Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/9/2014

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich zur Fortsetzung der Haushalts- debatte. Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2014 ({0}) Drucksache 18/700 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2013 bis 2017 Drucksache 17/14301 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Für die heutige Aussprache haben wir gestern insgesamt eine Debattenzeit von achteinhalb Stunden beschlossen. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes, Einzelplan 04. Ich darf hiermit das Wort der Kollegin Kipping für die Fraktion Die Linke erteilen. ({1})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wann immer es um den Haushalt ging, hat diese Regierung stolz unterstrichen, dass sie ab 2015 einen ausgeglichenen Haushalt, also unter dem Strich eine schwarze Null, anstrebt. Aber schauen wir uns die Faktenlage doch einmal genau an: Allein der Finanzmarktstabilisierungsfonds hat ein Defizit von 25 Milliarden Euro eingefahren; er ist nicht in den Haushalt eingebucht. Verschiedene Maßnahmen werden über die Sozialversicherung finanziert; ich finde, das ist ein Buchungstrick. Infolgedessen schmelzen die Sicherheitspolster der Sozialkassen. Halten wir also fest: Schwarz-Rot bezahlt Wahlgeschenke aus den Krisenpolstern der Sozialkassen. Durch diesen Buchungstrick watet Deutschland knietief im Dispo. Ich finde, es ist nicht hinnehmbar, dass am Ende die Rentnerinnen und Rentner und die Verbraucherinnen und Verbraucher die Rechnung für diesen Buchungstrick zahlen müssen. ({0}) Interessant ist in diesem Zusammenhang, wie sich die prozentuale Beteiligung der Unternehmen am Sozialbudget über die Jahre verändert hat. Noch Anfang der 90er-Jahre hat die sogenannte Arbeitgeberseite immerhin ein Drittel des Sozialbudgets weggetragen; inzwischen ist es nur noch ein Viertel. Wenn also die Unternehmen und Konzerne weniger bezahlen, dann heißt das im Klartext: Die privaten Haushalte und die öffentlichen Kassen müssen mehr wegtragen. Vor diesem Hintergrund wäre es eine sinnvolle Reaktion gewesen, die Konzerne stärker per Steuer heranzuziehen. Aber Sie haben gleich zu Beginn der Wahlperiode festgelegt: Wir wollen keine höhere Körperschaftsteuer, wir wollen keine Millionärsteuer, wir wollen keinen höheren Spitzensteuersatz. Das heißt im Klartext: Auf der anderen Seite fehlt Geld, und zwar vom Bund bis zur Kommune. Dem Bund fehlt Geld, um zum Beispiel die Mitte, die am Steueraufkommen bisher überproportional beteiligt ist, zu entlasten. In der Kommune fehlt Geld für Kitas und für barrierefreien Bus- und Bahnverkehr. Ganz offensichtlich fehlt auch Geld, um den Hebammen zu helfen. Wir haben hier schon mehrmals darüber gesprochen: Die explodierenden Haftpflichtprämien treiben viele Hebammen in den Ruin. Es gäbe eine Lösung, und zwar einen öffentlichen Haftungsfonds. Wir haben dafür geworben, aber Ihr Gesundheitsminister hat dieses Vorhaben abgelehnt. Die Hebammen lassen Sie also im Regen stehen. Als es allerdings darum ging, einen Rüstungsexport nach Saudi-Arabien mit einer Hermesbürgschaft in Milliardenhöhe abzusichern, waren Sie sofort dabei. ({1}) Allein diese Gegenüberstellung ist entlarvend für den Geist der schwarz-roten Regierung. Diejenigen, die bei der Ankunft im Leben helfen - das sind Hebammen -, lassen Sie im Regen stehen. Denjenigen, die Geschäfte mit dem Tod machen - bei Rüstungsexporten geht es um nichts anderes als um Geschäfte mit dem Tod -, ({2}) greifen Sie sofort unter die Arme. Das ist entlarvend, und das ist beschämend! Sie stehen hier einfach auf der falschen Seite! ({3}) Nicht nur in dieser Frage ist bezeichnend, auf welcher Seite Sie stehen. Wenn zum Beispiel die Frage im Raum steht: „Bitten wir Millionäre stärker zur Kasse, um die Mitte zu entlasten?“, stehen Sie auf der Seite der Millionäre, während wir ganz klar sagen: Unser Platz ist an der Seite der Mitte ({4}) und auf der Seite derjenigen, die keine Lobby haben. ({5}) Wenn zum Beispiel die Frage im Raum steht: „Ziehen wir die sogenannte Arbeitgeberseite stärker heran, um Privathaushalte zu entlasten?“, ist Ihr Platz ganz eindeutig aufseiten der Konzerne, unserer jedoch bei den privaten Haushalten, und da sind wir richtig. ({6}) Wenn es zum Schwur kommt, steht diese Regierung beständig aufseiten der großen Vermögen, der großen Profite, aufseiten der Besitzenden. ({7}) Wir hingegen stehen auf der Seite der Mitte. Die schwarze Null, die Sie für 2015 anstreben, wirft einen langen Schatten und hat einen verdammt hohen Preis. Zu diesem Preis gehört nicht nur, dass Sie die Sozialversicherung ausplündern; zu diesem Preis gehört auch, dass wichtige Zukunftsinvestitionen ausbleiben. Sie sind so auf diese schwarze Null fixiert, dass Sie die großen gesellschaftlichen Aufgaben komplett ignorieren. Zu diesen großen gesellschaftlichen Aufgaben gehört erstens ein sozial-ökologischer Umbau im Sinne der Klimagerechtigkeit, zweitens der Kampf gegen Armut, drittens etwas zu tun gegen die um sich greifende Angst, die disziplinierend wirkt, und der Einsatz für ein soziales Europa. Gehen wir die Aufgaben einmal im Einzelnen durch: Der sozial-ökologische Umbau wird - ein bisschen strahlen Sie das heute immer noch aus - eher als ein Randthema, als ein Thema für Ökos behandelt. Aber der Weltklimabericht hat uns die Brisanz deutlich vor Augen geführt. Weltweit sind Millionen Menschen von Dürre oder Überschwemmung bedroht, und ursächlich dafür ist die von der Menschheit verursachte Klimaerwärmung. Der Klimabericht macht eines deutlich: Ein Weiter-so ist existenzielle Brandstiftung. Diesen Bericht ernst nehmen, heißt ganz klar: Wir müssen den sozial-ökologischen Umbau voranbringen. Aber was passiert unter Schwarz-Rot? Unter Schwarz-Rot verkommt selbst das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu einer reinen Industriesubventionierung. Das ist nicht nur unsere Einschätzung; das ist auch die Einschätzung des BUND. Um die Profite der Großindustrie zu schützen, bremsen Sie den Ausbau der erneuerbaren Energien aus, und Sie lassen ihn am Ende auch noch von den privaten Verbraucherinnen und Verbrauchern bezahlen. Das ist unsozial und unökologisch zugleich. Das ist ein Kunststück, das man erst einmal hinkriegen muss. ({8}) Wir meinen, es braucht stattdessen eine stärkere Förderung der erneuerbaren Energien. Die erneuerbaren Energien müssen dezentral organisiert sein. Ich finde, dieses Vermächtnis von Hermann Scheer dürfen Sie nicht einfach übergehen. Vor allen Dingen muss das Ganze sozial finanziert werden; denn es darf nicht sein, dass die Ärmeren im Winter auf Wärme verzichten müssen. ({9}) Zu den großen gesellschaftlichen Herausforderungen gehört auch der Kampf gegen Armut. Sicherlich, mit Ihrem Rentenpaket haben Sie einige Trippelschritte in die richtige Richtung gemacht. ({10}) - Wenn Sie jetzt so stolz darauf sind: Viele Jahre lang sind Sie in die falsche Richtung gelaufen. ({11}) Das zentrale zugrunde liegende Problem in der Rente gehen Sie nicht an, nämlich dass die Rente immer weniger sicher vor Altersarmut schützt. Das Rentenniveau von einst 53 Prozent sinkt auf 43,7 Prozent im Jahr 2030. Das klingt jetzt erst einmal technisch. Die Folge davon ist aber, dass auch Menschen mit einem mittleren, durchschnittlichen Einkommen in Zukunft nicht mehr vor Altersarmut geschützt sind, und Sie - Sie alle; wir Linken sind da die Ausnahme ({12}) haben diese Entwicklung mitgetragen. Ich finde, Sie sollten das Problem ernst nehmen und endlich dafür sorgen, dass das Rentenniveau nicht weiter sinkt und dass eine solidarische Mindestrente vor Altersarmut schützt. ({13}) Wenn es um die Armut der Erwerbslosen geht, dann versuchen Sie noch nicht einmal, den Anschein zu erwecken, dass Ihnen dieser Punkt wichtig ist. Kurzum: Beim Kampf gegen Armut betreiben Sie eines - Arbeitsverweigerung. Menschen, die auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind, müssen ihre Arbeitsbereitschaft beweisen und ihren Mitwirkungspflichten nachkommen. Wenn sie dies nicht tun, drohen Sanktionen: erst um 30 Prozent, dann um 60 Prozent, dann komplett. Die Linke lehnt diese Regelung ab. Aber ich finde, man sollte Sie durchaus an den Regelungen messen, die Sie für andere getroffen haben. Beim Kampf gegen Armut verletzt diese Regierung ihre Mitwirkungspflichten, betreibt diese Regierung Arbeitsverweigerung. Ich finde, dies ist ein klassischer Fall für eine Sanktion: erst von 30 Prozent, dann von 60 Prozent und danach vielleicht eine Vollsanktionierung. ({14}) Zur dritten großen gesellschaftlichen Herausforderung. Wir haben in diesem Land eine Zunahme von disziplinierender Angst; sie hat ganz unterschiedliche Facetten. Da ist zum einen die junge Wissenschaftlerin, die immer nur Arbeitsverträge von einem bis zwei Jahre bekommt und die mit ihrem Partner seit Jahren eine Pendelbeziehung führt, weil beide niemals in der gleichen Stadt zumindest einen kurzfristigen Arbeitsvertrag haben. Wir wissen, das ist kein Einzelfall. Die Zahl der sachgrundlosen Befristungen ist explodiert. Inzwischen haben wir 1,3 Millionen sachgrundlose Befristungen. Sie könnten hier etwas tun. Sie könnten einfach die sachgrundlose Befristung abschaffen. Wir als Linke haben Ihnen diesen Vorschlag vorgelegt. Sie müssten nur dafür stimmen. Dann wäre schon viel geholfen. ({15}) Da ist zum anderen die Sorge eines Beschäftigten in der Kernbelegschaft, der sich bisher sicher gefühlt hat. Aber tagtäglich bekommt er jetzt durch die Leiharbeiter, die immer nur für einige Monate eingesetzt werden, vor Augen geführt, dass man die gleiche Arbeit in der gleichen Zeit für die Hälfte des Geldes machen kann. Das wirkt natürlich disziplinierend und ruft die Angst hervor, ersetzbar zu sein. Hier könnten Sie etwas tun. Sie könnten französische Verhältnisse schaffen. Das heißt: vom ersten Tag an gleicher Lohn für gleiche Arbeit plus eine 10-prozentige Flexibilitätszulage. ({16}) Zur zunehmenden Angstkultur gehört natürlich auch die Angst der Erwerbslosen vor Sanktionen, die wie ein Damoklesschwert über ihnen schwebt. Sie macht die Leute gefügig und führt dazu, dass sie in Anstellungsgesprächen schlechte Löhne akzeptieren. Die Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen könnte sehr viel bewirken, und deswegen ist dies für mich eine Herzensangelegenheit. ({17}) Auch der zunehmende Druck, ständig am Limit arbeiten zu müssen, und die Angst, von überbordenden Überstunden erdrückt zu werden und nicht mithalten zu können, macht viele Menschen krank. Wenn es uns gelänge, kürzere Arbeitszeiten für alle als Standard zu etablieren, wäre dies ein enormer Fortschritt. Dafür setzen wir uns ein. ({18}) Zu den großen gesellschaftlichen Aufgaben gehört auch der Einsatz für ein soziales Europa. Dabei geht es auch darum, die Spaltung Europas zu verhindern. Für den Europakurs dieser Regierung war der Besuch von Außenminister Steinmeier in Griechenland zu Beginn dieses Jahres bezeichnend. Im Wahlprogramm der SPD war noch zu lesen, Merkels Europapolitik sei - ich zitiere - „kaltherzig“. Sie sprachen in Ihrem Wahlprogramm von sozialen Verwerfungen. Doch wie agierte Herr Steinmeier, als er dann Außenminister war? Kritisierte er womöglich den Kurs der Troika und wies auf die sozialen Verwerfungen hin? Nein, er lobte in Athen - ich zitiere - „den ersten Teil des Weges, den Griechenland gegangen ist“. Er sagte, er sei überzeugt, die Regierung verfüge über die Entschlossenheit, den Weg fortzusetzen. Ich weiß sehr wohl, dass man Sie nicht für alle Entwicklungen in Griechenland direkt persönlich in Haftung nehmen kann. Aber wenn Sie in Griechenland den Weg loben, dann müssen Sie auch wissen, dass zu dem von Ihnen so gelobten Kürzungskurs gehört, dass das griechische Gesundheitssystem wirklich an den Rand des Kollapses getrieben worden ist. Lebensnotwendige Herz-OPs können dort nicht mehr durchgeführt werden, weil Gefäßstützen fehlen. Krebspatienten müssen auf lebensnotwendige Medikamente verzichten. Ärzte ohne Grenzen ist zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Drittel der griechischen Bevölkerung kaum noch Zugang zur medizinischen Versorgung hat. Deutschland hat den Spardruck innerhalb von Europa stark gemacht. Dieser Spardruck führt zu einem Kürzungsdruck. Er führt dazu, dass in Griechenland nicht einfach an Luxus gespart wird, sondern dass lebensnotwendige Maßnahmen unterlassen werden. Deswegen sage ich: Das Kürzungsdiktat hat inzwischen ein Ausmaß angenommen, dass man bei lebensbedrohlichen Krankheiten von einer unterlassenen Hilfeleistung sprechen muss. Deswegen steht für uns fest: Wahre Europäerinnen und Europäer verzichten auf das Kürzungsdiktat. Wahre Europäerinnen und Europäer setzen stattdessen auf ein Europa der sozialen Rechte. ({19}) Ja, wir setzen auf ein Europa, das an der so schlichten und doch bemerkenswerten Vision von Theodor Adorno anknüpft: Zart wäre einzig das Gröbste: daß niemand mehr hungern soll. Das heutige Europa ist davon weit entfernt. Dazu trägt auch Ihre Kürzungspolitik bei. ({20}) Frau Merkel, so mancher meint, das zentrale Problem Ihrer Regierung wäre, dass Sie sich streiten. ({21}) So mancher meint, Sie wären selbst für einen guten Paartherapeuten ein verdammt schwieriger Fall. Ich meine, das große Problem der schwarz-roten Regierung liegt in der Ignoranz gegenüber den großen gesellschaftlichen Aufgaben. Sie ignorieren die sozialen Verwerfungen in diesem Land. Sie ignorieren den wachsenden Reichtum in den Händen einiger weniger. Beim Kampf gegen Armut betreiben Sie Arbeitsverweigerung, und bei der Energiewende stehen Sie Seit’ an Seit’ mit Sigmar Gabriel auf der Bremse. Ihre Europapolitik spaltet Europa. Das ist der falsche Kurs. ({22}) Ich jedoch meine, diese Gesellschaft braucht wahrlich kein weiteres Artenschutzprogramm für die großen Profite. Diese Gesellschaft braucht vielmehr vollen Einsatz für einen sozial-ökologischen Umbau im Sinne der Klimagerechtigkeit. Diese Gesellschaft braucht wahrlich kein weiteres Förderungsprogramm für Millionäre. Diese Gesellschaft braucht vielmehr vollen Einsatz für Umverteilung, gegen Armut, für ein Europa der sozialen Rechte. Wir, die Linke, streiten für eine Gesellschaft, die frei ist von der Bürde der disziplinierenden Angst, die frei ist von Armut. Ja, dafür stehen wir. ({23})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel. ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin, Ihr Versuch, über die Tatsachen zu sprechen, ist, glaube ich, kräftig danebengegangen. ({0}) Was sind die Tatsachen? Mit dem Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2014 und der mittelfristigen Finanzplanung liegt der erste Haushalt ohne neue Schulden seit 1969 in greifbarer Nähe. Das heißt konkret: 2014 werden wir einen strukturell ausgeglichenen Haushalt haben. 2015 haben wir die Möglichkeit, keine neuen Schulden zu machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind nicht einfach Zahlen, sondern das ist nicht mehr und nicht weniger als die Einlösung eines Versprechens an kommende Generationen, einmal ohne zukünftige Schulden auszukommen, einmal mit dem auszukommen, was in die Steuerkassen hineinkommt, einmal nicht auf Kosten der Zukunft zu leben. Es ist das bewusste Bekenntnis der Großen Koalition, sich um die Sorgen, Ansprüche und Möglichkeiten zukünftiger Generationen zu kümmern. Das ist unsere Pflicht - das sage ich ausdrücklich -, und wir tun es, und das zum ersten Mal seit Jahrzehnten. ({1}) Zuallererst ist dies der Erfolg und das Verdienst im Übrigen all derjenigen, die den Wohlstand erarbeiten, der vielen Menschen, die sich für dieses Land einbringen mit ihrem unternehmerischen Sachverstand und mit ihrer Rolle als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Denen gilt in dieser Stunde unser aller Dank, meine Damen und Herren. ({2}) Das ist zum Zweiten auch das Verdienst vieler Bundesregierungen, auch dieser. Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, dem Bundesfinanzminister für seine ruhige, besonnene und nachdrückliche Art, diesen Kurs immer wieder einzufordern, zu danken, genauso wie unseren Haushaltspolitikern, die darauf in den vielen Sitzungen der Begehrlichkeiten achten. Danke schön, dass wir auf diesem Kurs gut vorangekommen sind! ({3}) Richtig ist doch, dass die Voraussetzungen in den letzten Jahren alles andere als rosig waren. Ich will vielleicht noch mal daran erinnern: Kurz bevor wir die erste Große Koalition 2009 beendeten, war es auch so, dass ein ausgeglichener Haushalt in Reichweite lag. ({4}) Es ist also keine neue Idee. Wir sind dann allerdings in eine Situation gekommen - ich habe da gestern schon zugehört -, die wir vielleicht nicht vergessen sollten, nämlich in eine internationale Finanz- und Wirtschaftskrise, die in Deutschland einen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts von 5 Prozent mit sich gebracht hat. Es war richtig, diese Finanzkrise national so zu beantworten, dass wir reagiert haben, dass wir Konjunkturprogramme aufgelegt haben, dass wir Arbeitsplätze gesichert haben. Deshalb hat es länger gedauert, aber wir haben diesen Kurs konsequent fortgesetzt, meine Damen und Herren. ({5}) In der Zeit zwischen 2008 und der Bewältigung dieser internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise haben wir eines gelernt: Wir können nicht alleine Politik machen, sondern unser Handeln hängt aufs Engste mit allem, was auf der Welt passiert, zusammen. Das ist Globalisierung. Keiner kann mehr heute alleine, für sich regieren, sondern jeder muss auch die Belange der anderen im Blick haben. Deshalb kümmern wir uns um internationale Finanzmarktregulierung, gar nicht nur, weil wir das zu Hause so brauchten - das könnten wir ja national regeln -, sondern weil es unabänderlich ist, weil jeder Fehler, der international passiert, zum Schluss auch uns und die Menschen in Deutschland trifft. Insofern leben wir heute in einer vernetzten Welt, auf die wir reagieren müssen. Wir haben auch noch andere Unsicherheiten. Das ist einmal die europäische Schuldenkrise, die nach wie vor noch nicht überwunden ist. Es ist eine fragile Situation weltweit - wenn wir auch auf manche Entwicklungen in den Schwellenländern schauen. Und es kommen neue Unsicherheiten dazu - das haben wir in den letzten Wochen gelernt -, wie uns das Beispiel der Ukraine zeigt. Die illegale, völkerrechtswidrige Annexion der Krim hat uns etwas vor Augen geführt, was wir eigentlich vergessen glaubten, nämlich dass wir über Freiheit, über internationales Recht, über Frieden und Einhaltung von Völkerrecht noch sprechen müssen. Deshalb, meine Damen und Herren, müssen wir alle Anstrengungen darauf richten - das wird die Tätigkeit dieser Großen Koalition in den nächsten Monaten sein -, für ein starkes Deutschland, für ein starkes Europa und für starke Partnerschaften in der Welt zu arbeiten. Wir wissen, wir können diese Ziele nur gemeinsam erreichen. Das gilt für Deutschland, das gilt für Europa, und das gilt auch für die globalisierte Welt. Wie sieht es nun aus, wenn wir auf Deutschland schauen? Die Wirtschaftsprognosen sind einigermaßen positiv: 1,8 Prozent Wachstum in diesem Jahr; das ist mehr als der Durchschnitt im Euro-Raum. Der private Konsum ist der Treiber unserer binnenwirtschaftlichen Entwicklung. Der Export springt an, aber die Binnenkonjunktur trägt mehr zum Wachstum bei, als das in vergangenen Jahren der Fall war. Wir können heute sagen, dass wir bislang zu den Gewinnern der Globalisierung gehören, weil wir eine wettbewerbsfähige Industrie haben und weil wir einen sehr starken Mittelstand haben. Aber es ist auch wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen: Das alles ist eine Momentaufnahme. Wenn man sich die Dynamik der Welt anschaut, dann weiß man: Die Wettbewerbsfähigkeit muss erhalten werden. Vor allen Dingen kann sie erhalten werden, indem wir unsere Innovationsfähigkeit erhalten. Deshalb ist es wichtig, dass wir nicht nur heute wettbewerbsfähig sind, sondern dass wir international auch zu den Besten bei der Innovationskraft gehören und dass wir an vielen Stellen, gerade wegen unserer mittelständischen Unternehmen, Weltmarktführer sind. Die Bundesregierung legt auf diesen Punkt besonderen Wert, mit unserer Hightech-Strategie, mit unserer Innovationsstrategie, wo wir den Bogen von der Grundlagenforschung bis zur Anwendung im Mittelstand spannen. Es darf und muss für Deutschland gelten: Keine gute Idee darf auf der Strecke bleiben; alles muss genutzt werden. Kreativität ist der Treiber unseres Wohlstands, meine Damen und Herren. ({6}) Wenn wir den Haushalt für dieses Jahr beraten, müssen wir uns auch fragen: Wo steht Deutschland in 5, in 10 oder in 20 Jahren? Wie können wir erreichen, dass wir auch in Zukunft erfolgreich sind? Solide Finanzen, wie mit dem Haushaltsplan für dieses und nächstes Jahr sowie mit der mittelfristigen Finanzplanung vorgelegt, bedeuten nicht nur, dass man keine Schulden macht, sondern sie bedeuten genauso, dass man mit Weitblick und Klugheit in die Zukunft unseres Landes investiert. Ich möchte in diesem Zusammenhang vier Bereiche nennen, in denen wir investieren: Erstens. Wir investieren in unser wichtigstes Kapital, und das sind die Menschen. Das sind Investitionen in Bildung und Forschung. Wir unterstützen dabei die Länder und die Kommunen, indem wir ihnen bei der Finanzierung von Kitas, von Schulen und Hochschulen helfen. Damit auch wirklich genügend Geld für diese Aufgaben vorhanden ist, werden wir in dieser Legislaturperiode insgesamt 6 Milliarden Euro mehr für die Unterstützung genau dieser Bereiche zur Verfügung stellen. Damit wir unser 3-Prozent-Ziel, also 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den Bereich Forschung und Innovation, auch in den nächsten Jahren halten können - wir haben es jetzt fast erreicht -, müssen wir 3 Milliarden Euro mehr in Forschung und Entwicklung hineingeben. Das tun wir. Damit werden wir zu den Ländern gehören, die in Bezug auf Forschung in Europa führend sind. Weltweit gibt es Länder, die mehr investieren - ich habe es hier oft gesagt: Südkorea, zum Beispiel -, aber mit 3 Prozent sind wir recht gut dabei. ({7}) Zweitens. Wir investieren in die Zukunft der Verkehrsinfrastruktur. Wir werden hierfür 5 Milliarden Euro einsetzen. Wir werden die Nutzerfinanzierung weiterentwickeln. ({8}) - Ich weiß, dass das sicherlich mehr sein könnte, aber, meinen Damen und Herren, es sind immerhin 5 Milliarden Euro mehr als in der vergangenen Legislaturperiode. Das ist ein unabdinglicher, wichtiger Schritt in die richtige Richtung. ({9}) Drittens. Wir investieren in die Zukunft unserer Energieversorgung. Es geht darum, dauerhaft sichere, bezahlbare und umweltverträgliche Energie zur Verfügung zu stellen. Wir haben uns in der Großen Koalition entschieden, angesichts der Tatsache, dass der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung derzeit 25 Prozent beträgt, einen neuen Pfad, einen berechenbaren Pfad für den Ausbau der erneuerbaren Energien einzuschlagen. Wenn Sie sich die Situation im internationalen Vergleich anschauen, dann stellen Sie fest: Es ist relativ einzigartig, was wir tun. Wir sagen: Von heute 25 Prozent werden wir bis 2025 den Anteil der erneuerbaren Energien auf 40 bis 45 Prozent ausbauen. Wir gehen damit einen Weg, der uns das Erreichen des Ziels für 2050 - 80 Prozent der Erzeugung des Stroms aus erneuerbaren Energien - auf einem ganz berechenbaren Pfad möglich macht. ({10}) Mit der EEG-Novelle, die wir gestern im Kabinett verabschiedet haben und die in den nächsten Wochen hier im Hause beraten wird, kommt etwas ganz Wichti2324 ges für den Ausbau der erneuerbaren Energien zum ersten Mal zum Zuge, nämlich Berechenbarkeit. Es sind klare Korridore vorgegeben, und natürlich kann ich diese Korridore nur einhalten, indem ich, wenn mehr zugebaut wird, die Vergütungen reduziere, sodass ich einen atmenden Deckel habe und die Korridore auch einhalten kann. Wir haben uns für einen vernünftigen Mix entschieden. Wir haben Gespräche mit den Ländern geführt. Ich möchte dafür danken, dass hier Gemeinsamkeit entstanden ist. Wir werden natürlich die Beratungen hier im Hause in aller Offenheit durchführen. Damit können wir nicht versprechen, dass die EEGUmlage dauerhaft sinkt. Aber wir können versprechen, dass die Kostendynamik der EEG-Umlage gebrochen ist und dass wir auf einen vernünftigen Pfad kommen. Meine Damen und Herren, das ist genau das, was die Bürgerinnen und Bürger von uns erwarten; denn sie tragen die Energiewende. Ich will dafür ausdrücklich Dankeschön sagen; denn das macht nicht die Politik, das machen die Bürgerinnen und Bürger. Es war aber auch ein Wunsch der Bürgerinnen und Bürger, eine neue Energiepolitik in Deutschland durchzusetzen. Das haben wir getan. Jetzt werden wir diesen Weg gemeinsam gehen. ({11}) Wenn wir über sichere Energieversorgung und über die Energiewende, die wir durchführen, sprechen, dann müssen wir auch sehen: Es war nicht beabsichtigt - das kann nicht gewollt gewesen sein -, dass wir durch die Energiewende unsere eigenen Stärken schwächen, nämlich die mittelständische Wirtschaft und die Industrie. In Deutschland beträgt der Anteil der Industrieproduktion am Bruttoinlandsprodukt über 20 Prozent. Damit sind wir führend in Europa. Die Europäische Kommission hat sich das Ziel gesetzt, weil sie sieht, dass wir in einem globalen Wettbewerb stehen, dass die Industrie wieder einen Anteil von 20 Prozent am europäischen Bruttoinlandsprodukt hat. Nun kann es doch nicht sein, dass wir durch eine vernünftige Maßnahme, nämlich dadurch, dass wir unsere Energieversorgung zukunftsfähig ausbauen, Arbeitsplätze vernichten und unsere Wirtschaft in Gefahr bringen. Ich bin mir ganz sicher, dass die Bürgerinnen und Bürger auf gar keinen Fall wollen, dass sichere, zukunftsfähige Arbeitsplätze durch die Energiewende verlorengehen. Deshalb haben wir so entschieden und für Ausnahmen für unsere im Wettbewerb stehende Industrie gekämpft. ({12}) Ich will dem Bundeswirtschaftsminister ein ausdrückliches Dankeschön dafür sagen. Wir haben uns eingesetzt für ein Ziel, das im Kontext europäischer Probleme das allervernünftigste und normalste ist. Wir reden Tag und Nacht mit Recht darüber, wie hoch die Arbeitslosigkeit in Europa ist. Wir reden Tag und Nacht über die Frage, wie wir für junge Leute neue Arbeitsplätze schaffen können. Da können wir uns doch nicht sehenden Auges in Europa wegen einer vermeintlichen Rolle im Klimaschutz damit abfinden, dass wir Arbeitsplätze vernichten. ({13}) Nein, wir müssen Klimaschutz und Arbeitsplätze zusammenbringen. Sonst wird die Energiewende keine Akzeptanz in Deutschland haben. ({14}) Natürlich sind das Erneuerbare-Energien-Gesetz und das, was die Kommission heute im Zusammenhang mit den Leitlinien für Beihilfen beschließen wird, nur erste Schritte bei der Gestaltung der Energiewende. Auf der Grundlage dieses Ausbaupfads für erneuerbare Energien müssen wir jetzt die Netzplanung anpassen und dann den Netzausbau beschleunigen. Dafür sind die entsprechenden Vorkehrungen getroffen worden. Anschließend müssen wir uns natürlich mit den Kapazitätsmärkten beschäftigen, mit der Frage, wie wir eine vernünftige Kombination hinbekommen können, wie wir die begrenzte Verfügbarkeit der erneuerbaren Energien - mit Ausnahme der Biomasse - mit der Sicherstellung der Grundversorgung in Einklang bringen können. Das werden die nächsten Schritte sein. Damit niemand denkt, dann sei die Arbeit vorbei, sage ich: Wir werden uns noch in dieser Legislaturperiode mit dem nächsten Schritt im Zusammenhang mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz befassen müssen, nämlich mit der Ausschreibung der jeweiligen Kapazitäten. Darauf wird die Europäische Kommission drängen, und das ist auch richtig, um die Kosteneffizienz vernünftig durchzusetzen. Wir werden also in der ganzen Legislaturperiode mit der Frage „Wie gestalten wir die Energiewende?“ beschäftigt sein. Ich bin aber sehr optimistisch, dass uns das gut gelingen wird. Viertens. Wir werden natürlich auch in einen Bereich investieren, der unser Leben im 21. Jahrhundert in großem Maße prägt, nämlich in die Digitalisierung. Kaum ein Lebensbereich kommt heute ohne digitale Techniken aus, ob es das Auto ist, das Handy, die Flüge, die Bahnfahrten oder die industrielle Produktion. Wer sich in diesen Tagen auf der Hannover Messe die Produkte ansieht, die den Weg zur Industrie 4.0 charakterisieren, der weiß, in welch dramatischer Weise sich unsere gesamte Arbeitswelt verändern wird. Es ist beeindruckend, zu sehen, dass in Zukunft jede reale Fabrik noch einmal als digitale Fabrik existieren wird, wie Produkte entwickelt werden, wie Maschinen miteinander interagieren. All das wird unser Arbeitsleben sehr stark verändern, genauso wie das im privaten Bereich der Fall ist. Deshalb freue ich mich, dass die drei hauptzuständigen Minister bereits auf der CeBIT die Digitale Agenda 2014 bis 2017 vorgestellt haben. Diese Digitale Agenda hat drei Komponenten: Eine Komponente sind gute Bedingungen, damit Start-ups, damit Unternehmen in Deutschland in die Digitalisierung investieren können. Das Zweite ist der Sicherheitsaspekt, den wir natürlich brauchen. Die dritte Komponente ist die Versorgung mit Breitband, damit jeder Zugang zu den digitalen Möglichkeiten hat. Das Ausmaß der gesellschaftspolitischen Dimension der Digitalisierung kann nicht überschätzt werden. Unser gesamtes Leben wird sich verändern. Natürlich muss das gelten, was wir immer für die Wirtschaft gesagt haben: Auch die digitale Wirtschaft muss dem Menschen dienen und nicht etwa umgekehrt. Das ist das Wesen der sozialen Marktwirtschaft. Deshalb sind Datenschutz und Datensicherheit ganz legitime Notwendigkeiten. Wir werden noch viel arbeiten müssen, um das wirklich durchzusetzen. ({15}) Die Bundesregierung hat hier erste Schritte unternommen; weitere werden folgen müssen. Wir haben eine Taskforce „IT-Sicherheit in der Wirtschaft“ und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik für die Bürgerinnen und Bürger. Aber nationale Gesetzgebung allein wird hier nicht ausreichen, sondern wir werden natürlich international agieren müssen, zuallererst einmal in Europa. Hier geht es weiter um die Diskussion zur Datenschutzgrundverordnung. Das ist ein außerordentlich kompliziertes Unterfangen. Ich will das hier noch einmal darstellen: Auf der einen Seite wissen wir alle, dass wir ein gleiches Niveau von Datenschutz in Europa brauchen; denn ansonsten können sich Internetunternehmen zum Beispiel immer in einem Land in Europa niederlassen, in dem es eben nicht dieses Datenschutzniveau gibt. Auf der anderen Seite brauchen wir eine Einigung auf einem Niveau, das unserem Datenschutzniveau in Deutschland entspricht. Das sehen aber nicht alle anderen Länder so wie wir. Das heißt, wir werden in den nächsten Monaten zunehmend in eine Situation kommen, in der wir genau abwägen müssen, was besser ist: eine Datenschutzgrundverordnung in Europa oder aber kein einheitliches Datenschutzniveau und damit immer wieder die Möglichkeit des Unterlaufens. Ich glaube, Deutschland muss, auch wenn wir kritisiert werden, dass es etwas länger dauert, mit aller Kraft auf ein vernünftiges Datenschutzniveau in Europa drängen. Alles andere kann ich mir nicht vorstellen. ({16}) Wir brauchen auch Initiativen für einen verlässlicheren internationalen Datenschutz. Deutschland hat hier gemeinsam mit Brasilien in den Vereinten Nationen Aktivitäten unternommen. Das ist ein dickes Brett, das zu bohren ist. Ich glaube, wir müssen erst einmal in Europa mit gutem Beispiel vorangehen, um international voranzukommen. Alle Aufgaben, die ich bisher beschrieben habe, sind Aufgaben, die für alle Länder dieser Erde gelten. Jeder, der für seine Bevölkerung Wohlstand sicherstellen will, braucht Wachstum und Innovationsfähigkeit und muss sich damit weltweit in einem fairen Wettbewerb beweisen. Auf Deutschland kommt eine zusätzliche Aufgabe zu: die Bewältigung der demografischen Entwicklung. Mir ist das noch einmal bewusst geworden, als ich in der letzten Woche auf dem EU-Afrika-Gipfel war. Afrika ist ein Kontinent, auf dem die Hälfte der Bevölkerung unter 18 Jahre alt ist. Das ist eine völlig andere Bevölkerungsstruktur als unsere in Europa. In Afrika betrachtet man uns als einen wirklich alternden Kontinent und fragt, wie wir ohne so viele junge Leute, wie sie es kennen, zurechtkommen. Wir müssen uns natürlich ganz entschieden auf die Veränderungen vorbereiten. Die sogenannten Babyboomer - ich meine jetzt den stärksten Nachkriegsjahrgang - feiern in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag. Sie werden noch 17 Jahre in der Erwerbstätigkeit sein; danach werden wir abnehmende Zahlen haben. Das wird sich natürlich massiv auf unsere Arbeitswelt auswirken. Das heißt, wir müssen als Erstes überlegen: Wie können wir vor allen Dingen eine gute Struktur vor Ort hinbekommen, die die Belastungen aufgrund der demografischen Entwicklung auffangen und darauf reagieren kann? Deshalb haben wir uns ganz bewusst entschieden, die Kommunen weiter zu entlasten. Wolfgang Schäuble hat hier gestern ausführlich dazu Stellung genommen. Die Kommunen sind inzwischen vollständig von den Kosten der Grundsicherung entlastet. Das sind in diesem Jahr 5,5 Milliarden Euro für die Grundsicherung. Diese Leistung mussten die Kommunen noch vor wenigen Jahren selber tragen. Wir wollen nun den nächsten Schritt gehen und in dieser Legislaturperiode jedes Jahr 1 Milliarde Euro zusätzlich für die Kommunen zur Verfügung stellen, mit Verabschiedung des Teilhabegesetzes aufwachsend auf 5 Milliarden Euro, weil wir den Kommunen auch bei der Eingliederung von Behinderten helfen wollen. ({17}) Das ist eine Leistung, die wir deshalb zur Verfügung stellen, weil wir überzeugt sind, dass die Lebenserfahrung jedes einzelnen Menschen zuallererst zu Hause, in der Kommune vor Ort gesammelt wird, und weil wir wissen, dass das große, oftmals ehrenamtliche Engagement der Kommunalpolitiker nur dann weiter Akzeptanz finden wird, wenn in den Kommunen auch etwas zu gestalten ist, wenn dort etwas zu machen und nicht nur Mangel zu verwalten ist. ({18}) Das zweite große Thema, das von Bedeutung ist, wenn wir auf den demografischen Wandel reagieren wollen, ist die Sicherung der Fachkräftebasis. Was haben wir da für Möglichkeiten? Auf der einen Seite müssen wir alles daransetzen, dass der Zuwachs an älteren Beschäftigten, der in den vergangenen Jahren stattgefunden hat, weiter anhält. Wir müssen auf der anderen Seite dazu beitragen, dass Frauen durch die verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie bessere Chancen im Berufsleben bekommen. Wenn ich hier von Frauen spreche, spreche ich genauso von Eltern, also auch von Vätern. Wir haben in dieser Legislaturperiode mit dem ElterngeldPlus bereits eine Initiative ergriffen, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie die Arbeitsteilung verbessert. Ich denke, was das Zeitmanagement von Familien anbelangt, wird in den nächsten Jahren noch viel zu leisten sein. ({19}) Wir müssen allerdings auch das gesellschaftliche Umfeld so gestalten, dass die Bedürfnisse von Familien, gerade auch von Frauen, besser widergespiegelt werden. Das bedeutet, dass Frauen in Führungspositionen besser vertreten sein müssen. ({20}) Das ist in erster Linie - das haben wir jetzt festgestellt eine Aufgabe für alle Gremien des Bundes. Da haben wir noch eine Menge zu tun - die Frauenministerin nickt -, aber ich weiß auch, dass es nicht so einfach ist, alle Gremien entsprechend zu besetzen. Jedoch, wenn wir die Unternehmen verpflichten wollen, wird man sich zu Recht fragen: Wie sieht es denn in der Politik aus? ({21}) Es gab seitens der Wirtschaft, also zumindest der börsennotierten Unternehmen, bisher keinerlei Initiative, der Politik zu zeigen, dass es die Wirtschaft besser macht. Deshalb sehen wir uns jetzt doch gezwungen, gesetzliche Regelungen einzuführen, um die Sache ein bisschen voranzubringen. Das ist wichtig. ({22}) - Es ist auch mal schön, wenn die SPD begeistert ist. ({23}) Ich bin es übrigens auch. Ich verstehe die Zurückhaltung bei uns gar nicht. Wir haben schließlich sehr harte Auseinandersetzungen gehabt. ({24}) Ein dritter Punkt ist, dass wir heute die Fachkräftebasis für morgen sichern. Deshalb hat sich der Bund bei der Finanzierung zusätzlicher Hochschulplätze engagiert. Er wird das im Rahmen des Hochschulpaktes auch weiterhin tun, damit wir im nächsten Jahrzehnt ausreichend Absolventen haben. Die Investitionen in die Universitäten und Fachhochschulen haben aber auch zu einer Entwicklung geführt, die wir gestern im Kabinett anlässlich der Vorlage des Berufsbildungsberichts diskutiert haben. Wir haben erkannt, dass wir die duale berufliche Ausbildung stärken müssen. ({25}) Wir wollen den Ausbildungspakt im Zusammenhang mit einem Weiterbildungspakt neu auflegen. Wir müssen jetzt wieder dafür sorgen, dass uns in den nächsten Jahren nicht noch einmal passiert, was letztes Jahr passiert ist, nämlich dass 20 000 Absolventen keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, obwohl es ein Überangebot an Ausbildungsplätzen gab. Die Zahl von Anbietern einer dualen Berufsausbildung sinkt. Dies muss geändert werden. Solide Finanzen, Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze das alles ist wichtig. Für das gesellschaftliche Klima ist aber auch die Frage des sozialen Zusammenhalts von allergrößter Bedeutung. Hier kommen wir zu einigen Vorhaben, für die sich die Große Koalition entschieden hat und die durchaus auch kontrovers diskutiert werden. Sie sind aber in Anbetracht der Situation, in der wir uns befinden - nah an einem ausgeglichenen Haushalt, mehr Beschäftigte als jemals zuvor -, für die Menschen insgesamt sehr wichtig. Das gilt zum Beispiel für das Thema Mindestlohn. Wir haben den Gesetzentwurf zum Mindestlohn im Kabinett verabschiedet. Er geht jetzt in die parlamentarischen Beratungen. Es sind noch einige Fragen zu klären, und diese werden auch geklärt. Wir haben uns entschieden, eine Übergangszeit bis zum Ende 2016 zu ermöglichen, sofern abweichende Tarifverträge vorhanden sind. Ansonsten tritt der Mindestlohn mit dem 1. Januar 2015 in Kraft. Wir haben uns entschieden, bei jungen Menschen unter 18 Jahren und ohne Berufsabschluss auf dem Wege zur Ausbildung Ausnahmen zuzulassen. Gleiches gilt für Praktika. Für Langzeitarbeitslose soll es eine Frist von sechs Monaten geben, in denen zuerst die Chance genutzt werden kann, überhaupt wieder eine Arbeit aufzunehmen, um danach in eine Phase des Mindestlohnbezugs zu gelangen. Gerade bei den Langzeitarbeitslosen haben wir nach wie vor ein Problem. Trotz der guten Beschäftigungslage erscheint das Niveau von 3 Millionen Arbeitslosen ziemlich zementiert. Deshalb begrüße ich, dass die Bundesarbeitsministerin jetzt Initiativen entfaltet, um zu schauen, wie wir da rauskommen. Wir müssen vor allen Dingen bei den unter 30- bzw. unter 35-jährigen Langzeitarbeitslosen schauen, dass wir vorankommen. ({26}) Wir haben mit Blick auf den sozialen Zusammenhalt ein Rentenpaket mit vier wesentlichen Maßnahmen vorgelegt: die Berücksichtigung von Erziehungsleistungen von Eltern, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, Erhöhung der Erwerbsminderungsrenten, ein steigendes Rehabudget und abschlagsfreie Renten nach 45 Beitragsjahren. Letzterer Punkt wird ja noch sehr kontrovers diskutiert. Ich freue mich, dass wir uns alle einig sind - so haben wir das auch im Kabinett beschlossen -, dass wir alle Anreize zur Frühverrentung ausräumen müssen. Es lohnt die Mühe, darüber nachzudenken, wie wir das effektiv machen können. Frühverrentung kann nicht das Ansinnen sein. Im Übrigen wächst das Alter, ab dem wir die abschlagsfreie Rente ermöglichen, über die Jahre wieder auf 65 auf, weil wir davon ausgehen und auch alle Kraft darauf lenken werden, dass die Beschäftigungschancen Älterer, auch der über 60-Jährigen, deutlich besser werden. Das ist eine Notwendigkeit bis zum Ende des nächsten Jahrzehnts, um den demografischen Wandel überhaupt zu bewältigen. ({27}) Von allergrößter Bedeutung sind natürlich die Fragen einer sicheren, verlässlichen gesundheitlichen Versorgung und einer leistungsfähigen Pflegeversicherung. In beiden Bereichen ergreifen wir Initiativen. Ich will hier besonders das würdigen, was im Pflegebereich geschieht: Wir werden zum 1. Januar 2015 eine Reform der Pflegeversicherung vorlegen. Die Beiträge werden um 0,2 Prozentpunkte erhöht. Damit stehen 2,4 Milliarden Euro mehr für Pflegeleistungen zur Verfügung. Wir werden mit aller Kraft darauf hinarbeiten, dass nicht die Bürokratie, nicht die technischen Abläufe, sondern das, was die Menschen brauchen, die Pflege des einzelnen Menschen, wieder mehr im Vordergrund steht. Dazu werden wir einen neuen Pflegebegriff erproben und seine Praxistauglichkeit feststellen. Ich glaube, das ist die richtige Art, dies Schritt für Schritt anzugehen. Vor allen Dingen wollen wir die Pflegeberufe attraktiver machen, aber auch Pflege in der Familie in besonderer Weise befördern. ({28}) Ein weiterer wichtiger Bereich für den Zusammenhalt der Gesellschaft ist das gesamte Thema der Integration von Migrantinnen und Migranten. In diesem Jahr werden wir einen Integrationsgipfel zum Thema „Ausbildung und Bildung“ abhalten. Gegen Ende des Jahres werden wir dann hoffentlich auch einen neuen Ausbildungs- und Weiterbildungspakt haben; denn unser Ziel muss natürlich sein, dass die Teilhabe der Migrantinnen und Migranten an der Berufsausbildung, am beruflichen Leben, am Arbeitsleben dieselbe ist wie bei denjenigen, die schon lange bzw. immer in Deutschland leben. Das haben wir, auch wenn es Fortschritte gibt, noch nicht erreicht. Deshalb wird die Integration auch in dieser Legislaturperiode ein wesentliches Element unserer Arbeit sein. Wir hoffen, dass wir mit dem gestern verabschiedeten Entwurf zur Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts für in Deutschland geborene Kinder einen Impuls setzen, um den Migrantinnen und Migranten und ihren Kindern zu sagen: Ihr seid hier willkommen. Ihr seid Teil unserer Gesellschaft. Ihr bekommt alle Chancen, die andere auch bekommen. Ihr sollt euch einbringen und werdet genauso gefördert. - Ich hoffe, dass dies seine Wirkung nicht verfehlt, meine Damen und Herren. ({29}) In diesem Spektrum arbeiten wir in dem Umfang, den Deutschland aus eigener Kraft leisten kann. Aber wir wissen auch: Deutschland ist auf Dauer nur stark, wenn es auch Europa gut geht, wenn auch Europa stark ist. Deswegen setzen wir als Bundesregierung natürlich auch darauf, die europäische Politik intensiv zu gestalten und uns mit unserer Rolle dort einzubringen. Meine Damen und Herren, aufgrund der Euro-Schuldenkrise haben wir schwere Jahre hinter uns. Wir können jetzt erste Erfolge sehen, und ich finde, wir dürfen diese Erfolge nicht kleinreden, obwohl wir wissen, dass wir damit den Weg natürlich noch nicht zu Ende gegangen sind. Weder sind die Zinssätze - schauen wir einmal auf Deutschland - so, dass man heute sagen kann: „Das Ganze ist schon wieder im Lot“, noch ist die Arbeitslosigkeit - gerade bei jungen Menschen in anderen europäischen Ländern - akzeptabel oder hinnehmbar. Richtig ist und bleibt für mich aber doch, dass es vernünftig und notwendig war, einen Fiskalpakt zu entwickeln, mit dem wir dem Maastrichter Stabilitäts- und Wachstumspakt wieder mehr Zähne gegeben haben; denn es war doch eine der Erfahrungen, dass uns das Nichteinhalten von Versprechungen und Beschlüssen in eine solche Situation gebracht hat. Es ist richtig und auch wichtig, dass wir sagen: Irland, Portugal, Spanien und Griechenland haben bei allen Bemühungen, die noch zu folgen haben, Fortschritte gemacht. Deshalb werden wir das auch weiter so hervorheben. Anfang Juli wird es in Italien einen Gipfel geben, der sich wieder mit dem Thema Jugendarbeitslosigkeit beschäftigen wird. Dort wird es vor allen Dingen notwendig sein, zu schauen: Werden die in Europa bereitgestellten Mittel auch wirklich von den Ländern genutzt, die die größten Probleme haben? Häufig sind nämlich zwar Mittel für die Bekämpfung bestimmter Probleme vorhanden - natürlich wird dauernd darüber geredet, dass es eigentlich mehr sein sollte -, aber wenn man dann einmal genauer hinguckt, sieht man, dass die Mittel gar nicht abgerufen werden. Wir müssen jetzt erst einmal Wert darauf legen, dass die in der europäischen Finanzplanung für die Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit zusätzlich vorgesehenen 6 Milliarden Euro dafür genutzt werden, wofür sie gebraucht werden, nämlich zur Schaffung von Arbeitsplätzen für junge Menschen. ({30}) Aus der Tatsache, dass wir von der Haushaltslage her heute besser dastehen als vor Jahren, die Arbeitsmarktsituation in vielen Ländern aber noch nicht besser ist, zum Teil sogar schlechter, ergibt sich im Übrigen auch die Aufgabenstellung für das neue Europäische Parlament und die neue Europäische Kommission: Wir müssen gucken, wo wir Bürokratie abbauen und wie wir Unternehmen in Europa Chancen geben können - denn langfristige, dauerhafte Arbeitsplätze werden nur durch Unternehmen und nicht durch Staaten geschaffen -, und wir müssen schauen, wie wir die Vorzüge eines Binnenmarktes auch im digitalen Bereich, im Energiebereich und im Forschungsbereich wirklich zur Geltung kommen lassen können. Das werden die Aufgaben sein, auf die sich Europa konzentrieren muss. Nicht jede Aufgabe ist eine Aufgabe für Europa, aber die großen Aufgaben können inzwischen mit einer europäischen Dimension besser gelöst werden, als wir das alleine, als Nationalstaat, könnten. ({31}) Wir sind bei der Bankenunion vorangekommen. Ich will die Details hier jetzt nicht nennen. Das ist ein Riesenprojekt. Wenn Sie mich vor drei Jahren gefragt hätten: „Werden wir so weit kommen?“, dann hätte ich sehr große Zweifel geäußert. Das bedeutet eine riesige Kraftanstrengung. Deutschland ist im Übrigen in vielen Fragen vorangegangen: Wir hatten schon eine Bankenabgabe, als es in Europa noch keine Bankenabgabe gab. Damit haben wir ein Modell geliefert. Wir hatten auch schon einen Bankenabwicklungsmechanismus, als es in Europa noch keinen solchen gab. Auch damit waren wir Vorreiter. Das heißt, wir haben mit unseren nationalen Regelungen immer wieder auch Hilfestellungen für europäische Regelungen geben können, und ich bin sehr froh, dass wir hier jetzt wirklich sehr gut vorangekommen sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, dass wir, wenn wir uns nur auf unsere eigenen Belange konzentrieren, natürlich nicht erfolgreich sein können. Deshalb beschäftigt uns das Thema „Frieden, Freiheit und Menschenwürde in Europa und in der Welt“ natürlich sehr - gerade jetzt, in diesen Tagen. Die Lage in der Ukraine bleibt schwierig. Sie haben das in den letzten Tagen wieder verfolgt, und es ist leider an vielen Stellen nicht erkennbar, wie Russland zur Entspannung der Situation beiträgt. Deshalb werden wir auf der einen Seite weiter das tun, was wir immer getan haben, nämlich die Gesprächsfäden nutzen, auf der anderen Seite aber auch klar und deutlich sagen: Die Ukraine hat aus unserer Sicht ein Recht auf einen eigenen Entwicklungsweg. - Den werden wir einfordern. Die Ukrainer müssen über ihr Schicksal selber entscheiden, und dabei werden wir der Ukraine behilflich sein. ({32}) Es ist jetzt dringend notwendig, dass die OSZE-Mission, die glücklicherweise angelaufen ist, auf die versprochenen 500 Personen aufgestockt wird. Es ist dringend wichtig, dass es internationale Gespräche mit der Europäischen Union, mit den Vereinigten Staaten von Amerika und auch mit Russland gibt -, aber eben unter Beteiligung der Ukraine. Es ist wichtig, dass der Verfassungsprozess in der Ukraine vorankommt. Es ist wichtig, dass die Wahlen dort vernünftig vorbereitet werden können. Es ist vor allen Dingen wichtig, dass auch die internationale Finanzunterstützung anläuft. Das IWF-Programm für die Ukraine ist beschlossen. Es ist ein sehr anspruchsvolles Programm, das den Menschen Opfer abverlangen wird. Aber die europäischen Mittel und auch die IWF-Mittel müssen jetzt schnell fließen. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir diskutieren all dies in einem Jahr, in dem sich der Beginn des Ersten Weltkriegs 100 Jahre, der des Zweiten Weltkriegs 75 Jahre, der Fall der Mauer und das Ende des Kalten Kriegs 25 Jahre jähren; Ereignisse, derer wir gedenken. Wir sind uns heute in Europa, aber auch in der Welt insgesamt viel näher, als das wahrscheinlich in der Geschichte der Menschheit jemals der Fall war. Wir wissen, dass diejenigen, deren Denken nur um eigene Interessen kreist, die eine eindimensionale Weltsicht haben und die ohne Rücksicht auf andere ihre Stärke ausspielen, keine Chance haben, Zukunft zu gestalten. Natürlich gehört für jeden von uns die nationale Perspektive dazu, aber niemand, der erfolgreich sein möchte, kann heute nur seine eigenen Belange in den Vordergrund stellen. Er verbaut sich damit seine eigene Zukunft. Deshalb ist die einzig wahre Antwort auf die Probleme unserer Zeit ein positives Gestalten der Globalisierung. Wir brauchen eine neue Art des Miteinanders, des fairen Interessenausgleichs auf der Welt. Wir wollen und brauchen eine neue Art, bei Dissens und Streit kooperative Lösungen zu finden. ({33}) Je besser wir das in Deutschland miteinander praktizieren, desto eindrucksvoller ist die europäische Erfolgsgeschichte. Das Modell des Interessenausgleichs ist das Modell der Zukunft. Deutschland leistet seinen Beitrag dazu: durch solide Finanzen und eine Wachstumspolitik, durch einen starken inneren und äußeren Zusammenhalt und durch ein starkes europäisches und globales Engagement. Ich bitte Sie, auf diesem Weg mitzugehen, und danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({34})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin GöringEckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 100 Tage Schonfrist gesteht man jeder neuen Regierung zu. ({0}) Union und SPD haben viele geschont, vor allem sich selbst. Heute behaupten Sie, Sie machten keine Schulden. ({1}) Ich sage Ihnen: Doch, Sie verschulden sich: an den Jungen, an den Armen und an der Umwelt. ({2}) Sie machen Politik für die Babyboomer - das wussten wir schon -, seit neuestem auch für die BASF, die sich sehr freut. Sie sind so etwas wie eine Amigo-Generation. Die Generation der unter 30-Jährigen jedenfalls hat bei Ihnen nichts zu lachen. ({3}) Die Industrieprivilegien beim EEG und damit die Mehrkosten für Verbraucherinnen und Verbraucher, die Sie alle gerade verabredet haben, sind auf einem Niveau, das früher wenigstens jedem Sozialdemokraten die Schamröte ins Gesicht getrieben hätte. ({4}) Sie verschieben jede schwierige Entscheidung auf die nächste Legislaturperiode. Fast könnte man glauben: Jeder von Ihnen hofft darauf, an der nächsten Regierung nicht beteiligt zu sein, damit Sie diesen Schlamassel nicht ausbaden müssen. ({5}) Wie hieß doch damals der Spruch der westdeutschen Jugend? Erst wenn die letzte Rentenkasse geplündert, die letzte Sozialkasse geleert und alle Schulden angehäuft sind, werden Sie merken, dass man Koalitionsverträge nicht essen kann. ({6}) Zur Erinnerung: In der letzten Großen Koalition wollten Sie noch etwas erreichen, ganz unabhängig davon, wie man das im Einzelnen findet. Damals haben Sie mit einer kleineren Mehrheit die Föderalismusreform gestemmt, die Rente mit 67 eingeführt, Subventionen abgebaut, die teuer, aber populär waren, und auf den letzten Metern sogar noch die Schuldenbremse eingeführt. Damals hatte man wenigstens noch das Gefühl, Sie wollen Verantwortung übernehmen. ({7}) Heute sind wir bei „Wünsch dir was“. Der Unterschied zum Märchen mit der guten Fee ist allerdings: Hier hat nicht jeder drei Wünsche frei, sondern jedes Mal, wenn einem ein neuer Wunsch einfällt, kriegt der andere noch einen obendrauf erfüllt. Mit Verantwortung hat das nichts zu tun. ({8}) Heute wickelt die eine Hälfte von Ihnen die eigene Parteigeschichte ab, inklusive Franz Müntefering, während sich die andere auf den volkswirtschaftlichen Resten ausruht, die dann noch übrig bleiben. Meine Damen und Herren, Sie haben 504 Mandate im Deutschen Bundestag. ({9}) Aber, ehrlich gesagt, in diesen 100 Tagen gab es noch keine einzige neue Idee. Sie beide vereint nicht etwa die Leidenschaft, Deutschland für das 21. Jahrhundert fit zu machen. Sie verteilen lieber leidenschaftlich, was Sie nicht bezahlen können. Sie bestellen; die Kinder und Enkel bezahlen. Sie machen Politik nach der Formel „Rente mit 70 minus 63 ist gleich Mütterrente“. Ich finde das absurd. Ich finde, das hat mit Zukunft nichts zu tun, und mit Verantwortung für die Zukunft erst recht nicht. ({10}) Das Ganze kostet, wie Sie wissen, 160 Milliarden Euro. Für die Schulsozialarbeit - ich glaube, keiner wird einen Deut daran zweifeln, wie wichtig sie ist - werden 400 Millionen Euro fehlen. Aber die Schüler dürfen nicht wählen, und die Kommunen und Länder nörgeln ja eh immer nur herum. ({11}) Ich habe den Eindruck, Sie vergessen völlig, worauf es eigentlich ankommt. Liebe SPD, es ging ganz fix: Zuerst war es noch ein zentrales Thema, dass die Kommunen und Länder unterstützt werden und wir in Bildung und Kinder investieren. Jetzt handeln Sie nach dem Motto „2018 reicht auch noch“. Das ist eine Mogelpackung, Frau Merkel. Sie unterstützen die Kommunen nicht, sondern Sie verschieben es auf die Zukunft, und Sie bauen gerade an den Stellen ab, wo es um diejenigen geht, die besonders viel Hilfe bräuchten. Deswegen sage ich Ihnen: Auch das hat nichts mit Verantwortung zu tun. ({12}) Die Wahrheit ist: Die Kommunen ächzen nach wie vor unter dem Verfall der öffentlichen Infrastruktur. Das Land lebt in Teilen von seiner Substanz. Vorhandene Straßen und Brücken müssen gelegentlich repariert werden. Ich weiß, dass Sie es komisch finden, wenn das eine Grüne sagt. Aber in diesem Punkt sind wir, ehrlich gesagt, ganz altmodisch: Erst repariert man etwas, bevor etwas Neues angeschafft wird. Das kann ja nicht so schwer sein. ({13}) Dass Sie vom Breitbandausbau reden, aber faktisch überhaupt nichts dafür tun, ist absurd. Das zeigt, dass es Ihnen auch ökonomisch und gesellschaftlich nicht um die Zukunft geht. Herr Dobrindt hat gesagt, er will lieber ein schnelleres Netz in den Bayerischen Wald bringen, statt zu twittern. Jetzt stellen wir fest: Herr Dobrindt twittert nicht, aber das schnelle Netz im Bayerischen Wald wird es leider auch nicht geben. ({14}) Ich habe das Gefühl, dass Herr Dobrindt sich ganz heimlich wahnsinnig doll um die Maut für Pkw kümmert, von der wir ewig lange nichts gehört haben. Ich bin sehr gespannt, wann Sie wirklich Internet- und Infrastrukturminister werden, Herr Dobrindt. ({15}) Innenpolitisch habe ich den Eindruck, Frau Merkel, Sie machen denselben Fehler wie Kohl in den 90ern: Sie regieren faktisch in der Komfortzone. Vielleicht sollte man auch das einmal in Erinnerung rufen: Zukunft ist nicht die nächste Legislaturperiode. Zukunft ist die Zeit, in der unsere Kinder Verantwortung für dieses Land übernehmen. Dass es in Ihren Fraktionen wenigstens noch ein paar junge Abgeordnete gibt, die Ansätze einer Kritik an diesen Verschiebebahnhöfen und dem kurzfristigen Verscherbeln äußern, ist jedenfalls ein kleiner Beweis dafür, dass es bei Ihnen noch ein bisschen Lebendigkeit gibt. In der letzten halben Stunde hatte ich allerdings, ehrlich gesagt, nicht das Gefühl, dass es hier sehr viel Wachheit und Leidenschaft gab. ({16}) Sie werden sagen: Die Leute mögen mich ja dafür. - Das mag sein, aber es reicht eben nicht, nur zu tun, was gerade gefällt. Können unsere Enkel eigentlich noch entscheiden, wo und wie sie leben wollen? Ist die Luft noch sauber genug? Ist der Wald hinter dem Haus eigentlich noch da, und kann man noch die berühmte Schlüsselblume sehen, außer bei Wikipedia? ({17}) - Sie finden das offenbar lustig. Ich finde es nicht lustig. Jeden Tag wird in Deutschland eine Fläche von über 100 Fußballfeldern mit Häusern und Straßen bebaut. Jeden Tag verschwinden zwischen 50 und 100 Arten. Da Sie das lustig finden, sage ich Ihnen: Nein, das ist nicht albern. Man kann nicht am Sonntag von der Bewahrung der Schöpfung reden und gleichzeitig die Massentierhaltung fördern ({18}) und in Brüssel gegen den eigenen Koalitionsvertrag und gegen den Willen einer übergroßen Mehrheit in Deutschland dafür sorgen, dass Genmais zugelassen wird. ({19}) Sie können dann nicht sagen: Es ist uns egal, dass das Zeug im Supermarktregal steht und nicht gekennzeichnet wird. Wenn Frau Hendricks und Herr Gabriel in der Klimapolitik so weitermachen, dann kann ich Ihnen nur empfehlen: Schauen Sie sich einmal die Berichte an. Schauen Sie sich einmal an, was uns die Wissenschaftler gerade wieder in das Stammbuch geschrieben haben. Wenn Sie so weitermachen, dann wird Olaf Scholz eines Tages, wenn er dann noch regiert, seinen Stadtstaat nur noch vom Schiff aus befahren können, weil er die Deiche gar nicht hoch genug bauen lassen konnte. ({20}) Die CO2-Emissionen steigen wieder. Wenn Sie so weitermachen, dann verfehlt Deutschland das Klimaziel von minus 40 Prozent nicht nur knapp, sondern krachend. Schwarz-rote Klimapolitik scheint vor allen Dingen dafür da zu sein, dass das Klima in der Koalition stimmt ({21}) und dass die Industrie es wirklich gut hat. Ein Klimaaktionsplan wurde angekündigt. Umsetzung? - Fehlanzeige! Eine Reform des Emissionshandels wurde angekündigt. Umsetzung? - Null! Die Kürzung der Mittel für den internationalen Klimaschutz um mehrere Hundert Millionen im Bundeshaushalt haben Sie allerdings ganz schnell umgesetzt. Ein dreistelliger Millionenbetrag für den internationalen Klima- und Umweltschutz ist einfach weg, einfach abgeräumt. Auch hier zeigen Sie echte Verantwortungslosigkeit. ({22}) Wenn die zentrale Maßnahme der Umweltministerin gegen steigende CO2-Emissionen in der Empfehlung an die Bürgerinnen und Bürger darin besteht, weniger zu heizen, dann merkt man: Frau Hendricks kennt den Koalitionsvertrag ganz gut. Sie weiß: Angesichts der Vorhaben dieser Regierung in Sachen Klimaschutz muss man sich als Bürgerin ziemlich warm anziehen. Dass sich angesichts dessen noch irgendjemand in Brüssel für schärfere EU-Klimaziele oder für eine echte Reform des Emissionshandels einsetzen wird, ist wahrhaft unwahrscheinlich. Diese Koalition ist direkt schlecht für das Klima. ({23}) Frau Merkel, Sie haben vom Technologievorsprung Deutschlands geredet. Da hätten wir ihn. Es ist aber völliger Quatsch, dass Arbeitsplätze wegfallen würden. Nein, sie entstehen erst durch die erneuerbaren Energien. Diesen Vorsprung könnten Sie tatsächlich zu einer großen Stärke Deutschlands machen. Aber im Moment räumen Sie ihn ab. Wir erinnern uns noch an die Zeit der ersten Großen Koalition. Frau Merkel und Herr Gabriel standen in roten Jacken vor Eisbergen. Damit sollte deutlich gemacht werden: Die Eisberge schmelzen. Aber die klimapolitischen Ambitionen sind gleich mit geschmolzen. Die rote Jacke hat ausgedient. Die Klimakanzlerin von 2007 sitzt warm und trocken, und der Umweltminister von damals schützt heute lieber angeblich bedrohte Industriezweige als real bedrohte Arten. Wir stellen uns Klimapolitik wirklich anders vor. ({24}) Es ist verantwortungslos, den Ausbau der Erneuerbaren zu deckeln, sodass sie gerade noch den Ausstieg aus der Atomkraft kompensieren. Wer sich die EEG-Reform anschaut, redet nur noch von einem Reförmchen. Das ist übrigens nicht meine Formulierung. Diese können Sie heute in allen Zeitungen lesen. Das Ganze ist in Wirklichkeit in erster Linie das, was Sie immer wollten, nämlich eine Bestandsgarantie für die dreckige Kohle. Diese sollen wir weiterhin fördern. Nein, eine echte Energiewende, eine echte Energierevolution sieht anders aus. Das trauen Sie sich nicht. Auch damit verscherbeln Sie die Zukunft. ({25}) Herr Gabriel, jetzt ist die Maske gefallen. Sie wollen so tun, als seien Sie der große Manager der Energiewende. Jetzt stellt sich heraus: In Wahrheit sind Sie der energischste Lobbyist der Manager. Kleine Leute zahlen bei Ihnen die Rechnung. Sie haben kaum mehr als 100 Tage gebraucht, um zum Genossen der Bosse zu werden. Sie haben kaum mehr als 100 Tage gebraucht, um solche Sätze zu sagen wie den: 40 Euro, das wird ja wohl niemandem etwas ausmachen. - Doch ich sage Ihnen: Es macht gerade den kleinen Leuten etwas aus. Dass die Industrie heute über die Ausnahmen, die Sie ihr garantiert haben, jubelt, zeigt genau, dass Ihre Energiewende nicht nur eine klimapolitische Schieflage hat, sondern auch eine soziale Schieflage. Manchmal wünscht man sich schon Peer Steinbrück zurück, der gegenüber den Industrieleuten wenigstens einmal klare Kante zeigt. ({26}) Dazu passt dann auch ganz gut, dass Sie ein Machtwort sprechen, wenn es um die Frauenquote geht. Das passt perfekt ins Bild. Frau Schwesig darf jetzt nett über Leitlinien reden, weil Ihnen die Jungs von der Industrie gesagt haben, dass ihnen die Frauenquote wirklich nicht passt. Die Frauen haben lange genug gewartet, es ist endlich an der Zeit, dass die Quote kommt. Frau Schwesig, nehmen Sie bitte Ihren Mumm zusammen, und kämpfen Sie dafür! Reden Sie nicht mehr weiter darüber! Es ist genug geredet worden. Wir wollen endlich Taten sehen, wenigstens an dieser Stelle. Das kostet noch nicht einmal etwas. ({27}) Ich habe den Eindruck, dass hier so eine Art Grundkonflikt besteht. Nutzen Sie eigentlich Ihre große Mehrheit nur für den Machterhalt, oder gibt es bei Ihnen eine Perspektive? Ich meine eine Perspektive nach dem Motto: Versöhnung zwischen ökologisch verantworteter Begrenzung und unaufgebbarer Freiheit in Wohlstand. Freiheit in Wohlstand - darum würde es nämlich eigentlich gehen. Ich gebe zu: Mir wären sogar ein paar Verbote ganz lieb. ({28}) Wir sind Exportland Nummer drei, was die Waffenexporte angeht. Panzer nach Saudi-Arabien und Katar. Beschämend ist das, und beschämend ist auch Ihr Feigenblatt von mehr Transparenz. Ich möchte gerne, dass es hier eine tatsächliche Wende gibt und dass wir davon absehen, Waffen in Länder zu exportieren, die weit weg von Demokratie und dem sind, was wir mit Menschenrechten und Menschenwürde verbinden. Hier wäre nun wirklich ein Verbot sehr sinnvoll. ({29}) Ich sage Ihnen auch: Wenn Sie einerseits über Energiesicherheit und über Unabhängigkeit reden, aber im gleichen Atemzug den Verkauf des größten Gasspeichers in Westeuropa ausgerechnet an die Firma Gazprom genehmigen, dann ist das unglaubwürdig, dann ist das absurd. Wenn Sie an solchen Stellen nicht glaubwürdig werden, dann ist es auch mit der Außenpolitik, die ich an dieser Stelle wirklich überzeugend fand, auf einmal sehr schwierig. Dann wird nämlich hinten wieder eingerissen, was man vorne eigentlich richtig gemacht hat. ({30}) Ich habe das Gefühl, Sie sind inzwischen so zufrieden auf der Regierungsbank, dass Ihnen auch Visionen abhandengekommen sind, die Vision eines modernen Staates zum Beispiel, der Wohlstand mit Anstand und Zukunft mit Schonung verbindet. Angesichts des Kräfteverhältnisses im Deutschen Bundestag haben Sie nicht nur die Möglichkeit, sondern Sie haben doch eigentlich die Pflicht und die Verantwortung, die Zukunft nicht zu verscherbeln. Stattdessen nörgeln Sie lieber ein bisschen herum, einmal am Verfassungsgericht, ein anderes Mal an Griechenland oder an denen, die wenigstens den Mund aufmachen. Ich finde, dieses Land hat etwas anderes verdient. ({31}) Wenn wir in diesen Tagen und Stunden in Richtung Ukraine blicken, dann stellen wir fest, dass unsere Sorgen nicht kleiner geworden sind. Wahrscheinlich hoffen wir hier alle gemeinsam, dass die Ukraine mit dem 25. Mai und demokratischen Wahlen Stabilität erlangt, nicht mehr Spielball geopolitischer Interessen ist und ökonomisch auf die Beine kommt. Eigentlich ist es tragisch, dass es erst so eine außenpolitische Krise brauchte, damit allen wieder klar wird, was der Wert Europas eigentlich ist, dass Europa für viele Menschen gerade am Rande der EU eine Verheißung ist und kein Zweckbündnis, das einmal nützt und einmal nicht. Dass Sie lieber Abwehrschlachten gegen stärkere CO2-Reduzierung, bei den Grenzwerten für die Pkw, gegen ambitionierte Klimaschutzziele und, und, und geliefert haben, zeigt, dass wir an dem Europa, das wir eigentlich wollen und für das wir eigentlich stehen, lange genug mit dieser Regierung vorbeigeredet haben. Jetzt ist Europa plötzlich als Friedensmacht gefordert. Sie merken, eine ausschließlich utilitaristische Haltung zu Europa einzunehmen, funktioniert nicht, wenn europäische Werte gefragt sind. Wer ein Europa will, das auch machtpolitisch ernst genommen wird, der muss dafür sorgen, dass dieses Europa stark ist, statt am Ende doch noch nach der NATO zu rufen. Es ist eben keine kohärente Politik, wenn die Verteidigungsministerin die ganze Zeit mit ihrer Militärrhetorik das Krisenmanagement unterwandert, das der Außenminister diplomatisch auf europäischer Ebene betreibt. Diese Krise, Frau von der Leyen, taugt nicht zur regierungsinternen Selbstdarstellung. Bleiben Sie dabei, für ein starkes Europa und für eine friedliche Lösung zu kämpfen. ({32}) Wo wir schon von europäischen Werten sprechen: Jedes Jahr fliehen Tausende Menschen nach Europa. Im Mittelmeer ertrinken andere bei dem Versuch, Sicherheit zu finden. In der letzten Nacht wurden mehr als 1 000 Menschen gerettet - zum Glück. In Syrien tobt seit drei Jahren ein fast schon vergessener Bürgerkrieg. Ein Drittel der Bevölkerung Syriens ist auf der Flucht. Sie sollten darüber reden, was wir tun können, um diesen Menschen zu helfen. Wir sind immer noch bei gerade einmal 10 000 Kontingentflüchtlingen aus Syrien. Im Libanon ist in der vergangenen Woche der einmillionste Flüchtling aufgenommen worden. Die Türkei ist schon nah an dieser Grenze. Nur einmal zum Vergleich - weil Sie immer sagen, wir nähmen ja schon so viele auf -: Wenn wir im gleichen Verhältnis wie Libanon und Türkei Flüchtlinge aufnähmen, dann würden wir hier über 18 Millionen Flüchtlinge reden. Ich sage Ihnen: Gemessen daran sind die Anstrengungen der Bundesregierung nicht mehr als ein schlechter Witz. ({33}) Das ist nicht Ausdruck der internationalen Verantwortung, von der Sie immer so gern reden. Sehen Sie endlich der humanitären Verpflichtung und der Realität ins Auge. Reden Sie mit den Ländern und Kommunen. Herr Steinmeier, was nun wirklich gar nicht geht und was Sie dringend aufklären müssen, ist, ob es wirklich Missbrauch, ob es wirklich Bestechung bei der Terminvergabe in deutschen Vertretungen gab. Falls ja, dann muss hier sehr schnell gehandelt werden. ({34}) Meine Damen und Herren, mehr tun und weniger Politik antäuschen, das würde ich mir auch wünschen, wenn es um die großen Skandale geht, die wir unter den Kürzeln „NSU“ und „NSA“ kennen. 104 Tage dauert der NSU-Prozess jetzt. Frau Merkel, Sie haben in Ihrer Gedenkrede vor den Hinterbliebenen rückhaltlose Aufklärung zugesagt, und Sie haben versprochen, alles zu tun, damit sich so etwas nie wiederholen kann. Ich nehme Ihnen ab, dass Sie diese Worte ehrlich gemeint haben. Nur: Es gibt bis heute weder eine neue Sicherheitsarchitektur, noch wurden der strukturelle Rassismus und die Blindheit auf dem rechten Auge in den Sicherheitsbehörden geheilt. Wir haben hier noch eine echte Hausaufgabe, und ich verlange von Ihnen, dass Sie sie angehen und dass Sie sie nicht „wegschwurbeln“ nach dem Motto: Es wird ja hoffentlich nichts wieder passieren. ({35}) Die Sicherheitsbehörden wurschteln weiter vor sich hin. Selbst Ihr Koalitionspartner CSU macht immer wieder weiter mit Scharfmacherei. Gestern, am Internationalen Roma-Tag, haben wir gehört, in welchem Ausmaß Sinti und Roma bei uns in Europa und darüber hinaus diskriminiert, beschimpft und verfolgt werden. Angesichts dessen klingt der Satz „Wer betrügt, der fliegt“ noch zynischer, noch kälter. ({36}) Dieser Satz hat nichts mit Menschenwürde zu tun. Hören Sie damit auf, und fangen Sie an, Rassismus zu bekämpfen, weil es um die Menschenwürde aller geht. ({37}) Dazu gehört es dann auch, dass man bei der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts eben nicht wieder nur den halben Weg geht. Willkommenskultur, das heißt doch „Ihr seid wirklich willkommen“. Wir dürfen nicht wieder Staatsbürgerschaften erster und zweiter Klasse schaffen. Deswegen sage ich Ihnen klar und deutlich: Lassen Sie den Optionszwang komplett fallen! Erst dann haben wir eine Willkommenskultur. Erst dann können wir sagen: Ja, wir leben hier zusammen. Wir tun das gern, weil wir etwas voneinander haben. ({38}) Im Innenausschuss mussten wir von Herrn Ziercke erfahren, dass das BKA heute so aufgestellt ist, dass die rechte Hand nicht so genau weiß, was die linke tut. Jede Woche gibt es etwas Neues, immer mehr Chaos. Frau Merkel, was haben Sie eigentlich getan, als bekannt wurde, dass Ihr Handy und die Telefonate und E-Mails von Millionen von Deutschen abgehört wurden? Sie haben heute hier dargestellt, es sei sehr kompliziert, das alles europäisch zu regeln. Was haben Sie getan? Sie haben eine platonische Brieffreundschaft mit den USA und mit Großbritannien begonnen. Wir wissen: Sie schreiben, aber niemand antwortet. Dieser Skandal muss aufgeklärt werden. Ich bin heilfroh, dass wir jetzt den NSA-Untersuchungsausschuss haben. Ich sage Ihnen: Es ist ein harter Job, dafür zu sorgen, dass die Rechte der Bürgerinnen und Bürger auf Selbstbestimmung, auf Geheimnis, darauf, dass sie über ihre eigenen Daten verfügen können, in diesem Land wiederhergestellt werden. Deswegen ist es richtig, dass Herr Snowden aussagt. Deswegen ist es richtig, dass wir aufklären, mit aller Kraft und mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen. Wir dürfen uns nicht zurückziehen und sagen, das sei kompliziert, sondern wir müssen unsere Energie dafür einsetzen und sagen: Ja, das wollen wir, und zwar bei aller Freundschaft. ({39}) Gestern war - das kann man nicht anders sagen - ein großer Tag für die Bürgerrechte. Allen Hardlinern, die so gerne davon reden, dass man durch die Vorratsdatenspeicherung die Sicherheit erhöhen würde, sage ich: Die Vorratsdatenspeicherung war falsch, ist falsch und bleibt falsch. Wir sind froh, dass der Europäische Gerichtshof sehr deutlich gemacht hat, dass die anlasslose Speicherung von Millionen von Daten nicht geht, dass sie nichts mit Bürgerrechten zu tun hat. Ich bin sehr froh, dass der Europäische Gerichtshof dieses Zeichen für Bürgerrechte und Freiheit kurz vor der Europawahl gesetzt hat. Heute stehe ich hier und kann sagen: Auch deswegen, wegen der Freiheit, bin ich stolz, eine Europäerin zu sein. ({40}) Es macht wirklich keinen Sinn, jetzt nationale Alleingänge zu starten. Meine Damen und Herren, wenn man sich den Streit um das Rentenpaket in Ihrer Koalition vor Augen führt, muss man sagen: Bei diesem Paket und auch bei dem Streit, den Sie darüber führen, vergessen Sie diejenigen, die wirklich Unterstützung brauchen. Sie vergessen die kommenden Generationen, lassen die Krankenschwester und den Zahntechniker aber brav ihre Beiträge zahlen. Sie vergessen diejenigen, die 30 Jahre lang wirklich hart gearbeitet haben und nun nicht mehr können. Sie verfahren nach dem Motto „Nach mir die Sintflut“. Die Folgen Ihrer Politik verschieben Sie auf das Jahr 2018; dann wird es ja irgendwie weitergehen. Ich sage Ihnen: Das ist nichts, Frau Nahles, worauf man stolz sein kann. Da fehlen die Fachkräfte. Da fehlt die Unterstützung für diejenigen, die ganz draußen sind. ({41}) Meine Damen und Herren, gestern haben Sie gesagt, die Union wolle gegenüber der SPD vertragstreu sein. Mir wäre es lieber, Sie wären vertragstreu gegenüber denen, die es wirklich nötig haben: gegenüber unseren Kindern und Enkeln, gegenüber der Umwelt und dem Klima, gegenüber all denen, die wirklich etwas riskieren, hart arbeiten und Verantwortung für sich und andere übernehmen. Die alle werden nämlich nicht fragen: „Habt ihr euch in der Großen Koalition damals gut verstanden?“, sondern die werden fragen: Habt ihr eigentlich auch an uns und unsere Zukunft gedacht? Deswegen: Übernehmen Sie Verantwortung, meine Damen und Herren! ({42})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die SPD-Fraktion erhält nun Thomas Oppermann das Wort. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer Frau Katrin Göring-Eckardt eben aufmerksam zugehört hat, der konnte den Eindruck gewinnen, dass sich unser Land im Augenblick in einem ausgesprochen schlechten Zustand befindet. ({0}) Da haben Sie, Frau Göring-Eckardt, an der Wahrnehmung der allermeisten Menschen in diesem Lande komplett vorbeigeredet. ({1}) Sie haben kein Wort zur wirtschaftlichen Situation verloren. ({2}) In der Tat, wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der Wende, gleichzeitig den höchsten Stand der Beschäftigung. ({3}) Wir haben Überschüsse in allen Sozialversicherungen. Wir haben die höchsten Steuereinnahmen in der Geschichte dieses Landes. ({4}) Bund, Länder und Unternehmen zusammen geben in diesem Jahr 80 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus. Auch wenn ich weiß, dass damit nicht alle Probleme in diesem Land schon gelöst sind - die Wahrheit ist doch: Dieses Land steht augenblicklich ausgesprochen gut da, meine Damen und Herren. ({5}) So etwas zu sagen - ich weiß das aus eigener, noch gar nicht so lange zurückliegender Erfahrung -, fällt in der Opposition schwer, ({6}) aber Sie hätten allen Grund gehabt, darauf hinzuweisen; denn, Frau Göring-Eckardt, Sie waren bei den Grünen doch schon einmal Fraktionsvorsitzende, nämlich als Rot-Grün vor zehn Jahren die Arbeitsmarktreformen ganz entschlossen angepackt hat. ({7}) Sie haben einen ganz wesentlichen Anteil daran, dass dieses Land heute wirtschaftlich so stark ist. ({8}) Ich finde, auch die Grünen können sich einmal über die wirtschaftlichen Erfolge in diesem Land freuen. ({9}) Jetzt kommt es darauf an, alles dafür zu tun, ({10}) dass diese wirtschaftliche Stärke erhalten bleibt, und dafür zu sorgen, dass alle Menschen davon profitieren. Wir wollen, dass alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland an der ökonomischen Stärke teilhaben können, meine Damen und Herren. ({11}) Dass es uns im Augenblick so gut geht, ist keineswegs selbstverständlich. Die Krise auf der Krim hat uns gezeigt, wie schnell die Stabilität in Europa in Gefahr geraten kann. Russland hat auf der Krim eigenmächtig Grenzen verschoben. Das war ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht. Trotzdem oder gerade deshalb ist es gut, dass die internationale Gemeinschaft auf Verhandlungen und Diplomatie setzt, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Konflikte können militärisch entschieden werden; aber sie können nicht mit militärischen Mitteln gelöst werden. ({12}) Deshalb bin ich froh, dass die Bundeskanzlerin und Bundesaußenminister Steinmeier von Anfang an klargemacht haben: Es gibt keine militärischen Optionen. ({13}) Dieser Konflikt muss mit diplomatischen und politischen Mitteln bearbeitet werden, zum Beispiel mit den direkten Verhandlungen, die die Bundeskanzlerin angesprochen hat. Die Menschen in der Ukraine kämpfen gegen Korruption und Gewalt. Sie kämpfen für Demokratie und für freie Wahlen. Ich wünsche mir, dass sie am 25. Mai in der Ukraine diese freien Wahlen ohne Störungen, ohne Behinderungen durchführen können und dass die Einheit ihres Landes erhalten bleibt. ({14}) Angesichts dieser existenziellen Fragen, mit denen sich die Ukrainer auseinandersetzen müssen, empfinde ich es - ich weiß nicht, wie es Ihnen geht - schon als einen gewissen Luxus, dass wir hier und heute im Bundestag die Vorlage eines strukturell ausgeglichenen Haushalts beraten dürfen; ich glaube, das sollte man auch einmal erwähnen. Dieser Haushalt ist nicht selbstverständlich. Das ist eine Zäsur. Darauf mussten die Bürgerinnen und Bürger 46 Jahre lang warten. 46 Jahre haben wir neue Schulden aufgetürmt. Damit ist jetzt Schluss. Das ist eine ganz klare Botschaft an die jungen Menschen in diesem Land: Wir wollen damit aufhören, Politik auf dem Rücken der jungen Generation zu machen. ({15}) Ich bedanke mich bei Bundesfinanzminister Schäuble, dass er uns einen solchen Haushalt vorgelegt hat. Dafür müsste er eigentlich eine John-Maynard-Keynes-Medaille bekommen, wenn es so etwas gäbe. Wir schaffen angesichts des hohen Schuldenstandes zwar keine echten Reserven, ({16}) aber wir tun in wirtschaftlich guten Zeiten das Mindeste, was wir tun können: Wir legen einen ausgeglichenen Haushalt vor, damit wir in schlechten Zeiten auch wieder handlungsfähig sein können. ({17}) Auf diese Weise hat die letzte Große Koalition - darauf ist schon hingewiesen worden - entscheidend dazu beigetragen, dass wir heute wirtschaftlich stark sind. Ich möchte ganz besonders Peer Steinbrück und Olaf Scholz erwähnen. Ihnen haben wir es zu verdanken, dass Deutschland in der Krise von 2009 seine industrielle Basis behalten hat. Ohne Kurzarbeitergeld und Konjunkturprogramm wäre vieles unwiederbringlich verloren gegangen. Gut, dass wir das verhindert haben. ({18}) Wir sollten aber natürlich auch nicht vergessen, dass jetzt ein strukturell ausgeglichener und im nächsten Jahr ein vollständig ausgeglichener Haushalt nicht allein das Verdienst der Bundesregierung und der Politik sind; denn wir profitieren zweifellos auch von der Schwäche der anderen. ({19}) Wir profitieren von historisch niedrigen Zinsen durch die Euro-Krise. Statt wie in 2008 40 Milliarden Euro zahlt der Bund in 2014 voraussichtlich nur noch 30 Milliarden Euro Zinsen. Das sind zwar 25 Prozent weniger, aber es sind immer noch 10 Prozent der gesamten Steuereinnahmen des Bundes. Mit anderen Worten: 10 Prozent der Steuereinnahmen führen wir direkt an Kapitalanleger ab, die jahrzehntelang von wachsender Staatsverschuldung profitiert haben. Diese Art der Umverteilung können wir in Zukunft beenden. ({20}) Egal wie die jeweilige ökonomische Theorie zum Schuldenmachen ausfällt: Faktisch verengen Schulden und Zinsen den Spielraum für die gesamte Politik. Sie begrenzen die Handlungsfähigkeit des Staates. Wir wollen einen handlungsfähigen Staat. Deshalb ist ein ausgeglichener Haushalt ein Haushalt für die Zukunft dieses Landes. ({21}) Wir sagen Ja zur Schuldenbremse. Aber die Schuldenbremse darf keine Investitionsbremse werden. ({22}) Über die schwarze Null kann sich die schwäbische Hausfrau nur dann richtig freuen, wenn ihr Haus auch in Schuss ist. Ein ausgeglichener Haushalt und öffentliche Investitionen sind kein Widerspruch. Beides ist gleichzeitig möglich, wenn wir Haushaltsüberschüsse erwirtschaften und sie in die richtige Richtung lenken. Das tun wir. Wir investieren in dieser Legislaturperiode 6 Milliarden Euro mehr in Bildung, 3 Milliarden mehr in Forschung, 5 Milliarden Euro für die öffentliche Verkehrsinfrastruktur und 700 Millionen Euro in den Städtebau. Wir entlasten Länder und Kommunen, ({23}) damit sie selber wieder in die Lage kommen, in Bildung und Infrastruktur zu investieren. Ich sage ganz klar: Die 6 Milliarden Euro, die wir den Ländern für die Entlastung in den Bereichen Kita, Bildung und Hochschule zugesagt haben, brauchen sie dringend; denn die Länder haben es natürlich schwerer als der Bund, zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen. Im Bund haben wir eine Personalkostenquote von gut 8 Prozent; in den Ländern haben wir eine Personalkostenquote von gut 38 Prozent. Mit anderen Worten: Niemand will, dass die Länder für die Haushaltskonsolidierung Polizeibeamte, Lehrer oder Professoren nach Hause schicken. Sie müssen diesen Personalbestand erhalten, teilweise sogar aufbauen. Das sollten wir berücksichtigen und dafür sorgen, dass dieses Geld möglichst bald zu den Ländern kommt. ({24}) Wenn es neue Spielräume im Haushalt geben sollte, müssen wir über ihre Verwendung reden. Ich plädiere dafür, dass wir dann Prioritäten setzen. Dazu gehören für mich Investitionen in eine moderne Infrastruktur und in bessere Bildungschancen. Was die Infrastruktur angeht: Die 5 Milliarden Euro reichen vermutlich nicht aus für eine durchgreifende Verbesserung der Situation. Deshalb möchte ich Herrn Dobrindt, der im Augenblick nicht anwesend ist, zurufen: Wenn Sie den schnellstmöglichen Weg wählen, die Einbeziehung der Bundesstraßen in die Maut zu erreichen, dann haben Sie dabei die volle Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion. ({25}) Im Übrigen warten unsere Kommunen auf weitere Entlastung durch die Reform der Eingliederungshilfe. Schließlich sind wir uns auch darüber einig, dass es in dieser Wahlperiode eine BAföG-Erhöhung geben muss. Es kann nicht sein, dass wir 10 Milliarden Euro für die Rente verwenden, aber am Ende kein Geld für BAföG haben. Das muss zur Verfügung stehen, meine Damen und Herren. ({26}) Viele Menschen wundern sich beim Blick auf ihren Gehaltszettel, wie wenig Geld von einer Lohnerhöhung übrig bleibt. Der Grund dafür ist die Steuerprogression. Sie ist übrigens eine Errungenschaft des modernen Staates, weil sie ganz im Sinne der sozialen Marktwirtschaft sicherstellt, dass die starken Schultern mehr tragen als die schwachen, und weil sie dadurch die Kluft zwischen den Gewinnern und Verlierern unserer Gesellschaft verkleinert. Aber wenn die Progression so gestaltet ist, dass Lohnerhöhungen für Facharbeiter nach Abzug der Steuern gerade zum Erhalt der Kaufkraft reichen, dann ist das weder fair noch gerecht. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir über den Abbau der kalten Progression reden müssen, aber - das sage ich mit Blick auf die Debatte, die wir gestern hatten - ohne solide und vollständige Gegenfinanzierung wird das nicht möglich sein. Auf keinen Fall wollen wir, dass nach einer Tarifreform weniger Geld für Investitionen, Bildung, Infrastruktur und kommunale Entlastung zur Verfügung steht. ({27}) Wir brauchen beides: ein gerechtes Steuersystem und Investitionen für die Zukunft. Meine Damen und Herren, in den ersten hundert Tagen haben die Ministerien gute Arbeit gemacht; in den nächsten hundert Tagen wird das Parlament die Hauptrolle spielen. Wir werden ein halbes Dutzend wichtiger Gesetze beraten und verabschieden. Gestern hat das Kabinett die EEG-Reform beschlossen. Bei dieser Reform geht es um nichts weniger als die Akzeptanz der Energiewende. Ich sage: Wenn wir mit der Reform weiter zugewartet hätten, dann wäre absehbar gewesen, dass dieses Jahrhundertprojekt im Volkszorn der Verbraucher und in der Wut über die Abwanderung industrieller Arbeitsplätze untergegangen wäre. Ich bin deshalb froh, dass Sigmar Gabriel das verhindert hat. ({28}) Er hat es geschafft, gegenüber einer Vielzahl von Partikularinteressen das allgemeine Wohl durchzusetzen. Er hat es geschafft, gegen die Europäische Kommission die Industrierabatte zu verteidigen. Frau Göring-Eckardt, das hat doch nichts mit Lobby für die Industrie zu tun. ({29}) Das ist Lobby für hochwertige industrielle Arbeitsplätze in Deutschland. ({30}) Ich lade Sie gerne zu einer Personalversammlung eines Unternehmens ein, das stromintensiv produziert und im internationalen Wettbewerb steht. ({31}) Dann können Sie diese Thesen ja noch einmal vortragen. Wir begrenzen den Anstieg der Strompreise für Verbraucher und erhalten die Fähigkeit der stromintensiven Industrie, zu wettbewerbsfähigen Bedingungen in Deutschland weiter zu produzieren. Das hinzubekommen, war gewiss ein politischer Kraftakt. Dafür danke ich dem Wirtschaftsminister. ({32}) Schon in der letzten Woche hat das Kabinett mit dem Mindestlohn eines der wichtigsten Projekte aus dem Koalitionsvertrag auf den Weg gebracht. Der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro bedeutet für Millionen von Menschen in diesem Land eine ganz spürbare direkte Verbesserung ihres Lebens. Die meisten der 4 Millionen Menschen, die weniger als 8,50 Euro verdienen, bekommen die größte Lohnerhöhung ihres Lebens. Aber nicht nur das: Ihrer Arbeit werden Wert und Würde zurückgegeben. ({33}) Dass wir jetzt für alle Arbeitnehmer eine gesetzliche Lohnuntergrenze bekommen, ist eine der wichtigsten Sozialreformen der letzten Jahrzehnte. Der Mindestlohn gehört in eine lange Reihe fortschrittlicher sozialer Gesetze in Deutschland. Das begann 1883 mit der Absicherung im Krankheitsfall; 1927 gab es die Absicherung bei Arbeitslosigkeit. 1957 kam die dynamische Rente. 1995 kam der Schutz bei Pflegebedürftigkeit, der jetzt von Gesundheitsminister Gröhe und der Koalition auf eine neue Stufe gehoben wird. Diese Reformen sollten die Arbeitnehmer dort schützen, wo sie der freie Markt nicht schützt. Jetzt ergänzen wir die soziale Marktwirtschaft um einen Schutz, der bisher gefehlt hat: der Schutz vor Hungerlöhnen, vor Löhnen, bei denen man den ganzen Tag arbeiten muss, von denen man aber nicht leben kann. Diese Löhne wird es in Zukunft nicht mehr geben. Ich bedanke mich bei Andrea Nahles dafür, dass sie das so schnell vorangetrieben hat. ({34}) In der Gesetzesberatung werden wir alles besprechen. Aber wir sollten nicht so tun, als könnten wir einfach ganze Branchen oder Altersgruppen vom Mindestlohn ausnehmen, ohne dass neue grobe Verzerrungen auf dem Arbeitsmarkt herbeigeführt würden. Dann entwickeln findige Unternehmer daraus sofort wieder ein Geschäftsmodell. Solche Anreize wollen wir nicht. Diese Anreize wollen übrigens auch die Arbeitgeber nicht: Ein Unternehmer, der ordentliche Löhne zahlt, will keine Konkurrenz durch Unternehmer, die mit Billiglöhnen arbeiten. ({35}) Gesetzliche Mindestlöhne und Tarifverträge sorgen für fairen Wettbewerb und gute Sozialpartnerschaft. Beides wollen wir stärken. Genauso wie der Mindestlohn ist auch das Rentenpaket ein Gebot der Gerechtigkeit und des Respekts. Denn eine erfolgreiche Wirtschaft hängt nicht nur davon ab, dass wir kreative Unternehmer und eine hohe Produktivität haben, sondern sie hängt auch davon ab, dass die Menschen das Gefühl haben, dass es in diesem Lande fair und gerecht zugeht. Deshalb schließen wir mit der Mütterrente eine Gerechtigkeitslücke. Wir wollen, dass die Lebensleistung von Müttern nicht nur in Sonntagsreden gewürdigt, sondern auch finanziell honoriert wird. ({36}) Das gilt auch für die Langzeitarbeitnehmer. Von allen Menschen, die 2012 in Altersrente gegangen sind, taten dies 39 Prozent bis zum Alter von 63. Dabei nehmen sie zum Teil erhebliche Abschläge bei ihrer Rente in Kauf. Wer im Alter von 63 dann schon 45 Jahre gearbeitet hat, der empfindet solche Abschläge als eine ganz grobe Ungerechtigkeit. Viele von denen haben schon mit 15 oder 16 zu arbeiten begonnen. Diesen Arbeitnehmern wurde nichts geschenkt. Die mussten hart arbeiten, und deshalb wollen wir, dass sie jetzt nach 45 Beschäftigungsjahren schon mit 63 eine abschlagsfreie Rente bekommen. ({37}) Ich finde, wir sollten damit aufhören, Menschen, die 45 Jahre gearbeitet haben, als „potenzielle Frührentner“ zu bezeichnen. Viele von denen haben länger gearbeitet als die, die regulär in Rente gehen. ({38}) Ich sehe nicht die Gefahr einer Entlassungswelle; die darf und wird es nicht geben. Erstens haben die Arbeitgeber es selber in der Hand. Ich glaube nicht, dass sie erfahrene und qualifizierte Arbeitnehmer vor Renteneintritt in die Arbeitslosigkeit schicken. Zweitens werden wir im parlamentarischen Verfahren dafür sorgen, dass es keine Vorteile bringt, wenn Arbeitnehmer zwei Jahre vor der Rente freiwillig in die Arbeitslosigkeit gehen. Drittens gibt es bei vielen den Wunsch, den Übergang von der Arbeit in die Rente zwischen 60 und 67 und auch in der Zeit danach flexibler zu gestalten. Wir sind bereit, gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen aus der Union dafür nach Wegen zu suchen; da sind wir gesprächsbereit. Es gilt natürlich das Struck’sche Gesetz: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es in ihn hineingekommen ist. Aber es gibt auch ein zweites Gesetz. Dieses Gesetz besagt: Kein Gesetzentwurf aus dem Kabinett darf in der parlamentarischen Beratung schlechter werden. ({39}) Es gilt sozusagen auch ein Verschlechterungsverbot. Daran werden wir uns orientieren müssen. ({40}) Wir beschränken uns aber nicht auf ökonomische Stärke und soziale Gerechtigkeit. Wir wollen auch, dass Deutschland ein modernes, tolerantes und weltoffenes Land bleibt. Mit dem Doppelpass und der Einführung einer Frauenquote in Aufsichtsräten schaffen wir Meilensteine im Staatsbürgerschaftsrecht und bei der Gleichstellung von Männern und Frauen. Darauf haben die Menschen in diesem Lande lange gewartet. ({41}) Ohne die doppelte Staatsbürgerschaft würden in den nächsten Jahren 400 000 junge Menschen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, zu einer schwerwiegenden Entscheidung gezwungen. Dabei haben viele von ihnen zwei Herzen in einer Brust. Zusammen mit der Integrationsbeauftragten Aydan Özoğuz bin ich der Meinung, dass die Integration in Deutschland erfolgreicher wird und besser gelingt, wenn wir die jungen Menschen nicht mehr zu dieser Entscheidung zwingen. ({42}) Justizminister Heiko Maas und Innenminister de Maizière haben dazu einen sehr guten und unbürokratischen Kompromiss erarbeitet. Die beiden Minister sind auch angesprochen, wenn es um das Thema Vorratsdatenspeicherung geht. Der Europäische Gerichtshof hat jetzt entschieden. Wenn sowohl das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht, als auch das höchste europäische Gericht die geltenden Formen der Vorratsdatenspeicherung verwerfen, dann sollten wir einen Moment innehalten und überlegen, was das bedeutet. Ich glaube, dass ein schneller nationaler Alleingang jetzt nicht die richtige Antwort ist. ({43}) Wir müssen genau überlegen, wie wir das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit bestimmen wollen. Wir müssen sehr sorgfältig überlegen: Wie viel Freiheit sind wir bereit herzugeben für mehr Sicherheit? Das ist die Grundlage, auf der wir jetzt miteinander sprechen müssen, wenn es darum geht, wie mit der Situation umzugehen ist. Ich bin sicher, dass wir am Ende eine gute Entscheidung treffen werden. Meine Damen und Herren, Manuela Schwesig ist die erste Frauenministerin in Deutschland, die mit der Mehrheit dieser Koalition eine gesetzliche Frauenquote für börsennotierte Unternehmen auf den Weg bringt. ({44}) Kleine und mittlere Unternehmen müssen sich künftig selbst verbindliche Vorgaben machen. - Jetzt müssten meine Freunde von der CDU/CSU eigentlich klatschen. ({45}) - Gut. - Für die einen gilt eine gesetzliche Regelung, für die anderen eine Selbstverpflichtung. Das Schöne daran ist: Wir können sehen, was besser funktioniert. ({46}) Die Unternehmen werden jetzt in einen Wettbewerb um die qualifiziertesten Frauen eintreten. ({47}) Ich sage Ihnen: Dieser Wettbewerb wird nicht scheitern; denn noch nie gab es so viele gut ausgebildete Frauen in Deutschland wie heute. ({48}) Meine Damen und Herren, den Kommunen, die derzeit mit steigenden Mieten und wachsenden sozialen Problemen zu kämpfen haben, sagen wir ganz klar: Wir lassen sie nicht im Stich! Deshalb haben wir schnelle Hilfen für die Städte verabredet, die sich allein nicht helfen können. Bauministerin Barbara Hendricks wird dazu die Mittel für das Programm „Soziale Stadt“ mehr als verdreifachen. Damit helfen wir auch den Städten, die von einer punktuell konzentrierten Zuwanderung besonders betroffen sind. Und, ja, wir brauchen in den großen Ballungszentren die Mietpreisbremse; nicht überall, aber wir brauchen sie dort, wo alteingesessene Mieter durch steigende Mieten aus ihrem Stadtviertel verdrängt werden. Wir brauchen sie dort, wo die soziale Mischung in unseren Städten bedroht ist. Und wir brauchen sie nicht zuletzt dort, wo Familien keine Wohnung mehr in der Nähe von Kita und Schule finden. Deshalb muss es in bestimmten Fällen die Möglichkeit geben, den dramatischen Anstieg der Mieten zu stoppen. Das tun wir. ({49}) Genauso müssen wir auf dem Markt der Immobilienmakler aufräumen. Dort gibt es eine große Ungerechtigkeit: Viele Menschen bezahlen Maklergebühren, obwohl sie nie in ihrem Leben einen Makler beauftragt haben. Hier führen wir jetzt das Prinzip „Wer die Musik bestellt, der bezahlt sie auch“ ein. Das ist soziale Marktwirtschaft. ({50}) In den nächsten Wochen und Monaten kommt einiges auf uns zu. Bis zur Sommerpause werden wir in den Ausschüssen und im Plenum intensiv über die Gesetzentwürfe beraten. Ich freue mich auf die Beratungen in der Koalition, auf die Beratungen mit Volker Kauder und mit Gerda Hasselfeldt. Ich glaube, die Große Koalition wird am Ende zeigen, dass wir auch bei schwierigen Gesetzen zu vernünftigen Kompromissen kommen. Das wird Deutschland ökonomisch stärker und moderner machen, und es wird das Leben der Menschen in diesem Lande Stück für Stück verbessern. Vielen Dank. ({51})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Volker Kauder ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zum Start dieser Großen Koalition und gestern in der Rede des Bundesfinanzministers zur Einbringung des Haushalts 2014 ist eine zentrale Botschaft dieser Großen Koalition immer wieder formuliert worden: Wir wollen durch unsere gemeinsame Arbeit in dieser Koalition erreichen, dass es den Menschen nach diesen vier Jahren besser geht als jetzt. Das ist ein ambitioniertes Ziel, weil - darauf hat Thomas Oppermann zu Recht hingewiesen - unser Land schon jetzt gut dasteht und weil es den Menschen schon jetzt objektiv und im Vergleich zu den Menschen in anderen Ländern in Europa und in der Welt gut geht. Was ist der Maßstab dafür, dass wir sagen können: „Es geht den Menschen besser“? Da kann man unterschiedliche Punkte formulieren. Ich glaube, der entscheidende Punkt ist, dass die Menschen Arbeit haben und die junge Generation Chancen hat und damit Jung und Alt, auch die mittlere Generation, jeder in unserem Land, durch eigene Arbeit ihr Leben gestalten können. Das ist es, was soziale Marktwirtschaft verlangt. Das hat etwas mit Würde zu tun. Dass jeder aus eigener Kraft sein Leben gestalten kann, das ist unser Ziel in dieser Großen Koalition. ({0}) Um das zu erreichen, brauchen wir unsere industrielle Basis. Die Bundeskanzlerin hat vorhin darauf hingewiesen, dass bei uns der industrielle Sektor noch gut 20 Prozent bei der Wertschöpfung ausmacht. Wenn man die Dienstleistungen, die zu diesem Bereich gehören, hinzurechnet, ist der Anteil sogar noch höher. Ich bin außerordentlich froh, dass Prognosen - daran sieht man übrigens, wie das mit Prognosen so ist -, die einmal aufgestellt worden sind, dass wir auf dem direkten und schnellen Marsch von der Industriegesellschaft in die Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft seien, Gott sei Dank nicht eingetreten sind. Überall in Europa können wir es beobachten: Dort, wo es mit dem industriellen Sektor nicht stimmt, geht es den Menschen nicht so gut wie bei uns in der Bundesrepublik Deutschland. ({1}) Deshalb ist es notwendig und wichtig, die wirtschaftliche Position, die wirtschaftliche Stärke unseres Landes zu erhalten. Die wirtschaftliche Stärke hängt natürlich von einigen Faktoren ab. Gerade in einem Industrieland ist die Energieversorgung zentral. Man schaut in der ganzen Welt auf uns, ob ein industrialisiertes Land wie Deutschland die Energiewende so hinbekommt, dass die Wirtschaft weiterhin gut laufen kann. Das ist wahrscheinlich eines der größten Vorhaben, das diese Große Koalition bewältigen muss. Erste Schritte wurden mit der Reform des EEG gemacht. Natürlich kann man sich wünschen, dieses oder jenes etwas schneller zu erreichen. Aber wir wissen in unserem Land doch nicht nur aus der Diskussion über das EEG, dass wir in diesem föderalen Staat nur dann gute Lösungen finden, wenn Bund und Länder zusammen zu einem Ergebnis kommen. In der letzten Woche gab es hier durchaus einen Durchbruch. Wenn wir dann in zwei Jahren zum Ausschreibungsmodell kommen, sieht die Situation beim EEG ohnehin noch einmal anders aus. Ich wünsche mir jetzt, dass im Gesetzgebungsverfahren auf jeden Fall - da stimme ich Thomas Oppermann zu - keine Verschlechterungen eintreten, sondern vielleicht noch Verbesserungen und dass jeder seinen Beitrag dazu leistet, dafür auch im Bundesrat die erforderlichen Mehrheiten zu bekommen. Wir haben in der letzten Legislaturperiode zweimal Anläufe genommen und hier im Bundestag Beschlüsse gefasst, um das EEG zu verändern und zu einer kostengünstigeren Situation zu kommen, und sind zweimal im Bundesrat gescheitert. Deswegen kann man es gar nicht hoch genug einschätzen, wenn es jetzt gelingt, die Länder mit ins Boot zu nehmen. ({2}) Eine der großen Sorgen nicht nur unserer Wirtschaftspolitiker in beiden Fraktionen, sondern von uns allen war, dass unsere wirtschaftliche Stärke durch Entscheidungen der EU-Kommission gefährdet werden könnte. Man hat es eigentlich gar nicht glauben können, dass sich eine EU-Kommission auf den Weg macht und diejenigen in Europa, die stark sind und damit ganz Europa mitnehmen können, womöglich schwächen will. Ich weiß, welch schwierige Verhandlungen das waren. Herr Wirtschaftsminister Gabriel, wir sind als CDU/CSUBundestagsfraktion sehr vorsichtig mit Lob vor allem an sozialdemokratische Wirtschaftsminister. Wir sind da sehr zurückhaltend. ({3}) Aber wir sind auch fair und anständig im Umgang miteinander. Deswegen sage ich Ihnen: Kompliment für das, was Sie in Brüssel für unsere Wirtschaft und für unser Land erreicht haben. ({4}) Die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass es wirtschaftlich weitergeht, heißt aber auch: Investitionen in die Zukunft. Wie die Zukunft unserer Wirtschaft aussieht, kann man sich in diesen Tagen auf der Messe in Hannover sehr genau anschauen. Bei aller Faszination über das, was man dort erleben kann, zum Beispiel wie Roboter miteinander umgehen, stellen sich aber auch große Fragen. Man fragt sich: Gelingt es uns in Deutschland, auch in Zukunftsbereichen und nicht nur in der klassischen Produktion Fuß zu fassen? Alles, was diese Roboter miteinander machen, was ihnen antrainiert wurde, wird von irgendwoher, von großen Rechenzentren aus gesteuert. Diese werden heute als Cloud bezeichnet, „Wolke“. Die Unternehmer sagen uns, dass es in Europa keine einzige Institution gibt, die Clouds in der notwendigen Größe zur Verfügung stellt. Dann ist man überrascht - vielleicht auch der eine oder andere von Ihnen -, wenn man hört, dass jemand, von dem man geglaubt hat, er sei ein digitaler Buchhändler oder Warenversender, der größte Cloud-Besitzer ist. Ich spreche dabei von Amazon. Amazon ist kein europäisches und schon gar kein deutsches Unternehmen. Die Wirtschaft braucht diese Unternehmen aber, damit die Abläufe funktionieren. Jetzt wird auf uns und vor allem auf den Bundesinnenminister die Frage zukommen: Wie kann man unVolker Kauder serer Wirtschaft helfen, damit das, was sich in der Cloud abspielt, auch sicher ist? Ich möchte darum bitten, dass wir uns alle folgende Frage stellen: Was können wir machen, damit es nicht nur ein oder zwei Monopolisten gibt, die diesen Markt beherrschen, sondern wir selber zum Zug kommen? Wer einen so starken industriellen Sektor hat, muss nach meiner Auffassung die digitalen Voraussetzungen schaffen, und zwar möglichst im eigenen Land, und darf nicht von anderen abhängig sein. Dafür müssen wir unsere ganze Kraft einsetzen. ({5}) Wir müssen für Sicherheit sorgen und Kraftanstrengungen unternehmen, um hier voranzukommen. Mit diesem Bundeshaushalt leisten wir einen Beitrag dazu, dass es den Menschen besser geht. Wolfgang Schäuble hat darauf hingewiesen, dass wir in dieser Legislaturperiode ein ambitioniertes Projekt haben, nämlich einen Haushalt ohne neue Schulden vorzulegen. Dieses Projekt beginnt in diesem Jahr. 2015, 2016 und 2017 stehen wir dann vor der großen Herausforderung, keine neuen Schulden zu machen. Lieber Wolfgang Schäuble, herzlichen Dank, dass dieser Weg gegangen wurde. Eines muss aber klar sein - das sage ich an die gesamte Koalition gerichtet -: Wolfgang Schäuble ist darauf angewiesen, dass wir alle mitmachen. Das kann nicht nach dem Motto geschehen: Da müht sich einer, einen Haushalt ohne Schulden zu machen, und andere überlegen, wie man neue Projekte in den Haushalt einbringen kann. - Deswegen sage ich zu, dass wir in diesen Haushaltsplanberatungen die Vorgaben nicht überschreiten werden. Wir werden eher versuchen, noch etwas weniger Ausgaben zu produzieren. Es ist die Aufgabe einer Regierungskoalition, einen solch erfolgreichen Weg zu unterstützen. Das werden wir auch tun. ({6}) Im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung - Wolfgang Schäuble hat völlig zu Recht darauf hingewiesen - spielt auch Zuverlässigkeit eine Rolle. Lieber Kollege Oppermann, man kann hier ruhig einmal sagen, dass die Zusammenarbeit mit Ihnen gut ist und wir unsere Projekte gut voranbringen. Allen Formulierungen in dem einen oder anderen Organ oder Magazin zum Trotz bin ich sicher: Wir werden diese Große Koalition zu einem genauso großen Erfolg führen wie die letzte. ({7}) - Frau Göring-Eckardt, es tut mir ja außerordentlich leid. Ich hätte mich genauso gefreut, wenn ich hätte sagen können, dass wir gut zusammenarbeiten. Aber Sie wollten nicht. Daher ist jetzt Schluss mit dem Thema. ({8}) Die Grünen mögen sich beruhigen. Wir können das nachher noch bilateral besprechen. Die Wirtschaft muss sich darauf verlassen können, dass sie die großen Investitionen, von denen ich vorhin gesprochen habe, auch finanziert bekommt. Nicht aus Jux und Tollerei, sondern um die Wirtschaft in diese Lage zu versetzen, haben wir gesagt: Das Geld muss in unseren mittelständischen Betrieben und in der Wirtschaft bleiben. Deshalb gibt es in dieser Legislaturperiode keine Steuererhöhungen. Denn alle Steuererhöhungen, auch eine Erhöhung des sogenannten Spitzensteuersatzes, schlagen bei den familiengeführten Unternehmen sofort durch. Deswegen sage ich es an dieser Stelle noch einmal: Es gibt in dieser Legislaturperiode keine Steuererhöhungen, weder bei der Einkommensteuer noch bei der Vermögensteuer oder der Erbschaftsteuer. ({9}) Das muss ich so klar betonen, um auf einen Punkt eingehen zu können: Ich teile die Auffassung, dass wir den Menschen bei der kalten Progression durchaus etwas zurückgeben könnten. ({10}) Das ist übrigens eine Auffassung, die Sie, lieber Thomas Oppermann, in der letzten Legislaturperiode bedauerlicherweise nicht geteilt haben. ({11}) - Augenblick, keine Aufregung! Wenn Sie diese Auffassung geteilt hätten, wären wir im Bundesrat letztes Jahr schon weiter gekommen. ({12}) Jetzt wird die Diskussion neu geführt. Ich sage in aller Bestimmtheit: Es wird, ganz egal, welches Projekt angedacht wird, auf keinen Fall eine Gegenfinanzierung durch Steuererhöhungen geben. Wer das will - ich habe das ein bisschen herausgehört -, muss seine Pläne gleich begraben. ({13}) Es nützt relativ wenig - darüber sollten wir uns vielleicht demnächst einmal unterhalten -, ständig zu sagen: „Wir könnten uns dies oder jenes vorstellen“, und dabei den heimlichen Dissens zu haben, dass die einen Steuererhöhungen wollen und die anderen nicht. Dann lassen wir das mit der kalten Progression lieber. Steuererhöhungen sind kein Ziel und keine Maßnahme. Wenn wir die kalte Progression abmildern und die Kommunen damit weniger Steuereinnahmen haben, darf man aber nicht jammern: „Die Kommunen brauchen Geld“, und erwarten, dass der Bund dies alles kompensiert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind bereit, den Kommunen zu helfen, und wir sind auch bereit, den Ländern zu helfen; wir haben dafür im Haushalt Mittel vorgesehen. Aber eines geht beim besten Willen nicht: dass man das austarierte System der Finanzierung durch Steuern im Föderalismus dieses Landes völlig auf den Kopf stellen will. Steuermehreinnahmen werden geteilt nach dem Schlüssel: 48 oder 49 Prozent bekommt der Bund, 52 oder 51 Prozent die Länder. Der Bund hat den kleineren Anteil, die Länder den größeren Anteil. Aber wenn es um Steuerentlastungen, um Steuersenkungen geht, heißt es gern: Da beteiligen wir uns nicht. - Man kann nicht bei Mehreinnahmen vom Verteilungsschlüssel profitieren, aber wenn es, wie bei der Abmilderung der kalten Progression, um Steuersenkungen geht, erwarten, dass der Bund alles kompensiert. Ich kann nur sagen: Eine solche Verschiebung dürfen wir nicht mitmachen; sonst kommt das gesamte System ins Wanken. ({14}) Da sind wir uns einig, lieber Thomas Oppermann; dann kann man das aber auch durch Beifall entsprechend zeigen. - Damit wäre dieser Punkt auch geklärt. Man muss bestimmte Dinge klarmachen, damit es da keine Probleme gibt. Der letzte Punkt, auf den ich noch zu sprechen kommen möchte: Damit es den Menschen besser geht nach diesen vier Jahren, muss es auch gerecht zugehen. In diesem Zusammenhang wird über das Thema Generationengerechtigkeit gesprochen. Auch beim Thema Generationengerechtigkeit kann man mehrere Faktoren ansprechen. Der erste Punkt für Generationengerechtigkeit ist, dass wir den jungen Menschen - es sitzen heute sehr viele junge Menschen auf der Tribüne - eine anständige Ausbildung ermöglichen; denn das ist die einzige Chance, dass sie nachher ein gutes Leben führen können. ({15}) Dafür sind - das haben wir im Rahmen der Föderalismusreform beschlossen - zunächst einmal die Länder zuständig. Der Bund ist bereit, einen Beitrag dazu zu leisten. Der ist aber nur denkbar, wenn wir uns auch inhaltlich beteiligen können. Die Länder können vom Bund nicht erwarten, dass er Geld gibt, sich aber ansonsten raushält. Das ist nicht der Weg, den wir hier im Deutschen Bundestag beschreiten können. ({16}) Die Ausbildung, auch über Universitäten, ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist, dass wir der jungen Generation die Möglichkeit geben müssen, ihre Vorstellungen von Politik und davon, wie sie leben wollen, auch umzusetzen. Das wird ohne Finanzmittel nicht gehen. Jetzt sage ich einmal Folgendes: Die Diskussion, die jetzt darüber geführt wird, in welchem Umfang die Rentenpakete die Chancen der jungen Generation beeinträchtigen, ist die eine Seite. Viel entscheidender als diese Rentenpakete, die natürlich auch finanziert werden müssen, ist aber, dass wir der jungen Generation nicht Jahr für Jahr neue Schulden aufladen; denn diese Schulden haben etwas Unangenehmes: Sie verlangen Zinsen und Rückzahlung; daran kann man nichts ändern. Deswegen sage ich: Bei aller Aufgeregtheit und auch bei manchem richtigen Hinweis in der Rentendebatte sollten wir klar und deutlich machen: Das, was Wolfgang Schäuble mit dem ausgeglichenen Haushalt vorlegt, hat mehr Bedeutung für die Generationengerechtigkeit als vieles andere. Das muss klar und deutlich so gesagt werden; da sollten wir uns überhaupt nicht irritieren lassen. ({17}) Ein Exportland mit einem großen industriellen Sektor wie Deutschland braucht natürlich Märkte. In diesem Zusammenhang wird oft über die Stärkung der Binnenkaufkraft gesprochen. Das ist auch okay. Du, Thomas, und ich, wir wissen aber, dass in unseren Heimatländern so viele Autos gebaut werden, dass man sie durch noch so viel Binnenkaufkraft gar nicht auf unseren Heimatmarkt bringen kann. Deswegen brauchen wir Märkte. Der europäische Markt spielt hier nach wie vor eine zentrale Rolle als Rückgrat unserer Exportnation. Es gibt natürlich den amerikanischen Markt, den chinesischen Markt und andere; aber wir brauchen ein festes Standbein, um nicht von diesen Märkten abhängig zu sein. Das ist mit ein Grund dafür, dass wir uns darum bemühen - im Übrigen durchaus erfolgreich -, Europa wieder flottzumachen. Das ist das zentrale Thema: Europa muss wieder wettbewerbsfähig werden. Man kann ja sagen: In der Vergangenheit sind Fehler passiert. Das gibt es. Wenn man Fehler aber mehrfach hintereinander macht, dann ist das kein Fehler mehr, sondern Dummheit. Ein entscheidender Fehler war, dass wir uns immer wieder nicht an die Regeln gehalten haben, die wir uns selber gegeben haben. Jetzt wird es endlich einmal Zeit, damit es auch jeder kapiert, dass die Regeln und Gesetze, die wir uns gegeben haben, auch eingehalten werden. Deshalb habe ich - Wahlkampf hin oder her - wenig Verständnis dafür, dass gerade der Präsident des Europäischen Parlaments mit solchen Regeln und Gesetzen etwas lax umgeht. Das sind falsche Signale an Frankreich. ({18}) Jedes Signal an Frankreich, dass man die Regeln nicht einhalten muss, wird doch in Griechenland und anderswo aufmerksam verfolgt. Deswegen kann ich nur sagen: Regeln, die man sich gegeben hat, müssen eingehalten werden. Nur so erreichen wir Zuverlässigkeit in einem notwendigen Prozess. ({19}) Ein letzter Punkt zum Thema Märkte: Auch das mit den Amerikanern weiter zu verhandelnde und noch abzuschließende Freihandelsabkommen ist bedeutend. Man kann jetzt darüber philosophieren, wie viele Arbeitsplätze das schaffen wird oder nicht. Wenn Freihandelsabkommen keinen Sinn hätten, dann hätte man sie mit anderen nicht geschlossen. Sie haben einen Sinn. Wir sind dabei, ein solches Abkommen mit anderen Ländern wie schon mit Japan abzuschließen; mit Amerika halte ich das auch für notwendig. Es ist aber auch klar, dass wir die Sorgen und Ängste, die in diesem Zusammenhang aufkommen, diskutieren und ernst nehmen müssen, dass wir mit den Menschen darüber reden müssen. Wir müssen auch klarmachen, was mit einem solchen Abkommen beabsichtigt ist. Wir dürfen die Argumentationshoheit nicht denen überlassen, die aus ideologischen Gründen gegen ein Freihandelsabkommen sind. Das darf auf keinen Fall geschehen. ({20}) Wir müssen die Sorgen ernst nehmen. Es ist richtig, das vor Ort zu erklären. Das können nicht allein Kommission oder Regierung machen. Vielmehr werden wir in unseren Wahlkreisen darauf angesprochen. Deswegen haben wir in der Koalition beschlossen, uns an der Diskussion offensiv zu beteiligen. Wir haben in der Koalition, zwischen SPD- und CDU/CSU-Bundestagsfraktion, eine Arbeitsgruppe vereinbart, in der Kolleginnen und Kollegen aus allen Bereichen sind, die mit diesem Thema zu tun haben, um uns in diesen Prozess einzuklinken und mit zu argumentieren. Wir werden dieses Thema nicht einer europäischen Verhandlungskommission überlassen. Es ist für unser Land viel zu wichtig, als dass wir es im Bundestag, in den Koalitionsfraktionen ignorieren könnten. Ich bin dankbar dafür, dass es gelungen ist, hier gemeinsam einen Weg zu finden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden diesen Haushalt in unseren Fraktionen, in der Koalition und auch in diesem Parlament intensiv diskutieren und zum Abschluss bringen. Dann freuen wir uns schon auf den nächsten Haushalt, der bald kommen wird, den Haushalt 2015. Ich sage den Haushältern beider Fraktionen einen herzlichen Dank für ihre Arbeit und ihre Mühen. ({21}) - Ich sage auch denjenigen in der Opposition, die uns auf diesem Weg begleiten, einen herzlichen Dank. Wenn Sie uns Steine in den Weg legen, Frau Roth, können Sie nicht erwarten, dass ich mich dafür bedanke. Wenn Sie konstruktiv sind, bedanke ich mich schon jetzt bei Ihnen für Ihre Arbeit. Diese Haushalte werden in den nächsten Jahren immer wieder Maßstab und Beurteilungsfaktor für uns sein; denn daran können wir sehen, dass es den Menschen nach vier Jahren Großer Koalition in diesem Land besser geht. Herzlichen Dank. ({22})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jetzt wollen wir einmal ehrlich übers Geld reden. ({0}) „Die Zocker sind zurück“, heißt es im Handelsblatt in einem Artikel vom Vortag. Das stimmt leider. Es werden wieder hochriskante Geschäfte mit gefährlichen Schrottanleihen gemacht. Firmen, die nur eine eingeschränkte Kreditwürdigkeit besitzen, bekommen von den Geldhäusern wieder Geld. Das Geschäft mit hochriskanten Krediten hatte im Jahr 2008, dem Krisenjahr in Europa, ein Volumen von fast 80 Milliarden Dollar, vier Jahre später von 90 Milliarden Dollar. Auch die verschachtelten Kreditverbriefungen, die 2008 ein Auslöser der Finanzkrise waren, verkaufen sich wieder prächtig. Die Vorläufer einer neuen Finanzkrise sind für jeden, der es sehen will, sichtbar. Sie, meine Damen und Herren von der Regierungsbank, dürfen davor nicht die Augen verschließen und hier heile Welt spielen. ({1}) Frau Merkel, Sie haben sich hier als Vorreiterin der Regulierung dargestellt. Das stimmt nicht; das lässt sich in der Realität nicht nachweisen. Ganz im Gegenteil: Alle guten Vorsätze, die Finanzmärkte zu regulieren, scheinen vergessen. Ich darf Sie an Ihre eigenen Worte erinnern. Sie sagten am 5. Oktober 2008 - Zitat -: Wir sagen außerdem, dass diejenigen, die unverantwortliche Geschäfte gemacht haben, zur Verantwortung gezogen werden. Dafür wird die Bundesregierung sorgen. Das sind wir auch den Steuerzahlern in Deutschland schuldig. Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die Bundesregierung ein. Frau Merkel, ich frage Sie: Wer wurde denn nun wirklich zur Rechenschaft gezogen? Warum dürfen Zocker jetzt schon wieder unverantwortliche Geschäfte machen? Warum haben Sie die Finanzmärkte nicht wirksam reguliert? ({2}) Ich kann Ihnen die Antwort geben: Sie haben vor diesen Finanzmärkten bedingungslos kapituliert. Das werden wir nicht akzeptieren. ({3}) Sie haben den Banken sogar noch goldene Rettungsschirme aufgespannt. Auch hierzu gibt es ein Zitat, jetzt von Herrn Schäuble. Am 24. Juli 2010 erklärten Sie: Solange Angela Merkel Bundeskanzlerin ist und ich Finanzminister bin, würden Sie diese Wette verlieren. Die Rettungsschirme laufen aus. Das haben wir klar vereinbart. Die Wahrheit sieht ganz anders aus. Der Rettungsschirm ESM existiert und arbeitet streng abgeschirmt von der Öffentlichkeit im Interesse der Banken. Wir wollen endlich wissen, was mit unserem Geld geschieht, meine Damen und Herren. ({4}) In der Süddeutschen Zeitung stand Anfang der Woche ein Artikel mit der Überschrift „Der Geruch absterbender Demokratie“. Ich zitiere daraus: Diese Gegenwart bringe eine Art „Überbürger“ hervor, der den Restbürgern keine Rechenschaft mehr schuldig sei. Verfassungen und soziale Übereinkünfte haben Grenzen, die Finanzwelt nicht. Meine Damen und Herren von der Regierung, Ihre bedingungslose Kapitulation vor den Finanzeliten, den „Überbürgern“, bedroht die Existenzen von Millionen von Menschen in unserem Land, in Europa und in der ganzen Welt. Das können wir nicht länger hinnehmen. ({5}) Ihre bedingungslose Kapitulation vor den Finanzeliten bringt reihenweise Demokratien in Europa ins Wanken. Sie müssen sich doch fragen: Warum erstarken faschistische, rassistische und antisemitische Parteien in vielen Staaten Europas? Die letzten Wahlen haben es gezeigt. Sie erstarken, weil die herrschende Politik in Brüssel und in Berlin versagt hat, weil die Politik ihre Versprechen immer wieder gebrochen hat. Immer mehr Menschen gewinnen den Eindruck, dass die Politik ihnen keine Sicherheit vor den Finanzmärkten bieten kann. Sie fühlen sich von den „Überbürgern“ auf dem Finanzmarkt, auf dem Arbeitsmarkt und auf dem Wohnungsmarkt schutzlos ausgeliefert. Wenn viele Menschen die Hoffnung verlieren, dann müssen wir uns doch fragen: Was folgt daraus? Hoffnungslosigkeit fördert entweder Aggression oder grenzenlose Gleichgültigkeit gegenüber der Demokratie. Das müssen wir gemeinsam verhindern. ({6}) Herr Schäuble erklärt als Finanzminister immer gern, dass die anderen Staaten die Finanzmarktregulierung nicht wollten und auch eine Finanztransaktionsteuer in Europa kaum umsetzbar sei. Aber, Herr Schäuble, sind Sie in Europa wirklich so wenig durchsetzungsfähig? Ich glaube das nicht. Ich traue Ihnen mehr zu, wenn Sie nur wollen. ({7}) Warum gelang es dieser Bundesregierung, brutale Kürzungspakete in Griechenland, Portugal, Spanien und Italien durchzusetzen, von denen sich diese Länder noch in zehn Jahren nicht erholt haben werden? Warum gelingt es der Bundesregierung, ganze Staaten neoliberal umzukrempeln, aber warum soll es ihr nicht gelingen, die Finanzmärkte zu regulieren? Das ist nicht zu verstehen. ({8}) Aber machen wir es etwas kleiner. Wenn die Bundesregierung sich angeblich in Europa nicht durchsetzen kann, wenn es um die gerechte Besteuerung von Spekulanten geht, warum fangen Sie nicht einfach in Deutschland damit an? Frau Merkel, Sie haben gesagt, Deutschland sei Vorreiter der Regulierung. Darum frage ich Sie: Warum gibt es nicht wenigstens in Deutschland eine Finanztransaktionsteuer? Das wäre doch der logische Anfang. ({9}) In Deutschland kann niemand diese Bundesregierung daran hindern, ein gerechtes Steuersystem einzuführen und die Finanzeliten in ihrem desaströsen Handeln einzuschränken, außer dieser Regierung selbst. Aber - Herr Kauder hat es gerade noch einmal unterstrichen - mit dem Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD selbst schwere Ketten angelegt. Es ist, finde ich, ein beispielloser Akt der Selbstfesselung; denn dieser Koalitionsvertrag schließt Steuergerechtigkeit definitiv aus. Das ist der falsche Weg. ({10}) Deutschland ist nach Analysen des Internationalen Währungsfonds eines der wenigen Länder in Europa, das sein Potenzial, seine Spielräume bei den Staatseinnahmen nicht nutzt. Dieser Spielraum macht nach Aussagen des Internationalen Währungsfonds, also nicht der Linken, immerhin rund 80 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen aus. 80 Milliarden! Stellen Sie sich das einmal vor: Mit 80 Milliarden Euro könnte man eine wirklich gerechte Rentenreform beschließen, ohne die Kassen zu plündern. Man könnte endlich das Kindergeld erhöhen. Es ist doch eine lächerliche Aktion, dass man die versprochene Erhöhung des Kindergelds ins Irgendwann, ins Nirwana verschiebt, nur um von der schwarzen Null weiter träumen zu können. Von der schwarzen Null haben die Kinder und ihre Familien wirklich nichts, Herr Schäuble. ({11}) Aber nein, die Regierung will diese großen Spielräume nicht nutzen. Sie hat sich selbst Ketten angelegt, wenn es um die gerechte Besteuerung von Vermögenden geht. Sie hat sich auch Ketten angelegt, wenn es um die steuerliche Entlastung der Mittelschicht geht, die unter der kalten Progression leidet. Wir finden als Linke: Das ist verantwortungslos und sozial ungerecht. ({12}) In den letzten Monaten wurde viel über den Fußballmanager Hoeneß in den Medien berichtet. Sie erinnern sich: Er hatte an den Steuerbehörden vorbei unbemerkt 28,5 Millionen Euro an Steuern hinterzogen. Aber warum fragt eigentlich niemand, wieso so viele Steuerbetrüger in unserem Land unentdeckt bleiben können? Ich kann Ihnen die Frage relativ leicht beantworten. Allein in den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Steuerberater um 30 Prozent und die der Steueranwälte sogar um 60 Prozent gestiegen. Aber im gleichen Zeitraum wurden in den Finanzämtern, die die Kontrolle ausüben, 5 Prozent der Stellen abgebaut. Das passt doch wirklich nicht zusammen. ({13}) Auch das scheint in Vergessenheit geraten zu sein: Der Bundesfinanzminister hatte sich verpflichtet, 500 Prüfer beim Bundeszentralamt für Steuern einzustellen. Diese Prüfer des Bundesamtes sollten die Kollegen aus den Ländern bei der Kontrolle von Unternehmen unterstützen. Doch weder der Bundesfinanzminister noch die Landesfinanzminister haben offensichtlich ein Interesse daran, Unternehmen bei der Steuergestaltung auf die Schliche zu kommen. Mein Fazit: Diese Bundesregierung hat auch in Deutschland kein Interesse, alle Bürgerinnen und Bürger gleich zu behandeln. Diese unhaltbaren Zustände wollen und müssen wir ändern, wenn die Menschen nicht den Glauben an Demokratie und Gerechtigkeit verlieren sollen. ({14}) Ob diese Bundesregierung zukunftsfähig ist, wird sich daran zeigen, ob sie es schafft, den Finanzmarkt zu regulieren. Auch ein ausgeglichener Haushalt wäre nichts wert, wenn er von der nächsten Finanzkrise aufgefressen würde. Diese Erfahrung musste übrigens - wollen wir noch einmal an ihn erinnern - der damalige Finanzminister Peer Steinbrück machen, der 2008, kurz vor dem Ausbruch der Finanzkrise, hier im Deutschen Bundestag stolz die schwarze Null an die Wand malte. Er sagte damals noch - wir erinnern uns auch daran -, die Finanzkrise habe nur etwas mit Amerika zu tun. Amerika war dann schnell sehr nah. Auch daran sollten wir uns erinnern. ({15}) Von der schwarzen Null von Peer Steinbrück blieb ein schwarzes Loch übrig, in dem die Bundesregierung Milliarden für die Rettung von Banken versenkte. Die schwarze Null wurde damals den Banken geopfert. Das darf sich nicht wiederholen. Vielen Dank. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Bettina Hagedorn hat nun für die SPDFraktion das Wort. ({0})

