Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Bericht zum Anerkennungsgesetz. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Bundesministerin für Bildung und
Forschung, Frau Dr. Johanna Wanka. - Bitte schön, Frau
Ministerin.
Danke schön. - Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Wir haben heute im Kabinett den Bericht zum
Anerkennungsgesetz vorgelegt. Das Anerkennungsgesetz ist ein relativ junges Gesetz. Es ist vor zwei Jahren,
am 1. April 2012, in Kraft getreten. Es sorgt für etwas,
was in Europa ganz ungewöhnlich ist: Jeder, der ins
Land kommt, hat den Rechtsanspruch darauf, dass sein
Berufsabschluss bzw. akademischer Abschluss, den er
im Ausland erworben hat, auf Anerkennung überprüft
wird.
Im Rahmen der Verabschiedung des Gesetzes haben
wir vereinbart, dass es nicht nur nach einer bestimmten
Frist evaluiert wird, sondern durch Monitoring begleitet
wird. Dieser Bericht enthält daher nicht nur statistische
Daten, sondern auch Befragungen und anderes.
Der ersten amtlichen Statistik zufolge wurden in dem
Dreivierteljahr von April 2012 bis Dezember 2012 bereits 11 000 Verfahren von den Ländern gemeldet. Der
überwiegende Teil - 82 Prozent - dieser Verfahren endete mit der vollen Anerkennung der Gleichwertigkeit.
Man muss sagen, dass dabei in ganz starkem Maße die
medizinischen Gesundheitsberufe vertreten waren, also
die Berufe, bei denen wir einen hohen Bedarf an Fachkräften haben.
Wenn man sich die Altersstruktur derer, die einen Antrag auf Anerkennung gestellt haben, anschaut, dann
stellt man fest, dass das vor allen Dingen junge Leute
zwischen 20 und 40 Jahren sind. Dehnt man den Zeitraum auf 20 bis 50 Jahre aus, dann zeigt sich, dass diese
Altersgruppe 92 Prozent all derjenigen ausmacht, die
den Wunsch haben, nach Deutschland zu kommen, in
Deutschland zu leben und hier entsprechend ihrer Qualifikation zu arbeiten.
Zwei Drittel der Antragstellenden kommen aus Europa. Das Gesetz gilt aber auch für Drittstaaten. Die
größte Gruppe derer, die einen Antrag gestellt haben, hat
die deutsche Staatsangehörigkeit. Darauf folgen Menschen mit rumänischer, russischer, polnischer und ungarischer Staatsangehörigkeit.
Der Erfolg der Anerkennung - das zeigt sich bei diesem Gesetz ganz deutlich - hängt sehr stark davon ab,
wie man informiert und wie Informationen zu finden
sind. Es ist ein regelrechter Spagat. Einerseits will man
keinen großen Verwaltungsaufwand durch viele große
Zentralstellen betreiben. Andererseits muss man die Verfahren natürlich optimieren. Man will aber vor allen
Dingen, dass die Menschen vor Ort die entsprechenden
Informationen bekommen, und zwar da, wo sie normalerweise hingehen: zum Beispiel bei der Handwerkskammer oder der Industrie- und Handelskammer.
Wie wichtig eine gute Information ist, zeigt sich
schon an den Besucherzahlen des Internetportals „Anerkennung in Deutschland“. Im ersten Jahr, also 2012, gab
es auf dieser Seite 260 000 Besucher. Im letzten Jahr hat
sich diese Zahl verdoppelt: Da waren es 500 000. Im
ersten Monat des Jahres 2014 waren es schon über
100 000 Besucher. Die Kurve geht also nach oben. Wo
Informationen zu finden sind, muss sich eben erst ein
Stück weit herumsprechen. Deshalb haben wir im letzten
Jahr für diese Möglichkeit der Information geworben.
Wir werden ab Mitte dieses Jahres außerdem eine internationale Kampagne starten, um darauf aufmerksam zu
machen, was in Deutschland jetzt möglich ist.
Wir haben im Bereich der Kammern bundesweit eine
gute Versorgung und Arbeitsteilung. Bei den IHKs haben wir die zentrale IHK in Nürnberg, die für derartige
Fragen zuständig ist. Im Bereich der Handwerkskammern gibt es sogenannte Leitkammern. Die Handwerkskammer in Frankfurt/Oder beispielsweise ist für alle Abschlüsse zuständig, die in Polen gemacht wurden.
Es gibt einen weiteren Erfolg, den es im letzten Jahr
noch nicht gab: Das Anerkennungsgesetz gilt für die Berufe, bei denen der Bund die Kompetenz hat. Es gibt
aber viele Berufe, bei denen die Kompetenz bei den Ländern liegt. Dafür müssen die Länder Gesetze machen.
Heute können wir sagen, dass bereits 13 Länder Gesetze
in Kraft gesetzt haben. Die drei noch ausstehenden Länder befinden sich im Gesetzgebungsverfahren.
Kritisch zu sehen ist die Zentralisierung der Verfahren
insbesondere im Bereich der Gesundheitsberufe, bei denen es den größten Andrang gibt. Es gibt den Beschluss,
dass man bei der KMK eine zentrale Stelle einrichten
will. Das ist aber finanziell noch nicht geregelt. Aus
Sicht des Bundes ist dies sehr wichtig.
Wenn eine Anerkennung nicht voll gewährleistet werden kann, dann ist es bei den reglementierten Berufen
Pflicht, entsprechende Berufsqualifizierungen anzubieten. Dazu gab es in der letzten Zeit gemeinsame Bemühungen des Arbeitsministeriums, unseres Ministeriums
und der BA. Wir werden das Angebot von Ausgleichsmaßnahmen zum Erwerb der entsprechenden Qualifikation in dieser neuen Förderperiode zusätzlich mit ESFMitteln finanzieren, und zwar in einer Größenordnung,
die dies flächendeckend ermöglicht.
Insgesamt kann man sagen, dass das Anerkennungsgesetz national, aber auch international gut wahrgenommen wird. Sie wissen, dass man bei Einschätzungen der
OECD den Background immer sehr genau anschauen
muss. Hier sagte die OECD, dass Deutschland zu den
Ländern gehört, in denen die Schwelle, aus dem Ausland
zu kommen und eine Arbeit anzunehmen, am niedrigsten ist. Wir haben also ganz wenig Hindernisgründe. Wir
sind ein sehr liberales Land. Ich denke, das macht die
Einschätzung des Anerkennungsgesetzes deutlich.
Danke.
Herzlichen Dank, Frau Ministerin. - Als Erste hat
sich die Kollegin Cemile Giousouf, CDU/CSU-Fraktion,
gemeldet. Danach Frau Dr. Rosemarie Hein, Fraktion
Die Linke.
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Ich habe zwei Fragen. Die erste betrifft die statistischen Zahlen des Berichtes. Der Bericht legt die Zahlen für das Jahr 2012
vor. Gibt es aktuellere Zahlen? Können Sie sagen, ob die
Zahlen für eine Anerkennung der beruflichen Qualifikation aus dem Ausland steigen oder fallen?
Die zweite Frage bezieht sich auf die Form der Beratung. Sie haben gerade das Internetportal „Anerkennung
in Deutschland“ erwähnt. Darüber hinaus gibt es das Beratungsnetzwerk des Förderprogramms „Integration
durch Qualifizierung“. Beim BAMF gibt es eine Hotline,
die ebenfalls informiert. Ist dies nicht etwas zersplittert?
Wäre es nicht sinnvoller, diese Beratungsstrukturen zu
bündeln?
Zu den Zahlen. Im Herbst dieses Jahres werden wir in
einer amtlichen Statistik die Zahlen für das Jahr 2013 haben.
Zur Resonanz. Ich habe die Zahlen des Anerkennungsportals genannt. Dazu muss man sagen, dass
40 Prozent der Besucher aus dem Ausland sind, mit steigender Tendenz. Auch bei der Telefonhotline, die beim
BAMF angesiedelt ist, stieg die Zahl der Anrufer von
Monat zu Monat. Ferner zeigen die 11 000 Verfahren,
dass die unterschiedlichen Angebote in Anspruch genommen werden und die Antragsteller entsprechende Informationen vor Ort finden. In diesem Zusammenhang
ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge natürlich eine wichtige Adresse. Wir sind also auf Bundesebene sehr gut koordiniert, glauben aber, dass man im
Bereich der Länder die Informationen noch stärker bündeln kann. Die Anerkennung ist aber ein komplizierter
und komplexer Vorgang. Dort geht es nicht nur um die
formalrechtliche Bewertung, sondern um Zuwanderungsrechte, Sprachkenntnisse und vieles mehr. Deswegen glauben wir, dass eine komplexe Beratung auch in
Zukunft notwendig ist.
Schönen Dank. - Als Nächste hat das Wort die Kollegin Dr. Rosemarie Hein, die Linke.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Vielen Dank, Frau
Ministerin, für den Bericht. Auch ich habe zwei Fragen:
Erstens. Sie hatten erwähnt, dass der größte Teil der
Antragstellungen und auch der überaus größte Teil der
Bewilligungen aus dem Gesundheitsbereich stammen.
Meine Frage ist: Warum sind die Berufe mit dualer Ausbildung, bei denen wir auch ein erhebliches Fachkräfteproblem haben, so stark unterrepräsentiert?
Die zweite Frage bezieht sich auf die Ländergesetze.
Sie haben gesagt: 13 Länder haben schon entsprechende
Gesetze. Wie schätzen Sie das ein: Deutet sich im Hinblick auf die Ländergesetze, ähnlich wie in anderen Bereichen der Bildungspolitik, eine Spreizung an? Sind die
Gesetze dort auch so unterschiedlich, oder sind sie eher
in der Substanz vergleichbar?
