ich
mich dabei um die Soldatinnen und Soldaten unserer
Bundeswehr und weniger um die Beschäftigten und die
Aktionäre von deutschen Rüstungsunternehmen. Wenn
wir Projekte mit einer Mehrheit im Parlament beschließen - ganz gleich, wie diese aussieht -, dann liegt es im
Interesse aller, dass die Gelder in der Höhe und dafür
ausgegeben werden, wofür sie veranschlagt sind, und
dass die Produkte pünktlich, mängelfrei und in der bestellten Eigenschaft zulaufen.
({7})
Ich möchte noch auf einen allerletzten Punkt eingehen, von dem ich mir in den kommenden Monaten etwas
erhoffe. Sie haben selbst gesagt, dass Sie die Transparenz des Rüstungsbereichs im Parlament verbessern wollen; im Koalitionsvertrag finden sich dazu entsprechende
Formulierungen. Es ist klar, dass, wenn es um Rüstungsprojekte geht, die Hauptbaustelle der Verteidigungshaushalt ist. Meine Fraktion erwartet von Ihnen darüber hinaus regelmäßige proaktive Unterrichtungen durch das
Ministerium und nicht nur Berge von Akten und das Beantworten von Anfragen, die zu stellen unser gutes parlamentarisches Recht sind. Wir erwarten also, dass Sie
uns regelmäßig Ihre Einschätzungen über Risiken im finanziellen, technischen und rechtlichen Bereich mitteilen, damit das Parlament im Zweifel auch gegensteuern
kann. Ich denke, das Euro-Hawk-Desaster aus dem letzten Sommer ist uns da Lehre genug.
Wir werden uns gemeinsam mit allen im Haus, die
das wollen, in Form von vielen Anträgen engagiert in
diese Debatte einbringen. Wir schauen gespannt auf die
Beratungen zum Verteidigungshaushalt 2014.
Ich danke Ihnen.
({8})
Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Henning Otte,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.
Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer
Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan
ergeben.
So steht es in Art. 87 a Abs. 1 unseres Grundgesetzes.
Daraus ergibt sich für uns Politiker, dass wir den finanziellen Handlungsrahmen so zu setzen haben, dass die
Sicherheit unseres Landes zu jeder Zeit gewährleistet
werden kann.
„Sicher ist, dass nichts sicher ist. Selbst das nicht.“
Das sagte einmal Joachim Ringelnatz. Für uns Verteidigungspolitiker bedeutet dies wiederum, dass wir auch
unvorhersehbare Risiken in den Blick nehmen müssen,
dass wir alle vorhersehbaren Risiken abdecken müssen
und dass wir dabei Chancen für einen möglichst dauerhaften Frieden in Freiheit gemeinsam mit unseren Freunden für eine größtmögliche sichere Welt zu nutzen haben. Dafür müssen wir uns einbringen.
100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges,
75 Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, aber
auch 25 Jahre nach dem Fall der Mauer steht fest:
Deutschland ist in einem vereinten Europa fest integriert, aber von uns wird auch viel erwartet. Daher haben wir, CDU/CSU zusammen mit der SPD, im Koalitionsvertrag der Großen Koalition die Grundzüge
unserer Verteidigungspolitik festgelegt. Wir sagen
dazu:
Deutschland stellt sich seiner internationalen Verantwortung. Wir wollen die globale Ordnung aktiv
mitgestalten. Dabei lassen wir uns von den Interessen und Werten unseres Landes leiten. Deutschland
setzt sich weltweit für Frieden, Freiheit und Sicherheit, für eine gerechte Weltordnung, die Durchsetzung der Menschenrechte und die Geltung des Völkerrechts sowie für nachhaltige Entwicklung und
Armutsbekämpfung ein.
({0})
Wir stehen bereit, wenn von unserem Land Beiträge
zur Lösung von Krisen und Konflikten erwartet
werden. Dabei stehen für uns die Mittel der Diplomatie, der friedlichen Konfliktregulierung und der
Entwicklungszusammenarbeit im Vordergrund.
Diese Linie wurde durch den Bundespräsidenten, unseren Außenminister und vor allem auch durch unsere Verteidigungsministerin, Dr. Ursula von der Leyen, auf der
Münchner Sicherheitskonferenz noch einmal unterstrichen. Dafür sind wir ihnen sehr dankbar.
({1})
Die Aussagen im Koalitionsvertrag sollen auch Verlässlichkeit und Verbindlichkeit gegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten symbolisieren. Ich glaube, eines
brauchen unsere Soldaten: Sie brauchen diese Verlässlichkeit; denn sie müssen jetzt diese Neuausrichtung so,
wie wir sie vereinbart haben, auch umsetzen.
Deutschland übernimmt Verantwortung, auch für humanitäre Einsätze. Deswegen ist es unverantwortlich,
dass der Kollege Movassat gestern hier davon gesprochen hat, dass das Beihilfe zum Krieg sei. Das ist keine
verantwortungsvolle Politik und gehört nicht in dieses
Haus, meine Damen und Herren.
({2})
Auf dem Kontinent Afrika nehmen wir Anteil an einer übergreifenden Mission mit einem ausgewogenen
Ansatz von diplomatischen, entwicklungspolitischen
und militärischen Mitteln - im Sinne der vernetzten Sicherheit. Das haben wir mit dem beschlossenen Ausbildungsmandat EUTM Somalia und EUFOR Zentralafrika
erneut gezeigt.
Doch die sicherheitspolitischen Herausforderungen
nehmen nicht ab: Die überraschende völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland stellt ein erhöhtes Konfliktpotenzial dar. Es ist angeraten, dieses Ereignis mit aller Vernunft und aller Abgeklärtheit zu
bewerten und entsprechende Rückschlüsse zu ziehen, jeder in seinem Ressort, niemand mit Scheuklappen.
Es ist aber auch wieder sehr offensichtlich geworden,
dass - neben den Einsätzen, die wir in Afghanistan und
im Kosovo über lange Jahre haben - die Bündnis- und
Landesverteidigung innerhalb der NATO zu Recht an
vorderster Stelle der verteidigungspolitischen Aufgaben
steht. Oft wird über die historische Verantwortung
Deutschlands gesprochen. Es gehört zu unserer historischen Verantwortung, dass wir die Sicherheitsbedenken
unserer Freunde, zum Beispiel der baltischen Staaten
oder Polens, nicht einfach wegwischen können. Die Beistandsverpflichtung der NATO ist kein bloßes Lippenbekenntnis; Kollege Arnold hat das auch, mit seinen Worten, gesagt.
Nachdem die Alliierten 40 Jahre zu ihrer Verpflichtung und Verantwortung gegenüber Deutschland standen, darf es uns nicht überraschen, wenn wir zu unserer
Beistandsverpflichtung gegenüber unseren osteuropäischen Verbündeten und Freunden befragt werden. Deshalb sind die Anmerkungen unserer Bundesverteidigungsministerin - auch heute in ihrer Rede - zur Verstärkung
des Bündnisses richtig, verantwortungsvoll und als klare
Information für unsere Bürgerinnen und Bürger zu werten. Unsere Bürger erwarten, dass man ihnen offen sagt,
wo die Aufgaben unseres Landes liegen, wo die Verantwortung unseres Landes liegt. Auch dafür herzlichen
Dank!
({3})
Den Alliierten einerseits größere Anstrengungen in
Aussicht zu stellen und den Bürgern in Deutschland andererseits ein trügerisches Gefühl der heilen Welt zu geben: Das geht nicht auf und wird nicht geschätzt. Wir in
Deutschland verstehen sehr wohl, für welche Anstrengungen wir unseren Beitrag innerhalb der NATO leisten
müssen.
Wenn wir uns die sicherheitspolitischen Entwicklungen ansehen, dann können wir in aller Ruhe feststellen,
dass die Neuausrichtung der Bundeswehr auch vor dem
Hintergrund dieser neuen Lage richtig war. Das Ordnungsmerkmal „Breite vor Tiefe“ hat sich bewährt. Nur
hierdurch lässt sich eine Einsatzbreite von Kampfeinsätzen wie in Afghanistan über Ausbildungs- und Unterstützungsmissionen, wie gegenwärtig in Ländern Afrikas, bis hin zur Bündnis- und Landesverteidigung
glaubhaft realisieren. Allerdings sollten wir in einem dynamischen Prozess stets überprüfen, ob das operative
Dispositiv an Kräften für die Bündnis- und Landesverteidigung den Anforderungen entspricht und in vollem
Umfang präsent ist.
Von der reinen Präsenzarmee in Zeiten des Kalten
Krieges über eine Armee der Einheit bis hin zu einer Armee im Einsatz hat die Bundeswehr eine enorme Entwicklung und Veränderung hinter sich. Oder, um es so
auszudrücken: Wir haben die Streitkräfte unseres Landes
an den neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen
ausgerichtet.
Die Truppen, die wir für den Auftrag „Bündnis- und
Landesverteidigung“ vorhalten, müssen modern ausgestattet sein. Auch hier dürfen wir nicht eingeengt nur den
Auslandseinsatz sehen. Es geht auch um die Instandhaltung und um die Ausbildung am Gerät. Darum bin ich
durchaus auch für eine stetige Überprüfung der Qualität
und Quantität der Ausrüstung. Eine verringerte Masse an
Truppe und Ausrüstung muss durch noch mehr Klasse
- auch der Ausrüstung - kompensiert werden.
Lieber Herr Kollege Lindner, hier kann ich nur sagen:
Ein Moratorium zu fordern, durch das unseren Soldatinnen und Soldaten die Lieferung der notwendigen Ausrüstung vorenthalten werden soll,
({4})
kann ich nicht akzeptieren, und das können wir auch
nicht so hinnehmen.
({5})
Meine Damen und Herren, wir müssen rational analysieren: Sicherheit ist nicht zum Nulltarif zu bekommen.
Wir brauchen gut ausgerüstete, hochmotivierte Streitkräfte für den Schutz Deutschlands. Dies umzusetzen, ist
Ausdruck unseres sicherheitspolitischen Anspruchs und
unserer Verantwortung für die Bürger unseres Landes,
Europas und unseres Bündnisses.
Verantwortung ist dynamisch. Unser NATO-Partner
USA konzentriert sich vermehrt auf den pazifischen
Raum. Für Europa und damit auch für Deutschland bedeutet dies, dass wir bereit sein müssen, Verantwortung
für Frieden, Freiheit und Sicherheit zu tragen. Der Garant des Friedens war in der Vergangenheit die klare Abschreckungsstrategie der NATO. Diese Strategie war erfolgreich und hat uns den Frieden gesichert.
Die Strategie der Abschreckung sollte auch in Zukunft elementarer Bestandteil des NATO-Bündnisses
sein. Davon hat Deutschland profitiert. Deutschland
muss auch bereit sein, einen Beitrag dazu zu leisten.
Vermehrte Einsätze innerhalb der NATO, der EU und
der UN in Kooperation mit vielen Nationen haben einen
Preis, aber auch einen Wert. Dafür müssen wir die notwendigen finanziellen Voraussetzungen erfüllen. Unsere
Soldaten erbringen diese Aufgaben im Namen unseres
Landes und haben es verdient, dass ihnen die notwendigen Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt werden.
Meine Damen und Herren, die Attraktivität ist für
eine Freiwilligenarmee von besonderer Bedeutung; unsere Ministerin hat dies dargestellt. Wir müssen als Freiwilligenarmee den Wettbewerb um die besten Kräfte
auch bestehen können. Dazu ist eine Vielzahl von Maßnahmen notwendig, die wir mit einer Attraktivitätsoffensive weiterführen wollen.
Wir haben in der Außen- und Sicherheitspolitik neue
Herausforderungen. Der Verteidigungshaushalt ist kein
Selbstzweck. Er ist Grundlage für die Sicherheit
Deutschlands und unserer internationalen Verantwortung.
Ebenso wie eine wirtschaftliche Krise unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft gefährden kann und wir
Anstrengungen auf uns nehmen müssen, diese zu bewältigen, kann die Bedrohung der Freiheit und des Selbstbestimmungsrechts der Staaten in Europa zu nachhaltiger
Instabilität und Verunsicherung führen. Schließlich war
der Verteidigungshaushalt in seiner Höhe in den vergangenen Jahren vor dem Hintergrund einer zunehmenden
sicherheitspolitischen Entspannung in Europa nicht unantastbar. Das Gleiche gilt aber auch für die andere
Richtung. Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit, und
ohne Freiheit gibt es keine Sicherheit. Das gilt für
Deutschland. Das gilt für Europa, für die NATO und
auch für die Vereinten Nationen.
Deutschland ist ein Teil dieser friedlichen Weltgemeinschaft. Deutschland übernimmt Verantwortung
durch seine Streitkräfte, eine Parlamentsarmee. Die hierfür notwendigen materiellen und finanziellen Mittel werden zur Verfügung gestellt. Dafür sind wir unserem Bundesfinanzminister, Dr. Wolfgang Schäuble, dankbar.
Für die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
hat Sicherheit nicht nur einen Preis, sondern auch einen
Wert; ich habe es erwähnt. Uns für diesen Wert einzusetzen, ist uns als Union sehr wichtig: für Frieden, für Sicherheit und für Freiheit.
Herzlichen Dank.
({6})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort Kollegen
Dr. Alexander S. Neu, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr
Präsident! Sehr geehrte Steuerzahlerinnen und Steuerzahler! Zunächst einmal eine kleine Anmerkung: Was
und wer in dieses Haus gehört, entscheidet zum Glück
nicht Herr Otte, sondern die Wählerinnen und Wähler
draußen auf der Straße.
({0})
Die haben offensichtlich gut entschieden.
({1})
Das war die Vorbemerkung.
Der Einzelplan 14, der Militärhaushalt, umfasst
32,8 Milliarden Euro. Das ist der zweitgrößte Einzelplan
im Bundeshaushalt. In Verbindung mit weiteren versteckten Ausgaben in anderen Einzelplänen kommen wir
auf 35,6 Milliarden Euro - nur fürs Militärische.
Umgerechnet bedeutet das, dass jeder Einwohner in
diesem Land, gleich ob Rentner, Rentnerin, Arbeitnehmer, Arbeitnehmerin, Kind, Migrant, Migrantin, 440 Euro
im Jahr für die Bundeswehr zahlt. Das kann man an einem einfachen Beispiel illustrieren: Eine Familie, bestehend aus Eltern und zwei Kindern, zahlt nur für die Bundeswehr 1 760 Euro in einem Jahr.
Herr Kollege, es gibt den Herzenswunsch nach einer
Zwischenfrage des Kollegen Otte. Möchten Sie diese zulassen oder nicht?
Wenn er diesen Herzenswunsch hat, soll er ihn äußern.
({0})
Sie haben mich offensichtlich bewusst falsch verstehen wollen. Ich habe nicht gesagt, dass die Entscheidung
der Wählerinnen und Wähler zu kritisieren ist, sondern
dass eine solche Aussage, wie Sie hier von Ihrem Kollegen getätigt worden ist, nicht in dieses Haus gehört.
Und ich habe darauf geantwortet, dass diese Aussagen von Ihnen in keiner Weise zensiert werden dürfen,
sondern dass es Sache der Wählerinnen und Wähler ist,
uns und damit unsere Positionen in dieses Haus zu wählen.
({0})
- Das habe ich nicht infrage gestellt.
({1})
Ich fahre fort. 1 760 Euro zahlt jede Familie mit zwei
Kindern allein für die Bundeswehr in einem Jahr. Das ist
ein Jahresurlaub, ein Auslandsurlaub, den eine Familie
zahlt.
Wir alle wissen, dass die Bundesregierung, auch die
jetzige Bundesregierung, Menschen gerne ins Ausland
schickt, aber nicht unbedingt in den Urlaub, Frau Ministerin, sondern in Auslandseinsätze. Weit über 100 000
Menschen waren bislang via Bundeswehr in Auslandseinsätzen. Und nicht immer waren die Gastgeber über
die Anwesenheit der Bundeswehr sonderlich erfreut.
Sie haben gerade zu Recht darauf hingewiesen: Derzeit gibt es etwa 15 Auslandseinsätze der Bundeswehr.
Seit 1990 sind es ungefähr 46 Auslandseinsätze. Kostenpunkt: mindestens 19 Milliarden Euro, konservativ gerechnet. Man nennt das einsatzbedingte Zusatzkosten.
Das sind also all die Dinge, die die Bundeswehr nicht
bräuchte, würde sie dort bleiben, wo sie hingehört, nämlich in Deutschland zur reinen Landesverteidigung. Dennoch hört man aus der Großen Koalition, dies sei unzureichend. Man schwadroniert vom Erfordernis des Endes
der Kultur der Zurückhaltung. Ich finde, angesichts von
46 Auslandseinsätzen seit 1990 ist es eine Frechheit, so
etwas zu fordern.
Aber nicht nur die Auslandseinsätze sind ein Kostenproblem, sondern auch die Beschaffung von Waffensystemen. Diese sind teuer. Sie werden immer teurer, je länger das Beschaffungsverfahren dauert. Ministerin von
der Leyen versucht jetzt, eine Übersicht über diese Projekte zu gewinnen. Das ist löblich. Sie haben 15 Statusberichte über laufende Projekte angefordert und keinen
einzigen gebilligt. Auch das ist löblich.
Aber die Nichtbilligung der Statusberichte zeigt uns
zwei Dinge:
Erstens. Sie wollen den Eindruck erwecken, dass Sie
im BMVg aufräumen wollen.
Zweitens. Die Beschaffungspolitik der letzten Dekaden ist ein Desaster. Die Steuergelder werden mit vollen
Händen aus dem Fenster geworfen. Entweder wurden
keine Vertragsstrafen vereinbart, wie zum Beispiel die
Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage
der Linken aus dem Jahr 2010 klarmacht - ich zitiere -:
Bei rund der Hälfte der Verträge konnte eine Vertragsstrafe auf dem Verhandlungswege
- bei den Rüstungsunternehmen nicht durchgesetzt werden.
So gehen Sie also mit Steuergeldern um.
Oder es werden, wie beim NATO-Hubschrauber
NH90, zwar Vertragsstrafen vereinbart, aber bislang
nicht gezogen. Oder sie werden gezogen, aber es wird
eine unzureichende Summe eingefordert, wie beim
Eurofighter.
({2})
Er kostete bislang 23,3 Milliarden Euro. Die Vertragsstrafe, die bislang gezogen wurde, beträgt 7,3 Millionen
Euro. Das sind 0,03 Prozent. Ich wiederhole: 23 Milliarden Euro auf der einen Seite und 7,3 Millionen Euro
Vertragsstrafe auf der anderen Seite. Die Rüstungsindustrie ist doch mächtig beeindruckt von der Ernsthaftigkeit
der Bundesregierung, das zu zivilisieren. Die Rüstungsindustrie tanzt Ihnen auf der Nase herum, Frau von der
Leyen.
Wie geht die Bundesregierung mit den Steuergeldern
um? Ich sage nochmals: 440 Euro pro Jahr und Einwohner in diesem Land. Wir müssen uns vergegenwärtigen,
Frau von der Leyen, dass die Steuergelder uns nicht gehören. Sie gehören auch nicht der Bundesregierung, sondern dem Volk. Wir und Sie als Bundesregierung haben
es für die Menschen treuhänderisch zu verwalten und zu
investieren.
Als Bundesministerin für Arbeit und Soziales haben
Sie im Jahr 2010 einmal richtig Härte gezeigt. Leider
aber an der falschen Stelle,
({3})
nämlich auf dem Rücken von Schwachen. Sie haben einmalig 20 zu viel gezahlte Euro bei Hartz-IV-Bedürftigen
mit Kindern von der Bundesagentur wieder eintreiben
lassen. 2,2 Millionen Bescheide über 20 Euro musste die
Bundesagentur verschicken, sodass 44 Millionen Euro
wieder hereinkamen. Ich glaube, dass die Kosten für die
Rückholung in etwa identisch sind mit dem Geld, das zu
viel ausgegeben worden ist.
In den Medien wurden Sie seinerzeit mit der Aussage
zitiert:
Das ist einfach Geld, das zu viel ausgezahlt worden
ist und das jetzt von den Behörden - auch als Geld
des Steuerzahlers - da lebt er wieder, der Steuerzahler wieder zurückgeholt werden muss.
Zitat Ende.
44 Millionen Euro oder noch höhere Mehrausgaben
zu verschwenden, schafft die Rüstungsindustrie bei einzelnen Rüstungsprojekten allein in der Mittagspause.
Wann zeigen Sie einmal Härte gegen die Rüstungsindustrie? Wann holen Sie unsere Steuergelder zurück, Frau
von der Leyen? Oder wollen Sie der weibliche Robin
Hood der Rüstungsindustrie sein: von Hartz-IV-Bedürftigen nehmen, um es der Rüstungsindustrie zu überlassen?
({4})
Sehr geehrte Damen und Herren, Steuergelder kann
man auch sinnvoller ausgeben, nämlich von Menschen
für Menschen. Die Kosten für die 53 Transportflugzeuge
A400M belaufen sich auf etwa 9,5 Milliarden Euro. Dafür könnte man 6 300 Kitas bauen. Wert: 1,5 Millionen
Euro pro Kita.
