Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/3/2014

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich. Der Kollege Eckhardt Rehberg begeht heute seinen 60. Geburtstag. Dazu möchte ich ihm ganz herzlich gratulieren ({0}) und alles Gute für das neue Lebensjahr wünschen. Wir geben uns auch große Mühe, ein passendes Programm für den heutigen Tag hier im Plenarsaal des Deutschen Bundestages zu veranstalten, ({1}) damit der Tag in unauslöschlicher Erinnerung bleibt. Wir müssen vor Eintritt in die Tagesordnung noch zwei Wahlen durchführen. Für das Kuratorium der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas schlägt die SPD-Fraktion vor, den Kollegen Michael Roth als Mitglied zu wählen. Sind Sie mit diesem Vorschlag einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Damit ist der Kollege Roth gewählt. Des Weiteren schlägt die SPD-Fraktion vor, für den ausgeschiedenen Kollegen Heinz Paula die Kollegin Birgit Kömpel als Mitglied des Beirats der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr zu wählen. - Auch hierzu kann ich offensichtlich Einvernehmen feststellen. Damit ist die Kollegin Kömpel als Beiratsmitglied gewählt. Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konsequenzen der Bundesregierung aus dem IPCC-Weltklimabericht ({2}) ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan Mayer ({3}), Armin Schuster ({4}), Clemens Binninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Lars Castellucci, Gabriele Fograscher, Uli Grötsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Herstellung des Einvernehmens des Deutschen Bundestages mit der Bestellung des Instituts für Gesetzesfolgenabschätzung und Evaluation beim Deutschen Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung, Speyer, als wissenschaftlichen Sachverständigen im Rahmen der Evaluierung des RechtsextremismusDatei-Gesetzes Drucksache 18/974 ZP 3 Beratung des Antrags der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am maritimen Begleitschutz bei der Hydrolyse syrischer Chemiewaffen an Bord der CAPE RAY im Rahmen der gemeinsamen VN/OVCW-Mission zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen Drucksache 18/984 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({5}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsauschuss gemäß § 96 der GO Dabei soll wie üblich von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden. Nach dem Tagesordnungspunkt 11 soll der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/974 zur Herstellung des Einvernehmens des Deutschen Bundestages mit der Bestellung des Instituts für Gesetzesfolgenabschätzung und Evaluation beim Deutschen Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung als wissenschaftlichem Sachverständigen im Rahmen der Präsident Dr. Norbert Lammert Evaluierung des Rechtsextremismus-Datei-Gesetzes aufgerufen werden. Dazu sind als Debattenzeit 25 Minuten vorgesehen. Der Tagesordnungspunkt 20 wird abgesetzt. An dessen Stelle soll im Umfang von 38 Minuten der Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/984 zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am maritimen Begleitschutz im Rahmen der VN-Mission zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen debattiert werden. Schließlich mache ich noch auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der am 14. Februar 2014 ({6}) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Arbeit und Soziales ({7}) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen Drucksache 18/407 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({8}) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ich frage Sie, ob irgendjemand gegen irgendeine dieser Vereinbarungen Einwände hat. - Das ist nicht zu erkennen. Dann haben wir das damit so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung ({9}) Drucksache 18/909 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({10}) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsauschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Auch das ist offenkundig einvernehmlich. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles. ({11})

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung legt heute ihr erstes wichtiges Gesetzespaket vor. Das Rentenpaket hat eine klare Botschaft: Wir halten Wort. Denn das, was wir hier heute auf dem Tisch liegen haben, haben wir den Menschen in unserem Land versprochen. Das Rentenpaket hat eine klare Aussage. Sie geht über den einzelnen Rentenbescheid hinaus. Wenn wir die Lebensleistung von Müttern sowie von langjährig Versicherten, die unseren Sozialstaat über Jahrzehnte mit ihren Beiträgen stabilisiert und getragen haben, anerkennen, dann schaffen wir mehr Gerechtigkeit, und dann senden wir ein klares Signal: Wir erkennen die Lebensleistung von Menschen in unserem Land an. ({0}) In vielen Begegnungen der letzten Wochen wurde mir deutlich, dass die Botschaft auch ankommt. Als ich am Internationalen Frauentag in Andernach Rosen verteilte, kam eine Frau auf mich zu und erzählte mir: Ich habe drei Kinder großgezogen; die haben alle studiert. - Das war ihr ganz wichtig; das hat sie mehrfach betont. - Dass das endlich anerkannt wird, das freut mich. Kriegen Sie das Gesetz denn auch hin? - Ja, das kriege ich hin, sagte ich. ({1}) Dieses Beispiel macht deutlich: Die Intention dieses Gesetzes, das, was wir machen, kommt bei den Menschen wirklich an. Daran merkt man: Es ist nicht geschenkt, es ist verdient. Das ist ein ganz zentraler Punkt. ({2}) Die Rentendebatte hat schon hohe Wellen geschlagen. Die Vorhaben werden von manchen als Nachteil für die jüngere Generation ausgelegt. Ich begegne vielen jungen Menschen: Die gehen nicht auf die Barrikaden. Der Wohlstand unseres Landes hängt sehr stark damit zusammen, dass wir gute und leistungsfähige Unternehmen haben, gut ausgebildete Fachkräfte, Menschen mit Pflichtbewusstsein, die ihrer Arbeit nachgehen. Der Wohlstand unseres Landes hängt aber auch damit zusammen, dass wir Solidarität üben, Solidarität zwischen Arm und Reich, zwischen Jung und Alt. Das ist ein Kerngedanke der sozialen Marktwirtschaft, die Gott sei Dank über Jahrzehnte unser Land geprägt hat. In diesem Geiste finden es die Jungen in einer übergroßen Mehrheit völlig in Ordnung, dass wir das für ihre Mütter, Großmütter und ihre Väter tun. Das, was wir heute vorlegen, finden sie vollkommen gerecht, auch generationengerecht. ({3}) Ich sage ganz deutlich, meine Kolleginnen und Kollegen: Wer sich um Kinder gekümmert hat, der hat seinen Beitrag zum Generationenvertrag geleistet. ({4}) Deswegen rechnen wir die Erziehungsleistungen stärker an. Deswegen bekommen 10 Millionen Menschen - es sind vor allem Frauen - eine höhere Mütterrente. Eine andere Begegnung: Als ich am letzten Wochenende nach Hause fliegen wollte und gerade meinen Flugschein vorgezeigt habe, sagten zwei ältere Damen in einem etwas rauen Ton, wie das in Berlin so üblich ist, zu mir: Kommen Sie mal mit! Ich dachte: Oje, was ist jetzt los? Ist mit meinem Flugschein etwas nicht in Ordnung? Aber es kam etwas völlig anderes. Die beiden älteren Damen erzählten mir, sie seien 62 und 63 Jahre alt und arbeiteten beide schon seit 44 Jahren. Eine der beiden Damen fragte mich: Schaffen Sie das mit der abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren? Da habe ich gesagt: Ja, das schaffe ich. ({5}) Was wir damit zum Ausdruck bringen, ist: Wer 45 Jahre gearbeitet hat, also 45 Jahre lang Beiträge gezahlt hat, der hat gegenüber drei bis vier Generationen von Rentnerinnen und Rentnern seine Pflicht im Generationenvertrag erfüllt. Das erkennen wir an, indem es keine Abschläge mehr geben soll. Das gilt jetzt für die rentennahen Jahrgänge, anschließend wächst es wieder auf. Auch diese Regelung wurde kritisiert: Sie gelte nur für eine bestimmte Zahl von Menschen. - Das ist richtig. Genau diejenigen sind es, die unsere besondere Anerkennung verdienen. Denn das sind diejenigen, die direkt von der Schule in den Beruf gegangen sind, die 45 Berufsjahre durchgezogen haben. ({6}) Diese Menschen haben noch durchschnittliche Arbeitszeiten von 45 Stunden in der Woche gehabt. Der freie Samstag musste noch erkämpft werden. Auch der Arbeitsschutz, der mittlerweile Standard ist, galt in den 70er-Jahren noch nicht. ({7}) Vor diesem Hintergrund - das will ich Ihnen ehrlich sagen - ist es klar: Diese Leute haben ihr Soll erfüllt. Ihre Arbeitsjahre merken sie jeden Tag in den Knochen. Deswegen ist diese Regelung gerecht. Deswegen werden wir sie auch umsetzen. ({8}) Ich will genauso klar sagen: Ich habe überhaupt kein Interesse daran, dass diese Regelung ausgenutzt wird, um neue Frühverrentungen zu befördern. Deswegen führen wir - dafür bietet die parlamentarische Debatte der nächsten Wochen ja auch eine gute Gelegenheit - intensive Gespräche über die Frage: Wie kann man verfassungskonform verhindern, dass diese Regelung ausgenutzt wird? Wenn es dabei zu Antworten im parlamentarischen Verfahren kommt, bin ich sehr froh darüber. Ein wichtiger Punkt für mich ist die Tatsache, dass heute nur 14,7 Prozent der über 63-Jährigen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen. Das müssen wir ändern. Aus diesem Grund werden wir die Altersgrenze schrittweise von 63 auf 65 Jahre anheben. Wenn wir es in demselben Zeitraum schaffen würden, die Zahl der Beschäftigten von 14,7 Prozent auf 50 Prozent zu bringen, dann hätten wir schon viel erreicht. Ich sage an dieser Stelle deswegen auch: Wir müssen dafür sorgen, dass von den Unternehmen - viele haben es schon verstanden; einige aber leider noch nicht - die Arbeit von Älteren wertgeschätzt wird. In der Vergangenheit war es oft genug so, dass Ältere ganz schnell zum alten Eisen zählten. Sie behinderten die Effizienz und den Erfolg im Wettbewerb. Das ist Schnee von gestern. Wir brauchen die Erfahrung der älteren Arbeitnehmer, der älteren Fachkräfte in unserem Land. ({9}) Das sehen wir ja auch hier im Bundestag. Hier im Hohen Haus ist niemand seit 45 Jahren dabei. ({10}) - Moment, Kollege Schäuble immerhin fast. Für das, was er in seinen 42 Jahren hier geleistet hat, hat er auf jeden Fall meine Anerkennung. Allerdings hat er nicht in die Rentenversicherung einbezahlt. ({11}) Ich will damit nur sagen: Wir wollen ausdrücklich, dass gerade die Erfahrung der Älteren in unserer Gesellschaft ihren Platz hat. Ich habe auch kein Problem, darüber zu reden, wie wir den Übergang vom Erwerbsleben in die Rente zwischen 60 und 67 Jahren oder auch danach besser und flexibler gestalten können, als wir das jetzt tun. Dazu gibt es kluge Vorschläge. Die finde ich gut. ({12}) Ich sage Ihnen aber auch: Ich kann mir da vieles vorstellen, solange ich dafür die finanziellen Möglichkeiten zur Verfügung gestellt bekomme. ({13}) In dem Rentenpaket, das jetzt vorliegt, geht es auch um eine bessere finanzielle Ausstattung der Reha. Für geburtenstarke Jahrgänge muss genug Geld da sein, damit die Forderung „Reha vor Rente“ auch eingelöst werden kann. Es geht nämlich um den Wiedereinstieg ins Berufsleben und nicht um das Abschieben aufs Altenteil. Das ist der Kern der Vorschläge zum Rehabudget. Wo es am Ende aber nicht mehr geht, wo wir das nicht mehr schaffen, wo die Menschen krank sind, werden wir solidarisch einstehen. Wer gesundheitlich nicht mehr in der Lage ist, zu arbeiten, der wird künftig bei verminderter Erwerbsfähigkeit besser abgesichert werden. Auch das ist beides im Rentenpaket enthalten. Das Rentenpaket umsetzen heißt Wort halten. Es ist eine wichtige Weichenstellung für die Zukunft. Es zeigt, dass diese Koalition sich vorgenommen hat, gute Arbeit, gute Renten und ein gutes Leben für die Menschen in unserem Land zu realisieren. Vielen Dank. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Matthias Birkwald für die Fraktion Die Linke. ({0})

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Nahles, Sie haben Ihr Rentenpaket vorgelegt, und ich sage: Ja, aber. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir immer nur über Rentenkürzungen diskutiert. Jetzt diskutieren wir endlich einmal über bessere Leistungen für Rentnerinnen und Rentner. Das findet die Linke gut. ({0}) Mit Ihrem Rentenpaket gehen Sie mehrere Schritte in die richtige Richtung, aber ({1}) in Ihrem Rentenpaket finden sich - jetzt bitte gut aufpassen - zwei Gerechtigkeitslücken, ein großer Konstruktionsfehler, ein Tropfen auf den heißen Stein, eine Mogelpackung, eine zaghafte Verbesserung und eine offene Großbaustelle. Das, meine Damen und Herren, findet die Linke schlecht. ({2}) Meine Überschrift für Ihr Rentenpaket lautet: Manches wird besser, aber nichts wird gut. Gehen wir die Punkte mal im Einzelnen durch: Die sogenannte Mütterrente. Die Absicht ist gut: mehr Gerechtigkeit bei der Anerkennung von Kindererziehungszeiten. Aber die Umsetzung ist schlecht. ({3}) Für Kinder, die vor 1992 geboren wurden, Herr Kauder, soll es ab dem 1. Juli insgesamt gut 57 Euro Mütterrente im Westen und knapp 53 Euro im Osten geben. Das ist die erste Gerechtigkeitslücke; das ist ungerecht und das ist falsch. ({4}) Ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall sind im Osten geborene Kinder auf dem Rentenkonto ihrer Eltern immer noch weniger wert als im Westen geborene Kinder. Das ist beschämend. ({5}) Für Kinder, die nach 1992 geboren wurden, wird es ab Juli im Westen 85 Euro und im Osten 79 Euro auf dem Rentenkonto von Mutter oder Vater geben. Das ist die zweite Gerechtigkeitslücke. Ich frage Sie, Frau Nahles: Was soll das? - Sie sagen, Sie schlössen die Gerechtigkeitslücke bei den Kindererziehungszeiten, doch das stimmt nur zur Hälfte. Jedes Kind muss der Gesellschaft gleich viel wert sein, und zwar völlig egal, ob es in Leipzig geboren wurde oder in Köln, ob es 1960 geboren wurde oder 2010. Deswegen sagt die Linke: Wir wollen für jedes Kind rund 86 Euro auf dem Rentenkonto von Mutter oder Vater haben. ({6}) Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie wollen die Mütterrente ernsthaft aus Beiträgen der Versicherten finanzieren. Das bedeutet ganz schlicht: Die Altenpflegerin zahlt für die Mütterrente der Ärztin. Das ist der große Konstruktionsfehler in Ihrem Rentenpaket, und zwar aus zwei Gründen: Kindererziehung ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Reiche, Beamtinnen und Beamte, Rechtsanwälte, Steuerberaterinnen, Architektinnen und Politikerinnen und Politiker müssen sich an ihrer Finanzierung beteiligen. Deshalb muss diese Mütterrente unbedingt aus Steuermitteln finanziert werden. ({7}) Alles andere ist verfassungswidrig. Der zweite Grund: Dieses Geld fehlt dann bei der echten Armutsbekämpfung. Das ist das zweite Problem bei der Finanzierung der Mütterrente. Das wird bei den Erwerbsminderungsrenten deutlich. Auch hier, Frau Nahles, ist Ihre Absicht gut: Wer krank ist, darf nicht mit Almosen abgespeist werden. - Aber auch hier ist Ihre Umsetzung schlecht. Ihr Vorschlag bringt Kranken, die nicht mehr arbeiten können, gerade mal 36 Euro netto. Das ist besser als nichts, aber es ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. ({8}) Niemand wird freiwillig krank, und darum sage ich: Die Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente müssen gestrichen werden, und zwar komplett. Das brächte im Schnitt 77 Euro im Monat. Wir Linken sagen: Die Zurechnungszeit muss um drei statt um zwei Jahre verlängert werden. Insgesamt brächte das 130 Euro mehr. Ich sage: So holt man kranke Menschen aus der Grundsicherung heraus, meine Damen und Herren. ({9}) Noch besser wäre es übrigens, wenn die Beschäftigten gar nicht erst dauerhaft krank werden würden. Dazu brauchen wir - Sie haben ja die Reha erwähnt - gute Rehamaßnahmen. Die kosten Geld, und die Babyboomer kommen so langsam ins Rehaalter; das haben Sie erkannt. Darum wollen Sie mehr Geld für Rehamaßnahmen ausgeben. Das ist gut. Aber warum um Himmels willen, Frau Nahles, wollen Sie das Rehabudget ab 2017 wieder zurückfahren? Die Deutsche Rheuma-Liga „bezweifelt …, ob die geplanten Maßnahmen ausreichen, um den wachsenden Bedarf an Rehabilitationsmaßnahmen zukunftssicher zu gestalten“. Das ist richtig. - Ihr Vorschlag bringt nur eine zaghafte Verbesserung. Ich sage: Alle kranken Männer und Frauen, die eine Rehamaßnahme brauchen, sollen sie auch bekommen, und deshalb muss der Rehadeckel weg. ({10}) Kommen wir zur Rente ab 63/65. Liebe Arbeitgeber, hören Sie jetzt bitte mal gut zu. Es geht nicht um Privilegien; es geht um Menschen, die früh ins Berufsleben eingestiegen sind und ein Leben lang gearbeitet haben. Bisher werden diese Kolleginnen und Kollegen durch Abschläge bestraft. Nach 45 Beitragsjahren vorzeitig abschlagsfrei in Rente zu gehen, ist gerecht. Wer früh anfängt, muss auch früh aufhören können. ({11}) So weit, so gut, Herr Oppermann, aber das Ganze ist eine Mogelpackung; denn von der Regelung sind nur sehr wenige Jahrgänge betroffen. Nur wer zwischen dem 1. Juli 1951 und Silvester 1952 geboren wurde und die 45 Beitragsjahre zusammenbekommt, nur für den oder die gilt die Rente ab 63. Danach wächst sie in Zweimonatsschritten wieder auf zur Rente ab 65. Das ist eine Mogelpackung! ({12}) Ein weiterer Kritikpunkt ist: Sie wollen ernsthaft Langzeiterwerbslose von der Rente ab 63 ausschließen. Ich frage Sie jetzt einfach einmal - Frau Nahles, Ihr Vater ist Maurer, wie ich weiß -: Was ist denn der Unterschied zwischen einem Maurer, der einmal vier Jahre arbeitslos gewesen ist und einem Maurer, der viermal ein Jahr arbeitslos gewesen ist? Aus meiner Sicht haben beide dieselbe Lebensleistung erbracht, und deswegen müssen sie gleich behandelt werden. Die Linke fordert: Alle Zeiten der Arbeitslosigkeit müssen bei der Rente ab 63 mit berücksichtigt werden. ({13}) Die Rente ab 63 ist übrigens auch deswegen eine große Mogelpackung, weil in Wirklichkeit für fast alle Menschen gilt, dass sie in Zukunft bis 66 oder 67 arbeiten müssen; wenn sie es denn können. Bei der großen Mehrheit wird das nicht der Fall sein. Sie wird weiterhin mit Abschlägen bestraft. An dieser Situation ändern Sie nichts. Das ist schlecht. Die Linke will deshalb die Rente erst ab 67 abschaffen, und zwar ohne Wenn und Aber. Das ist notwendig. ({14}) Ich fasse Ihr Rentenpaket zusammen: Viermal gut gemeint, aber viermal schlecht gemacht. ({15}) Frau Nahles, Sie bauen in einem sanierungsbedürftigen Haus hier ein neues Waschbecken ein und da einen neuen Treppenabsatz an, aber Sie wagen sich nicht an das große Loch im Fundament. Das ist das Problem. ({16}) Die Kürzungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel tasten Sie überhaupt nicht an. Das ist Ihre offene Großbaustelle. ({17}) Deshalb wird das Rentenniveau weiter fallen - das steht in Ihrem Gesetzentwurf drin -: auf 43,7 Prozent im Jahr 2030. Das bedeutet: Von einer Rente von ehemals 1 000 Euro werden dann nur noch 810 Euro übrig bleiben. So wird aus Ihrem Rentenpaket ein Rentenpäckchen. Diese Abwärtsspirale muss gestoppt werden. ({18}) Wir müssen die gesetzliche Rentenversicherung stärken, damit die Jungen, die heute in die Rentenkasse einzahlen, später eine Rente erhalten, die zum Leben reicht. Die Linke fordert echte Maßnahmen gegen Altersarmut. Außerdem wollen wir das Rentenniveau wieder auf 53 Prozent anheben; das war das Niveau im Jahr 2001, bevor Schröder und Riester die Rente ruiniert haben. Das Rentenniveau muss steigen, und zwar dauerhaft. Das wäre generationengerecht; denn das nutzt den Jungen und den Alten. Herzlichen Dank. ({19})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Karl Schiewerling ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung bringt heute den Entwurf eines Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung in die parlamentarische Beratung ein. Ich zolle der Bundesarbeitsministerin, dem Bundesarbeitsministerium und der zuständigen Abteilung Respekt für die Zügigkeit, mit der sie diese Gesetzesinitiative angepackt haben. ({0}) Es geht in der Tat darum, die Situation vieler Menschen zu verbessern. Für die Union war es im Wahlkampf und auch schon lange davor ein zentrales Anliegen, die Situation der Frauen zu verbessern, die Kinder erzogen haben, aber keine Möglichkeit hatten, Arbeitswelt und Familie miteinander zu vereinen, weil es keine Betreuung über Mittag und keine Kindertagesstätten gab. Ihnen gebührt unser Respekt. Durch die Mütterrente erkennen wir die Erziehungsleistungen dieser Frauen an. ({1}) Ich will an dieser Stelle mit dem Märchen aufräumen, dass die Mütterrente ausschließlich aus Beiträgen finanziert wird. Hören Sie mit dem Unfug auf! ({2}) Die Deutsche Rentenversicherung zahlt im Jahr 255 Milliarden Euro aus. Diese Summe wird zu einem Drittel von den Arbeitnehmern finanziert, zu einem Drittel von den Arbeitgebern, und ein Drittel ist Bundeszuschuss. Der Bundeszuschuss beträgt etwa 82 Milliarden Euro. In diesen 82 Milliarden Euro befinden sich 12,6 Milliarden Euro für die Kindererziehungszeiten. Von diesen 12,6 Milliarden Euro geben wir heute etwa 5,9 Milliarden Euro für die Kindererziehungszeiten aus. Die Rücklage von etwa 32 Milliarden Euro setzt sich zusammen aus einem Drittel Beitrag der Versicherten, einem Drittel Beitrag der Arbeitgeber und einem Drittel Steuern. ({3}) Das entspricht jeweils über 10 Milliarden Euro. Wir senken den Rentenversicherungsbeitrag nicht. Er bleibt bei 18,9 Prozent. Das hat zur Konsequenz, dass auch der Staat seinen Zuschuss an der Rentenversicherung nicht reduziert und auf diesem Weg auch seinen Beitrag zur Mütterrente zahlt. Deswegen ist diese Regelung verantwortungsvoll. ({4}) In der Tat geht es um Zukunftsgerechtigkeit, um Gerechtigkeit gegenüber den zukünftigen Generationen. Wir haben doch nie einen Hehl daraus gemacht, dass diese Mütterrente von denjenigen finanziert werden muss, die jetzt Steuern und Beiträge zahlen. Wir tun das, weil diejenigen, die Kinder erzogen haben, erst dafür gesorgt haben, dass es unserem Land heute gut geht. Deswegen unternehmen wir diesen Schritt. Das ist ein Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit in unserem Land. ({5}) Für die Union ist es zentral, dass wir mit Mut und Augenmaß unter Leitung von Angela Merkel an den unter Federführung von Franz Müntefering getroffenen Beschlüssen zur Rente mit 67 festhalten, und zwar einschließlich der abschlagsfreien Rente für diejenigen, die lange gearbeitet haben. Nach 45 Beitragsjahren soll man im Alter von 65 Jahren in Rente gehen können. ({6}) Die Begründungen für diese Rentenreform, die wir 2007 durchgeführt haben, haben sich nicht geändert. Die Menschen werden immer älter. Sie leben immer länger, übrigens leben sie auch immer länger gesünder. Die Menschen liegen nicht mit 65 Jahren schlagartig darnieder. ({7}) Es ist eine Tatsache, dass immer weniger Menschen geboren werden. Die Grundlagen der Rentenversicherung - das ist eine demografische Frage - haben sich nicht geändert. Nun haben wir in der Koalition vereinbart, dass wir von diesem Gesetz, das wir 2007 verabschiedet haben, vorübergehend abweichen und denjenigen, die besonders lange gearbeitet haben, die Möglichkeit geben wollen, mit 63 Jahren vorzeitig abschlagsfrei in Rente zu gehen. Ich glaube, dass die Begründungen, die die Bundesarbeitsministerin in ihrem Begleitschreiben zu diesem Gesetzentwurf geliefert hat, Argumente beinhalten, die nicht von der Hand zu weisen sind. Es geht - so steht es in der Begründung - insbesondere um die Menschen, die während der deutschen Wiedervereinigung besondere Nachteile und Schwierigkeiten in Kauf nehmen mussten, die oft unverschuldet arbeitslos wurden, und es geht um die Umbruchsituation in industriellen Kernzonen, zum Beispiel im Ruhrgebiet. Denjenigen, die davon besonders betroffen sind, soll nun in besonderer Weise geholfen werden. Wir legen großen Wert darauf, dass wir, wenn wir diesen Schritt jetzt gehen, bis 2029, wenn die Rente mit 67 erstmals voll greift, auch die Rente mit 65 nach 45 Beitragsjahren wieder erreicht haben und wir sie so erreicht haben, wie es ursprünglich gedacht war. ({8}) Die Bundesarbeitsministerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es im parlamentarischen Beratungsverfahren noch Veränderungen geben wird. Hier gilt das Stuck’sche Gesetz: Kein Gesetzentwurf verlässt den Bundestag so, wie er eingebracht wurde. Wir werden das in guter, fairer und vernünftiger Art miteinander diskutieren und bis zur endgültigen Abstimmung klären. Damit die Menschen bis 67 arbeiten können, damit die Menschen auch dann, wenn sie gesundheitliche Schwierigkeiten haben, die Möglichkeit haben, ihrem Erwerb nachzugehen und für ihre Altersvorsorge selbst zu sorgen, wollen wir die finanziellen Möglichkeiten der Rehabilitation, der medizinischen wie der beruflichen, verbessern. Der Rehadeckel ist notwendig; denn es muss hier auch Grenzen geben. Ich kann Ihnen einige Fälle nennen, die zeigen, dass zum Teil Rehabilitationen gemacht werden, die in dieser Dimension nicht nötig gewesen wären. Deswegen brauchen wir den Deckel. Aber es muss ein atmender, ein flexibler Deckel sein, der dann ansteigt, wenn viele Menschen davon betroffen sind, und wieder sinkt, wenn weniger Menschen in der entsprechenden Alterskohorte sind. Das halten wir für den richtigen Weg. ({9}) Deswegen ist der Weg, den wir im Gesetzgebungsverfahren beschreiten, richtig. ({10}) Wir haben auch die besondere Situation der Menschen im Blick, die krank geworden sind, ohne dass sie etwas dafür können, und eine Erwerbsminderungsrente beziehen. Ja, wir als Union und übrigens auch unser Koalitionspartner, die SPD, hätten wirklich gerne noch mehr im Bereich der Erwerbsminderungsrente gemacht. Aber wir haben auch andere Ziele im Blick zu behalten, nämlich die Ziele, die der Bundesfinanzminister hat. Es geht dabei darum, die Steuern nicht zu erhöhen und die Staatsausgaben in den Griff zu bekommen, damit wir über diesen Weg eine nachhaltige Grundlage für unser Land schaffen. ({11}) Diese Ziele setzen uns gewisse Grenzen. ({12}) Auch wir wollen in der Tat flexiblere Übergänge in die Rente. Norbert Blüm hat jüngst in einem Interview dargelegt, dass die Zeit des Gleichmarsches im Industriezeitalter längst vorbei ist. In unserer Gesellschaft gibt es unterschiedliche Lebenssituationen. Es gibt Menschen, die weit länger als bis 67 arbeiten können und das auch gerne möchten. Dann gibt es Menschen, die etwas früher in Rente gehen möchten, und es gibt Menschen, die vor dem Erreichen des Renteneintrittsalters gerne etwas kürzertreten möchten. Wir müssen uns der Verbesserung dieser flexiblen Übergänge annehmen. Die Möglichkeiten, die es heute schon gibt, wollen wir nutzen und gegebenenfalls etwas gängiger machen. Wir werden auch Vorschläge machen, wie wir diese Übergänge für spätere Zeiten gestalten können.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege.

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich sehe einen zentralen Punkt bei der Rentenreform, über die wir jetzt diskutieren, der auch für die Zukunft wichtig sein wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass es für die Diskussion weiterer interessanter Gesichtspunkte die erforderliche Zeit nicht mehr gibt? ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. Ich nenne auch keinen weiteren Gesichtspunkt mehr, sondern mache nur noch eine abschließende Bemerkung, Herr Präsident. - Für uns ist zentral, dass die Rentenversicherung das bleibt, was sie ist: eine Rentenversicherung und keine Sozialleistung. Die Rente ist keine Fürsorgeleistung des Staates, sondern selbst erarbeitet. Wir müssen bei allem, was wir tun, darauf achten, dass die Menschen wissen, dass sie das, was sie im Alter bekommen, selbst verdient haben. Rente hat etwas damit zu tun, dass man stolz auf seine Lebensleistung sein kann. Wir wollen die Rahmenbedingungen so setzen, dass diese Systeme nicht vermischt werden und dass die Menschen stolz sein können auf das, was sie geleistet haben. Der Staat wird dies honorieren. Herzlichen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun Katrin Göring-Eckardt das Wort.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schiewerling, Sie haben es gerade noch einmal sehr deutlich gesagt: Bei der Rente geht es um Leistung. Frau Nahles hat gesagt, dass es um die Anerkennung von Lebensleistung geht. Wenn man sich Ihr Paket anschaut und es ausgepackt hat, dann sieht man, dass es in ganz vielen Punkten eine Mogelpackung ist; denn es geht nicht um die Lebensleistung aller, sondern nur um die Lebensleistung mancher. Das kritisieren wir. Wir sagen Ihnen: Schauen Sie bitte genauer hin, wenn es gerecht zugehen soll. Schauen Sie sich bitte an, wie die Situation derer ist, die im Alter in Armut leben. Diese Menschen haben Sie bei Ihrem Rentenpaket vergessen. ({0}) Was ist mit den Frauen, insbesondere im Westen der Republik, die gar keine Chance hatten, tatsächlich so lange zu arbeiten, weil sie keine Kinderbetreuung hatten, und die dann trotz guter Ausbildung nur Teilzeitjobs oder niedrig bezahlte Jobs hatten? Diese Frauen vergessen Sie bei Ihrem Rentenpaket. Das ist ungerecht. ({1}) Was ist mit denen, deren Rentenniveau so weit sinkt, dass von Fairness, von Anerkennung in der Rente überhaupt nicht mehr die Rede sein kann? ({2}) Nein, meine Damen und Herren, der eigentliche Reformbedarf in der Rentenversicherung ist riesig. Aber Sie legen ein Paket vor, das gerade nicht reformiert. Sie machen das Gegenteil. Ich sage Ihnen: Sie bauen vor allen Dingen das Vertrauen ab, das es in dieses System einmal gegeben hat; man muss sich nur einmal anschauen, was man als junger Mensch überhaupt noch von der Rentenversicherung erwarten kann. Das sage ich Ihnen, obwohl ich es gut und richtig finde und obwohl auch ich den Älteren gönne, was sie jetzt bekommen. Aber fragen Sie einmal die 20-Jährigen, was die für sich selbst von der Rentenversicherung erwarten. ({3}) Die erwarten nicht mehr, dass das eine Umlage ist. Die erwarten noch nicht einmal mehr, dass es ein Nullsummenspiel ist. Das sind Leute, bei denen wir davon ausgehen, dass sie in einer nicht einfachen Situation hart arbeiten werden, viele von ihnen wahrscheinlich 45 Jahre oder nach Ihren Vorstellungen sogar länger. Ich finde, wenn man über Gerechtigkeit redet, dann muss es um Gerechtigkeit für alle gehen, die hart gearbeitet haben, und um Gerechtigkeit für alle, die gar keine Chance hatten, die Vorgaben zu erreichen, die Sie hier vorlegen. ({4}) Das Rentenniveau sinkt, die Altersarmut steigt, und die Verbesserung bei den Erwerbsminderungsrenten macht in Ihrem Paket noch nicht einmal 10 Prozent aus. Ich will Ihnen sagen, wie die Situation heute ist: Wer heute arbeitsunfähig ist, der kriegt im Durchschnitt 600 Euro im Monat. 600 Euro! Das liegt unterhalb des Existenzminimums. Wer so wenig Geld hat, der muss im Alter zum Sozialamt gehen. Wer ist überhaupt von Erwerbsminderung betroffen? Das sind nicht Leute, die faul auf der Haut gelegen haben. Das sind nicht Leute, die in der Hängematte gelegen haben. Das sind Leute, die hart gearbeitet haben, und zwar so hart, dass sie krank geworden sind. Profitieren werden überhaupt nur die, die nach dem 1. Juli dieses Jahres in Rente gehen. Die kriegen dann am Ende 40 Euro mehr im Monat, also 600 Euro plus 40 Euro. ({5}) Dann haben die aber immer noch keine auskömmliche Rente, meine Damen und Herren. Da sage ich Ihnen klar und deutlich: Das hat mit Gerechtigkeit, so wie wir sie verstehen, nichts zu tun. ({6}) Ich verstehe nicht, warum Ihr Gerechtigkeitsempfinden gerade bei denen aufhört, die besonders auf die Unterstützung der Gemeinschaft angewiesen wären. Herr Schiewerling, ich finde, Ihre Einlassungen zu den Rehaleistungen haben gezeigt, mit welchem Zynismus Sie da herangehen. ({7}) - Nein. ({8}) - Herr Schiewerling, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen: „Es gibt Leute, die Rehaleistungen in Anspruch nehmen, die sie eigentlich nicht brauchen“ ({9}) - das haben Sie hier gesagt -, dann sage ich Ihnen ganz klar und deutlich: Das ist nicht meine und nicht unsere Haltung gegenüber denen, die vom Arbeiten krank geworden sind und Unterstützung brauchen. Das Rehapaket ist schon klein genug, und die Leistungen nehmen diejenigen in Anspruch, die sie tatsächlich brauchen. ({10}) Nun zur Lebensleistung derer, die so lange gearbeitet haben; Beispiele sind genannt worden. All diese Menschen gehören einer bestimmten Generation an. Jetzt kann man sagen: Ja, denen gönnen wir das. - Das ist klar. Diejenigen, die zwischen 1951 und 1964 geboren sind, haben die Chance auf eine Verbesserung. Eine wirkliche Verbesserung gibt es aber nur für eine ganz kleine Gruppe. Nicht erreichen werden Sie die Jüngeren. Nicht erreichen werden Sie viele Frauen, die wenig verdient haben. Nicht erreichen werden Sie die Ostdeutschen. Die haben bei Ihnen keine Chance. Man hat schon den Eindruck, Gerechtigkeit gibt es bei Ihnen nur für diejenigen, die Sie gut kennen, ({11}) nämlich für diejenigen, mit denen Sie auf der Schulbank saßen, so nach dem Motto: Man kennt sich, und man hilft sich. ({12}) Die anderen, also diejenigen, die heute alt sind und in Armut leben, und diejenigen, die jung sind und nach Ihren Vorstellungen selbstverständlich länger arbeiten müssen, haben Sie vergessen. ({13}) Auch das, meine Damen und Herren, ist nicht gerecht. Deswegen sage ich klar und deutlich: Die Gerechtigkeit hört in Ihrem Rentenpaket da auf, wo Sie nicht hingucken können. Sie vergessen die, die wirklich Unterstützung brauchen. ({14}) Natürlich werden wir eine Diskussion über Fachkräfte führen. Wir werden eine Diskussion über Frühverrentung haben. Ich verstehe nicht, wieso Sie Ihre Energie nicht da hineinstecken, von den Unternehmen zu verlangen, dass es eine echte Kultur der Altersarbeit gibt, von der dann am Ende alle profitieren, dass es tatsächlich flexible Übergänge gibt. Ich verstehe gar nicht, wieso Sie die Gewerkschaften nicht in die Pflicht nehmen, für Arbeitsbedingungen zu sorgen, bei denen solche flexiblen Übergänge möglich sind, und für Arbeitsbedingungen zu sorgen, bei denen auch Ältere in Unternehmen noch anständig arbeiten können. Das ist die Aufgabe: die Gewerkschaften und die Unternehmen in die Pflicht zu nehmen, politisch zu sagen: „Daran arbeiten wir“, und nicht einfach zu sagen: „Das ignorieren wir ab heute.“ - Denn die Leute gibt es. Es gibt die Leute, die lange arbeiten müssen und die es sich gar nicht leisten können, auch nach Ihrem Paket nicht, mit 63 in Rente zu gehen, weil nämlich ihre Rente so verdammt niedrig ist, dass sie davon am Ende nicht leben können. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen noch einmal: Gerecht geht anders. ({15}) Deswegen bitte ich Sie herzlich: Denken Sie doch wenigstens nach über die heutigen Kleinrentner, deren Rentenniveau Sie senken! Denken Sie darüber nach, was mit der Rentnerin ist, die in der zweiten Hälfte des Monats an dem Ausflug nicht teilnehmen kann, weil sie sich Kaffee und Kuchen schlicht und ergreifend nicht leisten kann! ({16}) - Schön, dass Sie darüber lachen. ({17}) Ich finde, ehrlich gesagt, dass diese Frau, die in Altersarmut lebt, Ihnen ein Anliegen sein muss. ({18}) Denken Sie im Übrigen auch darüber nach, was Sie mit dem Bundeshaushalt und mit der Rentenversicherungskasse machen! Sie wissen schon, dass es ab 2017/18 nicht mehr reichen wird. Das, was Sie machen, hat mit Zukunftsverantwortung nichts zu tun. Deswegen sage ich Ihnen: Ihr Paket ist nicht gerecht, und es ist zukunftsvergessen. Vielen Dank. ({19})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zu einer direkten Erwiderung nach § 30 unserer Geschäftsordnung erhält der Kollege Schiewerling das Wort.

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Göring-Eckardt, ich möchte Ihnen danken, dass Sie auf meinen Beitrag zur Rehabilitation eingegangen sind, weil mir das die Gelegenheit gibt, Missverständnisse, sollte es sie gegeben haben, an dieser Stelle auszuräumen. Ich sage das auch als jemand, der nun seit mehr als 30 Jahren in der Selbstverwaltung der Deutschen Rentenversicherung tätig ist und auch Verantwortung für die Rehabilitation trägt. Im Mittelpunkt meines Hinweises standen die vielfältigen Anfragen von Rehabilitationsträgern, das Rehabudget unbegrenzt zu erhöhen. Wenn man jedoch Rehabilitationsträgern keine finanziellen Grenzen setzt, dann ist die Gefahr groß, dass das Rehabudget ausufert. Es geht also nicht darum, ob diejenigen, die eine Rehabilitation brauchen, eine Rehabilitation auch bekommen - das ist völlig unstrittig; deswegen wollen wir die Möglichkeiten auch erweitern -, sondern es geht grundsätzlich darum, den Rehadeckel beizubehalten, weil wir sonst die Kosten nicht mehr in den Griff bekommen. Das ist meine Intention gewesen. Meine Aussage betraf überhaupt nicht die Menschen, die eine Reha dringend benötigen; im Gegenteil: Ich würde mir sehr wünschen, dass, wenn wir die Rehabilitationsmöglichkeiten jetzt erweitern, möglichst viele, die eine Reha brauchen, diese auch in Anspruch nehmen, damit sie wieder fit werden für die Arbeitswelt. Das war meine Intention. Mir lag daran, das an dieser Stelle klarzustellen. Auf alle anderen Aussagen in Ihrer Rede will ich nicht eingehen; ich denke, die Kolleginnen und Kollegen, die nach mir reden, werden das tun. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Carola Reimann für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Carola Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Selten habe ich zu einem geplanten Gesetz so viele Briefe, E-Mails und Anrufe von Bürgerinnen und Bürgern erhalten wie in den letzten Wochen zum Rentenpaket. Die persönlichen Anfragen und Reaktionen bestätigen das, was uns die Umfragen der letzten Wochen auch sagen: Die Menschen wollen das Rentenpaket, und sie wollen, dass es jetzt möglichst zügig umgesetzt wird. ({0}) Deshalb ist klar: Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass das gesamte Paket wie angekündigt ab dem 1. Juli bei den Leuten ankommt - nicht mehr und nicht weniger. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir verfolgen mit dem Rentenpaket ein klares Ziel: Wir wollen Gerechtigkeitslücken schließen und die Lebensleistung unserer Rentnerinnen und Rentner besser honorieren. Niemand wird die Lebensleistung von Menschen anzweifeln, die 45 Jahre gearbeitet haben und die 45 Jahre mit ihren Beiträgen die gesetzliche Rentenversicherung stabil gehalten haben. Wir wollen nicht, dass sie nach Jahrzehnten harter Arbeit auch noch mit Abschlägen bestraft werden. Wir wollen ihre Lebensleistung honorieren und nicht bestrafen, auch wenn gesellschaftliche Umbrüche stattgefunden haben. Deshalb, Kolleginnen und Kollegen, wollen wir uns ganz genau an den Koalitionsvertrag halten. Ich will daraus noch einmal zitieren. Auf Seite 51 steht: Langjährig Versicherte, die durch 45 Beitragsjahre - Folgendes steht dort explizit ({1}) ihren Beitrag zur Stabilisierung der Rentenversicherung erbracht haben, können ab dem 1. Juli 2014 mit dem vollendeten 63. Lebensjahr abschlagsfrei in Rente gehen. ({2}) Kolleginnen und Kollegen, Lebensleistungen anerkennen, das gilt auch für die Erziehungsleistungen von Müttern von vor 1992 geborenen Kindern. Auch diese werden wir besser anerkennen. Außerdem werden wir etwas für Menschen tun, die aus gesundheitlichen Gründen - das ist hier schon angeklungen - früher auf Leistungen aus der Rentenversicherung angewiesen sind. Zum einen sorgt das Rentenpaket für Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente, zum anderen wollen wir die Rehabilitation stärken. Es ist wichtig, dass wir in der Rentenversicherung den Fokus künftig stärker auf Gesundheit richten. Gerade vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung ist absehbar, dass die Notwendigkeit von Rehabilitationsmaßnahmen insgesamt wächst. Wir wollen, dass alle möglichst lange gesund und aktiv am Berufsleben teilnehmen können und auch nach einer Krankheit in die Arbeit zurückkehren können. Unser Motto ist da „Reha vor Rente“, gerade weil wir wissen, dass in Zukunft jeder Mann und jede Frau auf dem Arbeitsmarkt gebraucht wird. ({3}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, uns geht es also um die Anerkennung von Lebensleistungen, um Unterstützung im Krankheitsfall und um Unterstützung bei der Rückkehr auf den Arbeitsmarkt. Wer dies abfällig als „Wahlgeschenke“ abtut, hat offensichtlich keine Ahnung, wie notwendig und wie wichtig die einzelnen Maßnahmen des Rentenpakets für viele sind. Wir spielen hier nicht das verspätete Christkind, sondern wir sorgen dafür, dass die Rente besser und gerechter wird. ({4}) Natürlich gibt es das alles nicht zum Nulltarif. Aber wir sind in der Lage, die notwendigen Verbesserungen zu finanzieren, weil wir dank unserer wirtschaftlichen Stärke finanziell gut aufgestellt sind. Diese wirtschaftliche Stärke ist im Übrigen nicht vom Himmel gefallen; vielmehr ist sie ein Ergebnis weitreichender Reformen, die wir Sozialdemokraten in schwierigen Zeiten durchgesetzt haben - auch bei der Rente. ({5}) Das war nicht populär, und das war für keinen von uns leicht; aber es war notwendig und an der Zeit. Genauso ist es jetzt notwendig und an der Zeit, dass wir Gerechtigkeitslücken in der Rente schließen. Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, wir brauchen hier keine Belehrungen. Wir haben bei unserer Rentenpolitik der letzten Jahre immer beides im Blick gehabt: die mit der demografischen Entwicklung verbundenen Herausforderungen der Zukunft genauso wie die Lebensleistungen und die Interessen der älteren Generation. ({6}) Für uns ist das kein Widerspruch; für uns gehört das zusammen. ({7}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir starten nun mit den parlamentarischen Beratungen zum Rentenpaket. Es ist ein Paket, das wir als Große Koalition bereits in den Koalitionsverhandlungen vereinbart haben und das nach hervorragender Arbeit der Ministerin Nahles und ihres Ministeriums nun in Gesetzesform hier im Bundestag angekommen ist. Der Generalsekretär der CDU, der Kollege Tauber - ich glaube, er ist gerade nicht da -, hat kürzlich gesagt, er werde die Einführung der Mütterrente liebevoll begleiten. Das freut mich. Wir werden das selbstverständlich mit genauso viel Hingabe tun: bei der Mütterrente, bei der Rente mit 63, bei der Verbesserung der Erwerbsminderungsrente und auch bei der Stärkung der Reha. Ich bin zuversichtlich, dass wir so gemeinsam das große Rentenpaket zügig auf den Weg bringen werden, damit es rechtzeitig ab dem 1. Juli 2014 den Menschen zugutekommt. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Sabine Zimmermann erhält nun das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Debatte hier so verfolgt, dann muss man einfach denken: Sie kennen die Realität in diesem Land nicht, Sie wissen nicht, dass Millionen von Menschen im Niedriglohnbereich arbeiten, teilweise mit 4,50 Euro die Stunde nach Hause gehen, Sie wissen nicht, dass viele Menschen die Grundsicherung im Alter brauchen, weil sie in den ganzen Jahren so niedrige Löhne hatten. Ich denke, dass Sie die Realität gar nicht kennen. Sie sprechen hier vollmundig über die Anerkennung der Lebensleistung und das Schließen von Gerechtigkeitslücken. Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Mein Kollege Matthias W. Birkwald hat recht, wenn er sagt: Bei den von Ihnen angekündigten Maßnahmen handelt es sich nicht um ein Rentenpaket, es handelt sich allenfalls um ein Rentenpäckchen und noch dazu um eine Mogelpackung. ({0}) „Rente muss zum Leben reichen“, das fordert auch der Deutsche Gewerkschaftsbund zu Recht in seiner Kampagne. Dank Ihrer Senkung des Rentenniveaus und Ihrer Rente ab 67 werden aber immer mehr Menschen sagen müssen: Meine Rente reicht nicht zum Leben. Hier ist Altersarmut vorprogrammiert. Und was tun Sie? Sie tun nichts, meine Damen und Herren. Sabine Zimmermann ({1}) Ihre Maßnahmen haben mit Gerechtigkeit definitiv nichts zu tun. Schauen wir uns die sogenannte Mütterrente einmal an: Sie wollen die Erziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder richtigerweise besser anerkennen. Statt ein Jahr lang soll künftig zwei Jahre lang der Durchschnittsbeitrag in die Rentenversicherung fließen. Bei den Eltern, deren Kinder nach 1992 geboren sind, werden aber drei Jahre anerkannt. Ich frage Sie: Ist das gerecht? Gibt es für diese Ungleichbehandlung irgendeinen sachlichen Grund? Ich höre keinen, und ich kann das niemandem erklären, meine Damen und Herren. ({2}) Ihnen fehlen der Wille und der Mut, das für eine gerechte Lösung nötige Geld durch eine andere Steuerpolitik aufzubringen. Sie lassen die Verkäuferin, die Krankenschwester, den Müllwerker und prekär beschäftigte Menschen diese Mütterrente bezahlen, während der praktizierende Arzt, die Rechtsanwältin oder wir alle als Abgeordnete des Deutschen Bundestages fein raus sind und dort keinen müden Euro beisteuern müssen. Das ist ungerecht. ({3}) Was mich nicht nur als Frau aus dem Osten besonders empört: Sie halten auch an der Ungleichbehandlung zwischen Ost und West fest. Ich frage Sie, meine Damen und Herren - wir sind im 25. Jahr der deutschen Einheit -: Wie lange wollen Sie Ost und West noch unterschiedlich behandeln? Soll es noch in 100 Jahren so sein? So kann es doch nicht weitergehen! ({4}) Erklären Sie der Frau in Dresden doch einmal, warum ihre Erziehungsleistung weniger wert sein soll als die einer Frau oder eines Mannes in Hamburg? Ich bin mir sicher, auch das können Sie nicht erklären. Noch eines zur Rente ab 63 für langjährig Versicherte: Für diese Reform brennen Sie hier ein Riesenfeuerwerk ab; dabei handelt es sich um nicht mehr als eine eigentlich selbstverständliche Übergangsregelung, die schon bei der Einführung der Rente ab 67 ins Gesetz gehört hätte. Gleichzeitig zeigt Ihr Umgang mit Zeiten der Arbeitslosigkeit einmal mehr, dass es Ihnen um manches gehen mag, aber definitiv nicht um Rentengerechtigkeit. ({5}) Sie wollen nur kurzfristige Zeiten der Arbeitslosigkeit anerkennen; das ist schlimm genug. Aber ein starkes Stück ist es, wenn Sie auch noch argumentieren, es gehe hier um die Lebensleistung. Nun frage ich Sie - da möchte ich das Beispiel meines Kollegen noch einmal aufgreifen -: Was unterscheidet einen Maurer, der viermal ein Jahr arbeitslos war, von einem Maurer, der einmal vier Jahre arbeitslos war? ({6}) - Ja, Sie können sich aufregen; es ist aber so, und das müssen Sie den Leuten draußen erklären. - Die gleiche Frage können Sie bei einer Altenpflegerin stellen, die auch hart arbeitet. Wo soll in diesen Fällen der Unterschied in der Lebensleistung liegen? Da gibt es keinen. Dennoch verurteilen Sie Menschen, die langzeitarbeitslos sind, mit saftigen Abschlägen in Rente zu gehen oder aber länger zu arbeiten. Das hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun. ({7}) So bleibt als Fazit des Rentenpäckchens eigentlich nur: Manches wird besser, nichts wird gut, und das wird auch so bleiben. Von einer Rentenreform sollten Sie erst wieder sprechen, wenn Sie sich den eigentlichen Baustellen widmen. Statt das Rentenniveau weiter abzusenken, muss es endlich wieder angehoben werden. ({8}) An der Rente mit 67, meine Damen und Herren, sollten Sie nicht länger herumdoktern, sondern sie einfach beerdigen. Danke schön. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Peter Weiß für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Was versprochen wurde, wird auch eingehalten: Das steht eigentlich als Überschrift über diesem Rentenpaket. ({0}) Ich kann manche Kritik - vor allen Dingen manche Zeitungskommentare - nicht verstehen. Die Wählerinnen und Wähler in unserem Land haben im September vergangenen Jahres unsere Wahlprogramme und nicht irgendwelche Zeitungskommentare gewählt. ({1}) Das, was sowohl im Wahlprogramm der Union als auch in dem der SPD steht, wird mit diesem Gesetzespaket umgesetzt, und ich sage ganz klar und deutlich: Die Wählerinnen und Wähler haben auch einen Anspruch darauf, dass wir das, was wir im Wahlprogramm zugesagt haben, jetzt auch konkret in Gesetzesform gießen. ({2}) Zu Recht stellt sich in jeder Rentendebatte auch die Frage nach der Generationengerechtigkeit; Peter Weiß ({3}) ({4}) denn darauf fußt unser Rentensystem, und natürlich ist es so, wie Frau Göring-Eckardt sagte, dass sich ein 20-Jähriger, wenn er ins Arbeitsleben eintritt, heute fragt, was er einmal von der Rente erwarten kann. ({5}) Ich finde, das sozialpolitisch Wichtigste ist, dass sich ein Arbeitnehmer und eine Arbeitnehmerin in unserem Land darauf verlassen können, Leistungen einer Sozialversicherung zu erhalten, wenn sie in eine Lebenssituation kommen, in der sie sich selber nicht mehr helfen können, wenn sie also einen Unfall erleiden oder erkranken und nicht mehr am Erwerbsleben teilnehmen können oder zeitweise ausscheiden müssen. Deshalb sind für mich die Verbesserungen bei der Berechnung der Erwerbsminderungsrente, also der Rente für diejenigen, die einfach nicht mehr arbeiten können und vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden müssen, und die Anhebung des Budgets für Rehaleistungen, also für Gesundheitsmaßnahmen in dem Fall, dass man krank ist und in eine Kur muss, Akte der Generationengerechtigkeit. Auch die junge Generation kann sich darauf verlassen: Wenn man sich selber nicht mehr helfen kann, hilft die Rentenversicherung. ({6}) Natürlich geht es bei der Generationengerechtigkeit, wenn man sie richtig durchbuchstabiert, nicht nur um eine Generation. Dass wir heute endlich die Mütterrente verbessern - die Anrechnungszeit wird für Mütter von vor 1992 geborenen Kindern verdoppelt -, betrifft doch vor allen Dingen Mütter, die damals keine U-3-Betreuungsplätze und oft auch keinen Kindergartenplatz fanden, weil es noch keinen Rechtsanspruch auf U-3-Betreuung oder einen Kindergartenplatz gab. Deswegen sind sie ganz oder teilweise aus dem Beruf ausgestiegen. Die Kinder, die damals geboren wurden, stützen heute als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ihren Beiträgen unser Rentenversicherungssystem. Deswegen ist es doch geradezu ein Gebot der Generationengerechtigkeit, dass wir die Lebensleistung dieser Mütter besser anerkennen. Deshalb ist das ein zentraler Punkt, den wir mit diesem Rentenpaket durchsetzen. ({7}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, selbstverständlich erwarten auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in einer langen Lebensleistung mit ihren Beiträgen das Sozialsystem insgesamt getragen und finanziert haben und mit ihren Steuern unseren Staat finanzieren, dass wir ihre Lebensleistung in besonderer Weise würdigen. Deswegen wird man landauf, landab stets hören: Wer 45 Jahre lang hart gearbeitet und etwas für diesen Staat geleistet hat, dem darf man auch eine Anerkennung in der Form zukommen lassen, dass er nicht unbedingt noch länger arbeiten muss, sondern ohne Abschläge in Rente gehen kann, wenn er das Rentenalter erreicht hat. Ich halte auch das für einen Akt der Gerechtigkeit. ({8}) Deswegen haben wir übrigens in der letzten Großen Koalition, als wir nach einem mühsamen Prozess miteinander beschlossen hatten, die Regelaltersgrenze in der Rentenversicherung von 65 Jahre auf 67 Jahre anzuheben, was richtig ist und auch so bleibt, gleichzeitig beschlossen: Wer 45 Beitragsjahre aufweist, der kann auch in Zukunft mit 65 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen. Das war für uns ein wesentlicher Bestandteil der Vereinbarung, um die Regelaltersgrenze in Deutschland anzuheben. Auf der anderen Seite wollen wir alles tun, um nicht neue Frühverrentungsanreize zu schaffen; denn das wäre das falsche Signal. Wir steigen jetzt in die parlamentarischen Beratungen ein. Es gibt unterschiedliche Ideen und Vorstellungen, die wir miteinander prüfen. Für uns als Union ist aber wichtig - ich glaube, die Sozialdemokraten sehen das genauso -, dass am Ende eine Beschlussfassung im Bundestag mit folgendem Inhalt stehen muss: Ja zu diesem Rentenpaket, aber Nein zu neuen Frühverrentungsanreizen. ({9}) Zu Recht wird natürlich die Frage nach den Rentenfinanzen gestellt. Dabei sind zwei Dinge wichtig. Das Erste ist: Ja, wir als Staat bezuschussen die Leistungen der Rentenversicherung mit hohen Steuerbeträgen. Mittlerweile kommt ein Drittel dessen, was ausgezahlt wird, nicht aus Beitragsmitteln, sondern vonseiten des Staates aus Steuermitteln. Wir beschließen bereits mit diesem Gesetz, dass wir zur nachhaltigen Finanzierung der Rentenfinanzen in den nächsten vier Jahren zusätzliche Steuermittel für die Rentenversicherung zur Verfügung stellen. Das Zweite ist - das ist noch wichtiger - der Beitrag der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Der Präsident der Bundesagentur für Arbeit hat vor zwei Tagen in seiner Pressekonferenz erklärt, dass die Bundesagentur für Arbeit davon ausgeht, dass wir in diesem Jahr einen neuen Beschäftigungsrekord in Deutschland erreichen können. Das zeigt: Solide Finanzen der Rentenversicherung hängen zuallererst an einer guten Beschäftigungssituation und an den vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die mit ihren Beiträgen die Rentenversicherung unterstützen. Wir als Große Koalition können dieses Rentenpaket deswegen mit gutem Gewissen beschließen, weil wir einerseits zusätzliche Generationengerechtigkeit schaffen und wir andererseits durch eine gute wirtschaftliche Entwicklung dafür sorgen, dass auch in Zukunft die Einnahmen für die Rentenversicherung gesichert sind. Vielen Dank. Peter Weiß ({10}) ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Markus Kurth spricht nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Weiß, Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU dürfen das Wort „Generationengerechtigkeit“, wenn Sie dieses Paket verabschieden, bis zum Ende Ihres Lebens nicht mehr in den Mund nehmen. ({0}) Ich wollte diese Rede eigentlich nicht mit einer Betrachtung der finanziellen Folgen beginnen, aber Ihre Reden provozieren nun wirklich sehr. Es muss einem bange werden, wenn man sich ansieht, was im Jahr 2018 im Bereich Beitragssatzentwicklung dräut. ({1}) Zwar muss der Beitragssatz wegen der demografischen Entwicklung 2018 sowieso steigen. Aber diese Entwicklung wird durch ihr Rentenpaket jetzt noch einmal verstärkt. ({2}) - Max Straubinger, seien Sie doch einmal still und hören Sie zu! ({3}) Erinnern Sie sich nicht daran, dass eine Serie von Beitragssatzsteigerungen in der Vergangenheit Diskussionen um das Leistungsniveau ausgelöst hat ({4}) und es in der gesetzlichen Rentenversicherung tatsächlich zu Niveauabsenkungen gekommen ist? Jetzt sind wir aber im Unterschied zu der Zeit vor 10 oder 20 Jahren an dem Punkt angelangt, dass das Rentenniveau keinesfalls weiter absinken darf. Ein Eckrentner wird im Jahr 2030 nach Steuern nur noch 950 Euro netto haben. Dieses Niveau darf nicht unterschritten werden. Wenn die gesetzliche Rente selbst nach einem halbwegs soliden Erwerbsleben nicht einmal zur Armutsvermeidung reicht, dann ist es mit der Akzeptanz des Umlageverfahrens wirklich vorbei. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Kurth, darf Ihnen der Kollege Straubinger eine Zwischenfrage stellen?

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gerne. Bitte schön.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kurth, weil Sie sich vorhin so um den Beitragssatz gesorgt haben: Könnten Sie mir bestätigen, dass der Beitragssatz unter der rot-grünen Bundesregierung bei 19,9 Prozent lag und er jetzt bei 18,9 Prozent liegt und somit unter Unionsregierungen gesenkt worden ist? ({0})

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kann Ihnen Folgendes sagen: Als Rot-Grün 1998 an die Regierung kam, lag der Rentenbeitragssatz, den wir von der Regierung Kohl übernommen haben, bei etwa 20 Prozent. Wir haben daraufhin die Ökosteuer eingeführt, also Umweltverschmutzung finanziell belastet, und die Erträge aus dieser Steuer in die gesetzliche Rentenversicherung fließen lassen. Dann haben wir - auch wenn man sich noch einmal kritisch damit befassen muss - mit der Riester-Rente bzw. dem Riester-Faktor eine zusätzliche Säule geschaffen. 2004 haben wir den Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt, damit die Entwicklung des zahlenmäßigen Verhältnisses von Beitragszahlern und Rentnern berücksichtigt wird. ({0}) Das heißt, alles, was im Kern zu der guten Finanzentwicklung der heutigen Rentenversicherung geführt hat, geht auf Fundamentalentscheidungen von Rot-Grün zurück. Das ist die historische Wahrheit. ({1}) An dem Punkt muss man in der Tat darauf achten, Herr Birkwald, dass man die Schraube nicht überdreht. Jeder Autoschrauber weiß: Nach ganz fest kommt ganz lose. Darum sagen ich hier ganz deutlich: Es ist auch eine Frage der Generationengerechtigkeit, dass sich diejenigen, die heute einzahlen, darauf verlassen können, dass das Rentenniveau auch in Zukunft armutsfest ist. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Darf der Kollege Ernst auch noch eine Zwischenbemerkung machen? Das ist dann allerdings die letzte, die ich zulassen würde.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin offen für alle Hinweise, wenn ich helfen kann, zur Erkenntnis beizutragen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Kollege Kurth. Meine Bemerkung schließt an das an, was der Kollege Straubinger gesagt hat: In der Zeit, in der Sie regiert haben, ist doch genau die Absenkung des Leistungsniveaus beschlossen worden, die Sie jetzt kritisieren. ({0})

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein. - Natürlich haben die Beschlüsse von Rot-Grün zu einem sinkenden Rentenniveau bzw. zu einem langsameren Anstieg der Rentenpunkte geführt. ({0}) Das will doch niemand bestreiten. Wir haben nämlich gesehen, dass es ein Spannungsfeld gibt, das wir bearbeiten müssen: zwischen Beitragszahlern einerseits, Rentnerinnen und Rentnern andererseits und dem erheblichen Staatszuschuss auf der dritten Seite. Wir haben versucht, das in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen, und ich denke, das ist auch einigermaßen gut geglückt. ({1}) Ich leugne doch gar nicht, dass wir an der einen oder anderen Stelle Nachsteuerungsbedarf haben. Daran, dass zum Beispiel die Riester-Rente und Möglichkeiten der privaten und betrieblichen Altersvorsorge gerade von denen, die geringste Einkommen haben, nicht in Anspruch genommen werden, sehen wir, dass es zusätzliche Probleme gibt. Darauf haben wir Grüne auch reagiert. Wir schlagen das Modell einer sogenannten Garantierente für Personen vor, die 30 Jahre lang versichert waren und Beiträge gezahlt haben. Bleiben Sie bitte stehen, Herr Ernst! Das gehört noch zur Beantwortung der Frage, Herr Ernst. Nicht wegducken! Ah, Angst hat er! ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Da muss ich Sie enttäuschen, Herr Kollege. Die Frage, wie lange die Antwort des jeweiligen Redners ohne Beachtung seiner eigentlichen Redezeit notwendig und angemessen ist, entscheidet der amtierende Präsident. ({0}) Deswegen darf der Kollege Ernst sich jetzt wieder setzen, und Sie dürfen fortfahren. ({1})

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Na ja. - Wir Grünen machen jedenfalls den Vorschlag, nach 30 Versicherungsjahren Renten, die unterhalb des Grundsicherungsniveaus liegen, aufzustocken, und zwar in der Form, dass sie über dem Grundsicherungsniveau liegen. ({0}) Das heißt, wir entwickeln an der Stelle Vorschläge zur Armutsbekämpfung und steuern da, wo wir es erkennen und wo es notwendig ist, natürlich nach. ({1}) Herr Ernst, das gehört noch zu der Antwort auf Ihre Frage, auch wenn die Redezeituhr schon weitergelaufen ist. Was die Aussichten bezüglich der Finanzierung angeht, finde ich es dramatisch, dass wir möglicherweise ab dem Jahr 2018 wieder auf eine Kürzungsdebatte zulaufen. Wenn es ganz schlecht läuft, dann werden sich nämlich die Rentengeschenke von heute als die Rentenkürzung von morgen erweisen. Das müssen Sie dann verantworten. ({2}) In der knappen Zeit kann ich nur noch auf eines eingehen: Sie erkennen auch wichtige Herausforderungen nicht. Sie reden zwar von längerer Lebensarbeitszeit und flexiblen Übergängen. Aber genau in der Hinsicht machen Sie gar nichts. Sie bieten nur Scheinlösungen wie die sogenannte Rente mit 63 an. Wir brauchen aber Lösungen für alle, die, sei es aus gesundheitlichen oder aus anderen Gründen, das Renteneintrittsalter nicht erreichen können. Diese Lösungen müssen möglichst individuell zugeschnitten sein. Das heißt, wir brauchen mehrere Ansätze, etwa von einer zweiten Ausbildung im Berufsleben über eine Teilrente bis hin zu einer vernünftigen Erwerbsminderungsrente. Es muss also ein vielfältiges Instrumentarium geben statt einfältige Einheitslösungen. ({3}) Am schlimmsten finde ich, dass mit der abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren gar nicht diejenigen erreicht werden, die es am dringendsten nötig hätten. Ganz entgegen der SPD-Rhetorik kommen diese nämlich gerade nicht in den Genuss der sogenannten Rente mit 63, weil sie die 45 Beitragsjahre längst nicht erreichen. Schauen Sie sich die Rentenzugangsstatistiken der Versicherung an. Vier von zehn Bauarbeitern gehen vorzeitig in die Erwerbsminderungsrente, mehr als ein Drittel der Maler und Lackierer, vier von zehn Hilfsarbeitern. So können Sie die Branchen durchgehen und sehen, wer überhaupt nicht in den Genuss dieser neuen schönen Sozialleistung kommt. Ich finde es - das muss ich abschließend noch sagen empörend, dass diejenigen, die nach Jahrzehnten teils härtester Arbeit aus gesundheitlichen Gründen mit gekürzter Rente in den Ruhestand gehen müssen, von Ihnen auch noch zu hören kriegen, mit dem Rentenpaket täten Sie etwas für diejenigen, die etwas geleistet haben. Das kann doch im Umkehrschluss nur bedeuten, dass Sie die anderen als Minderleister ansehen, mit deren Rentenbeiträgen Sie die Geschenke für die anderen finanzieren, als Minderleister, deren Rentenniveau Sie ja auch kaltblütig absenken. ({4}) - Nein, das ist genau so. - Sie spielen Arbeitnehmer gegeneinander aus. Ich wundere mich an der Stelle schon, dass sich auch die Gewerkschaften, die die besonders belasteten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vertreten, nicht zu Wort melden. Erinnert sich noch jemand an den Schattenarbeitsminister Klaus Wiesehügel? Er wird sich jetzt wohl bewusst, dass er nur Wahlkampfkomparse war. ({5}) Nein, Ihre Politik geht an den wirklichen Herausforderungen vorbei, und Sie leisten bei der Finanzierung richtig schlechte Arbeit. Danke. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Katja Mast für die SPD-Fraktion. ({0})

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kurth, Sie tun hier beim ersten großen Gesetzespaket der Großen Koalition, als sei sie morgen schon vorbei. Wir haben uns viel mehr vorgenommen als das, was wir heute vorlegen. Wir sind aber auch stolz auf das Rentenpaket, das eine abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren und die Mütterrente vorsieht, außerdem die Erwerbsminderungsrente für die Leute, die Sie am Schluss erwähnt haben, verbessert und auch den Rehadeckel anhebt, womit wir sehr viel für die Vorsorge tun. Wir stehen zu diesem Rentenpaket. ({0}) Ich habe für meine Rede heute dank der HannsSeidel-Stiftung ({1}) etwas gefunden, nämlich die Wahlplattform der CDU und CSU aus dem Jahr 1998 für die Legislatur bis 2002. In dieser Wahlplattform ({2}) steht auf Seite 21 ein folgenschwerer Satz. Ich würde gerne zitieren, wenn Sie, Herr Präsident, es zulassen. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Doch. Im Unterschied zum Fraktionsvorsitzenden der Union gestatte ich Ihnen dieses Zitat ausdrücklich. ({0}) Es sollte sich allerdings im Rahmen Ihrer Redezeit abspielen.

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das versuche ich. Vielen Dank. - Dort steht der folgenschwere Satz: Wer nach 45 Beitragsjahren in Rente geht, soll keine Abschläge hinnehmen müssen. ({0}) Deshalb sind wir froh, dass wir diese Forderung jetzt gemeinsam umsetzen und auch bei diesem Punkt unsere in der Öffentlichkeit immer wieder hochgespielten Dissense sicherlich in naher Zukunft zur gemeinsamen Zufriedenheit lösen werden. ({1}) Ich würde gerne meinen Blick in die Zukunft richten und an dieser Stelle - noch einmal mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten - unseren Koalitionsvertrag kurz zitieren. In unserem Koalitionsvertrag steht auf Seite 72: Deswegen wollen wir lebenslaufbezogenes Arbeiten unterstützen. Wir werden den rechtlichen Rahmen für flexiblere Übergänge vom Erwerbsleben in den Ruhestand verbessern. Das heißt, wir wollen Hemmnisse beim Übergang in die Rente gemeinsam abbauen, darüber ins Gespräch kommen und dazu künftig gemeinsame Initiativen hier starten. Im Rentenrecht ist es übrigens heute schon so, dass derjenige, der keine Vollrente bezieht und länger arbeitet, pro Monat, in dem er oder sie arbeitet, 0,5 Prozentpunkte mehr Rente am Ende herausbekommt. Es gibt also einen Bonus schon in unserem heutigen Rentenrecht. Es gibt aber noch ein zweites Instrument, das uns am Herzen liegt. Das ist die sogenannte Teilrente. Die Teilrente kann man ab 63 Jahren bekommen, wenn man einen Rentenanspruch hat. Heute ist es oft so: Wenn man in Rente geht, dann empfindet man den Renteneintritt wie ein Fallbeil. Man hat in der vorherigen Woche noch 39 Stunden am Band oder in der Altenpflege gearbeitet, und in der kommenden Woche ist man - nicht immer zur Freude der Familie - die ganze Zeit zu Hause. Deshalb geht es auch darum, gleitende Übergänge in Rente zu organisieren. Die Teilrente im geltenden Gesetz ist aber leider sehr starr und sehr kompliziert. Wenn wir mit unserem Koalitionspartner über lebenslauforientierte Übergänge in die Rente für die kommenden Generationen reden, weisen wir immer darauf hin, dass wir genau an dieser Stelle ansetzen und die gesetzlichen Regelungen modernisieren müssen. Das ist ein Punkt, der für uns ganz wichtig ist. Gerade für diejenigen, die zum Beispiel jetzt auf der Zuschauertribüne sitzen - ich vermute, dass es sich bei den jungen Damen und Herren um Schulklassen handelt -, geht es darum, in ihren Erwerbsbiografien, die von Anfang an von Flexibilität geprägt sind, den Übergang zur Rente zu organisieren. Unser Koalitionsvertrag trägt die Überschrift „Deutschlands Zukunft gestalten“. Das ist nicht nur eine Überschrift, sondern unsere Überzeugung. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Stephan Stracke für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorgelegten Rentenpaket setzen wir zentrale rentenpolitische Verabredungen des Koalitionsvertrages um. Der Gesetzentwurf trägt deutlich die Handschrift der Union. Mit der Mütterrente und den Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente und bei der Reha greifen wir langjährige Forderungen der CSU auf. Hiervon profitieren 10 Millionen Menschen in diesem Land. ({0}) Das Rentenpaket ist Ausdruck zweier wesentlicher Grundprinzipien: Generationengerechtigkeit und Leistungsgerechtigkeit. Wir verbinden beide miteinander. Leitgedanke ist: Wir wollen diejenigen belohnen, die ein Leben lang viel geleistet haben. Deshalb ist die Mütterrente gerechtfertigt. Sie stellt den zentralen rentenpolitischen Fortschritt in diesem Paket dar. Deshalb wird sie zum 1. Juli dieses Jahres kommen. ({1}) Die Rente ist ein Spiegel der gesamten Lebensleistung. Zur Lebensleistung von über 9 Millionen Frauen in diesem Land gehört auch, dass sie Kinder erzogen haben, und das unter Bedingungen, wie es sie jetzt nicht mehr gibt. Die Generationen unserer Mütter und Großmütter hatten nicht die hervorragenden Betreuungsmöglichkeiten, von denen beispielsweise meine Generation profitieren kann. So wurde die Berufstätigkeit oftmals über einen längeren Zeitraum unterbrochen oder gar gänzlich aufgegeben. Das führte dann im Alter dazu, dass sie niedrigere Renten beziehen, und das, obwohl sie ein Leben lang viel geleistet haben. Das ist nicht gerecht. Es ist auch nicht gerecht, dass sie bei der Anerkennung von Kindererziehungszeiten deutlich schlechter gestellt sind als die heutige Generation. Das haben viele gesellschaftliche Gruppen angesprochen. Wir haben das als CSU aufgegriffen und auf die politische Agenda gehoben, und jetzt kommt es. Dabei ist auch richtig und wichtig, zu betonen: Die Mütterrente ist ein Generationenprojekt, ein Projekt, das über alle Generationen hinweg geht. Gerade die junge Generation ({2}) muss sich sagen: Es geht um meine Eltern, um meine Mutter, meinen Vater, meinen Opa, meine Oma. - Und sie erkennt die Leistungen der vorangegangenen Generationen an, indem sie sagt: Ihr habt viel geleistet und habt uns Chancen eröffnet, die ihr selber nicht hattet. Deswegen sollt ihr auch von der Mütterrente profitieren. - Diejenigen, die hart gearbeitet haben, verdienen eine anständige Rente. Dafür sorgen wir mit der Mütterrente. ({3}) Unsere Eltern und Großeltern haben wie keine andere Generation in der Bundesrepublik Deutschland zum Erhalt des Generationenvertrags beigetragen. Aus den Kindern von damals wurden die Beitragszahler von heute. Genau sie sind es, die für die hervorragende wirtschaftliche Situation in diesem Land gesorgt haben. Deswegen haben wir jetzt finanzielle Spielräume. Diese nutzen wir für die Mütterrente. Wer viel geleistet hat, soll auch viel profitieren. Das galt und gilt auch für die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren. Wir haben im Übrigen, Frau Kollegin Mast, immer von 45 Beitragsjahren gesprochen. Von der Anerkennung von Arbeitslosenzeiten war damals nicht die Rede. ({4}) Es geht vielmehr ausschließlich darum, dass wir die Leistung derjenigen, die viel und hart gearbeitet haben, entsprechend anerkennen. Derjenige, der ein halbes Jahrhundert lang mit seinen Beiträgen dazu beigetragen hat, unser Rentensystem zu sichern und zu stabilisieren, verdient am Ende seines Erwerbslebens Solidarität. Deswegen sagen wir: Die abschlagsfreie Rente mit 65 ist richtig. ({5}) - Ab 65 ist richtig. - Wir haben im Rahmen des Koalitionsvertrages vereinbart, dass wir diese Rente übergangsweise zwei Jahre vorziehen, auf 63. Dies bauen wir wieder schrittweise bis zum Jahre 2028 auf. Dann erreichen wir wieder das Niveau, was wir vorher hatten. ({6}) Wenn wir im Übrigen Zeiten der Arbeitslosigkeit zeitlich begrenzt und übergangsweise anerkennen, dann muss auch ein weiteres Prinzip gelten: Es kann nicht sein, dass derjenige, der in das Rentenversicherungssystem freiwillig Beiträge zahlt, schlechter gestellt wird als derjenige, dem beispielsweise Zeiten von Arbeitslosigkeit anerkannt werden. Es kann doch nicht sein, dass beispielsweise ein Handwerker, der sehr viel arbeitet und 18 Jahre in die Pflichtversicherung gezahlt hat und sich dann entscheidet, bis zur Rente freiwillig Beiträge zu zahlen, schlechter gestellt wird als derjenige, dem Arbeitslosenzeiten gutgeschrieben werden. Das ist auch eine Frage der Gerechtigkeit. Wir müssen diese Gerechtigkeitsfrage entsprechend lösen. Auch hier befinden wir uns im Gespräch mit unserem Koalitionspartner. ({7}) Für uns ist ganz klar: Der Weg der Rente mit 67 ist der richtige Weg. Daran halten wir auch fest; denn die Rente mit 67 ist das schlichte Ergebnis praktischer Vernunft. Wenn jemand, der heute mit 65 Jahren im Erwerbsleben steht, noch knapp 19 Jahre unter guten Rahmenbedingungen leben kann, dann ist es doch klar, dass wir unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit zusehen müssen, die Rentenversicherung dauerhaft tragbar zu machen. An dem eingeschlagenen Weg „Rente mit 67“ halten wir fest; hierfür braucht es allerdings auch soziale Flankierung. Genau dafür sorgen wir jetzt, indem wir die Erwerbsminderungsrente verbessern und gleichzeitig das Rehabudget aufstocken. All das zeigt: Das Rentenpaket ist ein rundes Paket, das insbesondere Verbesserungen bei der Mütterrente mit sich bringt. Alle Vorhaben sind auch generationengerecht finanziert. Das Rentenpaket ist generationengerecht, weil es mittel- und langfristig finanziert ist. Im Rentenversicherungsbericht aus dem Jahr 2009 gab es die Prognose, dass der Beitragssatz im Jahr 2014 bei 19,9 Prozent liegen wird. Tatsächlich liegen wir bei 18,9 Prozent. Das sind 10 Milliarden Euro Ersparnis jährlich. ({8}) Das zeigt, wie gut wir derzeit dastehen. Das hängt damit zusammen, dass wir eine hervorragende wirtschaftliche Entwicklung haben, dass wir für viele sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze sorgen. Deswegen haben wir jetzt die Spielräume, die Dinge so machen zu können, wie es im Rentenpaket vereinbart ist. Das wollen wir gemeinsam tun. Herzlichen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Martin Rosemann ist der nächste Redner für die SPDFraktion. ({0})

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Vorwurf gegenüber dem Rentenpaket der Bundesregierung, den ich in den letzten Wochen immer wieder gehört und gelesen habe und der heute aus den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen von Herrn Kurth und Frau Göring-Eckardt wieder erhoben wurde, ist, wir würden nicht dort ansetzen, wo der Bedarf am größten ist. ({0}) Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, dem liegt ein grundsätzliches Missverständnis ({1}) über unser deutsches Rentenversicherungssystem zugrunde. Die Rente ist keine Sozialleistung. ({2}) Natürlich soll die gesetzliche Rentenversicherung Altersarmut verhindern. Deswegen nehmen wir die Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente vor. Deswegen werden wir als Große Koalition in dieser Legislaturperiode auch die solidarische Lebensleistungsrente einführen. Aber gleichermaßen muss die solidarische gesetzliche Rente Lebensleistung anerkennen. Deswegen wollen wir die Mütterrente und auch die sogenannte Rente mit 63 Jahren. Damit erkennen wir vor allem die Leistung der Menschen an, die sehr früh ins Arbeitsleben eingestiegen sind und dann lange und in der Regel körperlich sehr hart gearbeitet haben. Von der Anerkennung der Lebensleistung hängt meines Erachtens das Vertrauen in das System der gesetzlichen Rente ganz maßgeblich ab. Vertrauen ist bei unseren sozialen Sicherungssystemen, gerade auch bei der Rente, besonders wichtig. In einer älter werdenden Gesellschaft müssen die Leute im Durchschnitt auch länger arbeiten. Deshalb wollen wir als SPD die Entwicklungen beim Renteneintrittsalter nicht zurückdrehen, und deshalb wollen wir auch keine Rückkehr in die alte Frühverrentungslogik der 80er- und 90er-Jahre. ({3}) Wir wissen aber, dass es neben der demografischen Realität auch eine gesellschaftliche Realität und eine Realität in den Betrieben gibt. Das verlangt von uns differenzierte Antworten, vor allem für erwerbsgeminderte Personen und für Leute, die sehr früh ins Erwerbsleben eingestiegen sind. Durch differenzierte Lösungen und differenzierte Antworten schaffen wir auch neues Vertrauen. Das zeigt die große Zustimmung, die unser Rentenpaket in der Bevölkerung insgesamt, aber gerade auch in der jungen Generation erfährt. Meine Damen und Herren, wenn wir differenzierte Lösungen wollen, müssen wir uns auch fragen, wie wir mit der Anrechnung von Arbeitslosigkeit beim vorzeitigen Renteneintritt umgehen. Herr Kollege Schiewerling hat zu Recht auf die Vergangenheit verwiesen, auf die großen Strukturkrisen in Ostdeutschland, aber auch im Bergbau und in der Stahlindustrie. Genauso gilt das aber angesichts zunehmend brüchiger Erwerbsbiografien und der Tatsache, dass Krisen auch in Zukunft nicht ausgeschlossen sind, aus unserer Sicht auch für die Zukunft. Genau so steht es deshalb auch im Koalitionsvertrag. ({4}) Zusammenfassend will ich sagen: Die Große Koalition verbindet mit ihrer Rentenpolitik die Verantwortung gegenüber der Lebensleistung der älteren Generation mit der Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen. Wir sorgen für die notwendigen und von der Bevölkerung auch gewollten Leistungsverbesserungen. Wir bauen Gerechtigkeitslücken konsequent ab und sorgen damit wieder für mehr Vertrauen in die gesetzliche Rente. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Jana Schimke für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jana Schimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Land schaut heute auf uns. Mit dem Rentenpaket beraten wir eine zentrale soziale Frage - die der Alterssicherung. So sagte ein früherer Bundesminister kürzlich: Kein Lebensabschnitt ist so differenziert in seiner Lebenslage wie das Alter. - Die Bedeutung der Aussage von Norbert Blüm nimmt immer mehr zu; denn die Lebenserwartung steigt. Der spätere Lebensabschnitt war noch nie so lang und noch nie so vielfältig wie heute. Während die Ruhestandszeit in den 60er-Jahren noch durchschnittlich 10 Jahre betrug, liegt sie heute bei 20 Jahren. Darauf müssen wir uns einstellen - gesellschaftlich und politisch. Doch der Lebensabend gestaltet sich nicht immer so, wie man es sich wünscht. Es gibt Menschen, die Hilfe benötigen. Durch eine schwere Krankheit oder eine Behinderung benötigen sie die Unterstützung der Solidarund Versichertengemeinschaft. Um diese Menschen noch stärker zu unterstützen, enthält unser Gesetzespaket Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente. Mit den geplanten Reformen wollen wir aber auch vorbeugen. Dazu zählen Prävention und Rehabilitation. In einer älter werdenden Gesellschaft werden Leistungen dieser Art zunehmend beansprucht. Bereits heute ist jeder Fünfte in Deutschland mindestens 65 Jahre alt. Ihr Anteil wird bis zum Jahr 2060 voraussichtlich auf 34 Prozent ansteigen. Deshalb wollen wir in Zukunft bei der Berechnung des Rehabudgets die demografische Entwicklung in Deutschland berücksichtigen. ({0}) Gleichzeitig gibt es - das ist auch eine Folge der älter werdenden Gesellschaft - immer mehr Menschen, die sich fit fühlen. Nicht ohne Grund tun sich viele schwer, wenn der Renteneintritt näher rückt. Während sich der eine auf den Ruhestand freut, fällt es dem anderen schwer, diesen Schritt zu gehen und einen neuen Lebensabschnitt zu planen. Ein Blick in die Ratgeberrubrik im Buchhandel spricht für sich. Dort gibt es rund 100 Publikationen mit ähnlich lautenden Titeln wie Wenn der Wecker nicht mehr klingelt oder 111 Gründe, sich auf den Ruhestand zu freuen. Das zeigt: Der Ruhestand und der Eintritt in den Ruhestand sind ein gesellschaftliches Thema. ({1}) Deshalb brauchen wir für diesen Lebensabschnitt differenzierte Lösungen. Auf dem Arbeitsmarkt nimmt die Beschäftigung Älterer zu. Im Fortschrittsbericht zum Fachkräftekonzept der Bundesregierung bekennt man sich ausdrücklich zu den Potenzialen älterer Arbeitnehmer. Hier hatten wir in der Vergangenheit gute Erfolge erzielt: Der Anteil älterer Arbeitnehmer ist seit 2000 stetig gestiegen. Die Erwerbstätigenquote ist in diesem Zeitraum von knapp 20 Prozent auf heute über 46 Prozent angestiegen. Diese positive Entwicklung wollen wir weiter fördern. Uns eint das gemeinsame Ziel, die Rente mit 63 so auszugestalten, dass diese beschäftigungspolitischen Erfolge der letzten Jahrzehnte nicht gefährdet werden. ({2}) Hier aber müssen wir einen Spagat schaffen. Deswegen ist es gut, dass die Koalitionspartner diese Frage konstruktiv angehen, sich ihrer Verantwortung bewusst sind und nach flexiblen Lösungen suchen. Weil das Alter heute so vielfältig wie das Leben selbst ist, sollten jene, die länger arbeiten möchten und die sich noch fit fühlen, auch länger arbeiten dürfen. Damit helfen sie übrigens auch, die Fachkräftelücke in unserem Land zu schließen. Deshalb ist es notwendig, bestehende Hürden für eine Weiterbeschäftigung im Rentenalter abzubauen. Eine befristete Beschäftigung sollte nach Renteneintritt zum Beispiel auch bei demselben Arbeitgeber möglich sein. Der öffentliche Dienst praktiziert das bereits heute. In der Privatwirtschaft ist dies jedoch nicht rechtssicher möglich. Das lässt sich auch daraus ableiten, dass jüngere Arbeitnehmer in Deutschland zu 90 Prozent abhängig beschäftigt sind, während erwerbstätige Rentner zu einem Drittel Freiberufler sind. Hier sollten wir gleiche Zugangsmöglichkeiten schaffen. ({3}) Denn für die meisten Beschäftigten in Deutschland ist Arbeit keine Strafe, sondern bedeutet Anerkennung, Selbstverwirklichung und Erfolg. ({4}) Eine Politik für die Menschen sollte dies auch beim Übergang in die Rente berücksichtigen. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Dagmar Schmidt erhält nun das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Dagmar Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004401, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Damen und Herren! Ich habe meine zwei Minuten Redezeit zwar nicht am Ende der Debatte - das wird wohl der CDU/CSU vorbehalten bleiben -, aber immerhin gegen Ende der Debatte. Ich versuche trotzdem ein - natürlich sehr objektives - Resümee. Ich möchte mit einem Dank an die Ministerin beginnen. Wir halten Wort: Wir erkennen die Lebensleistung von Müttern und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an. Das ist nicht geschenkt, das ist verdient. Danke, dass das Rentenpaket so schnell und gut auf den Weg gebracht wurde. ({0}) Ich habe auch den Rednern der Linksfraktion zugehört. Sie haben gesagt, dass sie es natürlich begrüßen, dass es bessere Leistungen für Rentnerinnen und Rentner geben soll; das finden sie gut. Was sie nicht so gut finden, kann ich in meiner zweiminütigen Rede leider nicht noch einmal nachvollziehen. ({1}) Aber immerhin hat man uns zugestanden, ein Rentenpäckchen zu beschließen. Das ist ja schon etwas. Die SPD teilt die Freude mit der CDU/CSU über die Mütterrente. Diese drückt den Respekt vor der Leistung der Kindererziehung aus. Wenn diese über Steuern finanziert würde - das hätten wir uns gewünscht -, ({2}) dann wäre unsere Freude noch größer gewesen. ({3}) Ich danke Frau Göring-Eckardt, dass sie das Thema Altersarmut angesprochen hat; denn das gibt uns Gelegenheit, dazu ein paar Punkte zu sagen. Wir machen viel in dem Rentenpaket, aber wir machen natürlich noch nicht alles. Wir werden in dieser Legislatur mit der solidarischen Lebensleistungsrente aber einen wichtigen Schritt zur Bekämpfung der Altersarmut tun. ({4}) Wir werden des Weiteren auch mit dem Tarifpaket einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Altersarmut leisten. Auch hier geht mein Dank an die Ministerin, dass sie das schon auf den Weg gebracht hat. ({5}) Wir haben getan, was wir versprochen haben. Wir sind dabei, Deutschland gerechter zu machen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Matthias Zimmer ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Matthias Zimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004192, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man gegen Ende der Debatte zu Wort kommt, ist ja vieles schon gesagt worden. Ich bin nun wirklich kein Freund von Reden nach dem Motto „Es ist schon vieles gesagt worden, aber noch nicht von mir“. Deswegen will ich nicht auf das Rentenpaket im Einzelnen eingehen, sondern stichwortartig einige Punkte hervorheben, von denen ich glaube, dass sie die Debatte in den nächsten Wochen noch bestimmen werden. Zunächst einmal zur Erwerbsunfähigkeitsrente. ({0}) Ich glaube, jeder, der die Möglichkeit hatte, 45 Jahre zu arbeiten, kann sich glücklich schätzen, zumindest aus der Sicht derjenigen, die eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit beziehen. Wer wegen Erwerbsunfähigkeit in Rente gehen muss, hat neben den gesundheitlichen Einschränkungen auch häufig eine deutlich geminderte Rente. Durch die Ausweitung der Zurechnungszeiten werden diese Menschen jetzt bessergestellt, ebenso dadurch, dass die letzten vier Jahre vor Eintritt der Erwerbsminderung nicht berücksichtigt werden, wenn sie die Bewertung der Zurechnungszeit verringern. Das ist insgesamt ein Schritt in die richtige Richtung. Da wir die bekannte Großzügigkeit des Bundesfinanzministers nicht überstrapazieren wollen, würde ich mir wünschen, dass wir im Rahmen der parlamentarischen Beratungen die Gewichtung innerhalb des Rentenpaketes noch einmal ein wenig verschieben könnten. Vielleicht ergibt sich ja in der Osterpause unter dem Geist österlicher Versöhnung die Gelegenheit, hierüber einmal konstruktiv nachzudenken. ({1}) Ein wenig mehr österliche Gelassenheit würde ich mir im Übrigen auch bei so mancher öffentlichen Debatte über das Rentenpaket wünschen. Fangen wir einmal bei der Möglichkeit an, abschlagsfrei nach 45 Beitragsjahren mit 63 Jahren in Rente zu gehen. Vielleicht hilft ja der Hinweis, dass es die Möglichkeit zum Renteneintritt ab 63 mit Abschlägen bereits seit 2008 gibt, und zwar für langjährig Versicherte. Ich habe nicht den Eindruck, dass es hier bereits zu einer nennenswerten Frühverrentungswelle gekommen ist, und ich habe die begründete Vermutung, dass das auch bei der abschlagsfreien Rente für langjährig Versicherte nicht passieren wird. ({2}) Es ist richtig: Die Arbeitswelt hat sich spürbar gewandelt. Die einstmals praktizierte Frühverrentung zulasten der Sozialkassen gehört der Vergangenheit an. Dazu kommt: Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden heute anders wertgeschätzt als noch vor 15 oder 20 Jahren. Sie werden im Arbeitsleben gebraucht. Das ist auch gut so. ({3}) Ich kann aber auch die Sorgen derjenigen verstehen, die sagen: Ist das nicht das falsche Signal? Schließlich haben wir mit großen Mühen die Regelaltersgrenze zum Renteneintritt stufenweise auf 67 Jahre angehoben. - Ich glaube, die Symbolik der Zahlen ist hier nicht unwichtig. Deswegen finde ich auch die Idee gut, zu sagen: Warum lassen wir nicht die Menschen, die über die Regelaltersgrenze hinaus arbeiten wollen, dies auch tun? Die Mittelstandsvereinigung der Union hat hierzu einen, wie ich denke, bemerkenswerten und klugen Vorschlag gemacht. Ich meine, wenn Menschen Arbeit wichtig ist, sollten sie auch ein wenig mehr Flexibilität hinsichtlich des Renteneintritts bekommen. ({4}) Das ist nicht nur gut für die Arbeitnehmer, sondern auch für die Betriebe, die auf diese Art und Weise Erfahrung und Know-how länger binden können. Ich will den österlichen Frieden ja nicht überstrapazieren, aber ich würde mir eine konstruktive Aufnahme dieses Vorschlags wünschen. ({5}) Ich nehme auch die Sorgen der jungen Generation ernst, die fragt: Wie ist es um die Nachhaltigkeit des Rentenpakets bestellt? Zahlen wir als junge Generation nicht am Ende die Zeche? - Es ist ja richtig: Die Kosten des Rentenpakets sind in der Gesamtbetrachtung hoch. Aber nicht alles trägt die junge Generation. Auch Rentner selbst werden ebenso wie Steuerzahler an der Finanzierung des Rentenpakets beteiligt. ({6}) Ich warne aber davor, hier einen Generationenkonflikt herbeizureden; denn wir investieren an anderer Stelle viel in die Chancen der jungen Generation, in ihre Bildungschancen, in ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Und wir stellen mit Befriedigung fest: Wir haben eine der niedrigsten Raten der Jugendarbeitslosigkeit in Europa. ({7}) Meine Damen und Herren, der Kollege Kurth hat es eben angesprochen: Ich glaube schon, dass die Tatsache, dass wir ab 2015 keine neuen Schulden mehr machen, ein wirklich guter Beitrag zur Generationengerechtigkeit ist, und darauf können wir stolz sein. ({8}) Abschließend noch ein Gedanke. Wir werden auch in dieser Legislaturperiode noch über die Frage zu reden haben, wie wir auch über die Rentenpolitik Altersarmut verhindern können. Wir werden mit dem Mindestlohn einen kleinen Schritt gehen, um Altersarmut zu verhindern, im Übrigen auch einen Schritt - so hoffe ich wenigstens -, um weitere Beiträge zur Rentenversicherung zu generieren. Wir stehen mit dem Rentenpaket und dem Gesetz über den Mindestlohn durchaus vor einer Zäsur, die manchem unbehaglich ist. Diese Sorgen sollten wir ernst nehmen und argumentativ entkräften, unaufgeregt und sachlich. Und natürlich wünsche ich mir als Parlamentarier auch, dass das bessere Argument der Feind des guten Arguments ist und wir mit Macht dem Struck’schen Gesetz Geltung verschaffen, wonach noch kein Gesetz den Bundestag so verlassen hat, wie es in den Bundestag gekommen ist. Danke schön. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Albert Stegemann. ({0})