Das Antragsaufkommen konzentriert sich, wie schon
gesagt, sehr stark auf den Bereich der reglementierten
Berufe. Das ist logisch, weil man diese Berufe in
Deutschland ohne Anerkennung nicht ausüben kann.
Zu den Handwerkskammern. Wir haben mit den
Handwerkskammern gesprochen und festgestellt, dass
wir hier verstärkt informieren und werben müssen, weil
es weniger bekannt ist, dass auch im nicht reglementierten Bereich gleichwertige Qualifikationen anerkannt
werden können. Im Bereich der Handwerkskammern haben wir sehr viele Verfahren, in denen es gar nicht zur
Anerkennung der Gleichwertigkeit kommt, weil es nicht
notwendig ist; denn schon im Laufe der Beratung ergibt
sich, dass Qualifikationen vorliegen, die ausreichen, um
den Betreffenden zu vermitteln. Das ist im Handwerk
nach Aussage des früheren Präsidenten des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, Herrn Kentzler, in
sehr vielen Fällen geschehen.
Wir wollen aber mit der Kampagne, die wir Mitte des
Jahres starten, international gerade auch für diese Berufe
stärker werben. Wir haben auch ein Projekt mit dem
DGB, bei dem wir versuchen, über Information und Sensibilisierung der Personalräte, aber auch der betrieblichen Seite dafür zu sorgen, dass dies noch stärker genutzt und propagiert wird. Dass die reglementierten
Berufe automatisch besonders stark nachgefragt sind,
liegt aber in der Natur der Sache.
Zu den Ländergesetzen. Man muss sagen, dass es in
der Praxis gemäß dem Bericht leider eine ganze Reihe
von Unterschieden bei der Wahrnehmung und Beurteilung gibt. Wir wollen keinen Anerkennungstourismus,
bei dem man in einem Land einen Antrag auf Anerkennung von Qualifikationen stellt, um den entsprechenden
Beruf in einem anderen Land ausüben zu können. Deswegen ist uns eine gewisse Zentralisierung sehr wichtig.
Die Anträge müssen nicht an einer Stelle bearbeitet werden, aber die Bearbeitung soll vergleichbar sein.
Ich nenne das Beispiel der Gesundheitsberufe. Da hat
die Kultusministerkonferenz schon vor vielen Jahren
eine Zentralstelle zur Anerkennung der schulischen und
akademischen Qualifikationen eingerichtet. Das heißt:
Wenn sich jemand mit einem Abitur aus dem Kongo bewirbt, dann muss man nicht in dem entsprechenden Bundesland wissen, wie das einzuschätzen ist. Die Kultusministerkonferenz hat eine Stelle eingerichtet, die diese
Einschätzung als Service anbietet. Genau so sollte das
im Bereich der Gesundheitsberufe gemacht werden. Damit hätte man dann auch ein einheitlicheres Verfahren.
Es ist jedenfalls ein Problem, das im Bericht dokumentiert ist.
Bevor ich die nächsten Wortmeldungen aufrufe,
möchte ich liebevoll darauf hinweisen: Jeder darf eine
Frage stellen. Ich hatte aber bei der CDU/CSU zwei Fragen zugelassen. Deswegen habe ich bei der Linken auch
friedlich zwei Fragen zugelassen. Wir müssen ja fair
miteinander umgehen. Da es aber eine ganze Flut von
Fragen gibt, was sehr erfreulich ist, bitte ich die kommenden Fragesteller, sich jeweils an unsere Eine-FrageRegel zu halten.
Die nächsten Fragesteller sind Rudolf Henke, CDU/
CSU-Fraktion, und Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Ministerin, meine Damen und Herren, ich
komme noch einmal auf die reglementierten Berufe, insbesondere im Gesundheitsbereich, zu sprechen. Die Regierungschefs und Regierungschefinnen der Länder haben sich mehrfach dafür ausgesprochen, dass es
einheitliche, unbürokratische Regelungen zu den Anerkennungsverfahren von Bund und Ländern geben soll.
Jetzt scheint der Bericht darauf hinzudeuten, dass es sowohl zwischen dem Anerkennungsverfahren des Bundes
auf der einen Seite und der Länder auf der anderen Seite
als auch hinsichtlich der Anerkennungsverfahren unterschiedlicher Bundesländer Differenzen gibt. Die Frage
ist: Zeichnet sich dort zumindest ein Diskussionsprozess
ab, der darauf zielt, für Einheitlichkeit zu sorgen? Das
dürfte nicht nur die KMK betreffen; im Bereich der Gesundheitsberufe müsste die GMK sicherlich mit einbezogen werden. Die Sprachprüfungen und die Anerkennung
der Qualifikationen in den reglementierten Berufen werden in den Ländern sehr unterschiedlich gehandhabt. Die
Frage ist also: Ist da ein Prozess der Vereinheitlichung
im Gange?
Ja, es ist ein Diskussionsprozess mit dem Ziel einer
Vereinheitlichung im Gange. Was die Gesundheitsberufe
anbetrifft, muss nicht nur die KMK, sondern auch die
GMK die entsprechenden Beschlüsse fassen. Da wird in
Bezug auf die Struktur genau überlegt: Wie viel Personal
braucht man? Das alles befindet sich noch in der Umsetzung. Vonseiten der Finanzminister muss jetzt noch die
Frage geklärt werden, woher die Stellen kommen. Aber
das ist eine überschaubare Größenordnung.
Was die Gesundheitsminister betrifft: Der Bund hat
seinen Beitrag zur Vereinheitlichung erbracht. Es gibt
jetzt eine neue Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums zur Durchführung und zum Inhalt von
Anpassungsmaßnahmen in den Heilberufen des Bundes,
die am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist. Das
ist sozusagen die Basis.
Insgesamt lässt sich feststellen: Der Diskussionsprozess ist im Gange. Es war richtig, ein Monitoring durchzuführen und in diesem Bericht nicht nur zu rekapitulieren, was gut und was schlecht ist, sondern auch
Hinweise darauf zu geben, wo Handlungsbedarf besteht.
Schönen Dank, Frau Ministerin. - Als Nächster hat
das Wort Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Frau Ministerin, für Ihren Bericht. Ich
erlaube mir, für meine Fraktion zwei Fragen zu stellen,
wie das die ersten beiden Fragesteller aus den anderen
Fraktionen getan haben.
Zu meiner ersten Frage. Der Sachverständigenrat
deutscher Stiftungen für Integration und Migration kritisiert, dass wir die Antragsberechtigten nicht ausreichend
erreichen. Deshalb möchte ich von Ihnen wissen: Wie
viele Antragsberechtigte gibt es in Deutschland? Wie
viele Anträge wurden bis zum heutigen Tag bzw. bis
zum Datum Ihrer Berichterstellung tatsächlich eingereicht? Das wäre gut zu wissen, um abschätzen zu können, inwiefern wir überhaupt die relevanten Teile der
Bevölkerung ansprechen.
Volker Beck ({0})
Zu meiner zweiten Frage. Was wollen Sie tun, damit
das Vorgehen in anderen Bereichen, zum Beispiel im
technischen Bereich, bei den Ingenieurberufen, ähnlich
gut funktioniert wie im Gesundheitsbereich? Das ist ja
ein Bereich, in dem wir Fachkräftemangel haben. Wenn
das Gesetz in diesem Bereich nicht funktioniert, dann
muss es Gründe dafür geben. Was machen Sie, um diese
Gründe zu beseitigen?
Die Zahl derer, die antragsberechtigt sind, ist sehr
schwierig abzuschätzen. Im Mikrozensus - darauf heben
Sie wahrscheinlich ab - wird die Zahl 280 000 genannt.
Das bezog sich aber vor allem auf alle in Deutschland
lebenden Personen mit ausländischem Abschluss, die
nicht in dem Bereich arbeiten, in dem sie ihren Abschluss gemacht haben. Jeder - zum Beispiel auch der
türkische Gemüsehändler, der trotz Qualifikation in seinem Heimatland in Deutschland schon seit 20 Jahren in
einem anderem Tätigkeitsfeld arbeitet - wurde dazugerechnet. Das heißt, wir haben keine belastbaren Zahlen.
Wenn Sie sich die Altersverteilung ansehen, dann
stellen Sie fest, dass es vor allen Dingen viele Jüngere
betrifft und nicht diejenigen, die schon viele Jahre in
Deutschland eine Tätigkeit für sich gefunden haben und
bei denen nicht der Anspruch besteht: Jetzt will ich mir
meinen alten Beruf anerkennen lassen, um in diesem
vielleicht wieder tätig zu sein.
11 000 Antragsteller - das ist die belastbare Zahl, die
uns für 2012 vorliegt.
({0})
- 11 000, definitiv. Wobei selbst die Statistischen Landesämter sagen, dass die Zahlen wahrscheinlich höher
sind, weil viele Anerkennungsstellen noch nicht gemeldet haben oder nicht wissen, dass sie meldepflichtig
sind. Hier ist also noch ein Lernprozess im Gange.
Für den Bereich der Ingenieure gibt es keine Bundeskompetenz. In dem Anerkennungsgesetz des Bundes
wird alles für die Berufe geregelt, für die der Bund die
Kompetenz hat. Es gibt aber viele Berufe, für die die
Kompetenz bei den Ländern liegt, dazu gehören die Ingenieure. Wenn Sie sich die Ländergesetze anschauen,
dann stellen Sie fest, dass in nicht wenigen Gesetzen
diese Gruppe gar nicht betrachtet wird, dass sie ausgeschlossen wird. Das gilt auch für Architekten oder andere Berufe. Über dieses Thema wird derzeit diskutiert.