Die vier Fregatten F 125 kosten 3,1 Milliarden Euro.
Dafür könnte man 620 Sporthallen in Kommunen bauen.
Wert: jeweils 5 Millionen Euro.
({5})
Der Eurofighter wurde schon genannt. Für die
23,3 Milliarden Euro könnte man 210 000 Sozialwohnungen bauen; Wert: jeweils 110 000 Euro. Das wären
Maßnahmen, die auch in der Bevölkerung ankämen.
({6})
Auf internationaler Ebene könnten Sie ebenfalls der
Reputation Deutschlands etwas Gutes tun, zum Beispiel
500 Millionen Euro Aufbauhilfe für Port-au-Prince, die
Hauptstadt Haitis, nach dem Erdbeben. Deutschlands
Ansehen in der Welt wüchse gewaltig, weit mehr als
durch Auslandseinsätze.
({7})
Fazit ist: Der Einzelplan 14 ist nach wie vor kein
Ruhmesblatt und kein Ausweis eines zivilisierten Verhaltens, sondern der Ausweis des Nicht-lernen-Wollens.
Gerade habe ich gehört, die pazifistischste Maßnahme
sei, Waffen zu zerstören.
({8})
Ich sage: Das ist die zweitbeste. Die beste Lösung ist,
überhaupt keine Waffen zu schaffen und zu exportieren.
Ich danke Ihnen.
({9})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Wolfgang Hellmich, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines bewundere ich an Ihnen, Herr Dr. Neu, und das sind Ihre mathematischen Fähigkeiten. Das war es dann aber auch
schon.
({0})
Denn wenn ich Ihre Rede in den Kontext dessen stelle,
was Sie entschieden haben, wäre es vielleicht besser gewesen, die eine oder andere Rede gar nicht zu halten.
Das wäre für uns alle besser gewesen.
({1})
Deshalb brauche ich mich damit auch nicht weiter
auseinanderzusetzen. Ich möchte mich eingangs nur
noch mit dem Beitrag von Herrn Dr. Lindner auseinandersetzen.
Mich interessiert schon, was die Kolleginnen und
Kollegen der IG Metall in den einzelnen rüstungs- und
wehrtechnischen Betrieben zu der Entwicklung ihrer
Unternehmen sagen.
({2})
Mich interessiert schon, ob die Unternehmen sagen:
Wenn ihr das so macht - wie Sie es gerade vorgeschlagen haben -, dann werden wir in unserer realen Situation
die Produktionsstätten zumachen und irgendwo anders
hingehen, weil wir nicht in der Lage sind, Strukturen, die
auch in der Arbeit vorgehalten werden müssen, ohne
Aussicht auf Aufträge aufrechtzuerhalten. Man muss
also ökonomisch anders damit umgehen und diese Unternehmen anders behandeln.
({3})
Auf dem Weg zu einem ausgeglichenen Haushalt leistet der Verteidigungshaushalt einen stattlichen Beitrag.
Apropos Beitrag, der Kollege Lindner würde gerne
eine Frage stellen. Mögen Sie die zulassen?
Aber selbstverständlich.
Bitte, Herr Kollege.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Ich muss die Union enttäuschen. Es geht nicht um ein Herzensanliegen, sondern
um eine Frage, die ich Ihnen stellen möchte, Herr Kollege, da Sie die Kolleginnen und Kollegen bei der IG
Metall angesprochen haben. Stimmen Sie mir zu, dass es
beim Einzelplan 14 vorrangig um das Interesse an der
Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr geht und darum, dieses Interesse bei Beschaffungsentscheidungen wahrzunehmen? Halten Sie es angesichts der Tatsache, dass die Ministerin Projekte und den
Beschaffungsprozess an sich überprüfen möchte, und angesichts dessen, dass auch im letzten Jahr keine Gelder
abgeflossen sind - was zeigt, dass die Projekte nur wenige Fortschritte machen, wie man auch an den Istzahlen
des Ministeriums ablesen kann und für 2014 annehmen
bzw. befürchten muss -, nicht für angezeigt, zumindest
bis zum Herbst, wenn Ergebnisse vorliegen, innezuhalten?
Herr Dr. Lindner, wenn Sie das Rüstungsboard richtig
gelesen und die getroffenen Entscheidungen richtig verstanden haben, dann wissen Sie, dass nicht jedes einzelne Projekt im Kern schlecht oder unausgereift ist.
Vielmehr ging es darum, dass bestimmte Fragen zu den
Projekten nicht beantwortet werden konnten. Die Beantwortung dieser Fragen steht nun auf der Tagesordnung.
Es gibt an dieser Stelle keinen Grund, laufende Prozesse,
Produktionen oder Entwicklungen einzustellen. Es geht
vielmehr um die Beantwortung der Frage, an welchen
Stellen welche Informationen vorliegen und wie man vorankommen kann. Das sind zwei sehr unterschiedliche
Ansätze und Herangehensweisen. Ich glaube, wir sind
uns darin einig, dass es, wenn es um die Ausrüstung des
Infanteristen der Zukunft geht, in der Tat keinen Grund
gibt, irgendein Projekt einzustellen. Es geht vielmehr darum, beim Beschaffungswesen voranzugehen, weil wir
mehr Systeme brauchen; das ist der Zusammenhang. Mit
Ihrem Moratorium betreffend die Entwicklung von Rüstungsprojekten werden Sie keine einzige Verbesserung
erreichen, sondern nur Probleme in den Produktionsstrukturen schaffen.
({0})
Im laufenden Haushalt werden circa 1,3 Milliarden
Euro aus dem Verteidigungshaushalt an den Finanzminister zurückgezahlt.
({1})
Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn man diese
1,3 Milliarden Euro in die Verbesserung der Attraktivität der Bundeswehr gesteckt hätte; denn da gibt es
- so glaube ich - einen großen Nachholbedarf. Dass
es im Rüstungsbereich aufgrund von Unwuchten im
Ministerium und von Lieferfristen der wehrtechnischen Industrie zu Verzögerungen kommt, kann nicht
darüber hinwegtäuschen, dass zusätzliche Anforderungen auf uns und damit auch auf den Haushalt zukommen werden, die wir zwar im Moment nicht real beziffern können, von denen wir aber wissen, dass sie auf
uns zukommen werden. Anforderungen, die im internationalen Kontext - sei es im Rahmen der neuen Strategie
der NATO oder der GSVP - formuliert werden, müssen
im Haushalt perspektivisch abgebildet werden.
Exemplarisch sei hier die momentane Entwicklung
einer maritimen Sicherheitsstrategie der EU genannt.
Diese europäische maritime Sicherheitsstrategie definiert, wie wir zukünftig unsere Küsten schützen, und formuliert auch neue Anforderungen an die deutsche Marine. Ob wir diesen Anforderungen alleine gerecht
werden können, bin ich mir nicht sicher. Ich glaube, dass
das eigentlich nur im europäischen Kontext möglich ist;
denn wenn es um die Entwicklung von Mehrzweckkampfschiffen geht - das ist in Betracht zu ziehen -,
werden wir solche Projekte nur auf europäischer Ebene
durchführen können. Neben modularen maritimen Fähigkeiten betreffen die internationalen Anforderungen in
gleichem Maße mehrrollenfähige Flugzeuge sowie die
Beschaffung von Hubschraubern und Lufttransportkapazitäten. All dies steht im internationalen Kontext, und
wir müssen es auf europäischer Ebene angehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte auf die
Marine zurückkommen. Es ist nun einmal ein Unterschied, ob Schiffe in die Nord- oder Ostsee auslaufen
oder ob sie über einen längeren Zeitraum am Horn von
Afrika zur Bekämpfung der Piraterie eingesetzt werden.
Das ist eine grundsätzlich andere Anforderung an die
Marine, die sich in Mehrkosten niederschlagen wird,
wenn die Entlastung der Mannschaften, so wie sie angelegt ist, in die Realität umgesetzt wird.
Mit deutlichem Rekrutierungserfolg hat sich die Marine durch ihr Konzept „Marine live!“ eines kleinen Teils
ihrer Nachwuchssorgen entledigen können. Die jungen
Interessentinnen und Interessenten können sich vor Ort
mehrere Tage über die Verwendung und Karrieremöglichkeiten auf Schiffen realistisch informieren.
Jetzt zweifelt der Bundesrechnungshof an, ob das alles wirtschaftlich ist. Wir werden deutlich machen müssen, dass bei solchen Maßnahmen, die auch Geld kosten,
eine reine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung nicht genügt.
Wenn es nur darum geht, wie viel Treibstoff ein Schiff
verbraucht, werden wir an vielen Stellen nicht weiterkommen. Dasselbe gilt für das Mehrbesatzungsmodell.
Das gerade angesprochene Schiff am Horn von Afrika,
das Gott sei Dank nicht immer hin- und herfahren muss,
was nur zusätzliches Geld kosten würde, wird mit einem
Mehrbesatzungsmodell versorgt. Auch in diesem Fall
bezweifelt der Bundesrechnungshof, dass das wirtschaftlich sinnvoll ist. Aber für die Besatzung bedeuten die
Abwesenheitszeiten eine klare Erleichterung und Verbesserung, und zudem wird das Material geschont. Ich
denke, es macht gerade vor dem Hintergrund der Attraktivität der Bundeswehr Sinn, wenn man den Soldatinnen
und Soldaten verlässliche Heimkehrtage garantieren
kann und ihnen nicht ständig sagen muss: Wir wissen
nicht, wann ihr nach Hause kommt.
({2})
Attraktivitätssteigerung heißt natürlich auch - einige
Punkte sind genannt worden - Vereinbarkeit von Beruf
und Familie, Vermeidung von unnötigen Versetzungen
und Umzügen, Verbesserung der Wohnqualität der Berufspendlerinnen und Berufspendler, Schaffung moderner Besoldungsstrukturen, Einführung eines fairen Überstundenausgleichs sowie ein völlig veraltetes und
unterfinanziertes Zulagensystem auf den Prüfstand zu
stellen. Auch das würde mit dazu beitragen, dass die Soldatinnen und Soldaten ihren Dienst in der Bundeswehr
positiver beschreiben, als sie es an der einen oder anderen Stelle auch in der Öffentlichkeit tun.
Ein rein linearer Abbau von Dienstposten und Stellen
bei der Bundeswehr passt nicht zu einem notwendigerweise atmenden Personalsystem. Deshalb halte ich es für
richtig und gut, dass der Einstellungsstopp aufgehoben
worden ist; denn die Bundeswehr selber kann mit dem
Personalkörper qualifizierter umgehen. Aber auch das
wird am Ende Geld kosten. Auch dieses wird im Haushalt abzubilden sein. Aber ich glaube, es gibt keine AlWolfgang Hellmich
ternative, weil sich die Bundeswehr eine Unzufriedenheit der Mannschaften nicht leisten kann - von der
Fürsorgeverpflichtung, um das hier zum wiederholten
Male anzuführen, für die vor 1992 im Kosovo-Einsatz
geschädigten Soldaten, die immer noch nicht geregelt
ist, ganz zu schweigen. Es gehört auch zur Attraktivität
eines modernen Dienstherren Bundeswehr, der Fürsorgepflicht nachzukommen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, anzumerken
ist auch, dass der Zustand der Liegenschaften der Bundeswehr deutlich verbessert werden könnte, wenn die
vertraglich vereinbarten 15 Prozent der an die BImA gezahlten Mieten und Pachten tatsächlich auch immer an
den jeweiligen Standorten ankommen würden. Mit diesem Geld könnten dringend notwendige Baumaßnahmen
durchgeführt werden. Generell ist zu überprüfen, ob die
Quote von 15 Prozent ausreichend ist, um den tatsächlichen Sanierungsbedarf der Liegenschaften zu decken,
oder ob die Quote angehoben werden muss. Es kann
nicht sein, dass die Mannschaften mit Gemeinschaftsduschen vorliebnehmen müssen, die mehr als 30 Jahre alt
sind. Die Beschreibung der Zustände ist wirklich nicht
schön.
({3})
Aber: Grau ist alle Theorie, entscheidend ist auf dem
Platz. Es kommt darauf an, diese einzelnen konkreten
Maßnahmen in die Realität umzusetzen.
Es gibt auch eine Reihe von Entscheidungen, an denen sichtbar wird, dass sich Anregungen aus dem Verteidigungsausschuss im Entwurf des Haushaltsplans niedergeschlagen haben. Dies gilt beispielsweise für die
Überwachung der Liegenschaften. Die Erhöhung des Finanzvolumens für die Bewachung militärischer Anlagen
um 10 Prozent geht auf Mängel in diesem Bereich zurück, die durch den parlamentarischen Raum auf die Tagesordnung gesetzt wurden. Seedorf und der ungeklärte
Verbleib von mehreren Tausend Schuss Munition sei
hier nur als ein Fall genannt. Für die Beseitigung der
Mängel ist ein entsprechender Mitteleinsatz im Bundeshaushalt zwingend erforderlich. Das ist vorgesehen, und
das ist gut so.
Der Einsatz in Afghanistan wird aus heutiger Sicht
der letzte landgebundene Einsatz dieser Dimension sein.
Fragile Staaten, asymmetrische Konflikte, Ressourcenkonflikte, aber auch der Schutz von Transportwegen vor
Piraterie sind die neuen Herausforderungen. Jeder dieser
Konflikte bzw. dessen Vermeidung macht den höchstmöglichen Schutz für unsere Soldatinnen und Soldaten
erforderlich. Deshalb müssen aktive Schutzsysteme für
Fahrzeuge entwickelt werden - dies ist zum Teil schon
geschehen -, aber auch beschafft werden.
An diesem Beispiel wird deutlich, dass es durchaus
weitere - auch umfangreiche - Anforderungen an die
Entwicklungsarbeit der heimischen Industrie gibt. Die
Produkte der deutschen Wehrtechnikindustrie gewährleisten nach wie vor ein Höchstmaß an Sicherheit und
Qualität. Diesen Standard und diese Qualität wollen wir
- so steht es auch in unserem Koalitionsvertrag - erhalten. Das müssen wir mit eigenem Tun unterlegen. Zum
Beispiel geht es in der Tat darum, ein Luftabwehrsystem
MEADS nicht nur zu entwickeln, sondern auch bis zur
Anwendungsreife zu bringen und anschließend zu beschaffen. Auch dies ist eine Fähigkeit, die wir im internationalen Kontext für die NATO und für die GSVP anbieten können.
({4})
Der Europäische Rat im Dezember 2013 hat vereinbart, einheitliche Standards und Modelle bei zukünftigen
gemeinsamen Entwicklungen konsequent zur Anwendung kommen zu lassen. Diese Vereinbarung lässt hoffen, dass durch den Druck finanzieller Engpässe entsprechende Einsichten formuliert werden, die zu sinkenden
Kosten führen. Das geht nur im gemeinsamen europäischen Kontext. Wir können zum Beispiel das eigene Gefechtsübungszentrum auf einen modernen Stand bringen,
um das Thema Übung, das ein ganz wichtiges Element
der zukünftigen NATO-Strategie sein wird, in den Vordergrund zu rücken.
Die Überprüfung der Rüstungsprojekte darf, wie eingangs schon erwähnt, nicht dazu führen, dass die Entwicklung zum Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten
ausgesetzt wird. Denn darum geht es: dass das Beste für
unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz und zu
Hause produziert wird, angeschafft wird und dass sich
dies im Haushalt deutlich niederschlägt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort Kollegin
Doris Wagner, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Frau Ministerin, ich habe Ihren Entwurf
für den Haushalt 2014 wirklich mit einiger Spannung erwartet - zu Unrecht, wie ich jetzt feststellen musste;
denn Ihr Entwurf ist im Wesentlichen doch ein Weiterso.
Anfang des Jahres haben Sie noch allerorts verkündet:
Mein Ziel ist es, die Bundeswehr zu einem der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland zu machen.
Das wichtigste Thema ist dabei die Vereinbarkeit
von Dienst und Familie.
Doch wer sich heute den Einzelplan 14 anschaut und
nach Vereinbarkeit sucht, findet - nichts! Hier und da ein
verlorener Einzelposten oder ein kryptischer Satz im
Haushaltsvermerk. Ja, Herr Kollege Arnold, auch ich
finde, wir sollten darüber reden; denn so sieht kein
Haushalt aus, der die Vereinbarkeit von Dienst und Familie voranbringen will.
({0})
Das erweckt doch den Verdacht, als wollten Sie verschleiern, dass für die bessere Vereinbarkeit nun leider,
leider so gut wie keine finanziellen Mittel zur Verfügung
stehen. Ihr Haushaltsentwurf zementiert den Status quo.
Schauen wir doch einmal, was Sie den Soldatinnen
und Soldaten mit ihren Familien konkret zu bieten haben: 22,6 Millionen Euro wollen Sie für Maßnahmen im
Bereich der Vereinbarkeit ausgeben. Das sind gerade
einmal 6,9 Prozent des Verteidigungshaushalts. Für einen politischen Schwerpunkt ist das wirklich mehr als
dürftig.
Das gilt besonders, wenn man sich ansieht, welche Finanzmittel dem Verteidigungshaushalt 2014 plötzlich
nicht mehr zur Verfügung stehen. Da sind 300 Millionen
Euro einfach so verschwunden, die laut Finanzplan als
„Vermischte Personalausgaben“ dazu dienen sollten, die
Folgen der Bundeswehrreform für die Soldatinnen und
Soldaten und ihre Familien abzumildern. Gleichzeitig
muss das Verteidigungsministerium - Sie haben es selbst
angesprochen - 147 Millionen Euro abtreten, um damit
das familienpolitisch völlig unsinnige Betreuungsgeld
gegenzufinanzieren. Wie viel sinnvoller wäre dieses
Geld für eine familienfreundlichere Bundeswehr eingesetzt!
({1})
Mein Appell an Sie, Frau Ministerin: Stellen Sie bitte in
den nächsten Haushalt auch die Mittel für die Umsetzung Ihrer angekündigten Konzepte ein!
Mehr Geld müsste die Bundesregierung endlich auch
investieren, um besser mit der wachsenden sozialen
Vielfalt innerhalb der Truppe umzugehen. Sie erinnern
sich sicherlich alle noch gut an die Studie „Truppenbild
ohne Dame?“. Diese Studie zeigt: Die Bundeswehr hat
die Öffnung für Frauen keineswegs reibungslos verkraftet. Mehr als die Hälfte der männlichen Soldaten glaubt
mittlerweile, dass sich die Bundeswehr durch die Integration von Frauen in die falsche Richtung entwickelt.
Jeder Dritte ist überzeugt, dass die Kameradinnen einen
Verlust militärischer Kampfkraft bedeuten. Vor allem
aber sind erschreckend viele Soldaten der Ansicht, dass
Frauen bei der Bundeswehr rascher Karriere machten,
obwohl sie doch weniger leistungsfähig seien.
Aus soziologischen Studien wissen wir, dass derartige
Spannungen keineswegs erstaunlich sind. Erstaunlich jedoch ist, dass das Verteidigungsministerium bisher nicht
erkennbar auf die erwähnte Studie reagiert hat. Hier
müsste auch der Haushaltsentwurf mehr Handlungswillen zeigen.
({2})
Ja, es stimmt: Die Bundeswehr bemüht sich bereits
seit Jahren, der wachsenden sozialen Vielfalt in der
Truppe durch Diversity Management zu begegnen. Die
Bundeswehr verfügt über Gleichstellungsbeauftragte, an
die sich nicht nur Frauen mit Beschwerden wenden können. Aber ganz offensichtlich reichen diese Maßnahmen
noch nicht. Die meisten Frauen erleben in der Bundeswehr gerade nicht eine Wertschätzung ihrer Andersartigkeit, sondern einen extremen Druck zur Anpassung an
die männlichen Verhaltensweisen.
Unter einem ähnlichen Anpassungsdruck stehen auch
andere Personengruppen in der Truppe. „Wer in der Bundeswehr Karriere machen will, der soll sich bloß nicht als
homosexuell outen“, empfiehlt gerade ein schwuler Marineoffizier im Magazin der Bundeswehr „Y“.
Ich frage Sie, Frau Ministerin: Wo sind die Haushaltsmittel, die die Bundeswehr zu einem attraktiven Arbeitgeber für alle Gruppen der Bevölkerung machen? Wo ist
das Geld, das es Frauen, Homosexuellen, Migrantinnen
und Migranten, Behinderten und älteren Mitbürgerinnen
und Mitbürgern ermöglicht, in der Bundeswehr zu arbeiten, ohne dabei einen wesentlichen Teil ihrer Identität
am Kasernentor abgeben zu müssen?