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Kollegin Lötzsch, ich kann Ihre Aussage nicht unwidersprochen stehen lassen, dass 2008/2009 die schwarze Null den Banken geopfert wurde. Nein, wir haben damals in der Großen Koalition angesichts der Krise und in der Hoffnung, dass ein Haushalt ohne Schulden in greifbarer Nähe war - einen solchen Haushalt hatten wir mit ganzer Kraft angestrebt -, das gemacht, was klug und verantwortlich gegenüber den Menschen in Deutschland war. Wir haben nämlich zwei Konjunkturpakete im Umfang von über 80 Milliarden Euro aufgelegt. Wir haben diese Pakete weit gefächert und den Kommunen 10 Milliarden Euro gegeben, um zu investieren. Wir haben übrigens auch das Kurzarbeitergeld eingeführt, was viel Geld gekostet hat. Warum haben wir das gemacht? Wir haben das gemacht, um die Menschen in Deutschland in dieser Krise in Lohn und Brot zu halten. Wir haben das gemacht, um die Unternehmen zu stärken, damit sie ihre guten Mitarbeiter nicht entlassen müssen. Wissen Sie was? Das war eine großartige Entscheidung; denn das ist das Geheimrezept dafür, dass wir so gut durch die Krise gekommen sind. ({0}) Insofern fällt es mir natürlich ausgesprochen schwer, ausgerechnet Ihnen, Frau Lötzsch, die Erinnerung an Peer Steinbrück zu überlassen. Darum möchte ich meine Rede gerne mit einem Zitat beginnen: Wir haben jetzt die historische Chance …, in Deutschland nach 40 Jahren die Neuverschuldung auf null zu senken und dann … für ganz Deutschland einen Mechanismus festzulegen, der eine Wiederholung des früheren Tempos in die Verschuldung verhindert. Das ist meiner Ansicht nach eine verantwortliche Finanzpolitik im Sinne von Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit. Ich bin sicher, Herr Schäuble, dass Sie sagen würden, dieses Zitat könnte von Ihnen sein. Es ist aber nicht von Ihnen. Es ist im September 2007 hier im Deutschen Bundestag bei der Haushaltsdebatte von Peer Steinbrück, dem Finanzminister der Großen Koalition, gesprochen worden. ({1}) Ich stelle dieses Zitat deshalb an den Anfang, weil es so schön deutlich macht, dass wir mit der Großen Koalition von 2005 bis 2009 und mit der Großen Koalition jetzt ab 2013 sehr wohl einen langen roten Faden haben. Der Faden ist so lang und so rot, dass ich sogar die Kolleginnen und Kollegen der Grünen noch mit einbeziehen will. Wir Haushälter konnten damals im Tiefschlaf vor uns hersagen, dass unser größtes Ziel konsolidieren, sanieren und investieren ist, dass dieser Dreiklang eine gute und verantwortbare Haushaltspolitik darstellt. ({2}) - Der Beifall könnte eigentlich vom ganzen Haus kommen. - Denn dieser Dreiklang hat eine Tradition von mindestens zehn Jahren in diesem Haus. Dass wir das auch über Fraktionsgrenzen hinweg über viele Jahre so ernst genommen haben, ist der Grund dafür, warum es uns in Deutschland insgesamt im Verhältnis zu anderen so gut geht. ({3}) Wir waren auch immer von dem Bewusstsein getragen, dass wir nicht um des Sparens willen sparen, sondern dass wir das einerseits in Verantwortung vor der neuen Generation tun - Generationengerechtigkeit ist ein heute Morgen zu Recht häufig genannter Begriff -, aber auch um Spielräume zu erwirtschaften, um in wichtigen Bereichen die Zukunftsfähigkeit unseres Landes sicherzustellen. Die gute Botschaft ist: Auch da haben wir über Fraktionsgrenzen hinweg Einigkeit. Den Löwenanteil der Investitionen, die wir schon seit vielen Jahren tätigen und auch in dieser Großen Koalition wieder tätigen werden, bekommt der wichtige Bereich der Bildung. Investitionen in die Köpfe der jungen Generation sind in einem Land, das einen demografischen Faktor wie das unsere hat, wichtig, um unsere Zukunftsfähigkeit zu garantieren. Diese Bildungsinvestitionen im Umfang von 3 Milliarden Euro geben wir in dem Bereich aus, für den wir ursächlich zuständig sind, Hochschulbildung und Forschung. Aber auch die 6 Milliarden Euro, die wir über die Länder den Kommunen zur Verfügung stellen, geben wir nicht einfach so, quasi als Almosen wegen der Unterfinanzierung. Nein, wir geben ihnen das Geld in dem Bewusstsein, dass Bildung schon in der Krippe und in der Kita anfängt. Es geht auch um eine noch bessere Qualität in den Schulen, um eine höhere Lehrerdichte, um Ganztagsschulen, es geht um eine qualitativ gute Bildungsbetreuung in ganz Deutschland. In weiten Teilen sind eben Länder und Kommunen dafür zuständig. Wenn es denen schlecht geht, dann können sie an dieser Stelle nicht das leisten, was sie im gesamtstaatlichen Interesse in der Bildung dringend leisten müssen. Darum tun wir das. ({4}) In dieser und auch in der gestrigen Debatte sind die Kommunen schon gewürdigt worden. Ich glaube, hier einen etwas falschen Zungenschlag vernommen zu haben. Manche Äußerung ist verständlich; schließlich finden im Mai in Deutschland zehn Kommunalwahlen statt. Daher steht hier manchmal der Wahlkampf mehr als die Faktenlage im Mittelpunkt. Ich selbst habe 20 Jahre ehrenamtlich Kommunalpolitik gemacht. Ich war ehrenamtliche Bürgermeisterin und Amtsvorsteherin. Seit 2005 bin ich stellvertretende Sprecherin der AG Kommunalpolitik unserer Fraktion. Insofern bin ich, glaube ich, frei von dem Vorwurf, dass ich bei den Sorgen und Nöten der Kommunen nicht genügend hinschauen würde. Ich finde schon, dass wir als Bundestag auch insgesamt stolz auf das sein dürfen, was wir für die Kommunen schon getan haben und was auch in Zukunft zu tun wir uns im Koalitionsvertrag richtigerweise verpflichtet haben. ({5}) Auch da, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, will ich Sie daran erinnern, dass wir es waren, die dafür gesorgt haben, dass 4 Milliarden Euro für den Ausbau der Ganztagsschulen in Deutschland zur Verfügung gestellt wurden, und dass wir es waren, die 2004 angestoßen haben, dass der Bund mehr Verantwortung für die Schaffung von mehr Krippenplätzen in Deutschland übernimmt. In der Großen Koalition haben wir unser Eintreten dafür fortgesetzt, indem wir dafür gesorgt haben, dass finanzielle Mittel im Umfang von fast 5 Milliarden Euro bis 2013 zur Verfügung gestellt werden. Dies geschah, um den Kommunen in Deutschland die Möglichkeit zu geben, eine verlässliche Krippeninfrastruktur aufzubauen. Darüber hinaus haben wir mit den Kommunen verabredet - dieses Geld fließt seitdem Jahr für Jahr über steuertechnische Umverteilungen -, dass wir sie mit den Betriebskosten der Krippen nicht alleinlassen. Round about sind, wenn ich es richtig im Hinterkopf habe, knapp 1 Milliarde Euro pro Jahr vom Bund an die Länder dafür geflossen und fließen weiter, in der Hoffnung, dass sie sie an die Kommunen weiterleiten, damit sie mehr Geld zur Verbesserung der Krippenbetreuung haben. ({6}) Gestern sagte ein Kollege - das war ein bisschen wie Geschichtsklitterung -, dass Rot-Grün die Grundsicherung eingeführt und damit die Kommunen belastet habe. Das ist nicht wahr. Als wir 2003 die Grundsicherung eingeführt haben - übrigens mit Zustimmung des Bundesrates -, haben wir uns auf eine Kostenteilung verständigt. Wir jedenfalls haben das Recht auf Grundsicherung überwiegend mit Blick auf diejenigen Frauen geschaffen, die sich, weil sie den Rückgriff auf ihre Verwandten befürchteten, nicht getraut haben, zum Sozialamt zu gehen und Sozialhilfe zu beziehen; man sprach auch von verschämter Altersarmut. In Wahrheit haben wir mit der Grundsicherung eine Entlastung der Kommunen bewirkt. Für uns stand die Würde der Menschen im Mittelpunkt. Die Schaffung des Rechtsanspruchs auf Grundsicherung in Deutschland - nicht nur im Alter, sondern auch bei Erwerbsunfähigkeit - ist eine große Leistung dieses Hauses gewesen. ({7}) - Ja, ich finde, da können wir alle klatschen. Wir waren alle daran beteiligt. Der Punkt ist der, dass die Ausgaben für die Grundsicherung wegen der demografischen Entwicklung immer weiter gestiegen sind und dass diese Ausgaben damit die kommunalen Haushalte gesprengt haben. Wir haben also in den letzten Jahren - auch das haben Bundestag und Bundesrat sehr wohl gemeinsam gemacht eine schrittweise Entlastung der Kommunen herbeigeführt. Obwohl die Kosten für die Grundsicherung ständig steigen und auch in Zukunft steigen werden, sollte der Bund sie in immer höherem Maße tragen. In diesem Jahr übernimmt er sie zu 100 Prozent. Die Kostenübernahme ist in vier Schritten vonstattengegangen. Vor vier Jahren - damals war ich innerhalb meiner Fraktion für den Haushalt Arbeit und Soziales zuständig - hat der Bund noch 500 Millionen Euro pro Jahr für seinen Anteil an der Grundsicherung ausgegeben, und jetzt werden es 5,5 Milliarden Euro sein. Das ist eine Entlastung der Kommunen von 5 Milliarden Euro pro Jahr. ({8}) Diese Entlastung wird steigen, weil die Kosten für die Grundsicherung steigen werden, und wir schultern diese Kostensteigerung allein. All das ist richtig. Es ist angesichts dessen richtig, dass wir den Menschen diesen Rechtsanspruch gewähren wollen. Richtig ist auch, dass wir als Bund die Kosten dafür schultern. Aber ich finde, es darf in der aktuellen Debatte nicht vergessen werden. ({9}) Ich will auch daran erinnern: Als Bundestag und Bundesrat die Entlastung der Kommunen verabredet haben, haben wir das im Zusammenhang mit anderen Themen, die wir miteinander beraten haben, getan. Dabei ging es um ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts und um die Frage, ob Kinder aus bildungsfernen Schichten eigentlich genug Zugang zu Bildung haben. Wir haben damals zwar nicht festgelegt, warum und wofür wir die Kommunen entlasten. Wir haben aber sehr wohl unserer Erwartung Ausdruck gegeben, dass diese Entlastung nicht nach dem Motto „Linke Tasche, rechte Tasche“ - wir verschulden uns, andere entschulden sich - erfolgt, sondern wir haben das Geld in der Erwartung gegeben, dass es dort landet, wo es hingehört, nämlich in den Krippen, in den Kitas, in den Schulen und bei den Familien, die nicht so gut situiert sind, dass sie ihren Kindern gute Bildung ermöglichen können. Wir brauchen in Deutschland jedes Kind, und zwar deshalb, weil wir zu wenige Köpfe, zu wenige junge Menschen haben. Es muss Geld investiert werden, damit in Zukunft nicht mehr so viele junge Menschen ohne Schulabschluss die Schule verlassen. Die Verantwortung dafür tragen die Länder und zum Teil auch die Kommunen. ({10}) Ich möchte zum Schluss zu einem weiteren Punkt kommen, bei dem schon lange Zeit große Einigkeit besteht, dass mehr investiert werden muss: zu den Investitionen in die Infrastruktur. Herr Dobrindt, es ist festzuhalten, dass die Lkw-Maut schon lange in großem Umfang zu den Investitionen im Verkehrsbereich beiträgt. Auch sie haben wir übrigens vor langer Zeit gemeinsam eingeführt, verbunden mit den Geburtswehen, an die wir uns alle noch gut erinnern können, Stichwort „Toll Collect“. ({11}) Nachdem die Einnahmen durch die Lkw-Maut von 2005 bis 2008 zwischen 2,9 und 3,5 Milliarden Euro pro Jahr geschwankt sind, liegen sie seit 2009 verlässlich bei 4,3 bis 4,5 Milliarden Euro jährlich. Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, dass die Mehreinnahmen aus der Maut eins zu eins die Investitionen im Verkehrsetat stärken sollen. Dabei haben wir alle gedacht: Super, wenn wir mehr Geld einnehmen, können wir mehr Geld ausgeben. - Brauchen werden wir es in diesem Bereich; da sind wir uns einig. Leider wird es, Herr Dobrindt, laut Wegekostengutachten in den nächsten Jahren zu einem Minus von 2 Milliarden Euro kommen. Da wird es schon darauf ankommen, dass wir gemeinsam handeln. Wir können diese Lücke nicht einfach so hinnehmen und sie aus Steuermitteln stopfen. Dass wir sie stopfen wollen, ist ganz klar. Wir haben auch dazu in unserem Koalitionsvertrag eine Verabredung getroffen, nämlich die, dass wir die Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen ausweiten wollen. Das dauert; das wissen wir. Die Einnahmen von 2 Milliarden Euro pro Jahr wird man vielleicht erst am Ende dieser Legislatur generieren können, ({12}) vielleicht auch erst Anfang der nächsten Legislatur. Es sollte nachhaltig denkenden Abgeordneten aber nicht egal sein, ob diese Mehreinnahmen kommen. Denn für die Zukunft garantieren sie, und zwar nachhaltig, dass wir mehr Geld für die Infrastruktur, für unsere maroden Straßen, Brücken, Wasserwege, Schienen usw., zur Verfügung haben. Wir brauchen dieses Geld. ({13}) Darum bitte ich Sie, Herr Dobrindt, sich hierfür mit ganzem Engagement einzusetzen. Thomas Oppermann hat vorhin schon gesagt: Bei allem, was Sie in diesem Bereich machen, haben Sie unsere Unterstützung. Gerade erst haben Sie angekündigt, 1 000 weitere Kilometer vierspuriger Bundesfernstraßen einbeziehen zu wollen; das ist ausdrücklich richtig. Auch die Einbeziehung von Lkw ab 7,5 Tonnen ist richtig; wir unterstützen das. Das wird in Anbetracht des bestehenden Konzessionsvertrages auch möglich sein. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass aktuell nur ungefähr 14 000 Kilometer durch die Maut erfasst werden. Eigentlich streben wir knapp 40 000 Kilometer an. Insofern ist die Einbeziehung 1 000 weiterer Kilometer von Bundesfernstraßen natürlich ein kleiner Schritt, gleichwohl in die richtige Richtung. Ich glaube, wir müssen uns gemeinsam mit ganzem Engagement der Aufgabe widmen, die vorhandene Lücke zu schließen, damit wir in Zukunft in der Tat mehr Geld für die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland zur Verfügung haben. ({14}) Ich freue mich auf die gemeinsame Arbeit mit Ihnen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Tabea Rößner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es geht heute auch um den Haushalt der Beauftragten für Kultur und Medien. Ich darf hier für die Kultur- und Medienpolitiker den Aufschlag machen. Ich möchte Ihnen, Frau Staatsministerin, Frau Grütters, noch einmal alles Gute für Ihr jetzt nicht mehr ganz so neues Amt wünschen. Die erste Belastungsprobe liegt bereits hinter Ihnen. Ihren Etat haben Sie zumindest weitgehend verteidigen können. Sie erwarten jetzt sicher ein Aber. Genau! Das kommt auch: Aber ich befürchte, dass Sie Ihre Jobbeschreibung nur zur Hälfte gelesen haben. Die besagt, dass Sie Staatsministerin für Kultur - jetzt kommt es - und Medien sind. Davon ist bisher nur wenig zu sehen. ({0}) Nun ist die Medienpolitik ein sehr spannendes, aber auch ein sehr schwieriges Feld. Die Einfluss- und Profilierungsmöglichkeiten gerade auf Bundesebene sind nicht besonders groß, aber es gibt sie. Wenn ich mir die Baustellen in der Medienpolitik anschaue, sehe ich einige Stellschrauben, die gedreht werden müssten. Das ist vor allen Dingen eine Frage des Wollens. Mich beschleicht immer mehr das Gefühl, dass Sie nicht wollen. Nehmen wir das Beispiel „Staatsferne bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten“. Dazu gab es vor zwei Wochen ein bedeutsames Urteil vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Gericht bestätigte, was wir angeprangert hatten: Es gibt zu viel Staatseinfluss in den Aufsichtsgremien des ZDF. Es wurde natürlich viel über das Urteil geredet. Selbst Kollege Volker Kauder entdeckte plötzlich seine Liebe zur Staatsferne ({1}) und forderte gar, dass die Politik ganz aus dem ZDF raus müsse. ({2}) - Kleine Gedankenstütze, Herr Kauder: Vor vier Jahren pfiffen Sie noch die Unionsabgeordneten zurück, die überlegten, unsere Klage zu unterstützen. ({3}) Woher der Sinneswandel plötzlich kommt, weiß niemand so genau. Jedenfalls gibt es nun diesen Impuls eines nicht ganz unbedeutenden Unionspolitikers. Da frage ich Sie, Frau Staatsministerin: Hätten nicht Sie diesen Impuls geben müssen? Bitte schieben Sie die Verantwortung jetzt nicht auf die Länder ab. Auch die Bundesregierung hat hier Aktien. Im ZDF-Verwaltungsrat sitzt nämlich ein Vertreter des Bundes: Ihr Vorgänger Bernd Neumann. Es wäre doch ein gutes und wichtiges Signal, wenn Sie zukünftig auf diesen Posten verzichten würden. ({4}) Oder nehmen wir das Beispiel der Pressekrise. Wir hatten eine exzellente Pressevielfalt in Deutschland mit vielen lebendigen Lokal- und Regionalredaktionen. Wenn ich meinen Kindern heute davon erzähle, komme ich mir vor wie die Großmutter, die früher alles besser fand. ({5}) Aber die nackten Zahlen belegen: Die Oma hat recht. Der Schwund ist dramatisch. Immer mehr Zeitungen schließen oder legen Redaktionen zusammen. Durch Pressefusionen schwindet die Meinungsvielfalt. Und was macht die Bundesregierung? Nichts! Gar nichts! ({6}) Diese Regierung ist in der Kulturpolitik schon als Koalition der Hoch- und Repräsentationskultur bekannt. Sie ist auch eine Große Koalition für die großen Medienhäuser. Die Kleinen müssen sehen, wo sie bleiben, und die Großen können die Kleinen noch leichter schlucken. Mit Ihrem Vorhaben werden Sie die Medienkonzentration noch beschleunigen, statt zu stoppen oder Vielfalt zu sichern. Als zusätzliche Belohnung für Springer und Konsorten wird das sinnlose Leistungsschutzrecht erst einmal beibehalten. Da waren die geschätzten Kollegen der SPD-Fraktion wohl so heiß auf die Regierungsverantwortung, dass sie alle ihre Reden dazu völlig vergessen haben. ({7}) Kleine Info: Sie, liebe Kollegen der SPD, waren vernünftigerweise gegen das Leistungsschutzrecht. Dann kam Olaf Scholz und wollte lieber Standortpolitik als Demokratieförderung machen, und dann winkte hier ein Koalitionsvertrag. Dass Sie ein eigenes Projekt, nämlich das Presseauskunftsgesetz, protestlos einfach wieder begraben haben, passt da übrigens ganz gut ins Bild. Ihre Medienpolitik wird sicher nicht in die Heldensagen eingehen. ({8}) Die Leidtragenden dieser verfehlten schwarz-roten Medienpolitik sind vor allem die Journalisten selbst. Vom Leistungsschutzrecht profitieren sie gar nicht. Die Pressefusionen führen dazu, dass Redaktionen geschlossen werden und Journalisten ihren Job verlieren. Es gäbe aber Instrumente zur Hilfe, zum Beispiel ein durchsetzungsstarkes Urhebervertragsrecht, mit dem wir den Journalisten etwas an die Hand geben können, das ihnen wirklich hilft. ({9}) Es gibt sogar einen Vorschlag, fraktionsübergreifend aus der Enquete-Kommission. Herr Dörmann, das wissen Sie. Auch wir Grüne haben ebenfalls einen Vorschlag gemacht. Aber dazu gibt es von der GroKo bisher nichts. Ich fordere hier im Sinne der Journalisten deutlich mehr Mut von Ihnen. ({10}) Apropos im Stich lassen: Nicht nur Journalisten bekommen oft nur Hungerlöhne. Der Großteil der KulturTabea Rößner schaffenden arbeitet und lebt in prekären Verhältnissen. Die Kreativen haben aber mehr verdient, als nur die Lücken in ihrer sozialen Absicherung festzustellen. Die Kreativwirtschaft boomt, und da brauchen die Kreativen ein klares Bekenntnis für eine bessere soziale und wirtschaftliche Absicherung. ({11}) Schauen wir noch kurz auf die Filmpolitik. Frau Grütters, ich bin mir nicht sicher, ob Ihr Vorgänger glücklich darüber ist, wie Sie mit seinem Erbe, dem Deutschen Filmförderfonds, umgehen. Das war ja sein Steckenpferd und - kleiner Tipp - bietet hervorragende Anschlussverwendungen. An dieser Stelle herzlichen Glückwunsch an Herrn Neumann zu seiner Wahl zum Präsidenten der Filmförderanstalt. Sie, Frau Grütters, haben im Februar auf dem Deutschen Produzententag versprochen, dass es für die Filmförderung bei den 70 Millionen Euro wie im Vorjahr bleiben wird. Aber im Haushaltsentwurf stehen plötzlich nur noch 60 Millionen Euro drin. Das verstehe ich nicht. Die Mittel aus dem Filmförderfonds sind doch bekanntermaßen hervorragend investiert; denn jeder investierte Euro bringt weitere 6 Euro für die deutsche Filmwirtschaft. Warum Sie hier wortbrüchig werden, 10 Millionen Euro streichen und so dem deutschen Film 70 Millionen Euro entziehen, das müssen Sie bitte einmal erklären. ({12}) Aber zurück zur Beauftragten für Kultur und - immer noch - Medien. Meine Sorge, dass die Medienpolitik nicht Ihr Herzensthema ist, spiegelt sich auch im Haushaltsentwurf wider. Es sind viele Gaben für die Kultur enthalten, manche sinnvolle und manche weniger sinnvolle. Und zu Medien? Eines der wenigen schönen medienpolitischen Projekte, den Computerspielpreis, ließen Sie gleich ganz zu Ihrem Kollegen Herrn Dobrindt wandern. Warum, ist mir wirklich schleierhaft. Ich dachte immer, es handele sich hier um ein Kulturgut. ({13}) Wenn jetzt beim Autorennspiel „Need for Speed“ eine Pkw-Maut eingeführt wird, dann wissen wir jedenfalls, wer es war. Man sieht, es gäbe in der Medienpolitik eine riesige Spielwiese, auf der Sie sich als Staatsministerin für Kultur und eben Medien austoben könnten. Ich möchte Sie ausdrücklich dazu ermutigen. Vielen Dank. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Gerda Hasselfeldt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss jetzt leider zur allgemeinen Haushaltsdebatte zurückkommen. ({0}) Da können wir heute einen wirklich historischen Wendepunkt in der Haushaltspolitik unseres Landes erleben. Der Bundesfinanzminister kann für das Jahr 2014 einen strukturell ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Für das nächste Jahr wird ein ausgeglichener Haushalt ohne Neuverschuldung erwartet. Das ist eine großartige Leistung, die vor Jahren nicht vorhersehbar war. Es ist die Leistung dieser Bundesregierung, wofür ich herzlich danke. ({1}) Das ist umso bemerkenswerter, als wir zu Beginn der Regierungszeit von Angela Merkel eine ganze Reihe von Problemen und Herausforderungen zu bewältigen hatten. Wir hatten 2005 eine hohe Arbeitslosigkeit und eine hohe Verschuldung übernommen. Dann kam, bald nachdem sich die ersten positiven Effekte zeigten, die internationale Wirtschafts- und Finanzkrise hinzu, eine Krise, wie sie die Nachkriegszeit noch nicht erlebt hatte. Bald darauf gab es in Europa die Staatsschuldenkrise, die ebenfalls zu bewältigen war. Meine Damen und Herren, auch diese Krisenzeiten wurden gut bewältigt. Sie wurden richtig bewältigt mit den richtigen politischen Entscheidungen, mit den richtigen soliden strukturellen Haushaltsentscheidungen. Das war die Richtlinie dieser Politik. Strukturreformen und solide Haushaltspolitik bestimmten die Politik, die dazu führte, dass wir besser aus der Krise herausgekommen sind, als wir hineingegangen sind. ({2}) Wir haben eine Stabilitätskultur entwickelt, die nicht nur die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Schuldenbremse erfüllte, sondern auch Spielräume eröffnete - das wurde heute schon mehrfach angesprochen - für die junge Generation, für diejenigen, die nach uns kommen. Diese generationengerechte Haushalts- und Finanzpolitik hat mittlerweile Vorbildfunktion in Europa und in der ganzen Welt. ({3}) Wir alle haben erlebt, zu welchen fatalen Auswirkungen eine zu hohe Verschuldung in manchen europäischen Ländern geführt hat: auf die wirtschaftliche Situation, auf die Beschäftigung, auf die soziale Situation der Menschen. Heute können wir sagen: Auch dieser Kurs war richtig, nämlich in Europa darauf zu setzen, dass jedes europäische Land seine Hausaufgaben machen muss. Es war auch richtig, nicht auf die Vergemeinschaftung von Schulden, auf Euro-Bonds, zu setzen, sondern auf eine solide Haushaltsführung, auf die Einhaltung der Auflagen, die gemacht werden, und auf die Durchfüh2348 rung von Strukturreformen. Auch damit haben wir uns durchgesetzt, und es war erfolgreich. ({4}) Jetzt kann man sich natürlich fragen: Warum eigentlich solide Haushaltspolitik? Steht das auf dem Papier, kann man sich darüber freuen und es wieder zur Seite legen? Nein, meine Damen und Herren, es ist die Grundlage für unsere politische Verantwortung insgesamt. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Ich bin mit 18 Jahren in die CSU eingetreten. Es war damals, 1968, für ein Mädchen aus dem Bayerischen Wald nicht unbedingt selbstverständlich, in eine damals eher männlich geprägte Partei einzutreten. ({5}) Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das, was mich damals motiviert hat und was auch heute noch ein wichtiger Teil meiner politischen Arbeit ist, ist die Tatsache, dass ich damals als junges Mädchen ernst genommen wurde und dass ich mich ernst genommen fühlte und mitgestalten konnte. Ich spürte, dass dort Männer am Werk sind - damals waren überwiegend Männer in der Partei -, die auch ein Interesse daran haben, dass die junge Generation in diesem Land Chancen hat, dass sie auch in ländlichen Regionen Chancen hat. Ich habe das persönlich erlebt. Deshalb ist es mir so wichtig, immer wieder zu sagen, dass die Union die Partei ist, die für die nachwachsende Generation sorgt; wir sorgen dafür, dass die jungen Leute künftig auch Chancen haben, dass wir ihnen keine Schulden überlassen. Sie haben ein Anrecht auf eine Zukunft ohne Altlasten. ({6}) Manchmal denke ich, gerade die Grünen tun immer so, als wollten sie für Nachhaltigkeit sorgen und würde ihnen nachhaltige Politik in besonderer Weise am Herzen liegen. Im Land Baden-Württemberg - man braucht nicht sehr weit zurückzuschauen; denn dort sind sie in der Verantwortung - haben sie gezeigt, wie weit es mit der Nachhaltigkeit bestellt ist. ({7}) Sie haben ein Land übernommen, das seit einigen Jahren keine neuen Schulden mehr machte. Kaum waren Sie in der Verantwortung, wurden neue Schulden gemacht. An diesem Beispiel zeigt sich: Mit Nachhaltigkeit haben die Grünen nichts, aber auch gar nichts am Hut. ({8}) Nun ist solide Haushaltspolitik aber auch die wichtigste Grundlage dafür, dass es den Menschen gut geht, dass wir eine gute wirtschaftliche Entwicklung, Beschäftigung und sichere Arbeitsplätze haben. Das sind keine Gegensätze; das sehen wir an all den Ländern, in denen das praktiziert wird. Solide Haushaltspolitik ist die eine Seite und eine gute wirtschaftliche Entwicklung die andere Seite ein und derselben Medaille. Das gehört zusammen; das eine ist die Voraussetzung für das andere. Deshalb müssen wir alles daransetzen, dass wir die gute wirtschaftliche Entwicklung, die wir in den letzten Jahren hatten, nicht aufs Spiel setzen, sondern weiterführen und dabei niemanden, auch nicht die Schwächeren, auf der Strecke lassen. ({9}) Dazu gehört als Erstes, dass wir die wichtigste Ressource, die wir in unserem Land haben, nämlich die Menschen, in ihrer unterschiedlichen Art und mit ihren ganz unterschiedlichen Talenten ernst nehmen und entsprechend fördern, und zwar diejenigen, die eher theoretisch begabt sind, an den Universitäten und Hochschulen. Wir müssen also so viel, wie wir können, in die Forschung stecken. Die Bundeskanzlerin hat heute unter Nennung von Zahlen darauf hingewiesen. Wir haben schon in der letzten Legislaturperiode unsere Anstrengungen in diesem Bereich verstärkt und werden in dieser Legislaturperiode noch darüber hinaus etwas tun; wir werden die Hochschulen zusätzlich fördern. Aber, meine Damen und Herren, das alleine ist es nicht. Das Leben beginnt nicht erst mit dem Abitur und schon gar nicht erst mit dem Studium. ({10}) Praktisch orientierte Ausbildungsplätze sind mindestens genauso wichtig wie theoretisch orientierte Studienplätze. ({11}) Deshalb begrüße ich es sehr, dass die Bundesbildungsund -forschungsministerin immer wieder darauf hinweist. Gerade der gestern vom Kabinett beschlossene Berufsbildungsbericht gibt uns Anlass dazu, immer wieder neu darüber nachzudenken. Wir müssen uns bewusst machen, dass wir im Bereich der beruflichen Bildung nicht einfach zur Seite schauen dürfen, sondern jedes Talent ernst nehmen und fördern müssen. Ich möchte aber auch darauf hinweisen: Wenn wir über Bildung reden, dann reden wir nicht nur über eine Bundesangelegenheit; primär ist das eine Aufgabe der Länder. Wenn zum Beispiel die Schulsozialarbeit so hochgepriesen wird, dann frage ich mich: Warum tun denn die Länder, obwohl sie so gepriesen wird, nicht mehr dafür? Es ist originäre Aufgabe der Länder, in den Schulen die Voraussetzungen dafür zu schaffen. ({12}) Der zweite Ansatzpunkt, wenn es um sichere Arbeitsplätze geht, ist die Infrastruktur: die Infrastruktur im Verkehrsbereich, die digitale Infrastruktur. Dazu ist heute schon viel gesagt worden. Angesichts der Aufholarbeit aufgrund der Versäumnisse, die wir in den vergangenen Jahrzehnten angehäuft haben, begrüße ich es sehr, dass wir diesem Bereich in dieser Legislaturperiode neuen Schwung verleihen, etwa indem wir zusätzliche Mittel von etwa 5 Milliarden Euro in die Verkehrsinfrastruktur investieren und den Breitbandinfrastrukturausbau forcieren. Die Betriebe, die Menschen in den ländliGerda Hasselfeldt chen Räumen sind genauso wichtig wie die in den Ballungsgebieten, und sie brauchen das schnelle Internet genauso wie die in den Ballungsgebieten. ({13}) Ein vierter Bereich, der auch zur Infrastruktur gehört, ist der energiepolitische Bereich. Auch dazu ist heute schon viel gesagt worden. Auch ich möchte ganz herzlich der Bundeskanzlerin und dem Bundeswirtschaftsminister dafür danken, dass sie in den Verhandlungen mit der EU-Kommission auf europäischer Ebene eine Regelung hinbekommen haben, durch die die industrielle Basis unseres Landes und damit Hunderttausende von Arbeitsplätzen gesichert werden, meine Damen und Herren. Das ist ein ganz großer Fortschritt, gerade vor dem Hintergrund, was wir dazu noch vor einigen Wochen von der EU-Kommission zu hören bekamen. Herzlichen Dank dafür! ({14}) Meine Damen und Herren, wir leben nicht nur von Angebot und Nachfrage. Wir leben nicht nur von Geld. Nicht nur Finanzen und Wirtschaft sind wichtig, sondern auch die Antworten auf die Frage: Wie gehen wir miteinander um? Wie halten wir über die Generationen hinweg zusammen? Welche Werte verbinden uns? In diesem Zusammenhang stellt sich zum Beispiel auch die Frage: Was ist uns Erziehung wert? Ich sage Ihnen für meine Partei ganz deutlich: Erziehung ist nicht nur die originäre Aufgabe der Eltern, sondern sie ist einer der wichtigsten Aspekte in unserem Zusammenleben überhaupt. Erziehungsleistung ist Lebensleistung, die von den Eltern für ihre Kinder erbracht wird. Sie ist nicht nur für ihre Kinder wichtig, sondern für die ganze Gesellschaft, für uns alle miteinander. ({15}) Es ist deshalb richtig, dass wir nicht nur über die Mütterrente diskutieren, wie vor der Wahl, sondern dass wir diese auch realisieren. Wir sorgen für eine bessere Anerkennung der Erziehungszeiten in der Rentenversicherung für jene Mütter, die ihre Kinder unter schwierigeren Bedingungen als heute erzogen haben, die zu weiten Teilen auf Erwerbstätigkeit verzichtet haben. Nun erkennen wir diese Leistung der Mütter auch für vor 1992 geborene Kinder an. Diese Verbesserung setzen wir mit der Verabschiedung des Rentenpakets um. ({16}) Wir wissen, dass wir vor großen demografischen Herausforderungen stehen. Deshalb haben wir uns in den Koalitionsverhandlungen eindeutig darauf verständigt: Am Grundsatz der Rente mit 67 wird nicht gerüttelt. Wir haben uns auch darauf verständigt, eine Übergangsregelung zu schaffen, die vorsieht, dass man ab 63 Jahren nach 45 Beitragsjahren abschlagsfrei in Rente gehen kann. Dazu stehe ich. Das haben wir vereinbart. Es gibt darüber hinaus noch eine Reihe von Problemen, die wir zu bewältigen haben, insbesondere die mit der Rente ab 63 verbundene Gefahr der Frühverrentung. Diese Probleme müssen wir in aller Kollegialität, in Offenheit und in konstruktiven Diskussionen bewältigen. Ich bin zuversichtlich, dass wir das hinbekommen. Die Gespräche in den vergangenen Tagen haben ja durchaus Anlass zu dieser Zuversicht gegeben. Wir sind nicht gewählt, um uns in der Koalition nur zu streiten. Vielmehr sollten wir in Auseinandersetzungen den besten Weg für die Menschen in unserem Land, für ihre Arbeitsplätze und ihre soziale Sicherung erarbeiten. Das eint uns. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir eine gute Lösung hinbekommen. ({17}) Meine Damen und Herren, Volker Kauder hat vorhin gesagt: Das Ziel dieser Koalition ist, dass es den Menschen am Ende dieser Legislaturperiode noch besser geht als vorher. Genau das ist das Ziel. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Ziel werden wir erreichen, wenn wir uns an dem Dreiklang orientieren, der auch diesen Haushalt prägt, nämlich erstens stabile Finanzen, zweitens sichere Arbeitsplätze und drittens gesellschaftlicher Zusammenhalt. Das ist der Dreiklang, der im vorliegenden Haushaltsentwurf zum Ausdruck kommt. Dieser Haushaltsentwurf ist die beste Grundlage, um die Ziele dieser Koalition zu erreichen. ({18})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Sigrid Hupach das Wort. ({0})