Das haben wir vonseiten des Bundes angeregt; denn gerade in diesem Bereich sind wir interessiert daran, qualifizierte Zuwanderung zu ermöglichen.
Schönen Dank. - Kollege Dr. Thomas Feist, CDU/
CSU-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Ministerin, Sie
haben gesagt, dass die Nachfrage in den reglementierten
Berufen besonders hoch ist und dass die Zahl derer, die
über das entsprechende Internetportal Anfragen stellen,
sprunghaft wächst. Die Zahlen, die Sie genannt haben,
verdeutlichen das.
Meine Frage zielt in folgende Richtung: Im Auswärtigen Ausschuss beschäftigen wir uns gegenwärtig mit
der Frage, ob die deutschen Auslandsschulen ihr Profil
nicht in Richtung Berufsschulen erweitern sollten. Damit würden wir schon vor Ort die Voraussetzung für eine
leichtere Anerkennung jener Berufe schaffen, die in
Deutschland reglementiert sind. Wie beurteilen Sie diese
Überlegungen? Würden Sie eine solche Profilerweiterung unterstützen? Das Modell der dualen Berufsausbildung erfährt nicht nur in Deutschland eine hohe Nachfrage. Dem sollten wir nachkommen.
Im Moment haben wir die erfreuliche Situation, dass
das Interesse an der deutschen Sprache weltweit gestiegen ist. Es gibt jetzt zum Beispiel circa 1 000 Schulen in
Indien, an denen die deutsche Sprache vermittelt wird.
Das war vor einigen Jahren noch ganz anders. Außerdem
besteht, auch bedingt durch die wirtschaftliche Situation
in Frankreich, Spanien und anderen Ländern, ein großes
Interesse an der dualen Ausbildung. Wir werben in den
entsprechenden Ländern für die duale Ausbildung und
geben Geld aus, um Wege zu finden, wie das System der
dualen Ausbildung in Ländern wie Spanien oder Griechenland organisiert werden könnte, wenn die betreffenden Stellen vor Ort dieses System einführen wollen.
Zum Beispiel in Bezug auf Indien halte ich es gerade
vor dem Hintergrund des großen Interesses an der deutschen Sprache nicht für schlecht, die Frage zu thematisieren, ob man neben den deutschen Auslandsschulen
noch andere Institutionen unterhalten sollte. Bei diesem
Export der dualen Ausbildung - das sage ich in Anführungsstrichen - sind wir immer sehr behutsam. Es geht
nicht darum, etwas von Deutschland eins zu eins woandershin zu verpflanzen, sondern darum, zu schauen,
wie die positiven Elemente der dualen Ausbildung vor
dem Hintergrund der Bedingungen des entsprechenden
Landes zum Tragen kommen können, wenn vor Ort ein
Interesse daran besteht. Ich finde die Idee nicht schlecht.
Die nächsten beiden Fragesteller sind Kollege René
Röspel, SPD-Fraktion, und Özcan Mutlu, Bündnis 90/
Die Grünen. - Kollege Röspel, bitte.
Sehr verehrte Frau Ministerin, im Koalitionsvertrag
ist vereinbart, Nachqualifizierungsmaßnahmen finanziell zu unterstützen. Was plant die Bundesregierung,
und wie will sie das umsetzen?
Wie schon angedeutet, haben wir im Rahmen des IQProgramms, Integration durch Qualifizierung, in 50 MoBundesministerin Dr. Johanna Wanka
dellprojekten einige Erfahrungen gesammelt. Dieses
Programm werden wir jetzt in beträchtlichem Maße ausweiten, mit über 200 Millionen Euro einschließlich ESFMitteln, gemeinsam mit dem Arbeitsministerium und
der BA. Wir glauben - das wird deutlich, wenn wir uns
die Zahlen ansehen -, dass man damit in großem Maße
bundesweit etwas leisten kann. Das ist eine ganz handfeste und millionenschwere Investition in diesem Bereich.
Danke schön, Frau Ministerin. - Kollege Özcan
Mutlu, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Ministerin, meine Frage lautet wie folgt: Ist nach
Auffassung der Bundesregierung die arbeitsmarktliche
Beratung nach § 29 SGB III sichergestellt, und besteht
nach Auffassung der Bundesregierung tatsächlich ein
flächendeckendes und ausreichendes Netz von Erstanlaufstellen, Beratungsstellen, die die notwendige fachliche Qualifikation aufweisen, um erfolgreich beraten zu
können? Welche Qualitätsstandards gelten für diese
Erstanlaufstellen, und wird die Arbeit der Erstanlaufstellen evaluiert?
In diesem Bericht befinden sich auch Informationen
über die Arbeit der Anlaufstellen und eine sehr positive
Einschätzung dessen, was im gesamten Kammerbereich,
also bei den Handwerkskammern und den Industrie- und
Handelskammern geleistet wird, aber auch im Bereich
der BA, wenn es um Auskünfte zur Sozialgesetzgebung
geht. Das Monitoring, das vonseiten des Bundes freiwillig durchgeführt wird, zeigt im Einzelnen auf, wo es
noch Schwachstellen gibt, wo man noch mehr machen
muss. Nach dem Gesetz ist eine Evaluation geplant, die
auch diesen Bereich erfasst; denn die Erstberatung ist
ganz entscheidend. Die Erstberatung ist, wie eben schon
gesagt, ein komplexes Geschäft. Die ersten gesammelten
Erfahrungen sind in vielen Bereichen erfreulich.
Die nächsten beiden Fragen sind vom Kollegen
Dr. Ernst Dieter Rossmann und vom Kollegen Martin
Rabanus, beide SPD-Fraktion. - Herr Kollege
Dr. Rossmann, bitte.
Frau Ministerin, der Bericht enthält umfangreiche
Analysen in Bezug auf die Spreizung der Gebühren, die
sich je nach Landes-, Bundes- und Kammerregelungen
zwischen 100 und 1 000 Euro bewegen. Es findet sich
die Passage, dass Sie es für sinnvoll halten könnten, in
diesem Bereich zu einer Harmonisierung zu kommen. In
welcher Weise und mit welcher Zielrichtung wollen Sie
sich als Ministerin in Bezug auf die Gebührenfrage einbringen? Ich frage auch nach den Vor- und Nachteilen.
Dass der Beratungsaufwand zum Teil sehr groß ist,
zeigen zum Beispiel die Erfahrungen der Handwerkskammern. In vielen Fällen geht es um 400 Euro. Diese
Gebühren decken bei weitem nicht die Kosten für das
Engagement der Kammern ab. Nach den ersten Erfahrungen diskutieren wir jetzt über die Frage, ob sich die
Größenordnung der Gebühren bewährt hat. Dann müssen wir über Vorschläge nachdenken. Veränderungen
kann und will der Bund nicht erzwingen. Aber er hat die
Möglichkeit, unter anderem über die Sozialleistungen
Unterstützung zu leisten, wenn es um Antragsteller geht,
die die Gebühren nicht bezahlen können. In den Gesundheitsberufen, zum Beispiel bei den Apothekern oder bei
den Ärzten, ist die Bildungsrendite, die man erzielt,
wenn man in Deutschland eine Anstellung findet, natürlich sehr hoch. Ich kann Ihnen jetzt nicht sagen, dass wir
diese oder jene Größenordnung anstreben; denn auch
dieses Thema ist Teil des komplizierten Prozesses. Es
muss sich einspielen, und man sollte dann auch in der
Diskussion mit den Ländern versuchen, besser harmonisierte Möglichkeiten zu finden.
Danke schön. - Als Nächster Herr Kollege Martin
Rabanus, SPD-Fraktion, dann noch einmal Volker Beck,
Bündnis 90/Die Grünen. Herr Rabanus, bitte.
Vielen Dank. - Frau Ministerin, Sie haben ausgeführt,
dass 82 Prozent der Anträge zur Anerkennung geführt
haben. Das ist eine sehr erfreuliche Zahl. Dies heißt im
Umkehrschluss aber auch, dass 18 Prozent der Anträge
nicht dazu geführt haben. Mich würde interessieren, was
mit diesem Rest, mit diesen 18 Prozent ist. Sind das Anträge, die bis zum Stichtag schlicht nicht abgearbeitet
waren? Gibt es dort vielleicht Hinweise auf notwendige
Nachqualifizierungen, also sind es vielleicht zurückgestellte Anträge, und befinden sich darunter auch abgelehnte Anträge? Ich fände es spannend, zu erfahren, ob
es Hauptgründe für das Versagen der Anerkennung gibt,
die man sozusagen systematisch einordnen kann, oder
muss man sich da tatsächlich jeden Einzelfall gesondert
anschauen?
Im Bericht steht, dass im Durchschnitt insgesamt
82 Prozent der Anträge zur Anerkennung führen; diese
Zahl wurde eben genannt. Bei den reglementierten Berufen liegt die Bestätigung der vollen Gleichwertigkeit sogar noch höher, nämlich bei fast 84 Prozent. Sie fragten
nach dem Rest. Fast 13 Prozent der Antragsteller wird
zum Beispiel vorgeschlagen, noch eine Ausgleichsmaßnahme zu machen oder mehr Berufserfahrung zu sammeln. Direkte Ablehnungen gibt es bei nur 3,5 Prozent
der Anträge; dies ist also ein geringer Prozentsatz. Über
die Ausgleichsmaßnahmen hatten wir ja gerade kurz gesprochen.