Albert Stegemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004415, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Heute beraten wir in erster Lesung das Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung. Kein anderes politisches Projekt wird zurzeit derart kontrovers diskutiert. Das Schauspiel, das sich hier täglich auftut, erinnert mich immer an folgendes Zitat: „Ein Kompromiss ist dann vollkommen, wenn alle unzufrieden sind.“ - „Unzureichend geprüft“, „zu teuer“, „ungerecht“ - das sind nur einige Schlagworte von scheinbar sozialen Initiativen. Wenn diese und Wirtschaftsverbände befinden, dass wir an dieser Stelle zu weit gehen, die Fraktion Die Linke uns aber vorwirft, dass wir nicht weit genug gehen, dann scheinen wir das Maß der Mitte nicht ganz aus den Augen verloren zu haben. ({0}) Ich bin selbst Unternehmer, jedoch umso mehr erstaunt, welche selbsternannten Wirtschaftsexperten sich mit verschärfter Rhetorik in dieser Debatte zu Wort melden, und das ganz offenkundig, ohne das große Ganze im Blick zu haben. Ehrlich gesagt, mir geht das langsam auf die Nerven. Schauen wir uns das vorliegende Gesetz noch einmal genau an: Bei der Mütterrente zweifelt doch kein Mensch in der öffentlichen Diskussion an, dass wir bisher eine Ungleichbehandlung der Mütter haben, die ihre Kinder vor bzw. nach 1992 geboren haben. Ferner zweifelt niemand an, dass es sich hierbei um ein Gerechtigkeitsdefizit handelt. Wie man überhaupt auf die Idee kommt, das teilweise Schließen einer Gerechtigkeitslücke als ungerecht zu bezeichnen, das muss mir erst mal einer erklären. Das einzig Ungerechte an der Mütterrente ist, dass sie erst jetzt kommt; vorher war sie jedoch nicht finanzierbar. Mit den geplanten Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente wollen wir soziale Härten abfedern. Das betrifft jedes Jahr fast 170 000 Menschen, die aus ihrem Job ausscheiden, bevor sie das Rentenalter erreichen. Den Arbeitsplatz zu verlieren, das berufliche Umfeld aufzugeben und die eigene Lebenssituation neu zu ordnen - dies bedeutet einen harten Einschnitt, oft mit finanziellen Folgen verbunden. Es geht uns doch im Wesentlichen darum, die Lücke im Rentenkonto aufzufüllen, die durch fehlende Beitragszahlungen aufgrund einer verminderten Erwerbstätigkeit - sprich: durch Krankheit - entstanden ist. Dies ist, mit Verlaub, nicht überflüssig - nein, dies war überfällig. ({1}) Bei den Kosten des Rehabudgets, das ebenfalls Bestandteil des Rentenpaketes ist, kann man sogar von einer Investition sprechen: Getreu dem Motto „Reha vor Rente“ soll mit den zusätzlichen Mitteln des Rehabudgets ein aktiver Beitrag zu einem längeren Erwerbsleben geleistet werden. Wer nach langer Krankheit wieder seiner Beschäftigung nachgeht, ist ein Gewinn für die Versichertengemeinschaft. Das Rehabudget dient der Unterstützung betroffener Menschen, die ihr Leben noch selbst aktiv gestalten wollen. ({2}) Ich komme abschließend zu dem Teil des Rentenpaketes, welcher besonders viele Gemüter zu erregen scheint. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die abschlagsfreie Rente für besonders langjährig Versicherte heißt so, wie sie heißt, da der Begriff der Rente mit 63 vollkommen irreführend ist. Kein Abgeordneter innerhalb der Unionsfraktion will eine Abkehr von der letzten Rentenreform. Allen Akteuren ist klar, dass sich die demografische Problematik nicht entspannt hat. Es geht ausschließlich darum, Rentnern, die ihr Leben lang gearbeitet haben, für eine Übergangszeit die Möglichkeit zu geben, nach 45 Jahren abschlagsfrei mit 63 in Rente zu gehen. Bislang müssen Arbeitnehmer Abschläge in Kauf nehmen. Nur darum geht es. Deshalb liegen die Kosten für diesen Teil des Rentenpaketes bei nur etwa 25 Prozent der Gesamtkosten. Apropos Kosten: Den Zeitgenossen, die dazu übergehen, die Kosten der Rentenreform auf 160 Milliarden Euro bis 2030 zu schätzen, sei gesagt, dass diesen Kosten Einnahmen in Höhe von 4 000 Milliarden, also 4 Billionen Euro, gegenüberstehen. ({3}) - Danke schön, Herr Birkwald, das freut mich. - Was ich damit sagen will: Das Kumulieren von Kosten über lange Zeiträume führt nur zur Verwirrung und nicht zu einem wirklichen Mehrwert in der Diskussion. ({4}) Ferner ist sich die Regierungskoalition darüber einig, dass ein geeignetes Instrument zur Vermeidung einer Frühverrentungswelle gefunden werden muss. Gerade ältere Arbeitnehmer sind wertvolle Arbeitskräfte. Auf ihr Wissen und ihre Erfahrung können wir nicht verzichten. Daher muss ein flexibler Renteneintritt möglich sein. Für Arbeitnehmer, die im Einvernehmen mit ihren Arbeitgebern über den Renteneintritt hinaus arbeiten wollen, müssen wir vorhandene gesetzliche Barrieren abbauen. Hier gilt es jedoch, rechtliche Prüfungen abzuwarten. Somit sollte gelten: Gründlichkeit vor Schnelligkeit. ({5}) Die Regierungskoalition hat ihre Hausaufgaben gemacht. Es ist ein Kompromiss zwischen den Regierungsparteien gefunden worden, der zwar nicht alle Interessen berücksichtigen kann; aber dennoch kommt die Koalition ihrem Auftrag nach, im Sinne des Volkes und zu dessen Wohl zu handeln. Die Reformen sind Reaktionen auf die veränderte Lebensrealität unserer Mitbürger und auf die gute wirtschaftliche Situation. Deshalb schließe ich mit einem Zitat eines Ehrenbürgers aus meiner Heimat: Ich wünsche allen Beteiligten ein gesundes Maß Gelassenheit und Gottvertrauen, wenn Interessenvertreter bzw. die Medien mal wieder dabei sind, die eine oder andere Sau durchs Dorf zu treiben. Vielen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Tobias Zech für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Tobias Zech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004450, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der erste Entwurf des Leistungsverbesserungsgesetzes in der gesetzlichen Rentenversicherung steht. Der Entwurf ist der Bauplan für das Gebäude, das wir noch errichten müssen; wir treten ja erst heute - das wurde mehrfach angesprochen - in das parlamentarische Verfahren ein. Die Grundlage ist gelegt. Jetzt geht es darum, an den Details zu arbeiten. Ein Haus soll entstehen - um bei diesem Bild zu bleiben -, in dem möglichst viele wohnen können: Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Alte und Junge, Starke und Schwache. Es sollte auch nicht nach einer Generation wieder einstürzen. Zum Thema Generationenpolitik. Herr Kurth, ich fand es gut, wie leidenschaftlich Sie vorhin Ihre Position vertreten haben. Aber man muss eines sagen: Wir werden zum ersten Mal seit 25 Jahren wieder Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung ermöglichen - und das, ohne die zentralen Aussagen unseres Wahlprogramms zu verlassen, nämlich: keine Steuererhöhungen und keine neuen Schulden. Das ist generationengerechte Politik. Das ist Politik für die junge Generation, für die ich hier sprechen darf. ({0}) Was sind also die Bausteine des Rentenpaketes? Die Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente - Kollege Schiewerling hat dies sehr deutlich ausgeführt sind aus meiner Sicht der wichtigste Bestandteil; denn damit helfen wir denen, die von Altersarmut bedroht sind, die keinerlei Aussicht darauf haben, im Rentenalter ein entsprechendes Auskommen zu haben. Hier hätte man durchaus mehr tun können, aber wir sind auf einem richtigen Weg. Das Thema Rente mit 63 ist nicht unbedingt mein Wunschthema. Hinsichtlich der abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren sind wir uns, glaube ich, einig. Die Frage ist, wie wir die Ausnahmen definieren. Wir sind uns einig - das ist der erste Schritt -, dass wir keine Frühverrentung wollen, weil wir die Fachkräfte, die gut ausgebildeten älteren Mitarbeiter im Unternehmen belassen wollen. Hier sollten wir ins Detail gehen und schauen, wie wir damit umgehen können. Es gibt einen Vorschlag: Erstattung von Beiträgen. Das hatten wir schon einmal in Deutschland. Wir haben gelernt, dass das nicht richtig funktioniert. Aus meiner Sicht sollte man versuchen, die unbilligen Härten, die Sie, Frau Ministerin, in Ihrem Begleitschreiben zum Gesetzentwurf gut beschrieben haben, abzufedern. Die Grundlage des Gesetzentwurfs ist aber, dass man 45 Jahre lang Beiträge gezahlt hat, dass man 45 Jahre lang eine Leistung erbracht hat. Insofern bin ich dafür, dass wir für die Vergangenheit eine Arbeitslosenzeit von bis zu fünf Jahren berücksichtigen, aber ab dem 1. Juli 2014 eine lückenlose Erwerbsbiografie fordern. Dann haben wir ein zukunftsfähiges Konzept. ({1}) - Das ist nicht ungerecht. Unverständlich in diesem Zusammenhang ist, weshalb die freiwilligen Beitragszahler nicht in den Genuss der abschlagsfreien Rente kommen sollen. Diverse Ausnahmen wurden vom Ministerium aufgezählt, die bei den 45 Jahren richtigerweise berücksichtigt werden: Zeiten der Pflege und Kindererziehung, Wehrdienst, Weiterbildungen und sogar - für die Vergangenheit - Arbeitslosenzeiten. Was ist aber mit dem selbstständigen Handwerker, der 45 Jahre freiwillig durchgehend eingezahlt hat? Für den soll das nicht gelten? Wille und Ziel ist es doch, besonders langjährige Beitragszahler zu belohnen und zu entlasten. Freiwillig Versicherte haben genauso lange gearbeitet, genauso hart geschuftet, genauso eingezahlt und damit das Sozialversicherungssystem sogar freiwillig unterstützt. Hier sehe ich einen massiven Nachbesserungsbedarf. Die Rente nach 45 Beitragsjahren bedeutet eine Flexibilisierung nach unten. In der jetzigen Zeit - das gilt insbesondere, wenn man den demografischen Wandel und die Zukunftsfähigkeit unseres Landes betrachtet - sollten wir auch in die andere Richtung flexibilisieren. Es gibt ja schon Diskussionen über einen flexibleren Renteneintritt. Ich denke, wir müssen über die Möglichkeiten diskutieren. Das fängt bei den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung an. Wir müssen aber auch überlegen, wie wir das Teilzeit- und Befristungsgesetz neu gestalten können. Ich freue mich auf die Diskussion. Es gibt genügend Möglichkeiten. Packen wir es gemeinsam an! Frau Ministerin, Sie haben vorhin gesagt, dass Sie schon mehrmals gefragt wurden, ob Sie das schaffen. Ich denke, Sie schaffen das, aber nur gemeinsam mit uns. ({2}) Dann haben wir ein gutes Paket und eine gute Lösung für die Rentner in Deutschland. Herzlichen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/909 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen von Stützungsregelungen der Gemeinsamen Agrarpolitik ({0}) Drucksache 18/908

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({0}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch für diese Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Das ist offenkundig einvernehmlich. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt. ({1})

Christian Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002003

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich entnehme der Rednerliste, dass Kollege Wiese heute seine erste Rede im Parlament hält. ({0}) - Nicht. Dann haben wir heute vielleicht einen anderen Neuling. Ich wollte damit nur darauf hinweisen, dass ich zwar schon die eine oder andere Rede in diesem Hause gehalten habe, aber meine heutige Rede zur Landwirtschaft meine erste in dieser Zuständigkeit ist. ({1}) Insofern fühle ich mich mit den Erstrednern sehr verbunden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Minister, das Präsidium verfolgt das natürlich auch mit besonderer Aufmerksamkeit. Ich kann Ihnen den Bonus für Erstredner, den das Präsidium im Übrigen gelegentlich gewährt, trotzdem nicht in Aussicht stellen. ({0})

Christian Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Präsident, herzlichen Dank. Aber man versucht es doch immer wieder. ({0}) Ich will allerdings darauf hinweisen - wenn Sie noch eine persönliche Bemerkung gestatten -, dass ich bisher insbesondere in Ministerien tätig war, die nicht unmittelbar Erfahrungen mit dem Föderalismus in voller Intensität haben. Das Bundesministerium der Verteidigung und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ziehen Bundeskreise, aber keine stark föderalen Kreise. Das ändert sich jetzt natürlich für mich sehr. Frau Kollegin Höfken, wir beide, Sie und ich, und 15 andere Landesminister und Senatoren werden sich ab heute Mittag in Cottbus zur Agrarministerkonferenz treffen. Ich darf schon jetzt darauf hinweisen - ich bedanke mich für das Verständnis bei allen Fraktionen -, dass das für mich bedeutet, dass ich leider nicht die gesamte Debatte verfolgen kann, ({1}) sondern mich nach der ersten Runde hier verabschieden muss; denn dann darf ich mich den geschätzten Kolleginnen und Kollegen der Länder stellen. ({2}) Landwirtschaft gehört in die Mitte der Gesellschaft. Sie sichert unsere Lebensgrundlagen. Sie sichert auch weite Teile unserer so geschätzten Lebensqualität. Deshalb halte ich es für sehr angemessen und freue mich darüber, dass die Landwirtschaft heute in der Kernzeit in diesem Haus debattiert wird. ({3}) Das ist Ausdruck von Wertschätzung für Wertschöpfung. Darum wird sich mein Ministerium als Lebensministerium in dieser Legislaturperiode kümmern, auch in der Hoffnung, dass wir weitere Debatten zu guter Zeit führen können. Die fast 300 000 Bauernfamilien, die wir in Deutschland haben, stehen am Anfang der Wertschöpfungskette. Im christlichen Sinne ziehen sie die Früchte aus dem Boden und arbeiten als Gärtner mit der Schöpfung. Sie haben den Auftrag, Menschen zu ernähren und mit den natürlichen Ressourcen schonend umzugehen. Dabei erfüllen sie Aufgaben und Auflagen im Interesse der Gesellschaft, die über den Preis nicht abgegolten werden können. Zudem haben sie mit natürlichen Widrigkeiten zu kämpfen. Mehr als alle anderen sind sie von der Witterung und von klimatischen Entwicklungen betroffen. Im Gegenzug, so meine ich, haben sie Unterstützung verdient: Direktzahlungen, und zwar unabhängig davon, wie viel und was sie produzieren - ich glaube, es ist der richtige Weg, dies zu entkoppeln -, gebunden an die Fläche, die sie pflegen, und bald deutschlandweit in gleicher Höhe; bis heute fallen die Direktzahlungen in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich hoch aus. Verweigern wir unseren Bauern diese Unterstützung, gefährden wir die vielfältigen Agrarstrukturen und beeindruckenden Landschaften in Deutschland. Darum geht es heute in dieser Debatte. Wie gestalten wir ab 2015 ein System der Anerkennung für Leistungen, von denen wir alle als Verbraucherinnen und Verbraucher profitieren? Ja, die Zahlungen sollen der Natur und unseren Lebensgrundlagen und natürlich insbesondere der Landwirtschaft zugutekommen. ({4}) Ich habe damit den Spannungsbogen dargestellt, innerhalb dessen wir uns, wie ich meine, am besten in einer pragmatischen, vernünftigen Weise auseinandersetzen. Es geht um fundamentale Gerechtigkeitsfragen. Die politischen Entscheidungen, ob in Brüssel, hier im Deutschen Bundestag oder im Bundesrat, wirken sich unmittelbar auf wirtschaftliche Existenzen und das Schicksal von Menschen aus, die an erster Stelle in der Wertschöpfungskette Verantwortung übernehmen. Ich meine, dass es richtig und gut ist, dass wir dem Anspruch auf Verlässlichkeit und Planungssicherheit gerecht werden. Die Direktzahlungen haben für viele Bauern im Land eine Schlüsselbedeutung. Der durchschnittliche Anteil der Direktzahlungen am Einkommen der Betriebe lag im Wirtschaftsjahr 2012/2013 bei einem Drittel, bei 34 Prozent. Mit anderen Worten: Die Direktzahlungen sind eine ihrer Existenzgrundlagen. Unabhängig davon, wie man sich dazu stellt, muss jedem klar sein: Wir müssen unseren Landwirten diesen Ausgleich für besonders hohe Anforderungen zubilligen. Lassen Sie mich nebenbei bemerken, dass ich aufgrund meiner langjährigen parlamentarischen Erfahrung mit Regelwerken und Gesetzen glaube, ein wenig Ahnung zu haben. Aber angesichts der Volumina und Details der Regelungen im landwirtschaftlichen Bereich kommt es zu Überraschungseffekten, ({5}) die auch alte Fahrensleute noch in tiefes Erstaunen versetzen und manche Frage auslösen. ({6}) Kollege Ostendorff, mir hat ein erfahrener grüner Politiker - nicht mehr aktiv - vor ein paar Tagen gesagt: Passt bitte auf, dass ihr bei der Ökoverordnung, die die Europäer auf den Weg bringen wollen, keine Handbücher schreibt, ({7}) sodass sie niemand mehr wirklich umsetzen kann, vor allem die kleineren Betriebe nicht. - Wir müssen den deutschen Bauern, was die finanzielle Seite angeht, im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik Stabilität versprechen. 4,8 Milliarden Euro stehen pro Jahr für die Direktzahlungen zur Verfügung, und das bis zum Jahr 2020. Sie wissen, dass wir vor einigen Jahren ganz andere Befürchtungen hatten. Es gab allerhand Begehrlichkeiten, ob sie nun von anderen europäischen Ländern - ich erinnere an die Diskussion mit den osteuropäischen Nachbarn - oder von anderen Politikbereichen vorgetragen wurden; es wurde gesagt, Landwirtschaft sei doch keine Zukunftsbranche. Nein, die Landwirtschaft ist eine Zukunftsbranche, und es ist ein großer politischer Erfolg, dass es keine dramatischen Kürzungen geben wird. Ich bedanke mich bei allen dafür. ({8}) Neben der Einkommenssicherung und der Risikovorsorge für unsere Landwirte haben wir ein weiteres Ziel fest im Blick: Wir wollen die Bedingungen für eine nachhaltige Landwirtschaft verbessern. Deshalb haben wir einen Gesetzentwurf vorgelegt, der auch basierend auf den Beratungen der Sonder-Agrarministerkonferenz vom November letzten Jahres die Umschichtung der Mittel fest verankert hat. Wir wollen 4,5 Prozent der jährlichen Obergrenze für die Direktzahlungen als zusätzliche Mittel für die Förderung der ländlichen Entwicklung umschichten. Das macht rund 229 Millionen Euro aus, Jahr für Jahr. Damit stehen den Ländern 1,1 Milliarden Euro zusätzlich für eine nachhaltige Landwirtschaft zur Verfügung. Dieses Geld kann gut investiert werden: für Grünlandstandorte, für eine besonders tiergerechte Haltung, für die Haltung von Raufutterfressern, für Agrar-, Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen, für den Ausbau des ökologischen Landbaus. Ich bin froh, dass wir in eine Zeit kommen, in der keine ideologischen Gegnerschaften mehr kultiviert werden, sondern eher das Miteinander die Perspektive ist. Die Bundesländer haben sich verpflichtet, die zusätzlichen Mittel für diese Zwecke und damit landwirtschaftsnah zu verwenden. Ich nenne das politisch sinnvoll und eine Umschichtung mit Augenmaß. Ja, wir nehmen von dem Geld, das den Bauern bislang unmittelbar zugutegekommen ist; aber im Vorfeld waren hier noch ganz andere Beträge in der Diskussion. Zugleich hilft diese Umschichtung dabei, die Mittel im ländlichen Raum zu halten. Es sind die EU-Fördermittel ja um insgesamt fast 9 Prozent gekürzt worden. Die Fördermittel sollen im Ergebnis um 4 Prozent anwachsen. Kein Zweifel: Beides, starke Landwirtschaft und starke ländliche Entwicklung, geht bei uns, bei dieser Bundesregierung, Hand in Hand. Die Förderung der Landwirtschaft wird umweltgerechter; denn 30 Prozent der Direktzahlungen kommen künftig dem Umwelt- und Klimaschutz zugute. Unsere Landwirte müssen zusätzliche Leistungen erbringen. Sie dienen dem Erhalt von Dauergrünland, sie garantieren eine größere Vielfalt beim Anbau der Feldfrüchte, und sie führen zu ökologischen Vorrangflächen. Ab 2015 müssen unsere Landwirte 5 Prozent der Ackerflächen als ökologische Vorrangflächen bereitstellen. Das EU-Recht eröffnet ihnen dabei einen Katalog von Möglichkeiten, den wir nutzen sollten. Der reicht von Landschaftselementen wie Hecken und Baumreihen über Pufferstreifen an Gewässern bis hin zu Feldrandstreifen und Brachflächen. Zum Stichwort „Baumreihen“ sei nur ganz kurz gesagt: Ich höre, dass in den Ausführungsbestimmungen der Europäischen Kommission die Baumkronenbreite schon auf genau 4 Meter festgelegt ist. Ein Wunsch an unsere Techniker wäre dann, dass wir solche Messungen möglicherweise satellitengestützt vornehmen könnten. Ich will damit nur sagen: Liebe Leute, die ihr in Europa tätig seid, lasst bitte mal die Kirche im Dorf und den Baum dort, wo er steht! ({9}) Weiter zu nennen sind Flächen mit Zwischenfrüchten und Eiweißpflanzen. Mit all diesen Möglichkeiten werden wir unsere Landwirte zukünftig zu mehr Umweltschutz und Biodiversität ermutigen, und das ist gut und richtig so. Wenn wir es anders machen würden, müssten wir stilllegen. Stilllegung ist aber keine Antwort; Stilllegung ist eigentlich ein Stück Kapitulation vor dem, was ansteht. ({10}) Das heißt allerdings auch, dass wir auf ökologischen Vorrangflächen eine Bewirtschaftung nach guter fachlicher Praxis zulassen wollen. Es findet sich ein hohes Maß an Flexibilität in diesem Gesetzentwurf. Aber das heißt auch, dass die gute fachliche Praxis bei Zwischenfrüchten und Eiweißpflanzen möglich sein muss. Wir wollen den Landwirten mit unserem Gesetzentwurf diese Flexibilität geben. Ein Wort zur nationalen Umsetzung; das wird auch Thema der Beratungen sein. Ich will das Struck’sche Gesetz jetzt nicht zitieren, zumal es sich um eine Vorlage handelt, die ich eingebracht habe; aber dass das Europäische Parlament sich bei der Zustimmung zu den sogenannten delegierten Rechtsakten nach Art. 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union nach dem Lissabonner Vertrag - das ist ein neues Instrument, das die Kommission hat - gegenwärtig schwertut, zeigt, dass hier noch Gesprächs- und Erörterungsbedarf ist. ({11}) Wir werden heute Abend mit der EU-Kommission das eine oder andere besprechen können. An praktikablen Lösungen für Themen wie „der aktive Landwirt“ müssen wir noch weiter arbeiten. Wir haben keine Kürzung oder Kappung der Direktzahlungen für sehr große Betriebe vorgesehen. Wir sagen nicht nur im Jahr der familienbetriebenen Landwirtschaft: Die kleineren und mittleren Betriebe sollten schon gefördert werden, weil sie besondere Bedingungen haben. - Es ist also keine Kappung, sondern eine gewisse Unterstützung der kleineren Betriebe. Wir haben uns, wie Sie wissen, auf zusätzlich rund 50 Euro pro Hektar für die ersten 30 Hektar und etwa 30 Euro für die nächsten 16 Hektar geeinigt. „Der aktive Landwirt“ ist ein Begriff, der noch in eine Auslegungsliste der EU-Kommission kommen muss. Dazu sage ich: Wir dürfen nicht in zu starkem Maße mit Negativlisten arbeiten. ({12}) - Herr Präsident, ich entnehme der Gestik des Herrn Fraktionsvorsitzenden, dass er mir vielleicht noch etwas schenkt. ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Lieber Christian Schmidt, es ist Verhandlungssache, wem wir dann die Redezeit wegnehmen. Aber ich will Sie natürlich nicht unterbrechen. Das muss in Ihren Reihen geklärt werden. - Bitte schön.

Christian Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002003

Vorschlag: Ich bin in Kürze fertig; dann sind die Verhandlungen, wie ich das gern habe, schiedlich-friedlich konstruktiv zu Ende geführt. Ich kann natürlich nicht eine Diversifizierung im Einkommen fordern, sagen: „Ihr Landwirte müsst auch andere Einkommensquellen sinnvoll erschließen“, und anschließend, wenn sie das tun, meinen: „Jetzt seid ihr aber keine reinen Landwirte mehr. Ich muss euch ausschließen.“ - Das geht nicht! ({0}) Wir brauchen ein System der Anerkennung für die Bauernfamilien und ihre unverzichtbare Wertschöpfung. Ich denke, dass uns dies bei diesem Gesetzentwurf in guter Weise gelungen ist. Herzlichen Dank. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Christian Schmidt. Viel Erfolg bei Ihrer künftigen Arbeit, nicht nur für den ländlichen Raum! Nächste Rednerin: Dr. Kirsten Tackmann für die Linke. ({0})

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich verstehe sehr gut, dass alle Beteiligten endlich wissen wollen, wohin der Hase läuft in der EUAgrarpolitik; es ist immerhin schon 2014. Aber Entscheidungen schnell und demokratisch zu treffen, widerspricht sich manchmal. Zumindest der Linken ist eine kluge und demokratisch gefasste Entscheidung allemal wichtiger als eine schnelle, ({0}) gerade weil die Beschlüsse bis 2020 gelten sollen und erheblichen Einfluss auf die Städte, die kleinen Dörfer und auch auf die Landwirtschaft haben werden. Deshalb lohnt sich trotz allem Zeitdruck durchaus ein sehr prüfender Blick auf die Vorschläge, die jetzt hier vorliegen. Dazu gehört allerdings auch eine Bewertung der aktuellen Situation, der Förderwirkungen und der Frage, wer von den Fördermitteln bisher profitiert hat. Ich selbst lebe in einem kleinen märkischen Dorf und komme viel herum. Ich erlebe es, dass immer mehr Menschen genau wissen wollen, wo, wie und von wem die Lebensmittel, die sie essen, hergestellt werden, Menschen, die sich gerade im so sensiblen Lebensmittelbereich keinen rein wirtschaftlichen Verwertungsinteressen und der Geldgier ausliefern wollen. Sie sind die Verbündeten aller Betriebe, die im Dorf Arbeitsplätze schaffen, ihre Leute vernünftig bezahlen und mit der Natur in Einklang produzieren. ({1}) Es ist doch grotesk: Einerseits genießt die Landwirtschaft eine große Anerkennung in der Gesellschaft; Platz drei in einer Emnid-Umfrage, welcher Beruf in der Zukunft für die Gesellschaft besonders wertvoll und wichtig ist, zeigt das doch. Andererseits hört man zunehmend Kritik an Landwirtschaftsbetrieben, Schlachtbetrieben und Supermärkten. Das Vertrauen ist erschüttert, und das nicht nur wegen Pferdefleisch und Antibiotikamissbrauch. Es geht um das Pflügen bis an den Gewässerrand und den Waldrand heran. Es geht um Betriebe, die mit den Dörfern überhaupt nichts mehr zu tun haben, weil der Geschäftsführer nur noch einmal in der Woche schaut, ob der Lohnunternehmer auf dem Acker seine Arbeit getan hat. Es geht um Feldwege, die verschwinden. Es geht um zu viel Dünge- und Pflanzenschutzmittel. Es geht um Äcker, die totgespritzt werden, um den Erntezeitpunkt zu optimieren. Es geht um gentechnisch veränderte Pflanzen, und es geht um das Verschwinden von Allerweltsarten wie Lerche und Kiebitz. Gerade junge Leute ernähren sich immer häufiger vegan oder vegetarisch, weil sie die Tierhaltungsbedingungen nicht mehr mitverantworten wollen. ({2}) Ja, immer mehr Menschen wissen nicht mehr, wie Lebensmittel auf dem Acker, im Stall und im Gewächshaus produziert werden. Gerade deswegen brauchen wir einen intensiven Dialog zwischen Verbraucherinnen und Verbrauchern und der Landwirtschaft - aber auf Augenhöhe. Dann verstehen vielleicht mehr Menschen, welche Probleme die Landwirtschaftsbetriebe haben. Ihre Probleme entstehen zum Beispiel, weil sie Äcker an den Straßen- und Siedlungsbau, an nichtlandwirtschaftliche Investoren oder an den Hochwasserschutz verlieren oder weil erfolgreicher Artenschutz für sie zusätzliche Probleme bereitet, etwa mit Bibern oder Wölfen. Aber viele Probleme sind auch die Folge einer falschen EU-Agrarpolitik. Das fängt beim Preisdumping auf dem Weltagrarmarkt an, geht weiter mit Agrarbetrieben, die gegenüber immer größeren Schlachthöfen, Molkereien und Supermärkten machtlos sind, und hört bei der Preistreiberei beim Kauf oder bei der Pacht von Äckern nicht auf. Deswegen sage ich ganz klar: Eine noch so kluge Agrarförderpolitik wird scheitern, wenn es keine sozial und ökologisch fairen Marktbedingungen, wenn es nicht mehr regionale Verarbeitung und Vermarktung und wenn es keinen konsequenten Kampf gegen Bodenspekulation gibt. ({3}) Aber auch eine falsche Agrarförderpolitik hat zu den Problemen beigetragen. Es war zwar richtig, 2005 aus der gekoppelten Produktion auszusteigen und auf die Förderung der Flächenbewirtschaftung umzustellen; aber die Verlierer sind zum Beispiel die Schaf- und Ziegenhalter, die ohne Mutterschafprämie kaum noch überleben. Sie werden aber dringend gebraucht, zum Beispiel für die Deichpflege oder für die Offenhaltung der Landschaft. Hecken sind der Flächenbeschaffung oft zum Opfer gefallen. Viele Betriebe haben die Tierhaltung aufgegeben. Also: Ein einfaches Weiter-so ist überhaupt keine Option. ({4}) Deshalb sagt die Linke ganz klar: Öffentliches Fördergeld muss für öffentliche Leistungen zielgenauer ausgegeben werden, also für mehr Arbeitsplätze, für mehr Umwelt und Klimaschutz. Aus Sicht der Linken wollte EU-Agrarkommissar Ciolos genau die richtigen Weichen stellen. Die Bundesregierung hat das aber lange blockiert und ist erst im letzten Moment auf den fahrenden Zug aufgesprungen, um sofort die Bremse zu übernehmen. Zum Beispiel wollte Ciolos wie die Linke Betriebe mit vielen Arbeitskräften fördern; denn eine große Genossenschaft mit vielen Beschäftigten ist eben etwas anderes als eine große Agrargesellschaft. Dass diese Möglichkeit ausgeschlagen wurde, ist eine klare Fehlentscheidung. Wir wollten nur aktive Landwirte fördern und Konzerne von der Förderung ausschließen; auch das wird wohl nur bedingt gelingen. Wir waren für ökologische Vorrangflächen in allen Betrieben, wollten dort aber Eiweißpflanzenanbau ermöglichen. Die Bundesregierung will nun, dass dort auch noch Düngemittel und Pflanzenschutzmittel verwendet werden; aber das ist absolut kontraproduktiv. ({5}) Wir waren für ein Verbot der Umwandlung von Grünland in Ackerland. Nun sollen aber auch Pflegeumbrüche auf allen Grünlandflächen in Natura-2000-Gebieten verboten werden. Geplant ist also eine deutliche Nutzungseinschränkung, und das nur aus bürokratischen Gründen. Das halten wir für völlig falsch. ({6}) Es gibt also noch viele offene Fragen, die wir in der Anhörung am kommenden Montag dringend miteinander besprechen müssen - im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher, der Landwirtschaft und des ländlichen Raums. Vielen Dank. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Frau Kollegin. Nächste Rednerin: Ute Vogt für die SPD. ({0})

Ute Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002823, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ganz herzlichen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will dem Ministerium danken, dass wir trotz des Wechsels, der in diesem Haus sicherlich nicht nur für Ruhe gesorgt hat, doch recht schnell zur zügigen Umsetzung dieses ersten Teils der EU-Agrarreform kommen. Ich bin Ihnen dankbar, Herr Minister, dass Sie die nachhaltige Landwirtschaft als ein wichtiges Ziel nicht nur für die Landwirtschaft, sondern für unsere gesamte Gesellschaft ausdrücklich nach vorne gestellt haben. ({0}) Ich will nicht verhehlen, dass die EU-Agrarreform, wie wir sie jetzt vorliegen haben, hinter den heutigen Anforderungen an Ökologie und Nachhaltigkeit insgesamt zurückbleibt. Das ist nun bis 2017 festgelegt. Es gilt jetzt, das Beste daraus zu machen. Aber es stimmt auch der Satz: Nach der Reform ist immer auch vor der Reform. - Wir müssen das, was passiert, auf jeden Fall kritisch begleiten, um daraus für die nächsten Schritte schon heute die richtigen Schlüsse zu ziehen. ({1}) Es geht heute in der Debatte ebenfalls darum, dass wir darüber diskutieren, wie wir die Beschlüsse der Agrarministerkonferenz umsetzen. Nur für jeden dritten Hof findet sich in der heutigen Zeit noch ein Nachfolger, ganz selten auch eine Nachfolgerin. Ich denke, es ist gut, dass durch die Beschlüsse der Agrarministerkonferenz die jungen Landwirte gestärkt werden. Es ist auch ein wichtiger Schritt, dass kleinere Betriebe in Zukunft besser gefördert werden können. Die 220 Millionen Euro, die von der ersten in die zweite Säule umgeschichtet werden, helfen den Ländern durchaus, flexibel und sehr zielorientiert zu steuern. Leider, muss ich sagen, haben die Agrarminister der Länder es nicht geschafft, die Spielräume etwas stärker zu nutzen. 4,5 Prozent der Mittel - das sind diese 220 Millionen Euro - werden umgeschichtet. Das ist ein erster Schritt; aber wir hätten die Chance gehabt, bis zu 15 Prozent zu gehen. Ich sage für meine Fraktion, dass wir es gerne gesehen hätten, wenn das, was es an Umschichtungsmöglichkeiten gibt, ausgeschöpft worden wäre; ({2}) denn diese Mittel geben uns Spielraum, zum Beispiel zur Unterstützung artgerechter Tierhaltung, aber auch zur Unterstützung der ökologischen Bewirtschaftung. 220 Millionen Euro - das klingt nach viel Geld, ist aber doch nicht so viel, wenn man sieht, dass dieses Geld auf die Länder und dann auch noch auf die Betriebe zu verteilen ist. Der einstimmige Beschluss der Länderagrarminister ist von uns nicht mehr zu ändern, wir müssen ihn so nehmen. Umso mehr kommt es jetzt darauf an, was wir in der parlamentarischen Beratung aus der Gesetzesvorlage machen. 30 Prozent der Direktzahlungen sind mit sogenannten Greening-Auflagen versehen. Es geht dabei um die Einhaltung von Fruchtfolgen, es geht um den Erhalt von Dauergrünland, es geht um ökologische Vorrangflächen. In der Tat haben wir hier einiges noch zu sichern; denn wenn wir uns die letzten Jahrzehnte anschauen, erkennen wir: Seit den 70er-Jahren sind in Bayern etwa 30 Prozent der früheren Grünlandflächen verloren gegangen, in Ost- und Norddeutschland Untersuchungen zufolge sogar bis zu 80 Prozent. Ich denke, es ist ein wichtiges Ziel, dass Grünland in Zukunft nicht mehr verloren geht, sondern im Zweifel auch wieder verstärkt vorhanden ist. ({3}) Dabei ist es wichtig, zu sehen, dass Grünland nicht gleich Grünland ist. Der Wert dieser Flächen für den Klimaschutz und die Artenvielfalt hängt nämlich stark davon ab, welche Bewirtschaftungsweise angewandt wird. Deshalb müssen wir bei den kommenden Beratungen, angefangen mit der anstehenden Anhörung, auf alle Fälle im Blick haben, dass die Art der Bewirtschaftung dieser Flächen im Vordergrund steht. Es geht nicht allein darum, Grünland zu erhalten; es muss auch eine sehr sorgsame Bewirtschaftung stattfinden. Ein besonderes Augenmerk will ich noch auf die ökologischen Vorrangflächen legen. Es findet ein teilweise sogar sehr emotionaler und erbitterter Streit um dieses Thema statt. Ich bin ausdrücklich dafür, dass wir zur Sicherung der Biodiversität und der Artenvielfalt strikte Vorgaben für diese Vorrangflächen machen. Allen, die aufgeregt schreien, kann man im Sinne des Ministers, der auch schon dazu aufgefordert hat, nur sagen: Lassen Sie die Kirche im Dorf. - Es geht um ganze 5 Prozent der Ackerflächen, die ökologische Vorrangflächen werden sollen. Wenn man das umrechnet, sieht man, dass das gerade einmal 595 000 Hektar von insgesamt 11,9 Millionen Hektar bei uns sind. Ich denke, wir täten gut daran, den ökologischen Vorrang für diese sehr kleine Fläche am Ende wirklich besonders ernst zu nehmen. ({4}) Ökologischer Vorrang bedeutet, dass bei der Bewirtschaftung dieser Flächen ökologische Gesichtspunkte Vorrang vor wirtschaftlichen haben müssen. Es geht darum, dass wir hier unsere Spielräume nutzen, indem wir zum Beispiel - das wurde in der Debatte schon erwähnt den Einsatz von Pestiziden auf diesen Flächen tatsächlich untersagen. Das finde ich ein wichtiges Ziel. Wir werden noch ein bisschen darüber diskutieren müssen sicherlich auch in der Koalition. Aber ich finde: Es gibt hier Spielräume. Es geht nicht nur um Pestizide, sondern auch um mineralische Dünger. ({5}) Ich glaube, bei der Ausgestaltung des Gesetzentwurfs und den daraus folgenden Verordnungen haben wir noch einiges zu tun. ({6}) Ich will Ihnen auch für die Diskussion noch einmal in Erinnerung rufen, dass die Vorgaben, die wir machen, im Sinne des Gemeinwohls erfolgen; denn hier wird ja nicht wenig Geld verteilt. Bei allem Verständnis dafür, dass dies eine wichtige Unterstützung für die Landwirte ist, die viel tun, um unsere Ernährung zu sichern und unsere Kulturlandschaft zu erhalten, muss man deutlich machen, dass es sich um öffentliche Gelder, also Steuermittel, handelt und dass es deshalb keine Anmaßung ist, wenn man für die Vergabe dieser öffentlichen Gelder entsprechende Auflagen vorsieht. Ich freue mich auf die Beratungen und glaube, wir haben einiges zu diskutieren - durchaus auch strittig. Es geht uns darum, im parlamentarischen Verfahren allen Seiten Rechnung zu tragen. Das tun wir beispielsweise, indem wir in der Anhörung alle Beteiligten zu Wort kommen lassen. Aus dieser Anhörung wollen wir dann unsere Schlüsse ziehen. Wir wünschen uns, dass nicht nur das Gesetz, sondern auch die Verordnungen die Handschrift der beiden Ministerien tragen, die dies gemeinsam zu verantworten haben. Wir haben vereinbart: Die Umsetzung auf dem Verordnungswege geschieht im Einvernehmen zwischen Umwelt- und Landwirtschaftsministerium. Ich glaube, wenn wir bei der Umsetzung sowohl die Umweltaspekte als auch die Bedürfnisse der Landwirte berücksichtigen, dann haben wir eine Umsetzung geschafft, die unserer Gesellschaft auf alle Fälle nutzen und das Wort „nachhaltig“ mit Sicherheit verdienen wird. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Als Nächste hat - und ich begrüße sie recht herzlich - Staatsministerin Uli Höfken, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau - das freut manche hier im Saal - und Forsten das Wort für den Bundesrat. Frau Höfken, bitte. Ulrike Höfken, Staatsministerin ({0}): Ganz herzlichen Dank. - Ich danke auch der Grünenfraktion dafür, dass ich die Sicht der Länder hier vortragen darf. Das ist natürlich ein wichtiges Thema für diejenigen, die dies alles umsetzen müssen. Wir haben in meinem Bundesland Rheinland-Pfalz erreicht - und ich bin sehr froh, dass ich dazu beitragen durfte -, dass sich die Benachteiligung der bäuerlichen Betriebe bei der Direktzahlung jetzt nach und nach dem Ende zuneigt. Ich muss an dieser Stelle in diesem Hohen Hause aber auch darauf hinweisen: Wir haben weniger Geld in der zweiten Säule. Das liegt auch sehr stark an den Kürzungen bei der Gemeinschaftsaufgabe. Ich darf die Abgeordneten und die Ministerien an ihre Zusage erinnern, die Mittel im Bereich des Hochwasserschutzes genauso wie die der Gemeinschaftsaufgabe aufzustocken. Ich bitte Sie darum, das in den Haushaltsberatungen wahr zu machen. ({1}) Die Nachhaltigkeit hängt ja auch an dieser Unterstützung, genauso wie Investitionsmöglichkeiten oder die Bodenordnung. Wir haben bei der GAP eine Reform auf den Weg gebracht, die ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung sein könnte, wenn nicht diese Bundesregierung - das muss man natürlich sagen - wie auch die vorherige jeden Fortschritt immer wieder ein ganzes Stück weit aushebeln würde, und zwar auf allen Ebenen. Ein zentraler Punkt der GAP ist das Greening. Auch der Umweltausschuss des Bundesrates wendet sich gegen eine Verwässerung dieses elementaren Bestandteils der Reform. Wir werden am 11. April diese Frage im Bundesrat debattieren. Herr Minister Schmidt ist offensichtlich schon unterwegs; dafür habe ich Verständnis. ({2}) - Entschuldigung, ich hätte mich nur einmal umdrehen müssen. Schön, dass Sie noch da sind. - Sie haben öffentlich Gesprächsbereitschaft signalisiert. Ich freue mich, dass wir uns heute Abend über dieses Thema unterhalten können. Sie haben in diesem Zusammenhang auch vor überzogenen Kampagnen gewarnt. Dazu sage ich Ihnen: Wenden Sie sich da einmal an Ihre Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament; denn diese drohen gerade damit, das Instrument der delegierten Rechtsakte durchfallen zu lassen. ({3}) Das wäre eine echte Katastrophe für die Umsetzung auf Landesebene und würde die Betriebe vor Probleme stellen, die wir so schnell gar nicht lösen können. Diese Haltung der CDU/CSU im Europäischen Parlament scheint dazu zu dienen, das Parlament dahin gehend unter Druck zu setzen, weitere agrarindustrielle Interessen durchzusetzen. ({4}) Das merken wir schon jetzt. Wir haben gestern die Auslegungsvorschläge der Kommission bekommen. Da sieht man: Es geht um eine Reduzierung der Nachhaltigkeitselemente im Rahmen der GAP-Reform. Das werden wir so nicht hinnehmen. ({5}) Ich gehe auch davon aus, dass es hier - so habe ich meine Vorrednerin, Frau Vogt, verstanden - nach wie vor gemeinsame Ziele gibt, nämlich die Stärkung der umwelt- und tiergerechten Erzeugung und die Stärkung der bäuerlichen Landwirtschaft. Es geht auch darum, im Deutschen Bundestag dafür zu sorgen, ein weiteres Artensterben, die Verseuchung des Trinkwassers oder die Schädigung unserer Wälder zu verhindern. Das sind übrigens auch ökonomische Faktoren. Fragen Sie dazu einmal die Waldbesitzer. ({6}) Wir alle miteinander haben die Pflicht, die Artenvielfalt, die Biodiversität zu erhalten. Ich erinnere an die Biodiversitätsstrategie, die Sie selber verabschiedet haben, die Wasserrahmenrichtlinie und die nationalen Gesetze dazu genauso wie an den Klimaschutz. Die Umsetzung dieser Ziele hat eng mit dem Greening zu tun. Darum will ich kurz auf drei Punkte eingehen, die sich vielleicht banal anhören, aber von großer Bedeutung sind. Der erste Punkt ist der Anbau von Zwischenfrüchten. Die Frage ist: Erlaubt man den Anbau von ZwischenStaatsministerin Ulrike Höfken ({7}) früchten als Greening-Maßnahme? Herr Minister Schmidt, es ist eben nicht so, dass gute fachliche Praxis und Vorrangfläche grundsätzlich miteinander zu vereinbaren sind, sondern es gibt durchaus Unterschiede zwischen ökologischer Vorrangfläche und guter fachlicher Praxis; das ist meine feste Auffassung. Der Anbau von Zwischenfrüchten darf nicht zugelassen werden; das ist zwar gute fachliche Praxis, aber keine ökologische Vorrangleistung. ({8}) - Ja, als Erosionsschutz ist das gut, aber der Biodiversität bringt das nichts. Ein zweiter Punkt sind Pestizide und Dünger. Wir möchten verhindern, dass auf ökologischen Vorrangflächen Pestizide und Dünger ausgebracht werden. Das würde das Ganze auf den Kopf stellen. ({9}) Der dritte Punkt. Grünland zu erhalten, ist eines der wichtigsten Ziele der GAP-Reform wie auch, so habe ich es verstanden, dieser Bundesregierung. Also muss es darum gehen, Grünland zu erhalten und dafür zu sorgen - das diskutieren wir auch auf der AMK -, dass es hier ein Autorisierungssystem gibt, sodass wir nicht abwarten, bis die nächsten 5 Prozent Grünland verschwunden sind. ({10}) Ich habe mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, was Ministerin Hendricks zur Lage der Natur gesagt hat. Ich möchte Sie alle beim Wort nehmen, gerade auch die Kollegen der SPD, die sich zurzeit als Merkels brave Helferlein etwas verspotten lassen müssen. Ich glaube, dass wir alle ungeachtet dessen, was im Bericht zur Lage der Natur steht, aufgefordert sind, dafür zu sorgen, dass die nationalen Möglichkeiten zur Umsetzung des Greenings auch wirklich wahrgenommen werden, damit das ursprünglich in der GAP vereinbarte Ziel „öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen“ realisiert werden kann. Ich hoffe, dass wir gemeinsam zu einem guten Ergebnis kommen. Vielen Dank. ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Ministerin Höfken. - Jetzt hat Gitta Connemann das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer von Ihnen kennt Jemgum? ({0}) - Danke. Kollege Johann Saathoff, mein ostfriesischer Nachbar. Sonst niemand? - Schade. Es ist dort nämlich wie im Paradies, sagen jedenfalls die Einheimischen und finden auch die Gänse. Jedes Jahr im Frühjahr und im Herbst machen sie dort zu Zehntausenden Rast: Graugänse, Nonnengänse und Blessgänse. Auf dem Weg vom Süden in die nordischen Brutgebiete legen sie dort sozusagen einen Boxenstopp ein; denn ihnen wird ein reich gedeckter Tisch präsentiert: saftige grüne Wiesen. Die Gemeinde Jemgum ist zu 80 Prozent europäisches Vogelschutzgebiet. Das Gras genießen übrigens auch die Schwarzbunten. Ostfriesland ist für seine Weidekuhhaltung berühmt, und der Tourist erfreut sich an dem Anblick dieser Kulturlandschaft - ja, Kulturlandschaft; ich betone das -; denn ohne bäuerliche Pflege, ohne Pflügen und Säen würde es das nicht geben. ({1}) Dann würde es auch keine Gänse geben. Dies zeigt einmal mehr: Naturschutz und Vogelschutz gehen nur mit der Landwirtschaft, nicht gegen sie. ({2}) Dies ist auf europäischer Ebene erkannt worden. Deshalb sollen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik die Leistungen unserer Landwirte für Umwelt- und Naturschutz finanziell gestärkt und auch andere in Europa dazu animiert werden. Denn es gibt ohne Frage auch Agrarflächen, die ökologisch geschädigt sind: überdüngte, versalzene oder vertrocknete Böden, die vom Winde verweht werden, zerstörte Lebensräume für Schmetterlinge und Bienen, zum Teil auch für Vögel und Pflanzen. Hier braucht es mehr Anreize für Nachhaltigkeit über das Greening der Direktzahlungen und die Förderung von Agrarumweltmaßnahmen, aber - das betonen wir - auf freiwilliger Basis, nicht durch Planwirtschaft. So lautet jetzt auch der politische Wille der EU. Dies war übrigens keine Selbstverständlichkeit; denn an der Reform schieden sich die Geister. Da wurde gestritten und gefeilscht; denn es geht um viel Geld, immerhin den größten Haushaltsposten der EU, die Direktzahlungen. Ich betone: Das sind keine Subventionen - Herr Minister Schmidt hat darauf hingewiesen -, sondern es ist ein Ausgleich für Leistungen, die die Landwirtschaft erbringt. Aber sie sind zum Teil an die geflossen, die sie nicht brauchen: von großen Landbesitzern wie die Queen bis zur Industrie. Deshalb war eine Neuordnung erforderlich. Aber wie sollte diese aussehen? Es gab Fraktionen, die eine Agrarwende von oben wollten. Par ordre du mufti sollten 15 Prozent aller Flächen stillgelegt werden, und das in einer Zeit, in der Fläche so knapp und wertvoll ist wie nie zuvor. ({3}) Bis zur Fruchtfolge sollte alles vorgeschrieben werden Planwirtschaft, ersonnen am grünen Tisch. Damit wäre jeder Landwirt zum ausführenden Organ degradiert worden. Dabei ist er der Fachmann, übrigens auch mit den erforderlichen regionalen Kenntnissen; denn Deutschland ist vielfältig, ({4}) von der Alm bis zur Salzwiese, vom Wald bis zum Wein, Frau Ministerin Höfken, übrigens immer von Menschenhand geschaffen, so wie in Jemgum. Deshalb ist es auch gut, dass sich am Ende die Vernunft gegen staatliche Bevormundung durchgesetzt hat. Die Reform der Agrarpolitik bringt mehr Freiheit für Europas Landwirte.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Connemann, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Harald Ebner?

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Immer besonders gerne.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Oh, Harald, was geht denn da ab?

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Habe ich etwas falsch gemacht? ({0}) Liebe Frau Kollegin, Sie haben von Freiwilligkeit gesprochen. Ich möchte das unterstreichen. Ich möchte Sie dazu fragen, ob denn die Annahme von Direktzahlungen und das Stellen eines gemeinsamen Antrags nicht auch eine freiwillige Entscheidung eines Landwirtes ist; denn nur mit dieser Annahme der Direktzahlungen und dem Stellen eines gemeinsamen Antrags würden die mit der GAP verbundenen Greening-Auflagen greifen. Deshalb möchte ich Sie fragen, wie Sie es da mit der Freiwilligkeit halten?

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Freiwilligkeit ist als Prinzip verankert, und das ist gut so. Dass es natürlich im Detail schwierig werden kann, ist klar. Das zeigt uns nicht nur dieses Gesetz, sondern das zeigen uns gerade die delegierten Rechtsakte, die in Europa derzeit verhandelt werden. Ich bin übrigens unserem Kollegen Albert Deß, der dafür sorgt, dass dort die Flexibilität wirklich hergestellt wird, die wir für die Landwirte vor Ort brauchen, außerordentlich dankbar, ({0}) und ich bin unserem Minister Christian Schmidt dankbar, ({1}) der seine Zustimmung zu den delegierten Rechtsakten verwehrt hat, weil, wie er gesagt hat, noch nicht alles ausreichend klar ist. Im Übrigen hat sich der Amtsschimmel tatsächlich im Kleingedruckten ausgetobt. Deswegen ist es gut, dass wir dies kontrollieren, übrigens für mehr Flexibilität. Lieber Kollege Ebner, da bin ich absolut bei Ihnen. Wir waren bei der staatlichen Bevormundung. ({2}) Übrigens ist es immer gut für die Politik, auch in diesem Haus, nicht zu entscheiden, was ein guter Betrieb bzw. eine gute Bewirtschaftungsform ist und was nicht. Wir in der Union sagen: Wir brauchen alle. Wir brauchen die ökologischen, die biologischen und die konventionellen Betriebe ebenso wie die kleinen und die großen; denn wir brauchen Vielfalt für den Verbraucher, die er übrigens bei uns hat. Ich glaube, es gibt kein Land auf der Welt, wo es so sichere Lebensmittel zu so bezahlbaren Preisen gibt. Auf die Leistung, die die deutsche Landwirtschaft erbringt, können wir stolz sein. ({3}) Nun geht es an die Umsetzung der Reform. Jetzt wird es haarig; denn der Teufel steckt bekanntlich im Detail. So warten wir auf die delegierten Rechtsakte und Auslegungsvermerke. Wir hatten gerade darüber gesprochen. Wir wünschen uns dort mehr Flexibilität. Aber ich sage auch sehr deutlich: Diese Flexibilität müssen wir national nutzen. Den ersten Aufschlag haben wir mit dem Umverteilungsprämiengesetz getan, durch das kleinere und mittlere Betriebe zukünftig eine bessere Unterstützung erhalten werden. Die Vorlage aus Ihrem Haus, lieber Herr Minister, war gekonnt; denn dieser Gesetzentwurf ist ohne Gegenstimmen angenommen worden. Jetzt folgt das zweite Gesetz, das DirektzahlungenDurchführungsgesetz, über das wir heute diskutieren. Darin steckt ganz viel Gutes. Lieber Herr Minister, Sie haben es dargestellt. Übrigens, für unsere Fraktion sage ich deutlich: Wir sind froh, dass die Umschichtung der Mittel auf 4,5 Prozent begrenzt wurde; ({4}) denn wir dürfen nie vergessen: Dies ist das Geld der Landwirtschaft, ({5}) und eine Umschichtung auf das Land ist für das Land schön, geht aber im Ergebnis zulasten der Landwirtschaft. Es gibt viele andere Punkte, die Sie angesprochen haben. Einen Punkt, lieber Herr Minister, beurteilen wir als Agrarpolitiker der Union anders als Bund und Länder. Wir halten den Plan, alles Dauergrünland in Natura2000-Gebieten, also in Vogelschutzgebieten und in FFHGebieten, als umweltsensibles Dauergrünland festschreiben zu wollen, für falsch. ({6}) Denn daraus folgt ein generelles Umwandlungs-, Tausch- und übrigens auch Pflugverbot. Keine Frage: Niemand will Umwandlung; aber eine Pflegemaßnahme muss möglich bleiben. Alles andere ist fachlich nicht begründet und rechtlich auch nicht notwendig. Ohne Frage müssen wir Dauergrünland schützen; denn Wiesen binden Kohlenstoff. Deshalb verlangt die EU, entsprechende Gebiete zu identifizieren, unter anderem extrem umweltgefährdete Gebiete innerhalb von Natura-2000-Gebieten. Die EU gibt jedoch nicht vor, sämtliches Grünland in diesen Gebieten unter Schutz zu stellen. Dies ist auch vernünftig; denn häufig geht es bei dem eigentlichen Schutzziel des Gebietes um etwas ganz anderes, wie beim Vogelschutz in Jemgum. Ich verstehe, dass Bund und Landesregierungen nach einer einfachen Abgrenzung gesucht haben. Aber die gefundene taugt, ehrlich gesagt, nicht. ({7}) Denn Dauergrünland ist nicht Dauergrünland, und Natura-2000-Gebiet ist nicht Natura-2000-Gebiet. Wir brauchen hier differenzierte Betrachtungen. Dies schlägt übrigens auch unser bundeseigenes Institut, das ThünenInstitut, vor, das sich als Sachverständiger für die am Montag stattfindende Anhörung gemeldet hat. Dieses Institut sagt sehr deutlich: Bedenkt bitte, dass jede Vorschrift dieser Art eine erhebliche Einschränkung zulasten eines Landwirts darstellt! Also macht es bitte nur dort, wo es wirklich erforderlich ist! Keine Pauschalierung! - Vor diesem Hintergrund muss ein Umbruch zum Beispiel durch Pflügen möglich bleiben. Es geht hier um Pflegemaßnahmen mit langer Tradition. Seit Generationen wird der Boden alle paar Jahre gepflügt und neu eingesät. Gerade erst solche Maßnahmen haben dazu geführt, dass wir besonders hochwertiges Grünland haben. Was noch schwerer wiegt, ist, dass wir anderenfalls das Vertrauen der Landwirte brechen; denn die Landwirte in Deutschland verlassen sich auf die Zusage der Politik, dass es nicht zu Bewirtschaftungsveränderungen kommt, wenn zum Beispiel ein Gebiet als Vogelschutzgebiet ausgewiesen wird. Dieses Vertrauen ist schützenswert, jedenfalls für uns. ({8}) Wir wollen weiter Kühe auf der Weide. Wir wollen auch Gänse. Wir wollen aber keine schleichende Enteignung unserer Landwirte. Deshalb sagen wir deutlich Nein zu der geplanten pauschalen Veränderungssperre. Wir müssen über andere Lösungen sprechen. Etliche Vorschläge liegen auf dem Tisch. Diese werden nun Gegenstand des laufenden Gesetzgebungsverfahrens sein. Mein Parlamentarischer Geschäftsführer hat mir gesagt, dass ich nicht das Struck’sche Gesetz zitieren soll, weil darauf heute schon mehrfach hingewiesen wurde. Deswegen halte ich es mit dem Kollegen Holzenkamp, der immer sagt: Über uns Parlamentariern ist der blaue Himmel. - So ist es auch. Ich freue mich auf den blauen Himmel im Gesetzgebungsverfahren und auf die - hoffentlich auch zukünftig - grünen Weiden unter unseren Füßen, so wie in Jemgum. ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Der Blick nach oben gibt Ihnen recht, was den blauen Himmel angeht. Kerstin Kassner für die Linke ist die nächste Rednerin. ({0})

Kerstin Kassner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004324, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich darf Sie nun auf eine kleine gedankliche Fahrt zu mir nach Hause einladen. Entweder sind Sie Städter - dann sehnen Sie sich regelmäßig nach dem Grün und der freien Natur -, oder Sie sind wie ich ein Bewohner der ländlichen Räume. Diese machen immerhin 58 Prozent der Fläche unserer Bundesrepublik aus. Auf dieser großen Fläche lebt etwa jeder vierte Einwohner Deutschlands. In der Internetpräsentation des Landwirtschaftsministeriums steht, dass die ländlichen Räume nicht nur eine romantische Idylle sind; das kann ich mit Fug und Recht unterschreiben. Das ist in der Tat so. Ich denke nur an mein Heimatland Mecklenburg-Vorpommern: wunderschöne Wiesen und Seen, nicht zu vergessen das Meer, aber auch große landwirtschaftliche Flächen. Genauso ist es auf meiner Heimatinsel Rügen. Dort steht neben dem Tourismus die Landwirtschaft gleichermaßen an erster Stelle; denn sie prägt das Landschaftsbild auf der Insel maßgeblich. Wir wünschen uns ein hohes Maß an Lebensqualität. Das ist aufgrund der räumlichen Bedingungen, der guten Luft und allem, was dazu gehört, von Natur aus gegeben; aber - das sage ich bewusst - es gehört ganz viel bürgerschaftliches Engagement dazu, dies auch dauerhaft zu gewährleisten. Es gibt ein großes Gefälle zwischen den Bedingungen in den ländlichen Räumen, dem Süden, dem Südwesten und meiner Heimatregion. Ich betreue die beiden Wahlkreise 15 und 16, also im Großen und Ganzen Vorpommern; Neubrandenburg gehört auch dazu. Wenn ich jetzt entschuldigend zu den Greifswaldern und Stralsundern sage, dass das ländlicher Raum pur ist, dann können Sie mir glauben, dass ich weiß, wovon ich spreche. Es ist leider eine Abwärtsspirale zu verzeichnen. Es gibt einen Abwanderungstrend, der aufgehalten werden muss. Zuerst gehen die jungen Frauen weg und mit ihnen die ungeborenen Kinder. Danach gehen auch die jungen Männer weg; denn sie finden es bei uns dann auch nicht mehr attraktiv. Das führt dazu, dass immer weniger Menschen in den ländlichen Räumen leben. Damit stellt sich die gesamte Situation schwieriger dar: die Kaufkraftentwicklung, die Schulen, die Versorgung mit ärztlichen Leistungen, all das ist schwierig und nur mit großer Mühe und Not aufrechtzuerhalten. Mit der Verlagerung der Mittel in Höhe von 4,5 Prozent aus dem Gesamtvolumen kann das, was uns im Rahmen der Entwicklung ländlicher Räume weniger zur Verfügung steht, mindestens kompensiert werden. Es gibt so viele Möglichkeiten, wie man erreichen kann, dass die ländlichen Räume für das Leben dort attraktiv bleiben. Bei Besuchen vor Ort habe ich viele kreative Ideen vorgefunden, die lohnenswert sind, nachgemacht oder weiterentwickelt zu werden. Es gibt zum Beispiel das Vorhaben, multiple Häuser zu errichten oder vorhandene Gebäude entsprechend umzunutzen. Dort können dann verschiedene Aufgaben im Dorf erfüllt werden: Am Montag kommt die Ärztin. Am Dienstag ist die Physiotherapeutin da. Am Mittwoch sind die Vereine des Ortes anwesend. Am Donnerstag findet dort die Sprechstunde des Bürgermeisters statt, und die Gemeindevertretung trifft sich am Abend. Am Wochenende wird natürlich das gemeindliche Leben gepflegt, das Tanzbein geschwungen, oder es werden interessante Nachmittage veranstaltet. Man kann sich auch andere Dinge einfallen lassen. Ich kenne viele Beispiele. Im Rahmen von LEADER hatten die Insel Rügen und viele andere ländliche Bereiche mit dem Bottom-up-Prinzip Möglichkeiten, die außerordentlich erfolgreich waren. Dort haben sich viele Menschen engagiert. Kulturelle Möglichkeiten wurden entwickelt und genutzt. Zum Beispiel wurden die Kirchen vor Ort wieder hergerichtet und zum Kulturzentrum des Dorfes gemacht. Das alles sind Möglichkeiten, die außerordentlich interessant sind und bei denen sich ein Mitmachen lohnt. Ich möchte, dass solche guten Ideen umgesetzt werden, damit auch zukünftig den Bürgerinnen und Bürgern in den ländlichen Räumen das Leben in ihrer Heimatregion gefällt und sie dort bleiben. ({0}) Ich kann mir aber auch vorstellen, dies gezielt zu unterstützen, zum Beispiel durch eine Breitbandversorgung. Heutzutage sind viele Unternehmen unabhängig von ihrem Standort. Wenn die Anbindung an das Netz über eine Breitbandversorgung gewährleistet ist, ist ein Arbeiten weit über die landwirtschaftsaffinen Bereiche hinaus möglich. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten: Landwirtschaftsbetriebe, die nicht nur Lebensmittel produzieren, sondern sie auch verarbeiten. Aus einem Sozialbetrieb ist bei uns eine Molkerei entstanden, einhergehend mit touristischen Angeboten. ({1}) Das sind gute Lösungen, wie man den ländlichen Raum beleben kann. Deshalb würde ich mich freuen, wenn wir uns auch zukünftig darauf verlassen könnten, dass die Menschen im ländlichen Raum zufrieden sind und sich dort wohlfühlen. Danke. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Frau Kollegin Kassner. - Nächster Redner ist Dirk Wiese für die SPD-Fraktion. ({0})

Dirk Wiese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt ist, wie ich sehe, schon auf dem Weg zur Agrarministerkonferenz in Cottbus. Aber, Herr Staatssekretär, richten Sie ihm an dieser Stelle doch aus, dass wir heute auf jeden Fall eine Gemeinsamkeit haben: Wir halten heute zwar nicht unsere erste Rede im Deutschen Bundestag, aber wir reden auf jeden Fall beide zum ersten Mal zum Thema Landwirtschaft. Das ist doch eine schöne Gemeinsamkeit, die wir heute haben. Richten Sie ihm bitte schöne Grüße aus. Ich komme zur Sache. Der ländliche Raum umfasst 90 Prozent der Fläche der Bundesrepublik Deutschland. Hier lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Kleinstädten, Gemeinden und Dörfern. Er ist Heimat, er ist Lebensmittelpunkt, und er ist vielerorts eine von mittelständischen Familienunternehmen geprägte Industrieregion im Grünen. In dieser Region ist eine zukunftsorientierte und dem Gedanken der Nachhaltigkeit zugetane Landwirtschaft zu Hause. Das ist gerade mit Blick auf das Jahr 2014, dem von den Vereinten Nationen ausgerufenen Jahr der familienbetriebenen Landwirtschaft, von Bedeutung. Warum erwähne ich das an dieser Stelle explizit? Die heute diskutierten Direktzahlungen sind nicht nur Subventionen im negativen Sinne. Sie verfolgen auch das wichtige Ziel, die heimischen Landwirte in zweiter und dritter Generation dabei zu unterstützen, unsere vielseitige Kulturlandschaft zu bewahren und zu pflegen; denn sie sorgen mit ihrer täglichen Arbeit dafür, dass jeder hier im Raum von seinem Heimatwahlkreis sagen kann: Wir leben und arbeiten dort, wo andere Urlaub machen ({0}) obwohl das Sauerland - Frau Connemann, gestatten Sie mir diese Anmerkung - natürlich etwas schöner ist als alle anderen Wahlkreise und Regionen. ({1}) - Ja, Frau Connemann kommt aus Ostfriesland. Aber der Nachteil von Ostfriesland ist, dass es nicht so hügelig ist wie das Sauerland und man deshalb schon freitags weiß, wer sonntags zu Besuch kommt. Da haben wir im Sauerland ein paar Vorteile. ({2}) - Wir haben auch viele Seen. Aber darüber können wir in kleiner Runde diskutieren.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Passen Sie auf, sonst muss ich Sie noch rügen. Ich komme aus Schwaben. Da ist es auch schön. ({0})

Dirk Wiese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Fast so schön. ({0}) - Da haben wir eine neue Debatte - sehr gut -; die führen wir weiter. Zum Gesetzentwurf. Versuchen wir einmal, trotz der sperrigen Überschrift der heutigen Debatte zur ersten Lesung des Entwurfes eines Gesetzes zur Durchführung der Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen von Stützungsregelungen der Gemeinsamen Agrarpolitik etwas Licht ins Dunkel zu bringen; denn die gesetzlichen Folgen der zu beratenden Regelungen betreffen das Leben vieler Bürgerinnen und Bürger unmittelbar, und zwar täglich. Ute Vogt ist bereits ausführlich auf die Eckpunkte des vorliegenden Gesetzentwurfs eingegangen. Zu den Stichworten zählen die zusätzliche Förderung für die ländliche Entwicklung im Rahmen der zweiten Säule, der schrittweiser Abbau der regionalen Differenzen beim Wert der Zahlungsansprüche, die Regelung in Bezug auf das Dauergrünland und die Ausschöpfung der EU-rechtlich maximal zulässigen Förderobergrenze bei der Junglandwirteförderung. Ich möchte in meiner Rede zwei Punkte schwerpunktmäßig hervorheben: zum einen die Junglandwirteförderung und zum anderen die regionale Begrenzung bei Ausgleichsmaßnahmen. Junglandwirteförderung heißt konkret: Es geht um die landwirtschaftlichen Fachkräfte von morgen, die Unterstützung bei der Übernahme der Höfe und Betriebe ihrer Eltern brauchen und in Zukunft dafür Sorge tragen werden, dass wir - hoffentlich - täglich gute Lebensmittel wie Brot, Milch, Obst, Gemüse oder Fleisch kaufen können. ({1}) Regionale Begrenzung heißt ganz konkret: Die Fläche muss sich da erholen können, wo sie auch intensiv genutzt wird. Wenn in einer Region die Fläche intensiv bewirtschaftet wird, dann muss sie sich auch für einen gewissen Zeitraum erholen können. Man darf sich nicht in anderen Regionen sozusagen freikaufen. ({2}) Der vorliegende Gesetzentwurf stärkt die Junglandwirteförderung aus meiner Sicht. Eine finanziell gut ausgestattete Junglandwirteförderung ist für die kommende Generation wichtig und von großer Bedeutung. Dies haben Vertreter des Bundes der deutschen Landjugend beim Parlamentarischen Abend vor einiger Zeit erst wieder deutlich gemacht; viele Kolleginnen und Kollegen waren an diesem Abend anwesend. Laut letzten Erhebungen belief sich die Zahl der Landwirte über 65 Jahre innerhalb der Europäischen Union auf rund 30 Prozent, während die Zahl der unter 35-Jährigen bei 6 Prozent verharrte. Dies ist eine große Herausforderung für die Zukunft der Landwirtschaft. ({3}) Darum begrüße ich die entsprechenden Regelungen im vorliegenden Gesetzentwurf ausdrücklich. ({4}) Die aus meiner Sicht richtige Stärkung der Junglandwirte durch die Gemeinsame Agrarpolitik der EU führt auch dazu, dass wir bei der anstehenden Reform der Hofabgabeklausel auf Grundlage des fundierten Gutachtens des Thünen-Instituts - Abschlag von 10 Prozent; wir reden darüber nach der Vorlage der Evaluierung vonseiten des Bundeslandwirtschaftsministeriums zur Sommerpause - zeitnah tätig werden können. So ist es angekündigt. Dem einen oder anderen ist der Begriff der Hofabgabeklausel vielleicht nicht so präsent. Darum an dieser Stelle eine kurze Erläuterung, worum es dabei geht: Wer im Alter von 65 Jahren Leistungen aus der landwirtschaftlichen Rentenversicherung haben möchte, an die er sein Leben lang ordnungsgemäß Beiträge entrichtet hat, der muss seine Flächen - einfach gesagt - abgeben. ({5}) Tut er dies nicht, so hat er keinen Anspruch, auch wenn er eingezahlt hat. Findet er keinen Käufer oder Erwerber bzw. Nachfolger für seine Flächen, dann gibt es kein Geld. Das ist ungerecht. Diese einst strukturpolitisch völlig richtige Weichenstellung aus dem Jahr 1957 ist aus meiner Sicht und der Sicht der SPD-Bundestagsfraktion heute unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit eigentlich nicht mehr aufrechtzuerhalten. ({6}) Sie stellt aus meiner persönlichen Sicht eine Zwangsabgabe dar. Darum müssen wir die Reform angehen. Das haben wir im Koalitionsvertrag auch vereinbart. Frau Höhn, an dieser Stelle: Es gibt hier eine Schnittmenge. Wir wollen die Junglandwirte durch die Junglandwirteförderung stärken und haben dann auch Spielraum bei der Hofabgabeklausel. An dieser Stelle besteht ein Zusammenhang. Ich glaube, es ist wichtig, dies heute noch einmal anzusprechen. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich auf den zweiten Punkt eingehen. Aus Sicht der Region Südwestfalen, der Kreise Olpe, Märkischer Kreis, Soest, Siegen-Wittgenstein und meiner Heimat Hochsauerlandkreis - das ist ein Beispiel von vielen in der Republik ist es von immenser Bedeutung, die ökologischen Vorrangflächen in einen räumlichen Bezug zur Betriebsstätte zu legen, um insbesondere eine Verlagerung der Verpflichtung aus landwirtschaftlichen Gunstregionen mit intensiver Bewirtschaftung auf vermeintlich ertragsschwächere Standorte zu verhindern. Denn das, was momentan stattfindet, ist eigentlich absurd: Regionen mit einer intensiven landwirtschaftlichen Bewirtschaftung erwerben in anderen Regionen Flächen und erfüllen so ihre vorgeschriebenen Auflagen. Zur Verbesserung der Böden in den belasteten Regionen trägt das nicht bei, und in den betroffenen Regionen, in denen Flächen vonseiten gebietsferner Landwirte gekauft oder gepachtet werden, steigen infolge dessen die Preise pro landwirtschaftliche Fläche zum Schaden der ortsansässigen Landwirte. Gerade bei uns im Sauerland ist das der Fall. ({8}) Bis 2009 waren Ackerbauern bereits gehalten, einen gewissen Prozentsatz ihrer Betriebsfläche stillzulegen. Landwirte aus den großen maßgeblichen Ackerbauregionen in Nordrhein-Westfalen kamen ihren Stilllegungsverpflichtungen seinerzeit nach, indem sie zum Beispiel in der Region Südwestfalen landwirtschaftliche Nutzfläche anpachteten und stilllegten. Kurzum: Die damalige Nichtbewirtschaftungsverpflichtung wurde in andere Regionen verschoben, weil die für die Flächenstilllegung benötigten landwirtschaftlichen Nutzflächen dort günstiger zu pachten waren als in den Ackerbauregionen. Das stellt ein Problem dar. Als Grund für das niedrigere Pachtniveau im Sauerland wird immer angeführt, es liege an der Höhenlage, der Topografie oder dem späteren Vegetationsbeginn. Ich finde das manchmal gar nicht schlecht. Aber nun gut, das sind die Gründe. ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Stilllegungsflächen fehlen den Landwirten vor Ort. Das führt auch dazu, dass auf den bewirtschafteten Flächen, die neben den Stilllegungsflächen liegen, der Unkrautbewuchs zunimmt und sinnvolle örtliche Kulturlandschaftsprogramme konterkariert werden. Diese werden durch Steuermittel finanziert. Deshalb müssen wir uns, wie ich meine, dieser Problematik annehmen. Darum: Lassen wir doch das Struck’sche Gesetz, wonach kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es hineingekommen ist, zur vollen Entfaltung kommen und richtige Änderungen bzw. Anpassungen am bestehenden Entwurf vornehmen. Ich bin mir sicher: NordrheinWestfalen wird sich dem im Bundesrat nicht verschließen. Vielleicht kann man an dieser Stelle auch noch eine Öffnungsklausel auf den Weg bringen. ({10}) Ansonsten kann ich den vorliegenden Gesetzentwurf nur begrüßen. Bei den 4,5 Prozent in Bezug auf die ELER-Mittel wäre vielleicht noch etwas mehr drin gewesen. ({11}) Aber nun gut. Die europäische Agrarpolitik ist, um das am Schluss auszuführen, nicht unumstritten. Eine Einigung der Mitgliedsländer auf europäischer Ebene ist nicht immer einfach; oft erfolgt sie auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Wir haben hier einen Kompromiss vorliegen. Wenn wir an der einen oder anderen Stelle etwas nachbessern, kann man das auf den Weg bringen. Ich glaube, der zukünftige erste Präsident der Europäischen Kommission aus Deutschland nach Walter Hallstein wird nach dem 25. Mai vielleicht etwas mehr Schwung in die Reformdebatte bringen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Herr Kollege aus dem Sauerland. - Jetzt spricht Friedrich Ostendorff für Bündnis 90/Die Grünen.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Herbst 2010 legte EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos einen Bericht vor, der die Grundlagen für einen Vorschlag zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik nach 2013, der zentralen agrarpolitischen Zukunftsentscheidung für die Bäuerinnen und Bauern Europas, darstellte. Dieser Vorschlag von Kommissar Ciolos war und ist wegweisend und notwendig. ({0}) Dieser Vorschlag ist wegweisend, weil er auf einer beispiellosen öffentlichen Debatte mit über 5 500 schriftlichen Beiträgen der europäischen Bürgerinnen und Bürger basiert. Die Ergebnisse dieser Diskussion sind nachvollziehbar in den Vorschlag des Kommissars eingeflossen. Meine Damen und Herren, der Vorschlag ist notwendig; denn er geht von den großen Herausforderungen Ernährung, Klimawandel, Artensterben und Energie aus. Er entwickelt Lösungsansätze für diese Probleme, die unsere Lebensgrundlage insgesamt betreffen. Eines ist klar: Ein Weiter-so in der Agrarpolitik kann es nicht geben. 50 Milliarden Euro EU-Agrarsubventionen ohne Begründung kann es im 21. Jahrhundert nicht mehr geben. ({1}) Die Gemeinsame Agrarpolitik braucht eine neue, eine echte Legitimation, oder sie wird spätestens nach 2020 am Ende sein. Diese Legitimation, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss lauten: öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen. ({2}) Die Bundesregierung aber hat bei den Verhandlungen der GAP-Reform vom ersten Moment an auf der Bremse gestanden. Sie hat schwerwiegende politische und handwerkliche Fehler begangen, die der Demokratie in Europa nachhaltig schaden, die Lösung drängender Probleme behindern und die Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik insgesamt infrage stellen. Erstens. Die Bundesregierung ist nicht dem demokratischen und transparenten Ansatz von Kommissar Ciolos gefolgt. Sie hat das eindeutige Votum der Bürgerinnen und Bürger für eine ökologischere und gerechtere Agrarpolitik ignoriert. Sie hat die Zivilgesellschaft, die seit vier Jahren mit 20 000 bis 30 000 Menschen im Januar hier in Berlin unter dem Motto „Wir haben es satt!“ für eine andere Agrarpolitik auf die Straße geht, permanent diffamiert. ({3}) Stattdessen hat der Bauernverband weiterhin alleine die Politik diktiert. Damit hat die Bundesregierung dem Glauben der Bürgerinnen und Bürger an Europa schweren Schaden zugefügt. Zweitens. Die Bundesregierung hat nicht erkannt, dass nur mit einem starken europäischen Instrument wie der Gemeinsamen Agrarpolitik die großen Herausforderungen gelöst werden können. Der Vorschlag von Kommissar Ciolos hat die einmalige Chance eröffnet, EUweit Artensterben einzudämmen, den Klimawandel zu bekämpfen und die Gerechtigkeitslücken zu schließen. Mit ihrer Blockadehaltung hat die Bundesregierung diese große Chance für Europa vertan. ({4}) Drittens. Die Bundesregierung hat sich so sehr um Ausnahmen für ihre agrarindustrielle Klientel bemüht, dass aus einem einfachen und transparenten Maßnahmenkatalog nun eine Ausnahme- und Schlupflochbürokratie zu werden droht. Es ist doch abenteuerlich, wie der CSU-Mann Albert Deß im Europaparlament dieser Tage herumläuft und versucht, durch Nachtreten im Kleingedruckten diese Reform noch klientelfreundlicher und damit vor allen Dingen noch bürokratischer zu machen. ({5}) Um die Interessen des Bauernverbands durchzusetzen, versucht Herr Deß, die Kommission zu erpressen, und droht, die längst beschlossene Reform an Formalien scheitern zu lassen, wenn der Kommissar nicht tut, was die Bauernverbände wünschen. Dieses Vorgehen von Herrn Deß schadet nicht nur den europäischen Bäuerinnen und Bauern, sondern vor allen Dingen denen in Bayern. ({6}) Sie, Herr Minister Schmidt, spielen dieses Spiel mit. Das ist antidemokratisch. Das ist antieuropäisch. Das ist Klientelpolitik in ihrer schmutzigsten Form. Hören Sie doch auf, uns etwas von Ethik in der Agrarpolitik zu erzählen, solange Sie Ihre eigenen Seilschaften nicht im Griff haben, Herr Minister. Viertens. Ein weiterer großer Fehler der Bundesregierung war, dass sie den einmaligen gesellschaftlichen Konsens zur Umgestaltung, zum Umbau und damit zur zukünftigen Sicherung der GAP ausgeschlagen hat. Noch nie haben sich so viele Nichtregierungsorganisationen und Verbände gemeinsam für eine Erhaltung und Entwicklung der GAP ausgesprochen, wenn die Zahlungen zukünftig an gesellschaftliche Leistungen gebunden werden. Die Bundesregierung hat diesen Konsens ausgeschlagen und damit die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die GAP 2020 aus Mangel an gesellschaftlicher Akzeptanz an ihr Ende kommt. Dies war und ist ein verhängnisvoller Fehler. Noch sind einige grobe Fehler heilbar. Erstens. Pestizide und Mineraldünger haben auf ökologischen Vorrangflächen nichts zu suchen. ({7}) Ändern Sie das! Zweitens. Grünlandschutz muss sofort kommen und an allen sensiblen Standorten gelten. Die dramatisch fortschreitende Grünlandzerstörung muss aufhören. ({8}) Ändern Sie das, und machen Sie 2014 nicht zum Jahr der Grünlandzerstörung! Drittens. Eine Umschichtung von nur 4,5 Prozent der Gelder von der ersten in die zweite Säule ist für die Finanzierung der Agrarumweltprogramme viel zu wenig. Möglich sind 15 Prozent. Ändern Sie das! ({9}) Viertens. Horst Seehofer, Ministerpräsident von Bayern, hat den Bundesländern eine Aufstockung der Mittel zur Förderung der ländlichen Entwicklung um 200 Millionen Euro versprochen. Dieses Versprechen hat er leider gebrochen. Ändern Sie das, und stellen Sie die Mittel in den Bundeshaushalt 2014 ein! ({10}) Herr Minister Schmidt, Ihre Partei hat bei dieser Reform viel Schaden angerichtet. Ich fordere Sie daher auf: Beenden Sie die Blockade in Brüssel, beenden Sie die bürokratischen Tricks! Setzen Sie diese Reform so um, dass ihre Ziele erreicht werden können - für mehr Ökologie, für mehr Gerechtigkeit in Europa, für eine zukunftsfähige, moderne bäuerliche Landwirtschaft im Einklang mit der Natur. ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Herr Kollege. - Nächster Redner in der lebendigen Debatte ist Hermann Färber für die CDU/CSU. ({0})

Hermann Färber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Zuschauertribünen! 50 Prozent der Menschen in Deutschland leben in ländlichen Regionen, aber 100 Prozent der Menschen ernähren sich von landwirtschaftlichen Produkten. Wir diskutieren hier also nicht über irgendein politisches Randthema, sondern über einen Kernbereich, der täglich über 80 Millionen Bundesbürger betrifft. ({0}) Gestatten Sie mir, dass ich kurz auf die Worte meines Vorredners eingehe. Lieber Friedrich Ostendorff, die Landwirtschaft in Deutschland erbringt viele, viele Leistungen für die Gesellschaft, die sie am Markt nicht vergütet bekommt. Das möchte ich an dieser Stelle einfach so sagen. ({1}) Die Direktzahlungen - Herr Ebner, bitte hören Sie zu, sonst muss ich das nachher wiederholen - gehören in die Hand dessen, der die Hand am Pflug hat, der draußen die Arbeit macht, und nicht in die Hand dessen, der sich in irgendwelchen Zirkeln und politischen Diskussionen immer neue Gängeleien, Schikanen und Auflagen für die Bauern ausdenkt. ({2}) Das ist mir wichtig, und das möchte ich an dieser Stelle so gesagt haben. Die Reform der europäischen Agrarpolitik war in der Tat eine schwere Geburt. Bis heute ist noch nicht klar, wie das Kind nachher aussehen wird. Wir wollen aber an den weiteren Verhandlungen konstruktiv teilhaben. Es liegt uns an einer schnellen und guten Regelung, die den Landwirten die dringend benötigte Planungssicherheit gibt. Die Reform hat auch sehr viele gute Bestandteile: Den schrittweisen Übergang zu einer einheitlichen Basisprämie finde ich sehr angemessen. Wir begrüßen die Förderung der ersten Hektare, die wir schon für 2014 beschlossen haben - sie wurde schon erwähnt -: 50 Euro für die ersten 30 Hektar und weitere 30 Euro für die nächsten 16 Hektar. Damit wird gerade die Klientel der Betriebe bedient, die eigentlich die Grundlage der Landwirtschaft bilden. Auch die Junglandwirteregelung ist grundsätzlich positiv. Wir müssen aber noch daran arbeiten - da bitte ich Sie, dass wir gemeinsam daran arbeiten -, dass auch die Vater-Sohn-GbR, die sogenannte Generationen-GbR, in jedem Bereich darunter fallen. Die Generationen-GbR ist ein deutsches Phänomen; sie ist aber auch ein Zeichen von Verantwortung und Nachhaltigkeit in den Betrieben in der Phase des Generationenwechsels. Bei der Umschichtung der Mittel von der ersten in die zweite Säule haben wir uns auf einen Wert von 4,5 Prozent geeinigt. Diese Einigung steht, und daran wird auch nichts mehr geändert. Da müssen wir auch einen Punkt setzen, meine Damen und Herren. Wir können von den Landwirten nicht zusätzliche Leistungen einfordern, aber nicht mehr bezahlen. Es ist kein Geheimnis, dass wir nicht mit jeder Einzelregelung der Reform glücklich sind. Sie führt in der Tat zu weiterem Bürokratisierungsaufwand für die Bauern. Dabei müssen die Bauern schon heute 19 Cross-Compliance-Richtlinien und die darin enthaltenen verbindlichen 2 680 Standards beachten. Das Ende der Fahnenstange ist also schon längst erreicht. Deshalb ist es uns sehr wichtig, dass es bei der Umsetzung der Reform zu keinen weiteren Belastungen für die Landwirtschaft in Deutschland kommt. Wir setzen uns für eine Eins-zueins-Umsetzung ein. ({3}) Zum Thema Grünlandumbruchverbot. Im Gesetzentwurf ist eine klare Verschärfung der europäischen Regelungen auf nationaler Ebene enthalten, und das lehnen wir ab. Den Landwirten ist - das wurde heute schon mehrfach gesagt - bei der Einführung der Natura-2000Gebiete immer wieder versprochen worden, dass es im Nachhinein keine weiteren Verschärfungen der Bedingungen geben soll. ({4}) Der damalige Umweltminister und jetzige Wirtschaftsminister Gabriel hat das richtig gesehen. Ich zitiere aus einer Pressemeldung vom 17. Februar 2006, in der stand: Ich weiß, dass in einigen Regionen, in denen jetzt weitere Gebiete gemeldet wurden, eine Verunsicherung bei Betrieben und Bürgern entstanden ist, welche Auswirkungen die Naturschutzmeldung nun für sie hat. Gemeinsam mit den Ländern will ich dazu beitragen, dass die Sorgen und Skepsis abgebaut werden … Genau dazu bietet sich jetzt die Gelegenheit. Setzen Sie sich bitte mit dafür ein, dass über die Natura-2000Gebiete nach fachlichen Kriterien entschieden wird und nicht nach Verwaltungsinteressen. Genau darum geht es jetzt. ({5}) Die Natura-2000-Gebiete umfassen insgesamt circa 15 Prozent der Fläche der Bundesrepublik. Es ist versäumt worden, innerhalb der Natura-2000-Gebiete die wirklich schutzbedürftigen Grünlandflächen auszuweisen. Deshalb soll nun ein pauschales Umbruchverbot gelten, das aus fachlicher, aus Naturschutzsicht überhaupt keinen Sinn macht. ({6}) Viele Natura-2000-Gebiete sind Vogelschutzgebiete. Einem Vogelschwarm ist es aber völlig egal, ob er rechts oder links von der Straße landen kann, wichtig ist, dass überhaupt eine Wiese vorhanden ist. Für diese Bereiche jetzt ein pauschales Umbruchverbot zu erlassen, ist einfach widersinnig. Wir brauchen hier eine ganz andere Lösung. Ein weiterer Bereich macht mir sehr große Sorgen: die ökologischen Vorrangflächen, die sogenannten Greening-Flächen. Lieber Kollege Ostendorff, liebe Frau Vogt, ({7}) bereits heute bestehen 19 Prozent der Fläche aus Landschaftselementen wie Hecken, Bachläufen und Biotopen, und das ohne die ökologischen Vorrangflächen. Diese Tatsache sollte man zur Kenntnis nehmen und anerkennen. Jetzt werden zusätzliche ökologische Vorrangflächen gefordert. Wir möchten, dass auf diesen zusätzlichen Flächen der Anbau von Eiweißpflanzen möglich ist. Der Anbau muss aber auch wirtschaftlich möglich sein. Wir müssen hier für die entsprechenden Rahmenbedingungen sorgen. Das beinhaltet auch Düngung und Pflanzenschutz, um nachher ein ordentliches Produkt, in diesem Fall Eiweißpflanzen, ernten zu können. Mit pauschalen Verboten ist der Natur auch hier nicht geholfen. ({8}) Wir müssen das Thema Nachhaltigkeit global betrachten. Dadurch, dass wir in Deutschland immer mehr Flächen aus der Produktion nehmen - nichts anderes wird doch gemacht, wenn Düngung und Pflanzenschutz auf ökologischen Vorrangflächen verboten werden -, wird doch nicht weniger konsumiert. Nein, es wird nur woanders angebaut. Und wo soll das sein? Etwa im südamerikanischen Regenwald? Ist das die Lösung, die wir wollen? Nein! Hier und heute haben wir sichere Lebensmittel von bester Qualität wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. ({9}) Wir haben eine der schönsten Kulturlandschaften auf dieser Welt, und nur hier haben wir Einfluss, wie und was produziert werden soll. Ich erwähnte es schon: Wir warten noch auf die Definition des aktiven Landwirts. Was seinerzeit Flughäfen und Golfplätze von den Stützungszahlungen ausschließen sollte, wird nun zu einem bürokratischen Monstrum für Landwirte und gefährdet vor allem unsere Nebenerwerbslandwirte, die den Anforderungen kaum gerecht werden können. Jeder, der sich neben seinem Betrieb ein Zusatzeinkommen erschlossen hat, läuft jetzt Gefahr, diese Zahlungen nicht zu bekommen. Hier sehen wir Nachbesserungsbedarf. Trotz aller Kritik im Einzelnen: Wir wollen Lösungen, die der Landwirtschaft in Deutschland, so wie wir sie kennen, eine gute Zukunft sichern. Unser Leitbild der von Familien betriebenen, regional verankerten, flächendeckenden Landwirtschaft wird von breiten Teilen der Bevölkerung geteilt. Gerade diese familiengeführten Betriebe sind von zusätzlichen bürokratischen Belastungen immer ganz besonders betroffen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege, bitte kommen Sie zum Ende.