Sigrid Hupach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004309, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir kommen jetzt wieder zur Kultur. Wir sehen uns gern als Kulturnation. Aber wie unterstreicht das dieser Haushaltsentwurf? Die Linke begrüßt, dass nicht gekürzt wird. Wir finden jedoch, dass 1,6 Prozent des Gesamtetats der öffentlichen Haushalte für die Kultur zu wenig sind. ({0}) Die soziale Lage der Kulturschaffenden in unserem Land hat sich nicht verbessert. Nach wie vor liegen ihre Einkünfte, ob sie im Theater arbeiten, Kostüme entwerfen, Tänzer oder Musiker sind, nur knapp über dem Existenzminimum. Der Koalitionsvertrag versprach Hoffnung mit einem großen Abschnitt zur Kultur. Das war erfreulich. Gut hundert Tage nach Verabschiedung ist aber nicht zu erkennen, wie diese Versprechungen mit dem vorliegenden Haushalt eingelöst werden sollen. Verdoppelt wurden die Mittel für die Provenienzforschung, die sich mit der Herkunftsgeschichte von Kunstund Kulturgütern befasst. Frau Grütters plant ein „Deutsches Zentrum Kulturgutverluste“. Es war höchste Zeit hierfür - 15 Jahre nach der Washingtoner Erklärung und fast 70 Jahre nach Kriegsende. Wir begrüßen diese Entwicklung sehr. ({1}) Aber gemäß seiner bisherigen Konzeption löst ein solches Zentrum die Probleme der Länder auf dem Gebiet der Provenienzforschung nicht. Was die Länder und ihre Museen brauchen, sind entsprechendes Personal und Geld. Das Geld dafür fehlt aber. 4 Millionen Euro vom Bund für die Provenienzforschung sind so gesehen viel und wenig zugleich. Im letzten Haushalt gab es für ein Denkmalschutzsonderprogramm noch Mittel. Im neuen Entwurf sucht man dies leider vergebens, trotz Ankündigung im Koalitionsvertrag. Es war aber gerade dieses Programm, das zum Erhalt der Infrastruktur in den Ländern beigetragen hat. Hier muss dringend nachgebessert werden. ({2}) Den kooperativen Kulturföderalismus auszubauen war eine weitere Aussage im Koalitionsvertrag. Für uns ein Hoffnungsschimmer, fordern wir doch seit Jahren ein Kooperationsgebot im Bereich Kultur und eine Gemeinschaftsaufgabe Kultur. Ohne dies bleibt dem Bund nur die Kulturstiftung des Bundes. Die Kriterien der Bundeskulturförderung müssten überdacht und die Kulturstiftung des Bundes genau wie ihre Fonds gestärkt werden. Das war in der letzten Legislatur noch die Aussage der SPD. Von einem neuen Musikfonds war die Rede: ansatzweise im Koalitionsvertrag noch vorhanden, aber im Haushalt findet man dazu nichts mehr. Die Kulturstiftung des Bundes verliert sogar ihren einmaligen Aufwuchs in Höhe von 5 Millionen Euro. Dies werden wir nicht hinnehmen. Wir werden erneut eine Aufstockung um 10 Millionen Euro fordern. ({3}) Erbepflege geht einmal mehr vor Neukonzeption. Dabei müsste doch allen Beteiligten klar sein, dass einem Wandel der kulturellen Produktionsbedingungen, einem Umbruch der Wahrnehmung und Nutzung von Kultur, wie wir ihn aktuell erleben, auch ein Wandel der Förderstrukturen folgen muss. Nach Berlin fließen circa 40 Prozent der gesamten Mittel für die Bundeskulturförderung. Das ist nicht einfach mit dem Gedanken des kooperativen Kulturföderalismus in Einklang zu bringen. Trotzdem wird über Museumsneubauten mit Kosten in dreistelliger Millionenhöhe öffentlich nachgedacht. Umsetzen müsste dies die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, eine Stiftung, die chronisch unterfinanziert ist, die seit Jahren mit einer Vielzahl von Bau- und Sanierungsprojekten überlastet, wenn nicht überfordert ist, und deren Bauetat in diesem Haushalt um keinen einzigen Euro aufgestockt wird. Wie soll diese Stiftung ein neues Museum der Moderne finanzieren? Was wir jetzt brauchen, ist eine grundsätzliche Debatte über die Finanzierung der Stiftung und eine deutliche Aufstockung ihrer Mittel. Neben Visionen von Museumsneubauten brauchen wir auch, Frau Grütters, Visionen für die Kulturförderung der Zukunft. Zeitgemäße Kulturpolitik muss Antworten haben auf die aktuellen Herausforderungen wie zum Beispiel den demografischen Wandel oder die Digitalisierung. Künstlerinnen und Kreative müssen ausreichend sozial abgesichert sein. ({4}) Für viele dieser Punkte hat die Linke bereits Vorschläge vorgelegt. ({5}) Frau Grütters, Sie haben kürzlich im Spiegel gefordert - Zitat -: „Gebt mir die Millionen.“ Dazu sage ich: Kämpfen Sie um die Millionen - für die Kultur! Danke. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Dr. HansUlrich Krüger das Wort. ({0})

Dr. Hans Ulrich Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003575, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Große Koalition macht eine gute Arbeit. ({0}) Dies beweist der jetzt vorliegende Gesetzentwurf zum Haushalt. Wir brauchen auch in diesem Jahr, wie es unser geehrter, leider viel zu früh verstorbener Kollege Peter Struck anlässlich eines derartigen Einbringungsvorgangs einmal gesagt hat, „unser Licht nicht unter den Scheffel zu stellen“. Einen auf der einen Seite strukturell ausgeglichenen Haushalt und auf der anderen ein in den Koalitionsverhandlungen gutes und sozial gerechtes, aber vor allen Dingen finanzierbares Investitionsprogramm zu gestalten, das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine Kunst. Und wir alle wissen: Kunst kommt von Können. Die Koalition hat sich viel vorgenommen, und sie wird auch viel erreichen. Für eine Haushaltskonsolidierung braucht man zum einen Disziplin und zum anderen eine gute gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Beide Faktoren liegen vor, ja, sie geben uns den Spielraum, die in den Koalitionsverhandlungen prioritär vereinbarten Ziele umzusetzen: die Rente mit 63, die Mütterrente, Investitionen in Bildung und Forschung, Unterstützung der Kommunen. Gestaltungsspielräume zu nutzen und gleichzeitig zukünftige Generationen zu entlasten, sind von jeher sozialdemokratische Anliegen. ({1}) Mit der in der letzten Großen Koalition im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse haben wir eine Grundlage hierfür bereits geschaffen. Mit den mutigen Reformen noch unter Gerhard Schröder sowie dem entschlossenen und heute auch schon mehrfach angesprochenen Handeln des Finanzministers Peer Steinbrück und des Arbeitsministers Olaf Scholz während der Finanzkrise durch ein umfassendes Konjunkturpaket haben wir eine weitere Basis dafür geschaffen, dass wir heute über einen strukturell ausgeglichenen Haushalt für das Jahr 2014 beraten können und für 2015 einen Haushalt ganz ohne neue Schulden vorzeigen wollen und werden. ({2}) Das nenne ich „Investieren in die Zukunft“. Wie ich schon eingangs feststellte: Zum einen einen strukturell ausgeglichenen Haushalt aufzustellen und zum anderen Geld für wichtige Investitionen in die Hand zu nehmen, ist eine Kunst. Beides ist voneinander abhängig. Ich kann behaupten, dass die SPD die in der Regierung vorhandenen Spielräume für die richtigen Prioritäten nutzt. Lassen Sie mich das kurz vorstellen. Die Lebensleistung von Menschen muss anerkannt werden. Wer 45 Jahre gearbeitet hat, darf und soll die Früchte seiner Arbeit auch ernten können; die Kollegin Hasselfeldt hat soeben zutreffend darauf hingewiesen. Das heißt, wer mit 18 oder sogar früher angefangen hat, hart zu arbeiten, kann mit 63 in den Ruhestand gehen. Nicht jeder von uns leistet einen solchen Solidaritätsbeitrag, indem er derart lange Beiträge in unser Sozialversicherungssystem einzahlt. Insofern ist die Anerkennung der Lebensleistung dieser Menschen nicht nur sozial gerecht, sondern auch sachgerechte Fürsorge des Staates. Deswegen liegt die Zustimmung für die Rente mit 63 für langjährig Versicherte in der Bevölkerung bei 87 Prozent und bei den 18- bis 34-Jährigen sogar bei 89 Prozent. Gerade der Großteil der jungen Generation steht vollständig hinter dem Plan, Menschen, die jahrzehntelang hart gearbeitet haben, einen früheren Rentenzugang ohne Abschläge zu ermöglichen. Der Rentenbeitragssatz in der Deutschen Rentenversicherung bleibt 2014 also bei 18,9 Prozent. Es bleibt damit beim Status quo. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht genug: Wir verbessern auch die Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der Rente für Väter und Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden. Auch das ist ein Gebot der Fairness. Eltern, die ihre Kinder erziehen, wissen, was das heißt. Kindererziehung und Kinderbetreuung sind ein Fulltime-Job. Von daher ist es nur fair und sozial gerecht, dass die Kindererziehungszeit mit einem weiteren Entgeltpunkt berechnet wird. Zukünftig, also ab dem 1. Juli 2014, erhalten demgemäß Väter und Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, pro Kind zwei Jahre Erziehungszeit angerechnet und damit eine erhöhte Rente. Diese „Mütterrente“ wird zunächst aus den Beiträgen der Rentenversicherung und den Rücklagen finanziert. Als SPD - das bekenne ich ganz freimütig - hätten wir uns vorstellen können, hierfür Steuermittel heranzuziehen. Dies jedoch war aus den bekannten Gründen in den Verhandlungen nicht umsetzbar. Somit wird es 2019 einen zusätzlichen Bundeszuschuss aus Steuermitteln an die gesetzliche Rentenversicherung geben. Diese Mittel werden dann bis 2022 auf 2 Milliarden Euro jährlich erhöht. Sie sehen, meine Damen und Herren, auch die Mütterrente ist ein Gebot staatlicher Fairness. Einen dritten Punkt möchte ich ebenfalls noch erwähnen, nämlich die Erwerbsminderungsrente. Auch diese erhöhen wir. Die Erwerbsminderungsrente erhalten bekanntermaßen Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen, zum Beispiel wegen eines Unfalls, nicht mehr berufstätig sein können. Auch hier ist staatliche Fairness angebracht. Wir werden daher die Erwerbsminderungsrente ebenfalls ab dem 1. Juli 2014 um 5 Prozent erhöhen. Nur ein handlungsfähiger Staat ist in der Lage, sich stark zu machen für sozialen Ausgleich und gesellschaftliche Teilhabe. Das tun wir. Das wollen wir. Ein weiterer wichtiger Förderungsschwerpunkt sind Investitionen in Bildung und Forschung. Bildung und Forschung ist und wird ein Schwerpunkt unserer gemeinsamen Politik bleiben. 14 Milliarden Euro werden hierfür im Haushalt zur Verfügung gestellt. Wir reagieren damit auch auf die stark gestiegene Zahl von Studienanfängern und -anfängerinnen. Es ist gut und wichtig, dass immer mehr junge Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten einen guten Schulabschluss schaffen und Zugang zu den Universitäten und so zu optimaler Chancengleichheit im Leben erhalten. Das kostet Geld. Von daher ist es nicht nur richtig, sondern notwendig, dass der Bund 2014 circa 1,8 Milliarden Euro zur Verfügung stellt, womit die Länder bei der Schaffung zusätzlicher Studienplätze unterstützt werden. In diesem Zusammenhang müssen natürlich auch die Studienbedingungen und die Qualität der Lehre verbessert werden. Wir müssen es darüber hinaus auch als Baustelle und Hausaufgabe für die aktuelle Legislatur ansehen, eine grundlegende Reform des BAföG zu erarbeiten und auch zu beschließen. ({3}) Ein besonderes Anliegen sozialdemokratischer Politik ist die Stärkung der Leistungsfähigkeit unseres Bildungssystems. Um es mit den Worten der nordrheinwestfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft auszudrücken: „Wir wollen kein Kind zurücklassen.“ Das Gleiche gilt für Schüler, Jugendliche und Studenten. Anders gesagt: Die Chancen junger Menschen dürfen nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen. ({4}) Auch die Forschung wird weiter gestärkt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die entsprechenden Einrichtungen erhalten 5 Prozent höhere Zuwendungen. Eine weitere prioritäre Maßnahme - das wurde heute schon angesprochen - ist die Erhöhung der Mittel für die Städtebauförderung. Ich erinnere nur daran, dass das Projekt „Soziale Stadt“ zuletzt noch mit 28,5 Millionen Euro, also knapp 30 Millionen Euro, dotiert war. Wir haben mittlerweile eine Dotation von 150 Millionen Euro festgelegt. Ich erinnere daran, dass wir die Mittel für die Städtebauförderung auf 700 Millionen Euro angehoben haben. ({5}) Das ist etwas, was angesichts der Lage der Kommunen bitter nötig ist. Im Zusammenhang mit den Kommunen komme ich nun zu einem zentralen und wichtigen Thema dieses Bundeshaushalts. Ja, wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass der Bund die Kommunen finanziell entlastet. Das ist angesichts der Belastung finanzschwacher Städte und Gemeinden bitter nötig. Viele Städte und Kommunen, die erhebliche Leistungen zu erbringen haben, können ihre Haushalte kaum noch stemmen. Sie stehen häufig unter dem Druck von Haushaltssiche2352 rungskonzepten und verlieren damit das ureigenste kommunale Instrument der Selbstverwaltungshoheit. An dieser Stelle sind wir gefordert. Ab 2014 - auch das ist angesprochen worden - übernimmt der Bund vollständig die Kosten der Grundsicherung in Höhe von aktuell 5,5 Milliarden Euro. Das ist ein großer, für die Gemeinden direkt positiv spürbarer Erfolg sozialdemokratischer Politik, der - ich erinnere daran - nicht zuletzt aufgrund der rot-grünen Hartnäckigkeit im Vermittlungsausschuss zustande gekommen ist. Ferner haben wir vereinbart, dass die Kommunen im Rahmen der Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes in einem Umfang von 5 Milliarden Euro jährlich von den Kosten der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen entlastet werden. Wir stehen fest zur Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes in dieser Legislatur; daran wird nicht gerüttelt. Und eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auch klar: Bis dieses Gesetz erarbeitet ist, werden die Kommunen, beginnend ab Januar 2015, um 1 Milliarde Euro jährlich entlastet. Ziel ist es, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales noch in diesem Jahr mit den Arbeiten an diesem Gesetzgebungsvorhaben beginnt. Im Zuge des Bundesteilhabegesetzes soll die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht weiterentwickelt werden, das Leben von Menschen mit Behinderung eindeutig und konkret verbessert werden. Wir werden daher alles dafür tun, dass dieses Gesetz in 2016 verabschiedet wird. Wir definieren auch ganz klar das angestrebte Ziel, bereits 2017 zu einer höheren Entlastung der Kommunen zu kommen. Sie sehen, meine Damen und Herren, auf der einen Seite einen strukturell ausgeglichenen Haushalt zu präsentieren und auf der anderen Seite Zukunftsinvestitionen für die Menschen in unserem Land vorzusehen, schließt sich nicht aus, nein, das ist unabdingbar miteinander verbunden. Wir betreiben insofern eine Politik der ökonomischen Vernunft. Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der Debatte um die Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand zum Schluss noch ein paar Sätze zur Steuerehrlichkeit in unserer Gesellschaft sagen, einem Thema, welches uns, die Medien und die Menschen im Land in den letzten Wochen sehr bewegt hat. Ich möchte daher in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass es der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans war, der mit dem beharrlichen, damals von vielen beschimpften, heute aber von fast allen bejahten Ankauf von Steuer-CDs nicht nur eine Diskussion über Steuerehrlichkeit und Steuermoral in Gang gesetzt hat, sondern auch dafür gesorgt hat, dass so mancher hinterzogene Steuereuro doch noch in die Staatskasse geflossen ist. ({6}) Nordrhein-Westfalen hat für den Kauf von Steuer-CDs bislang einen einstelligen Millionenbetrag ausgegeben und dadurch im Gegenzug mehr als 300 Millionen Euro an entzogenen Steuern für die Bürger eingenommen wie ich finde, eine gute Rendite. Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen - auch an die Opposition gerichtet -: Die Große Koalition packt an allen Fronten, auf allen Ebenen die Probleme an. Wir sind auf einem sehr guten Weg. Diesen werden wir weitergehen. Ich lade Sie daher ein, unsere Arbeit bei den Haushaltsberatungen zu unterstützen. Ich danke Ihnen. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters. ({0})

Not found (Gast)

Liebe Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gleich zwei Ereignisse haben uns Kulturfreunde - übrigens weltweit - in den letzten Tagen sehr bewegt: Das eine war der Durchbruch bei der Bearbeitung des sogenannten Schwabinger Kunstfundes und das andere die große Ausstellung von Ai Weiwei im Martin-Gropius-Bau. Ich finde, beide Ereignisse - deshalb erwähne ich sie hier eingangs sagen sehr viel aus über unser Verständnis als Kulturnation. Gestern konnten wir immerhin erleichtert feststellen, dass Herr Gurlitt sich bereit erklärt hat, die Raubkunst freiwillig - das ist erstmals in der Geschichte der Republik so - an die Erben der damaligen, meist jüdischen Besitzer zurückzugeben. Das ist nicht nur ein großer Erfolg in diesem spektakulären Fall, sondern das zeigt vor allem, dass Deutschland auch 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges nicht aufhört, seine Vergangenheit aufzuarbeiten, selbst wenn es wehtut. ({0}) - Ich finde, dass das, worum es hier geht, einen Applaus wert ist, insbesondere weil sich ein Privater, der das nicht hätte tun müssen, freiwillig dazu bereit erklärt hat. Vor allen Dingen wird eines dabei sichtbar: Es geht im Einzelfall nicht immer nur um den materiellen Ausgleich, sondern auch um die Anerkennung der Opferbiografien, ({1}) also auch um so etwas wie die moralische Durchdringung unser aller Geschichte. Vor genau einer Woche haben wir im Martin-GropiusBau die weltweit größte Ausstellung des Künstlers Ai Weiwei eröffnet, die deshalb weltweit so viel Aussehen erregt, weil er in China unter Hausarrest steht und weil seine Kunst, die subversiv ist und manchmal fast verführerisch ästhetisch, obwohl er in allen seinen Arbeiten immer wieder auch die Unterdrückung, die er erfahren hat, aufarbeitet, so etwas ist wie ein Manifest gegen Ungerechtigkeit und gegen Willkür. Daran wird deutlich, dass Kunst und Kultur - das gilt nicht nur für Deutschland, sondern überall - kein dekorativer Luxus sind, sondern eine Haltung, ein Modus des Zusammenlebens. Die Künstler denken über die Bedingungen unserer Existenz und über die Verfasstheit einer Gesellschaft nach, und man kann eine Gesellschaft sehr genau daran erkennen, wie sie mit ebendiesen Künstlern umgeht. Das ist eine Art Lackmustest für die Demokratie und für die Achtung der Menschenrechte. Friedrich Schiller hat das, wie ich finde, einmal sehr poetisch in die Worte gefasst: „Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit.“ Der Schutz dieser Freiheiten, unter denen Geist und Kultur gedeihen, muss deshalb auch oberster Grundsatz jeder verantwortlichen Kulturpolitik sein; denn es kann ja nur der Staat sein, der diese Kunst und diese Freiheit schützt. Das heißt, wenn wir heute über den Kulturetat der Bundesregierung sprechen, dann sprechen wir über nichts Geringeres als über die Grundlage unseres Zusammenlebens. Ganz konkret: Ein Staat wie Deutschland, der reich an kulturellen Traditionen ist, dessen Brüche aber auch sehr radikal sind, muss eben auch im Umgang mit seinen Kulturgütern Klarheit schaffen und nach fairen und gerechten Lösungen suchen. Deshalb bin ich sehr dankbar - und das ist nicht banal -, dass wir die Mittel für Provenienzrecherche und für die Rückgabe tatsächlich noch in diesem Haushalt für 2014 verdoppeln konnten. Es kann sein, dass das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste spät kommt, aber es kommt noch zur rechten Zeit. Das macht einmal mehr deutlich, wie wichtig uns die Aufgabe ist. Deshalb bin ich wirklich dankbar und immer noch beeindruckt, dass ausgerechnet meine israelische Kollegin Limor Livnat bei unserem Besuch unvermittelt - das war nicht geplant - einmal mehr gesagt hat, sie bewundere, was wir in der kurzen Zeit gemacht haben. Sie fragte sogar, ob wir deutsche Provenienzforscher in israelische Museen schicken können. Wenn das kein Vertrauensbeweis ist! ({2}) Jetzt, verehrte liebe Kollegin Rößner, komme ich zur Medienpolitik, und zwar zu dem Teil, den der Bund zu verantworten hat. Ich weiß, Sie haben sich ins ZDF verbissen, aber das ist und bleibt Ländersache. - Übrigens, zu persönlichen Raufereien: Ich neige wirklich nicht dazu, gleich meinen Amtsvorgänger aus dem Amt zu jagen. Kommen wir also zur Medienpolitik des Bundes. Die Krisen in der Ukraine und der Arabische Frühling - oder das, was davon übrig geblieben ist - zeigen uns einmal mehr, wie wichtig unabhängiger, freier Journalismus ist. Die Deutsche Welle als Auslandssender steht eben für Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Menschenrechte, Demokratie und soziale Marktwirtschaft. ({3}) - Da können Sie gerne lachen. Ich finde, es ist nicht zum Lachen, sondern wichtiger denn je. ({4}) Der Wettbewerb um die Weltöffentlichkeit, um Werte und Ideen hat sich drastisch verschärft. Die Deutsche Welle konkurriert inzwischen mit mindestens 26 internationalen Sendern, und viele von denen stehen eben nicht für freie Meinungsäußerung, sondern für eine aggressive und tendenziöse Berichterstattung und nicht selten für Zensur und Propaganda. Trotzdem ist es der Deutschen Welle in den letzten Jahren gelungen, die Nutzung ihres Angebots um 17 Prozent auf immerhin 101 Millionen Zuschauer pro Woche zu steigern. Ich glaube, das ist ein Zeichen für hohe Glaubwürdigkeit. Sie setzt daneben natürlich auch mit mutigen Entscheidungen ein Zeichen, wie der, die Satiresendung des Ägypters Bassem Youssef in ihr Programm zu übernehmen; da hat es starke Konkurrenz, nicht zuletzt von der BBC, gegeben. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Deutsche Welle stärken. Dies haben wir in diesem Haushalt kurzfristig mit mindestens 2 Millionen Euro mehr - auch über ODA-Mittel getan, und das soll nicht das letzte Wort gewesen sein. ({5}) Helfen Sie also mit, die Deutsche Welle zu stärken und zu stabilisieren. Noch ein paar Worte zum Thema Filmförderfonds. Er ist hier angesprochen worden. Dafür standen jahrelang 60 Millionen Euro zur Verfügung. Das verteidige ich auch. Als die Mittel einmalig auf 70 Millionen Euro aufgestockt wurden, sind - das müssten Sie wissen - nur 62 Millionen Euro abgeflossen, nicht mehr. Ich finde es traurig, dass wir alle die Filmförderung immer nur auf diesen einen Fonds reduzieren und nichts über die Drehbuchpreise, über die Förderung des Kinderfilms in Deutschland, über das Oberhausener Filmfestival und beispielsweise über die Berlinale sagen. Ich fände es besser, wenn wir die Filmförderung ernst nähmen. Sie steht ganz oben auf unserer Agenda und nimmt mehr Raum ein als fast alle anderen Themen. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin Grütters, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Rößner?

Not found (Gast)

Ja.

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Grütters. - Ich will im Zusammenhang mit dem Deutschen Filmförderfonds nachfragen. Sie haben am 6. Februar dieses Jahres - das ist gerade einmal zwei Monate her - gesagt - ich zitiere -: Filme brauchen Förderer - einer der wichtigsten Grundpfeiler der Filmförderung in Deutschland ist der Deutsche Filmförderfonds ({0}). Im letzten Jahr wurden im Rahmen des DFFF 70 Millionen Euro für die Produktion von Kinofilmen zur Verfügung gestellt. Auch der im Juni letzten Jahres beschlossene Entwurf des Bundeshaushaltes 2014 sieht für dieses Jahr eine Förderung in Höhe von 70 Millionen Euro vor. Und dabei wollen wir auch gerne bleiben! Das war Ihre Ankündigung. Deshalb wundere ich mich jetzt, dass - Monika Grütters, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin: Frau Kollegin, wir reden im Moment über den Regierungsentwurf. ({1}) In dem waren immer 60 Millionen Euro vorgesehen. ({2}) Die 10 Millionen Euro, die hinzukommen, hoffe ich, ehrlich gesagt, im parlamentarischen Verfahren verteidigen zu können. Sie sollten aber zumindest zur Kenntnis nehmen, dass in einem Jahr nur 62,4 Millionen Euro abgeflossen sind. ({3}) Wir alle gemeinsam können dafür werben, dass es im parlamentarischen Verfahren - das war zumindest in den vergangenen zwei Jahren so - wieder zu einer Aufstockung kommt. Aber wir reden jetzt über den Regierungsentwurf. Jetzt möchte ich weitermachen. Die Wahrung unseres kulturellen Erbes ist das eine Thema. Ich komme zu einem anderen Thema, das Sie angesprochen haben, nämlich der Fürsorge für die Künstler, die für uns wichtig sind. Deswegen hat für die Kollegin Nahles - jetzt ist sie nicht mehr da - und für mich die Künstlersozialkasse, die vor 31 Jahren gegründet wurde, wieder einmal Priorität in unserer Politik, und wir haben bereits innerhalb der ersten 100 Tage dafür gekämpft, dass dieser kulturpolitische Meilenstein ({4}) - jetzt gibt es eine Diskussion um den Filmförderfonds; das finde ich schade, weil die Künstlersozialkasse mindestens genauso wichtig ist - nicht beschädigt wird. ({5}) Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass Künstler angemessen bezahlt und sozial abgesichert werden. Ich bin der Kollegin dankbar, dass sie schon jetzt einen Entwurf vorgelegt hat, auf den wir uns verständigt haben und der am 30. April im Kabinett beraten werden soll, damit die Künstler tatsächlich besser abgesichert werden. Frau Hupach, ich komme zum Thema kooperativer Kulturföderalismus. Ich finde, wir Kulturleute können noch einigermaßen froh darüber sein, dass die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen in der Kultur relativ gut funktioniert. Ich erinnere an den Bildungsbereich, in dem man sich selbst auf die Aufhebung des Kooperationsverbotes zur Finanzierung der Hochschulen nicht einigen kann. Ich habe immerhin bereits zwei Monate nach Amtsantritt nicht nur die Kulturminister, sondern auch Vertreter der Kommunen zum Gespräch eingeladen. Wir haben uns für die gemeinsame Arbeit drei wichtige Themen vorgenommen. Das ist mehr, als es je gegeben hat, und natürlich werde ich weiter daran arbeiten. ({6}) Freiheit von Kunst und Kultur heißt natürlich auch Freiheit von Geldsorgen. Geld ist nicht alles. Aber ohne Geld geht fast nichts. 1,6 Prozent der Mittel in den öffentlichen Haushalten für Kultur sind übrigens nicht viel, aber wir sind damit immer noch das Land mit der weltweit höchsten Kulturdichte. Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, dass es mit der großen Unterstützung durch das Parlament, durch die Haushälter und auch durch den Finanzminister - das ist in Zeiten von Schuldenbremse, ausgeglichenen Haushalten oder dem ehrgeizigen Ziel der Schuldentilgung nicht wenig - gelungen ist, den Etatansatz zu verteidigen. Ich hoffe natürlich ein bisschen auf die Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Ich nenne hier das Stichwort Denkmalschutzprogramm. Ihre Unterstützung und Ihrer aller Solidarität haben dazu geführt, dass die Kultur in unserem Land einen so hohen Stellenwert hat. Ich möchte mich auch ausdrücklich bei der Opposition bedanken; denn das große Einvernehmen ist fraktionsübergreifend und beschränkt sich nicht auf die Koalitionsfraktionen. Wie sagte Schiller: „Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit.“ Ich finde, sie ist auch das geistige Band, das uns zusammenhält. Hoffen wir gemeinsam, dass es stark bleibt und hält. Ich bedanke mich. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Dr. Eva Högl hat nun für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Diese Koalition hat vereinbart, den Kulturhaushalt des Bundes auf hohem Niveau weiterzuentwickeln. Weiter heißt es - ich darf zitieren -: „Kultur ist keine Subvention, sondern eine Investition in unsere ZuDr. Eva Högl kunft.“ So haben wir das in unserem Koalitionsvertrag niedergelegt. ({0}) Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, und trotzdem wissen gerade die Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker, dass wir diese vermeintliche Selbstverständlichkeit mit Leben füllen müssen und dass wir Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker einen ganz langen Atem brauchen und unsere Anliegen häufig gegen massive Widerstände durchsetzen müssen. Gestatten Sie mir, Frau Bundeskanzlerin, dass ich an einen Ihrer Vorgänger erinnere. 1998 - es war also eine rot-grüne Bundesregierung - hat es Gerhard Schröder durchgesetzt, dass wir einen Beauftragten für Kultur und Medien bekommen. Das war damals Michael Naumann. Ich darf auch sagen, dass ich froh bin, dass wir mit Ihnen, liebe Frau Grütters, so eine engagierte und durchsetzungsstarke Person an dieser Stelle haben und sicherlich noch viel bewegen können. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie werden verstehen, dass ich es als Berlinerin begrüße, dass wir in unserer Kulturpolitik einen Akzent auf die Hauptstadtkultur legen und dass viele der bereitgestellten Mittel des Bundes nach Berlin und dort direkt in kulturelle Einrichtungen und Projekte fließen. Zahlreiche dieser Einrichtungen und Projekte haben ihren Standort sogar in meinem Wahlkreis, nämlich in Berlin-Mitte. Deswegen freue ich mich darüber ganz besonders. Wichtig ist aber vor allem, dass wir uns der Bedeutung Berlins als Kulturhauptstadt bewusst sind und dass wir Berlin nicht nur unterstützen, sondern auch mit Berlin gemeinsam vor Ort eine gute Kulturpolitik gestalten, von der auch wir sehr stark profitieren. ({2}) Lassen Sie mich drei aktuelle Themen kurz anreißen. Das Stichwort Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist schon gefallen. Diese Stiftung gehört zu den größten und bedeutendsten Kultureinrichtungen, die wir in Deutschland haben, und leistet ganz hervorragende Arbeit. Ich möchte einen Punkt ansprechen, liebe Frau Grütters, den Sie in den letzten Wochen in die Diskussion geworfen haben, nämlich den Standort der alten Meister bzw. den Umzug der alten Meister vom Kulturforum auf die Museumsinsel. Ich finde es als Kulturpolitikerin richtig und wichtig, Visionen zu haben und Perspektiven zu entwickeln. Das ist notwendig. Das brauchen wir insbesondere in der Kulturpolitik. Es ist eine charmante Idee, auf der Museumsinsel alle Kunstwerke zu versammeln, die dort hingehören. Aber wir Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker wissen auch - das sage ich mit Blick auf die Haushälterinnen und Haushälter -, dass wir die besten Pragmatiker sein müssen. Deswegen müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass nicht alles, was künstlerisch ideal und eine schöne Vision wäre, tatsächlich durchsetzbar ist. Es gehört auch zur Haushaltsdebatte, zu sagen: Vielleicht reicht ein bisschen weniger, wenn es dafür durchsetzbar ist. Wenn wir aber den Umzug und schöne Gebäude für das Kulturforum wollen, was ich mir als Berlinerin wünschen würde, dann müssen wir alle gemeinsam - so ehrlich sollten wir miteinander sein; Frau Grütters hat eben schon gesagt, dass sie auf die Parlamentarier setzt - eine ganze Menge mehr Geld in die Hand nehmen. Stichwort Humboldtforum - das ist ein wichtiges Thema für uns alle im Deutschen Bundestag -: Wir wollen das Humboldtforum zu einem Zentrum machen, das ein beliebter Ort im Herzen von Berlin ist, wo etwas stattfindet und wo alle gerne hingehen. Deswegen diskutieren wir jetzt nicht länger über das Schloss, ob wir es gut finden oder ob wir uns ein anderes Gebäude hätten vorstellen können; vielmehr ist es jetzt unsere Aufgabe, darüber zu debattieren, was dort stattfinden soll. Wir laden die Kulturen der Welt ins Herz von Berlin ein. Das ist eine ganz hervorragende Entscheidung. Deswegen müssen wir gemeinsam in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren darüber debattieren, was genau dort stattfinden soll und wie wir das Humboldtforum als lebendigen Ort der Kultur gestalten. ({3}) Jetzt habe ich viel über Hochkultur gesprochen. Ich möchte nicht schließen, ohne deutlich zu machen, dass Kunst und Kultur aus vielen kleinen Projekten und Initiativen bestehen, für die sich Einzelne zusammentun und eine Existenz gründen. Das gilt im Übrigen nicht nur für Kunst und Kultur, sondern auch für Medien. Deswegen ist es unglaublich wichtig, dass wir all diejenigen Kulturschaffenden - ganz kleine, feine Initiativen - unterstützen, nicht nur im Bereich der sozialen Sicherheit durch die Künstlersozialkasse, sondern auch durch Programme und Projekte, beispielsweise Atelierprogramme, dass wir ihnen einen guten Start verschaffen und es vor allen Dingen - darauf kommt es in der Kulturpolitik an vielen Menschen ermöglichen, diese Kultur nicht nur zu genießen und sich an ihr zu beteiligen, sondern sie aktiv zu gestalten und sich damit auseinanderzusetzen. Kulturpolitik ist beste Gesellschaftspolitik. Das setzt voraus, dass möglichst viele an ihr partizipieren. Auch das ist unsere Aufgabe, wenn wir über den Kulturhaushalt diskutieren. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Rüdiger Kruse hat nun für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Rüdiger Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004083, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegin Rößner von den Grünen - sie ist nicht mehr anwesend - hat sich vehement für die Filmförderung eingesetzt, was natürlich eine gute Sache ist. Daher mag es geschenkt sein, dass sie nicht Gleiches mit Gleichem verglichen hat. Die Regierungsentwürfe sind mit 60 Millionen Euro gleich geblieben. Wir haben dann als Parlament noch 70 Millionen Euro draufgelegt. ({0}) - 10 Millionen Euro, Entschuldigung; ich will da keine Erwartungen wecken. - Wenn man einmalig etwas drauflegt, wird das oft im Nachgang quasi noch bestraft, weil das dann für immer gefordert wird. Wenn aber von 70 Millionen Euro nur circa 63 Millionen Euro abfließen, war die Erwartung, dass es sich um einen begierigen Schwamm handelt, der viel mehr aufsaugen könnte, wohl doch nicht richtig. Das heißt, so schlecht liegen wir mit den 60 Millionen Euro nicht. Wenn man denn vergleichen will, dann müssten die Grünen in diesem Punkt vergleichen, was sie zu ihrer Regierungszeit mit dem Deutschen Filmförderfonds gemacht haben. Wie hoch waren die Zahlen damals? Waren das 60 Millionen, 50 Millionen, 30 Millionen, 20 Millionen oder 10 Millionen Euro? - Es waren 0 Euro! Das ist der Ausgangspunkt gewesen. ({1}) Angesichts dessen ist es kein schlechtes Ergebnis, dass 2014 wieder 60 Millionen Euro für den deutschen Film zur Verfügung gestellt werden. ({2}) Das ist ein guter Einstieg für eine Momentaufnahme in diesem Land. In diesem Augenblick leben wir in einem Wohlfühlland; Sie kennen das vielleicht. Dann kommt meistens herbe Kritik. Obwohl ich keine rheinische Frohnatur bin, fühle ich mich gerne wohl. Ich finde es gut, dass die meisten Menschen sagen: Es lebt sich gut in Deutschland; wir sind gerne hier. - Sie haben das auch verdient; denn sie haben das alles über Jahrzehnte mit viel Leistung aufgebaut. Von außen betrachtet - ich betone: von außen -, aus Sicht der Mehrzahl der anderen Länder, ist Deutschland wahrscheinlich so etwas wie ein Paradies. Nun gibt es zwischen dem Wohlfühlaugenblick, den wir gerade erleben, und dem Paradies entscheidende Unterschiede. Das Paradies ist für die Ewigkeit, aber erst in der Ewigkeit. Der Augenblick - das besagt schon das Wort - ist ein Moment, der wieder vergeht. Wenn man den Wunsch hat, dass der Augenblick verweilen soll, dann muss man etwas dafür tun. Damit verhält es sich in etwa so, als ob Sie in einem strömungsschnellen Fluss rudern. Wenn Sie nicht nur auf der Stelle bleiben, nicht nur Fahrt übers Wasser, sondern über Grund machen, dann sind Sie richtig gut. Wenn Sie dann aber vor lauter Freude die Ruder hochklappen und sagen: „Was haben wir vollbracht!“, dann sind Sie ganz schnell wieder hinter dem Ausgangspunkt und treiben irgendwann hinaus auf das offene Meer. Viel Glück! Das bedeutet, dass der Mensch, solange er lebt, eben streben muss. Wir müssen also etwas tun, um den Wohlfühlaugenblick zu verlängern. Wenn wir dann noch den Ehrgeiz haben, das zum Ende der Legislaturperiode zu verbessern, bedeutet das, dass noch viel zu tun ist. Ein wesentliches Kriterium des Haushalts 2014 ist, dass er zum ersten Mal seit langer Zeit die Zukunftsfähigkeit in sich trägt. Wenn wir das so machen, dann können wir das auch so weitermachen. Wenn wir eine schwarze Null schreiben, dann ist das ein sehr guter Ansatz. Genau das schulden wir zukünftigen Generationen. Aber wie machen wir das in Zukunft? Wo gibt es noch Bereiche, in denen wir in den nächsten vier Jahren mehr tun müssen? Vergleichen wir das Ganze einmal mit dem Körperbau. Damit Gehirn, Lunge und alles andere funktionieren, gibt es im Körper eine Infrastruktur, bestehend unter anderem aus Arterien, Venen und Nerven. Was tun wir für die Infrastruktur, um das Ganze zu unterhalten? Uns stehen rund 300 Milliarden Euro zur Verfügung. Diese Summe wird von Arbeitnehmern und Arbeitgebern erwirtschaftet und uns über Steuern übereignet, damit wir dieses Geld für das Land wieder vernünftig ausgeben. Um dauerhaft Steuereinnahmen in Höhe von rund 300 Milliarden Euro zu verdienen, investieren wir in die Infrastruktur round about 12 bis 13 Milliarden Euro. Das ist nicht sehr viel. Wenn man eine Rendite zu erwarten hat, wenn man ohne Steuererhöhungen in Zukunft mehr machen möchte, dann muss man bei gleichen Steuersätzen versuchen, aus den Steuereinnahmen mehr zu machen. Selbst wenn man das Niveau nur halten will, wird man investieren müssen. Das heißt, perspektivisch sind wir gut beraten, wenn wir dieses Segment noch weiter ausbauen. Die 5 Milliarden Euro mehr in dieser Legislaturperiode sind ein richtiges Zeichen; das ist ein erster Schritt. Aber bekanntlich bestehen längere Wege nicht nur aus einem Schritt. Das heißt, wir müssen noch weiter gehen. Wenn man sich etwas wünschen dürfte, dann wäre es, dass man sich darauf einigt, in den nächsten 20 Jahren eine Politik zu betreiben, mit der der Nachholbedarf in der Infrastruktur in Höhe von 60 bis 80 Milliarden Euro in diesem Zeitraum gedeckt wird. Dahin sollte man das Ganze steuern. Das wäre schon einmal ein guter Beitrag. Wasserstraßen, Schienen und Autobahnen sind sehr wichtig, aber sie sind nicht identitätsstiftend. Damit sind wir bei dem Thema, das eben stark anklang, nämlich der Kultur. Diese ist sehr identitätsstiftend und sagt viel über ein Land aus. Sie trägt viel dazu bei, dass man sich dort wohlfühlt. Wir haben vorhin über die Infrastruktur gesprochen, wo viel gebaut wird. Bei einem Staatsbau gibt es immer die Abteilung Kunst am Bau. Es wäre jetzt vielleicht abfällig, wenn ich sagen würde, Monika Grütters sei die Staatsministerin für Kunst am Bau. Das klingt so ähnlich wie „Frauen und Gedöns“. Aber wenn ihr Etat so groß wäre wie der für Kunst am Bau, dann beliefe er sich auf immerhin 2 bis 3 Prozent des Gesamtetats. Nun ist Wolfgang Schäuble nicht mehr da, sonst wäre er jetzt erschrocken. Denn das wäre selbst bei 2 Prozent des Gesamtetats eine Verfünffachung der Mittel. Es ist wichtig, langfristig einen Aufwuchs bei den Mitteln für Kulturpolitik anzustreben, aber wir könnten niemals durch Bundesmittel das kompensieren, was die Länder kürzen könnten. Die Länder müssen also weiterhin zu ihren Verpflichtungen stehen, und der Bund muss seine Aufgaben erledigen. Wir müssen noch etwas sehen: Die Aufgabe des Bundes strahlt sehr stark nach Europa aus. Wenn wir unsere Kulturpolitik noch stärker europaaffin ausrichten, das heißt mit unseren Partnern die kulturelle Identität Europas stärken, dann leisten wir einen sehr guten Beitrag zur Identitätsstiftung, und wir leisten auch einen Beitrag dazu - Wolfgang Schäuble hat es gestern in seiner Rede gesagt -, dass ein Europa, das an Bevölkerung, anders als der Rest der Welt, nicht zunehmen wird und dessen Anteil an der Weltwirtschaft nicht zunehmen wird, noch als attraktiver Partner gesehen wird, dass Deutschland ein Land ist, in das man reisen möchte, wo man leben möchte und wo man arbeiten möchte, weil man sich hier wohlfühlen kann. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Hiltrud Lotze das Wort. ({0})