Mein Fazit lautet: Ein attraktiver Arbeitgeber ist die
Bundeswehr nach wie vor nur für heterosexuelle Männer
ohne Familie, und daran wird sich mit diesem Haushaltsentwurf auch 2014 nichts ändern.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege Ingo
Gädechens, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit großem Interesse verfolgen wir in dieser Woche alle
gemeinsam die laufenden Beratungen zu den Einzelplänen und haben Verständnis für die Wertigkeit und die
Gewichtung der einzelnen Budgets. Wenn wir allerdings
den Einzelplan 14 für den Bereich Verteidigung beraten,
geht es um mehr als um Renten, Hochschulen, Infrastruktur oder Sozialleistungen;
({0})
in dieser Debatte geht es um das fundamentale Interesse
der Bundesrepublik Deutschland. Es geht um unsere
Souveränität, und es geht in ganz besonderer Weise um
die Wahrung der äußeren Sicherheit unseres Landes.
({1})
Wie heißt es so schön? Sicherheit ist nicht alles, aber
ohne Sicherheit ist alles nichts.
({2})
Unter diesem wichtigen Leitsatz sollten wir den Verteidigungshaushalt in der ersten Lesung, aber auch in den
weiteren Lesungen beraten.
Meine Damen und Herren, mit dem Einzelplan 14 setzen wir auf Kontinuität und knüpfen nahtlos an die Zielsetzungen der vergangenen Finanzpläne an. Der Gesamtplafond für den Bereich Verteidigung - wir hörten es
schon - beläuft sich auf 32,8 Milliarden Euro.
Darin ist berücksichtigt - die Kollegin Wagner führte
es eben aus -, dass der Verteidigungshaushalt zur Finanzierung des Betreuungsgeldes mit 147,3 Millionen Euro
solidarisch den größten Anteil erbringt. Ich will nicht darüber philosophieren, was man mit dem Geld sonst hätte
machen können;
({3})
aber auch da ist es sehr gut angelegt.
({4})
Sehr viele Redner haben in dieser haushaltspolitischen Debatte darauf hingewiesen, dass Einnahmen und
Ausgaben des Bundes so festgelegt wurden, dass wir ab
diesem Jahr einen strukturell ausgeglichenen Haushalt
und beginnend mit dem nächsten Jahr einen Haushalt
ohne Neuverschuldung vorweisen können.
({5})
So steht es im Koalitionsvertrag, liebe Koalitionäre!
({6})
Ich freue mich darüber, dass auch unser Koalitionspartner die Weisheit der sparsamen schwäbischen Hausfrau, die auch im Norden bekannt ist, mehr und mehr anerkennt
({7})
- ja, aber im Norden ist diese schwäbische Weisheit
auch angekommen -,
({8})
dass wir mit Blick auf kommende Generationen nur so
viel Geld ausgeben können, wie wir auch einnehmen.
Unter Berücksichtigung der sicherheitspolitischen
Aspekte, aber auch unter dem zuletzt genannten Aspekt
haben wir uns aufgemacht, die Bundeswehr zu reformieren, und sind nicht nur dabei, freiwerdende Ressourcen
einzusparen; wir werden vielmehr Mittel verwenden, um
den Dienst für die Soldatinnen und Soldaten attraktiver
zu gestalten.
({9})
Dabei unterstütze ich die berechtigte Forderung unserer
Verteidigungsministerin Frau von der Leyen, und ich
werde mithelfen, dass die Bundeswehr tatsächlich der attraktivste Arbeitgeber in unserem Lande wird.
({10})
Eines muss aber auch klar sein: Der Weg zu mehr Attraktivität geht nicht nur über anspruchsvolle Ausstattung, gute Ausrüstung und modernstes Gerät; vielmehr
werden wir in den kommenden Jahren zur Steigerung
der Attraktivität auch Geld bei den Planstellen und der
Besoldung in die Hand nehmen müssen,
({11})
um auf der Suche nach den besten Kräften erfolgreich zu
sein.
Als ich noch aktiver Berufssoldat war, habe ich stets
an der Seite des BundeswehrVerbandes - und natürlich
völlig uneigennützig - Forderungen nach besserer Besoldung und nach mehr finanziellen Mitteln für unsere
Soldatinnen und Soldaten unterstützt und für deren Erfüllung gekämpft.
({12})
Als Abgeordneter ist es nun von Jahr zu Jahr meine Aufgabe, den Kameradinnen und Kameraden, aber auch den
zivilen Mitarbeitern zu verdeutlichen, dass leider auch
die Bundeswehr ihren Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten muss.
({13})
Die Mittel im Einzelplan sind knapp bemessen, aber sie
sind, liebe Kolleginnen und Kollegen, ausreichend.
Darüber hinaus wird Deutschland - und damit unsere
Bundeswehr - unter den Bündnispartnern mehr und
mehr als Anlehnungsnation gefordert. Dieser Aufgabe
und dieser Herausforderung können - ich sage: dürfen wir uns nicht entziehen. Gerade für unsere Partner und
NATO-Verbündeten, insbesondere in Osteuropa, ist Vertrauen in der jetzigen Lage wichtig. Wie so oft im Leben
ist es gut, wenn man sich aufeinander verlassen kann,
Ressourcen und Fähigkeiten zur Verfügung stellt und damit Sicherheit gewährleistet. Deshalb ist es auch richtig,
dass es bei dem Reformansatz „Breite vor Tiefe“ bleibt.
({14})
- Deswegen habe ich in Richtung des Kollegen geschaut.
({15})
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch kurz aufzeigen,
wo die eigentlichen Herausforderungen für die Bundeswehr liegen.
Erstens. Gerade die aktuellen weltpolitischen Ereignisse auf der Krim, in der Ukraine oder in Zentralafrika
zeigen, dass sich die sicherheitspolitische Großwetterlage bisweilen schneller ändert, als es sich manche von
uns vorstellen können. Auf diese neuen Konfliktlinien
muss die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland nicht nur ausgerichtet werden, sondern mehr noch:
Unsere Bundeswehr muss vorbereitet sein. Wir sollten
deshalb neue Debatten über die Neuausrichtung der
Bundeswehr vermeiden. Eine Reform der Reform darf
und wird es zumindest zum jetzigen Zeitpunkt nicht geben.
({16})
Zweitens. Die Attraktivität des Dienstes steht für uns
im Mittelpunkt des Handelns. Schon heute ist die Bundeswehr in sehr vielen Bereichen ein wirklich interessanter
und sehr attraktiver Arbeitgeber. Das belegen die positiven Zahlen bei den Offiziersbewerberinnen und -bewer2404
bern, aber auch bei den Unteroffizieren. Bei der Laufbahn der Mannschaftsdienstgrade müssen wir allerdings
noch etwas nachbessern. Auf die besondere Problematik
in der Teilstreitkraft Marine ist der Kollege Hellmich
schon eingegangen.
Für all diejenigen, die sich dann für den Dienst in der
Bundeswehr entschieden haben, müssen wir passende
Antworten geben, was die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf, die Wahlmöglichkeit zwischen Umzugskosten und Trennungsgeld, Altersversorgung, Qualifizierung und Berufsförderung und viele andere Punkte, die
den Dienstbetrieb erleichtern würden, betrifft.
Drittens. Ein großer Handlungsbedarf besteht nach
wie vor bei der Beschaffung von geeignetem Material;
auch hierzu haben meine Vorredner schon einige wichtige Ausführungen gemacht. Ich möchte nicht verhehlen,
dass der Mittelabfluss im letzten Haushaltsjahr mehr als
unglücklich verlaufen ist. Der Bundesfinanzminister
konnte sich über nicht verausgabte 1,3 Milliarden Euro
freuen, aber wir als Verteidigungspolitiker haben uns geärgert. Wir haben einfach zu viele Projekte, die schneller
realisiert werden müssten. Weil ich eben neben dem Kollegen Rehberg saß, möchte ich dieses kleine Beispiel anführen: Wir benötigen dringend Ersatz für die beiden
Einhüllen-Betriebsstofftransporter „Rhön“ und „Spessart“ der deutschen Marine.
({17})
Ich will es einmal bei diesem einen Beispiel belassen.
Wir müssen die Bundeswehr noch besser, aber vor allem schneller ausrüsten. Darüber hinaus gilt es, Kernkompetenzen in der wehrtechnischen Industrie zu erhalten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung musste im Verteidigungsbereich Fehler korrigieren,
Fehler, die teils vor vielen Jahren gemacht wurden, uns
aber bis in die heutige Zeit verfolgen. Es wurden in der
Vergangenheit in zu großer Stückzahl Großgeräte bestellt, die wir entweder so nicht mehr benötigen oder die
die Teilstreitkräfte in der heutigen Stärke nicht mehr betreiben können. Die Reduzierung bei der Beschaffung
des Eurofighters, aber auch der sogenannte Global Deal
bei der Reduzierung der Hubschrauber Tiger und NH90
werden uns leider noch eine Weile beschäftigen.
Um den berechtigten Wunsch der Parlamentarier nach
mehr Transparenz zu erfüllen, haben bereits Thomas de
Maizière und genauso entschlossen die Verteidigungsministerin Frau von der Leyen das sogenannte Rüstungsboard eingeführt. Damit wird uns Parlamentariern die
notwendige Transparenz geliefert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die im Regierungsentwurf des Bundeshaushalts 2014 und im
47. Finanzplan bis 2017 enthaltenen Ansätze stellen eine
tragfähige Grundlage dar, um die Neuausrichtung der
Bundeswehr fortzusetzen und eine angemessene und
verantwortungsvolle Sicherheitspolitik für unser Land
sicherzustellen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({18})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist die Kollegin
Karin Evers-Meyer, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Verteidigungsministerin! Wenn wir heute über den
Wehretat sprechen, dann sprechen wir nicht nur über fast
33 Milliarden Euro Haushaltsgelder. Wir sprechen vor
allem über mehr als 180 000 Soldatinnen und Soldaten
und über mehr als 60 000 zivile Beschäftigte. Wir sprechen auch über rund 4 800 Soldatinnen und Soldaten im
Einsatz.
Ein Großteil davon ist immer noch in Afghanistan
stationiert. Als langjährige Verteidigungspolitikerin
kann ich sagen: Ich bin erfreut über ein absehbares Ende
der gefährlichen Afghanistan-Mission.
Ich möchte vorweg einen herzlichen Dank an all die
Bundeswehrangehörigen senden, die für unser Land einstehen, egal wo auf unserer Erde und egal in welcher
Funktion. Sie sind alle ein unverzichtbarer Bestandteil
unserer Gesellschaft und auch unserer heutigen Politik.
({0})
Dafür müssen und sollen die Soldatinnen und Soldaten auch bestmöglich ausgebildet, ausgerüstet, untergebracht und versorgt werden. Das versteht sich eigentlich
von selbst. Unter diesem Gesichtspunkt diskutieren wir
heute den Einzelplan 14, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich möchte in aller Kürze auf die aus meiner Sicht
vier entscheidenden Bereiche eingehen.
Der erste Bereich ist die Attraktivität des Berufes. Die
Bundeswehr ist - das wurde heute schon oft gesagt - einer der größten Arbeitgeber unseres Landes. Ministerin
von der Leyen hat es sich zur Aufgabe gemacht, die
Bundeswehr zu einem der modernsten und attraktivsten
Arbeitgeber zu machen. Das können wir rundherum nur
begrüßen. Für mich gehören vor allem die Vereinbarkeit
von Beruf und Familie und endlich auch eine moderne
Dienstzeitregelung dazu. Ich bin sehr gespannt auf die
praktische Umsetzung und die finanzielle Ausgestaltung; denn das alles muss haushalterisch geordnet werden.
Der zweite Bereich ist das Beschaffungswesen. Die
Vergangenheit hat gezeigt, dass die Entscheidungswege
wesentlich schneller und transparenter werden müssen.
Frau Ministerin, Sie haben entschieden, dazu eine externe Beratungsagentur hinzuzuziehen. Ich verstehe diesen Ansatz. Aber die Zeit drängt auch. Wir benötigen
bald belastbare Ergebnisse und endlich auch eine effiziente Entwicklung und Beschaffung der Ausrüstung für
unsere Bundeswehr. Die vergangenen Monate haben leider gezeigt, wie akut das ist. Der Haushaltsausschuss
wird da natürlich ganz besonders hinsehen.
Der dritte Bereich ist die Neuordnung des Bundesverteidigungsministeriums. Nicht zuletzt aufgrund der fehlenden Effizienz wurden die ersten personellen Anpassungen im Verteidigungsministerium bereits vorgenommen.
Doch diese sollten ausdrücklich nur vorübergehend sein.
({1})
Bei der Auswahl des Spitzenpersonals sowie beim Leitungscontrolling stehen wichtige Entscheidungen an, die
die Modernität der Bundeswehr in den nächsten Jahren
entscheidend beeinflussen werden.
Zum Schluss: die Internationalität. So schwierig die
langfristige Planung beim Militär auch ist, so sehr kann
man dabei aber auch auf Synergieeffekte setzen. Wir alle
wissen: Deutsche Verteidigungspolitik kann niemals nur
national betrachtet werden. Seit vielen Jahrzehnten sind
wir in stabilen und bewährten Systemen verankert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das soll nicht
nur so bleiben; wir sollten uns bei der Schließung der sogenannten Fähigkeitslücken, sei es im Bereich der Beschaffung, der Ausrüstung oder der Ausbildung, vermehrt auf die internationale Kooperation stützen.
Insgesamt halten wir das Festhalten an der Neuausrichtung aus all diesen Gründen im Grundsatz für absolut richtig. Aber wir müssen natürlich aufpassen, dass
wir die Betroffenen dabei nicht überbeanspruchen. Am
Marinestützpunkt Wilhelmshaven in meinem Wahlkreis, dem größten Bundeswehrstandort, habe ich mich
selbst davon überzeugt, wie angespannt die Lage zum
Teil ist. Die Neuausrichtung muss deshalb schnellstmöglich zu einem spürbaren Erfolg geführt werden. Die Soldaten und die Zivilangestellten sowie ihre Angehörigen
und auch ich selbst, wir sind sehr gespannt, wie Sie, Frau
Ministerin, diese Herausforderungen angehen werden
und wie Sie sie vor allen Dingen auch haushalterisch
verantwortungsvoll umsetzen.
Im Haushaltsausschuss werden wir all dies aufmerksam und kritisch verfolgen. Ich bedanke mich in diesem
Zusammenhang ganz ausdrücklich bei meinem Kollegen
Barthl Kalb für die gute Zusammenarbeit.
({2})
Wir alle sind gern bereit, im Sinne einer modernen Bundeswehr und im Sinne unserer Soldatinnen und Soldaten
und der zivilen Angestellten unseren Beitrag zu leisten.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege
Bartholomäus Kalb, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir haben es vorhin wieder praktiziert: Die
Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Als Parlament
müssen wir zu allem stehen, was die Bundeswehr macht.
Wir müssen entscheiden, wir müssen abwägen, Argumente austauschen. Aber dann haben die Kräfte, die wir
in den Einsatz schicken, ein Recht darauf, klar zu wissen, dass das Parlament hinter unseren Streitkräften, hinter unseren Soldatinnen und Soldaten steht.
({0})
Das bedeutet auf der anderen Seite, dass wir uns die
Entscheidungen, die wir zu treffen haben, insbesondere
dann, wenn es um Kampfeinsätze geht, nicht leicht machen; ich glaube, das gilt für alle hier im Hause. Ich habe
in den vergangenen Jahren erlebt, dass viele Kolleginnen
und Kollegen oft tagelang darum gerungen haben, wie
sie sich verhalten. Ich denke, hier kommt unser Verantwortungsbewusstsein zum Ausdruck.
Wenn wir auf der einen Seite diese Einsätze erwarten
und beschließen, dann müssen wir natürlich auf der
anderen Seite für eine dauerhafte Einsatzfähigkeit der
Bundeswehr sorgen und diese über eine entsprechende
Ausstattung mit angemessenen Haushaltsmitteln sicherstellen. Die Bundeswehr schützt Deutschland und seine
Bürgerinnen und Bürger, sichert die außenpolitische
Handlungsfähigkeit Deutschlands, trägt zur Verteidigung der Verbündeten bei, leistet einen Beitrag zu Stabilität und Partnerschaft im internationalen Rahmen und
fördert die multinationale Zusammenarbeit und die europäische Integration. Die Bundeswehr trägt aber auch zur
internationalen Konflikt- und Krisenbewältigung und
zum Kampf gegen den Terrorismus bei, wie wir anhand
vieler Beispiele darstellen könnten. Sie leistet zudem einen wichtigen Beitrag zum Heimatschutz bei Unglücksfällen und Naturkatastrophen und natürlich auch humanitäre Hilfe im Ausland.
Der Dienst bei der Bundeswehr ist nicht leicht; häufig
ist er mit großen Gefahren verbunden. Deswegen genießen alle Angehörigen der Bundeswehr, auch die zivilen
Mitarbeiter, unsere hohe Wertschätzung. Ich darf mich
dem Dank, den meine Kollegin Karin Evers-Meyer vorhin ausgesprochen hat, ausdrücklich anschließen.
Die Erhöhung der Einsatzfähigkeit und die sich wandelnden Rahmenbedingungen erfordern eine Neuausrichtung der Bundeswehr, damit sie einsatzorientiert und
zukunftsfähig operieren kann. Deutschland benötigt einsatzbereite und einsatzfähige Streitkräfte, die den internationalen Anforderungen und ihrem Stellenwert gerecht werden können. Stichworte sind: gute Ausbildung,
gute Führung, breite Fähigkeiten, gute funktionale Ausrüstung; das sind die wesentlichen Elemente, die man in
diesem Zusammenhang aufzählen muss.
Reformprozesse sind aufwendig und komplex, und jeder weiß, dass Reformen zunächst einmal Geld kosten
- ich unterdrücke jetzt Bemerkungen zu früheren Verteidigungsministern -, bevor sie Früchte tragen. Dennoch
stehen den wachsenden und anspruchsvolleren Aufgaben und Anforderungen immer begrenzte Haushaltsmittel, auch für Personal, gegenüber.
Der Einzelplan 14 - Verteidigung - ist mit in etwa
32,8 Milliarden Euro der zweitgrößte Etat im Bundes2406
haushalt. Die Veränderungen gegenüber dem Vorjahr liegen bei minus 0,4 Milliarden Euro. Bis zum Jahr 2017
sinkt der Verteidigungshaushalt plangemäß noch weiter
ab. Maßgeblich hierfür ist unter anderem - das wurde
bereits angesprochen - die Reduzierung des Personalumfangs im Rahmen der Neuausrichtung der Bundeswehr. Wir haben eine Zielgröße von 170 000 Berufs- und
Zeitsoldaten, 12 500 Freiwilligendienstleistenden und
2 500 Reservisten, die herangezogen werden sollen.
Auch das Zivilpersonal soll auf 55 000 Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter reduziert werden.
Die für das Haushaltsjahr 2014 veranschlagten Ausgaben zur Unterstützung des Abbaus von zivilem Personal - sie sind im Einzelplan 60 ausgewiesen - werden
vereinbarungsgemäß reduziert. Sie stehen 2016, 2017
und 2018 aber wieder zur Verfügung, damit der Zulauf
bei Waffensystemen, der sich verzögert hat, durch die
Bereitstellung adäquater Mittel hoffentlich wieder erfolgen kann.
Das Verteidigungsministerium trägt für die weiteren
Einsparungen das Erwirtschaftungsrisiko im Haushaltsvollzug. Durch die beabsichtigte Verlagerung des Absenkungsbetrages, wie ich es gerade dargestellt habe,
kommt es zu keinem Substanzverlust. Wir können zum
Teil deswegen reduzieren, weil der Afghanistan-Einsatz
dem Ende zugeht - mit Ausnahme der verbleibenden
Missionen, die dort noch zu erfüllen sind -, sodass für
diese Maßnahme weniger Mittel angesetzt werden müssen. Wir haben auch Vorsorge dafür getroffen, dass die
Ausgaben für ziviles Überhangpersonal finanziell entsprechend abgesichert sind.
Mit der Neuausrichtung der Bundeswehr geht auch
ein Personalabbau einher, der sozialverträglich umzusetzen ist. Aber zu diesem Personalabbau muss es gleichzeitig auch einen Personalaufbau geben - Frau Ministerin und Herr Arnold haben das sehr eindrucksvoll
dargelegt -, damit wir keine Lücken bei der Abfolge der
Generationen bzw. der Alterskohorten bekommen.
Gleichzeitig muss man bei der Neuausrichtung der
Bundeswehr - das ist auch vielfach gesagt worden - die
Ausgestaltung der zukünftigen Dienste und der Dienstzeiten, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie
einsatzgerechte Ausrüstung und Ausstattung im Blick
behalten. Ich sage ganz vorsichtig: Ich glaube, dass viele
Angehörige der Bundeswehr und auch sonstige Betroffene erwarten, dass wir keine „Reformitis“ betreiben,
sondern dass wir die beschlossenen Vorhaben zu Ende
bringen. Darauf müssen sich die Menschen verlassen
können.
({1})
In Bezug auf die Ausrüstung ist bekannt, dass die Beschaffungsprozesse der Bundeswehr nicht so ohne Weiteres umzusetzen sind. Ich habe bereits angesprochen,
dass es oft zu Verzögerungen bei den großen Systemen
kommt: NH90, Tiger, Eurofighter, Puma und A400M.
Man sieht, hier gibt es viel zu tun.