Bei den nichtreglementierten Berufen, zum Beispiel
bei ganz vielen Handwerksberufen, ist der Anteil geringer: Bei 66 Prozent wird die volle Gleichwertigkeit und
bei ungefähr 10 Prozent die teilweise Gleichwertigkeit
anerkannt. Die Erfahrung der Handwerkskammern ist,
dass das oft sehr nützlich ist und schon ausreicht, um den
Betreffenden zu vermitteln. Eine Ausgleichsmaßnahme,
um noch eine Qualifikation nachzuholen, ist also oft weniger sinnvoll als eine Bestätigung der Handwerkskammer, dass jemand über bestimmte Qualifikationen verfügt und wie diese einzuschätzen sind, um eine Arbeit zu
finden. Die Zahl der Ablehnungen liegt hier bei 21 Prozent.
Das Gesetz, das wir haben, ist eigentlich sehr weitgehend. Wenn zum Beispiel Unterlagen nicht vollständig
sind oder wenn man den Sachverhalt schlecht einschätzen oder nicht aufklären kann, dann sind auch praktische
Nachweise eine Möglichkeit, um die entsprechende Anerkennung in Deutschland zu erhalten. Das wird natürlich noch nicht in dem Umfang genutzt, wie es möglich
wäre. Da sehen wir einen wichtigen Bereich, in dem wir
handeln müssen.
Im Bericht finden sich auch systematische Hinweise,
zum Beispiel - auch mir war das nicht bekannt - dass es
den Beruf des Altenpflegers - diese suchen wir in
Deutschland besonders - nur bei uns als Ausbildungsberuf gibt und sonst nirgendwo in Europa. Deswegen kommen sehr viele gar nicht auf die Idee, hier in diesem Beruf zu arbeiten, oder sie versuchen, wenn sie in einem
anderen Land als Krankenpfleger gearbeitet haben, einen entsprechenden Nachweis darüber hier anerkennen
zu lassen. Unter Umständen wäre es in solchen Fällen
viel sinnvoller, von vornherein zu versuchen, in die Altenpflege zu gehen. Aufgrund des Berichtes sind wir
jetzt daran interessiert, nicht nur individuelle Lösungen
der einzelnen Kammern oder wo auch immer zu finden,
sondern auch zu überlegen, wie man das von unserer
Seite durch Aufklärung systematisch unterstützen kann.
Danke schön. - Als Nächstem erteile ich das Wort
Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen, danach
Dr. Karamba Diaby, SPD-Fraktion, und Stephan Albani,
CDU/CSU-Fraktion. Kollege Beck, bitte.
Frau Ministerin, wie viel Prozent der 11 000 Antragsteller - dies ist eine fulminante Zahl - waren denn
Flüchtlinge oder Geduldete? Was macht die Bundesregierung, damit auch Flüchtlinge und Geduldete von diesem Anerkennungsgesetz erfahren und davon Gebrauch
machen? Das ist ja vor allen Dingen im Hinblick auf die
von der Bundesregierung geplante Bleiberechtsregelung
nicht ganz ohne Belang.
Daten darüber, wie viele davon Flüchtlinge oder Geduldete waren, liegen uns nicht vor. Das wird auch nicht
abgefragt. Was die Informationen gerade für diese
Gruppe von Menschen anbetrifft, gilt das vorhin Gesagte. Die systematische Ausweitung der Informationen,
zum Beispiel beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, wo die Telefonhotline angesiedelt ist, halten wir
für den richtigen Weg. Aber wir haben im Moment keinen speziellen Plan, eine besondere Informationskampagne für diese Gruppe aufzulegen. Vielmehr haben wir
ein breit angelegtes Informationsangebot, das wir noch
ausbauen.
({0})
- Ich habe es jetzt akustisch nicht verstanden. Entschuldigung.
Ja, das ist auch verständlich, weil das Mikrofon nicht
angeschaltet ist.
({0})
Nein, nein! Ich habe Sie überhaupt nicht verstanden.
({0})
Ich schlage vor, wir machen das so: Herr Beck hat
sich nicht ganz an die Geschäftsordnung gehalten. Er erklärt es Ihnen hinterher noch einmal genau, und Sie gehen dem Sachverhalt nach, Frau Ministerin.
Ja. - Also, ein Schulterzucken nicht als Antwort, sondern weil ich Sie akustisch nicht verstanden habe.
Ein Versuch der mimischen Fragestellung. - Nächster
ist Dr. Karamba Diaby, SPD-Fraktion.
Vielen Dank. - Frau Ministerin, ich habe zwei Fragen. Die erste Frage bezieht sich auf das IQ Netzwerk;
Sie haben es mehrfach erwähnt. Im Rahmen des IQ
Netzwerks gab es eine Fachgruppe Migration. Menschen
mit Migrationshintergrund haben sich hier engagiert, um
einen Beitrag zur effektiven Umsetzung des BQFG zu
leisten. Wie bewerten Sie diesen Beitrag der Menschen
mit Migrationshintergrund in diesem Bereich?
Meine zweite Frage ist: Welche Möglichkeiten sieht
die Bundesregierung, Sozialpartner und Betriebe bei der
Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse zu unterstützen, um auch in diesem Bereich potenzielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen? Wenn wir
gemeinsam mehrere gesellschaftliche Kräfte bündeln,
haben wir mehr Erfolg; deshalb diese Frage.
Zu der ersten Frage. Die Mitarbeit derer, die den
Länderhintergrund kennen oder die spezielle Situation in
Deutschland erfahren haben, ist sehr wertvoll. Das ist in
die Überlegungen, das IQ-Förderprogramm finanziell
beträchtlich auszuweiten, mit eingeflossen. Jetzt weiß
man noch sehr viel mehr als anfangs: Welche sind die
richtigen Wege und Möglichkeiten? An dieser Stelle also
vielen Dank speziell für die Mitarbeit der Menschen mit
Migrationshintergrund in den entsprechenden Arbeitsgruppen!
Was die Sozialpartner anbetrifft, wird im Bericht
deutlich, dass die Betriebe davon noch viel zu wenig
wissen und es viel zu wenig nutzen. Deswegen brauchen
wir eine Sensibilisierung der Betriebe über die Kammern. Es gibt Einzelfälle, die zeigen - meine Mitarbeiter
haben mir das erzählt -: Wenn das geschehen ist, hat
man sehr gute Lösungen gefunden, Menschen gut vermittelt, ihre Lebensleistung anerkannt und auch den entsprechenden Betrieben geholfen.
Da wir der Meinung sind, dass auch die Personalräte
bzw. die Betriebsräte ganz wichtig sind, haben wir ein
Projekt mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund auf den
Weg gebracht, bei dem es darum geht, diesen Personen
Informationen zu geben und sie für dieses Thema zu sensibilisieren, sodass sie ihre Kenntnisse in das betriebliche Geschehen einbringen können. Ende April dieses
Jahres werden wir eine große Fachtagung durchführen.
Alle, die in diesem Bereich zu tun haben und an diesem
Thema interessiert sind, werden dort vertreten sein, natürlich auch die Sozialpartner und die Arbeitgeber. In
diesem Rahmen werden wir detaillierter besprechen,
was gut läuft und was verändert werden sollte, und es
werden Best-Practice-Beispiele vorgestellt.
Danke schön. - Als Nächstem erteile ich Stephan
Albani, CDU/CSU-Fraktion, das Wort, danach Frau Kollegin Corinna Rüffer, Bündnis 90/Die Grünen.
Herzlichen Dank. - Frau Ministerin, was tut die Bundesregierung jenseits des Anerkennungsgesetzes, um die
Anerkennung ausländischer Fachkräfte in Deutschland
zu erleichtern und sie bei der Antragstellung zu unterstützen und zu begleiten?
Ich würde gern noch einmal auf das schon Genannte
hinweisen. Die OECD bescheinigt Deutschland im allgemeinen Sinne ein im Vergleich zu anderen Industriestaaten sehr liberales Zuwanderungsrecht. Rechtlich ist
das alles zwar sehr gut angelaufen, aber wir sind trotzdem der Meinung: Die Willkommenskultur sollte noch
ausgebaut werden. Deswegen gibt es in den entsprechenden Ländern Bemühungen, die Anlauf- und Beratungsstellen und die Begrüßungsstellen, die dort vorhanden
sind, noch sehr viel stärker zu unterstützen. Das Image,
das Deutschland viele Jahre hatte - dass wir an Zuwanderung nicht so interessiert sind -, können wir natürlich
nur gesamtgesellschaftlich verändern.
Darüber hinaus gibt es die Bluecard für Hochqualifizierte, und es werden Informations- und Werbemaßnahmen im Ausland durchgeführt. Das geschieht nicht nur
über das Anerkennungsportal, sondern auch im Rahmen
von Messen und auf vielfältigen anderen Wegen. Wir haben die Berufsbildungszusammenarbeit durch das Interesse an der dualen Ausbildung. Darüber wollen wir in
verstärktem Maße Menschen gewinnen, gerade junge
Menschen. Zu denken ist etwa an das EU-Programm
oder an das Programm, mit dem die Mobilität von jungen Auszubildenden gefördert wird. Das alles sind Maßnahmen, die zu dem Anerkennungsgesetz und dem, was
sich darum rankt, dazukommen.
Insgesamt muss man hier vor allen Dingen ein anderes Image gewinnen. Das dauert ein bisschen.