Hermann Färber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe noch einen Satz. ({0}) Wer die Vielfalt dieser Landwirtschaft sichern will, der darf nicht mit Gängelung und Verboten arbeiten, der muss Lösungen anbieten. Danke schön. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Herr Kollege. - Nächster Redner: Hans-Georg von der Marwitz für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hans Georg Marwitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004107, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist vollbracht. Die Kernelemente der europäischen Agrarreform sind beschlossen. Was ist geblieben von den einst großen Zielen des Brüsseler Agrarkommissars? Nun will ich dem armen, viel gescholtenen Ciolos nicht zu nahe treten; denn es war eine Sisyphusarbeit, allen Wünschen und Interessen der Mitgliedstaaten, der Kommission, des EP und nicht zuletzt der vielen Lobbyisten gerecht zu werden. Insofern habe ich große Achtung vor den geleisteten Arbeiten. Aber was sollte die GAP doch gleich werden? Gerechter, ökologischer, unbürokratischer und transparenter. ({0}) Kommen wir zum ersten Punkt, dem gerechten Verteilen der Agrarsubventionen. Dazu müssen wir uns erst einmal den bisherigen Verteilungsschlüssel in Deutschland vor Augen führen. Die Mittel der ersten Säule, also die Direktzahlungen an die Agrarbetriebe, werden mithilfe des Hektarschlüssels ausgeschüttet. Das bedeutet: Je mehr Hektar der Landwirt bewirtschaftet, desto mehr Subventionen fließen in den Betrieb. Anders formuliert: Wer hat, dem wird gegeben. Besonders die flächenstarken ostdeutschen Agrarbetriebe sind die größten Profiteure dieses Verteilungssystems. ({1}) Synergie- und Skaleneffekte stärken sowieso schon die Wirtschaftskraft dieser Unternehmen. Längst gibt es Betriebe, die mit weniger als 0,3 Arbeitskräften je 100 Hektar wirtschaften. Da lag es nahe, über Kappung und degressive Zahlungen zu diskutieren. ({2}) Die Brandenburger CDU-Landtagsfraktion hat sich 2011 in einem viel beachteten Positionspapier für die Begrenzung von Direktzahlungen ausgesprochen Darin heißt es: Zur Förderung des Strukturwandels hin zu einer leistungsfähigen bäuerlichen Landwirtschaft befürworten wir eine Deckelung der Direktzahlungen und ihre Koppelung an die Voraussetzung, dass sich der jeweilige Betrieb im Eigentum von in der Region ansässigen Personen befindet. ({3}) Der Landesbauernverband Brandenburg witterte schon sehr früh Einbußen für seine Mitglieder und gab den Slogan heraus: Hektar ist Hektar, egal von wem er bewirtschaftet wird! Hände weg von der Kappung und Degression! Jetzt wird es spannend; denn mit diesem Slogan hat der Bauernverband einen dramatischen Richtungswechsel gegenüber der bisherigen Argumentationskette geliefert. Agrarsubventionen wurden immer als Einkommensausgleich und als Steuerungsmechanismus gegen Landflucht und für den Erhalt vielschichtiger Agrarstrukturen gesehen. ({4}) Subventionen in der ersten und zweiten Säule seien das wichtigste Planungsinstrument der Politik, die Entwicklung des ländlichen Raums positiv zu beeinflussen. Der ehemalige Agrarminister Friedrich sagte in seiner Antrittsrede bei der CDU/CSU-Arbeitsgruppe: Die bäuerlichen Familienbetriebe sind der Wirtschaftsmotor des ländlichen Raums. - Wohl wahr. ({5}) Doch ausgerechnet der Brandenburger Bauernverband hat sich wortgewaltig gegen die Kappung und Degression der Agrarsubventionen gestemmt. ({6}) Damit konterkarierte ausgerechnet der landwirtschaftliche Berufsstand, der sich angeblich für die Familienbetriebe verantwortlich fühlt, deren Interessen, jedenfalls in Brandenburg. Das ist, Gott sei Dank, nicht in ganz Deutschland so. ({7}) Der Slogan des Brandenburger Bauernverbands, Hektar sei Hektar, egal von wem er bewirtschaftet wird, hat dies eindrücklich offenbart. ({8}) Denn wer sind wohl ohne Änderung des Verteilungsschlüssels, also ohne Kappung und Degression, die größten Profiteure der Direktzahlungen? Vorrangig Agrargesellschaften, deren Wirtschaftsprinzip kaum in das Bild einer vielschichtigen familiengeführten und im Generationenkontext denkenden und handelnden Unternehmenslandschaft passt. ({9}) Es ist schon erstaunlich, dass die süd- und die westdeutsche Fraktion des Verbandes diese Entwicklung zumindest kommentarlos akzeptierten. Umso dankbarer bin ich, dass die Agrarministerkonferenz der Länder im November 2013 ein kleines Zeichen gegen diesen Trend gesetzt hat. So macht Deutschland jetzt von der Möglichkeit Gebrauch, Mittel aus der ersten in die zweite Säule umzuschichten. 4,5 Prozent der Direktzahlungen - das haben wir heute schon mehrfach gehört - sollen in die Förderung des ländlichen Raums fließen. Bis zu 15 Prozent wären nach EU-Vorgaben möglich gewesen. Leider haben wir den Rahmen nicht gänzlich ausgeschöpft. ({10}) Aber wenn ich sehe, wie in einigen osteuropäischen Ländern das Gegenteil passiert, nämlich dass Gelder von der zweiten in die erste Säule fließen, kann ich nur sagen: Wir setzen zumindest die richtigen Signale. Wir fangen an, Strukturpolitik zu machen, auch wenn die Auswirkungen des erzielten Kompromisses sehr überschaubar bleiben werden. Von einem Paradigmenwechsel hin zu einer zielgerichteten Verteilung und einer nachhaltigen Unterstützung bäuerlicher Familienbetriebe kann nicht gesprochen werden. Denn wer profitiert auch in Zukunft am meisten von den europäischen Agrarsubventionen? Es sind nach wie vor die flächenstarken Betriebe, die den Mittelzufluss für weitere Konzentrationen nutzen werden - lesen Sie dazu einmal die Wirtschaftswoche Nr. 14 vom 31. März 2014, den Artikel: „Mein Stück Acker“ -, außerdem Verpächter, die längst erkannt haben, dass sie ihren Pächtern dank Brüssel mehr aus den Rippen leiern können, und nicht zuletzt die Betriebe mit hohem Eigentumsanteil, die über sichere Renditen verfügen und bei Pacht und Erwerb mehr bieten können. Das System der pauschalen Flächenförderung hat sich offensichtlich überlebt. ({11}) Ich komme aus einer Region, in der der Strukturwandel besonders krasse Formen angenommen hat. Einer meiner Nachbarn bewirtschaftet im Gesellschaftsverbund derzeit rund 18 000 Hektar, eine Gemarkungsfläche von mehr als 20 Dörfern, und ein Ende weiterer Fusionen ist nicht absehbar. Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum ich mir um die Strukturen der deutschen Landwirtschaft wirklich Sorgen mache. ({12}) Wir haben als Politiker kaum ein Steuerungsinstrument gegen den grassierenden Strukturwandel in der Hand, den die Bevölkerung erst wahrnehmen wird, wenn die Auswirkungen offensichtlich werden, wenn der Wirtschaftsmotor Landwirtschaft in den Dörfern den Geist aufgibt. Lediglich mit den Agrarsubventionen können wir Richtungen vorgeben. Nun zum zweiten Punkt der Reformziele: der Ökologie. Zum ersten Mal in der Geschichte der GAP ist es geHans-Georg von der Marwitz lungen, Direktzahlungen an ökologische Gegenleistungen zu koppeln. Die Zeit bedingungsloser Förderungen ist vorbei. ({13}) Doch wie so oft - auch das wurde heute schon gesagt steckt der Teufel im Detail. Bei der Bewertung dieses Ansatzes sollten wir uns auf zwei Fragen konzentrieren: Erfüllen die Auflagen erstens ihren Zweck, und sind sie zweitens praxisgerecht überhaupt durchführbar? Im Rahmen der Anbaudiversifizierung müssen mindestens drei verschiedene Kulturen in einem Betrieb angebaut werden. Dabei muss der Anteil jeder Kultur mindestens 5 Prozent betragen und darf 70 Prozent nicht überschreiten. Mit dieser Maßnahme sollen Monokulturen verhindert und Biodiversität gefördert werden. Das Gegenteil ist der Fall. Denn mit bis zu 70 Prozent einer Kultur in der Anbaufläche kann man nicht einmal von Fruchtwechsel sprechen. ({14}) So wird sich wohl für den beobachtenden Bürger in der Landschaft wenig ändern. Bei den ökologischen Vorrangflächen wird es komplizierter. Ursprünglich sollten 5 Prozent der bewirtschafteten Fläche ausschließlich nach ökologischen Gesichtspunkten bewirtschaftet oder stillgelegt werden. Der jetzt vorgelegte Maßnahmenkatalog wird dem anfänglichen Greening-Gedanken kaum noch gerecht. ({15}) Bäume, Waldflächen und Gräben haben wir schon vor der Reform in unserer Agrarlandschaft gehabt, ohne sie wirtschaftlich geltend machen zu können. Auch Grenzertrags- und naturnahe Flächen werden durch die Greening-Auflagen an Wert gewinnen, sehr zum Verdruss der Schäfer, die mir vergangene Woche ihr Leid geklagt haben. Bei uns in Brandenburg ist das besonders bedeutend. Damit sind wir beim dritten Punkt: Unbürokratischer und transparenter sollte die GAP werden. Zur Bürokratie stelle ich kurz und knapp fest: Zusätzliche Vorschriften und Bürokratieabbau sind unüberbrückbare Gegensätze. Dieser Ansatz war schon von Beginn der Agrarreform an mehr als fragwürdig. Als CDU haben wir uns immer für Entbürokratisierung eingesetzt. Diesen Grundsatz dürfen wir auch in der europäischen Agrarpolitik nicht vernachlässigen. Ich komme zum Schluss. Mein Fazit zur GAP lautet: Der große Wurf ist mit Sicherheit nicht gelungen. Aber vielleicht hat die zum Teil sehr kontroverse und polarisierte Diskussion der letzten vier Jahre manche Erkenntnis wachsen lassen. Nach der GAP ist vor der GAP; wir haben es schon gehört. Auf europäischer Ebene drastische Veränderungen herbeiführen zu wollen, bedeutet eine große Kraftanstrengung über einen langen Zeitraum und bekanntlich das Bohren dicker Bretter,

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Jetzt müssen Sie wirklich zum Schluss kommen.

Hans Georg Marwitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004107, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- ich bin sofort fertig -, ganz im Sinne einer Aussage der eben schon zitierten Wirtschaftswoche: „Je breiter die Palette an Produkten und je stärker die Anbaugebiete regional gestreut sind, desto stabiler ist das Geschäft.“ Ich sage: desto sicherer die Versorgungssicherheit, desto sicherer die betriebliche Vielfalt und Stabilität.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Bitte, Herr Kollege, kommen Sie jetzt zum Schluss. ({0})

Hans Georg Marwitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004107, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, Subventionen sind Steuermittel. Insofern muss der Grundsatz lauten: öffentliches Geld für Aufgaben, die uns allen dienen. Deshalb: Lassen Sie uns in Zukunft gemeinsam überlegen, wie wir mit den 4,8 Milliarden Euro aus der ersten Säule den größten gesellschaftlichen Mehrwert ziehen. Herzlichen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das Wort hat der Kollege Willi Brase für die SPD. ({0})

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, mein Vorredner hat in bemerkenswerter Art und Weise auf die Entwicklung der Diskussion über die GAP hingewiesen. Ich kann nur sagen: Ich bin ein Stück weit begeistert, was Sie hier ausgeführt haben. ({0}) Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten - ich werde seinen Titel zitieren, weil mir selten so etwas Tolles untergekommen ist -, ({1}) lautet „Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen von Stützungsregelungen der Gemeinsamen Agrarpolitik“. Wir wollen 4,8 Milliarden Euro, 4,5 Prozent der jährlichen nationalen Obergrenze für die Direktzahlungen, als zusätzliche Förderung für die ländliche Entwicklung bereitstellen. Dies soll im Rahmen der bisherigen Betriebsprämienregelung bestehende regionale Unterschiede beim Wert der Direktzahlungen bis 2019 abbauen. - Das hört sich schon gut an. Wir wollen uns einer neuen Basisprämienregelung schrittweise annähern, damit wir 2019 bundesweit einheitliche Werte für Zahlungsansprüche je Hektar für die Basisprämie haben. - So weit, so gut. Wie wird dieser Anspruch umgesetzt? Frau Präsidentin, Sie gestatten mir, dass ich aus dem § 9 des Gesetzentwurfs zitiere: Für das Jahr 2015 wird der nach Anwendung des § 7 verbleibende Anteil der nationalen Obergrenze für die Basisprämienregelung auf die Regionen wie folgt aufgeteilt: Die Zahl der beantragten Zahlungsansprüche je Region ohne beantragte Zahlungsansprüche aus der nationalen Reserve wird mit dem für die jeweilige Region in der Anlage für das Jahr 2015 festgelegten Faktor multipliziert ({2}). Die Regionssummen 2015 für alle Regionen werden addiert ({3}). Der Anteil einer Region am zu verteilenden Prämienvolumen ergibt sich durch Division der jeweiligen Regionssumme 2015 durch die Bundessumme 2015. Die jeweilige regionale Obergrenze für 2015 ergibt sich, indem das zu verteilende Prämienvolumen mit dem so ermittelten Anteil der Region multipliziert wird. ({4}) Meine Damen und Herren, wenn ich Ihnen jetzt die Begründung zu § 9 vorlesen würde, würde ich wahrscheinlich drei Minuten zitieren. Mir wäre aber immer noch nicht klar, wie die regionalen Unterschiede bis 2019 auf den Punkt gebracht werden. ({5}) Wie ist das eigentlich zu verstehen? Was sagt uns dieser Text? Ich glaube, wenn wir so mit der Gemeinsamen Agrarpolitik umgehen, dann wird es sehr schwer werden, die Verhandlungen zwischen Landeswirtschaftsministern und Bundeslandwirtschaftsministerium als klar und deutlich darzustellen. Das wird nicht dazu führen, dass die Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik die Agrarpolitik besser finden; im Gegenteil: Sie werden diesen Finanzierungsansatz nicht mehr verstehen. Ich behaupte, dass auch eine Menge der Kolleginnen und Kollegen im Bundestag diesen Ansatz nicht mehr versteht. ({6}) Er ist ein Stück weit Ausdruck der vermachteten Landwirtschaftspolitik in unserem Land. Wenn wir mehr Anerkennung der Agrarpolitik wollen, müssen wir eigentlich dafür sorgen, dass mehr Klarheit in der Sache hergestellt wird, sehr geehrte Damen und Herren. ({7}) Für mich ist dieses Beispiel auch ein Ausdruck dafür, dass wir in der Perspektive darüber nachdenken müssen, ob das Zwei-Säulen-Modell - Direktzahlungen und Entwicklung des ländlichen Raums - eigentlich noch richtig ist. Herr Staatssekretär, richten Sie dem Minister aus, dass ich dankbar bin, dass er als langjähriger Parlamentarier heute bei seiner ersten Rede als Minister indirekt auf diesen Tatbestand hingewiesen hat, indem er ganz klar zum Ausdruck gebracht hat, dass ihm manche Kompliziertheiten im Gesetzgebungsverfahren so noch nicht untergekommen sind. Ich halte diese Formulierung, mit der wir das sozusagen zur Befriedung aller am Agrarmarkt Beteiligten umzusetzen versuchen, für nicht dienlich. Sie wird uns bei dem Ziel „mehr Anerkennung der Gemeinsamen Agrarpolitik“ nicht weiterführen. Ich will einen zweiten Punkt inhaltlich ansprechen, zu dem mein Kollege Wiese schon Ausführungen gemacht hat. Wir haben im Vorfeld und auch vor dem Hintergrund der Anhörung, die wir am kommenden Montag durchführen werden, nachgefragt: Wie ist es eigentlich mit der Anrechnung regional entfernt liegender Pachtflächen als Greening-Flächen? Wir haben den Wissenschaftlichen Dienst bemüht. Der Wissenschaftliche Dienst hat uns mitgeteilt: Wenn dort Änderungen gewünscht sind, sind diesbezügliche gesetzliche Maßnahmen nur auf der EU-Ebene zu treffen. - Deshalb finde ich es gut und richtig, wenn unsere EU-Parlamentarier diese Frage im Zusammenhang mit den delegierten Rechtsakten diskutieren. Wir wollen nicht, dass sozusagen über große Entfernungen hinweg zusätzliche Pachtungen vorgenommen werden und in den betroffenen Regionen unsere Landwirte darunter leiden, dass die Pachten steigen, möglicherweise auch die Kosten für Eigentumserwerb steigen, und sie das Nachsehen haben gegenüber den Betrieben, die von weither kommen und solche Pachtungen vornehmen. Wir lehnen das ab, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({8}) Wir fühlen uns in dieser Position ein Stück weit unterstützt durch die Debatte im Bundesrat, im Landwirtschaftsausschuss. Dort geht es darum - ich darf zitieren, Frau Präsidentin -: Ökologische Vorrangflächen sollen in einem räumlichen Bezug zur Betriebsstätte liegen, um insbesondere eine Verlagerung der Verpflichtung von landwirtschaftlichen Gunstregionen auf ertragsschwache Standorte zu verhindern. - Ich finde, hier sollte sich endlich die Mehrheit der Landesagrarminister durchsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({9}) Wenn wir die Regelung zur Basisprämie nach der Anhörung in die endgültige Gesetzesform umgesetzt haben und das 2019/20 dann auch bundesweit angeglichen haben, dann haben wir ein Ziel erreicht. Aber wir haben noch ein zweites großes Ziel: Wir wollen mittelfristig den Ausstieg aus den Direktzahlungen. Wir wollen, dass die Förderung im Rahmen der ersten Säule weitestgehend übergeht in die Förderung im Rahmen der zweiten Säule. Wir wollen die Entwicklung der ländlichen Räume. Das Prinzip „öffentliches Geld für öffentliche Leistung“ soll und muss Zug um Zug umgesetzt werden. Ich glaube, wenn man Steuergeld ausgibt, dann darf man erwarten, dass dafür auch entsprechende Leistungen erbracht werden. Das ist ein richtiger Weg. Von daher sehen wir als SPD-Fraktion den heute vorliegenden Gesetzentwurf - die endgültige Fassung bleibt natürlich der weiteren Beratung vorbehalten - schon als Weg dahin, dass wir 2020 mehr auf die zweite Säule übergehen. Wir fangen mit nur 4,5 Prozent der Mittel an. Herr von Marwitz, Sie hatten recht; vielleicht waren oder sind wir nicht bereit, mehr dafür zu geben. 15 Prozent wären oder sind noch möglich. ({10}) Es gibt nun die Einigung; daran kommen wir nicht vorbei. ({11}) Aber wir fühlen uns auch durch das Thünen-Institut unterstützt. In dem für Montag vorgelegten Gutachten wird deutlich ausgeführt: Mittel- und langfristig muss mit den Unterschieden zwischen den Säulen der Gemeinsamen Agrarpolitik Schluss sein. Wir wollen, dass hier eine Änderung erfolgt. Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir bei der nationalen Umsetzung der GAP besonders die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Entwicklungen der ländlichen Räume im Auge haben. Wir wollen diese Räume fördern. Für meine Fraktion sage ich hier: Dies ist für uns Ausdruck einer Politik, die auf die Entwicklung ländlicher Räume ausgerichtet ist. Wir wissen, dass es in den ländlichen Räumen nicht nur um Landwirtschaft geht - das wurde heute in manchen Beiträgen schon angesprochen -, sondern auch um Daseinsvorsorge, um Arbeitsplätze, um Bildung, um gute Arbeit insgesamt und darum, für ältere Menschen das Leben in ländlichen Räumen nach wie vor möglich zu machen. Insofern wollen wir gemeinsam in der heutigen Debatte - das geht ein bisschen über die GAP hinaus - die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ weiterentwickeln. Wenn wir dieses Instrument über eine Grundgesetzänderung, auch im Zusammenhang mit der GRW, vernünftig auf den Weg bringen, dann sollten wir einen materiell ausreichend hohen Anteil für den Küstenschutz bewahren. Aber wir werden auch dazu übergehen müssen, für die ländliche regionale Entwicklung zusätzliche Mittel zu beantragen. Ich denke, da sind wir in der Koalition gefordert, gemeinsam beim Finanzminister, hoffentlich mit Unterstützung unseres Landwirtschaftsministers, mehr Mittel zu beantragen, damit wir zu einer besseren und stärkeren Unterstützung der ländlichen Regionen kommen. ({12}) Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir als Sozialdemokraten unterstützen ausdrücklich das Leitbild einer Landwirtschaft, die flächendeckend wirtschaftet, die multifunktional ausgerichtet ist und die auch dem Ziel einer ressourcenschonenden Produktionsweise verpflichtet ist. An diesem Ziel sollten wir festhalten. Lassen Sie uns gemeinsam diesen Weg gehen, und lassen Sie uns bei der Beratung des Gesetzentwurfs noch einmal überlegen, ob wir es schaffen, bessere Formulierungen als die in § 9 des Gesetzentwurfs - die kein Mensch versteht - zu finden. Es ist nicht gut für das Parlament und für die Landwirtschaftsminister - ich denke nicht nur an das Bundeslandwirtschaftsministerium, sondern auch an die Landwirtschaftsminister in den Ländern, auch wenn die Bundesratsbank ministeriell nicht mehr besetzt ist -, wenn es bis zum Schluss nur noch darum geht, wer den kleinsten Anteil an den Direktzahlungen hat. Wenn es so läuft, dann liegen wir falsch. So sollten wir es nicht machen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege. - Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat Marlene Mortler für die CDU/CSUFraktion das Wort. ({0})

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gemeinsame Agrarpolitik gehört seit Beginn der Einigung Europas zu den wichtigsten Aufgabenfeldern europäischer Politik. Die GAP wurde dem Wandel der Lebensverhältnisse in Europa immer wieder angepasst. Anfangs stand der Wunsch der Menschen: Wir wollen satt werden. Heute steht die Landwirtschaft im Spannungsfeld zwischen einerseits ökologischer und sozialer Verantwortung und wachsenden gesellschaftlichen Ansprüchen und andererseits wirtschaftlichen Zwängen für nachhaltiges unternehmerisches Handeln. Aber gerade die Ausführungen der Grünen haben deutlich gemacht: Hier wird pauschal diffamiert. Wer pauschal diffamiert, der wird nicht mehr ernst genommen. ({0}) Gott sei Dank sehen über 70 Prozent der Menschen in Deutschland und EU-weit die Landwirtschaft in einem anderen Licht. Sie stehen hinter unseren Bäuerinnen und Bauern, und sie stellen ihnen ein gutes Zeugnis aus. Meine Damen und Herren, früher gab es Geld für die Produktion. Heute gibt es Direktzahlungen nur dann, wenn der Landwirt den hohen Auflagen im Bereich Tierschutz, Umweltschutz und Verbraucherschutz nachkommt. ({1}) Deshalb sage ich: Diese Agrarreform stärkt nicht nur unsere Bauern und Bäuerinnen, sie stärkt auch unsere Umwelt. ({2}) Für diese Politik hat Deutschland hart und erfolgreich in Brüssel gekämpft. Daher ein herzliches Dankeschön der damaligen Ministerin Aigner, Dr. Friedrich und Christian Schmidt! ({3}) Ich danke ausdrücklich unserem Minister Schmidt - kaum im Amt - für seinen großartigen Einsatz im Bereich Bioenergie im Rahmen der Verbesserung des EEG. Auch wir Agrarpolitiker waren von Anfang an und mit vollem Herzen dabei; denn viele von uns - das hat man heute bei den Reden gespürt - sind nicht nur Theoretiker, sondern auch Praktiker; das heißt, wir kommen aus der Landwirtschaft, wir arbeiten mit und in der Natur. Deshalb wissen wir genau, dass die tägliche Frage unserer Bauern und Bäuerinnen lautet: Wie komme ich besser über die Runden? Wie sichere ich im Sinne der Agenda 21 mein Ein- und Auskommen, nicht nur für mich persönlich, sondern auch für meine Familie? Welche Perspektiven habe ich? Wie verlässlich ist diese Politik? Meine Antwort: Unsere Bäuerinnen und Bauern können sich auf uns verlassen. ({4}) Ich möchte das Ganze in einen größeren Zusammenhang stellen. Ob in Deutschland, in Europa oder weltweit: Kein anderer Wirtschaftszweig hat so sehr das Potenzial zur Abmilderung des Klimawandels und zur Sicherung unserer Ernährung wie die Landwirtschaft selber. Deshalb haben die Vereinten Nationen das Jahr 2014 zum Internationalen Jahr der bäuerlichen Familienbetriebe ausgerufen. Minister Schmidt hat kürzlich selber gesagt: Ernährungspolitik ist Sicherheitspolitik. Selbst ich als neue Drogenbeauftragte der Bundesregierung werde von diesem Thema immer wieder eingeholt, ob bei der Tagung der Commission on Narcotic Drugs kürzlich in Wien oder gestern im Gespräch mit Vertretern des BMZ, der GIZ und des Auswärtigen Amtes oder im Gespräch mit der zuständigen thailändischen Botschafterin, die mithilfe Deutschlands in Nordthailand etwas ganz Tolles geschafft hat, nämlich die Bauern vom Drogenanbau wegzubringen und sie zum legalen Anbau von Früchten, die ihnen ein Ein- und Auskommen sichern, zu bringen. Das ist unser Anspruch. ({5}) Diesen Anspruch können wir am besten erfüllen, wenn wir selber weiter mit gutem Beispiel vorangehen, das heißt unser Wissen und Können in der Praxis und in der Wissenschaft befördern und nicht behindern.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist vorbei.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deshalb, sehr geehrte verständnisvolle Präsidentin, ({0}) setze ich bei der weiteren Umsetzung dieses Gesetzgebungspaketes auf praxistaugliche, praktikable Lösungen. Wie es der Minister formuliert hat: Stilllegung ist ein Stück Kapitulation. - Unsere Frage lautet: Wie können wir in Zukunft mit weniger Fläche mehr produzieren? Das muss selbstverständlich nachhaltig erfolgen; denn nicht nur wir in Deutschland und Europa, sondern die Menschen weltweit haben das Menschenrecht auf Nahrung. Das ist unser Anspruch, und dem fühlen wir uns nicht nur als Parlamentarier, sondern auch als Bundesregierung verbunden. Danke schön. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Frau Kollegin. Auch danke für das „verständnisvolle“; das ist bei diesen Landwirtschaftsdebatten immer vonnöten. Danke für die lebendige Debatte. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/908 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich bitte, den Platzwechsel zügig vorzunehmen, und rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kooperationsverbot abschaffen - Gemeinschaftsaufgabe Bildung im Grundgesetz verankern Drucksache 18/588 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Tourismus Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsauschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Frau Dr. Hein, warten wir noch eine Sekunde. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, könnten Sie sich bitte entscheiden, ob Sie stehen, sitzen oder reden wollen? Zum Reden rufe ich Sie dann auf. Ich eröffne die Debatte. Das Wort hat Dr. Rosemarie Hein für die Linke. ({1})

Dr. Rosemarie Hein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004053, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sicherlich nicht nur ich werde immer wieder gefragt, warum der Bund nicht endlich mehr Zuständigkeit in der Bildung übernimmt. Gab es diese Forderung noch vor zehn Jahren vor allem auf Veranstaltungen im Osten, kann man nun auch in den westlichen Bundesländern geradezu Begeisterungsstürme hervorrufen, wenn man quasi die Abschaffung der Bildungshoheit der Länder fordert. ({0}) Keine Sorge: Das wollen wir nicht. ({1}) Wir müssen aber darüber reden, warum so viele für die Abschaffung sind. Schuld ist das 2006 verhängte Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in Bildungsfragen. Da das Wort „Kooperationsverbot“ immer schlecht verstanden wird, will ich noch einmal knapp erklären, was es bedeutet: 2006 wurde im Zuge der Föderalismusreform auf Drängen einiger Länder im Grundgesetz festgeschrieben, dass der Bund in Fragen der Schul- und Hochschulpolitik nicht mehr mitfinanzieren darf. Es gibt ganz wenige Ausnahmen, und es gibt inzwischen eine Reihe von Umwegen über sehr komische und scheinbar unverdächtige Programme. Denn auch wenn die Länder über die alleinige Zuständigkeit für Bildungsfragen überwiegend glücklich waren, können sie die notwendigen Bildungsausgaben heute nicht mehr schultern. Dies ist durch die 2009 erlassene Schuldenbremse für Bund und Länder noch weiter verschärft worden. Zu diesen Finanzierungsschwierigkeiten kommt hinzu, dass sich das Bildungswesen in den Bundesländern immer stärker auseinanderentwickelt. Das wollen wir mit unserem Antrag ändern. Es geht uns um mehr soziale Gerechtigkeit, um bessere Bildungsqualität und um mehr Vergleichbarkeit zwischen den Bundesländern. Gestatten Sie mir einige Erläuterungen dazu: Die bundesdeutschen Schulsysteme sind durch mehr als ein Dutzend unterschiedliche Schulformen für die Klassen 5 bis 10, unterschiedlich lange Pflichtschulzeiten, unterschiedliche Abschlüsse mit unterschiedlichen Berechtigungen, unterschiedliche Unterrichtsfächer und unterschiedliche Schulzeitlängen - man denke nur an die derzeitige Debatte um G 8 und G 9 - gekennzeichnet. Das ist nur ein Teil des Irrgartens, durch den sich Familien quälen müssen, wenn sie das Bundesland wechseln wollen oder müssen. Das Problem geht nach der Ausbildung weiter: Weil auch die Ausbildungen für viele Berufe - so zum Beispiel für die Sozialarbeit, für Erziehungsberufe und für das Lehramt - Ländersache sind, kann es schnell passieren, dass man zwar in dem Herkunftsland einen anerkannten Beruf hat, aber in einem anderen Bundesland entweder als ungelernte Kraft oder zu deutlich schlechteren Tarifbedingungen eingestellt wird. Frau Kramp-Karrenbauer hat in der Bundesratssitzung am 10. Februar 2012 erklärt: Wir Länder müssen uns verdeutlichen, dass ein Schulwechsel von einem Bundesland in ein anderes zu den größten Abenteuern gehört, die eine Familie zu bestehen hat. Sie hat recht. Wenn man mit einem Kind nach der fünften Klasse am Gymnasium aus Bayern nach Berlin oder Brandenburg wechseln will oder muss, dann kommt das Kind dort erst einmal in die Grundschule. Schülerinnen und Schüler zum Beispiel aus Aachen können ihren Fremdsprachenunterricht in einem anderen Bundesland möglicherweise nicht so fortsetzen, wie sie ihn begonnen haben, weil es ihn in dieser Weise in anderen Bundesländern gar nicht gibt. Die Anzahl der Jahre aber, die man eine Fremdsprache erlernt hat, ist ausschlaggebend dafür, ob man das Abitur erreichen kann oder nicht. Auch hinsichtlich der Lernmittel gibt es in den Bundesländern höchst verschiedene Regelungen: Gibt es in Baden-Württemberg und Hessen beispielsweise noch kostenfreie Schulbücher, so muss man in NordrheinWestfalen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt sehr unterschiedlich hohe Leihgebühren bezahlen. Wechselt man gar vom Saarland nach Rheinland-Pfalz, muss man völlig neue Bücher kaufen; denn in beiden Ländern gibt es, soviel ich weiß, keine Lernmittelfreiheit. Manche meinen, das träfe nur Einzelfälle. Ich habe mich einmal kundig gemacht und kann Ihnen sagen: Den Umzug über Ländergrenzen hinweg müssen jedes Jahr ungefähr 200 000 Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter verkraften. Da diese Einsicht nun auch bei den Bundesländern angekommen ist und man sich dennoch nicht auf eine Harmonisierung der Bildungsgänge im Schulbereich einigen konnte, hat sich die Kulturministerkonferenz jetzt zu einem revolutionären Schritt entschieden: Es gibt eine Internetseite mit der Überschrift „Schulwechsel über Ländergrenzen hinweg“. Ich habe sie angeklickt. Dort finden Sie, fein säuberlich aufgelistet, für fast jedes Bundesland einen Link zu den entsprechenden gesetzlichen Regelungen, die es in dem jeweiligen Land gibt. Da können Sie sich durchwursteln. Bravo! Damit ist den Familien sehr geholfen. - Bitte verzeihen Sie mir diesen Sarkasmus, aber es nervt einfach. ({2}) Es geht noch weiter. Auch bei der Schülerbeförderung - dieses Beispiel müssen Sie sich noch anhören - gibt es diese Unterschiede. In einigen Ländern werden die Kosten der Schülerbeförderung bis zur zehnten Klasse von Land und Schulträgern übernommen, zum Beispiel in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt. In anderen Ländern gibt es nur einen Zuschuss zur Beförderung oder ein Schülerticket, wie in Berlin, Brandenburg und Baden-Württemberg. Nur wenige Länder, wie Sachsen-Anhalt und Bayern, übernehmen einen Teil der Beförderungskosten bis zum Abitur. Der Besuch der gymnasialen Oberstufe aber wird damit vor allen Dingen den Kindern erschwert, die aus sozial benachteiligten Familien kommen. Nun hat die Bundesregierung ein Bildungs- und Teilhabepaket beschlossen, in dem auch Mittel für die Schülerbeförderungskosten vorgesehen sind. Davon profitieren zwar manche Familien; aber den Ländern und Schulträgern, die die Schüler bisher schon kostenfrei befördert haben, bringt das überhaupt gar nichts. Wer also in diesem Land sozial denkt, hat davon nichts. Das allerdings konnte die Mutter des Bildungs- und Teilhabepaketes nicht wissen; denn die Mittel werden ja nicht über den Bildungshaushalt verteilt, sondern über die Kosten der Unterkunft. Diese haben bekanntlich nichts mit Bildung zu tun. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich könnte noch zahlreiche Beispiele dieser Art nennen. ({3}) Sie belegen, dass das Verbot der Zusammenarbeit in Bildungsfragen und die alleinige Zuständigkeit der Länder mehr schaden als nützen. ({4}) Die Ganztagsschulen - die SPD hat es leider nicht geschafft, dass das Thema in den Koalitionsvertrag aufgenommen wird - sind ebenso wie die Schulsozialarbeit davon betroffen. Auch das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Handicap, also die Inklusion, kann ohne eine Bundesbeteiligung nicht gestemmt werden. Die Ungereimtheiten betreffen nahezu alle Bildungsbereiche. In der allgemeinen Schulbildung sind sie inzwischen himmelschreiend. Allerdings weiß ich, dass es auch im Hochschulbereich - die Studierenden und auch Vertreter von Hochschulen sowie der Länder haben sich dazu kürzlich geäußert - solche Probleme gibt und dass es nicht ausreicht, in der Zukunft über Exzellenzinitiativen nur die Leuchttürme zu fördern. Deshalb haben die Länder Schleswig-Holstein und Hamburg vor einigen Jahren eine Bundesratsinitiative ergriffen. Einige Länder sind ihr beigetreten, aber getan hat sich leider nichts. Auch Lehrerverbände, Elternverbände und Wirtschaftsverbände fordern ein Umdenken von uns. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, im Bundesrat endlich Flagge zu zeigen und mit den Ländern so lange zu diskutieren, bis eine Lösung gefunden ist. ({5}) Es gibt auf der Internetseite der Kultusministerkonferenz noch eine andere interessante Seite, nämlich die für die „Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen“. Diese Zentralstelle kümmert sich um die Vergleichbarkeit im Ausland erworbener Abschlüsse. Ich fürchte, es ist Zeit für eine „Zentralstelle für das inländische Bildungswesen“. ({6}) Allerdings wäre es besser, wir könnten im Grundgesetz endlich eine Gemeinschaftsaufgabe Bildung verankern und wir ließen die gemeinsame Finanzierung übergreifender Bildungsaufgaben endlich zu. Das nimmt den Ländern nicht die Rechte, aber den Lernenden und ihren Familien manche Sorge. Genau das wollen wir mit unserem Antrag erreichen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der vergangenen Legislatur haben Grüne, SPD und Linke jeweils mehrere Anträge zu diesem Thema, die in die gleiche Richtung gingen, eingebracht, zwar mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, aber sie gingen in die gleiche Richtung. ({7}) Ich hoffe sehr, dass die Einigkeit, die damals darüber bestand, dass das Kooperationsverbot für den gesamten Bildungsbereich und nicht nur für die Hochschulen aufgehoben werden muss, bei der SPD auch nach der Wahl noch Bestand hat. Vielen Dank. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Das Wort für die Bundesregierung hat Stefan Müller. ({0})

Stefan Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003597

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich den Antrag der Linken ansieht und vor allem Ihre Rede, Frau Hein, hört, dann könnte man erstens den Eindruck bekommen, als würde das Grundgesetz eine Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern verbieten. ({0}) Das Gegenteil ist richtig. Wenn Sie das Grundgesetz genau lesen, dann werden Sie feststellen, dass es zwar ausschließt, dass der Bund sich in Felder der ausschließlichen Länderzuständigkeit einmischen darf und dort hineinregieren kann. Aber es verbietet gerade nicht die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, sondern es erlaubt sie. Die Wahrheit ist: So viel Kooperation wie heute hat es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nicht gegeben. ({1}) - Ja. - Dafür gibt es ein paar Beispiele: Nehmen Sie den Hochschulpakt, mit dem Bund und Länder gemeinsam dafür gesorgt haben, dass es einen Aufwuchs bei den Studienplätzen gegeben hat. Nehmen Sie die Exzellenzinitiative, mit der Bund und Länder gemeinsam dafür gesorgt haben, dass Bewegung in die Hochschullandschaft in Deutschland gekommen ist. Nehmen Sie den Pakt für Forschung und Innovation oder als weiteres Beispiel die Qualitätsoffensive Lehrerbildung. Diese Beispiele zeigen: Kooperation ist möglich, und sie funktioniert auch in diesem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Zweitens. Im Antrag wird behauptet, dass seit dem Bildungsgipfel von 2008 nicht viel passiert sei. Wenn Sie einen Blick in den Umsetzungsbericht der KMK und GWK werfen, dann werden Sie auch in dem Punkt feststellen, dass das Gegenteil richtig ist. Ich will auch hierzu ein paar Beispiele nennen: 2011 besuchten 95 Prozent der vierjährigen Kinder Vorschulen und Kindergärten. Das ist weit mehr als der OECDDurchschnitt. Der Anteil der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss ist von 8 Prozent auf 5,9 Prozent gesenkt worden. Die Zahl der Studienanfänger lag 2013 bei über 506 000 und damit rund 145 000 über dem Stand von vor sechs Jahren. Es ließe sich fortsetzen: Die Jugendarbeitslosigkeit ist mit 7,7 Prozent die niedrigste in Europa, und die Weiterbildungsbeteiligung erreichte 2012 mit 49 Prozent Rekordniveau. Herr Gehring, Sie haben gerade den Haushalt angesprochen. Wenn Sie sich genau anschauen, was in Deutschland für Bildung und Forschung ausgegeben wird, dann müssen Sie erstens feststellen, dass die absoluten Bildungsausgaben von 153 Milliarden Euro auf 177 Milliarden Euro gestiegen sind, und zweitens, dass die Ausgaben für Bildung und Forschung insgesamt bis 2012 auf 9,3 Prozent des BIP gesteigert werden konnten. Das ist das Ergebnis einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Bund und Ländern. Ich finde, wir können uns über diese positive Entwicklung zu Recht freuen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Drittens. Im Antrag wird beklagt, die „Bundesaufgabe Hochschulbau“ sei abgeschafft worden. Diese Bundesaufgabe hat es aber nie gegeben. Der alte Art. 91 a des Grundgesetzes vor der Föderalismusreform besagte, dass der Bund bei der Erfüllung der Länderaufgabe Hochschulbau mitwirkt. Ein Blick auf die aktuelle Situation zeigt, dass der Bund auch heute noch die Länder unterstützt, zum Beispiel im Rahmen der fortbestehenden Gemeinschaftsaufgabe Forschungsbauten mit 300 Millionen Euro im Jahr. Außerdem gibt der Bund den Ländern für den Hochschulbau rund 700 Millionen Euro jährlich an Entflechtungsmitteln. Das sind insgesamt jährlich 1 Milliarde Euro. Ich möchte noch einen vierten Punkt aus Ihrem Antrag aufgreifen, nämlich die Forderung, dass der Bund die Umsatzsteuerbeteiligung der Länder erhöhen soll, die Sie sich, wenn ich das richtig verstehe, zu eigen machen. Das ist eine Forderung des Bundesrates. Ich gebe zu, wir, die CDU/CSU, stehen dem sehr zurückhaltend gegenüber. Wir glauben, dass gemeinsame Bund-Länder-Programme zweckdienlicher sind, weil es dadurch möglich ist, gezielt bildungspolitische Herausforderungen aufzugreifen, was sinnvoller ist, als den Ländern einfach nur jedes Jahr mehr Geld zu überweisen. Zwei Fragen sind hier entscheidend. Erstens. Wie wollen und können wir sicherstellen, dass im Falle einer höheren Umsatzsteuerbeteiligung der Länder dieses Geld tatsächlich eins zu eins für Bildung und Forschung in den Ländern ausgegeben wird? Die zweite Frage ist: Wie wollen und können wir sicherstellen, dass das Geld nicht an anderer Stelle weggenommen wird, wo es dann fehlt? Deswegen sagen wir: Eine höhere Umsatzsteuerbeteiligung der Länder ist für uns nicht der richtige Weg. ({4}) Wir haben uns, neben vielen anderen Punkten, gemeinsam in dieser Koalition darauf verständigt, dass wir, um ein Beispiel zu nennen, zu einer Grundfinanzierung der Hochschulen vonseiten des Bundes kommen wollen. Nach meiner Auffassung brauchen wir dafür eine Änderung des Grundgesetzes. Einen entsprechenden Vorschlag hat es in der vergangenen Legislaturperiode gegeben. Dieser Gesetzentwurf ist seinerzeit leider nicht umgesetzt worden. Es ist kein Geheimnis, dass wir innerhalb der Koalition noch unterschiedliche Auffassungen haben, wie wir eine solche Grundfinanzierung hinbekommen. Ich glaube, dass eine Änderung des Grundgesetzes dafür der richtige Weg ist. Wir sind unterschiedlicher Meinung, wie wir zu dieser Grundfinanzierung kommen, aber dass wir sie erreichen wollen, ist jedenfalls Konsens in dieser Großen Koalition. Das ist unstrittig. ({5}) Wir brauchen diese Grundfinanzierung auch als wesentlichen Baustein, um die Wissenschaftspakte in den nächsten Jahren fortzuentwickeln. Hochschulpakt, Exzellenzinitiative, Pakt für Forschung und Innovation diese Pakte haben dafür gesorgt, dass Bewegung in die Hochschul- und Wissenschaftslandschaft gekommen ist. Internationale Vergleiche zeigen, dass wir unsere Position als führende Wissenschaftsnation ausbauen konnten. Jedenfalls erreicht auch die Innovationstätigkeit neue internationale Spitzenwerte, und - das ist sehr erfreulich - noch nie haben deutsche Hochschulen so viele Talente aus dem Ausland angezogen. Kurzum: Deutschland steht heute wirtschaftlich und sozial deutlich besser da als viele andere Staaten im OECD-Raum. Das ist auch Ergebnis unserer gemeinsamen Anstrengungen im Bereich der Bildungs- und Forschungspolitik. Diesen Weg wollen wir auch in dieser Wahlperiode fortsetzen. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Herr Kollege. - Der nächste Redner ist Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin, auch Ihnen einen schönen Tag. Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, Ihre Rede war insofern erhellend, als dass noch einmal offenkundig geworden ist, dass sich die 80-Prozent-Mehrheit dieses Hauses bei der Frage, wie sie mit dem Kooperationsverbot umgehen will, noch nicht einig ist. 2006 hat die damalige Große Koalition dieser Republik das Kooperationsverbot eingebrockt. Wir waren dagegen, den Bund aus jeder Verantwortung für Bildung herauszudrängen und dauerhaften Wissenschaftskooperationen Steine in den Weg zu legen. Acht Jahre später hat sich die heutige Große Koalition in ihrem Koalitionsvertrag zu dieser Frage nicht verständigt. Es fehlt jede Aussage zum Kooperationsverbot. Das ist eine schwere Enttäuschung. Bei Bildung und Wissenschaft liefert die Große Koalition bisher von A bis Z nur kleines Karo. ({0}) Das Kooperationsverbot hat sich als Bildungsblockade und Wissenschaftsbremse ausgewirkt. Es war und ist ein schwerer Fehler. Das hat auch Frank-Walter Steinmeier hier so bezeichnet, bisher folgenlos. Wir Grüne werben weiter für einen Bund-Länder-Konsens, der das Kooperationsverbot kippt und eine Ermöglichungsverfassung schafft; denn Fehler kann man korrigieren. ({1}) Es ist im gemeinsamen Interesse der Gesellschaft, der Wirtschaft und aller staatlichen Ebenen, die Leistungsfähigkeit und die Qualität von Bildung und Wissenschaft zu steigern; denn die hohen sozialen Kosten unterlassener Bildungs- und Forschungsinvestitionen tragen letztlich wir alle. Die Leute haben die Nase voll von fehlenden Kitaplätzen, maroden Schulen und überfüllten Hörsälen. Das Land der Dichter und Denker verträgt keine Kleinstaaterei, wenn es um die Zukunft unserer Kinder und Erfinder geht. ({2}) Die Probleme unseres Wissenschaftssystems - es gibt da viele Baustellen - lassen sich mit einem Kooperationsverbot nicht dauerhaft lösen. Kurzfristige Sofortprogramme wie die Wissenschaftspakte, Hochschulpakt, Pakt für Forschung und Innovation, Exzellenzinitiative, haben die bundesweite Unterfinanzierung unserer Hochschulen allenfalls abgemildert, aber nicht überwunden. Unter der GroKo ist nicht einmal klar, ob und wie diese Wissenschaftspakte weitergehen. Ministerin Wanka trifft im Haushalt dafür jedenfalls keine Vorsorge, sondern sie wird offenbar das erste Opfer von Schäubles schwarzer Null. Wir müssen endlich heraus aus der wissenschaftspolitischen Lähmung und Selbstblockade der GroKo. Der Reform- und der Finanzdruck steigen. Eine moderne Wissensgesellschaft lässt sich nur in gesamtstaatlicher Verantwortung gestalten. ({3}) Viele Bundesländer sind kaum in der Lage, ihr Bildungs- und Wissenschaftssystem auskömmlich zu finanzieren, zumal sie die Vorgaben der Schuldenbremse erfüllen sollen. Dieses Problem sollten wir nicht erst in zwei Jahren lösen, wenn die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ansteht. Wir sollten den Ländern nun aber auch nicht einfach 6 Milliarden Euro überweisen, wie es der Koalitionsvertrag nahelegt. Wir brauchen fachgebundene Programme, also eine Zweckbindung von Zukunftsinvestitionen in Bildung und Wissenschaft. ({4}) Ohne feste Vereinbarung von Bund und Ländern, dass die 6 Milliarden Euro in Schulen und Universitäten investiert werden, besteht einfach das Risiko, dass sie in Haushaltslöchern oder Schlaglöchern landen. Das liegt weder im Interesse der Steuerzahler noch im Interesse der Fach- und Haushaltspolitiker dieses Hohen Hauses. ({5}) Der Verfassungsänderungsvorschlag von SchwarzGelb wurde bereits angesprochen. Dieser war aus unserer Sicht ungeeignet, die Erosion der Grundfinanzierung der Hochschulen zu stoppen. Nur Leuchttürme mit internationaler Strahlkraft herauszuputzen, wäre uns zu wenig. Uns geht es vor allem um verlässlichen Studienplatzausbau sowie Infrastruktur- und Hochschulbau. Wir wollen letztlich das gesamte Wissenschaftssystem zum Leuchten bringen. ({6})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Apropos Leuchten, Herr Kollege, bei Ihnen leuchtet die rote Lampe schon seit einiger Zeit. ({0})

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Seit zehn Sekunden. Ich rede schnell. Wir haben als Grüne viele Initiativen vorgeschlagen. Jetzt ist die Bundesregierung am Zug. Sie müssen einen neuen Vorschlag machen, um das Grundgesetz zu ändern. Wir würden ihn sehr sorgfältig prüfen - gerne auch im Rahmen eines Reformkonvents, den wir hier mehrmals vorgeschlagen haben -, damit die notwendige Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat zustande kommt. Wir haben 2006 prophezeit, dass es mindestens zehn Jahre dauert, das Grundgesetz zu ändern. Bitte sorgen Sie dafür, dass wir nicht recht bekommen! Sorgen wir gemeinsam für einen kooperativen Föderalismus! ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Ernst Dieter Rossmann, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Staatssekretär Müller hat sich schon sehr profund mit den Linken auseinandergesetzt. Ich will das nicht wiederholen, sondern nur einen Eindruck wiedergeben. Meine Damen und Herren von der Linken, Sie können so beredt über die Vielfalt des deutschen Schul- und Bildungswesens diskutieren, aber Ihre Antwort, die Änderung des Grundgesetzes, betrifft das überhaupt nicht. Ich wünsche mir, dass bei Ihnen Rede und Initiative für das Parlament irgendwann in einem Zusammenhang stehen. Das kann nicht schaden. ({0}) Nun darf ich mich im Namen der Großen Koalition mit Ihnen, Herr Gehring, auseinandersetzen. Sie haben recht, wenn Sie konstatieren, dass wir auf der Suche sind. Aber Ihnen ergeht es nicht anders. Sie haben heute in der taz in einem Nebensatz gesagt: „Aber die SPD weiß nicht, was sie will.“ Ich darf Ihnen sagen: Die SPD weiß sehr genau, was sie will. Wir haben dazu eindeutige Parteibeschlüsse. ({1}) Wir möchten gerne, dass Bund und Länder in bestimmten Konstruktionen die Bildung fördern. Mir ist bekannt, dass die Grünen ähnliche Beschlüsse gefasst haben. Aber genauso wie wir sind auch Sie noch auf der Suche. Denn ist Herr Kretschmann als gewichtiger Ministerpräsident von Baden-Württemberg nicht mehr Mitglied der Grünen? ({2}) Erinnere ich mich richtig, dass die Grünen den Ministerpräsidenten in Hessen stellen wollten? Wissen Sie eigentlich noch, was Sie in Hessen werden können, werden wollen oder werden dürfen? ({3}) Wir müssen konstatieren: Wir alle befinden uns auf der Suche nach der besten Lösung. Wir sollten uns nicht unsere Positionen vorhalten, sondern darüber nachdenken, wie wir in einem bestimmten politischen Spektrum zusammenkommen können. ({4}) Ich werbe stark für eine solche Haltung und nicht für eine Haltung des Vorrechnens und des Abrechnens. Dass es zu Veränderungen und Lösungen kommen muss, ist unstrittig. Aber in der letzten Legislaturperiode, als wir Schulen vor Ort über eine Bildungsinitiative fördern wollten, sind wir bei der Initiative „Kultur macht stark“ geendet, weil mehr nicht ging. Auch beim Bildungs- und Teilhabepaket mussten wir manchmal einen Umweg machen, weil es grundgesetzlich keine Möglichkeiten gab, Kinder direkt in der Schule zu fördern. Wir haben vor allem erlebt, dass die Verfassung Diener von politischer Entwicklung für die Verbesserung im Bildungswesen ist und nicht umgekehrt. Denken Sie an das legendäre Konjunkturpaket, das eine schnelle Änderung des Grundgesetzes zur Folge hatte, damit wir nicht mehr abrechnen mussten, ob es 49 oder 51 Prozent energetische Sanierung an Hochschulen oder Schulen gab. Wir müssen an dem Grundsatz arbeiten, dass über die Verfassung Verbesserungen im Bildungswesen unterstützt werden. Ob wir dies in der ganzen Breite des Bildungswesens erreichen können, wird zu klären und zu diskutieren sein. Wir glauben zum Beispiel, dass der von der SPD in einem Parteibeschluss einmütig festgehaltene Ansatz, über einen neuen Art. 104 c des Grundgesetzes dauerhafte Finanzhilfen an die Länder und Kommunen geben zu können, sehr hilfreich ist. Es wäre in der aktuellen Auseinandersetzung über die zukünftige Finanzarchitektur klug, sie mit der Verfassungsarchitektur ins Benehmen zu setzen. Wir konstatieren genauso - hier knüpfe ich unmittelbar an einen Punkt an, den der Staatssekretär Müller für die Große Koalition gesetzt hat -, dass es eine Möglichkeit geben muss, neue Instrumente der Bildungsförderung entsprechend den Verfassungsvoraussetzungen zu schaffen. Es wurden bereits Ausführungen über die Unterfinanzierung des Hochschulbereiches und die Verschiebung der Gewichte im Hochschulbereich gemacht. Dort gibt es viele - bei aller Sympathie für Wettbewerbselemente -, die mittlerweise darüber stöhnen, dass es immer mehr eine Drittmittelfinanzierung gibt, die die Hochschulstrukturen verändert. Es wäre hilfreich, wir hätten eine größere Stärkung bei der Grundfinanzierung. Das ist dann natürlich nicht nur eine Finanzaufgabe, sondern auch eine Verfassungsaufgabe. Die Große Koalition hat sich diese Aufgabe zu eigen gemacht. Im Koalitionsvertrag steht, dass ein zusätzliches Ziel die Stärkung der Grundfinanzierung der Hochschulen ist. Kundige wissen, dass die Formulierung „zusätzlich“ merkwürdig ist, weil es nach dem Grundgesetz gar nicht möglich ist. Wenn man in den Koalitionsvertrag schreibt, dass man zusätzlich etwas machen will, was nach dem Grundgesetz noch nicht geht, ist dies zumindest ein Hinweis darauf, dass dies zu einer sehr späten Stunde geschah. ({5}) Jetzt, mit einem klareren Kopf, muss es doch ein Ansporn für uns sein, zu tragfähigen Lösungen zwischen den Koalitionspartnern, zwischen Bund und Ländern, auch zwischen Regierungsfraktionen und Oppositionsfraktionen, zu kommen, um das politisch maximal Mögliche zu erreichen, nämlich Bildung im Zusammenwirken von Bund und Ländern zu fördern. Herr Gehring, ich möchte mich direkt an Sie als Sprecher der Grünen wenden. Ich habe Ihre Rede so wahrgenommen, dass Sie es sehr wohl als Fortschritt begreifen würden, wenn den Hochschulen dauerhaft zu einer stär2048 keren Absicherung ihrer Finanzierung verholfen werden kann, weil das ein wesentlicher Teil von Bildungsförderung ist. Selbst wenn wir nur dieses und nicht mehr erreichen können, wofür wir sehr ernsthaft werben - auch beim Koalitionspartner -, dann wäre es ein Erfolg. So werben Sie bei Ihrem grünen Ministerpräsidenten und dort, wo Sie Regierungsverantwortung haben. Wir werben ebenfalls. Am Ende darf es in diesen vier Jahren der Großen Koalition und Arbeit im Parlament aber nicht nur ein ständiges Werben geben, sondern es muss auch zu einer Entscheidung kommen. Wir sehen es als Auftrag für diese Große Koalition und das Parlament an, diese Entscheidung in einem Paket mit anderen Fragen zügig vorzubereiten, um dann daraus etwas zu machen. Es nutzt am Ende nichts, eine Verfassung zu haben, die man verbessert hat, und eine Wirklichkeit, die hinter der Verfassung hinterherhinkt. Die Verfassungsarchitektur und die Finanzarchitektur so zusammenzubringen, dass es unmittelbare und nachvollziehbare Auswirkungen auf die Menschen hat, die in der Bildung arbeiten, die Bildung erleben und Bildung als Zukunft verstehen, wird die Aufgabe sein, der wir uns in aller Ernsthaftigkeit stellen wollen. Danke. ({6})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Tankred Schipanski, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Tankred Schipanski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere damalige Wissenschaftsministerin Annette Schavan hat erstmals im März 2010 einen konkreten Vorschlag unterbreitet, wie sie sich einen neuen kooperativen Föderalismus vorstellt. Diesen Impuls haben wir in einer Vielzahl von Debatten in diesem Hohen Hause in der letzten Legislatur aufgegriffen. Nach intensiver Diskussion legte dann die christlich-liberale Koalition am 10. Oktober 2012 mit der Bundestagsdrucksache 17/10956 einen ganz konkreten Gesetzentwurf vor, den wir alle kennen und der die Änderung des Art. 91 b Abs. 1 Nr. 2 Grundgesetz vorsah. Es war ein Vorschlag, der einen gesellschaftlichen Konsens aufgriff ({0}) und der die sensible Frage der Kernzuständigkeiten der Bundesländer berücksichtigt und austariert hat. Es gab in der Analyse und in den Schlussfolgerungen einen Konsens. Alle Sachverständigen und Wissenschaftsorganisationen wiesen zu Recht darauf hin, dass durch unseren Vorschlag der Änderung des Art. 91 b die Unwucht zwischen außeruniversitärer und universitärer Forschung behoben werden kann. Der Wissenschaftsrat hat uns in seinem Gutachten zu den Perspektiven des deutschen Wissenschaftssystems vom 12. Juli 2013 ausdrücklich bestätigt, dass eine Änderung des Art. 91 b ein richtiger und wichtiger Schritt zur Weiterentwicklung unseres Wissenschaftssystems wäre. ({1}) Ein Blick in den Koalitionsvertrag der Großen Koalition zeigt, dass wir uns einig sind, dass unsere Universitäten - das Herzstück unseres Wissenschaftssystems Unterstützung vom Bund erhalten sollen. Das soll nicht nur im Rahmen der bisherigen befristeten Vorhaben, sondern - Kollege Rossmann hat es bereits gesagt - auch mit Blick auf die Grundfinanzierung geschehen, also ganz im Sinne des Formulierungsvorschlags des Art. 91 b aus der letzten Legislatur. Wir erörtern nunmehr, wie wir den Auftrag, den uns der Koalitionsvertrag gibt, im gesamtstaatlichen Interesse umsetzen. Eine Verfassungsänderung, also eine Änderung des Art. 91 b, ist eine Variante. Sie kann so aus dem Koalitionsvertrag herausgelesen werden. Ein anderer Weg wäre die Weiterentwicklung unserer bisherigen umfangreichen Kooperation zwischen Bund und Ländern. Das gilt zum Beispiel für den Hochschulpakt, die Exzellenzinitiative oder den Qualitätspakt Lehre; der Herr Staatssekretär hat das angesprochen. Der Wissenschaftsrat hat mit seinem Gutachten richtige Impulse gesetzt. Es zeigt sich, dass der Begriff des Kooperationsverbotes sehr zugespitzt gewählt ist. ({2}) Denn wir erleben doch gerade eine umfangreiche Kooperationskultur. Kooperation ist im gesamtstaatlichen Interesse. Dies ist im Übrigen auch die Idee des kooperativen Föderalismus, den uns das Grundgesetz gebietet. Das Grundgesetz unterscheidet ganz bewusst zwischen Wissenschaft - Art. 5 - und Schule, Art. 7. Der heute zu diskutierende Antrag der Linken greift aber nur die Kooperationskultur im Bildungsbereich auf. Das ist ein Politikfeld, in dem wir keinen gesellschaftlichen Konsens für eine Verfassungsänderung erkennen können, im Besonderen keinen Konsens mit den Bundesländern, um deren Kernkompetenzen es sich hier handelt. Ich verweise auf die Anhörung vom 28. November 2012, die unser Ausschuss in der letzten Legislatur mit Blick auf eine Grundgesetzänderung durchführte. Dort konnten wir erleben, wie sich die Länder im Bildungsbereich schwertun, dem Bund lediglich eine koordinierende Rolle zuzubilligen. Das ist aber eine Rolle, die der Bund meines Erachtens von Verfassungs wegen her bereits besitzt. Wir sind uns über Fraktionsgrenzen hinweg in diesem Hohen Hause einig, dass die Arbeit der Kultusministerkonferenz - diplomatisch gesprochen - verbesserungsbedürftig ist. Seit 14 Jahren arbeitet dieses Gremium nun an gemeinsamen Bildungsstandards und kommt nur mühsam voran. Transparenz, Vergleichbarkeit der Abschlüsse und bundesweite Bildungsmindeststandards sind in unserem kooperativen Bildungsföderalismus notwendige Grundbausteine. Das, was wir gegenwärtig im Rahmen der Diskussionen um G 8 und G 9 in einigen Bundesländern erleben, ist erschreckend. ({3}) Es zeigt mir, dass die KMK eben nicht in der Lage ist, nationale Verantwortung wahrzunehmen. Der Antrag der Linken enthält keinen Lösungsansatz für diese Probleme. ({4}) Weder lese ich etwas von der Vergleichbarkeit der Schulabschlüsse noch von Mindeststandards und Transparenz. In Ihrem Antrag geht es nicht um Inhalt, sondern um Finanzströme. Sie machen nur einen einzigen Vorschlag, und der ist abenteuerlich. Sie wollen Landesgeld durch Bundesgeld ersetzen. Sie wollen die Einnahmen der Länder auf Kosten des Bundes erhöhen. Das ist Egoismus und das Gegenteil von Bildungskooperation, wie wir sie brauchen. ({5}) Kooperativer Föderalismus bedeutet für mich, dass das Engagement des Bundes nicht das Engagement eines Bundeslandes ersetzen darf, sondern nur ergänzen. Hierauf haben wir uns im Wissenschaftsbereich mit den Bundesländern verständigt. Diese Kooperationskultur wollen wir ausbauen. Diesen Arbeitsauftrag haben wir klar im Koalitionsvertrag formuliert und werden ihn auch gemeinsam erfüllen. Vielen Dank. ({6})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort Özcan Mutlu, Bündnis 90/Die Grünen. - Bitte schön.

Özcan Mutlu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004360, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Januar dieses Jahres hatten wir hier eine lebhafte Diskussion zu den Ergebnissen der Pisa-Studie. Mich hat damals vor allem erheitert, dass Sie sich dazu gefeiert haben; denn dank Ihres schwarz-roten Kooperationsverbotes können und dürfen Sie mit diesem Ergebnis eigentlich nichts zu tun haben. ({0}) Das Pisa-Ergebnis, egal wie man es bewertet - wir sind da kritischer als Sie -, entspringt nämlich der Leistung der Bundesländer. Darüber sollten Sie sich Gedanken machen. Im Wahlkampf hatte ich durchaus Hoffnung auf Besserung verspürt; denn im Wahlprogramm der SPD stand folgender Satz: Mit dem Kooperationsverbot in der Bildung ist die Politik einen Irrweg gegangen. So ähnlich ist auch die parteiübergreifende Meinung vieler Kolleginnen und Kollegen hier im Hause und in den Landtagen der Republik. Sind den blumigen Worten der SPD auch konkrete Taten gefolgt? - Nein, leider nicht. Nicht einmal in den Koalitionsvertrag hat es die Aufhebung des Kooperationsverbotes geschafft. Da sage ich in Richtung der SPD: Nicht die Politik ist einen Irrweg gegangen, sondern Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, sind mit Ihrer Zustimmung zum Kooperationsverbot einen Irrweg gegangen. Wir sagen: Lassen Sie uns gemeinsam in diesem Hause und in dieser Republik diesen Irrweg beenden. ({1}) Mit der Föderalismusreform 2006 haben Sie als GroKo dem deutschen Bildungssystem ohne jede Not eine ungenießbare Suppe eingebrockt. Von den Sozialverbänden über die Gewerkschaften bis hin zum BDI, alle sprechen sich für eine Abschaffung des Kooperationsverbotes aus. Deshalb sollten Sie, lieber Kollege Rossmann, sich mit Ihren 80 Prozent in diesem Haus nicht hinter einem grünen Ministerpräsidenten verstecken. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erinnere mich noch ganz gut an unser rot-grünes Ganztagsschulprogramm. Gegen den zum Teil massiven Widerstand der CDU-regierten Bundesländer sind mit dem rot-grünen Programm 10 000 neue Ganztagsschulen entstanden. Das ist unsere gemeinsame Erfolgsstory. ({3}) Ich denke, wir sind uns alle darüber einig, dass es ein gutes Programm war und dass es richtig und wichtig ist, dieses Programm weiterzuführen. ({4}) Mit dem Kooperationsverbot ist das aber nicht mehr möglich; es sei denn, Sie führen wieder ein indirektes bildungspolitisches Sonderprogramm ein, um das leidige Kooperationsverbot zu umgehen: „Bildungs- und Teilhabepaket“, sage ich nur. Aber wozu diese Tricksereien? Lassen Sie uns doch gemeinsam die Bundesländer überzeugen - ich will Baden-Württemberg nicht ausschließen - und sie für eine Kooperation zwischen Bund und Ländern gewinnen. Im Mittelpunkt unserer Bestrebungen muss der Bildungserfolg der Schülerinnen und Schüler stehen und damit die Zukunft unserer Gesellschaft und unseres Landes. Niemand will den Bundesländern ihre Kompetenzen in der Bildung wegnehmen; das werden sie auch nicht zulassen. Es muss um Kooperation gehen und um gemeinsame Anstrengungen für eine bessere Bildung statt um bildungspolitische Kleinstaaterei, die nachweislich kontraproduktiv ist. ({5}) Schauen Sie sich den finanziellen Zustand unserer Länder und Kommunen doch einmal genauer an. Die meisten Bundesländer sind pleite, und die Kommunen sind pleite zum Quadrat. Es ist doch grotesk: Länder und Kommunen streiten sich derzeit darüber, wer für die Umsetzung der Inklusion die finanzielle Verantwortung trägt. Der Bund hält sich dagegen bisher fein aus der Debatte heraus. Dabei ist es offensichtlich, dass viele Bundesländer und Kommunen die riesigen Herausforderungen der Bildungspolitik nicht alleine meistern können. Es ist ja nicht so, dass wir Grünen jetzt fordern, der Bund müsse alles mitfinanzieren und Geld bereitstellen. Wenn Herr Seehofer, Herr Weil und Herr Kretschmann kein Geld vom Bund wollen, dann auch gut. Aber jene, die auf die Unterstützung durch den Bund angewiesen sind, müssen in einer kooperativen Art und Weise unterstützt werden. Nun höre ich auch hier, dass das Kooperationsverbot für den Hochschulbereich anscheinend gelockert werden soll. Ich erlaube mir, zu diesem Thema die Ministerin Wanka zu zitieren - Herr Müller, Sie sollten genau zuhören -: „Es wird Zeit, dass wir dieses Relikt abschaffen.“ Recht hat sie. Dieses Relikt muss in Gänze abgeschafft werden; denn das, was für den Hochschulbereich gilt, gilt erst recht für die Allgemeinbildung und die schulische Bildung. Deshalb sage ich zum Schluss: Wir brauchen kein Verbot von Kooperation. Wir sollten uns stattdessen für ein Gebot zur Kooperation starkmachen. Ich appelliere an Ihre Vernunft. Lassen Sie diese Spielchen von Opposition und Regierung. ({6}) Lassen Sie uns hier im Interesse unseres Landes an einem Strang ziehen. ({7})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Swen Schulz, SPD-Fraktion. ({0})

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bildungsföderalismus ist in der Tat ein schwieriges Thema. Das liegt unter anderem daran, dass es zwischen Bundes- und Landespolitikern tendenziell unterschiedliche Meinungen darüber gibt, wer was machen soll. Dieses Phänomen, Herr Kollege Mutlu, tritt in allen Parteien auf. Das müssen wir einmal festhalten. ({0}) - Sie versuchen bei den Grünen, das einzudämmen. Das versuchen andere auch. - Festzuhalten ist: Wir können hier nicht nur das machen, was wir gerne wollen, weil es den Bundesrat und die Landespolitiker gibt, die schon darauf achten, was wir aus ihrer Sicht machen sollten. Es gibt eine Fülle von hervorragenden Beispielen der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, vom Ganztagsschulprogramm über den Hochschulpakt bis zum Pakt für Forschung und Innovation. Es muss unser Ziel sein, diese Kooperation zu stärken und auszubauen. ({1}) Eine Grundgesetzänderung würde dabei zweifelsohne helfen. Wir haben in den Koalitionsverhandlungen intensiv darüber gesprochen. Wir von der SPD konnten uns mit unserem Vorschlag, der den Bildungsbereich in Gänze, auch die Schulen, beinhalten würde, leider nicht durchsetzen. ({2}) Damit bei der Bildung trotzdem etwas geschieht, ist im Koalitionsvertrag gewissermaßen hilfsweise festgeschrieben, dass die Länder um 6 Milliarden Euro entlastet werden, um ihre Aufgaben im Bildungsbereich besser wahrnehmen zu können. Jetzt laufen die Gespräche, wie das im Einzelnen aussehen soll. Ich sage hier ganz klar: Es muss sichergestellt werden, dass das Geld tatsächlich in den Krippen, Kitas, Schulen und Hochschulen landet. Wir dürfen nicht eine Art Blankoscheck austeilen nach dem Motto „Länder, hier habt ihr das Geld; macht mal schön, wir schauen gar nicht so genau hin“. Das darf es nicht geben. ({3}) Eines will ich in diesem Zusammenhang hier offen ansprechen: Ich habe mich über einige Wortmeldungen der letzten Wochen aus den Reihen der CDU/CSU geärgert. Sie folgen immer derselben Melodie: Die SPD blockiert mit ihren gierigen Ländern die Finanzierung von Bildungs- und Wissenschaftspolitik. - Da das mehrfach öffentlich behauptet wurde, will ich an dieser Stelle klarstellen: ({4}) Das stimmt nicht. ({5}) Ich bitte Sie herzlich, Kollege Rupprecht und die anderen, dieses Märchen nicht weiterzuverbreiten. ({6}) Erstens unterscheiden sich die Länder in ihrem Trachten nach dem Geld des Bundes höchstens graduell. Ein Beispiel: Gerade hat der Finanzausschuss des Bundesrates beschlossen, dass das Geld ohne Zweckbindung, zum Beispiel in Form höherer Umsatzsteueranteile, an die Länder fließen soll - Abstimmungsergebnis 15 : 1. Herr Swen Schulz ({7}) Rupprecht und Herr Müller, die eine Gegenstimme kam nicht etwa aus Bayern, sondern aus Bremen. Das nur einmal zur Klarstellung. ({8}) Zweitens steht im Koalitionsvertrag eindeutig, dass die Länder entlastet werden, und nicht, dass der Bund etwas tut oder dass Frau Wanka die Milliarden zur freien Verfügung erhält. Das muss man nicht gut finden. Aber meiner Erinnerung nach ist der Koalitionsvertrag nicht nur von Sigmar Gabriel, sondern auch von Angela Merkel und Horst Seehofer unterschrieben worden. Drittens rate ich den Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, sich nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen, wenn es um die Bildungsfinanzierung geht. ({9}) Denn die Geldprobleme des Bildungs- und Forschungsministeriums haben ja nicht mit der Großen Koalition begonnen, sondern es war Schwarz-Gelb, das uns ein Finanzloch von 5 Milliarden Euro hinterlassen hat. ({10}) Es wurden Versprechungen im Umfang von 5 Milliarden Euro gemacht, die in der Finanzplanung gar nicht vorgesehen sind. Im Gegenteil: In der mittelfristigen Finanzplanung waren sogar Kürzungen im Bereich Bildung und Forschung eingeplant. Unsere geschätzten Koalitionspartner sollten sich also lieber mit Frau Merkel, Herrn Schäuble und Frau Wanka zusammensetzen, um eine Lösung für die schwarz-gelben Altlasten zu finden, anstatt abzulenken und mit dem Finger auf die Länder zu zeigen. ({11}) Kolleginnen und Kollegen, wir haben in der Bildungs- und Forschungspolitik einen sehr geringen finanziellen Spielraum. Das ist auch das Ergebnis von politischen Grundsatzentscheidungen. Diese Koalition hat sich vorgenommen, keine Schulden mehr zu machen und gleichzeitig keine Steuererhöhungen vorzunehmen. Das hat einen Preis, nämlich engere finanzielle Spielräume. Auch das muss man nicht gut finden, aber auch damit müssen wir nun umgehen. Ich will da ein Thema aufgreifen, das der Kollege Rossmann angesprochen hat. Ich frage mich, was eine Grundgesetzänderung vor diesem finanziellen Hintergrund derzeit überhaupt hilft. Denn ein geändertes Grundgesetz alleine löst ja erst mal kein einziges Problem an irgendeiner Schule oder Hochschule. Das ist wie der Bau einer Startbahn - eine Startbahn ist wunderbar, aber damit etwas passiert, braucht man erst mal ein Flugzeug; doch wir können nicht mal die Tankfüllung bezahlen, Kolleginnen und Kollegen. ({12}) Andererseits will ich die Hoffnung nicht aufgeben. Es ist eine Grundsatzdebatte über die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern vereinbart. Vielleicht erarbeiten wir in diesem Rahmen eine tragfähige und ausfinanzierte Architektur für den Bereich Bildung und Wissenschaft in Bund und Ländern. Die Mühe wäre das wert. Herzlichen Dank. ({13})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag erteile ich der Kollegin Sybille Benning, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Sybille Benning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004251, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen die Dynamik der Exzellenzinitiative, des Hochschulpakts und des Pakts für Forschung und Innovation nutzen und diese Programme fortführen. Wir stehen zu unserer Initiative aus der vergangenen Legislaturperiode und möchten das Kooperationsverbot im Hochschulbereich abschaffen, damit die Hochschulen mehr Geld für die Grundfinanzierung zur Verfügung haben. Unsere Hochschulen sind das Herzstück unseres Wissenschaftssystems. Sie müssen dauerhaft wettbewerbsfähig sein und deshalb Planungssicherheit haben. ({0}) Die Schulbildung aber ist Ländersache. Hier muss ich den Ausführungen in Ihrem Antrag klar widersprechen. Die Schulpolitik beim Bund anzusiedeln, hieße, die Schulbildung in Deutschland zu zentralisieren. Das entspricht nicht unseren Vorstellungen von Föderalismus. ({1}) Ihr Lösungsvorschlag scheint zu sein, dass der Bund den Ländern einfach mehr Geld überweist, und zwar deutlich mehr. Sie zitieren eine Forderung der GEW, wonach im Bildungsbereich ein zusätzlicher jährlicher Finanzbedarf von 56,8 Milliarden Euro bestehe. Das entspricht der Hälfte aller Bildungsausgaben von Bund, Ländern und Kommunen im Jahr 2013. Die Hälfte einfach noch mal obendrauf - das ist, freundlich formuliert, eine Illusion. ({2}) Sie behaupten in Ihrem Antrag außerdem, seit dem Bildungsgipfel in Dresden sei nicht viel passiert. Unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder haben 2008 ein umfassendes Programm zur Stärkung von Bildung und Ausbildung in Deutschland beschlossen. Seitdem hat die verbesserte Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern - wie eben auch schon mehrfach berichtet - bereits viele Früchte getragen. Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt die Erfolge in einigen Bereichen etwas näher beleuchten, die Sie mit den Worten „Nicht viel passiert“ beiseitewischen wollen: Erstens. Sie übersehen, dass der Anteil der Ausgaben für Bildung und Forschung am Bruttoinlandsprodukt in den letzten fünf Jahren auf 9,5 Prozent gestiegen ist. Damit ist das in Dresden gesetzte Ziel eines Anteils von 10 Prozent in greifbarer Nähe. Zweitens. Die frühkindliche Bildung hat sich in den letzten Jahren enorm verbessert. 96 Prozent der Vierjährigen und 90 Prozent der Dreijährigen in Deutschland nehmen an frühkindlicher Bildung teil. Deutschland liegt damit weit über dem OECD-Durchschnitt. ({3}) Gerne zähle ich weitere Punkte auf. Der Anteil der Schulabgänger, die ohne einen Hauptschulabschluss die Schule abbrechen, ist zwischen 2006 und 2012 auf 5,9 Prozent zurückgegangen. Das ist ein wichtiger Erfolg. Für jeden einzelnen Jugendlichen, der einen Abschluss macht, ist es ein Gewinn. Wir werden weiterhin hart dafür arbeiten, dass möglichst alle ihren Abschluss machen. ({4}) In Deutschland bilden sich mehr Menschen weiter. Das vereinbarte Ziel in Dresden lautete: 50 Prozent. Das ist fast erreicht. Nehmen Sie, meine Damen und Herren, bitte außerdem zur Kenntnis, dass in Deutschland ein vergleichsweise hohes Bildungsniveau herrscht. Derzeit haben 86 Prozent unserer Bevölkerung einen Hochschulabschluss, die Hochschulreife oder eine abgeschlossene Berufsausbildung. Außerdem ist die Bildungsbeteiligung überdurchschnittlich hoch. Ein Ziel des Programms zur Stärkung von Bildung und Ausbildung ist natürlich, die Menschen in Arbeit zu bringen. Wie erfolgreich Bund und Länder hier zusammenarbeiten, sieht man sehr deutlich an der geringen Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland, die mit 7,7 Prozent bei weitem die niedrigste in ganz Europa ist. ({5}) Ganz besonders beeindruckend finde ich die Steigerung der Studienanfängerzahlen. Jeder Zweite eines Altersjahrganges geht studieren. Die Studienanfängerquote liegt ganze 10 Prozentpunkte über dem 2008 aufgestellten 40-Prozent-Ziel, also bei 50 Prozent. Innerhalb von sechs Jahren ist die Studienanfängerzahl um 145 000 Menschen gestiegen. Stellen Sie sich vor: Das wäre das gesamte gefüllte Westfalenstadion, plus die Arena auf Schalke, plus ein gefülltes Münchener Stadion. So viele Menschen zusätzlich erwarten eine hochwertige Ausbildung. Um dieser Erwartung zu entsprechen, brauchen die Hochschulen unsere Unterstützung. ({6}) Ich fasse zusammen: Die frühkindliche Bildung hat sich enorm verbessert, der Anteil der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss hat sich verringert, die Bildungsausgaben sind deutlich gestiegen, mehr Menschen bilden sich über ihren gesamten Berufsweg hin weiter, viele Menschen beginnen ein Studium, und die Bildungsbeteiligung hat sich deutlich erhöht. Mit Ihrem Antrag haben Sie mir als neuer Abgeordneter die Gelegenheit gegeben, wichtige Erfolge im Bildungs- und Forschungsbereich unter der Leitung der Union im Bund darzustellen. ({7}) Dafür danke ich Ihnen. Klar ist aber: So, wie Sie es sich vorstellen, geht es nicht. Vielen Dank. ({8})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Liebe Frau Kollegin Benning, das Präsidium beglückwünscht Sie zu Ihrer ersten Rede und wünscht Ihnen für die Zukunft eine interessante parlamentarische Arbeit. ({0}) Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen Martin Rabanus, SPD-Fraktion. ({1})

Martin Rabanus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Verlauf der Debatte macht es mir ein bisschen schwieriger, so einzusteigen, wie ich das als von Natur aus harmoniebedürftiger Mensch eigentlich wollte. Ich wollte als Erstes auf die Gemeinsamkeiten, die es im Hohen Hause gibt, abheben. ({0}) Möglicherweise gelingt das auch. Wenn wir von der Rede der Frau Kollegin Hein von der antragstellenden Fraktion, von dem wolkenverhangenen parteipolitischen Geklüngel der Grünen sowie von ein paar koalitionsinternen Hinweisen absehen, dann stellt man fest, dass sich alle, einschließlich der Bundesregierung, dafür ausgesprochen haben, das Koalitions-, Entschuldigung, das Kooperationsverbot abzuschaffen. ({1}) „Kooperationsverbot abschaffen“ - das ist - soweit ich das erkennen konnte - die gemeinsame Überschrift. Aber schon in der Debatte gab es den einen oder anderen deutlichen Hinweis, dass man in den Fraktionen möglicherweise, in Maßen, etwas Unterschiedliches darunter versteht. ({2}) - Was die SPD darunter versteht, ist in der Tat sehr klar, Frau Kollegin Hein. Wir haben als einzige Partei sehr frühzeitig einen zwischen der Bundesebene und den sozialdemokratisch regierten Ländern abgestimmten Textvorschlag zur Ergänzung des Grundgesetzes - Art. 104 c vorgelegt. ({3}) Dass die Union in Teilen andere Vorstellungen hat, ist hier schon hinreichend deutlich geworden. Dass Sie den Kulturföderalismus völlig anders einschätzen als wir, ist auch deutlich geworden. Dass die Grünen, je nachdem, in welcher Lage sie sich befinden, völlig unterschiedliche Aussagen tätigen, ist auch hinreichend deutlich geworden. ({4}) Nach diesem wunderschönen Hinweis auf den Vertrag der Großen Koalition in Berlin möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf Ihren eigenen Koalitionsvertrag in Hessen richten; denn auch dort finden Sie keinerlei Aussagen zum Umgang mit dem Kooperationsverbot. ({5}) Wenn ich mich erinnere, wie die Grünen in Hessen noch im September letzten Jahres die Backen aufgeblasen haben, ({6}) wird mir klar, liebe Kordula Schulz-Asche, dass die Situation, in der man sich befindet, gelegentlich unterschiedliche Verbindlichkeiten und unterschiedliche Intonationen zur Folge hat. Warum sage ich das? ({7}) Ich sage das, weil es wichtig ist, bei so einem Thema nicht in Gut und Böse, in Richtig und Falsch zu unterscheiden, weil es wichtig ist, nicht den moralischen Zeigefinger zu erheben. Wir haben es hier natürlich mit einer Gemengelage unterschiedlicher Interessen von Bund und Ländern zu tun. Das ist deutlich geworden. Es gibt unterschiedliche Konstellationen. Die für sich genommen jeweils legitimen Interessen müssen in den kommenden Wochen und Monaten einer kritischen Diskussion zugeführt werden. Darauf ist in der Debatte unter anderem vom Kollegen Rossmann hingewiesen worden. Wenn wir in diesem Haus gemeinsam der Auffassung sind, dass wir die Bildung in der gemeinsamen Verantwortung von Bund und Ländern stärken und voranbringen wollen, dann müssen wir uns einem solchen Prozess unterziehen. Dann müssen wir uns alle an die eigene Nase fassen. Vor allen Dingen müssen wir aber alle bereit sein, uns aufeinander zuzubewegen, um die Bildung im Zusammenspiel von Bund und Ländern im Interesse von Kindern und Jugendlichen tatsächlich zu stärken. ({8}) Das ist das, was die Menschen draußen von uns erwarten. Das ist das, was sich die SPD in der Koalition vorgenommen hat. ({9}) Schaufensteranträge bringen uns dabei nicht weiter. Ich glaube, dass sich auch die CDU in der Koalition genau das vorgenommen hat. Ich glaube, am Ende, wenn sich der Nebel etwas gelichtet hat, sind auch die Grünen bereit, sich an einer solchen Debatte konstruktiv zu beteiligen. ({10}) Das jedenfalls wünsche ich mir. Das wünschen wir uns als SPD-Fraktion in der Großen Koalition. Wir werden sehen, ob das in den kommenden Wochen und Monaten eingelöst wird. Vielen Dank. ({11})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächster erteile ich das Wort zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag der Kollegin Alexandra Dinges-Dierig. ({0})

Alexandra Dinges-Dierig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004260, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Üblicherweise ist es ja so: Wenn man etwas wiederholt, nützt das dem Lernen. Ich denke, das passt hier ganz gut. Sie können sich vorstellen, dass ich als zehnte Rednerin in dieser Debatte nicht viel Neues sagen werde. Aber vielleicht kombiniere ich die Dinge etwas anders. Es kann aber sicherlich auch nicht schaden, manches zwei- oder dreimal zu hören. Deshalb möchte ich zu Beginn für die CDU/CSU ganz klar feststellen, dass wir uns ausdrücklich zum Föderalismus im Bereich der Bildung bekennen: von der Kita über die Schule bis hin zur Hochschule. ({0}) Ich sage an dieser Stelle aber auch ganz klar: Bildung und Finanzierung sind Aufgabe aller beteiligten Träger. Bund, Länder und Kommunen tragen jeweils ihren Teil der Finanzierung und damit auch ihrer Verantwortung in unterschiedlicher Gewichtung. Dieser gemeinsamen Verantwortung werden wir auch in Zukunft gerecht werden. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linken, liebe Frau Hein, es war für mich etwas schwierig, das, was ich in Ihrem Antrag gelesen habe, mit dem, was Sie heute ausgeführt haben, in Übereinstimmung zu bringen. ({1}) Sie wollen uns mit Ihrem Antrag einreden, dass die Bildungspolitik auf dem Holzweg ist. Sie gehen sogar so weit, zu behaupten, dass sich bei Qualität und Finanzierung nicht wirklich viel geändert hat. Ich glaube - das haben Sie auch an den Ausführungen der Redner nach Ihnen gemerkt -, dass Sie damit eindeutig falschliegen. ({2}) Unsere Ergebnisse in Studien zur Bildung - einige wurden heute genannt - sind stetig besser geworden. Wir können jedes Jahr immer wieder die Ergebnisse vieler Studien lesen, zum Beispiel TIMSS, PISA und entsprechende länderspezifische Auswertungen. Selbst die OECD hat inzwischen verstanden - sie hat eine Weile dazu gebraucht -, wie das deutsche Bildungssystem funktioniert. Wenn wir Bildung auf einen Blick 2013 lesen, dann sehen wir, dass es in den Bereichen Schule und Hochschule eindeutige positive Entwicklungen gibt und dass wir im gesamten Ranking eindeutig nach oben rutschen. Ein Grund dafür ist ganz klar die von uns angestoßene Exzellenzinitiative. Die wachsende Beteiligung internationaler Wissenschaftler im Forschungsbereich ist ein weiterer Beweis für diese positive Entwicklung. Noch etwas hat mich am Antrag der Linken sehr irritiert; deshalb möchte ich es an dieser Stelle ansprechen. Sie behaupten an einer Stelle, dass Sanierungen und Renovierungen in Schulgebäuden nichts mit Bildungspolitik und Lernergebnissen zu tun haben. Ich kann dazu nur sagen: Wenn das wirklich Ihre Meinung ist - es steht in Ihrem Antrag -, dann verstehen Sie nicht viel von Lernprozessen. Vielleicht überdenken Sie diesen Passus Ihres Antrags noch einmal. Für den Fall, dass es noch Zweifler gibt, möchte ich noch einmal, aber nur ganz kurz, die Big Points nennen, die wir insbesondere im Bereich der Bildungsfinanzierung im Bund angeschoben haben, seitdem unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel heißt. Es fing beim Aufwachsen unserer Budgets an und reichte bis hin zur Exzellenzinitiative; darüber haben wir heute schon viel gehört. ({3}) Ich denke natürlich auch an den Hochschulpakt und daran, dass wir die Ausfinanzierung der wachsenden Studierendenzahlen durch den Hochschulpakt gewährleisten. Das waren immerhin schlappe 10 Milliarden Euro. Wir haben die Qualität der Lehre verbessert - Herr Müller hat das ausgeführt - und die Qualitätsinitiative in der Lehrerbildung aufgelegt. Aber wir haben die Länder bei der Bewältigung ihrer Aufgaben nicht nur im Bereich der Hochschulen massiv unterstützt, sondern wir haben sie auch auf eine andere Art und Weise unterstützt, und zwar mit dem Bildungsund Teilhabepaket für bildungsbenachteiligte Kinder; auch davon war heute schon die Rede. Auch bei der Herkulesaufgabe Kitaausbau haben wir mit 5,4 Milliarden Euro geholfen. Dazu kommt jetzt die jährliche Beteiligung des Bundes an den laufenden Kosten der Kitas. Das ist ein Wort. Der Bund steht zu seiner Mitverantwortung im Bereich der Bildung. ({4}) Da wir ja immer wieder von Finanzen sprechen: Im Bereich der Bildung übernimmt der Bund auch an einer anderen Stelle zusätzliche Verantwortung, indem er die Länder ein Stück weit finanziell entlastet. Das bedeutet, dass die Länder ihrer Verantwortung den Kommunen gegenüber besser gerecht werden können. Es geht dabei um die Übernahme der Kosten für die Grundsicherung. Das sind immerhin Entlastungen für die Länder von im Schnitt über 5 Milliarden Euro im Jahr. Auch die Entlastungen bei der Eingliederungshilfe werden kommen. Das schafft Freiraum und ermöglicht es den Ländern, zum Beispiel mehr in die Köpfe unserer Kinder und Jugendlichen zu investieren. ({5}) Langer Rede kurzer Sinn: Diese Beispiele zeigen, dass wir unsere gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrnehmen und unserer Verantwortung gerecht werden. Unser föderaler Staat lebt vom guten Miteinander aller Ebenen. Das wird auch in Zukunft so sein. Aber wir müssen auch berücksichtigen, dass wir eine Schuldenbremse haben. Der Bund ist sich der Begrenztheit der Mittel natürlich sehr bewusst und nicht unbegrenzt belastbar. Deshalb müssen wir die Mittel effizient anlegen. Wir müssen vor allem dafür sorgen, dass die Länder, wenn der Bund weiter in Bildung investiert, ihren eigenen Anteil an der Verantwortung für das weitere Gelingen der Bildungsrepublik nicht zurückfahren. Deshalb, meine Damen und Herren, werden wir in dieser Legislaturperiode mit den Ländern über eine weitere Verbesserung unserer Bildungslandschaft sprechen, natürlich auch hinsichtlich ihrer Finanzierung. Ich bin ganz zuversichtlich, auch angesichts der Ausführungen meiner Vorredner, dass wir gemeinsam, vielleicht sogar über die Grenzen der Koalition hinaus, eine Nachfolgelösung finden, sei es im Bereich der Exzellenzinitiative, des Hochschulpaktes oder bei weiteren Bildungsthemen. Wie wir das dann in Art. 91 b des Grundgesetzes niederlegen werden, wird unser gemeinsamer Dialog zeigen. Ich bedanke mich recht herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herzlichen Glückwunsch, Frau Kollegin DingesDierig, zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag! Auf eine gute weitere parlamentarische Zusammenarbeit! ({0}) Als letztem Redner in dieser Debatte, aber zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag gebe ich nun Xaver Jung von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({1})