Hiltrud Lotze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004344, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Einzelplan der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, über den wir hier gerade sprechen, beläuft sich auf knapp 1,4 Milliarden Euro. Das ist verglichen mit der Gesamtsumme des Bundeshaushaltes eine kleine Zahl, aber doch eine erkleckliche Summe Geld. Geld hilft, das wissen wir alle, auch in der Kultur. Gleichzeitig ist es aber so, dass die Bedeutung und die Aufgabe der Kultur weit über die ökonomische Erfassung hinausgehen. Kultur muss geschichtsbewusst sein. In kaum einem anderen Bereich besteht eine so enge Verknüpfung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und auch Zukunft wie im Kulturbereich; denn die Art und Weise, wie wir heute in unserer Gesellschaft zusammenleben, ist geprägt durch unsere Erfahrungen in der Vergangenheit. Wir müssen also bedeutende Ereignisse unserer Geschichte immer wieder mitdenken, wir müssen uns an sie erinnern, und wir müssen ihrer gedenken. Deswegen ist zum Beispiel die Erinnerungskultur, die Aufarbeitung und die Auseinandersetzung mit unserer Geschichte, mit der Systemgeschichte, ganz besonders wichtig. Das ist besonders für junge Menschen wichtig, die selber einen Teil der Geschichte nicht erlebt haben, und das stabilisiert auch die Demokratie. ({0}) Für Projekte, Veranstaltungen und Konferenzen anlässlich der Gedenktage, über die hier schon gesprochen wurde - wir gedenken in diesem Jahr des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren, des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren und des Falls der Mauer vor 25 Jahren - und die sich mit der Geschichte künstlerisch und wissenschaftlich auseinandersetzen, sind im Haushalt 500 000 Euro vorgesehen. Für die friedliche Revolution vor 25 Jahren - sie ist eines der einschneidendsten Ereignisse der europäischen und deutschen Freiheits- und Demokratiebewegung - gibt es ebenfalls Geld: Seit Anfang des Jahres fördert das BKM Veranstaltungen und Ausstellungen zu diesem Anlass. Besonders erwähnen möchte ich die Open-Air-Ausstellung „Friedliche Revolution 1989/1990“ der RobertHavemann-Gesellschaft, deren Finanzierung jetzt durch den Haushalt BKM dauerhaft gesichert ist. Das hatten wir auch im Koalitionsvertrag so vereinbart. ({1}) Wie die Vergangenheit unsere Gegenwart beeinflusst, sehen wir am aktuellen Fall Gurlitt; auch darüber ist hier schon gesprochen worden. Durch die Enteignung und den Abkauf von Kunst zu Ramschpreisen während der NS-Zeit ist jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern ein großes Unrecht geschehen. Das ist uns heute eine moralische Verpflichtung, den Gesichtspunkt der Provenienz stärker zu berücksichtigen und rechtliche Regelungen zu Verjährung und Entschädigung zu überdenken. Dieser Verantwortung stellen wir uns. Deswegen werden die entsprechenden Mittel im Bundeshaushalt um 2 Millionen Euro aufgestockt. Gleichzeitig arbeitet unser Bundesjustizminister an rechtlichen Lösungen, um der moralischen Verpflichtung besser gerecht zu werden. Denn der Fall Gurlitt zeigt - auch wenn gerade in diesen Tagen eine Vereinbarung zustande gekommen ist -, dass es nicht nur die öffentlichen Museen sind, die betroffen sind; vielmehr sind es eben auch private Sammlungen, bei denen wir genauer hinschauen müssen. Ich denke, da sind wir uns einig, liebe Kolleginnen und Kollegen: Unrecht der Vergangenheit darf eben auch in der Gegenwart keinen Bestand haben. Dass sich der Bundesjustizminister intensiv mit dieser Frage befasst, zeigt, dass Kultur in der Bundesregierung nicht nur bei der Kulturstaatsministerin, sondern auch in den anderen Ressorts eine wichtige Rolle spielt. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass Andrea Nahles, unsere Bundesarbeitsministerin, in diesen Tagen einen Gesetzentwurf vorstellt, mit dem die Künstlersozialversicherung stabilisiert und mit dem vor allen Dingen ein Anstieg des Abgabesatzes verhindert werden soll. Diesen Gesetzentwurf wollen wir noch vor der Sommerpause hier im Plenum beschließen. Kultur lässt sich natürlich nicht auf gleiche Weise finanzieren wie zum Beispiel ein Stück neue Autobahn, von der man weiß, wie lang und wie breit sie werden soll; Kultur ist eben nicht statisch. Es braucht deswegen Spielraum im Haushalt BKM, um die Förderkulisse lebendig zu halten und um flexibel zu sein im Hinblick auf Dinge, die sich neu entwickeln. Ich schließe mich da Eva Högls Auffassung an, dass wir das bei den zukünftigen Haushaltsverfahren im Blick behalten müssen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Wir kommen jetzt zu dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts, Einzelplan 05. Das Wort hat der Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier. ({0})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Außenpolitik ist erkennbar zurück auf der politischen Tagesordnung, und das in einer Dringlichkeit, die sich kaum jemand von uns gewünscht hätte, nicht einmal die Außenpolitiker in den unterschiedlichen Fraktionen dieses Parlaments. ({0}) - Oder anders, ganz richtig. Vielen Dank. Es ist kein Jahr her, da konnte man den Eindruck gewinnen, unter den politischen Disziplinen sei die Außenpolitik vielleicht diejenige, die schon auf die Rote Liste der aussterbenden Arten gehört. Fall der Mauer, Ende der Blockkonfrontation, deutsche Wiedervereinigung manche haben gedacht: Wenn es nicht das Ende der Geschichte ist, dann ist es aber zumindest der Anfang vom ewigen Frieden. Viele von uns haben gedacht: Jetzt beginnt die Zeit, in der die jährliche Auszahlung der Friedensdividende kommt. Der Bedarf an klassischer Außenpolitik des 20. Jahrhunderts schien sozusagen schon gedeckt. Große Teile des politischen Feuilletons - und nicht nur die - haben sich darin überboten, den Bedeutungsschwund von Außenpolitik mit immer neuen Argumenten zu belegen. Wer dem widersprochen hat, der wurde - ich kann mich erinnern - gleich als politischer Nostalgiker behandelt. Sie wissen: Ich war da immer anderer Meinung. Mit dem Fall der Mauer war der Kalte Krieg zu Ende. Den mutigen Bürgerinnen und Bürgern in Polen und der früheren DDR und denen, die in Tschechien, Ungarn und anderswo geholfen haben, gebührt unser Dank. Aber was war passiert? Die alte Ordnung mit ihren zynischen Gewissheiten, die die Welt in zwei Lager geteilt hat, in Ost und West, war hinweggefegt. Aber eine neue Ordnung war eben nicht entstanden. Im Gegenteil: 25 Jahre nach dem Mauerfall ist die Welt immer noch auf der Suche nach einer neuen Ordnung, und sie wird es bleiben. Es gibt ganz neue Spieler auf der Weltbühne, in Asien und Südamerika, die nicht nur nach wirtschaftlichem Einfluss suchen, sondern auch um politische Macht ringen. Es entstehen neue Interessen und natürlich auch neue Konflikte um Interessen. Die Welt wird multipolar - ja; aber das macht sie ganz offenbar nicht einfacher. Was viele nicht geglaubt hätten, zeigt sich jetzt im Konflikt um die Ukraine: Der Kalte Krieg wirft seine langen Schatten immer noch auf diese neue, veränderte Welt. Der Konflikt um die Ukraine holt uns auf den harten Boden der Realität zurück. Deshalb, meine Damen und Herren, ist jetzt nicht die Zeit für Rückschau und Rechtfertigung, sondern jetzt ist es an der Zeit, zu handeln. Wenn wir eine neue Spaltung Europas verhindern wollen, dann kommt es jetzt auf eine kraftvolle und kluge deutsche Außenpolitik im Bündnis mit unseren Nachbarn und der Europäischen Union an. Das ist das, was wir tun. ({1}) Inmitten dieser Welt, die seit 25 Jahren auf der Suche nach einer neuen Rangordnung ist und neue Interessenkonflikte austrägt, ist auf diesem Kontinent dennoch etwas gewachsen, was aus den Jahrhunderten von Kriegen und Konfrontationen in Europa herausragt: eine europäische Sicherheitsarchitektur, die uns vor dem Rückfall in Gewalt geschützt hat. Ich könnte es auch anders sagen: Nach endlosem Leid, Abermillionen von Opfern und Toten ist sie in jahrzehntelanger Arbeit von vielen Generationen von Politikerinnen und Politikern mühevoll errichtet worden: eine Sicherheitsarchitektur mit Verzicht auf nationale Eiferei, mit Versöhnung, mit guter Nachbarschaft, mit transatlantischen Beziehungen, mit Ostpolitik, mit der KSZE, mit europäischer Integration, mit dem Abriss des Eisernen Vorhangs, mit der Annäherung von Ost und West. Weil das alles so ist, sage ich auch: Jetzt, da an der Grenze Europas gezündelt wird, müssen sich die Staaten Europas geschlossen vor dieses Friedenswerk stellen. Wir dürfen nicht erlauben, dass dieses in Jahrzehnten gewachsene Friedenswerk in wenigen Wochen zerstört wird. Wir dürfen das nicht zulassen! Dagegen werden wir uns mit aller Macht stemmen, meine Damen und Herren. ({2}) Ich glaube, dass dies einer der vielen Gründe ist, weshalb wir seit Beginn des Jahres etwas intensiver als sonst über die Verantwortung unseres Landes in der Welt reden. Ich habe hier in einer meiner ersten Reden in meiner zweiten Amtsperiode davor gewarnt, die Wahrnehmung von Außenpolitik zu sehr aus der Öffentlichkeit und der Politik zu verdrängen, und habe gesagt: Wir sind ein wenig zu groß und ein wenig zu wichtig, um internationale Politik immer nur von der Seitenauslinie zu kommentieren. - Andere erwarten da mehr von uns, mehr als Schulnoten, die wir von hier aus vergeben, mehr als öffentliches Reden und kraftvolle Statements. Wenn es nottut und wenn es nicht kontraproduktiv ist, eben auch Einmischung, mindestens aber Engagement. Ich erinnere uns alle daran: Nicht nur durch Tun, sondern auch durch Unterlassen können wir uns schuldig machen, wenn die Möglichkeit des Handelns besteht. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, genau das ist gemeint. Mit „Verantwortung in der Außenpolitik“ ist nicht eine Militarisierung der Außenpolitik gemeint. „Verantwortung“ ist kein mehr oder weniger verschlüsseltes Codewort für Militäreinsätze. Außenpolitik kann Militäreinsätze als Ultima Ratio nicht ausschließen, aber sie ist das Gegenteil von militärischer Eiferei. Sie ist ihrem Wesen nach ausgerichtet auf Verhinderung von gewaltsamen Konflikten, auf Vermeidung von Sackgassen und Automatismen sowie auf Vermeidung von Eskalationen ohne Exit. Das ist der Weg, für den die deutsche Außenpolitik weiter stehen will. Für diesen Weg bin ich mir der Unterstützung dieses Hauses ganz gewiss. Herzlichen Dank dafür! ({3}) Nun mag der Weg, den ich damit beschreibe, gelegentlich etwas anstrengend und - das kann ich Ihnen versichern - häufig sogar frustrierend sein. Er verlangt auch Mut. Es ist sogar riskant, diesen Weg zu gehen, weil das Risiko des Scheiterns leichter sichtbar wird als bei lang dauernden militärischen Konflikten. Dennoch: Aus meiner Sicht bleibt es der einzige Weg, auf dem wir unserer Verantwortung gerecht werden können. Schwierig ist der Weg auch deshalb, weil politische Lösungen, über die ich rede, langsamer reifen als die öffentlichen Erwartungen. Die öffentlichen Erwartungen - das verstehe ich auch - sind getrieben von Sorgen - zu Recht. Öffentliche Erwartungen sind getrieben von Bildern. Jede dieser Sorgen, jede Ungeduld im Angesicht solcher Krisen - ob in der Ukraine, in Syrien oder in Afrika - kann ich verstehen, und dennoch warne ich vor der Erwartung einfacher oder sogar ganz schneller Lösungen. Ich sage im Gegenteil - das ist mein Credo, meine Damen und Herren -: Wo andere kopflos handeln, da dürfen nicht auch wir noch kopflos sein, sondern müssen für Vernunft in der Außenpolitik stehen. ({4}) Das ist jedenfalls die Haltung, mit der ich mit meinen beiden Kollegen aus Polen und Frankreich am 20. Februar nach Kiew gereist bin, im Wissen um die Risiken - das Ganze kann schiefgehen - und im Wissen um die Verantwortung, die man dann übernimmt, wenn man hinfährt. Ich kann Ihnen versichern: Auch am Ende des Tages, nach 30 Stunden Verhandlungen, als das Blutvergießen beendet war, hat sich niemand von uns dreien irgendwelche Illusionen gemacht. Noch vor der Abfahrt aus Kiew, noch bevor wir überhaupt wussten, dass Herr Janukowitsch an diesem Tag sein eigenes Land und die Menschen in der Ukraine im Stich lassen wird, haben wir gesagt: Das, was erreicht ist, ist allenfalls ein Zwischenschritt, aber nicht die politische Lösung. Leider erleben wir jeden Tag, wie berechtigt diese Befürchtung war. Wenige Tage später eskalierte die Krise erneut, auch durch die politisch inakzeptable, verfassungswidrige und völkerrechtswidrige Annexion der Krim. Ich sage es auch hier noch einmal - ich habe es öffentlich viele Male gesagt -: Wer sieben Jahrzehnte nach Kriegsende beginnt, bestehende Grenzen in Europa mutwillig zu korrigieren, der verletzt nicht nur Völkerrecht, sondern öffnet auch die Büchse der Pandora, aus der, wenn das zum Modell wird, Unfrieden immer wieder neu entstehen wird. ({5}) Selbst wenn auch wir in Europa nicht jeden Tag alles richtig machen, meine Damen und Herren: Dafür trägt Russland die Verantwortung. ({6}) Aber was bedeutet das? Auch wenn wir sagen: „Russland trägt die Verantwortung für die Lage, wie sie jetzt entstanden ist“, kann uns die weitere Entwicklung in diesem Raum, in der Ukraine und in der Nachbarschaft der Ukraine, nicht gleichgültig sein. Es ist ein Konflikt in unserer allernächsten Nachbarschaft. Meine Hoffnung ist immer noch, dass Russland es am Ende so sieht, dass weder es selbst noch die Europäische Union ein Interesse daran haben kann - keiner kann ein Interesse daran haben -, dass in dem Raum zwischen uns die Ukraine politisch und wirtschaftlich kollabiert. Das ist der Grund dafür, dass wir gesagt haben: Das kann uns nicht gleichgültig sein. Wir werden versuchen, Hilfe zu organisieren: über den IWF, über die Europäische Union. Aber das wird auch bilateral stattfinden müssen. Es geht dabei doch weiß Gott nicht nur um Geld. Was steht in der Ukraine an? Ein Kampf gegen die Korruption, der für viele von uns Voraussetzung dafür ist, dass wir überhaupt Geldleistungen tätigen; eine Reform der Verwaltung, die von Grund auf stattfinden muss; eine Reform des Justizwesens, damit wieder Vertrauen in eine ordentlich arbeitende Justiz geschaffen werden kann; eine Dezentralisierung, von der man in der Ukraine nur ganz vage Vorstellungen hat, weil sie dort nie betrieben worden ist. Überall ist eben nicht nur guter Rat, sondern tatkräftige Unterstützung gefragt. Deshalb sind nicht nur einzelne Fachminister in Kiew und in der Ukraine gewesen. In der vergangenen Woche waren auch Staatssekretäre aus fünf Bundesministerien dort, die einen Tag lang abgeglichen haben, wo es Bedarf für jetzt zu leistende Unterstützung und Beratung gibt. Daraus werden wir ein Programm stricken. Ich darf mich auch für die Bereitschaft dieses Hohen Hauses, eine Parlamentarierdelegation in diesen Tagen in die Ostukraine zu schicken, ganz herzlich bedanken. Damit machen wir deutlich: Ihr seid nicht vergessen. Das ist ganz besonders wichtig. Deshalb sage ich in Verantwortung für die deutsche Außenpolitik: Herzlichen Dank für die Initiative und herzlichen Dank an diejenigen, die dorthin reisen! ({7}) Das alles ist notwendig zur Stabilisierung. Aber es bringt uns den politischen Lösungen nicht näher. Deshalb muss unser Ehrgeiz darüber hinaus greifen. Sie haben gesehen, wie mühevoll es war, die internationale Staatengemeinschaft davon zu überzeugen, eine Beobachtermission auf den Weg zu bringen. Das ist Gott sei Dank gelungen. Aber auch das hat uns nur eine kleine Atempause verschafft; denn die Lage in der Ostukraine - in Donezk, in Luhansk und anderen Städten eskaliert täglich aufs Neue. Man kann nur froh und dankbar sein, dass bisher keiner die Nerven verloren hat und dass keine Opfer zu verzeichnen sind. Es zeigt uns aber täglich, wie riskant die Lage ist. Mein Credo ist daher: Es muss uns im nächsten Schritt gelingen, das zu realisieren, worüber wir seit vielen Wochen öffentlich sprechen, nämlich Russland und die Ukraine zu einem direkten Gespräch über das, was in den nächsten Tagen und Wochen zu tun ist, zusammenzuführen, begleitet von der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten. In vielen Tickermeldungen wird bereits berichtet, dass die internationale Kontaktgruppe, auf die wir Tag für Tag hinarbeiten, vielleicht schon in der kommenden Woche ihr erstes Vorbereitungstreffen haben wird und dann ihre Arbeit aufnehmen wird. Das ist notwendig, und ich hoffe, wir kommen dahin. ({8}) Wir konzentrieren uns auf die Ukraine. Irgendjemand hat in der Debatte heute Morgen bereits kritisiert, dass uns dabei aus dem Blick gerät, dass in Syrien weiter gestorben wird. Deshalb muss es uns gelingen, uns in den nächsten Wochen wieder intensiver um die Bürgerkriegssituation in Syrien und um den Nahost-Friedensprozess zu kümmern. Ich werde noch heute mit dem amerikanischen Außenminister telefonieren und mit ihm über den Stand der Gespräche und auch über die Krise des nahöstlichen Friedensprozesses sprechen. Ich werde am Wochenende in Hiroshima sein und dort der Ereignisse des Zweiten Weltkrieges und der vielen Opfer und Toten gedenken. Auf dem Rückweg werde ich in China über Chinas Verantwortung im Sicherheitsrat diskutieren, insbesondere was angesichts der jetzt anstehenden Fragen die Haltung Chinas zur Lage in der Ukraine betrifft. Meine Damen und Herren, all das ist wichtig. Aber genauso wichtig und in der Gesamtheit unverzichtbar, obwohl weniger beachtet in der Öffentlichkeit, die Sanktionsdebatten viel aufregender findet, sind eine deutsche Schule in Athen oder Mexiko, ein Wasserkraftwerk in Angola, die Polizistenausbildung in Afghanistan, die Chemiewaffenvernichtung in Syrien, ein deutsch-afrikanisches Rechtsinstitut in Daressalam oder ein deutschrussisches Jahr der Literatur. Ein abschließendes Wort. Auch die klassische Außenpolitik muss erkennen, dass sich die Konflikte auf der Welt verändern, dass konfessionelle, religiöse und ethnische Dimensionen in internationalen Konflikten inzwischen eine große Dominanz gefunden haben und dass wir unseren Blick auf die Welt verändern müssen. Mit den geostrategischen Ansätzen des 19. und 20. Jahrhunderts werden wir uns Lösungen nicht mehr nähern können. Henry Kissinger hat gesagt: Außenpolitik ist Perzeption. - Wir müssen versuchen, mit den Köpfen anderer zu denken. Dazu ist auswärtige Kultur- und Bildungspolitik erforderlich. Dazu gehören beispielsweise der Austausch, den das Goethe-Institut organisiert, die vielen Studenten, die der DAAD zueinanderbringt, und viele andere Initiativen. ({9}) Meine Damen und Herren, wir werden das auch benötigen; denn demografisch gesehen sind wir in der Situation, dass unsere Gesellschaft älter wird. Daher brauchen wir viele junge Leute bei uns. Ich bin ganz gewiss: Es wird nicht reichen, dass wir an den Botschaften Broschüren der deutschen Hochschulen auslegen. Wir werden in diese Länder hineingehen müssen und werden über die Vermittlung der deutschen Sprache einen Kontakt zu unserem Land herstellen müssen, um den Ehrgeiz und das Interesse zu einem frühen Zeitpunkt zu wecken, nämlich zu Schulbeginn und nicht erst am Ende der Bildungslaufbahn. Deshalb sage ich Ihnen: Außenpolitik ist in diesem Bereich der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik nicht nur jeden Euro wert. Mit Blick auf die nächsten Jahre sollten wir gemeinsam schauen, wie viel Abstand wir zu Frankreich, Großbritannien und vielen anderen Staaten noch aufzuholen haben. Herzlichen Dank Ihnen allen. ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frank-Walter Steinmeier. - Das Wort hat Michael Leutert für die Linke.

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Außenminister, seit Ihrem Amtsantritt und heute wieder sprechen Sie davon, dass die Rolle Deutschlands in der Welt größer geworden ist und dass wir uns mehr engagieren müssen. Sie selbst haben Ihre Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz angesprochen. Der Satz „Deutschland ist zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren“ ist der am meisten zitierte Satz. Ich glaube allerdings, dass der nächste Satz, den Sie dort sagten, wesentlich wichtiger ist, zumindest für die heutige Beratung: Entscheidend ist aber vor allem anderen, dass wir gemeinsam mit anderen intensiver und kreativer darüber nachdenken, wie wir den Instrumentenkasten der Diplomatie ausstatten und für kluge Initiativen nutzbar machen. Nun ist die Stunde der Wahrheit gekommen. Wir haben die Stunde der Haushaltsberatungen. Ich frage Sie: Wie viel Geld sind Sie denn bereit zu geben für die kreativeren Ideen, die klugen Initiativen oder die Ausstattung des diplomatischen Instrumentenkastens? ({0}) Sie haben einen Haushaltsentwurf vorgelegt, der eine Antwort darauf gibt, die Sie kennen, Herr Außenminister: Sie geben nichts dafür. Sie geben nicht mehr, sondern Sie nehmen. Noch immer bewegt sich der Anteil des Haushalts des Auswärtigen Amts am Gesamthaushalt bei ungefähr 1 Prozent. Das war schon vor zehn Jahren so, daran hat sich nichts geändert. ({1}) - Vorher waren es 0,9 Prozent. Wir sind bei ungefähr 1 Prozent. Dass es aber auch anders geht, kann man sehen, wenn man sich zum Beispiel den Bereich Bildung und Forschung anschaut. Alle Fraktionen waren sich vor Jahren einig, dass in diesem Bereich mehr getan werden muss. Aus diesem Grund ist der Etat im Bereich Bildung und Forschung von 8 auf mittlerweile fast 14 Milliarden Euro, das sind 6 Milliarden Euro mehr, angewachsen. Das heißt, wenn der politische Wille da ist, kann man etwas tun. Im Bereich der zivilen Außenpolitik allerdings, wo die Aufgaben nicht kleiner sind - Sie haben es angesprochen: Syrien, Ukraine, die arabischen Länder oder die vielen Brennpunkte in Afrika, derzeit Mali und die Zentralafrikanische Republik -, wo die Aufgaben also unermesslich groß sind, sind wir gerade einmal bereit, 3,5 Milliarden Euro auszugeben. In den wichtigsten Bereichen, die in den 3,5 Milliarden Euro versteckt sind, kürzen Sie auch noch: zum Beispiel im Bereich Abrüstung und Rüstungskontrolle 2 Millionen Euro weniger, im Bereich Krisenprävention, Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung ebenfalls 2 Millionen Euro weniger und für die Afrika-Initiative - Afrika wird bei uns in der Politik zurzeit ganz großgeschrieben - 1 Million Euro weniger. Das, liebe Genossen - ({2}) - Das war ein Freud’scher Versprecher. Ich freue mich, dass sich so viele angesprochen fühlen. - Das, liebe Kolleginnen und Kollegen ({3}) - Sie sind gerne eingeladen -, ist exakt der falsche Weg. Wir brauchen mehr Geld in der zivilen Außenpolitik. Herr Steinmeier, haben Sie Mut! Die Linke unterstützt Sie dabei. ({4}) Ich habe soeben die Afrika-Initiative angesprochen. Es wurde groß ein neues, umfassendes Afrika-Konzept angekündigt, zusammen mit dem Entwicklungshilfeministerium und dem Verteidigungsministerium. In der öffentlichen Wahrnehmung hat derzeit allerdings Frau von der Leyen die Federführung. Von aktuell 15 Auslandsmandaten werden 8 in Afrika wahrgenommen. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht die Glaubwürdigkeit der Außenpolitik verloren. Ich kann es niemandem übel nehmen, wenn er denkt, es gehe Deutschland nur um mehr militärische Präsenz im Ausland. Wir befinden uns bei der Gewichtung von militärischem und zivilem Engagement im Ausland gerade in einer Schieflage, die wir als Linke so nicht hinnehmen werden. ({5}) Sie macht es auch für Sie schwierig, liebe Kollegen von der Koalition, der Öffentlichkeit einen Einsatz zu erklären, der einmal etwas sinnvoller ist. Schauen Sie bitte nach Mali: Dort haben wir in den letzten Jahren 225 Millionen Euro in die Entwicklungshilfe investiert. Für den Bundeswehreinsatz werden jetzt 100 Millionen Euro ausgegeben. Wir müssen uns doch fragen, was dort schiefgelaufen ist: Wurde zu wenig Geld eingesetzt? Wurde das Geld in Mali falsch eingesetzt? Was sind die Gründe dafür, dass islamistische Fundamentalisten dort die Oberhand gewinnen konnten? Ich bin fest davon überzeugt, dass Extremisten - egal ob es islamisch-fundamentalistische Extremisten wie in Mali oder faschistische Gruppen wie in der Ukraine sind überall dort, wo soziale Schieflagen existieren, wo Armut um sich greift, ein leichtes Spiel haben. Aus diesem Grund, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es dringend notwendig, in der Außenpolitik präventiv aktiv zu werden. Es ist notwendig, im internationalen Bereich zivile Maßnahmen, Maßnahmen, die Armut beseitigen und Demokratie und Sicherheit stärken, nachhaltig zu ergreifen. Das sind im Übrigen die besten Garanten dafür, dass die Bundeswehr nicht eingesetzt werden muss. ({6}) Das ist langfristige Friedenspolitik. Insofern ist es zwingend erforderlich, dass die Mittel für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Friedenserhaltung erhöht werden. Sie hätten für diese Maßnahmen die volle Unterstützung der Linken. Danke. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Herr Kollege. - Nächster Redner ist Dr. Andreas Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lage in der Ukraine und die Beziehungen zu Russland sind heute ein wesentlicher Schwerpunkt dieser Debatte, und das ist auch richtig. Denn durch die völkerrechtswidrige russische Annexion der Krim ist die Lage in Europa grundlegend verändert worden. Europa ist unsicherer geworden. Unsere Nachbarn im Osten, insbesondere die baltischen Staaten, aber auch die Polen, fühlen sich existenziell bedroht. Nicht zuletzt befinden wir uns mit Russland in einem geostrategischen und systemischen Wettbewerb um die Ukraine. Das hat erhebliche Auswirkungen auf unsere Außen-, Sicherheits- und Europapolitik. Mit der Unterschrift unter dem Assoziierungsabkommen hat die Europäische Union diesen Wettbewerb an2362 genommen - nicht mit militärischen Drohungen, Erpressung oder Landraub, sondern mit den Mitteln der Soft Power und des Völkerrechts. Das sind die Mittel des 21. Jahrhunderts, auch wenn sich der Weg damit schwieriger gestaltet. Dieser Wettbewerb wird auch erhebliche finanzielle Auswirkungen haben; das müssen wir klar sagen. Wir müssen die Zusammenarbeit zwischen der EU und der Ukraine zu einer Erfolgsgeschichte machen. Denn es geht nicht nur um die Ukraine; es geht um Frieden, Sicherheit und die Stärke des Rechts in ganz Europa. Zum Zweiten erfordert das eine Überprüfung der bisherigen EU-Russland-Politik. Landraub und Völkerrechtsbruch sind keine Kavaliersdelikte. Russland hat Vertrauen zerstört. ({0}) Natürlich muss weiterhin mit Russland gesprochen und verhandelt werden, mit dem Ziel, diese schwierige Lage zu entspannen. Aber eine strategische Partnerschaft, eine Modernisierungspartnerschaft und eine G 8 sind nicht möglich, solange nicht von Russland mit konkreten Maßnahmen eine neue Grundlage dafür geschaffen wird. Zum Dritten erfordern Russlands Politik des Rechts des Stärkeren und sein militärisches Drohen auch für unsere NATO-Politik Konsequenzen. Abschreckung und Détente - das glaubten wir in Europa bereits überwunden zu haben. Leider ist dies jetzt wieder aktuell geworden. Doch ich bin überzeugt, dass wir diese Herausforderungen erfolgreich bewältigen werden: durch Geschlossenheit der EU und im Bündnis, durch Festigkeit in unseren Werten und Prinzipien und durch den politischen Willen, unsere Zusammenarbeit mit der Ukraine zu einer Erfolgsgeschichte zu machen. Die EU hat die politische Kraft und die wirtschaftliche Stärke, diese Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen. Sie hat mit ihren westlichen Partnern dafür die erforderlichen Finanzmittel und das politische und wirtschaftliche Know-how. Deshalb war die schnelle Finanzhilfe von EU und IWF an die Ukraine als erster Schritt so wichtig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir erfolgreich sein wollen, dann müssen wir die Lage nüchtern und vor allem realistisch analysieren. Wir müssen uns vor Fehleinschätzungen hüten. Ich möchte drei Beispiele nennen, wo ich Gefahren sehe: Erstes Beispiel. Es wird gesagt, wir sollten unsere östlichen Nachbarn nicht in eine Entweder-oder-Situation drängen. ({1}) - Nein. - Das ist eine sehr problematische Aussage. Das haben wir, das hat die EU nie getan, und dann sollten wir das auch nicht so formulieren. Es war doch ausschließlich Russland, das die Ukraine vor eine solche Entscheidung stellte und immer noch stellt, beispielsweise im Herbst letzten Jahres, als Russland durch Einfuhrverbote und mit der Androhung von Gaspreisanhebungen eine Unterschrift unter das Assoziierungsabkommen verhinderte. Es ist ausschließlich Russland, das heute mit militärischen Drohungen an der Grenze, mit Gaspreisanhebungen um 80 Prozent und mit Destabilisierungsversuchen insbesondere im Osten des Landes die Ukraine von einer engeren Anbindung an die EU abzuhalten versucht. Mein zweites Beispiel. Es wird gesagt: Weder die Östliche Partnerschaft der EU noch die Abkommen, die die EU mit ihren Partnern schließt, sind gegen Russland gerichtet. Ja, das ist richtig - aus westlicher Sicht, aus unserer Sicht. Deswegen war es ein Fehler, dass die EU nicht Moskaus berechtigte wirtschaftliche Interessen im Osten der Ukraine im Vorfeld der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens berücksichtigt hat. ({2}) Das muss nachgebessert werden. Genauso richtig ist aber auch, dass Moskau nicht verstehen will, dass die Politik der Östlichen Partnerschaft nicht gegen Russland gerichtet ist. Wer den Russen genau zugehört hat, konnte seit Jahren wissen, dass Moskau ein Problem damit haben würde, wenn die Ukraine eines Tages mit dem Assoziierungsabkommen eine enge Anbindung an die EU eingehen würde. Die Zollunion und die Eurasische Union waren Instrumente, um das zu verhindern. Diese Instrumente haben sich als untauglich erwiesen, weil sie gleichermaßen geprägt sind von politischer Hegemonie und mangelnder wirtschaftlicher Attraktivität. Das wollen die Ukraine und andere östliche Partner nicht. Es wäre gut, wenn wir uns ganz klar darauf einstellten, dass Russland alles tun wird, um eine engere Anbindung der Ukraine und beispielsweise auch Moldaus an die EU zu verhindern; denn in seinem Nullsummendenken betrachtet Moskau dies als Machtverlust und nicht als Chance, mit stabilen, demokratischen, rechtsstaatlichen und wirtschaftlich modernen Nachbarn zusammenzuarbeiten und davon zu profitieren. Nein, im Gegenteil: Solche stabilen und demokratischen Nachbarn werden in Moskau als Bedrohung gesehen, weil sie das eigene autokratische System und die Eliten-Kleptokratie infrage stellen. ({3}) Denn nichts wird die Politik in Moskau mehr unter Reformdruck setzen als ein Erfolg der Modernisierungspolitik in der Nachbarschaft, und das will Moskau nicht. Das ist der Grund, warum wir endlich verstehen müssen, dass es sich hierbei nicht nur um einen geostrategischen Wettbewerb handelt, sondern auch um einen systemischen Konflikt. Wir sind für die Menschen, übrigens nicht nur in der Ukraine, schlichtweg attraktiver. Genau in diesem Kontext steht mein drittes Beispiel. Es wird gesagt, in einer Kontaktgruppe solle auch darüber gesprochen werden, wer welchen Beitrag zur Stabilisierung der Ukraine leisten kann; denn schließlich habe Russland kein Interesse an einem kollabierenden Staatswesen in seiner Nachbarschaft. Zumindest im Augenblick ist das westliches Wunschdenken. Das entspricht überhaupt nicht dem Nullsummendenken MosDr. Andreas Schockenhoff kaus. Ein Interesse an der Zusammenarbeit mit der Ukraine kann man Moskau zwar durchaus unterstellen - es hat das Interesse, dass die Zusammenarbeit mit den Wirtschaftspartnern in der Ostukraine funktioniert; das ist ja auch legitim -, aber warum sollte Russland sich ansonsten an einer Stabilisierung der Ukraine beteiligen, wenn es ihre engere Anbindung an die EU verhindern will und russische Vorherrschaft anstrebt? Die Gaspreiserhöhungen und das Drängen auf eine Föderalisierung der Ukraine - in Wahrheit geht es hierbei um die staatliche Zerschlagung der Ukraine -, sind das nicht Maßnahmen, um in seiner Nachbarschaft genau das Kollabieren des Staatswesens herbeizuführen, an dem es angeblich kein Interesse hat? Deshalb müssen wir uns darauf einstellen, dass Moskau vorerst keinen Beitrag zur Stabilisierung leisten, sondern weiterhin alles tun wird, um die Wiederaufbaubemühungen von EU und IWF zu stören. Es wird versuchen, die mit dem langen und belastenden Transformationsprozess einhergehende Unzufriedenheit der Bevölkerung auszunutzen, um gegen die Regierung in Kiew Widerstand zu schüren und den EU-Partner zu destabilisieren. Wir sehen das jeden Abend im Fernsehen. Russland wird versuchen, das Land zu spalten. Donezk und Charkiw sind wiederholt Beispiele dafür. Auf diese Realität müssen wir uns erst einmal einstellen. Wenn sich Moskau irgendwann doch anders verhalten sollte, wäre das umso besser. Wir sind froh, wenn das sobald wie möglich geschieht. Was bedeutet das jetzt für unsere Beziehungen zu Russland insgesamt? Ich sage ganz deutlich: Die Europäische Union und die NATO haben nach wie vor ein strategisches Interesse an einer engen Zusammenarbeit mit einem starken, politisch und wirtschaftlich modernen, rechtsstaatlich-demokratisch verfassten und auch so handelnden Russland. Eine stabile und prosperierende Entwicklung Europas wird am besten mit Russland zu erreichen sein. Dieser Grundsatz ist nach wie vor richtig, und er muss der langfristige Leitgedanke unserer Russland-Politik bleiben. Wir stehen zur kooperativen Sicherheit mit Russland; aber das setzt die Einhaltung von Spielregeln und Verträgen voraus. Mit der Annexion der Krim ist jetzt eine völlig andere Lage geschaffen worden. Dem müssen wir durch eine Überprüfung unserer Russland-Politik Rechnung tragen. Das Wichtigste ist Geschlossenheit; denn insbesondere die EU muss davon ausgehen, dass Russland, wie schon in der Vergangenheit, versuchen wird, sie zu spalten. Die künftige Zusammenarbeit mit Russland sollte deshalb von drei Kernfragen geprägt sein: Erstens. Wie machen wir uns unabhängiger von Russland? Das wird insbesondere für eine neue Betrachtung der gesamten EU-Energiepolitik gelten, um die zum Teil sehr hohe Abhängigkeit einiger Staaten von russischem Öl und Gas zu verringern. Zweitens. Was wollen wir von Russland? Russland muss alles tun, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Es muss als Erstes sein militärisches Drohpotenzial zurückziehen. Die russische Regierung muss dann überzeugend darlegen, dass sie ein echtes Interesse an erneuerten, breit angelegten und nicht wie in der letzten Zeit selektiven EU-Russland-Beziehungen hat. Dazu gehört, dass auch Russland die berechtigten Interessen der gemeinsamen Nachbarn berücksichtigt, auf hegemoniale Konzepte verzichtet und mit diesen Nachbarn auf der Grundlage der Gleichberechtigung zusammenarbeitet. Drittens. Was wollen wir mit Russland? Klar ist: Russland braucht die Europäische Union mehr als umgekehrt. Deshalb sollten wir uns nicht ständig fragen, was wir Russland anbieten können, damit es zur Zusammenarbeit zurückkehrt. Es ist Russland, das jetzt am Zug ist. So hat es Außenminister Steinmeier kürzlich formuliert. Beispiel Modernisierungspartnerschaft: Es kann künftig nur um eine echte Modernisierungspartnerschaft gehen. Das heißt, solange die russische Regierung darunter auch weiterhin nur die Lieferung von westlichem Knowhow und Investitionen versteht, nicht aber auch die Modernisierung der Gesellschaft, Rechtsstaatlichkeit, weniger Korruption und mehr Partizipation, gibt es für eine Erneuerung der Modernisierungspartnerschaft keine Grundlage. Beispiel Wiederaufnahme der Visagespräche: Ja, wir wollen, dass die sogenannten normalen Russen, die jungen Menschen, die Mittelständler oder die Vertreter der Zivilgesellschaft in den Genuss von Visaerleichterungen kommen, aber wir wollen keine Bevorzugung von Dienstpassinhabern. ({4}) Es ist nicht akzeptabel, dass die sowieso schon Privilegierten des Systems auch noch Visaprivilegien bekommen. Jetzt wird von manchem in der EU der russische Vorschlag einer gemeinsamen Freihandelszone von Wladiwostok bis Lissabon ins Spiel gebracht. Ja, das ist ein sinnvolles Zukunftsprojekt, aber auch hier gilt, was ich eben sagte: Russland muss die Souveränität seiner Nachbarn respektieren. Das ist derzeit weder bei der Ukraine noch bei der Republik Moldau noch bei Georgien der Fall. Noch ein Wort zur NATO-Russland-Zusammenarbeit. Russland hat die NATO-Russland-Grundakte in vielen Punkten verletzt. Aber das ist kein Grund, dass auch die NATO dieses Abkommen verletzt. Deshalb war es richtig, die konkrete militärische Zusammenarbeit einzustellen, aber den NATO-Russland-Rat als Gesprächsforum zu erhalten, um zu einer kooperativen Zusammenarbeit zurückkehren zu können. Es ist auch richtig, dass sich Deutschland am Air Policing für die baltischen Staaten aktiv beteiligt. Ich halte es zudem für erforderlich, dass die NATO dem Bedrohungsgefühl unserer polnischen Nachbarn durch temporäre Stationierungen Rechnung trägt, beispielsweise durch das Vorziehen bereits geplanter Manöver, aber nicht durch permanente militärische Stationierungen. Was schließlich die Diskussion über die Frage einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine betrifft, so muss ich sagen, dass sich diese Frage aus den bekannten Gründen in absehbarer Zeit nicht stellt. Doch wir sollten nicht Moskau zu Recht die Missachtung der Souveränität der Ukraine vorwerfen und selbst gleichzeitig ihre Souveränität in der freien Wahl des Bündnisses infrage stellen, indem wir sagen, die Ukraine könne kein NATO-Mitglied werden. Das widerspricht übrigens klar der Beschlusslage der NATO. Aber wie gesagt: Diese Frage stellt sich in absehbarer Zeit nicht. Der SPD-Vorsitzende Gabriel hat Ende März in einer großen deutschen Tageszeitung dazu aufgerufen, für die Solidarität mit der Ukraine auch wirtschaftliche Nachteile in Kauf zu nehmen. Besonders die Europäer müssten beweisen, so Gabriel, dass es ihnen um mehr gehe als eine rein ökonomische Zweckgemeinschaft. Dazu gehöre - ich zitiere -: Den Demokraten in der Ukraine wirtschaftlich und politisch zu helfen, in den Aufbau dieses Landes nachhaltig und langfristig zu investieren und im Zweifel auch bereit zu sein, auf wirtschaftliche Vorteile in den Außenbeziehungen zu Russland so lange zu verzichten, bis Konflikte auf dem Kontinent wieder am Verhandlungstisch gelöst werden und die Sicherheit aller europäischer Nachbarstaaten gewährleistet ist … Ende des Zitats.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Und, Herr Kollege, Ende Ihrer Redezeit schon seit geraumer Zeit.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich denke, wir sollten uns von dieser realistischen und zugleich werteorientierten Außenpolitik leiten lassen. Dann werden wir Erfolg haben. Danke. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Herr Kollege. - Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Frithjof Schmidt für Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Frithjof Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004145, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Außenminister, durch die dramatischen Entwicklungen in der Ukraine und das völkerrechtswidrige Vorgehen Russlands sind Sie ins Zentrum des europäischen Krisenmanagements gerückt. Ich will ganz klar sagen: Wir Grüne finden, dass Sie das gut gemacht haben. Mein Respekt für Ihren persönlichen Einsatz! ({0}) Es war gut, das Weimarer Dreieck aus Frankreich, Polen und Deutschland als Handlungsebene zu nehmen. Es gibt einen Punkt, an dem wir uns ein entschlosseneres europäisches Vorgehen wünschen. Das ist der Stopp aller Waffenexporte nach Russland. Das darf nicht weitergehen. ({1}) Ansonsten begrüßen wir, dass der Dreistufenplan der Europäischen Union bisher mit dem nötigen Augenmaß umgesetzt wurde. Wir unterstützen Sie insbesondere dann, wenn Sie sich in der NATO für die dringend nötige Zurückhaltung in dieser Situation einsetzen. Das kann man leider nicht von allen Mitgliedern der Bundesregierung behaupten. Die Ansagen der Europäischen Union sind klar und notwendig. Aber Säbelrasseln durch Spekulationen über Truppenverlegungen und maßlose historische Vergleiche - ich denke dabei an Frau von der Leyen und an Herrn Schäuble - sind in dieser gefährlichen Lage völlig verfehlt. ({2}) Jetzt ist wohl allen klar, dass wir eine Grundsatzdebatte über die Beziehung zu Russland brauchen. Die bisherige Strategie einer strategischen Modernisierungspartnerschaft ist gänzlich gescheitert. Putin betreibt schon lange eine repressive und modernisierungsfeindliche Innenpolitik. Nun kommt noch die hegemoniale Aggression gegen die Ukraine hinzu. Europa braucht friedliche Partnerschaften mit Russland; das ist keine Frage. Daran müssen wir arbeiten. Es braucht aber keine Kumpanei mit einem autoritären Regime; das muss auch klar sein. ({3}) Ich möchte ein Wort an die Linken richten. Gregor Gysi hat uns wegen unserer Kritik an Putin vorgeworfen, wir seien russenfeindlich. ({4}) Ich sage Ihnen dazu: Wir unterstützen und bewundern das demokratische Russland von Pussy Riot. Sie dagegen beschönigen die nationalistische, autoritäre Herrschaft von Putin. Das ist der Unterschied zwischen uns. ({5}) Wir sorgen uns um die Bürgerrechtler von MEMORIAL und nicht um die Staatskapitalisten von Gazprom. ({6}) Das ist die Aufgabe einer demokratischen Linken in Europa. Aber das verstehen Sie einfach nicht. Zurück zur Regierung. Herr Außenminister, in anderen wichtigen Bereichen der Außenpolitik haben wir deutlich Kritik zu üben. Ich beginne mit dem EU-AfrikaGipfel der letzten Woche. Hier haben Sie leider eine falsche Politik fortgeführt. Seit 2007 belastet der Konflikt um die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen die Beziehungen zu den afrikanischen Staaten sehr. Es ist völlig unverständlich, dass von den afrikanischen Ländern weiDr. Frithjof Schmidt terhin eine Marktöffnung von 75 oder 80 Prozent gefordert wird, die dort ganze Wirtschaftszweige gefährden würde. Das schadet den Zielen unserer eigenen Entwicklungspolitik und unserer eigenen Außenpolitik. Das darf die Bundesregierung nicht weiter mitmachen. ({7}) Die Drohung von Anfang Oktober, den europäischen Markt für die Produkte aller afrikanischen Länder, die solche Abkommen bis dahin nicht unterzeichnen, dichtzumachen, ist eine unwürdige Erpressung. Das muss vom Tisch. Das ist doch keine partnerschaftliche Außenpolitik auf Augenhöhe mit Afrika. Das ist auch eine Angelegenheit des Außenministers. ({8}) Wir beraten heute den Haushalt. Deutschland hat Finanzierungszusagen für das Erreichen der Millenniumsziele und der internationalen Klimaschutzziele gegeben. Das ist eine zentrale außenpolitische Frage in Bezug auf Deutschlands Rolle in den Vereinten Nationen. Halten wir diese Zusagen ein oder nicht? Haben wir wenigstens einen Plan zum Erreichen des 0,7-Prozent-Ziels bei den Mitteln für Entwicklungshilfe? Die Kanzlerin hat das immer wieder versprochen. In den Haushaltsplänen ist davon nichts, aber auch gar nichts zu erkennen. Das ist außenpolitisches Versagen, weil es hier um unsere globale Verantwortung geht. ({9}) Meine Damen und Herren von der Koalition, auch in Bezug auf das transatlantische Verhältnis kritisieren wir Ihre Politik. Bei den Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen eiern Sie, was die zentralen Konflikte angeht, immer noch herum. Im Abkommen sollen sogenannte außergerichtliche Schiedsgerichtsverfahren zwischen Investoren und Staaten verankert werden. Amerikanische Unternehmen könnten dann die Europäische Union oder ihre Mitgliedstaaten in Milliardenhöhe verklagen, wenn sie ihre Gewinnchancen durch neue ordnungspolitische Vorschriften gefährdet sähen. Das wäre der GAU für unsere europäischen Umwelt- und Sozialstandards. SPDMinister äußern sich kritisch. In der Union ist man dafür und in Bayern dagegen. Was will die Bundesregierung denn nun? Es muss doch eine klare Ansage geben. Hier müssen Sie handeln. Das ist nur die Spitze des handelspolitischen Eisbergs. Unter der Überschrift der regulatorischen Kooperation wird offensichtlich über eine Art Handelsverträglichkeitsprüfung für alle europäischen Gesetzgebungsprozesse verhandelt. Höhere, neue Standards wären dann in Europa automatisch nur noch im Einvernehmen mit den USA erreichbar. Das wäre die Unterordnung unserer Demokratie unter Wirtschaftsinteressen. So dürfen die transatlantischen Beziehungen nicht gestaltet werden. Das ist eine Schlüsselfrage unserer Außenpolitik. Das kann man nicht ans Wirtschaftsministerium delegieren. ({10}) Setzen Sie sich für einen Stopp der TTIP-Verhandlungen ein und für einen Neustart mit einer reduzierten Agenda nach der Wahl der neuen EU-Kommission! Das wäre eine wichtige europapolitische Initiative, die Sie ergreifen sollten. Danke für die Aufmerksamkeit. ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, lieber Kollege Schmidt. - Der nächste Redner ist für die SPD Niels Annen. ({0})

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eines steht wohl außer Frage: Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land diskutieren über Außenpolitik wie schon lange nicht mehr. Sie machen sich Sorgen, dass die stabile politische Nachkriegsordnung durch die jüngsten Ereignisse infrage gestellt wird. Sie registrieren auch, dass es nicht immer einfach ist, Antworten zu geben; dass wir um die richtigen Antworten hart ringen müssen, bevor wir zu Entscheidungen kommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Außenminister, aber auch die Bundeskanzlerin haben in den vergangenen Wochen, seit dem Ausbruch der Krise in der Ukraine, in enger Abstimmung alles erdenklich Mögliche für eine diplomatische Lösung des Konflikts um die Ukraine getan. Frank-Walter Steinmeier hat recht, wenn er sagt: Man darf Staaten, auch die Ukraine, nicht vor eine Entweder-oder-Entscheidung stellen. - Selbstverständlich ist die Ukraine, sind Georgien und die Republik Moldau eingeladen, in enger Kooperation mit der EU zu arbeiten - wir wollen das auch -; aber das darf doch nicht bedeuten, dass sich mit der Entscheidung für eine Assoziierung mit der EU eine Entscheidung gegen die Zusammenarbeit mit Russland verbindet. Eine Jaoder-Nein-Entscheidung ist doch auch deswegen unrealistisch, weil diese Länder Nachbarn Russlands bleiben werden, und in der Nachbarschaft ist man gut beraten, miteinander auszukommen. ({0}) Dieser Hinweis geht natürlich - auch im Anblick der jüngsten Entwicklungen - vor allem in Richtung Moskau; denn ich habe schon meine Zweifel, ob das in Russland richtig verstanden worden ist. Gleichzeitig gilt auch: Nicht jeder Debattenbeitrag der letzten Tage und Wochen aus der EU oder der NATO war hilfreich. Kraftmeierei und Planspiele zur schnellen Ausdehnung und Aufrüstung der NATO, wie wir sie regelmäßig vom Noch-Generalsekretär Rasmussen zur Kenntnis nehmen mussten, ({1}) all das ersetzt nicht den mühsamen Weg: das Ringen um eine vernünftige, nachhaltige politische Lösung, im Gegenteil. Herr Kollege Schockenhoff, Sie haben von einem geostrategischen Wettbewerb gesprochen. Wenn wir die Antwort in der gleichen Kategorie geben, in der Herr Putin denkt, dann haben wir doch schon verloren, ({2}) weil wir den Charakter des europäischen Projektes und die Grundlage für unseren kooperativen Ansatz damit selber zur Disposition stellen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann nicht der richtige Weg sein. ({3}) Richtig ist: Russland scheint zurzeit vor Kraft kaum laufen zu können - dabei schrumpft die Wirtschaft, Kapital wird abgezogen, die Modernisierung Russlands stockt. Gerade deswegen setzen wir weiter auf Kooperation und Gespräche, unter anderem über eine Kontaktgruppe, die der Außenminister vorgeschlagen hat. Ankündigungen allein - dies haben wir in den letzten Tagen häufig gehört - werden nicht ausreichen. Dass diese Ankündigungen nicht umgesetzt worden sind, hat dazu beigetragen, dass Vertrauen verlorengegangen ist. Es ist gut, dass die Minister miteinander reden; aber wir müssen jetzt Taten sehen, und die Haltung Moskaus - auch gegenüber den jüngsten Entwicklungen im Osten der Ukraine - lässt doch daran zweifeln. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist auch hier im Hause häufig nach dem Charakter der Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik gefragt worden, und wir haben hier auch die eine oder andere polemische Debatte dazu geführt. Ein Blick auf die letzten Wochen zeigt: Es ist eine Politik, die auf Dialog und auf die Überzeugungskraft der eigenen Argumente setzt und die gesamte Bandbreite der außenpolitischen Instrumente nutzt, eine Politik, die sich nicht der Verantwortung entzieht und die sich auch nicht hinter Floskeln versteckt. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Der Vorwurf einer Militarisierung der Außenpolitik erweist sich als das, was er stets war: eine Karikatur. Ich möchte das anhand von zwei Beispielen noch einmal ins Gedächtnis rufen: Erstens. Die neue Bundesregierung hat ihre Politik in der Frage der Vernichtung syrischer Chemiewaffen geändert. Wir werden in diesem Haus ja darüber entscheiden. Das ist ein konkreter Beitrag zur Stärkung der internationalen Strukturen und zur Abrüstung und ein Teil der neuen deutschen Außenpolitik. Zweitens. Dasselbe gilt auch für die Debatte, die wir hier über Afrika geführt haben. Ich finde, das war eine sehr angemessene Debatte zur Lage in Ruanda. Wir stellen uns der Verantwortung. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, ich hatte in der Debatte um Zentralafrika angesichts der dramatischen Situation, offen gesagt, eher die Frage erwartet: Tut die Bundesregierung eigentlich genug? Sie haben von „Beihilfe zum Krieg“ gesprochen. Ich glaube, das zeigt, in welche Richtung diese Debatte geht. Das ist nicht angemessen. ({4}) Ich finde, der Haushalt entwickelt sich positiv. Insbesondere im Bereich der Krisenprävention kann es aber sicherlich auch noch besser werden, und wir werden das in die Beratungen hier auch mit einbringen. Ich finde es aber wichtig, dass die zentralen Bereiche der deutschen Außenpolitik durch den hier vorliegenden Etatansatz, aber vor allem durch das Regierungshandeln gestärkt worden sind. Einer der Vorgänger von Frank-Walter Steinmeier im Amt des Außenministers hat in großer Klarheit ausgesprochen, was in unserer Geschichte leider nicht immer selbstverständlich war: Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn werden im Innern und nach außen. Diese von Willy Brandt ausgegebene Richtschnur prägt weiterhin unsere Außenpolitik. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Annen. - Das Wort hat Stefan Liebich für die Linke. ({0})

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Annen, Sie haben gestern offenbar nicht zugehört. Die Frage, die Sie hier vermisst haben, hat der Kollege Movassat gestellt. Er hat gefragt: Warum tut die Bundesregierung nicht mehr in Zentralafrika? Der Unterschied ist, dass er nicht nach mehr Soldaten gefragt hat, sondern nach mehr humanitärer Hilfe. Die Frage ist hier aber ganz klar gestellt worden, und die werden wir auch weiter stellen. ({0}) Es ist vom Außenminister angesprochen worden, dass wir uns auch in dieser Debatte und insbesondere in den nächsten Wochen und Monaten auch mit Syrien befassen sollen. Ich will das hier in meinem kurzen Beitrag tun. In dem schrecklichen Bürgerkrieg in Syrien, der von allen Seiten mit unglaublicher Brutalität geführt wird, sind inzwischen 140 000 Menschen ums Leben gekommen. Nachdem in diesem Krieg auch noch Massenvernichtungswaffen eingesetzt wurden, hat der UNSicherheitsrat klugerweise entschieden, dass diese Massenvernichtungswaffen außer Landes gebracht und vernichtet werden sollen. Dass sich die Bundesregierung daran beteiligt, dass sie diesen Einsatz schützt und dass diese Reststoffe hier in Munster vernichtet werden, finde ich eine richtige Entscheidung. ({1}) Ich finde es gut, dass sich unser Land an der Zerstörung von Waffen beteiligt. Das ist das Zweitbeste, was Deutschland tun kann. Das Beste wäre es, Waffen gar nicht erst zu exportieren. ({2}) Es ist kein Geheimnis, dass es dazu bei uns in der Fraktion eine Kontroverse gibt, und manch einer wundert sich darüber. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich bin gerne in einer Fraktion, die sich schwer damit tut, Soldaten ins Ausland zu schicken, und deshalb führe ich die Debatte auch sehr gerne. ({3}) Ich möchte darüber hinaus das Thema Flüchtlinge ansprechen - Frau Göring-Eckardt hat das heute in ihrer Rede auch schon getan -: Obwohl die Chemiewaffen außer Landes gebracht und vernichtet werden sollen, geht der Krieg in unverminderter Härte weiter. Mittlerweile sind 2,5 Millionen Syrerinnen und Syrer aus dem Land geflohen, und über 5 Millionen Syrerinnen und Syrer sind in Syrien auf der Flucht. ({4}) Jordanien, ein Land mit 6 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, hat jetzt den einmillionsten Flüchtling aufgenommen. Deshalb müssen wir schon die Frage stellen: Was machen wir eigentlich? Unser Land mit einer so großen Wirtschaftskraft und 80 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern kann mehr tun und muss auch mehr tun. ({5}) Es wird hier - das finde ich sehr gut - über Fraktionsgrenzen hinweg daran gearbeitet, dass der Bundestag endlich auch ein Zeichen in diese Richtung setzt. Wir möchten daran gerne mitwirken. Offene Grenzen für Menschen in Not - das ist unser Ziel. ({6}) Weiter zum Thema Flüchtlinge: Die Welt am Sonntag hat am letzten Wochenende berichtet, dass syrische Flüchtlinge einen Termin in der Beiruter Botschaft mit bis zu 2 000 Dollar erkaufen müssen. Schuld daran sei ein Computerprogramm in der Botschaft, das übrigens - das habe ich heute vom Auswärtigen Amt erfahren weltweit in über 100 Botschaften der Bundesrepublik Deutschland eingesetzt wird. Es ist angreifbar, und Kriminelle machen sich diese Angreifbarkeit zunutze. Damit wird dann Geld verdient. Kriminelle verdienen damit Geld, dass sie Menschen - das Auswärtige Amt hat das bestätigt -, die um ihr Leben fliehen, zusätzlich ausbeuten. Außerdem wird die Zahl derer, die fliehen können und wollen, auf diejenigen begrenzt, die dieses Geld zur Verfügung haben. Diese Praxis, Herr Außenminister, muss beendet werden. ({7}) Ja, die Bundesregierung tut einiges. Vieles davon ist unterstützenswert. Vieles kritisieren wir und werden es auch weiter kritisieren. Aber zum Thema Syrien sind drei Dinge wichtig: Wir müssen den UN-Sondergesandten Brahimi unterstützen. Wir müssen die Waffenexporte nach Syrien stoppen, und die Chemiewaffen müssen vernichtet werden. Den Flüchtlingen vor Ort und überall auf der Welt muss geholfen werden. Ich weiß, es gibt viele, die sagen: Das ist nicht genug, man muss mehr tun. Aber der Krieg in Syrien ist nicht durch Militärinterventionen von außen zu stoppen. Die Dinge, die ich eben genannt habe, können wir tun und sollten wir auch tun. Vielen Dank. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Liebich. - Das Wort hat Michael Brand für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Niemand kann heute internationale Politik erörtern, ohne die Frage der Menschenrechte anzusprechen. Wir alle sagen das bei vielen Gelegenheiten; denn dies ist unsere Überzeugung. Wir alle möchten eine ideale Welt, in der niemand in seinen unveräußerlichen Menschenrechten beschränkt wird. Wir gedenken an zentralen Tagen der Menschenrechte. Sie sind integraler Bestandteil unserer Außenpolitik und unseres staatlichen Handelns im Inneren. Menschenrechte sind unbestritten das höchste Gut, das nationale und internationale Politik zu schützen hat. Die Rechte der Menschen spielen in allen akuten Krisen weltweit eine ganz zentrale Rolle. Deutsche und europäische Außenpolitik müssen folglich neben akuten Krisen immer die schlimmen Kriege und eben auch die stillen Katastrophen im Blick halten. Ob wir über den brutalen Horror im syrischen Krieg sprechen und die Millionen Flüchtlinge innerhalb des Landes und bei den Nachbarn: Deutschland nimmt in besonderer Weise an humanitärer Hilfe und an den Versuchen zur Konfliktlösung teil. Ob wir über die Gewalt in Zentralafrika, in Mali und anderswo mit all den Flüchtlingsströmen in die benachbarten Länder sprechen und auch über die Maßnahme, in Zentralafrika im Auftrag der Vereinten Nationen einen drohenden Genozid zu verhindern: Deutschland nimmt seine politische, humanitäre und auch militärische Verantwortung wahr, um einzelnen bedrohten Menschen und Gruppen zu Hilfe zu kommen. Es ist wichtig, dass wir im 21. Jahrhundert nicht nur Deutschland, sondern mit uns auch die EU, die NATO und die UN als verantwortlichen Gestalter und verlässlichen Partner der Welt stärken. In einer globalisierten und immer mehr vernetzten Welt können Krisen oftmals nur in einer verbundenen Strategie entschärft oder gelöst werden. Es gehört im Übrigen auch dazu, lieber Herr Kollege Liebich, zu erwähnen, dass Deutschland die Nation ist, die zu Recht die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat, und wir uns an der humanitären Hilfe sehr stark beteiligen. ({0}) Zum Schutz der Menschen und ihrer Rechte müssen diplomatische, zivilgesellschaftliche, humanitäre und notfalls auch militärische Maßnahmen im Verbund eingesetzt werden. Die modernen Menschenrechte sind eine bedrohte Art. Sie wurden hart errungen, und sie müssen immer wieder verteidigt werden. Unsere globalisierte Welt ist auch eine brutale Welt. Der Tod und das Elend kommen viel häufiger eben nicht per Breaking News. Was der Mensch dem Menschen antun kann, haben wir vor fast genau 20 Jahren mitten in Afrika und mitten in Europa erlebt. Vor Tagen haben wir mit Bedauern und mit Beschämung auf unsere mangelhafte Bereitschaft zur Hilfe in Ruanda zurückgeschaut. In diesem Jahr 2014 schauen alle zurück auf das, was vor 100 Jahren in Sarajevo passierte. Dabei sind wir zum Teil sehr fixiert auf das Attentat, das zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs führte. Aber kaum jemand denkt über die beschämende Rolle nach, die wir gespielt haben, als über Hunderttausend Tote, Millionen Vertriebene und Zehntausende vergewaltigte Frauen im Krieg gegen BosnienHerzegowina zu beklagen waren. Die heutigen Herausforderungen? Nicht einmal 20 Jahre ist der Krieg zu Ende, und wir schauen immer noch nicht hin und lassen Land und Leute mit den Ergebnissen allein. Sie, Herr Außenminister, haben gerade gesagt: Es geht eben nicht allein um Rückschau und Rechtfertigung. - Sie haben recht. Es geht nicht allein um Gedenken, sondern um die Konsequenzen heute. Deswegen ist es auch notwendig, dass die Bundesregierung eine Initiative für den westlichen Balkan ergreift und nicht nur die Gedenktage im Blick hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer im Flüchtlingslager Dadaab in Kenia das kaum erträgliche Leid der Familien mit ihren Kindern sehen musste, der weiß, dass unsere humanitäre Hilfe hier im echten Sinne des Wortes überlebenswichtig ist. Wer aber zudem weiß, dass die Flüchtlingsströme auch durch die staatliche Verwüstung Somalias durch die extremistischen Al-Schabab-Milizen verursacht worden sind, der stellt schnell fest, dass die Überlebenshilfe für die Flüchtlinge nur ein Element der Gesamtstrategie sein kann. Wenn sich ganze Dörfer vor dem Terror schützen wollen und Menschen vom Kleinkind bis zum Greis in die Wüsten und bis nach Kenia vertrieben werden, dann ist das ein stiller Prozess, der uns auch als Politiker eigentlich laut aufschreien lassen müsste. Um es mit einem Beispiel aus Dadaab zu sagen: Wenn die Schwachen aus den Familien diese modernen Todesmärsche nicht überleben und die schwachen Alten den Jungen sagen, dass sie weitergehen und sie, die Schwachen, zurücklassen sollen, damit die Jungen eine Überlebenschance behalten, dann ist das eine Geste menschlicher Größe, die uns schaudern lassen muss. Davor können wir uns als Menschen nur verneigen. Allerdings müssen uns dieses Beispiel und andere vor allem politisch aufrütteln und zum Handeln veranlassen. Wir müssen den Opfern helfen, aber wir müssen auch aktiv gegen die Ursachen solcher unmenschlichen Entwicklungen vorgehen. Wir können stolz darauf sein, dass unser Land die Lektion Menschenrechte gut gelernt hat. Die Menschenrechte zählen zur Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland. Wir erleben allerdings, dass die Menschenrechte weltweit unter Druck stehen, teils auch zum Rückzug gedrängt werden. Wir stellen das fest, wenn wir über die Verfolgung religiöser Minderheiten, vor allem christlicher Minderheiten, oder über die gewaltsame Unterdrückung von Kinder- und Frauenrechten, ({1}) gar Menschenhandel und Zwangsprostitution sprechen, übrigens auch in Europa. Deutschland ist zum Bordell Europas geworden. Auch hier ist der Gesetzgeber, der Deutsche Bundestag, gefordert. ({2}) - Ich kann Ihre Zwischenrufe nicht verstehen, Herr Dehm. Bringen Sie sich in die Debatten ein, damit Menschenhandel und Zwangsprostitution in Europa keine Chance haben! ({3}) Wir stellen das auch fest, wenn wir über die Unterdrückung von Grundrechten durch starke Partner Europas, zum Beispiel China, sprechen. ({4}) Wir alle müssen zur Kenntnis nehmen, dass das moderne Verständnis von der Würde des Menschen und selbst die UN-Charta der Menschenrechte zum Spielball und zur Verfügungsmasse gemacht werden. Das gilt selbst in Europa. Die akute Krise um die Annexion der Krim ist bereits angesprochen worden. Sie ist auch deshalb ein Fanal, weil die international garantierten Rechte der Menschen, in diesem Fall von Minderheiten, erkennbar dafür missbraucht wurden, um blanke Großmachtpolitik zu betreiben.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Brand, gestatten Sie eine Zwischenfrage nicht von der Linken, sondern von den Grünen?

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben gerade von Prostitution und dem Bordell Deutschland gesprochen. Wie stehen Sie dazu, dass die letzte Bundesregierung zum Beispiel die europäischen Richtlinien in diesem Bereich immer noch nicht umgesetzt hat? Vielleicht wäre das ein erster Ansatz.