Als Letzter in der Runde erteile ich Kollegin Frau
Corinna Rüffer, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Vielen Dank. - Ich nutze die Gelegenheit, die Frage
von Volker Beck noch einmal aufzugreifen, die Sie, Frau
Wanka, leider nicht gehört haben, weil das Mikro abgestellt war. Ich finde, diese Frage hat eine hohe Berechtigung.
Es geht noch einmal um die Gruppe der Geduldeten
und/oder Asylbegehrenden. Diese Personen sind vielfach, gerade in den ersten Monaten, in Sammelunterkünften, sogenannten Landeseinrichtungen, untergebracht. Da ist die Frage: Ist es tatsächlich lebensnah,
anzunehmen, dass Personen dieser Gruppe, die zum Teil,
und zwar zu einem nicht geringen Teil, sehr qualifiziert
sind, Kenntnis davon haben können, dass es eine solche
Hotline gibt? Haben sie wirklich die Möglichkeit, an
diese Information zu kommen? Wäre es nicht sinnvoll,
da noch ein bisschen nachzuhelfen?
Das Letzte kann ich bejahen. Es ist immer sinnvoll,
noch etwas zu verstärken. Insgesamt ist dieser Beratungsprozess ein sehr komplexer, und der Ansatz, die
Vergleichbarkeitseinschätzung zentral, aber Sonstiges
individuell vor Ort zu regeln, ist der richtige.
Wenn Sie jetzt speziell an diese Gruppe von Menschen denken: Es gibt in den einschlägigen Stellen ein
großes Arsenal an entsprechenden Flyern in unterschied1954
lichen Landessprachen, in denen darauf aufmerksam
gemacht wird, was in Deutschland möglich ist. Im Zusammenhang mit dem Thema „Sensibilisierung der Arbeitgeber und der Betriebsräte“ müssen wir vielleicht
noch einmal stärker darüber nachdenken: Über welche
Kanäle können wir die Ansprechpartner für diese Menschen in noch stärkerem Maße dafür gewinnen, entsprechend zu informieren? Das nehmen wir gern mit. Das
kann man sicher noch besser machen. Aber es ist schon
mit bedacht.
Schönen Dank.
Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Das ist nicht der Fall.
Gibt es jetzt sonstige Fragen an die Bundesregierung? Das ist auch nicht der Fall. Dann schließen wir die Regierungsbefragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksache 18/947
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Frage 1 der Abgeordneten Veronika
Bellmann wird schriftlich beantwortet.
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Zur Beantwortung steht
der Staatssekretär Enak Ferlemann bereit.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Herbert
Behrens, Fraktion Die Linke, auf:
Welchen Stellenwert misst die Bundesregierung dem am
26. März 2014 vorgestellten Gutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen ({0}) „Fluglärm reduzieren: Reformbedarf bei der Planung von Flughäfen und Flugrouten“ bei der
Erarbeitung ihres im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU
und SPD angekündigten Luftverkehrskonzeptes bei, und wie
wird der SRU konkret in diesen Arbeitsprozess eingebunden?
Herr Staatssekretär, bitte.
Sehr geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich beantworte die Frage wie folgt: Die
Bundesregierung wird die umfangreichen Vorschläge
des sogenannten Gutachtens des Sachverständigenrates
sorgfältig prüfen. Dies gilt auch für die geforderte verbesserte Transparenz und die Beteiligung der Kommunen und der Öffentlichkeit bei der Festlegung von Flugrouten. Insofern werden die Handlungsempfehlungen in
die Ausarbeitung eines Luftverkehrskonzepts mit einfließen.
Haben Sie dazu eine Nachfrage, Herr Kollege? Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
Sie haben gesagt, Sie würden auf jeden Fall diese Handlungsempfehlungen des Sondergutachtens aufnehmen.
Sie haben also noch keine Teilbereiche aus diesem Gutachten identifiziert, die Ihnen dabei helfen, das Luftverkehrskonzept in der Frage der Fluglärmreduzierung zu
qualifizieren. Ist es ein Gutachten unter mehreren, oder
ist es das Gutachten, das Sie heranziehen werden?
Herr Kollege, ich beantworte das gerne. Es ist ein
Gutachten unter mehreren. Ein Luftverkehrskonzept besteht aus vielen Bestandteilen. Dieses Gutachten gibt für
einige Bestandteile eine Anregung. Es ist ein Gutachten,
das vor allem sehr juristische Empfehlungen enthält. Insofern werden wir es in die Erstellung des Luftverkehrskonzepts einbauen. Aber es wird nicht die einzige
Grundlage sein.
Herzlichen Dank. - Haben Sie noch eine Frage, Herr
Kollege?
Ja, ich habe noch eine zweite Frage dazu. - In dem
Gutachten wird darauf hingewiesen, dass es bezüglich
der Normierung von Fluglärm dazu kommen muss, dass
es verlässliche Werte gibt, die bereits in der Planfeststellung berücksichtigt werden sollen. Ist das ein Punkt, den
Sie bei der Entwicklung eines Luftverkehrskonzeptes
auf jeden Fall aufnehmen werden?
Herr Kollege, ob wir das in das Luftverkehrskonzept
so aufnehmen werden, kann ich derzeit noch nicht beurteilen. Auf jeden Fall werden wir die Anregung mitbedenken.
Schönen Dank. - Als Nächstes eine Frage des Kollegen Petzold, Fraktion Die Linke. Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich würde gerne wissen, in welchem Zeitrahmen Sie die entsprechenden
konzeptionellen Überlegungen vorlegen werden.
Dazu kann ich noch keine konkrete Angabe machen,
weil wir eine Fülle von Themen haben. Auch die Bundesländer reichen uns eine große Anzahl an Anregungen
ein. Die Bundesländer müssen ja gerade beim Thema
„Luftverkehrskonzept im Hinblick auf Flughäfen“ in hohem Maße beteiligt werden. Das, was geregelt werden
muss, fällt größtenteils in die Kompetenz der Bundesländer. Insofern kann ich noch nicht abschließend sagen,
wann wir dieses Konzept vorlegen werden.
Schönen Dank. - Die Fragen 3 und 4 des Abgeordneten Stephan Kühn werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Die Frage 5 der Abgeordneten Britta Haßelmann
und die Frage 6 des Abgeordneten Oliver Krischer werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Frage 7
der Abgeordneten Veronika Bellmann wird schriftlich
beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung. Die Frage 8 der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Iris
Gleicke bereit.
Die Frage 9 des Abgeordneten Dr. André Hahn und
die Frage 10 der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe Frage 11 des Abgeordneten Dr. Thomas
Gambke, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Inwieweit teilt die Bundesregierung öffentlich erhobene
Forderungen ({0}) nach
mehr deutschen Fracking-Pilotprojekten, und inwiefern zieht
die Bundesregierung in Betracht, das Verfahren zur Regulierung der Fracking-Technologie in Anbetracht der weiterhin
erfolgenden Vergabe von Lizenzen, zum Beispiel in der Oberpfalz, zu beschleunigen?
Schönen Dank, Herr Präsident. - Lieber Kollege
Gambke, nach den Ergebnissen verschiedener Gutachten
und Studien ist die Aufsuchung und Gewinnung von
Erdgas aus unkonventionellen Quellen, insbesondere aus
Schiefergas und Kohleflözgas, an Lagerstätten mithilfe
von Verfahren zur hydraulischen Stimulierung des Gesteins, Fracking, mit erheblichen Risiken, insbesondere
für das Grundwasser und damit auch für die Trinkwassergewinnung, verbunden.
Wie in der Koalitionsvereinbarung festgehalten, sollen zur Verbesserung des Trinkwasserschutzes sowie zur
Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Transparenz das Wasserhaushaltsgesetz sowie die Verordnung
über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher
Vorhaben, UVP-V Bergbau, geändert werden.
Erst wenn diese verbesserten rechtlichen Grundlagen
geschaffen wurden und zweifelsfrei geklärt ist, dass eine
nachteilige Veränderung der Wasserbeschaffenheit nicht
zu befürchten ist, kann über mögliche weitere Schritte
gemeinsam mit den Ländern entschieden werden. Dies
soll, so der Wortlaut der Koalitionsvereinbarung, in einem transparenten Prozess im Dialog mit allen Beteiligten und mit Begleitung von wissenschaftlicher Expertise
erfolgen.
Eine Nachfrage, Herr Kollege.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin, für Ihre Erläuterungen. Nun muss man
das aber im Lichte der jüngsten Äußerungen aus der Union
bewerten. Ich möchte Sie explizit bitten, die Äußerung zu
kommentieren, die Herr Fuchs, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, und der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, also zwei Persönlichkeiten, die sich
mit diesem Thema intensiv befassen, gemacht haben. Sie
deuten an, dass eine Änderung der Haltung der Bundesregierung bevorstehen könnte. Dies erscheint auch aufgrund der Aussage der Kanzlerin möglich, vermehrt
Energie aus Nordamerika, die durch Fracking gewonnen
wird, zu importieren. Insofern meine Nachfrage: Halten
Sie die Äußerungen vonseiten der Union für gegenstandslos?
Wir haben einen Koalitionsvertrag. Wir haben die
Maßnahmen verabredet, die ich Ihnen gerade erläutert
habe, und wir halten den Koalitionsvertrag ein.
Herr Kollege, Sie haben das Wort zu einer zweiten
Nachfrage. Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Es ist in der Tat so,
wie Sie es beschrieben haben: Das Ganze ist von der
Umweltministerin praktisch als ein Moratorium beschrieben worden. Dennoch gab es Meldungen - Sie
wissen möglicherweise, dass ich bayerischer Abgeordneter bin -, die die Vermutung nahelegen, dass sehr
kurzfristig Pilotprojekte in Gang gesetzt werden. Angesichts des von Ihnen beschriebenen, erst einmal relativ
umfänglichen Weges - ihn zu beschreiten, dürfte ein bis
zwei Jahre dauern - möchte ich fragen: Teilen Sie die
Auffassung, dass Pilotprojekte für die nächsten zwei
Jahre auszuschließen sind?