Xaver Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004316, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen eine differenzierte Neufassung des Art. 91 b Grundgesetz, die Wissenschaft und schulische Bildung nicht in einen Topf wirft, wie die Linke das tut. ({0}) Wir wollen, dass der Bund bei der Grundfinanzierung von Universitäten und Fachhochschulen tätig werden kann. Schule ist aber der klassische Kernbereich der Länderzuständigkeit und soll es auch bleiben. ({1}) Um Schule zu optimieren, braucht es keine Änderung des Grundgesetzes. Wir müssen stattdessen wieder viel mehr über Inhalte reden. Was wir brauchen, ist noch mehr Absprache, noch mehr Koordination zwischen den Ländern. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, eines muss ich Ihnen schon sagen: Unser Bildungssystem und unsere Lehrer sind nicht so schlecht, wie Sie es in Ihrem Antrag formuliert haben. ({2}) Dass wir in Deutschland die Wirtschaftskrise in den letzten Jahren so erfolgreich gemanagt haben, ist maßgeblich der Qualität des deutschen Bildungssystems zu verdanken. Wir haben es oft gehört - aber man kann es nicht oft genug hören -: Wir haben die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in der ganzen EU. Noch nie wurde in Deutschland so viel in Bildung investiert wie in den letzten Jahren. Für uns von der CDU/CSUFraktion haben Bildung und Forschung auch weiterhin höchste Priorität. Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag zusätzlich 9 Milliarden Euro für Bildung vorgesehen. Wir werden in dieser Wahlperiode die Ganztagsschule stärken, die digitale Bildung ausbauen, die Inklusion voranbringen und die Durchlässigkeit des Schulsystems stärken. ({3}) Wir werden, Herr Schulz, auch weiterhin die Länder bei deren Bildungsaufgaben unterstützen. Aber wir möchten gerne mitreden, wenn es darum geht, wohin die Mittel fließen. In Rheinland-Pfalz, wo ich herkomme, fließen sie nämlich zum Beispiel in den Nürburgring; dann bezahlt man den damit. ({4}) Wir wollen wissen, wofür wir unser Geld ausgeben. ({5}) Was wir vor allem brauchen, ist die bundesweite Vergleichbarkeit von Schulabschlüssen. Dazu müssen die Länder ihre Lehrpläne besser miteinander abstimmen. Es muss möglich sein - da gebe ich Ihnen recht -, dass Eltern und Kinder problemlos in ein anderes Bundesland wechseln. Das muss übrigens auch für Referendare und Lehrer gelten. ({6}) Der Bund hat viel Geld auch in Bildungsforschung investiert. Schulvergleichsstudien bestätigen große Leistungsunterschiede zwischen den Ländern. Aber das liegt nicht allein am fehlenden Geld des Bundes, wie so oft behauptet wird, sondern vor allem an der fehlenden politischen Kraft und am fehlenden Willen mancher Bundesländer, die richtigen Prioritäten zu setzen. Ein Vergleich macht dies besonders deutlich: 2011 wendete Thüringen für Bildung 8 500 Euro pro Kopf auf, NRW lediglich 5 600 Euro. Da hilft auch keine Grundgesetzänderung. Die Linken fordern in ihrem Antrag, dass die Länder ihre Bildungshoheit aufgeben. Das passt natürlich sehr gut in ihre Ideologie. Sie fordern wieder einmal den Zentralstaat. ({7}) Wir wollen Vielfalt und Subsidiarität. ({8}) Bei Gründung der Bundesrepublik hat man sich bewusst für eine dezentrale Organisation des Bildungswesens entschieden. Die Föderalismuskommission hat dies erneut bestätigt. Die Länder haben dieses gewollt. Sie befinden sich jetzt in der Pflicht, endlich ihre Hausaufgaben zu machen. Meine Damen und Herren, aus vielen Jahren Erfahrung als Lehrer und auch als Vater zweier schulpflichtiger Kinder weiß ich, dass Schule einen ganz entscheidenden Bildungsauftrag hat, nämlich den Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, sich zu eigenständigen und selbstverantwortlichen Bürgern mit eigener Identität zu entwickeln. Die deutsche Geschichte zeigt, dass Zen2056 tralismus in der Bildung oft mit Gleichschaltung und ideologischer Umerziehung verbunden war. Ziel Ihrer Vorgängerpartei war es nie, den selbstverantwortlichen Bürger zu eigener Identität zu erziehen. ({9}) Wir begrüßen den föderalistischen Aufbau. Gute Bildung ist eine Grundlage für mehr Teilhabe, Integration und Chancengerechtigkeit. Gute Bildung ist der Schlüssel für sozialen Aufstieg. Gute Bildung ist die Grundvoraussetzung für Wohlstand, Wachstum und Fortschritt in unserem Land sowie den Erfolg Deutschlands im internationalen Wettbewerb. Bildung wird nicht besser durch die Aufhebung des Kooperationsverbots, ({10}) sondern eher durch Wettbewerb um den besten Weg. ({11}) Gute Bildung ist nicht allein Aufgabe des Staates, sondern der gesamten Gesellschaft. Unterstützen wir unsere Familien und die Eltern dabei! Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten Jahren die richtigen Prioritäten gesetzt. Wir werden diese erfolgreiche Bildungspolitik auch in der neuen Koalition gern fortsetzen. ({12})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Lieber Herr Kollege Jung, ich gratuliere im Namen des Präsidiums recht herzlich zu Ihrer ersten Rede. Auf gute parlamentarische Zusammenarbeit! ({0}) Ich schließe hiermit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/588 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({1}) Nr. 1215/2012 sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften Drucksache 18/823 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Friedrich Ostendorff, Claudia Roth ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Weltagrarbericht jetzt unterzeichnen Drucksache 18/979 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({3}) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 f auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 23 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Aufhebung des Beschlusses 2007/124/EG, Euratom des Rates Drucksache 18/824 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({4}) Drucksache 18/992 Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/992, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/824 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf von allen Fraktionen des Hauses bei Enthaltung der Fraktion der Linken so angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke in dritter Lesung so angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 23 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5}) Sammelübersicht 28 zu Petitionen Drucksache 18/858 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei einer Enthaltung ist die Sammelübersicht 28 angenommen. Tagesordnungspunkt 23 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6}) Sammelübersicht 29 zu Petitionen Drucksache 18/859 Vizepräsident Peter Hintze Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltungen bei der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist die Sammelübersicht 29 angenommen. Tagesordnungspunkt 23 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 30 zu Petitionen Drucksache 18/860 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 30 einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 23 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8}) Sammelübersicht 31 zu Petitionen Drucksache 18/861 Hierzu liegen Erklärungen nach § 31 Abs. 1 der Ge- schäftsordnung des Bundestages vor.1) Wer stimmt für die Sammelübersicht 31? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und ohne Enthaltung ist die Sammelübersicht 31 mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 23 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9}) Sammelübersicht 32 zu Petitionen Drucksache 18/862 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 32 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({10}) zu dem Antrag der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungsmission EUTM Somalia auf Grundlage des Ersuchens der somalischen Regierung mit Schreiben vom 27. November 2012 und 11. Januar 2013 sowie der Beschlüsse des Rates der Europäischen Union 2010/96/GASP vom 15. Februar 2010 und 2013/44/GASP vom 22. Januar 2013 in Verbindung mit der Resolution 1872 ({11}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Drucksachen 18/857, 18/994 1) Anlage 2 - Bericht des Haushaltsausschusses ({12}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/995 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich gebe als erster Rednerin Dagmar Freitag, SPDFraktion, das Wort. ({13})

Dagmar Freitag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002655, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Afrika steht, wir wissen es, im Fokus internationaler und nationaler Beratungen. Zurzeit läuft noch der zweitägige EU-Afrika-Gipfel, der unter dem Motto „In Menschen, Wohlstand und Frieden investieren“ steht. Rund 80 Nationen beraten in Brüssel über das zukünftige Profil der Zusammenarbeit. Einen entsprechenden Antrag der Koalitionsfraktionen zu diesem Gipfel hat dieses Haus bereits am 21. März dieses Jahres beschlossen. Darin haben wir deutlich zum Ausdruck gebracht: Wir dürfen Afrika nicht nur als Krisenherd wahrnehmen, sondern vor allem auch als einen Nachbarkontinent mit großen Chancen und Potenzialen. ({0}) Auf dieser Basis muss das Afrika-Konzept der Bundesregierung von 2011 weiterentwickelt werden. Ziel ist, dass sich die Partner Europäische Union und Afrika in einer Partnerschaft auf Augenhöhe - darauf liegt die Betonung - verstehen. Sicherheitspolitische Fragen werden bei diesem Gipfel natürlich eine entscheidende Rolle spielen. Frieden und die Schaffung eines sicheren Umfeldes sind unabdingbare Voraussetzungen für die weitere Entwicklung und für Wohlstand, aber auch - das möchte ich ausdrücklich ergänzen - für die Durchführung ordnungsgemäßer Wahlen, die 2016 stattfinden sollen. Ziel muss sein, die Stabilität in Afrika zu verbessern; denn insbesondere fragile Staaten Nordafrikas und der Sahelzone sind nach wie vor geprägt durch gewalttätige Konflikte mit verheerenden Folgen für die Bevölkerung, die, wir wissen es, unter Armut, Gewalt und Unterdrückung leidet. Hier müssen deutliche Akzente in den Bereichen Frieden, Sicherheit, zivilgesellschaftliche Organisation, Klima, Energie, Wirtschaftsentwicklung gesetzt werden. Ziel all dessen ist die Stärkung der unverzichtbaren Eigenverantwortlichkeit vor Ort. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Zentrum der heutigen Debatte steht das von einem langen und quälenden Bürgerkrieg geprägte Somalia im Kontext mit dem von der Bundesregierung vorgelegten Antrag. Es ist unstrittig: Die Lage in Somalia ist nach wie vor fragil. Mit Blick auf die kommenden Jahre ist die ganz entscheidende Frage - ich denke, da sind wir uns einig -: Gelingt die Entwicklung dieses Landes, oder wird Somalia als sogenannter Failed State enden und damit die gesamte Region des Horns von Afrika und darüber hinaus bedrohen? Die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft für den Friedens- und Stabilisierungsprozess ist und bleibt notwendig. Wir wissen, mittlerweile gibt es 3 600 somalische Soldaten, die bis Ende 2013 von der Europäischen Union ausgebildet wurden. Diese sollen die Truppen der African Union Mission in Somalia, AMISOM, vor allem im Kampf gegen die radikal islamistische al-Schabab unterstützen. Wir wissen natürlich auch um die Schwierigkeit dieser Aufgabe. Aber nach allem, was wir wissen, haben wir erstmals die Situation, dass zumindest große Städte von AMISOM kontrolliert werden. Wir verzeichnen eine durchaus positive Entwicklung im Norden des Landes. Wir wissen um die Probleme in Zentral- und Südsomalia. Somalia benötigt vor allem Hilfen beim Aufbau von Sicherheits- und Verwaltungsstrukturen auf zentraler, aber auch - das will ich ausdrücklich erwähnen - auf regionaler Ebene und natürlich bei der Etablierung von völkerrechtlichen und menschenrechtlichen Standards. Nur so - ich hoffe, da sind wir uns einig - kann ein belastbarer Stabilisierungsprozess vorangetrieben werden. Die EU spielt in diesem Prozess nach wie vor eine entscheidende Rolle. Deutschland handelt dabei im Verbund mit der EU gemäß der Leitlinie „Strategischer Rahmen für das Horn von Afrika“, die im November 2011 beschlossen worden ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beraten heute abschließend über die Beteiligung Deutschlands an der EU-geführten Ausbildungsmission EUTM Somalia. Bis zu 20 Soldatinnen und Soldaten sollen befristet bis zum 31. März 2015 eingesetzt werden. Im Mittelpunkt werden stehen die Ausbildung der somalischen Streitkräfte sowie - um diesen Auftrag soll der Einsatz erweitert werden - strategische Beratungen des somalischen Generalstabs und des Verteidigungsministeriums, was als besonders wichtig erachtet wird. Dieser Einsatz - ich denke, der Hinweis ist noch einmal wichtig - beinhaltet jedoch ausdrücklich keinen Auftrag zur Teilnahme an Kampfhandlungen und keine direkte Unterstützung militärischer Operationen der multinationalen Friedensmission der Afrikanischen Union. Neu ist auch die Verlagerung der Mission von Uganda direkt nach Mogadischu. Dort sollen in einem streng geschützten Bereich des Flughafens, der nach vorliegenden Informationen und Einschätzungen auch anderer Nationen als weitgehend sicher gilt, unsere Soldaten stationiert werden. Ich glaube, die Verlagerung nach Mogadischu ist sinnvoll. Somalische Probleme müssen im Land selbst gelöst werden und nicht in Kampala. Dieses Mandat mit einer festgelegten Obergrenze von - ich habe es bereits erwähnt - maximal 20 deutschen Soldatinnen und Soldaten ist ein vergleichsweise kleines Mandat. Es ist ein Baustein im Kontext unterschiedlicher Maßnahmen und Hilfen für die somalische Bevölkerung. Wir halten die Beteiligung an diesem Mandat für vertretbar und bitten herzlich um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. ({1})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächster erteile ich das Wort der Kollegin Sevim Dağdelen, Fraktion Die Linke. ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute soll es wieder um die Zustimmung zu einem Auslandseinsatz der Bundeswehr gehen. Mittlerweile vergeht kaum noch eine Woche, in der nicht ein oder zwei Bundeswehreinsätze hier beschlossen werden sollen. ({0}) Es gibt kaum ein Problem auf dieser Erde, auf das die Große Koalition nicht mit Bundeswehrsoldaten antworten möchte. Zu diesem abenteuerlichen Kurs der Inflationierung der Auslandseinsätze der Bundeswehr sagt die Linke wie eine übergroße Mehrheit der Bevölkerung klar und deutlich Nein. ({1}) Nach Jahren in Uganda wollen Sie Ihre Militärausbilder im Rahmen der Mission EUTM Somalia jetzt nach Somalia schicken. Ich frage Sie: Wie sieht denn eigentlich Ihre bisherige Bilanz der militärischen Ausbildung somalischer Milizen in Uganda aus? Nicht von der Hand zu weisen ist: Sie haben auch Kindersoldaten mit ausgebildet. ({2}) Sie haben Leute ausgebildet, denen schlimmste Menschenrechtsverbrechen vorgeworfen werden. ({3}) Und Sie haben Leute ausgebildet, von denen laut Somalia Monitoring Group der Vereinten Nationen in der Vergangenheit 80 Prozent mitsamt ihrer Ausrüstung desertiert sind; einige von ihnen sind gar auf die andere Seite übergelaufen. Laut dem Sanktionsausschuss des UN-Sicherheitsrates liefert selbst die Regierung, die Sie hier unterstützen, Waffen an die Extremisten. Die Regierungsarmee sei - ich zitiere - „die wichtigste Waffenquelle für die Islamisten“ in Somalia. Bei solch einer furchterregenden Bilanz muss hier doch eigentlich ein deutliches Stoppzeichen gesetzt werden. ({4}) Weil wir uns nicht mitschuldig machen wollen an diesen Menschenrechtsverletzungen, sagen wir Nein zu diesem Einsatz. ({5}) Sie verkünden hier erfundene Erfolgsmeldungen. Dazu gehört, dass Sie es als Sieg verkaufen, dass die Ausbildung jetzt nicht mehr in Uganda, sondern auf somalischem Boden stattfindet. ({6}) Ich frage Sie: Ist es wirklich ein Erfolg, dass sich diese Ausbildungsmission jetzt im Hochsicherheitstrakt des Flughafens von Mogadischu verschanzt? Ist es ein Erfolg, dass sich der somalische Bürgerkrieg immer weiter internationalisiert? Ist es ein Erfolg, dass Kenia infolgedessen aktuell beschlossen hat, alle Somalis in Lagern zu internieren, weil diese als gefährlich gelten? Oder ist es für Sie ein Erfolg, wenn von deutschem Boden aus gezielte Tötungen mit Drohnenangriffen in Somalia stattfinden? Ich finde es jedenfalls ungeheuerlich, dass Sie gegen diese Morde, die vom US-Hauptquartier in Stuttgart aus begangen werden, nichts unternehmen. Auch deshalb ist Deutschland natürlich Partei in diesem dreckigen, schlimmen somalischen Bürgerkrieg. ({7}) Ich frage Sie vor diesem Hintergrund: Ist das Ihre wertegeleitete Außenpolitik, von der Sie immer reden? Um welche Werte handelt es sich hier eigentlich? ({8}) Die Linke jedenfalls lehnt diese Drohnenmorde in Somalia ab. ({9}) Ich frage Sie auch, ob Sie sich jemals überlegt haben, wen Sie dort in Somalia eigentlich unterstützen. Angesichts der Leute, die Sie dort unterstützen, will ich Ihnen einmal positiv unterstellen, dass Sie sich wahrscheinlich noch nie damit beschäftigt haben. ({10}) Der sogenannten Regierung in Somalia, die Sie mit Ihrer Ausbildungsmission unterstützen, werden schlimmste Menschenrechtsverbrechen vorgeworfen. Ihre sogenannten Gerichte verhängen die Todesstrafe, ihre Politik steht für Repression, für Gewalt und für Korruption. Ich frage Sie: Haben Sie sich jemals mit der Verfassung dieser Regierung auseinandergesetzt? Ich meine hier nicht die ultrareaktionäre Ausrichtung mit einem kompletten Abtreibungsverbot und der Verfolgung sexueller Minderheiten, sondern ich meine hier die Verfassungsbestimmungen, die ganz am Anfang dieser Verfassung stehen. Sie legen fest, dass die Scharia über allen anderen Gesetzen steht. ({11}) Eine ganz enge reaktionäre Auslegung des Islam ist in der Verfassung dieser Regierung, die Sie mit dieser Ausbildungsmission unterstützen, als Staatsreligion festgesetzt. ({12}) - Ja, das ist so. Sie können doch nicht einfach die Augen vor der Realität verschließen. ({13}) Das heißt, dass viele Menschen gar keine Religionsfreiheit haben. Hindus, aber auch konfessionslose Christen, Sufis und Schiiten: Sie alle sind der praktischen Verfolgung ausgeliefert. Solch eine autoritär-islamistische Regierung unterstützen Sie mit der Bundeswehr. Wie wollen Sie der Bevölkerung diesen Einsatz eigentlich erklären? Wollen Sie sagen, dass Sie gerne Steuergelder ausgeben, um Menschenrechtsverletzer oder islamistische Autokraten zu unterstützen? Die Linke lehnt Ihre Bundeswehreinsätze zur Unterstützung solcher Art von autoritären Regimen jedenfalls ab. ({14}) Wir finden, es braucht endlich eine politische Lösung, eine Verhandlungslösung in Somalia und nicht ein weiteres Anheizen dieses Bürgerkrieges mit deutscher Hilfe durch die deutsche Bundeswehr. ({15})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Philipp Mißfelder, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Frau Dağdelen, normalerweise ist es so, dass diejenige, die für Ihre Fraktion am häufigsten Verschwörungstheorien vorträgt, Frau Buchholz ist. ({0}) Aber ich muss sagen: Sie haben sie heute wirklich getoppt, und zwar im negativen Sinne. ({1}) Ich finde wirklich, dass Sie es einfach sein lassen sollten, hier solche Konstrukte vorzutragen. ({2}) Ich sage jetzt etwas zum Mandat. Zum Mandat gehört, dass wir unser Vorgehen gut überlegt haben und dass wir das auch lange diskutiert haben. ({3}) Frau Freitag hat es vorhin angesprochen: Die Sicherheit unserer eigenen Soldaten steht für uns natürlich an erster Stelle. Bei jedem Mandat, das wir hier beschließen, muss angesichts der Sicherheitsrisiken zwischen der Sicherheit unserer Soldaten und dem Nutzen des Mandats abgewogen werden. So sind wir auch bei der schwierigen Frage in diesem Fall der Meinung, dass es trotz der geringen Zahl der Soldaten richtig ist, gemäß dieser Abwägung zu sagen: Wir können das verantworten. Sie haben eben in Ihrem Wortbeitrag ausgeführt, dass die Soldaten im Sicherheitstrakt des Flughafens von Mogadischu arbeiten. Das geschieht nicht ohne Grund. Wir wissen nämlich, dass Somalia ein gefährlicher Ort ist. Weil Somalia in Zukunft aber Sicherheitsstrukturen braucht, sind wir der Meinung, dass wir die Ertüchtigungsstrategie weiter fortführen müssen, sodass somalische Autoritäten selbst in die Lage versetzt werden, in Zukunft die Sicherheit in ihrem Land zu garantieren. Deshalb bilden wir an dieser Stelle aus und beraten strategisch. Dass Sie hier direkt Waffenlieferungen unterstellen, muss ich an dieser Stelle zurückweisen. Mir sind die von Ihnen angesprochenen UNO-Dokumente bekannt. Auch wir sehen die Entwicklung im Land mit Sorge. ({4}) Aber gerade deshalb wollen wir uns in Somalia engagieren, damit die Situation in diesem Land besser wird. ({5}) Ich sage es einmal anders: Jede finanzielle Hilfe, die wir im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit gewähren, jede politische Initiative, die wir mit Blick auf Somalia in der Vergangenheit gestartet haben und auch in Zukunft starten wollen, bringt nur dann etwas, wenn in diesem Failed State überhaupt wieder Sicherheitsstrukturen entstehen. Wir stehen natürlich vor der Situation, abwägen zu müssen: Wollen wir als Ausländer die Sicherheit im Land garantieren oder alternativ Autoritäten vor Ort in die Lage versetzen, in Zukunft selbst die Sicherheit zu gewährleisten? Ich halte die zweite Variante in der Abwägung für die vertretbarere, sonst müssten wir dort dauerhaft militärisch stark und robust präsent sein. ({6}) Vor diesem Hintergrund kann man dieses Mandat gut vertreten. Wir haben es auch über Wochen und Monate diskutiert. Uns ist das nicht leichtgefallen. Früher gab es die Ausbildungsmission in Uganda. Ich würde Ihnen nicht darin zustimmen, dass diese Mission per se nicht erfolgreich war, sondern ich würde ganz im Gegenteil sagen, dass sich auch dort Deutschland verantwortungsbewusst und erfolgreich beteiligt hat. ({7}) Das wollen wir fortsetzen. Ich glaube, dass insbesondere vor diesem Hintergrund die Ertüchtigungsstrategie, die für Afrika insgesamt in den Mittelpunkt unserer außenpolitischen Schwerpunktsetzung gerückt ist, ein Baustein sein kann. Das ist aber nur ein Baustein. Daran werden wir weiterhin arbeiten. Es ist auch in unserer Fraktion ausführlich diskutiert worden: Inwiefern wollen und können wir in Afrika mit militärischen Maßnahmen erfolgreich sein? Ich glaube, dass das immer der geringere Beitrag von uns bleiben sollte. Wir sind der festen Überzeugung, dass das, was wir politisch und auch im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit leisten können, viel wichtiger ist. Aber all das kann nur in einem Sicherheitsrahmen geschehen. Diese Sicherheit muss eben auch ermöglicht werden. Deshalb gibt es an dieser Stelle eine militärische Komponente - zugegebenermaßen in einem sehr kleinen Umfang. Angesichts dieses Umgangs ist Ihre Empörung in Wahrheit ja nur gespielt; auch das muss man dazusagen. Sie haben sich ja richtig angestrengt. ({8}) Wir wollen, dass für die Menschen in Somalia eine bessere Zukunft möglich ist. Ich sage es noch einmal: Wir wollen, dass dies innerhalb staatlicher Strukturen möglich ist, von denen wir noch weit entfernt sind. Dort trifft man zurzeit auf Stammesstrukturen und zum Teil auch sehr unübersichtliche Strukturen. Wir haben versucht, sie zu analysieren. Wir werden versuchen, diesem Zustand politisch eine Konzeption entgegenzusetzen. Das ist allerdings sehr schwierig. Natürlich kann keiner von diesem Pult aus eine Garantie dafür abgeben, dass sich das Blatt nicht wendet, dass sich Situationen ändern und sich Frontverläufe verschieben. Nichtsdestotrotz müssen wir uns vor diesem Hintergrund immer überlegen: Schauen wir weg oder sind wir aktiv? Hier sage ich ganz deutlich: Es ist besser, in diesem begrenzten Umfang aktiv zu sein, als sich nicht um die Zukunft Somalias zu scheren. Deshalb setzte ich mich für dieses Mandat ein. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({9})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächster erteile ich der Kollegin Agnieszka Brugger, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zahlen sind erschreckend: 860 000 Somalierinnen und Somalier sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Über 2 Millionen befinden sich auf der Flucht. Nach über 20 Jahren Bürgerkrieg sehnen sich die Menschen nach Stabilität und Sicherheit, nach Frieden und Freiheit. Trotz einiger Bemühungen der internationalen Gemeinschaft ist dieses Ziel noch lange nicht erreicht. Bis heute fehlt eine schlüssige Gesamtstrategie für die Lösung dieses Konfliktes. Wir Grüne werden das Mandat der Bundesregierung für eine Beteiligung an der europäischen Mission zur Ausbildung somalischer Streitkräfte ablehnen, und zwar nicht, weil wir finden, dass man in Somalia angesichts der wirklich sehr, sehr schwierigen Lage nichts tun sollte, sondern weil wir bezweifeln, dass Sie hier den richtigen Ansatz verfolgen. ({0}) In ihren Reden bei der Mandatseinbringung in der letzten Sitzungswoche sind Verteidigungsministerin von der Leyen und Staatsminister Roth kaum auf die Lage vor Ort eingegangen. Schöne Schlagworte wie „Rahmenstrategie“, „vernetzte Sicherheit“ oder „politische Konsolidierung“ sind gefallen. Aber erläutern Sie bitte einmal, was das ganz konkret für den Konflikt in Somalia bedeutet! Denn die Ausbildungsmission für die somalischen Streitkräfte kann nur einen langfristigen Beitrag zur Konfliktlösung leisten, wenn sie in eine kohärente Gesamtstrategie eingebettet ist. ({1}) Das bisherige Engagement der internationalen Gemeinschaft, der EU und insbesondere auch der Afrikanischen Union genügt diesem Anspruch nicht. Aber um das zu erkennen, muss man genauer hinsehen. Mir scheint, das will die Bundesregierung nicht. In den vergangenen Jahren sind die internationalen Versuche, zentrale Strukturen in Somalia zu etablieren, vorsichtig gesagt, wenig erfolgreich gewesen. Gerade im Sinne der notleidenden Zivilbevölkerung muss eine vernünftige dezentrale Machtbalance zwischen der Zentralregierung in Mogadischu und den Regionen, gerade auch den Regierungen von Somaliland und Puntland, gefunden werden. Meine Damen und Herren, das internationale Engagement findet außerdem in einem Umfeld statt, in dem die USA mit Drohnenangriffen völkerrechtswidrige gezielte Tötungen von Aufständischen in Somalia verüben. Dabei kommt es immer wieder zu zivilen Opfern, unter denen sogar Kinder sind. Es gibt belastbare Hinweise, dass über U.S. AFRICOM in Stuttgart und die Air Base in Ramstein eine Beteiligung an der Planung und Ausführung dieser Angriffe von deutschem Staatsgebiet aus erfolgt. Die Bundesregierung verweigert hierzu jegliche Aufklärung und jegliche Auskunft. Auch hier wollen Sie nicht wirklich hinschauen. Hören Sie endlich auf, die Augen vor diesem Völkerrechtsbruch zu verschließen, und setzen Sie sich für ein Ende dieser Drohnenangriffe ein! ({2}) Diese gezielten Tötungen erweisen sich zudem als höchst kontraproduktiv, da sie aufseiten der Aufständischen Radikalisierung und Rekrutierung massiv befördern. Vielmehr sollte - auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Afghanistan - eines klar sein: Militärisch ist der Konflikt in Somalia nicht zu lösen. Damit der Frieden in Somalia eine Chance hat, muss - so schwierig das auch ist - mit allen Gewaltakteuren, auch mit den moderaten al-Schabab-Mitgliedern, verhandelt werden, damit das Kämpfen endlich ein Ende findet. ({3}) Meine Damen und Herren, mit einem neuen Mandat hat die Bundesregierung nicht nur die Möglichkeit, sondern aus grüner Sicht auch die Verantwortung, das bisherige Engagement zu überprüfen, zu hinterfragen und gegebenenfalls neu zu justieren. Wenn wir Grüne genauer hinschauen, als Sie das offensichtlich tun, sehen wir deutlich: Die Ausbildung von rund 3 600 somalischen Kämpferinnen und Kämpfern bei der Vorgängermission in Uganda hat ziemlich viele Probleme zum Vorschein gebracht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Ausbildungsmission einfach als erfolgreich zu bezeichnen, das ist reine Schönrednerei! ({4}) Zum einen gibt es Hinweise, dass die somalischen Streitkräfte überwiegend Mitglieder aus einem Klan rekrutieren. In einem zerrissenen Land, in dem Identität und Loyalität vorwiegend über Klans definiert wird, schwächt das nicht nur den Rückhalt der Streitkräfte in der Bevölkerung, sondern es verstärkt auch die Rivalitäten zwischen verschiedenen Gruppen in Somalia. Zum anderen gibt es immer wieder Berichte darüber, dass große Teile der ausgebildeten Truppen auf dem Weg von Uganda nach Somalia zu den Milizen übergelaufen sind. Nachdem das UN-Waffenembargo gegen Somalia gelockert wurde, sind auch noch Waffen über staatliche Stellen in die Hände von Milizen und Aufständischen gelangt. Sie sehen, die Liste der Probleme ist lang. Aus Ihrem Mandat und auch aus Ihren Reden geht in keinster Weise hervor, wie Sie damit umgehen wollen, geschweige denn, dass Sie diese Probleme überhaupt zur Kenntnis nehmen. ({5}) Wir haben Ihnen in den letzten Wochen so viele Fragen gestellt, aber Sie agieren die ganze Zeit frei nach dem Motto: Ich sehe nicht, was ich nicht sehen will. - Das ist höchst verantwortungslos. ({6}) Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund können wir diesem oberflächlichen Mandat nicht zustimmen. Aber: Die Somalierinnen und Somalier haben unsere Unterstützung verdient. Deshalb fordern wir Sie auf: Reformieren Sie Ihre Somalia-Politik, und formulieren Sie statt Schaufensterreden endlich eine engagierte, schlüssige und überzeugende Gesamtstrategie zur Lösung dieses Konfliktes! Vielen Dank. ({7})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Thomas Hitschler, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Thomas Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004303, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht gelingt es mir, mit einem etwas anderen Ansatz in das Thema einzusteigen, als ich ihn bei dem einen oder anderen jetzt gehört habe. Möglicherweise erinnern Sie sich noch an die Fußballweltmeisterschaft 2010, an die bunten Bilder, an den Stolz der Menschen über die erste WM in Afrika, an die trötenden Vuvuzelas und an die Aufbruchstimmung auf dem gesamten Kontinent. Dieser Optimismus und die gute Stimmung wurden eingefangen von einem der erfolgreichsten Lieder dieser Zeit: Wavin’ Flag des Rappers K’naan. In der Originalversion hat dieses Stück wenig mit dem braunen Zuckerwasser zu tun, für dessen Werbung es während der WM eingesetzt wurde. Die Wavin’ Flag im Originaltext steht nicht für fahnenschwenkende feiernde Fußballfans, sondern für etwas viel Wichtigeres. Geboren und aufgewachsen ist K’naan in Mogadischu. Dessen Straßen bezeichnet er rückblickend als die schlimmsten im Universum. Sein Lied handelt von diesen Straßen. Es handelt von Hunger, es handelt von Armut, und es handelt von Krieg. An Aktualität hat dieser Song leider nichts eingebüßt. Somalia gilt vielen als Muster eines Failed State - das haben wir heute das eine oder das andere Mal schon gehört -, eines gescheiterten Staates, der seit 1991 ohne im gesamten Land anerkannte Regierung ist. Die Gefahr der Piraterie ist allen präsent. Die Al-Schabab-Milizen terrorisieren weite Teile des Landes. Ein staatliches Gewaltmonopol existiert kaum. Leidtragend ist vor allem die Bevölkerung. Wo es keine staatlichen Strukturen gibt, gibt es auch keinen Schutz der Menschenrechte, gibt es kaum soziale und kaum wirtschaftliche Entwicklung, können selbst Hunger und Durst nicht ausreichend gestillt werden. Eine tragfähige Sicherheitsstruktur ist Grundvoraussetzung für jeden Rechtsstaat, ein Rechtsstaat die Grundvoraussetzung für menschenwürdiges Leben. Um den Aufbau dieser Sicherheitsstrukturen geht es bei der EUTrainingsmission in Somalia. Seit 2010 wurden 3 600 somalische Soldatinnen und Soldaten - auch diese Zahl haben wir das eine oder andere Mal schon gehört - ausgebildet, ein Drittel der gesamten Armee Somalias. Dabei geht es nicht nur um die Vermittlung von militärischen Fähigkeiten, es geht auch um das Verständnis eines rechtsstaatlich eingebetteten und zivil kontrollierten Militärs, ein Verständnis, das bereits einem Drittel der somalischen Armee nähergebracht werden konnte, auch dank der europäischen Mission, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Sie haben recht, liebe Kollegin Brugger: Natürlich schließt das auch Rückschläge wie Fahnenflucht oder Ähnliches, was Sie aufgezählt haben, nicht aus. So etwas kommt in dieser Region immer wieder vor. Aber Fortschritt verläuft nicht linear, und der richtige Umgang mit Rückschlägen entscheidet darüber, ob sich eine Gesellschaft langfristig nach vorne entwickeln kann. ({1}) Einem Großteil der Armee ein solches Grundverständnis zu vermitteln, trägt einen wichtigen Teil zu dieser Befähigung bei. Die EU-Trainingsmission steht dabei nicht alleine da, sondern ist Teil eines ganzheitlichen Ansatzes. Es handelt sich um ein Konzept, das entwicklungspolitische, wirtschaftliche und militärische Aufbauarbeit zusammenbringt, ein Konzept, in dem internationale Partner gemeinsam dafür arbeiten, Somalia nach vorne zu bringen. Zu diesen Partnern gehören die Vereinten Nationen, die Afrikanische Union, die Europäische Union, die Nachbarstaaten und, ganz wichtig, die Menschen in Somalia selbst. Und es sind Erfolge erkennbar, auch wenn wir heute von vielen Misserfolgen gehört haben. Im Kleinen gibt es sogar Trendwenden. Die Piraterie konnte eingedämmt werden, die Al-Schabab-Milizen konnten aus Mogadischu zurückgedrängt werden. Es gibt sogar einen kleinen wirtschaftlichen Aufschwung. Um diesen Fortschritt zu sichern und auszubauen, sollten wir dem Antrag der Bundesregierung folgen und die EU-Trainingsmission, und zwar in Mogadischu, wieder aufnehmen. ({2}) Zwei Gründe dafür unterstreiche ich an dieser Stelle: Erstens sollten wir als EU geschlossen auftreten. Dies ist eine gemeinsame Mission, und daher ist es sinnvoll, wenn wir auch gemeinsam an einem Ort zusammenarbeiten. Zweitens ist dies für die Menschen in Somalia ein wichtiges Signal der Unterstützung, ein Signal, dass die internationalen Partner vor Ort Präsenz zeigen und sichtbar sind, dass wir sie nicht allein lassen. Ja, die Sicherheitslage ist angespannt und die Verlegung nicht ohne Risiko. Dieser Verantwortung sind wir uns bewusst. Aber Verbesserungen sind sichtbar. Unsere Partner und unsere eigenen Fachleute kommen zu dem Schluss, dass dieser Schritt politisch und militärisch vertretbar ist. Wir treffen diese Entscheidung also nicht leichtfertig, wie ich es heute das eine oder andere Mal gehört habe. Als Parlament fordern wir ganz klar, dass der Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz gewährleistet ist. Im Song von K’naan heißt es: Wenn ich älter bin, werde ich stärker sein. Sie werden mich Freiheit nennen, so wie eine wehende Fahne. Die Waving Flag ist ein Symbol der Hoffnung in einem Land, das dringend Hoffnung braucht. Unsere Entscheidung, die EU-Trainingsmission zurück nach Somalia zu holen, ist ebenfalls ein Symbol der Hoffnung. Darum bitte ich Sie: Geben wir den Menschen in Somalia diese Hoffnung! Unser Beitrag wird gebraucht. Stimmen Sie daher diesem Mandat zu! Vielen Dank. ({3})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen Klaus Brähmig, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Klaus Brähmig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000240, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die einzige und ehrlichste Hilfe ist die Hilfe zur Selbsthilfe.“ Das sagte einmal der Schweizer Alfred Selacher. Persönlich kann ich dieser Aussage nur zustimmen. Wir wollen mit der heutigen Mandatierung die afrikanischen Länder grundsätzlich und Somalia im Speziellen ertüchtigen, sich selbst zu helfen. Dazu benötigen wir einen vernetzten Ansatz aus militärischer, diplomatischer, ziviler und wirtschaftlicher Unterstützung. In diesem Fall beraten wir Militärs vor Ort und bilden sie aus. Insofern ist es meines Erachtens richtig und wichtig, dass wir diese multinationale Mission der Bundeswehr in und für Somalia fortführen. Wir wissen, dass sich die Bundeswehr noch vor einigen Monaten aus der Ausbildung von somalischen Soldaten zurückziehen wollte. Der Grund war, dass die Ausbildung von Uganda nach Somalia verlegt werden sollte. Damals sind die Verantwortlichen zu der Entscheidung gekommen, dass die Situation zu gefährlich werden könnte. Aber in den letzten Monaten hat sich die Sicherheitslage stabilisiert. Die Bundesregierung kommt gemeinsam mit unseren EU-Partnern zu einer Neubewertung der militärischen Lage vor Ort. Deshalb soll die Mission an den Flughafen der somalischen Hauptstadt Mogadischu verlagert werden. ({0}) Insofern kann ich die Bedenken einiger Kollegen gegen diesen Einsatz vielleicht nachvollziehen. Aber glauben Sie mir: Weder die militärische Führung noch wir als Abgeordnete würden deutsche Soldaten einem unkalkulierbaren Sicherheitsrisiko aussetzen. Richtig ist: Somalia gilt nunmehr seit über 20 Jahren als ein sogenannter gescheiterter Staat. Die prekäre humanitäre und menschenrechtliche Lage, Schmuggel, organisierte Kriminalität und die wachsenden Terroraktivitäten zwingen uns zum Handeln; denn die Lage bedroht die Stabilität der gesamten Region am Horn von Afrika. Die internationale Staatengemeinschaft kann es sich schlicht nicht leisten, Somalia lediglich als hoffnungslosen Fall abzustempeln. Gemeinsam mit der Afrikanischen Union gibt es ein breites Bündnis aus Staaten und Organisationen, das sich seit Jahren engagiert. Es gibt hier also keine nationalen Alleingänge. Mit unseren Partnern sind wir der Überzeugung, dass eine Unterstützung der lokalen Initiativen vor Ort nachhaltiger wirkt als der Versuch eines Staatsaufbaus von außen oder das Implementieren von fremden Entwicklungsmodellen. Diese Mission ist eingebettet unter dem Dach der Vereinten Nationen und wird gemeinsam von der Europäischen und der Afrikanischen Union getragen. Das Ziel ist meines Erachtens klar: Wir wollen die Sicherheit der Region wiederherstellen und staatliche Strukturen aufbauen. Schon heute können wir Erfolge im Kampf gegen Piraterie und bei der Sicherung weiterer Regionen auf dem Festland feststellen. Im Rahmen der EUTM-Ausbildungsmission, über die wir heute debattieren, wurden bis heute 3 600 Soldatinnen und Soldaten sowie rund 120 militärische Ausbilder ausgebildet. Diese setzen sich bereits jetzt für Stabilität, Sicherheit und den Schutz der Bevölkerung Somalias ein. Allerdings ist auch Realismus angezeigt. Eine nachhaltige Gesamtlösung für Somalia wird uns langfristig nur dann gelingen, wenn sich die wesentlichen politischen Akteure und die Mehrheit der somalischen Bevölkerung selbst auf ein Entwicklungsmodell verständigen und dieses auch umsetzen. Deshalb sind zusätzlich auch nichtmilitärische Schritte notwendig. Die gesellschaftliche Befriedung, die Verbesserung der Lebensbedingungen, der Aufbau einer Verwaltungsstruktur etc. sind unabdingbar. Insofern müsste auch dem Letzten hier im Hohen Hause klar werden, dass diese zivilen Strukturen nicht ohne Sicherheitsapparat aufgebaut werden können. Somalia braucht die Sicherheitsstrukturen, damit zivile Hilfe überhaupt möglich ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, genau hier setzt die Mission EUTM Somalia an. Deshalb sollten wir diese fortsetzen bzw. uns daran beteiligen. Angesichts der oben genannten Zustandsbeschreibung der Sicherheitslage und der mangelnden Staatsstrukturen ist dieser Einsatz nicht ungefährlich. Umgekehrt sehen wir und unsere Partner keine Chance auf einen nachhaltigen Frieden, wenn wir nicht den zivilen Neuaufbau mit dem Aufbau eines schlagkräftigen Sicherheitsapparates verbinden. ({1}) Sehr geehrte Damen und Herren, der geistige Vordenker der geplanten Weltrevolution Wladimir Iljitsch Lenin hat gesagt: „Pazifismus und abstrakte Friedenspredigt sind eine Form der Irreführung der Arbeiterklasse.“ Leider leiden einige Kollegen dieses Hauses an dieser Form der Irreführung. Meinen Dank richte ich an dieser Stelle natürlich besonders an die Soldatinnen und Soldaten, die vor Ort - auch in Mogadischu - in Zukunft agieren werden. Für mich sind diese Frauen und Männer Friedensstifter für Somalia. ({2}) Unsere Sicherheitskräfte leisten Hilfe für die leidgeprüften Menschen in Somalia. Von ihrem und unserem Erfolg hängt es ab, ob und inwieweit dieses Land nach Jahrzehnten des Bürgerkrieges Frieden erhalten wird. Deswegen stimme ich mit meiner Fraktion für dieses Mandat. ({3})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als letzter Rednerin in dieser Debatte erteile ich das Wort der Kollegin Julia Bartz, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Julia Bartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004249, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Fast auf den Tag genau vor 20 Jahren verließen unsere Soldaten der Gebirgsjägerbrigade 23 Somalia. Zuvor waren zwei Bundeswehrkontingente in Somalia im Einsatz, um im Rahmen des UN-Einsatzes UNOSOM humanitäre Hilfe zu leisten. Doch leider waren weder dieser Einsatz der Bundeswehr noch die deutsche Entwicklungshilfe in den 1970er- und 1980er-Jahren von nachhaltigem Erfolg für das somalische Volk geprägt. Somalia ist nach wie vor ein fragiler Staat. Es gibt keine funktionierenden staatlichen Strukturen. Das somalische Volk musste Flut- und Hungerkatastrophen, Dürre und Bürgerkrieg erleiden. Somalia ist nicht nur ein humanitäres Katastrophengebiet, sondern auch ein Rückzugsort für internationalen Terrorismus und Piraterie. An dieser Stelle scheiden sich jetzt die Geister. Einige sagen: Trotzdem - ich sage: genau deswegen - reden wir heute über eine Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungsmission EUTM Somalia. Die Ausbildungsmission EUTM Somalia ist ein wichtiger Baustein für die Sicherheit in Somalia. Die Mission ist eingebettet in eine breite Allianz, bestehend aus der Afrikanischen Union und vielen anderen Staaten und Organisationen, die sich allesamt seit Jahren in Somalia engagieren. Unser gemeinsames Ziel ist es, für Sicherheit in Somalia, vor allem auch im Seegebiet, zu sorgen, staatliche Strukturen wieder aufzubauen und das Land zu stabilisieren. ({0}) Im Vergleich zu 1994 greifen wir heute auf unsere Erfahrungen aus UNOSOM, KFOR, ISAF, EUTM Mali und vielen anderen Auslandseinsätzen zurück. Unser Engagement findet deshalb nicht nur in enger Abstimmung mit unseren afrikanischen Kooperationspartnern statt, sondern auch in einem vernetzten Ansatz. Diplomatie, Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung arbeiten gemeinsam an einer Verbesserung der Lage am Horn von Afrika. Es gibt bereits sichtbare Erfolge: Zum Beispiel beim Kampf gegen die Piraterie. Die Angriffe auf Handelsschiffe und Hilfstransporte sind deutlich zurückgegangen. Zweitens können wir den Erfolg der afrikanischen Friedensmission AMISOM betrachten, die bereits in einigen Regionen auf dem Festland in Somalia für Sicherheit gesorgt hat. Es ist uns drittens gelungen, innerhalb weniger Jahre - die Mission EUTM Somalia läuft ja erst seit 2010 3 600 somalische Soldatinnen und Soldaten auszubilden. Dieser beachtliche Umfang zeigt, wie effektiv diese Mission ist. Wir wollen an diese Erfolge anknüpfen und uns weiterhin an der Ausbildung beteiligen. Dabei legen wir jetzt vermehrt einen Schwerpunkt auf die Ausbildung der Ausbilder. Das Training findet nun nicht mehr wie bisher in Uganda, sondern in Mogadischu statt. Ja, die Sicherheitslage vor Ort in Mogadischu ist nach wie vor kritisch. Wir treffen aber Sicherheitsvorkehrungen, um unsere Soldatinnen und Soldaten zu schützen. Zum Beispiel findet der Transport vom Flughafen in das Ausbildungscamp Jazeera ausschließlich in gepanzerten Fahrzeugen statt. Dennoch bleibt auch dieser Einsatz mit einem Risiko verbunden. Aber es gibt wohl kaum einen Auslandseinsatz der Bundeswehr, der frei von Risiko ist. Ich betone noch einmal: Es handelt sich nicht um einen Kampfeinsatz, sondern um eine reine Ausbildungsmission, zu der wir zunächst 4 und maximal 20 Soldatinnen und Soldaten entsenden werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ausbildung somalischer Streitkräfte ist der Grundstein für eine langfristig angelegte Sicherheitsarchitektur in Somalia. Sie ist auch die Grundlage für eine nachhaltige Stabilisierung dieses geschundenen Landes. Ich lade Sie alle dazu ein, diesen Prozess zu begleiten, und bitte Sie um Ihre Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung. Vielen Dank. ({1})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 18/994 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungsmission EUTM Somalia. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/857 anzunehmen. Wir stimmen nun über die Beschlussemp- fehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzuneh- men. - Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die namentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Hat ein Mitglied des Hauses seine Stimme noch nicht abgegeben? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Auszählung vorzunehmen. Das Ergeb- nis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später be- kannt gegeben.1) Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/998. Wer stimmt für diesen Ent- schließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent- hält sich? - Der Entschließungsantrag ist von allen Frak- tionen mit Ausnahme der einbringenden Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 d auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0}) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Änderung der Geschäftsordnung zur beson- deren Anwendung der Minderheitenrechte in der 18. Wahlperiode Drucksachen 18/481, 18/997 b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Oppositionsrechte in der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages Drucksache 18/380 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({1}) Drucksache 18/997 c) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({2}) Drucksache 18/838 1) Ergebnis siehe Seite 2067 C Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({3}) Drucksache 18/997 d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({4}) zu dem Antrag der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zwecks Sicherung der Minderheitenrechte der Opposition im 18. Deutschen Bundestag Drucksachen 18/379, 18/997 Über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zum Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Grundgesetzes werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, sich bei dieser für das Parlament und die Öffentlichkeit wichtigen Frage entspannt auf Ihre Plätze zu setzen und den Rednern zu lauschen oder, wenn es gar nicht anders geht, das Plenum zu verlassen und die Gespräche draußen weiterzuführen. Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Bernhard Kaster, CDU/CSU-Fraktion. ({5})

Bernhard Kaster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003562, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einem Zitat aus dem Koalitionsvertrag beginnen - das ist immer eine gute Sache -: ({0}) Eine starke Demokratie braucht die Opposition im Parlament. CDU, CSU und SPD werden die Minderheitenrechte im Bundestag schützen. Auf Initiative der Koalitionspartner wird der Bundestag einen Beschluss fassen, der den Oppositionsfraktionen die Wahrnehmung von Minderheitenrechten ermöglicht sowie die Abgeordneten der Opposition bei der Redezeitverteilung angemessen berücksichtigt. So steht es im Koalitionsvertrag. ({1}) Ich denke, eine solche Stärkung der Oppositionsrechte in einem Koalitionsvertrag dürfte wohl weltweit einmalig sein. ({2}) Ein Wahlergebnis und auch eine Große Koalition machen es rechtlich, das heißt streng juristisch, nicht zwingend erforderlich, bestehendes Recht oder eine bestehende Geschäftsordnung zu ändern. Die Debatte, die wir führen, die wir auch führen wollen, ist eine Debatte über die politische Kultur und das Selbstverständnis der parlamentarischen Demokratie. Darum geht es. Unser im Koalitionsvertrag gegebenes Versprechen setzen wir heute um. Die Zustimmung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, für die wir nach diesen schwierigen Gesprächen dankbar sind, zeigt, dass das Ganze eine ausgewogene Regelung darstellt. Ich bedanke mich ausdrücklich bei allen, die an diesen verständlicherweise schwierigen, aber auch fairen Gesprächen teilgenommen haben. Allen Beteiligten dafür noch einmal ein herzliches Dankeschön! ({3}) Wir beschließen heute eine Sonderregelung in unserer Geschäftsordnung, und zwar nur für diese Legislaturperiode - und das bei einem Parlaments- und Geschäftsordnungsrecht, das ohnehin überdurchschnittlich von Minderheitenrechten geprägt ist, wie dies europa- und weltweit kaum so zu finden ist. Wir haben zahlreiche Rechte für einzelne Fraktionen, für einzelne Abgeordnete, seien es die Große oder die Kleine Anfrage, seien es die Aktuelle Stunde, die Regierungsbefragung, die Fragestunde etc. Wir haben auch Regeln, die gar nicht niedergeschrieben, sondern Tradition sind. Ich erinnere beispielsweise daran, dass der Vorsitz im Haushaltsausschuss traditionell der Opposition zugestanden wird. Uns geht es doch immer so, dass Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland, die bei uns sind, angesichts dieser Rechte, der ungeschriebenen und auch der geschriebenen, nur staunen und das immer wieder hinterfragen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der oberste Souverän sind die Wählerinnen und Wähler. Nach einem Wahlergebnis kann niemand Rechte einfordern - auch nicht die Linke -, die der Wähler einer Partei nicht gegeben hat. ({4}) Die Fraktion Die Linke beantragt heute nicht nur die Änderung von fünf verschiedenen Gesetzen, sondern schlägt zusätzlich sogar fünf - ich betone: fünf - Verfassungsänderungen vor. ({5}) Angesichts der Textvorschläge - vom Verfahren will ich jetzt gar nicht sprechen - bitte ich doch um ein wenig mehr Respekt vor unserer Verfassung. Eines muss auch klar sein: Unabhängig von Wahlergebnissen müssen wir als Parlament unser Handeln dem Recht anpassen und nicht das Recht dem Parlament. Das können wir nicht jedes Mal drehen, wie es gerade passt. ({6}) Wir beschließen heute eine Sonderregelung nur für diese Legislaturperiode, und zwar in unserer Geschäftsordnung. Über das Thema, dies in der Geschäftsordnung zu regeln oder dazu ein Gesetz zu beschließen, ist oft diskutiert worden. Man muss zugeben: Der Begriff „Geschäftsordnung“ klingt sprachlich immer ein wenig nach Vereinssatzung. Aber die Regeln der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages sind nicht mehr und nicht weniger als die Spielregeln der Demokratie in unserem Land. Diesen Stellenwert hat unsere Geschäftsordnung für unser Parlament. ({7}) Bezüglich der Geschäftsordnung gilt: Der formulierte Text ist das eine, die faire Anwendung das andere. Das gilt für die Regierungsfraktionen genauso wie für die Oppositionsfraktionen. In diesem Zusammenhang möchte ich nur anmerken und den Hinweis geben, dass wir bereits in der letzten Sitzungswoche einen Untersuchungsausschuss nach den Regeln eingesetzt haben, die wir erst heute beschließen werden. - So viel also zum fairen Umgang miteinander hier im deutschen Parlament. In der öffentlichen Debatte haben vor allem die Redezeiten eine große Rolle gespielt. Wir müssen dabei immer drei Gesichtspunkte betrachten: erstens das statusrechtliche Rederecht eines jeden einzelnen Abgeordneten, zweitens das Prinzip von Rede und Gegenrede und drittens die Fraktionsstärke. Das sind die drei Elemente, die eine Rolle spielen. Die Oppositionsparteien erzielten bei der Bundestagswahl ein Wahlergebnis von zusammen 17 Prozent; sie haben 20 Prozent der Sitze hier. Die jetzt vereinbarten Redezeiten der Opposition bewegen sich je nach Debattenlänge zwischen 25 und 32 Prozent. Wer sich bewusst macht, dass alle 631 Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus dieselben Rechte haben, dem wird auch klar: Noch mehr hätte man nicht entgegenkommen können. ({8}) Ein entscheidender Punkt war auch die Frage: Wie definieren wir die Minderheit? Wie wird das in der Geschäftsordnung formuliert? Wir haben uns geeinigt, dass wir die Geltendmachung von Minderheitenrechten nicht von der Unterstützung aller Kolleginnen und Kollegen der Oppositionsfraktionen, also von 100 Prozent ihrer Abgeordneten, abhängig machen wollen. Wir haben hier mit der Festlegung der Zahl von 120 Abgeordneten eine, wie ich denke, gute Regelung mit Augenmaß gefunden. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, jedes Minderheitenrecht ist immer auch eine Einschränkung der Mehrheit und des Mehrheitsprinzips. Insofern liegt es in unserer gemeinsamen Verantwortung, hier das richtige Maß zu finden. Genau das ist hier in verantwortlicher Weise gelungen, sodass jetzt auch für die Opposition gilt: Künftig gilt der Inhalt. Hinter Formalien braucht man sich jetzt nicht mehr zu verstecken; das ist geklärt. In diesem Sinne können wir, die Regierungsfraktionen und die Oppositionsfraktionen, jetzt gemeinschaftlich die Arbeit in diesem Hause mit den neuen Regeln gut fortsetzen. Vielen Dank. ({9})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank. - Ich gebe dem Haus das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 591. Mit Ja haben gestimmt 471, mit Nein haben gestimmt 118, zwei Kollegen haben sich enthalten. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 589; davon ja: 469 nein: 118 enthalten: 2 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({0}) Veronika Bellmann Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Alexandra Dinges-Dierig Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({1}) Axel E. Fischer ({2}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich ({3}) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({4}) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Anja Karliczek Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({5}) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller ({6}) Stefan Müller ({7}) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Vizepräsident Peter Hintze Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({8}) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer ({9}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Jana Schimke Norbert Schindler Heiko Schmelzle Gabriele Schmidt ({10}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({11}) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder ({12}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster ({13}) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({14}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({15}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg ({16}) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß ({17}) Sabine Weiss ({18}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Kai Whittaker Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({19}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Heinrich Zertik Emmi Zeulner Gudrun Zollner SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({20}) Burkhard Blienert Edelgard Bulmahn Dr. Lars Castellucci Petra Crone Sabine Dittmar Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier-Heite Dr. h. c. Gernot Erler Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Wolfgang Gunkel Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann ({21}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({22}) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christian Lange ({23}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir ({24}) Aydan Özoğuz Markus Paschke Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Andreas Rimkus Sönke Rix Dr. Martin Rosemann René Röspel Michael Roth ({25}) Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({26}) Dr. Nina Scheer Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({27}) Matthias Schmidt ({28}) Dagmar Schmidt ({29}) Carsten Schneider ({30}) Ursula Schulte Swen Schulz ({31}) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Gülistan Yüksel Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Vizepräsident Peter Hintze Nein SPD Dr. Ute Finckh-Krämer Petra Hinz ({32}) Cansel Kiziltepe Christian Petry Waltraud Wolff ({33}) DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Dr. Alexander S. Neu Petra Pau Harald Petzold ({34}) Martina Renner Kersten Steinke Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Hubertus Zdebel Pia Zimmermann ({35}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Volker Beck ({36}) Dr. Franziska Brantner Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Anja Hajduk Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn ({37}) Christian Kühn ({38}) Renate Künast Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({39}) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Dr. Julia Verlinden Beate Walter-Rosenheimer Enthalten SPD Marco Bülow Dr. Daniela De Ridder Als Nächster erteile ich das Wort in dieser Debatte Kollegin Dr. Petra Sitte, Fraktion Die Linke. ({40})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den Verhandlungen zu den Minderheitsrechten hier im Bundestag wurde der Opposition immer wieder vorgehalten, dass die Große Koalition ja nun nichts für ihre Wahlergebnisse könne. ({0}) Nebenbei bemerkt: Auch ich bin dieser Meinung. ({1}) - Ich rege mich gar nicht auf; Sie schreien. - Sie lassen uns nun wissen, dass diese Wahlergebnisse nicht durch erweiterte oder gar Sonderrechte der Opposition verfälscht werden dürften. Darum ist es uns in den Debatten aber überhaupt nicht gegangen. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Professor Mahrenholz hat da in unserer Expertenanhörung zu den vorliegenden Lösungsvorschlägen sehr klar unterschieden. Er meinte, die aus dem Wahlergebnis resultierenden Mehrheiten entfalteten erst in den Abstimmungen über Gesetzentwürfe und Anträge ihre Wirkung. Das stellt hier überhaupt niemand infrage. ({2}) Aber vor den Abstimmungen und unabhängig von ihnen haben wir noch eine ganze Reihe anderer wichtiger Aufgaben zu erfüllen. So sind wir als Opposition durch die Verfassung beauftragt, die Regierung zu kontrollieren ({3}) und politische Alternativen aufzuzeigen. Davon sollten sich Interessierte anhand von Rede und Gegenrede zwischen Opposition und Koalition, wie das gerade dargestellt worden ist, selbst ein Bild machen können. Dieses öffentliche Verhandeln, so wie es im Grundgesetz steht, versteht das Bundesverfassungsgericht als wesentliches Element der parlamentarischen Demokratie. Zugleich verweist das Gericht auf die herausgehobene Stellung der Opposition; es hat dies in Urteilsbegründungen mehrfach beschrieben. Darauf haben wir als Opposition, aber eben auch die Bürgerinnen und Bürger ein Recht. Deshalb haben wir, Bündnisgrüne und Linke, gemeinsam Vorschläge in den Bundestag eingebracht. Was ist den Linken besonders wichtig? Erstens. Wir wollen, dass die Regelungen in der Rechtssystematik sauber und rechtssicher gestaltet werden. Nun ist es aber so, dass die Geschäftsordnung gegenüber Gesetzen - und erst recht gegenüber dem Grundgesetz - nachrangiges Recht ist. Wenn Sie die Minderheitenrechte ausschließlich über die Geschäftsordnung, wie Sie das beschrieben haben, anpassen, ({4}) dann wählen Sie den unsauberen Weg. Wir erkennen selbstverständlich an, dass in Ihrem Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung eine ganze Reihe von Vorschlägen der Opposition aufgenommen worden sind. Aber was ich mich immer wieder frage, ist: Warum gehen Sie diesen Weg nicht konsequent zu Ende? Warum ändern Sie die Gesetze nicht? Warum stellen Sie nicht die Frage, dass die im Grundgesetz niedergelegten Quoren im Widerspruch dazu stehen? Zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses beispielsweise verlangt das Grundgesetz ganz klar die Zustimmung eines Viertels der Mitglieder des Bundestages. ({5}) - Lesen Sie es doch nach: ein Viertel der Mitglieder des Bundestages; das ist sonnenklar darin beschrieben. Wenn dieses Quorum nun gesenkt werden soll, dann muss über eine Änderung der einschlägigen Gesetze, insbesondere des Grundgesetzes, nachgedacht werden. In unserem Gesetzentwurf ist dies selbstverständlich enthalten. ({6}) Zweitens. Wir wollen unabdingbare Minderheitenrechte. Diese müssen verlässlich geregelt sein. Wir wollen von keinen Interpretationen oder pseudokreativen Auslegungen der Geschäftsordnung abhängig sein. Besonders heikel erscheint uns das mit Blick auf den Verteidigungsausschuss. Diesem werden im Grundgesetz die Rechte eines Untersuchungsausschusses zugestanden. Über das Minderheitenrecht kann ein Viertel der Mitglieder des Verteidigungsausschusses verlangen, dass dort eine Angelegenheit zum Gegenstand einer Untersuchung gemacht wird. Wir Oppositionsfraktionen stellen aber eben nicht ein Viertel, sondern nur 6 der 32 Ausschussmitglieder. Im Geschäftsordnungsantrag der Koalition steht nun, dass uns die Ausübung der Minderheitenrechte trotzdem ermöglicht werden soll. Ich frage aber: Wie soll das praktisch gehen? Bekanntermaßen ist der Verteidigungsausschuss ein sehr konfliktreicher Ausschuss. Sollen in Zukunft immer zwei Koalitionsabgeordnete - wer auch immer das jeweils sein mag - gezwungen werden, mit uns zu stimmen, um das notwendige Viertel zu erreichen? Was passiert eigentlich, wenn Sie keinen Ihrer Abgeordneten nötigen können, doch mit uns zu stimmen? Das ist das Problem, das wir dabei sehen. Drittens. Im Unterschied zu allen anderen Fraktionen ist uns Linken die Befugnis zur Normenkontrollklage wichtig. Das wundert mich, dass das nur uns wichtig zu sein scheint, weil es hier ganz konkret um Rechte der Betroffenen von in diesem Haus beschlossenen Gesetzen geht. Bei der Normenkontrollklage - für jene, die das noch nicht wissen - geht es darum, dass Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft werden. Wir sind uns natürlich im Klaren, dass man nicht jede Woche eine solche Normenkontrollklage anstreben kann - das haben wir auch nie vorgehabt - und dass das Vorgehen einer gewissen Sensibilität bedarf. Aber wir wollen uns nicht gänzlich dieses Recht nehmen lassen. Die Erfahrungen zeigen - so ist das in der Anhörung gesagt worden -, dass die eingereichten Normenkontrollklagen höchst berechtigt waren und dass zum Teil auch Verfassungswidrigkeit von Gesetzen festgestellt wurde. Die Normenkontrollklage kann nach Expertenmeinung nur durch eine Ergänzung des Grundgesetzes geregelt werden. Als Folge der Anhörung, die wir selber durchgeführt haben, haben wir einen Gesetzentwurf zur Änderung bzw. Ergänzung des Grundgesetzes eingebracht. Die Koalition lehnt eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes unter anderem deshalb ab, weil auch eine Verfassungsbeschwerde eingereicht werden könnte. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen doch ganz genau, dass dies nicht für Fraktionen gilt, sondern nur für diejenigen, die von einem Gesetz persönlich betroffenen sind. Diese müssen sich im Regelfall durch alle Instanzen der Gerichte klagen, bis die Sache dann nach vielen Jahren unter Umständen beim Bundesverfassungsgericht landet und sie recht oder eben auch nicht recht bekommen. Dieser Weg ist, was Umfang, Zeit und Kosten angeht, sehr aufwendig. Deshalb ist uns die Möglichkeit einer Normenkontrollklage so wichtig.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Sitte, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ströbele?

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Ströbele? - Ja, klar.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin, Sie haben gerade erklärt, dass man vor einer Verfassungsbeschwerde immer erst den Instanzenweg gegangen sein muss. Das ist grundsätzlich richtig. Haben Sie mitbekommen, dass, wenn Herr Gauweiler oder andere gegen europäische Regelungen Verfassungsbeschwerde eingelegt haben, das ohne den Instanzenweg gegangen ist? ({0}) Haben Sie mitbekommen, dass das Bundesverfassungsgericht bei solch zentralen Fragen relativ weitzügig entscheidet, Verfassungsbeschwerden zuzulassen, auch ohne dass man vorher als Betroffener dagegen etwa den Verwaltungsrechtsweg eingeschlagen hat? Als Zusatzfrage dazu. Sie haben vorhin gesagt, man müsse jetzt klären, ob das Grundgesetz hinsichtlich der Normenkontrollklage geändert werden kann. Würden Sie mir auch in diesem Punkt recht geben, dass die Normenkontrollklage, wenn sich eine solche Situation ergibt, durchaus von Fraktionen eingereicht werden kann? Dann müsste das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden, ob sie in diesem Ausnahmefall, wegen der Konstellation im Deutschen Bundestag, möglicherweise doch zulässig ist, entgegen dem Gesetzeswortlaut. Das wäre nicht viel anders, als wenn Sie jetzt mit Ihrem Wunsch zum Bundesverfassungsgericht gingen, das Recht auf Erhebung einer Normenkontrollklage von der Koalition zugebilligt zu bekommen.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich fange mit der zweiten Frage an. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, gehen Sie davon aus, dass wir, ohne einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht zu haben, beim Bundesverfassungsgericht hätten vorstellig werden können. Wir gehen nach der Rechtsberatung, die wir hatten, davon aus, dass es zumindest einmal im Bundestag eine Gelegenheit gegeben haben muss, über diesen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes zu sprechen. Deshalb gehen wir davon aus, dass das Verfassungsgericht zu uns sagen würde: Liebe Fraktion Die Linke, liebe Grüne - falls die Grünen mit dabei sind -, wenn Sie hier eine Normenkontrollklage anstrengen wollen oder - umgekehrt wenn Sie auf dem Wege einer Organklage nachweisen wollen, dass Ihre Rechte eingeschränkt wurden, dann müssen Sie wenigstens einmal im Bundestag darüber geredet haben. - Das ist unser Ausgangspunkt. Deshalb haben wir nach der Auswertung der Anhörung im Ausschuss gesagt: Wir bringen einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes ein. Selbstverständlich kann man keinem Verfassungsrechtler erklären, dass man, wenn man die Quoren bei der Normenkontrollklage ändert, nicht konsequenterweise auch die anderen Quoren ändert. Wir sind einfach nur den Weg zu Ende gegangen. Es obliegt Ihnen, ob Sie sich dem anschließen. Ich würde das begrüßen. Das ist die Antwort auf die zweite Frage. Helfen Sie mir bitte noch einmal: Was war Ihre erste Frage? ({0})

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

In der Frage ging es um den Instanzenweg, ob das auch direkt geht. Ich habe mich selber darüber gewundert, dass das geht.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Selbstverständlich ist mir das bewusst. Das ist, wenn ich mich recht erinnere, Art. 100 des Grundgesetzes. Ich habe hier aber nur acht Minuten Redezeit. Daher kann ich nicht jede Facette des Rechtsweges beschreiben. ({0}) Selbstverständlich - das ist völlig klar - ist uns das bewusst. Wir haben das, was bisher dazu gelaufen ist, ja auch ausgewertet. Ich will eines anfügen: Es ist doch höchst widersprüchlich, wenn eine Landesregierung und die Bundesregierung eine Normenkontrollklage anstrengen können, das aus diesem Haus heraus aber nicht möglich ist. Nun muss man sehen: Wenn Sie als Bundesregierung hier einen Gesetzentwurf eingebracht haben, wenn Sie darüber in den Ausschüssen beraten und das in voller Überzeugung verabschiedet haben, dann werden Sie doch nicht im nächsten Schritt - davon können wir doch nicht ausgehen - vor dem Bundesverfassungsgericht erscheinen, um Ihre eigenen Gesetze zu einer Normenkontrollklage anzumelden. Insofern ist das eher ein Oppositionsrecht, ein Recht, das de facto oft von der Opposition genutzt worden ist. Wie wichtig Normenkontrolle sein könnte, zeigt sich im Grunde genommen schon jetzt. Herr Kaster hat die Koalitionsvereinbarung angesprochen. Während Sie noch darüber verhandelt haben, haben wir eine ganze Reihe parlamentarischer Initiativen eingebracht. Heute Morgen zum Beispiel haben wir über das Rentenpaket gesprochen. Unsere Anträge hatten im Kern durchgängig das Gerechtigkeitsproblem zum Gegenstand, ob das Mieten waren, die Flüchtlingspolitik, der Mindestlohn oder auch die Renten usw. Jetzt zeigt sich zum Beispiel an diesem Gesetz - wir sprechen von einer Gerechtigkeitslücke -, dass das verfassungsrechtlich vielleicht problematisch sein könnte. Deshalb wollten wir im Zuge dieses Gesamtpaketes über die Möglichkeit einer Normenkontrollklage reden; denn es kann sehr wohl sein, dass an dieser Stelle eine verfassungsmäßige Überprüfung notwendig wird. Insgesamt: Es ist gut, dass wir es heute endlich beschließen. ({1}) Wir als Linksfraktion werden uns enthalten. Denn es wird natürlich eine Geschäftsgrundlage für die nächsten Jahre sein. Das macht nicht gegenstandslos, dass man die Gesetze und das Grundgesetz eigentlich ändern müsste. Aber wir werden das jetzt bereitgestellte Instrumentarium umfassend für unsere Arbeit für unsere politischen Alternativen nutzen. Danke schön. ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächste Rednerin für die SPD-Fraktion ist Christine Lambrecht. ({0})

Christine Lambrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ausgangssituation ist klar: 504 Abgeordneten der Koalition stehen rein theoretisch 127 Abgeordnete der Opposition gegenüber. Das sind die Zahlen, die auf dem Tisch liegen. Dass dieses Verhältnis hier im Deutschen Bundestag so besteht, ist aber nicht das Ergebnis von Entscheidungen der Großen Koalition, sondern - wir haben es ja schon gehört - eine Entscheidung der Wählerinnen und Wähler. Mit dieser Situation müssen wir jetzt umgehen. Eine ähnliche Situation hat es lediglich in einer Legislaturperiode gegeben, nämlich in der von 1966 bis 1969. Da stand eine Große Koalition einer Oppositionsfraktion gegenüber. Das war die FDP, die knapp 10 Prozent hatte. Damals gab es allerdings keine Initiativen, um diese Fraktion mit zusätzlichen Rechten auszustatten oder ihre Rechte besonders sicherzustellen. Damals hat der Deutsche Bundestag nicht reagiert. Für uns als Große Koalition war ganz schnell klar, dass das nicht der Weg ist, den wir in dieser Situation gehen wollen. Deswegen - Herr Kaster hat ja schon darauf hingewiesen - haben wir das auch im Koalitionsvertrag verankert. Für uns ist ganz klar: Wir stehen für ein lebendiges Parlament und eine hörbare Opposition. Das ist unsere klare Ansage. ({0}) Deswegen haben wir zügig Gespräche mit den Oppositionsfraktionen aufgenommen, um auszuloten, wie die Minderheitenrechte - nicht die Oppositionsrechte, sondern die Minderheitenrechte - in dieser Legislaturperiode sichergestellt werden können, auch wenn die Oppositionsfraktionen zusammen derzeit diese Quoren nicht erfüllen. Darüber, dass Minderheitenrechte sichergestellt werden müssen, gab es schnell Konsens. Lediglich über das Wie ist intensiv gerungen worden. Auch ich kann mich dem Dank anschließen: Es waren sehr sachliche Auseinandersetzungen. Es gab zuerst einen Vorschlag des Bundestagspräsidenten, dass man das Ganze durch einen Beschluss hier im Bundestag sicherstellt. Die Bedenken hinsichtlich der Rechtssicherheit, die von der Opposition kamen, haben wir aufgenommen und daraufhin Veränderungen in der Geschäftsordnung vorgeschlagen. Das ist auch der richtige Ort; genau dorthin gehört es. Hier regeln wir unsere Angelegenheiten, und genau darum geht es. Wir brauchen keine Gesetzesänderungen, die wir in der nächsten Legislaturperiode bei anderen Mehrheitsverhältnissen rückgängig machen müssten. Wir müssten die Gesetze dann wieder verändern. Damit das nicht erforderlich wird, sind wir der Ansicht, dass es ausreicht, die Geschäftsordnung zu verändern. In unserem ursprünglichen Entwurf hatten wir noch vorgesehen, dass alle Mitglieder der nicht die Regierung tragenden Fraktionen, also immer 127, entsprechende Minderheitenrechte hätten geltend machen können. In den Gesprächen, in den Beratungen ist dann relativ schnell klar geworden, dass das teilweise eine recht schwierige Situation zur Folge haben könnte, natürlich zum einen, weil infrage steht, ob beide Oppositionsfraktionen gemeinsam bestimmte Initiativen auf den Weg bringen würden. Angesichts mancher inhaltlichen Auseinandersetzungen hat man nicht den Eindruck, dass es „die Opposition“ überhaupt gibt, sondern dass in manchen Bereichen durchaus völlig unterschiedliche Auffassungen bestehen. ({1}) Aber das lassen wir einmal völlig außen vor. Zum anderen hätten Sie auch jedes Mal alle an Bord haben müssen. Das wäre, beispielsweise wenn jemand lange erkrankt ist, schwierig gewesen. Deswegen haben wir auch in diesem Punkt die Bedenken aufgenommen und nicht mehr an diesem Quorum festgehalten. Jetzt ist vorgesehen, dass 120 Abgeordnete ausreichen. Dieses Quorum ist nicht an die Oppositionsfraktionen gebunden, sondern kann durchaus auch durch Mitglieder der Koalitionsfraktionen erreicht werden. ({2}) - Das war vernünftig. Deswegen sind wir auch auf diesen vernünftigen Vorschlag eingegangen. Deswegen handelt es sich jetzt auch um echte Minderheitenrechte und nicht um Oppositionsrechte, weil eben die Minderheit entscheidet. ({3}) - Dazu komme ich gleich. Ich möchte auf einen anderen Punkt, den Frau Sitte beschrieben hat, eingehen. Sie sagte: Es reicht nicht aus, dass wir die Geschäftsordnung ändern, wenn es zum Beispiel um Untersuchungsausschüsse geht, ({4}) weil das Untersuchungsausschussgesetz in Verbindung mit der Verfassung ein anderes Quorum vorsieht. - Frau Sitte, ich kann es noch einmal sagen: Manchmal - das ist ein alter Juristengrundsatz - reicht ein Blick ins Gesetz. Denn bei diesem Quorum geht es nicht darum, dass wir die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beschließen, sondern es geht um das Antragsrecht. 120 Abgeordnete können die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beantragen, und dann beschließt der Deutsche Bundestag darüber; das ist der Weg. Dieser Beschluss ist entscheidend. So kann es auch niemals dazu kommen, dass sich ein Dritter, zum Beispiel ein Zeuge, dadurch beschwert fühlt, dass ein Untersuchungsausschuss eingesetzt werden kann; das ist nicht möglich. Deswegen bitte ich Sie, dieses Argument nicht länger zu bringen. Das entspricht auch gar nicht dem Niveau, das Sie in den Verhandlungen ansonsten gezeigt haben. Ich möchte noch etwas zur abstrakten Normenkontrollklage sagen. Bei uns gab es da keine Bewegung - ja -, weil das aus unserer Sicht überhaupt kein originäres Minderheitenrecht ist. Es kann von der Bundesregierung, es kann von Landesregierungen und es kann von einem Viertel der Mitglieder des Deutschen Bundestages wahrgenommen werden. ({5}) Wir haben keine Veranlassung gesehen, das zu ändern, und zwar aufgrund dieser inhaltlichen Begründung. Es ging uns nicht darum, Ihnen dieses Recht zu nehmen, sondern wir haben uns so entschieden, weil das nach unserer Vorstellung kein Minderheitenrecht ist. Sie haben andere Möglichkeiten - Herr Ströbele hat dankenswerterweise dazu ausgeführt -, all Ihre Einwände gegen den Mindestlohn und was weiß ich noch alles vorzutragen. Von Herrn Riexinger habe ich ja gehört, dass Sie gegen den Mindestlohn als Erstes vorgehen möchten. Das lässt tief blicken, dass auch gegen den Mindestlohn vorgegangen werden soll. ({6}) Mich freut, dass die Grünen diesen Lösungsvorschlägen mit ihren vielen Veränderungen auch im Interesse der Oppositionsfraktionen zustimmen werden. Ich würde sagen: Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, dass wir aufhören, uns mit uns selbst zu beschäftigen, und dass wir uns an die Sacharbeit machen. In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächste Rednerin in der Debatte ist Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Besucherinnen und Besucher! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, ich bin froh, dass wir heute das Thema „Wie gehen wir künftig mit den Minderheitenrechten im Deutschen Bundestag um?“ abschließen und endlich eine rechtssichere Regelung in unsere Geschäftsordnung aufnehmen. Wir beraten darüber seit Monaten. Ich finde es gut, wenn vom heutigen Tag das klare Signal ausgeht: Die Minderheitenrechte, die in einem umfassenden Katalog von elf Punkten aufgeführt sind, sind in der Geschäftsordnung verankert, und das kann - das ist eine der wichtigsten Fragen, die im Beschlussvorschlag steht mit der Mehrheit der Großen Koalition nicht wieder geändert werden. Das ist für uns ein ganz wichtiger Punkt. ({0}) Der Kollege Kaster und die Kollegin Lambrecht haben darauf hingewiesen: Wir haben darüber sehr lange verhandelt. Gestartet sind wir mit der Überlegung, im Deutschen Bundestag einen Absichtsbeschluss zu fassen und zu erklären, dass die Minderheitenrechte gewahrt werden. Das war uns in der Tat zu wenig. Wir haben gesagt: Wir wollen, dass das fixiert wird. Wir wollen, dass das aufgeschrieben wird, dass wir das vereinbaren und dass wir als Parlament den Beschluss fassen, dass es einen umfangreichen Katalog von Minderheitenrechten gibt. Dazu gehört zum Beispiel die Frage, einen Untersuchungsausschuss zu beantragen. Es muss ferner sichergestellt werden, dass im Verteidigungsausschuss die Untersuchung eines bestimmten Gegenstandes möglich ist. Das hatten wir in der letzten Legislaturperiode oft. Deshalb war uns das wichtig; man denke nur an das Thema „Euro Hawk“ und den Untersuchungsausschuss dazu in der letzten Legislaturperiode. Ein weiteres Thema sind Ausschussanhörungen. Wir wollen, dass die Opposition bzw. eine Minderheit verlangen kann, dass öffentliche Anhörungen zu Gesetzentwürfen stattfinden. Ein anderes Thema ist die Einrichtung einer Enquete-Kommission. Darüber hinaus werden die Minderheitenrechte in Bezug auf das ESMFinanzierungsgesetz und die Subsidiaritätsklage gesichert sein. Das sind einfach wichtige Punkte, die jetzt in diesen elf Nummern des neuen § 126 a Abs. 1 unserer Geschäftsordnung fixiert werden für diese besondere Situation: 80 Prozent Große Koalition und 20 Prozent Opposition. Das ist uns ganz wichtig gewesen. Dass diese dann auch noch abweichungsfest sind, das heißt mit den Stimmen von Union und SPD nicht geändert werden können, ist ein weiterer ganz wichtiger Punkt. Ich bin froh, dass wir am Ende dieser Beratung hier gelandet sind. ({1}) Es ist völlig klar, dass wir - das haben auch die Initiativen von Grünen und Linken gemeinsam gezeigt - an einem anderen Punkt gestartet sind. Wir hatten uns vorgestellt: Geschäftsordnung und Gesetze werden geändert. - Wenn man verhandelt, muss man aber ab einem bestimmten Punkt einfach zur Kenntnis nehmen, dass bei den 80 Prozent im Deutschen Bundestag keine Bereitschaft besteht, auch Gesetze zu ändern. Dann muss man gucken, dass man die Geschäftsordnung entsprechend ändert. An diesem Punkt sind wir jetzt. Über das Ergebnis bin ich froh. Deshalb konnten wir unserer Fraktion ganz klar sagen: Das bedeutet eine massive Verbesserung in der Situation, in der wir gerade sind, nämlich 80 Prozent Mehrheit und 20 Prozent Opposition. Unsere Minderheitenrechte werden in der Geschäftsordnung fixiert. Wir können sie rechtssicher verankern. Wir können sie gegenüber den anderen Fraktionen im Parlament einfordern und einklagen. ({2}) Das ist klar. Das ist ein wichtiger Punkt. Ich bin froh, dass wir heute hier stehen. Jetzt ist die Arbeitsfähigkeit dieses Parlaments endlich ein Stück weit mehr gesichert, und wir brauchen nicht jede Woche darüber zu diskutieren: Wie gehen wir mit einzelnen Fragen um? Haben wir jetzt das Recht auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, oder nicht? Deshalb können wir heute der vorgesehenen Änderung der Geschäftsordnung sehr beruhigt zustimmen. Ich bin froh, dass wir das hingekriegt haben. Ich weiß, dass wir bei der Redezeit keine Verständigung haben - aber die Redezeit ist heute nicht Gegenstand der Abstimmung; es geht hier um die elf Nummern. Aber sonst, finde ich, hat sich Beharrlichkeit gelohnt. Es hat sich gelohnt, mit einer gewissen Hartnäckigkeit darauf zu bestehen, dass wir das verankert bekommen. Deshalb wird meine Fraktion heute auch zustimmen. Vielen Dank. ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Schönen Dank. - Nächster Redner ist Dr. Johann D. Wadephul, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte der Kollegin Haßelmann ganz herzlich für den Redebeitrag danken. Er bringt das zum Ausdruck, was im Geschäftsordnungsausschuss der Geist der Auseinandersetzung gewesen ist - wir haben streitige Beratungen gehabt -, aber er bringt auch zum Ausdruck, zu welcher Einigung man in einer vernünftigen, sachlichen und ergebnisorientierten Ausschussarbeit in diesem Hause fähig ist. Ich denke, es ist ein Stück auch der Kultur unseres Hauses, dass wir diese Legislaturperiode mit einem solchen Projekt beginnen, nämlich dass wir an dieser Stelle wichtige Rechte derjenigen Abgeordneten und derjenigen Fraktionen wahren, die die Regierung nicht tragen. Das zu berücksichtigen, das zu fixieren, das auch in einer Plenardebatte miteinander zu erörtern und darüber abzustimmen - ich finde, darauf kann der Deutsche Bundestag insgesamt stolz sein. Das ist keine Selbstverständlichkeit. ({0}) Ich bin etwas betrübt darüber, wie die Linksfraktion sich in diesem Hause verhält, obwohl mein politisches Seelenheil, dasjenige meiner Fraktion und, ich glaube, auch dasjenige der Großen Koalition insgesamt nicht davon abhängen. ({1}) Dennoch, Frau Kollegin Sitte, Sie wissen: Wir haben wirklich sehr gerungen. Wir sind auch an die Grenzen dessen gegangen, was aus Sicht einer Majorität insgesamt Berücksichtigung finden kann. Ich finde es schade, dass Sie an dieser Stelle versuchen, Haare in der Suppe zu finden, um eine Enthaltung Ihrer Fraktion noch irgendwie zu begründen. Sie fangen jetzt an - ich habe das vorhin nur so vernommen -, von Rechtsunsicherheiten und pseudokreativer Auslegung der Geschäftsordnung zu sprechen. Was sollen solche Begrifflichkeiten? Es steht glasklar drin, was wir zusagen. Ich glaube, so etwas hat es noch nie gegeben. Wir sagen Rechte zu: 120 Abgeordnete können etwas beantragen, und das ändern wir nicht. - Ich kenne nicht so viele Gesetze, von denen wir sagen: Die ändern wir in dieser Legislaturperiode definitiv um keinen Millimeter. - Man möge mich eines Besseren belehren! Wir legen uns hier für diese Legislaturperiode glasklar fest. Daran herumzukritteln, das irgendwie infrage zu stellen, das mit Rechtsunsicherheit in Verbindung zu bringen, in diesem Zusammenhang Wörter wie „kreativ“ oder „pseudokreativ“ zu benutzen - ich meine, wenn wir kreativ sind, sind wir richtig kreativ, nicht pseudokreativ; das am Rande -, ({2}) das Ganze hier irgendwie zu diskreditieren, finde ich unnötig. Das zeigt, dass Ihnen wirklich die Kraft dazu fehlt, sich hier zu etwas zu bekennen und in diesem Haus konstruktiv mitzuwirken. Diese Bemerkung sei mir gestattet. ({3}) - Sie sollten aber zur Kenntnis nehmen, dass die Veränderung, die wir nach den Ausschussberatungen vorgenommen haben, also das Zurückgehen auf 120 Abgeordnete, Ausdruck der Anerkenntnis war, dass wir das Recht des einzelnen Abgeordneten, sich frei zu entscheiden, nur seinem Gewissen gegenüber verantwortlich zu sein, kennen und dass wir das auch mit Blick auf die Oppositionsabgeordneten respektieren. Das heißt, dass wir von Ihnen nicht verlangen - anders als es im ersten Antragsentwurf stand -, dass die gesamten Fraktionen, alle Abgeordneten einer Fraktion, immer zustimmen müssen, ({4}) weil wir aus eigener Erfahrung wissen, Frau Sitte, dass es immer einzelne Abgeordnete geben kann, die einer Vorlage nicht zustimmen. ({5}) Das ist für uns eine wichtige Sache, die wir an dieser Stelle zugestanden haben. Ich kann Ihnen nur noch sagen: Wenn Sie die Möglichkeit haben, mit der Zustimmung von 120 Abgeordneten einen Untersuchungsausschuss - er ist das wichtigste Instrumentarium, über das wir in der Sache miteinander streiten - einzusetzen, dann kann ich nur sagen: In der Tat kann man uns das Wahlergebnis nicht vorwerfen, aber Opposition machen müssen Sie am Schluss schon selber, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Linksfraktion. ({6}) Das können wir Ihnen nicht auch noch abnehmen, sondern Sie müssen sich schon der Möglichkeiten bedienen, die Sie an dieser Stelle haben. Ich will etwas zu Ihren Gesetzentwürfen zu einer Verfassungsänderung sagen; Sie haben das ja ganz offen hier gerade eben noch einmal vorgetragen. Ich finde es schon bedenklich: Der Ausschuss führt eine Anhörung durch. Sie beantragen eine Änderung der Geschäftsordnung und eine Änderung einfacher Gesetze, unter anderem des Parlamentarischen Untersuchungsausschussgesetzes. Dazu sagt ein Sachverständiger, vielleicht auch ein zweiter: ({7}) Das kann man wohl nicht machen, weil im Grundgesetz etwas anderes steht. - Das ist übrigens auch unsere Auffassung. Dann sagen Sie: Okay, dieser Satz reicht uns aus. Wir beantragen mal eben fünf Verfassungsänderungen. - Diese schlagen Sie uns hier vor. Darüber sollen wir gleich namentlich abstimmen. Ich finde schon, was die Debattenkultur und die Verhandlungskultur in diesem Hause angeht, dass das ein einmaliger Vorgang ist. Man beginnt ja, sich Wolfgang Nešković zurückzuwünschen. Sie in der Linksfraktion vielleicht nicht; aber mir geht es langsam so. Er hatte in diesen Fragen ja zumindest noch Stil und Form. ({8}) Sie können doch nicht aus einer Anhörung, die sich auf die Geschäftsordnung und einfache Gesetze bezieht, einfach herleiten, dass man mal eben an fünf Stellen das Grundgesetz verändert. ({9}) Dass wir darüber hier namentlich abstimmen, finde ich ein wirklich sehr gewagtes Vorgehen. Das will ich an dieser Stelle erklären.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Wadephul, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Sitte?

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Bitte schön, Frau Sitte.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Wadephul, zu der Frage „Kooperativität oder nicht?“ will ich mich jetzt gar nicht äußern. Wir haben im Ausschuss darüber geredet, ob wir dazu eine Anhörung durchführen. Ich habe ausdrücklich darum gebeten, dass wir diese Anhörung durchführen, weil uns als Linke die Frage wichtig ist, ob sich die in unserem gemeinsamen Antrag vorgeschlagene Regelung zur Normenkontrollklage ohne Grundgesetzänderung überhaupt rechtlich absichern lässt. Die Berechtigung dieser Frage haben alle, nicht nur Professor Mahrenholz, gesehen. Selbst die Verfassungsrechtlerin der Grünen, die diesen Vorschlag unterbreitet hat, hat am Ende dieser Anhörung gesagt: Ja, meine Kollegen haben recht. Es müsste eine Änderung oder eine Ergänzung des Grundgesetzes erfolgen. - Daraufhin habe ich angekündigt: Wenn es sich tatsächlich bewahrheitet, dass sich der Weg über eine Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes nicht realisieren lässt, dann werden wir den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes einbringen. ({0}) Nun gab es einige Irritationen, weil wir diesen Gesetzentwurf nach der Anhörung vorgelegt haben. Wenn ich im Ausschuss zu Ihnen gesagt hätte: „Liebe Kollegen, wir benötigen noch eine Anhörung zu unserem Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes“, dann hätten Sie gesagt: Wieso? Das haben wir doch gerade ausführlich von den Expertinnen und Experten dargestellt bekommen. - Insofern ist das ein Ergebnis dieser Anhörung. Ich lege Wert darauf, dass mir hier nicht unterstellt wird, wir hätten an der Stelle gepokert. Das war eine ganz klare Ansage, von Anfang an. Ich habe es vorhin gesagt: Wir können bei der Normenkontrolle doch nicht eine Änderung zu einem einzigen Quorum vorlegen. Dann hätte doch jeder von Ihnen gesagt: Das ist inkonsequent; es sind doch auch an anderer Stelle des Grundgesetzes - ob es um die Einberufung des Bundestages oder die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses bzw. des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuss angeht - entsprechende Quoren. Man kann uns doch nicht vorwerfen, dass wir an dieser Stelle die Ergänzung des Grundgesetzes konsequent zu Ende denken. ({1})

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In der Sache sehe ich da gar keinen Widerspruch. Ich weiß, was die Sachverständigen gesagt haben, und ich weiß auch, dass Sie gesagt haben, dass Sie auf eine weitere Anhörung verzichten. ({0}) Ich habe Sie, weil mir das wichtig war, gestern im Ausschuss ausdrücklich gefragt, ob Sie dazu noch eine Anhörung wollten. Da haben Sie gesagt: Nein. - Frau Sitte, um das klar zu sagen: Es hat keine Anhörung zu Ihren Vorschlägen zur Änderung des Grundgesetzes gegeben, sondern es hat eine Anhörung gegeben zu Ihrem Antrag, die Geschäftsordnung zu ändern, und zu Ihrem Gesetzentwurf zur Änderung des PUAG. ({1}) - Nein. Es ist schon ein großer Unterschied, ob man einen Sachverständigen dazu anhört, ob eine einfachgesetzliche Änderung durchgeführt werden kann - ohne das Grundgesetz zu ändern -, oder ob Sie - das hätte dann erfolgen müssen - mehreren Sachverständigen konkret die von Ihnen beabsichtigten Grundgesetzänderungen vorlegen. Dann hätten wir nämlich ganz andere Fragen erörtert - auf diese Fragen kommt es aus meiner Sicht an -: Ist es richtig vor der historischen Erfahrung, die die Mütter und Väter des Grundgesetzes dazu bewogen hat, gewisse Quoren festzulegen, nur weil wir in dieser Wahlperiode Mehrheitsverhältnisse zwischen Koalition und Opposition im Verhältnis 80 : 20 haben, das Grundgesetz an mehreren Stellen zu ändern? Meine Antwort darauf ist: Nein. ({2}) Wir sollten das Grundgesetz nicht immer gleich zur Disposition stellen. Zu dieser Frage ist kein einziger Sachverständiger angehört worden. ({3}) Das ist meine Kritik, und diesen Punkt halte ich wirklich für problematisch. ({4}) - Na ja, wir haben zweimal miteinander über diese Frage diskutiert, und Sie kennen unsere Auffassung dazu. ({5}) Wenn Sie beklagen, dass die Mitwirkungsmöglichkeiten nach wie vor nicht ausreichend sind, möchte ich dazu nur Folgendes sagen: Wenn wir den einzelnen Abgeordneten wertschätzen und zugestehen, dass nicht immer alle Oppositionsabgeordneten zustimmen müssen, wenn die Opposition ihre Minderheitenrechte ausüben möchte, dann machen wir das deshalb, weil uns Art. 38 des Grundgesetzes wichtig ist: Der einzelne Abgeordnete ist nur seinem Gewissen unterworfen; er hat eine singuläre Bedeutung für dieses Haus. Das gilt aber auch für die Abgeordneten der Mehrheitsfraktionen, die bei den Wünschen, die hier weiter vorgetragen worden sind, insbesondere was die Redezeit angeht, gegenüber Oppositionsabgeordneten dann in eine wirklich deutlich nachrangige Position kommen würden. Es ist schon jetzt so, dass Abgeordnete aus den Mehrheitsfraktionen hier sehr viel weniger reden können als Abgeordnete aus den Oppositionsfraktionen. Sie sollten darüber nachdenken, dass wir hier gewisse Grenzen einhalten müssen, ({6}) dass wir auch die Rechte derjenigen Abgeordneten ernst nehmen müssen, die die Regierung jetzt tragen. Auch sie sind frei gewählte Abgeordnete, auch sie müssen frei abstimmen können, auch sie müssen ihre Möglichkeiten hier frei entfalten können, reden können wie die Abgeordneten der Opposition. Deswegen, glaube ich, ist das Ergebnis insgesamt sehr ausgewogen.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Wadephul, wir haben auch jetzt schon Regeln zur Redezeit.