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, der Vorschlag, den Sie vorgelegt haben, wäre zu kurz gegriffen. Deswegen hat meine Fraktion gestern ihre Vorschläge vorgelegt und der Öffentlichkeit ein Eckpunktepapier vorgestellt. Ich glaube, man muss grundsätzlich überlegen, ob das, was mit dem rot-grünen Gesetz gut gemeint, aber nicht gut war - ({0}) - Ich glaube trotzdem, dass wir dem Thema Zwangsprostitution bzw. Prostitution in Deutschland nicht mit den einzelnen Maßnahmen, die Sie gerade angesprochen haben und deren Umsetzung Sie einfordern, gerecht werden. Wir müssen vielmehr noch einmal grundsätzlich über das Thema sprechen. ({1}) - Natürlich. Die Umsetzung der EU-Richtlinie ist das eine. Aber wir wollen auch auf nationaler Ebene neue Vorschläge machen. Ich schicke sie Ihnen gerne zu. Sie sind gestern der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Vorgänge im Zusammenhang mit der Krim-Krise sind auch deshalb so gespenstisch, weil sie uns zeigen, dass sich die Gespenster der Vergangenheit - damit spreche ich mit Blick auf die linke Seite des Hauses Russland an - im Internetzeitalter nicht einfach auflösen. Twitter, YouTube und Facebook sind mächtig. Gegen die Bereitschaft zur brutalen Gewalt sind sie dennoch im Nachteil, wie wir an den Versuchen der diktatorischen Zensur von China über Syrien bis hin zu Russland sehen. Um es klarzumachen: Nicht Russland, sondern eine Machtclique um Putin herum hat mit dieser Annexion den Weg in die Welt des steinernen Zeitalters beschritten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist die Zivilgesellschaft in Russland, in der Ukraine und in anderen Ländern der Erde, die unsere Solidarität verdient. Mutige Menschen verteidigen die Menschen- und Bürgerrechte, die als Ergebnis blutiger Kriege von den Vereinten Nationen fest verankert wurden. Es ist gut zu wissen, dass hier im Hause ein breiter Konsens darüber besteht, dass wir die Menschenrechte nicht auf dem Markt zu meistbietenden Konditionen verkaufen. Es gibt dafür keine Rabatte. Die Menschenrechte haben keinen Preis. Sie sind nicht in Geld oder Gold aufzuwiegen. Ich danke zum Schluss dem Bundesaußenminister und auch der Bundeskanzlerin dafür, dass sie gerade in den letzten Monaten ein klares Profil gezeigt haben. Ich will in diesen Dank auch unseren Bundespräsidenten einschließen. Er hat in der vergangenen Woche den Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu einem bemerkenswerten Dialog eingeladen. Er setzt in seiner Präsidentschaft den Schwerpunkt beim Thema Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Seine Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz war nicht auf das Militär fixiert, wie manche öffentliche Debatte glauben machen wollte. Ich empfehle Ihnen eine Publikation von Joachim Gauck. Sie ist lesenswert und ist mit folgendem Satz aus einer seiner Reden überschrieben: „Jede Politik ist auch Menschenrechtspolitik!“. Der Bundespräsident hat recht. Ich danke allen, die den Einzelplan 05 unterstützen, um Schwerpunkte im Bereich der Menschenrechte und der humanitären Hilfe zu setzen. Vielen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Herr Kollege. Danke auch für die Leseempfehlung. Nächster Redner ist Dr. Tobias Lindner für Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Steinmeier, Sie haben heute eine durchaus bemerkenswert engagierte Rede gehalten. Sie haben einiges gesagt, bei dem Sie unsere Unterstützung haben. Sie haben aber auch einiges gesagt, bei dem Sie - das liegt in der Natur von Opposition und Regierung - mit Sicherheit nicht unsere Unterstützung haben. Sie haben außerdem einiges gesagt, was mich ein bisschen verwirrt. ({0}) Sie haben über Auslandsschulen, auswärtige Kulturund Bildungspolitik sowie Krisenprävention gesprochen. Das ist durchaus zu begrüßen. Schaut man dann aber in den Etat des Auswärtigen Amts, stößt man auf Widersprüche. Es wird sich zeigen, ob sich diese in den Haushaltsberatungen auflösen lassen. Heute wurde schon vielfach über die Münchner Sicherheitskonferenz und über Ihre Äußerung gesprochen, dass Deutschland mehr Verantwortung übernehmen soll und dass die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen und der Europäischen Union gestärkt werden soll. Wenn Sie mehr Verantwortung nicht mit mehr militärischem Engagement gleichsetzen, dann haben Sie hierfür durchaus unsere Unterstützung. Mehr Verantwortung bedeutet, dass Sie auch mehr Geld in Ihrem Etat zur Verfügung haben. Zum ersten Mal seit Jahren wächst der Etat des Auswärtigen Amts signifikant an. Aber mehr Geld alleine hilft noch nicht, wenn es nicht an den richtigen Stellen eingesetzt wird. An dieser Stelle möchte ich auf die humanitäre Hilfe eingehen, die heute schon vielfach - auch vom Kollegen Liebich - angesprochen wurde. Den Ansatz für die humanitäre Hilfe erhöhen Sie um 117 Millionen Euro auf insgesamt 303 Millionen Euro. In diesen Tagen beraten wir über einen interfraktionellen Antrag betreffend Syrien. Dieser enthält noch keine Summe für humanitäre Hilfe. Im letzten Jahr gab es nachträglich 243 Millionen Euro für die humanitäre Hilfe dazu. Berechnungen der Vereinten Nationen gehen von einem steigenden Mittel2370 bedarf aus. Die Krise in Syrien hat nicht plötzlich aufgehört. Es gibt weiterhin Flüchtlinge. Die katastrophalen Zustände halten an. Wenn wir einen gleichbleibenden Finanzierungsanteil Deutschlands unterstellen, dann brauchen wir in diesem Jahr mindestens 353 Millionen Euro, also 50 Millionen Euro mehr als im Etatansatz enthalten sind, um Syrien auf angemessene Art und Weise helfen zu können. Hier, lieber Herr Steinmeier, wird in den Haushaltsberatungen noch nachzusteuern sein. Es reicht eben nicht, ständig nur eine Schüppe draufzulegen. Wir brauchen von Anfang an einen richtigen Mittelansatz. ({1}) Da ich über verlässliche Finanzierung rede, will ich auf den Punkt der Krisenprävention eingehen, den Sie ebenfalls erwähnt haben. Leider wird im Titel für Krisenprävention, der sowieso mehr gebrauchen könnte, leicht gekürzt. Auch an dieser Stelle wird meine Fraktion in den Haushaltsberatungen Vorschläge machen, aus denen hervorgeht, wie sich Strukturen und Mittelansätze verstetigen lassen; denn auch Hilfsorganisationen können nur tätig sein, wenn sie eine verlässliche Planungsgrundlage haben. Zu einer verlässlichen Planungsgrundlage gehören auch verstetigte Mittel im Haushaltsplan. ({2}) Wie bereits erwähnt, werden auch die Mittel im Bereich Abrüstung und Rüstungskontrolle gekürzt. Das ist ein falsches Signal. Man sollte nicht vergessen, dass wir anschließend über den Einsatz der „Cape Ray“ und darüber beraten werden, was Deutschland tun kann, dass es auf diesem Planeten weniger Chemiewaffen gibt. Ich fordere Sie auf, meine Damen und Herren von der Koalition: Arbeiten Sie mit uns gemeinsam daran, dass diese Mittel mehr und nicht weniger werden! ({3}) Ich will in der kurzen Zeit, die mir für diese Rede noch bleibt, über die oft gelobte dritte Säule der Außenpolitik sprechen, über die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Einigkeit haben wir darüber, dass auswärtige Kultur- und Bildungspolitik eine wichtige Säule unserer Außenpolitik ist, aber leider bildet sich das im Etatentwurf nicht ab. Die Mittel für Auslandsschulen sinken um 19 Millionen Euro, die Mittelkürzung für das Goethe-Institut - Mittel in Höhe von 10 Millionen Euro wurden unter Schwarz-Gelb gekürzt - schreiben Sie fort. Nein, Herr Steinmeier, das hat nichts mit einer engagierten Kultur- und Bildungspolitik im Außenministerium zu tun. Lieber Herr Außenminister, Sie wollen der deutschen Außenpolitik mehr Gewicht verleihen. Genauso wie mehr Gewicht sind auch mehr Mittel an sich kein Selbstzweck; es kommt darauf an, wo man dieses Gewicht einbringt und wo man diese Mittel einsetzt. Sie müssen an der richtigen Stelle und an den richtigen Strukturen eingesetzt werden. Meine Fraktion wird in den jetzt anstehenden Haushaltsberatungen an den Stellen, die ich heute kritisiert habe, Vorschläge machen, wie man mit mehr Mitteln tatsächlich zu verantwortungsvollerer und verantwortungsbewussterer Außenpolitik in Deutschland kommt. Ich danke Ihnen. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste Rednerin ist Gabriela Heinrich für die SPD-Fraktion. ({0})

Gabriela Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004296, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Meine Damen und Herren! Der Kollege Brand hat heute bereits das Wort des Bundespräsidenten erwähnt: Jede Politik ist auch Menschenrechtspolitik. - Der Satz bringt es auf den Punkt: Die Menschenrechte müssen die Leitlinie jeder deutschen Politik sein. Jenseits aller übrigen Bestrebungen nach kohärenter Politik muss alles, was Politik ausmacht, auf dem Fundament der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und ihrer Folgeabkommen stehen. Eine weitere Linie deutscher Politik muss sein: Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe dürfen niemanden vergessen. Es darf nicht sein, dass die Organisation Ärzte ohne Grenzen eine Liste vergessener Krisen veröffentlichen muss, zuletzt im Dezember 2013 eine Liste mit den Staaten Tschad, Zentralafrika, Swasiland, Südsudan und Simbabwe. Zentralafrika zum Beispiel ist keine vergessene Krise mehr. Die internationale Staatengemeinschaft handelt, und auch Deutschland kann seinen Teil leisten. Letzte Woche haben wir hier zu Ruanda gesprochen. Viel war die Rede von RtoP, von der Responsibility to Protect. Gestern hat das Kabinett einen Antrag beschlossen: Es geht um die Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Beteiligung an der Europäischen Überbrückungsmission in der Zentralafrikanischen Republik. Wir werden morgen darüber beraten. Militarisierung? Angesichts der aktuellen Situation muss die Frage doch lauten: Schauen wir hin, oder schauen wir weg? Wenn sich die Bundeswehr an dieser Mission beteiligt, wenn sie zum Beispiel Verwundete transportiert, dann ist das in meinen Augen eine aktive Menschenrechtspolitik, die die Lehren aus dem Genozid von Ruanda und aus den Gräueln von Srebrenica gezogen hat. Eine der größten humanitären Krisen unserer Zeit - Sie haben es angesprochen - ist die in Syrien. Syrien zeigt, dass wir uns auch im Menschenrechtsausschuss noch mehr mit humanitärer Hilfe beschäftigen müssen. Wir haben im Deutschen Bundestag mehrfach über das Leiden und die Not der syrischen Flüchtlinge gesprochen. Syrien ist ein Fall für die Responsibility to Protect, aber eben nicht nur Syrien. Die Nachrichten sind voll mit Berichten über Katastrophen in allen möglichen Ländern. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst, zu helfen, auch wenn sich oft zunächst ein Gefühl der Hilflosigkeit einstellen mag. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst, Hilfe auch durch aufgestockte Haushaltsmittel bereitzustellen. Humanitäre Katastrophen kündigen sich an. Die Katastrophe im Südsudan kündigt sich an. Toby Lanzer, der humanitäre Koordinator für den Südsudan bei der UNO, hat letzte Woche eindringlich vor einer neuen Hungersnot gewarnt, einer drohenden Hungersnot, die vergleichbar mit der in Äthiopien in den 80er-Jahren ist. Sie droht jetzt, wenn die Saat nicht rechtzeitig in den Boden gebracht wird. Sie droht in einem Land, das eigentlich fruchtbar sein könnte und über ausreichend Ressourcen verfügt, um sich selbst zu ernähren. Ich halte fest: Wir dürfen diese Länder nicht vergessen. Aber wir dürfen auch nicht die Menschen vergessen, die sich in vielen Ländern dieser Welt für die Menschenrechte einsetzen. Seit zehn Jahren gibt es die Leitlinien der Europäischen Union zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern. Zu diesem Schutz gehört es, ihnen die Sicherheit zu geben, dass sie in ihrem Kampf für die Menschenrechte nicht allein sind. Die internationale Anerkennung und die internationale Beachtung können für Menschenrechtsverteidiger eine Lebensversicherung sein. Denn leider ist es so: Wer sich friedlich für die Menschenrechte einsetzt, wird in manchen Teilen der Welt genau dafür verfolgt, verhaftet, gefoltert und ermordet. Es gibt weltweit unzählige Beispiele für mutige Menschen, die sich in ihrer Heimat friedlich für die Menschenrechte einsetzen. Ich nenne hier stellvertretend Alice Nkom aus Kamerun und Kasha Jacqueline Nabagesera aus Uganda, die sich für die Rechte von Homosexuellen einsetzen. Außerdem nenne ich Abdolfattah Soltani. Er wurde im Iran unter anderem für die Errichtung des Zentrums für Menschenrechtsverteidiger angeklagt. Er ist noch immer in Haft. Unsere Aufgabe ist es, diese Menschenrechtsverteidiger mit allen unseren Möglichkeiten zu unterstützen, sie nicht alleinzulassen und die Vertreter ihrer Länder immer wieder auf sie hinzuweisen. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Die angesprochenen Krisen sind schrecklich und bringen unermessliches Leid. Wir müssen uns unserer Verantwortung innerhalb der internationalen Gemeinschaft stellen, und dazu gehört die ausreichende Finanzierung. Ich danke daher besonders unserem Außenminister Frank-Walter Steinmeier dafür, dass die Mittel für humanitäre Hilfsmaßnahmen und nicht zuletzt die Transformationspartnerschaften Nordafrika/Naher Osten deutlich gestärkt werden sollen. Vielleicht müssen wir auch noch eine Schüppe drauflegen. Wir können die Hoffnung nicht aufgeben, dass das hilft, zumindest die Folgen der schlimmsten Katastrophen zu lindern. Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Das Wort hat Alexander Ulrich für die Linke. ({0})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie uns über Europa reden. Stellen wir uns einmal für einen Moment vor, dass die Europäische Union gestärkt aus ihrer letzten Krise hervorgegangen ist: Die größte Wirtschafts- und Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg hat dazu geführt, dass die Verursacher der Krise mit höheren Steuern und Vermögensabgaben an den Krisenkosten beteiligt wurden. Die Finanzmärkte wurden streng reguliert. Die Großbanken wurden unter demokratische Kontrolle gestellt. Die Finanztransaktionsteuer wurde eingeführt und brachte Milliardeneinnahmen. Die EU nutzte die Krise, um ihre Institutionen zu demokratisieren, und über alle wesentlichen Fragen der EU gab es seitdem Volksabstimmungen. Die riesige Attacke gegen Soziales, Arbeitnehmerrechte, Umwelt und Demokratie durch die Wirtschaftsabkommen mit den USA und Kanada, TTIP und CETA, wurde rechtzeitig erkannt und die Verhandlungen wurden daraufhin abgebrochen. Der von den Gewerkschaften vorgeschlagene Marshallplan für Europa führte zu Investitionen in zukunftsfähige und nachhaltige Arbeitsplätze mit europaweit rund 10 Millionen neuen und guten Arbeitsplätzen. Die Arbeitslosigkeit in Europa geht seitdem deutlich zurück. Waffenexporte wurden verboten, und der Krieg und der militärische Einsatz als Mittel der Politik werden europaweit geächtet. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, leider ist die Wirklichkeit eine ganz andere. Die EU steckt in der schwersten Krise ihrer Geschichte. Seit Jahren geht es nur noch bergab. ({0}) EU-weit gibt es heute 27 Millionen Arbeitslose, 11 Millionen mehr als noch im Jahr 2008. Jeder vierte EU-Bürger ist heute von Armut betroffen. Hunger, Obdachlosigkeit und Krankheiten wie HIV und Malaria sind wieder Teil des europäischen Alltags geworden. Die Zahl der Selbstmorde steigt rasant. Statt die Menschen vor dieser sozialen Katastrophe zu schützen, haben die EU und ihre Mitgliedstaaten in den letzten Jahren durch direkte Finanzspritzen und Bürgschaften 4,8 Billionen Euro Steuergelder in den Finanzsektor gepumpt. Dann wurde die sogenannte Troika auf Europareise geschickt, um das Geld von Arbeitnehmern, Arbeitslosen, Rentnern und Kranken zu holen: durch Privatisierungen, Massenentlassungen, Sozialabbau und Lohn- und Rentenkürzungen. Was passierte hinsichtlich einer Beteiligung der Finanzwirtschaft? Nahezu nichts. Die letzte schwarz-gelbe Bundesregierung hat mit großer Unterstützung der SPD und auch der Grünen in der EU eine Krisenpolitik im Interesse der Großbanken und Konzerne und gegen die Interessen der Menschen durchgesetzt. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union, Grünen und SPD, fragen Sie sich eigentlich hin und wieder einmal, warum sich angesichts einer solchen Politik immer mehr Menschen von diesem Europa verabschieden? Wundern Sie sich wirklich, warum angesichts einer solch desaströsen Krisenpolitik leider auch viele Menschen den rechten Rattenfängern in Europa auf den Leim gehen? ({2}) Sie sind mit Ihrer Politik dafür mitverantwortlich. ({3}) Die Kanzlerin wünscht sich eine marktkonforme Demokratie. Wir sagen: Nein, die Märkte müssen den Menschen dienen und sich der Demokratie unterordnen. Das ist das Gebot der Stunde. ({4}) Herr Außenminister Steinmeier - vielleicht hören Sie mir zu -, warum hat die SPD in der letzten Wahlperiode und im Wahlkampf die Krisenpolitik der Kanzlerin eigentlich kritisiert? Die Wahrheit ist doch, dass die SPD dieser unsozialen Politik hier im Bundestag immer die Hand gereicht hat. Sie haben hier im Bundestag immer zugestimmt. Es gibt im Hinblick auf diese desaströse EU-Krisenpolitik keinerlei nennenswerte Unterschiede zwischen SPD und Union. ({5}) Für das Europa, von dem ich am Anfang sprach, kann man die Menschen begeistern. - Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. ({6}) Für solch eine Europäische Union reichen wir Linke die Hand. Für solch ein Europa kämpft die Linke auch am 25. Mai: für ein Europa der Menschen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa geht anders: sozial, friedlich und demokratisch. Vielen Dank. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Herr Kollege. - Das Wort hat Thomas Dörflinger für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003069, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gehörte von Beginn dieser Debatte an, als der Bundesaußenminister vortrug, zu den Kolleginnen und Kollegen, die hoffnungsvoll waren und erwartet haben, dass die Debatte über den Einzelplan des Auswärtigen Amtes der aktuell durchaus ernsten Situation in Europa gerecht werden würde. Ich habe mit Freude vernommen, dass Frithjof Schmidt den Bundesaußenminister sogar gelobt hat und der Kollege Liebich einen für seine Verhältnisse moderaten Beitrag in dieser Debatte geleistet hat. Diese Hoffnung bestand bis eben, bis Alexander Ulrich gesprochen hat. Jetzt sind wir, was die Tonlage unserer Debatte angeht, wieder dort, wo wir auch sonst immer waren. Ich halte das nicht für angemessen. ({0}) - Das ist nicht überraschend, Herr Kollege Wellmann; das ist richtig. Trotzdem ist es etwas betrüblich, weil die gegenwärtige Situation in Europa den Ernst dieser Debatte erfordert. Der Bundesaußenminister hat in seinem Beitrag die richtige Tonlage vorgegeben. Wenn man von einer steigenden Verantwortung der deutschen Außenpolitik redet, ist es, glaube ich, viel zu kurz gesprungen, wenn man darunter anschließend nur die quasi weltweit zu erwartende Omnipräsenz der Bundeswehr versteht. Das haben auch bei der Sicherheitskonferenz in München weder der Bundesaußenminister noch der Bundespräsident noch andere Redner, die dort vorgetragen haben, so gemeint oder gesagt. Es ist richtig - auch wenn wir den Einzelplan des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erst zu einem späteren Zeitpunkt beraten -, in diesem Kontext auch auf die Vorschläge von Gerd Müller einzugehen. Sie stehen in einem guten Verhältnis, in einer guten Korrespondenz zu dem, was der Bundesaußenminister mit Blick auf die Außenpolitik der Bundesregierung vorgetragen hat: dass Außenpolitik nicht in erster Linie eine militärische Dimension hat, sondern erstens eine politische und zweitens selbstverständlich auch eine soziale. In diese Richtung gehen auch die Vorschläge, die aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gekommen sind. Dafür bin ich seitens der CDU/CSU-Fraktion ausgesprochen dankbar. ({1}) Außenpolitik hat etwas mit Verantwortung, aber selbstverständlich auch etwas mit Verlässlichkeit zu tun. Verlässlichkeit erwarten nicht nur diejenigen, die bereits Opfer einer Intervention aus der Nachbarschaft geworden sind, beispielsweise die Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine, sondern Verlässlichkeit erwarten zu Recht auch diejenigen, die sich gegenwärtig mit der Frage befassen müssen - und das durchaus ernsthaft und berechtigt -, ob sie in naher Zukunft möglicherweise selbst Opfer einer solchen Intervention werden. Die Mitglieder des Europaausschusses des Deutschen Bundestages haben am heutigen Nachmittag noch Gelegenheit, mit dem Ministerpräsidenten der Republik Moldau darüber zu diskutieren. Ich bin gespannt auf dieses Gespräch. Wer beispielsweise in das hineinhört, was eine Praktikantin in meinem Büro, die aus Georgien stammt, zu diesem Thema sagt, wer Wortmeldungen etwa aus den baltischen Staaten, aber auch aus Polen hört - der Bundesaußenminister hat darauf hingewiesen -, der spürt, dass die Befürchtungen dort zu Recht bestehen, dass sich damit auch gewisse Erwartungen an die Rolle der Bundesrepublik Deutschland verbinden. Da darf man sich nicht auf eine Nabelschau konzentrieren. Ich bin sehr dafür, dass wir in der Konzeption unserer zukünftigen Überlegungen auch darauf abstellen - Andreas Schockenhoff hat darauf hingewiesen -, das eigene Tun aus der Vergangenheit einer kritischen Reflexion zu unterziehen, ob das die Rolle der Bundesrepublik, der Europäischen Union oder der NATO angeht - Fakt ist: es ist richtig, wir haben in der Vergangenheit nicht alles richtig gemacht -, aber wenn wir daraus sozusagen einen permanenten Prozess der außenpolitischen Gewissenserforschung machen würden, dann legten wir die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland und damit letztlich auch der Europäischen Union ein ganzes Stück weit lahm. Das kann weder in unserem Interesse sein noch im Interesse derer, die auf unsere Verlässlichkeit und auf unsere Verantwortung zählen, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({2}) Jetzt stehen wir wenige Wochen vor einer Entscheidung. Am 25. Mai findet die Wahl zum Europäischen Parlament statt. Da ist es natürlich wohlfeil, auf die eine oder andere Fehlentwicklung in Europa hinzuweisen und möglicherweise mit einem groben Keil auf einen groben Klotz zu hauen. Das ist in dieser Debatte Gott sei Dank nicht passiert. Es ist aber zu vermuten, dass das im Wahlkampf wieder so sein wird. Ich rate uns dazu, in den Wochen bis zum 25. Mai einen Blick auf das zu werfen, was in der Vergangenheit falsch gelaufen ist; die Europäische Union hat in ihrer Selbstorganisation nicht alles richtig gemacht. Ich glaube, dass es aber auch nottut, an der einen oder anderen Stelle den Blick auf das zu richten, was wir als Europapolitiker an Verbesserungsvorschlägen in die Debatte einbringen können. Ich nenne exemplarisch eine Diskussion im dänischen Parlament, die im Januar dieses Jahres zu einer Reihe von Vorschlägen - 23 an der Zahl - geführt hat, wie man die Rolle der nationalen Parlamente bei der Entscheidungsfindung auf der europäischen Ebene verbessern, intensivieren könnte - zusammen mit den Entscheidungsträgern auf der europäischen Ebene, namentlich der Kommission, dem Rat, aber auch dem Parlament. Wenn man die 23 Vorschläge durchsieht, meine Damen und Herren, dann stellt man fest: Es sind ein paar Vorschläge dabei, die im Grunde genommen das Mitwirkungsrecht des Deutschen Bundestages, also die deutsche Rechtslage, abbilden. Aber zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass die Mitwirkungsrechte nationaler Parlamente in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union keineswegs so ausgeprägt und ausgestaltet sind wie in Deutschland. Deswegen, glaube ich, gehen die Vorschläge, die aus Dänemark kommen, auch wenn sie an der einen oder anderen Stelle nur die geltende Rechtslage in Deutschland abbilden, bezogen auf die Kolleginnen und Kollegen in den anderen nationalen Parlamenten durchaus in die richtige Richtung. Ich freue mich darauf, wenn wir im Europaausschuss des Deutschen Bundestages in den nächsten Wochen diese Vorschläge einer genaueren Beratung unterziehen und in Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen anderer Parlamente darüber nachdenken, ob wir den einen oder anderen Vorschlag aus Dänemark weiterentwickeln und möglicherweise in die Tat umsetzen können, um Entscheidungsprozesse nicht nur auf der europäischen Ebene, sondern auch auf der nationalen Ebene transparenter zu machen. Das ist einer von den konkreten Vorschlägen, die mit Blick auf den 25. Mai Sinn machen. Ich will mit einem Dankeschön und einem Lob schließen, einem Dankeschön und einem Lob deshalb, weil ein nicht unmaßgebliches Mitglied dieses Hauses ein Ceterum-censeo aufgegriffen hat, das uns fraktionsübergreifend eint. Das betrifft ein Thema, an dem wir bereits in der 17. Legislaturperiode gearbeitet haben und an dem die etwas Älteren auch schon in der 16. Wahlperiode und davor gearbeitet haben. Es geht um das Sprachregime und das Übersetzungsregime der Europäischen Union. Im Europaausschuss ist das, wie gesagt, so etwas wie das Ceterum-censeo aller Kolleginnen und Kollegen. Ich will mich beim Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, bei Johannes Singhammer, bedanken, dass er bei seinem jüngsten Aufenthalt in Brüssel das Thema wieder auf die Agenda gesetzt hat - darin einer Tradition folgend, die der Präsident des Deutschen Bundestages bei seinen Unterredungen auf der europäischen Ebene bereits seit vielen Jahren vertreten hat. Dass das ein Thema ist, liegt nicht daran, dass wir keine Fremdsprachen könnten. Jeder von uns ist aufgrund dessen, was er in der Schule oder Universität gelernt hat, der einen oder anderen Fremdsprache mächtig. Aber wenn wir über komplizierte Sachverhalte beraten - Herr Staatssekretär Kampeter beispielsweise, wenn es um die finanziellen Herausforderungen in der Europäischen Union geht -, dann ist es gut, dass wir dies in unserer Muttersprache tun können und nicht auf Übersetzungen angewiesen sind. ({3}) Deswegen freue ich mich, wenn wir in der Zukunft auf der Grundlage dessen, was Johannes Singhammer an Beitrag geleistet hat, arbeiten können. Herzlichen Dank. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Herr Kollege. - Das Wort hat Karl-Georg Wellmann für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karl Georg Wellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003862, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute mehrfach über die Ukraine und über unsere damit verbundenen Sorgen gesprochen. Es geht hier aber nur vordergründig um die Ukraine. In Wahrheit geht es um die Position Russlands in Europa. Wir haben Konzepte, die zeigen, welche Position Russland in Europa haben sollte, und haben immer ge2374 sagt, dass wir uns Russland als strategischen Partner der EU wünschen, und zwar möglichst in einem gemeinsamen Wirtschafts- und Sicherheitsrahmen. Dazu gehört auch ein reger Austausch von Menschen, Kapital und Know-how. Es ist jetzt an Russland, politische Konzepte vorzulegen, die zeigen, wie sich Russland die Gestaltung des europäischen Raumes vorstellt. Russland ist schlichtweg zu groß, um darauf zu verzichten, dass Russland seine Konzepte für die Gestaltung dieses Raumes gemeinsam mit uns vorlegt. Es ist ganz klar: Die Ukraine entscheidet über ihre Orientierung ganz alleine. Wenn sie sich für den Westen entscheidet, ist das für uns maßgebend. Die EU wird dies mit allen vorhandenen Möglichkeiten unterstützen. Versuche der Destabilisierung von außen werden scheitern. Die Kosten einer Intervention wären für Russland sehr hoch, finanziell und politisch. Wir wissen das. Wenn Russland eine Intervention versuchen sollte, dann könnte sich dieses Land sehr schnell überanstrengen, ebenfalls politisch und finanziell. Ich hoffe, dass sich niemand vertut: Die Europäische Union hat für die Stabilisierung des Euro - ich glaube 800 Milliarden Euro mobilisiert. Ich bin ziemlich sicher, dass die EU eher als Russland den Atem hätte, der Ukraine auf die Beine zu helfen. Das notwendige Potenzial hätte die Ukraine allemal. Was wollen wir? Ich glaube, dass es richtig wäre, die Ukraine gemeinsam mit Russland zu entwickeln. Dies hätte Vorteile für alle. Natürlich müssen dabei auch die Fragen einer Freihandelszone mit Russland, des Visaregimes und gemeinsamer trilateraler Industrieprojekte im Raum stehen. Wir tun in diesem Zusammenhang gut daran - Andreas Schockenhoff hat darauf hingewiesen -, die plausiblen strategischen Interessen Russlands zu berücksichtigen. Ich denke an bestimmte technologische Projekte. So werden beispielsweise die Turbinen für sämtliche Hubschrauber, die in Russland eingesetzt werden, im Rahmen eines ukrainisch-russischen Industrieprojekts in der Ukraine gebaut. Da haben die Russen plausible strategische Interessen, die wir nicht vergessen dürfen. Uns muss die Frage beschäftigen, welche Aufgabe Deutschland in der europäischen Politik zukommt. Jeder von uns hat mit Gesprächspartnern aus Polen oder dem Baltikum gesprochen, die mit hochgezogenen Augenbrauen fragen, was denn die deutsche Position ist und welche Rolle wir gegenüber Russland spielen. Wir sollten ganz klar sagen: Für uns ist die Einigkeit der Europäer das wichtigste Ziel. Es ist selbstverständlich - das sage ich noch einmal ausdrücklich -, dass wir natürlich keine Sondergespräche - zwischen Deutschland und Russland führen werden. Alle fordern von uns Deutschen mehr Verantwortung. Was bedeutet das? Es bedeutet zunächst einmal, festzustellen, dass das Weimarer Dreieck das Morden auf dem Maidan beendet hat. Es bedeutet weiterhin, dass wir uns mit unseren polnischen und französischen Freunden in Fragen der europäischen Ostpolitik abstimmen müssen. Aber Vorsicht! Plötzlich wird Führung von Deutschland gefordert. Herr Rehn, Kommissar für Wirtschaft und Währung, äußerte sich am Montag in der FAZ dahin gehend, dass viele in der Außenpolitik „mehr Führung durch Deutschland“ wollen. Wissen wir eigentlich, was das bedeutet? Als Erster hatte das Sikorski vor zwei Jahren angesprochen. Er bezog das aber auf die Euro-Krise, als er sagte, er habe weniger Angst vor deutschen Panzern als davor, dass Deutschland in Europa zu wenig führt. Jetzt geht es nicht nur um eine wirtschafts- und währungspolitische Führung, sondern jetzt ist auch außenpolitische Führung gefordert. Donald Tusk forderte letzte Woche in der Zeit eine „wahre politische Führung“. Auf Nachfrage sagte er: Vielleicht sollte man besser von Leitung statt von Führung sprechen. - Das macht es uns nicht wirklich leichter; denn wenn wir leiten sollen, dann liegt auch die Verantwortung bei uns, das Wohl und das Interesse der Europäischen Gemeinschaft zu definieren. Das sind jedenfalls die neuen Verantwortlichkeiten, über die wir uns klar werden müssen, so wie dies der Außenminister und der Bundespräsident auf der Sicherheitskonferenz in München gesagt haben. Dazu müssen wir erst einmal im Parlament eine Diskussion führen und versuchen, einen Konsens herzustellen. Diese Arbeit muss übrigens auch in der deutschen Öffentlichkeit bzw. der deutschen Gesellschaft geleistet werden. Meine Damen und Herren, die EU-Außenpolitik der letzten Jahre war in Bezug auf den Osten Europas nicht sehr eindrucksvoll; deshalb ist es besonders wichtig, dass wir Deutschen die Initiative ergreifen und die Diskussion, von der ich sprach, untereinander führen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Wellmann. - Der letzte Wortbeitrag in dieser Debatte kommt von Alois Karl für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es entspricht einer guten Übung, dass zum Schluss der Debattenbeiträge zu den jeweiligen Einzelplänen auch die Haushaltspolitiker sprechen. ({0}) Ich freue mich, dass ich das für die Koalition übernehmen darf. Ich mache das auch gerne in Ihrem Sinn, liebe Frau Kollegin Barnett. Wir haben in den Haushaltsberatungen die Koalition vertreten, als es um die auswärtige Politik ging. Ich freue mich, sehr geehrter Herr Bundesaußenminister, dass ich den Haushalt des Auswärtigen Amts vertreten darf; ist er doch der wichtigste von allen Haushalten. ({1}) - Zumindest einer der wichtigsten. Wenn ich mich an die politische Jugendzeit, die wir in der Jungen Union und sonst wo verbracht haben, erinnere, ({2}) so ist uns in Seminaren und andernorts manchmal gesagt worden - es wäre gut gewesen, wenn Sie dabei gewesen wären; Sie hätten manche Irrungen und Wirrungen nicht begangen -, ({3}) dass Fehler in der Innenpolitik immer wieder korrigiert werden können, dass Fehler in der Außenpolitik auf lange Zeit nachwirken. In diesem Jahr, 2014, bieten uns einige Gedenktage die Gelegenheit, uns zurückzuerinnern. Zum Beispiel erinnern wir in wenigen Wochen daran, dass der Erste Weltkrieg vor 100 Jahren ausgebrochen ist. Auch damals war es eine Fehlleistung der Diplomaten, die ihrer Aufgabe nicht gerecht geworden sind. Das war ein lang fortwirkendes Dilemma und eine Katastrophe für Europa. Das Gleiche gilt für den Vertrag von Versailles von 1919, der - auch das gehört in die Außenpolitik - schlechte Friedensbedingungen gebracht hat. Damit wurden die Grundlagen gelegt für die nationalsozialistischen Tendenzen in Deutschland mit ihren antisemitischen Exzessen und den weiteren Folgen. Denken wir in diesem Zusammenhang auch daran, dass vor 75 Jahren der Zweite Weltkrieg ausgebrochen ist. Meine Damen und Herren, diese Reihe ließe sich fortsetzen. 1949 ist in Deutschland das Grundgesetz in Kraft getreten. Im Gesetz über den Auswärtigen Dienst sind Sätze niedergelegt, die noch heute wahr sind. Da heißt es: Der Auswärtige Dienst … dient einer dauerhaften, friedlichen und gerechten Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt, der Wahrung der unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft … Schließlich hat er das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland zu stärken. Dieser Politik sind wir seit 65 Jahren in der Tat verpflichtet. Wer einmal die Memoiren von Konrad Adenauer liest - er war nicht nur der erste Bundeskanzler, sondern auch der erste deutsche Außenminister nach dem Krieg -, der merkt auf geradezu jeder Seite sein politisches Glaubensbekenntnis, dass die tiefe und feste Einbindung Deutschlands in die westliche Wertegemeinschaft immer unser Ankerpunkt sein muss, und der kennt Adenauers Credo, dass die deutsche Außenpolitik davon getragen sein muss, dass wir verlässlicher Partner in der westlichen Gemeinschaft sind. In dieser Weise betreiben wir auch heute unsere Außenpolitik: Sie ist fest verankert. Meine Damen und Herren, es mutet unangenehm an, dass eine Meinungsumfrage in der letzten Woche zum Thema Ukraine ergeben hat, dass zwar 45 Prozent der Deutschen sagen, man solle sich fest an das westliche Bündnis halten, aber 49 Prozent angeben, dass man sich in der Ukraine tunlichst heraushalten solle. Das ist gerade das Gegenteil der Grundsätze deutscher Außenpolitik seit 65 Jahren. Ich danke Ihnen, Herr Außenminister Steinmeier, dass Sie zusammen mit anderen in der Frage der Ukraine Führung übernommen haben und Sie sich nicht heraushalten. Auch auf diese Art und Weise sind die Berechenbarkeit und die Verlässlichkeit der deutschen Außenpolitik sichtbar geworden. Herr Minister, Sie stehen in der Tat in einer langen Reihe von vornehmen Außenpolitikern. Ich habe Konrad Adenauer erwähnt. Man müsste auch Willy Brandt nennen, Helmut Kohl sowieso, aber auch Hans-Dietrich Genscher usw. Die Schwerpunkte ändern sich auch in der Außenpolitik, aber es ist sehr wohl richtig, dass sich die Grundsätze nicht verändern, dass die Wurzeln und die Fundamente in der Tat die gleichen bleiben. Auf diesen Grundlagen betreiben wir unsere Außenpolitik. Sie ist gut angelegt, wenn wir auch dafür Geld ausgeben, um dafür zu sorgen, dass das Bild der Deutschen und Deutschlands in der Welt ein gutes ist, indem wir die auswärtige Kulturpolitik gut ausstatten, also viel Geld für das Goethe-Institut, den Deutschen Akademischen Austauschdienst, die Wilhelm-von-Humboldt-Stiftung und vieles andere mehr ausgeben; dieses Geld ist gut angelegt. Sehr geehrter Herr Außenminister, ich gebe Ihnen recht, wenn Sie sagen, dass die Zeiten, in denen Deutschland sich aus den Konflikten heraushalten konnte, vorbei sind. Cash anstelle von alternativen außenpolitischen Ansätzen der deutschen Politik - das ist keine Alternative mehr. Wir haben - wir sind zu groß, zu bedeutsam und auch zu wichtig in der Welt - unsere Rolle zu spielen. Es ist schon gesagt worden, dass der Herr Bundespräsident dies bei der Münchner Sicherheitskonferenz in ähnlicher Weise gesagt hat, als er formulierte, dass Deutschland „sich als guter Partner früher, entschiedener und substanzieller einbringen“ sollte, auch dort, wo Krisen in der Welt herrschen. Sie, Herr Minister, haben das in ähnlicher Weise gesagt, Frau von der Leyen und die Bundeskanzlerin ebenso. Meine sehr geehrten Damen und Herren, viele machen sich Idealvorstellungen: Überall mögen Frieden, Freiheit und Wohlstand herrschen und die Menschenrechte gelten. Die Realität sieht vielerorts allerdings anders aus; das ist in der Tat wahr. Nehmen wir den Mittelmeerraum, unsere unmittelbare Nachbarschaft: Wir waren bass erstaunt, dass in Tunesien, in Libyen, in Ägypten Revolutionen über die Bühne gegangen sind. Vorschnell haben viele vom Arabischen Frühling gesprochen, und das hat sich als sprachliche Verirrung herausgestellt. Die Realität sieht anders aus, gerade wenn man Libyen oder Ägypten betrachtet. Trotzdem stellen wir viel Geld für die sogenannten Transformationspartnerschaften ein und hoffen, dass wir damit dazu beitragen können, gerade in Ägypten und Libyen, aber auch in anderen Ländern demokratische und rechtsstaatliche Verhältnisse herbeizuführen. Syrien ist erwähnt worden - welch ein Drama! Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn man weiß, dass im Libanon mehr als 1 Million Flüchtlinge und in Jordanien und der Türkei jeweils rund 600 000 Flüchtlinge angekommen sind, dann erkennt man, was das für ein unglaubliches menschliches Drama ist. Wir können uns da nicht aus der Verantwortung stehlen. Gegenüber dem Jahr 2012 haben wir unseren Beitrag mehr als verdoppelt, um hier menschliches Leid zu lindern. ({4}) Ich danke den Kollegen des Haushaltsausschusses, dass es da zwischen uns allen gar keine Diskrepanz gibt und wir auf einer Linie sind. Die Afrika-Politik, begründet auch vom damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler mit seiner Partnerschaft für Afrika, ist angesprochen worden, die Ukraine auch. Meine sehr geehrten Damen und Herren, noch einige Sätze zum Baltikum. Im nächsten Jahr feiert Litauen das 25-jährige Bestehen seiner Selbstständigkeit, Estland und Lettland tun das im Jahr 2016. Trotzdem herrscht dort ein tiefes Misstrauen, eine Urangst gegenüber der Politik der früheren Sowjetunion und des heutigen Russlands, eine Urangst, dass jene Bestrebungen, die wir von der Krim und aus der Ukraine kennen, auf das Baltikum übergreifen könnten.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Denken Sie an die Redezeit?

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich denke daran.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Wunderbar.

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme nach einem Schachtelsatz zum Ende, Frau Vorsitzende. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Auf Hochdeutsch, bitte. ({0})

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wie ich weiß, sind Sie gebürtig aus Schwaben und leben in Augsburg. Vorhin habe ich die Rede des Kollegen Dörflinger aus Baden-Württemberg gehört.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Wir müssen trotzdem zum Ende kommen.

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Er hat gemeint: Man müsste Übersetzungen ins Deutsche haben. - Deutsch ist auch die erste Fremdsprache für die Württemberger und die Schwaben. ({0}) Liebe Frau Präsidentin, mit diesem Misstrauen und der Urangst der Balten beschäftigt sich auch unsere Politik. Es ist wichtig, diese auszuräumen. Herr Außenminister, Sie waren da und haben Farbe bekannt. Dafür danke ich Ihnen herzlich. Ich freue mich auf die Debatten im Haushaltsausschuss. Wir werden Ihren Haushalt - er ist einer der wenigen, der ansteigt, gegenüber dem Vorjahr um mehr als 4 Prozent - tatkräftig unterstützen. Wir freuen uns auf die Gespräche. Herzlichen Dank für die ersten Gespräche, die wir geführt haben. Sie waren getragen von gegenseitigem Respekt und Vertrauen. Ich bin mir sicher: Die deutsche Außenpolitik ist in Ihren Händen kompetent und gut aufgehoben. Vielen herzlichen Dank. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Alois Karl. - Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Dann schließe ich die Aussprache. Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf: - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am maritimen Begleitschutz bei der Hydrolyse syrischer Chemiewaffen an Bord der CAPE RAY im Rahmen der gemeinsamen VN/OVCW-Mission zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen Drucksachen 18/984, 18/1067 - Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/1096 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Rolf Mützenich für die SPD. ({2})

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für eine Region, die seit langem keinen Frieden mehr kennt, ist die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen einer der wenigen Lichtblicke. Wir sollten uns das angesichts der Dramatik, die in dieser Region derzeit vorherrscht, vergegenwärtigen. Insbesondere in Syrien - darauf haben alle Rednerinnen und Redner bei der Diskussion über den Einzelplan des Auswärtigen Amtes hier im Deutschen Bundestag hingewiesen - kennen die Barbarei und die Verzweiflung der Menschen, die tagtäglich mit Gewalt und Vertreibung konfrontiert sind, kein Ende. Ich bin sicher, ich spreche für das gesamte Haus, wenn ich sage, dass viele der Kolleginnen und Kollegen auch in den eigenen Wahlkreisen von den Schicksalen Einzelner wissen und versuchen, ganz persönlich zu helfen. Das ist einer der Beiträge, die Deutschland leisten kann, insbesondere wenn es um humanitäre Hilfe geht. Es gibt weitere Punkte in der Region, die Anlass zu Pessimismus geben: die Rückkehr autoritärer Regime, Aufrüstung und Mangel an Vertrauensbildung. Leider herrscht an vielen Stellen noch Misstrauen. So wissen wir immer noch nicht, ob wir Mitte dieses Jahres eine erfolgreiche Lösung der iranischen Atomkrise erleben werden. In diesen Tagen - der Bundesaußenminister hat es angesprochen - müssten wir uns die größten Sorgen auch darum machen, dass die Friedensbemühungen im Nahen Osten, die insbesondere vom amerikanischen Außenminister immer wieder sehr stark vorangetrieben worden sind, am seidenen Faden hängen. Möglicherweise sind sie bereits gescheitert. Deswegen war es gut - das sage ich auch an die Mitglieder der Bundesregierung gerichtet -, dass die neue Bundesregierung sofort entschieden hat, sich an der Vernichtung der Chemiewaffen zu beteiligen. Ich danke dem Bundesaußenminister und der Verteidigungsministerin für ihre gemeinsame Initiative. Wir brauchen dafür heute ein starkes Signal der Unterstützung aus dem Deutschen Bundestag. Das, worüber wir heute diskutieren, ist alles andere als ein symbolisches Mandat. Deswegen will ich auf einzelne Punkte eingehen, die in den letzten Tagen immer wieder verzweifelt gesucht wurden - so muss ich das sagen -, um eine Ablehnung zu rechtfertigen. Ich fand die Argumente, die in der ersten Lesung vorgetragen worden sind, schon sehr zweifelhaft. Das, was ich in den letzten Tagen gehört und gelesen habe, hat diesen Eindruck verstärkt. Ich will einige Punkte benennen: Einige sagen, es liege keine ausdrückliche Einladung an die Bundesregierung, an Deutschland vor, sich an dieser Mission zu beteiligen. Ich bitte diejenigen, die das so sehen, in die Resolution 2118 ({0}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zu schauen. Unter Ziffer 10 heißt es, dass der Sicherheitsrat die Mitgliedsländer bittet - ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin -, Unterstützung bereitzustellen, darunter Personal, technischen Sachverstand, Informationen, Ausrüstung, Finanzmittel und sonstige Ressourcen und Hilfe, um die OVCW - Organisation für das Verbot chemischer Waffen und die Vereinten Nationen in die Lage zu versetzen, die Beseitigung des Chemiewaffenprogramms der Arabischen Republik Syrien durchzuführen, und beschließt, die Mitgliedstaaten zu ermächtigen, die vom Generaldirektor der OVCW ermittelten chemischen Waffen zu erwerben, zu kontrollieren, zu transportieren, weiterzugeben und zu vernichten … Ich weiß nicht, ob es eine bessere Einladung geben kann als die vom höchsten Souverän in der internationalen Politik. Ich finde, das sollten wir zur Kenntnis nehmen. Möglicherweise ist die Einladung etwas kompliziert ausgedrückt. Aber ich finde schon, dass wir die Einladung annehmen sollten. Deutschland ist ein guter Partner in den Vereinten Nationen. Deswegen sollten wir diese Debatte nicht mehr führen. Ein anderes Argument war, der Schutz sei unnötig. Nun haben wir oft eine Debatte darüber geführt, ob die syrische Regierung oder möglicherweise die Aufständischen für den Einsatz der Chemiewaffen, für den Angriff mit chemischen Waffen verantwortlich sind. Ich glaube immer noch, dass eine Menge Indizien dafür sprechen, dass es das Regime Assad gewesen ist. Sie wissen auch, dass diejenigen, die das im Namen der Vereinten Nationen überprüft haben, nicht ermächtigt waren, genau festzustellen, wer es war. Wenn Sie darauf hinweisen, dass es auch die Aufständischen gewesen sein könnten, dann ist es doch umso notwendiger, dass wir einen Schutz organisieren, insbesondere weil wir vor mehreren Jahren Angriffe auf Kriegsschiffe erlebt haben, zum Beispiel auf die USS „Cole“. Deswegen glaube ich, dass Schutz letztlich notwendig ist, und es liegt auf der Hand, dass sich Deutschland daran beteiligt. Dann gab es das Argument: Das können die USA alleine. - In der Tat: Die USA können das alleine. Sie verfügen über das notwendige militärische Gerät. Wir wollen aber ausdrücklich nicht, dass die USA dies alleine tun, und zwar aus einem ganz wichtigen Grund, einem Grund, den wir nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegt haben. Wir wollen das gemeinsam machen, nicht nur, um mitbestimmen zu können, sondern auch, um die Einbindung von Partnern in ein solches Mandat zu erreichen. Ich habe mich über dieses Argument gewundert; denn diejenigen, die gesagt haben: „Die USA können das alleine“, reden sonst immer von der amerikanischen Hegemonie. Ich glaube, wir sollten gemeinsam dafür sorgen, dass wir die USA bei diesem Mandat unterstützen. ({1}) Es gab ein viertes Argument. Es wurde gesagt, dass wir andere herausdrängen. Das stimmt überhaupt nicht. Immer noch sind seitens der Vereinten Nationen viele Staaten eingeladen. Russland und China haben es nicht abgelehnt, beispielsweise den Transport weiterhin mit zu übernehmen. Sie können sich beteiligen. Sie haben eben nicht ausdrücklich feststellen wollen, dass sie nicht mehr mit dabei sind. Es ist letztlich in ihrem Interesse, an der Vernichtung der chemischen Waffen Syriens beteiligt zu sein. Weiterhin steht diese Tür sehr weit offen. Ich glaube, dass Russland sich in den nächsten Wochen aus Eigeninteresse wieder massiv daran beteiligen wird, insbesondere weil - das hat der Außenminister festgestellt bisher nur 54 Prozent der chemischen Waffen gesichert sind. Als letzter Aspekt wurde in die Debatte die Frage eingebracht: Warum der Nordatlantik? Ich frage mich: Warum diskutieren wir hier ständig über Auslandseinsätze, über Klarheit und Wahrheit eines Mandats? Wenn in den nächsten Wochen möglicherweise aus Sicherheitsgründen, aus Witterungsgründen oder anderen Gründen die Vernichtung im Mittelmeer nicht stattfinden kann, dann machen wir das eben im Nordatlantik. Was spricht denn gegen konkrete Abrüstung an dieser Stelle? Ich möchte sehr deutlich sagen: Ich glaube, gerade dieses neue Mandat schafft eine neue Qualität im Bereich der internationalen Politik, aber auch bei der Behandlung von Bürgerkriegen. Wir haben es damals beim Vertrag von Dayton bezüglich des jugoslawischen Bürgerkriegs gesehen. Auch da ist Rüstungskontrolle eingebracht worden, leider zu spät, aber immerhin wurde sie eingebracht. Jetzt sollen Abrüstung und Rüstungskontrolle helfen, die schlimme Situation in Syrien zu verbessern. Was spricht denn dagegen, für dieses Mandat zu stimmen? ({2}) Ich glaube, es geht mit diesem Mandat mehr und verstärkt darum, den diplomatischen Weg zu gehen. Die Bundesregierung versucht seit Wochen - der Bundesaußenminister hat es gerade in seiner Rede gesagt -, hier wieder voranzukommen. Dass es keine Waffenlieferungen von Saudi-Arabien, von Katar, aber auch von Russland und vielen anderen Ländern aus geben darf, gehört auf die Tagesordnung. Es geht auch um humanitäre Korridore im Rahmen einer Waffenruhe. Und in der Tat, die Türkei muss in den nächsten Wochen in den Gremien darüber Auskunft geben, wie sie heute auf diesen Konflikt in Syrien blickt. Auch das gehört zu einer ehrlichen Diskussion. Bundeswehrmandate - das sage ich an alle Fraktionen sind immer eine Einzelfallentscheidung. Ich habe hohen Respekt vor jedem Einzelnen, der für sich in der Vergangenheit begründet hat, dass er einem bestimmten Mandat nicht zustimmen kann. Das hat das Bundesverfassungsgericht so niedergelegt, und das hat insbesondere auch dieses Hohe Haus immer wieder gewürdigt. Auch in unserer Fraktion gab es immer wieder unterschiedliche Stimmen zu Bundeswehrmandaten. Aber, ich finde, Sie sollten sich darüber klar werden, dass es heute nicht darum geht, zu intervenieren oder vielleicht Soldaten zur Friedenssicherung in Blauhelmmissionen oder anderweitig mit einem robusten Mandat auszustatten. Das heute zur Abstimmung stehende Mandat ist vielmehr ein konkreter Beitrag zur Abrüstung. Es soll helfen, das umzusetzen, was in dieser Region versucht wird, und gerade auch in Syrien ist es dringend notwendig, die Fragen von Abrüstung und Diplomatie in den Vordergrund zu stellen. Wenn man heute für dieses Mandat stimmt, unterstützt man Abrüstung und Rüstungskontrolle. Ich komme zu einem anderen Aspekt. Ich glaube, die Beratungen über dieses Mandat hätten auch einen Beitrag zu einer in diesem Haus notwendigen Diskussion zwischen allen Fraktionen leisten können, wann und ob militärische Beteiligungen im Rahmen von Beschlüssen der Vereinten Nationen sinnvoll sind und zur Friedenssicherung beitragen. Das habe ich vermisst. Ich finde, Sie haben die Möglichkeit, zu dieser Debatte sachlich beizutragen, nicht genutzt. Die internationale Politik steht in diesen Wochen vor ungeahnten Herausforderungen. Noch immer hören und sehen wir an zu vielen Orten verantwortungslose Unruhestifter. Die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen unterstreicht deshalb mehr denn je auch die Bedeutung der Diplomatie und der Abrüstung für die Wiederherstellung des Friedens. In diesen Tagen brauchen Diplomatie und Abrüstung eine starke Stimme. Ich bitte um Ihre Unterstützung. Vielen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Rolf Mützenich. - Für die Linke Jan van Aken. ({0})

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Grüß Gott, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde, es ist wirklich keine einfache Frage. Es gibt sehr viele sehr gute Argumente für diesen Einsatz, und es gibt sehr viele sehr gute Argumente gegen diesen Einsatz. Wir haben in der Fraktion darüber diskutiert. Er wurde von verschiedenen Personen unterschiedlich bewertet. Einige werden dafür stimmen, einige dagegen, andere werden sich enthalten. Ich will ganz vorne anfangen. Es geht um die Vernichtung syrischer Chemiewaffen im Mittelmeer und den militärischen Schutz durch eine deutsche Fregatte. Ich glaube, in einem Punkt sind wir uns alle einig: Es ist völlig richtig und wichtig, dass die syrischen Chemiewaffen jetzt komplett vernichtet werden. ({0}) Ich muss sagen, dass es für mich ganz persönlich auch eine Herzensangelegenheit ist. Ich habe die letzten 15 Jahre vor allem damit zugebracht, für die Vernichtung aller biologischen und chemischen Waffen auf der Welt zu kämpfen, zwei Jahre lang auch als UN-Biowaffeninspektor. Deswegen bin ich jetzt sehr erleichtert und froh darüber, dass auch das syrische Chemiewaffenprogramm endgültig vernichtet wird. Ich möchte an dieser Stelle den UN-Inspektoren in Syrien danken, die teilweise unter Einsatz ihres Lebens dieses Programm mit aufgeklärt und untersucht haben. Das verdient unser aller Respekt. ({1}) Es ist richtig, wie die Vernichtung der Waffen geschieht, nämlich auf einem Schiff im Mittelmeer. Das ist unter Sicherheitsaspekten und aus ökologischer Sicht die beste Methode. Da wird nichts ins Meer gekippt. Das ist ein geschlossenes und solides System. Das finde ich als alter Umweltaktivist völlig in Ordnung. Herr Mützenich, natürlich muss dieser Prozess und muss auch das Schiff bewacht werden. Dazu gibt es keine zwei Meinungen; denn niemand kann ernsthaft riskieren, 20 Tonnen Senfgas mehrere Monate lang ungeschützt über das Mittelmeer schippern zu lassen. So gering die Gefahr auch sein mag: Sie ist nicht gleich null. Das alles sind sehr gute Argumente für diesen Einsatz. Aber wir können den Einsatz doch nicht isoliert betrachten. Er findet nicht in einem luftleeren Raum statt. Praktisch zeitgleich, innerhalb einer Woche werden hier im Bundestag zwei ganz neue Bundeswehrmandate verabschiedet: eines für Somalia und eines für die Zentralafrikanische Republik. Da wird doch in allerkürzester Zeit genau das zur Realität, was Herr Gauck, Frau von der Leyen und Herr Steinmeier erst vor kurzem verkündet haben, nämlich eine systematische Ausweitung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Diese Militarisierung der deutschen Außenpolitik wird die Linke niemals mittragen. ({2}) Sie reden hier immer von Verantwortung. Aber wissen Sie eigentlich, was in diesem Fall echte Verantwortung hieße? Fangen wir doch einmal an: Erstens. Stoppen Sie endlich alle heiklen Chemiewaffenlieferungen, ({3}) vor allen Dingen an die Länder, die die Chemiewaffenkonvention noch nicht ratifiziert haben! Das haben wir beantragt. Dem können Sie gleich zustimmen. Das wäre einmal ein Beispiel dafür, wie man Verantwortung übernimmt. Zweitens. Binden Sie Russland wieder ein! Es war ein fataler Fehler, Russland rauszukegeln. ({4}) Wir wissen doch alle, dass Assad sein Chemiewaffenprogramm ohne den Druck aus Moskau nie aufgegeben hätte. Sie aber kegeln Russland jetzt raus. ({5}) Drittens. Ziehen Sie sofort die Bundeswehr samt ihrer Patriot-Raketen aus der Türkei zurück! ({6}) Denn damit unterstützen Sie eine ganz gefährliche Politik der Türkei auf Kosten der Menschen in Syrien. Das wäre für mich Verantwortung. Diese verweigern Sie aber. Das einzige, was Sie in einer solchen Situation tun, ist das, was Sie so oft tun: mal wieder ein deutsches Kriegsschiff schicken. Das ist zu wenig. Hinzu kommt, dass das konkrete Mandat, zu dem Sie hier einen Bericht vorgelegt haben, wirklich zum Himmel stinkt. Das gibt mir allen Grund zu Misstrauen. Sie legen den gesamten Einsatz als NATO-Mandat an. Warum machen Sie daraus keine UN-geführte Operation? Das machen Sie nicht; Sie legen das als NATO-Mandat an. Dann weiten Sie den Einsatz auf den Nordatlantik und alle angrenzenden Seegebiete aus. Wir haben nachgefragt: Warum? Herr Mützenich, auch von Ihnen habe ich heute keine Antwort bekommen. Ich bekomme auch aus den Ministerien keine Antwort. Der Einsatz wird ohne jeden Grund auf die halbe Welt ausgeweitet. Was soll das? Jetzt kommt etwas, von dem ich befürchte, dass es draußen in der Welt kein Mensch versteht: Sie wussten vorgestern noch nicht einmal, wie viele Kriegsschiffe eigentlich vor Ort sind. Mir wurde vom Verteidigungsministerium im Auswärtigen Ausschuss gesagt, dort seien zwei Kriegsschiffe, und zwar eines von den USA und eines von Deutschland - mehr nicht. Zur gleichen Zeit hieß es im Verteidigungsausschuss, es seien drei Kriegsschiffe, ein U-Boot und vielleicht noch ein bisschen mehr. ({7}) Wir haben nachgefragt. 24 Stunden lang haben wir keine Antwort bekommen. Sowohl im Verteidigungsministerium als auch im Auswärtigen Amt wusste niemand, wie viele Schiffe beteiligt sind. ({8}) Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, ein Mandat für einen Bundeswehreinsatz auf einer so dubiosen Basis vorzuschlagen. ({9}) Das alles sind aus meiner Sicht sehr gute Argumente gegen diesen Einsatz. ({10}) Wir haben diese Fragen, wie gesagt, innerhalb der Fraktion diskutiert. Jeder und jede von uns hat unterschiedli2380 che Gewichtungen vorgenommen. Deswegen werden wir unterschiedlich abstimmen. Das ist auch gut so. Ich selbst habe hier zwei Herzen in meiner Brust. Schon aufgrund meiner persönlichen Geschichte in Sachen Abrüstung werde ich auf gar keinen Fall gegen diesen Einsatz stimmen. Aber ich kann ihm auch auf gar keinen Fall zustimmen. Ich persönlich werde mich deshalb enthalten. ({11}) Ich bin im Übrigen der Meinung, dass Deutschland keine Waffen exportieren und auch keine Chemiewaffenfabriken unterstützen sollte; das will ich ganz zum Schluss noch sagen. Es waren - das wissen Sie - vor allem deutsche Firmen, die in den 80er- und 90er-Jahren das syrische Chemiewaffenprogramm mit aufgebaut haben. ({12}) Ich befürchte sogar, dass der tödliche Einsatz von Giftgas am 21. August 2013 ohne deutsche Hilfe nicht möglich gewesen wäre. Ich finde, wir müssen alle endlich Konsequenzen daraus ziehen und dafür sorgen, dass nie wieder irgendwo auf der Welt ein Chemiewaffenprogramm aus Deutschland unterstützt wird. ({13}) Ich danke Ihnen. ({14})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Johann Wadephul, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich muss das Rednerpult erst noch einstellen; ich bin nicht ganz so lang wie der Kollege, Herr Präsident.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Das geht von selbst. Warten Sie es entspannt ab! Jeder findet hier bei uns seinen Level. ({0})

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Einzelheiten dazu morgen in der Rechtsstellungskommission des Ältestenrates, der ich angehöre. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der außenpolitischen Debatte lag der Schwerpunkt zu Recht bei der Situation in der Ukraine und dem völkerrechtswidrigen Verhalten Russlands durch die faktische Annexion der Krim. Dabei ist der gesamte Nahostkonflikt, über den man viel sagen könnte, und insbesondere die kriegerische Situation in Syrien in den Hintergrund getreten. Das ist angesichts der Tausenden Toten nicht gerechtfertigt. Es ist gut, dass uns der Bundeswehreinsatz, über den wir heute beraten, Gelegenheit gibt, ins Bewusstsein zu rufen, welche menschliche, humanitäre, zivilisatorische Katastrophe sich in dieser Region abspielt. Das Zweistromland und die benachbarten Regionen sind eine, wenn nicht die Wiege unserer westlichen, zunächst griechisch-römisch, dann christlich-jüdisch geprägten Welt. Dass hier Kulturstätten von einmaliger Bedeutung versinken und Tausende von Menschen hingemordet werden, ist schrecklich. Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um dem Einhalt zu gebieten. Da ist Enthaltung, Herr van Aken, keine Haltung. Man muss vielmehr handeln, ({0}) auch vor dem Hintergrund, dass wir in diesem Jahr des traurigen, 100 Jahre zurückliegenden Ausbruchs der kriegerischen Handlungen gedenken, die allgemein als Erster Weltkrieg bekannt geworden sind. Wenn man sich überlegt: „Was ist das Markante an dieser Auseinandersetzung gewesen?“, dann sind da insbesondere die gräuelhaften Giftgaseinsätze zu nennen. Das hat zur Folge gehabt, dass in der Zeit danach praktisch kein Giftgas mehr eingesetzt worden ist, während des gesamten Kalten Krieges ebenfalls nicht. Das ist erst in Syrien wieder der Fall gewesen. ({1}) Die Frage, wer nun dafür Verantwortung trägt, wer das gemacht hat - Herr van Aken, Sie haben diese Frage in der ersten Lesung nach vorne gekehrt -, lasse ich einmal beiseite. Wir können als Weltgemeinschaft und als diejenigen, die immer wieder betonen, dass das Bestehen auf der Schutzverantwortung ein wichtiges Prinzip der Vereinten Nationen geworden ist, nicht tatenlos zusehen, wenn Giftgas wieder eingesetzt wird. Wir müssen es alle ächten, und wir müssen alle einschreiten, meine sehr verehrten Damen und Herren, und das sollten wir geschlossen tun. ({2}) Wenn man die Krise in Syrien sieht, muss man feststellen: Es gibt sehr viel Dunkles, sehr viel Schatten, sehr viel Trauriges, sehr viel, was einem wenig Hoffnung gibt: dass sich viele eingemischt haben, dass dort zahlreiche Interessen kollidieren. Das ist alles bekannt, und das werden wir nicht abschalten können. Aber wir haben eine kleine, wichtige Sache gemeinsam erreicht, und das ist ein Konsens bei den Vereinten Nationen - er ist die Grundlage unseres Einsatzes und auch Ihres Antrags, Herr van Aken -, ein Konsens unter Einbindung von China und unter Einbindung von Russland, worauf Sie sehr viel Wert gelegt haben, dass diese Chemiewaffen jetzt vernichtet werden. Wie viele Jahre haben wir in diesem Hause und an verschiedensten Stellen gemeinsam über die Ächtung von Atomwaffen, über die Ächtung von Chemiewaffen geredet! Jetzt wird das endlich einmal gemacht. Das ist doch ein riesiger Erfolg der Vereinten Nationen. Das gibt doch Hoffnung, dass die Völker dieser Erde hier zusammenwirken und nicht immer weitermachen in der Rüstungsspirale, sondern selber merken, dass das menschlicher Wahnsinn ist, mit dem man aufhören muss, dass man diese Waffen zerstören muss. Das können wir alle nur begrüßen. ({3}) Die Koalitionsfähigkeit der Linksfraktion ist für mich kein Thema, mit dem ich mich länger befassen will. Das ist letzten Endes nicht die Ebene, auf der wir das hier miteinander diskutieren sollten, auch wenn einige das tun und wenn das für viele bei Ihnen offensichtlich der Maßstab dafür ist, sich zu enthalten, um gewisse Zeichen zu setzen. Das mögen Sie mit sich ausmachen. Ich glaube aber, dass das nicht der Maßstab für unsere Diskussionen hier ist. Die Frage ist doch, ob man in dieser Situation wirklich eine andere Entscheidung treffen kann. Diese Frage stellt sich unabhängig vom Einsatzgebiet und der Frage, ob Russland angesichts der „Angelegenheit Ukraine“, um es einmal harmlos zu formulieren, aktuell beteiligt sein sollte; denn das ist sekundär. Im Kern geht es doch darum, ob dieser Einsatz möglich ist. Stellen Sie sich nur einmal in Ihren kühnsten Träumen vor, es hinge von Ihrer Stimme ab, ob dieser Einsatz zustande kommt oder nicht. Ihre Stimme wäre sozusagen die Conditio dafür, dass dieser Einsatz durchgeführt wird. Sie würden ihn dann also - auch mit einer Enthaltung - unmöglich machen? ({4}) Vor dieser politisch-moralischen Frage stehen Sie in diesem Hause, und hier versagen Sie aus meiner Sicht. Was kann pazifistischer sein als die Vernichtung von Waffen? Wann, wenn nicht jetzt, sollte man einem derartigen Einsatz zustimmen? Zu dieser Zustimmung rufe ich Sie alle auf. Herzlichen Dank. ({5})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Omid Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 16. März 1988 gab es einen Einsatz von Chemiewaffen in Halabdscha. Einer meiner engsten Verwandten war an diesem Tag dort. Er war Soldat und hatte deshalb die volle Schutzmontur an. Ich habe ihn danach im Krankenhaus besucht, in dem er trotz der Schutzmontur sechs Monate lang behandelt wurde. Die Bilder, die er aus seinem Kopf nicht mehr loswurde, waren Bilder des Grauens, die sich jeglicher Beschreibung entziehen. Das, was man mitnimmt, wenn man solche Bilder gesehen oder auch nur davon gehört hat, ist, dass man alles daransetzen muss, dass sich das nicht wiederholt. Am 21. August letzten Jahres gab es eine Wiederholung in Ghuta mit Tausenden von Toten, darunter viele Kinder. Sie sind gestorben, weil ihre Atemwege so verkrampft waren, dass sie nicht mehr atmen konnten. Wahrscheinlich war der Einsatz von Chemiewaffen in Ghuta nicht der erste Einsatz dieser Waffen in Syrien. Das Gebot, das damals richtig war, gilt heute unverändert: Wir müssen alles dafür tun, dass sich solche Gräueltaten nicht wiederholen. ({0}) Wenn wir durch die Entsendung der Fregatte einen Beitrag dazu leisten können - das ist kein großer Beitrag -, dass sich eine solche Gräueltat nicht wiederholt, dann sollten wir das auch tun; denn wir wissen, dass gerade einmal die Hälfte der Chemiewaffen in Latakia ist bzw. zumindest nicht mehr dort, wo sie eingesetzt werden können. Wir wissen auch, dass die Fristen für die Zerstörung der Chemiewaffenanlagen bei einigen Anlagen längst verstrichen sind. Meiner Meinung nach ist in dieser Debatte nicht die zentrale Frage, wer in Ghuta die Chemiewaffen eingesetzt hat. Ich halte die Indizienlage für klar und glaube, dass es das Assad-Regime war. Aber auch wenn es das Assad-Regime nicht war, ist es notwendig, dass wir unseren Beitrag dazu leisten, dass diese Chemiewaffen zerstört werden. Die Zerstörung ist ein wichtiger Beitrag dazu und eine Bedingung dafür, dass Syrien der Konvention gegen Chemiewaffen beitreten kann. Wir wissen, dass deutsche Unternehmen von 1983 bis 1993 stark dazu beigetragen haben, dass dieses riesige Arsenal von Chemiewaffen in den Händen Assads ist. Im Übrigen wiederholt sich hier die Geschichte: Das ist nicht anders als in Halabdscha, wo das nicht zu Ende aufgearbeitet worden ist. - Wir wissen, dass bis 2011 auch Dual-Use-Güter nach Syrien geliefert wurden. Ich finde, allein deswegen erwächst Verantwortung auch für den Deutschen Bundestag, alles dafür zu tun, dass sich solche Gräueltaten nicht wiederholen. ({1}) Herr Kollege van Aken, ich kann Ihnen ganz sicher nicht absprechen, dass Sie es sich schwer machen. Das gilt ebenso für alle in diesem Hohen Hause bei Auslandseinsätzen, hoffe ich zumindest. Frieden ist aber immer konkret; das wissen Sie besser als ich. Deshalb weiß ich, ehrlich gesagt, nicht, was die Situation in Somalia - ich habe dagegen gestimmt, als dieses Mandat beschlossen wurde - mit der Vernichtung der Massenvernichtungswaffen in Syrien zu tun hat. ({2}) Wir haben Schwarz-Gelb kritisiert, weil diese Koalition nicht bereit war, sich an der Zerstörung der Massenvernichtungswaffen zu beteiligen. Wir haben es begrüßt, dass sich Frank-Walter Steinmeier für die Große Koalition dieses Themas annimmt. Deshalb wird meine Fraktion diesem Mandat zustimmen. Es gibt in diesem Zusammenhang zwei weitere Gründe, die man nennen muss. Der eine Grund ist: Es ist ein UN-mandatierter Einsatz. Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, dass es ein NATO-Einsatz sein könnte. ({3}) Das ist nicht richtig. - Der zweite Grund ist: Es ist eben nicht so, dass Russland nicht dabei wäre. Russische Soldaten sind meines Wissens und nach dem, was uns berichtet wurde, in Latakia und wirken daran mit, dass die Chemiewaffen gesichert sind, bevor sie auf die Schiffe verladen werden. Es ist ein Wert an sich, dass es in diesen Zeiten eine militärische Kooperation mit Russland gibt und wir diese unterstützen. ({4}) Ein letzter Punkt. Bei allen Gräueltaten im Zusammenhang mit Chemiewaffen und anderen Massenvernichtungswaffen dürfen wir eine Sache nicht vergessen: Es ist wichtig, dass wir uns an der Abrüstung beteiligen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass in Syrien mittlerweile über 150 000 Menschen getötet worden sind; die meisten waren Zivilisten, Kinder und Frauen. Dies darf auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die meisten eben nicht in Ghuta gestorben sind, ohne das zu quantifizieren. Ja, wir reden heute über Massenvernichtungswaffen. Aber Abrüstung ist deutlich mehr als die Vernichtung von Massenvernichtungswaffen. Die meisten Opfer in Syrien wurden durch Mörser, Scharfschützen und Fassbomben getötet, die bekanntermaßen nur die Luftwaffe Assads geworfen haben kann. Wenn wir über Abrüstung reden, reicht es nicht, bei der Zerstörung von Chemiewaffen stehen zu bleiben. Das geht weit darüber hinaus. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits in der vergangenen Woche und auch heute in der Debatte ist viel Richtiges zur Beteiligung Deutschlands an der Vernichtung syrischer Chemiewaffen gesagt worden. Ich glaube, wir alle haben die Bilder aus dem vergangenen Sommer vor Augen, als in Syrien 1 500 Menschen durch Giftgas aus syrischen Armeebeständen bestialisch ermordet wurden. Deshalb war es die richtige Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft, sich mit der UN-Resolution 2118 unter Einschluss von China und Russland klar und deutlich zu positionieren. Die Überschrift dieser Debatte ist eigentlich nicht richtig. Einige Redner haben es bereits angesprochen: Wir sprechen nicht über einen Militäreinsatz im herkömmlichen Sinne. Wir sprechen über ein Abrüstungsprojekt. Nach dem Verbot von Streumunition, nach der Kontrolle der Kleinwaffen, nach der Eindämmung des iranischen Atomprogramms ist das ein ganz wichtiges Projekt, um für weniger Waffen in der Welt zu sorgen. Dieses Projekt ist richtig, und deshalb ist es auch klar, dass wir darüber hier im Haus eine große Übereinstimmung haben. Mir ist, ehrlich gesagt, nicht klar, warum wir ein solches Projekt, eine solche Mission nicht einstimmig verabschieden. Ich habe in der Debatte kein Argument gehört, das für eine Enthaltung oder für eine Ablehnung dieser Mission sprechen würde. Dieses Abrüstungsprojekt bietet Chancen. Es kann nicht sein, dass man einerseits Chemiewaffen ächtet und sich andererseits dann, wenn man die Chance hat, an ihrer Vernichtung mitzuwirken, in die Büsche schlägt. ({0}) Dieses Verhalten zeigt vor allen Dingen eines: Wenn irgendjemand gedacht hat, in dieser Debatte könne man unter Beweis stellen, dass die Fraktion Die Linke in der Lage ist, außenpolitisch verantwortungsvoll für unser Land zu handeln, dann ist jetzt der Gegenbeweis erbracht. Das zeigt nicht nur, dass Sie nicht regierungsfähig sind. Das zeugt auch von Politikunfähigkeit. ({1}) Da hilft es nicht, eine Stellvertreterdebatte über die Beteiligung Russlands zu führen. Da hilft es auch nicht, von einer an den Haaren herbeigezogenen Symbolpolitik für eine Neuakzentuierung deutscher Außenpolitik zu sprechen. Politik ist in der Tat konkret. Es geht darum, was wir heute tun können. Unser Einsatz ist vernetzt. Es geht auch um diplomatische Lösungen. Es geht auch darum, dass wir zivile Hilfe leisten und dass wir unsere Kompetenz einsetzen, nicht nur mit der Fregatte „Augsburg“, nicht nur mit 300 Soldatinnen und Soldaten, sondern auch unsere Kompetenz, die Abfallprodukte nach der Zerstörung der Waffen in Deutschland umweltgerecht zu entsorgen. Wir tun noch vieles darüber hinaus. Wir haben 500 Millionen Euro bereitgestellt, um die Flüchtlingsströme in den Anrainerstaaten von Syrien besser in den Griff zu bekommen. Es gibt immerhin 4 Millionen Flüchtlinge in der Region. Wir setzen uns dafür ein, dass neben Schweden und Deutschland auch andere europäische Staaten mehr Flüchtlinge aufnehmen. All das sind Beiträge, um dieser schwierigen Frage insgesamt gerecht zu werden. Wir übernehmen Verantwortung. Noch etwas ist mir wichtig: Es geht auch um Verantwortung in der historischen Dimension. Der Kollege Dr. Wadephul ist darauf eingegangen. Vor 99 Jahren, im April 1915, waren es wir Deutschen, die als erste in Flandern Giftgas eingesetzt haben. Damals sind 5 000 Soldaten ums Leben gekommen. 10 000 wurden verletzt. Insgesamt sind im Ersten Weltkrieg 90 000 Soldaten durch Giftgas gestorben. Auch daraus erwächst Verantwortung. Ich meine, dass wir dieser Verantwortung zügig gerecht werden müssen, weil wir nicht wissen und auch kaum beurteilen können, wie sich die Situation in Syrien weiter entwickeln wird. Wir wissen nur, dass Assad nicht verlässlich ist, Versprechen bricht und Fristen verstreichen lässt. Wir müssen alles dafür tun, dass diese Chemiewaffen schnellstmöglich vernichtet werden, auch um zu verhindern, dass sie in die Hände von Extremisten und Terroristen fallen. Wir haben in Libyen gesehen, wie die Waffenbestände von Gaddafi letztlich dazu geführt haben, dass al-Schabab in Somalia und im Jemen aufrüsten konnte. All das müssen wir verhindern. Dies sind wir letztlich all denen schuldig, die in dem dreijährigen Bürgerkrieg gestorben sind, den 150 000 Opfern und den 4 Millionen Flüchtlingen in der Region. Das ist unsere Verantwortung. Deshalb werbe ich für Zustimmung zu diesem Antrag der Bundesregierung. Herzlichen Dank. ({2})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kollegin Julia Bartz, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Julia Bartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004249, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg und damit der Einsatz von Chemiewaffen. Wir alle hatten gehofft, dass es im 21. Jahrhundert keine neuen Bilder von Sarin- und Senfgasopfern geben würde. Aber am 21. August 2013 hat uns die Geschichte zum wiederholten Male eines anderen belehrt. Heute geht es um die Vernichtung syrischer Chemiewaffen. Ich finde es mehr als bedauerlich, dass sich einige Kolleginnen und Kollegen weigern, dieses Abrüstungsprojekt zu unterstützen. ({0}) Das Verbrechen an der syrischen Bevölkerung hat gezeigt: Der Kampf gegen Massenvernichtungswaffen ist noch lange nicht ausgefochten. Wir müssen verstärkt auf internationale Konventionen setzen, um solche Verbrechen gegen die Menschlichkeit zukünftig zu verhindern. ({1}) Das Chemiewaffenübereinkommen von 1997 und die Gründung der Organisation für das Verbot chemischer Waffen sind wichtige Meilensteine im Kampf gegen Chemiewaffen. Auch Syrien hat mittlerweile das internationale Chemiewaffenübereinkommen ratifiziert und seine Chemiewaffenbestände offengelegt. Inzwischen haben sich 190 Staaten für die Ächtung und Vernichtung von Chemiewaffen ausgesprochen. Nur noch sechs Staaten fehlen zur weltweiten Einigung. Deutschland bzw. der Deutsche Bundestag sollte heute mit einer Stimme sprechen und im Kampf gegen Chemiewaffen ein Zeichen der Einigkeit setzen. ({2}) Gerade für die Fraktion der Linken wäre die heutige Abstimmung eine Chance, ihre ideologische Blockadehaltung zu überwinden und die Vernichtung von Chemiewaffen zu unterstützen. Seit 1997 sind die Chemiewaffenbestände rückläufig. Über 54 000 Tonnen Chemikalien und Waffen wurden bereits vernichtet. Wir kommen einer chemiewaffenfreien Welt langsam, aber sicher näher. Aber Sie weigern sich weiterhin, daran mitzuwirken. Sie reden zwar viel von Abrüstung. Aber wenn es ernst wird, verfallen Sie wieder in Ihre ideologische Ablehnungshaltung. Wir hingegen übernehmen Verantwortung. Deutschland hat bereits finanziell und logistisch die Arbeit der OVCW in Syrien unterstützt. Wir haben uns auch an der Analyse der Chemiewaffenproben in Syrien im Rahmen des Sellström-Berichts beteiligt. Darüber hinaus hat die Bundesregierung angeboten, Reststoffe der Hydrolyse, 370 Tonnen Senfgashydrolysat, in Deutschland fachgerecht zu vernichten. Deutschland leistet einen wichtigen Beitrag zur Vernichtung von Chemiewaffen. Wir wollen heute den Einsatz der Bundeswehr am maritimen Begleitschutz der „Cape Ray“ beschließen. An Bord der „Cape Ray“, eines Spezialschiffs der USMarine, sollen die syrischen Chemiewaffen auf hoher See in einem geschlossenen Hydrolysevorgang unschädlich gemacht werden. Die Gefährdungslage im Mittelmeer ist zwar als niedrig einzustufen. Aber die „Cape Ray“ könnte durch ihre besondere Rolle und Symbolfunktion ein mögliches Ziel für Anschläge sein. Es ist nicht auszumalen, was geschehen könnte, wenn diese Chemiewaffen in falsche Hände geraten würden. Deshalb sollen sich bis zu 300 Soldatinnen und Soldaten mit der Fregatte „Augsburg“ an der Absicherung der „Cape Ray“ im Mittelmeer und gegebenenfalls im Nordatlantik beteiligen. Das Mandat sieht ein solch großes Einsatzgebiet vor, weil der Hydrolysevorgang bei Sturm und rauer See nicht durchgeführt werden kann. Je nach Wind und Wetter soll die Möglichkeit bestehen, auf den Nordatlantik auszuweichen. Lassen Sie uns heute gemeinsam ein starkes Signal für die weltweite Abrüstung senden. ({3}) Vor allem an die Kolleginnen und Kollegen der Linken gerichtet, sage ich: Es gibt keinen einzigen sachlichen Grund, der gegen die Beteiligung der Bundeswehr an dieser internationalen Abrüstungsmission sprechen würde. ({4}) Alles, was Sie heute vorgetragen haben, sind reine Ablenkungsmanöver. ({5}) Packen Sie Ihre Nebelkerzen ein, und stehen Sie zu Ihrem Wort! Sie reden zwar immer gerne von Abrüstung. Aber wenn es darauf ankommt, legen Sie wieder Ihre ideologischen Scheuklappen an. Zeigen Sie doch den Zuschauern auf der Besuchertribüne und zu Hause an den Fernsehgeräten und zeigen Sie den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen, wie ernst Sie es mit der Abrüstung wirklich meinen! Ihr Verhalten ist doch verantwortungslos. Zu einer verlässlichen Abrüstungspolitik sind Sie offensichtlich nicht in der Lage. Sie sind auch nicht fähig, Verantwortung für Deutschland zu übernehmen. Meine Fraktion empfiehlt die Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung. Wir wollen heute ein klares Zeichen für die weltweite Abrüstung geben. Ich bitte Sie alle um Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung. ({6})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksa- che 18/1067 zum Antrag der Bundesregierung auf Betei- ligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am maritimen Begleitschutz bei der Hydrolyse syrischer Chemiewaf- fen an Bord der „Cape Ray“ im Rahmen der gemeinsa- men VN/OVCW-Mission zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen. Zu dieser Abstimmung liegen uns meh- rere schriftliche Erklärungen nach § 31 unserer Ge- schäftsordnung vor.1) Eine mündliche Erklärung ist an- gemeldet, zu der ich nach der Abstimmung das Wort erteilen werden. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/984 anzunehmen. Wir stimmen nun über die Be- schlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. 1) Anlagen 2 bis 5 Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die namentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Ich weise darauf hin, dass nach der namentlichen Abstimmung noch eine Abstimmung über einen Entschließungsantrag der Linken hier stattfin- det. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der nament- lichen Abstimmung werde ich Ihnen später bekannt ge- ben.2) Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1078. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD abgelehnt, bei Zustimmung der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Nun kommen wir zu einer mündlichen Erklärung zur Abstimmung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung. Ich gebe Frau Annette Groth, Fraktion Die Linke, das Wort. ({0})