Kollege Gambke, im Koalitionsvertrag steht, dass wir
die verbesserten Bedingungen, was den Schutz des
Trinkwassers und die UVP angeht, unverzüglich umsetzen wollen. Das heißt, es kann nicht von Jahren die Rede
sein. Wir streben den Sommer dieses Jahres an. Sie wissen, dass unser Haus gerade mit der EEG-Novelle und
anderem heftig belastet ist. Was unseren Anteil an der
UVP angeht, streben wir dennoch eine schnelle Lösung
an. Wir sind mit dem Bundesumweltministerium natürlich in Kontakt, was das Wasserhaushaltsgesetz angeht.
Insofern werden wir zügig arbeiten.
Das Problem ist - das sprachen Sie indirekt an - die
Lizenzvergabe. Sie fällt unter das Länderrecht: Die Länder können Lizenzen vergeben. Aber aus dieser Lizenzvergabe entsteht noch nicht das Recht für eine Betriebserlaubnis; das will ich noch einmal ausdrücklich sagen.
Sie wissen, dass zum Beispiel die Länder Niedersachsen
und Hessen ein klares Moratorium beschlossen haben.
Wir werden jedenfalls zügig unsere Arbeit erledigen.
Eine Frage der Kollegin Kerstin Kassner, Fraktion
Die Linke. Bitte.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Gleicke, ist es
nicht so, dass die gegenwärtig laufenden Veränderungen
der Umweltverträglichkeitsprüfung hinsichtlich des
Bergrechts sozusagen Anlass dafür sind, die Möglichkeit
des Frackings auch vorzubereiten, und können Sie sich
vorstellen, dass das bei den Betroffenen gerade in touristischen Regionen sehr große Verunsicherung auslöst?
Über Fracking wird schon seit vielen Jahren diskutiert. Wir kennen die Hinweise darauf, dass die eingebrachten Chemikalien unter Umständen das Trinkwasser
gefährden können, und wissen, dass Fracking in touristischen Regionen nicht gerade Beifallsstürme auslöst. Das
wissen wir beide, weil wir auch im Tourismusausschuss
miteinander arbeiten. Insofern nehme ich, nimmt die
Bundesregierung die Bedenken sehr ernst. Wir bleiben
aber dabei, dass das, was wir im Koalitionsvertrag miteinander vereinbart haben - diese beiden Gesetzesänderungen zur Verbesserung der Situation der Betroffenen,
was Anhörungsverfahren usw. angeht -, abgearbeitet
werden muss. Dann haben wir eine gute Rechtsgrundlage.
Danke schön.
Dann kommen wir zu den Fragen des Kollegen
Andreas Mattfeldt, CDU/CSU-Fraktion, zunächst zu
Frage 14:
Hält die Bundesregierung vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Lage im Verhältnis zu Russland den geplanten
Verkauf der RWE Dea AG an die Investmentgesellschaft Letter One - hinter der der russische Oligarch Michail Fridman
steht; vergleiche Handelsblatt vom 16. März 2014: „RWE
gibt Dea-Zuschlag an russischen Oligarchen“ - mit den verhängten und eventuell noch zu erwartenden weiteren Sanktionen bzw. den deutschen Interessen ({0}) für vereinbar?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Schönen Dank. - Herr Präsident, lieber Kollege
Mattfeldt, ich würde beide Fragen, weil sie im Zusammenhang stehen, gerne gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich noch die Frage 15 des Kollegen
Andreas Mattfeldt auf:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung
hieraus, bzw. welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, zu handeln?
Die Bundesrepublik Deutschland ist offen für Investitionen aus dem Ausland, auch im Energiebereich. Die
Versorgungssicherheit in Deutschland wird durch den
geplanten Verkauf nicht gefährdet, da RWE Dea ein global, auf dem Weltmarkt agierendes Unternehmen ist.
Auch steht nicht zu befürchten, dass die deutsche Förderung durch den Verkauf beeinträchtigt wird. Da durch
das Erwerbsvorhaben die Versorgungssicherheit in
Deutschland nicht tangiert wird, kann in dieser Hinsicht
auch keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und
Sicherheit im Sinne des Außenwirtschaftsgesetzes angenommen werden.
Im Übrigen ermöglicht das Außenwirtschaftsgesetz
die sektorenübergreifende Prüfung ausländischer Investoren nur, soweit es sich um Erwerber handelt, die nicht
in der EU ansässig sind. Treten als Erwerber unionsansässige Gesellschaften auf, kann eine Prüfung nur stattfinden, wenn das Geschäft als Umgehungsgeschäft anzusehen ist. Ob ein solches Umgehungsgeschäft beim
Erwerb von RWE Dea vorliegt, kann erst beurteilt werden, wenn vertraglich feststeht, welche juristische Person letztendlich als Erwerber auftreten wird.
Die von der EU vor dem Hintergrund der UkraineKrise bislang beschlossenen Sanktionsmaßnahmen stehen einem eventuellen Verkauf nicht entgegen.
Zusatzfrage? - Kollege Mattfeldt.
Herzlichen Dank. - Frau Staatssekretärin, Sie können
sich vorstellen, dass sich in der Region, aus der ich
komme, wo bislang die RWE Dea Konzessionär des Gebietes war, in der Bevölkerung, ich sage jetzt mal, eine
gewisse Angst breitmacht. Wir haben eben über den Bereich Fracking gesprochen. Die Erdgasförderung geht
aber in vielen Bereichen, liebe Kollegen von den Grünen, sehr viel weiter.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, ich habe schon ein
wenig meine Probleme damit, wenn wir Sanktionen gegen Russland auch in den Medien immer wieder handfest verbal äußern, aber dann, wenn es um Detailfragen
geht, wo Handeln gefragt ist, das Handeln doch ein wenig anders aussieht bzw. es keine Sanktionen gibt. Deshalb meine Frage: Ist Ihnen bekannt, welche Mengen an
Gas die RWE Dea sich weltweit gesichert hat, nicht nur
in Deutschland, sondern auch in Nordafrika, in Libyen
und in Ägypten?
Herr Mattfeldt, die genauen Zahlen kann ich Ihnen
jetzt so nicht nennen. Ich würde sie Ihnen gerne, so wir
die im Haus zur Verfügung haben, zukommen lassen.
Ich möchte aber noch einmal auf den Bereich Sanktionen zurückkommen. Sie wissen, dass die Sanktionen,
die in der EU beschlossen worden sind, sehr vorsichtige
Sanktionen sind. Es handelt sich nicht um Wirtschaftssanktionen; die sind ja die dritte Stufe, die erst dann diskutiert wird, wenn Russland zur weiteren Destabilisierung der Ukraine - zum Beispiel im Süden und im Osten
der Ukraine mit vornehmlich russisch sprechender Bevölkerungsmehrheit - beiträgt. Wir raten hier allerdings
auch zu großer Vorsicht und Sorgfalt.
Demzufolge will ich noch einmal deutlich machen,
dass die Sanktionen, die jetzt beschlossen wurden, ganz
gezielt gegen Leute gerichtet sind, die persönlich Verantwortung für die Abspaltung der Krim haben. Zu diesen
Leuten gehört der Investor, der hinter dieser Gesellschaft
steht, nicht.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage? - Bitte schön, Kollege Mattfeldt.
Ich habe noch eine Zusatzfrage, weil es viele Teile der
Bevölkerung nicht verstehen, dass wir in diesen Tagen
über den Ersatz von russischem Gas sprechen, während
es gleichzeitig noch einen weiteren Fall eines Tauschgeschäftes gibt, nämlich die Übernahme des größten Erdgasspeichers in Deutschland durch die Firma Gazprom.
Es ist der Bevölkerung nur schwerlich zu erklären, warum wir verbal Ersatz für russisches Gas suchen, gleichzeitig aber dem zweitreichsten russischen Mann, dem
Oligarchen Fridman, unsere Energiespeicher verkaufen.
Deshalb lautet meine Frage ganz konkret: Wie viele
Erdgasspeicher sind derzeit betroffen, und wie lange
- vielleicht können Sie die Antwort auch schriftlich
nachreichen - könnte mit diesen Erdgasspeichern eine
Versorgungssicherheit in Deutschland gewährleistet
werden?
Herr Kollege Mattfeldt, ich will noch einmal darauf
hinweisen: Bei dem Verkauf der RWE Dea handelt es
sich um den Verkauf eines Unternehmens, das Erdgas
fördert.
({0})
Die Letter-One-Gruppe, um die es hier geht, ist ein
luxemburgisches Unternehmen. Sie gehört Herrn
Fridman, aber Herr Fridman steht nicht auf der Liste der
von Sanktionen Betroffenen. Das Außenwirtschaftsgesetz gibt uns keine Handhabe, dieses in Europa ansässige
Unternehmen Letter One zu überprüfen.
Zum Asset-Tausch und zu den Gasspeichern will ich
noch einmal deutlich sagen, dass es sich hierbei um ein
Joint Venture handelt. Daran ist Gazprom Germania,
also auch ein in Europa ansässiges Unternehmen, beteiligt, und insofern gibt uns das Außenwirtschaftsrecht
auch dort keine Handhabe, Investitionen zu versagen.
Das wäre nur möglich, wenn die öffentliche Ordnung
und Sicherheit gefährdet wären.