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Danke schön. - Nächste Rednerin ist Katja Keul, Bündnis 90/Die Grünen.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin wirklich sehr erleichtert, dass wir Sie doch noch davon überzeugen konnten, die Geschäftsordnung zu ändern. Der Kollege Kaster hat zu Beginn seiner Rede noch einmal betont, welche Bedeutung dieser Geschäftsordnung zukommt. Es wäre doch höchst unbefriedigend gewesen, einen zusätzlichen Bundestagsbeschluss zu haben, wie Sie das ursprünglich beabsichtigt hatten, der neben der Geschäftsordnung steht und auch noch von dieser abweicht. Man hätte dann gleichrangiges, sich widersprechendes Recht gehabt. Das wäre wirklich kein Qualifikationsnachweis für einen Gesetzgeber gewesen. Deswegen bin ich sehr erleichtert, dass wir Sie davon überzeugen konnten, die Geschäftsordnung zu ändern. ({0}) Die meisten Punkte - nicht alle - ließen sich befriedigend in der Geschäftsordnung regeln. Da wir nach dieser Änderung der Geschäftsordnung 25 Prozent Oppositionsvertreter in einen Untersuchungsausschuss schicken können, kann das PUAG in seiner bisherigen Form angewendet werden, weil die Quote von 25 Prozent für den Untersuchungsausschuss erfüllt wird. Hier funktioniert das also. Es funktioniert allerdings nicht beim Verteidigungsausschuss, wenn er in seiner Gesamtheit zum Untersuchungsausschuss wird, weil hier das Quorum nicht erfüllt ist. An dieser Stelle hätte man eine Gesetzesänderung vornehmen müssen. Die Formulierung, die Sie jetzt dazu vorgeschlagen haben, löst das Problem zwar nicht, lässt aber zumindest Ihren guten Willen glaubhaft erkennen, sodass wir daran die Einigung nicht scheitern lassen wollen. ({1}) Aufgrund der Einigung haben sich unsere beiden Vorlagen aus unserer Sicht erledigt. Leider blieb es uns verwehrt, diese hier heute für erledigt zu erklären, da die Fraktion Die Linke das anders sieht, sodass wir hier noch darüber abstimmen werden. Eine Grundgesetzänderung haben wir von Anfang an nicht für erforderlich gehalten; denn das Grundgesetz legt in Art. 44 fest, dass wir das Recht und auf Antrag von 25 Prozent der Mitglieder des Bundestages die Pflicht haben, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Das heißt also, dass der Bundestag ab 25 Prozent keinen Spielraum mehr hat. Für die Fälle, in denen wir darunter liegen, steht es uns als Bundestag frei, anderweitige Regelungen zu treffen, was wir heute tun. Frau Sitte, ich will Ihnen Art. 44 Abs. 1 des Grundgesetzes vorlesen. Darin steht: Der Bundestag hat das Recht und auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder die Pflicht, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen … Das heißt, wir haben das Recht, verbindlich zu beschließen, schon bei einem Antrag von weniger als 25 Prozent der Abgeordneten einen Untersuchungsausschuss verbindlich einzurichten, und das tun wir jetzt. ({2}) Zuletzt komme ich zur Normenkontrolle. Dazu ist ja schon viel gesagt worden. Das Grundgesetz sieht in Art. 93 vor, dass die Normenkontrolle von einer Landesregierung, von der Bundesregierung oder auch von 25 Prozent der Mitglieder des Bundestages eingeleitet werden kann. Wir haben durchaus ein Interesse daran, darüber zu debattieren. Allein das ist der Grund dafür, warum wir uns bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke freundlicherweise noch enthalten. Vor dem Hintergrund, dass Sie im Zusammenhang mit den Minderheitenrechten fünf umfangreiche Grundgesetzänderungen im Schnellverfahren beantragen, würden mir hier durchaus deutlichere Worte einfallen. Ihr Vorgehen, diese Grundgesetzänderungen in erster Lesung auch noch ohne Debatte auf die Tagesordnung gesetzt zu haben, zeigt ja, dass Sie es damit nicht wirklich ernst meinen. ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Denken Sie bitte an die Redezeit!

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Mit der heutigen Änderung der Geschäftsordnung zeigen wir, dass die Opposition auch in der heutigen Zusammensetzung in der Lage ist, ihre Rechte angemessen durchzusetzen, und dass der Bundestag eben doch ein lernfähiges Parlament mit der erforderlichen demokratischen Kultur ist. Vielen Dank. ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Nächste Rednerin ist Frau Dr. Katarina Barley, SPDFraktion. ({0})

Dr. Katarina Barley (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004247, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja nicht wirklich ein Geheimnis, dass für einige Menschen in der Bundesrepublik Deutschland diese Große Koalition nicht unbedingt die Wunschkonstellation nach der letzten Bundestagswahl war. ({0}) Das hatte damit zu tun, dass diese übergroße Mehrheit in der Öffentlichkeit als erdrückend wahrgenommen und allgemein die Befürchtung geäußert wurde, die Minderheitenrechte könnten zu kurz kommen. Nun hat der geschätzte Bundestagspräsident schon in der konstituierenden Sitzung bemerkt, dass große Mehrheiten nicht per se verfassungswidrig sind. ({1}) Aber daran, dass wir uns alle einig sind, dass eine funktionierende Demokratie eine funktionierende und wirkungsvolle Opposition braucht, kann ja kein Zweifel bestehen. Den Mehrheitsfraktionen war dieses Anliegen so wichtig, dass wir es ausdrücklich im Koalitionsvertrag aufgenommen haben. Ich sage das so ausdrücklich, weil man sich das wirklich auf der Zunge zergehen lassen und auch einmal in einen internationalen und historischen Kontext stellen muss. Man muss sich das einmal vor Augen führen: Wenn sich eine Mehrheit, die, wenn man es einmal ganz salopp formuliert, alles plattmachen könnte, wochenlang damit beschäftigt, wie man der Minderheit am effektivsten und sinnvollsten bestimmte Rechte einräumen kann, dann ist dies, wenn man es mit dem Vorgehen in vielen anderen Staaten mit durchaus längerer demokratischer Tradition vergleicht, schon ein sehr bemerkenswerter Vorgang, ({2}) noch dazu in einem Land, das hinsichtlich seiner demokratischen Tradition durchaus einige Anlaufschwierigkeiten hatte. Vor diesem Hintergrund möchte ich sagen, dass dieser Tag ein guter Tag für die Demokratie in Deutschland und für unsere gemeinsame parlamentarische Arbeit ist. ({3}) Der erste Vorschlag unseres Bundestagspräsidenten war, hier mit einem einfachen Bundestagsbeschluss vorzugehen. Das fand die Opposition zu wenig verbindlich. Es war wohl auch ein Mangel an Vertrauen vorhanden, dass wir das wirklich ernst meinen. Aber ich glaube, dass der weitere Verlauf der Diskussionen und der Verhandlungen und auch das Ergebnis bewiesen haben, dass dieses Misstrauen nicht gerechtfertigt war. Umso erfreulicher ist es, dass wir aus der beiderseitigen Unzufriedenheit herausgefunden und sehr konstruktiv miteinander verhandelt haben. Das erweiterte Berichterstattergespräch mit den Sachverständigen wurde schon erwähnt; das war sicherlich für alle Seiten sehr hilfreich. Wir haben es uns also nicht einfach gemacht. Im Ergebnis haben wir uns von beiden Seiten angenähert. Dafür bedanke ich mich bei den Vertreterinnen und Vertretern ausdrücklich aller Fraktionen noch einmal sehr herzlich. Wir haben nun einen Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung vorliegen. Das war aus meiner Sicht, verehrte Kollegin Keul, immer der richtige Ort, um Änderungen vorzunehmen, weil es die Bedürfnisse einer spezifischen Legislaturperiode betrifft. Wir haben in diesem Antrag auch festgelegt, dass wir von den Änderungen nicht mit Zweidrittelmehrheit abweichen können. ({4}) Ich möchte betonen, dass ich die gefundene Lösung für die systematisch bessere Lösung halte als die, die wir ursprünglich vorgesehen hatten; denn bisher sind im Grundgesetz Rechte für einzelne Abgeordnete, für Fraktionen und für eine bestimmte Anzahl von Abgeordneten vorgesehen. Was es nicht gibt, sind Rechte der Opposition. Ich finde es gut, dass wir mit unserem Vorschlag in der Systematik bleiben und nicht für eine Legislaturperiode ein ganz neues Instrument schaffen, nämlich Rechte von Angehörigen der Oppositionsfraktionen hier im Plenum. Wir haben damit zwei Probleme ausgeräumt. Ein Problem ist schon erwähnt worden: Der ursprüngliche Entwurf sah vor, dass alle Abgeordneten der Oppositionsfraktionen die Minderheitenrechte gemeinsam wahrnehmen. Es wurde eingewandt, dass schon das Fehlen eines Abgeordneten bzw. einer Einigung die Wahrnehmung der Minderheitenrechte verhindern könnte. Darauf sind wir eingegangen. Die jetzt gefundene Lösung ist ein sehr praktikables Instrument, auch für die Opposition; aber ich betone: auch für die Opposition. Durch die Regelung, dass 120 Mitglieder des Parlaments die Minderheitenrechte wahrnehmen können, wird nicht mehr zwischen Angehörigen der Regierungsfraktionen und Angehörigen der Oppositionsfraktionen differenziert. Ursprünglich war vorgesehen - das war das zweite Problem -, dass 20 Prozent der Oppositionsfraktionen bestimmte Rechte hätten wahrnehmen können. Bei den Mehrheitsfraktionen hätten es 25 oder eben auch 33 Prozent sein müssen. Aber alle Abgeordneten müssen im Grundsatz die gleichen Rechte haben; denn wir alle gemeinsam und nicht nur die Opposition kontrollieren die Regierung. Das nennt man in Deutschland Gewaltenteilung, und daran sollten wir festhalten. ({5}) Natürlich haben Sie sich weiter gehende Änderungen gewünscht. Die Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, in diesem Falle von der Linken, wollten mehrere Änderungen des Grundgesetzes erreichen. Das betrifft vor allen Dingen die abstrakte Normenkontrolle. Dazu nur ganz kurz: Wenn Sie vor das Bundesverfassungsgericht ziehen wollen, dann ist ein solcher Antrag auf Normenkontrolle sicherlich zulässig, wenn es um Ihre eigenen Rechte geht. Als Abgeordnete müssen Sie kein Quorum einhalten; das ist so und das bleibt Gott sei Dank auch so. Aber ich glaube nicht, dass ein solcher Antrag begründet wäre; denn im Grundgesetz selbst ist vorgesehen, dass ein Viertel der Abgeordneten das Quorum für die abstrakte Normenkontrolle ist. ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Dr. Katarina Barley (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004247, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme gleich zum Ende. - Es wird nicht ganz einfach sein, vorzutragen, dass das Grundgesetz selbst in diesem Punkt gegen das Grundgesetz verstößt. Es ist auch nicht sachgerecht, das Grundgesetz in jeder Legislatur den veränderten Mehrheiten anzupassen. Aber vor allen Dingen ist eben die Normenkontrolle kein Minderheitenrecht, sondern eine Verfahrensart unter mehreren für verschiedene Akteure. Kurz gesagt: Ich bin wirklich froh, dass wir eine so breite Mehrheit für die Änderung der Geschäftsordnung gefunden haben. Ich glaube, dass heute ein guter Tag für die politische Kultur ist und dass es auch ein Signal nach außen ist. Dafür möchte ich mich sehr herzlich bedanken. ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Wawzyniak.

Halina Wawzyniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004185, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich nutze das Instrument der Kurzintervention, weil zum zweiten Mal eine Frage, die der Kollege Ströbele der Kollegin Sitte gestellt hat und die ich weiterreichen wollte, nicht beantwortet werden kann. Ich würde mich freuen, wenn die nächsten Rednerinnen und Redner mir bitte einmal erklären könnten, wie ich als Bundestagsabgeordnete von Gesetzen, die zum Beispiel Hartz IV betreffen, selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sein soll, sodass ich Verfassungsbeschwerde einlegen kann. Das Argument von Herrn Ströbele war ja, man könne als Bundestagsabgeordneter Verfassungsbeschwerde einreichen. Vielleicht kann mir das einer der nächsten Redner erklären. Ich freue mich auf die Erklärung. Danke.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Danke schön. - Frau Kollegin Barley, möchten Sie darauf antworten? - Das ist nicht der Fall. Dann hat jetzt Dr. Stefan Heck das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Stefan Heck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass ich meine erste Rede im Deutschen Bundestag zu diesem wichtigen verfassungsrechtlichen Thema halten darf. ({0}) Für uns alle ist klar: Es entspricht dem Wesen der Demokratie, dass am Ende die Mehrheit entscheidet. Es ist dieses Prinzip, das alle demokratischen Kräfte am Ende eint. Aber zu einer funktionierenden und lebendigen Demokratie gehört darüber hinaus eine vernehmbare und lebendige Opposition. Es ist gut, dass wir bereits heute im europäischen Vergleich sehr weit gehende Minderheitenrechte in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages verankert haben. Jede Fraktion kann unabhängig von ihrer Größe Gesetzentwürfe einbringen, namentliche Abstimmungen verlangen, Große und Kleine Anfragen stellen, Aktuelle Stunden beantragen und nicht zuletzt auch Regierungsmitglieder herbeizitieren. Trotzdem haben die Koalitionsfraktionen aufgrund der besonderen Situation, in der wir uns in dieser Legislaturperiode befinden, von Anfang an zugesagt, die Minderheitenrechte noch weiter auszubauen. Wir haben Wort gehalten und legen Ihnen heute einen Vorschlag vor, der Ihnen sehr weit entgegenkommt. Wenn man die Wortbeiträge hier verfolgt, dann besteht kein Zweifel daran, dass das Thema, über das wir heute sprechen, grundlegende Fragen berührt. Es entspricht dem Wesen des Rechtsstaates, dass die Verfassung über der Tagespolitik, über einzelnen Sachentscheidungen und nicht zuletzt auch über den jeweils herrschenden Mehrheitsverhältnissen im Deutschen Bundestag steht. Deswegen, Frau Kollegin Dr. Sitte, sollten wir zurückhaltend sein, wenn es darum geht, das Grundgesetz zu ändern. Das Grundgesetz ist kein Gesetz wie jedes andere. Seine Änderung muss die Ausnahme bleiben und darf nicht zur Regel werden. ({1}) Die Debatte, die wir in diesem Zusammenhang führen, ist gelegentlich etwas paradox: Zunächst hat die Opposition in den ersten Wortmeldungen nach der Wahl landauf, landab davor gewarnt, man müsse das Grundgesetz vor der Zweidrittelmehrheit der Großen Koalition schützen, und jetzt fordert die Linksfraktion, wir sollten mit der gleichen, vormals angeblich noch bedrohlichen Mehrheit die Verfassung in ihrem Sinne ändern, um die Linksfraktion vor der Großen Koalition zu schützen. Heute so und morgen anders. Wenn Sie meinen, mit 8,6 Prozent der Wählerstimmen die Verfassung jeweils nach Ihrem Gusto gestalten zu können, dann stellen Sie die Dinge reichlich auf den Kopf. ({2}) Das passt nicht zusammen, und dabei machen wir nicht mit. Wir haben uns heute aus guten Gründen dafür entschieden, dass wir die wesentlichen Punkte der Minderheitenrechte in der Geschäftsordnung statt in der Verfassung ändern. Ich möchte gerne drei Punkte ansprechen, die aus meiner Sicht wichtig sind. Erstens. Es ist falsch, wenn Sie hier von Oppositionsrechten sprechen. Die Verfassung kennt den Begriff der Opposition nicht, und zwar aus gutem Grund. Es gibt im Deutschen Bundestag keine Abgeordneten erster und zweiter Klasse. Wir alle sind in unserer Rechtsstellung gleich, unabhängig von unserem Lebensalter, unabhängig von der Parlamentserfahrung und eben auch unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Fraktion. Wir alle haben die gleichen Rechte, und wir alle haben auch gemeinsame Aufgaben und gemeinsame Pflichten. Das ist vor allem, die Regierung zu kontrollieren. Bei Fragen der Europäischen Union, der Integration, aber auch bei Fragen unserer eigenen Rechtsstellung denken Sie an die Debatte über die Offenlegungspflichten - haben sich in den verfassungsrechtlichen Verfahren immer wieder ganz bemerkenswerte Allianzen quer durch die Fraktionen gebildet. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren, und diese Aufgabe sollten wir gemeinsam selbstbewusst wahrnehmen. ({3}) Eines steht jedenfalls fest: Sie sind keine besseren Abgeordneten, nur weil Sie in der Opposition sind. Zweitens. Der Ausgangspunkt unserer Arbeit ist und bleibt die Wahl zum Deutschen Bundestag. Bei dieser Wahl haben CDU und CSU fast die absolute Mehrheit der Mandate erreicht. Trotzdem war es uns wichtig, Ihnen im Interesse des gesamten Parlamentes entgegenzukommen. Bei den Redezeiten erhalten Sie bereits jetzt zwischen 26 und sogar 32 Prozent, obwohl Ihnen nach dem Wahlergebnis eigentlich nur 17 Prozent zustehen. Darüber hinaus können Sie künftig schon mit 120 Abgeordneten Untersuchungsausschüsse und Enquete-Kommissionen einsetzen. Aber bei allem Entgegenkommen in Verfahrensfragen muss am Ende auch deutlich bleiben, wo die Mehrheit in diesem Hause ist. Wir haben von den Wählerinnen und Wählern einen klaren Gestaltungsauftrag bekommen, und den nehmen wir auch an. ({4}) Drittens. Ich möchte nochmals auf den bis zuletzt streitigen Punkt der verfassungsrechtlichen Verfahren eingehen. Das erforderliche Quorum für die abstrakte Normenkontrolle wurde bereits 2008 von einem Drittel auf ein Viertel der Mitglieder des Deutschen Bundestages abgesenkt. Wir haben uns heute mit guten Gründen, wie ich finde, dafür entschieden, dieses Quorum nicht noch weiter abzusenken. Die abstrakte Normenkontrolle ist nämlich kein originäres Minderheitenrecht, sondern in erster Linie ein objektives Beanstandungsverfahren. Zudem - wir haben das eben von Ihnen, Herr Ströbele, gehört - ist die abstrakte Normenkontrolle, die von verschiedenen Antragstellern geltend gemacht werden kann, insbesondere von Landesregierungen, nicht die einzige Möglichkeit, ein Gesetz zur Überprüfung vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen. Es zeichnet unseren Rechtsstaat gerade aus, dass wir die Möglichkeit haben, dass jeder Bürger über die Verfassungsbeschwerde die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes geltend machen kann. An dieser Stelle will ich noch auf eines hinweisen. Ich finde, wir als Abgeordnete sollten uns auch davor hüten, immer mehr politische Streitfragen unter juristischem Vorwand von Berlin nach Karlsruhe zu verlagern oder auch verlagern zu lassen. ({5}) Wir sollten die grundlegenden Entscheidungen unseres Landes hier im Bundestag besprechen; denn hier gehören sie hin. Zusammenfassend ist zu sagen: Wir haben heute nach intensiven und konstruktiven Gesprächen einen guten und ausgewogenen Änderungsvorschlag vorliegen, der dem Mehrheitsprinzip Rechnung trägt, aber auch den berechtigten Anliegen der Minderheit in diesem Parlament sehr weitgehend entgegenkommt. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Heck. Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zu Ihrer ersten Rede. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie noch um zehn Minuten Konzentration. - Nächster Redner in der Debatte ist Dr. Johannes Fechner, SPD-Fraktion, der auch seine erste Rede hier hält. ({1})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat gab es die Sorge, dass diese riesige Mehrheit der Großen Koalition die Opposition in einer effektiven Arbeit einschränkt. Aber schon im Koalitionsvertrag haben wir uns vorgenommen, die Minderheitenrechte angesichts dieser sehr großen Mehrheit zu verbessern. Ich möchte es nochmals zitieren, weil ich es schon für einen einmaligen Vorgang halte, dass sich die Regierung so um die Opposition kümmert. ({0}) Wir haben hier geregelt: Eine starke Demokratie braucht die Opposition im Parlament. CDU, CSU und SPD werden die Minderheitenrechte im Bundestag schützen. Auf Initiative der Koalitionspartner wird der Bundestag einen Beschluss fassen, der den Oppositionsfraktionen die Wahrnehmung von Minderheitenrechten ermöglicht sowie die Abgeordneten der Opposition bei der Redezeitverteilung angemessen berücksichtigt. Genau diese Zusage haben wir eingehalten. ({1}) Das ist ein wichtiges Zeichen für die politische Kultur in Deutschland. Ich freue mich, dass im Geschäftsordnungsausschuss nahezu einstimmig - nur mit Ihrer Enthaltung - diese Regelung beschlossen wurde. Dadurch verbessern wir die Rechte der Opposition ganz erheblich. Sie können jetzt einen Untersuchungsausschuss einsetzen, Subsidiaritätsklage erheben und die Einsetzung von EnqueteKommissionen verlangen, um nur die wichtigsten Möglichkeiten zu nennen. Insbesondere bei der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen haben wir - ich will mich hier kurzfassen, da das schon genannt wurde - die Vorschläge der Sachverständigen aufgenommen und es ermöglicht, dass schon 120 Mitglieder des Bundestages - Sie haben zusammen 127 - die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses erreichen können. Außerdem sind wir Ihnen beim Schlüssel für die Verteilung der Redezeiten entgegengekommen. Sie haben jetzt mehr Redezeit, als Ihnen eigentlich zusteht. Das haben wir gemacht, obwohl das dazu führt, dass die Redezeit der Mehrheitsfraktionen gekürzt wird. Es gibt eine stattliche Anzahl von SPD- und Unionsabgeordneten, die hier noch nie reden konnten, während bei Ihnen fast jeder mindestens zweimal an der Reihe war. Also auch hier gibt es ein erhebliches Entgegenkommen unsererseits. ({2}) Diese Verbesserungen der Minderheitenrechte sind in der Geschichte der Demokratie in Deutschland, aber auch in Europa beispiellos. Es gibt also überhaupt keinen Grund, die parlamentarische Kultur der Großen Koalition zu kritisieren; denn rein verfassungsrechtlich betrachtet - das möchte ich ausdrücklich sagen -, wären die Änderungen überhaupt nicht erforderlich gewesen. Aber sie sind politisch sinnvoll, und deswegen machen wir das. Vorwürfe, dass die Große Koalition ihre Übermacht an Stimmen ausnutze, sind vollkommen unbegründet. ({3}) Das Grundgesetz wollen wir nicht ändern; denn es handelt sich um eine spezielle Regelung für die 18. Wahlperiode. Ich gehöre zu denjenigen, die darauf setzen, dass die Große Koalition nicht zum Dauerzustand wird, um es einmal salopp zu formulieren. Deswegen wollen wir das Grundgesetz nicht ändern, erst recht nicht auf die Art und Weise, wie Sie es tun wollen. Frau Haßelmann hat zu Recht darauf hingewiesen, dass wir eine verbindliche Regelung haben, wonach im normalen Geschäftsbetrieb Änderungen durch eine Zweidrittelmehrheit, wie es nach der Geschäftsordnung möglich wäre, nicht erfolgen können. Ich möchte noch einen Satz zur abstrakten Normenkontrollklage sagen. Dieses Instrument ist gerade kein subjektives Recht, sondern bezieht sich nur auf objektive Rechtsverletzungen; nur darum geht es. Der Verfassungsgeber hat ganz bewusst geregelt, dass durch die abstrakte Normenklage eine Fülle von Gesetzen angegriffen werden kann - es gibt also einen sehr großen Anwendungsbereich -, wollte aber im Gegenzug den Personenkreis derjenigen, die diese Klage erheben können, klein halten. Sie können also keine individuellen Rechtsverletzungen geltend machen - es sei denn als Abgeordnete - und nicht jedes Gesetz angreifen. Ich halte es für eine sehr sinnvolle Regelung, dass der Personenkreis, der eine abstrakte Normenkontrollklage erheben kann, deutlich reduziert ist. Da hier oft die Vorstellung mitschwingt, nur die Opposition habe die Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren: So sehe ich es nicht. Denn trotz unserer großen Mehrheit ist es Job aller Mitglieder der die Regierung tragenden Koalitionsfraktionen, die Regierung zu kontrollieren. Auch wir diskutieren konstruktiv-kritisch über das Regierungshandeln. Keine Vorlage der Regierung wird von uns blind übernommen. Wir sind sicherlich nicht bloße Abnicker des Regierungshandelns. ({4}) Wir haben Ihnen nun die Voraussetzungen für eine effektive Oppositionsarbeit geschaffen. Jetzt liegt es an Ihnen, konstruktiv damit umzugehen und eine effektive Oppositionsarbeit zu leisten. Diesen Appell richte ich vor allem an die Linksfraktion, die sich heute bedauerlicherweise enthalten wird. Zum Schluss: Das ist meine erste Rede. Gestatten Sie mir daher, meiner kleinen Tochter alles Gute zum heutigen Geburtstag zu wünschen. Vielen Dank. ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Wir gratulieren Ihnen und natürlich auch Ihrer Tochter ganz herzlich. ({0}) Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege GrosseBrömer, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Michael Grosse-Brömer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003541, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gleich bei der ersten Rede das Glück zu haben, dass die kleine Tochter Geburtstag hat und ihr zu gratulieren, ist bezogen auf die Sympathiewerte für den nachfolgenden Redner die volle Katastrophe. ({0}) Wie dem auch sei. Es ist natürlich schön, dass zwei junge Kollegen zum Thema der Parlamentsrechte der Abgeordneten ihre erste Rede halten konnten. Ich finde, das ist ein wichtiges Thema. Es ist gut, dass wir uns intensiv um Regelungen bemüht haben. Es ist richtig gesagt worden, man hätte vielleicht gar nichts regeln müssen. Wir haben eine Verfassung. Wir haben ein Parlamentsrecht. Das beinhaltet in einer großen Fülle Minderheitenrechte. Im Übrigen gibt es nicht nur für Fraktionen Minderheitenrechte, so wie es bei den Reden, die wir bislang gehört haben, eingefordert wurde, sondern jeder Einzelne von uns hat natürlich auch Minderheitenrechte. Das muss ich hier keinem erklären. Aber das gehört sicher auch zur gesamten Debatte. Wir als Koalition machen heute etwas Einmaliges. Wir geben freiwillig, nicht zuletzt aufgrund unserer Größe, Rechte ab und regeln in der Geschäftsordnung die Stärkung der Opposition. Wir tun das nicht aus Großzügigkeit, sondern wir tun das - daran hat es auch keinen Zweifel gegeben - aus Überzeugung, weil wir der Auffassung sind, zu einer funktionierenden Demokratie gehört eine starke, hörbare und sichtbare Opposition. Ich bin davon überzeugt, dass das, was wir in der Geschäftsordnung regeln, dazu führen wird, dass Sie jetzt, wenn Sie gut sind - das müssen Sie noch ergänzend werden -, ({1}) nicht mehr sagen können: Oh Gott, sind wir klein; wir haben gar keine Möglichkeiten. - Ab heute haben Sie sie. Jetzt müssen Sie mit Oppositionsarbeit langsam anfangen. Das will ich auch noch einmal sagen. ({2}) Jetzt haben Sie alle Chancen, hörbar und sichtbar zu werden. Wenn Sie es nicht schaffen, sind Sie ab heute selber schuld. ({3}) Ich will Ihnen noch eines sagen: Frau Haßelmann hat klar und eindeutig gesagt, dass das, was wir als Koalition vorgeschlagen haben und heute umsetzen, eine massive Verbesserung der Oppositionsrechte ist. ({4}) Ich finde es gut, wenn man so viel Lob bekommt. Im Übrigen finde ich es auch angemessen. Dann muss es an dieser Stelle auch erwähnt werden. ({5}) Zu dem Hinweis, wir hätten am Anfang gesagt, das sei mit einem Beschluss ausreichend geregelt: Wir dürfen eines nicht vergessen, wir haben im Ältestenrat - ganz klug - den Bundestagspräsidenten gebeten, uns rechtlich und inhaltlich eine Vorgabe mitzugeben. Darin lag es begründet, dass wir gesagt haben: Rechtlich und wahrscheinlich auch hinsichtlich der Effizienz hätte ein Beschluss dieses Bundestages völlig ausgereicht. Aber nur weil Sie es wollten, haben wir es auch in der Geschäftsordnung fixiert. Dies ist ein weiterer Nachweis dafür, welch großes Verständnis wir für die kleine Opposition haben. Wir haben die Rederechte sinnvollerweise auch ausgeweitet. Obwohl Sie nur 17 Prozent bei den Wahlen bekommen haben - aus welchen Gründen auch immer -, haben Sie bis zu 32 Prozent Redezeit. Ich finde das richtig und sinnvoll. Man muss auch Rede- und Gegenrede ermöglichen. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Kolleginnen und Kollegen der Koalition gerade verfassungsrechtlich die gleichen Rechte haben wie die in der Opposition. Darauf ist schon hingewiesen worden. Ich hoffe, wir haben gemeinsam die Chance, vernünftige und auch strittige Debatten zu führen; denn die Demokratie lebt nicht nur von Minderheitenrechten. Demokratie lebt auch von einer lebendigen Debatte, von Widerspruch und nicht von Harmonie. Diesem Parlament wird es guttun, dass Sie Ihre heute garantierten Minderheitenrechte in sachlicher Hinsicht ausnutzen. Werden Sie gut! Wir als Regierungskoalition haben auch den Anspruch, gut zu sein. Ich habe das Gefühl, wir haben es im Gegensatz zu Ihnen schon ein Stück weit unter Beweis gestellt. Deswegen ist es schön, wenn wir heute eines feststellen können: Es gibt Länder in dieser Welt, da wird die Opposition drangsaliert. ({6}) Bei uns ist es so, dass die Opposition rechtlich gestärkt wird. Das ist doch auch ein Vorteil dieses Parlamentes und auch der Koalition. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Änderung der Geschäftsordnung zur besonderen Anwendung der Minderheitenrechte in der 18. Wahlperiode“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/997, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/481 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Nein, hier vorne fehlt noch ein Schriftführer oder eine Schriftführerin. ({0}) Die Minderheitenrechte sollten jetzt nicht dazu führen, dass die rechte Urne von der Opposition nicht besetzt wird. - Sind jetzt alle Urnen besetzt? - Ich eröffne die Abstimmung. Haben jetzt alle Mitglieder des Hauses abgestimmt? - Nein. - Jetzt haben aber alle ihre Stimme abgegeben. Die Abstimmung ist geschlossen. Die Schriftführer und Schriftführerinnen beginnen mit der Auszählung. Das Ergebnis der Auszählung wird Ihnen später bekannt ge- geben.1) Bevor wir zur nächsten namentlichen Abstimmung kommen, haben wir eine einfache Abstimmung durchzu- führen. Deshalb bitte ich Sie, sich zu Ihren Plätzen zu begeben. - Ich bitte Sie alle, Platz zu nehmen. Sonst können wir nicht mit der Abstimmung beginnen. - Auch die Abgeordneten der SPD hier vorne würde ich bitten, sich jetzt hinzusetzen. - Liebe Kolleginnen und Kolle- gen, es macht keinen Sinn; wir können nicht abstimmen, wenn Sie nicht Platz nehmen. Wir stimmen jetzt über den Entwurf eines Gesetzes der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke zur Sicherung der Oppositionsrechte in der 18. Wahlpe- riode des Deutschen Bundestages ab. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung emp- fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/997, den Gesetzentwurf der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke auf Drucksa- che 18/380 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Der Gesetzentwurf ist in zwei- ter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Ge- schäftsordnung die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 7 c. Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes der Fraktion Die Linke zur Ände- rung des Grundgesetzes, Art. 23, 39, 44, 45 a und 93. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge- schäftsordnung empfiehlt unter Buchstabe c seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 18/997, den Gesetz- entwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/838 abzulehnen. Wir stimmen nun auf Verlangen der Frak- tion Die Linke über den Gesetzentwurf namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Ich sehe, das ist der Fall. Ich er- öffne die Abstimmung über den Gesetzentwurf. Haben jetzt alle Mitglieder des Hauses abgestimmt? - Ich sehe, das ist der Fall. 1) Ergebnis siehe Seite 2085 C Vizepräsidentin Ulla Schmidt Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Wir setzen die Abstimmungen fort. Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 7 d: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke mit dem Titel „Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zwecks Sicherung der Minderheitenrechte der Opposition im 18. Deutschen Bundestag“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/997, den Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke auf Drucksache 18/379 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes Drucksache 18/910 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundesregierung hat die Kollegin Anette Kramme. ({2})

Anette Kramme (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003162

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle haben in den letzten Jahren die Be- richterstattung über die Zustände in den Schlachthöfen verfolgt. Viele der Kollegen konnten uns hier ureigenst erzählen, welche Zustände in vielen deutschen Schlacht- höfen herrschen. Uns ist berichtet worden über nied- rigste Löhne, vor allen Dingen bei entsandten Arbeitneh- mern, die aus Rumänien, Bulgarien, Polen oder Ungarn kommen. Uns ist berichtet worden über Stundenlöhne in einer Größenordnung von 4 bis 6 Euro. Es gibt wohl Einzelfälle, in denen die Löhne noch niedriger waren. Vom Einsatz von unüberschaubaren Subunternehmer- ketten, die ihren Sitz im Ausland haben, ist uns ebenfalls berichtet worden. Tarifstrukturen waren bislang nur ein- geschränkt vorhanden. Bis Ende 2013 gab es keinen 1) Ergebnis siehe Seite 2087 B regionalen Tarifvertrag, geschweige denn einen Flächentarifvertrag. Dabei handelt es sich um eine wirklich harte und belastende Arbeit. Die Arbeit ist extreme Fließbandarbeit, sehr anstrengend, monoton und hochgradig arbeitsteilig. Häufig wird nur ein einzelner Arbeitsschritt durchgeführt. Ich kann Ihnen, liebe Kollegen und Kolleginnen, nur empfehlen, einen solchen Schlachthof zu besichtigen, in dem täglich Tausende von Tieren zerlegt werden. Wir sind sehr froh, dass die intensiven Diskussionen über den gesetzlichen Mindestlohn in der Fleischbranche ein Umdenken bewirkt haben. Anfang dieses Jahres haben sich die Tarifpartner auf einen Mindestlohntarifvertrag für die Fleischbranche geeinigt. Es ist gut, dass es der Branche gelungen ist, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Gerne haben wir dem Parlament einen Gesetzentwurf zur Erweiterung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes vorgelegt. Damit werden künftig über 170 000 Arbeitnehmer dieser Branche potenziell geschützt. Geschützt wird aber auch eine andere Gruppe. Geschützt wird eine Gruppe, bestehend aus circa 23 000 entsandten Arbeitnehmern, also denjenigen, die aus vielen anderen Ländern der Europäischen Union hergekommen sind, um die schwere Arbeit zu erledigen. Durch die Einbeziehung in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz und die anschließende Rechtsverordnung kann der Tarifvertrag - das ist das Wichtige - nicht nur eine nationale, sondern auch eine international zwingende Wirkung entfalten. ({0}) Es ergeben sich aber noch andere positive Wirkungen. Die Einhaltung des Mindestlohns wird künftig durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit überwacht. Bei Verstößen können Bußgelder in einer Größenordnung bis zu 500 000 Euro verhängt werden, und - das ist ebenfalls sehr wichtig für die entsandten Arbeitnehmer - der deutsche Generalunternehmer haftet, wenn ein Subunternehmen seinen Arbeitnehmern den Branchenmindestlohn nicht zahlt. ({1}) Er kann sich dabei nicht darauf zurückziehen, er hätte von den schlechten Arbeitsbedingungen nichts gewusst. Ich weiß, dass einige kritische Geister unter Ihnen sofort anmerken werden: Was nutzt das denn den ausländischen Arbeitnehmern? Die kennen sich hier doch nicht aus, wissen nicht Bescheid über das deutsche Recht. Ich will die Gelegenheit nutzen und auf ein vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales finanziertes und vom DGB durchgeführtes Projekt verweisen. Es heißt „Faire Mobilität - Arbeitnehmerfreizügigkeit sozial, gerecht und aktiv“. An verschiedenen Standorten werden ausländische Arbeitnehmer beraten, damit diese ihre Rechte wahrnehmen können. In Hamburg geht es speziell um die Fleischbranche. Von diesem Gesetz werden viele Arbeitnehmer profitieren. Von dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie, durch das der gesetzliche Mindestlohn kommen wird, werden noch mehr profitieren. Ich finde, das sind gute Botschaften für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, ({2}) aber auch für die Arbeitgeber, die dem Lohndumping der schwarzen Schafe nicht mehr ausgesetzt sind. Herzlichen Dank. ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Nächste Rednerin ist Sabine Zimmermann, Fraktion Die Linke. ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Im letzten Jahr durften wir in diesem Hause eine Kostprobe der gesanglichen Fähigkeiten der damaligen SPD-Abgeordneten Andrea Nahles hören. Mit Blick auf die Bundesregierung sang sie damals frei nach Pippi Langstrumpf: Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt. - Keine Angst, ich werde jetzt hier nicht singen, obwohl ich früher ein junges Talent war. ({0}) Heute hat Frau Nahles als Bundesministerin die Möglichkeit, die Welt zu verändern. Das ist bitter nötig, schauen wir uns nur die Arbeitsverhältnisse hier in der Fleischindustrie an. ({1}) In den deutschen Schlachthöfen haben sich in den zurückliegenden 10, 20 Jahren unhaltbare Zustände entwickelt. Beim Schlachten und in der Fleischverarbeitung hat es einen enormen Erdrutsch bei den Löhnen und bei den Arbeitsbedingungen gegeben. Als die Dienstleistungsmärkte in Europa geöffnet wurden, versäumte es die Politik - vielleicht sollten wir sagen: hat sie es bewusst unterlassen -, in den Mitgliedsländern für die Entlohnung verbindliche Mindeststandards festzuschreiben. Maßgeblich gefördert durch deutsche Regierungen hat so eine falsche Politik der Europäischen Union zu einem dramatischen Sozialdumping geführt. Es sind vor allem ausländische Beschäftigte, meist aus Osteuropa entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die über Werkverträge und Subunternehmen zu Hungerlöhnen beschäftigt werden. Sie leben oft zusammengepfercht in menschenunwürdigen Unterbringungen, abgeschottet von der deutschen Gesellschaft. Das ist moderne Sklaverei und menschenunwürdig. Das muss endlich beendet werden. ({2}) Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten schätzt: 80 Prozent der Beschäftigten in deutschen Schlachthöfen sind Werkvertragsarbeitnehmer. Die Zustände in den deutschen Schlachthöfen sind so katastrophal, dass sich Nachbarländer wie Frankreich, Dänemark und Belgien beschwert haben, Deutschland verschaffe sich durch Lohndumping Wettbewerbsvorteile. Belgien hat bei der EU-Kommission sogar eine offizielle Beschwerde eingereicht. Das muss man doch endlich einmal zur Kenntnis nehmen. Die Bundesregierung macht hier wenig bis fast gar nichts. Der Gesetzentwurf, der hier heute vorgelegt wird, ist zwar richtig und geht in die richtige Richtung, aber die Lohnhöhe - darüber werden wir noch reden - entspricht natürlich nicht unseren Vorstellungen. ({3}) Dafür, dass dies in Deutschland möglich ist, sollten sich die politisch Verantwortlichen schämen. Es ist dringend notwendig, zu handeln und bei den Löhnen Mindeststandards für die Branche festzulegen. Der hier vorgelegte Gesetzentwurf bietet das einfach nicht. Das eine ist natürlich, wie ich schon sagte, die Entgelthöhe. Wir alle wissen: Die vereinbarten Tarife führen nicht aus dem Niedriglohnsektor heraus. Der Branchenmindestlohn soll ab dem 1. Juli dieses Jahres 8 Euro betragen. Die Niedriglohnschwelle lag aber schon im Jahr 2012 bei 9,30 Euro. Besonders fatal ist: Die Beschäftigten werden im kommenden Jahr zunächst nicht vom gesetzlichen Mindestlohn profitieren. Denn hier wird vor allen Dingen die Übergangsregelung greifen, in der festgelegt werden soll, dass die Arbeitgeber diesen Beschäftigten den Mindestlohn vorenthalten können. Auch das gehört zu Ihrem Flickenteppich des Mindestlohns. Herr Schiewerling, ich schaue Sie da ganz besonders an. ({4}) Sie sagen immer, der Mindestlohn, so wie Sie ihn einführen, ist das Nonplusultra. Das größte Problem ist aber die Umsetzung des Branchenmindestlohns in der Praxis; Frau Kramme hat das angesprochen. Erst massive Medienberichte haben dazu geführt, dass die Arbeitgeber bereit waren, einen Tarifvertrag abzuschließen, der jetzt als allgemeinverbindlich erklärt werden und für alle Beschäftigten gelten soll. Schon jetzt ist klar, dass Arbeitgeber alles tun werden, um die gesetzlichen Regelungen zu umgehen und zu unterlaufen. Scheinselbstständigkeiten, falsche Stundenabrechnungen, Zwangsabgaben vom Lohn für überteuerte Unterkünfte, all das sind Praktiken, die wir alle schon aus anderen Branchen kennen. Eine effektive Kontrolle ist nur möglich, wenn die Finanzkontrolle Schwarzarbeit personell ordentlich ausgestattet ist. Dies ist derzeit nicht der Fall. Um ordentlich zu kontrollieren, brauchen wir mindestens 2 500 Beschäftigte mehr. Das fordert die Zollgewerkschaft. Die Bundesregierung muss dem Wildwuchs an Scheinwerkverträgen und Subunternehmen Einhalt gebieten. Sie Sabine Zimmermann ({5}) muss auf europäischer Ebene für eine Durchsetzungsrichtlinie sorgen, die nicht einem weiteren Lohndumping hier in Deutschland Tür und Tor öffnet. ({6}) Um auf die damalige Rede unserer heutigen Arbeitsministerin zurückzukommen: Solange in Deutschland Menschen harte Arbeit unter krankmachenden Bedingungen leisten und dafür auch noch Hungerlöhne in Kauf nehmen müssen, solange Praktiken wie in Callcentern, bei den Truckerfahrern oder in der Fleischindustrie zu- und nicht abnehmen, so lange darf nichts bleiben, wie es ist, und so lange ist nichts wunderbar auf unserem Arbeitsmarkt. Hier - das möchte ich den beiden Staatssekretärinnen mit auf den Weg geben - muss Frau Nahles endlich handeln. Danke schön. ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Bevor gleich der Kollege Schiewerling das Wort erhält, darf ich Ihnen die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt geben. Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung zur besonderen Anwendung der Minderheitenrechte in der 18. Wahlperiode auf den Drucksachen 18/481 und 18/997: abgegebene Stimmen 588. Mit Ja haben gestimmt 531, mit Nein haben gestimmt 2, Enthaltungen 55. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 585; davon ja: 530 enthalten: 55 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({0}) Veronika Bellmann Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Alexandra Dinges-Dierig Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({1}) Axel E. Fischer ({2}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich ({3}) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({4}) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Anja Karliczek Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({5}) Vizepräsidentin Ulla Schmidt Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Elisabeth Motschmann ({6}) Stefan Müller ({7}) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({8}) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer ({9}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Jana Schimke Norbert Schindler Heiko Schmelzle Gabriele Schmidt ({10}) Patrick Schnieder Nadine Schön ({11}) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder ({12}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster ({13}) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({14}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({15}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg ({16}) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß ({17}) Sabine Weiss ({18}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Kai Whittaker Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({19}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Heinrich Zertik Emmi Zeulner Gudrun Zollner SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({20}) Burkhard Blienert Edelgard Bulmahn Marco Bülow Dr. Lars Castellucci Petra Crone Dr. Daniela De Ridder Sabine Dittmar Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier-Heite Dr. h. c. Gernot Erler Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann ({21}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({22}) Gabriela Heinrich Marcus Held Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({23}) Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christian Lange ({24}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir ({25}) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Andreas Rimkus Sönke Rix Dr. Martin Rosemann René Röspel Michael Roth ({26}) Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Vizepräsidentin Ulla Schmidt Axel Schäfer ({27}) Dr. Nina Scheer Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({28}) Matthias Schmidt ({29}) Dagmar Schmidt ({30}) Carsten Schneider ({31}) Ursula Schulte Swen Schulz ({32}) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Waltraud Wolff ({33}) Gülistan Yüksel Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck ({34}) Volker Beck ({35}) Dr. Franziska Brantner Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Anja Hajduk Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn ({36}) Christian Kühn ({37}) Renate Künast Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({38}) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Dr. Julia Verlinden Beate Walter-Rosenheimer Enthalten DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Dr. Alexander S. Neu Petra Pau Harald Petzold ({39}) Martina Renner Kersten Steinke Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Hubertus Zdebel Pia Zimmermann ({40}) Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes auf den Drucksachen 18/838 und 18/997: abgegebene Stimmen 582. Mit Ja haben gestimmt 54, mit Nein haben gestimmt 470, Enthaltungen 58. Der Gesetzentwurf ist abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 583; davon ja: 55 nein: 470 enthalten: 58 Ja DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Dr. Alexander S. Neu Petra Pau Harald Petzold ({41}) Martina Renner Kersten Steinke Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Hubertus Zdebel Pia Zimmermann ({42}) Vizepräsidentin Ulla Schmidt Nein CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({43}) Veronika Bellmann Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Alexandra Dinges-Dierig Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({44}) Axel E. Fischer ({45}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich ({46}) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({47}) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Anja Karliczek Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({48}) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Elisabeth Motschmann ({49}) Stefan Müller ({50}) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({51}) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer ({52}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Jana Schimke Norbert Schindler Heiko Schmelzle Gabriele Schmidt ({53}) Patrick Schnieder Nadine Schön ({54}) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder ({55}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster ({56}) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({57}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Vizepräsidentin Ulla Schmidt Volkmar Vogel ({58}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg ({59}) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß ({60}) Sabine Weiss ({61}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Kai Whittaker Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({62}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Heinrich Zertik Emmi Zeulner Gudrun Zollner SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({63}) Burkhard Blienert Edelgard Bulmahn Marco Bülow Dr. Lars Castellucci Petra Crone Dr. Daniela De Ridder Sabine Dittmar Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier-Heite Dr. h. c. Gernot Erler Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann ({64}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({65}) Gabriela Heinrich Marcus Held Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({66}) Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christian Lange ({67}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir ({68}) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Andreas Rimkus Sönke Rix Dr. Martin Rosemann René Röspel Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({69}) Dr. Nina Scheer Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({70}) Matthias Schmidt ({71}) Dagmar Schmidt ({72}) Carsten Schneider ({73}) Ursula Schulte Swen Schulz ({74}) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Waltraud Wolff ({75}) Gülistan Yüksel Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Enthalten BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck ({76}) Volker Beck ({77}) Dr. Franziska Brantner Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Anja Hajduk Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn ({78}) Christian Kühn ({79}) Renate Künast Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({80}) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Dr. Julia Verlinden Beate Walter-Rosenheimer Vizepräsidentin Ulla Schmidt ({81}) Jetzt hat der Kollege Schiewerling das Wort. ({82})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe sehr, dass die Zeitungsmeldungen von menschenunwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen von Arbeitnehmern in der Fleischindustrie bald ein Ende haben. Da haben wohl einige Unternehmer und Unternehmen die Liberalisierung des Arbeitsmarktes, die in den Jahren 2003, 2004 und 2005 erfolgt ist, gründlich missverstanden. Wer glaubt, er könne mit Arbeitnehmern umgehen wie mit dem Fleisch, das man verarbeitet, der muss wissen, dass er nicht nur sich selbst, sondern auch andere Unternehmer und die Ethik des Unternehmers in höchstem Maße beschädigt. ({0}) Ich möchte von denen, die dieses machen, nie mehr hören, dass der Staat zu viel reguliert. Wer so mit Menschen umgeht, braucht sich nicht zu wundern, wenn der Staat eingreift. ({1}) Das tun wir mit diesem Gesetz. Meine Damen und Herren, ich bin sehr betroffen. In meinem Wahlkreis Coesfeld, im Münsterland, im benachbarten Emsland und im südlichen Oldenburger Münsterland ({2}) konzentrieren sich diese Probleme in massivster Weise. Sie haben dort Wellen geschlagen und Ausmaße erreicht, die man nicht für möglich gehalten hätte. Ich freue mich sehr, dass die Menschen durch den Anblick der Unterkünfte der Arbeitnehmer, die aus Rumänien und Bulgarien gekommen sind, auf die Situation aufmerksam geworden sind und festgestellt haben, unter welch unwürdigen Bedingungen diese Arbeitnehmer gelebt haben und leben. Weil man ja nicht hinter die Mauern der Schlachthöfe schauen konnte, hatte man nur den Blick dafür, wie die Menschen, die dort arbeiten, leben. Das hat den - im besten Sinne des Wortes - heiligen Zorn der Bevölkerung hervorgerufen. Gott sei Dank haben sich die Gewerkschaft NahrungGenuss-Gaststätten, die in den Regionen, von denen ich gerade gesprochen habe, aber strukturell zu schwach aufgestellt ist - das werfe ich ihr nicht vor; es ist leider so -, und die Kirchen, insbesondere das Bistum Münster, also die katholische Kirche, mit der Situation befasst, und im südlichen Oldenburg hat Prälat Kossen mit unglaublicher Intensität auf die Missstände aufmerksam gemacht. ({3}) Ich darf darauf hinweisen, welch große Emotionen es ausgelöst hat, als man ein totes Tier in seinen Briefkasten gesteckt hat, als Hinweis darauf, was ihm passiert, wenn er so weitermacht. Wissen Sie, bei solchen Machenschaften sträuben sich einem die Nackenhaare. ({4}) Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Das hat mit sozialer Marktwirtschaft und verantwortungsvollem Unternehmertum nichts, aber auch gar nichts zu tun. ({5}) Deswegen reagieren wir. Wir haben im letzten Jahr reagiert, indem wir zunächst mit allen Betroffenen geredet haben. Die Bundesarbeitsministerin hat sich eingeschaltet. Franz-Josef Holzenkamp, der Kollege aus SüdOldenburg, wo die Situation besonders eklatant ist, hat die Betroffenen dazu gebracht, sich an einen Tisch zu setzen. Wir haben gesagt: Wir fallen nicht mit allen möglichen gesetzlichen Regelungen ein, sondern wir zwingen die Arbeitgeber, die Unternehmen, endlich dazu, einen Arbeitgeberverband zu gründen, damit sie ordentliche Tarifverträge mit der Gewerkschaft Nahrung-GenussGaststätten schließen können. - Sie haben sich erst gesträubt - nicht alle; einige haben sich in besonderer Weise gesträubt -, aber dann konnten sie nicht mehr anders; der öffentliche Druck war entscheidend. Wir sind einen ordnungspolitisch sauberen Weg gegangen. Sie haben einen Arbeitgeberverband gegründet. Sie haben mit der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten einen Tarifvertrag geschlossen. Dieser Tarifvertrag - so haben wir das in dieser Koalition einvernehmlich geklärt wird jetzt Gegenstand des Entsendegesetzes. Deswegen werden in Zukunft die entsandten Arbeitnehmer aus Rumänien, aus Bulgarien, woher auch immer sie kommen, geschützt sein und zumindest das erhalten, was im Tarifvertrag steht. ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Schiewerling, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vogler?

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. Kollegen aus dem Münsterland muss man immer die Möglichkeit geben, profunde Fragen zu stellen.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung zulassen. - Ich komme - Sie haben das schon erwähnt - ebenfalls aus dem Münsterland, aus Emsdetten. Da haben wir die Zustände, die Sie beschrieben haben, in dem Betrieb von Sprehe. Es gibt sehr viele Menschen, die sich für das Wohl der betroffenen Arbeiterinnen und Arbeiter engagieren. Wir sehen noch ein großes Problem, das Sie mit dem vorliegenden Gesetzentwurf noch nicht angehen. Ich würde Sie gern darauf hinweisen, dass es einen starken ökonomischen Anreiz gibt, einen gesetzlichen Anreiz, Normalarbeitsverhältnisse in diesem Bereich zu vermeiden und auf Werkverträge und Leiharbeit zu setzen. Diesen Anreiz setzt das Erneuerbare-Energien-Gesetz mit der Möglichkeit für Unternehmen, sich durch einen hohen Anteil von Leiharbeit und Werkverträgen von der EEG-Umlage befreien zu lassen. Da sind in den letzten Jahren Millionen Euro gespart worden, gerade in der Schlachtbranche. Auf Anfrage der Grünen und auch auf meine Anfrage hin hat die Bundesregierung das berichtet. Jetzt haben Sie bestätigt, dass Sie eigentlich noch keine Pläne dazu haben, genau diesen Punkt bei der Reform des EEG, die schon in der nächsten Woche im Kabinett auf der Tagesordnung steht, aufzunehmen. Ich möchte Sie als Kollegen, der sich in der Materie auskennt und der Empathie für die Beschäftigten mitbringt, einfach bitten: Setzen Sie sich in Ihrer Fraktion und in der Regierungskoalition insgesamt bitte dafür ein, dass bei der Reform des EEG diese Regelung, dass Werkverträge und Leiharbeit dazu dienen können, eine Befreiung von der EEG-Umlage zu bekommen, gestrichen wird, damit wir auch in dieser Branche wieder ordentliche und sichere Normalarbeitsverhältnisse bekommen. ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ich habe Ihnen noch gar nichts bestätigt, sondern ich habe hier vorgetragen, was ist. Ich nehme die Anregungen, die Sie mit Blick auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz gegeben haben, zur Kenntnis. Wir können aber in dem Gesetzgebungsverfahren, um das es heute geht, nicht alle Dinge regeln. ({0}) In diesem Gesetzgebungsverfahren regeln wir zunächst einmal, dass die Menschen, die aus Rumänien, Bulgarien und von sonst wo zu uns kommen, faire Arbeitsbedingungen haben. Wir werden alles tun, dass nicht am Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik Fairness am Arbeitsmarkt scheitert. Alle anderen Fragen, die sich aus volkswirtschaftlichen Erwägungen ergeben oder die mit Energie zu tun haben, müssen anderswo geklärt werden. Dazu werden wir ganz sicher keine Lex Schlachthöfe machen. In welcher Form das passiert, wird an anderer Stelle zu klären sein. ({1}) Zum vorliegenden Gesetzentwurf lassen Sie mich noch darauf hinweisen, dass wir in Deutschland ein funktionierendes, ein, wie ich finde, gut funktionierendes, Rechtssystem haben. Wir werden diejenigen, die Missbrauch betreiben wollen, auch mit diesem Gesetzentwurf möglicherweise nicht hindern, Missbrauch zu betreiben, aber wir bekommen damit die Möglichkeit, Missbrauch gesetzlich zu ahnden. Ich freue mich sehr, dass wir im Rahmen des Mindestlohngesetzes, das wir noch beraten werden, und im Rahmen des vorliegenden Gesetzes auch die Möglichkeiten des Zolls mit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit deutlich verbessern werden, damit wir dem Missbrauch dann auch auf die Spur kommen. Dass es funktioniert, sehen wir zum Beispiel in dem Kreis, aus dem Sie kommen. Da hat die Justiz zugeschlagen. Der Unternehmer, der geglaubt hat, sich so verhalten zu können, sitzt hinter Schloss und Riegel. Er ist verhaftet und verurteilt worden. Diejenigen aus der Familie, die glauben, sie könnten das so weitermachen, werden sich wundern; sie werden sehen, was mit ihnen passiert. Ich glaube, dass wir in diesem Punkt ein ordentliches rechtsstaatliches Verfahren beschreiten. Ich bin sehr froh, dass das, was wir noch in der letzten Legislaturperiode auf den Weg gebracht haben, jetzt den Weg nimmt, den wir eingeschlagen haben. Lassen Sie mich auf folgende Fragen eingehen: Was heißt es eigentlich, wenn wir diesen Gesetzentwurf verabschieden? Welche Botschaften gehen davon eigentlich aus? - Wir möchten gerne, dass von der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs die Botschaft ausgeht, dass wir für Fairness und für Mindeststandards auf dem Arbeitsmarkt sind. Die Arbeitnehmer, die zu uns kommen, sollen wissen, dass wir nicht dulden, dass mit ihnen so verfahren wird, wie bisher verfahren wurde. Ich kann die Unternehmen, die Werkvertragsarbeitnehmer aus anderen Ländern zu uns holen, nur inständig bitten, nicht zu sagen, sie hätten mit deren Unterbringung und Lebenssituation nichts zu tun. Vielmehr tragen diese Unternehmen Mitverantwortung; sie sollten also ethisch verantwortungsvoll handeln. Das sagen wir ihnen gemeinsam. Ich kann nur darum bitten, dass das, was die Gemeinde Sögel im Emsland begonnen hat, andere Gemeinden übernehmen, nämlich durch Ortssatzungen und Ortsstatuten dafür zu sorgen, dass Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen, einen Mindeststandard an ordnungsgemäßer, menschenwürdiger Unterbringung haben. ({2}) Hier haben die Kommunen Gestaltungsmöglichkeiten. Das Ganze ist nicht nur eine Frage des Bundesgesetzgebers; vielmehr kann man die betreffenden Dinge vor Ort regeln. Dafür setzen wir uns massiv ein. Ich bin sehr froh, dass wir die Fleischbranche jetzt ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufnehmen. Froh sind mit mir alle Landwirte, die mit dem bisherigen Verfahren nicht einverstanden waren, und alle Menschen, die sich für die Menschen, mit denen man schlecht umgegangen ist, engagiert haben. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Herzlichen Dank. ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Nächste Rednerin ist Beate Müller-Gemmeke, Bündnis 90/Die Grünen.

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Unlängst saß ich abends tatsächlich einmal auf dem Sofa und habe mir als Tatort-Fan eine Wiederholung angeschaut, und zwar Schweinegeld. Da geht es um Mord in einem Schlachthof. Dieser Krimi war nicht nur spannend; er zeigte vor allem eine unsägliche Realität in Deutschland. Damit ist nun endlich Schluss, zumindest bei den Dumpinglöhnen. Endlich wurde in der Fleischbranche wenigstens ein Mindestlohn vereinbart. Und der wird jetzt auch zügig in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz übernommen. Das haben wir Grüne schon lange gefordert, und deshalb unterstützen wir natürlich den Gesetzentwurf der Bundesregierung. ({0}) Auf den ersten Blick scheint es, als ob diese Übergangsregelung beim Mindestlohn zumindest in dieser Branche die Tarifautonomie stärkt. Schlussendlich wird sich das aber erst in der Zukunft zeigen. Wenn die Arbeitgeber der Fleischbranche diesen Mindestlohntarifvertrag nur auf den Weg gebracht haben, damit sie trotz des gesetzlichen Mindestlohns noch eine Weile niedriger entlohnen können, dann wäre diese Ausnahme fatal. Die Arbeitgeber müssen die Zeit jetzt natürlich nutzen und in weiter gehende Tarifverhandlungen einsteigen. Natürlich muss es auch um höhere Löhne gehen. Passiert hier nichts, dann war die Übergangsregelung lediglich ein Geschenk an die Branche, und das wäre nicht akzeptabel. ({1}) Neben den niedrigen Löhnen geht es natürlich auch um die Arbeitsbedingungen, und die sind miserabel. In NRW beispielsweise wurden bei zwei Dritteln der kontrollierten Betriebe massive Arbeitsschutzmängel festgestellt. Die Arbeitszeiten in der Branche sind katastrophal: 13 Stunden am Stück am Fließband sind häufig Normalität. Die Gesundheitsvorsorge ist völlig unzureichend. Arbeitsunfälle sind an der Tagesordnung, und die fürchterlichen Zustände in den Unterkünften der Beschäftigten sind ebenfalls bekannt. Daher muss die Arbeitsministerin auch auf die Arbeitgeber Druck machen, und vor allem muss es effektive Kontrollen geben; denn alle Beschäftigten, auch in der Fleischbranche, haben das Recht auf gute Arbeitsbedingungen. ({2}) Was für die Menschen nicht gut ist, schadet auch den Tieren. Wenn Bandgeschwindigkeiten aus wirtschaftlichen Gründen immer schneller werden, dann bleiben nur noch wenige Sekunden, um ein Tier zu betäuben und in Würde zu töten. Jährlich werden so in Deutschland 770 Millionen Tiere geschlachtet, und wegen der enormen Geschwindigkeit wird eine nicht unbeträchtliche Anzahl ohne jegliche Betäubung getötet. Auch diese Probleme muss die Bundesregierung endlich in den Blick nehmen; denn echter Tierschutz sieht anders aus. ({3}) Aber jetzt wieder zurück zu den Menschen und zum Tatort Schweinegeld. In dem Film wird der Kommissar durch den Betrieb geführt. Er fragt nach den Beschäftigten. Die Sekretärin antwortet ganz selbstverständlich und kurz: Das sind nicht unsere Arbeiter. - Genau so ist es im echten Leben - es wurde schon angesprochen -: Viele Beschäftigte kommen aus Rumänien oder Bulgarien, sie arbeiten unter menschenunwürdigen Bedingungen, sie schlachten und zerlegen tagtäglich Tiere im Akkord. Wenn sie überhaupt einen Arbeitgeber haben, dann arbeiten sie teilweise für dubiose Firmen. Ihr Arbeitsverhältnis wird getarnt als Werkvertrag. - Auch das ist unsägliche Realität in Deutschland. Hier muss die Bundesregierung endlich tätig werden. ({4}) Im Koalitionsvertrag steht zwar, dass die Bundesregierung gesetzeswidrige Werkverträge verhindern will; bisher sind das aber nur spröde Worte und Pläne für das nächste Jahr. ({5}) Wenn durch zweifelhafte Werkvertragskonstruktionen immer mehr Firmen auf demselben Betriebsgelände arbeiten, dann zersplittern die Belegschaften - zulasten der Beschäftigten, der Betriebsräte, der Gewerkschaften. Die Ministerin will die Tarifautonomie stärken. Wenn sie das wirklich ernst meint, dann muss endlich Schluss sein mit diesem Missbrauch von Werkverträgen. ({6}) Mein Fazit ist also: Der Mindestlohn in der Fleischbranche ist richtig und auch wichtig; aber er reicht nicht aus. Notwendig sind bessere Arbeitsbedingungen und auch klare Grenzen für Werkverträge. Notwendig sind vor allem effektive Kontrollen, gerade in dieser Branche; Herr Schiewerling, Sie haben es eben ausgeführt. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die letztlich alle Mindestlöhne kontrollieren muss, hat aber schon heute zu wenig Personal, und mehr Personal ist auch nicht geplant. Hier muss die Arbeitsministerin beim Finanzminister endlich klare Kante zeigen; denn ein Mindestlohn nur auf dem Papier - das wäre nicht akzeptabel. Vielen Dank. ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Es spricht jetzt Bernd Rützel, SPDFraktion. Vizepräsidentin Ulla Schmidt ({0})

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich ein kleiner Junge war, gab es einmal im Jahr bei uns zu Hause ein besonderes Ereignis: Es war Schlachttag. Ein ortsansässiger Metzger kam vorbei und zerlegte in der heimischen Waschküche ein Schwein. So war der Bedarf an Wurst, Schinken und Fleisch für Monate gedeckt. Seither ist viel passiert: Heute sprechen wir von der Fleischindustrie, und unser Hunger nach Fleisch wird industriell gestillt. Aus dem löblichen, ehrsamen Fleischerhandwerk ist eine Fleischindustrie entstanden, die vor allem durch schlechte Arbeitsbedingungen auf sich aufmerksam machte. Vor allem die Schlachtindustrie hat lange Jahre auf das Geschäftsmodell aus Werkverträgen und Subunternehmerketten gesetzt. Für einen Monatslohn von umgerechnet 176 Euro wurden - auch in meiner Heimat Bayern - Menschen aus Rumänien durch Subunternehmen beschäftigt. Ich kritisiere hier in keinster Weise, dass Menschen aus anderen Ländern bei uns arbeiten. Ich bin für die Arbeitnehmerfreizügigkeit - aber zu fairen Bedingungen. ({0}) Die Politik hätte auf diese Missstände längst reagieren können. Die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohnes hätte für Ordnung in dieser Branche sorgen können. Deswegen freue ich mich, dass ich heute an der Einführung eines Mindestlohnes mitarbeiten kann. Ich habe mich gefreut, dass stellenweise alle hier - über die Fraktionsgrenzen hinweg - applaudiert haben. Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg. ({1}) Die Branche der fleischverarbeitenden Industrie schlüpft unter die Decke des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Durch die Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz sorgen wir dafür, dass der allgemeinverbindliche Mindestlohn auch für nicht tarifgebundene Betriebe gilt. Der Tarifvertrag zwischen der Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuß und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten wird für allgemeinverbindlich erklärt. Dadurch können die Löhne von vielen Tausend Menschen in der Fleischbranche noch vor Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes am 1. Januar 2015 teils deutlich erhöht werden - und das unabhängig davon, ob die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in regulärer Beschäftigung oder in Leiharbeit sind oder ob es sich um über Werkverträge mit Subunternehmen beschäftigte Menschen handelt. Allein Letztere sind über 20 000 meist osteuropäische Werkvertragsnehmer, die für Niedrigstlöhne arbeiten. In der deutschen Fleischbranche tätige Menschen sind damit endlich gleichermaßen gegen die übelsten Formen des Lohndumpings geschützt. Es geht am 1. Juli 2014 mit 7,75 Euro pro Stunde los. Im Dezember 2014 werden es 8 Euro sein. Ab dem 1. Oktober des nächsten Jahres erhöht sich der Mindestlohn auf 8,60 Euro und ab 1. Dezember 2016 auf 8,75 Euro. Aus drei Gründen freue ich mich heute besonders darüber, dass jetzt auch diejenigen an den Fleischtöpfen bedacht werden, die in unserem Teil der Welt die Fleischtöpfe für uns füllen: Es kehrt ein Stück Gerechtigkeit ein; die Ausbeutung wird beendet. Es wurde endlich ein Mittel gegen die kriminelle Ausnutzung von Werkverträgen gefunden. Es ist ein deutliches Zeichen für andere Branchen, und der Mindestlohn wirkt bereits. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, enden wir nicht wie Johanna Dark in Die heilige Johanna der Schlachthöfe von Bertolt Brecht, die den ausgesperrten Arbeitern auf den Schlachthöfen Chicagos den Glauben an Gott näherbringen will und am Ende erkennen muss, dass ihre Hoffnungen auf Gott und die Verhandlungen mit den Kapitalisten gescheitert sind und dass sie den Arbeitern, denen sie helfen wollte, nur geschadet hat. Heute ist ein guter Schlachttag. Danke schön. ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächster Redner ist Wilfried Oellers für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Wilfried Oellers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004365, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag ({0}) für die Beseitigung von Missbrauch und ungewünschten Arbeitsbedingungen in Deutschland und ein guter Tag für die Tarifautonomie in unserem Land. ({1}) Mit der Aufnahme der Fleischbranche findet nunmehr eine weitere und damit die 14. Branche Einzug ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Damit wird ein weiterer bundesweiter Mindestlohn bzw. Mindeststandard geregelt. Bei Zustimmung zum hier vorliegenden Gesetzentwurf gilt für die Fleischbranche ab dem 1. Juli 2014 ein bundeseinheitlicher Mindestlohn in Höhe von 7,75 Euro pro Stunde. Nach einer Anhebung des Mindestlohns ab dem 1. Dezember 2014 auf 8 Euro und einer weiteren Anhebung ab dem 1. Oktober 2015 auf 8,60 erreicht der Mindestlohn ab dem 1. Dezember 2016 einen Betrag in Höhe von 8,75 Euro. Durch den am 13. Januar 2014 zwischen den Tarifvertragsparteien geschlossenen Tarifvertrag wird damit die im Koalitionsvertrag vereinbarte Mindestlohnhöhe von 8,50 Euro mehr als ein Jahr vor dem Stichtag 1. Januar 2017, ab dem der bundesweit einheitliche Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro auch für bis dahin noch gültige anderweitige tarifvertragliche Vereinbarungen gelten soll, überschritten. Die aus dem Gesetzentwurf resultierende Aufnahme des vereinbarten Tarifvertrags der Fleischindustrie in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz hat insbesondere zur Folge, dass die Arbeitnehmer von ausländischen Subunternehmern, die in Deutschland arbeiten, ebenfalls die genannten Mindestlöhne und Mindeststandards zu erhalten haben. Damit wird ein zu Recht an den Pranger gestellter Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeitern aus Osteuropa unterbunden; denn eine solche Aufnahme erfolgt nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz mit dem Ziel, angemessene Mindestarbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schaffen und faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten. Dies gilt bei der Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für alle Betriebe einer Branche. ({2}) Durch den geschilderten Missbrauch geriet nicht nur die gesamte fleischverarbeitende Branche in Misskredit. Diese negativen Zustände hatten eine gewisse Strahlwirkung und damit auch Auswirkungen auf das fleischproduzierende landwirtschaftliche Gewerbe, das in dieser Diskussion zu Unrecht in einem Atemzug mit der Fleischwirtschaft genannt wurde. Mit diesem Tarifvertrag haben es die Tarifvertragsparteien geschafft, Mindeststandards bundeseinheitlich festzulegen, um so zukünftig den geschilderten Missbrauch zu unterbinden. All die genannten Gründe rechtfertigen die Empfehlung, dem Gesetzentwurf zuzustimmen, um den negativen Eindrücken der Vergangenheit entgegenzuwirken. ({3}) Insbesondere ist bei diesem Gesetzentwurf zu berücksichtigen, dass es der ausdrückliche Wunsch der Tarifvertragsparteien ist, den beschlossenen bundeseinheitlichen Tarifvertrag in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufzunehmen. Der Gesetzgeber sollte sich diesem ausdrücklichen Wunsch nicht entgegenstellen und damit die Tarifautonomie stärken. Die gewünschte Aufnahme der Fleischbranche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz stellt damit den letzten Schritt eines seit Frühjahr bzw. Sommer 2013 eingeleiteten Prozesses dar. Sie ist als wesentlicher Erfolg der Union anzusehen, die sich sehr für den Abschluss eines bundeseinheitlichen Tarifvertrags der Fleischbranche ausgesprochen hat. ({4}) Vor allem aber ist diese Aufnahme ein deutlicher Erfolg für die Tarifautonomie. Sie stärkt damit die verfassungsrechtlich garantierte Tarifvertragsfreiheit, für die sich die Union stets eingesetzt hat. Dass nunmehr die 14. Branche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen wird, ist ein deutliches positives Signal in Richtung Tarifvertragsfreiheit. Diese positive Entwicklung sollte uns Anlass geben, die Tarifautonomie bei allen anderen anstehenden Entscheidungen weiter zu stärken. ({5}) Heute ist ein guter Tag für die Beseitigung von Missständen und für die Tarifautonomie in Deutschland. Lassen Sie uns weiter daran arbeiten, dass noch viele weitere gute Tage für die Tarifautonomie und gegen Missbrauch in Deutschland folgen werden! Vielen Dank. ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächster Redner ist Dennis Rohde, SPD-Fraktion. ({0})

Dennis Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf die Fleischwirtschaft steht unmittelbar bevor. Der Weg ist frei, den zu Beginn dieses Jahres ausgehandelten Mindestlohn für allgemeinverbindlich zu erklären. Damit schieben wir der Ausbeutung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch in diesem Bereich endlich einen Riegel vor. ({0}) Für uns als Land inmitten Europas ist dabei wichtig, dass die Tarifbedingungen dann auch für Arbeitgeber gelten, die ihren Sitz im Ausland haben und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach Deutschland entsenden. Als Abgeordneter aus der Region Weser-Ems kann ich Ihnen aus Erfahrung sagen, dass dieses Thema ein Dauerbrenner ist: allgegenwärtig in den Medien, landauf, landab, Gesprächsrunde für Gesprächsrunde, Diskussionen in den Räten, im Landtag oder in extra eingerichteten Arbeitskreisen. Wir haben genau wie die anderen betroffenen Regionen lange auf den heutigen Tag gewartet. Nicht zuletzt dank des Einsatzes von Bundesarbeitsministerin Nahles und des Abschlusses des Branchendialoges im März 2014 können wir sagen: Auch die Fleischindustrie bekommt endlich einen Mindestlohn. ({1}) Als Sozialdemokrat sage ich Ihnen: Stundenlöhne von wenigen Euro zu bezahlen und den Beschäftigten dann noch überzogene Mieten für schmuddelige Gruppenunterkünfte abzuziehen, ist schamlos und kaltschnäuzig. Das werden wir in diesem Hause nicht weiter hinnehmen. ({2}) Denn uns ist doch klar: Solch unverfrorenes Handeln verunglimpft auch die Betriebe, in denen es ordentlich und nach Tarifrecht zugeht. Es verzerrt den Wettbewerb und schädigt unsere Wirtschaft. Damit ist jetzt Schluss. Zusammengefasst geht es also um zwei Dinge: erstens um den Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vor Dumpinglöhnen, vor Ausbeutung und nicht angemessenen Arbeitsbedingungen und zweitens um die Wiederherstellung von gleichen Wettbewerbsbedingungen für unsere Unternehmen. Genau deshalb muss ein Tarifvertrag für die ganze fleischverarbeitende Industrie gelten und nicht nur für die Betriebe, die sich auch ohne Gesetz an die guten Sitten halten. ({3}) Es zeigt sich heute erneut: Tarifautonomie und ordnungspolitische Verantwortung harmonieren sehr gut miteinander und führen gemeinsam zu vernünftigen Ergebnissen. Denn es ist parlamentarische Pflicht, nicht einfach alles laufen zu lassen. Wer unter dem Deckmantel des Mantras „Der Markt wird es schon regeln“ Ungerechtigkeiten wie bizarr niedrige Löhne kleinredet, der braucht arbeitsmarktpolitische Nachhilfe. Denn genau das ist nicht die sozial-marktwirtschaftliche Idee eines fairen Zusammenspiels von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. ({4}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Große Koalition liefert. Wir bauen keine Luftschlösser. Wir verteilen keine rosaroten Brillen. Wir diskutieren und beschließen pragmatische Lösungen und räumen systematisch das ab, was in den letzten Jahren liegen geblieben ist. Es liegt viel vor uns, und das sitzen wir nicht aus, sondern wir packen es an. Es wurde auch Zeit. Vielen Dank. ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank. - Nächster Redner für die CDU/CSU ist der Kollege Matthäus Strebl. ({0})

Matthäus Strebl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002940, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zum wiederholten Mal beraten wir heute einen Gesetzentwurf zur Änderung des ArbeitnehmerEntsendegesetzes. Heute steht die Fleischindustrie in ihrer ganzen Vielfalt vom Schlachten bis zur Fleischverarbeitung im Mittelpunkt. Von der Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz sind über 80 000 Beschäftigte direkt betroffen. Sie sorgen unter hohen körperlichen Belastungen letztlich für unser aller leibliches Wohl, ohne entsprechend entlohnt zu werden. Für bundesweite Empörung sorgte kürzlich, vor etwa einem Dreivierteljahr, die Südfleisch, als bekannt wurde, dass sie mithilfe von Werkverträgen osteuropäische Arbeitnehmer ausbeutete. ({0}) In der Sendung Kontrovers des Bayerischen Fernsehens wurde ausführlich darüber berichtet, dass eine rumänische Frau, die bei Südfleisch beschäftigt war und eigentlich 1 076 Euro hätte bekommen sollen, mit 170 Euro abgefunden wurde. Sie konnte nicht einmal die Heimreise bezahlen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, da fehlt der Respekt für geleistete Arbeit. Das ist beschämend, und deswegen müssen wir darauf reagieren. ({1}) Unser Ziel ist es, mit dem Gesetz den Beschäftigten der Fleischindustrie endlich eine vernünftige Bezahlung zu sichern. Wir werden als Gesetzgeber die Beschäftigten der Fleischindustrie vor Wildwuchs und Ausbeutung schützen. Lassen Sie mich kurz zurückblicken: Als das Arbeitnehmer-Entsendegesetz im April 2009 in Kraft trat, ging es um - ich zitiere - „zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“. Damit sollten faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen gewährleistet werden. Zugleich galt es, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu erhalten und die Ordnungs- und Befriedigungsfunktion der Tarifautonomie zu wahren. Sieben Branchen waren es, die anfangs in das Verzeichnis des Entsendegesetzes aufgenommen wurden. Inzwischen sind - zuletzt im Dezember des vergangenen Jahres mit dem Friseurhandwerk - fünf weitere Branchen hinzugekommen. Trotz aller Fortschritte auf diesem Gebiet sind heute und in Zukunft weitere Ergänzungen und Fortschreibungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes unerlässlich. Das gilt ganz besonders für die Fleischindustrie. Denn wir kommen nicht an der Tatsache vorbei: Aufgrund einiger schwarzer Schafe ist die gesamte Branche in den vergangenen Jahren zunehmend in Verruf geraten. Die offenen Grenzen zu den osteuropäischen Ländern haben dazu geführt, dass speziell in der Fleischindustrie - besonders in den grenznahen Regionen - massenhaft Missbrauch mit der Not der Menschen aus diesen Ländern betrieben wurde und teilweise noch wird. Beispielhaft hierfür steht die Südfleisch, die ich bereits genannt habe. Dieses Unternehmen hat die Möglichkeit genutzt - richtiger ist es, zu sagen: Missbrauch betrieben -, Werkverträge mit Subunternehmen abzuschließen, statt die Arbeitnehmer zu fairen Bedingungen selbst anzustellen. Werkverträge sind im Grunde genommen etwas Gutes. Das aber muss richtig betrieben werden, und wenn hier Missbrauch betrieben wird, müssen wir eingreifen. ({2}) Bekannt und leider durchaus keine Ausnahme ist, dass in deutschen Schlachthöfen Arbeitnehmer vor allem aus osteuropäischen Nachbarländern für weniger als 200 Euro im Monat schuften und Schwerstarbeit verrichten müssen. Solchen Erscheinungen wollen und müssen wir entgegentreten. Deshalb ist die vorliegende Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes überfällig und unverzichtbar. Das Bundeskabinett hat daher am 26. Februar 2014 einen Gesetzentwurf zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes beschlossen. Erst wenn die Branche im Branchenkatalog des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes steht, kann der Mindestlohn für allgemeinverbindlich erklärt werden. Erfreulicherweise - das wurde von den Vorrednern schon gesagt - hat die Tarifkommission der Fleischwirtschaft einen Mindestlohntarifvertrag vereinbart. Das war am 13. Januar dieses Jahres. Das muss man dankenswerterweise sagen. Die Kollegen haben schon auf die Steigerung hingewiesen. Der Stundenlohn soll beginnend bei 7,75 Euro über 8 Euro und 8,60 Euro auf 8,75 Euro steigen. Das müssen wir jetzt im Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufnehmen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns da herangehen, die Fleischindustrie in den Branchenkatalog des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes aufnehmen und dazu beitragen, dass ordentliche Löhne gezahlt werden. Herzlichen Dank. ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Strebl hatte das letzte Wort zu diesem Tagesordnungspunkt. Deshalb schließe ich hiermit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/910 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Britta Haßelmann, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eine Milliarde Euro Entlastung für Kommunen im Jahr 2014 umsetzen Drucksache 18/975 Überweisungsvorschlag: Haushaltsauschuss ({0}) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen. ({1})

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir beschäftigen uns jetzt in diesem Tagesordnungspunkt mit dem Thema „Entlastung der Kommunen“. Es ist noch nicht so lange her, da hat sich die Große Koalition für ihren Koalitionsvertrag und das im Koalitionsvertrag beschriebene Ausmaß, in dem die Kommunen von SPD und Union entlastet werden sollen, schon gebührend gefeiert. ({0}) Das ist wirklich unbegründet; denn alles, was Sie den Kommunen versprochen haben, zum Beispiel die Eingliederungshilfe und das Bundesteilhabegesetz, das in dieser Legislaturperiode eingeführt werden sollte, und zwar im Interesse der Menschen mit Beeinträchtigungen, weil wir uns verpflichtet haben, die UN-Konvention umzusetzen, haben Sie nicht gehalten. Eine Entlastung von 5 Milliarden Euro, die Sie im Rahmen des Fiskalpaktes mit den Ländern vereinbart haben, soll erst, man höre und staune, 2018 kommen. Das ist nach der jetzigen Legislaturperiode. Das sage ich insbesondere in Richtung der Sozialdemokraten. Warum feiern Sie sich eigentlich überall so, dass Sie die Kommunen entlasten und ihnen 5 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode versprechen? Ein Blick in den Haushaltsentwurf, über den wir in der nächsten Woche beraten, zeigt aber: Diese Entlastung kommt erst 2018, also nach dieser Legislaturperiode. Versprochen und gebrochen! ({1}) Darüber hinaus haben Sie den Kommunen zugesichert, bis zum Inkrafttreten eines Bundesteilhabegesetzes - es ist sicherlich schwierig, ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen - übergangsweise 1 Milliarde Euro zur Verfügung zu stellen. Da ich aus Nordrhein-Westfalen komme, weiß ich, wie Sie sich dafür vor Ort gefeiert haben. Sie haben gesagt, dass die Kommunen im Bereich der Bundesleistungsgesetze, für die wir hier in Berlin verantwortlich sind, um 1 Milliarde Euro, die ab 2014 zur Verfügung steht, entlastet werden. Ein Blick in den Haushaltsentwurf macht aber deutlich: Auch dieses Versprechen wird nicht gehalten; denn die 1 Milliarde Euro für den Übergang steht erst ab 2015 und nicht, wie Sie die Menschen überall glauben gemacht haben, schon ab 2014 zur Verfügung. Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt. Es ist wichtig, dass Sie seriöse Versprechen machen, auf die man sich vor Ort verlassen kann. ({2}) - Herr Kahrs, im Gegensatz zu Ihnen habe ich das alles gelesen. ({3}) Sie entlasten die Kommunen um 1,1 Milliarden Euro bei der Grundsicherung im Alter. Dieser Schritt wurde zwischen der schwarz-gelben Regierung und den rotgrün regierten Ländern sowie mit unserer Zustimmung in der letzten Legislaturperiode vereinbart. So weit, so gut. Das ist positiv für die Kommunen, weil damit die Grundsicherung im Alter vom Bund zu 100 Prozent übernommen wird. Der Bund trägt für diese Leistung Verantwortung. Darüber hinaus haben Sie aber den Kommunen 1 Milliarde Euro ab 2014 zugesichert. ({4}) Zumindest haben Sie das überall, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, erzählt. Aber im Haushalt ist diese Milliarde nicht eingestellt. Entweder sagen Sie den Kommunen: „Wir können das nicht finanzieren“, oder Sie unterlegen dieses Versprechen auch im Haushalt. Darauf zielt unser Antrag ab. Wir wollen, dass Sie Ihr Versprechen gegenüber der kommunalen Ebene einhalten. ({5}) Herr Liebing, zu Ihrer Geschichte, den Kommunen gehe es insgesamt so gut ({6}) - Herr Brinkhaus, das kann ich Ihnen erklären -, und dort, wo es schlecht laufe, regiere Rot-Grün, ({7}) kann ich nur sagen: Mein Gott! Wie peinlich ist diese Analyse! Die Kommunen in Nordrhein-Westfalen wurden seit 2010 - seit diesem Zeitpunkt ist Jürgen Rüttgers Gott sei Dank nicht mehr im Amt gewesen - um 300 Millionen bzw. 393 Millionen Euro pro Jahr entlastet. Im Jahr 2014 gibt es eine Finanzausgleichsmasse im Umfang von 9,4 Milliarden Euro. Im Rahmen des Stärkungspakts für die Kommunen ({8}) werden 4 Milliarden Euro des Landes zwischen 2011 und 2020 zur Verfügung gestellt. Dafür hat Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen gesorgt. In mehreren Konnexitätsurteilen wird darauf hingewiesen, dass Schwarz-Gelb die Verpflichtungen gegenüber den Kommunen nicht eingehalten hat. Die schwierige Lage gilt auch für andere Bundesländer. Man muss nur genau hinschauen. ({9}) Sie können sich an dieser Stelle keinen schlanken Fuß mit Verweis auf die verbesserte Lage machen. Bundesweit weisen die Kommunen zwar einen Überschuss von 1,1 Milliarden Euro auf. Es gibt aber bei den Kommunen längst ein Gefälle, eine Zweiklassengesellschaft. Die Gesamtverschuldung liegt bei 130 Milliarden Euro. Die Kassenkredite belaufen sich auf 47 Milliarden Euro. Die sozialen Kosten der Bundesleistungsgesetze, für die wir hier in Berlin verantwortlich sind - es handelt sich um Pflichtaufgaben der Kommunen -, belaufen sich auf 45 Milliarden Euro. Dafür kommen im Moment zu großen Teilen die Kommunen auf. Ich merke, wie sehr das Thema Sie aufregt, und kann nur sagen: Liefern Sie einfach! Halten Sie Ihre Versprechen! Das sage ich in Richtung der Sozialdemokraten, insbesondere derjenigen aus Nordrhein-Westfalen. Ich finde es skandalös, dass Ihre A-Länder-Kollegen auf der Finanzministerkonferenz des Bundesrates den Antrag von Schleswig-Holstein und Bremen, für die 2014er-Lösung einzustehen, abgelehnt haben. ({10})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Dr. André Berghegger. ({0})

Dr. André Berghegger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004252, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Haßelmann, natürlich sind wir in der Interpretation dieser Situation unterschiedlicher Meinung. ({0}) Der vorliegende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gibt mir die Gelegenheit, deutlich herauszustellen: CDU und CSU stehen für eine kommunalfreundliche Politik. ({1}) Wir sind verlässliche Partner. Das ist bisher so gewesen, und das wird auch in Zukunft mit der SPD so sein. ({2}) An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen, dass nach unserer Finanzverfassung die Bundesländer dafür verantwortlich sind, die Kommunen finanziell auskömmlich auszustatten. ({3}) Trotz dieser Aufgabenverteilung stehen wir fest an der Seite der Kommunen und helfen selbstverständlich in besonderen Situationen. Dazu ein Blick in die jüngere Vergangenheit: Seit Übernahme der Regierungsverantwortung im Jahr 2005 hat die Union die Interessen der Kommunen deutlich berücksichtigt. An dieser Stelle möchte ich einige Stichworte erwähnen: Kosten der Unterkunft und Heizung im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende, das Steuervereinfachungsgesetz 2011, die Beteiligung am Hochschulpakt und an der Exzellenzinitiative sowie die Entflechtungsmittel im Rahmen der Verhandlungen über den Fiskalpakt. Ich gehöre dem Hohen Haus zwar erst seit September 2013 an und habe damit an den parlamentarischen Entscheidungen der Vergangenheit nicht mitgewirkt. Ich glaube aber, dass ich die Situation aus Sicht der Kommu2098 nen gut beurteilen kann. In den letzten Jahren durfte ich als hauptamtlicher Bürgermeister eines Mittelzentrums im Landkreis Osnabrück in Niedersachsen daran mitwirken, diese kommunalfreundliche Politik umzusetzen und mitzugestalten. ({4}) Wir sollten uns immer wieder bewusst machen: Die Länder und die Kommunen konnten in der vergangenen Legislaturperiode die größten finanziellen Entlastungen der Geschichte durch den Bund verzeichnen. Die Regierung hat nicht nur versprochen, Frau Haßelmann, sie hat auch gehandelt. Das schafft Vertrauen. ({5}) Zwei wesentliche Punkte möchte ich betonen: zunächst die Betreuung der Kinder unter drei Jahren. Der Ausbau der Kleinkindbetreuung fällt grundsätzlich in die Zuständigkeit der Länder. Dennoch hat der Bund vorbildlich tatkräftige Unterstützung geleistet. Dadurch wurde der Krippenausbau flächendeckend erst richtig angestoßen. Jeder von uns kann das im eigenen Wahlkreis erkennen. Insgesamt 5,4 Milliarden Euro hat der Bund für den Ausbau der Kleinkindbetreuung und die Finanzierung der Betriebskosten bereits in den Jahren 2009 bis 2014 bereitgestellt. Ab 2015 kommen noch einmal jährlich 845 Millionen Euro für den Betrieb von Kinderkrippen und Tagespflegestellen hinzu. Wir sehen vor Ort, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird deutlich gestärkt. Ein weiteres Beispiel ist die Übernahme der Kosten für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Hier erkennen wir eine dynamische Entwicklung. Noch im Koalitionsvertrag sind wir bei der Übernahme der letzten Stufe der Grundsicherung von 1,1 Milliarden Euro ausgegangen. Diese Entlastung beläuft sich derzeit jedoch schon auf 1,6 Milliarden Euro. Die schrittweise Erhöhung der Erstattung der Nettoausgaben bei den Kommunen bewirkt eine Entlastung bis 2017 in der Größenordnung von voraussichtlich über 25,4 Milliarden Euro. Sicherlich ist an dieser Stelle auch die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung zu nennen - das ist gar keine Frage -, die wir nach der Finanz- und Wirtschaftskrise verzeichnen. Jedoch sind maßgebliche Rahmenbedingungen hierfür durch wachstumsfreundliche Entscheidungen auf Bundesebene gesetzt worden. Zwar lässt sich die Wirkung nicht quantifizieren, doch ohne Zweifel sind auch die Kommunen an dieser positiven konjunkturellen Entwicklung beteiligt. Die Kommunen profitieren neben der Gesamtheit der Länder auch von der positiven Einnahmeentwicklung, den Entlastungen durch den Bund und den günstigen Finanzierungsbedingungen. Insgesamt konnten die Kommunen ihre Steuereinnahmen um rund 20 Milliarden Euro gegenüber der Zeit vor der Finanz- und Wirtschaftskrise steigern. Die Zinszahlungen gingen im selben Zeitraum erheblich zurück. Insgesamt erzielten die Kommunen im Jahr 2012 einen Finanzierungsüberschuss von 1,8 Milliarden Euro. Natürlich gibt es weiterhin große Unterschiede bei den Kommunen. Jede Kommune ist anders, und es gibt vielfältige Ursachen für die jeweilige Situation. Wir sind jedoch in unserem bewährten Föderalismus in der Vielfalt geeint. Das zeichnet uns aus, und das ist richtig so. Es muss weiter Anreize für eigene Konsolidierungsbemühungen geben, ohne dass wir die finanziell schwächeren Kommunen aus den Augen verlieren. Insgesamt werden die Kommunen durch den Wettbewerb stärker. Die Politik der Bundesregierung, eine angemessene Finanzausstattung der föderalen Ebenen zu sichern, trägt erste Früchte. Die Bundesländer sind jedoch weiter gefordert, ihre Verantwortung für eine auskömmliche Finanzausstattung der Kommunen zu übernehmen. ({6}) Zu betonen ist nämlich, dass zu einem funktionierenden föderalen System ebenso gehört, dass der Bund selbst über eine angemessene Finanzausstattung verfügt. Aus dem Koalitionsvertrag in seiner Gesamtheit lässt sich Folgendes erkennen: Die Kommunen werden von 2015 bis 2017 jeweils um 1 Milliarde Euro entlastet, bevor eine Entlastung im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes in Höhe von 5 Milliarden Euro erfolgt. Diese Maßnahmen sind gegenfinanziert. Darauf hat sich die Koalition unter Abwägung aller Umstände verständigt. Die im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen geforderte Summe von 1 Milliarde Euro bereits im Jahr 2014 ist aus Sicht der Kommunen zwar wünschenswert - da schlägt mein kommunales Herz -, aber leider nicht zu finanzieren, da keine Spielräume erkennbar sind. Einen entsprechenden Gegenfinanzierungsvorschlag habe ich Ihrem Antrag nicht entnehmen können. Das wäre ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft. ({7}) Das geht so nicht. Vielmehr muss die Maxime gelten: mit dem Einkommen auskommen! Dabei sind wir auf einem guten Weg. Gleichwohl werden wir unsere kommunalfreundliche Politik fortsetzen. Hierzu sind im Koalitionsvertrag weitere Maßnahmen zugunsten der Kommunen vereinbart. Dazu zählen etwa die Aufstockung der Städtebauförderung, der Ausbau der Breitbandversorgung oder die Verbesserung des Hochwasserschutzes. Der Koalitionsvertrag zeigt deutlich, dass die Kommunalinteressen bei dieser Bundesregierung in guten Händen sind. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Dr. Berghegger, das war Ihre erste Rede. Ich gratuliere Ihnen herzlich dazu und wünsche Ihnen viele weitere Reden im Hohen Hause. ({0}) Vizepräsident Johannes Singhammer Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kollegin Kerstin Kassner, Die Linke. ({1})

Kerstin Kassner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004324, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Kollegen herzlichen Glückwunsch zu seiner ersten Rede! Die Botschaft, dass die Kommunen von der neuen Bundesregierung gut versorgt werden, höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. ({0}) Ich habe in meiner Funktion als Landrätin auf Rügen in zehn Jahren sehr wohl erlebt, dass da Anspruch und Wirklichkeit auseinanderdriften. Zuallererst Glückwunsch an die Kollegen von den Grünen, dass sie es geschafft haben, hier einen Antrag vorzulegen, zu dem wir uns äußern können, um die Situation hier klar und deutlich zu beschreiben und sie zu verändern. ({1}) Die Situation der Kommunen ist nach wie vor bedenklich, und wir haben die Pflicht, hier darüber zu reden. Herr Rehberg, trotz Ihres heutigen Geburtstages: Es ist mir in meiner Zeit als Landrätin gelungen, ein Defizit von 8 Millionen Euro im Haushalt des Landkreises Rügen auf null zu reduzieren. Das muss erst einmal nachgemacht werden. ({2}) Ich habe mir einmal angesehen, wie die Situation in Mecklenburg-Vorpommern ist. Auch dafür trägt Herr Rehberg Mitverantwortung. ({3}) In den letzten 20 Jahren gab es 12 defizitäre Jahre für die Landkreise, nur 8 waren positiv. Am Ende steht heute, mit Abschluss des Jahres 2013, für die Kommunen ein Defizit von 412,4 Millionen Euro. Es ist also fast eine halbe Milliarde Euro, die die Landkreise in Mecklenburg-Vorpommern quält. Das kann keine gute Bilanz sein. ({4}) Die Sozialausgaben, Herr Rehberg, sind von 1995, als alle Landkreise 618 Millionen Euro aufbringen mussten, auf im Jahre 2013 mittlerweile 1,302 Milliarden Euro gestiegen, haben sich also mehr als verdoppelt. Eine ganz kräftige Zäsur war dabei die Einführung des HartzIV-Gesetzes. In diesem Zusammenhang hat ein exorbitanter Anstieg stattgefunden. Ich will es mit Zahlen aus meinem Haushalt auf Rügen untersetzen: ({5}) Damals, bis zum Jahre 2004, hatten wir im Kreis Rügen 5 Millionen Euro für Sozialausgaben aufzubringen. Für die Kosten der Unterkunft hatten wir dann von einem Jahr zum nächsten 18 Millionen Euro aufzubringen. Ein Teil wurde vom Bund gegenfinanziert, aber am Ende mussten wir 15 Millionen Euro aus unserer Kasse aufbringen. Und wie es so ist: Der Kreis kann die Ausgaben nur über die Kreisumlage refinanzieren. Das heißt, dass wir allen Kommunen auf der Insel in die Tasche greifen mussten. Ich denke, das muss der Bund verhindern. Deshalb ist mein Appell an Sie als Verantwortliche in der Großen Koalition: Prüfen Sie jedes Ihrer Vorhaben auf seine Auswirkungen auf die Kommunen. Dabei ist es nicht so einfach, eine mögliche Relevanz für die Kommunen darzustellen. Denn oft ist es so, dass sich ein Vorhaben im Durchschnitt zwar positiv auf die Kommunen auswirkt; aber dasselbe Vorhaben kann für die Gemeinden und die Landkreise, in denen die wirtschaftliche Konjunktur nach wie vor schwach ist, die sozialen Belastungen hoch sind, die Arbeitslosigkeit immer noch annähernd bei 20 Prozent liegt und sehr viele Menschen Leistungen im Rahmen der Grundsicherung im Alter - Gott sei Dank hat jetzt der Bund diese Kosten übernommen -, aber auch ergänzende Leistungen vom Sozialamt oder vom Jobcenter erhalten, eine richtig harte Zäsur bedeuten. Oft können sie sich ein Vorhaben nicht leisten und müssen die entsprechenden Aufwendungen über Kassenkredite finanzieren. Ich will es ganz deutlich sagen: Wir haben in unserer Fraktion einen Kommunal-TÜV eingeführt; jedes Vorhaben, das wir auf den Weg bringen, wird auf seine Auswirkungen auf die Kommunen hin untersucht. Das erwarte ich, bitte schön, auch von der Großen Koalition. Also: Hände weg von den Kommunen! Danke schön. ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank, Frau Kassner. - Nächster Redner ist für die SPD der Kollege Bernhard Daldrup. ({0})

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Berghegger, zunächst herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede! Wie Sie wissen, rede auch ich für die Koalition, wenn auch vielleicht nicht mit demselben Optimismus, obwohl es in der Sache in die gleiche Richtung geht. Ich möchte vorweg eine Bemerkung machen. Ich begrüße es sehr, dass die Grünen eine solche Gelegenheit schaffen, über die Lage der Kommunen zu reden; das ist in der Tat gut. ({0}) Aber ich will Frau Haßelmann doch auch fragen: Wenn Sie der Meinung sind, dass die Mittel für die Eingliede2100 rungshilfe in Höhe von 5 Milliarden Euro früher bereitgestellt werden müssen, warum beantragen Sie es dann nicht? ({1}) In Ihrem Antrag ist nur von 1 Milliarde Euro die Rede; der Rest steht lediglich in der Begründung. ({2}) - Ich frage Sie ja nur, warum Sie es nicht beantragen. Wenn Sie der Meinung sind, dass es richtig ist, dies früher zu tun, sollten Sie am besten einen Deckungsvorschlag unterbreiten. ({3}) Ich will sagen: Die Beschreibung der Situation der Kommunen, die Sie abgeben, ist für viele Kommunen tatsächlich zutreffend. Der Finanzierungssaldo liegt, was die Kommunen angeht, insgesamt im Plus, und zwar bei 1,1 Milliarden Euro. Das verdeckt jedenfalls ein Stück weit die Realität. Der Anstieg der Kassenkredite auf 48 Milliarden Euro ist trotz höherer Steuereinnahmen dramatisch. Die Gesamtverschuldung schreitet voran. Die Sozialausgaben der Kommunen sind bundesweit auf 46 Milliarden Euro gewachsen. Das ist schon eine dramatische Situation. Die Investitionstätigkeit der Kommunen ist mittlerweile auf das Niveau der 90er-Jahre zurückgefallen. Das heißt mit anderen Worten, nüchtern und ohne jede Schuldzuweisung festgestellt: Die Kommunen fahren in Deutschland auf Verschleiß. Das führt zu einem Substanzverlust, der auch den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt beeinträchtigt. Darauf müssen wir uns konzentrieren. ({4}) Die erste Feststellung ist also: Trotz wachsender Steuereinnahmen, höherer Beschäftigung und niedrigerer Zinsen können viele Kommunen die ihnen übertragenen Aufgaben nicht finanzieren. Das ist durchaus ein Alarmzeichen. Wenn man die Lage etwas differenzierter betrachtet, dann erkennt man, dass die Dramatik eher zunimmt. Es gibt zwar selbstverständlich viele gesunde, lebenswerte Städte, Gemeinden und Landkreise in Deutschland - keine Frage! -, aber ihnen steht eine größere Zahl von Städten, Gemeinden und Landkreisen gegenüber, die jedes Jahr tiefer in den Strudel der Verschuldung geraten. Diese Situation, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist weder auf ein Bundesland noch auf eine Gemeindegrößenklasse beschränkt. ({5}) - Pirmasens liegt doch nicht in Nordrhein-Westfalen, Kaiserslautern liegt doch nicht in Nordrhein-Westfalen. Ich kann Ihnen reihenweise Beispiele aufzählen. Fallen Sie doch nicht immer in die alten Muster zurück! ({6}) Ich beschreibe erst einmal nur eine Situation und weise gar keine Schuld zu. Ich sage ganz im Gegenteil: Ohne die Unterstützung des Bundes würde diese Schere weiter auseinandergehen. Das hat diese Koalition erkannt, und sie wird etwas dagegen tun. Das heißt mit anderen Worten: Wir stehen mit Blick auf das ganze Land vor einer Herausforderung. Bei dieser Gelegenheit sei mir die Bemerkung gestattet: Ja, unsere Banken sind systemrelevant, aber unsere Kommunen sind es auch. ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Kollege Daldrup, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kurth?