Annette Groth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004047, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe heute gegen die Entsendung von 300 Soldatinnen und Soldaten zum maritimen Begleitschutz des US-Schiffes „Cape Ray“ gestimmt, weil diese Entsendung die formelle Legitimierung eines weiteren Bundeswehreinsatzes durch den Bundestag darstellt. Die offizielle Begründung für die Militärmission, dass die „Cape Ray“ gegen mögliche Bedrohungen aus der Luft, über und unter Wasser unter Einschluss asymmetrischer Bedrohungen geschützt werden solle, da das Spezialschiff mit den hochgefährlichen C-Stoffen an Bord hohen Symbolcharakter habe und daher grundsätzlich ein potenzielles Angriffsziel darstelle, ist für mich nicht überzeugend. ({0}) Es wird hier eine allgemeine Bedrohungslage konst- ruiert, die mit der realen Sicherheitslage im Mittelmeer nichts zu tun hat. Gleichzeitig betont der Antrag der Bundesregierung selbst, dass die Bedrohungslage im Mittelmeer und im Nordatlantik grundsätzlich als nied- rig zu bewerten ist. Für mich ist die Sinnhaftigkeit eines Bundeswehreinsatzes nicht erkennbar. Dass im Antrag der Bundesregierung das mögliche Operationsgebiet sehr breit ist und Mittelmeer, Nordatlantik und die an- grenzenden Seegebiete umfasst, ist für mich nicht akzep- tabel. Ich möchte ausdrücklich, dass die deutsche Au- 2) Ergebnis Seite 2387 D ßenpolitik einen zivilen Beitrag zur Ächtung und Vernichtung aller Massenvernichtungswaffen auf der Welt leistet. ({1}) Die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen ist hierzu ein wichtiger Beitrag, gerade im Hinblick auf eine mögliche Befriedung der Region. Einen weiteren Auslandseinsatz der Bundeswehr, der die Militarisierung der Außenpolitik vorantreibt, halte ich ausdrücklich für nicht notwendig. ({2}) Ich lehne alle Militäreinsätze und Rüstungsexporte grundsätzlich ab. Gerade weil ich für die Durchsetzung der Menschenrechte in der Außenpolitik eintrete, lehne ich alle Beschlüsse, die darauf abzielen, außenpolitische Fragen militärisch zu lösen, konsequent ab. Danke schön. ({3})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Wir setzen nun die Haushaltsberatungen fort. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung, Einzelplan 14. Ich erteile das Wort Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen. ({0})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte jetzt den Haushalt 2014 des Verteidigungsministeriums einbringen. Ausgangspunkt aller Überlegungen zur Finanzausstattung der Bundeswehr bildet die Neuausrichtung. Wir befinden uns jetzt im dritten Jahr der Neuausrichtung. Mir ist wichtig, in Erinnerung zu rufen, was die drei Grundziele der Neuausrichtung waren, nämlich eine Bundeswehr, die sicherheitspolitischen Herausforderungen gewachsen ist, eine Bundeswehr, die demografiefest ist, und eine Bundeswehr, die nachhaltig finanziert ist. Dafür steht auch dieser Haushalt. Er fordert uns. Ich möchte zunächst einmal auf das Thema der sicherheitspolitischen Herausforderungen eingehen, denen die Bundeswehr und die Ausstattung der Bundeswehr gewachsen sein müssen. Wir hatten Anfang dieses Jahres eine intensive Debatte darüber, wie Deutschland seine Verantwortung in den Bündnissen wahrnimmt. Ich bin und bleibe überzeugt davon, dass Indifferenz keine Option für uns ist. Das bedeutet aber nicht automatisch, wie manch einer insinuiert, dass es um mehr Auslandseinsätze geht. Das kann es bedeuten; das muss es aber nicht bedeuten. Es bedeutet vor allem eine klare Positionierung innerhalb unserer Bündnisse, und zwar dadurch, dass wir klarstellen, ob wir bei einem Einsatz dabei sind und wie wir uns ihn vorstellen. Das sind wir nicht nur unseren eigenen Interessen schuldig, das sind wir nicht nur unseren Verbündeten schuldig, sondern das sind wir auch, wie ich finde, der Bevölkerung schuldig. Denn es ist wichtig, über die Art und Weise, wie die Bundeswehr eingesetzt wird und wie sie arbeitet, offen zu sprechen. ({0}) Ich finde es auch wichtig, über die Breite des Auftrags, des Tätigkeitsprofils und der Leistungstiefe der Bundeswehr zu reden. Wir sind zurzeit in rund 15 Auslandseinsätzen rund um den Globus mit der Bundeswehr vertreten. Aber nur drei davon sind Kampfeinsätze: der Einsatz in Afghanistan, die Piratenbekämpfung am Horn von Afrika und der Einsatz im Kosovo. Bei allen anderen Einsätzen geht es um Ausbildung, Beratung, Unterstützung oder den Schutz der Bevölkerung. Wir sollten auch darüber sprechen, was die Bundeswehr in der Breite tut: Soldatinnen und Soldaten bauen Feldkrankenhäuser auf. In Afghanistan, im Kosovo und in Mali versorgt unsere Sanität die anderen Partnernationen medizinisch mit. In Afghanistan bildet die Bundeswehr auch Fluglotsen und die Feuerwehr aus. Wir stellen Personal an der Pionierschule in Masar-i-Scharif und an der Logistikschule in Kabul. In Mali sind deutsche Soldatinnen und Soldaten in der Fährausbildung am Niger im Einsatz, im türkischen Trabzon im Bereich der Logistik. All das leisten unsere Soldatinnen und Soldaten. Darüber sollten wir mehr sprechen, weil wir das wertschätzen. ({1}) Der Entwurf des Verteidigungshaushalts für 2014 entspricht diesen Anforderungen. Der Haushalt umfasst rund 32,8 Milliarden Euro. Die Verteidigungsausgaben sinken damit gegenüber dem Haushaltssoll von 2013 nominal um rund 422 Millionen Euro. Diese Senkung entsteht zum einen durch unseren solidarischen Anteil an der Gegenfinanzierung des Betreuungsgeldes in Höhe von 147,3 Millionen Euro. Zum anderen konnten wir den Haushaltsansatz reduzieren, weil der Personalumfang der Bundeswehr, wie es mit der Neuausrichtung beschlossen worden ist, weiter abgenommen hat. Wir haben auch innerhalb des Plafonds einige Akzente anders gesetzt, zum Beispiel im Bereich Betrieb, in dem die Position Materialerhalt aufwächst. Das gilt sowohl für das wartungsintensive Gerät als auch für die neuen, technologisch hochkomplexen Systeme. Dieses Thema leitet den Blick auf den zweiten großen Komplex, mit dem wir uns im Bündnis beschäftigen, nämlich auf die aktuelle Diskussion in der NATO. Auch wenn die Lösung des Konflikts um die Ukraine und die Annexion der Krim einzig und allein auf diplomatischem Wege gefunden werden kann, ist es wichtig, dass die NATO-Mitglieder im Osten Sicherheit haben. ({2}) Deshalb sind die Sorgen der baltischen NATO-Mitglieder und des NATO-Mitglieds Polen, die aus historischer Erfahrung erwachsen, auch unsere Sorgen. Gerade wir Deutschen haben über Jahrzehnte die Erfahrung gemacht, was für ein hoher Wert es ist, wenn man ein verlässliches Bündnis um sich herum weiß und darin fest verankert ist. Wir wissen, dass diese Sicherheit und dieser Rückhalt erst den Gesprächsraum öffnen, den man braucht, um aus einer Position der Sicherheit heraus wieder Dialogbereitschaft zu zeigen. Deshalb haben die NATO-Außenminister mit ihren Beschlüssen in der vergangenen Woche kluge Zeichen der Solidarität mit unseren östlichen Partnern gesetzt. Sie haben die Zeichen gesetzt, dass die NATO ihre Routineaktivitäten auf dem Gebiet der östlichen Mitgliedstaaten verdichtet - auch Deutschland ist gefragt, seinen Beitrag zu leisten - und parallel dazu den Gesprächsraum mit Russland offenhalten wird. Diese Dualität, meine Damen und Herren, ist der richtige Weg, um mit dieser Krise umzugehen. ({3}) Auf einem weiteren Blatt steht die Frage, wie sich die NATO auf mittlere Sicht organisiert. Die NATO wird im Lichte der Krim-Krise, im Lichte der Krise um die Ukraine natürlich intensiv darüber diskutieren, ob und in welchem Maße sie sich auf das veränderte Verhalten Russlands einstellen wird. Das wird sicherlich auch die Diskussion im Bündnis mit Blick auf den NATO-Gipfel im Sommer bestimmen. Für uns ist klar, dass wir in Deutschland mit der Bundeswehr, gerade mit der Neuausrichtung, gut aufgestellt sind. Der höchste Anteil dessen, was wir in der Bundeswehr vorhalten, ist für die Landes- und Bündnisverteidigung. Wir gehören innerhalb der Europäischen Union und der NATO zu den größten Truppenstellern. Das heißt, wir haben vorgesorgt. Das alles ist nachhaltig finanziert. Das zeigt dieser Haushalt. Das zeigt auch der durch den Finanzminister Wolfgang Schäuble gestern eingebrachte Gesamthaushalt ohne strukturelle Neuverschuldung. Das bedeutet, das zweite Ziel der Neuausrichtung, die nachhaltige Finanzierung, ist durch diesen Haushalt auch gesichert. ({4}) Meine Damen und Herren, die verteidigungsinvestiven Ausgaben werden gegenüber dem Vorjahr um rund 7 Prozent abgesenkt. Sie wissen, dass es 2013 Minderausgaben gab: wegen Verzögerungen, Minderleistungen, Stückzahlreduzierungen. Diesen verteidigungsinvestiven Ausgaben oder - so muss ich besser sagen - Ansätzen auf dem Papier stehen reale Projekte gegenüber, die aus ganz unterschiedlichen Gründen erst verspätet vollzogen werden; einige habe ich eben genannt. Da absehbar ab dem Haushalt 2016, wenn die Projekte realisiert werden, Nachholeffekte wirksam werden, haben wir gemeinsam mit dem Bundesministerium der Finanzen durch Absenkung der Verstärkungsmöglichkeiten für das zivile Überhangpersonal - das ist im Einzelplan 60 enthalten - um 500 Millionen Euro in 2014 und um 300 Millionen Euro in 2015 erreicht, dass diese Nachholeffekte finanzplanerisch aufgefangen werden. Das bedeutet, im Entwurf des 48. Finanzplans ist ein entsprechender Aufwuchs des Einzelplans 14 um die eben genannten 800 Millionen Euro ab 2016 vorgesehen. Somit wird eine Plafondverschiebung auf der Zeitachse realisiert. Das bedeutet - um das Komplexe, was ich eben gesagt habe, etwas einfacher auszudrücken -: Wir sparen sozusagen heute für morgen aufgrund der einmaligen Verzögerungen, die gestern stattgefunden haben. ({5}) Meine Damen und Herren, das dritte Ziel der Neuausrichtung ist Demografiefestigkeit. Ein Drittel des Verteidigungshaushalts, nämlich 10,6 Milliarden Euro, sind für Personalausgaben veranschlagt. Dieser Block hängt von ganz vielen Faktoren ab. Ich möchte auf eine besondere Entwicklung eingehen. Es gibt seit 2003 beim zivilen Personal innerhalb der Bundeswehr einen Einstellungsstopp mit dem Ergebnis, dass beim zivilen Personal sehr viele ältere Beschäftigte immer weniger jungen Beschäftigten gegenüberstehen. Das ist klar: Wenn wir seit zehn Jahren nicht mehr eingestellt haben, dann tut sich mit dem Ausscheiden der Älteren unweigerlich ein ernst zu nehmender Engpass auf. Wenn die Älteren ausscheiden und in den Ruhestand gehen, bedeutet das, dass Fachwissen verloren geht, dass Kompetenzen verloren gehen, ohne dass Jüngere mit modernisiertem Wissen und Fachwissen nachgewachsen sind. Wir halten das für eine bedenkliche Entwicklung. Wir haben deshalb den Einstellungsstopp aufgehoben. Wir brauchen junge Leute in der Verwaltung. ({6}) Wir werden in diesem Jahr mehr Beamtinnen und Beamte einstellen bzw. einsetzen - bis zu einer Obergrenze von 1 600. Wir werden auch mehr Auszubildende behalten - ich finde, das ist elementar für die Rekrutierung von Nachwuchs - und mit großem Nachdruck daran arbeiten, dass die Übernahmequote deutlich erhöht wird. Da bilden wir ja die Fachkräfte für die Zukunft im eigenen Hause aus. ({7}) Wir werden uns selbstverständlich auch weiter bemühen müssen, die Nachwuchswerbung für Soldatinnen und Soldaten, also im militärischen Teil, zu verbessern. Da sehen die Zahlen in diesem Jahr, das noch jung ist, bisher sehr gut aus. Aber mittel- und langfristig müssen wir immer wieder darum werben - das wissen wir -, Talente für die Bundeswehr zu gewinnen, und deshalb müssen wir als Arbeitgeber viel attraktiver werden. Wir verlangen von den jungen Menschen, die zu uns kommen, auch viel. Die Bundeswehr erfüllt ihren AufBundesministerin Dr. Ursula von der Leyen trag mit hochmoderner, sehr komplexer Technologie. Sie kooperiert eng mit Dutzenden von internationalen Partnern. Also ist selbstverständlich Internationalität genauso wie Technikverständnis gefragt. Sie denkt zunehmend in den Kategorien der vernetzten Sicherheit, das heißt verzahnt mit Diplomatie, mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Auch diese Felder sind gefragt. Für diese Aufgaben brauchen und wollen wir die besten jungen Frauen und Männer unseres Landes begeistern. ({8}) Aber genau diese Zielgruppe, also die besten jungen Männer und Frauen dieses Landes, kann künftig mehr auswählen denn je. Sie will eine anspruchsvolle und spannende Aufgabe. Das kann die Bundeswehr zweifelsohne bieten. Aber sie schaut auch auf die Arbeitsbedingungen und vergleicht diese mit anderen Angeboten. Hier muss die Bundeswehr auf etlichen Feldern aufholen. Das gilt insbesondere für die Karriereperspektiven für Frauen wie für Männer in unseren Streitkräften. Wir wollen ein Konzept für die Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber auf den Weg bringen. Dies wird in diesem Sommer geschehen und im Herbst durch ein Gesetzgebungsverfahren flankiert werden. Deshalb sind die Kosten für die Umsetzung der ersten Maßnahmen im Haushalt noch nicht detailliert wiederzufinden. Überhaupt wird das Gesamtpaket zur Steigerung der Attraktivität ohnehin nicht am Volumen eines einzelnen Postens zu messen sein. Die Veränderungen müssen sich quer durch den ganzen Haushalt und über eine Vielzahl von Maßnahmen ziehen. Der mit Abstand wichtigste Teil der Attraktivitätsoffensive wird sich allerdings niemals im Haushalt abbilden lassen. Dieser Teil betrifft die Veränderung in den Köpfen. Es geht um die Veränderung der Haltung, der Einstellung des Arbeitgebers. Mit Arbeitgeber meine ich alle Vorgesetzten in der Bundeswehr. Wenn diese Initiative Erfolg haben soll, dann müssen jeder und jede in der Bundeswehr die Einstellung verändern, und zwar vom Spieß bis zum General. Die Frage, wie die Rolle als Führungskraft ausgestaltet wird, wird maßgeblich darüber entscheiden, ob diese Attraktivitätsoffensive erfolgreich sein wird oder ob sie scheitern wird. Wenn ich von Haltung und Einstellung sowie von Veränderung in den Köpfen spreche, dann muss man auch berücksichtigen, dass sich die Sicht der Gesellschaft auf die Bundeswehr ändert. Ich habe am Anfang über die vielfältigen Einsätze der Bundeswehr gesprochen. Die Bundeswehr ist bereit, sich zu öffnen und Transparenz darüber zu schaffen, was sie leistet und wie sie ihre Aufgaben erfüllt. Das ist eine ganz große Vielfalt. Vieles, was an etlichen Orten der Welt, aber auch in unserem Land geleistet wird, ist der Öffentlichkeit eher wenig bekannt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist unsere Parlamentsarmee. Wir wollen mit diesem Haushalt dazu beitragen, dass die Leistungen, aber auch die Attraktivität unserer Bundeswehr sichtbar werden. Auch dafür steht dieser Haushalt. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({9})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung „Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am maritimen Begleitschutz bei der Hydrolyse syrischer Chemiewaffen an Bord der CAPE RAY im Rahmen der gemeinsamen VN/OVCW-Mission zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen“, Drucksachen 18/984, 18/1067, bekannt: abgegebene Stimmen 589, mit Ja haben gestimmt 535, mit Nein haben gestimmt 35, Enthaltungen 19. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 589; davon ja: 535 nein: 35 enthalten: 19 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({0}) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({1}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich ({2}) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Vizepräsident Peter Hintze Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({3}) Mark Helfrich Uda Heller Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Anja Karliczek Bernhard Kaster Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({4}) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Carsten Müller ({5}) Stefan Müller ({6}) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({7}) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer ({8}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt ({9}) Gabriele Schmidt ({10}) Patrick Schnieder Nadine Schön ({11}) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder ({12}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster ({13}) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Stritzl Thomas Strobl ({14}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg ({15}) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß ({16}) Sabine Weiss ({17}) Ingo Wellenreuther Marian Wendt Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({18}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Ingrid Arndt-Brauer Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({19}) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Michaela Engelmeier-Heite Dr. h.c. Gernot Erler Saskia Esken Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Vizepräsident Peter Hintze Christian Flisek Gabriele Fograscher Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Michael Hartmann ({20}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({21}) Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange ({22}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Mahmut Özdemir ({23}) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post ({24}) Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Michael Roth ({25}) Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({26}) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder ({27}) Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({28}) Matthias Schmidt ({29}) Dagmar Schmidt ({30}) Carsten Schneider ({31}) Ursula Schulte Swen Schulz ({32}) Ewald Schurer Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff ({33}) Gülistan Yüksel Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Roland Claus Katrin Kunert Stefan Liebich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Volker Beck ({34}) Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Anja Hajduk Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn ({35}) Christian Kühn ({36}) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Claudia Roth ({37}) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein DIE LINKE Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Heike Hänsel Inge Höger Andrej Hunko Ulla Jelpke Kerstin Kassner Jutta Krellmann Sabine Leidig Cornelia Möhring Niema Movassat Richard Pitterle Martina Renner Azize Tank Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann ({38}) Enthalten SPD Petra Hinz ({39}) DIE LINKE Diana Golze Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Susanna Karawanskij Jan Korte Caren Lay Ralph Lenkert Thomas Lutze Thomas Nord Harald Petzold ({40}) Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Birgit Wöllert Vizepräsident Peter Hintze Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Michael Leutert, Fraktion Die Linke, das Wort. ({41})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie verfügen als Verteidigungsministerin über fast 33 Milliarden Euro. Das sind exakt 11 Prozent des Bundeshaushaltes. Das ist viel Geld. Egal wie man politisch zu den Militärausgaben steht, kann man einen sorgsamen Umgang mit den Steuergeldern erwarten. Das ist leider nicht der Fall. In Ihrem Haus herrschen inakzeptable Zustände. Das darf ich, nachdem Sie 112 Tage im Amt sind, so sagen. Ihre Schonfrist ist also vorbei. Ich möchte das gern an zwei Beispielen verdeutlichen. Erstes Beispiel: Großwaffensysteme. Damit sind Systeme gemeint wie zum Beispiel der Kampfhubschrauber Tiger, der Transporthubschrauber NH90, das Kampfflugzeug Eurofighter, das Transportflugzeug A400M, der Schützenpanzer Puma oder die Fregatte F 125. Das alles sind in der Öffentlichkeit bekannte Projekte. Wir wissen mittlerweile alle, dass jede Anschaffung den finanziellen Rahmen gesprengt hat. Wir wissen auch, dass jede Anschaffung nicht zu dem Zeitpunkt geliefert wurde, wie eigentlich vertraglich fixiert war. Zum Beispiel: Der Kampfhubschrauber Tiger wurde mit einer Verzögerung von sechseinhalb Jahren geliefert, Kosten 3 Milliarden Euro. Der Transporthubschrauber NH90 wurde mit einer Verzögerung von zwölf Jahren geliefert; Kosten 3,7 Milliarden Euro. Der Eurofighter hatte ein Jahr Verzögerung; Kosten 15 Milliarden Euro. Der A400M hat derzeit vier Jahre Verzögerung; Kosten über 9 Milliarden Euro. Wegen der Reduzierung der Stückzahl kostet ein Flugzeug nicht mehr 125 Millionen, sondern 175 Millionen Euro. Ich könnte das weiter fortsetzen, aber meine Redezeit ist leider begrenzt. Richtig, Frau Ministerin, ist - das begrüßen wir -, dass Sie alle Statusberichte zu diesen Rüstungsprojekten nicht gebilligt haben. ({0}) Sie haben personelle Konsequenzen gezogen mit der Entlassung des verantwortlichen Staatssekretärs und des zuständigen Abteilungsleiters. Auch das begrüßen wir. Aber trotzdem geht es im Haushalt ohne Konsequenzen weiter. Bei allen Waffensystemen gibt es mehr Geld. Für den Eurofighter gibt es in diesem Jahr 85 Millionen Euro mehr, für den A400M gibt es 175 Millionen Euro mehr usw. Aber ich frage Sie: Wo ist das Geld eingeplant, wenn es zur weiteren Reduzierung der Stückzahl kommt? Wo ist das Geld eingeplant, welches EADS verlangt, weil weniger Eurofighter gekauft werden sollen? Ich weiß nicht, ob allen klar ist, worum es geht: Wenn zum Beispiel 100 Flugzeuge bestellt werden und der Bundestag später der Meinung ist, dass man nur noch 50 benötigt, dann nimmt die Industrie das nicht so hin und sagt „okay“, sondern dann sind Ausgleichszahlungen fällig. Das muss im Haushalt dementsprechend eingeplant werden. Das ist es aber nicht. Mein zweites Beispiel, Frau Ministerin - Sie haben es vorhin angesprochen -, bezieht sich auf die Familienfreundlichkeit. Sie haben sich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch bei der Bundeswehr auf die Fahne geschrieben. Ich erkenne derzeit nicht, wo im Bundeshaushalt mehr Mittel eingeplant sind. Ich möchte Ihnen aber ein Beispiel nennen, wo ohne zusätzliches Geld - es freut Haushälter immer, wenn etwas ohne zusätzliches Geld umgesetzt wird - eine Möglichkeit geschaffen würde, mehr Familienfreundlichkeit einzuführen. Es geht mir um die Auslandseinsätze von Soldatinnen mit Kindern unter drei Jahren oder auch alleinerziehenden Vätern von Kindern unter drei Jahren. Ich möchte kurz erklären, worum es geht: Wenn eine junge Soldatin oder ein junger Soldat ein Kind hat - sagen wir 18 oder 20 Monate alt - und ihr oder ihm befohlen wird, an einem Auslandseinsatz teilzunehmen, dann ist das Kind kein Hinderungsgrund. Er oder sie muss sich mit dem Befehlshaber einigen, ob er oder sie geht oder nicht. Für die alleinerziehenden Männer ist es eigentlich noch schlimmer als für die Frau; denn die Soldatin als Mutter hat vielleicht noch einen Mann, der sich als Vater um das Kind kümmern kann. Der alleinerziehende Vater hat per Definition niemanden, sonst würde er nicht alleinerziehender Vater heißen. ({1}) Frau Ministerin, das steht im Bericht des Wehrbeauftragten. Der Wehrbeauftragte hat in seinem Bericht angeführt, dass er diese Zustände im Ministerium mehrmals vorgetragen und um Änderung gebeten hat. Das Ministerium möchte allerdings an dieser Praxis festhalten. Dies halte ich für dubios. Wir müssen quer durch alle Haushalte das Betreuungsgeld, das sich die CSU gewünscht hat, ersparen, und zwar mit dem Argument, die Eltern sollen sich zu Hause um ihre Kinder kümmern. Wenn ein Auslandseinsatz befohlen wird, dann ist ein Kleinstkind für eine Soldatin oder einen Soldaten kein Hinderungsgrund. Das halte ich für absurd. Ich hoffe, dass Sie das schon geregelt, nämlich abgeschafft haben. ({2}) Frau Ministerin, das waren zwei Beispiele. Ich bitte Sie, nicht zu versuchen, diese Einwände der Opposition unter den Teppich zu kehren, indem Sie immer wieder neue öffentlichkeitswirksame Verlautbarungen anstellen. Man hat viel von Ihnen gehört. Zuletzt waren es die Dicken, die in die Bundeswehr kommen sollen. So bekommen Sie keine Ordnung in Ihr Haus. Schaffen Sie Transparenz in Ihrem Haus! Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, zu erfahren, was von Ihrer Seite geplant ist und wo die Probleme liegen. Immerhin erwarten Sie von den Soldatinnen und Soldaten, dass sie im Ausland einen Auftrag ausführen, der ihnen ihre Gesundheit und im schlimmsten Fall ihr Leben kosten kann. Frau Ministerin, Sie haben sieben Kinder. Wir werden uns bestimmt verstehen. Ich habe auch zwei Söhne. Ich bin der festen Überzeugung: Die Familien haben das Recht, zu erfahren, worauf sich ihre Kinder, Väter, Mütter oder Geschwister einlassen, wenn sie sich bei der Bundeswehr verpflichten. Den besten Job machen Sie, wenn Sie dafür sorgen, dass kein Soldat, keine Soldatin in den AusMichael Leutert landseinsatz gehen muss. Dafür hätten Sie unsere volle Unterstützung - definitiv. ({3})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Rainer Arnold, SPD-Fraktion. ({0})

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, die Verteidigungsministerin hat viele Themen aufs Gleis gesetzt. Das ist ambitioniert. Ich denke, es ist richtig und notwendig, all diese Themen anzugehen. Bei manchen ist das sogar überfällig. Ein Beispiel hat die Ministerin heute genannt: die Korrekturen im Bereich der Zivilbeschäftigten. Das begrüßen wir sehr; wir haben lange darüber diskutiert und sie gefordert. Wir wissen allerdings auch, Frau Ministerin: Die Wegstrecke, um die Ziele zu erreichen, wird manchmal steil sein, da wird es manchmal auch rumpeln. ({0}) Wir sagen Ihnen zu, dass wir Sie unterstützen werden, dass wir die Rumpelsteine aus dem Weg räumen wollen, damit wir das Ziel einer leistungsfähigen und attraktiven Bundeswehr, das wir gemeinsam verfolgen, auch erreichen. Manchmal werden wir allerdings in der Koalition auch darüber diskutieren müssen, wie die Weichen zu stellen sind, um dieses Ziel auf dem besten Weg zu erreichen. Sie haben auch heute die Debatte über die Frage erwähnt: Welche Verantwortung, welche Rolle hat Deutschland in der Welt? Wir sind froh, dass diese Debatte angestoßen wurde; wir müssen sie führen. Es darf jetzt aber nicht bei diesem Impuls, bei diesem Aufschlag auf der Münchner Sicherheitskonferenz bleiben. Ich glaube, wir als Parlament und auch Sie als Regierung müssen miteinander darüber nachdenken, wie wir diese Debatte in diesem Hohen Hause in den nächsten Jahren fortführen wollen. Wir dürfen nicht nur immer über Haushalt und Mandate reden, sondern wir müssen auch öfter über Grundzüge der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik und über wohlverstandene deutsche Interessen reden. Natürlich spüren wir alle, dass die Schere in dieser Diskussion ziemlich weit auseinanderklafft: einerseits Deutschlands Zurückhaltung, wenn es um militärische Einsätze geht - daran ändert sich im Kern nichts; niemand sehnt sich danach, Soldaten in ferne Länder zu schicken -, andererseits der Anspruch, den wir erfüllen wollen, nämlich ein verlässlicher Partner in den internationalen Bündnissen zu sein. Hier bedarf es auch in der deutschen Gesellschaft eines Diskurses und einer Klärung. Ich verstehe manchmal die Linke nicht. Ich weiß angesichts der Art, wie Sie die Debatten führen, angesichts dessen, dass Sie immer über eine Militarisierung der Außenpolitik reden, gar nicht, ob Sie sich selbst noch ernst nehmen. ({1}) Nehmen Sie doch einfach einmal wahr: Wir haben viel, viel weniger Soldaten im Auslandseinsatz als noch vor Jahren; es ist etwa die Hälfte. ({2}) In all den Mandaten, die wir in den letzten Wochen und auch heute neu beschlossen haben, geht es nicht darum, Kriege zu führen, sondern um Ausbildung, um Vernichtung von Chemiewaffen, um Unterstützung, um Beobachtermissionen in Afrika und vieles andere mehr. ({3}) Aber klar ist: Wir müssen schon aufpassen, dass es nicht dazu kommt, dass Deutschland zwar im Geleitzug der internationalen Gemeinschaft sitzt, aber dort kein eigenes Bordpersonal hat. Wenn die Bundesrepublik international mehr mitgestalten will - das ist der formulierte außenpolitische Anspruch dieser Regierung -, dann müssen wir Verantwortung übernehmen; das ist ganz klar. Dieser Wille, mitzugestalten, ist keine Anmaßung von uns Deutschen, sondern stellt die Erfüllung der Erwartungen aller unserer Partner in den Bündnissen dar. ({4}) Natürlich wissen auch die deutschen Bürgerinnen und Bürger: Unser Wohlstand hängt vom freien Handel ab - das hat etwas mit sicheren Verkehrswegen auch auf hoher See zu tun -, unser Wohlstand hängt auch von Stabilität in Krisenregionen ab, die über Rohstoffe verfügen. Denn wir wollen fair handeln können, damit die Menschen dort und bei uns etwas davon haben. Wenn man über den Anspruch diskutiert, in der internationalen Politik mehr zu tun, dann ist unter anderem - das ist aber wirklich nur ein Modul davon - die Frage zu klären: Welche Bundeswehr brauchen wir dazu? Da schauen wir am heutigen Tag natürlich auch auf die Finanzen der Bundeswehr. Die Bundeswehr leistet in der Tat einen wichtigen Beitrag zur Konsolidierung der Staatsfinanzen - mit einem sinkenden Etat und einer sinkenden Zahl von Soldaten in den letzten Jahren. Trotzdem muss viel geleistet werden. Der Wunsch der Bürgerinnen und Bürger, dass es nach Ende des Kalten Krieges so etwas wie eine Friedensdividende gibt, ist also längst erfüllt worden. Zur Zeit des Kalten Krieges betrug der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bundesetat noch 20 Prozent; dieses Jahr liegt der Anteil, bereinigt um die Versorgungsleistungen, bei 9,45 Prozent. Während des Kalten Krieges war es manchmal in gewisser Weise einfach, weil man wusste, worauf man sich vorzubereiten hatte. Man wusste auch, dass man sich möglichst so vorbereitet, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zum Einsatz kommt. Mit Ende des Kalten Krieges sehen wir nun, wie komplex die Welt ist und wie differenziert unsere militärischen Antworten sein müssen. In den letzten Wochen haben wir außerdem gemerkt, dass Russland ein schwieriger Partner ist. Mancher von uns hatte ja die Hoffnung, dass sich nicht nur eine Interessenspartnerschaft mit Russland entwickelt, sondern - das ist ja in Wirklichkeit der Wunsch der Menschen in Russland und auch bei uns - dass auch freundschaftliche Beziehungen zwischen unseren beiden Staaten aufgebaut werden können. Diese Hoffnung hat zweifellos einen Dämpfer bekommen. Aber wir müssen aufpassen: Die Antwort auf die Probleme in der Ukraine und um die Ukraine kann nicht sein, dass die NATO zum entscheidenden Akteur wird. Es gibt keine militärischen, sondern nur diplomatische Antworten. Es ist mühsam, aber wir müssen immer wieder dicke Bretter bohren. Wir sind in diesem Zusammenhang froh, dass der Außenminister auch auf der internationalen Bühne ein sehr engagierter Akteur ist. ({5}) Klar ist auch: Die Situation in den letzten Wochen hat uns ein Stück weit die Kernaufgabe der NATO in Erinnerung gerufen; diese hat sich ja gar nicht verändert. Die Botschaft lautet immer noch, dass ein Angriff auf einen NATO-Partner als Angriff auf das ganze Bündnis verstanden wird und dass wir alle in einem solchen Fall verpflichtet sind, Beistand zu leisten. - Dies war immer so, aber das wurde manchmal ein bisschen verdrängt. Was nicht sein kann, ist, dass mancher in der NATO und auch einige Politiker angesichts der Krise in der Ukraine glauben, die vermeintliche Gunst der Stunde nutzen zu können, um die NATO anders zu positionieren, als es ihrer Historie und unseren Erwartungen entspricht. Klar ist: Die NATO ist ein verlässliches kollektives Verteidigungsbündnis. Wir müssen auch in Zukunft in der NATO immer wieder neu darüber nachdenken: Wie bleiben wir als NATO so stark, dass wir unsere militärischen Fähigkeiten möglichst nie einsetzen müssen? Jeder weiß doch, was es bedeuten würde, wenn die NATO diese tatsächlich zum Einsatz brächte. In den letzten Jahren hatte ich viele Gelegenheiten, mit Menschen im Baltikum zu sprechen. Deren Sorgen und Befürchtungen angesichts der aktuellen Entwicklungen müssen wir ernst nehmen; das ist klar. Bei einer genaueren Betrachtung werden wir aber merken: Die Befürchtungen im Baltikum und bei manchen osteuropäischen Partnern sind nicht wirklich neu. Die Botschaft ist: Wir Deutsche sind ein verlässlicher Partner. Art. 5 des NATO-Vertrages gilt. Deshalb ist es auch so wichtig, dass man nicht achtlos über die Aufnahme neuer NATO-Partner diskutiert und dabei gleichzeitig im Hinterkopf hat, dass dann Art. 5 des NATOVertrages möglicherweise gar nicht zum Tragen kommen kann. Solche Gedankenspiele stärken die NATO nicht, sondern sie schwächen sie, weil auch in Zukunft die zentrale Funktion der NATO sein muss, dass man sich auf die Beistandsgarantie nach Art. 5 verlassen kann. ({6}) Reden wir in diesem Kontext über die Funktion der Bundeswehr. In allen Ländern muss bei Verteidigungsausgaben gespart werden, auch bei der deutschen Bundeswehr. Es wird nicht mehr Geld geben, zumindest nicht in den nächsten Jahren. Aus den vielen Diskussionen geht eindeutig hervor: In den nächsten Jahren muss mit Pooling, Sharing und Anlehnungspartnerschaft usw. ernst gemacht werden. Nur über arbeitsteiliges Vorgehen wird es uns gelingen, die knappen Mittel so effizient einzusetzen, dass die Fähigkeiten erhalten und, wo notwendig, auch modernisiert werden. Ich wünsche mir sehr - das steht so im Koalitionsvertrag; die Ministerin setzt hier ebenso wie der Außenminister Impulse -, dass Deutschland Motor dieser vertieften Integration in der NATO und auch im Bündnis der Europäischen Union wird. Um nicht missverstanden zu werden: Der parlamentarische Vorbehalt ist auf diesem Weg kein Hindernis. Er ist eine Stärke Deutschlands. An die Grünen und die Linken gerichtet sage ich: Sie können in der nun eingesetzten Kommission jederzeit mitarbeiten. Die Tür dazu steht offen. ({7}) Statt mit Verdächtigungen, die jeder Grundlage entbehren, die Kommissionsarbeit schon im Vorfeld zu kritisieren, wäre es klüger, sich mit uns zusammenzusetzen und zu überlegen, wo es Klärungsbedarf gibt und wo nachjustiert werden muss. Dabei kann es allerdings nicht um ein Aushebeln der grundsätzlichen Politik gehen. Sie sind eingeladen, gemeinsam mit uns darüber zu diskutieren. Zum Thema Nachsteuern. Wir Sozialdemokraten legen auf folgende Tatsache Wert: Wenn wir in eine Koalition eintreten, dann wird nicht alles so bleiben, wie es in der Vergangenheit war. Das gilt auch für die Bundeswehrreform, für die Struktur der Bundeswehr. Wir werden in den nächsten Tagen mit dem Koalitionspartner und der Ministerin über unsere Vorstellungen von Nachsteuern diskutieren. Ein wichtiger Grundsatz wird sein: nicht nur Breite vor Tiefe, nicht nur Absenken. Wir wissen nämlich: Wenn das alle NATO-Partner machen, sind am Ende alle Mittelmaß. Das ist nicht das, was eine starke NATO ausmacht. Wir werden vielmehr Schwerpunkte setzen müssen. Ich möchte das an zwei Beispielen kurz verdeutlichen. Deutschland ist jetzt schon gut im Bereich der bodengebundenen Luftverteidigung; das ist ein richtiges Argument. Wir haben schon viel Geld ausgegeben, auch für die Weiterentwicklung - Stichwort MEADS. Die deutsche Wirtschaft hat im Bereich Sensorik und bei anderen Technologien auf dem Weltmarkt die Marktführerschaft inne bzw. besitzt hohe Fähigkeiten. Deshalb wäre es klug, die bodengebundene Luftverteidigung zu einem Schwerpunkt der deutschen Verteidigungspolitik zu machen und den Bündnispartnern anzubieten. Ich weiß, dass es einfach ist, Forderungen zu erheben, die Geld kosten. Irgendwann muss man auch die Frage beantworten, wie man das finanzieren will. Wenn wir die bodengebundene Luftverteidigung stärken wollen - das wird nicht billig sein -, dann ist es legitim, darüber nachzudenken, ob wir zugleich eine so hohe Stückzahl an Kampffliegern brauchen oder es nicht klüger wäre, dass Länder wie Großbritannien und Frankreich, die in diesem Bereich sehr stark sind, mehr machen als wir. Die Eurofighter sind ja im Betrieb sehr teuer. Mit dem Geld, das wir einsparen, wenn wir die Stückzahlen verringern, kann man neue Ideen finanzieren. Bei den Hubschraubern gilt übrigens Ähnliches. Wir brauchen nicht weniger Hubschrauber, sondern das Bündnis braucht mehr. Deutschland sollte keinen schlechten Deal machen - er wird jetzt Global Deal genannt ({8}) und am Ende für weniger Hubschrauber mehr Geld bezahlen. ({9}) Wir sollten vielmehr die Fähigkeiten nutzen. Wir haben Zeit, um Partner zu finden. Ich denke gerade an osteuropäische Partner - Stichwort Anlehnungspartnerschaft -, die alleine kaum Hubschrauber finanzieren können. Wir haben vier Jahre Zeit, Anlehnungspartner zu finden, mit denen wir gemeinsam Hubschrauber betreiben können. Damit würden wir das Bündnis stärken. Das ist eine Fähigkeit, bei der Deutschland jetzt schon gut ist. Zu den Fähigkeiten, die gestärkt werden müssen, gehört auch der Sanitätsdienst. Wir dürfen nicht übersehen, dass der Sanitätsdienst der Bundeswehr schon heute eine tragende Säule bei Einsätzen der internationalen Gemeinschaft ist, weil wir da wirklich gut sind. Wir müssen aber einkalkulieren, dass der hohe Frauenanteil in diesem Bereich - glücklicherweise! - zu vielen Kindern und vielen Familienphasen führt. Auch dies müssen wir miteinander besprechen. ({10}) Eines bleibt wichtig: Im Kern geht es nicht um Ausrüstung oder militärische Fähigkeiten, sondern es geht um die Menschen bei der Bundeswehr. Denen haben wir in den letzten Jahren in der Tat viel zugemutet: immer wieder neue Reformen, immer wieder Einschnitte, immer wieder neue Einsatzgebiete. Viele mussten auch länger im Einsatz bleiben. Bei Mangelfähigkeiten mussten die Soldaten zum Teil sogar unzumutbar lang im Einsatz bleiben. Vor diesem Hintergrund ist das Thema Attraktivität in der Tat ein zentrales Thema; da sind wir ganz bei Ihnen, Frau Ministerin. Attraktivität ist aber mehr als soziale Rahmenbedingungen und Familienfreundlichkeit. Zur Attraktivität gehören auch die Arbeitsbedingungen an den Standorten. Deshalb müssen wir, Frau Ministerin, wenn notwendig, auch bei den Standorten nachbessern. Wir dürfen nicht immer mehr verdichten, weil das effizient ist, weil wir glauben, so Geld sparen zu können. Es macht keinen Sinn, Geld für Attraktivitätsmaßnahmen auszugeben, wenn gleichzeitig die Büros klein und die Arbeitsbedingungen schlecht sind. Das funktioniert so nicht. Neben der Frage der Standorte gehören zur Attraktivität auch gutes Gerät und eine gute Ausstattung. Junge, gut ausgebildete Menschen werden dann zur Bundeswehr kommen, wenn sie wissen, dass sie dort mit moderner Technik umgehen. Am Schluss will ich noch Folgendes sagen: Diese Koalition ist angetreten, um die Lebenssituation der Menschen in Deutschland zu verbessern. Das gilt vom sozialpolitischen Bereich bis zur Bundeswehr. Ich bin ziemlich zuversichtlich: Wenn wir, Frau Ministerin und liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, das, was jetzt andiskutiert und angeschoben wurde, in den nächsten Jahren konzentriert auf dem Gleis halten und die Weichen gemeinsam richtig stellen, werden wir die Bedingungen für die Menschen bei der Bundeswehr, für Soldaten und Zivilbeschäftigte, zum Guten wenden. Dann ist die Bundeswehr ein attraktiver und interessanter Arbeitgeber. Diese Koalition hat eine Chance, das zu erreichen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Kollege!

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin fertig. - Ich möchte noch einmal an den Grundkonsens zwischen CDU und SPD erinnern, ({0}) der sowohl in Regierungs- als auch in Oppositionszeiten da war und der uns auch als Parlamentarier stark macht. Mein Wunsch ist: Wir sollten ihn nutzen, um die Regierung dort, wo es richtig ist, zu stützen. Wir sollten ihn aber auch nutzen, um die Regierung gelegentlich, wenn das notwendig ist, anzuschieben und zu drängen. Dann werden wir gemeinsam etwas erreichen. Recht herzlichen Dank. ({1})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächstem erteile ich das Wort Kollegen Dr. Tobias Lindner, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu Beginn Ihrer Amtszeit, liebe Frau von der Leyen, hatte ich den Eindruck, dass Sie erst ein bisschen gezögert haben, ob Sie dieses Amt, diesen neuen Verant2394 wortungsbereich übernehmen sollen. Aber kurz danach haben Sie viele Dinge angekündigt. Sie haben selbst die Ansprüche definiert, an denen Sie sich messen lassen wollen. Das betrifft die Vereinbarkeit von Familie und Dienst sowie eine Reform des Beschaffungsprozesses. Diese Ansprüche haben Sie selbst definiert, und an diesen werden Sie sich messen lassen müssen. Sie haben nicht nur Veränderungen angekündigt, sondern vielfach auch über Transparenz gesprochen, darüber, dass zu Beginn einer politischen Debatte eine ehrliche und vollständige Bestandsanalyse stehen muss. Sie haben heute hier Ausführungen zu den drei Zielen der Bundeswehrreform gemacht, unter anderem zum Thema Finanzen. Ich habe mir eben von meinem Büro geben lassen, was Ihr Vorvorgänger, Karl-Theodor zu Guttenberg, am 26. Mai 2010 vor der Führungsakademie gesagt hat. Er sprach darüber, dass der mittelfristig höchste strategische Parameter, quasi als Conditio sine qua non, für die Zukunft der Bundeswehr die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse sei. Zur Ehrlichkeit gehört nun einmal, liebe Frau Ministerin, wenn Sie heute hier stehen und über einen Etat von 32 Milliarden Euro reden, auch, zu sagen, dass dieser Etat mittlerweile 5 Milliarden Euro über dem liegt, was Karl-Theodor zu Gutenberg damals in seiner mittelfristigen Finanzplanung für das Jahr 2010 veranschlagt hat. Das Ergebnis dieser Analyse kann somit nur lauten, dass die Bundeswehrreform zumindest an ihren finanziellen Vorgaben, an dem Ziel, Einsparungen zu leisten, bitter gescheitert ist. ({0}) - Darauf komme ich noch zu sprechen. Ein zweiter Punkt, den Sie hier nur am Rande gestreift haben, ist der Aufwuchs von 800 Millionen Euro in der mittelfristigen Finanzplanung, der darauf zurückgeht, dass Rüstungsprojekte zu spät zulaufen. Wir haben es also nicht mit einem Absinken des Etats in diesem Jahr zu tun, sondern in Wirklichkeit schieben Sie eine Welle von fehlgeschlagenen Rüstungsprojekten vor sich her. Wenn Kollege Arnold hier Ideen präsentiert, wie man MEADS weiter verwenden könnte, wie man ein taktisches Luftverteidigungssystem machen könnte, wenn wir also in Zukunft für Rüstungsprojekte von heute zahlen sollen, die teurer werden und später kommen, kann ich dazu nur sagen: Wir können Geld nur einmal ausgeben. Dieses Geld fehlt dann nicht nur innerhalb der Bundeswehr für notwendige Beschaffungen, zum Beispiel Schutzwesten, oder für die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Dienst, sondern dieses Geld fehlt dann auch in dem vorgelegten, strukturell ausgeglichenen Etatentwurf für andere wichtige Zukunftsausgaben wie Bildung, Forschung und Teilhabe. Das ist alles andere als eine zukunftsgerichtete Finanzplanung, liebe Frau von der Leyen. ({1}) An einem Thema haben Sie sich heute ein bisschen vorbeigemogelt, nämlich um die Beschaffungspolitik. Neben der Vereinbarkeit von Familie und Dienst ist dies das zweite große Thema Ihrer bisherigen Amtszeit. Sie haben sich bei einer Rüstungsklausur über die größten 15 Beschaffungsvorhaben informieren lassen. Sie haben ausdrücklich keinen der Ihnen vorgelegten Projektstatusberichte gebilligt. Sie haben den verantwortlichen Staatssekretär in den einstweiligen Ruhestand versetzt und den verantwortlichen Abteilungsleiter von seinen Aufgaben entbunden. Wohl wahr, ich habe den Eindruck, Sie haben erkannt, dass im Beschaffungsbereich der größte Risikoposten im Bundeswehrhaushalt liegt. ({2}) Sie holen nun externe Berater in Ihr Haus. Sie kaufen sich Zeit. Bisher ist aber noch nicht zu erkennen, welche Lehren Sie aus diesen Erkenntnissen ziehen, liebe Frau Ministerin. Sie verschieben mehr als 1 Milliarde Euro aus 2013 in die Zukunft. In 2013 sind beispielsweise von über 1 Milliarde Euro, die für den Eurofighter eingestellt waren, gerade einmal 47 Millionen Euro abgeflossen. Sie legen heute im Wissen darum, dass bei den Rüstungsprojekten der größte Problemberg in Ihrem Haus liegt, einen Haushalt vor, der alles andere als Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit für das Jahr 2014 aufweisen wird. So geht das nicht. ({3}) Es geht auch nicht, dass Sie zwar Projektstatusberichte nicht billigen, Staatssekretäre in den Ruhestand versetzen und Abteilungsleiter von ihren Aufgaben entbinden, aber gleichzeitig die Projekte weiterlaufen lassen, als wäre nichts geschehen. Sie billigen den Statusbericht nicht, leiten aber keine Schlussfolgerungen zu konkreten Auswirkungen auf das Projekt ab! Frau von der Leyen, ich will Ihnen an dieser Stelle ganz ehrlich sagen: Wenn Sie es ernst damit meinen, dass Sie neue Verhältnisse schaffen wollen, dass das Material, das die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr benötigen, das beste sein soll, dass Mittel effizient verwendet werden sollen und dass das Beschaffungswesen neu strukturiert werden muss, dann müssen Sie diese 15 Rüstungsprojekte jetzt unterbrechen, und zwar mindestens so lange, bis Ihrem Hause die Ergebnisse der Untersuchungen zu den neuen Strukturen vorliegen. ({4}) - Ich danke der Koalition für diesen Zwischenruf, dass sie sich noch länger verzögern würden. Die Ministerin hat ja selbst angekündigt, dass im Herbst die Ergebnisse der Untersuchungen eines Beratungsunternehmens vorliegen und dass dann Entscheidungen folgen werden. Ich bin gespannt, ob dieser Zeitplan eingehalten werden kann. Meine Fraktion, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird in den anstehenden Haushaltsberatungen für diese 15 größten Rüstungsprojekte ein Moratorium beantragen. ({5}) Wir wollen, dass die Mittel im Haushalt so lange gesperrt bleiben, bis die Ergebnisse der Untersuchung, die Sie selbst in Auftrag gegeben haben, vorliegen. Wir wollen nicht, dass weiterhin auch nur ein Cent an Steuergeldern in Projekte fließt, die risikobehaftet sind, während man im Ministerium ganz klar erkannt hat, dass man etwas ändern muss. Deshalb werden wir uns für dieses Moratorium starkmachen. ({6}) - Lieber Kollege Arnold, wenn ich über den Haushalt des Verteidigungsministeriums rede, dann sorge ich mich dabei um die Soldatinnen und Soldaten unserer Bundeswehr und weniger um die Beschäftigten und die Aktionäre von deutschen Rüstungsunternehmen. Wenn wir Projekte mit einer Mehrheit im Parlament beschließen - ganz gleich, wie diese aussieht -, dann liegt es im Interesse aller, dass die Gelder in der Höhe und dafür ausgegeben werden, wofür sie veranschlagt sind, und dass die Produkte pünktlich, mängelfrei und in der bestellten Eigenschaft zulaufen. ({7}) Ich möchte noch auf einen allerletzten Punkt eingehen, von dem ich mir in den kommenden Monaten etwas erhoffe. Sie haben selbst gesagt, dass Sie die Transparenz des Rüstungsbereichs im Parlament verbessern wollen; im Koalitionsvertrag finden sich dazu entsprechende Formulierungen. Es ist klar, dass, wenn es um Rüstungsprojekte geht, die Hauptbaustelle der Verteidigungshaushalt ist. Meine Fraktion erwartet von Ihnen darüber hinaus regelmäßige proaktive Unterrichtungen durch das Ministerium und nicht nur Berge von Akten und das Beantworten von Anfragen, die zu stellen unser gutes parlamentarisches Recht sind. Wir erwarten also, dass Sie uns regelmäßig Ihre Einschätzungen über Risiken im finanziellen, technischen und rechtlichen Bereich mitteilen, damit das Parlament im Zweifel auch gegensteuern kann. Ich denke, das Euro-Hawk-Desaster aus dem letzten Sommer ist uns da Lehre genug. Wir werden uns gemeinsam mit allen im Haus, die das wollen, in Form von vielen Anträgen engagiert in diese Debatte einbringen. Wir schauen gespannt auf die Beratungen zum Verteidigungshaushalt 2014. Ich danke Ihnen. ({8})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Henning Otte, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben. So steht es in Art. 87 a Abs. 1 unseres Grundgesetzes. Daraus ergibt sich für uns Politiker, dass wir den finanziellen Handlungsrahmen so zu setzen haben, dass die Sicherheit unseres Landes zu jeder Zeit gewährleistet werden kann. „Sicher ist, dass nichts sicher ist. Selbst das nicht.“ Das sagte einmal Joachim Ringelnatz. Für uns Verteidigungspolitiker bedeutet dies wiederum, dass wir auch unvorhersehbare Risiken in den Blick nehmen müssen, dass wir alle vorhersehbaren Risiken abdecken müssen und dass wir dabei Chancen für einen möglichst dauerhaften Frieden in Freiheit gemeinsam mit unseren Freunden für eine größtmögliche sichere Welt zu nutzen haben. Dafür müssen wir uns einbringen. 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges, 75 Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, aber auch 25 Jahre nach dem Fall der Mauer steht fest: Deutschland ist in einem vereinten Europa fest integriert, aber von uns wird auch viel erwartet. Daher haben wir, CDU/CSU zusammen mit der SPD, im Koalitionsvertrag der Großen Koalition die Grundzüge unserer Verteidigungspolitik festgelegt. Wir sagen dazu: Deutschland stellt sich seiner internationalen Verantwortung. Wir wollen die globale Ordnung aktiv mitgestalten. Dabei lassen wir uns von den Interessen und Werten unseres Landes leiten. Deutschland setzt sich weltweit für Frieden, Freiheit und Sicherheit, für eine gerechte Weltordnung, die Durchsetzung der Menschenrechte und die Geltung des Völkerrechts sowie für nachhaltige Entwicklung und Armutsbekämpfung ein. ({0}) Wir stehen bereit, wenn von unserem Land Beiträge zur Lösung von Krisen und Konflikten erwartet werden. Dabei stehen für uns die Mittel der Diplomatie, der friedlichen Konfliktregulierung und der Entwicklungszusammenarbeit im Vordergrund. Diese Linie wurde durch den Bundespräsidenten, unseren Außenminister und vor allem auch durch unsere Verteidigungsministerin, Dr. Ursula von der Leyen, auf der Münchner Sicherheitskonferenz noch einmal unterstrichen. Dafür sind wir ihnen sehr dankbar. ({1}) Die Aussagen im Koalitionsvertrag sollen auch Verlässlichkeit und Verbindlichkeit gegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten symbolisieren. Ich glaube, eines brauchen unsere Soldaten: Sie brauchen diese Verlässlichkeit; denn sie müssen jetzt diese Neuausrichtung so, wie wir sie vereinbart haben, auch umsetzen. Deutschland übernimmt Verantwortung, auch für humanitäre Einsätze. Deswegen ist es unverantwortlich, dass der Kollege Movassat gestern hier davon gesprochen hat, dass das Beihilfe zum Krieg sei. Das ist keine verantwortungsvolle Politik und gehört nicht in dieses Haus, meine Damen und Herren. ({2}) Auf dem Kontinent Afrika nehmen wir Anteil an einer übergreifenden Mission mit einem ausgewogenen Ansatz von diplomatischen, entwicklungspolitischen und militärischen Mitteln - im Sinne der vernetzten Sicherheit. Das haben wir mit dem beschlossenen Ausbildungsmandat EUTM Somalia und EUFOR Zentralafrika erneut gezeigt. Doch die sicherheitspolitischen Herausforderungen nehmen nicht ab: Die überraschende völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland stellt ein erhöhtes Konfliktpotenzial dar. Es ist angeraten, dieses Ereignis mit aller Vernunft und aller Abgeklärtheit zu bewerten und entsprechende Rückschlüsse zu ziehen, jeder in seinem Ressort, niemand mit Scheuklappen. Es ist aber auch wieder sehr offensichtlich geworden, dass - neben den Einsätzen, die wir in Afghanistan und im Kosovo über lange Jahre haben - die Bündnis- und Landesverteidigung innerhalb der NATO zu Recht an vorderster Stelle der verteidigungspolitischen Aufgaben steht. Oft wird über die historische Verantwortung Deutschlands gesprochen. Es gehört zu unserer historischen Verantwortung, dass wir die Sicherheitsbedenken unserer Freunde, zum Beispiel der baltischen Staaten oder Polens, nicht einfach wegwischen können. Die Beistandsverpflichtung der NATO ist kein bloßes Lippenbekenntnis; Kollege Arnold hat das auch, mit seinen Worten, gesagt. Nachdem die Alliierten 40 Jahre zu ihrer Verpflichtung und Verantwortung gegenüber Deutschland standen, darf es uns nicht überraschen, wenn wir zu unserer Beistandsverpflichtung gegenüber unseren osteuropäischen Verbündeten und Freunden befragt werden. Deshalb sind die Anmerkungen unserer Bundesverteidigungsministerin - auch heute in ihrer Rede - zur Verstärkung des Bündnisses richtig, verantwortungsvoll und als klare Information für unsere Bürgerinnen und Bürger zu werten. Unsere Bürger erwarten, dass man ihnen offen sagt, wo die Aufgaben unseres Landes liegen, wo die Verantwortung unseres Landes liegt. Auch dafür herzlichen Dank! ({3}) Den Alliierten einerseits größere Anstrengungen in Aussicht zu stellen und den Bürgern in Deutschland andererseits ein trügerisches Gefühl der heilen Welt zu geben: Das geht nicht auf und wird nicht geschätzt. Wir in Deutschland verstehen sehr wohl, für welche Anstrengungen wir unseren Beitrag innerhalb der NATO leisten müssen. Wenn wir uns die sicherheitspolitischen Entwicklungen ansehen, dann können wir in aller Ruhe feststellen, dass die Neuausrichtung der Bundeswehr auch vor dem Hintergrund dieser neuen Lage richtig war. Das Ordnungsmerkmal „Breite vor Tiefe“ hat sich bewährt. Nur hierdurch lässt sich eine Einsatzbreite von Kampfeinsätzen wie in Afghanistan über Ausbildungs- und Unterstützungsmissionen, wie gegenwärtig in Ländern Afrikas, bis hin zur Bündnis- und Landesverteidigung glaubhaft realisieren. Allerdings sollten wir in einem dynamischen Prozess stets überprüfen, ob das operative Dispositiv an Kräften für die Bündnis- und Landesverteidigung den Anforderungen entspricht und in vollem Umfang präsent ist. Von der reinen Präsenzarmee in Zeiten des Kalten Krieges über eine Armee der Einheit bis hin zu einer Armee im Einsatz hat die Bundeswehr eine enorme Entwicklung und Veränderung hinter sich. Oder, um es so auszudrücken: Wir haben die Streitkräfte unseres Landes an den neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen ausgerichtet. Die Truppen, die wir für den Auftrag „Bündnis- und Landesverteidigung“ vorhalten, müssen modern ausgestattet sein. Auch hier dürfen wir nicht eingeengt nur den Auslandseinsatz sehen. Es geht auch um die Instandhaltung und um die Ausbildung am Gerät. Darum bin ich durchaus auch für eine stetige Überprüfung der Qualität und Quantität der Ausrüstung. Eine verringerte Masse an Truppe und Ausrüstung muss durch noch mehr Klasse - auch der Ausrüstung - kompensiert werden. Lieber Herr Kollege Lindner, hier kann ich nur sagen: Ein Moratorium zu fordern, durch das unseren Soldatinnen und Soldaten die Lieferung der notwendigen Ausrüstung vorenthalten werden soll, ({4}) kann ich nicht akzeptieren, und das können wir auch nicht so hinnehmen. ({5}) Meine Damen und Herren, wir müssen rational analysieren: Sicherheit ist nicht zum Nulltarif zu bekommen. Wir brauchen gut ausgerüstete, hochmotivierte Streitkräfte für den Schutz Deutschlands. Dies umzusetzen, ist Ausdruck unseres sicherheitspolitischen Anspruchs und unserer Verantwortung für die Bürger unseres Landes, Europas und unseres Bündnisses. Verantwortung ist dynamisch. Unser NATO-Partner USA konzentriert sich vermehrt auf den pazifischen Raum. Für Europa und damit auch für Deutschland bedeutet dies, dass wir bereit sein müssen, Verantwortung für Frieden, Freiheit und Sicherheit zu tragen. Der Garant des Friedens war in der Vergangenheit die klare Abschreckungsstrategie der NATO. Diese Strategie war erfolgreich und hat uns den Frieden gesichert. Die Strategie der Abschreckung sollte auch in Zukunft elementarer Bestandteil des NATO-Bündnisses sein. Davon hat Deutschland profitiert. Deutschland muss auch bereit sein, einen Beitrag dazu zu leisten. Vermehrte Einsätze innerhalb der NATO, der EU und der UN in Kooperation mit vielen Nationen haben einen Preis, aber auch einen Wert. Dafür müssen wir die notwendigen finanziellen Voraussetzungen erfüllen. Unsere Soldaten erbringen diese Aufgaben im Namen unseres Landes und haben es verdient, dass ihnen die notwendigen Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt werden. Meine Damen und Herren, die Attraktivität ist für eine Freiwilligenarmee von besonderer Bedeutung; unsere Ministerin hat dies dargestellt. Wir müssen als Freiwilligenarmee den Wettbewerb um die besten Kräfte auch bestehen können. Dazu ist eine Vielzahl von Maßnahmen notwendig, die wir mit einer Attraktivitätsoffensive weiterführen wollen. Wir haben in der Außen- und Sicherheitspolitik neue Herausforderungen. Der Verteidigungshaushalt ist kein Selbstzweck. Er ist Grundlage für die Sicherheit Deutschlands und unserer internationalen Verantwortung. Ebenso wie eine wirtschaftliche Krise unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft gefährden kann und wir Anstrengungen auf uns nehmen müssen, diese zu bewältigen, kann die Bedrohung der Freiheit und des Selbstbestimmungsrechts der Staaten in Europa zu nachhaltiger Instabilität und Verunsicherung führen. Schließlich war der Verteidigungshaushalt in seiner Höhe in den vergangenen Jahren vor dem Hintergrund einer zunehmenden sicherheitspolitischen Entspannung in Europa nicht unantastbar. Das Gleiche gilt aber auch für die andere Richtung. Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit, und ohne Freiheit gibt es keine Sicherheit. Das gilt für Deutschland. Das gilt für Europa, für die NATO und auch für die Vereinten Nationen. Deutschland ist ein Teil dieser friedlichen Weltgemeinschaft. Deutschland übernimmt Verantwortung durch seine Streitkräfte, eine Parlamentsarmee. Die hierfür notwendigen materiellen und finanziellen Mittel werden zur Verfügung gestellt. Dafür sind wir unserem Bundesfinanzminister, Dr. Wolfgang Schäuble, dankbar. Für die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag hat Sicherheit nicht nur einen Preis, sondern auch einen Wert; ich habe es erwähnt. Uns für diesen Wert einzusetzen, ist uns als Union sehr wichtig: für Frieden, für Sicherheit und für Freiheit. Herzlichen Dank. ({6})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort Kollegen Dr. Alexander S. Neu, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Steuerzahlerinnen und Steuerzahler! Zunächst einmal eine kleine Anmerkung: Was und wer in dieses Haus gehört, entscheidet zum Glück nicht Herr Otte, sondern die Wählerinnen und Wähler draußen auf der Straße. ({0}) Die haben offensichtlich gut entschieden. ({1}) Das war die Vorbemerkung. Der Einzelplan 14, der Militärhaushalt, umfasst 32,8 Milliarden Euro. Das ist der zweitgrößte Einzelplan im Bundeshaushalt. In Verbindung mit weiteren versteckten Ausgaben in anderen Einzelplänen kommen wir auf 35,6 Milliarden Euro - nur fürs Militärische. Umgerechnet bedeutet das, dass jeder Einwohner in diesem Land, gleich ob Rentner, Rentnerin, Arbeitnehmer, Arbeitnehmerin, Kind, Migrant, Migrantin, 440 Euro im Jahr für die Bundeswehr zahlt. Das kann man an einem einfachen Beispiel illustrieren: Eine Familie, bestehend aus Eltern und zwei Kindern, zahlt nur für die Bundeswehr 1 760 Euro in einem Jahr.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Kollege, es gibt den Herzenswunsch nach einer Zwischenfrage des Kollegen Otte. Möchten Sie diese zulassen oder nicht?

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wenn er diesen Herzenswunsch hat, soll er ihn äußern. ({0})

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben mich offensichtlich bewusst falsch verstehen wollen. Ich habe nicht gesagt, dass die Entscheidung der Wählerinnen und Wähler zu kritisieren ist, sondern dass eine solche Aussage, wie Sie hier von Ihrem Kollegen getätigt worden ist, nicht in dieses Haus gehört.

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Und ich habe darauf geantwortet, dass diese Aussagen von Ihnen in keiner Weise zensiert werden dürfen, sondern dass es Sache der Wählerinnen und Wähler ist, uns und damit unsere Positionen in dieses Haus zu wählen. ({0}) - Das habe ich nicht infrage gestellt. ({1}) Ich fahre fort. 1 760 Euro zahlt jede Familie mit zwei Kindern allein für die Bundeswehr in einem Jahr. Das ist ein Jahresurlaub, ein Auslandsurlaub, den eine Familie zahlt. Wir alle wissen, dass die Bundesregierung, auch die jetzige Bundesregierung, Menschen gerne ins Ausland schickt, aber nicht unbedingt in den Urlaub, Frau Ministerin, sondern in Auslandseinsätze. Weit über 100 000 Menschen waren bislang via Bundeswehr in Auslandseinsätzen. Und nicht immer waren die Gastgeber über die Anwesenheit der Bundeswehr sonderlich erfreut. Sie haben gerade zu Recht darauf hingewiesen: Derzeit gibt es etwa 15 Auslandseinsätze der Bundeswehr. Seit 1990 sind es ungefähr 46 Auslandseinsätze. Kostenpunkt: mindestens 19 Milliarden Euro, konservativ gerechnet. Man nennt das einsatzbedingte Zusatzkosten. Das sind also all die Dinge, die die Bundeswehr nicht bräuchte, würde sie dort bleiben, wo sie hingehört, nämlich in Deutschland zur reinen Landesverteidigung. Dennoch hört man aus der Großen Koalition, dies sei unzureichend. Man schwadroniert vom Erfordernis des Endes der Kultur der Zurückhaltung. Ich finde, angesichts von 46 Auslandseinsätzen seit 1990 ist es eine Frechheit, so etwas zu fordern. Aber nicht nur die Auslandseinsätze sind ein Kostenproblem, sondern auch die Beschaffung von Waffensystemen. Diese sind teuer. Sie werden immer teurer, je länger das Beschaffungsverfahren dauert. Ministerin von der Leyen versucht jetzt, eine Übersicht über diese Projekte zu gewinnen. Das ist löblich. Sie haben 15 Statusberichte über laufende Projekte angefordert und keinen einzigen gebilligt. Auch das ist löblich. Aber die Nichtbilligung der Statusberichte zeigt uns zwei Dinge: Erstens. Sie wollen den Eindruck erwecken, dass Sie im BMVg aufräumen wollen. Zweitens. Die Beschaffungspolitik der letzten Dekaden ist ein Desaster. Die Steuergelder werden mit vollen Händen aus dem Fenster geworfen. Entweder wurden keine Vertragsstrafen vereinbart, wie zum Beispiel die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken aus dem Jahr 2010 klarmacht - ich zitiere -: Bei rund der Hälfte der Verträge konnte eine Vertragsstrafe auf dem Verhandlungswege - bei den Rüstungsunternehmen nicht durchgesetzt werden. So gehen Sie also mit Steuergeldern um. Oder es werden, wie beim NATO-Hubschrauber NH90, zwar Vertragsstrafen vereinbart, aber bislang nicht gezogen. Oder sie werden gezogen, aber es wird eine unzureichende Summe eingefordert, wie beim Eurofighter. ({2}) Er kostete bislang 23,3 Milliarden Euro. Die Vertragsstrafe, die bislang gezogen wurde, beträgt 7,3 Millionen Euro. Das sind 0,03 Prozent. Ich wiederhole: 23 Milliarden Euro auf der einen Seite und 7,3 Millionen Euro Vertragsstrafe auf der anderen Seite. Die Rüstungsindustrie ist doch mächtig beeindruckt von der Ernsthaftigkeit der Bundesregierung, das zu zivilisieren. Die Rüstungsindustrie tanzt Ihnen auf der Nase herum, Frau von der Leyen. Wie geht die Bundesregierung mit den Steuergeldern um? Ich sage nochmals: 440 Euro pro Jahr und Einwohner in diesem Land. Wir müssen uns vergegenwärtigen, Frau von der Leyen, dass die Steuergelder uns nicht gehören. Sie gehören auch nicht der Bundesregierung, sondern dem Volk. Wir und Sie als Bundesregierung haben es für die Menschen treuhänderisch zu verwalten und zu investieren. Als Bundesministerin für Arbeit und Soziales haben Sie im Jahr 2010 einmal richtig Härte gezeigt. Leider aber an der falschen Stelle, ({3}) nämlich auf dem Rücken von Schwachen. Sie haben einmalig 20 zu viel gezahlte Euro bei Hartz-IV-Bedürftigen mit Kindern von der Bundesagentur wieder eintreiben lassen. 2,2 Millionen Bescheide über 20 Euro musste die Bundesagentur verschicken, sodass 44 Millionen Euro wieder hereinkamen. Ich glaube, dass die Kosten für die Rückholung in etwa identisch sind mit dem Geld, das zu viel ausgegeben worden ist. In den Medien wurden Sie seinerzeit mit der Aussage zitiert: Das ist einfach Geld, das zu viel ausgezahlt worden ist und das jetzt von den Behörden - auch als Geld des Steuerzahlers - da lebt er wieder, der Steuerzahler wieder zurückgeholt werden muss. Zitat Ende. 44 Millionen Euro oder noch höhere Mehrausgaben zu verschwenden, schafft die Rüstungsindustrie bei einzelnen Rüstungsprojekten allein in der Mittagspause. Wann zeigen Sie einmal Härte gegen die Rüstungsindustrie? Wann holen Sie unsere Steuergelder zurück, Frau von der Leyen? Oder wollen Sie der weibliche Robin Hood der Rüstungsindustrie sein: von Hartz-IV-Bedürftigen nehmen, um es der Rüstungsindustrie zu überlassen? ({4}) Sehr geehrte Damen und Herren, Steuergelder kann man auch sinnvoller ausgeben, nämlich von Menschen für Menschen. Die Kosten für die 53 Transportflugzeuge A400M belaufen sich auf etwa 9,5 Milliarden Euro. Dafür könnte man 6 300 Kitas bauen. Wert: 1,5 Millionen Euro pro Kita. Die vier Fregatten F 125 kosten 3,1 Milliarden Euro. Dafür könnte man 620 Sporthallen in Kommunen bauen. Wert: jeweils 5 Millionen Euro. ({5}) Der Eurofighter wurde schon genannt. Für die 23,3 Milliarden Euro könnte man 210 000 Sozialwohnungen bauen; Wert: jeweils 110 000 Euro. Das wären Maßnahmen, die auch in der Bevölkerung ankämen. ({6}) Auf internationaler Ebene könnten Sie ebenfalls der Reputation Deutschlands etwas Gutes tun, zum Beispiel 500 Millionen Euro Aufbauhilfe für Port-au-Prince, die Hauptstadt Haitis, nach dem Erdbeben. Deutschlands Ansehen in der Welt wüchse gewaltig, weit mehr als durch Auslandseinsätze. ({7}) Fazit ist: Der Einzelplan 14 ist nach wie vor kein Ruhmesblatt und kein Ausweis eines zivilisierten Verhaltens, sondern der Ausweis des Nicht-lernen-Wollens. Gerade habe ich gehört, die pazifistischste Maßnahme sei, Waffen zu zerstören. ({8}) Ich sage: Das ist die zweitbeste. Die beste Lösung ist, überhaupt keine Waffen zu schaffen und zu exportieren. Ich danke Ihnen. ({9})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Wolfgang Hellmich, SPD-Fraktion. ({0})

Wolfgang Hellmich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004226, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines bewundere ich an Ihnen, Herr Dr. Neu, und das sind Ihre mathematischen Fähigkeiten. Das war es dann aber auch schon. ({0}) Denn wenn ich Ihre Rede in den Kontext dessen stelle, was Sie entschieden haben, wäre es vielleicht besser gewesen, die eine oder andere Rede gar nicht zu halten. Das wäre für uns alle besser gewesen. ({1}) Deshalb brauche ich mich damit auch nicht weiter auseinanderzusetzen. Ich möchte mich eingangs nur noch mit dem Beitrag von Herrn Dr. Lindner auseinandersetzen. Mich interessiert schon, was die Kolleginnen und Kollegen der IG Metall in den einzelnen rüstungs- und wehrtechnischen Betrieben zu der Entwicklung ihrer Unternehmen sagen. ({2}) Mich interessiert schon, ob die Unternehmen sagen: Wenn ihr das so macht - wie Sie es gerade vorgeschlagen haben -, dann werden wir in unserer realen Situation die Produktionsstätten zumachen und irgendwo anders hingehen, weil wir nicht in der Lage sind, Strukturen, die auch in der Arbeit vorgehalten werden müssen, ohne Aussicht auf Aufträge aufrechtzuerhalten. Man muss also ökonomisch anders damit umgehen und diese Unternehmen anders behandeln. ({3}) Auf dem Weg zu einem ausgeglichenen Haushalt leistet der Verteidigungshaushalt einen stattlichen Beitrag.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Apropos Beitrag, der Kollege Lindner würde gerne eine Frage stellen. Mögen Sie die zulassen?