Die Stückzahlreduzierung wurde angesprochen, die
mit dem Begriff „Global Deal“ bezeichnet wird. Auch
hier werden ernsthafte und intensive Verhandlungen zu
führen sein. Wir als Haushälter müssen immer zusehen,
dass wir dem Ziel der Haushaltskonsolidierung gerecht
werden. Ich meine, der Verteidigungsetat leistet dazu
seinen Beitrag.
Da mich der Kollege Lindner gerade so freundlich anschaut, will ich sagen - anknüpfend an das, was der Kollege Hellmich vorhin gesagt hat -: Wir werden nicht von
dem Interesse der Aktionäre von Rüstungsunternehmen
geleitet. Aber das Anliegen der Beschäftigten in diesen
Betrieben darf durchaus an uns herangetragen werden.
({2})
Hintergrund ist nicht, dass wir nur die Menschen beschäftigen wollen. Vielmehr wissen wir aufgrund jüngster Vorgänge, dass wir in vielen Bereichen - im Übrigen
nicht nur im Bereich der Bundeswehr - schon heute Fähigkeitslücken haben, die es zu schließen gilt. Wir tun
gut daran, nicht in allen Bereichen - damit meine ich
auch ganz andere, nicht unser Ressort betreffende Bereiche - ausschließlich vom Ausland und den großen Playern dieser Welt abhängig zu sein. Deswegen nehmen wir
auch diese Aufgabe besonders ernst.
({3})
Erlauben Sie mir bitte noch zwei kurze Anmerkungen. Auch die Sicherung unseres Wohlstandes hängt damit zusammen, was unsere Bundeswehr im In- und Ausland zu leisten vermag. Ein Beispiel: Für die Herstellung
eines Autos werden 70 verschiedene Rohstoffe benötigt,
die meistens auf dem Seeweg nach Deutschland kommen. Auch die Sicherung dieser langen Transportwege
ist eine legitime Aufgabe der Bundeswehr.
Da ich aus einem Wahlkreis komme, der im letzten
Jahr sehr vom Hochwasser heimgesucht worden ist, und
dies meine erste Rede zum Verteidigungsbereich ist,
möchte ich zum Schluss die Gelegenheit nutzen, den
Angehörigen der Bundeswehr zu danken. Einige von ihnen standen damals ganz kurz vor einem AfghanistanEinsatz. Meine Heimatregion, Deggendorf/Fischerdorf,
ist den meisten durch diese Katastrophe bekannt geworden. Betroffen waren aber auch Passau, Natternberg,
Niederalteich und andere Hochwassergebiete. Ich
möchte einfach diese Gelegenheit nutzen, mich ganz
herzlich für den Einsatz zu bedanken. Es war großartig,
was die Angehörigen der Bundeswehr im Verbund mit
dem THW, den Feuerwehren und den übrigen Rettungsund Katastrophendiensten geleistet haben. Herzlichen
Dank!
({4})
Frau Kollegin Karin Evers-Meyer, lieber Kollege
Lindner und lieber Kollege Leutert, wir werden gemeinsam, auch wenn wir in unseren Reden heute unterschiedliche Tonalitäten an den Tag legen mussten, mit großer
Sorgfalt den Einzelplan 14 beraten und ihn dann hier zur
Endabstimmung stellen.
Herzlichen Dank.
({5})
Vielen Dank. - Weitere Wortmeldungen zu diesem
Einzelplan liegen nicht vor.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung, Einzelplan 23.
Das Wort hat jetzt für die Bundesregierung der Bundesminister Dr. Müller.
({0})
Frau Präsidentin, es ist mir eine besondere Freude!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Entwicklungspolitik hat unter dieser Regierung, unter der Regierung
Merkel, einen besonders hohen Stellenwert. Wir legen
mit der beschlossenen Steigerung heute den höchsten
Etat in der Geschichte des BMZ vor.
Mein Vorgänger hat mir eine ODA-Quote von
0,37 Prozent hinterlassen, mit abfallenden Finanzierungsansätzen für 2015 bis 2017. Die Haushaltspolitiker
wissen dies genau. Diese Delle - manche nennen sie die
Niebel-Delle - gleichen wir aus und setzen erhebliche
Mittel obendrauf.
Außerdem steigen die Verpflichtungsermächtigungen
um 2,7 Milliarden Euro auf 7,55 Milliarden Euro.
Ich möchte mich an dieser Stelle bei all jenen, die in
den Koalitionsverhandlungen dazu beigetragen haben,
aber insbesondere bei den Haushältern herzlich dafür bedanken, dass wir dieses Ergebnis erzielen konnten. Ich
hoffe, dass wir das in den Haushaltsberatungen bis zur
zweiten Lesung umsetzen können. Danke schön!
({0})
Die Entwicklungszusammenarbeit ist erfolgreich,
wirksam und effizient. Wir arbeiten heute in der Welt mit
70 Ländern zusammen. Ich möchte mich an dieser Stelle
auch ganz herzlich bei all unseren Expertinnen und Experten weltweit bedanken, denen ich zum Teil begegnet
bin: von der GIZ, von UNICEF, von der Welthungerhilfe, den Kirchen, dem Roten Kreuz und den privaten
Organisationen, von den Hunderten, ja Tausenden Organisationen der Zivilgesellschaft, die ein breites Spektrum
abdecken. Vielen herzlichen Dank allen, die in der Welt
großartige Arbeit leisten.
({1})
Ich sage Ihnen: Diese Menschen freuen sich, dass wir für
unsere Arbeit im Wesentlichen die Unterstützung aller
Parteien im Bundestag haben.
Die Welt steht vor gewaltigen Herausforderungen,
und Entwicklungspolitik heute ist eine Investition in die
Zukunft, den Frieden, Herr Verteidigungsstaatssekretär,
und das Leben. Allein 25 000 Kinderherzen haben heute
aufgehört zu schlagen, weil diese Kinder nichts zu Essen
hatten, keine Medikamente bekommen haben, nicht geimpft wurden oder kein sauberes Trinkwasser hatten. Für
uns ist dies alles unvorstellbar. Ich will Ihnen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne, die Sie gerade Ihre Frühjahrsdiät in der Fastenzeit machen, um Ihr
Übergewicht zu verlieren, jetzt kein schlechtes Gewissen
einreden, aber es stellt sich schon die Frage, warum wir,
die 20 Prozent der Menschheit auf der Sonnenseite des
Lebens, unter anderem hier in Europa und in Deutschland, uns herausnehmen, 80 Prozent des Wohlstandes,
des Besitzes und der Ressourcen für uns zu beanspruchen. Dies müssen wir hinterfragen.
({2})
25 000 Kinderherzen haben heute aufgehört, zu schlagen, aber 250 000 Menschen sind heute neu auf der
Welt. Es gibt pro Jahr 80 Millionen Menschen mehr.
Man kann diese Zahlen kaum fassen. Die Bevölkerung
Afrikas wird sich in den nächsten 50 Jahren verdoppeln.
Die Bevölkerungszahlen in Europa stagnieren. Manche
sagen, wir vergreisen. Die Bevölkerung in Asien wächst
auf 4 bis 5 Milliarden auf. Dies bringt gewaltige Herausforderungen mit sich: 30 Prozent mehr Wasser, 40 Prozent mehr Energie und 50 Prozent mehr Nahrung bis
2030. Aber ich sage Ihnen: Diese Herausforderungen
sind mit der Entwicklungspolitik, mit der Entwicklungszusammenarbeit zu lösen. Wir machen uns an die Arbeit.
Dabei muss Nachhaltigkeit unser Prinzip aller Entwicklungen sein. Ökonomisch muss das Ziel die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch sein. Ich habe heute ein aktuelles Bild aus Peking
von meinem Sohn bekommen, der gerade dort ist. Die
Sicht dort beträgt unter 10 Meter. Ich könnte meinen
Staatssekretär Fuchtel, der in den Reihen der CDU/CSU
sitzt, trotz aller Mächtigkeit und aller Breite nicht sehen,
ohne Scheinwerfer einzuschalten.
({3})
Das ist heute die Smogsituation in Peking, und das hat
natürlich gewaltige Auswirkungen auf unser Klima weltweit. Deshalb sage ich: Wir benötigen weltweit verbindliche ökologische und soziale Standards.
Ich habe vergangene Woche das Thema Textilwirtschaft angesprochen. Wir setzen hier ein wichtiges
Signal. Ich lade die deutsche Textilwirtschaft ein - ich
hoffe, dies wird gelingen -, mit Blick auf den Jahrestag
des Fabrikeinsturzes in Bangladesch mit uns ein Textilsiegel umzusetzen, das ökologische und soziale Standards auch für die Näherinnen in Vietnam und in Bangladesch setzt.
({4})
Ich möchte auch auf Folgendes hinweisen: Dazu gehört auch die weltweite Durchsetzung des Verursacherprinzips und der Wahrheit über die tatsächlichen ökologischen Kosten des Transports. Wir können darüber
diskutieren, wie wir das in der Zukunftscharta konkret
umsetzen. Der unbegrenzte Freihandel, der für viele die
Vision ist, ist nicht unsere Vision. Der Markt braucht
Grenzen und Regeln.
({5})
Ich knüpfe an das an, was die Enquete-Kommission des
Deutschen Bundestages vor Jahren erarbeitet hat: Wir
brauchen die Standards einer ökologisch-sozialen
Marktwirtschaft, und diese gilt es weltweit, bei der
WTO, dem IWF, bei der Weltbank, bei der ILO, aber
auch im Freihandelsabkommen mit den USA, zu verankern.
({6})
Unsere Entwicklungspolitik ist wertegebunden. Das
heißt, jeder Mensch hat das unteilbare Recht auf Leben,
auf Würde, auf Nahrung, auf Wasser und auf die Einhaltung grundlegender Grundrechte. Wir können und werden helfen, bestehende Probleme zu lösen. Die Entwicklungszusammenarbeit und -politik ist erfolgreich. Die
Menschen fragen uns aber: Liebe Haushälter, haben eure
Ausgaben einen Sinn? Ich bin nun 120 Tage im Amt,
und überall werde ich gefragt: Du bringst Millionen nach
Mali oder in den Südsudan, zum Beispiel in ein Flüchtlingscamp. Hat das denn einen Sinn? Wie wirkt sich das
aus? - Wir müssen den Menschen vermitteln, dass es
Sinn macht und wir erfolgreich sind.
Ich möchte ein paar Zahlen zum Thema Hunger nennen. Trotz der täglich wachsenden Bevölkerung hat sich
das Vorkommen von Armut und Hunger statistisch gesehen seit 1990 halbiert. Das ist schon ein großartiger Erfolg der Entwicklungszusammenarbeit weltweit.
({7})
Ich komme zum Thema Gesundheit, Seuchen und
Krankheiten. Seit 1990 hat sich die Mutter-Kind-Sterblichkeit weltweit um 50 Prozent reduziert. Die HIVQuote hat sich um 22 Prozent verringert. Die PolioQuote liegt praktisch bei null. Die Anzahl der MalariaErkrankungen, insbesondere in Afrika, hat sich um
25 Prozent verringert. Das ist alles eine Folge großer
Anstrengungen. An dieser Stelle möchte ich natürlich
die großen Impfaktionen und -kampagnen nennen. Deshalb, verehrte Haushälter, bitten wir um Unterstützung:
Wir wollen und werden den Globalen Fonds, den
GFATM, verstärken.
({8})
Sie haben vorgeschlagen, dass zusätzliche Mittel in
Höhe von 40 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Wir haben für die nächsten drei Jahre eine entsprechende Zusage gegeben. Frau Kofler, Sie haben das
stark unterstützt. Ich glaube, das Geld kommt genau da
an, wo es notwendig ist - bei den Menschen und insbesondere den Kindern.
({9})
Wir werden den GAVI-Fonds für Spezialisten weiter
ausbauen, wenn die Haushälter das akzeptieren. Wir
werden aber auch die bilaterale Bereitstellung von Mitteln für Impfaktionen weiter erhöhen.
Kommen wir zum Thema Kriege, Bürgerkriege und
Konflikte. Wir haben soeben den Verteidigungshaushalt
diskutiert. Wenn man nach Afrika schaut, sieht es so aus,
als wenn nur gekämpft würde und es nur Kriege, Konflikte und Katastrophen gäbe. Dies ist aber nicht der Fall.
Seit 1990 hat sich die Anzahl der Toten durch Kriege
und Bürgerkriege von 200 000 auf 50 000 im Jahr reduziert. Diese Zahlen sind natürlich nach wie vor schrecklich. Sie sehen aber, dass sich in der Welt und insbesondere in Afrika einiges bessert.
Die Koalition hat sofort gehandelt. Wir haben auch
sofort Schwerpunkte gesetzt. Wir investieren 160 Millionen Euro in die drei Sonderinitiativen „Eine Welt
ohne Hunger“, „Fluchtursachen bekämpfen, Flüchtlinge
reintegrieren“ und „Stabilisierung in Nordafrika und
dem Nahen Osten“ sowie in den Klimaschutz.
Entwicklungszusammenarbeit leistet Friedens- und
Versöhnungsarbeit. Wir stärken die Konfliktprävention.
Deshalb unterstützen wir auch die Arbeit der Afrikanischen Union in genau diesem Bereich. Wir fördern den
Religionsdialog. Wir entwickeln in unseren Partnerländern Rechtskultur und unterstützen den Aufbau von
Rechtsstaatlichkeit. Wir schützen Kinder, Frauen und
Menschenrechte. Erstmals setzen wir mit einer Sonderinitiative zur Beseitigung des Flüchtlingselends einen eigenen Schwerpunkt.
Frau Roth, Sie haben einige Camps besucht.
({10})
Wir müssen uns der Frage der Reintegration dieser Menschen stellen. Wer soll und wird diese Arbeit leisten?
Unsere Finanztitel sind dazu nicht ausreichend. Wir
müssen hierzu eine Zukunftsstrategie entwickeln.
({11})
Ich war mit einigen von Ihnen zu Besuch in den
Camps im Südsudan, an der syrischen Grenze und in der
Zentralafrikanischen Republik. Man schaut in den Himmel, wenn man leuchtende Kinderaugen sieht, aber man
schaut in die Hölle, wenn man das Elend sieht, in denen
diese Kinder leben müssen. Sie haben dennoch Hoffnung auf ein besseres Leben und auf eine bessere Zukunft. Dabei bauen diese Menschen insbesondere auf
uns. Wir werden sie nicht vergessen. Mein Respekt und
Dank gilt allen, die zwischen den Fronten kämpfen und
helfen.
Ich möchte noch einmal Syrien ansprechen. Die Menschen dort befinden sich in einer besonders dramatischen
Lage. Das humanitäre Völkerrecht muss gelten. Wir
brauchen einen weltweiten Aufschrei. Eine Rettungsaktion für das syrische Volk muss eingeleitet werden. Hier
spielt sich vor unseren Augen die größte humanitäre Katastrophe seit Jahrzehnten ab.
({12})
Das darf und kann nicht sein. Wir sprechen hier nicht
wie beim Südsudan oder bei der Zentralafrikanischen
Republik von 1 000 oder 2 000 Toten, wir sprechen hier
von 120 000 oder 140 000 Toten. Assad muss seine
Grenzen für humanitäre Hilfe öffnen. Die Welt darf sich
nicht mit dem heute diskutierten Abzug von Chemiewaffen zufriedengeben. Wir haben dazu einen begleitenden
Militäreinsatz beschlossen - das unterstützen wir -; aber
wo bleibt ein Beschluss der Weltgemeinschaft und auch
Europas zu humanitärer Hilfe für 10 Millionen flüchtende, sterbende, hungernde Syrer?
({13})
An dieser Stelle wird sehr deutlich: Weder im Südsudan noch in der Zentralafrikanischen Republik ist ein
militärisches Mandat ausreichend. Ein militärisches
Mandat muss eingebettet sein in einen ganzheitlichen
Prozess. Wir brauchen einen ganzheitlichen, vernetzten
Ansatz. Vernetzte Entwicklungspolitik heißt für mich:
humanitäre Hilfe, Stabilität, technischer Wiederaufbau,
staatliche Strukturen. Ich sage an dieser Stelle: Militär
allein schafft noch keine Lebensperspektive. Deshalb
muss für alle zukünftigen Mandate die Gleichwertigkeit
zwischen den zivilen - der Entwicklungszusammenarbeit - und den militärischen Komponenten gelten.
({14})
Die Entwicklungszusammenarbeit ist immer umfassend gefordert; das zeigt das Beispiel Afghanistan. Ich
bin mit Blick auf Afghanistan optimistisch; aber ich sage
hier auch in der Haushaltsdebatte: Im Haushalt 2015
müssen wir die Mittel für Afghanistan verstärken. Mit
230 Millionen Euro für die EZ sind die Aufgaben, die
auf uns zukommen, nicht zu lösen.
({15})
Meine Botschaft an dieser Stelle ist nicht Resignation,
sondern Aufbruch, neues Denken und Mut, Investitionen
in Zukunft, Frieden und das Leben. Meine Überzeugung
ist: Heute, im 21. Jahrhundert, könnten und können wir
die Probleme lösen, wenn wir mutig anpacken. Der Planet schenkt uns die Lebensgrundlagen wie Wasser, Boden, Sauerstoff, Ressourcen für 10 Milliarden Menschen; das sagen alle Wissenschaftler. Warum müssen
dann täglich 25 000 Kinder verhungern? Warum liefern
wir nicht unser Wissen, Technik, Innovation? Die Wissenschaft stellt uns das Wissen bereit. Zusammen mit angewandter Technik können wir heute Lösungen verwirklichen.
Ich möchte am Schluss darauf hinweisen: Ich habe
am 1. April zusammen mit vielen von Ihnen den Prozess
zur Entwicklung einer gemeinsamen Zukunftscharta
„EINEWELT - Unsere Verantwortung“ gestartet. Wir laden die Zivilgesellschaft - alle Schüler, Schülerinnen,
Jugendgruppen, jeden, der mitmachen will - zu einem
Onlinedialog ein. Entwicklungszusammenarbeit ist
spannend und geht alle an. Wir laden Sie ein, mitzumachen, 2014 mit uns die Weichen zu stellen für 2015 und
die Zukunft. Meine lieben Schülerinnen und Schüler auf
der Tribüne, vielleicht schicken Sie uns morgen direkt
eine Mail, bringen Ihre Ideen ein. 2015 werden wir ein
neues Klimaabkommen verabschieden, die G-7- oder
G-8-Präsidentschaft in Deutschland haben, die Fortschreibung der Millenniumsziele hier diskutieren und
verabschieden. Dazu brauchen wir Ihre Unterstützung,
einen breiten gesellschaftlichen Dialog, zu dem wir Sie
einladen. Gemeinsam sind wir stark. Gemeinsam werden
wir erfolgreich sein. Das Parlament hat das letzte Wort
beim Haushalt. Herzlichen Dank an alle Haushälter und
Kolleginnen und Kollegen für die freundschaftliche und
partnerschaftliche Zusammenarbeit!
Danke schön.
({16})
Vielen Dank, Herr Minister. - Für die Fraktion Die
Linke erhält jetzt das Wort Michael Leutert.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Minister! Das Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung will
dieses Jahr knapp 6,5 Milliarden Euro für Entwicklungshilfe ausgeben. Sie haben es selber angesprochen: Das
ist ganz klar zu wenig. Deutschland hat sich international verpflichtet - dazu standen alle Bundesregierungen,
egal ob Rot-Grün oder Schwarz-Rot oder Schwarz-Gelb -,
bis zum Jahr 2015 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Entwicklungspolitik zur Verfügung zu stellen. Das wären aktuell 19 Milliarden Euro. Hier gibt es
also eine Lücke, die geschlossen werden muss, und zwar
bis zum nächsten Jahr, also im Haushalt 2015. Mich
würde interessieren, wie Sie das bis zum nächsten Jahr
bewerkstelligen wollen.
Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
glaube, die Glaubwürdigkeit Deutschlands wird nicht
am militärischen Engagement Deutschlands oder an der
Übernahme von mehr Verantwortung auf internationaler
Ebene gemessen, sondern entscheidend für unsere
Glaubwürdigkeit wird sein, ob wir Zusagen - insbesondere diese Zusage - einhalten werden.
({0})
Herr Minister, in Bezug auf die inhaltliche Ausrichtung der Entwicklungshilfe sind wir uns, glaube ich, alle
einig. Sie haben gerade von der Zukunftscharta „EINEWELT - Unsere Verantwortung“ gesprochen, und in Ihrer Auftaktrede zur Eröffnung der Diskussion darüber
sagten Sie - Sie haben das gerade auch selbst erwähnt;
ich möchte es aber gerne noch einmal zitieren -:
Wir müssen die Globalisierung so gestalten, dass
sie den Menschen dient. Markt braucht Regeln und
Macht braucht Grenzen. Nachhaltigkeit muss das
Prinzip aller Entwicklung, ja, allen Tuns sein.
Das könnte in unserem Parteiprogramm stehen und
kann ich unterschreiben. Ich glaube, hier werden wir uns
einig.
({1})
- Ja, das bleibt richtig.