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn ich das kann? - Ich habe das noch nie gemacht, ich rede hier ja nicht so oft.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Bitte schön.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich hoffe, dass Sie das können. - Sie haben die Lage, ähnlich wie Frau Haßelmann, richtig analysiert und gesagt, die Bundesregierung würde etwas tun. Aber warum tun Sie nicht das, was Sie im Koalitionsvertrag niedergeschrieben haben bzw. was Sie insbesondere Ihre Parteifreunde in den Kommunen in Nordrhein-Westfalen glauben machen? ({0}) Im Januar waren die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie die Landräte des Ruhrgebiets von CDU und SPD hier in Berlin und haben mit den Bundestagsabgeordneten des Ruhrgebiets, und zwar aller Fraktionen, den Austausch gesucht. Sie haben unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass sie auf die Zusagen gebaut haben, dass zumindest innerhalb dieser Legislaturperiode mit der geplanten Entlastung der Kommunen in Höhe von 5 Milliarden Euro begonnen wird und dass sie bereits ab 2014 jedes Jahr um 1 Milliarde Euro entlastet werden. Könnte es sein, dass Sie in der Phase, als Sie, speziell in der SPD, die Zustimmung für Ihren Koalitionsvertrag brauchten, bewusst die eigenen Parteigänger in den strukturschwachen Kommunen in NRW und im Ruhrgebiet in dem Glauben gelassen haben, die Entlastung käme - sonst hätten sich die Bürgermeister ja nicht so geäußert -, und dass Sie sie mit der Veröffentlichung der mittelfristigen Finanzplanung jetzt im Endeffekt hinters Licht geführt haben?

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wissen Sie, ich bin seit elf Jahren Landesgeschäftsführer der SGK in Nordrhein-Westfalen. Wir sind zuständig für 9 000 ehrenamtliche und hauptamtliche Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker. Ich glaube, ich kenne die Situation in Nordrhein-Westfalen ganz gut. Ich kenne die Forderungen, ich habe sie zu einem großen Teil mit formuliert. Ich kenne die Auseinandersetzungen, ich bin bei den Gesprächen dabei gewesen. Ich sage Ihnen ganz offen: Stärker als bei jeder Bundestagswahl zuvor haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, die Situation der Kommunen durch mehr Investitionen in die Infrastruktur zu verbessern. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt passiert das im Bereich der Städtebauförderung durch mehr unmittelbare finanzielle Entlastung, und zwar sowohl 2014 und 2015 als auch 2016. ({0}) Wir werden relativ schnell mit der Umsetzung des Bundesleistungsgesetzes beginnen. Man kann es nicht übers Knie brechen, aber wir werden diese Zielsetzung verfolgen. Insofern gebe ich Ihnen von vorne bis hinten nicht recht; denn wir sind ehrlich mit unseren eigenen Leuten umgegangen. ({1}) Ich will darauf aufmerksam machen - das knüpft an Ihre Ausführungen an -, dass die Kommunen trotz Investitionsverzicht, trotz dramatischer Einsparungen bei den Personalkosten - wenn Sie die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken lesen, werden Sie sehen, dass die Kommunen deutlich mehr Personal eingespart haben als etwa der Bund und erst recht als die Länder -, trotz hoher lokaler Steuern und Gebühren nicht in der Lage sind, ihre Haushalte auszugleichen, weil die Dynamik der Sozialausgaben sehr viel dramatischer ist. Das ist der Grund, warum wir von einer Vergeblichkeitsfalle reden: nicht, weil wir anklagen, sondern weil die Schere, die immer weiter auseinandergeht, nicht zu schließen ist. Deswegen brauchen wir hier konkrete Konzepte. Ich will das Thema „klebende Finger der Länder“ aufgreifen. Wir alle wissen, dass es so etwas gibt. Wenn neun Bundesländer in der Bundesrepublik Deutschland jedoch mittlerweile Finanzierungsprogramme für strukturschwache Kommunen im eigenen Land mit eigenen Mitteln ausstatten, dann kann man das so nicht einfach stehen lassen. Da das Schwarze-Peter-Spiel auf Dauer nicht weiterhilft, müssen wir uns den Ursachen zuwenden. ({2}) Jetzt komme ich zum Thema Sozialausgaben. Es geht hier nicht nur um die Eingliederungshilfe, aber ich spreche sie an, weil sie mit Abstand die größte Dynamik aufweist. Von 1991 bis 2011, also seit 20 Jahren, wächst die Zahl derjenigen, die Eingliederungshilfe in Anspruch nehmen von 324 000 auf 790 000 Personen. Die Aufwendungen sind in 20 Jahren von 4,1 Milliarden Euro auf 14,4 Milliarden Euro gestiegen. Das war 2011, Herr Kauder. Im Moment sind wir bei 16 Milliarden. Die Kosten werden in neun Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland, die etwa 60 Millionen Menschen repräsentieren, allein von den Kommunen finanziert. Diese Situation ist schlicht und ergreifend so nicht tragbar. ({3}) Was müssen wir tun? In Bezug auf die Eingliederungshilfe müssen wir aus der Fürsorgeaufgabe der 60erJahre eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe machen, erst recht vor dem Hintergrund der Behindertenrechtskonvention, die wir gestalten wollen. „Gestalten wollen“ heißt nicht, die Angelegenheit auf dem Rücken der Betroffenen auszutragen. Dieses Thema werden wir angehen. Das ist aber eine Aufgabe, die Zeit braucht. ({4}) In diesem Zusammenhang will ich darauf hinweisen, dass es ein Ergebnis der Verhandlungen zwischen Bund und Ländern war, dass die Kosten der Grundsicherung im Alter vollständig vom Bund übernommen werden. Ohne die SPD wäre das im Vermittlungsverfahren nicht gelungen. Folgerichtig ist, dass die damit verbundene dritte Stufe der Entlastung in Höhe von 1,1 Milliarden Euro im Koalitionsvertrag für 2014 aufgenommen worden ist. Da stehen diese 1,1 Milliarden Euro drin. Das ist nicht die zusätzliche Milliarde, die Sie, Frau Haßelmann, fordern. Ich will an dieser Stelle aber darauf hinweisen, dass diese zusätzliche Milliarde nicht einmal der Bundesrat fordert. Auch das von Grün-Rot regierte Baden-Württemberg fordert das nicht. Der Ausbau dieser Finanzierungsmaßnahmen ist, glaube ich, nachvollziehbar - eben ist schon einmal darauf aufmerksam gemacht worden; ich habe es auch schon gesagt -: Die Fortsetzung der Zahlung der Entflechtungsmittel, steuer- oder bildungspolitische Entscheidungen, Aufstockung der Mittel für die Städtebauförderung auf 700 Millionen Euro und die Einführung des Mindestlohns - das will ich an dieser Stelle einmal sagen -, die die Kommunen vermutlich um einen dreistelligen Millionenbetrag entlasten wird, weil die Zahl der Aufstocker deutlich zurückgehen wird, das alles sind konkrete Entlastungen der Kommunen, für die diese Koalition steht. ({5}) Auf dieser Linie liegt auch die finanzielle Entlastung der Kommunen durch ein modernes Teilhaberecht. Es geht nicht einfach nur um mehr Geld, sondern es geht um ein Teilhaberecht, das die bestehende Ausgabendynamik bremst und keine neue schafft. Daran soll sich der Bund aus gesamtgesellschaftlicher Verantwortung heraus beteiligen. Wir unterstützen deswegen die Bundessozialministerin in ihrem Vorhaben, dieses Gesetz im Jahre 2016 dem Parlament zur Beschlussfassung vorzulegen. ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Daldrup, Sie denken an die vereinbarte Redezeit?

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich. Ich bin letztes Mal dafür gelobt worden, dass ich sie eingehalten habe. Ich dachte, dass ich einen kleinen Bonus hätte. ({0}) Ich will zum Schluss kommen. Was ist die Perspektive des Bundesleistungsgesetzes? 2015 bzw. 2016 kommt die Milliarde; darauf ist hingewiesen worden. Möglicherweise können wir uns hinsichtlich der KdU verständigen. Das wäre durchaus wünschenswert und angesichts der sozialpolitischen Herausforderungen vernünftig. Ich will darauf aufmerksam machen, dass die Koalition die Kommunen an der Gestaltung der zukünftigen Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern beteiligen will. Auch diesbezüglich werden die Kommunen also dabei sein. Eine letzte Bemerkung: Sie sehen, diese Koalition macht die finanzielle Stärkung der Kommunen zu einem Kernanliegen dieser Bundesregierung. ({1}) Für uns sind die Kommunen kein Kellergeschoss der Demokratie. Für uns sind sie der Nukleus guter Lebensqualität. Die Sicherstellung der finanziellen Zukunftsfähigkeit der Kommunen ist deshalb ein Ziel, das wir mit Entschiedenheit verfolgen werden. Herzlichen Dank. ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Jetzt spricht der Kollege Alois Karl für die CDU/ CSU. ({0})

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Mai sind in Nordrhein-Westfalen Kommunalwahlen, und im April stellen die Grünen einen Antrag, die Kommunen um 1 Milliarde Euro zu entlasten. ({0}) Ein Schelm, der Übles dabei denkt. Viele von uns sind auch Kommunalpolitiker. Wir wissen, dass es strukturschwache Gegenden schon immer gegeben hat, strukturstarke übrigens auch. Strukturschwäche, meine lieben Kollegen von den Grünen, die Sie den Antrag gestellt haben, ist nichts Gottgegebenes, ist etwas anderes als eine von den zehn Plagen, von denen das Alte Testament spricht, die über Ägypten gekommen sind, weil man sich dem Willen Gottes widersetzt hat. Die Strukturschwäche, von der Sie reden, ist kein dauerhafter Schicksalsschlag. Dieses Argument nutzt sich mit der Zeit ab. Sie meinen, indem wir 1 Milliarde Euro über den Tisch schieben, könnten wir die Probleme, die Sie in Ihrem Antrag angesprochen haben, lösen. Mitnichten ist das der Fall. Sie gaukeln den Leuten vor, dass man mit dem Herüberschieben eines Paketes mit 1 Milliarde Euro die Probleme, die Sie angesprochen haben, lösen könnte. Mit nachhaltiger Politik, liebe Frau Haßelmann, hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun, mit Populismus schon eher. ({1}) Mir ist bei den Gedanken, die ich mir zu dieser Rede gemacht habe, auch Bundeskanzler Helmut Kohl in den Sinn gekommen, der von blühenden Landschaften gesprochen hat. In der Tat: In vielen Gegenden unseres Landes, in Sachsen, in Thüringen, in manchen anderen Bundesländern auch und in meinem Bundesland Bayern sowieso, können wir von blühenden Landschaften sprechen, ({2}) aber nur deshalb, weil sich Strukturen geändert haben. Seit Jahren haben wir uns darangemacht, Strukturen zu verbessern. ({3}) - Mein Guter, im Jahr 1957 ist das Saarland das elfte Bundesland geworden. - Bayern lag damals mit Abstand strukturpolitisch, finanzpolitisch und wirtschaftspolitisch auf dem letzten Platz. Heute befinden wir uns bei allen Rankings an erster oder zweiter Stelle, ({4}) und zwar nur deshalb, weil damals der Mut vorhanden war, alte Strukturen zu verändern. Strukturschwäche hat damit zu tun, dass manche Gegenden nicht wettbewerbsfähig sind. „Nicht wettbewerbsfähig“ heißt: Unternehmungen und Unternehmer siedeln sich nicht an, Arbeitsplätze werden nicht geschaffen, die Arbeitslosigkeit steigt, Sozialabgaben gehen nicht ein, Steuern werden nicht gezahlt, die kommunalen Haushalte erleiden Defizite und müssen dies mit Schulden ausgleichen. Das beraubt auch die nächste Generation der Freiheit. Unsere nächste Generation hat nicht mehr die Freiheit, ordentlich Kommunalpolitik zu betreiben, wenn sie einen großen Teil des Haushaltes für den Schuldendienst aufbringen muss. Das ist der eigentliche große Skandal: dass wir häufig verschuldete Haushalte vorfinden. ({5}) Heute ist schon ein paar Mal angesprochen worden, dass die Kommunen insgesamt gesehen im letzten Jahr 1,1 Milliarden Euro Überschuss erzielt haben - so steht es auch in Ihrem Antrag -, während der Bund 22 Milliarden Euro DeAlois Karl fizit gemacht hat. Wir haben ein Defizit von 22 Milliarden Euro und sollen 1 Milliarde Euro zusätzlich zahlen. Allein daran erkennen Sie schon, dass das so nicht geht. Die Schulden sind ungleich verteilt; auch das ist schon gesagt worden. Natürlich gibt es in Deutschland zusammengerechnet etwa 130 Milliarden Euro Schulden bei den Kommunen, etwa 47, 48 Milliarden Euro Kassenkredite. Wenn wir uns das anschauen, sehen wir, dass die Schulden in der Tat ungleich verteilt sind. Etwa die Hälfte der gesamten Kassenkredite, etwa 24 Milliarden Euro, konzentrieren sich auf lediglich 27 Städte, 16 davon in Nordrhein-Westfalen. ({6}) Ein Viertel dieser Kassenkredite, etwa 12 Milliarden Euro, konzentrieren sich auf lediglich acht Städte, sieben davon in Nordrhein-Westfalen. Ich muss Sie, liebe Frau Haßelmann, fragen: Gibt es Ihnen nicht zu denken, dass sich an diesen desaströsen Verhältnissen, die Sie selber in Ihrem Antrag beschreiben, auch in der Zeit, in der Sie in Nordrhein-Westfalen an der Regierung mitwirken, bisher nichts, aber auch gar nichts zum Besseren gewendet hat? Diese Frage müssen wir Ihnen direkt stellen. ({7}) Wenn Sie meinen, die Probleme dadurch lösen zu können, dass 1 Milliarde Euro über den Tisch gehen - es geht darum, sozusagen eine schnelle Mark zu machen -, dann meine ich, machen Sie sich so, wie Sie das ausgedrückt haben, einen schlanken Fuß. Da gehen Ihnen sehr schnell die Argumente aus. Auf die Finanzverfassung möchte ich nicht näher eingehen; das hat Kollege Berghegger vorhin schon getan. Dennoch sei gesagt, dass wir in dem Jahrzehnt leben, in dem die Kommunen mehr entlastet werden als jemals zuvor. Wenn Sie die Kosten für die Grundsicherung, die Beiträge für den Ausbau der U-3-Betreuungsplätze, die KdU, die Städtebauförderung, die Eingliederungshilfe usw. zusammenrechnen, kommen Sie auf einen Betrag von weit mehr als 150 Milliarden Euro. Dieses Geld wird in diesem Jahrzehnt von Bundesseite auf die Seite der Kommunen geschoben. Das ist eine großartige Leistung, die wir erbringen, obwohl wir unseren Haushalt sanieren. Unsere Aufgabe ist es auch, für solide Finanzen im Bund zu sorgen. Wir haben versprochen - wir werden das machen und das Versprechen einhalten -, ab dem nächsten Jahr, ab 2015, keine neuen Schulden zu machen. Auch das ist ein großartiger Beitrag zugunsten der Kommunen. In Wahrheit würden wir mit Ihren Vorschlägen nicht ein einziges Problem lösen. Ich appelliere an Ihre Weitsicht und Ihre Ernsthaftigkeit: Unterstützen Sie unsere Finanzpolitik! Sie ist nämlich auf eine langfristige Solidität ausgerichtet. Sie ist auf Dauerhaftigkeit ausgerichtet und darauf, dass wir nicht mehr Geld ausgeben wollen, als wir einnehmen. Das ist nachhaltig. Frau Haßelmann, so geht Politik. Ihr Antrag geht in die verkehrte Richtung. Aus dem Grunde lehnen wir ihn ab. Vielen herzlichen Dank. ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Johannes Kahrs, SPD, das Wort. ({0})

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich mich zu dem äußere, was der Kollege Karl gesagt hat, möchte ich eingedenk des guten Verhältnisses innerhalb unserer Koalition dem Kollegen Eckhardt Rehberg zum 60. Geburtstag gratulieren. Lieber Ecki, wir werden dich nachher noch angemessen feiern. ({0}) Nachdem ich jetzt sehr viel positives Kapital aufgebaut habe, ({1}) werde ich einen Teil davon wieder aufbrauchen. Der Kollege Karl hat ja eben gesagt, dass man Strukturen ändern muss. Das ist richtig. Aber dafür braucht man Hilfe. Bestes Beispiel: Bayern. ({2}) Die sozialdemokratisch regierten Länder Hamburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Saarland haben in den zurückliegenden Jahrzehnten viel Geld in Bayern investiert, um den Strukturwandel, der in Bayern stattgefunden hat, zu unterstützen. ({3}) Das heißt, ein Großteil der Republik war solidarisch und hat geholfen, damit in Bayern auch Gegenden, die es schwer haben, die Chance bekommen, sich etwas aufzubauen, das heute Früchte trägt. Das ist übrigens auch gut so.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Kahrs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollege Karl?

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber selbstverständlich, ich schätze ihn ja sehr. ({0})

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Kahrs, wir schätzen uns beide. „k. und k.“ kann man fast sagen - aber ich meine nicht die Monarchie. ({0}) Das Thema Länderfinanzausgleich habe ich bewusst nicht angesprochen, weil ich niemandem zu sehr auf die Füße treten und auch nicht zu beweihräuchernd wirken wollte. Sie hätten die Gelegenheit gehabt, zu schweigen. Sie haben das leider nicht gemacht. ({1}) Darum möchte ich der Wahrheit ein wenig Geltung verschaffen. Wir haben in Bayern in der Tat über 38 Jahre -

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Karl, das ist eine Zwischenfrage. ({0}) Sie sollten Ihre Bemerkung also in eine Frage kleiden.

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, lassen Sie meiner Frage einen gewissen Anlauf. ({0}) Wir sind sehr dankbar, dass Bayern als strukturschwaches Land - ich habe das ausgeführt - über 38 Jahre hinweg Mittel im Rahmen des Länderfinanzausgleichs erhalten hat, lieber Kollege Kahrs, nämlich insgesamt 3,4 Milliarden Euro. Aber seit dem Jahr 2001, also die letzten 13 Jahre, zahlt Bayern Geld zurück - Bayern ist das einzige Land, das von einem Nehmerland zu einem Geberland geworden ist -, bisher bereits einen Betrag in Höhe von 46 Milliarden Euro. ({1}) Wir haben im Jahr 2013 4,3 Milliarden Euro gezahlt. Ich glaube schon, dass das ein gutes Beispiel dafür ist, dass ein Land von einem strukturschwachen zu einem strukturstarken Land und sogar zu einem Geberland werden kann. ({2}) Meinen Sie nicht, lieber Herr Kollege Kahrs - das ist meine Frage -, dass das auch für andere Länder ein durchaus gutes Beispiel sein kann? ({3})

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, nach den Spielregeln des Hauses müssen Sie stehen bleiben, während ich Ihre Frage beantworte. ({0}) In der Sache haben Sie selbstverständlich recht. ({1}) - Hat er. - Natürlich ist es so: Wenn es einem Land schlecht geht, wie es Bayern schlecht gegangen ist, es die Solidarität des Bundes erhält, man also hilft und aus dem Land etwas Anständiges wird, dann ist das eine gute Sache. Ich finde, dass Sie da recht haben, und ich glaube, dass wir diese Chance auch anderen Ländern geben sollten. Im Kern ist es doch so: Wenn das Prinzip, dass Hilfe funktionieren kann, richtig ist und es nicht gottgegeben ist, dass es denen, denen es schlecht geht, ewig schlecht geht, sondern man ihnen hilft, damit es ihnen irgendwann besser geht - auch im Grundgesetz sind ja gleiche Lebensverhältnisse in dieser Republik garantiert; wir alle arbeiten daran -, dann ist es doch folgerichtig, dass man versuchen sollte, das gute Beispiel, das Bayern abgegeben hat, in anderen Ländern zu wiederholen. Wir haben euch geholfen, ihr habt euch angemessen aufgeführt, ({2}) es hat funktioniert, und alles ist wunderbar. Das ist völlig in Ordnung. Diesem Prinzip folgend, muss man sich natürlich darüber unterhalten, ob diejenigen, die früher geholfen haben - - Sie haben die Milliardenbeträge genannt - die D-Mark war in den 50er- und 60er-Jahren deutlich mehr wert als der Euro heute -, die man sich jedoch preisbereinigt angucken muss. Das sage ich, ohne das bayerische Engagement schmälern zu wollen. Ich möchte nur anmerken: Hamburg hat immer gezahlt. Diesem Beispiel Bayerns folgend, müssten wir uns jetzt eigentlich daranmachen - ({3}) - Ich genieße doch, dass der Kollege steht. ({4}) Das reize ich jetzt so lange aus, wie der Präsident mir die Chance dazu gibt. ({5}) Das heißt - damit komme ich zum Ende, damit der Kollege sich setzen kann; man muss den Menschen die Chance geben, etwas dazuzulernen -, dass wir diesem Prinzip weiter folgen wollen. - Jetzt können Sie sich setzen, Herr Kollege; ich fahre fort. ({6}) - Das war nicht arrogant. ({7}) Da war ich einfach hilfsbereit im besten koalitionären Sinne. Wir schätzen uns ja. ({8}) Das heißt also, dass wir in der Koalition - so steht es auch in unserem Koalitionsvertrag - natürlich denjenigen helfen wollen, die die Hilfe brauchen. Allerdings gilt - das ist von dem Kollegen schon gesagt worden -: Wenn man hilft, dann muss es auch zielgenau sein. In unserem Koalitionsvertrag steht: Die Gemeinden, Städte und Landkreise in Deutschland sollen weiter finanziell entlastet werden. Das ist von den Grünen schon erwähnt worden. Im Jahr 2014 erfolgt ohnehin die letzte Stufe der Übernahme der Grundsicherung im Alter durch den Bund und damit eine Entlastung der Kommunen in Höhe von 1,1 Mrd. Euro. Darüber hinaus sollen die Kommunen im Rahmen der Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes im Umfang von fünf Milliarden jährlich von der Eingliederungshilfe entlastet werden. Bereits vor der Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes - das muss ja erst noch geschehen beginnen wir mit einer jährlichen Entlastung der Kommunen in Höhe von einer Milliarde Euro pro Jahr. Das wird in 2015 so anfangen. Wenn man dem Prinzip des Kollegen Karl folgt, dass man denjenigen helfen soll, denen es nicht so gut geht, müssen wir einen Weg finden, wie wir denjenigen, denen es besonders schlecht geht, dieses Geld zukommen lassen. Das heißt, wir alle müssen uns gemeinsam anstrengen, im Gesetzgebungsverfahren einen Weg zu finden, wie wir die Finanzierung der Kommunen vernünftig organisieren, damit das wie in Bayern läuft: Denen, denen es nicht so gut geht, wird gegeben, damit sie die Chance haben, ihre Verhältnisse zu verbessern. Das ist in dieser Republik häufiger, in unterschiedlichen Variationen, gelungen. Ich glaube, das hat nichts damit zu tun, ob man gut oder schlecht wirtschaftet; das hat etwas mit Strukturwandel zu tun, mit Dingen, die auf dem Weltmarkt laufen oder nicht. Das kann man sich angucken. Es gibt Länder, die SPD-regiert waren und Nehmerländer wurden. Es gibt CDU-regierte Länder, denen es auch heute nicht gut geht. Da wird man einen Weg finden müssen. Deswegen hat diese Koalition - das finde ich wichtig, richtig und gut - im Koalitionsvertrag an vielerlei Stellen gesagt, was wir alles für die Kommunen und für die Länder tun wollen. Mir ist es wichtig, dass wir hier noch einmal sagen, dass eine Entlastung der Länder nicht heißt, dass alles bei den Ländern bleibt; auch die Länder müssen in ihrem Rahmen dafür sorgen, dass die Kommunen entlastet werden. Das alles muss gemeinsam vernünftig laufen. ({9}) Wir haben das in den Koalitionsverhandlungen beschlossen; ich könnte jetzt den Koalitionsvertrag zitieren. Dabei geht es um den Bereich der Städtebauförderung; die Zahlen sind genannt worden. Dabei geht es darum, dass wir 6 Milliarden Euro an die Länder geben für den ganzen Bereich der Kinderbetreuung, für die großen Herausforderungen wie Schule, Hochschule und andere Dinge. Wir werden in den folgenden Wochen und Monaten gemeinsam die Frage diskutieren: Wie macht man das am vernünftigsten? Wie kriegen wir es hin, dass die Kommunen, die Probleme haben, entlastet werden? Ich glaube, dass es gut war, dass die SPD im Bundestagswahlkampf dieses Thema aufgegriffen hat, dass ihr alle gefolgt sind, dass dieses Thema jetzt auf die Tagesordnung kommt, dass wir alle ein Bewusstsein dafür haben: Man muss etwas für die Kommunen tun. - Das eint uns in diesem Hohen Hause. Jetzt müssen Taten folgen. Vielen Dank. ({10})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Letzter Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Ingbert Liebing, CDU/CSU. ({0})

Ingbert Liebing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003801, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Eigentlicher Anlass für diese Debatte ist der Antrag der Grünen. Ich möchte gerne zu Beginn meiner Ausführungen feststellen, dass manche Fakten, die Sie dort aufgelistet haben, sicherlich zutreffen. Es gibt viele Kommunen, die gewaltige finanzielle Probleme haben. Aber Sie haben zu Recht auch auf die Unterschiedlichkeit der Probleme hingewiesen. Nun könnte man durchdeklinieren, in welchen Bundesländern die kommunalen Finanzprobleme am größten sind. Man könnte darauf hinweisen, dass das in erster Linie rot-grün regierte Länder sind, vor allem Nordrhein-Westfalen, vor allem Rheinland-Pfalz. Ich will das gar nicht tun. ({0}) Von verschiedenen Rednern ist schon darauf hingewiesen worden, dass in erster Linie die Bundesländer in der Verantwortung stehen, für eine aufgabengerechte Finanzausstattung der Kommunen zu sorgen. ({1}) Ich finde, es ist gerade deshalb lohnenswert, sich einmal anzuschauen, wie sich die Grünen in der Regierungsverantwortung verhalten, dort wo sie Verantwortung für die Kommunen tragen. Wir können nach NordrheinWestfalen schauen. Da lassen sie die Kommunen beim Thema Inklusion im Stich. Ich finde schon dreist, wenn Frau Löhrmann gegenüber den Kommunen sagt: Über das Thema Inklusion braucht ihr euch keine Gedanken zu machen. Das bezahlt ja nachher der Bund mit der Eingliederungshilfe. - Meine Damen und Herren, so haben wir miteinander nicht gewettet. ({2}) Da lassen Sie die Kommunen im Stich. In Rheinland-Pfalz schlittert die rot-grüne Landesregierung in den nächsten Verfassungskonflikt mit den Kommunen über den kommunalen Finanzausgleich. In Niedersachsen gibt es einen Heidenärger über die Kommunalstrukturen. In meinem Heimatland, in SchleswigHolstein, feiert sich eine grüne Finanzministerin für einen positiven Jahresabschluss 2013: 115 Millionen Euro Überschuss im Haushalt 2013. Aber sie verschweigt, dass in diesem Jahr gleichzeitig 120 Millionen Euro aus dem kommunalen Finanzausgleich zulasten der Kommunen entnommen wurden. Nur dadurch konnte diese Rechnung aufgehen. ({3}) Von den Bundesmitteln, die im Bereich der Grundsicherung an die Länder fließen, behält diese grüne Finanzministerin über 40 Millionen Euro in der Landeskasse ein - zulasten der Kommunen. Das ist die Wirklichkeit, für die Sie in den Ländern Verantwortung tragen. Auch das gehört zur Geschichte dazu. ({4}) Eben ist schon viel über den Strukturwandel und die Strukturprobleme gesagt worden, die ebenfalls zu den Finanzproblemen der Kommunen führen. Ja, es ist sicherlich so, dass es Strukturprobleme gibt. Aber unser Anspruch ist, dass wir die Ursachen dieser Probleme angehen wollen, dass wir den Strukturwandel tatsächlich gestalten wollen. ({5}) Ich habe den Eindruck, bei Ihnen geht es nur darum, möglichst viel Geld zu bekommen, um die Probleme finanziell zu lösen. Wir dagegen wollen die Ursachen dieser Probleme beseitigen. Das ist der Unterschied. ({6}) Angesichts der Bilanz, für die Sie Verantwortung tragen, brauchen wir uns von Ihnen, den Grünen, überhaupt keine Nachhilfe erteilen zu lassen. Wir leisten etwas für die Kommunen. Die Kollegen Alois Karl und André Berghegger haben darauf bereits hingewiesen. ({7}) Ich lade Sie ein, beim Thema Eingliederungshilfe, wenn wir über ein Bundesleistungsgesetz sprechen, auch zu liefern: mit dafür zu sorgen, dass die Ausgabendynamik begrenzt wird, dass wir nicht jedes Jahr wieder neue Ausgabensteigerungen zulasten der Kommunen haben und dass am Ende tatsächlich eine Entlastung der Kommunen steht. Da können Sie liefern, Frau Haßelmann. ({8}) Besonders in Nordrhein-Westfalen wird sehr stark eine Diskussion geführt, die Kritik in Richtung Bundesregierung und am Bundesfinanzminister persönlich enthält. Ich lese, dass der eine oder andere schreibt, Schäuble spare seinen Haushalt zulasten der Kommunen zurecht. Unglaublich! Das ist schlichtweg falsch. Bei einem Bundeshaushalt 2014, der 1,6 Milliarden Euro mehr für die Kommunen enthält als der Haushalt des Vorjahres, kann man doch nicht sagen, Herr Schäuble spare sich den Haushalt zulasten der Kommunen zurecht. Das genaue Gegenteil ist der Fall. ({9}) Es ist auch kein Widerspruch, wenn wir sagen: Unsere Politik ist eine kommunalfreundliche Politik; wir wollen dort, wo wir können, den Kommunen helfen, und wir leisten trotzdem Haushaltskonsolidierung. - Das eine bedingt das andere. Nur dann, wenn wir unseren Haushalt tatsächlich in Ordnung gebracht haben, sind wir auch in der Lage, andere Aufgaben wahrzunehmen und auch den Kommunen zu helfen. ({10}) Dass wir die Aufgabe der Grundsicherung im Alter übernommen haben, war doch nur deswegen möglich, weil wir in der vergangenen Wahlperiode ein konstantes Ausgabenvolumen gehalten und nicht jedes Jahr draufgepackt haben. Während wir das Ausgabenvolumen im Bundeshaushalt über vier Jahre konstant gehalten haben und gleichzeitig 5 Milliarden Euro zusätzlich für die Kommunen im Bereich der Grundsicherung mobilisiert haben, hat die rot-grüne Landesregierung in NordrheinWestfalen das Ausgabenvolumen im Landeshaushalt um 11 Prozent gesteigert. Das ist der Unterschied. Deswegen ist Nordrhein-Westfalen nicht in der Lage, die eigene Verantwortung für die Kommunen wahrzunehmen. ({11}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben gezeigt, was kluge Politik ist. Diese Politik hilft auch den Kommunen. Orientieren Sie sich daran! Machen Sie dabei mit! Dann dient es auch den Kommunen. Vielen Dank. ({12})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank, Herr Kollege Liebing. Damit kämen wir, wenn es nicht noch weitere Anmerkungen gibt, zum Schluss dieser Debatte. ({0}) Dann schließe ich diese Debatte. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/975 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Vizepräsident Johannes Singhammer Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Tätigkeitsbericht 2012/2013 der Bundesnetzagentur - Telekommunikation mit Sondergutachten der Monopolkommission Telekommunikation 2013: Vielfalt auf den Märkten erhalten Drucksache 18/209 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({1}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Erster Redner ist der Kollege Klaus Barthel, SPD. ({2})

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Neben dem Tätigkeitsbericht der Bundesnetzagentur zeigt das zugehörige Sondergutachten der Monopolkommission auf knapp 100 Seiten auf, was sich in der Telekommunikationsbranche so tut. Auf über 250 Seiten wird darüber hinaus dargestellt, was die Bundesnetzagentur in diesem Bereich alles leistet: von der Marktregulierung über die Nummerierung, die Frequenzvergabe, den Verbraucherschutz, den Datenschutz, die internationale Arbeit bis hin zur technischen Überwachung, zur Störungsbearbeitung, zum Messdienst, zur elektromagnetischen Verträglichkeit usw. Ich glaube, es ist an dieser Stelle erst einmal geboten, dass wir unsere Anerkennung aussprechen für die Arbeit, die bei dieser Behörde geleistet wird, zum einen in der Zentrale, aber auch in den Außenstellen, die direkt in den Regionen liegen und damit in den Wahlkreisen von vielen von uns. Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir auch heute noch einmal von hier das Signal senden, dass wir uns bewusst sind, dass die Bundesnetzagentur dafür auch die entsprechende personelle Ausstattung braucht, und dass wir auch gemeinsam dafür eintreten, dass die Zahl der Außenstellen in der Fläche nicht reduziert wird, damit die Bundesnetzagentur in der Fläche präsent bleibt. Es ist der Bundesnetzagentur gelungen, denke ich - das zeigt auch der Bericht -, ihre Unabhängigkeit zu wahren. Das ist angesichts des Drucks, dem sie oft ausgesetzt ist, nicht einfach. Auf Veranstaltungen von einschlägig Betroffenen aus der Branche wurden wir in regelmäßigen Abständen - alle halbe Jahre, immer mal wieder - mit totalen Untergangsszenarien konfrontiert, zum Beispiel als es darum ging, den Endkundenpreis für die TAL-Leitung neu festzulegen, oder als es um das Vectoring ging. Jedes Mal war entweder die Rede davon, dass jetzt der Wettbewerb endgültig zusammenbricht und eine Remonopolisierung kommt oder dass die Deutsche Telekom ruiniert wird und Hunderttausende von Arbeitsplätzen auf dem Spiel stehen. Die Bundesnetzagentur hat es offensichtlich geschafft, immer wieder einen Weg zu finden, der für alle Marktteilnehmer gangbar und verkraftbar war. Das bestätigt auch die Stellungnahme der Monopolkommission. Deswegen muss man dieses Lob auch an dieser Stelle noch einmal aussprechen. Ich glaube aber, wir müssen noch weiter schauen. In dieser Runde ist es, denke ich, nicht nötig, etwas zur Bedeutung von modernen, leistungsfähigen Telekommunikationsinfrastrukturen zu sagen. Sie sind das Rückgrat der digitalen Wirtschaft, wie es so oft heißt, und sie sind auch das Rückgrat unserer Volkswirtschaft. Denken Sie nur an die berühmten Datenautobahnen. Die entsprechenden Sonntagsreden kennen Sie alle. Dieses Rückgrat spielt auch bei der digitalen Agenda eine besondere Rolle. Die IKT-Wirtschaft in Deutschland boomt: Der Jahresumsatz beträgt 228 Milliarden Euro mit ständig steigender Tendenz, die Bruttowertschöpfung liegt bei 85 Milliarden Euro, die Investitionen belaufen sich auf 18,2 Milliarden Euro. 900 000 Arbeitsplätze gibt es direkt in diesem Bereich und 360 000 in unmittelbarer Abhängigkeit davon. Das ist vom ökonomischen Gewicht her neben der Automobilindustrie und dem Maschinenbau also ein Kernbereich der deutschen Wirtschaft, und das ist ein Leitmarkt mit überdurchschnittlichen Investitionen und Innovationskraft. Jetzt kommt das Aber: Wenn wir uns den Telekommunikationssektor anschauen, von dem in dem vorliegenden Tätigkeitsbericht die Rede ist, dann haben wir schon Grund, uns mit der Sorge zu befassen, wie es um das Rückgrat bestellt ist. Der Einschätzung der Bundesnetzagentur kann ich nicht folgen, wenn hier viel von Wachstumsdynamik und Wettbewerb die Rede ist; denn die Fakten in dem Bericht sprechen eine klare Sprache: Wir haben es im Telekommunikationssektor mit rückläufigen Umsätzen zu tun. Auf dem Höhepunkt Mitte der 2000er-Jahre waren es 67 Milliarden Euro, jetzt sind es nur noch 57 Milliarden Euro. Es sind stagnierende bis rückläufige Investitionen zu verzeichnen. Sie betragen jedes Jahr nur noch gut 6 Milliarden Euro. Es waren einmal viel mehr; 2007 waren es zum Beispiel noch 7,2 Milliarden Euro. Auch die Beschäftigung ist rückläufig; sie sank in den letzten zehn Jahren um etwa ein Viertel. Daneben ist nach dem ehemaligen Internetboom und der Dotcom-Blase eine nachhaltige Investitionsblockade festzustellen. Der Wettbewerb ist intensiv, die Preise und Margen sinken, aber auch die Investitionen gehen zurück und konzentrieren sich immer mehr auf die Ballungsräume. Es steht heute kaum noch jemand dagegen auf, wenn man sagt, beim Aufbau der Telekommunikationsinfra2108 struktur in den ländlichen Räumen ist Marktversagen festzustellen. Das bedeutet, dass die Ziele der bisherigen Bundesregierung im Hinblick auf die Breitbandstrategie ganz klar verfehlt werden. Auch darum muss man nicht herumreden. 2014, also in diesem Jahr, sollten 75 Prozent der Haushalte über einen Breitbandanschluss mit einer Übertragungsrate von mindestens 50 Megabit pro Sekunde verfügen. Bis Ende 2012 wurden gerade einmal 56 Prozent erreicht. ({0}) Die alte Bundesregierung hat dieses Ziel verfehlt; Herr Kollege Pfeiffer, daran waren Sie beteiligt. Sie hat im Grund nichts gemacht, außer immer neue Ziele zu proklamieren, anstatt sich darum zu bemühen, die gesetzten erst einmal zu erreichen. Ich denke, jetzt, in der Großen Koalition, ist festzustellen: Wir bestätigen diese Ziele und kämpfen um ihre Erreichung, aber wir wollen auch Maßnahmen ergreifen, auf die ich jetzt nicht noch einmal im Einzelnen eingehen will, weil das zum Beispiel vor ein paar Wochen - am 31. Januar 2014 - mein Kollege Martin Dörmann hier an dieser Stelle schon getan hat: neues Regulierungsregime, Zusammenwirken aller Akteure - Bund, Länder, Gemeinden, Europäische Union, Bundesnetzagentur, Unternehmen -, Infrastrukturatlas, Breitbandatlas, neue Finanzierungsinstrumente, Bürgerfonds, KfWFörderprogramm usw. Ich will stattdessen den Blick ins Ausland lenken, weil das zeigt, dass wir in Deutschland einfach mehr tun müssen: Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie hat in der letzten Legislaturperiode beim TAB einen Bericht zur Technikfolgenabschätzung mit dem Titel „Gesetzliche Regelungen für den Zugang zur Informationsgesellschaft“ angeregt. Neben den Themen Konvergenz und Leitmedien hat er sich auch mit dem Breitbandausbau beschäftigt und die Entwicklung zum Beispiel in Australien, in Finnland, in Großbritannien, in Japan, in den USA und in Deutschland untersucht. Das gemeinsame Ergebnis für all diese Vergleichsländer ist, dass in den Ländern, in denen das Breitband erfolgreich ausgebaut worden ist, eine neue starke Rolle des Staates festgestellt wird. All diese Länder - sie sind ja sozialistischer Tendenzen gänzlich unverdächtig - sind den Weg gegangen, die Nachfrage staatlich zu stützen und anzuregen. Sie haben entweder wie Australien öffentliche Investitionen getätigt und mit staatlichem Geld eigene Infrastrukturen aufgebaut oder wie Finnland mit einer Universaldienstverpflichtung und einem Universaldienstfonds eine flächendeckende Versorgung umgesetzt. Finnland zum Beispiel hat das Recht etabliert, dass jedem Verbraucher bis 2015 eine Verbindung mit einer Geschwindigkeit von mindestens 100 Megabit zur Verfügung steht. Das Land wird dieses Ziel im nächsten Jahr erreichen; das steht fest. Laut dem Monitoringbericht der alten Bundesregierung ist Finnland dank einer Universaldienstverpflichtung für alle beim Ausbau der Telekommunikationsinfrastruktur Sieger auf der ganzen Welt, Rang 1. Das Beispiel Finnland zeigt auch, dass eine flächendeckende Versorgung möglich ist. Bei uns zum Beispiel wird behauptet, die Europäische Union lasse das nach ihrem Wettbewerbsrecht nicht zu. Aber Finnland ist doch Mitglied der Europäischen Union, oder? ({1}) Das Gegenteil ist richtig. Brüssel hat jetzt darüber nachgedacht, ob man nicht doch neue Regulierungsregime braucht, bei denen mehr Wert auf Investitionen gelegt wird. Wir haben es gehört: Heute ist im Europäischen Parlament darüber diskutiert und abgestimmt worden. In unserem Koalitionsvertrag - ich weiß nicht, ob das alle schon so richtig wahrgenommen haben - ist mit Recht von einer „Daseinsvorsorge“ in diesem Bereich die Rede. Im Grundgesetz heißt es dazu ganz klar: Der Bund steht hier in der Pflicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn hier der Bund in der Pflicht steht, dann kann man nicht einfach sagen: Das sollen jetzt einmal die Kommunen machen. - Hier gab es ja gerade eine Debatte über die finanzielle Situation der Kommunen. Wenn wir die Entwicklung so weiterlaufen lassen, wird die Spaltung in unserem Land immer größer; denn die Kommunen, die kein Geld haben, können die Breitbandinfrastruktur eben nicht ausbauen. Die anderen Kommunen, die Geld haben, werden das umso stärker tun. Auch das Telekommunikationsgesetz sieht hier eine Finanzierung durch den Bund vor. Ich denke - Frau Staatssekretärin Bär ist hier anwesend -, dass ich da beim Minister offene Türen einrennen müsste, weil sich die CSU im Landtags- und im Bundestagswahlkampf zu der Auffassung, dass es sich hierbei um Daseinsvorsorge handelt, und zu dem Instrument des Universaldienstes bekannt hat. Wir warten hier auf Taten. ({2}) Wir müssen zusehen, dass die Bundesnetzagentur auf einen neuen Pfad gesetzt wird. Sie ignoriert diese Investitionsblockade ein wenig, leugnet die Notwendigkeit weiterer gesetzlicher Maßnahmen und wird dabei auch noch von der Monopolkommission, also der Gralshüterin der reinen Marktwirtschaft, unterstützt. Da wird gesagt: All das, was der Markt nicht leistet, soll mit Fördergeldern des Staates aufgefangen werden. - Das kann es nicht sein. Deswegen sage ich: Schluss mit den Denkverboten in diesem Bereich! Wenn wir das Thema Netzneutralität ernst nehmen - in dem Bericht der Bundesnetzagentur gibt es dazu schöne Zitate -, dann müssten wir dahin kommen, dass es Netzneutralität eigentlich nur dann geben kann, wenn man gesetzlich definiert, welchen Anspruch alle Kunden gegenüber allen Anbieterinnen und Anbietern haben. Netzneutralität darf also nicht so verstanden werden, dass einfach nur der Mangel gleichmäßig alle Inhalteanbieter betrifft. Vielmehr muss es darum gehen, eine MinKlaus Barthel destkapazität für alle zu schaffen, womit garantiert wird, dass die entsprechenden Angebote durchgeleitet werden. Es ist also notwendig, hier klare rechtliche Regelungen zu schaffen; ansonsten reden wir immer wieder nur davon, dass die vorhandenen Engpässe gleichmäßig übers Land verteilt werden. Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig, wie es in diesem Bericht steht, dass viele Maßnahmen auf den Weg gebracht sind: Vectoring, LTE-Ausbau und neue Frequenzen.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Barthel, denken Sie an Ihre Redezeit.

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das tue ich. Ich bin gerade beim Schlusssatz, Herr Präsident. ({0}) Alle diese Maßnahmen sind richtig und zu unterstützen, aber in dem Bericht wird auch deutlich, dass all das nicht ausreicht, sondern dass wir die Telekommunikationspolitik weiterentwickeln müssen. Der Koalitionsvertrag gibt dazu wertvolle Hinweise. Aber wir müssen sie auch konkretisieren, statt sie einfach nur zur Kenntnis zu nehmen und abzuheften, um dann im nächsten Jahr wieder von vorne anzufangen. Wir haben uns gemeinsam vorgenommen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir in diesem Bereich jetzt endlich zum Handeln übergehen, nachdem bis jetzt ein paar Jahre verloren worden sind. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Herbert Behrens, Die Linke. ({0})

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Preise runter, Service rauf - das ist die Zauberformel der Privatisierung, über die wir hier reden. Sie hat es vor 20 Jahren notwendig gemacht, die Bundesnetzagentur, damals noch als Regulierungsbehörde bezeichnet, einzurichten. Preise runter, Service rauf - um nichts anderes ging es, als vor 20 Jahren die Telekom privatisiert wurde. Dem Unternehmen geht es heute gut, nicht aber allen Beschäftigten. Die Telekom gehört zu den größten Telekommunikationsunternehmen Europas und ist mit vielen Töchtern weltweit vertreten. Sie kauft und verkauft Unternehmen und deren Beschäftigte. Wenn die Geschäfte einmal nicht gut laufen, dann werden Betriebe verscherbelt oder Dienstleistungen ausgegliedert. Die Beschäftigten bei T-Systems sind das jüngste Beispiel für diese Seite des Wettbewerbs: 4 900 Kolleginnen und Kollegen sollen bis 2015 ihren Arbeitsplatz verlieren, weil die Geschäfte keinen Profit mehr abwerfen. Davon ist natürlich nichts im Bericht der Bundesnetzagentur zu lesen. ({0}) Für die Linke sind aber gerade diese sozialen Bedingungen der Beschäftigten und sichere Arbeitsplätze die zentralen Fragen, wenn wir über Wettbewerb in der Telekommunikation reden. Der vorliegende Bericht gibt uns auf 370 Seiten einen tiefen Einblick in die Welt von Regulierung und Deregulierung. Sicher, wir brauchen eine starke, unabhängige und gründlich arbeitende Behörde, die den bei den Telekommunikationsunternehmen ausgelösten Wettbewerb überwacht. Aber mit großem Erstaunen muss man feststellen, welcher Aufwand getrieben wird, um die negativen Folgen eines freien Wettbewerbs in diesem Sektor zu begrenzen. Da kommt bei mir der Gedanke auf, ob die vielen personellen und finanziellen Ressourcen, die da hineinfließen, nicht viel sinnvoller eingesetzt wären, wenn damit ein wirklich gutes, kundenfreundliches Angebot geschaffen würde. ({1}) Es würde manchem Dresdener Bürger gut gefallen, wenn es ein vernünftiges Breitbandangebot gäbe. Mitten in der Stadt steht dort heute den meisten Menschen nur ein LTE-Angebot zur Verfügung, das regelmäßig dann an seine Grenzen stößt, wenn sich zum Beispiel Studierende und Touristen darüber ihren mobilen Internetzugang holen. Ein gut ausgebautes Netz, ausreichende Bandbreite, verlässliche Vertragspartner: Das sind die Kriterien, an denen sich der Erfolg von Privatisierung und Wettbewerb messen lassen muss. Die Bundesregierung will bis zum Jahr 2018 flächendeckend schnelles Internet mit 50 Mbit erreichen. Davon sind wir heute noch weit entfernt, und das nicht nur auf dem flachen Land. ({2}) Knapp 80 Prozent der Anschlüsse in den Städten bieten heute 50 Mbit, was aber nicht heißt, dass wir bereits ein zukunftsweisendes Glasfasernetz hätten. Das Beispiel Dresden zeigt es. Gleichwohl wird die Infrastruktur für schnelles Internet in den Städten sehr viel schneller realisiert werden als anderswo. In den Ballungszentren rechnen sich die Investitionen, und die Telekommunikationsunternehmen fahren beträchtliche Gewinne ein. Auf dem Land aber haben die Menschen richtig große Probleme. Der Handwerksmeister in der Prignitz in Brandenburg zum Beispiel, der sich an Ausschreibungen beteiligen will, ist auf einen vernünftigen Zugang zum Netz angewiesen. Oder nehmen wir eine Grafikerin aus Thedinghausen, einem Ort in meinem Wahlkreis: Sie will eine aufwendige Präsentation an ihren Kunden schicken. Das ist mit den Netzzugängen dort sehr schwierig. Hier zeigen sich die negativen Folgen des Wettbewerbdogmas am deutlichsten. Fehlende Infrastruktur auf dem Land und anderswo darf nicht mit dem Hinweis abgetan werden, dass die Menschen dort gar kein Interesse am schnellen Internet hätten, wie es im Bericht der Bundesnetzagentur angedeutet wird. Das ist doch glatter Unsinn! ({3}) Jeder hat das Recht auf gleichwertige Lebensverhältnisse, egal wo er lebt. Das ist nicht nur eine politische Forderung der Linken, das ist ein Grundgesetzauftrag. In Art. 87 f Grundgesetz heißt es: Der Bund gewährleistet „im Bereich des Postwesens und der Telekommunikation flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen.“ Darum erwarte ich im nächsten Bericht der Bundesnetzagentur Aussagen darüber, mit welchen Maßnahmen diese Ziele, nämlich eine angemessene, ausreichende Dienstleistung, erreicht worden sind. Der Bundesgerichtshof stellte 2013 fest - ich zitiere -: Die Nutzbarkeit des Internets ist ein Wirtschaftsgut, dessen ständige Verfügbarkeit … auch im privaten Bereich für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung … von zentraler Bedeutung ist. Im Bericht der Bundesnetzagentur dagegen heißt es, es sei - auch Zitat weiterhin fraglich, inwieweit durch die Nichtverfügbarkeit eines Breitbandanschlusses … eine soziale Ausgrenzung zu befürchten ist. Es wäre zum Totlachen, wenn es nicht so traurig wäre. Es lässt sich wirklich fragen, wer diesen Bericht geschrieben hat. Wir als Linke fordern: Rücknahme der Deregulierung dort, wo der Wettbewerb die Gewinne privatisiert hat und Investitionen in die nicht profitablen Bereiche von den Steuerzahlern und Steuerzahlerinnen finanziert werden sollen. ({4}) Die Breitbandversorgung muss zur Grundversorgung gerechnet werden. Wir brauchen schnelles Internet für alle. Vielen Dank. ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Als nächstem Redner erteile ich für die CDU/CSU dem Kollegen Hansjörg Durz das Wort. ({0})

Hansjörg Durz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 16 Jahre nach Öffnung des Telekommunikationsmarktes in Deutschland können wir auf diesem Markt erhebliche Fortschritte konstatieren. Die Monopolkommission hat ihr Sondergutachten, das wir heute gemeinsam mit dem Tätigkeitsbericht der Bundesnetzagentur debattieren, mit dem Anspruch „Vielfalt auf den Märkten erhalten“ überschrieben. Diesem Motto kann man nur zustimmen; denn diese Vielfalt bedeutet, dass Bürger und Wirtschaft heute von einer Vielzahl von Angeboten und Dienstleistungen zu deutlich günstigeren Preisen profitieren. Zudem haben sich die Infrastruktur und damit die Leistungsfähigkeit der verschiedenen Netze und Technologien in der Telekommunikation erheblich verbessert. Auch wenn wir heute über den Tätigkeitsbericht der Regulierungsbehörde debattieren, deren Arbeit von uns - das ist bereits erwähnt worden - hoch geschätzt wird und deren Tätigwerden in vielen Bereichen für die Funktionsfähigkeit der Teilmärkte im Telekommunikationsbereich unverzichtbar ist, möchte ich festhalten: Regulierung ist kein Selbstzweck, sondern muss immer auf das erforderliche Maß begrenzt bleiben. ({0}) Regulierung ist dafür da, die Voraussetzungen zu schaffen, dass Wettbewerb zwischen den Akteuren sein ganzes Potenzial entfalten kann, zum Wohle der Menschen. Die Bundesnetzagentur hat zum Ende des letzten Jahres turnusgemäß ihren sehr umfassenden Tätigkeitsbericht im Bereich der Telekommunikation vorgelegt, in dem die Lage und die Entwicklung der Branche eingehend analysiert werden. Dem Bericht sind eine ganze Reihe von Daten zu entnehmen, anhand derer sich die Trends im Bereich der Telekommunikation eindrucksvoll nachvollziehen lassen. Besonders bemerkenswert finde ich dabei jene Statistiken, die den gefühlten und immer wieder angesprochenen Trend der Digitalisierung mit handfesten Zahlen untermauern. Während sich die Gesprächsminuten im Festnetz - sprich: die klassischen Telefongespräche - seit Jahren rückläufig entwickeln, nimmt der über das Festnetz abgewickelte Datenverkehr rasant zu. So hat sich das durchschnittliche monatliche Datenvolumen, das über das Festnetz in Deutschland abgewickelt wurde, in den letzten fünf Jahren verdoppelt, im Vergleich zu 2005 sogar verfünffacht, Tendenz steigend. Gleiches lässt sich im Mobilfunkbereich beobachten. Das mit Abstand stärkste Wachstum zeigt auch dort das Datenvolumen, das sich im mobilen Netz in vier Jahren verfünffacht hat. Daran wird erkennbar: Die Menschen in unserem Land sind immer häufiger und immer länger online, durch den vermehrten Einsatz von Tablets und anderen mobilen Endgeräten immer häufiger mobil online. Die digitalen Endgeräte werden dabei selbstverständlich sowohl im geschäftlichen wie im privaten Bereich genutzt. Bankgeschäfte oder Urlaubsbuchungen werden heute von einer Vielzahl von Menschen online erledigt. Gleiches gilt für den Konsum von Unterhaltungsinhalten via Mediatheken oder anderen Streamingangeboten. Von der Bedeutung des Internets für die Wirtschaft ganz zu schweigen. Wir wissen: Die Zukunftsfähigkeit unserer Volkswirtschaft und damit auch der Wohlstand unserer Gesellschaft sind abhängig vom Grad unserer Digitalisierung. Über diesbezügliche Zusammenhänge und Auswirkungen haben wir in der vorletzten Sitzungswoche im Zusammenhang mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen ausführlich debattiert. Der Zugang zu schnellem Internet ist seit Jahren von zentraler Bedeutung. Dieser Bedarf wird weiter und in den nächsten Jahren massiv steigen, sowohl unter qualitativen als auch unter quantitativen Aspekten. Angesichts dieser Entwicklung brauchen und wollen wir den Ausbau hochleistungsfähiger Breitbandnetze auch im ländlichen Raum. Wir wollen in Deutschland bis zum Jahr 2018 die schon genannte flächendeckende Grundversorgung mit mindestens 50 Megabit erreichen. Infrastrukturminister Alexander Dobrindt sprach unlängst von Innovationsgerechtigkeit als Zielstellung. Dem möchte ich mich ausdrücklich anschließen. ({1}) Die bisweilen feststellbare digitalisierte Spaltung zwischen urbanen Ballungszentren und dem ländlichen Raum darf sich nicht verfestigen. Gerade im ländlichen Raum, in dem der Netzausbau naturgemäß mit höheren Kosten verbunden ist, müssen wir mit Beihilfeprogrammen des Bundes und der Länder unterstützen. Diese Praxis wird auch von der Bundesnetzagentur in ihrem Bericht als sinnvoll erachtet. Der TÜV Rheinland hat in einer Studie den Finanzbedarf allein für den flächendeckenden Breitbandausbau mit 50 Megabit auf insgesamt 20 Milliarden Euro beziffert. ({2}) Darüber hinaus dürfen wir nicht vergessen: Das Ausbauziel 50 Megabit ist nur ein Zwischenziel. Mittel- bis langfristig werden weit höhere Kapazitäten nachgefragt werden. Es dürfte allen Beteiligten klar sein: Um unsere Ziele zu erreichen, bedarf es der Zusammenführung aller vorhandenen Kapazitäten. Im Sondergutachten der Monopolkommission heißt es: Entscheidend für den Fortbestand und die Intensivierung des Wettbewerbs auf dem Markt für Breitbandanschlüsse ist, dass der Netzausbau weiterhin wettbewerbsgetrieben und anhand von privaten Investitionen erfolgt. Mit anderen Worten: Wir brauchen ein gemeinsames Projekt von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Die von Bundesminister Dobrindt ins Leben gerufene Netzallianz Digitales Deutschland halte ich vor diesem Hintergrund für eine hervorragende Initialzündung, um alle vorhandenen Potenziale zu bündeln und möglichst effizient auszuschöpfen. ({3}) Der Tätigkeitsbericht der Bundesnetzagentur bietet aber auch eine gute Gelegenheit, zu betrachten, was in den vergangenen Jahren erreicht wurde, und im Rahmen einer Bestandsaufnahme kritisch zu hinterfragen, ob die getroffenen Maßnahmen auf dem Telekommunikationsmarkt den erhofften Erfolg gebracht haben. Dazu ist erstens festzustellen: Das wettbewerbliche Leitbild hat sich als starker Motor für Investitionen, Innovationen und Wachstum im Bereich der Telekommunikation absolut bewährt. Die Öffnung der Telekommunikationsmärkte vor 16 Jahren hat den dahinter stehenden Markt grundlegend verändert und dynamisiert. Die Preise sind seither drastisch gesunken. Die Verbraucher haben heute auf nahezu allen Teilmärkten echte Auswahlmöglichkeiten zwischen einer Vielzahl von Angeboten und Wettbewerbern. Private wie geschäftliche Nutzer haben von dieser Entwicklung nachhaltig profitiert, da die Kosten für Telefonate und Internetnutzung in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen sind. Der Verbraucherpreisindex für Telekommunikation hat sich seit 1998 um knapp 40 Prozent verringert, Tendenz weiter fallend. Mit der Öffnung der Telekommunikationsmärkte wurden aber nicht nur die Preise drastisch zugunsten der Verbraucher gesenkt, sondern auch die angebotenen Leistungen sukzessive verbessert. Das bringt mich zur zweiten Feststellung. Eine verlässliche und kluge Regulierungspraxis ist die Voraussetzung dafür, dass Unternehmen in Breitbandinfrastrukturen investieren. Laut dem Bericht der Bundesnetzagentur ist die Zahl der Breitbandanschlüsse in Deutschland im letzten Jahr auf 28,4 Millionen gestiegen. Damit verfügt mittlerweile jeder dritte Haushalt in der Bundesrepublik über einen Breitbandanschluss. Im EU-weiten Vergleich liegt Deutschland damit auf Platz vier. Das ist zwar nicht unser Anspruch; aber immerhin ist es Platz vier. Auch diese Entwicklung verdanken wir einem Mehr an Wettbewerb. Verschiedene Maßnahmen der Regulierung haben dazu geführt, dass sich behutsam ein Wettbewerb auf verschiedenen Teilmärkten entwickeln konnte. Hier sei exemplarisch auf den gesamten Bereich der Vorleistungsprodukte verwiesen. Seit der vollständigen Marktöffnung wurden in Deutschland bereits über 100 Milliarden Euro in den Netzausbau investiert, im Übrigen mehr als die Hälfte von Wettbewerbern der Deutschen Telekom. Die Beobachtung des Marktes lässt eine dritte Schlussfolgerung zu. Unternehmen investieren vor allem dort in den Netzausbau, wo sie mit anderen Anbietern im Wettbewerb stehen. Um die Ziele beim Netzausbau zu erreichen, müssen wir auf die verschiedensten Technologien zurückgreifen. Die Entscheidung der Bundesnetzagentur zur Einführung der Vectoring-Technologie hat im vergangenen Jahr für viel Diskussionsstoff gesorgt. Durch Vectoring wird eine zeitnahe und relativ kostengünstige Aufrüstung des bestehenden Telekommunikationsnetzes ermöglicht. Als Union begrüßen wir die Ausschöpfung der sich daraus ergebenden Möglichkeiten ausdrücklich. Vectoring ist für uns ein wichtiger Baustein zur Erreichung des Etappenziels. Auch die Monopolkommission würde Vectoring als wünschenswerte Übergangstechnologie begrüßen. Klar ist aber auch, dass mittels Vectoring im Moment zwar gute Ergebnisse erzielt werden, in Zukunft aber nur begrenzte Bandbreiten verfügbar sind. Sichtbar ist übrigens, dass der Ausbau der VectoringTechnologie auch und gerade dort realisiert wird, wo Kabelnetzbetreiber bereits Infrastruktur aufgebaut haben. Das ist in Ordnung, aber auch ein Beleg für mehr Wettbewerb. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Ziel ist es, Deutschland zum führenden digitalen Standort in Europa auszubauen. Der Tätigkeitsbericht der Bundesnetzagentur bestätigt, dass in den vergangenen Jahren viel geschehen ist. Wir wissen aber auch, dass uns auf dem Weg noch viel Arbeit bevorsteht. Dafür müssen wir sicherlich öffentliche Mittel in die Hand nehmen. Unser Ziel werden wir vor allem dann erreichen, wenn wir es schaffen, Vielfalt auf den Märkten zu erhalten und mittels Wettbewerb die notwendigen Investitionen anzustoßen. Vielen Dank. ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Danke schön. - Nächste Rednerin ist für Bündnis 90/ Die Grünen die Kollegin Katharina Dröge.

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Kollege Herr Durz hat schon vieles über die positive Entwicklung auf dem Telekommunikationsmarkt seit der Marktöffnung im Jahr 1999 gesagt. Deswegen will ich mich an dieser Stelle kurzfassen. Ich teile Ihre Analyse und finde auch, dass die Marktöffnung gezeigt hat, wie positiv der Wettbewerb für die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie für die Unternehmen in Deutschland sein kann. Seit der Marktöffnung erleben wir drastische Senkungen bei den Preisen für Festnetz-, Internet- und Handynutzung. In den ersten drei Jahren nach der Marktöffnung hatten wir teilweise Preissenkungen von bis zu 20 Prozent. Das ist eine gute Nachricht. ({0}) So viel von mir zur Analyse. Sie haben viel dazu gesagt. Jetzt geht es darum, die Handlungsnotwendigkeiten zu diskutieren. ({1}) - Langsamer? Es tut mir leid, ich rede jetzt langsamer. Dann muss nicht so schnell mitgeschrieben werden. - Im Rahmen der Handlungsnotwendigkeiten geht es nicht nur um sinkende Preise, sondern natürlich auch um die Themen Qualität und Verbraucherzufriedenheit. Genau hier liegen für mich die Handlungsfelder, in denen sich zeigt, wie eine gute Wettbewerbspolitik aussieht. Märkte, die so kompliziert und unübersichtlich für die Verbraucherinnen und Verbraucher sind wie die Telekommunikation, brauchen Rahmensetzungen des Staates, die bei der Orientierung helfen. ({2}) Denn welcher Verbraucher ist schon in der Lage, wirklich zu beurteilen, wie hoch die Datenübertragungsrate ist, die bei ihm tatsächlich ankommt? Hier sind Informationspflichten wichtig. Oder das Thema Anbieterwechsel. Ich weiß nicht, wer hier im Saal schon einmal versucht hat, seinen Telefonanbieter zu wechseln. ({3}) Ich sage Ihnen: Tag für Tag versuchen es Menschen, und sie haben mit vielen Hürden und Schwierigkeiten zu kämpfen. ({4}) Die neue Transparenzverordnung der Bundesnetzagentur ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, auch wenn an der einen oder anderen Stelle noch kleinere Nachbesserungen notwendig sind, die wir noch am Montag im Beirat der Bundesnetzagentur diskutiert haben. Aber es ist wichtig, dass die Bundesnetzagentur ganz klar sagt, dass im Hinblick auf Transparenz und Verbraucherschutz die Selbstregulierung der Unternehmen allein nicht funktioniert, sondern dass es eines regulatorischen Rahmens hinsichtlich der Informations- und Transparenzpflichten der Anbieter bedarf. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wichtig beim Thema Wettbewerb ist auch die Frage der Netzneutralität. Sie ist ein Garant für die Chancen von kleinen und mittelständischen Unternehmen, sich in einem innovativen Markt mit guten Ideen gegen große Konzerne durchzusetzen. Ich freue mich deshalb sehr, dass das Europaparlament sich heute in einer wegweisenden Entscheidung für ein offenes und freies Internet ausgesprochen hat. ({6}) Wir Grünen begrüßen es ausdrücklich, dass die Netzneutralität nun als Grundprinzip in Europa verankert ist. ({7}) Doch wenn Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, das Ziel eines fairen Wettbewerbs und fairer Chancen tatsächlich ernst nehmen, dann müssen Sie jetzt handeln. Sie sind aufgefordert, die Netzneutralität endlich effektiv gesetzlich in Deutschland zu verankern bzw. sich dafür im Rat einzusetzen. Das, was Herr Barthel - ich weiß nicht, wo er gerade ist - in seiner Rede zum Thema Netzneutralität und zum Thema Breitbandausbau gesagt hat, hat mich etwas gewundert. Sie, liebe SPD, sind jetzt in der Regierung. Das, was Herr Barthel hierzu gesagt hat, klang ein bisschen wie eine Oppositionsrede; er sprach davon, was man sich alles wünscht. Setzen Sie es doch einfach um! Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei. ({8}) Lassen Sie mich zum Schluss noch eine grundsätzliche Bemerkung machen. Ich finde es bezeichnend, dass gerade Sie als Große Koalition - oder sollte ich besser sagen, als Monopolkoalition? - keine wirklich erkennbaren Anstrengungen unternehmen, um den Wettbewerb um faire Verbraucherpreise in Deutschland zu fördern. ({9}) Das sieht man an Ihrem mangelnden Handeln in Sachen Netzneutralität und Breitbandausbau. Das sieht man genauso beim Thema Bahnpolitik. Das Bundeskartellamt hat noch vor wenigen Wochen ein Missbrauchsverfahren gegen die Deutsche Bahn eingeleitet wegen des Verdachts auf Behinderung des Wettbewerbs im Fahrkartenverkauf. Die Monopolkommission hat ganz klar gesagt, dass nur die Trennung des Schienennetzes von den Transportunternehmen einen fairen Wettbewerb garantieren kann. Doch im Koalitionsvertrag findet sich das Gegenteil, nämlich ein integrierter Bahnkonzern. Ich sage Ihnen: Eine verbraucherfreundliche Politik sieht anders aus. ({10}) Aber ganz ehrlich - damit schließe ich auch -: Mich wundert diese Politik nicht; denn die Strecke zwischen Bahn und Kanzleramt ist wahrscheinlich die einzige in Deutschland, die reibungslos funktioniert - garantiert ohne Verspätung. ({11})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank. - Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Thomas Jarzombek, CDU/CSU. ({0})

Thomas Jarzombek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004061, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Dröge, Sie haben vollkommen recht: Die Bahn ist so pünktlich, dass der Kollege Barthel von der SPD schon zum Bahnhof gesprintet ist. Das gibt mir jetzt die Freiheit, ihn über die Ferne daran zu erinnern, dass wir inzwischen in einer Koalition sind. Das sind möglicherweise für manche hier in diesem Hause verblüffende Erkenntnisse. ({0}) Ich finde es auch ganz erstaunlich, dass man im Jahr 18 der Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes ernsthaft diskutiert, ob Wettbewerb etwas Gutes ist. Ich glaube, ja. Ich bin jetzt 40 Jahre alt. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich als junger Mensch mit dem Mondscheintarif gequält wurde, bei dem man wirklich genau aufpassen musste, wie lange man telefoniert, weil einem jede Minute ins Portemonnaie geschnitten hat. Das ist vorbei. Als es noch ein Monopol in Deutschland gab und die Deutsche Post das Breitbandnetz ausgebaut hat - daran können Sie sich vielleicht erinnern -, gab es die OPAL, die Optische Anschlussleitung. Das hat uns nicht nach vorne gebracht, sondern das Gegenteil war der Fall. Hier wurden Standards implementiert, die uns gerade im Osten trotz Milliardeninvestitionen eben nicht ins Breitbandzeitalter geführt haben. Deshalb, glaube ich, ist es gut, dass hier nicht ein Einziger nach eigenem Gusto entscheidet, sondern der Markt eine Rolle spielt. Es ist auch eine Frage dessen, wie man mit den Verbraucherrechten umgeht; Sie haben das ja gerade erwähnt. Ich kenne viele Leute, die mit ihrem Anbieter unzufrieden sind und sagen: Mir reicht es; ich kündige, ich wechsle. - Das geht nur, wenn es mindestens zwei Anbieter gibt. Deshalb ist Wettbewerb etwas ganz Essenzielles. Der Wettbewerb hilft uns. ({1}) Dann wird oft genug erklärt, der Wettbewerb schade den Investitionen. Das ist eine Platte, die ich in den letzten Monaten viel zu oft gehört habe. Ich glaube, gerade der heute vorliegende Bericht beweist doch das Gegenteil. Die Investitionen sind so hoch wie seit Jahren nicht mehr. Interessant ist der Blick darauf, wer denn hier eigentlich investiert. Da sind die Zahlen klar verteilt: 3,5 Milliarden Euro kommen von den Privaten und nur 2,8 Milliarden Euro von der Deutschen Telekom. Ich sage ganz klar nach Bonn: Ich finde, da geht noch was. Insofern ist es gut, dass wir private Wettbewerber haben, die momentan offensichtlich die Mehrheit der Investitionen stemmen, die wir brauchen, um Deutschland ins Breitbandzeitalter zu bringen. Da hilft uns keine Diskussion über einen Universaldienst, der genau das Gegenteil bewirkt, nämlich tatsächlich anfängt, den Wettbewerb wieder einzuschränken. In dem Augenblick, in dem wir beschließen, dass wir mit Staatsknete das Breitbandnetz ausbauen, werden doch alle diejenigen, die heute einen Ausbauplan irgendwo in Niedersachsen haben und gerade dabei sind, Kabelverzweiger zu ertüchtigen, sagen: Das stoppen wir jetzt erst einmal und warten ab, was vom Bund an Geld kommt. ({2}) Dann gibt es den verwegenen Gedanken, man könnte auf jeden Breitbandanschluss eine Umlage erheben. Das wurde in den letzten Jahren von der damaligen Opposition viel diskutiert. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir beschäftigen uns ja jetzt im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur mit diesem Thema und wissen, glaube ich, ganz gut, wie das angefangen hat, als man auf Benzin eine Umlage für externe Kosten und dies und das erhoben hat. Die Mineralölsteuer war zwischenzeitlich höher als der Preis des Benzins. Davor warne ich. Bei allen Zielen, die wir hier verfolgen - wir reden immer so viel über Megabit, vielleicht auch noch über Latenzzeiten -: Ich finde, der Preis eines Breitbandanschlusses ist etwas sehr Wichtiges. Das ist eine Frage von gesellschaftlicher Teilhabe. Früher war der Brockhaus ein Statussymbol. Ich weiß gar nicht, wie viel Tausend D-Mark er gekostet hat. Mit soundso vielen Bänden, in Leder eingebunden, dokumentierte er das Bildungsbürgertum im Regal. Das konnten sich nicht viele Leute leisten. Heute gibt es für 19,90 Euro einen Breitbandanschluss, mit dem das gesamte Wissen der Welt verfügbar ist. Ich finde, das ist im Hinblick auf die gesellschaftliche Teilhabe ein Fortschritt. ({3}) Deshalb finde ich Äußerungen falsch, nach denen Internetanschlüsse in Deutschland zu billig sind. Ich glaube nicht, dass sie zu billig sind. Ich glaube, dass die Herausforderung darin besteht, die Bevölkerung dahin zu bringen, dass sie erstens die Anschlüsse bestellt und zweitens erkennt, dass man sie zu mehr nutzen kann als zur reinen Unterhaltung. Das ist eine wichtige Aufgabe bei der Vermittlung von Medienkompetenz, die wir in der Enquete-Kommission sehr umfangreich beleuchtet haben. Es gibt an dieser Stelle viel zu tun, aber auch deutliche Erfolge. Kollege Barthel hat angemerkt, dass Finnland bei der Breitbandversorgung auf Platz eins ist, und sagte, was wir jetzt alles tun müssten. Meine Damen und Herren, im Jahr 2008 hatten gerade einmal 55 Prozent der deutschen Haushalte einen Breitbandanschluss; das heißt, fast die Hälfte war gewissermaßen offline. Im letzten Jahr waren es laut Eurostat 85 Prozent. Der Anteil der Haushalte mit Breitbandanschlüssen ist also innerhalb von fünf Jahren von 55 Prozent auf 85 Prozent angestiegen. Damit liegen wir nur 3 Prozentpunkte hinter Finnland zurück. Sicher ist es ein Ziel, den ersten Platz zu erreichen; aber die Welt ist nicht so düster, wie der Kollege es beschrieben hat. ({4}) An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen, einmal dem Bundesminister Dobrindt wie auch der Staatssekretärin Dorothee Bär, die heute bei uns ist, für den sehr gelungenen Start und die gute Initiative der Netzallianz Digitales Deutschland zu danken, mit der man es geschafft hat, die Anbieter zusammenzubringen und gezielt darüber zu reden, wie man zu mehr Investitionen in den Breitbandausbau kommt. Das brauchen wir. Ich glaube, dass auch die Strategie, die formuliert wurde, ein substanzieller Erfolg ist. Dabei geht es um die Frage: Was machen wir im Bereich der mobilen Breitbandlösungen? Es gab gestern im Ausschuss einen Bericht des Breitbandbüros des Bundes. Da hat Herr Brauckmüller, der Chef des Breitbandbüros, erklärt: 50 bis 60 Prozent der Nutzungen werden künftig mobil sein. Wenn Sie selber einmal schauen, mit welchen Geräten Sie heute online sind, dann werden Sie wenige finden, die überhaupt noch einen Anschluss für einen RJ-45-Netzstecker haben. Ich glaube, dass die mobile Nutzung das Thema der Zukunft ist. Wir wollen im Verkehr die Telematik einführen, die Maschine-zu-Maschine-Kommunikation stärken und immer mehr SmartGeräte nutzen. Deshalb ist das wichtig. Hier ist es ein Riesenerfolg, dass Minister wie Staatssekretärin es geschafft haben, dass, wenn es nach einer Auktion oder Vergabe - was auch immer es sein wird; ich finde übrigens, dass eine Auktion nicht unbedingt das beste Instrument sein muss, ganz im Gegenteil - zu einer Digitalen Dividende kommt, die entsprechenden Erlöse in den Breitbandausbau gehen und nicht im allgemeinen Haushalt versickern. Das ist ein großer Erfolg des Bundesministers, und das muss man an dieser Stelle klar herausstellen. ({5}) Ein zweiter Punkt ist wichtig, wenn es darum geht, die vorhandenen Möglichkeiten zu erschließen. Das Breitbandbüro hat im Ausschuss ausgeführt, dass man mit LTE-Advanced unter Nutzung der Frequenzen um 700 Megahertz aus der Digitalen Dividende 2 von heute 2 bis 6 Mbit mit LTE quasi mit einem Schnips auf 600 Mbit pro Sekunde kommen kann; damit wären 600 Mbit überall im ländlichen Raum verfügbar. Das Ganze hängt jetzt an einer einzigen Stelle, nämlich bei den Ländern. Die Länder dürfen hier nicht blockieren, sondern müssen diese Frequenzen freigeben. Ganz entscheidend ist, dass die Länder am Ende nicht das tun, was sie sonst immer tun, nämlich ein Preisschild dranhängen, ({6}) also gar nicht mehr auf die Sachfrage schauen, sondern nur noch fragen: Was kriegen wir denn jetzt eigentlich? Wenn die Länder ein solches Preisschild dranhängen, dann wird das zu Desinvestitionen führen. Insbesondere wird die Nagelprobe für die Länder darin bestehen, zu zeigen, dass auch sie selbst bereit sind, ihre Erlöse aus dem Projekt in den Breitbandausbau zu investieren, also bitte nicht in allen möglichen Kokolores. ({7}) Das ist die Botschaft, die heute von hier ausgehen muss. Insofern freue ich mich sowohl auf die weiteren Beratungen in unserem neuen Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur als auch die Beratungen zur Netzneutralität im Ausschuss Digitale Agenda, der sich schon nächste Woche mit den Beschlüssen des EU-Parlaments beschäftigen wird. Auch das wird eine spannende Diskussion, auf die ich mich sehr freue. Vielen Dank. ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank. - Damit schließe ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 10. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/209 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Herbert Behrens, Dr. Gregor Gysi, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Nachtruhe am Flughafen Berlin Brandenburg sicherstellen - Antrag des Landes Brandenburg unterstützen Drucksache 18/971 Vizepräsident Johannes Singhammer Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kollege Thomas Nord, Die Linke. ({0})

Thomas Nord (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004122, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mein Wahlkreis liegt in der Nähe des BER. Das Volksbegehren für ein konsequentes Nachtflugverbot und einen neuen Standort hatte dort eine große Lobby. Wir hätten das unterstützen können, meine Partei hat jedoch darauf verzichtet. Niemand darf Milliarden von bereits ausgegebenen Steuergeldern einfach abschreiben. Umso konsequenter ist die Linke der Auffassung, dass die Fluglärmbetroffenen einen Anspruch auf bestmöglichen Schallschutz und ein konsequentes Nachtflugverbot haben. ({0}) Für diese Position habe ich bei Debatten mit Bürgerinnen und Bürgern nicht nur Zustimmung erfahren, aber durchaus Respekt. Die Mehrheit der Brandenburgerinnen und Brandenburger ist bereit, die Realität zur Kenntnis zu nehmen, wenn die Politik zugleich bereit ist, die Interessen der vom Fluglärm Betroffenen ernsthaft mit in Rechnung zu stellen. ({1}) Auf diese Ernsthaftigkeit von Politik können die Bürgerinnen und Bürger jedoch nicht mehr wirklich bauen. Über Jahre hat sich Misstrauen entwickelt, und leider tun auch jetzt die Regierungskoalitionen im Bund und in Berlin alles dafür, dass sich dieses Misstrauen weiter verfestigt. Die Absicht, einen Flughafen bei Schönefeld zu bauen, hat in diesem Jahr 18. Geburtstag. Im Mai 1996 einigten sich der Bund und die Länder Berlin und Brandenburg darauf, dort einen Single Airport zu entwickeln. Der Traum vom BER wird in diesem Jahr also volljährig. Einige Verantwortliche haben jedoch aus den Geburtsfehlern dieses Projektes offensichtlich nichts gelernt. Am 7. April wird wahrscheinlich der Fehler von 1996 wiederholt. Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe wies damals noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass die Entscheidung für Schönefeld falsch ist; die Bundesregierung und Berlin setzten sich aber darüber hinweg. Seitdem ist dieses Projekt ein Trauerspiel. Es gehört - das wissen wir alle - zu den größten Desastern öffentlicher Investitionen. Wenn heute auf die Wirtschaftlichkeit des Projektes verwiesen wird, sobald es um die Wahrung der Interessen der Anwohnerinnen und Anwohner geht, dann klingt das wie ein Treppenwitz. Das scheint der einzige Punkt zu sein, bei dem Wirtschaftlichkeit von Bedeutung ist. Anders lässt sich die Vielzahl willkürlicher und milliardenschwerer Fehlentscheidungen kaum erklären. Im Übrigen wird allen Bürgerinnen und Bürgern in Art. 2 des Grundgesetzes körperliche Unversehrtheit garantiert, unabhängig davon, ob sich das rechnet oder nicht. ({2}) Zur Wahrheit gehört, dass alle Entscheidungen immer von allen drei Gesellschaftern des BER mitgetragen wurden, also auch von brandenburgischen Landesregierungen. Das gilt auch, wenn heute die brandenburgische CDU, immerhin zehn Jahre mit in der Regierung, versucht, sich vom märkischen Acker der Mitverantwortung zu machen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union in Brandenburg, lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Darüber wird im Landtagswahlkampf sicherlich zu reden sein. Nach vielen Versuchen, sich Gehör zu verschaffen, griffen Bürgerinnen und Bürger zum Mittel der direkten Demokratie. Es fand das erste erfolgreiche Volksbegehren in Brandenburg statt. Über 106 000 Brandenburgerinnen und Brandenburger stimmten für ein konsequentes Nachtflugverbot. Folgerichtig und in Respekt vor diesem klaren Ergebnis hat die brandenburgische rotrote Regierungskoalition dieses Begehren mit einem Landtagsbeschluss angenommen und verhandelt seit einem Jahr mit den anderen Gesellschaftern über dessen Umsetzung. Die Landesregierung vertritt damit die Interessen der Bürgerinnen und Bürger Brandenburgs. Sie hat gehofft, die Mitgesellschafter überzeugen zu können, dass es gut wäre, die Interessen des BER mit denen der Bürgerinnen und Bürger ins gesellschaftliche Gleichgewicht zu bringen. Die Reaktionen der Bundesregierung und der Berliner Landesregierung sind eindeutig. Sie sind in höchstem Maße ignorant und wiederholen den Fehler von 1996. Sie wollen sich, wie bei der Entscheidung für den Standort, über Brandenburg hinwegsetzen. Natürlich ist das möglich. Besser aber wäre es, die Bundesregierung würde hier und heute durch das Parlament gestoppt. ({3}) Wirklich damit rechnen können wir aber leider nicht. Weil dies so ist, hat Ministerpräsident Dietmar Woidke gestern in einer Regierungserklärung weitere Schritte auf die Mitgesellschafter zu gemacht. Sein Kompromissvorschlag würde den höchstrichterlich ausgeurteilten Planfeststellungsbeschluss unberührt lassen. Danach soll die Flughafengesellschaft mit Zustimmung der Luftfahrtbehörden in der Zeit zwischen 5 und 6 Uhr morgens auf den Gebrauch ihrer Betriebsgenehmigung freiwillig verzichten. Das hieße im Klartext, es gebe wenigstens eine Stunde mehr Nachtruhe für die Anwohnerinnen und Anwohner. Das liegt übrigens unter der Forderung der brandenburgischen CDU, die eine Nachtruhe von 23 bis 6 Uhr fordert. Ich warte noch auf den entsprechenden Antrag aus den Reihen der Union, damit ich ihm hier freudig zustimmen kann. Die bisher vorliegenden Äußerungen aus der Bundesregierung und dem Land Berlin legen nahe, dass sie nicht die Absicht haben, den Interessen der Betroffenen entgegenzukommen. ({4}) Der Bund und Berlin, Regierungen aus Union und SPD, wollen sich erneut über brandenburgische Interessen hinwegsetzen. Das ist rücksichtslos gegenüber der Gesundheit Hunderttausender Menschen, und es ist schädlich für das Projekt BER. 2014 ist nicht mehr 1996. Wer heute noch glaubt, so ein Vorhaben kompromisslos gegen den Willen Hunderttausender und des Landes, das die Hauptlast trägt, realisieren zu können, ist grenzenlos arrogant und politisch höchst kurzsichtig. ({5}) Nachhaltiges Brandenburger Engagement ist für den BER unverzichtbar. Alle Gesellschafter sind aufeinander angewiesen. Niemand wird sich auf Dauer den legitimen Interessen des einen oder anderen entziehen können. Wenn Sie unserem Antrag zustimmen, zeigen Sie in dieser Frage mehr Weitsicht als die Vertreter der Bundesregierung gegenwärtig. Danke schön. ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Peter Wichtel, CDU/ CSU. ({0})

Peter Wichtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004189, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich den Antrag der Linksfraktion diese Woche in Händen hielt - das war am 1. oder 2. April -, habe ich mir den Antrag zweimal angeschaut, um mich zu vergewissern, ob es ein Aprilscherz oder wirklich ein Antrag ist. So, wie er formuliert worden ist, ist es, denke ich, eindeutig, dass es keinen Grund gibt, hier im Bundestag darüber zu diskutieren. Das ist Wahlkampfgetöse im Vorfeld des Landtagswahlkampfes in Brandenburg. Ich denke, das ist der einzige Grund, weshalb der Antrag hier eingebracht wurde. Was ich am bedauerlichsten finde, ist, dass im anstehenden Wahlkampf mit Forderungen wie der nach einer Ausweitung des Nachtflugverbots am Hauptstadtflughafen BER unnötigerweise wieder einmal auf dem Rücken der Bürger diskutiert wird. Jeder, der sich mit der Thematik auch nur ein bisschen auskennt und sich damit beschäftigt hat, weiß ganz genau, dass der Ruf nach einer Ausweitung des Nachtflugverbots absolut unrealistisch ist. Selbst der Brandenburger Ministerpräsident hat mittlerweile seine Bemühungen, die weiteren Gesellschafter der FBB GmbH von einer solchen Ausweitung zu überzeugen, diese Woche eingestellt, wie ich der Presse entnehmen konnte. Das heißt also, dass hier und heute keiner der beteiligten Gesellschafter, weder der Bund noch das Land Brandenburg noch das Land Berlin, einen Antrag auf Verkürzung der Betriebszeiten einbringt. Alle Beteiligten haben verstanden, dass eine entsprechende Änderung des Planfeststellungsbeschlusses abgelehnt würde. Nur die Fraktion der Linken im Deutschen Bundestag hat dies offensichtlich nicht verstanden. ({0}) Bedauerlich ist bei den Forderungen nach einer weiteren Verkürzung der Betriebszeit insbesondere - dies habe ich bereits angedeutet -, dass den Menschen im Umfeld des Flughafens Versprechungen gemacht werden, die nicht gehalten werden können.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Wichtel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nord?