Wolfgang Hellmich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004226, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber selbstverständlich.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Bitte, Herr Kollege. ({0})

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Ich muss die Union enttäuschen. Es geht nicht um ein Herzensanliegen, sondern um eine Frage, die ich Ihnen stellen möchte, Herr Kollege, da Sie die Kolleginnen und Kollegen bei der IG Metall angesprochen haben. Stimmen Sie mir zu, dass es beim Einzelplan 14 vorrangig um das Interesse an der Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr geht und darum, dieses Interesse bei Beschaffungsentscheidungen wahrzunehmen? Halten Sie es angesichts der Tatsache, dass die Ministerin Projekte und den Beschaffungsprozess an sich überprüfen möchte, und angesichts dessen, dass auch im letzten Jahr keine Gelder abgeflossen sind - was zeigt, dass die Projekte nur wenige Fortschritte machen, wie man auch an den Istzahlen des Ministeriums ablesen kann und für 2014 annehmen bzw. befürchten muss -, nicht für angezeigt, zumindest bis zum Herbst, wenn Ergebnisse vorliegen, innezuhalten?

Wolfgang Hellmich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004226, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Dr. Lindner, wenn Sie das Rüstungsboard richtig gelesen und die getroffenen Entscheidungen richtig verstanden haben, dann wissen Sie, dass nicht jedes einzelne Projekt im Kern schlecht oder unausgereift ist. Vielmehr ging es darum, dass bestimmte Fragen zu den Projekten nicht beantwortet werden konnten. Die Beantwortung dieser Fragen steht nun auf der Tagesordnung. Es gibt an dieser Stelle keinen Grund, laufende Prozesse, Produktionen oder Entwicklungen einzustellen. Es geht vielmehr um die Beantwortung der Frage, an welchen Stellen welche Informationen vorliegen und wie man vorankommen kann. Das sind zwei sehr unterschiedliche Ansätze und Herangehensweisen. Ich glaube, wir sind uns darin einig, dass es, wenn es um die Ausrüstung des Infanteristen der Zukunft geht, in der Tat keinen Grund gibt, irgendein Projekt einzustellen. Es geht vielmehr darum, beim Beschaffungswesen voranzugehen, weil wir mehr Systeme brauchen; das ist der Zusammenhang. Mit Ihrem Moratorium betreffend die Entwicklung von Rüstungsprojekten werden Sie keine einzige Verbesserung erreichen, sondern nur Probleme in den Produktionsstrukturen schaffen. ({0}) Im laufenden Haushalt werden circa 1,3 Milliarden Euro aus dem Verteidigungshaushalt an den Finanzminister zurückgezahlt. ({1}) Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn man diese 1,3 Milliarden Euro in die Verbesserung der Attraktivität der Bundeswehr gesteckt hätte; denn da gibt es - so glaube ich - einen großen Nachholbedarf. Dass es im Rüstungsbereich aufgrund von Unwuchten im Ministerium und von Lieferfristen der wehrtechnischen Industrie zu Verzögerungen kommt, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass zusätzliche Anforderungen auf uns und damit auch auf den Haushalt zukommen werden, die wir zwar im Moment nicht real beziffern können, von denen wir aber wissen, dass sie auf uns zukommen werden. Anforderungen, die im internationalen Kontext - sei es im Rahmen der neuen Strategie der NATO oder der GSVP - formuliert werden, müssen im Haushalt perspektivisch abgebildet werden. Exemplarisch sei hier die momentane Entwicklung einer maritimen Sicherheitsstrategie der EU genannt. Diese europäische maritime Sicherheitsstrategie definiert, wie wir zukünftig unsere Küsten schützen, und formuliert auch neue Anforderungen an die deutsche Marine. Ob wir diesen Anforderungen alleine gerecht werden können, bin ich mir nicht sicher. Ich glaube, dass das eigentlich nur im europäischen Kontext möglich ist; denn wenn es um die Entwicklung von Mehrzweckkampfschiffen geht - das ist in Betracht zu ziehen -, werden wir solche Projekte nur auf europäischer Ebene durchführen können. Neben modularen maritimen Fähigkeiten betreffen die internationalen Anforderungen in gleichem Maße mehrrollenfähige Flugzeuge sowie die Beschaffung von Hubschraubern und Lufttransportkapazitäten. All dies steht im internationalen Kontext, und wir müssen es auf europäischer Ebene angehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte auf die Marine zurückkommen. Es ist nun einmal ein Unterschied, ob Schiffe in die Nord- oder Ostsee auslaufen oder ob sie über einen längeren Zeitraum am Horn von Afrika zur Bekämpfung der Piraterie eingesetzt werden. Das ist eine grundsätzlich andere Anforderung an die Marine, die sich in Mehrkosten niederschlagen wird, wenn die Entlastung der Mannschaften, so wie sie angelegt ist, in die Realität umgesetzt wird. Mit deutlichem Rekrutierungserfolg hat sich die Marine durch ihr Konzept „Marine live!“ eines kleinen Teils ihrer Nachwuchssorgen entledigen können. Die jungen Interessentinnen und Interessenten können sich vor Ort mehrere Tage über die Verwendung und Karrieremöglichkeiten auf Schiffen realistisch informieren. Jetzt zweifelt der Bundesrechnungshof an, ob das alles wirtschaftlich ist. Wir werden deutlich machen müssen, dass bei solchen Maßnahmen, die auch Geld kosten, eine reine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung nicht genügt. Wenn es nur darum geht, wie viel Treibstoff ein Schiff verbraucht, werden wir an vielen Stellen nicht weiterkommen. Dasselbe gilt für das Mehrbesatzungsmodell. Das gerade angesprochene Schiff am Horn von Afrika, das Gott sei Dank nicht immer hin- und herfahren muss, was nur zusätzliches Geld kosten würde, wird mit einem Mehrbesatzungsmodell versorgt. Auch in diesem Fall bezweifelt der Bundesrechnungshof, dass das wirtschaftlich sinnvoll ist. Aber für die Besatzung bedeuten die Abwesenheitszeiten eine klare Erleichterung und Verbesserung, und zudem wird das Material geschont. Ich denke, es macht gerade vor dem Hintergrund der Attraktivität der Bundeswehr Sinn, wenn man den Soldatinnen und Soldaten verlässliche Heimkehrtage garantieren kann und ihnen nicht ständig sagen muss: Wir wissen nicht, wann ihr nach Hause kommt. ({2}) Attraktivitätssteigerung heißt natürlich auch - einige Punkte sind genannt worden - Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Vermeidung von unnötigen Versetzungen und Umzügen, Verbesserung der Wohnqualität der Berufspendlerinnen und Berufspendler, Schaffung moderner Besoldungsstrukturen, Einführung eines fairen Überstundenausgleichs sowie ein völlig veraltetes und unterfinanziertes Zulagensystem auf den Prüfstand zu stellen. Auch das würde mit dazu beitragen, dass die Soldatinnen und Soldaten ihren Dienst in der Bundeswehr positiver beschreiben, als sie es an der einen oder anderen Stelle auch in der Öffentlichkeit tun. Ein rein linearer Abbau von Dienstposten und Stellen bei der Bundeswehr passt nicht zu einem notwendigerweise atmenden Personalsystem. Deshalb halte ich es für richtig und gut, dass der Einstellungsstopp aufgehoben worden ist; denn die Bundeswehr selber kann mit dem Personalkörper qualifizierter umgehen. Aber auch das wird am Ende Geld kosten. Auch dieses wird im Haushalt abzubilden sein. Aber ich glaube, es gibt keine AlWolfgang Hellmich ternative, weil sich die Bundeswehr eine Unzufriedenheit der Mannschaften nicht leisten kann - von der Fürsorgeverpflichtung, um das hier zum wiederholten Male anzuführen, für die vor 1992 im Kosovo-Einsatz geschädigten Soldaten, die immer noch nicht geregelt ist, ganz zu schweigen. Es gehört auch zur Attraktivität eines modernen Dienstherren Bundeswehr, der Fürsorgepflicht nachzukommen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, anzumerken ist auch, dass der Zustand der Liegenschaften der Bundeswehr deutlich verbessert werden könnte, wenn die vertraglich vereinbarten 15 Prozent der an die BImA gezahlten Mieten und Pachten tatsächlich auch immer an den jeweiligen Standorten ankommen würden. Mit diesem Geld könnten dringend notwendige Baumaßnahmen durchgeführt werden. Generell ist zu überprüfen, ob die Quote von 15 Prozent ausreichend ist, um den tatsächlichen Sanierungsbedarf der Liegenschaften zu decken, oder ob die Quote angehoben werden muss. Es kann nicht sein, dass die Mannschaften mit Gemeinschaftsduschen vorliebnehmen müssen, die mehr als 30 Jahre alt sind. Die Beschreibung der Zustände ist wirklich nicht schön. ({3}) Aber: Grau ist alle Theorie, entscheidend ist auf dem Platz. Es kommt darauf an, diese einzelnen konkreten Maßnahmen in die Realität umzusetzen. Es gibt auch eine Reihe von Entscheidungen, an denen sichtbar wird, dass sich Anregungen aus dem Verteidigungsausschuss im Entwurf des Haushaltsplans niedergeschlagen haben. Dies gilt beispielsweise für die Überwachung der Liegenschaften. Die Erhöhung des Finanzvolumens für die Bewachung militärischer Anlagen um 10 Prozent geht auf Mängel in diesem Bereich zurück, die durch den parlamentarischen Raum auf die Tagesordnung gesetzt wurden. Seedorf und der ungeklärte Verbleib von mehreren Tausend Schuss Munition sei hier nur als ein Fall genannt. Für die Beseitigung der Mängel ist ein entsprechender Mitteleinsatz im Bundeshaushalt zwingend erforderlich. Das ist vorgesehen, und das ist gut so. Der Einsatz in Afghanistan wird aus heutiger Sicht der letzte landgebundene Einsatz dieser Dimension sein. Fragile Staaten, asymmetrische Konflikte, Ressourcenkonflikte, aber auch der Schutz von Transportwegen vor Piraterie sind die neuen Herausforderungen. Jeder dieser Konflikte bzw. dessen Vermeidung macht den höchstmöglichen Schutz für unsere Soldatinnen und Soldaten erforderlich. Deshalb müssen aktive Schutzsysteme für Fahrzeuge entwickelt werden - dies ist zum Teil schon geschehen -, aber auch beschafft werden. An diesem Beispiel wird deutlich, dass es durchaus weitere - auch umfangreiche - Anforderungen an die Entwicklungsarbeit der heimischen Industrie gibt. Die Produkte der deutschen Wehrtechnikindustrie gewährleisten nach wie vor ein Höchstmaß an Sicherheit und Qualität. Diesen Standard und diese Qualität wollen wir - so steht es auch in unserem Koalitionsvertrag - erhalten. Das müssen wir mit eigenem Tun unterlegen. Zum Beispiel geht es in der Tat darum, ein Luftabwehrsystem MEADS nicht nur zu entwickeln, sondern auch bis zur Anwendungsreife zu bringen und anschließend zu beschaffen. Auch dies ist eine Fähigkeit, die wir im internationalen Kontext für die NATO und für die GSVP anbieten können. ({4}) Der Europäische Rat im Dezember 2013 hat vereinbart, einheitliche Standards und Modelle bei zukünftigen gemeinsamen Entwicklungen konsequent zur Anwendung kommen zu lassen. Diese Vereinbarung lässt hoffen, dass durch den Druck finanzieller Engpässe entsprechende Einsichten formuliert werden, die zu sinkenden Kosten führen. Das geht nur im gemeinsamen europäischen Kontext. Wir können zum Beispiel das eigene Gefechtsübungszentrum auf einen modernen Stand bringen, um das Thema Übung, das ein ganz wichtiges Element der zukünftigen NATO-Strategie sein wird, in den Vordergrund zu rücken. Die Überprüfung der Rüstungsprojekte darf, wie eingangs schon erwähnt, nicht dazu führen, dass die Entwicklung zum Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten ausgesetzt wird. Denn darum geht es: dass das Beste für unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz und zu Hause produziert wird, angeschafft wird und dass sich dies im Haushalt deutlich niederschlägt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort Kollegin Doris Wagner, Bündnis 90/Die Grünen.

Doris Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004436, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, ich habe Ihren Entwurf für den Haushalt 2014 wirklich mit einiger Spannung erwartet - zu Unrecht, wie ich jetzt feststellen musste; denn Ihr Entwurf ist im Wesentlichen doch ein Weiterso. Anfang des Jahres haben Sie noch allerorts verkündet: Mein Ziel ist es, die Bundeswehr zu einem der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland zu machen. Das wichtigste Thema ist dabei die Vereinbarkeit von Dienst und Familie. Doch wer sich heute den Einzelplan 14 anschaut und nach Vereinbarkeit sucht, findet - nichts! Hier und da ein verlorener Einzelposten oder ein kryptischer Satz im Haushaltsvermerk. Ja, Herr Kollege Arnold, auch ich finde, wir sollten darüber reden; denn so sieht kein Haushalt aus, der die Vereinbarkeit von Dienst und Familie voranbringen will. ({0}) Das erweckt doch den Verdacht, als wollten Sie verschleiern, dass für die bessere Vereinbarkeit nun leider, leider so gut wie keine finanziellen Mittel zur Verfügung stehen. Ihr Haushaltsentwurf zementiert den Status quo. Schauen wir doch einmal, was Sie den Soldatinnen und Soldaten mit ihren Familien konkret zu bieten haben: 22,6 Millionen Euro wollen Sie für Maßnahmen im Bereich der Vereinbarkeit ausgeben. Das sind gerade einmal 6,9 Prozent des Verteidigungshaushalts. Für einen politischen Schwerpunkt ist das wirklich mehr als dürftig. Das gilt besonders, wenn man sich ansieht, welche Finanzmittel dem Verteidigungshaushalt 2014 plötzlich nicht mehr zur Verfügung stehen. Da sind 300 Millionen Euro einfach so verschwunden, die laut Finanzplan als „Vermischte Personalausgaben“ dazu dienen sollten, die Folgen der Bundeswehrreform für die Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien abzumildern. Gleichzeitig muss das Verteidigungsministerium - Sie haben es selbst angesprochen - 147 Millionen Euro abtreten, um damit das familienpolitisch völlig unsinnige Betreuungsgeld gegenzufinanzieren. Wie viel sinnvoller wäre dieses Geld für eine familienfreundlichere Bundeswehr eingesetzt! ({1}) Mein Appell an Sie, Frau Ministerin: Stellen Sie bitte in den nächsten Haushalt auch die Mittel für die Umsetzung Ihrer angekündigten Konzepte ein! Mehr Geld müsste die Bundesregierung endlich auch investieren, um besser mit der wachsenden sozialen Vielfalt innerhalb der Truppe umzugehen. Sie erinnern sich sicherlich alle noch gut an die Studie „Truppenbild ohne Dame?“. Diese Studie zeigt: Die Bundeswehr hat die Öffnung für Frauen keineswegs reibungslos verkraftet. Mehr als die Hälfte der männlichen Soldaten glaubt mittlerweile, dass sich die Bundeswehr durch die Integration von Frauen in die falsche Richtung entwickelt. Jeder Dritte ist überzeugt, dass die Kameradinnen einen Verlust militärischer Kampfkraft bedeuten. Vor allem aber sind erschreckend viele Soldaten der Ansicht, dass Frauen bei der Bundeswehr rascher Karriere machten, obwohl sie doch weniger leistungsfähig seien. Aus soziologischen Studien wissen wir, dass derartige Spannungen keineswegs erstaunlich sind. Erstaunlich jedoch ist, dass das Verteidigungsministerium bisher nicht erkennbar auf die erwähnte Studie reagiert hat. Hier müsste auch der Haushaltsentwurf mehr Handlungswillen zeigen. ({2}) Ja, es stimmt: Die Bundeswehr bemüht sich bereits seit Jahren, der wachsenden sozialen Vielfalt in der Truppe durch Diversity Management zu begegnen. Die Bundeswehr verfügt über Gleichstellungsbeauftragte, an die sich nicht nur Frauen mit Beschwerden wenden können. Aber ganz offensichtlich reichen diese Maßnahmen noch nicht. Die meisten Frauen erleben in der Bundeswehr gerade nicht eine Wertschätzung ihrer Andersartigkeit, sondern einen extremen Druck zur Anpassung an die männlichen Verhaltensweisen. Unter einem ähnlichen Anpassungsdruck stehen auch andere Personengruppen in der Truppe. „Wer in der Bundeswehr Karriere machen will, der soll sich bloß nicht als homosexuell outen“, empfiehlt gerade ein schwuler Marineoffizier im Magazin der Bundeswehr „Y“. Ich frage Sie, Frau Ministerin: Wo sind die Haushaltsmittel, die die Bundeswehr zu einem attraktiven Arbeitgeber für alle Gruppen der Bevölkerung machen? Wo ist das Geld, das es Frauen, Homosexuellen, Migrantinnen und Migranten, Behinderten und älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern ermöglicht, in der Bundeswehr zu arbeiten, ohne dabei einen wesentlichen Teil ihrer Identität am Kasernentor abgeben zu müssen? Mein Fazit lautet: Ein attraktiver Arbeitgeber ist die Bundeswehr nach wie vor nur für heterosexuelle Männer ohne Familie, und daran wird sich mit diesem Haushaltsentwurf auch 2014 nichts ändern. Vielen Dank. ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege Ingo Gädechens, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ingo Gädechens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004036, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit großem Interesse verfolgen wir in dieser Woche alle gemeinsam die laufenden Beratungen zu den Einzelplänen und haben Verständnis für die Wertigkeit und die Gewichtung der einzelnen Budgets. Wenn wir allerdings den Einzelplan 14 für den Bereich Verteidigung beraten, geht es um mehr als um Renten, Hochschulen, Infrastruktur oder Sozialleistungen; ({0}) in dieser Debatte geht es um das fundamentale Interesse der Bundesrepublik Deutschland. Es geht um unsere Souveränität, und es geht in ganz besonderer Weise um die Wahrung der äußeren Sicherheit unseres Landes. ({1}) Wie heißt es so schön? Sicherheit ist nicht alles, aber ohne Sicherheit ist alles nichts. ({2}) Unter diesem wichtigen Leitsatz sollten wir den Verteidigungshaushalt in der ersten Lesung, aber auch in den weiteren Lesungen beraten. Meine Damen und Herren, mit dem Einzelplan 14 setzen wir auf Kontinuität und knüpfen nahtlos an die Zielsetzungen der vergangenen Finanzpläne an. Der Gesamtplafond für den Bereich Verteidigung - wir hörten es schon - beläuft sich auf 32,8 Milliarden Euro. Darin ist berücksichtigt - die Kollegin Wagner führte es eben aus -, dass der Verteidigungshaushalt zur Finanzierung des Betreuungsgeldes mit 147,3 Millionen Euro solidarisch den größten Anteil erbringt. Ich will nicht darüber philosophieren, was man mit dem Geld sonst hätte machen können; ({3}) aber auch da ist es sehr gut angelegt. ({4}) Sehr viele Redner haben in dieser haushaltspolitischen Debatte darauf hingewiesen, dass Einnahmen und Ausgaben des Bundes so festgelegt wurden, dass wir ab diesem Jahr einen strukturell ausgeglichenen Haushalt und beginnend mit dem nächsten Jahr einen Haushalt ohne Neuverschuldung vorweisen können. ({5}) So steht es im Koalitionsvertrag, liebe Koalitionäre! ({6}) Ich freue mich darüber, dass auch unser Koalitionspartner die Weisheit der sparsamen schwäbischen Hausfrau, die auch im Norden bekannt ist, mehr und mehr anerkennt ({7}) - ja, aber im Norden ist diese schwäbische Weisheit auch angekommen -, ({8}) dass wir mit Blick auf kommende Generationen nur so viel Geld ausgeben können, wie wir auch einnehmen. Unter Berücksichtigung der sicherheitspolitischen Aspekte, aber auch unter dem zuletzt genannten Aspekt haben wir uns aufgemacht, die Bundeswehr zu reformieren, und sind nicht nur dabei, freiwerdende Ressourcen einzusparen; wir werden vielmehr Mittel verwenden, um den Dienst für die Soldatinnen und Soldaten attraktiver zu gestalten. ({9}) Dabei unterstütze ich die berechtigte Forderung unserer Verteidigungsministerin Frau von der Leyen, und ich werde mithelfen, dass die Bundeswehr tatsächlich der attraktivste Arbeitgeber in unserem Lande wird. ({10}) Eines muss aber auch klar sein: Der Weg zu mehr Attraktivität geht nicht nur über anspruchsvolle Ausstattung, gute Ausrüstung und modernstes Gerät; vielmehr werden wir in den kommenden Jahren zur Steigerung der Attraktivität auch Geld bei den Planstellen und der Besoldung in die Hand nehmen müssen, ({11}) um auf der Suche nach den besten Kräften erfolgreich zu sein. Als ich noch aktiver Berufssoldat war, habe ich stets an der Seite des BundeswehrVerbandes - und natürlich völlig uneigennützig - Forderungen nach besserer Besoldung und nach mehr finanziellen Mitteln für unsere Soldatinnen und Soldaten unterstützt und für deren Erfüllung gekämpft. ({12}) Als Abgeordneter ist es nun von Jahr zu Jahr meine Aufgabe, den Kameradinnen und Kameraden, aber auch den zivilen Mitarbeitern zu verdeutlichen, dass leider auch die Bundeswehr ihren Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten muss. ({13}) Die Mittel im Einzelplan sind knapp bemessen, aber sie sind, liebe Kolleginnen und Kollegen, ausreichend. Darüber hinaus wird Deutschland - und damit unsere Bundeswehr - unter den Bündnispartnern mehr und mehr als Anlehnungsnation gefordert. Dieser Aufgabe und dieser Herausforderung können - ich sage: dürfen wir uns nicht entziehen. Gerade für unsere Partner und NATO-Verbündeten, insbesondere in Osteuropa, ist Vertrauen in der jetzigen Lage wichtig. Wie so oft im Leben ist es gut, wenn man sich aufeinander verlassen kann, Ressourcen und Fähigkeiten zur Verfügung stellt und damit Sicherheit gewährleistet. Deshalb ist es auch richtig, dass es bei dem Reformansatz „Breite vor Tiefe“ bleibt. ({14}) - Deswegen habe ich in Richtung des Kollegen geschaut. ({15}) Lassen Sie mich an dieser Stelle noch kurz aufzeigen, wo die eigentlichen Herausforderungen für die Bundeswehr liegen. Erstens. Gerade die aktuellen weltpolitischen Ereignisse auf der Krim, in der Ukraine oder in Zentralafrika zeigen, dass sich die sicherheitspolitische Großwetterlage bisweilen schneller ändert, als es sich manche von uns vorstellen können. Auf diese neuen Konfliktlinien muss die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland nicht nur ausgerichtet werden, sondern mehr noch: Unsere Bundeswehr muss vorbereitet sein. Wir sollten deshalb neue Debatten über die Neuausrichtung der Bundeswehr vermeiden. Eine Reform der Reform darf und wird es zumindest zum jetzigen Zeitpunkt nicht geben. ({16}) Zweitens. Die Attraktivität des Dienstes steht für uns im Mittelpunkt des Handelns. Schon heute ist die Bundeswehr in sehr vielen Bereichen ein wirklich interessanter und sehr attraktiver Arbeitgeber. Das belegen die positiven Zahlen bei den Offiziersbewerberinnen und -bewer2404 bern, aber auch bei den Unteroffizieren. Bei der Laufbahn der Mannschaftsdienstgrade müssen wir allerdings noch etwas nachbessern. Auf die besondere Problematik in der Teilstreitkraft Marine ist der Kollege Hellmich schon eingegangen. Für all diejenigen, die sich dann für den Dienst in der Bundeswehr entschieden haben, müssen wir passende Antworten geben, was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Wahlmöglichkeit zwischen Umzugskosten und Trennungsgeld, Altersversorgung, Qualifizierung und Berufsförderung und viele andere Punkte, die den Dienstbetrieb erleichtern würden, betrifft. Drittens. Ein großer Handlungsbedarf besteht nach wie vor bei der Beschaffung von geeignetem Material; auch hierzu haben meine Vorredner schon einige wichtige Ausführungen gemacht. Ich möchte nicht verhehlen, dass der Mittelabfluss im letzten Haushaltsjahr mehr als unglücklich verlaufen ist. Der Bundesfinanzminister konnte sich über nicht verausgabte 1,3 Milliarden Euro freuen, aber wir als Verteidigungspolitiker haben uns geärgert. Wir haben einfach zu viele Projekte, die schneller realisiert werden müssten. Weil ich eben neben dem Kollegen Rehberg saß, möchte ich dieses kleine Beispiel anführen: Wir benötigen dringend Ersatz für die beiden Einhüllen-Betriebsstofftransporter „Rhön“ und „Spessart“ der deutschen Marine. ({17}) Ich will es einmal bei diesem einen Beispiel belassen. Wir müssen die Bundeswehr noch besser, aber vor allem schneller ausrüsten. Darüber hinaus gilt es, Kernkompetenzen in der wehrtechnischen Industrie zu erhalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung musste im Verteidigungsbereich Fehler korrigieren, Fehler, die teils vor vielen Jahren gemacht wurden, uns aber bis in die heutige Zeit verfolgen. Es wurden in der Vergangenheit in zu großer Stückzahl Großgeräte bestellt, die wir entweder so nicht mehr benötigen oder die die Teilstreitkräfte in der heutigen Stärke nicht mehr betreiben können. Die Reduzierung bei der Beschaffung des Eurofighters, aber auch der sogenannte Global Deal bei der Reduzierung der Hubschrauber Tiger und NH90 werden uns leider noch eine Weile beschäftigen. Um den berechtigten Wunsch der Parlamentarier nach mehr Transparenz zu erfüllen, haben bereits Thomas de Maizière und genauso entschlossen die Verteidigungsministerin Frau von der Leyen das sogenannte Rüstungsboard eingeführt. Damit wird uns Parlamentariern die notwendige Transparenz geliefert. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die im Regierungsentwurf des Bundeshaushalts 2014 und im 47. Finanzplan bis 2017 enthaltenen Ansätze stellen eine tragfähige Grundlage dar, um die Neuausrichtung der Bundeswehr fortzusetzen und eine angemessene und verantwortungsvolle Sicherheitspolitik für unser Land sicherzustellen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({18})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin Evers-Meyer, SPD-Fraktion. ({0})

Karin Evers-Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003523, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Verteidigungsministerin! Wenn wir heute über den Wehretat sprechen, dann sprechen wir nicht nur über fast 33 Milliarden Euro Haushaltsgelder. Wir sprechen vor allem über mehr als 180 000 Soldatinnen und Soldaten und über mehr als 60 000 zivile Beschäftigte. Wir sprechen auch über rund 4 800 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Ein Großteil davon ist immer noch in Afghanistan stationiert. Als langjährige Verteidigungspolitikerin kann ich sagen: Ich bin erfreut über ein absehbares Ende der gefährlichen Afghanistan-Mission. Ich möchte vorweg einen herzlichen Dank an all die Bundeswehrangehörigen senden, die für unser Land einstehen, egal wo auf unserer Erde und egal in welcher Funktion. Sie sind alle ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Gesellschaft und auch unserer heutigen Politik. ({0}) Dafür müssen und sollen die Soldatinnen und Soldaten auch bestmöglich ausgebildet, ausgerüstet, untergebracht und versorgt werden. Das versteht sich eigentlich von selbst. Unter diesem Gesichtspunkt diskutieren wir heute den Einzelplan 14, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich möchte in aller Kürze auf die aus meiner Sicht vier entscheidenden Bereiche eingehen. Der erste Bereich ist die Attraktivität des Berufes. Die Bundeswehr ist - das wurde heute schon oft gesagt - einer der größten Arbeitgeber unseres Landes. Ministerin von der Leyen hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Bundeswehr zu einem der modernsten und attraktivsten Arbeitgeber zu machen. Das können wir rundherum nur begrüßen. Für mich gehören vor allem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und endlich auch eine moderne Dienstzeitregelung dazu. Ich bin sehr gespannt auf die praktische Umsetzung und die finanzielle Ausgestaltung; denn das alles muss haushalterisch geordnet werden. Der zweite Bereich ist das Beschaffungswesen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Entscheidungswege wesentlich schneller und transparenter werden müssen. Frau Ministerin, Sie haben entschieden, dazu eine externe Beratungsagentur hinzuzuziehen. Ich verstehe diesen Ansatz. Aber die Zeit drängt auch. Wir benötigen bald belastbare Ergebnisse und endlich auch eine effiziente Entwicklung und Beschaffung der Ausrüstung für unsere Bundeswehr. Die vergangenen Monate haben leider gezeigt, wie akut das ist. Der Haushaltsausschuss wird da natürlich ganz besonders hinsehen. Der dritte Bereich ist die Neuordnung des Bundesverteidigungsministeriums. Nicht zuletzt aufgrund der fehlenden Effizienz wurden die ersten personellen Anpassungen im Verteidigungsministerium bereits vorgenommen. Doch diese sollten ausdrücklich nur vorübergehend sein. ({1}) Bei der Auswahl des Spitzenpersonals sowie beim Leitungscontrolling stehen wichtige Entscheidungen an, die die Modernität der Bundeswehr in den nächsten Jahren entscheidend beeinflussen werden. Zum Schluss: die Internationalität. So schwierig die langfristige Planung beim Militär auch ist, so sehr kann man dabei aber auch auf Synergieeffekte setzen. Wir alle wissen: Deutsche Verteidigungspolitik kann niemals nur national betrachtet werden. Seit vielen Jahrzehnten sind wir in stabilen und bewährten Systemen verankert. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das soll nicht nur so bleiben; wir sollten uns bei der Schließung der sogenannten Fähigkeitslücken, sei es im Bereich der Beschaffung, der Ausrüstung oder der Ausbildung, vermehrt auf die internationale Kooperation stützen. Insgesamt halten wir das Festhalten an der Neuausrichtung aus all diesen Gründen im Grundsatz für absolut richtig. Aber wir müssen natürlich aufpassen, dass wir die Betroffenen dabei nicht überbeanspruchen. Am Marinestützpunkt Wilhelmshaven in meinem Wahlkreis, dem größten Bundeswehrstandort, habe ich mich selbst davon überzeugt, wie angespannt die Lage zum Teil ist. Die Neuausrichtung muss deshalb schnellstmöglich zu einem spürbaren Erfolg geführt werden. Die Soldaten und die Zivilangestellten sowie ihre Angehörigen und auch ich selbst, wir sind sehr gespannt, wie Sie, Frau Ministerin, diese Herausforderungen angehen werden und wie Sie sie vor allen Dingen auch haushalterisch verantwortungsvoll umsetzen. Im Haushaltsausschuss werden wir all dies aufmerksam und kritisch verfolgen. Ich bedanke mich in diesem Zusammenhang ganz ausdrücklich bei meinem Kollegen Barthl Kalb für die gute Zusammenarbeit. ({2}) Wir alle sind gern bereit, im Sinne einer modernen Bundeswehr und im Sinne unserer Soldatinnen und Soldaten und der zivilen Angestellten unseren Beitrag zu leisten. Vielen Dank. ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege Bartholomäus Kalb, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es vorhin wieder praktiziert: Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Als Parlament müssen wir zu allem stehen, was die Bundeswehr macht. Wir müssen entscheiden, wir müssen abwägen, Argumente austauschen. Aber dann haben die Kräfte, die wir in den Einsatz schicken, ein Recht darauf, klar zu wissen, dass das Parlament hinter unseren Streitkräften, hinter unseren Soldatinnen und Soldaten steht. ({0}) Das bedeutet auf der anderen Seite, dass wir uns die Entscheidungen, die wir zu treffen haben, insbesondere dann, wenn es um Kampfeinsätze geht, nicht leicht machen; ich glaube, das gilt für alle hier im Hause. Ich habe in den vergangenen Jahren erlebt, dass viele Kolleginnen und Kollegen oft tagelang darum gerungen haben, wie sie sich verhalten. Ich denke, hier kommt unser Verantwortungsbewusstsein zum Ausdruck. Wenn wir auf der einen Seite diese Einsätze erwarten und beschließen, dann müssen wir natürlich auf der anderen Seite für eine dauerhafte Einsatzfähigkeit der Bundeswehr sorgen und diese über eine entsprechende Ausstattung mit angemessenen Haushaltsmitteln sicherstellen. Die Bundeswehr schützt Deutschland und seine Bürgerinnen und Bürger, sichert die außenpolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands, trägt zur Verteidigung der Verbündeten bei, leistet einen Beitrag zu Stabilität und Partnerschaft im internationalen Rahmen und fördert die multinationale Zusammenarbeit und die europäische Integration. Die Bundeswehr trägt aber auch zur internationalen Konflikt- und Krisenbewältigung und zum Kampf gegen den Terrorismus bei, wie wir anhand vieler Beispiele darstellen könnten. Sie leistet zudem einen wichtigen Beitrag zum Heimatschutz bei Unglücksfällen und Naturkatastrophen und natürlich auch humanitäre Hilfe im Ausland. Der Dienst bei der Bundeswehr ist nicht leicht; häufig ist er mit großen Gefahren verbunden. Deswegen genießen alle Angehörigen der Bundeswehr, auch die zivilen Mitarbeiter, unsere hohe Wertschätzung. Ich darf mich dem Dank, den meine Kollegin Karin Evers-Meyer vorhin ausgesprochen hat, ausdrücklich anschließen. Die Erhöhung der Einsatzfähigkeit und die sich wandelnden Rahmenbedingungen erfordern eine Neuausrichtung der Bundeswehr, damit sie einsatzorientiert und zukunftsfähig operieren kann. Deutschland benötigt einsatzbereite und einsatzfähige Streitkräfte, die den internationalen Anforderungen und ihrem Stellenwert gerecht werden können. Stichworte sind: gute Ausbildung, gute Führung, breite Fähigkeiten, gute funktionale Ausrüstung; das sind die wesentlichen Elemente, die man in diesem Zusammenhang aufzählen muss. Reformprozesse sind aufwendig und komplex, und jeder weiß, dass Reformen zunächst einmal Geld kosten - ich unterdrücke jetzt Bemerkungen zu früheren Verteidigungsministern -, bevor sie Früchte tragen. Dennoch stehen den wachsenden und anspruchsvolleren Aufgaben und Anforderungen immer begrenzte Haushaltsmittel, auch für Personal, gegenüber. Der Einzelplan 14 - Verteidigung - ist mit in etwa 32,8 Milliarden Euro der zweitgrößte Etat im Bundes2406 haushalt. Die Veränderungen gegenüber dem Vorjahr liegen bei minus 0,4 Milliarden Euro. Bis zum Jahr 2017 sinkt der Verteidigungshaushalt plangemäß noch weiter ab. Maßgeblich hierfür ist unter anderem - das wurde bereits angesprochen - die Reduzierung des Personalumfangs im Rahmen der Neuausrichtung der Bundeswehr. Wir haben eine Zielgröße von 170 000 Berufs- und Zeitsoldaten, 12 500 Freiwilligendienstleistenden und 2 500 Reservisten, die herangezogen werden sollen. Auch das Zivilpersonal soll auf 55 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter reduziert werden. Die für das Haushaltsjahr 2014 veranschlagten Ausgaben zur Unterstützung des Abbaus von zivilem Personal - sie sind im Einzelplan 60 ausgewiesen - werden vereinbarungsgemäß reduziert. Sie stehen 2016, 2017 und 2018 aber wieder zur Verfügung, damit der Zulauf bei Waffensystemen, der sich verzögert hat, durch die Bereitstellung adäquater Mittel hoffentlich wieder erfolgen kann. Das Verteidigungsministerium trägt für die weiteren Einsparungen das Erwirtschaftungsrisiko im Haushaltsvollzug. Durch die beabsichtigte Verlagerung des Absenkungsbetrages, wie ich es gerade dargestellt habe, kommt es zu keinem Substanzverlust. Wir können zum Teil deswegen reduzieren, weil der Afghanistan-Einsatz dem Ende zugeht - mit Ausnahme der verbleibenden Missionen, die dort noch zu erfüllen sind -, sodass für diese Maßnahme weniger Mittel angesetzt werden müssen. Wir haben auch Vorsorge dafür getroffen, dass die Ausgaben für ziviles Überhangpersonal finanziell entsprechend abgesichert sind. Mit der Neuausrichtung der Bundeswehr geht auch ein Personalabbau einher, der sozialverträglich umzusetzen ist. Aber zu diesem Personalabbau muss es gleichzeitig auch einen Personalaufbau geben - Frau Ministerin und Herr Arnold haben das sehr eindrucksvoll dargelegt -, damit wir keine Lücken bei der Abfolge der Generationen bzw. der Alterskohorten bekommen. Gleichzeitig muss man bei der Neuausrichtung der Bundeswehr - das ist auch vielfach gesagt worden - die Ausgestaltung der zukünftigen Dienste und der Dienstzeiten, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie einsatzgerechte Ausrüstung und Ausstattung im Blick behalten. Ich sage ganz vorsichtig: Ich glaube, dass viele Angehörige der Bundeswehr und auch sonstige Betroffene erwarten, dass wir keine „Reformitis“ betreiben, sondern dass wir die beschlossenen Vorhaben zu Ende bringen. Darauf müssen sich die Menschen verlassen können. ({1}) In Bezug auf die Ausrüstung ist bekannt, dass die Beschaffungsprozesse der Bundeswehr nicht so ohne Weiteres umzusetzen sind. Ich habe bereits angesprochen, dass es oft zu Verzögerungen bei den großen Systemen kommt: NH90, Tiger, Eurofighter, Puma und A400M. Man sieht, hier gibt es viel zu tun. Die Stückzahlreduzierung wurde angesprochen, die mit dem Begriff „Global Deal“ bezeichnet wird. Auch hier werden ernsthafte und intensive Verhandlungen zu führen sein. Wir als Haushälter müssen immer zusehen, dass wir dem Ziel der Haushaltskonsolidierung gerecht werden. Ich meine, der Verteidigungsetat leistet dazu seinen Beitrag. Da mich der Kollege Lindner gerade so freundlich anschaut, will ich sagen - anknüpfend an das, was der Kollege Hellmich vorhin gesagt hat -: Wir werden nicht von dem Interesse der Aktionäre von Rüstungsunternehmen geleitet. Aber das Anliegen der Beschäftigten in diesen Betrieben darf durchaus an uns herangetragen werden. ({2}) Hintergrund ist nicht, dass wir nur die Menschen beschäftigen wollen. Vielmehr wissen wir aufgrund jüngster Vorgänge, dass wir in vielen Bereichen - im Übrigen nicht nur im Bereich der Bundeswehr - schon heute Fähigkeitslücken haben, die es zu schließen gilt. Wir tun gut daran, nicht in allen Bereichen - damit meine ich auch ganz andere, nicht unser Ressort betreffende Bereiche - ausschließlich vom Ausland und den großen Playern dieser Welt abhängig zu sein. Deswegen nehmen wir auch diese Aufgabe besonders ernst. ({3}) Erlauben Sie mir bitte noch zwei kurze Anmerkungen. Auch die Sicherung unseres Wohlstandes hängt damit zusammen, was unsere Bundeswehr im In- und Ausland zu leisten vermag. Ein Beispiel: Für die Herstellung eines Autos werden 70 verschiedene Rohstoffe benötigt, die meistens auf dem Seeweg nach Deutschland kommen. Auch die Sicherung dieser langen Transportwege ist eine legitime Aufgabe der Bundeswehr. Da ich aus einem Wahlkreis komme, der im letzten Jahr sehr vom Hochwasser heimgesucht worden ist, und dies meine erste Rede zum Verteidigungsbereich ist, möchte ich zum Schluss die Gelegenheit nutzen, den Angehörigen der Bundeswehr zu danken. Einige von ihnen standen damals ganz kurz vor einem AfghanistanEinsatz. Meine Heimatregion, Deggendorf/Fischerdorf, ist den meisten durch diese Katastrophe bekannt geworden. Betroffen waren aber auch Passau, Natternberg, Niederalteich und andere Hochwassergebiete. Ich möchte einfach diese Gelegenheit nutzen, mich ganz herzlich für den Einsatz zu bedanken. Es war großartig, was die Angehörigen der Bundeswehr im Verbund mit dem THW, den Feuerwehren und den übrigen Rettungsund Katastrophendiensten geleistet haben. Herzlichen Dank! ({4}) Frau Kollegin Karin Evers-Meyer, lieber Kollege Lindner und lieber Kollege Leutert, wir werden gemeinsam, auch wenn wir in unseren Reden heute unterschiedliche Tonalitäten an den Tag legen mussten, mit großer Sorgfalt den Einzelplan 14 beraten und ihn dann hier zur Endabstimmung stellen. Herzlichen Dank. ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Einzelplan 23. Das Wort hat jetzt für die Bundesregierung der Bundesminister Dr. Müller. ({0})

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Frau Präsidentin, es ist mir eine besondere Freude! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Entwicklungspolitik hat unter dieser Regierung, unter der Regierung Merkel, einen besonders hohen Stellenwert. Wir legen mit der beschlossenen Steigerung heute den höchsten Etat in der Geschichte des BMZ vor. Mein Vorgänger hat mir eine ODA-Quote von 0,37 Prozent hinterlassen, mit abfallenden Finanzierungsansätzen für 2015 bis 2017. Die Haushaltspolitiker wissen dies genau. Diese Delle - manche nennen sie die Niebel-Delle - gleichen wir aus und setzen erhebliche Mittel obendrauf. Außerdem steigen die Verpflichtungsermächtigungen um 2,7 Milliarden Euro auf 7,55 Milliarden Euro. Ich möchte mich an dieser Stelle bei all jenen, die in den Koalitionsverhandlungen dazu beigetragen haben, aber insbesondere bei den Haushältern herzlich dafür bedanken, dass wir dieses Ergebnis erzielen konnten. Ich hoffe, dass wir das in den Haushaltsberatungen bis zur zweiten Lesung umsetzen können. Danke schön! ({0}) Die Entwicklungszusammenarbeit ist erfolgreich, wirksam und effizient. Wir arbeiten heute in der Welt mit 70 Ländern zusammen. Ich möchte mich an dieser Stelle auch ganz herzlich bei all unseren Expertinnen und Experten weltweit bedanken, denen ich zum Teil begegnet bin: von der GIZ, von UNICEF, von der Welthungerhilfe, den Kirchen, dem Roten Kreuz und den privaten Organisationen, von den Hunderten, ja Tausenden Organisationen der Zivilgesellschaft, die ein breites Spektrum abdecken. Vielen herzlichen Dank allen, die in der Welt großartige Arbeit leisten. ({1}) Ich sage Ihnen: Diese Menschen freuen sich, dass wir für unsere Arbeit im Wesentlichen die Unterstützung aller Parteien im Bundestag haben. Die Welt steht vor gewaltigen Herausforderungen, und Entwicklungspolitik heute ist eine Investition in die Zukunft, den Frieden, Herr Verteidigungsstaatssekretär, und das Leben. Allein 25 000 Kinderherzen haben heute aufgehört zu schlagen, weil diese Kinder nichts zu Essen hatten, keine Medikamente bekommen haben, nicht geimpft wurden oder kein sauberes Trinkwasser hatten. Für uns ist dies alles unvorstellbar. Ich will Ihnen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne, die Sie gerade Ihre Frühjahrsdiät in der Fastenzeit machen, um Ihr Übergewicht zu verlieren, jetzt kein schlechtes Gewissen einreden, aber es stellt sich schon die Frage, warum wir, die 20 Prozent der Menschheit auf der Sonnenseite des Lebens, unter anderem hier in Europa und in Deutschland, uns herausnehmen, 80 Prozent des Wohlstandes, des Besitzes und der Ressourcen für uns zu beanspruchen. Dies müssen wir hinterfragen. ({2}) 25 000 Kinderherzen haben heute aufgehört, zu schlagen, aber 250 000 Menschen sind heute neu auf der Welt. Es gibt pro Jahr 80 Millionen Menschen mehr. Man kann diese Zahlen kaum fassen. Die Bevölkerung Afrikas wird sich in den nächsten 50 Jahren verdoppeln. Die Bevölkerungszahlen in Europa stagnieren. Manche sagen, wir vergreisen. Die Bevölkerung in Asien wächst auf 4 bis 5 Milliarden auf. Dies bringt gewaltige Herausforderungen mit sich: 30 Prozent mehr Wasser, 40 Prozent mehr Energie und 50 Prozent mehr Nahrung bis 2030. Aber ich sage Ihnen: Diese Herausforderungen sind mit der Entwicklungspolitik, mit der Entwicklungszusammenarbeit zu lösen. Wir machen uns an die Arbeit. Dabei muss Nachhaltigkeit unser Prinzip aller Entwicklungen sein. Ökonomisch muss das Ziel die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch sein. Ich habe heute ein aktuelles Bild aus Peking von meinem Sohn bekommen, der gerade dort ist. Die Sicht dort beträgt unter 10 Meter. Ich könnte meinen Staatssekretär Fuchtel, der in den Reihen der CDU/CSU sitzt, trotz aller Mächtigkeit und aller Breite nicht sehen, ohne Scheinwerfer einzuschalten. ({3}) Das ist heute die Smogsituation in Peking, und das hat natürlich gewaltige Auswirkungen auf unser Klima weltweit. Deshalb sage ich: Wir benötigen weltweit verbindliche ökologische und soziale Standards. Ich habe vergangene Woche das Thema Textilwirtschaft angesprochen. Wir setzen hier ein wichtiges Signal. Ich lade die deutsche Textilwirtschaft ein - ich hoffe, dies wird gelingen -, mit Blick auf den Jahrestag des Fabrikeinsturzes in Bangladesch mit uns ein Textilsiegel umzusetzen, das ökologische und soziale Standards auch für die Näherinnen in Vietnam und in Bangladesch setzt. ({4}) Ich möchte auch auf Folgendes hinweisen: Dazu gehört auch die weltweite Durchsetzung des Verursacherprinzips und der Wahrheit über die tatsächlichen ökologischen Kosten des Transports. Wir können darüber diskutieren, wie wir das in der Zukunftscharta konkret umsetzen. Der unbegrenzte Freihandel, der für viele die Vision ist, ist nicht unsere Vision. Der Markt braucht Grenzen und Regeln. ({5}) Ich knüpfe an das an, was die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages vor Jahren erarbeitet hat: Wir brauchen die Standards einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft, und diese gilt es weltweit, bei der WTO, dem IWF, bei der Weltbank, bei der ILO, aber auch im Freihandelsabkommen mit den USA, zu verankern. ({6}) Unsere Entwicklungspolitik ist wertegebunden. Das heißt, jeder Mensch hat das unteilbare Recht auf Leben, auf Würde, auf Nahrung, auf Wasser und auf die Einhaltung grundlegender Grundrechte. Wir können und werden helfen, bestehende Probleme zu lösen. Die Entwicklungszusammenarbeit und -politik ist erfolgreich. Die Menschen fragen uns aber: Liebe Haushälter, haben eure Ausgaben einen Sinn? Ich bin nun 120 Tage im Amt, und überall werde ich gefragt: Du bringst Millionen nach Mali oder in den Südsudan, zum Beispiel in ein Flüchtlingscamp. Hat das denn einen Sinn? Wie wirkt sich das aus? - Wir müssen den Menschen vermitteln, dass es Sinn macht und wir erfolgreich sind. Ich möchte ein paar Zahlen zum Thema Hunger nennen. Trotz der täglich wachsenden Bevölkerung hat sich das Vorkommen von Armut und Hunger statistisch gesehen seit 1990 halbiert. Das ist schon ein großartiger Erfolg der Entwicklungszusammenarbeit weltweit. ({7}) Ich komme zum Thema Gesundheit, Seuchen und Krankheiten. Seit 1990 hat sich die Mutter-Kind-Sterblichkeit weltweit um 50 Prozent reduziert. Die HIVQuote hat sich um 22 Prozent verringert. Die PolioQuote liegt praktisch bei null. Die Anzahl der MalariaErkrankungen, insbesondere in Afrika, hat sich um 25 Prozent verringert. Das ist alles eine Folge großer Anstrengungen. An dieser Stelle möchte ich natürlich die großen Impfaktionen und -kampagnen nennen. Deshalb, verehrte Haushälter, bitten wir um Unterstützung: Wir wollen und werden den Globalen Fonds, den GFATM, verstärken. ({8}) Sie haben vorgeschlagen, dass zusätzliche Mittel in Höhe von 40 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Wir haben für die nächsten drei Jahre eine entsprechende Zusage gegeben. Frau Kofler, Sie haben das stark unterstützt. Ich glaube, das Geld kommt genau da an, wo es notwendig ist - bei den Menschen und insbesondere den Kindern. ({9}) Wir werden den GAVI-Fonds für Spezialisten weiter ausbauen, wenn die Haushälter das akzeptieren. Wir werden aber auch die bilaterale Bereitstellung von Mitteln für Impfaktionen weiter erhöhen. Kommen wir zum Thema Kriege, Bürgerkriege und Konflikte. Wir haben soeben den Verteidigungshaushalt diskutiert. Wenn man nach Afrika schaut, sieht es so aus, als wenn nur gekämpft würde und es nur Kriege, Konflikte und Katastrophen gäbe. Dies ist aber nicht der Fall. Seit 1990 hat sich die Anzahl der Toten durch Kriege und Bürgerkriege von 200 000 auf 50 000 im Jahr reduziert. Diese Zahlen sind natürlich nach wie vor schrecklich. Sie sehen aber, dass sich in der Welt und insbesondere in Afrika einiges bessert. Die Koalition hat sofort gehandelt. Wir haben auch sofort Schwerpunkte gesetzt. Wir investieren 160 Millionen Euro in die drei Sonderinitiativen „Eine Welt ohne Hunger“, „Fluchtursachen bekämpfen, Flüchtlinge reintegrieren“ und „Stabilisierung in Nordafrika und dem Nahen Osten“ sowie in den Klimaschutz. Entwicklungszusammenarbeit leistet Friedens- und Versöhnungsarbeit. Wir stärken die Konfliktprävention. Deshalb unterstützen wir auch die Arbeit der Afrikanischen Union in genau diesem Bereich. Wir fördern den Religionsdialog. Wir entwickeln in unseren Partnerländern Rechtskultur und unterstützen den Aufbau von Rechtsstaatlichkeit. Wir schützen Kinder, Frauen und Menschenrechte. Erstmals setzen wir mit einer Sonderinitiative zur Beseitigung des Flüchtlingselends einen eigenen Schwerpunkt. Frau Roth, Sie haben einige Camps besucht. ({10}) Wir müssen uns der Frage der Reintegration dieser Menschen stellen. Wer soll und wird diese Arbeit leisten? Unsere Finanztitel sind dazu nicht ausreichend. Wir müssen hierzu eine Zukunftsstrategie entwickeln. ({11}) Ich war mit einigen von Ihnen zu Besuch in den Camps im Südsudan, an der syrischen Grenze und in der Zentralafrikanischen Republik. Man schaut in den Himmel, wenn man leuchtende Kinderaugen sieht, aber man schaut in die Hölle, wenn man das Elend sieht, in denen diese Kinder leben müssen. Sie haben dennoch Hoffnung auf ein besseres Leben und auf eine bessere Zukunft. Dabei bauen diese Menschen insbesondere auf uns. Wir werden sie nicht vergessen. Mein Respekt und Dank gilt allen, die zwischen den Fronten kämpfen und helfen. Ich möchte noch einmal Syrien ansprechen. Die Menschen dort befinden sich in einer besonders dramatischen Lage. Das humanitäre Völkerrecht muss gelten. Wir brauchen einen weltweiten Aufschrei. Eine Rettungsaktion für das syrische Volk muss eingeleitet werden. Hier spielt sich vor unseren Augen die größte humanitäre Katastrophe seit Jahrzehnten ab. ({12}) Das darf und kann nicht sein. Wir sprechen hier nicht wie beim Südsudan oder bei der Zentralafrikanischen Republik von 1 000 oder 2 000 Toten, wir sprechen hier von 120 000 oder 140 000 Toten. Assad muss seine Grenzen für humanitäre Hilfe öffnen. Die Welt darf sich nicht mit dem heute diskutierten Abzug von Chemiewaffen zufriedengeben. Wir haben dazu einen begleitenden Militäreinsatz beschlossen - das unterstützen wir -; aber wo bleibt ein Beschluss der Weltgemeinschaft und auch Europas zu humanitärer Hilfe für 10 Millionen flüchtende, sterbende, hungernde Syrer? ({13}) An dieser Stelle wird sehr deutlich: Weder im Südsudan noch in der Zentralafrikanischen Republik ist ein militärisches Mandat ausreichend. Ein militärisches Mandat muss eingebettet sein in einen ganzheitlichen Prozess. Wir brauchen einen ganzheitlichen, vernetzten Ansatz. Vernetzte Entwicklungspolitik heißt für mich: humanitäre Hilfe, Stabilität, technischer Wiederaufbau, staatliche Strukturen. Ich sage an dieser Stelle: Militär allein schafft noch keine Lebensperspektive. Deshalb muss für alle zukünftigen Mandate die Gleichwertigkeit zwischen den zivilen - der Entwicklungszusammenarbeit - und den militärischen Komponenten gelten. ({14}) Die Entwicklungszusammenarbeit ist immer umfassend gefordert; das zeigt das Beispiel Afghanistan. Ich bin mit Blick auf Afghanistan optimistisch; aber ich sage hier auch in der Haushaltsdebatte: Im Haushalt 2015 müssen wir die Mittel für Afghanistan verstärken. Mit 230 Millionen Euro für die EZ sind die Aufgaben, die auf uns zukommen, nicht zu lösen. ({15}) Meine Botschaft an dieser Stelle ist nicht Resignation, sondern Aufbruch, neues Denken und Mut, Investitionen in Zukunft, Frieden und das Leben. Meine Überzeugung ist: Heute, im 21. Jahrhundert, könnten und können wir die Probleme lösen, wenn wir mutig anpacken. Der Planet schenkt uns die Lebensgrundlagen wie Wasser, Boden, Sauerstoff, Ressourcen für 10 Milliarden Menschen; das sagen alle Wissenschaftler. Warum müssen dann täglich 25 000 Kinder verhungern? Warum liefern wir nicht unser Wissen, Technik, Innovation? Die Wissenschaft stellt uns das Wissen bereit. Zusammen mit angewandter Technik können wir heute Lösungen verwirklichen. Ich möchte am Schluss darauf hinweisen: Ich habe am 1. April zusammen mit vielen von Ihnen den Prozess zur Entwicklung einer gemeinsamen Zukunftscharta „EINEWELT - Unsere Verantwortung“ gestartet. Wir laden die Zivilgesellschaft - alle Schüler, Schülerinnen, Jugendgruppen, jeden, der mitmachen will - zu einem Onlinedialog ein. Entwicklungszusammenarbeit ist spannend und geht alle an. Wir laden Sie ein, mitzumachen, 2014 mit uns die Weichen zu stellen für 2015 und die Zukunft. Meine lieben Schülerinnen und Schüler auf der Tribüne, vielleicht schicken Sie uns morgen direkt eine Mail, bringen Ihre Ideen ein. 2015 werden wir ein neues Klimaabkommen verabschieden, die G-7- oder G-8-Präsidentschaft in Deutschland haben, die Fortschreibung der Millenniumsziele hier diskutieren und verabschieden. Dazu brauchen wir Ihre Unterstützung, einen breiten gesellschaftlichen Dialog, zu dem wir Sie einladen. Gemeinsam sind wir stark. Gemeinsam werden wir erfolgreich sein. Das Parlament hat das letzte Wort beim Haushalt. Herzlichen Dank an alle Haushälter und Kolleginnen und Kollegen für die freundschaftliche und partnerschaftliche Zusammenarbeit! Danke schön. ({16})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank, Herr Minister. - Für die Fraktion Die Linke erhält jetzt das Wort Michael Leutert. ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung will dieses Jahr knapp 6,5 Milliarden Euro für Entwicklungshilfe ausgeben. Sie haben es selber angesprochen: Das ist ganz klar zu wenig. Deutschland hat sich international verpflichtet - dazu standen alle Bundesregierungen, egal ob Rot-Grün oder Schwarz-Rot oder Schwarz-Gelb -, bis zum Jahr 2015 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Entwicklungspolitik zur Verfügung zu stellen. Das wären aktuell 19 Milliarden Euro. Hier gibt es also eine Lücke, die geschlossen werden muss, und zwar bis zum nächsten Jahr, also im Haushalt 2015. Mich würde interessieren, wie Sie das bis zum nächsten Jahr bewerkstelligen wollen. Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, die Glaubwürdigkeit Deutschlands wird nicht am militärischen Engagement Deutschlands oder an der Übernahme von mehr Verantwortung auf internationaler Ebene gemessen, sondern entscheidend für unsere Glaubwürdigkeit wird sein, ob wir Zusagen - insbesondere diese Zusage - einhalten werden. ({0}) Herr Minister, in Bezug auf die inhaltliche Ausrichtung der Entwicklungshilfe sind wir uns, glaube ich, alle einig. Sie haben gerade von der Zukunftscharta „EINEWELT - Unsere Verantwortung“ gesprochen, und in Ihrer Auftaktrede zur Eröffnung der Diskussion darüber sagten Sie - Sie haben das gerade auch selbst erwähnt; ich möchte es aber gerne noch einmal zitieren -: Wir müssen die Globalisierung so gestalten, dass sie den Menschen dient. Markt braucht Regeln und Macht braucht Grenzen. Nachhaltigkeit muss das Prinzip aller Entwicklung, ja, allen Tuns sein. Das könnte in unserem Parteiprogramm stehen und kann ich unterschreiben. Ich glaube, hier werden wir uns einig. ({1}) - Ja, das bleibt richtig. Auch an den Zielen gibt es nichts zu kritisieren: erstens weltweite Armut bekämpfen, zweitens Frieden sichern und Demokratie verwirklichen, drittens Globalisierung gerecht gestalten und viertens Umwelt schützen. All diese Ziele teilt die Linke, und wir unterstützen das BMZ dabei, mit dem nicht ausreichenden Geld die Projekte zu finanzieren, mit denen diese Ziele verwirklicht werden können. Allerdings wissen auch Sie - zumindest konnte ich das einem Interview auf Zeit Online vom 23. Januar 2014 entnehmen -: „Mehr Geld allein bringt aber auch nichts“. Das Geld muss natürlich auch wirksam eingesetzt werden. Ich möchte noch einen Schritt weitergehen und sagen: Es darf auch von anderer Stelle kein Geld eingesetzt werden, mit welchem die gesetzten Ziele wiederum untergraben werden. Ich möchte hier - das habe ich heute schon einmal gemacht; die Haushälter freuen sich über so etwas immer wiederum einen Vorschlag einbringen, der in der Entwicklungshilfe viel bewirken könnte und gar kein Geld kosten würde. Ich spreche von der Unterbindung von Waffenexporten, und zwar von ganz bestimmten Waffen. Es ist bekannt, dass Deutschland Waffen in alle möglichen Länder exportiert. Dabei spielt es derzeit leider keine Rolle, ob es demokratische Länder oder Länder mit menschenverachtenden Regimen sind. Wir liefern genauso selbstverständlich nach Spanien wie nach Katar, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Leider werden deutsche Waffen auch in Konfliktregionen geliefert: Indien und Pakistan stehen genauso selbstverständlich auf der Exportliste wie die Zentralafrikanische Republik und Nigeria. Sie, Herr Minister - das ist jetzt die Klammer zu Ihrem Ministerium -, sind Mitglied des Bundessicherheitsrates, der über Waffenexporte entscheiden kann, und der verantwortliche Wirtschaftsminister ist der SPD-Vorsitzende Gabriel. Ich glaube, Sie können sich sehr schnell einig werden, diese Situation dort zu verändern. Das würden wir zumindest sehr begrüßen. Wie gesagt: Das würde kein Geld kosten. ({2}) Das Problem ist ja, dass diese Handfeuerwaffen aus deutscher Produktion - es geht hier hauptsächlich um Kleinwaffen - immer wieder in Krisengebieten auftauchen. Das ist im Übrigen nicht nur ein Kritikpunkt der Linken, sondern das wurde auch von den Kirchen in Deutschland immer wieder ganz deutlich kritisiert. Allein 2012 hat die Bundesregierung die Ausfuhr von 67 000 kleinen und leichten Waffen genehmigt. Das Sturmgewehr G36 - die Standardwaffe der Bundeswehr - taucht in Konfliktgebieten auf, zum Beispiel in Libyen, Georgien und zuletzt auch in Mexiko, wo es auch eine quasi militärische Auseinandersetzung gibt, nämlich einen Drogenkrieg mit über 70 000 Toten. ({3}) - Ja, jetzt komme ich zum Einzelplan 23, sehr verehrte Kollegin. ({4}) Mexiko ist nämlich Zielland deutscher Entwicklungshilfe. Ich meine: Das passt nicht zusammen. Auf der einen Seite leisten wir Entwicklungshilfe für diese Länder, und auf der anderen Seite gibt es Unternehmen bei uns im Land - zum Beispiel Heckler & Koch -, die mit ihren Waffenlieferungen die Gerüste, die wir durch unsere Entwicklungshilfe aufbauen, wieder einreißen. Das ist nicht der richtige Weg; das muss und kann geändert werden. ({5}) Das Problem an diesen Gewehren ist, dass sie relativ preiswert sind - ein neues Modell kostet 1 700 Euro -, und sie sind leicht zu bedienen und sehr leicht zu heben; das G36 wiegt nämlich nur 3,5 Kilogramm. Das können Kinder hochheben, und genau das passiert auch in den Konfliktgebieten. Es sterben nicht nur 25 000 Kinder jeden Tag wegen Hungers, sondern weltweit sind auch 250 000 Kinder als Kindersoldaten im Einsatz, leider eben auch in Ländern - es gibt zum Beispiel auf den Philippinen und in Indien Kindersoldaten -, die sowohl Zielländer für unsere Entwicklungshilfe als auch Zielländer für Waffenexporte - es werden unter anderem Kleinwaffen dorthin geliefert - sind. Es gibt im Haushalt des Einzelplans 23 den Titel - das ist eine Sonderinitiative - „Fluchtursachen bekämpfen“. Dafür werden 170 Millionen Euro eingestellt, 100 Millionen Euro davon sind Verpflichtungsermächtigungen. Eine Fluchtursache - das ist ganz klar - sind bewaffnete Konflikte. Das Geld allein wird nicht ausreichen, um diese Fluchtursachen zu minimieren. Also fordere ich Sie hier noch einmal auf: Helfen Sie mit, Herr Minister, die Exporte von Handfeuerwaffen in Konfliktregionen zu unterbinden. Damit kommen wir dem selbst gesteckten Ziel der Entwicklungspolitik, nämlich der Friedenssicherung, ein großes Stück näher, und zwar ganz ohne zusätzliche Mittel. Vor allem würde man damit Vertrauen und Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Die Unterstützung der Linken haben Sie auf diesem Weg auf alle Fälle. ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Frau Dr. Bärbel Kofler für die SPD ist jetzt die nächste Rednerin. ({0})