Auch an den Zielen gibt es nichts zu kritisieren: erstens weltweite Armut bekämpfen, zweitens Frieden sichern und Demokratie verwirklichen, drittens Globalisierung gerecht gestalten und viertens Umwelt schützen.
All diese Ziele teilt die Linke, und wir unterstützen das
BMZ dabei, mit dem nicht ausreichenden Geld die Projekte zu finanzieren, mit denen diese Ziele verwirklicht
werden können.
Allerdings wissen auch Sie - zumindest konnte ich
das einem Interview auf Zeit Online vom 23. Januar
2014 entnehmen -: „Mehr Geld allein bringt aber auch
nichts“. Das Geld muss natürlich auch wirksam eingesetzt werden. Ich möchte noch einen Schritt weitergehen
und sagen: Es darf auch von anderer Stelle kein Geld
eingesetzt werden, mit welchem die gesetzten Ziele wiederum untergraben werden.
Ich möchte hier - das habe ich heute schon einmal gemacht; die Haushälter freuen sich über so etwas immer wiederum einen Vorschlag einbringen, der in der Entwicklungshilfe viel bewirken könnte und gar kein Geld
kosten würde. Ich spreche von der Unterbindung von
Waffenexporten, und zwar von ganz bestimmten Waffen.
Es ist bekannt, dass Deutschland Waffen in alle möglichen Länder exportiert. Dabei spielt es derzeit leider
keine Rolle, ob es demokratische Länder oder Länder
mit menschenverachtenden Regimen sind. Wir liefern
genauso selbstverständlich nach Spanien wie nach Katar,
Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Leider werden deutsche Waffen auch in Konfliktregionen geliefert: Indien und Pakistan stehen genauso selbstverständlich auf der Exportliste wie die Zentralafrikanische Republik und Nigeria.
Sie, Herr Minister - das ist jetzt die Klammer zu Ihrem Ministerium -, sind Mitglied des Bundessicherheitsrates, der über Waffenexporte entscheiden kann, und der
verantwortliche Wirtschaftsminister ist der SPD-Vorsitzende Gabriel. Ich glaube, Sie können sich sehr schnell
einig werden, diese Situation dort zu verändern. Das
würden wir zumindest sehr begrüßen. Wie gesagt: Das
würde kein Geld kosten.
({2})
Das Problem ist ja, dass diese Handfeuerwaffen aus
deutscher Produktion - es geht hier hauptsächlich um
Kleinwaffen - immer wieder in Krisengebieten auftauchen. Das ist im Übrigen nicht nur ein Kritikpunkt der
Linken, sondern das wurde auch von den Kirchen in
Deutschland immer wieder ganz deutlich kritisiert.
Allein 2012 hat die Bundesregierung die Ausfuhr von
67 000 kleinen und leichten Waffen genehmigt. Das Sturmgewehr G36 - die Standardwaffe der Bundeswehr - taucht
in Konfliktgebieten auf, zum Beispiel in Libyen, Georgien
und zuletzt auch in Mexiko, wo es auch eine quasi militärische Auseinandersetzung gibt, nämlich einen Drogenkrieg mit über 70 000 Toten.
({3})
- Ja, jetzt komme ich zum Einzelplan 23, sehr verehrte
Kollegin.
({4})
Mexiko ist nämlich Zielland deutscher Entwicklungshilfe.
Ich meine: Das passt nicht zusammen. Auf der einen
Seite leisten wir Entwicklungshilfe für diese Länder, und
auf der anderen Seite gibt es Unternehmen bei uns im
Land - zum Beispiel Heckler & Koch -, die mit ihren
Waffenlieferungen die Gerüste, die wir durch unsere
Entwicklungshilfe aufbauen, wieder einreißen. Das ist
nicht der richtige Weg; das muss und kann geändert werden.
({5})
Das Problem an diesen Gewehren ist, dass sie relativ
preiswert sind - ein neues Modell kostet 1 700 Euro -,
und sie sind leicht zu bedienen und sehr leicht zu heben;
das G36 wiegt nämlich nur 3,5 Kilogramm. Das können
Kinder hochheben, und genau das passiert auch in den
Konfliktgebieten.
Es sterben nicht nur 25 000 Kinder jeden Tag wegen
Hungers, sondern weltweit sind auch 250 000 Kinder als
Kindersoldaten im Einsatz, leider eben auch in Ländern
- es gibt zum Beispiel auf den Philippinen und in Indien
Kindersoldaten -, die sowohl Zielländer für unsere Entwicklungshilfe als auch Zielländer für Waffenexporte - es
werden unter anderem Kleinwaffen dorthin geliefert - sind.
Es gibt im Haushalt des Einzelplans 23 den Titel - das
ist eine Sonderinitiative - „Fluchtursachen bekämpfen“.
Dafür werden 170 Millionen Euro eingestellt, 100 Millionen Euro davon sind Verpflichtungsermächtigungen.
Eine Fluchtursache - das ist ganz klar - sind bewaffnete
Konflikte. Das Geld allein wird nicht ausreichen, um
diese Fluchtursachen zu minimieren.
Also fordere ich Sie hier noch einmal auf: Helfen Sie
mit, Herr Minister, die Exporte von Handfeuerwaffen in
Konfliktregionen zu unterbinden. Damit kommen wir
dem selbst gesteckten Ziel der Entwicklungspolitik,
nämlich der Friedenssicherung, ein großes Stück näher,
und zwar ganz ohne zusätzliche Mittel. Vor allem würde
man damit Vertrauen und Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Die Unterstützung der Linken haben Sie auf
diesem Weg auf alle Fälle.
({6})
Vielen Dank. - Frau Dr. Bärbel Kofler für die SPD ist
jetzt die nächste Rednerin.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wer heute den ganzen Tag die Debatten zu internationaler Politik verfolgt hat, kann viele Themenfelder,
die der Minister angesprochen hat, nachvollziehen und
sehen, vor welchen Herausforderungen wir stehen.
Das Thema Friedenssicherung, Flüchtlinge und der
Umgang mit ihnen ist angesprochen worden. Klassische
Entwicklungszusammenarbeit und Armutsbekämpfung
müssen mittelbar in den Fokus gerückt werden. Wir haben uns aber auch mit Fragen von zivilem Staatsaufbau
zu beschäftigen. Wir haben uns mit dem Aufbau von sozialer Sicherung und Steuersystemen zu beschäftigen.
Wir stehen vor der Herkulesaufgabe, das Thema Finanzierung des internationalen Klimaschutzes auf eine vernünftige Grundlage zu stellen. Wer all das sieht, muss
ehrlich sagen - das möchte ich an dieser Stelle betonen
und unterstreichen -: Die Mittel dafür reichen nicht.
({0})
Sie reichen nicht im Etat für auswärtige Politik. Sie reichen nicht im Umweltetat. Sie reichen auch nicht in unserem Etat für Entwicklungszusammenarbeit.
Wenn wir ganz ehrlich sind, dann müssen wir sagen,
dass wir uns in den Koalitionsverhandlungen die Sache
mit der Mittelzusage von 2 Milliarden Euro ein bisschen
anders gedacht haben. Wir haben diese Summe bewusst
eingestellt, weil wir wissen, dass es sich hierbei um
wichtige Aufgaben handelt. Diese 2 Milliarden Euro haben wir bewusst nicht unter Finanzierungsvorbehalt gestellt. Aber ich mahne an - ich bitte als Entwicklungspolitikerin darum, dazu einen Konsens im gesamten Haus
zu erreichen, über alle Fraktionen und auch über alle
Ressortgrenzen hinweg -, dass diese Mittel wirklich in
die Hand genommen werden können und das Ganze
nicht aufgrund der Niebel-Delle auf ein Nullsummenspiel hinausläuft.
({1})
Ich finde, dafür lohnt es sich, nicht nur in den nächsten Monaten, sondern auch in den nächsten Jahren zu
kämpfen. Ich möchte an einigen Beispielen deutlich machen, worum es geht. Das Thema Friedensarbeit ist angesprochen worden. Unser Haushalt enthält dafür sicherlich nicht den größten finanziellen Posten, aber es findet
sich eine Unterstützung für eine ganz spannende Institution, den Zivilen Friedensdienst. Dieser Dienst macht
genau das, was wir heute in verschiedenen Debatten betont haben: Er führt Menschen zusammen, er macht Versöhnungsarbeit - das ist ein ganz schwieriger Prozess -,
um Konflikte aufzuarbeiten und dazu beizutragen, dass
Konflikte in Zukunft nicht mehr ausbrechen. Dafür haben wir im Haushalt knapp 30 Millionen Euro eingestellt. Diese 30 Millionen Euro stehen seit Jahren - ich
weiß gar nicht, ob das schon im ersten Jahr dieses Etats
so war, aber schon sehr lange - so in diesem Haushalt.
Am Anfang haben wir gesagt: Wir müssen schauen,
ob dieses Instrument wirkt. - Jetzt haben wir es überprüfen lassen. Dieses Instrument und seine Wirkung sind
sehr gut beurteilt worden. Nur leider hat sich der Mittelansatz in keiner Weise verändert. Wir müssen dafür
kämpfen, dass genau solche Institutionen wie die des Zivilen Friedensdienstes und die damit verbundenen zivilen Prozesse durch Mittel aus unserem Haushalt unterstützt werden können.
({2})
Sehr oft redet man im Rahmen von Außenpolitik und
internationalen Zusammenhängen über die Frage eines
Militäreinsatzes; zuvor wurde der Verteidigungsetat beraten. Aber ich glaube, den Menschen, die diese zivilen
Friedensprozesse begleiten, müssen wir sowohl in unserem Etat als auch in dem des Auswärtigen Amtes - auch
da gibt es einen spannenden Titel, ZIF, mit dem der
Staatsaufbau im zivilen Bereich finanziert wird - eine
ganz andere Aufmerksamkeit zukommen lassen; denn
Entwicklungshilfe existiert auch noch dann, wenn keine
Kameras auf das Elend dieser Erde gerichtet sind. Sie
existiert vor Konflikten, bei Konflikten und danach. Genau deshalb müssen diese Friedensprozesse gestützt
werden.
({3})
Ein anderer Punkt, der mich beschäftigt, ist schon
kurz angesprochen worden, nämlich die Klimapolitik
und die Finanzierung in diesem Bereich. Wir haben
letzte Woche den Weltklimabericht debattiert. Wir haben
die Prognosen gesehen und wissen alle miteinander, dass
wir als Industrieländer auch finanziell in Vorleistung gehen müssen.
({4})
Denn wir sind die Verursacher.
Ich finde, als Entwicklungspolitiker muss man zu
dem Prinzip einer gemeinsamen, aber geteilten Verantwortung stehen. Will heißen: Wir haben den CO2-Ausstoß begonnen. Die Entwicklungsländer leiden unter den
Folgen der Klimaveränderung. Hier müssen wir auch finanziell in Vorleistung gehen und entsprechende Beiträge leisten.
({5})
- Ich finde, da darf man klatschen, auch die Grünen.
Wir können bereits dieses Jahr und auch in den nächsten Jahren im Haushalt einiges tun. Ich glaube, deshalb
ist auch die mittelfristige Finanzplanung so wichtig. Wir
müssen beim Green Climate Fund einen Pfad aufzeigen,
wie wir die notwendigen Finanzierungsströme erreichen
können.
Wir wissen, wie viel wir aufbauen müssen. Wir kennen die Summe, die weltweit aus öffentlichen und privaten Mitteln notwendig ist: 100 Milliarden US-Dollar ab
2020. Wir wissen, dass wir ab nächstem Jahr einen Pfad
schaffen müssen, und wir wissen auch, wofür: nämlich
dafür, dass Entwicklungsländer endlich Energiepolitik
hin zu einer kohlenstoffarmen Gesellschaft machen können und dass vor allem auch Anpassungsmaßnahmen finanziert werden können, damit die Folgen des Klimawandels und das Leiden der Menschen darunter
angegangen werden können.
Wenn wir das nicht tun, dann wissen wir spätestens
seit Nicholas Stern, dass es für uns auch ökonomisch
teurer werden wird als alles andere, was wir hier an Mitteln einsetzen können. Auch dafür brauchen wir ein gemeinsames Handeln und ein gemeinsames Werben in allen Ressorts um Verständnis für die Bedeutung dieser
Finanzierungsaufgaben.
({6})
Es geht um die Haushaltsmittel, aber auch um Regeln.
Herr Minister, Sie haben es schon angesprochen. Den
Satz „Markt braucht Regeln“ finde auch ich sehr schön.
Ich finde, eine Haushaltsdebatte ist eine gute Gelegenheit, über Regeln und Standardsetzungen zu sprechen.
Auch in diesem Bereich müssen wir zu einem veränderten Denken und zu einem anderen Handeln kommen.
Die Frage, wie wir zu verbindlichen Sozial- und Umweltstandards gelangen - ich möchte das Wort „verbindlich“ dreimal unterstreichen -, muss uns umtreiben, und
zwar nicht nur uns als Entwicklungspolitiker; denn das
betrifft auch die Wirtschaft, die Justiz und die Arbeitsmarktpolitik. Hier müssen wir gemeinsam handeln. Ich
wünsche mir und hoffe, dass die Entwicklungspolitik ein
Motor dafür sein kann, auch in anderen Ressorts zu einem Umdenken zu kommen.
({7})
Denn Freiwilligkeit allein - das möchte ich an der
Stelle auch noch einmal klarstellen - bringt uns, glaube
ich, nicht weiter. Wir hatten und haben bisher viele freiwillige Verpflichtungen, die gut gemeint und in manchen
Teilen auch gut gemacht sind. Aber wer glaubt, mit freiwilligen Verpflichtungen Unternehmen, die das nicht
wollen - das sind beileibe nicht alle -, dazu bringen zu
können, weltweit ordentliche Produktionsbedingungen
zu schaffen und dies den Konsumenten transparent nachzuweisen, der irrt meines Erachtens.
({8})
Dazu gibt es eine Entschließung des EU-Parlaments
vom Februar dieses Jahres, die ich sehr spannend finde
und die zwar bezogen auf Konfliktmineralien, aber auf
den gesamten Themenbereich anwendbar feststellt
- ich zitiere -, „dass die Vielzahl von Verhaltenskodizes, Standards und Zertifizierungssystemen mit unterschiedlicher thematischer Ausrichtung im Bereich der
sozialen Verantwortung von Unternehmen … Bewertungen, Vergleiche und Überprüfung schwierig, wenn
nicht unmöglich macht“.
Wenn wir das wissen, dann müssen wir zu klaren Zertifizierungen, klaren Regeln und verpflichtenden Transparenzregeln für Unternehmen kommen.
({9})
Ich würde mir wünschen, dass Entwicklungspolitik
dafür ein Motor sein kann. Es reicht aber nicht, ein Motor zu sein. Denn um zum Beispiel solche Regeln umzusetzen, braucht es auch in den Partnerländern starke Verwaltungen, Know-how-Transfer und zivile Kräfte, die
aufgebaut und ausgebildet werden, um zum Wohle ihrer
Länder kontrollierend, aber auch regelnd eingreifen zu
können, damit auch der Ressourcenreichtum der Länder
den Ländern selbst zugute kommt. Wir brauchen - das
haben wir gestern als Arbeitsgruppe im Gespräch mit der
Präsidentin der Deutschen Welthungerhilfe, Bärbel
Dieckmann, wieder erfahren - den Aufbau sozialer Sicherungssysteme weltweit. Bärbel Dieckmann sagt ganz
deutlich: Ohne Zugang zu sozialer Sicherung ist Armutsbekämpfung eigentlich nicht möglich.
({10})
Weil wir wissen, dass wir das alles brauchen und dass
das schwierige, große Aufgaben sind, die die Entwicklungspolitik nicht alleine stemmen kann, sondern nur
eine gesamte Gesellschaft, und zwar in Abstimmung mit
Partnern, mit anderen engagierten Nationen und Menschen nicht nur in Europa, sondern weltweit, müssen wir
dafür kämpfen, dass wir für den deutschen Teil, den wir
leisten sollen, die notwendige Mittelausstattung haben.
Ich hoffe, dass wir gemeinsam für eine wesentlich bessere Mittelausstattung, für die Entwicklungszusammenarbeit und die von mir genannten Themenfelder arbeiten
werden. Dafür müssen wir kämpfen, und zwar nicht nur
in den nächsten vier Jahren, sondern, wie ich befürchte,
leider auch noch in den nächsten Jahrzehnten.
Danke.
({11})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist die Kollegin
Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Sehr geehrter Herr Minister Müller, ich will
ganz klar sagen: Sie hatten aus unserer Sicht einen wirklich positiven Start.
({0})
Sie haben viele grüne Ideen präsentiert. Sie haben am
29. Januar in Ihrer ersten Rede sehr grundsätzliche Anmerkungen gemacht und auch heute die Wachstumsausrichtung grundsätzlich hinterfragt. Sie haben gesagt:
Wenn alle so leben würden wie wir, dann brauchten wir
drei Erden. - Sie beschreiben Entwicklungspolitik als
eine Zukunftspolitik, um wesentliche Herausforderungen anzunehmen. Wenn ich aus Ihrer Rede vom 29. Januar zitieren darf:
Nachhaltigkeit muss das Prinzip allen Tuns und aller Entwicklung sein. Deshalb müssen wir die Globalisierung so gestalten, dass sie dem Menschen
dient und nicht ausschließlich den Märkten und der
Wirtschaft. … Nicht der freie Markt ohne jegliche
Kontrolle ist unser Leitbild, sondern eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft. Der Markt braucht
Grenzen.
({1})
Das ist ziemlich gut. Aber daran muss sich die ganze Regierung messen lassen und nicht nur Herr Minister
Müller; darauf komme ich noch zurück.
({2})
Die Haushaltswirklichkeit sieht wesentlich kritischer
aus. Ihr Etat wird ein bisschen schöngeredet. Zu diesem
Schluss komme ich, wenn ich ihn mit dem vom Jahr
2013 vergleiche. Er weist zwar einen Aufwuchs von
147 Millionen Euro auf. Aber der größte Batzen von
129 Millionen Euro ist der Verschiebung der Mittel für
den internationalen Klimaschutz aus dem EKF in diesen
Etat geschuldet. Damit beträgt der Aufwuchs nur noch
0,1 Prozent. Das ist doch sehr bescheiden.
({3})
Das sage ich als Haushälterin vor dem Hintergrund guter
konjunktureller Zeiten, in denen man eine solch große
internationale Verpflichtung wie das 0,7-Prozent-Ziel
ambitioniert angehen könnte. Wir verzeichnen 9 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen. Angesichts dessen
sind die eingestellten 70 Millionen Euro für das neue
Programm „Eine Welt ohne Hunger“ und die 0,1-Prozent-Erhöhung in Ihrem Etat leider nur ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein.
Frau Kofler, Sie haben sehr selbstkritisch darauf hingewiesen, dass wir mit 2 Milliarden Euro mehr bis 2017
lediglich unsere ODA-Quote von 0,37 Prozent stabil halten. Das heißt, wir kommen gar nicht voran. Dafür können wir uns nicht gegenseitig beglückwünschen. Wir
müssen ab sofort besser werden. Ich muss Ihnen sagen:
Der gesamte Haushalt von Herrn Minister Schäuble und
dieser Regierung wächst in der Finanzplanperiode bis
2018 um 9,6 Prozent auf, also knapp 10 Prozent Haushaltsausweitung. Der Anteil des BMZ beträgt nur
3,7 Prozent. Das ist weit unterdurchschnittlich. Das
reicht definitiv nicht.
({4})
Weiterhin möchte ich den Klimawandel ansprechen.
Der Weltklimarat hat deutlich gemacht, dass die Ärmsten der Armen am meisten vom Klimawandel betroffen
sind. Er hat insbesondere auf die Prognosen bezüglich
der Auswirkungen auf die Ernährungssituation der Menschen verwiesen. Auch vor diesem Hintergrund hat
Deutschland eine besondere Verantwortung. Im Lichte
der Sustainable Development Goals und der Debatte
über die Zusammenführung von Klimaschutz und Entwicklungszielen ist eine ambitionierte Klima- und Entwicklungspolitik notwendig.
An dieser Stelle möchte ich Sie an Ihre Eingangsbemerkung zur grundsätzlichen Ausrichtung der Regierungspolitik erinnern. Wir brauchen nicht nur das
Engagement Deutschlands für Klimaschutz auf internationalen Konferenzen, sondern wir brauchen eine kohärente Energiewende in Deutschland, damit dieses Engagement glaubwürdig ist.
({5})
Deswegen sind Runde Tische mit der Textilindustrie
dann glaubwürdig, wenn nicht nur Herr Müller, sondern
auch Herr Gabriel dahintersteht, wenn bei der Ausweitung der Mittel sich Herr Schäuble und von mir aus auch
Herr Dobrindt stärker in die Pflicht nehmen lassen. Bitte,
machen Sie eine kohärente Regierungspolitik. Bei der
Energiewende können wir Grünen das bisher leider nicht
erkennen.