Peter Wichtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004189, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das beabsichtige ich nicht. Nein. ({0}) Dieses unnötige Wahlkampfgetöse macht den Bürgern vollkommen falsche Hoffnungen und verunsichert zudem die zukünftigen Akteure am Hauptstadtflughafen. Das betrifft die Beschäftigten, die zukünftigen Ladenbetreiber und die Fluggesellschaften. Wenn es nach all den Verzögerungen und Hiobsbotschaften um den BER in den vergangenen Jahren eine Sache gibt, die das Projekt und auch die Menschen im Umfeld nicht gebrauchen können, dann sind das weitere Versprechungen, die nicht gehalten werden können. ({1}) Ich will an dieser Stelle noch einmal deutlich machen, warum die beteiligten Gesellschafter einer Erweiterung des Nachtflugverbotes nicht zustimmen. Bei den Betriebszeiten des BER ist die Zeit von 0 bis 5 Uhr als unterbrochene Flugzeit, als Nachtruhe, vorgesehen. Dies ist nach einem Planfeststellungsverfahren und nach einem höchstrichterlichen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts so festgelegt worden. Jeder, der hier suggeriert, dass man dies nach einem Planfeststellungsverfahren einfach ändern kann, wenn es denn die Menschen wollen, sorgt nicht für Planungssicherheit, sondern für Planungsunsicherheit. Ich denke, das kann man so nicht machen. ({2}) Es gibt aber noch einen weiteren Grund, warum ich denke, dass es richtig ist, die jetzt vorgesehene Regelung der Betriebszeiten zu unterstützen, auch wenn man uns mit dem heute vorliegenden Antrag genau das Gegenteil weismachen will. Das Nachtflugverbot stellt bereits einen ausgewogenen Kompromiss zwischen den Interessen der Anwohner und den betrieblichen Notwendigkeiten des Flughafens dar. Zudem sind in den Randzeiten zwischen 5 und 6 Uhr sowie zwischen 23 und 0 Uhr zusätzliche deutliche Einschränkungen bei Starts und Landungen vorgesehen. Die Bürgerinnen und Bürger im Umfeld des Flughafens werden mit den vorgesehenen Betriebszeiten also bereits spürbar entlastet. ({3}) Hier von einem dringend benötigten Kompromiss zu sprechen, ist dementsprechend aus meiner Sicht irreführend und falsch. Eine Ausweitung des Kompromisses würde einen Kompromiss vom Kompromiss bedeuten. Ich bin zudem davon überzeugt, dass viele Menschen in Berlin und Brandenburg diese Ansicht nicht teilen und sich nicht übermäßig vom Fluglärm belästigt fühlen. ({4}) Wie in einem vor kurzem in der Berliner Zeitung erschienenen Artikel anschaulich verdeutlicht wurde, ist die Nachbarschaft rund um den Flughafen ein sehr beliebtes Gebiet für Wohnimmobilien. Makler berichten zurzeit schon, dass in einigen Bereichen das Angebot knapp wird, dass es kaum noch Grundstücke gibt und die Grundstücke, wie der Volksmund so schön sagt, wie warme Semmeln weggehen, ({5}) und das ungeachtet der steigenden Immobilienpreise. Diese Situation haben wir übrigens, liebe Kollegin von den Grünen, die dauernd dazwischenruft, an allen Verkehrsflughäfen. Die Grundstücke in der Nähe der Flughäfen werden teurer; das versteht kein normaler Mensch. ({6}) Berichte wie dieser verdeutlichen, dass die Bürger im Umfeld des BER den Flughafen annehmen und dass sie das, was ich vorgetragen habe, in der Mehrheit so sehen. Abschließend betrachtet kann ich daher nur dafür plädieren, dass sich alle beteiligten Gesellschafter endlich um die hauptsächliche Herausforderung kümmern, nämlich darum, dass der BER fertiggestellt wird. Sie sollten sich darauf konzentrieren und nicht mit durchsichtigen Wahlkampfmanövern unnötig weitere unrealistische Baustellen aufmachen. Das darüber hinaus immer wieder beschworene gedeihliche Miteinander von Bürgern und Flughafen, das in der Debatte über die Betriebszeiten ja immer über Gebühr betont wird, kann nur dann gelingen, wenn die Menschen, so gut es geht, einbezogen werden. Dazu gehört aber auch, dass keine falschen Hoffnungen geschürt werden, Hoffnungen, die ohnehin nicht umsetzbar sind. Genau das ist der Fall, wenn man eine Ausweitung des bereits vorhandenen rechtssicheren Nachtflugverbotes fordert. Leider beschreitet man seitens der brandenburgischen Landesregierung weiter den Weg, leere Wahlkampfversprechen zu machen. Denn auch der nun geäußerte Vorschlag, der Flughafenbetreiber solle die Nachtruhe doch einfach freiwillig um eine weitere Stunde auf 6 Uhr ausdehnen, ist unrealistisch und aus meiner persönlichen Sicht eine weitere Durchhalteparole für den Landtagswahlkampf. ({7}) Aus diesem Grund und aus den anderen von mir vorgetragenen Gründen werden wir den vorliegenden Antrag ablehnen. ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Stephan Kühn das Wort.

Stephan Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004085, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Wichtel, das, was die Kollegen von der CDU im brandenburgischen Landtag zu diesem Thema sagen, hört sich doch etwas anders an als das, was Sie gesagt haben; das nur als Bemerkung am Rande. ({0}) Mit Beschluss vom 27. Februar 2013 hat sich der Brandenburger Landtag der Forderung des erfolgreichen Bürgerbegehrens angeschlossen, das ein Nachtflugverbot in der Zeit von 22 bis 6 Uhr für den neuen Flughafen Berlin Brandenburg fordert. Mit dem vorliegenden Antrag will die Linke erreichen, dass sich der Bund als Anteilseigner der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH dieser Forderung anschließt. Dieses Ansinnen unterstützen wir. Leider hat die rot-rote Regierung in Brandenburg diese Position gerade geräumt. Ministerpräsident Woidke hat dazu gestern eine Regierungserklärung abgegeben. Dabei ist er von der geforderten Ausweitung des Nachtflugverbots am künftigen Flughafen Berlin Brandenburg abgerückt. Das Ergebnis des Volksbegehrens wird also nicht umgesetzt, Brandenburg bekommt nicht den Bürgerwillen gemäß dem Volksentscheid, und der Rückzug erfolgt eigentlich, wenn man ehrlich sein will, vor Verhandlungsbeginn. Ministerpräsident Woidke ist vor Verhandlungsbeginn umgefallen. Er hatte über ein Jahr Zeit, ({1}) in den Gremien der Flughafengesellschaft einen Antrag auf Änderung der Betriebsgenehmigung zu stellen. Das ist nicht passiert. Man ist nicht tätig geworden. Der Vorschlag der Landesregierung - ein freiwilliger und auf fünf Jahre begrenzter Verzicht auf den Nachtflugverkehr in der Stunde von 5 bis 6 Uhr - ist eigentlich die Weigerung, überhaupt in den Kampf zu ziehen. Stephan Kühn ({2}) ({3}) Es gibt keinen Grund, hinter dieser Ausgangsposition zurückzubleiben, solange nicht alle rechtlichen Mittel ausgeschöpft sind. ({4}) In einem Rechtsgutachten vom 21. Januar dieses Jahres werden Alternativen aufgezeigt, um zu einem Nachtflugverbot zu kommen. Mit dem jetzt vorgelegten Kompromissvorschlag hat Brandenburg seine Verhandlungsposition geschwächt. Ob dieser Minimalkompromiss überhaupt erfolgreich sein wird, ist bekanntlich auch noch ungewiss. Außerdem ist das Timing äußerst schlecht. Erst letzte Woche hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung ein Sondergutachten mit dem Titel „Fluglärm reduzieren: Reformbedarf bei der Planung von Flughäfen und Flugrouten“ vorgelegt, das deutlich macht, dass Fluglärmschutz im geltenden Luftverkehrsrecht nur unzureichend gewährleistet ist. Ich zitiere daraus: Die gesetzliche Regelung der Fluglärmproblematik im Luftverkehrsrecht ist unterentwickelt. Das LuftVG enthält keine Grenzwerte. … Der Gesetzgeber sollte Immissionsgrenzwerte für Fluglärm zum Schutz der Flughafenanwohner normieren. Die entscheidende Passage, die Herr Woidke, aber auch die Herren Wowereit und Dobrindt lesen sollten, ist die folgende - ich zitiere wieder -: Um den Schutz der Nachtruhe besonders hervorzuheben, sollte die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts … kodifiziert werden. Insoweit sollte allerdings der Schutz der gesamten Nachtzeit ({5}) gewährleistet bleiben. ({6}) Weiter heißt es da: Die von der Rechtsprechung vorgenommene Flexibilisierung, die zwischen „Kernnacht“ und „Randzeiten“ unterscheidet, muss vor dem Hintergrund der staatlichen Schutzpflicht für die menschliche Gesundheit aus Grundrechten eine besonders rechtfertigungsbedürftige Ausnahme bleiben, die nicht zu einer Entwertung des Schutzes der Nachtruhe während dieser Randzeiten führen darf. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag versprochen, dass sie mehr gegen Fluglärm tun will. Insbesondere Verkehrsminister Dobrindt ist aufgefordert, diesen Ankündigungen auch Taten folgen zu lassen. ({7}) Die Umweltweisen der Bundesregierung, der genannte Sachverständigenrat, haben hierzu qualifizierte Vorschläge gemacht. Die liegen auf dem Tisch. Die müssen jetzt diskutiert werden. Im Moment, muss man ehrlich sagen, ist der BER ein Langzeitforschungsprojekt „lärmarmer Flughafen“. ({8}) Jetzt wird allerdings die Befürchtung geäußert, durch eine Ausweitung des Nachtflugverbotes zwischen 22 Uhr und 6 Uhr würde die Wirtschaftlichkeit des Flughafens gefährdet. Unwirtschaftlich wird der Flughafen durch die Kostenexplosion, deren Ende noch nicht absehbar ist, und durch die weitere Verzögerung des Eröffnungstermins, die jeden Monat einen zweistelligen Millionenbetrag an zusätzlichen Kosten verursacht. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren. ({9}) Unverändert regiert auf der Baustelle das Chaos. Die Aussage von Flughafenchef Mehdorn „Wir haben den BER im Griff“ war wohl nicht als Aprilscherz gedacht, aber man muss sagen: Es ist einer. Nachdem Technikchef Amann alle Baumängel aufgelistet hat, ist mit Blick auf die geplante bauliche Fertigstellung bis zum Ende dieses Jahres im Wesentlichen nichts passiert. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Kosten auf über 5 Milliarden Euro steigen werden. Ich denke, es muss endlich Schluss damit sein, dass wir weitere Durchhalteparolen und Ankündigungen geliefert bekommen. Wir brauchen endlich Ergebnisse. Es ist nur doof, wenn man ausgerechnet die Leute auf der Baustelle entlässt, die sich mit den Problemen auskennen. ({10}) In dieser Woche ist wieder einem Bereichsleiter gekündigt worden. Er ist derjenige, der sich nach Medieninformationen mit den überbelegten Kabelkanälen im Hauptpier auskennt. Diese Überbelegung muss man beseitigen, wenn man den Flughafen irgendwann in Betrieb nehmen will. Dieser Fachmann ist nun entlassen worden.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Stephan Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004085, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. Der Bund bekennt sich zum Bau des Flughafens Berlin-Brandenburg BER. So steht es im Koalitionsvertrag, meine Damen und Herren. Das reicht nicht. Wenn der Aufsichtsrat nächste Woche tagt, muss endlich Transparenz über weitere Kosten, den Umfang und den zeitlichen Ablauf der Umbaumaßnahmen hergestellt werden. Sonst wird die Meldung von Radio Bayern 3 vom 1. April, dass ab Juli jeder Deutsche 1 Euro im Monat für den neuen Hauptstadtflughafen zahlen soll, noch Realität, und das wollen wir alle, glaube ich, nicht. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Martin Dörmann das Wort. ({0})

Martin Dörmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003517, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Flughäfen haben zwei Seiten. Auf der einen Seite sind sie unverzichtbar für eine mobile Gesellschaft. Sie verbinden Städte, Länder und Regionen. Sie schaffen Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze. Zigtausenden Menschen verhelfen sie zu einem sicheren Einkommen. Reisende erleben die Möglichkeit, mit einem Flieger an unzählige Orte dieser Welt zu fliegen, als eine persönliche Freiheit, die sie nicht missen wollen. Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Menschen, die von einem Flughafen gar nicht begeistert sind, weil sie nämlich unmittelbar in seiner Nähe wohnen und vom Fluglärm betroffen sind. Wer von lauten Flugzeugen um den Schlaf gebracht wird, erlebt dies als Einschränkung seiner Freiheit, als Verlust von Lebensqualität und möglicherweise sogar als Schaden an seiner Gesundheit. ({0}) Es ist vor diesem Hintergrund Aufgabe nachhaltiger Politik, wirtschaftliche Interessen und das Bedürfnis nach Mobilität auf der einen Seite und den notwendigen Schutz der betroffenen Bevölkerung vor Lärm und Gesundheitsschäden auf der anderen Seite in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. ({1}) Gerade dies ist ein zentrales umwelt- und verkehrspolitisches Anliegen der Großen Koalition. In unserem Koalitionsvertrag haben wir uns auf eine Vielzahl von Maßnahmen verständigt, um Fluglärm zu reduzieren, Lärmschutz zu verbessern, und zwar auch und gerade in den Nachtstunden. Dazu gehören beispielsweise lärmreduzierende flugbetriebliche Verfahren, eine Verschärfung der Lärmschutzgrenzwerte für neue Flugzeuge, lärmabhängige Flughafenentgelte, die wir im Luftverkehrsgesetz verankern wollen. Außerdem werden wir die Grenzwerte des Fluglärmschutzgesetzes in dieser Legislaturperiode überprüfen. Auch bei der Festlegung von Flugverfahren wollen wir den Lärmschutz verbessern. Technische Innovationen im Luftverkehr und eine schnelle Modernisierung der Flugzeugflotten mit leisen Flugzeugen sollen diese Maßnahmen flankieren und verstärken. Wir wollen also alle angemessenen Maßnahmen ergreifen, um Menschen vor negativen Einflüssen eines Flughafens zu schützen. Ich freue mich, dass damit ganz viele Punkte Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden haben, die die SPDBundestagsfraktion in der vergangenen Wahlperiode in einem besonderen Dialogprojekt mit dem Titel „Infrastrukturkonsens“ in ein Gesamtkonzept gegossen hat. Vieles davon findet sich im Koalitionsvertrag wieder. ({2}) Bei allen notwendigen Bemühungen um verstärkten Lärmschutz müssen Flughäfen aber auch die Möglichkeit haben, dringende Verkehrsbedürfnisse abzudecken und wirtschaftlich erfolgreich zu arbeiten. Zudem braucht Deutschland einige Flughäfen, die auch nachts angeflogen werden können. Daher haben wir uns in der Koalition darauf verständigt, keine generellen Betriebsbeschränkungen mit einem Nachtflugverbot vorzunehmen. So weit unsere Grundsatzposition. Wie sieht es nun bezüglich des neuen Flughafens Berlin Brandenburg aus? Welche Regelungen wurden dort zum Schutz der Bevölkerung getroffen? Für den Flughafen BER gelten so strenge Grenzwerte für die Tagseite wie an keinem anderen internationalen Flughafen weltweit. Bevor ein Anspruch auf passiven Lärmschutz besteht, ist es ansonsten üblich, dass eine bestimmte Anzahl von Flugbewegungen über einem bestimmten Grenzwert liegt, nämlich in Deutschland üblicherweise über 55 dB, und zwar gemessen im Rauminneren der Wohnhäuser. Dies ist ein Lärmpegel, der etwa einer normalen Unterhaltung entspricht. An den meisten Flughäfen wird eine bestimmte Anzahl von Flugbewegungen zugelassen, die über diesem Lärmereignis liegen können, beispielsweise 6 oder 16 Flugbewegungen. Diese Zahl lautet für Berlin: 0. Also bereits eine einzige Flugbewegung über diesem Lärmpegel innerhalb der verkehrsreichsten sechs Monate eines Jahres führt dazu, dass ein Anspruch auf passiven Lärmschutz besteht, beispielsweise eine entsprechende Fensterverglasung, die von der Flughafengesellschaft finanziert werden muss. Dies bedeutet mehrere Hundert Millionen Euro Zusatzkosten für Lärmschutzmaßnahmen, die es an keinem anderen Flughafen gibt. Insgesamt wird mit Kosten für den Schallschutz von mehr als 700 Millionen Euro gerechnet. Das ist, wie wir finden, wirklich gut investiertes Geld für die Gesundheit der Menschen. ({3}) Zudem gibt es am Flughafen Berlin Brandenburg ein Nachtflugverbot in der Zeit von 0 bis 5 Uhr. Das Bundesverwaltungsgericht hat den entsprechenden Planungsergänzungsbeschluss ausdrücklich für rechtmäßig erklärt. In den Randzeiten abends und morgens darf zudem nur eine verminderte Anzahl von Flugzeugen starten oder landen. Den Bedarf hierfür hat das Bundesverwaltungsgericht allerdings aus mehreren Gründen als „plausibel dargelegt“ bezeichnet, etwa weil Zeitverschiebungen und Streckenlängen bei Interkontinentalflügen eben Abflüge bis 23.30 Uhr oder Landungen ab 5.30 Uhr nötig machen. Nun debattieren wir heute über einen Antrag der Fraktion Die Linke, der eine Ausweitung des Nachtflugverbotes für den neuen Flughafen BER auf die Zeit von 22 bis 6 Uhr fordert. Es ist bereits ausführlich dargelegt worden, dass das vor dem Hintergrund geschieht, dass die Landesregierung Brandenburg nach einem erfolgreichen Volksbegehren eine entsprechende Position eingenommen hat. Es ist auch zu respektieren, dass eine Landesregierung vor diesem Hintergrund und auch aufgrund einer kritischen Stimmung in der Bevölkerung sich dazu entschlossen hat, weitere Versuche zu unternehmen, um weitere Maßnahmen zum Lärmschutz zu erreichen und so die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen. Ja, es ist wahr, wir als Politik müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Bevölkerung insgesamt - und aus guten Gründen - kritischer mit Lärmbelastungen umgeht. ({4}) Eine offene Diskussion um das richtige Maß kann letztlich dazu beitragen, die Akzeptanz gerade auch von Flughäfen zu verbessern.In Abwägung aller Argumente kommt die Große Koalition insgesamt dennoch zu einem anderen Ergebnis als die Landesregierung Brandenburg. Deshalb lehnen wir den Antrag der Linken hier ab, und das möchte ich auch gerne noch einmal näher begründen: Wir alle wissen um den schwierigen Weg, den der neue Flughafen bereits hinter sich hat. Er hat aber auch noch ein gutes Stück Weg vor sich. Es war ein ernsthaftes Ringen um einen breit angelegten Konsens, das seinerzeit zu der Nachtruhezeit von 0 und 5 Uhr im Planergänzungsbeschluss geführt hat, übrigens federführend erarbeitet vom zuständigen Landesverkehrsministerium in Brandenburg. Nach langen Jahren vor Gericht gibt es nun ein rechtskräftiges Urteil, das die Rechtmäßigkeit der gefundenen Regelung und damit auch ihre Angemessenheit bestätigt hat. Von daher können die beiden anderen Anteilseigner, nämlich Berlin und der Bund, sehr wohl gute Argumente dafür anführen, den bereits gefundenen Kompromiss konsequent weiterzuverfolgen. Hinzu kommt, dass es äußerst zweifelhaft ist, ob selbst eine einvernehmlich von den Gesellschaftern beschlossene Ausweitung der Nachtruhezeit unter Zustimmung aller Anteilseigner rechtlich überhaupt haltbar wäre. Der Flughafen hat nämlich auf Grundlage des Planergänzungsbeschlusses eine Betriebspflicht in den Stunden außerhalb der festgelegten Nachtruhezeit von 0 bis 5 Uhr. ({5}) Selbst wenn sich die Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung über eine Ausweitung der Nachtruhezeit einig wären, könnte eine Fluggesellschaft darauf klagen - mit Aussicht auf Erfolg -, in den Randzeiten, um die es heute geht, fliegen zu dürfen. Jede Änderung der im Planergänzungsbeschluss gefundenen Nachtruhezeit würde also zu neuer Rechtsunsicherheit führen und den wirtschaftlichen Erfolg des Flughafens infrage stellen. In einem Gutachten wurde errechnet, dass, wenn man die Nachtruhezeit auf die drei Randstunden ausdehnen würde, mit Mindereinnahmen von 40 Millionen Euro pro Jahr und einem Verlust von 8 000 Arbeitsplätzen zu rechnen wäre. Da die Zahl der Flugbewegungen prognostisch sogar noch höher ist, wird der Verlust wahrscheinlich noch höher ausfallen. Ich will zudem daran erinnern, dass der Flughafen BER gerade deshalb außerhalb des Stadtgebiets neu geplant wurde, um dort die Möglichkeiten für ein Flugdrehkreuz zu schaffen, das den Menschen in Berlin und Brandenburg neue Reiseziele ermöglicht und die hohen - ja, die sehr hohen - Investitionskosten für alle Beteiligten rechtfertigt. Wir alle wissen: Beim BER sind noch zahlreiche Probleme zu lösen. Wir sollten also dazu beitragen, die Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen Erfolg des Flughafens zu bewahren. Ansonsten droht ein Dauersubventionsbetrieb, der auch nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger sein kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht letztlich um einen Dreiklang: Der Flughafen muss technisch funktionieren, er muss wirtschaftlich betrieben werden können, und die um ihn herum lebenden Menschen müssen konsequent und angemessen vor vermeidbarem Lärm geschützt werden. Auch wenn es in der heute diskutierten Frage offensichtlich Akzentunterschiede gibt, so bin ich doch hoffnungsvoll, dass am Ende des Tages alle Beteiligten, insbesondere die drei Anteilseigner, einen Weg finden werden, um gemeinsam zum Erfolg des Flughafens und zu einem guten Lärmschutz dort beizutragen. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat Klaus-Dieter Gröhler das Wort. ({0})

Klaus Dieter Gröhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! 164, das ist die Antwort auf die Frage, warum die Fraktion Die Linke ihren Antrag hier heute eingebracht hat. Die Frage nach dem Warum stellt sich ja inzwischen besonders, seit der Ministerpräsident des Landes Brandenburg am letzten Montag das Scheitern seiner Forderung nach einer Veränderung des Nachtflugverbots eingestanden hat und jetzt nur noch appelliert, dass es Starts zwischen 5 und 6 Uhr nicht geben soll. Damit ist die Grundlage für diesen Antrag eigentlich entfallen. Eigentlich, meine Damen und Herren, hätten Sie sich heute hierhinstellen und sagen müssen: „Wir ziehen diesen Antrag zurück“; denn er hat gar keine Basis mehr. ({0}) Warum Sie das nicht getan haben, lässt sich mit der Zahl 164 erklären: In 164 Tagen wird in Brandenburg ein neuer Landtag gewählt. Ich glaube, das ist der eigentliche Grund, weshalb dieser Antrag hier heute gestellt worden ist. Die Linke will Flagge zeigen. Klar: Wenn man praktisch in fünf Jahren Regierungsbeteiligung in Brandenburg nicht viele Erfolge vorzuweisen hat, dann muss man versuchen, hier einen Schaufensterantrag zu stellen. Ich glaube, Ihnen geht es gar nicht wirklich um den Lärmschutz und auch nicht um den Schutz der Menschen vor Ort, sondern darum, möglichst viele der 100 000 Stimmen beim damaligen Volksentscheid als Wählerstimmen am 14. September 2014 an sich zu binden; ({1}) denn die antragstellende Fraktion weiß: Selbst wenn der Bund als Anteilseigner mit dem Land Brandenburg zusammen für eine Änderung des Nachtflugverbots stimmen würde, würden beide am Votum Berlins scheitern, weil die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung 75 Prozent Zustimmung benötigen, um erfolgreich zu sein. Das Land Berlin selbst hält aber 37 Prozent der Anteile. Damit können die 75 Prozent gar nicht zusammenkommen. ({2}) - Liebe Frau Paus, der Berliner Senat hat sich aber klar gegen eine Änderung des Nachtflugverbots ausgesprochen. Nun bin ich ja wahrlich nicht jemand, der sehr oft einer Meinung mit dem Regierenden Bürgermeister meiner schönen Heimatstadt Berlin ist, aber an der Stelle finde ich es nun einmal richtig, dass Klaus Wowereit eine klare Kante zeigt.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nord zu?

Klaus Dieter Gröhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, Frau Präsidentin. Ich würde gerne im Zusammenhang ausführen, weil ich finde, dass gerade die Anmerkungen des Regierenden Bürgermeisters in diesem Punkt sehr wichtig sind. - Er hat sich klar gegen eine Ausdehnung des Nachtflugverbots ausgesprochen und gesagt, er werde nicht zulassen, dass der BER zum Provinzflughafen wird. Ich sage einmal: Das ist auch gut so. ({0}) Vielleicht sollten die Linken einmal zur Kenntnis nehmen, dass eine Übereinstimmung zwischen dem, was Sie hier fordern, und dem, was Ihre Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin fordert, nicht besteht. ({1}) Während Sie hier sagen, dass die im Planfeststellungsverfahren fixierten Nachtruhezeiten, die vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt worden sind, korrigiert werden sollen, fordern Sie im Abgeordnetenhaus von Berlin lediglich, dass die Flugzeuge nicht mehr zwischen 22 Uhr und 6 Uhr starten sollen. Von Landungen spricht Ihre Fraktion in dem Antrag, den sie am 2. April 2014, also ganz aktuell, gestellt hat, überhaupt nicht. Vielleicht können Sie einmal versuchen, zwischen den Genossen hier und den Genossen da eine Harmonie herbeizuführen. ({2}) Ich darf noch einmal den Regierenden Bürgermeister zitieren. Laut Frankfurter Allgemeiner Zeitung vom 19. Februar 2013 hat Klaus Wowereit gesagt: Jede Korrektur beim Nachtflugverbot ist ein Schaden für die Region. - Diesen Schaden kann auch die Linke nicht wollen; denn sonst hätte sie im November 2009 nicht einen Koalitionsvertrag mit der SPD in Brandenburg mit folgendem Inhalt beschlossen - ich darf kurz zitieren -: Die wirtschaftlichen Effekte des BBI sind bereits heute spürbar, sie werden wichtiger Wachstumsimpuls bleiben. Der BBI schafft bis zu 40.000 Arbeitsplätze in der Region - vor allem durch steigende Passagierzahlen, eine signifikante Verbesserung der Standortgüte sowie zusätzliche Kaufkrafteffekte. ({3}) Damals haben Sie erkannt, dass ein Flughafen wesentliche Wachstumsimpulse für die Region Berlin/ Brandenburg initiieren kann, aber eben nur ein Flughafen, der konkurrenzfähig ist und sich gegen die Angebote seiner Mitbewerber behaupten kann. Von einem Nachtflugverbot ist im damaligen Koalitionsvertrag überhaupt gar keine Rede gewesen. Damals hätten Sie diese Forderung mit unterbringen können, aber das haben Sie nicht. Auch in Ihrer zehnjährigen Beteiligung an der Berliner Landesregierung haben Sie sich übrigens nicht für ein ausgedehntes Nachtflugverbot eingesetzt, und Vertreter der Linken hätten schon jahrelang in den Gremien des Flughafens entsprechende Forderungen durchsetzen können. Ich frage Sie: Wozu sitzen denn zwei linke Landesminister im Aufsichtsrat, wenn die Bundestagsfraktion hier kurz vor dem Brandenburger Landtagswahlkampf einen entsprechenden Schaufensterantrag stellen muss? ({4}) Verstehen Sie mich nicht falsch: Schallschutz ist ein wichtiges ({5}) und grundgesetzlich geschütztes Gut für die Menschen. Auch über meinem Berliner Wahlkreis CharlottenburgWilmersdorf verlaufen Flugrouten. ({6}) Deshalb ist es richtig und wichtig, dass die Flugrouten nach der Inbetriebnahme des BER - ich lege mich hier jetzt nicht auf ein Jahr fest; das wissen wir alle nicht ge2122 nau - von den zuständigen Behörden evaluiert, das heißt überprüft und bewertet werden und dass dann unter Berücksichtigung des aktuellen Standes der Technik der Fluggeräte entsprechende, möglicherweise neue Entscheidungen hinsichtlich der Flugrouten getroffen werden. Dabei ist aber auch wichtig, dass es hier nicht zu einer Ausdehnung von Strecken kommt, weil Umweltschutz - es geht hier auch um die Vermeidung von Wegen - und Lärmschutz schon Hand in Hand gehen müssen. Das Ganze wird man im Rahmen einer Untersuchung, eines Umweltmonitorings, unter anderem für die Region am Müggelsee, bewerten müssen. Dabei sind auch die Wirtschaftlichkeit des Flughafens und die Anbindung der Region wichtig und mit zu betrachten. Schon heute zu fordern, dass ein Flughafen von 22 bis 6 Uhr geschlossen sein muss, obwohl wir noch nicht einmal wissen, wann er seine Tore tatsächlich öffnen wird, ist purer Populismus und hat mit einer ausgewogenen und sachorientierten Politik nichts mehr zu tun. ({7}) Lassen Sie mich zusammenfassen: Ja zu einem erforderlichen und effektiven Lärmschutz für die Menschen in den betroffenen Bereichen, Ja zum Umweltschutz in der Flughafenregion, Ja zur Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit des Flughafens, Nein zur Änderung des bestehenden Nachtflugverbots und Nein zu Ihrem Antrag. Abschließend möchte ich noch einmal den Regierenden Bürgermeister zitieren, der in dieser Frage viel Richtiges gesagt hat. ({8}) Laut Tagesspiegel vom 21. März 2012 richtete er an alle Flughafengegner eine interessante Warnung - Zitat -: Und ich sage all denen, die jetzt protestieren: Wehe, ich erwische einen davon, der am neuen Flughafen eincheckt. Lassen Sie mich hinzufügen: Ich bin gespannt, wie oft ich Kollegen der Linksfraktion, falls der Flughafen irgendwann einmal in Betrieb ist, morgens um 5.30 Uhr treffe, wenn sie in ihren Flieger steigen. Schönen Dank. ({9})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/971 mit dem Titel „Nachtruhe am Flughafen Berlin Brandenburg sicherstellen - Antrag des Landes Brandenburg unterstützen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Das sind die Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt gegen diesen Antrag? - Das ist die Koalition. Wer enthält sich? - Einige Enthaltungen. Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und die Linke abgelehnt worden. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan Mayer ({0}), Armin Schuster ({1}), Clemens Binninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Lars Castellucci, Gabriele Fograscher, Uli Grötsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Herstellung des Einvernehmens des Deutschen Bundestages mit der Bestellung des Instituts für Gesetzesfolgenabschätzung und Evaluation beim Deutschen Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung, Speyer, als wissenschaftlicher Sachverständiger im Rahmen der Evaluierung des RechtsextremismusDatei-Gesetzes Drucksache 18/974 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat der Kollege Clemens Binninger das Wort. ({2})

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass wir heute über die Evaluierung eines Gesetzes reden, hat vor allem mit der Zahl 36 zu tun. Sie beschreibt nämlich, warum wir solche Gesetze überhaupt brauchen. 36 ist die Zahl der Sicherheitsbehörden, die in Deutschland für die Bekämpfung des gewaltbereiten Rechtsextremismus zuständig sind: 36 verschiedene Behörden bei Polizei und Verfassungsschutz, beim Bund und bei den Ländern. Es war schon immer ein großes Anliegen, zu garantieren, dass Informationen, die die Polizei bei der Verfolgung schwerer Straftaten oder zur Verhinderung von Anschlägen braucht, möglichst ausgetauscht werden können. Wie sah die Realität vor Inkrafttreten dieses Gesetzes und vor Einführung der Rechtsextremismusdatei aus? Eines der bedrückendsten Beispiele dafür konnten wir im vergangenen Jahr im Untersuchungsausschuss erleben. Es ging um die Aufklärung und Ermittlungen in einer Serie von damals schon mehreren Morden. Die Polizei eines Bundeslandes bat die Verfassungsschutzbehörde desselben Bundeslandes um Informationen zu gewaltbereiten Rechtsextremisten, um die Ermittlungen vorantreiben zu können. Wer jetzt glaubt, dass eine solche Anfrage vielleicht in ein oder zwei Wochen - eine gewisse Sorgfalt muss sicherlich sein - beantwortet ist, der sah sich damals bitter getäuscht. Es hat neun Monate gedauert, bevor zwischen zwei Landesbehörden Daten über gewaltbereite Rechtsextremisten ausgetauscht wurden. Bei diesem Zustand konnten wir es nicht belassen. Deshalb haben wir die Rechtsextremismusdatei auf den Weg gebracht, übrigens damals schon mit mehr als nur den Stimmen der Regierungskoalition. Die Kollegen der SPD waren auch mit dabei. Die Datei ist ein wichtiges Instrument, das wir im Kampf gegen den Rechtsextremismus brauchen. ({0}) Über die Datei gab es lange politischen Streit - heute wird er vielleicht nicht unbedingt geführt werden, weil wir mehr über die Evaluierung reden - in der Frage: Geht das überhaupt in Deutschland? Ist eine gemeinsame Datei von Verfassungsschutz und Polizei möglich, oder verstößt das gegen das Trennungsgebot? Beim Trennungsgebot geht es darum, dass Verfassungsschutz und Polizei unterschiedliche Aufgaben haben. Der Verfassungsschutz hat keinen Strafverfolgungszwang, aber auch keine Zwangsmittel. Die Polizei hat Strafverfolgungszwang, und sie kann ihn mit Zwangsmitteln durchsetzen. Ich bin froh, dass diese Debatte zwischenzeitlich höchstrichterlich entschieden wurde; denn wir haben neben der Rechtsextremismusdatei im Bereich des internationalen Terrorismus schon länger die Antiterrordatei, die nach dem gleichen Prinzip arbeitet. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat am 24. April 2013 entschieden, dass die Antiterrordatei grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar ist und dass das Trennungsgebot beachtet wurde, dass aber Korrekturbedarf besteht. Ich erwähne das, weil wir das Gesetz zur Rechtsextremismusdatei dem Antiterrordateigesetz nachempfunden haben. Es enthält in etwa die gleichen Befugnisse und die gleichen Bestimmungen. Auch dort werden wir Korrekturen vornehmen müssen. Ich wage die Prognose, dass sich das auch auf die Evaluierung auswirken wird. Wir haben damals mit dem Gesetz beschlossen, dass noch vor 2016 eine Evaluierung erfolgen soll. Sie soll deutlich machen, ob das Gesetz die Anforderungen, die wir stellen, überhaupt erfüllt hat, wie viele Daten erfasst sind, ob es funktioniert, wie viele Abfragen gemacht wurden oder ob am Ende keine Verbesserung erzielt werden konnte - was ich nicht glaube. Die Erfahrungen mit diesen Dateien werden, glaube ich, von den Praktikern bislang durchaus positiv bewertet. Aber es war uns wichtig, dass wir uns solchen Evaluierungen nicht verschließen. Sie helfen uns, mit Sachverstand von außen einen genaueren Blick darauf zu werfen, welche Wirkung Gesetzgebung hat und was wir vielleicht korrigieren müssen. Das Gesetz sieht auch vor, dass die Evaluierung unter Einbeziehung eines oder mehrerer Sachverständiger, die im Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag bestellt werden, erfolgen muss. Um genau dieses Einvernehmen geht es heute. Mit dem vorliegenden Antrag soll das Einvernehmen hergestellt werden, damit der Bundesinnenminister einen Sachverständigen beauftragen kann. Vorausgegangen ist ein Vergabeverfahren, bei dem nach klaren Kriterien ausgewählt wurde. Diese Kriterien sind zum Teil kritisiert worden wegen etwas unklarer Oberbegriffe. Aber am Ende wurde ein Vorschlag präferiert, nämlich das Institut in Speyer, das Erfahrungen mit solchen Gesetzesfolgenabschätzungen hat. Es hat auch schon das Informationsfreiheitsgesetz bewertet und sehr gute und konstruktive Vorschläge gemacht. Es geht darum, verehrte Kolleginnen und Kollegen, solche Instrumente zu nutzen, um wertvolle neue Hinweise zu bekommen. Es geht nicht darum, irgendwelche Alibiveranstaltungen durchzuführen nach dem Motto „Hauptsache, man hat das gemacht“, sondern darum, zu erkennen: Lagen wir mit unserem Gesetzentwurf richtig? Hat er die Wirkungen erbracht, die wir uns von ihm erhofft haben? Ist die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz besser geworden? Hat es dazu beigetragen, schwere Straftaten aufzuklären oder Gefahren abzuwehren? Speisen die Behörden die notwendigen Daten ein? Auch das ist ein Punkt, den man beachten muss: Wie viele Daten sind erfasst? Wie tief ist der Grundrechtseingriff? Wobei ich an dieser Stelle immer dazusage: In dieser Datei sind gewaltbereite Rechtsextremisten gespeichert. Dessen muss man sich immer bewusst sein. Es geht darum, die Informationen darüber unter den Behörden auszutauschen. - All das sind Fragen, die sich mit dieser Evaluation verbinden und auf die wir, wenn wir das Einvernehmen herstellen, kluge Antworten erhalten werden. Ich weiß nicht, ob der Zeitpunkt - das wird das Bundesinnenministerium im Detail abstimmen - vielleicht etwas früh ist - wir hatten eine Frist bis Ende 2016 gesetzt - oder ob man noch etwas zuwarten sollte, um einfach einen größeren praktischen Erfahrungsschatz und mehr Anwendungsfälle zu haben. Aber ich glaube, wir können darauf vertrauen, dass ein Zeitpunkt gewählt wird, der zu dem bestmöglichen Ergebnis führt. Wenn das der Fall ist, sollten wir uns hinterher mit diesen Ergebnissen auch befassen. Wir sollten sie nicht auf die Seite legen und sagen: „Jetzt haben wir unsere Pflicht erfüllt, wie es im Gesetz steht“, uns aber ansonsten nicht weiter darum kümmern, sondern wir sollten sie natürlich, wenn notwendig, in Gesetzesänderungen einfließen lassen. Aber entscheidend ist - das muss man, glaube ich, immer wieder betonen -: Unsere föderale Sicherheitsarchitektur ist in manchen Deliktsbereichen kompliziert. Wir wollen sie aber so beibehalten. Sie muss aber dann im Zusammenspiel funktionieren. Wenn es funktionieren soll, dass 36 unterschiedliche Behörden Informationen auf Deliktsfeldern austauschen, deren Bekämpfung uns allen am Herzen liegt, und wenn die Polizei beispielsweise wissen möchte, ob der Verfassungsschutz in einem anderen Bundesland über eine bestimmte gewaltbereite, rechtsextreme Person schon Erkenntnisse hat, dann darf eine solche Abfrage nicht mehr neun Monate dauern. Das ist niemandem zu erklären. Dann ist mit dieser Datei eine Abfrage innerhalb weniger Sekunden möglich. Damit heben wir die Qualität der Zusammenarbeit der 36 Behörden auf eine neue Ebene. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir nicht nur über die Evaluierung reden sollten, sondern auch die Erkenntnisse dazu nutzen sollten, eine grundsätzliche Debatte darüber zu führen, wie wichtig diese Dateien sind. Ohne wird es nicht gehen. Wir brauchen die Zusammenarbeit, und wir können nicht monatelang warten. Deshalb sollten wir nicht von vornherein sagen, egal wie die Evaluierung ausgeht: Unsere Position steht schon fest. Wir lehnen das ab. - Wer das ablehnt, müsste eine Alternative bieten. Die sehe ich nirgends. Die Alternative zu einer solchen gemeinsamen Datei von Polizei und Verfassungsschutz, die evaluiert werden kann - dazu beschließen wir heute den Antrag -, wäre die Zusammenarbeit in alter Form: neun Monate warten auf Ergebnisse. Das kann ernsthaft niemand wollen. Deshalb bitte ich heute um Zustimmung zu diesem Antrag. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt spricht Ulla Jelpke. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Tat sprechen wir heute über die Verbunddatei Rechtsextremismus, die 2012 hier beschlossen worden ist. Der Kollege Binninger hat eben schon gesagt: 36 Polizeibehörden und Geheimdienste von Bund und Ländern haben Zugriff auf diese Datei. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat diese Datei vor dem Hintergrund des Versagens der Sicherheitsbehörden gegenüber der Mordserie der Naziterrororganisation NSU eingeführt. Wir sagen hier ganz klar, dass eine Evaluierung dringend nötig ist. Aber die Frage ist eben: In welcher Form und von wem wird sie durchgeführt? Wir denken schon, dass Bürgerrechtsorganisationen eigentlich die Richtigen wären, wenn man über die Evaluierung spricht; denn gerade sie können am besten bewerten, wie Grundrechte möglicherweise verletzt werden. Wir von der Linken haben damals der Einrichtung dieser Datei nicht zugestimmt, weil wir mehr als skeptisch waren. Das sind wir weiterhin. Wir leiden keineswegs unter Paranoia. Aber ich möchte daran erinnern, dass dieses Haus beschlossen hatte, ein Abwehrzentrum gegen rechts einzurichten. Das war im Prinzip richtig. Aber unsere Befürchtung, dass aus der Datei möglicherweise eine Zentraldatei bzw. aus dem Abwehrzentrum gegen rechts ganz schnell ein Abwehrzentrum gegen Extremismus wird, hat sich bewahrheitet. Nur wenige Monate nachdem dieses Abwehrzentrum gegen rechts eingerichtet wurde, haben Sie ein Abwehrzentrum gegen Extremismus eingerichtet. Damit haben Sie im Grunde genommen den Kampf gegen Rechtsextremismus instrumentalisiert, um nicht nur Islamisten und Rechtsextremisten, sondern auch Antifaschisten und Antikapitalisten einzubeziehen. Da macht die Linke auf gar keinen Fall mit. ({0}) Die Verstrickung des Verfassungsschutzes in den NSU-Skandal und in den Nazisumpf, der sich hier aufgetan hat, macht sehr deutlich, dass die Geheimdienste im Grunde genommen zur Verschleierung beigetragen haben, indem sie beispielsweise Akten vernichtet haben. Die Geheimdienste sind nicht kontrollierbar. Nichtsdestotrotz bekommen sie mit der Datei und dem Abwehrzentrum mehr Rechte. In diesem Zusammenhang ist es unbedingt notwendig, zu klären, wie mit dem grundgesetzlichen Gebot der Trennung von Geheimdiensten und Polizei verfahren werden soll. Die Linke hat dazu eine klare Meinung. Die Trennung muss weiter bestehen, um überhaupt Kontrollstrukturen einzurichten. Solche Strukturen gibt es gegenwärtig kaum. ({1}) Bei der Evaluierung ist für uns die Effektivität im Kampf gegen Rechtsextremismus und Naziterror entscheidend. Dabei muss nicht nur die Datei, sondern müssen alle Instrumente unter grundgesetzlichen Aspekten überprüft werden. Wie Herr Binninger eben gesagt hat, wurden viele Institutionen geschaffen, bei denen es keine Trennung zwischen polizeilicher und geheimdienstlicher Arbeit gibt. Wir haben es bei der Rechtsextremismusdatei mit einer erneuten Aufweichung des grundgesetzlichen Trennungsgebots zu tun. Man kann nicht einfach eine Sache klonen. Sie haben auf die Antiterrordatei hingewiesen. Diese Datei, die sieben Jahre existiert, ist bis heute nicht evaluiert, obwohl es immer wieder gefordert wurde. ({2}) Deswegen fordern wir eine weiter gehende Evaluierung, und zwar nicht nur der Rechtsextremismusdatei. Im Grunde genommen wird der Rechtsextremismus instrumentalisiert, um den Grundrechteabbau fortzuschreiben. Wir gehen aber davon aus, dass es eher mehr Demokratie bedarf, um Rechtsextremisten zu bekämpfen. Ich glaube, dass es für die Rechtsextremisten ein Sieg wäre, wenn die Trennung von geheimdienstlicher und polizeilicher Arbeit weiterhin so verläuft, wie Sie es beschlossen haben. Danke. ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Michael Hartmann das Wort. ({0})

Michael Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003549, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es klar vorweg zu sagen: Was uns hier in diesem Haus und weit darüber hinaus - bis hin zu den vielen bürgerschaftlich engagierten Gruppen - eint, ist die Klarheit, dass in unserem Land nie mehr, zu keiner Minute und an keiner Stelle, zugelassen werden darf, dass die Rechten, die Nazis, noch einmal ihr Haupt erheben und uns verhöhnen. ({0}) Michael Hartmann ({1}) Nicht etwa der Abbau von Behördenkompetenzen und behördlichem Handeln ist gefordert, um Nazis und ihre Helfershelfer zu bekämpfen. Vielmehr sind und bleiben effiziente und gute staatliche Strukturen die Antwort der wehrhaften Demokratie im Kampf gegen rechts. ({2}) Wir reden heute über die Evaluierung eines Gesetzes, das im August 2012 verabschiedet wurde. Der Anlass war schlimm genug. Es ist bekannt geworden, dass weit über zehn Jahre hinweg ein Mördertrio durch unser Land ziehen konnte, das glaubte, Menschen, nur weil sie anderer Abstammung waren, töten zu können. Diese Erschütterung, die uns allen noch in den Knochen steckt, hat dazu geführt, dass wir uns gemeinsam überlegt haben, welche Konsequenzen wir ziehen können und müssen. Eine der ersten Konsequenzen war die Bildung dieser Datei, weil sich gezeigt hat, dass wir bei vielen Behörden, an vielen Stellen Wissen über diese drei und ihr Netzwerk hatten, dies aber nie vernünftig zusammengeführt wurde. Insofern ist die Bildung dieser Datei kein Schlag gegen Bürgerrechte, liebe Ulla Jelpke, sondern eine Bedingung, um zu verhindern, dass in Zukunft Nazis weiter schadlos agieren können. ({3}) Wir haben, wie Sie, Herr Kollege Binninger, völlig zu Recht gesagt haben, nicht nur diese Datei mit ausdrücklicher Zustimmung der SPD eingerichtet. Es wurde auch das Abwehrzentrum gegen rechts gegründet. Das waren gute und notwendige Schritte; denn wir stellen immer wieder fest: Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Behörden - zwischen Bund und Ländern, aber auch zwischen den verschiedenen Behörden -, die sich oft genug mit ungesundem Misstrauen begegnen, erst einmal gemeinsam am Tisch sitzen, sich in die Augen schauen und Sachverhalte gemeinsam erörtern, dann wird jenes Misstrauen abgebaut und eine Kultur des Miteinanders und der Zusammenarbeit geschaffen, die in einem föderalen Staat die Grundvoraussetzung dafür ist, dass Sicherheitsorgane effizient funktionieren. Deshalb war es richtig, diese Datei einzurichten. Aber eine Bedingung für die Zustimmung der SPD war damals, dass jene Evaluierung, über die wir heute reden, in das Gesetz aufgenommen wird. Das hat zwei Gründe. Erstens. Es gehört zu einer modernen Gesetzgebung, überhaupt zu evaluieren und nicht zu sagen: Das ist in Stein gemeißelt und immer wahr. Die Verhältnisse können sich ändern. Man kann feststellen, dass Fehler begangen wurden, dass die angestrebte Tiefe nicht erreicht wurde oder dass das Übermaßverbot nicht gewahrt wurde. Insofern gehört es dazu, Gesetze von Zeit zu Zeit auf den Prüfstein zu stellen und sie gegebenenfalls zu korrigieren oder sogar zurückzunehmen. Zweitens. Natürlich bedeutet eine Datei, die zur Bekämpfung von Rechtsextremisten und Neonazis eingerichtet wird, einen Eingriff in die Bürgerrechte. Deswegen muss sehr sorgfältig und sorgsam damit umgegangen werden. Darum haben wir gesagt - und wir halten dies nach wie vor für richtig -, dass wir diesem Gesetz nur zustimmen können, wenn wir nach einer gewissen Zeit noch einmal prüfen: Wurde erreicht, was wir erreichen wollten? Sind wir zu weit gegangen? Sind vielleicht Personen oder Spuren zusammengeführt worden, die wir in einer solchen Datei nicht zusammengeführt sehen wollen? Das sind die beiden Gründe: Gründlichkeit moderner Gesetzgebung und Schonung der Bürgerrechte. Deshalb war es wichtig, die Evaluierung einzuführen, und deshalb ist es richtig, heute zu beschließen, dass ein entsprechender Auftrag erteilt wird. ({4}) Damit sind wir aber nicht am Ende bei unserem Kampf gegen den Nationalsozialistischen Untergrund und gegen Rechtsextremisten. Es muss viel weiter gehen. Die Große Koalition hat beschlossen, dass die Empfehlung des NSU-Untersuchungsausschusses, die in erfreulicher Gemeinschaftlichkeit beschlossen wurde - das sage ich ausdrücklich -, eins zu eins umgesetzt wird. ({5}) - Ich habe gesagt: gemeinschaftlich beschlossen. Damit meine ich: ausdrücklich auch mit Ihren Stimmen und in einer guten Zusammenarbeit mit allen Fraktionen. Das war eine Meisterleistung des Deutschen Bundestages und des parlamentarischen Regierungssystems. Ich will hier niemandem Anerkennung und Respekt dafür verweigern, sondern - im Gegenteil - dies allen erweisen. Aber Sie müssen schon anerkennen, dass diese Große Koalition gesagt hat, dass alles eins zu eins abgearbeitet und umgesetzt wird. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Auch hier mussten Hindernisse überwunden werden. Wenn wir jetzt gemeinsam dafür sorgen, dass das gemacht wird, dann setzen sich der gute Geist und die gute Kultur des Untersuchungsausschusses fort. Für uns bedeutet das mindestens, dass wir beim Umbau der Sicherheitsbehörden noch weiter gehen müssen, dass beim Verfassungsschutz Fenster und Türen geöffnet werden, dass gelüftet wird und eine andere Kultur der Arbeit eintritt. Das bedeutet für uns auch, dass wir bei der Führung von V-Personen sehr viel genauer, besser und kritischer werden müssen, und, liebe Ulla Jelpke, dass die Zusammenarbeit mit den Einrichtungen und Institutionen, und zwar auch der kritischen und sehr kritischen, in der Bürgergesellschaft intensiviert werden muss. Das alles und noch viel mehr gehört dazu, wenn wir Lehren aus dem ziehen wollen, was uns dieses Mördertrio an schlimmer Geschichte in unser Stammbuch geschrieben hat. Ich bin sicher, dass der Deutsche Bundestag dies will. Wir halten die Beauftragung des Instituts in Speyer für richtig, weil dort kompetente und erfahrene Leute sitzen, die ihre Unabhängigkeit und hohe Expertise bereits oft bewiesen haben, und hoffen, alle in diesem Hause sehen das ebenso. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat Irene Mihalic das Wort.

Dr. Irene Mihalic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Vorhin ist schon mehrfach das Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Antiterrordatei angesprochen worden, in dem das informationelle Trennungsprinzip zwischen Polizei und Nachrichtendiensten eindeutig festgestellt wurde. Der erhebliche Prüf- und Änderungsbedarf, der sich aus diesem Urteil ergibt, ist, glaube ich, hier im Hause allen klar. Auch die von der Bundesregierung geleitete Kommission hat in ihrem Abschlussbericht einstimmig angemahnt, dass wegen der strukturellen Vergleichbarkeit mit der Antiterrordatei auch hinsichtlich der Rechtsextremismusdatei analysiert werden müsse, welche konkreten Folgerungen aus diesem Urteil abzuleiten sind. Schön, könnte man jetzt denken, dann kommt die wissenschaftliche Evaluierung der Rechtsextremismusdatei ja gerade recht. Kollege Binninger, Sie haben eben die sehr gute Evaluierung des IFG angesprochen. Es gibt aber einen Unterschied; denn bei der Evaluierung des IFG konnte vonseiten des Deutschen Bundestages noch Einfluss auf das Evaluierungsdesign genommen werden. Das stellt sich hier aber anders dar, weil das BMI die Federführung hat. Insofern muss man leider sagen, dass die Evaluierungspraxis der Bundesregierung keine allzu rühmliche Geschichte hat. ({0}) Beim Terrorismusbekämpfungsgesetz hat sich das Bundesinnenministerium ganz ungeniert selbst evaluiert mit dem Ergebnis, dass Eingriffsbefugnisse für die Sicherheitsbehörden noch nicht weit genug gehen. Als 2010 dann das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz evaluiert wurde, hat man die grundrechtsorientierte Analyse gleich ganz vergessen. Zwar wurde noch schnell ein Rechtsgutachten nachgeschoben; aber selbst der damit beauftragte Gutachter Professor Dr. Amadeus Wolff ({1}) hat öffentlich kritisiert, dass damit auch nicht bereinigt werden könne, dass bei der Evaluierung wieder nur die Vollzugsinteressen der Sicherheitsbehörden und nicht die Grundrechte im Vordergrund gestanden haben. Bei der Antiterrordatei sah es leider nicht viel besser aus. Erst wurde die Evaluierung verschleppt, weil Fristen nicht eingehalten wurden. Dann fehlte wieder einmal die verfassungsrechtliche Analyse. Auch hier wurde auf ein rechtswissenschaftliches Zweitgutachten verwiesen, auf das wir aber bis heute warten. Es ist zu befürchten, dass es bei der baugleichen Rechtsextremismusdatei wieder so laufen wird, wobei wir uns schon fragen, auf welcher sachlichen Grundlage wir das heute hier im Bundestag entscheiden sollen; denn, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Sie haben es ja vermieden, Ihrem Antrag das Angebot des Forschungsinstituts beizufügen, aus dem man das Evaluierungsdesign hätte erkennen können. Was ich als Mitglied des Innenausschusses darüber weiß, stimmt mich alles andere als optimistisch, ob bei der Evaluierung das Urteil berücksichtigt wird. Ich möchte hier eindeutig klarstellen: Es ist nicht so, dass ich die Kompetenzen des Instituts anzweifle; ganz im Gegenteil. Aber es ist zu befürchten, dass bei der Evaluierung wieder nur die Vollzugsinteressen im Vordergrund stehen und nicht die Grundrechte, und das, obwohl wir hier ein Bundesverfassungsgerichtsurteil umzusetzen haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so geht es nicht. Es ist unsere verfassungsrechtliche Pflicht, für eine verfassungskonforme Gesetzgebung zu sorgen und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu achten und auch umzusetzen. Deshalb werden wir Grüne heute unser Einvernehmen nicht erteilen. ({2}) Denn wo Evaluierung draufsteht, muss auch Evaluierung drin sein. Wenn wir hier unser Einvernehmen auf Basis Ihres Antrages erteilen würden, dann würden wir die Katze im Sack kaufen, weil wahrscheinlich außer den Mitgliedern des Innenausschusses kaum jemand etwas über das Evaluierungsdesign weiß. ({3}) Ich sage es noch einmal ganz ausdrücklich: Uns geht es um eine Evaluierung am Maßstab der Verfassung und der Grundrechte und nicht darum, hier das Institut in Misskredit zu bringen. Den Namen des Instituts haben Sie von der Koalition hier völlig ohne Not öffentlich gemacht und nicht wir. ({4}) Sie haben sich in Ihrem Antrag auf die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses und auf die Notwendigkeit bezogen, hier für einen besseren Informationsaustausch zu sorgen; das haben Sie eben in Ihren Reden dargestellt. Aber man kann nicht sagen: Nur weil wir eine Rechtsextremismusdatei haben, läuft es besser. Ein wesentliches Versagen im Zusammenhang mit dem NSU bestand ja darin, dass man den Rechtsterrorismus nicht erkannt hat. Man muss den Rechtsterrorismus doch erst einmal erkennen, bevor man damit eine Datei füllen kann. Auch das ist ein wichtiger Punkt. Herr Binninger, Sie haben eben gesagt: Wenn man dagegen ist, dann muss man eine Alternative bieten. - Unsere Alternative ist eine gesetzliche Einhegung gemeinsamer Zentren, orientiert an verfassungsrechtlichen Maßstäben und grundrechtlichen Aspekten. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/974 mit dem Titel „Herstellung des Einvernehmens des Deutschen Bundestages mit der Bestellung des Instituts für Gesetzesfolgenabschätzung und Evaluation beim Deutschen Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung, Speyer, als wissenschaftlichen Sachverständigen im Rahmen der Evaluierung des Rechtsextremismus-Datei-Gesetzes“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? - Die Linke. Damit ist der Antrag gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise Amtsberg, Volker Beck ({0}), Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kontoeröffnungen für Flüchtlinge ermöglichen Drucksache 18/905 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({1}) Innenausschuss ({2}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Federführung strittig Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Beck als erstem Redner das Wort.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein Bankkonto ist der Schlüssel zur Teilhabe am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben. Gehälter werden in aller Regel auf Konten überwiesen. Privatrechtliche Verträge haben oft zur Voraussetzung, dass man ein Girokonto angeben kann, egal ob es um einen Mobilfunkanbieter, ein Fitnessstudio, eine Vereinsmitgliedschaft oder einen Einkauf im Internet geht. Auch das Anmieten einer Wohnung setzt oftmals ein Girokonto voraus. Auch erspartes Geld kann man nur anlegen, wenn man ein Konto hat. Bis 2009 war das auch für geduldete Flüchtlinge in diesem Land kein Problem. Dann hat man es mit dem Geldwäschebekämpfungsgesetz zur Voraussetzung für die Eröffnung eines Kontos gemacht, mit einem gültigen amtlichen Lichtbildausweis die Identität nachzuweisen. Damit verfolgt der Gesetzgeber ein wichtiges Anliegen: Die Identifikation des Kontoinhabers soll eine effektive Ermittlungsarbeit bei Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung ermöglichen. Dieses Anliegen unterstützen wir ausdrücklich. ({0}) Aber vielen Geduldeten ist es nicht möglich, entsprechende Identitätspapiere vorzulegen. Sie haben nur eine Bescheinigung über die Nichtabschiebung, die ihre Duldung nachweist. Das ist oftmals ihr einziges Identitätspapier. Wir meinen, man sollte die Rechtsgrundlage dafür schaffen, dass dieses Papier die Voraussetzungen des Geldwäschegesetzes hinsichtlich des Identitätsnachweises bei Eröffnung eines Kontos erfüllt. ({1}) Wenn man im Lande unterwegs ist, wird man von vielen Flüchtlingsinitiativen auf diese Problematik angesprochen. Ich habe das im letzten Jahr zum Anlass genommen, mich an den Deutschen Sparkassen- und Giroverband zu wenden. Man hat mir daraufhin geschrieben, dass man bis zum Inkrafttreten des Geldwäschebekämpfungsgesetzes gerne auch Flüchtlingen Guthabenkonten zur Verfügung gestellt hat, aber man sich durch die neue Rechtslage nunmehr daran gehindert sieht. Herr Fahrenschon hat mir geschrieben, man habe diesen Sachverhalt vor einiger Zeit dem federführenden Bundesfinanzministerium geschildert. Von dort erhielten wir die Zusage, dass anlässlich der nächsten Gesetzesnovelle im Geldwäschebereich wieder die alte Rechtslage hergestellt werden soll. Wie der Sparkassen- und Giroverband bin auch ich der Meinung, dass die in Rede stehenden Ersatzpapiere wieder in den Katalog der geeigneten Legitimationspapiere nach dem Geldwäschegesetz aufgenommen werden müssen, damit Geduldete und Flüchtlinge am wirtschaftlichen Leben teilnehmen können und eine eventuelle Arbeitsaufnahme nicht an den geltenden Voraussetzungen scheitert. Sie wissen, Geduldete sind in aller Regel Flüchtlinge. Bei ihnen wurden im Rahmen des Identitätsnachweises meist Fingerabdrücke genommen. Die Identität steht also zweifelsfrei fest. Nur kommen viele Flüchtlinge völlig unverschuldet nicht an Ausweispapiere heran. Die Gründe dafür sind verschieden. Es gibt zum Beispiel Botschaften hier in Berlin, die generell keine neuen Ausweise ausstellen, wie die Botschaft des Irak. Bei anderen Staaten gibt es das Problem, dass man generell die Staatsangehörigkeit anzweifelt. Dieses Problem haben wir vor allen Dingen mit der Botschaft des Libanon. Wieder andere Staaten, wie der Kongo, stellen an die Ausstellung neuer Pässe hohe Anforderungen, die von den meisten Flüchtlingen nicht erfüllt werden können. Das fängt bei den hohen Gebühren an und endet bei den Dokumenten, die man für einen neuen Pass vorlegen muss. Lassen Sie uns eine humanitäre Lösung für dieses Problem finden. Die Koalition hat sich auf eine neue Bleiberechtsregelung verständigt. Lassen Sie uns den Geduldeten die Möglichkeit geben, am wirtschaftlichen und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, indem wir eine Änderung des Geldwäschegesetzes vornehmen. Die Banken wollen es - das sieht man am Beispiel des Sparkassen- und Giroverbandes -, und die Flüchtlingsinitiativen wollen das. Die Sicherheitsbedenken, die es Volker Beck ({2}) in diesem Zusammenhang gibt, kann man durch eine entsprechende Verordnung ausräumen und so sicherstellen, dass kein Schindluder getrieben wird, da der Identitätsnachweis zweifelsfrei erbracht wird.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das wäre gesellschaftspolitisch ein wichtiger Schritt hin zur Integration, den wir gemeinsam gehen sollten. Ich hoffe, dass die Zusage des Finanzministeriums gilt. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Olav Gutting das Wort. ({0})

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst will ich feststellen, dass es gut ist, dass wir uns hier mit dem Schicksal und den Problemen von Flüchtlingen beschäftigen. Im Vergleich zum Vorjahr ist ein hoher Zuwachs an Asylerstanträgen von über 70 Prozent zu verzeichnen. Hauptherkunftsland ist derzeit Syrien. Wir wissen, die Menschen dort flüchten vor einem schlimmen Bürgerkrieg, und wir haben in der CDU-geführten Bundesregierung der humanitären Verpflichtung Deutschlands in diesem Bereich bereits Rechnung getragen. Unter anderem gibt es zwei Aufnahmeprogramme, mit denen wir insgesamt 10 000 syrische Flüchtlinge in Deutschland aufnehmen. Es ist völlig klar, dass Deutschland auch nach Ausschöpfen der Kontingente syrischen Flüchtlingen weiterhin Schutz bieten wird. Wir helfen aus christlicher Nächstenliebe. Wir helfen auch, weil wir aus unserer eigenen Vergangenheit heraus schreckliche Erfahrungen mit Flucht und Vertreibung gemacht haben. Auch deshalb hat sich die Bundesregierung in Europa unter Federführung des BMF erfolgreich und mit Nachdruck dafür eingesetzt, dass einem breiten Berechtigtenkreis unter Einbeziehung von Flüchtlingen mit berechtigtem Status der Zugang zu einem Bankkonto eingeräumt wird. Auch wir wollen, dass Flüchtlinge die Möglichkeit haben, hier ein Konto zu eröffnen; denn - da haben Sie völlig recht, Herr Beck - das ist Voraussetzung, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Ursprünglich sah der Vorschlag der EU-Kommission zur Zahlungskontenrichtlinie das subjektive Recht auf Zugang zu einem Jedermannkonto lediglich für einen ganz eng begrenzten Personenkreis vor. Deutschland hat sich zusammen mit dem Europäischen Parlament mit Nachdruck dafür ausgesprochen, dass erstens im Hinblick auf das Recht auf Zugang zu einem Jedermannkonto eindeutig feststehen muss, wer zum Berechtigtenkreis gehört, und dass zweitens klargestellt werden muss, dass neben weiteren besonders schützenswerten Personengruppen auch Flüchtlinge das Recht auf Zugang zu einem Jedermannkonto haben. Beiden Anliegen der Bundesregierung wurde zwischenzeitlich durch mehrfache Anpassung der Richtlinie entsprochen. Die Personengruppe der Asylsuchenden ist im Text sogar ausdrücklich aufgenommen worden. Die Bundesregierung hat sich in den Verhandlungen außerdem mit Erfolg dafür eingesetzt, dass dieses zentrale Recht durch die Hintertür nicht wieder ausgehebelt wird, etwa durch entsprechend weit gefasste Ausgestaltungen der Verweigerungs- oder Kündigungsgründe. Und jetzt kommen Sie von den Grünen mit dem Antrag, das Geldwäschegesetz zu ändern. Ja, es ist richtig: Nach dem Geldwäschegesetz braucht es einen Identitätsnachweis zur Kontoeröffnung. Aber bei allem Verständnis: Dieser Antrag und diese Änderung sind nicht notwendig. Deswegen werden wir den Antrag ablehnen. Wir werden Ihrem Ansinnen durch die kommende Zahlungskontenrichtlinie vollumfänglich Rechnung tragen können. Vor zwei Wochen, am 20. März dieses Jahres, wurde auf europäischer Ebene eine entsprechende Einigung über den Inhalt der Zahlungskontenrichtlinie erzielt. Es gibt die klare Aussage und die Zusage des BMF, dass nach deren Veröffentlichung zeitnah mit der nationalen Umsetzung begonnen wird. Aus diesem Grund ist eine isolierte Änderung des Geldwäschegesetzes heute nicht notwendig. Wir werden das Problem über die europäische Ebene lösen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Gutting, lassen Sie eine Zwischenfrage durch den Kollegen Beck zu?

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das darf er.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Mir ist es ziemlich einerlei, wie das Problem gelöst wird; Hauptsache, es wird gelöst. Wir haben in der Begründung unseres Antrags die Entschließung des Europäischen Parlaments, die Grundlage der aktuellen Diskussionen in Brüssel war, ausdrücklich erwähnt. Durch welchen Rechtsetzungsakt in Deutschland werden Sie jetzt dafür sorgen, dass Geduldete ohne entsprechende Identitätspapiere in Zukunft Zugang zu einem Girokonto bekommen? Denn ohne nationale Rechtsänderung sind die deutschen Geldinstitute weiterhin gehindert, das zu tun, was sie eigentlich gern tun würden, nämlich den Leuten ein Girokonto zu ermöglichen. ({0})

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist völlig richtig. Die Zahlungskontenrichtlinie muss in nationales Recht umgesetzt wird. Das wird sie auch. Das Ergebnis wird sein, dass Flüchtlinge einen Zugang zum Jedermannkonto haben, das sie unbedingt benötigen. ({0}) Ob dazu in Teilen auch das Geldwäschegesetz geändert werden muss, wird sich zeigen. Aber zunächst einmal muss die Richtlinie veröffentlicht werden und vorliegen. Erst dann kann man national entscheiden, wo und wie man die entsprechenden Änderungen vornimmt. ({1}) Es ist gut, dass Sie diesen Antrag stellen. Ich habe es gesagt: Es ist schön, dass wir darüber reden. Wir sind uns über das Ziel völlig einig. Nur, jetzt eine isolierte Gesetzesänderung vorzunehmen, macht keinen Sinn. ({2}) Erst wenn die Richtlinie vorliegt, kann man die entsprechenden Änderungen nachhaltig und zielgerichtet durchführen. Vielen Dank. ({3}) - Für Asylbewerber und Geduldete. ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ulla Jelpke das Wort. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist völlig klar, dass die Grünen den ganzen Prozess beschleunigen wollen, und das ist richtig. Eigentlich ist es doch traurig, dass wir heute darüber reden, dass Menschen, die in Deutschland leben, auch wenn sie keinen Aufenthaltstitel, sondern nur eine Duldung haben, in Deutschland kein Bankkonto eröffnen können, weil nach dem Geldwäschegesetz zur Einrichtung des Kontos Dokumente benötigt werden. Ich finde, das ist ein Skandal. ({0}) Man muss es hier noch einmal ganz deutlich sagen: Ohne ein Bankkonto haben Geduldete im Alltag unglaubliche Schwierigkeiten. Das fängt bei einem Handyvertrag an und geht weiter bei der Einzugsermächtigung, wenn es um einen Mietvertrag geht. Ebenso können sie oftmals keinen Arbeitsvertrag unterschreiben, weil die Kontoverbindung verlangt wird. Wir kennen aus unserer Praxis viele Fälle, in denen eine Arbeitsaufnahme daran gescheitert ist, dass es kein Konto gibt. Durch das Fehlen eines Girokontos wird im Grunde die wirtschaftliche und soziale Integration verhindert. Man muss es hier noch einmal sagen: Viele leben seit vielen Jahren in Deutschland, manche seit mehr als zehn Jahren. Es ist einfach nicht hinzunehmen, dass solche Hindernisse bestehen. ({1}) Meine Damen und Herren und vor allen Dingen auch liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, natürlich werden wir diesem Antrag zustimmen. Wir begrüßen es, dass Menschen diese Erleichterung bekommen sollen ({2}) bzw. dass man dafür sorgen will, dass sie ein Konto einrichten können. Aber ich will hier noch einmal sagen: Alle Bleiberechtsregelungen haben bisher gezeigt, dass diejenigen Geduldeten, die hier keine Aufenthaltserlaubnis haben, im Grunde genommen selbstständig für ihren Lebensunterhalt aufkommen müssen. Deswegen denke ich, der Antrag greift ein bisschen zu kurz. Ich verstehe dieses Anliegen. Ihr wollt es beschleunigen, aber ich finde, man muss mehr zur Diskussion stellen, wenn man über die Situation geduldeter Menschen hier in Deutschland redet. ({3}) Denn viele können ihren Lebensunterhalt nicht selber aufbringen. Sie brauchen einfach mehr Rechte. ({4}) Das heißt, wir müssen hier im Grunde genommen, wenn es um Geduldete und mehr Rechte für sie geht, auch weiterhin über die Residenzpflicht, über die Unterbringung in Sammelunterkünften - da sitzen genau diejenigen, die geduldet werden -, die eingeschränkten Sozialleistungen, die sie nur über das Asylbewerberleistungsgesetz bekommen, und über die Arbeitsverbote sprechen. Ich will hier auch noch einmal erwähnen, dass die gesundheitliche Versorgung dieser Flüchtlinge nur eine Notfallversorgung ist. Das heißt, bei Schmerzzuständen oder bei Schwangerschaft und Geburt bekommen sie entsprechende Krankenscheine, um sich behandeln zu lassen. Hier sagen wir: Wir brauchen mehr und umfassende Rechte für sogenannte geduldete Menschen in Deutschland. Zweitens will ich daran erinnern, dass nicht nur geduldete Menschen kein Konto haben, sondern auch Obdachlose oder Menschen, die überschuldet sind; deren Konten werden von den Banken aufgelöst. Auch hier muss man den Blick etwas weiter fassen. Übrigens muss man sagen: In 28 Ländern der EU gibt es diese Garantie auf ein Konto für alle diese Personengruppen, die ich hier eben aufgezählt habe. Es ist einfach ein Skandal, dass Deutschland da so hinterherhinkt. Herr Gutting, ich habe Ihre Bemühungen zwar gesehen, aber es muss schneller gehen. Wir können hier nicht lange bürokratische Wege gehen, bis das endlich für Flüchtlinge, für Obdachlose oder auch Menschen, die völlig überschuldet sind, umgesetzt wird. Deswegen werden wir dem Antrag zustimmen, aber auch weitergehende Debatten über die Situation dieser Menschen führen. Danke schön. ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Uli Grötsch das Wort. ({0})

Uli Grötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004282, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Keul - ich glaube, sie hat gerade den Saal verlassen -, aus den eben vom Kollegen Gutting beschriebenen Gründen können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. Sie hätten Ihren Antrag aber noch zurückziehen können; dann wären wir in der Tagesordnung der heutigen Sitzung schon ein Stück weiter. ({0}) Frau Kollegin Jelpke hat gerade darauf hingewiesen: Die EU-Richtlinie greift weiter als der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, schließt alle Menschen in die Regelung ein und bezieht sich nicht ausschließlich auf Asylbewerber und Flüchtlinge. ({1}) Meine Argumente sind im Endeffekt die gleichen Argumente wie die des Kollegen Gutting, die eben schon vorgetragen wurden. Sie sehen, welch große Einigkeit in der Großen Koalition auch in solchen Detailfragen herrscht. Auch wir sind der Meinung, dass man zu einem Leben in Deutschland natürlich ein Bankkonto braucht, dass man heutzutage eine Bankkarte braucht und dass bargeldloses Einkaufen eine Selbstverständlichkeit ist. Natürlich wissen auch wir, dass dies ohne Bankkonto schlichtweg nicht möglich ist. Wer in Deutschland am öffentlichen Leben teilhaben will, braucht ein Bankkonto. Das ist natürlich kein Luxus, sondern eine Selbstverständlichkeit. Nach Schätzung der Europäischen Kommission haben in Deutschland noch immer mehr als 670 000 Menschen über 15 Jahren kein Bankkonto, unter ihnen auch viele Flüchtlinge und Asylbewerber, aber eben auch sozial schwache Menschen und die von Ihnen gerade schon genannten anderen Gruppen unserer Bevölkerung. Auch sie aber sind auf ein Bankkonto angewiesen, weil sie zum Beispiel Ratenzahlungen tätigen müssen, etwa für Anwälte, oder Flüchtlinge und Asylbewerber für Deutschkurse, für Mitgliedschaften in Vereinen und für vieles andere mehr. Deshalb hat der zuständige EUKommissar Michel Barnier recht, wenn er sagt: Wer heutzutage über kein Bankkonto mit grundlegenden Funktionen verfügt, stößt im Alltagsleben auf Schwierigkeiten und muss mehr bezahlen. Wir sagen: Das darf nicht sein. Gerade die, die wenig haben, sollen nicht mehr bezahlen müssen. ({2}) Bereits seit 1995 gibt es die eben schon erwähnte freiwillige Selbstverpflichtung der Kreditinstitute, wonach sie jedermann ein Guthabenkonto zur Verfügung stellen wollen. Leider hat sich die Situation seit 1995 jedoch nicht wirklich verbessert. Immer noch verweigern oder kündigen Kreditinstitute gerade sozial schwachen oder von Insolvenz betroffenen Bürgern das Konto. Auch besonders schutzbedürftige Menschen wie Asylbewerber und Flüchtlinge können zum Teil kein Konto eröffnen, weil ein großer Teil von ihnen keine Aufenthaltsgenehmigung hat. Sie haben zum Beispiel - auch das wurde schon gesagt - Aufenthaltsgestattungen, weil sie noch ein laufendes Asylverfahren haben, oder sie haben aus ganz unterschiedlichen Gründen lediglich Duldungen, die sie dann gegebenenfalls in kurzen Abständen wieder verlängern müssen. Andere haben auf der Flucht vor politischer Verfolgung ihre Reisedokumente vernichtet, aus Angst davor, aufgespürt zu werden. Deshalb beruhen die in Deutschland ausgestellten Dokumente oftmals auf eigenen Angaben. Ich begrüße die jüngste Einigung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission zum Vorschlag einer Richtlinie über die Vergleichbarkeit von Zahlungskontogebühren, den Wechsel von Zahlungskonten und den Zugang zu Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen vom 20. März 2014, demnach vier Tage, bevor Ihr Antrag eingereicht wurde. ({3}) - Ja, natürlich. Wir haben ihn aufmerksam gelesen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, meines Erachtens hat sich Ihr Antrag erledigt, weil die gerade schon genannte Trilogeinigung zur Zahlungskontorichtlinie bereits vier Tage vor Ihrem Antrag eingereicht wurde. Lassen Sie mich sagen, dass ich es für relativ gefährlich oder zumindest schwierig halte, nachdem die Europäische Union eine Richtlinie erlassen hat, eine Verordnung des Bundesinnenministeriums zum gleichen Thema zu fordern. Wir sind wenige Wochen vor der Europawahl. Jeder von uns ist daran interessiert, dass viele Menschen zur Europawahl gehen, dass Europa in den Köpfen der Menschen ankommt und dass all das geschieht, was wir immer gerne über Europa sagen. Deswegen glaube ich, dass es schlichtweg schwierig ist, zu sagen: Okay, die Europäische Union hat bereits eine Richtlinie erlassen. Aber jetzt muss auch noch eine Rechtsverordnung seitens des Bundesinnenministeriums erlassen werden, weil das bei der Europäischen Union immer so lange dauert. - Ich glaube, das lässt die europäischen Institutionen zu Unrecht in einem Licht erscheinen, in das sie nicht gehören. ({5}) Was mir am Ende meiner Ausführungen noch wichtig ist, ist der Umstand, dass wir bei der Umsetzung der EURichtlinie auch die Sicht der Banken in den Blick nehmen sollten. Ich habe mich in dieser Frage mit meiner Raiffeisenbank und der Sparkasse beraten. Ich meine, dass man deren Anliegen durchaus ernst nehmen muss. Wir werden bei der Umsetzung der Richtlinie darauf achten müssen, dass wir die Kreditinstitute mit eventuell auftretenden Problemen nicht allein lassen. Meine Banken haben mir von ihren Erfahrungen mit Kontoeröffnungen von Flüchtlingen und Asylbewerbern berichtet. Es kommt zum Beispiel vor, dass sie Lastschriften aus abgeschlossenen Handyverträgen aufgrund fehlender Geldeingänge nicht einlösen können. Es kommt wohl auch vor, das aufgrund der relativ kurzen Verweildauer an einem Ort, zum Beispiel bei einem abgelehnten Asylantrag, die Kontoinhaber ohne Kontoauflösung wieder weg sind und die Bank dann die Kontogebühren stornieren und das Konto auflösen muss. Genauso geht es um die Fragen: Wie gehen wir mit den Sprachbarrieren der Asylbewerber und der Flüchtlinge bei der Kontoeröffnung und der Kontoführung um? Wie finden wir eine praktikable Lösung bei kurzen Verweildauern an einem Ort und der Frage einer Kontoverlegung an einen neuen Aufenthaltsort? ({6}) Ich glaube, dass bei 110 000 Asylanträgen im Jahr, von denen etwa 31 000 abgelehnt werden - die durchschnittliche Bearbeitungsdauer beträgt etwa sieben Monate -, wirklich viel Arbeit auf uns zukommt. ({7}) Ich glaube aber auch, dass es diesen Aufwand und diese Arbeit wert ist, um alle Menschen an unserem gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen: Seien Sie unbesorgt! Wir werden uns mit dieser Richtlinie zeitnah befassen und sie vernünftig und auch zeitnah umsetzen. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Andrea Lindholz das Wort. ({0})

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Friedensnobelpreis ging 2006 zum ersten Mal nach Bangladesch. Die dortige Grameen-Bank und ihr Gründer, der Wirtschaftsprofessor Muhammad Yunus, wurden ausgezeichnet für die Bereitstellung von Finanzdienstleistungen für besonders arme Bevölkerungsschichten. Yunus und die Grameen-Bank eröffnen mit ihrer Arbeit vielen Menschen einen Weg aus der Armut, und sie tragen zum Frieden bei. Die Möglichkeit, ein Konto zu eröffnen - da sind wir uns einig -, eine Banküberweisung zu tätigen oder einen sogenannten Mikrokredit aufzunehmen, kann ein zentraler Grundstein für wirtschaftliche und soziale Entwicklung sein. ({0}) In den Industrieländern halten wir Finanzdienstleistungen für eine Selbstverständlichkeit. Doch das sind sie nicht. Yunus spricht sogar von einem System der finanziellen Apartheid, durch das zahllose Menschen auf der Welt von Finanzdienstleistungen und somit vom Zugang zum Wirtschaftskreislauf ausgeschlossen werden. Auch in Europa haben 58 Millionen Menschen kein eigenes Bankkonto. Diesen Menschen fehlt eine zentrale Voraussetzung, um am modernen Wirtschaftsleben teilnehmen zu können. Die Idee, mit der Bereitstellung von rudimentären Finanzdienstleistungen Armut zu bekämpfen, hat in Deutschland eine lange Tradition. Im Grunde hat der Friedensnobelpreisträger die Arbeit der beiden deutschen Sozialreformer Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch weiterentwickelt. Die beiden Urväter der Raiffeisen- und Volksbanken hatten bereits im 19. Jahrhundert, während der industriellen Revolution in Deutschland, mithilfe von Kreditgenossenschaften der verarmten Landbevölkerung wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht. Insofern, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist die Grundidee des vorliegenden Antrags nicht neu. Auch das Kernanliegen des Antrages, nämlich Flüchtlingen den Zugang zu Bankkonten zu ermöglichen, ist nicht neu und ist überholt. ({1}) - Herr Beck, ich bin Ihre Zwischenrufe gewöhnt. Ich habe schon gesagt, Sie wollen mit mir unbedingt so weitermachen wie mit meinem Vorgänger, Herrn Geis. ({2}) - Ich freue mich darauf. - Diese Idee wurde von der Bundesregierung und insbesondere vom Bundesfinanzminister bereits in Angriff genommen, und zwar sehr viel weiter gehend, als es im Antrag gefordert wird. Die Bundesregierung unterstützt ausdrücklich das Vorhaben der EU-Kommission, auf europäischer Ebene für Verbraucher, auch, Herr Kollege Beck, für Verbrau2132 cher ohne Aufenthaltserlaubnis, Asylbewerber, Verbraucher ohne festen Wohnsitz und andere ein Recht auf Zugang zu einem Zahlungskonto einzuführen. Im Rahmen der sogenannten Zahlungskontenrichtlinie sollen Flüchtlinge nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa ein Recht auf ein Guthabenkonto erhalten. Bereits am 20. März 2014 wurde im Trilog zwischen dem Rat, der Kommission und dem Europäischen Parlament eine Einigung über die Zahlungskontenrichtlinie erzielt. Das EU-Parlament wird sie voraussichtlich am 15. April 2014 verabschieden. Ich gehe davon aus, dass das Bundesfinanzministerium, das hierfür zuständig ist, sich umgehend an die Umsetzung der Richtlinie macht. Der Antrag ist damit obsolet und kann aus unserer Sicht aus diesem Grunde abgelehnt werden. Entscheidend ist aber, dass dieses Konto für jedermann - da möchte ich an Frau Jelpke anschließen - in der Praxis auch tatsächlich umsetzbar ist. Es ist heute schon so - das weiß ich aus meiner Tätigkeit als Fachanwältin für Familienrecht -, dass es für viele Menschen in prekären Verhältnissen schwierig ist, überhaupt ein Konto zu eröffnen. Es sind, Herr Kollege Grötsch, auch nach meiner Erfahrung tatsächlich vor allen Dingen die Raiffeisen- und Volksbanken, aber auch die Sparkassen, die dieser sozialen Verpflichtung gerecht werden. Ich stimme Ihnen zu: Wir können sie damit nicht alleinlassen. Es ist weniger eine Frage des finanziellen Risikos - das hat man bei einem Guthabenkonto nicht -, sondern eher eine Frage des Aufwandes. Da muss es auch an uns liegen, diesen so bankenfreundlich wie möglich zu gestalten. Ein letzter Punkt. Ich möchte an Sie, Herr Kollege Grötsch, anknüpfen. Sie haben vorhin geschildert, was von einem solchen Konto alles heruntergeht. Ich hoffe nicht, dass die hier von uns genannten und betroffenen Menschen Rechtsanwälten Raten zahlen müssen. ({3}) Für die Bezahlung der Anwälte bietet sich die Prozesskostenhilfe oder die Verfahrenskostenhilfe an. Ich glaube, meine Kollegen Rechtsanwälte müssen davon nicht bezahlt werden. Insofern bitte ich Sie alle um Unterstützung für die Sache selbst bei der Umsetzung der Vorgaben des Bundesfinanzministeriums. Der Antrag hat sich überholt und wird daher von unserer Fraktion heute abgelehnt. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/905 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federführung beim Finanzausschuss liegen soll. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Atomwaffen ächten Drucksachen 18/287, 18/399 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die Kollegin Ute Finckh-Krämer das Wort. ({1})

Dr. Ute Finckh-Krämer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004273, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer oben auf den Tribünen! Die nukleare Abrüstung ist mir und vielen anderen Mitgliedern des Deutschen Bundestages, aber auch zahlreichen engagierten Bürgerinnen und Bürgern sehr wichtig. Heute Morgen gab es zum Beispiel ein abrüstungspolitisches Frühstück mit Vertreterinnen und Vertretern der Ärzteorganisation IPPNW, dem Abrüstungspolitischen Netzwerk ICAN, dem Deutschen Roten Kreuz und einem Vertreter der niederländischen Sektion von Pax Christi. Ich freue mich, dass bei diesem Gespräch alle Fraktionen des Hauses vertreten waren, und nehme dies als bestätigendes Zeichen dafür, dass unter uns ein breiter Konsens zum Thema der nuklearen Abrüstung besteht. Durch den Beschluss des Deutschen Bundestages vom 26. März 2010 im Vorfeld der Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag im Mai 2010, dem alle Fraktionen des Deutschen Bundestages zugestimmt haben, haben wir uns zu der im Nichtverbreitungsvertrag formulierten Zielsetzung einer weltweiten nuklearen Abrüstung bekannt. Der Beschluss ist nicht nur Ausdruck des Konsenses zur nuklearen Abrüstung im Deutschen Bundestag, sondern repräsentiert auch die Meinung breiter Teile unserer Bürgerinnen und Bürger. Nuklearwaffen sollen in unserer Sicherheitsstrategie keinen dauerhaften Platz einnehmen. Aus unserer Sicht bleibt dieser Beschluss eine der Grundlagen für unsere zukünftige Arbeit im Deutschen Bundestag. ({0}) Abrüstung und Rüstungskontrolle sind entscheidende Elemente deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Nukleare Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sind daher nicht nur Verpflichtungen, an die unser Staat als Mitglied des Atomwaffensperrvertrags gebunden ist. Sie tragen wesentlich zum Frieden sowie zu unserer Sicherheit bei. Leider hat es in diesem Bereich seit dem Abschluss des New-START-Abkommens zwischen den USA und Russland kaum Fortschritte gegeben. Diese Stagnation der nuklearen Abrüstung muss überwunden werden. Auch wir können dazu neue Impulse geben. Denn Nuklearwaffen bieten keine Sicherheit. Obwohl ihre Anzahl seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes von circa 65 000 bis heute auf circa 17 000 - es handelt sich bei diesen Zahlen um Schätzungen - reduziert wurde, gehen von ihnen immer noch immense Gefahren für Mensch und Umwelt aus. Auch im 21. Jahrhundert glauben jedoch einige unserer engsten Verbündeten weiterhin an den Nutzen dieser Waffen für die eigene Sicherheit. Außerdem halten nicht nur Pakistan und Indien, sondern auch Russland am Konzept der atomaren Abschreckung fest. Es ist also noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten, sowohl in Gesprächen mit unseren Partnern als auch mit den offiziellen und nichtoffiziellen Atomwaffenstaaten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im nächsten Jahr findet erneut eine Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag statt. Deutschland engagiert sich im Vorfeld im Rahmen der Europäischen Union und im Rahmen der Non-Proliferation and Disarmament Initiative, NPDI, wie im eben veröffentlichten Jahresabrüstungsbericht 2013 der Bundesregierung nachzulesen ist. Die Verhandlungen werden schwierig, da viele der Teilnehmerstaaten des Nichtverbreitungsvertrags von der Entwicklung seit der letzten Überprüfungskonferenz enttäuscht sind. Der Beschluss der Überprüfungskonferenz, im Jahr 2012 eine Konferenz zur Errichtung einer massenvernichtungswaffenfreien Zone im Mittleren Osten unter Beteiligung aller Staaten der Region abzuhalten, konnte nicht umgesetzt werden. Trotz der engagierten Bemühungen des finnischen Fazilitators Jaakko Laajava wurde die Konferenz zunächst auf unbestimmte Zeit verschoben. Ich bedauere, dass es hier bisher keine Fortschritte gegeben hat. Das darf uns aber nicht davon abhalten, weiterhin auf alle beteiligten Akteure einzuwirken, sich an einer solchen Konferenz zu beteiligen. Alle Staaten müssen dabei die legitimen Sicherheitsinteressen der jeweils anderen akzeptieren. Dann könnte eine solche Konferenz ein Baustein eines Friedensprozesses sein. Viele Mitgliedstaaten des Nichtverbreitungsvertrags beobachten diesen Prozess genau, und ihre Kompromissbereitschaft auf der Überprüfungskonferenz hängt auch von der Entwicklung dieses Prozesses ab. Eine Reduzierung der Initiative auf eine atomwaffenfreie Zone im Mittleren Osten wäre ein Rückschritt hinter die 2010 beschlossene Zielsetzung. Weitere wichtige Punkte, die sich auch im Abschlussdokument der letzten Überprüfungskonferenz finden, wären das Inkrafttreten des umfassenden Teststoppabkommens, Comprehensive Nuclear Test Ban Treaty, und die Verhandlungen über ein Abkommen zum Verbot der Produktion von nuklearwaffenfähigem Material, Fissile Material Cut-off Treaty. Wir setzen uns innerhalb der NATO für eine Reduzierung der Rolle nuklearer Waffen im Rahmen der Bündnisstrategie ein. Eine solche Veränderung kann aber nur unter Berücksichtigung der Sicherheitsbedürfnisse aller NATO-Partner und Russlands zielführend sein, wenn sie die Sicherheit und Stabilität in Europa verbessern soll. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, trotz des Völkerrechtsbruchs durch Russland in Bezug auf die Krim müssen wir mit Russland über nukleare Abrüstung weiter reden und signalisieren, dass wir Russlands Sicherheitsbedenken Rechnung tragen. Der gegenwärtige russische Unwille zu nuklearer Abrüstung rührt meiner Einschätzung nach auch aus einem Unterlegenheitsgefühl bei konventionellen Waffen her, das mit dem russischen Nuklearwaffenpotenzial kompensiert werden soll. Darüber hinaus sieht Russland den Aufbau einer strategischen Raketenabwehr durch die NATO als potenzielle Bedrohung für seine atomare Abschreckungsfähigkeit. Gleichzeitig fühlen sich einige osteuropäische NATOLänder aus historisch nachvollziehbaren Gründen von Russland bedroht und sehen in der nuklearen Abschreckung eine Art Versicherung. Diese festgefahrene Situation müssen wir aufzubrechen versuchen. Ein möglicher Weg wäre, Fragen der nuklearen und der konventionellen Rüstungskontrolle gemeinsam zu betrachten. Wenn wir in dem für uns wichtigen Bereich der in Europa und Deutschland stationierten taktischen Nuklearwaffen substanzielle Fortschritte erzielen wollen, müssen wir die vorhandene Bedrohungsperzeption berücksichtigen, ohne sie uns zu eigen zu machen. Aus meiner Sicht machen diese Relikte des Kalten Krieges sicherheitspolitisch keinen Sinn mehr. Das heißt, wir müssen unsere Partner davon überzeugen, dass ihre Sicherheit unabhängig von der Stationierung dieser Waffen gewährleistet ist. Zum Schluss möchte ich mich noch bei den atomwaffenkritischen Nichtregierungsorganisationen für ihre Arbeit bedanken. Wir als Abgeordnete freuen uns über ihre Denkanstöße und Handlungsvorschläge. Deutschland kooperiert mit Organisationen wie dem Expertennetzwerk Middle Powers Initiative und dem Parlamentarischen Netzwerk für Nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung, PNND. Leider war ich im Februar beim Jahrestreffen des PNND in Washington die einzige Vertreterin des Deutschen Bundestages. Es gab bereits in der letzten Legislaturperiode eine gute Zusammenarbeit mit dem Netzwerk. Es wäre daher wünschenswert, dass sich an solchen Veranstaltungen zukünftig alle Fraktionen des Hauses beteiligen, um zu zeigen, wie wichtig uns dieses Thema ist.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Dr. Ute Finckh-Krämer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004273, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der geschilderten komplizierten Situation ist der Antrag der Fraktion Die Linke eher kontraproduktiv. Wir lehnen ihn daher, entsprechend der Beschlussempfehlung, ab. Danke. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat Inge Höger das Wort. ({0})