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wer heute den ganzen Tag die Debatten zu internationaler Politik verfolgt hat, kann viele Themenfelder, die der Minister angesprochen hat, nachvollziehen und sehen, vor welchen Herausforderungen wir stehen. Das Thema Friedenssicherung, Flüchtlinge und der Umgang mit ihnen ist angesprochen worden. Klassische Entwicklungszusammenarbeit und Armutsbekämpfung müssen mittelbar in den Fokus gerückt werden. Wir haben uns aber auch mit Fragen von zivilem Staatsaufbau zu beschäftigen. Wir haben uns mit dem Aufbau von sozialer Sicherung und Steuersystemen zu beschäftigen. Wir stehen vor der Herkulesaufgabe, das Thema Finanzierung des internationalen Klimaschutzes auf eine vernünftige Grundlage zu stellen. Wer all das sieht, muss ehrlich sagen - das möchte ich an dieser Stelle betonen und unterstreichen -: Die Mittel dafür reichen nicht. ({0}) Sie reichen nicht im Etat für auswärtige Politik. Sie reichen nicht im Umweltetat. Sie reichen auch nicht in unserem Etat für Entwicklungszusammenarbeit. Wenn wir ganz ehrlich sind, dann müssen wir sagen, dass wir uns in den Koalitionsverhandlungen die Sache mit der Mittelzusage von 2 Milliarden Euro ein bisschen anders gedacht haben. Wir haben diese Summe bewusst eingestellt, weil wir wissen, dass es sich hierbei um wichtige Aufgaben handelt. Diese 2 Milliarden Euro haben wir bewusst nicht unter Finanzierungsvorbehalt gestellt. Aber ich mahne an - ich bitte als Entwicklungspolitikerin darum, dazu einen Konsens im gesamten Haus zu erreichen, über alle Fraktionen und auch über alle Ressortgrenzen hinweg -, dass diese Mittel wirklich in die Hand genommen werden können und das Ganze nicht aufgrund der Niebel-Delle auf ein Nullsummenspiel hinausläuft. ({1}) Ich finde, dafür lohnt es sich, nicht nur in den nächsten Monaten, sondern auch in den nächsten Jahren zu kämpfen. Ich möchte an einigen Beispielen deutlich machen, worum es geht. Das Thema Friedensarbeit ist angesprochen worden. Unser Haushalt enthält dafür sicherlich nicht den größten finanziellen Posten, aber es findet sich eine Unterstützung für eine ganz spannende Institution, den Zivilen Friedensdienst. Dieser Dienst macht genau das, was wir heute in verschiedenen Debatten betont haben: Er führt Menschen zusammen, er macht Versöhnungsarbeit - das ist ein ganz schwieriger Prozess -, um Konflikte aufzuarbeiten und dazu beizutragen, dass Konflikte in Zukunft nicht mehr ausbrechen. Dafür haben wir im Haushalt knapp 30 Millionen Euro eingestellt. Diese 30 Millionen Euro stehen seit Jahren - ich weiß gar nicht, ob das schon im ersten Jahr dieses Etats so war, aber schon sehr lange - so in diesem Haushalt. Am Anfang haben wir gesagt: Wir müssen schauen, ob dieses Instrument wirkt. - Jetzt haben wir es überprüfen lassen. Dieses Instrument und seine Wirkung sind sehr gut beurteilt worden. Nur leider hat sich der Mittelansatz in keiner Weise verändert. Wir müssen dafür kämpfen, dass genau solche Institutionen wie die des Zivilen Friedensdienstes und die damit verbundenen zivilen Prozesse durch Mittel aus unserem Haushalt unterstützt werden können. ({2}) Sehr oft redet man im Rahmen von Außenpolitik und internationalen Zusammenhängen über die Frage eines Militäreinsatzes; zuvor wurde der Verteidigungsetat beraten. Aber ich glaube, den Menschen, die diese zivilen Friedensprozesse begleiten, müssen wir sowohl in unserem Etat als auch in dem des Auswärtigen Amtes - auch da gibt es einen spannenden Titel, ZIF, mit dem der Staatsaufbau im zivilen Bereich finanziert wird - eine ganz andere Aufmerksamkeit zukommen lassen; denn Entwicklungshilfe existiert auch noch dann, wenn keine Kameras auf das Elend dieser Erde gerichtet sind. Sie existiert vor Konflikten, bei Konflikten und danach. Genau deshalb müssen diese Friedensprozesse gestützt werden. ({3}) Ein anderer Punkt, der mich beschäftigt, ist schon kurz angesprochen worden, nämlich die Klimapolitik und die Finanzierung in diesem Bereich. Wir haben letzte Woche den Weltklimabericht debattiert. Wir haben die Prognosen gesehen und wissen alle miteinander, dass wir als Industrieländer auch finanziell in Vorleistung gehen müssen. ({4}) Denn wir sind die Verursacher. Ich finde, als Entwicklungspolitiker muss man zu dem Prinzip einer gemeinsamen, aber geteilten Verantwortung stehen. Will heißen: Wir haben den CO2-Ausstoß begonnen. Die Entwicklungsländer leiden unter den Folgen der Klimaveränderung. Hier müssen wir auch finanziell in Vorleistung gehen und entsprechende Beiträge leisten. ({5}) - Ich finde, da darf man klatschen, auch die Grünen. Wir können bereits dieses Jahr und auch in den nächsten Jahren im Haushalt einiges tun. Ich glaube, deshalb ist auch die mittelfristige Finanzplanung so wichtig. Wir müssen beim Green Climate Fund einen Pfad aufzeigen, wie wir die notwendigen Finanzierungsströme erreichen können. Wir wissen, wie viel wir aufbauen müssen. Wir kennen die Summe, die weltweit aus öffentlichen und privaten Mitteln notwendig ist: 100 Milliarden US-Dollar ab 2020. Wir wissen, dass wir ab nächstem Jahr einen Pfad schaffen müssen, und wir wissen auch, wofür: nämlich dafür, dass Entwicklungsländer endlich Energiepolitik hin zu einer kohlenstoffarmen Gesellschaft machen können und dass vor allem auch Anpassungsmaßnahmen finanziert werden können, damit die Folgen des Klimawandels und das Leiden der Menschen darunter angegangen werden können. Wenn wir das nicht tun, dann wissen wir spätestens seit Nicholas Stern, dass es für uns auch ökonomisch teurer werden wird als alles andere, was wir hier an Mitteln einsetzen können. Auch dafür brauchen wir ein gemeinsames Handeln und ein gemeinsames Werben in allen Ressorts um Verständnis für die Bedeutung dieser Finanzierungsaufgaben. ({6}) Es geht um die Haushaltsmittel, aber auch um Regeln. Herr Minister, Sie haben es schon angesprochen. Den Satz „Markt braucht Regeln“ finde auch ich sehr schön. Ich finde, eine Haushaltsdebatte ist eine gute Gelegenheit, über Regeln und Standardsetzungen zu sprechen. Auch in diesem Bereich müssen wir zu einem veränderten Denken und zu einem anderen Handeln kommen. Die Frage, wie wir zu verbindlichen Sozial- und Umweltstandards gelangen - ich möchte das Wort „verbindlich“ dreimal unterstreichen -, muss uns umtreiben, und zwar nicht nur uns als Entwicklungspolitiker; denn das betrifft auch die Wirtschaft, die Justiz und die Arbeitsmarktpolitik. Hier müssen wir gemeinsam handeln. Ich wünsche mir und hoffe, dass die Entwicklungspolitik ein Motor dafür sein kann, auch in anderen Ressorts zu einem Umdenken zu kommen. ({7}) Denn Freiwilligkeit allein - das möchte ich an der Stelle auch noch einmal klarstellen - bringt uns, glaube ich, nicht weiter. Wir hatten und haben bisher viele freiwillige Verpflichtungen, die gut gemeint und in manchen Teilen auch gut gemacht sind. Aber wer glaubt, mit freiwilligen Verpflichtungen Unternehmen, die das nicht wollen - das sind beileibe nicht alle -, dazu bringen zu können, weltweit ordentliche Produktionsbedingungen zu schaffen und dies den Konsumenten transparent nachzuweisen, der irrt meines Erachtens. ({8}) Dazu gibt es eine Entschließung des EU-Parlaments vom Februar dieses Jahres, die ich sehr spannend finde und die zwar bezogen auf Konfliktmineralien, aber auf den gesamten Themenbereich anwendbar feststellt - ich zitiere -, „dass die Vielzahl von Verhaltenskodizes, Standards und Zertifizierungssystemen mit unterschiedlicher thematischer Ausrichtung im Bereich der sozialen Verantwortung von Unternehmen … Bewertungen, Vergleiche und Überprüfung schwierig, wenn nicht unmöglich macht“. Wenn wir das wissen, dann müssen wir zu klaren Zertifizierungen, klaren Regeln und verpflichtenden Transparenzregeln für Unternehmen kommen. ({9}) Ich würde mir wünschen, dass Entwicklungspolitik dafür ein Motor sein kann. Es reicht aber nicht, ein Motor zu sein. Denn um zum Beispiel solche Regeln umzusetzen, braucht es auch in den Partnerländern starke Verwaltungen, Know-how-Transfer und zivile Kräfte, die aufgebaut und ausgebildet werden, um zum Wohle ihrer Länder kontrollierend, aber auch regelnd eingreifen zu können, damit auch der Ressourcenreichtum der Länder den Ländern selbst zugute kommt. Wir brauchen - das haben wir gestern als Arbeitsgruppe im Gespräch mit der Präsidentin der Deutschen Welthungerhilfe, Bärbel Dieckmann, wieder erfahren - den Aufbau sozialer Sicherungssysteme weltweit. Bärbel Dieckmann sagt ganz deutlich: Ohne Zugang zu sozialer Sicherung ist Armutsbekämpfung eigentlich nicht möglich. ({10}) Weil wir wissen, dass wir das alles brauchen und dass das schwierige, große Aufgaben sind, die die Entwicklungspolitik nicht alleine stemmen kann, sondern nur eine gesamte Gesellschaft, und zwar in Abstimmung mit Partnern, mit anderen engagierten Nationen und Menschen nicht nur in Europa, sondern weltweit, müssen wir dafür kämpfen, dass wir für den deutschen Teil, den wir leisten sollen, die notwendige Mittelausstattung haben. Ich hoffe, dass wir gemeinsam für eine wesentlich bessere Mittelausstattung, für die Entwicklungszusammenarbeit und die von mir genannten Themenfelder arbeiten werden. Dafür müssen wir kämpfen, und zwar nicht nur in den nächsten vier Jahren, sondern, wie ich befürchte, leider auch noch in den nächsten Jahrzehnten. Danke. ({11})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist die Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Müller, ich will ganz klar sagen: Sie hatten aus unserer Sicht einen wirklich positiven Start. ({0}) Sie haben viele grüne Ideen präsentiert. Sie haben am 29. Januar in Ihrer ersten Rede sehr grundsätzliche Anmerkungen gemacht und auch heute die Wachstumsausrichtung grundsätzlich hinterfragt. Sie haben gesagt: Wenn alle so leben würden wie wir, dann brauchten wir drei Erden. - Sie beschreiben Entwicklungspolitik als eine Zukunftspolitik, um wesentliche Herausforderungen anzunehmen. Wenn ich aus Ihrer Rede vom 29. Januar zitieren darf: Nachhaltigkeit muss das Prinzip allen Tuns und aller Entwicklung sein. Deshalb müssen wir die Globalisierung so gestalten, dass sie dem Menschen dient und nicht ausschließlich den Märkten und der Wirtschaft. … Nicht der freie Markt ohne jegliche Kontrolle ist unser Leitbild, sondern eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft. Der Markt braucht Grenzen. ({1}) Das ist ziemlich gut. Aber daran muss sich die ganze Regierung messen lassen und nicht nur Herr Minister Müller; darauf komme ich noch zurück. ({2}) Die Haushaltswirklichkeit sieht wesentlich kritischer aus. Ihr Etat wird ein bisschen schöngeredet. Zu diesem Schluss komme ich, wenn ich ihn mit dem vom Jahr 2013 vergleiche. Er weist zwar einen Aufwuchs von 147 Millionen Euro auf. Aber der größte Batzen von 129 Millionen Euro ist der Verschiebung der Mittel für den internationalen Klimaschutz aus dem EKF in diesen Etat geschuldet. Damit beträgt der Aufwuchs nur noch 0,1 Prozent. Das ist doch sehr bescheiden. ({3}) Das sage ich als Haushälterin vor dem Hintergrund guter konjunktureller Zeiten, in denen man eine solch große internationale Verpflichtung wie das 0,7-Prozent-Ziel ambitioniert angehen könnte. Wir verzeichnen 9 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen. Angesichts dessen sind die eingestellten 70 Millionen Euro für das neue Programm „Eine Welt ohne Hunger“ und die 0,1-Prozent-Erhöhung in Ihrem Etat leider nur ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein. Frau Kofler, Sie haben sehr selbstkritisch darauf hingewiesen, dass wir mit 2 Milliarden Euro mehr bis 2017 lediglich unsere ODA-Quote von 0,37 Prozent stabil halten. Das heißt, wir kommen gar nicht voran. Dafür können wir uns nicht gegenseitig beglückwünschen. Wir müssen ab sofort besser werden. Ich muss Ihnen sagen: Der gesamte Haushalt von Herrn Minister Schäuble und dieser Regierung wächst in der Finanzplanperiode bis 2018 um 9,6 Prozent auf, also knapp 10 Prozent Haushaltsausweitung. Der Anteil des BMZ beträgt nur 3,7 Prozent. Das ist weit unterdurchschnittlich. Das reicht definitiv nicht. ({4}) Weiterhin möchte ich den Klimawandel ansprechen. Der Weltklimarat hat deutlich gemacht, dass die Ärmsten der Armen am meisten vom Klimawandel betroffen sind. Er hat insbesondere auf die Prognosen bezüglich der Auswirkungen auf die Ernährungssituation der Menschen verwiesen. Auch vor diesem Hintergrund hat Deutschland eine besondere Verantwortung. Im Lichte der Sustainable Development Goals und der Debatte über die Zusammenführung von Klimaschutz und Entwicklungszielen ist eine ambitionierte Klima- und Entwicklungspolitik notwendig. An dieser Stelle möchte ich Sie an Ihre Eingangsbemerkung zur grundsätzlichen Ausrichtung der Regierungspolitik erinnern. Wir brauchen nicht nur das Engagement Deutschlands für Klimaschutz auf internationalen Konferenzen, sondern wir brauchen eine kohärente Energiewende in Deutschland, damit dieses Engagement glaubwürdig ist. ({5}) Deswegen sind Runde Tische mit der Textilindustrie dann glaubwürdig, wenn nicht nur Herr Müller, sondern auch Herr Gabriel dahintersteht, wenn bei der Ausweitung der Mittel sich Herr Schäuble und von mir aus auch Herr Dobrindt stärker in die Pflicht nehmen lassen. Bitte, machen Sie eine kohärente Regierungspolitik. Bei der Energiewende können wir Grünen das bisher leider nicht erkennen. ({6}) Ein letzter Punkt. Die Mittel für den internationalen Klimaschutz werden leider in Ihrem Haushalt zusammengestrichen. Das ist die bittere Wahrheit. Die Gelder für multilaterale Hilfen zum weltweiten Umweltschutz und zur Erhaltung der Biodiversität werden um fast 60 Millionen Euro gekürzt. Auch der neue Titel aus dem EKF „Internationaler Klima- und Umweltschutz“ wird deutlich von 230 Millionen Euro auf 140 Millionen Euro zusammengestrichen. Das ist ein dicker Batzen. Frau Kofler, es ist die traurige Wahrheit, dass sich die jetzige Bundesregierung nicht auf das Thema Green Climate Fund vorbereitet hat. Die Verpflichtungsermächtigungen sind bislang auf null gestellt. Wir brauchen aber zum September 2014 eine Strategie, dass wir mit ungefähr 750 Millionen Euro Verpflichtungsermächtigungen in diesem Haushalt auftreten können, um unsere Verantwortung hinsichtlich der multilateralen Klimafinanzierung wahrnehmen zu können. Es liegt also sehr viel Arbeit vor uns. Auch unsere Versprechen, die wir in Kopenhagen gemacht haben, verpflichten Deutschland zu einem richtig starken Aufwuchs im Umwelt- und BMZ-Bereich zugunsten einer guten Klimapolitik. Wir unterstützen Sie gerne, aber es muss noch mehr folgen als nur Ihre guten Worte von heute. Herzlichen Dank. ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herzlichen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion erhält jetzt Sabine Weiss das Wort. ({0})

Sabine Weiss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004187, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, heute über diesen rundum guten Haushaltsentwurf zu sprechen, der mit den Sonderinitiativen „Eine Welt ohne Hunger“, „Fluchtursachen bekämpfen - Flüchtlinge reintegrieren“ und „Stabilisierung und Entwicklung in Nordafrika und Nahost“ ganz entscheidende Pflöcke einschlägt, Pflöcke, die sich aus dem Koalitionsvertrag ableiten, in dem wir diesen Fragestellungen bereits Priorität eingeräumt haben, Pflöcke, mit denen wir auf aktuelle, ungelöste globale Aufgaben stärker und mit mehr Nachdruck eingehen, als das bisher in der Entwicklungszusammenarbeit geschehen ist. ({0}) Der Haushaltsentwurf erfüllt auch die Schwerpunkte mit Leben, die Bundesminister Müller vom ersten Tag an im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gesetzt hat. Herzlichen Glückwunsch, Herr Minister, zu einem hervorragenden Start in Ihre Amtszeit. ({1}) Viele neue Herausforderungen zu Entwicklungsländern dominieren die Nachrichten schon wieder im ersten Quartal dieses Jahres, zum Beispiel der Kampf um die künftige Ausrichtung der Ukraine, gewalttätige Auseinandersetzungen in der Zentralafrikanischen Republik und im Südsudan, der Ebola-Virus in Guinea mit der Ausbreitung in andere Länder - die WHO hat heute eine Epidemiewarnung ausgegeben -, Flüchtlinge in Nordafrika, die nach Europa drängen. Das sind alles Themen, in denen Instrumente der Entwicklungspolitik einen Beitrag zur Lösung der Probleme leisten können. Es handelt sich um Instrumente zur Unterstützung von Demokratisierung, um Instrumente der zivilen Krisenprävention, damit es erst gar nicht zu Gewaltausbrüchen kommt. Dazu gehören ganz zentral auch die Ernährungssicherung und die ländliche Entwicklung in Ländern mit extrem knappen Ressourcen, in denen der Kampf um Wasser und fruchtbares Land zur Quelle von Gewalt wird - Gewalt, die dann wiederum Flüchtlingswellen auslöst. Alle diese Aufgaben sind nicht kostenlos zu bewältigen. Deswegen sind wir heute alle hier und diskutieren. Umso richtiger war es, im Koalitionsvertrag zusätzlich und ohne Finanzierungsvorbehalt - ich betone: ohne Finanzierungsvorbehalt - Mittel für die Entwicklungspolitik bereitzustellen, um damit klarzustellen, Frau Kofler, dass der Koalitionsvertrag diese Summen mitnichten als Ende der Fahnenstange definiert hat. Wenn sich also neue Haushaltsspielräume ergeben, vielleicht durch die Einführung einer Finanztransaktionsteuer, werden wir - dazu rufe ich alle auf - in den folgenden Jahren darauf drängen, weitere Verbesserungen zu prüfen. ({2}) - Danke. Ich bin froh, dass Herr Bundesminister Müller schnell den Gesprächsfaden mit der deutschen Zivilgesellschaft aufgenommen hat und die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund rückt. Eine Chance für die traditionelle Partnerschaft von Regierung und Zivilgesellschaft bietet eben auch die von Ihnen bereits erwähnte vorgeschlagene Zukunftscharta „Eine Welt - unsere Verantwortung“. Wenn Deutschland mit diesem gemeinsam zu schreibenden Papier in die internationale Diskussion des Jahres 2015 um die Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele gehen will, sollte es dies allerdings mit prägnanten Botschaften tun, und es sollten Prioritäten gesetzt werden. All das darf dann in dem ehrlichen und guten Bemühen um Konsens nicht verloren gehen. Stichwort „Afrika“: Auf dem EU-Afrika-Gipfel in der letzten Woche ist etwas ganz Bemerkenswertes gelungen. Trotz aller aktuellen Krisen und Kriege in Afrika ist die Botschaft des Gipfels, dass wir Afrika immer mehr als Kontinent der Chancen sehen: ({3}) Chancen für mehr Kooperation mit Europa, Chancen auch für die Wirtschaft Europas, Chancen auch für die Rohstoffversorgung Europas. Die aktuellen Entwicklungen gerade um die Ukraine zeigen uns, wie wichtig es ist, die notwendigen Rohstoffe aus vielen verschiedenen Regionen zu beziehen. Eine stärkere Kooperation mit Afrika kann hier zu beiderseitigem Nutzen sein. ({4}) Aber als Entwicklungspolitikerin betone ich, dass insbesondere die Menschen in Afrika einen Nutzen daraus ziehen müssen. ({5}) Das heißt für mich, die Erlöse aus Rohstoffverkäufen müssen für die wirtschaftliche und menschliche Entwicklung im Land eingesetzt werden und dürfen eben nicht in schwarze Kassen der Eliten fließen. ({6}) Es bleiben aber auch in Afrika wie auf der ganzen Welt viele Millenniumsziele nicht erreicht. Die bis 2050 hinzukommenden 1 Milliarde Menschen in Afrika sind eine große Herausforderung für die Infrastruktur, für die Institutionen und den Schutz natürlicher Lebensgrundlagen. Sie sind aber auch - das müssen wir uns immer wieder verdeutlichen - eine Quelle der Hoffnung und ein großes Entwicklungspotenzial. Es ist daher richtig, in Sabine Weiss ({7}) Afrika einen Schwerpunkt der künftigen Entwicklungszusammenarbeit zu sehen und dabei auf ländliche Entwicklungen, Ernährungssicherung, breitenwirksames Wirtschaftswachstum und auf Bildung und Gesundheit gerade für die jungen Menschen zu setzen. Für das nun anstehende parlamentarische Verfahren möchte ich abschließend aus meiner Sicht noch einige Baustellen nennen, denen wir uns widmen sollten - liebe Sibylle Pfeiffer, das fällt bei dir sicher auf fruchtbaren Boden -: Wir sollten prüfen, ob wir nicht bei den auf die Kinder- und Müttergesundheit spezialisierten Organisationen noch etwas drauflegen können. Dafür haben wir uns in der letzten Legislaturperiode immer wieder gemeinsam eingesetzt. Zu den Forschungsansätzen des BMZ einige Anmerkungen. Infolge des Auslaufens des Sonderprogramms Bildung und Forschung droht ein Absturz des Forschungstitels von 13,59 Millionen Euro in diesem Jahr auf 4,5 Millionen Euro in 2015. Für das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik, DIE, hätte dies den Verlust von circa zwei Drittel seiner Stellen für Wissenschaftler zur Folge - mit entsprechend negativen Auswirkungen auf seinen Ruf als international angesehenes Forschungsinstitut der Entwicklungspolitik. Zudem würde die Entwicklungsforschung dann auf das vorherige, quantitativ unzureichende Niveau zurückgeworfen. Ich denke, dies sollten wir verhindern. Noch ein Wort zum Klima. Deutschland ist eines der Spitzenländer bei der Klimafinanzierung. Dennoch müssen wir einplanen, unseren Beitrag in den kommenden Jahren noch einmal deutlich anwachsen zu lassen, wenn wir einen angemessenen Anteil an den 100 Milliarden US-Dollar leisten wollen, die die internationale Gemeinschaft den Entwicklungsländern in Kopenhagen versprochen hat. ({8}) Dabei dürfen wir nicht übersehen, dass unsere Finanzleistungen - auch wenn wir da in Vorleistung gehen müssen - das Gegenstück zu den Verpflichtungen der Entwicklungsländer sind, ihren CO2-Ausstoß zu mindern oder wenigstens nicht zu erhöhen. Meine Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, wie schon eingangs gesagt: Dies ist ein sehr guter und solider Haushaltsentwurf. Lassen Sie uns jetzt zusammenarbeiten, um ihm den letzten Schliff zu geben! Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({9})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Für die Fraktion Die Linke erteile ich jetzt das Wort Heike Hänsel. ({0})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Solide“ scheint das neue Wort für „nicht ausreichend“ zu sein. Wir haben ganz neue Sprachschöpfungen. Hier wurden viele Krokodilstränen über den diesjährigen Entwicklungshaushalt vergossen, auch von Ihnen, Frau Kofler. Aber da muss ich Ihnen allen sagen: Das sind die Folgen der Politik, der Sie alle zugestimmt haben, nämlich unter anderem der Einführung der Schuldenbremse ({0}) bei gleichzeitiger Nichterhöhung von Steuern. Das sind die Folgen. Davor haben wir immer gewarnt. Wir haben jetzt nicht genügend Geld für dringende globale Herausforderungen und internationale Verpflichtungen - wegen all der Maßnahmen, denen Sie hier zugestimmt haben. Das zeigt sich leider auch im Entwicklungshaushalt. Das ist eine Folge. ({1}) Dadurch sind natürlich auch viele der guten Ankündigungen von Ihnen, Herr Müller, nicht sehr glaubwürdig. ({2}) Wenn man sich anschaut, wie sich der Haushalt gegenüber dem Vorjahr entwickelt, stellt man fest: Es gibt einen Aufwuchs um 147 Millionen Euro. Das ist schon einmal nicht so viel, wie im Koalitionsvertrag festgelegt worden ist. Dadurch erschließt sich sicher auch, warum der Kollege Sascha Raabe sich rechtzeitig abgesetzt hat. Ihm schwante wohl schon, was hinten dabei herauskommt. Wenn man dann auch noch die Klimagelder, die jetzt plötzlich im Entwicklungshaushalt verbucht werden und zum großen Teil eigentlich schon durch Verpflichtungsermächtigungen gebunden sind, abzieht, dann landen wir bei 8 Millionen Euro realem Aufwuchs, und das ist natürlich, gelinde gesagt, eine Schande, eine Schande im Hinblick auf den Entwicklungsanspruch. ({3}) In Deutschland - das wurde auch schon erwähnt - stagniert dadurch die ODA-Quote, der Anteil der Entwicklungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt, bei 0,37 Prozent. Die Große Koalition kann daran eigentlich sehen, dass sie mit ihrer Verweigerungspolitik gegenüber Steuererhöhungen - damit schonen Sie nur die Vermögenden in diesem Land - keinen Haushalt aufstellen kann, der den Anforderungen von sozialer Gerechtigkeit, Armutsbekämpfung, Entwicklung, Klimaschutz und Friedenspolitik gerecht werden kann. Ohne weltweite Umverteilung und auch ohne eine Umverteilung in diesem Land können Sie keine gerechte Politik machen. ({4}) Wir haben viele Vorschläge gemacht. Die Finanztransaktionsteuer wurde bereits genannt. Viele kämpfen seit Jahren dafür, dass die Erlöse daraus für die Bekämp2416 fung von Armut eingesetzt werden. Aber da sieht es ganz dunkel aus. Es gibt immer nur Ankündigungen, aber keine Umsetzungen. Unsere weiteren Vorschläge sind: Millionärsteuer, Vermögensteuer, aber auch die konsequente Streichung von Rüstungs- und Militärausgaben. All das wären Möglichkeiten, um deutlich zu machen: Wir wollen Entwicklung finanzieren, und wir können es auch. ({5}) Schauen wir uns einmal die Prioritäten in der Politik an. Man kann sich zum Beispiel ausrechnen, dass dieses Jahr allein für die drei neuen Militäreinsätze, die wir in letzter Zeit beschlossen haben, 31 Millionen Euro ausgegeben werden. Das ist fast viermal so viel wie der Aufwuchs von 8 Millionen Euro im Entwicklungsetat. Im Fall der Ukraine haben Sie ebenfalls schnelle Ankündigungen gemacht, Herr Müller. Hier verdoppeln Sie den Betrag ganz locker von 20 Millionen auf 40 Millionen Euro. Da frage ich mich schon, woher das Geld kommen soll. Hinzu kommt aber noch, dass die Ukraine derzeit von einer nicht demokratisch legitimierten Regierung vertreten wird, an der faschistische Parteien beteiligt sind. Der Agrarminister gehört beispielsweise der Swoboda-Partei an. Da frage ich mich, wie man bei der Zusammensetzung der derzeitigen Regierung in der Ukraine ein derart falsches Signal setzen und damit rechte Parteien hoffähig machen kann. Wir lehnen diese Politik ab. ({6}) Über Syrien und die Vernichtung der C-Waffen haben wir heute debattiert. Ich halte das Entsenden der Fregatte ins Mittelmeer für überflüssig. ({7}) 12 Millionen Euro sollen dafür ausgegeben werden. ({8}) Gleichzeitig fehlt beispielsweise viel Geld für das World Food Programme. Sie brauchen für die syrischen Flüchtlinge in diesem Jahr 2 Milliarden Dollar. Sie haben uns im Ausschuss aber mitgeteilt, dass bisher erst 10 Prozent finanziert sind. Ich habe im EZ-Haushalt keine Aufstockung der Mittel für das World Food Programme gesehen. Wir fordern daher eine deutliche Erhöhung der Mittel für die syrischen Flüchtlinge, und wir fordern zudem einen Sondertitel im EZ-Haushalt, um im Rahmen der Übergangshilfe mehr für syrische Flüchtlinge machen zu können. ({9}) Ich komme zum Beitrag für den Europäischen Entwicklungsfonds. Hier kritisieren wir seit Jahren, dass nach wie vor Steuergelder für Militärmissionen der Europäischen Union im Rahmen der sogenannten AfrikaFriedensfazilität verwendet werden. Diese Finanzierung ist übrigens rechtlich eigentlich nicht zu vertreten; denn das Europaparlament kann darüber gar nicht entscheiden. Deshalb unsere konkrete Forderung an Sie, Herr Müller: Setzen Sie sich dafür ein, dass der Europäische Entwicklungsfonds für rein zivile Zwecke verwendet wird! Wir wollen eine Zivilklausel für die Ausgaben auf europäischer Ebene. ({10}) Wir fordern außerdem seit längerem die Einführung sowohl eines afrikanischen zivilen Friedensdienstes wie auch eines europäischen zivilen Friedensdienstes. Das wären gute Antworten auf die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Sie selbst, Herr Müller, sagen, dass wir die Probleme in diesen Ländern militärisch nicht lösen können. Wir brauchen hingegen mehr Instrumente. Die Arbeit des zivilen Friedensdienstes stagniert leider im Moment. Für ihn wird weniger Geld zur Verfügung gestellt als für die neuen Militäreinsätze, die beschlossen wurden. Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass Sie neue Regeln für den Markt erwähnt haben, Herr Müller. Aber auch da appelliere ich an Sie: Schauen Sie sich einmal die EU-Handelspolitik an! Wir sehen nicht nur beim EU-USA-Abkommen, sondern auch bei den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Afrika Probleme. Mit dieser Handelspolitik wird dereguliert, aber es werden keine neuen Regeln für den Markt eingeführt. Das ist für viele Länder des Südens ein Riesenproblem. Deadline ist der 1. Oktober. Ab diesem Zeitpunkt müssen etliche afrikanische Länder viel mehr Zölle auf ihre Ausfuhren in die EU zahlen. Wir halten das für sittenwidrig, weil dadurch in diesen Ländern viel zerstört wird. Herr Müller, deshalb fordern wir Sie auf: Setzen Sie sich für einen Stopp dieser Wirtschaftspartnerschaftsabkommen ein! Dann können Sie die Politik, die Sie hier ankündigen, auch umsetzen. Herzlichen Dank. ({11})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist die Kollegin Sonja Steffen, SPD-Fraktion. ({0})

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich, dass ich in dieser Legislaturperiode Mitglied im Haushaltsausschuss bin. Ich freue mich noch mehr, dass ich meinen Wunsch-Einzelplan erhalten habe, nämlich den Einzelplan für Entwicklungszusammenarbeit. Ich merke allerdings bei der Einarbeitung in das Thema, dass ich Schwierigkeiten habe, weil ich bei manchen Fragen zwischen zwei Welten stehe. Auf der einen Seite schlägt in mir natürlich das Herz einer Unterstützerin der weltweiten Armutsbekämpfung, auf der anderen Seite weiß ich aber auch, dass ich als Haushälterin auf den vereinbarten Konsolidierungskurs der Großen Koalition pochen muss. ({0}) Es gilt also, einen Weg zu finden zwischen vernünftiger Haushaltspolitik auf der einen Seite und den finanziellen Verpflichtungen und Verantwortungen, die wir im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit haben, auf der anderen Seite. ({1}) Die uns zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel - da gebe ich meinen Vorrednern recht - führen, gerade vor dem Hintergrund des ehrgeizigen Ziels der Schuldenreduzierung, zu einem sehr begrenzten Spielraum. Mit einem Etat von 6,44 Milliarden Euro haben wir im Vergleich zum gesamten Bundeshaushalt einen recht deutlichen Aufwuchs zu verzeichnen. Frau Hajduk, ich habe übrigens ausgerechnet, dass es 2,3 Prozent sind. Dabei habe ich die Zahlen des Jahres 2013 zugrunde gelegt. Sie haben vorhin 3,7 Prozent genannt. Dabei ist natürlich klar, dass sich viele an dieser Stelle mehr gewünscht hätten; selbstverständlich auch wir Sozialdemokraten. Insgesamt stellen wir in dieser Legislaturperiode 2 Milliarden Euro an ODA-Mitteln mehr zur Verfügung, als die mittelfristige Finanzplanung der schwarz-gelben Koalition ursprünglich vorsah. Es gibt in dieser Woche aktuelle Zahlen. 2013 beträgt die ODA-Quote 0,38 Prozent. Wie es im Moment aussieht, werden wir die ODAQuote in dieser Legislaturperiode zumindest halten. ({2}) Unser ursprüngliches ODA-Ziel von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens in 2015 werden wir aller Voraussicht nach nicht erreichen. Ich verweise an dieser Stelle darauf, dass in Großbritannien die ODA-Quote sehr gut erreicht ist. Dort beträgt sie 2013 0,72 Prozent. Das liegt unter anderem daran, dass Großbritannien diesen Etat vor die Klammer zieht. Unabhängig von der jeweiligen Regierungskonstellation diskutiert man dort nicht über den Aufwuchs in diesem Etat, sodass man die ODA-Quote jetzt gut erreicht hat. ({3}) Wir sollten uns allmählich ernsthafte Gedanken darüber machen, wie es mit diesen Zielen auch bei uns weitergehen soll. Außerdem dürfen wir die bereitgestellten 2 Milliarden Euro nicht als Deckel betrachten, erst recht nicht als geschlossenen Deckel, sondern sie können nur ein Minimum an zur Verfügung gestellten Mitteln im Bereich der internationalen Zusammenarbeit sein. Das haben Sie, Herr Minister Müller, gerade schon gesagt. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin froh, dass wir zumindest erreicht haben, dass der Abwärtstrend, der während der schwarz-gelben Koalition leider entstanden ist, die sogenannte Niebel-Delle - darüber ist heute schon geredet worden -, endlich beendet werden konnte und dass es mit der Entwicklungspolitik endlich wieder aufwärts geht. 2014 wird in diesem Einzelplan nicht gekürzt, auch nicht, zumindest wenn es nach mir geht, in der Bereinigungssitzung. Der Etat des Entwicklungsministeriums wird im Vergleich zum Haushalt 2013 um 147 Millionen Euro aufwachsen und im Vergleich zum ersten Regierungsentwurf von CDU/CSU und FDP sogar um 160 Millionen Euro steigen. Es liegt an uns, diesen Spielraum an Aufwuchs, den wir haben, qualitativ und inhaltlich möglichst sinnvoll umzusetzen. Sehr geehrte Damen und Herren, Anfang des Jahres war ich in Vietnam und habe mir die Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung angeschaut. Wir haben Parlamentarier besucht, wir haben mit ihnen über das Sozialversicherungswesen diskutiert. Ich konnte mir nicht nur ein Bild von den dortigen Verhältnissen machen, sondern auch von der wirklich großartigen Arbeit, die von den Stiftungen vor Ort geleistet wird. Dabei ist mir die Bedeutung des politischen Dialogs und der Beratung mit und in den Partnerländern sehr eindrucksvoll bewusst geworden. Diese Arbeit ist vielleicht auf den ersten Blick viel weniger greifbar, als wenn Schulen oder Brunnen gebaut werden, aber langfristig kann sie sehr nachhaltig sein. Wir wollen uns deshalb im parlamentarischen Verfahren die entsprechenden Zahlen im Einzelplan noch einmal ganz genau anschauen. ({4}) Ich denke, dass wir die Stiftungen und auch andere zivilgesellschaftliche Einrichtungen - Frau Kofler hat vorhin schon den Zivilen Friedensdienst genannt - noch stärker unterstützen müssen, als dies im gegenwärtigen Haushaltsentwurf vorgesehen ist. ({5}) Insbesondere die Arbeit dieser Einrichtungen wird in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen, wenn es um die Begleitung demokratischer Prozesse in den Transformationsstaaten geht, also in den Staaten, die sich gerade im politischen Umbruch befinden. Durch sinnvolle Unterstützung vor Ort können wir unseren Teil dazu beitragen, dass diese Staaten demokratische und rechtsstaatliche Strukturen erhalten, dass Konflikte eingedämmt werden und dass Menschenrechte verwirklicht werden können. Hier schließt sich auch die Flüchtlingsproblematik an, die Sie, Herr Minister, in einer Ihrer drei Sonderinitiativen aufgreifen möchten. Die Bilder der syrischen Bevölkerung und insbesondere der syrischen Flüchtlinge sind uns allen präsent. Nicht nur Sie, Herr Minister, blicken voller Sorge auf die Flüchtlingscamps im Libanon und in Jordanien. Ich freue mich deshalb über den neuen Schwerpunkt „Fluchtursachen bekämpfen, Flüchtlinge reintegrieren“, für den im Haushalt 70 Millionen Euro veranschlagt worden sind. Insgesamt ist die Flüchtlingsproblematik tatsächlich sehr vielschichtig. Den besten Beitrag können wir leisten, indem wir helfen, dass die Menschen nicht mehr gezwungen sind, ihre Gebiete, ihre Heimat zu verlassen. Denn eines steht fest: Niemand flüchtet ohne Not aus seiner Heimat. ({6}) Aber es geht dabei auch um die aktuelle Situation in den Flüchtlingscamps und um die Zukunft im Aufnahmeland, übrigens auch in Deutschland. Eine weitere Sonderinitiative soll der weltweiten Bekämpfung von Hunger und Unterernährung dienen. Auch bei dieser Aufgabe, Herr Minister, sind wir Sozialdemokraten ganz an Ihrer Seite. Bei einer Reise in ein Entwicklungs- oder Schwellenland wird man sich einmal mehr bewusst, welch hohen Lebensstandard wir in Deutschland haben und auf welch hohem wirtschaftlichen Niveau wir hier leben. Es versteht sich daher von selbst, dass es unsere gesamtgesellschaftliche Verantwortung ist, dort Unterstützung und Hilfe zu leisten. Dieses Prinzip gilt für uns Sozialdemokraten innerhalb Deutschlands genauso wie weltweit. ({7}) Wir können und wollen es nicht hinnehmen, dass nach wie vor mehr als 800 Millionen Menschen weltweit an Hunger leiden. Zum Schluss eine kameralistische Anmerkung. Es gibt eine Besonderheit im Haushaltsplan: Die Sonderinitiativen sind nicht in einzelnen Titeln ausgewiesen, sondern es werden global Gelder veranschlagt, ohne diese auf einzelne Titel zu verteilen oder sie bestimmten Institutionen und Instrumenten zuzuordnen. Es ist daher im Moment noch nicht klar, durch wen, wie und wo genau diese Gelder verwendet werden, zumal die Mittel dieser drei Initiativen auch noch untereinander deckungsfähig sein sollen. Dies ermöglicht auf der einen Seite Flexibilität - die wünscht man sich -; auf der anderen Seite besteht aber auch die Gefahr, dass die Mittelverwendung undurchsichtig wird. Ich denke, das kann nicht im Interesse unseres Parlaments liegen. Ich kann Ihnen deshalb versichern, lieber Herr Minister, dass die SPD-Bundestagsfraktion Sie bei der Umsetzung der Sonderinitiativen tatkräftig unterstützen wird. Allerdings werden wir auch genau darauf achten, dass die Mittel sinnvoll und breitenwirksam eingesetzt werden. Denn es gilt, was Sie schon oft betont haben: Jeder Euro soll tatsächlich in der Entwicklungshilfe ankommen. Vor diesem Hintergrund freue ich mich auf spannende und konstruktive Haushaltsberatungen. Vielen Dank. ({8})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Für Bündnis 90/Die Grünen erhält jetzt Uwe Kekeritz das Wort.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Müller, sicherlich erinnern Sie sich noch an die Reaktionen auf Ihre erste Rede hier im Parlament. Sie waren sehr positiv, und sie waren zu Recht positiv. Wir sind uns aber schon damals einig darüber gewesen, dass nicht Worte zählen, sondern Taten. Ihre Worte sind oftmals verblüffend klar, so auch Ihre Aussage zur Fußballweltmeisterschaft in Katar. Respekt! ({0}) Sie sagten: Die Entscheidung für Katar war falsch, und die FIFA solle sie zurücknehmen. - Das findet unsere Unterstützung. Das waren richtige und gute Worte. Es fragt sich nur: War das nur für die Presse, oder folgt da noch etwas? Wir sind davon überzeugt, dass der Prozess politisch begleitet werden sollte, und wir unterstützen Sie dabei. ({1}) Hervorragend klingt auch Ihre entschlossen wirkende Aussage zu einem Nachhaltigkeitssiegel im Textilbereich, mit dem die soziale Strukturen in vielen Ländern verbessert werden könnten. Ich habe zu diesem Thema eine Kleine Anfrage gestellt, auf die ich eine Antwort aus Ihrem Haus bekommen habe. Sie haben weder in Bezug auf die Ausgestaltung noch in Bezug auf die Umsetzung des Siegels eine Vorstellung. Das Ministerium weiß auch nicht, ob es eine Weiterentwicklung eines bestehenden Siegels oder ob es ein neues Siegel werden soll. Soll es ein Dachsiegel, ein staatliches oder ein privates Siegel werden? Sie wissen ebenfalls nicht, wie die Zivilgesellschaft eingebunden wird. All diese Fragen kann das Ministerium nicht beantworten. Das ist schade, wenn man eine solche PR-Kampagne macht. Ich will Sie nicht entmutigen. Bitte machen Sie weiter! Sie haben unsere Unterstützung. Aber ich muss leider feststellen - das ist vorhin nicht ganz objektiv formuliert worden -: Sie haben die Tendenz, die Zivilgesellschaft zu vergessen. Das sollten Sie gerade in diesem Fall auf keinen Fall tun; denn sie ist von zentraler Bedeutung für die Einführung eines vernünftigen Siegels. ({2}) Leider wird auch beim Haushalt deutlich, dass Ihre Ankündigungen - sagen wir mal - eine kurze Halbwertszeit besitzen. Sie haben zwar mit dem Kappen Ihres Vorgängers aufgeräumt, aber die Rechentricks, die er verwendet hat, verwenden Sie auch. Sie sprechen zum Beispiel davon, dass der Etat um 160 Millionen Euro steigt. Darüber haben wir genug gesprochen, das muss ich nicht weiter ausführen. Sie täuschen damit uns und die Öffentlichkeit. Dass so etwas nicht funktioniert, Herr Minister, müssten Sie wissen, vor allen Dingen müsste das Ihr Staatssekretär Herr Kitschelt wissen, der vier Jahre lang Erfahrung in diesem Bereich gesammelt hat. Ich sage Ihnen: Weder die Opposition noch die Zivilgesellschaft lassen sich hinters Licht führen. ({3}) Um ehrlich zu sein: Effektiv kommen 8 Millionen Euro mehr heraus. Meine werten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, kommen Ihnen da nicht die Tränen? Sie haben im Wahlkampf das 125-Fache davon geforUwe Kekeritz dert. Der angekündigte großartige Paradigmenwechsel kann so nicht funktionieren. ({4}) Zum Thema Landwirtschaft. Herr Minister, wir begrüßen natürlich außerordentlich, dass Sie das Thema ländliche Entwicklung endlich oben auf die Agenda gesetzt haben. Aber bitte erklären Sie uns doch einmal, wie Sie die Mittel für den Kampf gegen den Hunger ohne Etataufwuchs auf 1 Milliarde Euro erhöhen wollen? Wo kommen die 300 Millionen her? Wenn Sie die irgendwo aus Ihrem Etat herausnehmen, dann heißt das, Sie kürzen bei der Gesundheit, der Bildung oder beim Klimaschutz, und all das ist nicht akzeptabel. Ihr Schulterschluss mit der Agrarlobby - auch darüber haben wir schon gesprochen - ist für mich auch ein großes Problem. Sie postulieren, dass Sie die Wertschöpfungsketten in den afrikanischen Entwicklungsländern aufbauen wollen, gleichzeitig arbeiten Sie mit der German Food Partnership zusammen. Sie setzen also doch lieber auf Syngenta, Bayer oder BASF statt auf die Menschen vor Ort ({5}) - doch, Frau Pfeiffer -, die mit unserer westlichen Technologie oftmals große Schwierigkeiten haben. Wir brauchen keine neuen Exportförderungsinitiativen und auch keine Subventionierung dieser Firmen, sondern wir brauchen Ernährungssouveränität vor Ort. ({6}) In Kapitel 6 des Afrika-Konzeptes des BMZ, das die Überschrift hat „Afrika kann sich selbst ernähren“, propagieren Sie afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme. In dieser Aussage stecken zwei entscheidende Fehler: Zum einen sind die afrikanischen Lösungen keine afrikanischen Lösungen, sondern rein westliche Lösungen für Afrika. Diese Lösungen sind rein wachstumsorientiert. Sie basieren auf massiver Expansion der Bewässerungstechnologie mit einseitigem Fokus auf Großprojekten einschließlich gentechnisch verändertem Saatgut. Das heißt also auch, dass Dünger und Pestizide gekauft werden müssen - von Monsanto oder Syngenta. Damit befördert das BMZ ökonomische Abhängigkeiten und schadet den kleinbäuerlichen Strukturen. Das steht in einem krassen Widerspruch zu Ihren vorgegebenen Zielen. ({7}) Die Aussage „afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme“ lenkt - das ist der zweite Fehler - davon ab, dass afrikanische Probleme nicht nur afrikanische Ursachen haben. Die Subventionierung der westlichen Landwirtschaft mit täglich über 1 Milliarde Dollar, die erzwungene Marktöffnung, unsere verfehlte Klimapolitik, der Waffen-, insbesondere der Kleinwaffenhandel, das chaotische globale Finanzsystem usw. usf. sind auch Basis für den Hunger in Afrika. Diese Fakten werden im Afrika-Konzept schlicht ignoriert. Wir müssen endlich damit anfangen, die Verhältnisse auch hier zu ändern, damit sich die Verhältnisse dort verbessern. ({8}) Zum 0,7-Prozent-Ziel ist schon etwas gesagt worden. Ich glaube, Sie verabschieden sich hochoffiziell davon. Sie sollten das endlich zugeben. Da ich erst 35 Sekunden überzogen habe, noch eine ganz simple Frage zum Schluss ({9}) - Herr Minister, vielleicht können Sie die ja beantworten -: Wieso werden 850 000 Euro aus dem Entwicklungsetat für die griechischen Initiativen Ihres Staatssekretärs Fuchtel bereitgestellt? Ich habe ja nichts dagegen, dass er das Geld bekommt. Aber aus Ihrem Etat? ({10}) - Das kommt zusätzlich. Aha. ({11}) Ich bedanke mich für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit. ({12})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächster Redner ist Jürgen Klimke, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jürgen Klimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003565, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir setzen in den Haushaltsberatungen die richtigen Schwerpunkte, und zwar nicht nur für Griechenland, wie wir gerade gehört haben. Vielmehr hat es auch Bundesminister Gerd Müller bewiesen: Mit dem zusätzlichen ODA-Paket von über 2 Milliarden Euro bis 2017 gehen wir große Herausforderungen an. Zu nennen sind: der Einsatz für eine Welt ohne Hunger, die verstärkte Bekämpfung von Fluchtursachen und die Stabilisierung von Nordafrika und Nahost. Das sind die Themen von drei Sonderinitiativen, mit denen der Minister neue Akzente setzt. Wenn wir auf den Einzelplan 23 schauen, dann fragen wir natürlich auch - diese Frage ist hier mehrfach gestellt worden -: Werden unsere Erwartungen erfüllt? Der kleine Prinz sagt in dem Buch von Antoine de SaintExupéry: Um klar zu sehen, reicht oft ein Wechsel der Blickrichtung. Also: Gucken wir vielleicht einmal nicht auf die Zahlen, sondern woanders hin. Dieser Haushaltsentwurf macht deutlich, dass wir endgültig mit dem Begriff „Entwicklungshilfe“ abschließen, Kollege Leutert. ({0}) Ziel unserer Maßnahmen ist es, Ursachen für Hunger, für Flucht und Vertreibung an der Wurzel zu packen und ein Fundament für eine nachhaltige und langfristige wirtschaftliche Zusammenarbeit in unseren Partnerländern zu legen. Es geht nicht so sehr um einseitige Hilfe. ({1}) Wir setzen auf Kooperation auf Augenhöhe, und wir setzen auf Kooperation zum Beispiel mit der Wirtschaft. Das tun Sie nicht. Deutschland kann mit einer modernen Entwicklungszusammenarbeit, die den Partnern Know-how und eine Wirtschaftsstruktur anbietet, dazu beitragen, dass immer weniger Länder auf dieser Welt am Tropf bilateraler und multilateraler Geber hängen. Damit sage ich nicht, alles sei in bester Ordnung, aber ich will damit doch deutlich machen, dass wir auf einem richtigen Weg sind. Dies verdanken wir auch den Reformen und den gemeinsamen Anstrengungen der letzten Jahre. Ich beschreibe die Werkzeuge unserer Entwicklungszusammenarbeit gerne mit den Stichworten Konditionierung, Evaluierung und Effektivierung. Konditionierung heißt: Verbesserungen, aber auch Verschlechterungen in unseren Partnerländern haben Konsequenzen für die Zusammenarbeit. Als Grundlage dient dabei das Menschenrechtskonzept des BMZ. Dabei gehen wir international mit einem guten Beispiel voran. Evaluierung bedeutet, dass man die Wirkung des entwicklungspolitischen Einsatzes überprüft. Das erfordert eine ganz andere Herangehensweise als bisher. Zukünftig evaluieren wir eben nicht nur die Umsetzung der Maßnahmen, sondern wir prüfen intensiv, ob der erhoffte entwicklungspolitische Nutzen eben auch eintritt. Effektivierung ist das dritte Stichwort. Mit einem begrenzten Mitteleinsatz muss das Geld effizient eingesetzt werden, um größtmögliche Wirkungen hervorzubringen. Dabei konzentrieren wir uns in dieser Legislaturperiode thematisch und regional, und wir stimmen uns intensiver - auch das ist unser Vorhaben - mit den anderen Gebern ab. Dies hat einen ganz wichtigen Stellenwert in diesem Zusammenhang. Nachhaltige Entwicklungspolitik muss nicht immer Geld kosten. Es geht auch darum, richtige neue Schwerpunkte zu setzen. Hier, lieber Herr Minister, haben Sie einen ganz wichtigen Schritt getan. Ihre Initiierung eines Textilsiegels, das noch in diesem Jahr eingeführt werden soll und das soziale und ökologische Mindeststandards beinhalten soll, begrüßen wir außerordentlich. Sie haben völlig recht, dass die Textilbranche sowie die großen Händler in Deutschland ihrer Verantwortung bisher nicht genügend nachgekommen sind. Hier brauchen wir den Druck der Steuerzahler und der Verbraucher; gerade in diesem Bereich sind die Verbraucher sehr sensibel. Das wird an den anderen Siegeln, die es gibt, deutlich. Das Fairtrade-Siegel und die Biosiegel im Lebensmittelbereich sind zum Beispiel gute Vorbilder. Im Textilbereich fehlt bisher solch ein Leuchtturm. Ein Textilsiegel wird zu einer Rückkopplung bei den Unternehmen führen und wird zum Beispiel auch erreichen, dass sich die Corporate-Social-ResponsibilityStrategie von Händlern ändert. Wichtig ist, dass die Branche es zumindest in weiten Teilen mitträgt und dass wir es gemeinsam mit der Wirtschaft, mit den Unternehmen erarbeiten. Zudem denke ich, dass am Ende eines solchen Prozesses auch ein europäisches Textilsiegel stehen sollte. Unternehmen, die in den Produktionsländern diese höheren Standards erfüllen, können dann eben mit dem Social-made-Siegel werben und den Verbraucher informieren, dass er sozial verantwortungsvoll und ökologisch nachhaltig handelt, wenn er ein T-Shirt mit diesem Siegel kauft. Umgekehrt werden Unternehmen, die das Siegel nicht besitzen, in Erklärungsnot kommen. Der Verbraucher legt dann eben dieses T-Shirt beiseite und kauft es nicht. Insbesondere wenn Markenkleidung, die hier in Deutschland teuer verkauft wird, nicht dieses Siegel hat und wenn bei deren Produktion nicht einmal die Mindeststandards in Bangladesch erfüllt werden, wird der Verbraucher sagen, dass er diese teuren Kleidungsstücke nicht kauft. Wir schließen also mit diesem Siegel eine wichtige Lücke. Deshalb unterstützen wir diese Initiative des Ministers. Mit diesem Beispiel möchte ich auch verdeutlichen, dass Entwicklungspolitik mehr ist als die reinen Zahlen in diesem Haushaltsentwurf. Auch wenn der finanzielle Spielraum für Initiativen eng gesteckt ist, wie wir gesehen haben, haben wir doch wegweisende neue Projekte, die nicht in den Hintergrund treten dürfen und die wir auch in diesem Zusammenhang künftig sehr stark unterstützen werden. Herzlichen Dank. ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Stefan Rebmann, SPD-Fraktion. ({0})

Stefan Rebmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004214, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus einigen der bisherigen Redebeiträge zum Haushaltsentwurf war ja durchaus auch Kritik am Entwicklungsetat und Unmut über die Höhe des Entwicklungsetats herauszuhören. Ich muss gestehen: Auch ich bin nicht gerade glücklich über den Entwurf und die Höhe der Mittel, die uns zur Verfügung stehen. Denn kaum ein Etat ist so sensibel wie der Entwicklungshaushalt. Hinter all den Geldbeträgen stehen nicht nur Entwicklungsprojekte und wichtige Vorhaben, nein, dahinStefan Rebmann ter stehen, so eng verknüpft und so unmittelbar betroffen wie bei kaum einem anderen Etat, Menschen, die oftmals unter Umständen leben müssen, die für uns hier nicht vorstellbar sind. Für diese Menschen machen wir auch Entwicklungspolitik. Dafür, dass wir in der Entwicklungspolitik schon viel erreicht haben und unser Engagement Früchte getragen hat, gibt es zahlreiche Belege. Durch das Engagement der Weltgemeinschaft haben wir Polio nahezu ausgerottet. Seit 2000 wurden 8,5 Millionen Poliofälle durch Impfungen verhindert, und die Erkrankungen sind seither um weit über 95 Prozent gesunken; einzelne gehen sogar von 99 Prozent aus. Die WHO schätzt, dass in den nächsten 20 Jahren allein in den Entwicklungsländern 40 bis 50 Milliarden US-Dollar an Behandlungs- und Folgekosten gespart werden können, wenn wir denn weiterhin impfen. Deshalb will ich auch die erfolgreiche Arbeit der GAVI-Allianz, die Impfmaßnahmen in armen Ländern unterstützt, hier hervorheben. In den letzten 12 bis 13 Jahren sind laut GAVI in Entwicklungsländern über 300 Millionen Kinder zusätzlich geimpft worden. Das sind zweifellos erfreuliche Zahlen. ({0}) Zur Wahrheit gehört aber auch, dass nach wie vor 200 Millionen Menschen an Krankheiten wie Malaria, Gelbfieber, Denguefieber und anderen Krankheiten, die bei uns überhaupt nicht bekannt sind, erkranken. Allein an Malaria sterben jährlich 600 000 Menschen, darunter sehr viele Kinder. Das ist in jedem Einzelfall eine Tragödie, die sehr oft leicht zu verhindern gewesen wäre, und zwar durch Impfungen, den Zugang zu Medikamenten, zu sauberem Wasser und zu Nahrung sowie oft einfach auch durch Bildung und Aufklärung. Es ist auch gesamtgesellschaftlich und ökonomisch betrachtet eine Katastrophe. Krank zu sein oder gar schwer zu erkranken, fällt in Entwicklungsländern ungleich schwerer ins Gewicht als in Industrieländern wie dem unseren mit einem funktionierenden sozialen Gesundheitssystem. In den ärmsten Ländern der Welt gilt: Wer krankheitsbedingt ausfällt, kann nicht arbeiten. Wer nicht arbeiten kann, kann sich und seine Familie nicht ernähren, kann seinen Kindern keine Schulbildung ermöglichen und vieles mehr. Dadurch werden Entwicklung, Lebenschancen und Perspektiven behindert oder gar verunmöglicht - eine Kette, die wir endlich unterbrechen müssen. ({1}) Auch deshalb ist unser Engagement im gesamten Gesundheitsbereich gerade im Hinblick auf Impfungen und Aufklärungskampagnen so elementar wichtig. Gesundheit ist Grundvoraussetzung für eine funktionierende Volkswirtschaft und für menschliche Entwicklung. Ohne Gesundheit laufen auch die besten Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit ins Leere. Ein angemessenes Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit ist natürlich nur dann möglich, wenn die Voraussetzungen dafür auch adäquat und ausreichend sind. Was das angeht, habe ich so meine Zweifel. Im aktuell vorliegenden Haushaltsplan ist gegenüber dem Vorjahr ein Aufwuchs von 5 Millionen Euro für die Impforganisation GAVI vorgesehen. Ja, das ist ein Zuwachs, aber ein kleiner und ein zu kleiner, wie ich meine. Impfungen sind teuer, aber effektiv. Ein bisschen Impfen bringt halt nichts. Deshalb glaube ich, dass wir mehr Mittel brauchen, als bisher eingeplant sind. Dies lässt sich durch Umschichtungen im Gesamthaushalt realisieren. Im Übrigen halte ich es auch für notwendig, dass sich Deutschland aktiv um die GAVI-Wiederauffüllungskonferenz 2015 bemüht. Für den „Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria“ sieht der Entwurf ein Aufstocken von 40 Millionen Euro für das Haushaltsjahr 2014 vor. Das ist gut. Aber auch da sage ich: Das ist nicht ausreichend. Vor allem aber ist nicht klar ersichtlich, wie sich die Finanzierung in den Jahren 2015 bis 2017 aufwachsend weiterentwickeln soll. Um wirklich wirksam und effektiv gegen vernachlässigte Krankheiten und Seuchen wie Polio und Ebola sowie gegen die großen Killer Aids, Malaria und Tuberkulose vorgehen zu können, brauchen wir ein deutliches Mehr. ({2}) Der deutsche Beitrag zum Globalen Fonds muss meiner Ansicht nach innerhalb dieser Legislaturperiode auf 400 Millionen Euro aufgestockt werden. Ich finde, dazu sind Mittel im Gesamthaushalt durchaus vorhanden und dafür lohnt es sich auch zu kämpfen, Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Nebenbei bemerkt: In unserer globalisierten, mobilen Welt ist es auch keinesfalls so, dass hochansteckende Krankheiten vor den Grenzen Europas haltmachen. Die aktuellen Poliofälle unter den syrischen Flüchtlingen und Ebola in Afrika, wo einer von zehn Erkrankten überlebt, sind nur wenige Flugstunden von uns entfernt. Dabei wird deutlich: „Fast ausgerottete“ Krankheiten sind eben nur fast ausgerottet, sie können jederzeit wieder ausbrechen und sich sehr schnell verbreiten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Gesundheitsbereich steht nur exemplarisch für die generelle Ausstattung des Gesamtetats Entwicklung. Auch im Bereich „Ziviler Friedensdienst“ gibt es seit Jahren keinen Aufwuchs mehr - die Kollegin Bärbel Kofler hat darauf hingewiesen -, und das, obwohl die Evaluierung positiv ausgefallen ist und belegt hat, wie wichtig und nützlich dieses Instrument ist. Der Ruf nach zivilen Helfern, nach Friedensfachkräften, nach ziviler Entwicklungszusammenarbeit ist wesentlich deutlicher und lauter zu vernehmen als alles andere. Der verteidigungs- und außenpolitische Bereich ist dann im Fokus, wenn die Eskalationsstufe bereits auf Rot steht. Entwicklungspolitik muss wesentlich früher ansetzen und tut es auch, damit es erst gar nicht zur Eskalationsstufe Rot kommt. ({4}) Entwicklungspolitik ist nachhaltig und immer noch vor Ort - nahezu geräuschlos -, wenn die Scheinwerfer der medialen Öffentlichkeit schon längst abgebaut sind. Kolleginnen und Kollegen, nachhaltige Entwicklung fordert langfristiges und finanziell abgesichertes Engagement. Ich komme zum Schluss. Ich finde, die Aufstockung um 2 Milliarden Euro für die kommenden vier Jahre spiegelt nur zum Teil die wichtige Rolle wider, die Deutschland beigemessen wird und die wir auch selber vor den Vereinten Nationen und im Rahmen der Verhandlungen über die ODA-Quote zugesagt haben. Wir alle wissen aber um das Struck’sche Gesetz; insofern sehe ich den kommenden Beratungen zuversichtlich entgegen. Liebe Kollegin Weiss, ich kämpfe gerne mit dir darum, dass freiwerdende finanzielle Mittel, wie es im Koalitionsvertrag steht, nicht nur zu einem Drittel zur Entlastung der Kommunen bereitgestellt werden - vielleicht erreichen wir es auch gemeinsam, dass ein weiteres Drittel zur Bekämpfung der Armut in der Welt zur Verfügung gestellt wird. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden unseren Beitrag dazu leisten. ({5}) Herzlichen Dank. ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion erhält jetzt das Wort der Kollege Peter Stein. ({0})

Peter Stein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004416, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine vergleichbar dankbare Aufgabe, hier zu diesem Teil des Haushalts zu reden. Im Haushaltsplan für das BMZ gibt es nämlich mit dem Aufwuchs der Mittel überwiegend gute Nachrichten. Herr Minister, so einen Haushalt, in dieser Höhe, hätten Ihre Vorgänger gerne gehabt. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass man mit viel Geld den Problemen und Sorgen der halben Welt etwas entgegensetzen kann. Die Herausforderungen sind aber, müssen wir leider immer wieder feststellen, so groß - und es ist auch nicht immer nur eine Frage des Geldes -, dass auch dieser Haushalt sicherlich nicht reichen wird. Die Millenniumsziele, insbesondere zum Welthunger und zur Gesundheit, wurden bislang verfehlt. Wir werden in diesen Bereichen daher auch zukünftig noch mehr leisten müssen. In vielen Regionen der Welt toben Kriege und andere gewaltsame Auseinandersetzungen. Wir haben es mit autoritären Systemen zu tun, die ihre Bürger unterdrücken; wir haben es mit Eliten zu tun, die raffgierig Geld außer Landes schaffen. Außerdem müssen wir Hilfen geben, um präventiv Naturkatastrophen zu begegnen; denn die treffen meist die Ärmsten dieser Welt zuallererst und am stärksten. Mangelhafte Wasserversorgung ist vielerorts ein Problem, genauso wie ein unterentwickeltes Gesundheitswesen. Meine Damen und Herren, wir wissen - das haben hier alle vorgetragen -, dass wir mit dem, was unser Haushalt hergibt, nicht alle Probleme der Welt lösen können, schon gar nicht im Alleingang. Deswegen ist neben einer angemessenen Bereitstellung der Mittel eine effektive Verwendung der Gelder in Kooperation mit anderen Ländern und auch mit Partnern aus der Wirtschaft entscheidend. Es braucht ein schlüssiges Programm, einen roten Faden, der die einzelnen Ausgaben sinnvoll zusammenführt und dabei auch die verschiedenen Ressorts der Bundesregierung im Blick hat, die an der Thematik mitarbeiten. Ein solches Konzept hat uns Minister Gerd Müller bereits vorgestellt; auch Minister Steinmeier hat heute mit Hinweis auf die Staatssekretärsrunde etwas dazu gesagt. Die Schaffung der drei Sonderinitiativen für die Bekämpfung des globalen Hungers, die Linderung der Flüchtlingsproblematik und die Unterstützung des Nahen Ostens und Nordafrikas versetzt uns in die Lage, schnell und flexibel auf drängende Herausforderungen reagieren zu können. ({0}) Ich will dazu einige Aspekte herausstellen: Es ist richtig, dass das Entwicklungsministerium einen Schwerpunkt auf die ländliche Entwicklung legen möchte. Ein entscheidender Punkt dabei ist auch die Infrastruktur; denn es leben immer mehr Menschen in großen Ballungsräumen und Städten; in Libyen und Ägypten sind es bis zu 80 Prozent. Die Versorgung der Menschen mit Bildung und einem ausreichenden Gesundheitswesen ist in diesen Zentren sicherlich leichter und effektiver möglich als auf dem Land. Der ländliche Raum lässt sich nur über eine gute Infrastruktur mit einer Stadt oder einem Zentrum verbinden, um so beispielsweise den Bauern den Weg zu den Absatzmärkten in der Stadt zu erleichtern. Gleiches gilt für den Zugang der Menschen in ländlichen Regionen zu höherer Bildung, zu Arbeitsplätzen und zum Gesundheitswesen. Das Entscheidende dabei ist, dass dies möglich wird, ohne dass die Menschen ihre Heimatregion in Richtung der Stadt grundsätzlich aufgeben müssen. Als Berichterstatter für die Maghreb-Staaten begrüße ich ganz besonders alle Maßnahmen, die getroffen werden, um den Ursachen der Flüchtlingsströme zu begegnen, denen sich diese Länder im Vorhof der Europäischen Union alltäglich ausgesetzt sehen. Betrachten wir zum Beispiel Tunesien: Das Land befindet sich auf einem guten Weg, tatsächlich einen Erfolg nach dem Arabischen Frühling zu erleben. In dieser Übergangsphase ist das Land verwundbar. Schon kleinere Verwerfungen bergen die Gefahr, dieses Land erneut zu destabilisieren. Wir alle wissen, dass die Ursachen, warum Menschen ihr Land verlassen, sehr komplex sind. Daher begrüße ich besonders die Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen, Flüchtlinge reintegrieren“, die sich dieser Herausforderungen vielschichtig annehmen kann. ({1}) In diesem Kontext möchte ich die Förderung junger Menschen in diesen Ländern besonders herausstreichen. Nur wenn sich ihnen eine berufliche Perspektive bietet, kann eine nachhaltige Stabilisierung der Region gelingen. Gerade junge Menschen brauchen Perspektiven. Der zum Teil gute Bildungsgrad derer, die ihre Heimat heute verlassen wollen, zeigt eines deutlich auf: Diese Menschen, meist junge Männer, sind fest entschlossen, aus diesem einen Leben, das sie haben, ein Leben in Wohlstand und Freiheit zu machen, und das auch, um ihre Familien unterstützen zu können. Diese Möglichkeit muss ihnen in der Heimat gegeben werden. Hierauf muss Deutschland in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung einen großen Fokus legen. ({2}) Eine Schlüsselrolle nehmen dabei meiner Meinung nach auch die Frauen ein. Zum einen kann eine stabile Gesellschaft nur dann entstehen, wenn die Frauen die gleiche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die gleichen Rechte haben; ({3}) denn Stabilität ist eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Gesellschaft. Zum anderen sind die Frauen vielleicht auch der emotionalste Grund für junge Männer, ihre Heimat gar nicht erst zu verlassen. ({4}) Meine Damen und Herren, mit dem vorgelegten Haushaltsplan werden die zur Verfügung stehenden Gelder sinnvoll, nachhaltig und entlang eines politischen Konzepts eingesetzt, dessen Zielstellungen man größtenteils sicherlich als neu bezeichnen kann. Wir werden damit hoffentlich viel erreichen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und über die teilweise erfolgten Zusagen der Opposition, daran mitzuarbeiten, und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächster Redner in der Debatte ist Volkmar Klein, CDU/CSU-Fraktion.

Volkmar Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004071, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende dieses Tages mit vielen außenpolitischen Themen und am Ende der Debatte zum Haushaltsplan des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sind schon so viele Details genannt, ist der Kurs der Bundesregierung schon so oft bestätigt worden und ist an so vielen Stellen darauf hingewiesen worden, dass der neue Minister Gerd Müller über ein hervorragendes Ansehen auch jenseits des Parlamentes verfügt, dass ich nur noch drei aus meiner Sicht wesentliche Botschaften herausstellen möchte. Die erste Botschaft lautet: Deutschland steht weiterhin zu seiner Verantwortung in dieser Welt. ({0}) Genau das wird mit diesem Einzelplan 23 deutlich. Natürlich gilt im Privaten und im Politischen wie überall auf der Welt: Hätte man noch mehr Geld, könnte man noch viele gute Projekte finanzieren. Aber ein Wunschkonzert gibt es nicht; wir müssen uns im vorgegebenen Rahmen bewegen. ({1}) Ich will noch etwas zu den Rechenkünsten des Kollegen Kekeritz sagen. Er hat gesagt, man könne eventuell einen Betrag aus dem EKF, dem Energie- und Klimafonds, herausrechnen. Damit könnte er sogar recht haben. Aber wenn er das macht, dann möchte ich Folgendes in Erinnerung rufen - das weiß er eigentlich selber -: Im Haushaltsplan 2013 war in diesem Etat ein etwa gleich hoher Betrag als Ausgabeposition enthalten, nämlich ein Transfer an den IWF aus Goldverkäufen. Das war eine einmalige Position, die deshalb dieses Mal nicht im Etat enthalten ist. Also bitte! Entweder wir berücksichtigen beide Positionen oder keine von beiden. Jedenfalls kommt am Ende heraus: Der Etat des Einzelplans 23 steigt um 2,3 Prozent auf 6,4 Milliarden Euro. ({2}) Das ist aber noch nicht die eigentliche Botschaft. Die eigentliche Botschaft lautet, dass das Volumen des Gesamthaushaltsplans um 3,7 Prozent auf deutlich unter 300 Milliarden Euro sinkt. Das heißt, der komparative Anteil des Einzelplans 23, der uns wichtig ist, am Gesamthaushalt steigt beträchtlich. Das ist eine bemerkenswerte Botschaft. ({3}) Auch in Deutschland gibt es viele Aufgaben und Herausforderungen. Jeder weiß doch, dass er in seinem Wahlkreis gefragt wird: Wie kannst du die Aufgaben in Deutschland und die Aufgaben der Entwicklungspolitik miteinander in Einklang bringen? Ich finde, das können wir sehr gut. Die Verantwortung für unsere Nächsten endet nicht an unserer Grenze. Sie ist eine ethische Verpflichtung, die aber auch praktische Relevanz hat: Wir können nicht auf Dauer in Frieden und Wohlstand leben, wenn jenseits unserer Grenzen im Osten und im Süden bittere Armut herrscht. Deswegen ist es für uns nicht nur eine ethische Verpflichtung, sondern auch eine prakti2424 sche Aufgabe, hier sehr viel mehr zu tun, und das machen wir. ({4}) Das knüpft im Übrigen an die Entwicklung seit 2009 an. Ich bin seit 2009 im Bundestag. Seitdem ist das Volumen des Gesamthaushalts um 1,6 Prozent auf den eben von mir genannten Betrag gesunken. Der Etat des Einzelplans 23 lag damals, als ich neu in den Bundestag kam, bei 5,8 Milliarden Euro und ist seitdem um 10,6 Prozent gestiegen, obwohl einige Positionen herausgenommen wurden, wie etwa die Nothilfe, die heute im Etat des Außenministeriums zu finden ist. Ich komme zur zweiten Botschaft - das ist langfristig gerade für diesen Bereich ganz wichtig -: Wir setzen alles daran, weiterhin Kraft für die internationale Solidarität zu haben. Auch das Ziel der Haushaltskonsolidierung kann man unter dem Gesichtspunkt sehen, sich zukünftig Spielräume zu erhalten. Wenn wir, die Bundesrepublik Deutschland, heute weniger ausgeben als 2009, aber trotzdem zum Beispiel im Einzelplan 23 erhebliche Mehrausgaben haben, dann haben wir das durch Umschichtung erreicht. Die gesamte Einnahmesteigerung ist in den Defizitabbau geflossen. In diesem Jahr - ich denke, das kann man an dieser Stelle noch einmal herausstellen - werden wir erstmals seit 40 Jahren einen strukturellen Überschuss erzielen. Das sichert uns künftige Spielräume auch für unsere internationale Verantwortung. Als dritte Botschaft ist mir nicht nur als Haushälter wichtig, zu unterstreichen, dass wir mehr bieten als Geld. Wir bringen Expertise und echte Partnerschaft mit ein. Wenn man, wie eben die Kollegin Steffen gesagt hat, in anderen Ländern unterwegs ist, schlägt einem schon Wertschätzung für unsere Arbeit in diesem Bereich entgegen. Deutschland und auch unsere staatliche Kooperation werden in höchstem Maße geschätzt. Das wird nicht nur mit Worten untermauert, sondern auch durch Zahlungen dokumentiert, beispielsweise wenn sich andere Staaten an der Arbeit der GIZ beteiligen, Stichwort „trilaterale Einbindung der KfW“. Das ist alles sehr gut. Wichtig ist dabei, dass in finanzieller Hinsicht alles langfristig und verlässlich unterlegt ist. Auch das zeichnet uns aus, beispielsweise im Gegensatz zu den Amerikanern, die erst die MCC, die Millennium Challenge Corporation, gründen mussten, um längerfristige Zusagen zu machen. Wir haben das Instrument der Verpflichtungsermächtigungen. Damit arbeiten wir bis an die Grenze der Vertretbarkeit und sagen nicht nur 20 Milliarden Dollar zu. 30 Milliarden Dollar beträgt die Summe der mit diesem Haushalt insgesamt ausstehenden Verpflichtungsermächtigungen unseres Landes. Das relativiert manch eine Kritik. Jedenfalls erscheint die Kritik damit auf relativ hohem Niveau. Wir müssen die Struktur des Haushalts noch im Einzelnen betrachten, die, glaube ich, durch die andere Kapitelstruktur übersichtlicher geworden ist. Wir müssen uns sicherlich, wie schon verschiedentlich betont worden ist, noch einmal mit den einzelnen Positionen befassen. Richtig ist, politische Schwerpunkte zu formulieren, statt nur über Kanäle zu reden. Es sorgt für das eine oder andere Grummeln auch im Bereich der nichtstaatlichen Zusammenarbeit, wenn zum Beispiel seitens der Kirchen oder Stiftungen oder Kooperationen mit der Wirtschaft darauf hingewiesen wird, dass sie mehr Mittel erwartet haben; aber das ist nur auf den ersten Blick richtig. Beim näheren Hinsehen wird deutlich: Das Geld, das im Haushaltsplan für die politischen Schwerpunkte vorgesehen ist, muss über einen der bewährten Kanäle abfließen. Das ist auch gut so. Wir werden sicherlich noch über viele Details sprechen und den Haushaltsplan an vielen Stellen noch mit einem abschließenden Schliff versehen. Ich freue mich auf die Beratungen im Haushaltsausschuss mit den Kollegen aus dem Fachausschuss und dem Ministerium. Ich bin ganz sicher, dass wir am Ende die Botschaft „Deutschland steht zu seiner internationalen Verantwortung“ noch besser deutlich machen können. Ganz herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. - Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Abend und berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, Donnerstag, den 10. April 2014, 9.00 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.