({6})
Ein letzter Punkt. Die Mittel für den internationalen
Klimaschutz werden leider in Ihrem Haushalt zusammengestrichen. Das ist die bittere Wahrheit. Die Gelder
für multilaterale Hilfen zum weltweiten Umweltschutz
und zur Erhaltung der Biodiversität werden um fast
60 Millionen Euro gekürzt. Auch der neue Titel aus dem
EKF „Internationaler Klima- und Umweltschutz“ wird
deutlich von 230 Millionen Euro auf 140 Millionen Euro
zusammengestrichen. Das ist ein dicker Batzen.
Frau Kofler, es ist die traurige Wahrheit, dass sich die
jetzige Bundesregierung nicht auf das Thema Green
Climate Fund vorbereitet hat. Die Verpflichtungsermächtigungen sind bislang auf null gestellt. Wir brauchen aber zum September 2014 eine Strategie, dass wir
mit ungefähr 750 Millionen Euro Verpflichtungsermächtigungen in diesem Haushalt auftreten können, um unsere Verantwortung hinsichtlich der multilateralen Klimafinanzierung wahrnehmen zu können.
Es liegt also sehr viel Arbeit vor uns. Auch unsere
Versprechen, die wir in Kopenhagen gemacht haben,
verpflichten Deutschland zu einem richtig starken Aufwuchs im Umwelt- und BMZ-Bereich zugunsten einer
guten Klimapolitik. Wir unterstützen Sie gerne, aber es
muss noch mehr folgen als nur Ihre guten Worte von
heute.
Herzlichen Dank.
({7})
Herzlichen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion erhält jetzt Sabine Weiss das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue
mich, heute über diesen rundum guten Haushaltsentwurf
zu sprechen, der mit den Sonderinitiativen „Eine Welt
ohne Hunger“, „Fluchtursachen bekämpfen - Flüchtlinge reintegrieren“ und „Stabilisierung und Entwicklung in Nordafrika und Nahost“ ganz entscheidende
Pflöcke einschlägt, Pflöcke, die sich aus dem Koalitionsvertrag ableiten, in dem wir diesen Fragestellungen bereits Priorität eingeräumt haben, Pflöcke, mit denen wir
auf aktuelle, ungelöste globale Aufgaben stärker und mit
mehr Nachdruck eingehen, als das bisher in der Entwicklungszusammenarbeit geschehen ist.
({0})
Der Haushaltsentwurf erfüllt auch die Schwerpunkte
mit Leben, die Bundesminister Müller vom ersten Tag
an im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gesetzt hat. Herzlichen
Glückwunsch, Herr Minister, zu einem hervorragenden
Start in Ihre Amtszeit.
({1})
Viele neue Herausforderungen zu Entwicklungsländern dominieren die Nachrichten schon wieder im ersten
Quartal dieses Jahres, zum Beispiel der Kampf um die
künftige Ausrichtung der Ukraine, gewalttätige Auseinandersetzungen in der Zentralafrikanischen Republik
und im Südsudan, der Ebola-Virus in Guinea mit der
Ausbreitung in andere Länder - die WHO hat heute eine
Epidemiewarnung ausgegeben -, Flüchtlinge in Nordafrika, die nach Europa drängen.
Das sind alles Themen, in denen Instrumente der Entwicklungspolitik einen Beitrag zur Lösung der Probleme
leisten können. Es handelt sich um Instrumente zur Unterstützung von Demokratisierung, um Instrumente der
zivilen Krisenprävention, damit es erst gar nicht zu Gewaltausbrüchen kommt. Dazu gehören ganz zentral auch
die Ernährungssicherung und die ländliche Entwicklung
in Ländern mit extrem knappen Ressourcen, in denen
der Kampf um Wasser und fruchtbares Land zur Quelle
von Gewalt wird - Gewalt, die dann wiederum Flüchtlingswellen auslöst.
Alle diese Aufgaben sind nicht kostenlos zu bewältigen. Deswegen sind wir heute alle hier und diskutieren.
Umso richtiger war es, im Koalitionsvertrag zusätzlich
und ohne Finanzierungsvorbehalt - ich betone: ohne Finanzierungsvorbehalt - Mittel für die Entwicklungspolitik bereitzustellen, um damit klarzustellen, Frau Kofler,
dass der Koalitionsvertrag diese Summen mitnichten als
Ende der Fahnenstange definiert hat. Wenn sich also
neue Haushaltsspielräume ergeben, vielleicht durch die
Einführung einer Finanztransaktionsteuer, werden wir
- dazu rufe ich alle auf - in den folgenden Jahren darauf
drängen, weitere Verbesserungen zu prüfen.
({2})
- Danke.
Ich bin froh, dass Herr Bundesminister Müller schnell
den Gesprächsfaden mit der deutschen Zivilgesellschaft
aufgenommen hat und die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund rückt. Eine Chance für die traditionelle Partnerschaft von Regierung und Zivilgesellschaft bietet
eben auch die von Ihnen bereits erwähnte vorgeschlagene Zukunftscharta „Eine Welt - unsere Verantwortung“. Wenn Deutschland mit diesem gemeinsam zu
schreibenden Papier in die internationale Diskussion des
Jahres 2015 um die Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele gehen will, sollte es dies allerdings mit prägnanten
Botschaften tun, und es sollten Prioritäten gesetzt werden. All das darf dann in dem ehrlichen und guten Bemühen um Konsens nicht verloren gehen.
Stichwort „Afrika“: Auf dem EU-Afrika-Gipfel in der
letzten Woche ist etwas ganz Bemerkenswertes gelungen. Trotz aller aktuellen Krisen und Kriege in Afrika ist
die Botschaft des Gipfels, dass wir Afrika immer mehr
als Kontinent der Chancen sehen:
({3})
Chancen für mehr Kooperation mit Europa, Chancen
auch für die Wirtschaft Europas, Chancen auch für die
Rohstoffversorgung Europas. Die aktuellen Entwicklungen gerade um die Ukraine zeigen uns, wie wichtig es
ist, die notwendigen Rohstoffe aus vielen verschiedenen
Regionen zu beziehen. Eine stärkere Kooperation mit
Afrika kann hier zu beiderseitigem Nutzen sein.
({4})
Aber als Entwicklungspolitikerin betone ich, dass insbesondere die Menschen in Afrika einen Nutzen daraus
ziehen müssen.
({5})
Das heißt für mich, die Erlöse aus Rohstoffverkäufen
müssen für die wirtschaftliche und menschliche Entwicklung im Land eingesetzt werden und dürfen eben
nicht in schwarze Kassen der Eliten fließen.
({6})
Es bleiben aber auch in Afrika wie auf der ganzen
Welt viele Millenniumsziele nicht erreicht. Die bis 2050
hinzukommenden 1 Milliarde Menschen in Afrika sind
eine große Herausforderung für die Infrastruktur, für die
Institutionen und den Schutz natürlicher Lebensgrundlagen. Sie sind aber auch - das müssen wir uns immer wieder verdeutlichen - eine Quelle der Hoffnung und ein
großes Entwicklungspotenzial. Es ist daher richtig, in
Sabine Weiss ({7})
Afrika einen Schwerpunkt der künftigen Entwicklungszusammenarbeit zu sehen und dabei auf ländliche Entwicklungen, Ernährungssicherung, breitenwirksames
Wirtschaftswachstum und auf Bildung und Gesundheit
gerade für die jungen Menschen zu setzen.
Für das nun anstehende parlamentarische Verfahren
möchte ich abschließend aus meiner Sicht noch einige
Baustellen nennen, denen wir uns widmen sollten - liebe
Sibylle Pfeiffer, das fällt bei dir sicher auf fruchtbaren
Boden -:
Wir sollten prüfen, ob wir nicht bei den auf die Kinder- und Müttergesundheit spezialisierten Organisationen noch etwas drauflegen können. Dafür haben wir uns
in der letzten Legislaturperiode immer wieder gemeinsam eingesetzt.
Zu den Forschungsansätzen des BMZ einige Anmerkungen. Infolge des Auslaufens des Sonderprogramms
Bildung und Forschung droht ein Absturz des Forschungstitels von 13,59 Millionen Euro in diesem Jahr
auf 4,5 Millionen Euro in 2015. Für das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik, DIE, hätte dies den Verlust
von circa zwei Drittel seiner Stellen für Wissenschaftler
zur Folge - mit entsprechend negativen Auswirkungen
auf seinen Ruf als international angesehenes Forschungsinstitut der Entwicklungspolitik. Zudem würde
die Entwicklungsforschung dann auf das vorherige,
quantitativ unzureichende Niveau zurückgeworfen. Ich
denke, dies sollten wir verhindern.
Noch ein Wort zum Klima. Deutschland ist eines der
Spitzenländer bei der Klimafinanzierung. Dennoch müssen wir einplanen, unseren Beitrag in den kommenden
Jahren noch einmal deutlich anwachsen zu lassen, wenn
wir einen angemessenen Anteil an den 100 Milliarden
US-Dollar leisten wollen, die die internationale Gemeinschaft den Entwicklungsländern in Kopenhagen versprochen hat.
({8})
Dabei dürfen wir nicht übersehen, dass unsere Finanzleistungen - auch wenn wir da in Vorleistung gehen
müssen - das Gegenstück zu den Verpflichtungen der
Entwicklungsländer sind, ihren CO2-Ausstoß zu mindern oder wenigstens nicht zu erhöhen.
Meine Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und
Herren, wie schon eingangs gesagt: Dies ist ein sehr guter und solider Haushaltsentwurf. Lassen Sie uns jetzt
zusammenarbeiten, um ihm den letzten Schliff zu geben!
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({9})
Vielen Dank. - Für die Fraktion Die Linke erteile ich
jetzt das Wort Heike Hänsel.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Solide“ scheint das neue Wort für „nicht ausreichend“ zu sein. Wir haben ganz neue Sprachschöpfungen. Hier wurden viele Krokodilstränen über den
diesjährigen Entwicklungshaushalt vergossen, auch von
Ihnen, Frau Kofler. Aber da muss ich Ihnen allen sagen:
Das sind die Folgen der Politik, der Sie alle zugestimmt
haben, nämlich unter anderem der Einführung der Schuldenbremse
({0})
bei gleichzeitiger Nichterhöhung von Steuern. Das sind
die Folgen. Davor haben wir immer gewarnt. Wir haben
jetzt nicht genügend Geld für dringende globale Herausforderungen und internationale Verpflichtungen - wegen
all der Maßnahmen, denen Sie hier zugestimmt haben.
Das zeigt sich leider auch im Entwicklungshaushalt. Das
ist eine Folge.
({1})
Dadurch sind natürlich auch viele der guten Ankündigungen von Ihnen, Herr Müller, nicht sehr glaubwürdig.
({2})
Wenn man sich anschaut, wie sich der Haushalt gegenüber dem Vorjahr entwickelt, stellt man fest: Es gibt
einen Aufwuchs um 147 Millionen Euro. Das ist schon
einmal nicht so viel, wie im Koalitionsvertrag festgelegt
worden ist. Dadurch erschließt sich sicher auch, warum
der Kollege Sascha Raabe sich rechtzeitig abgesetzt hat.
Ihm schwante wohl schon, was hinten dabei herauskommt.
Wenn man dann auch noch die Klimagelder, die jetzt
plötzlich im Entwicklungshaushalt verbucht werden und
zum großen Teil eigentlich schon durch Verpflichtungsermächtigungen gebunden sind, abzieht, dann landen wir
bei 8 Millionen Euro realem Aufwuchs, und das ist natürlich, gelinde gesagt, eine Schande, eine Schande im
Hinblick auf den Entwicklungsanspruch.
({3})
In Deutschland - das wurde auch schon erwähnt - stagniert dadurch die ODA-Quote, der Anteil der Entwicklungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt, bei 0,37 Prozent.
Die Große Koalition kann daran eigentlich sehen,
dass sie mit ihrer Verweigerungspolitik gegenüber Steuererhöhungen - damit schonen Sie nur die Vermögenden
in diesem Land - keinen Haushalt aufstellen kann, der
den Anforderungen von sozialer Gerechtigkeit, Armutsbekämpfung, Entwicklung, Klimaschutz und Friedenspolitik gerecht werden kann. Ohne weltweite Umverteilung und auch ohne eine Umverteilung in diesem Land
können Sie keine gerechte Politik machen.
({4})
Wir haben viele Vorschläge gemacht. Die Finanztransaktionsteuer wurde bereits genannt. Viele kämpfen
seit Jahren dafür, dass die Erlöse daraus für die Bekämp2416
fung von Armut eingesetzt werden. Aber da sieht es
ganz dunkel aus. Es gibt immer nur Ankündigungen,
aber keine Umsetzungen. Unsere weiteren Vorschläge
sind: Millionärsteuer, Vermögensteuer, aber auch die
konsequente Streichung von Rüstungs- und Militärausgaben. All das wären Möglichkeiten, um deutlich zu machen: Wir wollen Entwicklung finanzieren, und wir können es auch.
({5})
Schauen wir uns einmal die Prioritäten in der Politik
an. Man kann sich zum Beispiel ausrechnen, dass dieses
Jahr allein für die drei neuen Militäreinsätze, die wir in
letzter Zeit beschlossen haben, 31 Millionen Euro ausgegeben werden. Das ist fast viermal so viel wie der Aufwuchs von 8 Millionen Euro im Entwicklungsetat.
Im Fall der Ukraine haben Sie ebenfalls schnelle Ankündigungen gemacht, Herr Müller. Hier verdoppeln Sie
den Betrag ganz locker von 20 Millionen auf 40 Millionen Euro. Da frage ich mich schon, woher das Geld
kommen soll. Hinzu kommt aber noch, dass die Ukraine
derzeit von einer nicht demokratisch legitimierten Regierung vertreten wird, an der faschistische Parteien beteiligt sind. Der Agrarminister gehört beispielsweise der
Swoboda-Partei an. Da frage ich mich, wie man bei der
Zusammensetzung der derzeitigen Regierung in der
Ukraine ein derart falsches Signal setzen und damit
rechte Parteien hoffähig machen kann. Wir lehnen diese
Politik ab.
({6})
Über Syrien und die Vernichtung der C-Waffen haben
wir heute debattiert. Ich halte das Entsenden der Fregatte
ins Mittelmeer für überflüssig.
({7})
12 Millionen Euro sollen dafür ausgegeben werden.
({8})
Gleichzeitig fehlt beispielsweise viel Geld für das World
Food Programme. Sie brauchen für die syrischen Flüchtlinge in diesem Jahr 2 Milliarden Dollar. Sie haben uns
im Ausschuss aber mitgeteilt, dass bisher erst 10 Prozent
finanziert sind. Ich habe im EZ-Haushalt keine Aufstockung der Mittel für das World Food Programme gesehen. Wir fordern daher eine deutliche Erhöhung der Mittel für die syrischen Flüchtlinge, und wir fordern zudem
einen Sondertitel im EZ-Haushalt, um im Rahmen der
Übergangshilfe mehr für syrische Flüchtlinge machen zu
können.
({9})
Ich komme zum Beitrag für den Europäischen Entwicklungsfonds. Hier kritisieren wir seit Jahren, dass
nach wie vor Steuergelder für Militärmissionen der Europäischen Union im Rahmen der sogenannten AfrikaFriedensfazilität verwendet werden. Diese Finanzierung
ist übrigens rechtlich eigentlich nicht zu vertreten; denn
das Europaparlament kann darüber gar nicht entscheiden. Deshalb unsere konkrete Forderung an Sie, Herr
Müller: Setzen Sie sich dafür ein, dass der Europäische
Entwicklungsfonds für rein zivile Zwecke verwendet
wird! Wir wollen eine Zivilklausel für die Ausgaben auf
europäischer Ebene.
({10})
Wir fordern außerdem seit längerem die Einführung
sowohl eines afrikanischen zivilen Friedensdienstes wie
auch eines europäischen zivilen Friedensdienstes. Das
wären gute Antworten auf die Herausforderungen, vor
denen wir stehen. Sie selbst, Herr Müller, sagen, dass
wir die Probleme in diesen Ländern militärisch nicht lösen können. Wir brauchen hingegen mehr Instrumente.
Die Arbeit des zivilen Friedensdienstes stagniert leider
im Moment. Für ihn wird weniger Geld zur Verfügung
gestellt als für die neuen Militäreinsätze, die beschlossen
wurden.
Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass Sie
neue Regeln für den Markt erwähnt haben, Herr Müller.
Aber auch da appelliere ich an Sie: Schauen Sie sich einmal die EU-Handelspolitik an! Wir sehen nicht nur beim
EU-USA-Abkommen, sondern auch bei den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Afrika Probleme. Mit dieser
Handelspolitik wird dereguliert, aber es werden keine
neuen Regeln für den Markt eingeführt. Das ist für viele
Länder des Südens ein Riesenproblem.
Deadline ist der 1. Oktober. Ab diesem Zeitpunkt
müssen etliche afrikanische Länder viel mehr Zölle auf
ihre Ausfuhren in die EU zahlen. Wir halten das für sittenwidrig, weil dadurch in diesen Ländern viel zerstört
wird. Herr Müller, deshalb fordern wir Sie auf: Setzen
Sie sich für einen Stopp dieser Wirtschaftspartnerschaftsabkommen ein! Dann können Sie die Politik, die
Sie hier ankündigen, auch umsetzen.
Herzlichen Dank.
({11})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist die Kollegin
Sonja Steffen, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr
Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte
Damen und Herren! Ich freue mich, dass ich in dieser
Legislaturperiode Mitglied im Haushaltsausschuss bin.
Ich freue mich noch mehr, dass ich meinen Wunsch-Einzelplan erhalten habe, nämlich den Einzelplan für Entwicklungszusammenarbeit. Ich merke allerdings bei der
Einarbeitung in das Thema, dass ich Schwierigkeiten
habe, weil ich bei manchen Fragen zwischen zwei Welten stehe. Auf der einen Seite schlägt in mir natürlich das
Herz einer Unterstützerin der weltweiten Armutsbekämpfung, auf der anderen Seite weiß ich aber auch,
dass ich als Haushälterin auf den vereinbarten Konsolidierungskurs der Großen Koalition pochen muss.
({0})
Es gilt also, einen Weg zu finden zwischen vernünftiger
Haushaltspolitik auf der einen Seite und den finanziellen
Verpflichtungen und Verantwortungen, die wir im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit haben, auf der
anderen Seite.
({1})
Die uns zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel
- da gebe ich meinen Vorrednern recht - führen, gerade
vor dem Hintergrund des ehrgeizigen Ziels der Schuldenreduzierung, zu einem sehr begrenzten Spielraum.
Mit einem Etat von 6,44 Milliarden Euro haben wir im
Vergleich zum gesamten Bundeshaushalt einen recht
deutlichen Aufwuchs zu verzeichnen. Frau Hajduk, ich
habe übrigens ausgerechnet, dass es 2,3 Prozent sind. Dabei habe ich die Zahlen des Jahres 2013 zugrunde gelegt.
Sie haben vorhin 3,7 Prozent genannt. Dabei ist natürlich
klar, dass sich viele an dieser Stelle mehr gewünscht hätten; selbstverständlich auch wir Sozialdemokraten.
Insgesamt stellen wir in dieser Legislaturperiode
2 Milliarden Euro an ODA-Mitteln mehr zur Verfügung,
als die mittelfristige Finanzplanung der schwarz-gelben
Koalition ursprünglich vorsah. Es gibt in dieser Woche
aktuelle Zahlen. 2013 beträgt die ODA-Quote 0,38 Prozent. Wie es im Moment aussieht, werden wir die ODAQuote in dieser Legislaturperiode zumindest halten.
({2})
Unser ursprüngliches ODA-Ziel von 0,7 Prozent des
Bruttonationaleinkommens in 2015 werden wir aller Voraussicht nach nicht erreichen. Ich verweise an dieser
Stelle darauf, dass in Großbritannien die ODA-Quote
sehr gut erreicht ist. Dort beträgt sie 2013 0,72 Prozent.
Das liegt unter anderem daran, dass Großbritannien diesen Etat vor die Klammer zieht. Unabhängig von der jeweiligen Regierungskonstellation diskutiert man dort
nicht über den Aufwuchs in diesem Etat, sodass man die
ODA-Quote jetzt gut erreicht hat.
({3})
Wir sollten uns allmählich ernsthafte Gedanken darüber machen, wie es mit diesen Zielen auch bei uns
weitergehen soll. Außerdem dürfen wir die bereitgestellten 2 Milliarden Euro nicht als Deckel betrachten, erst
recht nicht als geschlossenen Deckel, sondern sie können nur ein Minimum an zur Verfügung gestellten Mitteln im Bereich der internationalen Zusammenarbeit
sein. Das haben Sie, Herr Minister Müller, gerade schon
gesagt.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin froh,
dass wir zumindest erreicht haben, dass der Abwärtstrend, der während der schwarz-gelben Koalition leider
entstanden ist, die sogenannte Niebel-Delle - darüber ist
heute schon geredet worden -, endlich beendet werden
konnte und dass es mit der Entwicklungspolitik endlich
wieder aufwärts geht.