Da diese Gasspeicher deutschem Recht unterliegen
und diskriminierungsfrei zugänglich sein müssen - die
Speicherunternehmen stellen zwar die Speicher zur Verfügung, befüllt werden diese aber über Handelsgesellschaften -, sehen wir an dieser Stelle keine Gefahr hinsichtlich der Versorgungssicherheit.
Schönen Dank.
Damit verlassen wir den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie und kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Zur
Beantwortung steht Staatsminister Michael Roth bereit.
Ich rufe die Frage 16 der Kollegin Inge Höger, Fraktion Die Linke, auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung angesichts der Verurteilung von 529 Menschen zum Tode in einem einzigen Gerichtsprozess am 24. März 2014 die Rechtsstaatlichkeit Ägyptens, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung
hinsichtlich ihrer Beziehungen zum ägyptischen Staat?
Bitte, Herr Staatsminister.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Höger,
die Bundesregierung ist angesichts der Nachrichten über
die Todesurteile gegen Hunderte von Muslimbrüdern
bzw. Anhängern der Muslimbruderschaft in der Arabischen Republik Ägypten außerordentlich beunruhigt.
Sowohl die Urteile selbst als auch die Verfahren widersprechen nach dem Verständnis der Bundesregierung internationalen rechtsstaatlichen Standards und menschenrechtlichen Grundsätzen, zu denen sich auch Ägypten
verpflichtet hat. Diese Urteile sind zudem dazu geeignet,
Ägypten in einer an sich schon schwierigen Phase, in der
ein inklusiver politischer Prozess und eine Politik der nationalen Verständigung und der Versöhnung notwendig
wären, weiter zu destabilisieren.
Im Übrigen ist die Bundesregierung der Auffassung:
Die Todesstrafe ist eine unmenschliche Form der Bestrafung. Wir lehnen sie ausdrücklich ab, und wir haben die
ägyptischen Instanzen aufgefordert, das Urteil aufzuheben, den Angeklagten faire Verfahren zu ermöglichen
und weitere Massenverfahren auszusetzen. Hierzu
wurde der ägyptische Botschafter am 26. März 2014 zu
einem ausführlichen Gespräch ins Auswärtige Amt gebeten.
Die Bundesregierung weiß sich in ihrer Position im
Einklang mit den europäischen Partnern und auch mit
den Vereinten Nationen.
Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Herr Staatsminister Roth, gibt es vonseiten der Bundesregierung Konsequenzen, zum Beispiel in Sachen Sicherheitskooperation, der Zusammenarbeit bei der Polizei, mit dem Militär und mit dem Geheimdienst, um die
ägyptische Regierung zu veranlassen, die Todesstrafen
auszusetzen und in Zukunft keine mehr zu verhängen?
Frau Kollegin Höger, die Zusammenarbeit mit Ägypten im gesamten Sicherheitsbereich inklusive der Polizei
ist bereits seit August 2013 vor dem Hintergrund der innenpolitischen Lage, die wir genauso wie Sie kritisch
bewerten, ausgesetzt. Darüber hinaus achtet die Bundesregierung selbstverständlich die Schlussfolgerungen des
Rats für auswärtige Beziehungen.
Wir haben dazu seitens der Europäischen Union am
21. August 2013 eindeutig reagiert und entsprechende
Maßnahmen beschlossen. Diese setzen wir als Bundesregierung konsequent um. Das heißt, es gibt seitdem
keine Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter sowie
genehmigungspflichtige Dual-Use-Güter, die zum Zwecke der internen Repression verwendet werden könnten.
Darüber hinaus werden solche Güter nicht von Deutschland aus in Richtung Ägypten zollamtlich abgefertigt. Es
gibt auch keinerlei Zusammenarbeit mehr im Bereich
der Terrorismusbekämpfung. Der einzige Bereich, in
dem wir noch Kontakte haben, ist der des nachrichtendienstlichen Informationsaustausches.
Ich will noch kurz darauf hinweisen, dass wir im Bereich der militärischen Ausbildungshilfe für dieses Jahr
13 Projekte geplant hatten. Es geht hier um die Sprachenfertigkeit. Zwei wurden abgebrochen, vier Maßnahmen wurden beendet, und sieben Maßnahmen stehen
noch aus.
Noch eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Höger?
Unterstützt die Bundesregierung die Forderung von
Amnesty International nach einem Moratorium für
Ägypten?
Es wäre zu fragen, um welche Art des Moratoriums es
sich handelt. Ich habe ja schon darauf hingewiesen, dass
es im Bereich der gesamten Sicherheit keinerlei Kooperation mehr gibt. Ich gehe nicht davon aus, dass sich das
auch auf die entwicklungspolitische Kooperation, die
politische oder die rechtsstaatliche Kooperation bezieht.
Schönen Dank.
Die Frage 17 der Abgeordneten Inge Höger wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 18 der Abgeordneten Annette
Groth, Fraktion Die Linke, auf:
Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um dem seit über 500 Tagen per Ausreisesperre in
Bahrain festgehaltenen deutschen Staatsbürger J. Z. konsularisch beizustehen?
Herr Staatsminister.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Groth,
der deutsche Staatsangehörige wird seit September 2012
von der deutschen Botschaft in Manama konsularisch
betreut. Der Bürger beantragte, da er im Zuge der
Ausreisesperre über keinerlei eigene Einkünfte mehr
verfügte, zunächst Auslandssozialhilfe. Diese wurde
durch den zuständigen Sozialhilfeträger in HamburgWandsbek im September 2012 zugesagt. Wir haben das
über unsere Botschaft ausgezahlt. Im Februar dieses Jahres teilte der Bürger uns bzw. dem Sozialhilfeträger, aber
auch der deutschen Botschaft mit, dass er aufgrund einer
neuen beruflichen Tätigkeit im Königreich Bahrain
keine weiteren Sozialhilfezahlungen mehr benötige.
Wir haben uns über unsere Botschaft wiederholt mit
dem Verfahren vertraut gemacht. Wir haben uns mit dem
bestellten amtlichen Rechtsbeistand ausgetauscht, um
die Möglichkeiten einer möglichst raschen Entscheidung
und Aufhebung der Ausreisesperre zu klären. Die Bundesregierung hat sich auch in politischen Gesprächen für
die Aufhebung der Ausreisesperre eingesetzt. Im September 2013 fand dazu im Auswärtigen Amt ein Gespräch mit dem Botschafter von Bahrain zur Lage des
Bürgers statt.
Die deutsche Botschafterin und der Beauftragte des
Auswärtigen Amts für Nah- und Mittelost und Maghreb
haben sich in zahlreichen bilateralen Gesprächen gegenüber hochrangigen bahrainischen Regierungsmitgliedern
für eine baldige und umfassende Lösung eingesetzt.
Danke schön. - Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin
Groth? - Bitte.
Das ist ein ganz komplizierter und merkwürdiger Fall,
ehrlich gesagt. Vielleicht können Sie mir Folgendes erklären, was ich nicht verstehe: Mir liegen Informationen
vor, dass die deutsche Botschaft dem Bürger die nach
dem Konsulargesetz mögliche Rechtshilfe nicht erteilt
hat. Er kann das Land Bahrain immer noch nicht verlassen. Wieso dauert das so lange? Was ist der Grund dafür?
Das waren zwei Fragen in einer. Ich will sie Ihnen
kurz beantworten. In Bahrain gibt es - wie im Übrigen
auch in anderen Staaten der Golfregion - das Instrument
des Travel Ban. Das ist eine ganz gängige Praxis in gerichtlichen Streitverfahren aller Art, in die Ausländer
einbezogen sind. Das heißt, es werden für die Dauer des
jeweiligen Verfahrens Ausreisesperren zur Sicherung
möglicher Ansprüche vollzogen.
Ihre zweite Frage war: Wie steht es um die Konsularhilfe? Dem Bürger wurde in dem von ihm angestrengten
Eilverfahren gegen die Ausreisesperre ein Rechtsbeistand zur Seite gestellt. Die Kosten für diesen Rechtsbeistand wurden vom bahrainischen Staat übernommen.
Wir haben selbstverständlich den Antrag auf Konsularhilfe geprüft. Aber die Voraussetzungen zur Kostenübernahme für die Bestellung des amtlichen Rechtsbeistandes waren nicht gegeben, weil die Kosten vom Staat
Bahrain übernommen worden sind.
Sie haben noch eine zweite Zusatzfrage. Bitte.
Ich habe noch eine Frage zu den Kosten. Bahrain hat
in der Tat die Prozesskosten für das Eilverfahren gegen
den Travel Ban übernommen, aber nicht für das Hauptverfahren, in dem es um den Streit zwischen den beiden
Firmen geht. Deswegen darf er nämlich nicht ausreisen.
Insofern habe ich mich gefragt, was dahintersteckt.
Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. So bedauerlich das aus Ihrer Sicht und aus der Sicht der Bundesregierung ist: Dieser Fall des deutschen Bürgers ist in
Bahrain zwar ein Einzelfall, auch was die Dauer angeht,
aber es ist eine nicht nur in Bahrain übliche Praxis in den
Golfstaaten, die unserem Rechtsverständnis nicht entspricht.
Wir kommen zu der damit im Zusammenhang stehenden Frage 19 der Kollegin Annette Groth:
Was hat die Bundesregierung in Sachen Ausreisesperren
auf Ebene der Europäischen Union unternommen?
Herr Staatsminister, bitte.
Ich habe eben bereits darauf hingewiesen, dass der
Bürger seit September 2012 von unserer Botschaft in
Manama konsularisch betreut wird. Das ist der erste
Punkt.