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Gerne würde ich hier heute sagen können: Es gibt kein Risiko eines Atomkrieges mehr. - Leider erleben wir gerade auch angesichts der Krim-Krise aber das Gegenteil. Das Berichtsblatt der Atomwissenschaftler veröffentlicht regelmäßig die aktuelle Gefahr eines Atomkrieges. Im Januar 2014 kam das Mitteilungsblatt zusammen mit 18 Nobelpreisträgern zu dem Ergebnis: Die Atomuhr steht auf fünf Minuten vor zwölf. Gefährlicher war die Lage nur zu Beginn des Kalten Krieges und während des Wettrüstens in den 1980er-Jahren. Angesichts dieser Situation wäre eine neue Dynamik in der Abrüstungspolitik, wie sie im Koalitionsvertrag versprochen wurde, dringend notwendig. ({0}) Doch die Außenpolitik der Bundesregierung befördert zunehmend Eskalation und Aufrüstung statt Entspannung und Abrüstung. Im letzten Oktober haben sich bei der UN-Vollversammlung 124 Staaten für ein völkerrechtlich verbindliches Verbot des Einsatzes von Atomwaffen ausgesprochen. Die Bundesregierung hat ihre Unterschrift verweigert. Sie hat sich damit ins friedenspolitische Abseits manövriert. Diesen gefährlichen Kurs hat sie im Februar 2014 in Mexiko auf der zweiten Konferenz zu den humanitären Auswirkungen eines Atomkrieges fortgesetzt. Die Fakten, die dort und auf der Vorgängerkonferenz in Oslo besprochen wurden, sind eindeutig: Kein Staat und keine Hilfsorganisation kann nach dem Einsatz von Atombomben auch nur ansatzweise adäquate medizinische und humanitäre Hilfe leisten. Es hilft nur die Ächtung von Atomwaffen. ({1}) Was hindert die Bundesregierung daran, die einzig logische Konsequenz zu ziehen? Das Problem hat einen Namen: NATO. Aus angeblicher Bündnissolidarität hält die Bundesregierung unbeirrt an der NATO-Doktrin der nuklearen Abschreckung fest. Das zeigt einmal mehr, dass die NATO ein Hindernis für Frieden ist. ({2}) - Dann schaffen Sie zusammen mit der NATO die Atomwaffen ab! - Aber selbst ein Verbleib in der NATO verpflichtet Deutschland nicht, die verfehlte Atomwaffenpolitik fortzusetzen. Die Bundesregierung hätte beim NATO-Gipfel in Chicago auch Nein zur Modernisierung der Atomwaffen sagen können. ({3}) Jede Bundesregierung kann die Stationierung von US-Atomwaffen aufkündigen, die noch immer in Büchel in Rheinland-Pfalz lagern. ({4}) Es gibt keine Verpflichtung aus der NATO-Mitgliedschaft, weiterhin den Abwurf von Atombomben durch die deutsche Luftwaffe üben zu lassen. Beenden Sie deswegen endlich die nukleare Teilhabe! ({5}) Deutschland muss raus aus der Sackgasse der NATOAtomwaffenpolitik; denn die Pläne für die Modernisierung der Atomwaffen machen ein neues atomares Wettrüsten sehr wahrscheinlich. Ab 2020 sollen neue atomare Lenkwaffen in Europa stationiert werden. Die Gefahr eines Einsatzes der hier stationierten Atombomben wird damit deutlich steigen, weil es mehr Optionen für angeblich präzise Angriffe gibt. Die Stationierung der neuen Atomwaffen wird ab dem nächsten Jahr vorbereitet. Dazu gehören auch die Umrüstung der deutschen Tornados für den Abwurf und der Umbau des Stützpunktes für Atomwaffen in Büchel. Das ist keine Friedenspolitik. ({6}) Insgesamt sollen in fünf europäischen NATO-Ländern Kampfflugzeuge für den Einsatz der neuen Atombomben umgerüstet werden, nämlich in der Türkei, in Belgien, in den Niederlanden, in Italien und in Deutschland. Sie alle sind aber offiziell keine Atomwaffenstaaten. Der Umbau der Kampfflugzeuge kostet 1 Milliarde US-Dollar. Hinzu kommen die Umbaukosten für die Militärbasen in Höhe von 154 Millionen US-Dollar. Zum Glück rührt sich in all diesen Ländern auch Widerstand aus der Friedensbewegung und teils weit darüber hinaus. Auf den Ostermärschen in Deutschland und vor allem in Büchel werden wieder viele Menschen für eine atomwaffenfreie Welt demonstrieren. In einem Jahr gedenken wir des 70. Jahrestages des Atombombenabwurfes auf Hiroshima und Nagasaki. Ich fordere deshalb die Bundesregierung auf: Überdenken Sie Ihre Haltung, und arbeiten Sie daran mit, im nächsten Jahr einen Verbotsantrag für den Einsatz von Atomwaffen auf den Weg zu bringen! Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Carsten Müller das Wort. ({0})

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben heute den Antrag einer Fraktion zu beraten, die in Abrüstungsfragen intern tief zerstritten ist. Carsten Müller ({0}) ({1}) Sie streiten sich im Moment außerordentlich lebhaft darüber, ob sich Deutschland an der Vernichtung syrischer Chemiewaffen beteiligen soll oder nicht. Dieser Streit zeigt einmal mehr: Ihnen geht es überhaupt gar nicht um die Sache. ({2}) Ihnen geht es überhaupt nicht um Abrüstungsfragen. Bei Ihnen geht Populismus vor Problemlösung. Das nehmen wir nicht hin. ({3}) Meine Damen und Herren, das Langfristziel der CDU/CSU-Bundestagsfraktion genauso wie der Bundesregierung steht ganz klar fest: Es geht um die Vernichtung von Nuklearwaffen und um eine atomwaffenfreie Welt. Ich will die drei Meilensteine in diesem Zusammenhang aufzählen: Erstens. Wir unterstützen ausdrücklich den Vorschlag von Barack Obama, die strategischen Nuklearwaffenarsenale zu reduzieren. Zweitens. Wir beteiligen uns an den Gesprächen und Diskussionen über die katastrophalen humanitären Auswirkungen von Kernwaffendetonationen. Drittens. Wir setzen uns für ein umfassendes Verbot von Nuklearwaffentests ein. Diese dürfen auf dieser Welt im 21. Jahrhundert keinen Platz mehr haben. Aber Abrüstung ist eben kein schneller Prozess. Sie bedarf einer globalen Sichtweise. Hier sind Marathonqualitäten gefragt. Es geht dabei auch ganz wesentlich um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Wir haben uns als NATO-Mitglied zur nuklearen Teilhabe verpflichtet. Meine Damen und Herren, es wäre auch geradezu unverantwortlich, wenn wir uns dieser Mitsprache, dieser Einflussmöglichkeit berauben würden. Das geht überhaupt nicht an. Ebenso geht es im Moment nicht an, auf die nukleare Abschreckung im Rahmen der NATO-Doktrin zu verzichten. Es ist nun erschreckenderweise eine gewisse Aktualität in die Diskussion gekommen. Einige erinnern sich vielleicht daran, wie - das hat mich sehr schockiert; das muss ich zugeben - im russischen Fernsehen vor etwa zweieinhalb Wochen zur besten Sendezeit darüber schwadroniert wurde, welche Reichweiten russische Mittelstreckenraketen und Langstreckenraketen mit atomaren Sprengköpfen haben und welche fürchterlichen Verwüstungen diese anrichten können. Der heutigen Tagespresse können Sie entnehmen, dass die Armee der Russischen Föderation offensichtlich - das ist ziemlich aktuell - umfangreiche Manöver hat stattfinden lassen, bei denen der Einsatz von Nuklearwaffen wesentlicher Übungsbestandteil war. Das zeigt, dass die Russische Föderation eben nicht immer zuverlässig und eben nicht immer glaubwürdig ist. Das sehen Sie beispielhaft auch an dem Umgang mit dem Budapester Memorandum von 1994. Das passt bedauerlicherweise zum Thema. In diesem Memorandum - das muss ich Ihnen an sich nicht erklären - hatte Russland als Gegenleistung für die Abgabe der Atomwaffen durch die Ukraine zugesichert, dass die staatliche Souveränität und die Grenzen geachtet werden. Wir haben lernen müssen: 20 Jahre später ist diese Zusage nicht mehr das Papier wert, auf dem sie geschrieben ist. Das ist ein nicht hinnehmbarer Zustand. ({4}) Russland hat diese wichtige Vereinbarung gebrochen. Das ist Gift für die globale Abrüstung. An dieser Stelle sollten wir es mit dem UNO-Generalsekretär Ban Kimoon halten, der beim Nukleargipfel in Den Haag davon gesprochen hat, dass die Glaubwürdigkeit massiv untergraben worden ist und dass das natürlich tiefgreifende Folgen für die Integrität des gesamten nuklearen Nichtverbreitungsprozesses haben wird. Ich will schließen: Für eine Welt ohne Kernwaffen brauchen wir einen Dreiklang aus Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Verbindlichkeit. Der vorliegende Antrag trägt diesem, insbesondere auch in Verbindung mit Ihren Ausführungen, bedauerlicherweise keine Rechnung. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Agnieszka Brugger das Wort.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Krim-Krise erfüllt uns aktuell mit großer Sorge. Aber während derzeit alle - zu Recht natürlich - mit dem kurzfristigen Management dieser schweren Krise vollauf beschäftigt sind, wird deutlich, dass ihre Auswirkungen auf die Abrüstungspolitik verheerend sind. Durch die militärische Annexion der Krim hat Russland das Budapester Memorandum verletzt. Die Ukraine gab damals ihre Nuklearwaffen ab. Dafür verpflichteten sich Russland, Großbritannien und die USA im Jahr 1994, als Gegenleistung die Souveränität und die bestehenden Grenzen der Ukraine nicht nur zu achten, sondern sie zu schützen. Nun hat Russland als Schutzmacht diese Abmachung massiv gebrochen und somit ein riesiges Glaubwürdigkeitsproblem für die weltweite Abrüstung und Nichtverbreitung geschaffen. Auch wenn der Kollege Mißfelder, wie man bei seinem Zuruf vorhin hören konnte, sich nicht daran erinnern kann: Wir haben uns alle gemeinsam in einem Antrag für das Ziel einer atomwaffenfreien Welt und den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland ausgesprochen. ({0}) Ich glaube, es wäre gut, wenn heute von dieser Debatte das Zeichen ausgehen würde, dass wir alle - Grüne, Union, SPD, aber auch Sie von der Linken das russische Verhalten an dieser Stelle klar verurteilen, weil es der Abrüstungspolitik sehr schadet. ({1}) Denn ich frage mich: Wie will man Indien oder Pakistan nun davon überzeugen, ihre Atomwaffen abzugeben? Wie sollen der Iran, Brasilien oder Saudi-Arabien jetzt davon abgehalten werden, nach solchen zu streben, wenn Sicherheitsgarantien offensichtlich nicht das Papier wert sind, auf dem sie stehen? Zudem erscheint es gerade leider auch schwer vorstellbar, dass demnächst ein neuer Vertrag zur Abrüstung substrategischer Atomwaffen mit Handschlag zwischen Obama und Putin geschlossen werden wird. Man könnte nun angesichts dieser düsteren Aussichten vielleicht zu dem Schluss kommen, man brauche jetzt nichts zu tun oder man könne vielleicht gar nichts tun, und ich habe den nicht unbegründeten Verdacht, dass Sie das in der schwarz-roten Koalition aus Bequemlichkeit auch so sehen werden. Aber aus grüner Sicht ist das die völlig falsche Konsequenz. Im Gegenteil, man muss jetzt mit viel Kraft die Abrüstungspolitik wiederbeleben. Aber dafür braucht es neue Ideen und kein verzagtes Warten, bis die beiden größten und schwerfälligen Atommächte sich eines Tages wieder aufeinander zubewegen. Es gibt neue Ansätze, die man mit Nachdruck verfolgen muss. Im Oktober letzten Jahres haben 124 Staaten einen Antrag unterstützt, der den Einsatz von Atomwaffen unter allen Umständen verurteilt und auf die katastrophalen humanitären Folgen dieser Massenvernichtungswaffen hinweist. Man glaubt es kaum: Die deutsche Bundesregierung hat ihre Zustimmung dazu verweigert. Als Begründung lieferte sie ihre NATO-Mitgliedschaft. Meine Damen und Herren, das finde ich doch ziemlich dürftig, denn Norwegen, Dänemark und Island haben den Antrag unterstützt; ihre NATO-Mitgliedschaft scheint dabei offensichtlich kein Problem gewesen zu sein. Wir Grünen teilen auch diese Kritik aus dem Antrag der Linken, der in großen Teilen durchaus sinnvolle Forderungen enthält. Aber leider werden wir uns enthalten, weil sie mit der einseitigen Kündigung von Verträgen mit NATO-Partnern auch hier eindeutig über das Ziel hinausschießen. Nicht nur international, sondern auch zu Hause legt die Bundesregierung beim Thema nukleare Abrüstung die Hände in den Schoß. Seit über einem Jahr fragen wir die Bundesregierung zu der geplanten Modernisierung der US-amerikanischen Atomwaffen in Deutschland, und seit über einem Jahr kriegen wir total ausweichende oder gar keine Antworten. Dabei weiß die Bundesregierung sehr genau, wie der Stand der Dinge ist. Erst jüngst war in den Medien zu lesen, dass die Bundesregierung sich mit knapp 31 Millionen Dollar am Umbau des Nuklearwaffenlagers in Büchel beteiligt. Gleichzeitig werden demnächst zusätzliche Millionen von Euro zulasten der deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler fällig, damit ein deutsches Kampfflugzeug die neuen Bomben tragen kann. Es hat mit Glaubwürdigkeit wenig zu tun, schöne Bekundungen gegen Atomwaffen auf den Lippen zu tragen und gleichzeitig viel Geld für nukleare Aufrüstung auszugeben. Meine Damen und Herren, die Zeiten für die Abrüstungs- und Nichtverbreitungspolitik mögen auf den ersten Blick düster erscheinen. Aber gerade deshalb braucht es jetzt Staaten, die engagiert und im Sinne sicherheitspolitischer Weitsicht und mit Mut für den Frieden vorangehen, um neue Dynamik zu ermöglichen. Deshalb sollte Deutschland sich nicht bei den Modernisierungsplänen ahnungslos in die Büsche schlagen und erst recht nicht die wegweisende Initiative vieler Staaten weiter blockieren und ausbremsen. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als letzter Redner in dieser Aussprache hat der Kollege Hans-Peter Uhl das Wort. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen, insbesondere von der Fraktion Die Linke! Ich komme gleich zu den Gründen, warum wir Ihren Antrag ablehnen. Zuvor möchte ich aber die Intention Ihres Antrags näher beleuchten, nämlich die sofortige Herstellung einer atomwaffenfreien Welt, beginnend mit einer einseitigen Vorleistung der NATO-Staaten, in dem Kontext der aktuellen politischen Vorkommnisse in der Ukraine, die in dem Zusammenhang bereits zu Recht angesprochen worden sind. Mit der Annexion der Krim durch Russland kehren längst vergangen geglaubte Konflikte wieder in die Mitte Europas zurück. Russland hat - da sind wir uns alle einig, selbst Ihr Fraktionsvorsitzender - auf eklatante Weise das Völkerrecht gebrochen. Insbesondere der Bruch des Budapester Memorandums von 1994 ist ein schwerer Schlag. Die USA, Großbritannien und Russland haben die Unabhängigkeit der Ukraine zugesichert, ({0}) die Integrität der Ukraine garantiert. ({1}) Dies geschah als Gegenleistung für die Rückführung sämtlicher Atomwaffen der Ukraine an Russland. Das ist die Ausgangslage. Mit diesem Vertragsbruch hat RussDr. Hans-Peter Uhl land der gesamten Welt einen schweren Schaden zugefügt. In dieser Welt leben wir heute. Weiterhin hat dieses Vorgehen, der Aufmarsch russischer Streitkräfte an Russlands Westgrenze, gerade in Mittel- und Osteuropa, gerade in den baltischen Staaten, zu großer und verständlicher Besorgnis geführt. Man erwartet sich in diesen Teilen Europas Schutz. Von wem? Schutz von der NATO und von niemand anderem. ({2}) Es ist unsere Aufgabe, mit dieser Besorgnis ernsthaft umzugehen und nicht einseitig säbelrasselnderweise, wenn ich es so formulieren darf, mit militärischen Drohungen auf das zu antworten, was Russland gemacht hat. ({3}) Da kommen Sie allen Ernstes mit der Aussage, die NATO, von der die Menschen dort Schutz erwarten, sei ein Hindernis für den Frieden. ({4}) Eine Verwirrung der Geister, kann ich nur sagen. ({5}) Es darf gerade jetzt in dieser Zeit keine einseitige Vorleistung geben. Eine einseitige NATO-Abrüstung bietet keinen zusätzlichen Schutz, im Gegenteil. ({6}) Die Linken haben jeden Bezug zur Realität verloren. Vielleicht geht es ihnen auch gar nicht um das, was wir alle in diesem Hause wollen, nämlich eine atomare Abrüstung. Ich kenne niemanden, wirklich niemanden, der für atomare Aufrüstung ist. Wir alle sind uns in diesem Ziel einig. Deswegen sollten Sie auch nicht den Versuch unternehmen, auf unangenehme, unseriöse und intellektuell unredliche Weise hier irgendwelchen Fraktionen zu unterstellen, sie wären für atomare Aufrüstung. Wir alle sind für den Frieden. Wir brauchen keine Belehrung von den Linken, weder die SPD noch die Grünen noch die CDU/CSU. Die Koalition hat sich in einem Antrag - er wurde bereits von der Kollegin der Grünen zitiert - zusammen mit den Grünen und der SPD in der letzten Wahlperiode mit dem Thema befasst. Deutschland will sich für Abrüstung und die Nichtverbreitung von Atomwaffen einsetzen und tut das in allen Gremien, allerdings - das gebe ich gerne zu - nicht so, wie Sie von den Linken es wollen, in einem Akt einseitiger Vorleistung, isoliert vom Bündnis, ({7}) sondern nur im Bündnis mit den Partnern der NATO. Dabei wird es auch bleiben, sosehr Sie von den Linken die NATO auch bekämpfen mögen. ({8}) Die Bundesregierung bedarf also keiner weiteren Aufforderung von Ihnen, für Frieden und gegen Atomwaffen zu sein. Wir sind es, so wie alle anderen Fraktionen hier in diesem Hause auch. Es könnte jetzt noch eine Aufzählung von verschiedenen Aktivitäten der Bundesregierung in den letzten Monaten und Jahren erfolgen. Auf die will ich aber hier verzichten. Meine Damen und Herren von den Linken, ich bitte Sie, aufzuhören mit Ihren Bemühungen, in der Bevölkerung den Eindruck zu erwecken, als wären Sie die Friedenspartei ({9}) und als würden wir und alle anderen Parteien es mit dem Frieden und der atomaren Abrüstung nicht so ernst nehmen. Das verfängt nicht in der Bevölkerung, und das ist auch gut so. Man nimmt Ihnen diese Schaufensterpolitik nicht ab. ({10})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussfassung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Atomwaffen ächten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/399, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/287 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? - Das ist die Linke. Wer enthält sich? - Bündnis 90/Die Grünen. Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zukunft der bäuerlichen Milchviehhaltung sichern Drucksache 18/976 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Friedrich Ostendorff das Wort.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Milchviehhaltung ist eines der wichtigsten Standbeine der Landwirtschaft in Deutschland und erst recht der wichtigste landschaftsprägende Betriebszweig. ({0}) 40 Prozent der landwirtschaftlichen Wertschöpfung kommen aus der Milch. Die Kuh auf der Weide ist das Bild, das Bürgerinnen und Bürger haben, wenn sie an Landwirtschaft denken. Nach Jahren der niedrigen Milchpreise haben wir endlich eine Situation, die eine kostendeckende Erzeugung von Milch ermöglicht. Doch trotz aktuell guter Marktlage ist der Druck auf die Milchbetriebe ungebrochen groß. In den letzten zehn Jahren haben wir ein Drittel der Milchviehbetriebe verloren. Die Zahl ist von 126 000 Betrieben im Jahr 2002 auf 85 000 im Jahr 2012 gesunken. Das sind 11,2 aufgegebene Betriebe pro Tag. Es kommt jetzt schon wieder zu einem deutlichen Abrutschen der Preise auf dem globalen Markt. Analysten warnen vor weiter sinkenden Milchpreisen im Mai und Juni. Nachhaltig und tiergerecht wirtschaftende Milchviehbetriebe brauchen heute 45 bis 50 Cent pro Liter, um ihre Kosten zu decken. Die Marktsituation wird sich nach 2015 deutlich verschärfen; denn die augenblicklich starke Nachfrage vor allem in China und Russland ist äußerst fragil. ({1}) Wir müssen deshalb in die Zukunft blicken und in weitgehend guten Zeiten für schlechte vorsorgen. Ein Marktzusammenbruch nach dem 1. April 2015 muss unbedingt verhindert werden. ({2}) Wir brauchen deshalb eine Monitoringstelle für die Marktbeobachtung, wie sie jetzt in Europa diskutiert wird. Wir brauchen ein Frühwarnsystem, um auf kommende Krisen frühzeitig zu reagieren. Wir brauchen Kriseninstrumente und Programme zum zeitweiligen Abbau von Überkapazitäten, die zum Beispiel einen freiwilligen Produktionsverzicht in Krisensituationen ausgleichen können. ({3}) Es geht aber vor allem um unser milchpolitisches Leitbild. Wir brauchen eine flächengebundene Milcherzeugung. ({4}) Es geht um das Tierwohl und die Erhaltung unserer Agrarlandschaften gerade in den benachteiligten Regionen. Es kann doch nicht sein, dass hinter den Bildern von grasenden Kühen auf den Milchtüten in Wirklichkeit auf einseitige Hochleistung gezüchtete und oft mit Gensoja ernährte Tiere stehen, die niemals auf der Weide waren und kaum älter als vier bis fünf Jahre werden. ({5}) Nur noch rund 30 Prozent der Kühe in Betrieben mit über 100 Tieren stehen auf der Weide; das ist eine Aussage der Bundesregierung. Das ist klassische Verbrauchertäuschung. Die Verbraucherinnen und Verbraucher wollen Kühe auf der Weide. Sie wollen Qualitätsmilch aus bäuerlicher Erzeugung, am besten Biomilch. ({6}) Wir fordern deshalb, ein besonderes Augenmerk auf die Situation der milcherzeugenden Betriebe zu legen. Dies muss sich in marktbegleitenden Programmen widerspiegeln. Wir fordern, dass die Kuh auf der Weide Realität ist und dass Bedingungen geschaffen werden, die es den Betrieben ermöglichen, dies umzusetzen. ({7}) Biodiversitätsschutz ohne Kühe auf der Weide wird nicht zu schaffen sein. Wir fordern deshalb eine flächengebundene Milcherzeugung und eine Tierzüchtung, die das Wohl der Tiere und die Lebensleistung statt kurzfristiger Höchstleistungen zum Ziel hat. Das kann nur eine bäuerliche Milchviehhaltung leisten. ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Kees de Vries das Wort. ({0})

Kees Vries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004435, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Grünen ist überschrieben mit dem Titel „Zukunft der bäuerlichen Milchviehhaltung sichern“. Dem kann ich nur zustimmen, und zwar aus vollem Herzen. Was dann allerdings im Antrag folgt, führt so zu nichts. Dazu im Detail. Herr Ostendorff, Sie sehen die Milchpolitik derzeit auf Massenproduktion und Export ausgerichtet. Tatsächlich haben wir dank Export endlich wieder gute Preise. ({0}) Warum sollte der bäuerliche Familienbetrieb hiervon nicht profitieren dürfen? Meiner Meinung nach ist die Größe nicht entscheidend. Es kommt darauf an - und vielleicht unterscheiden wir uns da, Herr Ostendorff -, dass der Milchviehhalter von seiner Arbeit leben kann. Der größte Teil der Milchviehhalter kann bei diesen guten Preisen gewinnbringend arbeiten, ein kleiner Teil aber leider immer noch nicht kostendeckend. Das war im Übrigen schon immer so. Eine Frage der Größe ist das nur in zweiter Linie. Fest steht natürlich, dass auch ein Landwirtschaftsbetrieb einen bestimmten MindestumKees de Vries satz, eine bestimmte Größe braucht, um ein Einkommen realisieren zu können. Dann fordern Sie auf Ebene der Europäischen Union die Einrichtung einer Marktbeobachtungsstelle. Wir freuen uns, dass inzwischen auch Sie den Nutzen dieser Stelle erkennen. Diese Forderung erheben wir schon lange. Sie ist faktisch schon zugesagt worden. ({1}) Die Erzeugergemeinschaften, die Sie fordern, gibt es ebenfalls bereits. Den Zusammenschluss der Milchviehhalter zu fördern, ist meines Erachtens jetzt schon möglich. Sie zu organisieren, sehe ich nicht primär als Staatsaufgabe; hier sind unsere Bauern selbst gefordert. ({2}) Irritiert bin ich bei Ihrer Forderung nach „Regelungen für eine nachfrageorientierte Milchmengenregulierung“. Das ist aus meiner Sicht nichts anderes als die Milchquote, die wir gerade erst abzuschaffen beschlossen haben. Sie hatte sicher viele Vorteile, aber auch einen großen Nachteil. Damit meine ich, dass die Betriebe viel, zu viel Geld in Milchrechte investieren mussten. Damit haben Sie nicht nur die Neueinrichtung von Betrieben verhindert, sondern auch Nachfolgeregelungen sehr erschwert. ({3}) Eine solche Regelung führt aus meiner Sicht eher dazu, dass kleine Betriebe gezwungen sind, aufzugeben. Das kann auch nicht von Ihnen gewollt sein. Zum Stichwort „Weidehaltung“ muss ich sagen, dass wir dann auch eine qualitativ hochwertige Grasproduktion sicherstellen müssen. Wenn nun 1,1 Millionen Hektar Grünland - sehr nach Ihrem Geschmack - nicht mehr, nicht mal zwecks Neuansaat, umgebrochen werden dürfen, dann ist das kontraproduktiv. ({4}) Auch zur geforderten hohen Grundfutterleistung kann ich nur sagen: Schlagen Sie sich auf die Seite der CDU/ CSU, und schützen Sie mit uns hochwertige, energieund eiweißreiche Wiesen. Nur so verhindern wir noch mehr Mais- und Sojaimporte. ({5}) Eine korrekte Kennzeichnung von Weidemilch und Regionalvermarktung ist grundsätzlich zu begrüßen. Damit kann sich der Verbraucher bewusst für eine bestimmte Produktionsrichtung entscheiden. Alles andere sollten wir besser dem Markt überlassen. In aller Regel wird es nicht besser, wenn sich die Politik einmischt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ich finde es sehr wichtig, die Zukunft der Milchviehhaltung zu sichern. Aber was mit diesem Antrag der Grünen gefordert wird, ist zum einen schon realisiert und zum anderen nicht zielführend. Deshalb ist dieser Antrag abzulehnen. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Milch ist gesund. Das behaupten zumindest viele. Aber die Milcherzeugerbetriebe sind alles andere als gesund, und zwar schon eine ganze Weile. Vor allen Dingen 2009 gab es viele Proteste gegen viel zu geringe Milchpreise. Sogar Milchbäuerinnen belagerten einige Tage das Kanzleramt. Im Durchschnitt gab es damals 25 Cent pro Liter, vielfach sogar noch deutlich weniger. Gefordert wurden aber 40 Cent, um die Produktionskosten ausgleichen zu können. Im vergangenen Jahr gab es zumindest im Durchschnitt schon einmal 37 Cent, so viel wie noch nie nach der Wiedervereinigung. Erstmals bekamen sogar die Kühe in Ost und West für ihre Arbeit das gleiche Gehalt. ({0}) Aber der schöne Schein trügt ein wenig; denn kostendeckend ist auch dieser Preis immer noch nicht. Die großen finanziellen Verluste aus den Krisenjahren konnten damit nicht ausgeglichen werden. Der Spielraum für existenzsichernde Löhne, Investitionen in mehr Tierwohl oder bessere Arbeitsbedingungen ist immer noch sehr begrenzt. Die großen Preisschwankungen am Markt, die gerade schon einmal Thema waren, sind ein erhebliches Betriebsrisiko. Auch die steigenden Bodenkauf- und -pachtpreise sind eine zusätzliche finanzielle Belastung für die Betriebe. In Ostdeutschland steigt der Bodenpreis ausgerechnet deshalb, weil ehemals volkseigene Flächen zum Wohle des Bundesfinanzministeriums meistbietend verkauft werden. 400 bis 500 Millionen Euro jährlich fließen so in die große Bundeskasse. Ich finde das einfach unanständig. ({1}) Zu niedrige Milchpreise zwingen immer mehr Betriebe zur Aufgabe. 2009 wurde erstmals die magische Grenze von 100 000 Milchviehbetrieben unterschritten. 2012 waren es sogar nur noch 85 000. Gleichzeitig stieg die durchschnittliche Größe der Milchviehherden von 43 auf 49 Kühe. Der Gesamtkuhbestand stagnierte zwar knapp oberhalb von 4 Millionen, aber die durchschnittliche Milchleistung stieg wiederum. Unter dem Strich gibt es also immer mehr Milch. Aktuell sind es 22 Prozent mehr als der heimische Milchdurst. 2002 waren es nur 14 Prozent mehr. Eine boomende, sich gesundschrumpfende Branche, könnte man meinen. Aber vor Ort wird mir oft gesagt: Ohne den Erlös aus der Biogas- oder Photovoltaikanlage hätten wir die Kühe längst abschaffen müssen. - Insofern stellt sich die Frage: Warum ist denn das so? Die EU hat gerade eine interessante Studie dazu veröffentlicht. Sie benennt als ein Problem die Gewinnverteilung in der Milchproduktion zugunsten der Verarbeitungsindustrie. Das ist eigentlich auch kein Wunder; denn immer weniger Molkereien werden immer größer und immer mächtiger. Deshalb ist eine der Forderungen der Linken die Stärkung der Milcherzeuger am Markt. Nur dann können sie sich dem ruinösen Preisdumping der Verarbeiter und des Handels entziehen und die Milch schonend für Kühe und Umwelt produzieren. ({2}) Wir unterstützen zum Beispiel Erzeugergemeinschaften oder auch Produktionsgenossenschaften. Solche gibt es übrigens auch in Bayern. Das ist eine Meldung vom 2. April, nicht vom 1. April. Insofern geht es da also durchaus voran. Darüber hinaus ist wichtig, dass die Milchmenge flexibler an die Nachfrage angepasst werden kann. Das sieht auch eine Studie im Auftrag des European Milk Boards so. Darin wurde übrigens festgestellt, dass die reale Einkommenssituation der Milchbetriebe trotz vieler Strukturmaßnahmen in den letzten 20 Jahren nicht verbessert worden ist. Das gilt auch für große Milchbetriebe, die zwar etwas höhere Einkommen, aber eben auch eine größere Verschuldung aufweisen. Fazit der Studie: Die Landwirte müssen die Menge der produzierten Milch flexibler an die Nachfrage anpassen können. Dazu wird ein selbst organisiertes Regulationssystem gebraucht, bei dem die Milchviehbetriebe dann aber auch wirklich ein ernsthaftes Wort mitreden können. Ganz wichtig ist: Aus dem Liter Milch muss mehr Wertschöpfung generiert werden. Das heißt: mehr Veredlung und nicht Verramschen auf dem Weltmarkt. Das heißt: mehr regionale Verarbeitung und Vermarktung. Das heißt aber auch: Verbot täuschender Kennzeichnung. Wenn „Brandenburg“ auf der Milchverpackung steht, muss die Milch auch von Brandenburger Kühen sein. Wenn „Weidemilch“ draufsteht, darf keine Stallmilch drin sein. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Rainer Spiering für die SPD-Fraktion. ({0})

Rainer Spiering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004410, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Milchviehhaltung und die Kuh auf der Weide sind für mich keine Fremdworte. Die Antragsteller sagen: „Das Leitbild muss die Kuh auf der Weide sein.“ Als wahrhaftiges Kind vom Land habe ich dabei zwei Gedanken: meine Kindheit und die Milka-Werbung. ({0}) Meine Kindheit war von dem Bild geprägt, das Ihrem Ideal entspricht: kleine Ackerbauflächen, kleine Weideflächen, im Sommer Melkstände auf der Weide, zehn bis zwölf Kühe, Schweine- und Hühnerhaltung auf jedem Hof - und den Pflug zog nur 1 PS. Dieses Bild ist folkloristisch, genau wie die Milka-Werbung, und entspricht nicht mehr der Wahrheit in Deutschland im Jahre 2014. ({1}) Landwirtschaft hat heute auch in der bäuerlichen Milchviehhaltung viel mit Hightech und Marktregulierung zu tun. Verstehen Sie mich nicht falsch: Die SPD steht an der Seite der bäuerlichen Milchviehhaltung. ({2}) Sie stellt hervorragende Produkte her. Im ländlichen Raum hat sie eine eminente Bedeutung für die Schaffung von Arbeitsplätzen. Ich verweise gerade auf die Region, aus der ich komme, mit großen Landmaschinenherstellern wie Claas, Amazone, Krone und vielen anderen mehr. Die Landwirtschaft ist für die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Erhaltung der regionalen Kulturlandschaft zuständig; das sollte man dabei auf keinen Fall vergessen. ({3}) Der Ausstieg aus der Milchquote bereitet den Landwirten Sorge. Die EU verabschiedet sich im April 2015 von einem System, das mehr als 30 Jahre lang Preise und Mengen diktierte. Bauern durften, zumindest theoretisch, nur eine bestimmte Menge Milch produzieren. Wer darüber lag, musste Strafe zahlen. Künftig dürfen die Landwirte so viel Milch produzieren, wie sie wollen, und sich mit dem Markt auseinandersetzen. Seit der Milchkrise 2009/2010 ist der Preis angestiegen. Zurzeit funktioniert das Geschäftsmodell. Die Landwirte produzieren Höchstmengen, und das, obwohl die Zahl der Betriebe seit Jahren sinkt. Knapp 80 000 Milchviehbetriebe gibt es noch, sagt die Statistik. Deutschland ist inzwischen der größte Milchproduzent in der EU. Der Preis, den die Bauern für ihre Milch bekommen, ist derzeit so hoch wie seit fünfeinhalb Jahren nicht mehr. Im Schnitt wurden im vergangenen Jahr knapp 38 Cent pro Kilogramm Milch gezahlt. Sind das langfristig die Preise, mit denen die Milchbauern ihre Kosten decken können? Wir haben hier gehört: Dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen. Der eine oder andere hier weiß: Es kostet ein kleines Vermögen, Milchwirtschaft zu betreiben. Man braucht Ställe, technische Ausstattung wie Melkanlagen und Hightechcomputer, Land für seine Tiere entsprechend den Quoten, und man muss natürlich am Markt Kapital generieren. Die positive Entwicklung auf dem Milchmarkt wird vor allem vom Export getrieben. In China, wo Lebensmittelskandale die Verbraucher immer häufiger verunsichern, werden teilweise - so habe ich gelesen 3,50 Euro für einen Liter Milch gezahlt, aber nur, wenn sie aus dem Ausland stammt. Gerade die neue chinesische Mittelschicht hat Durst auf Milch. ({4}) Der Export deutscher Trinkmilch zum Beispiel nach China hat sich seit 2007 vervielfacht. Der Milchmarkt wird auch mit Blick auf das Auslaufen der Quotenregelung als wachstumsfähig eingestuft. Die EU-Kommission sagt in ihrer Markteinschätzung einen Anstieg der Milcherzeugung voraus. In Deutschland bestimmt gerade einmal eine Handvoll Konzerne das Geschäft: Fünf Unternehmen - darunter der Marktführer Deutsches Milchkontor, die dänische Molkereigruppe Arla und Müllermilch - handeln mit 50 Prozent der produzierten Milchmenge. Zu befürchten ist, dass die Molkereien ab kommendem Jahr ihre Marktmacht noch stärker ausnutzen werden und die hohen Gewinne, die sie auf dem Weltmarkt erzielen, nicht an die Landwirte weitergeben. ({5}) Diese Entwicklung dürfen wir nicht hinnehmen. Deshalb ist die Idee des EU-Milchpakets gut: Die Landwirte schließen sich zusammen und handeln dann gemeinsam einen Milchpreis mit den Molkereien aus. Die Bündelung des Angebots und die Anerkennung von Erzeugergemeinschaften und Branchenverbänden verschaffen den Erzeugern Möglichkeiten zur Einflussnahme. Gemeinsamkeit macht stark. ({6}) Der deutsche Gesetzgeber hat die naturgemäß schwächere Marktstellung der Bauern berücksichtigt. Mit dem Marktstrukturgesetz wird den Landwirten im Wettbewerbsrecht eine Ausnahmestellung eingeräumt. Das Marktstrukturgesetz, also Erzeugerstärkung nach deutschem Modell, ist europaweit sinnvoll. ({7}) Die starke Position des Handels und der Discounter hat den deutschen Markt für Milchprodukte zu einem der am härtesten umkämpften Märkte der Welt gemacht. Wir haben das erlebt. Aber insgesamt ist der Markt auch globaler geworden. Das beinhaltet auch globale Chancen. Wie eingangs erwähnt, gibt es neue Absatzmöglichkeiten. Wenn Lidl und andere vergleichbare Großhändler demnächst wieder einmal den Markt verengen, dann gibt es jetzt andere Märkte, auf denen die Waren abgesetzt werden können. Man kann das Marktkriseninstrument „Freiwilliger Produktionsverzicht gegen Ausfallentschädigung“ wie Sie, Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, für eine Option halten. Die Frage ist nur: Ist das Instrument sinnvoll? Wie soll das System funktionieren? Wie soll das zu vertretbaren Kosten europaweit umgesetzt werden? Wenn der Landwirt eine Entschädigung bekommt, um seine Produktion in Krisenzeiten einzuschränken, achtet er weniger auf Marktsignale, und das wäre kontraproduktiv. Signale, die über die Politik gesteuert werden, sind im Regelfall langsamer als der Markt. Eine Mengensteuerung hinkt der Marktentwicklung immer hinterher. ({8}) Denn wenn der Beschluss auf politischer Ebene gefasst ist, die Produktion einzuschränken, hat der Markt längst wieder eine andere Richtung eingeschlagen. Das Thünen-Institut - das ist ein wichtiger Fakt verweist auf massive finanzielle Folgen im Falle eines Produktionsverzichts. Bereits eine Rückführung der Gesamtmilcherzeugung in der EU um 1 Prozent erfordere einen Ausgleich für die teilnehmenden Betriebe von rund 240 Millionen Euro. Um einen Markteffekt zu erzielen, würde das vermutlich nicht ausreichen. Die EU investiert in die Landwirtschaft viel Geld. Für die SPD ist Agrarpolitik vor allen Dingen Teil einer ganzheitlichen Politik für die ländlichen Räume und nicht klientelbezogene Sektorpolitik. Ich kann nur sagen: Die Kulturlandschaft, die ich zu Hause habe, möchte ich auf keinen Fall missen. ({9}) Wir wollen nach 2020 ganz aus dem System der Direktzahlung aussteigen und die Mittel gezielt für die Entwicklung ländlicher Räume und die Entlohnung von gesellschaftlichen Leistungen einsetzen. Dazu gehören auch die Leistungen, von denen im Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Rede ist: Erhalt von Grünland-Landschaften, von Traditionen und bäuerlicher Kultur. Unser Prinzip heißt allerdings: öffentliches Geld für öffentliche Leistung. Das ist unser Ziel. Ein Zurück in die Marktregulierung wird es mit der SPD nicht geben. Herzlichen Dank fürs Zuhören. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Spiering, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg für Ihre Arbeit. ({0}) Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Artur Auernhammer das Wort. ({1})

Artur Auernhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003706, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn im Deutschen Bundestag von der bäuerlichen Milchviehhaltung die Rede ist und von fünf Rednern drei Milcherzeuger sind, dann freut mich das. ({0}) Wenn in der Bundesregierung dann auch noch jemand sitzt, der selbst Milchviehhalter ist, dann freut mich das noch mehr. Aber wenn ich mir den Antrag der Grünen anschaue, dann vergeht mir die Freude. ({1}) Man will wieder das Klischee von der glücklichen Kuh auf der grünen Wiese aufzeigen, wahrscheinlich in Lila, um dem Verbraucher zu suggerieren: Das ist das Idealbild einer Kuh. ({2}) - Meine Kühe sind schwarz-weiß und braun gefärbt. ({3}) - Nein, Herr Kollege Ebner, Sie kennen sich anscheinend nicht mit den bayrischen Milchviehrassen aus! In meinem Bestand habe ich eine vom Aussterben bedrohte fränkische Milchrasse: das fränkische Gelbvieh. Ich bin froh, diese zu halten. Aber damit der Milchtank auch voll wird, nimmt man schwarz-weiße Holsteiner dazu. ({4}) Wenn Sie hier das Klischee aufzeigen wollen, dass Kühe nur glücklich sind, wenn sie auf der grünen Wiese gehalten werden, dann muss ich Ihnen sagen: Ich komme aus Franken. Wenn es nach Ihren Vorstellungen ginge und alle Milchviehhalter im Dorf ihre Kühe auf die Weide stellen müssten - wir haben im Dorf im Schnitt pro Betrieb 30 bis 40 Kühe -, dann müssten alle Betriebe dichtmachen, weil aufgrund der strukturellen Bedingungen keiner von uns in der Lage ist, seine Kühe auf die Weide zu bringen. ({5}) In den engen fränkischen Dörfern geht das einfach nicht. Das geht vielleicht in Ihrer Wunschvorstellung. Wie unterstützen wir die deutsche Milchviehhaltung? Es kann nicht sein, dass wir in Größenordnungen denken, die vielleicht die Kollegin Tackmann noch von früher kennt. Als ich nach der Wende in den Osten gefahren bin, haben mir die Kühe in diesen Stallanlagen leidgetan. ({6}) Ich war froh, dass wir in Bayern bessere Anlagen hatten und unsere Tiere besser halten konnten. Ich weiß, es hat sich viel getan, es hat sich viel entwickelt. Größenwachstum allein kann aber kein Gradmesser sein. In der Politik muss die Vernunft einkehren: Das, was man machen kann, soll man machen, und das, was man nicht mehr machen kann, soll man nicht mehr machen. Wir wissen genau, dass in nicht einmal einem Jahr die Milchquotenregelung ausläuft. Ob die Milchquotenregelung für den Einzelbetrieb erfolgreich war, muss jeder selbst entscheiden. Ich weiß, was ich in meinem Leben für den Erwerb von Milchquoten ausgegeben habe. Wenn ich das Geld hätte, wäre das anzeigepflichtig beim Deutschen Bundestag. ({7}) Deshalb ist es wichtig, dass wir vor Auslaufen der Milchquote Maßnahmen einleiten, um unsere Milcherzeuger zu entlasten. Ich möchte hier nur die drohende Abgabe nennen und die Notwendigkeit, den Fettkorrekturfaktor endlich abzuschaffen. Wenn wir in die Zukunft blicken, dann müssen wir das optimistisch und positiv tun und dürfen keine Schwarzmalerei hinsichtlich der Milchmärkte betreiben, wie es die Grünen hier machen. Die größten Kostenfaktoren in der Milchviehhaltung sind nicht die Bodenkosten. Bei mir zum Beispiel sind es infolge der eklatanten Wettbewerbsverzerrung, die in den letzten Jahren durch die Energie- und Lebensmittelproduktion entstanden ist, die Flächenkosten. Wer als Milchviehhalter an andere Betriebe Fläche verliert, kann diese nicht mehr zurückpachten, weil einfach zu wenig Kapitel dafür vorhanden ist. Deshalb müssen wir durch eine gezielte Förderung unsere Milchviehhalter stärken. Wir können Programme auflegen. Wir haben die Möglichkeit dazu. Der Freistaat Bayern nutzt diese Möglichkeit intensiv. Ich würde mich freuen, wenn auch die anderen Bundesländer - ich denke gerade an die Bundesländer, in denen Parteien regieren, die hier in der Opposition vertreten sind - das in dem Umfang machen würden wie Bayern. Um die Zukunft der deutschen Milchviehhaltung ist mir nicht bange. Deutsche und auch bayerische Milchprodukte - Sie erlauben mir diesen Nebensatz - haben in der Welt ein hohes Ansehen und werden stark nachgefragt. Die guten Chancen zum Export in die ganze Welt wurden schon erwähnt. Wir sollten die Chancen nutzen. Wir sollten unsere Milchviehhalter mit guten sachlichen Argumenten stärken und nicht mit den Ideologievorstellungen argumentieren, die leider Gottes bei den Grünen noch immer vorherrschen. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/976 an den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG neu und verantwortungsvoll besetzen Drucksache 18/592 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({0}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Vizepräsidentin Petra Pau Ich bitte die notwendigen Umgruppierungen in den Fraktionen so vorzunehmen, dass wir die nötige Aufmerksamkeit für die folgende Debatte herstellen können. ({1}) - Es geht weiter, wenn die CDU/CSU-Fraktion und die SPD-Fraktion die notwendigen Umgruppierungen vorgenommen und gegebenenfalls notwendige Gespräche an den Rand des Plenums verlagert haben. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Sabine Leidig für die Fraktion Die Linke. ({2})

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Auf dem Nachrichtenportal Die Weltpresse konnte man am 27. März dieses Jahres lesen - ich zitiere -: Nach Limburg-Aus Tebartz-van Elst wechselt zum Bahnvorstand Ja, da schauen Sie, was? ({0}) Das ist natürlich Satire. Aber es war keine Satire, als drei Monate zuvor die Meldung durch die Presse ging, dass der ehemalige Kanzleramtsminister Pofalla in den Vorstand der Deutschen Bahn AG wechselt. ({1}) Offenbar geht dieses Vorhaben auf eine Absprache zurück, die die Kanzlerin höchstpersönlich mit dem Bahnvorstandsvorsitzenden Herrn Grube und dem Aufsichtsratsvorsitzenden Utz-Hellmuth Felcht getroffen hat. Warum? Nicht etwa deshalb, weil Herr Pofalla ein profunder Bahnkenner ist, ({2}) sondern weil er offenbar für seinen Einsatz belohnt werden sollte, der dazu führte, dass der Bahnaufsichtsrat das Projekt „Stuttgart 21“ fortsetzte, obwohl dessen Unwirtschaftlichkeit nachgewiesen war. ({3}) Mit diesem Fakt stellt sich erneut die Frage - sie steht sozusagen im Rampenlicht der Öffentlichkeit -, wer da eigentlich in wessen Interesse Einfluss auf die Bahnpolitik nimmt. Denn es ist ja keineswegs so, wie immer behauptet wird, dass die Bahn quasi ein eigenmächtiger und eigenständiger Konzern ist, auf den die Bundespolitik überhaupt keinen Einfluss nehmen kann. Im Fall Pofalla ist dies offensichtlich geworden. Selbstverständlich gibt es auch andere Wege. Insbesondere ist es der Bund, der den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG besetzt, zumindest den Teil, der die Aktionäre vertritt. Die Aktionäre sind, so könnte man sagen, zu 100 Prozent die Bundesbürgerinnen und Bundesbürger. Die Neubesetzung dieses Aufsichtsrates steht zwar erst in einem Jahr an, aber wenn man ein solches Gremium neu und anders besetzen möchte - genau das schlagen wir mit unserem Antrag der Fraktion Die Linke vor -, dann ist ein Jahr keine lange Zeit. Wir sind der Überzeugung, dass die Bundesregierung andere Persönlichkeiten in diesen Aufsichtsrat setzen muss, Persönlichkeiten, die wirklich das Interesse einer guten Bahn für alle in den Mittelpunkt stellen. ({4}) Erstens sind wir der Überzeugung, dass es an der Zeit ist, endlich Frauen in diesem Aufsichtsrat zu sehen. ({5}) Vom Bund aus müsste zumindest die Hälfte der Plätze mit Frauen besetzt werden. Denn immerhin nutzen überwiegend Frauen die Bahn; zumindest im Nahverkehr bilden sie die Mehrheit der Bahnnutzerinnen und Bahnnutzer. Zweitens wollen wir, dass über die Vorschlagsliste für die Besetzung des Aufsichtsrates in der Öffentlichkeit diskutiert wird und sie letztlich vom Parlament beschlossen ({6}) und nicht hinter verschlossenen Türen ohne Einfluss ausgemauschelt wird. Drittens - das ist der wichtigste Punkt - sind wir der Meinung, dass andere Interessen dort eine Rolle spielen sollen. Es gibt fünf Personen, die wir auf keinen Fall im neuen Aufsichtsrat sehen wollen. Diese Personen sind jetzt im Aufsichtsrat. ({7}) Ich möchte sie Ihnen kurz vorstellen. Vielleicht vergeht Ihnen dann das Lachen. ({8}) Vielleicht haben Sie auch unseren Antrag gelesen und wissen, um wen es sich handelt. Der Aufsichtsratsvorsitzende Utz-Hellmuth Felcht zeichnet sich nicht dadurch aus, dass er mit Bahnunternehmen viel Erfahrung hat, sondern er ist Managing Director eines großen PrivateEquity-Fonds. Warum ist er Aufsichtsratsvorsitzender geworden? Der ehemalige Bundesverkehrsminister Ramsauer hat diese Entscheidung 2010 damit begründet, dass er ein exzellenter Kenner des Börsengeschehens sei, was im Hinblick auf den nach wie vor politisch gewünschten Börsengang der Deutschen Bahn AG wichtig sei. ({9}) Ich bitte Sie: Der Börsengang der Deutschen Bahn AG ist, so sagt es jedenfalls die Große Koalition, ({10}) kein Thema mehr, ist abgesagt. ({11}) Ich bin der Meinung, wir brauchen einen Aufsichtsratsvorsitzenden, der sich dadurch qualifiziert, dass er ein großes öffentliches Unternehmen gedeihlich entwickeln kann. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Leidig, die letzten vier Namen müssen Sie bitte in Ihren letzten Satz fassen und zum Ende kommen.

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die letzten vier Namen können Sie in unserem Antrag nachlesen. ({0}) Wir haben Christoph Dänzer-Vanotti, der für Eon steht; wir brauchen aber Leute, die für regenerative Energien stehen. ({1}) Wir haben den Milliardär Heinrich Weiss, der Bombardier vorsteht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Leidig, ich meine das ausgesprochen ernst. Setzen Sie einen Punkt!

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Außerdem haben wir einen Klimaleugner, den wir durch jemanden ersetzen müssen, der den Klimaschutz ernst nimmt. Schließlich brauchen wir auch keinen Stahlbaron wie Herrn Großmann, ({0}) sondern wir brauchen Leute, die Umweltschutz, Verbraucherinteressen und das Allgemeinwohl für die Deutsche Bahn vertreten. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Alexander Funk das Wort. ({0})

Alexander Funk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich wollte ja schon immer einmal im Bundestag zu einer so späten Stunde sprechen. Das ist allerdings die einzige Freude, die Sie mir mit diesem Antrag bereitet haben. ({0}) Ansonsten bin ich mir noch nicht sicher, über was ich mich mehr wundern soll: über die Widersprüchlichkeit in Ihrem Antrag, über die Wahrnehmungsstörung oder über die Unverschämtheit. ({1}) Zum Widerspruch. Gleich zu Beginn Ihres Antrags wollen Sie, dass der Bundestag feststellt, die Aktiengesellschaft sei nicht die geeignete Form, um die Bahn zu führen, um dann später die Bundesregierung aufzufordern, genau das zu überprüfen. Schon allein aufgrund dieses Widerspruchs werden wir diesen Antrag ablehnen, weil das auch das Parlamentsverständnis betrifft. Denn wenn der Bundestag etwas feststellt, egal was das sein möge, dann fordert er nicht anschließend die Bundesregierung auf, diese Feststellung zu überprüfen. Aber ich gehe einmal davon aus, das war nur ein Versehen Ihrerseits. Ich empfehle Ihnen an dieser Stelle, Ihren Zettelkasten neu zu sortieren. ({2}) Zur Wahrnehmungsstörung. Sie zeichnen ja ein verheerendes Bild der Bahn im Jahr 2014. Aber zu einer Analyse gehört natürlich zunächst einmal, dass man die Ausgangslage betrachtet - 20 Jahre Bahnreform - und sich fragt: Wie sah die Situation vor 20 Jahren aus? Bundesbahn und Reichsbahn waren hochdefizitär. ({3}) 34 Milliarden Euro Schulden wurden angehäuft. ({4}) Die Investitionen gingen zurück. Dafür übertrafen die Personalaufwendungen die Umsatzerlöse um 50 Prozent. Der Service war verheerend, was schon allein daran zu sehen war, dass die Fahrgäste als Beförderungsfälle bezeichnet wurden; ({5}) heute sind sie Kunden. Von 1950 bis 1994 ist der Anteil der Bahn am Personenverkehr von 36 Prozent auf 6 Prozent zurückgegangen. - Das war die Ausgangslage im Jahr 1994.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Funk, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Leidig? ({0})

Alexander Funk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne. ({0})

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Selbst auf die Gefahr hin, dass Sie Ihren Feierabend noch um fünf Minuten verschieben müssen, ({0}) möchte ich doch die Frage stellen, ob Sie sich bewusst sind, dass die Ziele, die vor 20 Jahren formuliert worden sind, lauteten, erstens die Preise für den Bahnverkehr zu senken, zweitens den Anteil der Bahn am Modal Split zu erhöhen und drittens den Service, die Pünktlichkeit und ähnliche Dinge zu verbessern. Faktisch - das möchte ich einfach nur sagen - haben wir keinen steigenden Anteil am Modal Split. Wir haben Fahrpreiserhöhungen, die doppelt so hoch sind wie die Inflationsrate. Wir haben einen Abbau von 4 500 Kilometern Bahnstrecken, was nicht unbedingt für mehr Service steht.

Alexander Funk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Grundziel der Bahnreform war, mehr Verkehr auf die Schiene zu bekommen. Das ist nachweislich gelungen. Auch der Service ist deutlich verbessert. Die Investitionen sind deutlich gesteigert worden. Heute haben wir ein Bahnunternehmen, das jährlich einen Gewinn abwirft. Ich bestreite überhaupt nicht, dass es nach wie vor verärgerte Bahnkunden gibt. Bahnkunden ärgern sich natürlich darüber, wenn ein Zug ausfällt, wenn es zu Verspätungen kommt. So etwas ist angesichts von 25 000 Zugfahrten täglich und 5,6 Millionen Fahrgästen täglich aber eigentlich auch nicht sonderlich verwunderlich. Das wird es immer wieder geben. Daraus die Konsequenz zu ziehen, das Rad wieder zurückzudrehen, halten wir für falsch. Wir wollen die Bahnreform weiterentwickeln, ({0}) um an dem Ziel, mehr Verkehr auf die Schiene zu bekommen, festzuhalten, um den Service weiter zu verbessern. Wir wollen das erreichen, indem wir noch mehr Wettbewerb im Bereich Schiene schaffen. Dazu hat die Monopolkommission einige Vorschläge auf den Tisch gelegt; darüber werden wir in den nächsten Monaten sicherlich noch diskutieren. Jedenfalls wollen wir nicht zurück zu einem Staatskonzern, der politisch dominiert wird. Damit bin ich beim dritten Punkt, nämlich bei der Unverschämtheit in Ihrem Antrag. ({1}) Die Art und Weise, wie Sie hier einen Aufsichtsrat diskreditieren und versuchen, indirekt ein solches Licht darauf zu werfen, als würden die dort ihre eigenen Interessen verfolgen, ({2}) das ist eine Unverschämtheit; anders kann man das nicht bezeichnen. Das weisen wir ausdrücklich zurück. ({3}) Wir jedenfalls sind froh, dass es diesen Aufsichtsrat in dieser Zusammensetzung gibt - mit den Arbeitnehmervertretern, mit den Vertretern der Politik, die natürlich auch die politischen Interessen verfolgen müssen, und mit gestandenen Managern, die Erfahrung mit dem Bahngeschäft haben ({4}) und dazu beigetragen haben, dass die Bahn heute so gut dasteht, dass sie ein erfolgreiches wirtschaftliches Unternehmen ist. Wir danken diesem Aufsichtsrat ausdrücklich. ({5}) Alles das sind Gründe dafür, dass wir Ihren Antrag ablehnen werden. Ansonsten darf ich jedem für später noch eine angenehme Nachtruhe wünschen. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Matthias Gastel hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Matthias Gastel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004278, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dem Antrag der Linken sei Dank: Das Plenum diskutiert über Bahnpolitik, und es ist auch notwendig und gut so, dass wir das heute machen. ({0}) Seit Jahren singen DB-Vorstand, Union, SPD und Teile der Gewerkschaften das immer gleiche Lied. Der Refrain lautet: Die Deutsche Bahn ist gut und wird immer besser. - Mit Selbstzufriedenheit aber, meine Damen und Herren, wird nichts besser. Notwendig ist, die Bahnreform ehrlich zu bilanzieren, Defizite klar herauszustellen und systematisch zu beheben. ({1}) Die Bilanz der Bahnreform ist durchwachsen. Weder die Entwicklung der Fahrgastzahlen noch der Güterbereich geben Anlass zur Zufriedenheit. Vor allem leidet das System Schiene an den Folgen der Börsengangstrategie: Strecken wurden stillgelegt; in manchen Bereichen wurde übertrieben viel Personal abgebaut. Mainz lässt grüßen! Wir fragen vor allem: Wieso diese internationale Ausrichtung der Deutschen Bahn? DB Schenker ist der größte Spediteur auf dem europäischen Markt. Was passiert eigentlich, wenn die Bilanzen weiter abrutschen und der Bund Steuergeld reinbuttern muss? Äußerst problematisch ist auch, dass Gewinne aus der Netzsparte der DB in den Bundeshaushalt abgezogen werden - anstatt direkt ins Netz zurückinvestiert zu werden. Der Netzzustand verschlechtert sich mehr und mehr. Der Bund als Eigentümer und der Aufsichtsrat haben hier ganz offensichtlich versagt. ({2}) Fakt ist: Von diesen Geschäften war bei der Bahnreform nicht die Rede, und davon steht auch nichts im Grundgesetz. Was hat von diesen Geschäften der Fahrgast? Der Fahrgast erwartet Angebote in der Fläche, pünktliche Züge, verlässliche Reiseketten, attraktive Umsteigeangebote und funktionierende Internetverbindungen in den Zügen. ({3}) Wir müssen dringend einmal ausführlich darüber reden, wie umgegangen wird mit den kaum rentablen Investitionen und unsinnigen Prestigeprojekten. Wir müssen reden über die hohe Schuldenaufnahme der DB, die ja noch steigen soll, wie wir seit der Pressekonferenz der DB in der letzten Woche wissen. Wir müssen reden über die wirklichen Bedürfnisse der Fahrgäste und über die eigentlichen Aufgaben der Deutschen Bahn. Wir sind der Meinung, Netz und Transport müssen getrennt werden. ({4}) Die Infrastruktur muss wieder in das unmittelbare Eigentum des Bundes überführt werden. ({5}) Da sind wir uns mit der Monopolkommission einig. Alles andere behindert einen fairen Wettbewerb auf der Schiene und damit auch die notwendigen Innovationen. Wir begrüßen die Ankündigung der Bundesregierung für ein neues Eisenbahnregulierungsgesetz. Hier muss jetzt Tempo rein. ({6}) Die GroKo will das Steuerungskonzept für die DB AG überarbeiten. Darauf sind wir sehr gespannt. ({7}) Seit der Bahnreform fehlt nämlich ein schlüssiges Steuerungsinstrument. Die Bundesregierung greift nach Belieben ein, mal zum Nachteil des Systems Schiene, wie bei Stuttgart 21, und mal unterlässt sie das Eingreifen, wie bei fragwürdigen Auslandsgeschäften. Nur eines gibt es nicht: Transparenz. Hier stimmen wir mit dem Antrag der Linken überein: In den Aufsichtsrat gehören auch Vertreterinnen und Vertreter von Fahrgast-, Umwelt- und Verbraucherinteressen. ({8}) Wir brauchen dort Leute, die nicht nur auf die Gewinne schauen. Wir brauchen dort Leute, die dafür brennen, das System Schiene zu stärken. Die DB AG hat sich, unterstützt durch die Politik, endlich auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren: die Gewährleistung einer zuverlässigen, ressourcenschonenden und klimafreundlichen Mobilität auf der Schiene. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Gastel, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg für Ihre weitere Arbeit. ({0}) Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Martin Burkert das Wort. ({1})

Martin Burkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003744, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen, Rituale sind wichtig. Man denke etwa an die Förderung des Familienzusammenhalts zu Hause durch das gemeinsame Abendessen. Unsere Rituale in diesem Hause sind genauso wichtig; sie stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl der Parlamentarier. Ich denke an die Feierstunden und Ähnliches. Vielleicht sollten wir so manche Anträge einfach als freundliches Zeichen der Fraktionen sehen, durch die unser Wirgefühl gestärkt wird. Alle Jahre wieder, Frau Leidig, reden wir über den Bahnaufsichtsrat. ({0}) Zu Beginn einer Legislaturperiode geschieht dies meist sehr ausführlich. Regelmäßig wird von Ihnen bemängelt, dass die Mitglieder im Aufsichtsrat, eigentlich beruflich erfolgreiche Personen, Interessenskonflikten unterliegen, dass sie für diese Aufgabe nicht geeignet sind. ({1}) Ich sage Ihnen ganz deutlich: Sie lehnen in Ihrem Antrag sogar Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter im Aufsichtsrat ab. Ich sage Ihnen: Wir, die SPD, stehen zur betrieblichen Mitbestimmung. ({2}) So einfach ist das in unserem Land. Wir halten die Parität in den Aufsichtsräten für eine wichtige und gute Errungenschaft und befürworten es, wenn Arbeitnehmervertretungen auch Beschäftigte des betroffenen Konzerns in die Aufsichtsräte berufen. ({3}) Ja, wir wollen, dass die Mitglieder in diesen Aufsichtsräten wirtschaftliche Kompetenz mitbringen. Außerdem wollen wir, dass in den Aufsichtsräten, also auch im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG, zukünftig, ab 2016, mindestens 30 Prozent Frauen sitzen. Herzlichen Dank, Manuela Schwesig. ({4}) Das sage ich in aller Deutlichkeit. Wir wollen auch, dass in den Aufsichtsräten Menschen sitzen, die über geeignetes Fachwissen verfügen, zum Beispiel aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeiten. Wer ist denn Ihrer Ansicht nach geeignet, aber ohne Interessenkonflikt? Ich sage Ihnen: Diesen Interessenkonflikt könnte man an jeder Person aufzeigen. Aber ich sage auch: Es ist richtig, dass auch Parlamentarier im Aufsichtsrat sitzen. - Ich sage sogar: Das sollte Normalität sein. - Die Arbeitnehmer wählen ihre Aufsichtsräte in Urwahl; dagegen ist sicherlich überhaupt nichts zu sagen. Sie kritisieren 20 Jahre Bahnreform, eine Entscheidung, die vor 20 Jahren getroffen wurde. Wir feiern dieses Jahr das 20-jährige Jubiläum in unterschiedlichen Veranstaltungen. Wir Sozialdemokraten sagen: Unter dem Strich ist die Bahnreform ein großer Erfolg in Deutschland und hat uns in ganz Europa ein Stück nach vorne gebracht. Die Zuwachsraten sprechen eine deutliche Sprache: Steigerung im Regionalverkehr um 73 Prozent, und selbst der Güterverkehr folgt mit knapp 71 Prozent. ({5}) Deswegen sagen wir: Mit der Bahnreform konnte der Trend zur stetigen Abnahme der Bedeutung des Schienenverkehrs im Vergleich zum Straßenverkehr zumindest gestoppt werden. Nicht alles stellt uns zufrieden - das will ich auch sagen -; aber das hängt nicht mit der Zusammensetzung des Aufsichtsrates der Deutschen Bahn AG zusammen. ({6}) Zu einer fairen Betrachtung gehört auch die Erörterung kritischer Punkte - auch das will ich nicht aussparen -: Wir haben technische Probleme erlebt, insbesondere beim ICE; hier bedarf es einer Nachsteuerung. Der ständige Aufschub beim Ausliefern neuer ICE durch die Fahrzeughersteller und auch die langwierigen Zulassungsverfahren erleichtern der Deutschen Bahn nicht die Arbeit. Beim Thema Zulassung haben wir uns im Koalitionsvertrag verständigt, dass wir noch in dieser Legislatur nachhaltig tätig werden; auch das sage ich in aller Deutlichkeit. ({7}) Die Situation beim Eisenbahn-Bundesamt beschäftigt uns nicht erst seit diesen Tagen. Sie ist weder für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch für die Kunden zufriedenstellend. Herr Staatssekretär Ferlemann, ich gehe davon aus, dass mit diesem Haushalt endlich auch eine Personalsteigerung für das Eisenbahn-Bundesamt kommt; dafür ist es höchste Zeit. Ich bitte alle, da bei den Haushaltsberatungen mitzuhelfen. Wir erleben, dass trotz der Hindernisse, die es gibt - ob von der DB AG selber verschuldet, vom Wettergott oder von Graffitisprayern -, die Qualität in den Zügen und beim Zugbegleitpersonal insgesamt beachtlich zugenommen hat: Die Züge sind in der Regel sauber und komfortabel, in der Regel fühlt man sich auch wohl. Das ist vor allem das Verdienst der Beschäftigten dieses Unternehmens. Auch hierfür muss man herzlichen Dank sagen. ({8}) Wir wollen nach wie vor, dass immer mehr Menschen vom Auto auf die Schiene umsteigen und dass auch der Güterverkehr auf der Schiene zunimmt. Voraussetzungen dafür sind erstens eine leistungsfähige und anwohnerfreundliche Schieneninfrastruktur, zweitens faire Wettbewerbsbedingungen gegenüber Konkurrenten auf der Schiene und drittens faire Wettbewerbsbedingungen gegenüber den anderen Verkehrsträgern wie Straßenverkehr, Wasserstraßenverkehr und Luftverkehr. Wir werden die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung mit neuen und genaueren Kennzahlen weiterentwickeln, mehr Geld in die Schieneninfrastruktur stecken und vor allem beim barrierefreien Ausbau und beim Lärmschutz in dieser Legislatur vorankommen. Ich bin überzeugt, wir schaffen dies in der Großen Koalition. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies alles sind wichtige Aspekte und dringende Probleme, die wir im Bereich der Schiene lösen müssen. Hierüber machen wir uns Gedanken, und hierzu haben wir im Koalitionsvertrag vieles festgeschrieben. All diese Themen aber werden nicht durch die Zusammensetzung des Bahn-Aufsichtsrats verursacht und würden auch nicht durch seine Abschaffung gelöst. Darum: Lassen Sie uns gemeinsam an die Arbeit gehen, um die Bahn in Deutschland zukunftssicher aufzustellen - für die Kunden, für die Beschäftigten und nicht zuletzt für unsere Umwelt. Dieser Aufruf ist durchaus als Appell, Frau Kollegin Leidig, an das Wirgefühl aller Parlamentarier gedacht. Lassen Sie uns daran arbeiten! Mir ist nicht bange um eine gute Zukunft der Deutschen Bahn AG und der Schieneninfrastruktur. Ich wünsche einen schönen Abend. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Michael Donth hat für die CDU/CSUFraktion das Wort. ({0})

Michael Donth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004262, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor 225 Jahren kam in Reutlingen ein Mann zur Welt, der als Pionier des Eisenbahnwesens in Deutschland gilt und es vorangebracht hat. ({0}) Ich spreche von meinem schwäbischen Landsmann Friedrich List. Ich bin überzeugt: Er wäre stolz darauf, was aus seiner Idee geworden ist. Er vertrat das Konzept, dass Schienenwege die Voraussetzung für wirtschaftlichen Wohlstand sind. Seine Idee ist Wirklichkeit geworden und hat auch heute noch ihre Berechtigung. Damit die Eisenbahn aber dauerhaft als Grundlage des wirtschaftlichen Wohlstands funktioniert, muss sie sich der Zeit anpassen. Dazu diente auch die große Bahnreform vor 20 Jahren, die nach Ansicht der Linken allerdings ein Misserfolg war. 20 Jahre Bahnreform: Manche mögen da eine weniger positive Bilanz ziehen als ich. Eines ist aber klar: Die Deutsche Bahn steht heute deutlich besser da als vor 20 Jahren. ({1}) Das sieht im Übrigen auch der Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft Alexander Kirchner so. ({2}) Die Ziele der Reform sind weitgehend erreicht, auch wenn man noch nicht am Ende der Entwicklung angekommen ist. Die bisherige positive Entwicklung ist keine leere Behauptung, sondern in Zahlen greifbar. Dafür nur zwei Belege: Im Personenverkehr ist die Verkehrsleistung auf der Schiene um 36 Prozent gewachsen, und auch der Anteil der Eisenbahn am Personenverkehrsmarkt ist angestiegen. Selbst im Güterbereich, in dem es einen steigenden Konkurrenzdruck gibt, konnte die Bahn ihren Marktanteil vergrößern. Die Linke behauptet nun in ihrem Antrag, die Unternehmensreform, die Bildung einer Aktiengesellschaft, habe sich für die Deutsche Bahn als ungeeignet erwiesen. Ich sage: Genau das Gegenteil ist der Fall. Die Umwandlung der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn in eine einheitliche Aktiengesellschaft mit unternehmerischer Ausrichtung hat die Weichen hin zu mehr Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit und auch zu mehr Produktivität gestellt. Gerade dank der Rechtsform, als AG, war es möglich, das Eisenbahnsystem in Deutschland nach der deutschen Einheit zusammenzubringen und auf einer soliden finanziellen Basis erfolgreich in die Zukunft zu führen. ({3}) Mit einer Anstalt des öffentlichen Rechts, mit der die Linke in ihrem Antrag liebäugelt, könnten diese Ziele nicht in dem Umfang erreicht werden; denn eine solche Anstalt steht mit anderen Unternehmen im Wettbewerb nicht auf derselben marktwirtschaftlichen Stufe, was systembedingt wieder zu Wettbewerbsverzerrungen führen würde. ({4}) Es ist gut, dass sich die Deutsche Bahn im Wettbewerb mit anderen Unternehmen behaupten muss und auch behauptet. Wettbewerb fördert Qualität, Wirtschaftlichkeit und Vielfalt. ({5}) Daher ist es ein gutes Zeichen, dass es in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern Europas relativ viele Eisenbahnunternehmen gibt; denn nur ein Unternehmen, das mit Konkurrenz zu tun hat, wird zu Höchstleistungen angespornt. Deshalb ist es richtig und gut, dass sich die Deutsche Bahn die Expertise in ihr Führungspersonal holt, die sie braucht, um im Wettbewerb zu bestehen. ({6}) Dazu gehören auch, wie in anderen Konzernen ebenfalls üblich, Persönlichkeiten, die Erfahrungen in verbundenen Unternehmen oder in Konkurrenzunternehmen gemacht haben. Es ist eine böswillige Unterstellung - das wurde schon angesprochen - und falsch, diesen Personen vorzuhalten, dass sie sich nicht für eine Stärkung des Schienenverkehrs engagieren würden. Im Übrigen ist es unglaubwürdig, dass sich ausgerechnet die Linke als Gralshüter der Bahn aufspielt; ({7}) denn als im Herbst 2011 mehrere Brandanschläge in und um Berlin auf die Bahn verübt wurden, die bei der Bahn Schäden in Millionenhöhe verursacht haben, ({8}) hat sich Ihre damalige und heutige innenpolitische Sprecherin Ulla Jelpke mit diesen Attentätern solidarisiert. ({9}) Wie soll man einer Fraktion mit einer solchen Grundeinstellung abnehmen, dass sie sich glaubhaft für das Gemeinwohl und die Stärkung des Schienenverkehrs einsetzen möchte? ({10}) - Das steht auf Seite 6 der Frankfurter Rundschau vom 15. Oktober 2011. ({11}) Wir sind auf jeden Fall für die Bahn und lehnen Ihren Antrag ab. Vielen Dank! ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Donth, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg für Ihre weitere Arbeit. ({0}) Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/592 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nationales Reformprogramm 2014 nutzen Wirtschaftspolitische Steuerung in der EU ernst nehmen und Investitionen stärken Drucksache 18/978 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({1}) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsauschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Katharina Dröge für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({2})

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bemühe mich. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal ist es der erste kleine Schritt, der viele Dinge bewegen kann. Bei der Debatte über die makroökonomischen Ungleichgewichte kommt mir das gerade so vor. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat noch im letzten Jahr die Meinung vertreten, dass es beim Thema Leistungsbilanzüberschüsse kein Problem gebe, ({0}) dass es eigentlich nur eine Debatte derjenigen sei, die den Deutschen die Exporte nicht gönnen würden. Von dieser Einschätzung sind Sie mittlerweile, wenigstens teilweise, abgerückt. Zumindest im Entwurf der Bundesregierung für ein nationales Reformprogramm, den Sie gestern im Wirtschaftsausschuss vorgestellt haben, lassen Sie sich auf die Analysen der Europäischen Kommission ein. Das ist gut; denn endlich können wir darüber debattieren, worum es eigentlich geht, nämlich um die deutsche Binnennachfrage. ({1}) Es ist zwar nur ein kleiner Schritt, aber dennoch ein sehr wichtiger; denn ohne die Problemerkenntnis kämen wir gar nicht zur Lösung des Problems. Über die Lösung des Problems müssten Sie eigentlich im Zusammenhang mit dem Entwurf für ein nationales Reformprogramm reden und diskutieren, und über dieses Reformprogramm möchte ich gerne hier und heute mit Ihnen debattieren. Da gibt es nur ein Problem: Der Entwurf für ein nationales Reformprogramm liegt nicht vor. Darüber können wir heute Abend nicht reden. Diesen Entwurf beschließen Sie erst nächste Woche im Kabinett, dann, wenn es keine Sitzungen mehr vor der Osterpause gibt, dann, wenn wir hier im Bundestag dazu gar nicht mehr Stellung nehmen können. Danach schicken Sie den Entwurf nach Brüssel. Eine Debatte im Parlament hierüber ist nicht vorgesehen. Ich finde: Das ist das absolut falsche Signal zur falschen Zeit. ({2}) Während zeitgleich die Europäische Zentralbank darüber berät, wie sie verhindern kann, dass der Süden Europas in eine Deflationsspirale fällt, haben wir keine Möglichkeit, hier im Parlament das Verfahren zur koordinierten Wirtschaftspolitik, das ein Teil des Stabilitätsmechanismus und auch eine Lösung für diese europäische Krise sein sollte, zu diskutieren. Wir haben unseren Antrag gestellt, um hier zumindest in Teilen eine Debatte zu ermöglichen, um zumindest ei2150 nige Vorstellungen von Ihnen zu hören, wie Sie die Probleme lösen wollen, und um Ihnen mit unserem Antrag vielleicht einige Anregungen dazu zu geben, wie man ein nationales Reformprogramm ausgestalten könnte. ({3}) Wir sagen Ihnen: Wir brauchen endlich ein europäisches Investitionsprogramm zur wirtschaftlichen Unterstützung der Krisenländer. Wir brauchen endlich verlässliche politische Rahmenbedingungen für die Unternehmen hier in Deutschland, etwa bei der Energiewende, damit die Investitionsneigung der privaten Unternehmen in Deutschland wieder steigt. Wir brauchen schneller und ohne merkwürdige Ausnahmen einen vernünftigen Mindestlohn zur Steigerung der deutschen Binnennachfrage. Und: Wir brauchen deutlich stärkere Investitionen der öffentlichen Hand in unsere Infrastruktur. Gerade zum letzten Punkt möchte ich Ihnen sagen: Wenn Sie hier entschlossen handeln, dann tun Sie nicht nur etwas für die Binnennachfrage, sondern damit eröffnen Sie auch Zukunfts- und Wachstumschancen für unser Land. Statt das viele Geld in unnötige Steuergeschenke wie ökologisch schädliche Subventionen oder den ermäßigten Steuersatz für Hotelübernachtungen oder unsinnige Projekte wie das Betreuungsgeld zu stecken, ({4}) können Sie etwas für die Zukunft unseres Landes tun. Sie könnten mit Investitionen zum Wohle aller in Deutschland und Europa beitragen. Ich bitte Sie, ganz ernsthaft darüber nachzudenken, entsprechend zu handeln und mit uns unseren Antrag zu beschließen. Ich danke Ihnen ganz herzlich. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr. Andreas Lenz das Wort. ({0})

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Titel des Antrags von Bündnis 90/Die Grünen beginnt mit den Worten „Nationales Reformprogramm 2014 nutzen“. Seien Sie sicher: Das machen wir. Wir werden das in aller Ruhe und in aller Sorgfalt machen. Wir haben jetzt auch beispielsweise, was die Redezeit angeht, mehr Zeit als Sie. Deshalb verstehe ich, dass Sie so schnell gesprochen haben. Ich werde mir dementsprechend ein bisschen mehr Zeit lassen. Wir nutzen das Reformprogramm, um die deutsche Wirtschaft voranzubringen, und nicht wie Sie, um immer wieder neue Anträge zu einer alten und längst bekannten Thematik zu stellen. Sie kritisieren in Ihrem Antrag die hohen Leistungsbilanzüberschüsse der Bundesrepublik Deutschland. In der Tat liegt der Leistungsbilanzüberschuss mit rund 200 Milliarden Euro bei 7,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Als Schwellenwert gibt das Scoreboard des wirtschaftlichen Überwachungsverfahrens einen Überschuss von 6 Prozent an. Es gilt festzustellen, dass Deutschland damit lediglich 1,3 Prozentpunkte über diesem angegebenen Schwellenwert liegt. Hier muss noch einmal klar betont werden, dass die Kommission mit Blick auf Deutschland eben gerade keine zukunfts- und stabilitätsgefährdenden Ungleichgewichte festgestellt hat. Es handelt sich laut Kommission zwar um Ungleichgewichte; sie sind aber nicht als exzessiv zu bezeichnen. Die deutschen Exportüberschüsse sind Ausdruck der hohen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen, ({0}) darunter zahlreiche kleine und mittelständische Unternehmen, die in ihrem Bereich Weltmarktführer sind. Deutsche Produkte werden nach wie vor auf den Weltmärkten stark nachgefragt. EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn meinte treffend, er wünsche sich, dass jedes EU-Land bei Produktion und Ausfuhren so stark sei wie Deutschland. Das wünschen wir uns auch. ({1}) Im Übrigen finden 43 Prozent der Wertschöpfung deutscher Exportprodukte in Form von Vorleistungen im EU-Ausland statt, und 57 Prozent aller deutschen Importe stammen aus anderen EU-Mitgliedstaaten. Es lässt sich überdies feststellen, dass der Anteil der deutschen Exporte in Länder außerhalb der EU zunehmend wächst. So beträgt der Handelsüberschuss mit Drittländern außerhalb der EU 140 Milliarden Euro und der Handelsüberschuss mit Euro-Ländern lediglich 1 Milliarde Euro. Es schadet also auch hier nicht, eine europäische Perspektive einzunehmen. Die Euro-Zone für sich genommen konnte einen Handelsüberschuss in Höhe von 152 Milliarden Euro erzielen, und das, obwohl der Euro rund 7 Prozent an Wert zugelegt hat, sich also die Exporte in Relation verteuert haben. Es gibt übrigens neben der Leistungsbilanz noch andere Indikatoren beim wirtschaftspolitischen Überwachungsverfahren, beispielsweise einen eventuellen Rückgang des Exportanteils um mehr als 6 Prozent oder auch die öffentliche Verschuldung sowie die durchschnittliche Arbeitslosenquote. Das alles sind Punkte, in denen Deutschland, wie Sie wissen, sehr gut dasteht. Definitionsgemäß messen Leistungsbilanzüberschüsse jenen Teil der Ersparnisse eines Landes, die nicht im Inland investiert werden. Nicht nur die Kommission, sondern auch die Bundesregierung weisen auf die im internationalen Vergleich zu niedrige Investitionsquote in Deutschland hin. Auch deshalb sieht der Koalitionsvertrag erhebliche öffentliche Investitionen vor. Wir investieren in den nächsten vier Jahren 4 Milliarden Euro in Forschung, 5 Milliarden Euro in die Verkehrsinfrastruktur, 5 Milliarden Euro in die Entlastung der Kommunen und 6 Milliarden Euro in Bildung und Betreuung. Mehr wäre immer schön. Dies alles steht allerdings unter dem Primat der Fortführung einer wachstumsfreundlichen Haushaltskonsolidierung. Wir sollten es eben nicht den Südländern gleichtun und vor allem kreditfinanziert konsumieren. Wir stehen zum Ziel, für 2015 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Im Übrigen hängt der Leistungsbilanzüberschuss auch mit der Beteiligung an den fiskalischen Rettungskrediten zusammen. Diese sind, wie Sie wissen, momentan notwendig und liegen im europäischen Interesse. Sie fordern klare politische Ziele und verlässliche Rahmenbedingungen bei der Energiewende und beim Breitbandausbau. Auch hier lohnt sich ein Blick in den Koalitionsvertrag. Der Ausbaukorridor für die erneuerbaren Energien steht: bis zum Jahr 2025 40 bis 45 Prozent der Stromerzeugung aus regenerativen Energien, bis zum Jahr 2035 55 bis 60 Prozent. Auf europäischer Ebene verfolgen wir die Zieltrias von Energieeffizienz, Ausbau der Erneuerbaren und Treibhausgasreduktion. Auch die Digitalisierung bietet unzählige Chancen für Innovationen und Investitionen. Die Digitale Agenda 2014 - 2017 gibt von daher ein richtiges Signal. Beim Breitbandausbau ist es das Ziel, dass es in Deutschland bis 2018 eine flächendeckende Grundversorgung mit mindestens 50 Megabit pro Sekunde gibt. Außerdem werden wir mehr Investitionssicherheit für Netzbetreiber im ländlichen Raum schaffen. Nun ist es so, dass von den jährlichen Investitionen in Deutschland in Höhe von circa 460 Milliarden Euro nur rund 9 Prozent auf den öffentlichen Sektor entfallen. Über 90 Prozent der Investitionen werden vom privaten Sektor geleistet. Es gilt also vor allem, ein investitionsfreundliches Klima in Deutschland zu schaffen bzw. weiterhin zu bewahren. Das machen wir beispielsweise auch dadurch, dass wir die Steuern für die Unternehmen nicht erhöht haben. ({2}) Natürlich spielt die Nachfrageseite eine wichtige Rolle. Anders als Sie in Ihrem Antrag formulieren, sehen wir jedoch auch die Angebotsseite. Sie schreiben, dass durch eine einseitige und sozial unausgewogene Sparpolitik der Bevölkerung große Opfer abverlangt werden, dies aber ökonomisch und sozial nicht nachhaltig sei. Es stimmt: Unseren Euro-Partnerländern werden hohe Opfer abverlangt. Dieser Prozess ist langwierig und schmerzhaft für die Bevölkerung der betroffenen Staaten. Aber gerade dieser Weg ist nachhaltig. Die Ungleichgewichte im Außenhandel können realistischerweise nur dadurch verringert werden, dass angebotsseitige Reformen durchgeführt werden. Diese steigern die Wettbewerbsfähigkeit von ganz Europa. Die Reformen zeigen auch Wirkung. Die Defizite der öffentlichen Haushalte der Euro-Staaten sind deutlich gesunken. Die Unterschiede in den nationalen Leistungsbilanzen haben sich in den vergangenen Jahren abgebaut. Spanien, Portugal, Irland und Griechenland haben ihre Exporte spürbar gesteigert. Die Finanzierungssituation in den Krisenländern hat sich deutlich verbessert. Das ist ein Erfolg der Strategie „Europa 2020“ für Wachstum und Beschäftigung. Wir haben heute eine positive Entwicklung bei den Reallöhnen. Mit einem Bruttolohnzuwachs von 2,7 Prozent und einem Reallohnzuwachs von 1,1 Prozent erwarten wir 2014 den größten Lohnzuwachs seit 2010. Wir betrachten bei der Einführung des Mindestlohns die Lebenswirklichkeiten. Das machen wir im Bereich der Ausbildungsverhältnisse, im Bereich der Praktika und im Bereich des Ehrenamts. Wir wollen nicht, dass der Mindestlohn zulasten der Beschäftigung in Deutschland geht. ({3}) Unser flexibler Arbeitsmarkt ermöglicht erst die Rekordbeschäftigung von 42,1 Millionen Beschäftigten, die wir dieses Jahr erwarten. Diese Flexibilität dürfen wir nicht gefährden. Ebenso würde die Bekämpfung der kalten Progression zu mehr Binnennachfrage, zu mehr Binnenkonsum führen. Lassen Sie mich noch Folgendes betonen: Man wird diese Ungleichgewichte nicht über Nacht abbauen können. Da werden auch Ihre Anträge wenig bis gar nichts helfen. Die Steigerung der Binnennachfrage wird in den nächsten Jahren zur Reduktion des Defizits der Leistungsbilanz beitragen. Wenn die Standortbedingungen für Investitionen gut sind, kann sich eine Investitionsdynamik im privaten Sektor entwickeln, wodurch die Außenhandelsdefizite automatisch reduziert werden. Wir stehen gerade am Beginn einer dynamischen Investitionsentwicklung. Die Investitionen steigen sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor. Wir legen dabei die Grundlagen für diese positive Entwicklung und schaffen Stabilität für mehr Investitionen. Herzlichen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Den Beitrag des Kollegen Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke haben wir entsprechend unseren Regeln zu Protokoll genommen. ({0}) Das Wort hat der Kollege Wolfgang Tiefensee für die SPD-Fraktion. ({1})

Wolfgang Tiefensee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004176, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Dröge, Sie haben uns gebeten, dem Antrag Ihrer Fraktion zuzustimmen. ({0}) Das wollen wir nicht, ({1}) und zwar zunächst aus dem ganz einfachen Grund, weil Sie in Ihrer Analyse zum Teil nicht richtig liegen. Der wesentliche Grund ist aber, dass Sie eine Menge von dem fordern, was sich in unserem Koalitionsvertrag und im Haushalt 2014 wiederfindet. ({2}) Deshalb ist der Antrag Ihrer Fraktion im Wesentlichen überflüssig. ({3}) Wir nehmen die Analyse der EU und die Kritik der USA selbstverständlich ernst. Wir wissen, dass wir eine zu geringe Investitionsquote haben. ({4}) Die Exportquote ist hoch; auch das wird kritisiert. Wir wissen, dass die Binnennachfrage gesteigert werden muss. ({5}) Aber, ich möchte Sie, Frau Dröge, und Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, zu später Stunde zunächst mit ein paar Fakten traktieren. ({6}) Von Deutschlands internationaler Wettbewerbsfähigkeit und Exportstärke profitiert im Gegensatz zu Ihrer Annahme die EU, ja das gesamte Euro-Gebiet. Deutschland ist eine der weltweit offensten Volkswirtschaften. Dieser Offenheitsgrad wird nicht irgendwie bestimmt, sondern ergibt sich aus Export und Import im Verhältnis zum BIP. Unser Offenheitsgrad beträgt 97,7 Prozent, der der USA 32 Prozent, der Japans 31 Prozent und der Chinas 59 Prozent. Deutschlands Stärke im Außenhandel ist eben keine Einbahnstraße. Deutschland ist nicht nur drittgrößter Exporteur, sondern zugleich auch drittgrößter Importeur der Welt. Ein großer Teil der Importe stammt im Übrigen von unseren europäischen Nachbarn. Der Importanteil deutscher Exporte ist mit 42 Prozent höher als in allen anderen großen Volkswirtschaften, zum Vergleich: USA 11 Prozent, Japan 13 Prozent, Italien 24 Prozent, Frankreich 23 Prozent und Russland 28 Prozent. ({7}) Erfolge deutscher Unternehmen auf den Weltmärkten schaffen also Beschäftigung und Wohlstand nicht nur bei uns, sondern durch Import von Vorprodukten und hochwertigen Konsumgütern auch in der Euro-Zone und in der EU. ({8}) Deutschland trägt also zum Abbau der Ungleichgewichte innerhalb der EU und der Währungsunion bei. Da die deutschen Importe aus der EU in den vergangenen Jahren mehr zunahmen als die Exporte in die EU, sind die Handelsbilanzüberschüsse gegenüber der EU seit 2007 - hören Sie zu, Frau Dröge! ({9}) von 174 Milliarden um ein Drittel auf zuletzt 116 Milliarden Euro zurückgegangen. Es ist kontraproduktiv, von Wachstum und Wohlstand generierenden sowie leistungsfähigen und wettbewerbsorientierten Volkswirtschaften mit Leistungsbilanzüberschüssen eine Verringerung der Wettbewerbsfähigkeit durch expansive Lohnerhöhungen oder administrative Maßnahmen zur Reduktion der Sparneigung zu fordern. ({10}) - Schade, dass Sie nicht zuhören! Ihr Antrag, auf den ich jetzt ganz konkret eingehen möchte, fußt nämlich auf einer falschen Analyse. ({11}) - Ich habe gerade die Fakten dargelegt. ({12}) Ob sie Ihnen gefallen oder nicht, sie widersprechen nun einmal Ihrer Analyse. ({13}) Nun zu Ihren Argumenten. Erstens. Zur Finanzierung unter anderem von energetischen Sanierungen soll ein nationaler Energiesparfonds eingerichtet werden; das ist eine tolle Idee. ({14}) - Beklatschen Sie sich nicht selbst. - Sie sagen aber nicht exakt, woher das Geld kommen soll. „Über den Abbau klima- und umweltschädlicher Subventionen“, das ist leicht gesagt. ({15}) Wir gehen einen soliden Weg und stellen 2014 aktuell 1,8 Milliarden Euro für die Förderung des energetischen Bauens und Sanierens zur Verfügung. Hinzu kommen die 1,5 Milliarden für KfW-Programme wie das Programm „Energetische Stadtsanierung“. Ihr zweites Argument: Wir sollen Investitionsanreize für Unternehmen schaffen. Wir legen ja gerade - das können Sie nachlesen - mit unserer stärkeren Ausrichtung auf Wirtschaftspolitik, mit Investitionen und Innovationen den Grundstein dafür, dass Investitionsanreize gegeben werden. ({16}) Wir haben die Investitionen des Bundes in den Jahren 2014 bis 2018 - der Kollege hat es bereits angesprochen - um insgesamt 7 Milliarden Euro erhöht. ({17}) Im Rahmen des Europäischen Struktur- und Investitionsfonds ist es uns gelungen, bis 2020 ausreichend Spielräume, nämlich über 27,5 Milliarden Euro, zu gewinnen. Wir reden über Industrie 4.0. ({18}) Das wird Anreize schaffen. Wir wollen das Programm ZIM, das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, auf hohem Niveau, 513 Millionen Euro, fortführen. Die für Forschung und Entwicklung vorgesehenen 2,5 Milliarden Euro sind schon angesprochen worden. ({19}) Wir wollen staatliche Investitionen erhöhen. Sie wissen, dass wir in die Verkehrsinfrastruktur 5 Milliarden Euro investieren wollen. Das müsste Sie eigentlich begeistern. Beifall bitte von Ihrer Seite! ({20}) Außerdem wird es Investitionen in die Kinderbetreuung, in Schulen und Hochschulen geben. Drittes Argument: europäische Investitionsprogramme auflegen. Durch die erweiterte Kreditvergabe der Europäischen Investitionsbank haben wir deren Kapazitäten ausgeweitet. Sie wird allein ein zusätzliches Kreditvolumen von 20 Milliarden Euro ausreichen. Nächstes Argument: Mindestlohn zügig und flächendeckend einführen. Sie wissen ganz genau, warum wir erst 2017 für einige Unternehmen den Mindestlohn einführen, weil wir nämlich - das müsste auch Ihnen genehm sein - die Tarifbindung in unserem Land stärken wollen. Der gesetzliche Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro wird die Binnennachfrage stärken. ({21}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Fakten zeigen, dass Sie mit Ihrem Antrag nicht richtig liegen. Die Analyse Ihrer Argumente zeigt, ({22}) dass die falschen Instrumente angewendet werden. ({23}) In unserem Regierungsprogramm und dem Haushalt 2014 steht die richtige Antwort auf das, was wir von der EU hören. ({24}) Das wird erfolgreich sein. Vielen Dank. ({25})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/978 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Andreae, Anja Hajduk, Volker Beck ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fördermitteltransparenz erhöhen Drucksache 18/980 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsauschuss Interfraktionell ist vereinbart, die Reden zu Proto- koll zu geben.1) 1) Anlage 4 Vizepräsidentin Petra Pau Ebenfalls interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/980 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 4. April 2014, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen alles Gute bis zum Beginn morgen früh.