2014 wird in diesem Einzelplan nicht gekürzt, auch
nicht, zumindest wenn es nach mir geht, in der Bereinigungssitzung. Der Etat des Entwicklungsministeriums
wird im Vergleich zum Haushalt 2013 um 147 Millionen
Euro aufwachsen und im Vergleich zum ersten Regierungsentwurf von CDU/CSU und FDP sogar um
160 Millionen Euro steigen. Es liegt an uns, diesen
Spielraum an Aufwuchs, den wir haben, qualitativ und
inhaltlich möglichst sinnvoll umzusetzen.
Sehr geehrte Damen und Herren, Anfang des Jahres
war ich in Vietnam und habe mir die Arbeit der
Friedrich-Ebert-Stiftung angeschaut. Wir haben Parlamentarier besucht, wir haben mit ihnen über das Sozialversicherungswesen diskutiert. Ich konnte mir nicht nur
ein Bild von den dortigen Verhältnissen machen, sondern auch von der wirklich großartigen Arbeit, die von
den Stiftungen vor Ort geleistet wird. Dabei ist mir die
Bedeutung des politischen Dialogs und der Beratung mit
und in den Partnerländern sehr eindrucksvoll bewusst
geworden. Diese Arbeit ist vielleicht auf den ersten
Blick viel weniger greifbar, als wenn Schulen oder Brunnen gebaut werden, aber langfristig kann sie sehr
nachhaltig sein. Wir wollen uns deshalb im parlamentarischen Verfahren die entsprechenden Zahlen im Einzelplan noch einmal ganz genau anschauen.
({4})
Ich denke, dass wir die Stiftungen und auch andere zivilgesellschaftliche Einrichtungen - Frau Kofler hat vorhin
schon den Zivilen Friedensdienst genannt - noch stärker
unterstützen müssen, als dies im gegenwärtigen Haushaltsentwurf vorgesehen ist.
({5})
Insbesondere die Arbeit dieser Einrichtungen wird in
den nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen,
wenn es um die Begleitung demokratischer Prozesse in
den Transformationsstaaten geht, also in den Staaten, die
sich gerade im politischen Umbruch befinden. Durch
sinnvolle Unterstützung vor Ort können wir unseren Teil
dazu beitragen, dass diese Staaten demokratische und
rechtsstaatliche Strukturen erhalten, dass Konflikte eingedämmt werden und dass Menschenrechte verwirklicht
werden können.
Hier schließt sich auch die Flüchtlingsproblematik an,
die Sie, Herr Minister, in einer Ihrer drei Sonderinitiativen aufgreifen möchten. Die Bilder der syrischen Bevölkerung und insbesondere der syrischen Flüchtlinge sind
uns allen präsent. Nicht nur Sie, Herr Minister, blicken
voller Sorge auf die Flüchtlingscamps im Libanon und in
Jordanien. Ich freue mich deshalb über den neuen
Schwerpunkt „Fluchtursachen bekämpfen, Flüchtlinge
reintegrieren“, für den im Haushalt 70 Millionen Euro
veranschlagt worden sind. Insgesamt ist die Flüchtlingsproblematik tatsächlich sehr vielschichtig. Den besten
Beitrag können wir leisten, indem wir helfen, dass die
Menschen nicht mehr gezwungen sind, ihre Gebiete, ihre
Heimat zu verlassen. Denn eines steht fest: Niemand
flüchtet ohne Not aus seiner Heimat.
({6})
Aber es geht dabei auch um die aktuelle Situation in den
Flüchtlingscamps und um die Zukunft im Aufnahmeland, übrigens auch in Deutschland.
Eine weitere Sonderinitiative soll der weltweiten Bekämpfung von Hunger und Unterernährung dienen.
Auch bei dieser Aufgabe, Herr Minister, sind wir Sozialdemokraten ganz an Ihrer Seite. Bei einer Reise in ein
Entwicklungs- oder Schwellenland wird man sich einmal mehr bewusst, welch hohen Lebensstandard wir in
Deutschland haben und auf welch hohem wirtschaftlichen Niveau wir hier leben. Es versteht sich daher von
selbst, dass es unsere gesamtgesellschaftliche Verantwortung ist, dort Unterstützung und Hilfe zu leisten.
Dieses Prinzip gilt für uns Sozialdemokraten innerhalb
Deutschlands genauso wie weltweit.
({7})
Wir können und wollen es nicht hinnehmen, dass nach
wie vor mehr als 800 Millionen Menschen weltweit an
Hunger leiden.
Zum Schluss eine kameralistische Anmerkung. Es
gibt eine Besonderheit im Haushaltsplan: Die Sonderinitiativen sind nicht in einzelnen Titeln ausgewiesen, sondern es werden global Gelder veranschlagt, ohne diese
auf einzelne Titel zu verteilen oder sie bestimmten Institutionen und Instrumenten zuzuordnen. Es ist daher im
Moment noch nicht klar, durch wen, wie und wo genau
diese Gelder verwendet werden, zumal die Mittel dieser
drei Initiativen auch noch untereinander deckungsfähig
sein sollen. Dies ermöglicht auf der einen Seite Flexibilität - die wünscht man sich -; auf der anderen Seite besteht aber auch die Gefahr, dass die Mittelverwendung
undurchsichtig wird. Ich denke, das kann nicht im Interesse unseres Parlaments liegen. Ich kann Ihnen deshalb
versichern, lieber Herr Minister, dass die SPD-Bundestagsfraktion Sie bei der Umsetzung der Sonderinitiativen
tatkräftig unterstützen wird. Allerdings werden wir auch
genau darauf achten, dass die Mittel sinnvoll und breitenwirksam eingesetzt werden. Denn es gilt, was Sie
schon oft betont haben: Jeder Euro soll tatsächlich in der
Entwicklungshilfe ankommen.
Vor diesem Hintergrund freue ich mich auf spannende
und konstruktive Haushaltsberatungen.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank. - Für Bündnis 90/Die Grünen erhält
jetzt Uwe Kekeritz das Wort.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister Müller, sicherlich erinnern Sie sich noch
an die Reaktionen auf Ihre erste Rede hier im Parlament.
Sie waren sehr positiv, und sie waren zu Recht positiv.
Wir sind uns aber schon damals einig darüber gewesen,
dass nicht Worte zählen, sondern Taten.
Ihre Worte sind oftmals verblüffend klar, so auch Ihre
Aussage zur Fußballweltmeisterschaft in Katar. Respekt!
({0})
Sie sagten: Die Entscheidung für Katar war falsch, und
die FIFA solle sie zurücknehmen. - Das findet unsere
Unterstützung. Das waren richtige und gute Worte. Es
fragt sich nur: War das nur für die Presse, oder folgt da
noch etwas? Wir sind davon überzeugt, dass der Prozess
politisch begleitet werden sollte, und wir unterstützen
Sie dabei.
({1})
Hervorragend klingt auch Ihre entschlossen wirkende
Aussage zu einem Nachhaltigkeitssiegel im Textilbereich, mit dem die soziale Strukturen in vielen Ländern
verbessert werden könnten. Ich habe zu diesem Thema
eine Kleine Anfrage gestellt, auf die ich eine Antwort
aus Ihrem Haus bekommen habe. Sie haben weder in
Bezug auf die Ausgestaltung noch in Bezug auf die Umsetzung des Siegels eine Vorstellung. Das Ministerium
weiß auch nicht, ob es eine Weiterentwicklung eines bestehenden Siegels oder ob es ein neues Siegel werden
soll. Soll es ein Dachsiegel, ein staatliches oder ein privates Siegel werden? Sie wissen ebenfalls nicht, wie die
Zivilgesellschaft eingebunden wird. All diese Fragen
kann das Ministerium nicht beantworten. Das ist schade,
wenn man eine solche PR-Kampagne macht.
Ich will Sie nicht entmutigen. Bitte machen Sie weiter! Sie haben unsere Unterstützung. Aber ich muss leider feststellen - das ist vorhin nicht ganz objektiv formuliert worden -: Sie haben die Tendenz, die
Zivilgesellschaft zu vergessen. Das sollten Sie gerade in
diesem Fall auf keinen Fall tun; denn sie ist von zentraler Bedeutung für die Einführung eines vernünftigen Siegels.
({2})
Leider wird auch beim Haushalt deutlich, dass Ihre
Ankündigungen - sagen wir mal - eine kurze Halbwertszeit besitzen. Sie haben zwar mit dem Kappen Ihres Vorgängers aufgeräumt, aber die Rechentricks, die er verwendet hat, verwenden Sie auch.
Sie sprechen zum Beispiel davon, dass der Etat um
160 Millionen Euro steigt. Darüber haben wir genug gesprochen, das muss ich nicht weiter ausführen. Sie täuschen damit uns und die Öffentlichkeit. Dass so etwas
nicht funktioniert, Herr Minister, müssten Sie wissen,
vor allen Dingen müsste das Ihr Staatssekretär Herr Kitschelt wissen, der vier Jahre lang Erfahrung in diesem
Bereich gesammelt hat. Ich sage Ihnen: Weder die Opposition noch die Zivilgesellschaft lassen sich hinters Licht
führen.
({3})
Um ehrlich zu sein: Effektiv kommen 8 Millionen
Euro mehr heraus. Meine werten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, kommen Ihnen da nicht die Tränen?
Sie haben im Wahlkampf das 125-Fache davon geforUwe Kekeritz
dert. Der angekündigte großartige Paradigmenwechsel
kann so nicht funktionieren.
({4})
Zum Thema Landwirtschaft. Herr Minister, wir begrüßen natürlich außerordentlich, dass Sie das Thema
ländliche Entwicklung endlich oben auf die Agenda gesetzt haben. Aber bitte erklären Sie uns doch einmal, wie
Sie die Mittel für den Kampf gegen den Hunger ohne
Etataufwuchs auf 1 Milliarde Euro erhöhen wollen? Wo
kommen die 300 Millionen her? Wenn Sie die irgendwo
aus Ihrem Etat herausnehmen, dann heißt das, Sie kürzen
bei der Gesundheit, der Bildung oder beim Klimaschutz,
und all das ist nicht akzeptabel.
Ihr Schulterschluss mit der Agrarlobby - auch darüber haben wir schon gesprochen - ist für mich auch ein
großes Problem. Sie postulieren, dass Sie die Wertschöpfungsketten in den afrikanischen Entwicklungsländern
aufbauen wollen, gleichzeitig arbeiten Sie mit der German Food Partnership zusammen. Sie setzen also doch
lieber auf Syngenta, Bayer oder BASF statt auf die Menschen vor Ort
({5})
- doch, Frau Pfeiffer -, die mit unserer westlichen Technologie oftmals große Schwierigkeiten haben. Wir brauchen keine neuen Exportförderungsinitiativen und auch
keine Subventionierung dieser Firmen, sondern wir
brauchen Ernährungssouveränität vor Ort.
({6})
In Kapitel 6 des Afrika-Konzeptes des BMZ, das die
Überschrift hat „Afrika kann sich selbst ernähren“, propagieren Sie afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme. In dieser Aussage stecken zwei entscheidende
Fehler: Zum einen sind die afrikanischen Lösungen
keine afrikanischen Lösungen, sondern rein westliche
Lösungen für Afrika. Diese Lösungen sind rein wachstumsorientiert. Sie basieren auf massiver Expansion der
Bewässerungstechnologie mit einseitigem Fokus auf
Großprojekten einschließlich gentechnisch verändertem
Saatgut. Das heißt also auch, dass Dünger und Pestizide
gekauft werden müssen - von Monsanto oder Syngenta.
Damit befördert das BMZ ökonomische Abhängigkeiten
und schadet den kleinbäuerlichen Strukturen. Das steht
in einem krassen Widerspruch zu Ihren vorgegebenen
Zielen.
({7})
Die Aussage „afrikanische Lösungen für afrikanische
Probleme“ lenkt - das ist der zweite Fehler - davon ab,
dass afrikanische Probleme nicht nur afrikanische Ursachen haben. Die Subventionierung der westlichen Landwirtschaft mit täglich über 1 Milliarde Dollar, die erzwungene Marktöffnung, unsere verfehlte Klimapolitik,
der Waffen-, insbesondere der Kleinwaffenhandel, das
chaotische globale Finanzsystem usw. usf. sind auch Basis für den Hunger in Afrika. Diese Fakten werden im
Afrika-Konzept schlicht ignoriert. Wir müssen endlich
damit anfangen, die Verhältnisse auch hier zu ändern,
damit sich die Verhältnisse dort verbessern.
({8})
Zum 0,7-Prozent-Ziel ist schon etwas gesagt worden.
Ich glaube, Sie verabschieden sich hochoffiziell davon.
Sie sollten das endlich zugeben.
Da ich erst 35 Sekunden überzogen habe, noch eine
ganz simple Frage zum Schluss
({9})
- Herr Minister, vielleicht können Sie die ja beantworten -:
Wieso werden 850 000 Euro aus dem Entwicklungsetat
für die griechischen Initiativen Ihres Staatssekretärs
Fuchtel bereitgestellt? Ich habe ja nichts dagegen, dass
er das Geld bekommt. Aber aus Ihrem Etat?
({10})
- Das kommt zusätzlich. Aha.
({11})
Ich bedanke mich für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit.
({12})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Jürgen Klimke,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir setzen in den Haushaltsberatungen die richtigen Schwerpunkte, und zwar nicht
nur für Griechenland, wie wir gerade gehört haben. Vielmehr hat es auch Bundesminister Gerd Müller bewiesen:
Mit dem zusätzlichen ODA-Paket von über 2 Milliarden
Euro bis 2017 gehen wir große Herausforderungen an.
Zu nennen sind: der Einsatz für eine Welt ohne Hunger,
die verstärkte Bekämpfung von Fluchtursachen und die
Stabilisierung von Nordafrika und Nahost. Das sind die
Themen von drei Sonderinitiativen, mit denen der
Minister neue Akzente setzt.
Wenn wir auf den Einzelplan 23 schauen, dann fragen
wir natürlich auch - diese Frage ist hier mehrfach gestellt worden -: Werden unsere Erwartungen erfüllt? Der
kleine Prinz sagt in dem Buch von Antoine de SaintExupéry:
Um klar zu sehen, reicht oft ein Wechsel der Blickrichtung.
Also: Gucken wir vielleicht einmal nicht auf die Zahlen,
sondern woanders hin.
Dieser Haushaltsentwurf macht deutlich, dass wir
endgültig mit dem Begriff „Entwicklungshilfe“ abschließen, Kollege Leutert.
({0})
Ziel unserer Maßnahmen ist es, Ursachen für Hunger,
für Flucht und Vertreibung an der Wurzel zu packen und
ein Fundament für eine nachhaltige und langfristige
wirtschaftliche Zusammenarbeit in unseren Partnerländern zu legen. Es geht nicht so sehr um einseitige Hilfe.
({1})
Wir setzen auf Kooperation auf Augenhöhe, und wir setzen auf Kooperation zum Beispiel mit der Wirtschaft.
Das tun Sie nicht.
Deutschland kann mit einer modernen Entwicklungszusammenarbeit, die den Partnern Know-how und eine
Wirtschaftsstruktur anbietet, dazu beitragen, dass immer
weniger Länder auf dieser Welt am Tropf bilateraler und
multilateraler Geber hängen. Damit sage ich nicht, alles
sei in bester Ordnung, aber ich will damit doch deutlich
machen, dass wir auf einem richtigen Weg sind.
Dies verdanken wir auch den Reformen und den gemeinsamen Anstrengungen der letzten Jahre. Ich beschreibe die Werkzeuge unserer Entwicklungszusammenarbeit gerne mit den Stichworten Konditionierung,
Evaluierung und Effektivierung.
Konditionierung heißt: Verbesserungen, aber auch
Verschlechterungen in unseren Partnerländern haben
Konsequenzen für die Zusammenarbeit. Als Grundlage
dient dabei das Menschenrechtskonzept des BMZ. Dabei
gehen wir international mit einem guten Beispiel voran.
Evaluierung bedeutet, dass man die Wirkung des entwicklungspolitischen Einsatzes überprüft. Das erfordert
eine ganz andere Herangehensweise als bisher. Zukünftig evaluieren wir eben nicht nur die Umsetzung der
Maßnahmen, sondern wir prüfen intensiv, ob der erhoffte entwicklungspolitische Nutzen eben auch eintritt.
Effektivierung ist das dritte Stichwort. Mit einem begrenzten Mitteleinsatz muss das Geld effizient eingesetzt
werden, um größtmögliche Wirkungen hervorzubringen.
Dabei konzentrieren wir uns in dieser Legislaturperiode
thematisch und regional, und wir stimmen uns intensiver
- auch das ist unser Vorhaben - mit den anderen Gebern
ab. Dies hat einen ganz wichtigen Stellenwert in diesem
Zusammenhang.
Nachhaltige Entwicklungspolitik muss nicht immer
Geld kosten. Es geht auch darum, richtige neue Schwerpunkte zu setzen. Hier, lieber Herr Minister, haben Sie
einen ganz wichtigen Schritt getan. Ihre Initiierung eines
Textilsiegels, das noch in diesem Jahr eingeführt werden
soll und das soziale und ökologische Mindeststandards
beinhalten soll, begrüßen wir außerordentlich. Sie haben
völlig recht, dass die Textilbranche sowie die großen
Händler in Deutschland ihrer Verantwortung bisher nicht
genügend nachgekommen sind. Hier brauchen wir den
Druck der Steuerzahler und der Verbraucher; gerade in
diesem Bereich sind die Verbraucher sehr sensibel. Das
wird an den anderen Siegeln, die es gibt, deutlich. Das
Fairtrade-Siegel und die Biosiegel im Lebensmittelbereich sind zum Beispiel gute Vorbilder. Im Textilbereich
fehlt bisher solch ein Leuchtturm.
Ein Textilsiegel wird zu einer Rückkopplung bei den
Unternehmen führen und wird zum Beispiel auch erreichen, dass sich die Corporate-Social-ResponsibilityStrategie von Händlern ändert. Wichtig ist, dass die
Branche es zumindest in weiten Teilen mitträgt und dass
wir es gemeinsam mit der Wirtschaft, mit den Unternehmen erarbeiten. Zudem denke ich, dass am Ende eines
solchen Prozesses auch ein europäisches Textilsiegel stehen sollte.
Unternehmen, die in den Produktionsländern diese
höheren Standards erfüllen, können dann eben mit dem
Social-made-Siegel werben und den Verbraucher informieren, dass er sozial verantwortungsvoll und ökologisch nachhaltig handelt, wenn er ein T-Shirt mit diesem
Siegel kauft. Umgekehrt werden Unternehmen, die das
Siegel nicht besitzen, in Erklärungsnot kommen. Der
Verbraucher legt dann eben dieses T-Shirt beiseite und
kauft es nicht. Insbesondere wenn Markenkleidung, die
hier in Deutschland teuer verkauft wird, nicht dieses Siegel hat und wenn bei deren Produktion nicht einmal die
Mindeststandards in Bangladesch erfüllt werden, wird
der Verbraucher sagen, dass er diese teuren Kleidungsstücke nicht kauft. Wir schließen also mit diesem Siegel
eine wichtige Lücke. Deshalb unterstützen wir diese Initiative des Ministers.
Mit diesem Beispiel möchte ich auch verdeutlichen,
dass Entwicklungspolitik mehr ist als die reinen Zahlen
in diesem Haushaltsentwurf. Auch wenn der finanzielle
Spielraum für Initiativen eng gesteckt ist, wie wir gesehen haben, haben wir doch wegweisende neue Projekte,
die nicht in den Hintergrund treten dürfen und die wir
auch in diesem Zusammenhang künftig sehr stark unterstützen werden.
Herzlichen Dank.
({2})
Vielen Dank. - Nächster Redner in der Debatte ist der
Kollege Stefan Rebmann, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Aus einigen der bisherigen Redebeiträge zum
Haushaltsentwurf war ja durchaus auch Kritik am Entwicklungsetat und Unmut über die Höhe des Entwicklungsetats herauszuhören. Ich muss gestehen: Auch ich
bin nicht gerade glücklich über den Entwurf und die
Höhe der Mittel, die uns zur Verfügung stehen. Denn
kaum ein Etat ist so sensibel wie der Entwicklungshaushalt. Hinter all den Geldbeträgen stehen nicht nur Entwicklungsprojekte und wichtige Vorhaben, nein, dahinStefan Rebmann
ter stehen, so eng verknüpft und so unmittelbar betroffen
wie bei kaum einem anderen Etat, Menschen, die oftmals unter Umständen leben müssen, die für uns hier
nicht vorstellbar sind. Für diese Menschen machen wir
auch Entwicklungspolitik.
Dafür, dass wir in der Entwicklungspolitik schon viel
erreicht haben und unser Engagement Früchte getragen
hat, gibt es zahlreiche Belege. Durch das Engagement
der Weltgemeinschaft haben wir Polio nahezu ausgerottet. Seit 2000 wurden 8,5 Millionen Poliofälle durch
Impfungen verhindert, und die Erkrankungen sind seither um weit über 95 Prozent gesunken; einzelne gehen
sogar von 99 Prozent aus.
Die WHO schätzt, dass in den nächsten 20 Jahren allein in den Entwicklungsländern 40 bis 50 Milliarden
US-Dollar an Behandlungs- und Folgekosten gespart
werden können, wenn wir denn weiterhin impfen. Deshalb will ich auch die erfolgreiche Arbeit der GAVI-Allianz, die Impfmaßnahmen in armen Ländern unterstützt,
hier hervorheben. In den letzten 12 bis 13 Jahren sind
laut GAVI in Entwicklungsländern über 300 Millionen
Kinder zusätzlich geimpft worden. Das sind zweifellos
erfreuliche Zahlen.
({0})
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass nach wie vor
200 Millionen Menschen an Krankheiten wie Malaria,
Gelbfieber, Denguefieber und anderen Krankheiten, die
bei uns überhaupt nicht bekannt sind, erkranken. Allein
an Malaria sterben jährlich 600 000 Menschen, darunter
sehr viele Kinder. Das ist in jedem Einzelfall eine Tragödie, die sehr oft leicht zu verhindern gewesen wäre, und
zwar durch Impfungen, den Zugang zu Medikamenten,
zu sauberem Wasser und zu Nahrung sowie oft einfach
auch durch Bildung und Aufklärung.
Es ist auch gesamtgesellschaftlich und ökonomisch
betrachtet eine Katastrophe. Krank zu sein oder gar
schwer zu erkranken, fällt in Entwicklungsländern ungleich schwerer ins Gewicht als in Industrieländern wie
dem unseren mit einem funktionierenden sozialen Gesundheitssystem. In den ärmsten Ländern der Welt gilt:
Wer krankheitsbedingt ausfällt, kann nicht arbeiten. Wer
nicht arbeiten kann, kann sich und seine Familie nicht
ernähren, kann seinen Kindern keine Schulbildung ermöglichen und vieles mehr. Dadurch werden Entwicklung, Lebenschancen und Perspektiven behindert oder
gar verunmöglicht - eine Kette, die wir endlich unterbrechen müssen.
({1})
Auch deshalb ist unser Engagement im gesamten Gesundheitsbereich gerade im Hinblick auf Impfungen und
Aufklärungskampagnen so elementar wichtig. Gesundheit ist Grundvoraussetzung für eine funktionierende
Volkswirtschaft und für menschliche Entwicklung. Ohne
Gesundheit laufen auch die besten Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit ins Leere. Ein angemessenes
Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit ist natürlich nur dann möglich, wenn die Voraussetzungen dafür auch adäquat und ausreichend sind. Was das angeht,
habe ich so meine Zweifel.
Im aktuell vorliegenden Haushaltsplan ist gegenüber
dem Vorjahr ein Aufwuchs von 5 Millionen Euro für die
Impforganisation GAVI vorgesehen. Ja, das ist ein Zuwachs, aber ein kleiner und ein zu kleiner, wie ich
meine. Impfungen sind teuer, aber effektiv. Ein bisschen
Impfen bringt halt nichts. Deshalb glaube ich, dass wir
mehr Mittel brauchen, als bisher eingeplant sind. Dies
lässt sich durch Umschichtungen im Gesamthaushalt realisieren.
Im Übrigen halte ich es auch für notwendig, dass sich
Deutschland aktiv um die GAVI-Wiederauffüllungskonferenz 2015 bemüht. Für den „Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria“ sieht
der Entwurf ein Aufstocken von 40 Millionen Euro für
das Haushaltsjahr 2014 vor. Das ist gut. Aber auch da
sage ich: Das ist nicht ausreichend. Vor allem aber ist
nicht klar ersichtlich, wie sich die Finanzierung in den
Jahren 2015 bis 2017 aufwachsend weiterentwickeln
soll. Um wirklich wirksam und effektiv gegen vernachlässigte Krankheiten und Seuchen wie Polio und Ebola
sowie gegen die großen Killer Aids, Malaria und Tuberkulose vorgehen zu können, brauchen wir ein deutliches
Mehr.
({2})
Der deutsche Beitrag zum Globalen Fonds muss meiner
Ansicht nach innerhalb dieser Legislaturperiode auf
400 Millionen Euro aufgestockt werden. Ich finde, dazu
sind Mittel im Gesamthaushalt durchaus vorhanden und
dafür lohnt es sich auch zu kämpfen, Kolleginnen und
Kollegen.
({3})
Nebenbei bemerkt: In unserer globalisierten, mobilen
Welt ist es auch keinesfalls so, dass hochansteckende
Krankheiten vor den Grenzen Europas haltmachen. Die
aktuellen Poliofälle unter den syrischen Flüchtlingen
und Ebola in Afrika, wo einer von zehn Erkrankten überlebt, sind nur wenige Flugstunden von uns entfernt. Dabei wird deutlich: „Fast ausgerottete“ Krankheiten sind
eben nur fast ausgerottet, sie können jederzeit wieder
ausbrechen und sich sehr schnell verbreiten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Gesundheitsbereich steht nur exemplarisch für die generelle Ausstattung des Gesamtetats Entwicklung. Auch im Bereich
„Ziviler Friedensdienst“ gibt es seit Jahren keinen Aufwuchs mehr - die Kollegin Bärbel Kofler hat darauf hingewiesen -, und das, obwohl die Evaluierung positiv
ausgefallen ist und belegt hat, wie wichtig und nützlich
dieses Instrument ist. Der Ruf nach zivilen Helfern, nach
Friedensfachkräften, nach ziviler Entwicklungszusammenarbeit ist wesentlich deutlicher und lauter zu vernehmen als alles andere. Der verteidigungs- und außenpolitische Bereich ist dann im Fokus, wenn die
Eskalationsstufe bereits auf Rot steht. Entwicklungspolitik muss wesentlich früher ansetzen und tut es auch, damit es erst gar nicht zur Eskalationsstufe Rot kommt.
({4})
Entwicklungspolitik ist nachhaltig und immer noch vor
Ort - nahezu geräuschlos -, wenn die Scheinwerfer der
medialen Öffentlichkeit schon längst abgebaut sind.
Kolleginnen und Kollegen, nachhaltige Entwicklung
fordert langfristiges und finanziell abgesichertes Engagement.
Ich komme zum Schluss. Ich finde, die Aufstockung
um 2 Milliarden Euro für die kommenden vier Jahre
spiegelt nur zum Teil die wichtige Rolle wider, die
Deutschland beigemessen wird und die wir auch selber
vor den Vereinten Nationen und im Rahmen der Verhandlungen über die ODA-Quote zugesagt haben. Wir
alle wissen aber um das Struck’sche Gesetz; insofern
sehe ich den kommenden Beratungen zuversichtlich entgegen.
Liebe Kollegin Weiss, ich kämpfe gerne mit dir darum, dass freiwerdende finanzielle Mittel, wie es im Koalitionsvertrag steht, nicht nur zu einem Drittel zur Entlastung der Kommunen bereitgestellt werden - vielleicht
erreichen wir es auch gemeinsam, dass ein weiteres Drittel zur Bekämpfung der Armut in der Welt zur Verfügung gestellt wird. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden unseren Beitrag dazu leisten.
({5})
Herzlichen Dank.
({6})
Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion erhält
jetzt das Wort der Kollege Peter Stein.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine vergleichbar
dankbare Aufgabe, hier zu diesem Teil des Haushalts zu
reden. Im Haushaltsplan für das BMZ gibt es nämlich
mit dem Aufwuchs der Mittel überwiegend gute Nachrichten. Herr Minister, so einen Haushalt, in dieser
Höhe, hätten Ihre Vorgänger gerne gehabt.
Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass man
mit viel Geld den Problemen und Sorgen der halben
Welt etwas entgegensetzen kann. Die Herausforderungen sind aber, müssen wir leider immer wieder feststellen, so groß - und es ist auch nicht immer nur eine Frage
des Geldes -, dass auch dieser Haushalt sicherlich nicht
reichen wird. Die Millenniumsziele, insbesondere zum
Welthunger und zur Gesundheit, wurden bislang verfehlt. Wir werden in diesen Bereichen daher auch zukünftig noch mehr leisten müssen. In vielen Regionen
der Welt toben Kriege und andere gewaltsame Auseinandersetzungen. Wir haben es mit autoritären Systemen zu
tun, die ihre Bürger unterdrücken; wir haben es mit Eliten zu tun, die raffgierig Geld außer Landes schaffen.
Außerdem müssen wir Hilfen geben, um präventiv Naturkatastrophen zu begegnen; denn die treffen meist die
Ärmsten dieser Welt zuallererst und am stärksten. Mangelhafte Wasserversorgung ist vielerorts ein Problem,
genauso wie ein unterentwickeltes Gesundheitswesen.
Meine Damen und Herren, wir wissen - das haben
hier alle vorgetragen -, dass wir mit dem, was unser
Haushalt hergibt, nicht alle Probleme der Welt lösen
können, schon gar nicht im Alleingang. Deswegen ist
neben einer angemessenen Bereitstellung der Mittel eine
effektive Verwendung der Gelder in Kooperation mit anderen Ländern und auch mit Partnern aus der Wirtschaft
entscheidend. Es braucht ein schlüssiges Programm, einen roten Faden, der die einzelnen Ausgaben sinnvoll
zusammenführt und dabei auch die verschiedenen Ressorts der Bundesregierung im Blick hat, die an der Thematik mitarbeiten. Ein solches Konzept hat uns Minister
Gerd Müller bereits vorgestellt; auch Minister Steinmeier
hat heute mit Hinweis auf die Staatssekretärsrunde etwas
dazu gesagt.
Die Schaffung der drei Sonderinitiativen für die Bekämpfung des globalen Hungers, die Linderung der
Flüchtlingsproblematik und die Unterstützung des Nahen Ostens und Nordafrikas versetzt uns in die Lage,
schnell und flexibel auf drängende Herausforderungen
reagieren zu können.
({0})
Ich will dazu einige Aspekte herausstellen:
Es ist richtig, dass das Entwicklungsministerium einen Schwerpunkt auf die ländliche Entwicklung legen
möchte. Ein entscheidender Punkt dabei ist auch die Infrastruktur; denn es leben immer mehr Menschen in großen Ballungsräumen und Städten; in Libyen und Ägypten
sind es bis zu 80 Prozent. Die Versorgung der Menschen
mit Bildung und einem ausreichenden Gesundheitswesen
ist in diesen Zentren sicherlich leichter und effektiver
möglich als auf dem Land. Der ländliche Raum lässt sich
nur über eine gute Infrastruktur mit einer Stadt oder einem
Zentrum verbinden, um so beispielsweise den Bauern den
Weg zu den Absatzmärkten in der Stadt zu erleichtern.
Gleiches gilt für den Zugang der Menschen in ländlichen
Regionen zu höherer Bildung, zu Arbeitsplätzen und
zum Gesundheitswesen. Das Entscheidende dabei ist,
dass dies möglich wird, ohne dass die Menschen ihre
Heimatregion in Richtung der Stadt grundsätzlich aufgeben müssen.
Als Berichterstatter für die Maghreb-Staaten begrüße
ich ganz besonders alle Maßnahmen, die getroffen werden, um den Ursachen der Flüchtlingsströme zu begegnen, denen sich diese Länder im Vorhof der Europäischen Union alltäglich ausgesetzt sehen. Betrachten wir
zum Beispiel Tunesien: Das Land befindet sich auf einem guten Weg, tatsächlich einen Erfolg nach dem Arabischen Frühling zu erleben. In dieser Übergangsphase
ist das Land verwundbar. Schon kleinere Verwerfungen
bergen die Gefahr, dieses Land erneut zu destabilisieren.
Wir alle wissen, dass die Ursachen, warum Menschen
ihr Land verlassen, sehr komplex sind. Daher begrüße
ich besonders die Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen, Flüchtlinge reintegrieren“, die sich dieser Herausforderungen vielschichtig annehmen kann.
({1})
In diesem Kontext möchte ich die Förderung junger
Menschen in diesen Ländern besonders herausstreichen.
Nur wenn sich ihnen eine berufliche Perspektive bietet,
kann eine nachhaltige Stabilisierung der Region gelingen. Gerade junge Menschen brauchen Perspektiven.
Der zum Teil gute Bildungsgrad derer, die ihre Heimat heute verlassen wollen, zeigt eines deutlich auf:
Diese Menschen, meist junge Männer, sind fest entschlossen, aus diesem einen Leben, das sie haben, ein
Leben in Wohlstand und Freiheit zu machen, und das
auch, um ihre Familien unterstützen zu können. Diese
Möglichkeit muss ihnen in der Heimat gegeben werden.
Hierauf muss Deutschland in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung einen großen Fokus legen.
({2})
Eine Schlüsselrolle nehmen dabei meiner Meinung
nach auch die Frauen ein. Zum einen kann eine stabile
Gesellschaft nur dann entstehen, wenn die Frauen die
gleiche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die
gleichen Rechte haben;
({3})
denn Stabilität ist eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Gesellschaft. Zum anderen sind die Frauen vielleicht
auch der emotionalste Grund für junge Männer, ihre Heimat gar nicht erst zu verlassen.
({4})
Meine Damen und Herren, mit dem vorgelegten
Haushaltsplan werden die zur Verfügung stehenden Gelder sinnvoll, nachhaltig und entlang eines politischen
Konzepts eingesetzt, dessen Zielstellungen man größtenteils sicherlich als neu bezeichnen kann. Wir werden damit hoffentlich viel erreichen.
Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und über die
teilweise erfolgten Zusagen der Opposition, daran mitzuarbeiten, und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Vielen Dank. - Nächster Redner in der Debatte ist
Volkmar Klein, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Am Ende dieses Tages mit vielen außenpolitischen Themen und am Ende der Debatte zum Haushaltsplan des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sind schon so viele Details genannt,
ist der Kurs der Bundesregierung schon so oft bestätigt
worden und ist an so vielen Stellen darauf hingewiesen
worden, dass der neue Minister Gerd Müller über ein hervorragendes Ansehen auch jenseits des Parlamentes verfügt, dass ich nur noch drei aus meiner Sicht wesentliche
Botschaften herausstellen möchte.
Die erste Botschaft lautet: Deutschland steht weiterhin zu seiner Verantwortung in dieser Welt.
({0})
Genau das wird mit diesem Einzelplan 23 deutlich. Natürlich gilt im Privaten und im Politischen wie überall
auf der Welt: Hätte man noch mehr Geld, könnte man
noch viele gute Projekte finanzieren. Aber ein Wunschkonzert gibt es nicht; wir müssen uns im vorgegebenen
Rahmen bewegen.
({1})
Ich will noch etwas zu den Rechenkünsten des Kollegen Kekeritz sagen. Er hat gesagt, man könne eventuell
einen Betrag aus dem EKF, dem Energie- und Klimafonds, herausrechnen. Damit könnte er sogar recht haben. Aber wenn er das macht, dann möchte ich Folgendes in Erinnerung rufen - das weiß er eigentlich selber -:
Im Haushaltsplan 2013 war in diesem Etat ein etwa
gleich hoher Betrag als Ausgabeposition enthalten, nämlich ein Transfer an den IWF aus Goldverkäufen. Das
war eine einmalige Position, die deshalb dieses Mal
nicht im Etat enthalten ist. Also bitte! Entweder wir berücksichtigen beide Positionen oder keine von beiden.
Jedenfalls kommt am Ende heraus: Der Etat des Einzelplans 23 steigt um 2,3 Prozent auf 6,4 Milliarden Euro.
({2})
Das ist aber noch nicht die eigentliche Botschaft. Die eigentliche Botschaft lautet, dass das Volumen des Gesamthaushaltsplans um 3,7 Prozent auf deutlich unter
300 Milliarden Euro sinkt. Das heißt, der komparative
Anteil des Einzelplans 23, der uns wichtig ist, am Gesamthaushalt steigt beträchtlich. Das ist eine bemerkenswerte Botschaft.
({3})
Auch in Deutschland gibt es viele Aufgaben und Herausforderungen. Jeder weiß doch, dass er in seinem
Wahlkreis gefragt wird: Wie kannst du die Aufgaben in
Deutschland und die Aufgaben der Entwicklungspolitik
miteinander in Einklang bringen? Ich finde, das können
wir sehr gut. Die Verantwortung für unsere Nächsten endet nicht an unserer Grenze. Sie ist eine ethische Verpflichtung, die aber auch praktische Relevanz hat: Wir
können nicht auf Dauer in Frieden und Wohlstand leben,
wenn jenseits unserer Grenzen im Osten und im Süden
bittere Armut herrscht. Deswegen ist es für uns nicht nur
eine ethische Verpflichtung, sondern auch eine prakti2424
sche Aufgabe, hier sehr viel mehr zu tun, und das machen wir.
({4})
Das knüpft im Übrigen an die Entwicklung seit 2009
an. Ich bin seit 2009 im Bundestag. Seitdem ist das Volumen des Gesamthaushalts um 1,6 Prozent auf den eben
von mir genannten Betrag gesunken. Der Etat des Einzelplans 23 lag damals, als ich neu in den Bundestag
kam, bei 5,8 Milliarden Euro und ist seitdem um
10,6 Prozent gestiegen, obwohl einige Positionen herausgenommen wurden, wie etwa die Nothilfe, die heute
im Etat des Außenministeriums zu finden ist.
Ich komme zur zweiten Botschaft - das ist langfristig
gerade für diesen Bereich ganz wichtig -: Wir setzen alles daran, weiterhin Kraft für die internationale Solidarität zu haben. Auch das Ziel der Haushaltskonsolidierung
kann man unter dem Gesichtspunkt sehen, sich zukünftig Spielräume zu erhalten. Wenn wir, die Bundesrepublik Deutschland, heute weniger ausgeben als 2009, aber
trotzdem zum Beispiel im Einzelplan 23 erhebliche
Mehrausgaben haben, dann haben wir das durch Umschichtung erreicht. Die gesamte Einnahmesteigerung ist
in den Defizitabbau geflossen. In diesem Jahr - ich
denke, das kann man an dieser Stelle noch einmal herausstellen - werden wir erstmals seit 40 Jahren einen
strukturellen Überschuss erzielen. Das sichert uns künftige Spielräume auch für unsere internationale Verantwortung.
Als dritte Botschaft ist mir nicht nur als Haushälter
wichtig, zu unterstreichen, dass wir mehr bieten als
Geld. Wir bringen Expertise und echte Partnerschaft mit
ein. Wenn man, wie eben die Kollegin Steffen gesagt
hat, in anderen Ländern unterwegs ist, schlägt einem
schon Wertschätzung für unsere Arbeit in diesem Bereich entgegen. Deutschland und auch unsere staatliche
Kooperation werden in höchstem Maße geschätzt. Das
wird nicht nur mit Worten untermauert, sondern auch
durch Zahlungen dokumentiert, beispielsweise wenn
sich andere Staaten an der Arbeit der GIZ beteiligen,
Stichwort „trilaterale Einbindung der KfW“.
Das ist alles sehr gut. Wichtig ist dabei, dass in finanzieller Hinsicht alles langfristig und verlässlich unterlegt
ist. Auch das zeichnet uns aus, beispielsweise im Gegensatz zu den Amerikanern, die erst die MCC, die Millennium Challenge Corporation, gründen mussten, um
längerfristige Zusagen zu machen. Wir haben das Instrument der Verpflichtungsermächtigungen. Damit arbeiten wir bis an die Grenze der Vertretbarkeit und sagen
nicht nur 20 Milliarden Dollar zu. 30 Milliarden Dollar
beträgt die Summe der mit diesem Haushalt insgesamt
ausstehenden Verpflichtungsermächtigungen unseres
Landes. Das relativiert manch eine Kritik. Jedenfalls erscheint die Kritik damit auf relativ hohem Niveau.
Wir müssen die Struktur des Haushalts noch im Einzelnen betrachten, die, glaube ich, durch die andere Kapitelstruktur übersichtlicher geworden ist. Wir müssen
uns sicherlich, wie schon verschiedentlich betont worden ist, noch einmal mit den einzelnen Positionen befassen. Richtig ist, politische Schwerpunkte zu formulieren,
statt nur über Kanäle zu reden. Es sorgt für das eine oder
andere Grummeln auch im Bereich der nichtstaatlichen
Zusammenarbeit, wenn zum Beispiel seitens der Kirchen oder Stiftungen oder Kooperationen mit der Wirtschaft darauf hingewiesen wird, dass sie mehr Mittel erwartet haben; aber das ist nur auf den ersten Blick
richtig. Beim näheren Hinsehen wird deutlich: Das Geld,
das im Haushaltsplan für die politischen Schwerpunkte
vorgesehen ist, muss über einen der bewährten Kanäle
abfließen. Das ist auch gut so.
Wir werden sicherlich noch über viele Details sprechen und den Haushaltsplan an vielen Stellen noch mit
einem abschließenden Schliff versehen. Ich freue mich
auf die Beratungen im Haushaltsausschuss mit den Kollegen aus dem Fachausschuss und dem Ministerium. Ich
bin ganz sicher, dass wir am Ende die Botschaft
„Deutschland steht zu seiner internationalen Verantwortung“ noch besser deutlich machen können.
Ganz herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. - Wir
sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Abend und
berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages
ein auf morgen, Donnerstag, den 10. April 2014,
9.00 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.