Der zweite Punkt: Das Thema Ausreisesperren wird
derzeit auf Ebene der Europäischen Union nicht verfolgt.
Warum wird das auf EU-Ebene nicht weiter verfolgt?
Mich interessiert, wie viele Bürgerinnen und Bürger der
EU-Mitgliedstaaten davon betroffen sind. Mir ist zum
Beispiel noch der Fall einer deutschen Journalistin bekannt, die zwei Jahre lang nicht aus Katar ausreisen
durfte.
Es ist in der Tat eine sehr schwierige und, für mich jedenfalls, nicht nachvollziehbare Regelung, die Katar,
Bahrain und andere arabische Staaten verabschiedet haben. Ich denke, es ist im Interesse von uns allen, in diesem Zusammenhang etwas Licht ins Dunkel zu bringen,
wenn ich das so sagen darf.
Frau Kollegin Groth, ich kann Ihnen nur etwas zu den
Fällen deutscher Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in
Bahrain sagen, und dieser Fall ist in Bahrain ein Einzelfall. Sie können sich sicher sein, dass sich die Bundesregierung in dem von Ihnen genannten Fall durch eine
Vielzahl politischer Kontakte mit der bahrainischen Regierung dafür einsetzt, dass es zu einem möglichst raschen Verfahrensabschluss kommt, um den Eingriff in
das Recht des Betroffenen auf Freizügigkeit unverzüglich zu beenden.
Ich habe aber eben auch von einer Journalistin gesprochen, die in Katar festgehalten wurde. Es mag sein,
dass der Betroffene in Bahrain ein Einzelfall ist. Das
weiß ich nicht genau. Aber es scheinen durchaus mehrere Bürgerinnen und Bürger von Travel Bans in diesen
Ländern betroffen zu sein.
Ich hatte Ihnen schon geschildert, dass dies ein übliches Verfahren in den Golfanrainerstaaten ist. In der
Vorbereitung auf Ihre Fragen habe ich mich ausschließlich mit dem Fall Bahrain beschäftigt. Dort ist dies
glücklicherweise ein Einzelfall. Wenn Sie weitere Fragen zu anderen Staaten haben, steht es Ihnen frei, die
Bundesregierung noch einmal zu fragen.
Okay, danke schön.
Schönen Dank.
Damit kommen wir zur Frage 20 der Kollegin
Marieluise Beck von den Grünen:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem
Vertragsbruch des Budapester Memorandums durch Annexion der Krim durch die Russische Förderation, und was bedeutet nach Ansicht der Bundesregierung der Bruch dieses
Vertrags für die zukünftige atomare Abrüstungspolitik?
Herr Staatsminister, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Die Bundesregierung
hat keinerlei Zweifel daran gelassen, dass das Vorgehen
Russlands auf der Krim völkerrechtswidrig und politisch
inakzeptabel ist. Die Europäische Union hat in dieser Situation geschlossen, deutlich und rasch reagiert. Die
Bundesregierung hat sich zugleich gemeinsam mit ihren
Partnern in den letzten Wochen beharrlich um eine politische Lösung bemüht. Sie können sich darauf verlassen:
Das werden wir auch weiter tun.
Russland missachtet seine Verpflichtungen sowohl
aus dem allgemeinen Völkerrecht als auch aus dem 1994
am Rande des Gipfels der Organisation für Sicherheit
und Zusammenarbeit in Europa von den Vereinigten
Staaten von Amerika, dem Vereinigten Königreich von
Großbritannien und Nordirland und der Russischen Föderation unterzeichneten sogenannten Budapester Memorandum. Das russische Vorgehen schwächt auch den
Nichtverbreitungsvertrag. Sowohl die Bundeskanzlerin
als auch andere Vertreter der Bundesregierung haben
dies beim Gipfel für Nukleare Sicherheit am 24./
25. März in Den Haag sehr deutlich angesprochen.
Künftig - das ist unsere Sorge - könnten aus Sicht der
Bundesregierung Nichtkernwaffenstaaten somit begründeten Anlass haben, derartigen Erklärungen Russlands
zu misstrauen. Dies könnte Rückwirkungen auch auf unsere Bemühungen haben, zu konkreten Abrüstungsfortschritten zu kommen.
Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Herr Staatsminister, nun ist Russland, das den von
ihm selbst unterzeichneten Vertrag nicht achtet, auch
Partner in den Verhandlungen mit dem Iran, in denen es
darum geht, die Nachbarländer und die Staatengemeinschaft davor zu bewahren, dass es dem Iran gelingt, eine
atomare Bombe zu erlangen. Wie kann ein Partner, der
so offensichtlich vertragsbrüchig geworden ist, ein hilfreicher Partner in diesen Verhandlungen sein?
In der Vergangenheit hat Russland sowohl bezogen
auf Syrien und die dortige Vernichtung der Chemiewaffen als auch bezogen auf die massiven Probleme im Iran
eine konstruktive und verantwortungsvolle Rolle gespielt. Wir erwarten auch zukünftig, dass Russland einen
Beitrag im Iran zu leisten versucht. Nichtsdestotrotz ist
das natürlich ein Vertrauensbruch und erleichtert die
Verhandlungen mit dem Iran sicherlich nicht.
Herzlichen Dank. - Die Fragen 21 und 22 des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele und die Fragen 23 und 24
der Abgeordneten Christine Buchholz werden schriftlich
beantwortet.
Wir kommen zur Frage 25 der Abgeordneten Sevim
Dağdelen, Fraktion Die Linke:
Welche Kenntnisse liegen der Bundesregierung über eine
auf YouTube online gestellte Audioaufnahme vor, bei der der
Außenminister Ahmet Davutoglu, Geheimdienstchef Hakan
Fidan, Unterstaatssekretär Feridun Hadi Sinirlioglu und Vizearmeechef Yasar Güler über einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Syrien und einen notfalls zu schaffenden
rechtfertigenden Grund für den Angriffskrieg beraten, wie
beispielsweise einen selbst vorgetäuschten Raketenbeschuss
({0}), und welche Konsequenzen zieht
die Bundesregierung vor dem Hintergrund der möglichen Vorbereitung eines Angriffskrieges aus völkerrechtlicher Sicht
auch für den Bundeswehreinsatz in der Türkei im Rahmen der
Patriot-Stationierung?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Die Bundesregierung
kann die Vollständigkeit, aber auch die Authentizität der
im Internet eingestellten Audioaufnahmen nicht einschätzen. Wir nehmen grundsätzlich zu offensichtlich illegal beschafften Aufnahmen nicht Stellung.
Haben Sie zu dieser Antwort noch eine Zusatzfrage,
Frau Kollegin?
Herr Staatsminister, das ist vor dem Hintergrund, dass
die türkische Regierung selbst schon Teile dieses Videos
bestätigt hat, auch wenn es illegal erworben wurde, bemerkenswert. Vor dem Hintergrund, dass sich deutsche
Bundeswehrsoldaten im Rahmen der Stationierung von
Patriot-Abwehrraketensystemen an der türkisch-syrischen
Grenze befinden, ist es auch bemerkenswert, dass die
deutsche Bundesregierung keine Stellung beziehen
möchte und sich hinter der Aussage versteckt, sie könne
die Authentizität nicht feststellen.
Deshalb meine Frage: Stimmen Sie mir zu, dass jemand, der die Vorbereitung für die Entfesselung eines
Angriffskrieges mit Vorwänden wie die für den TonkinZwischenfall 1964 oder das Racak-Massaker 1999 betreibt, vor den Strafgerichtshof gehört? Wird die Bundesregierung daher eine audioforensische Untersuchung,
die der Bestätigung der Authentizität dieses Videos
dient, in die Wege leiten, was übrigens nicht allzu viel
kostet?
Frau Kollegin, lassen Sie mich anführen, dass die
Türkei durch die Nachbarschaft zum Bürgerkriegsland
Syrien direkt von den Folgen des Konflikts betroffen ist.
Die Türkei hat sich in den vergangenen Monaten und
Jahren sehr besonnen verhalten, und das, obwohl 72 Zivilisten durch syrische Angriffe zu Tode gekommen
sind. Auf Beschuss grenznahen türkischen Territoriums
hat sie immer nur reagiert.
Die Bundesregierung ist im ständigen Gespräch mit
der Türkei. Wir haben derzeit keinen Grund zu der Annahme, dass die Türkei diese Politik zu ändern beabsichtigt. Wir haben von Anfang an zu Besonnenheit
aufgerufen. Wir erwarten, dass sich die Türkei als
NATO-Mitgliedsland verantwortungsbewusst und besonnen verhält, dass alle bündnisrelevanten Fragen mit
der NATO beratschlagt werden und dass die NATO bzw.
die Alliierten konsultiert werden. Dies haben wir in allen
Gesprächen mit der türkischen Seite immer wieder deutlich gemacht.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage dazu?
Ja, das habe ich, Herr Präsident.
Bitte.
Ich möchte das kurz Revue passieren lassen. Herr
Minister, der türkische Außenminister, der türkische Geheimdienstchef Fidan und der Vizegeneralstabschef treffen sich, und der Geheimdienstchef sagt: Wenn es nötig
ist, kann ich vier Männer nach Syrien schicken. Ich
würde sie acht Granaten auf die türkische Seite abfeuern
lassen und so einen Vorwand für einen Krieg schaffen.
Wenn nötig, kann auch ein Angriff auf die Grabstätte erfolgen. - Vor dem Hintergrund, dass Bundeswehrsoldaten im Rahmen der Stationierung der Patriot-Abwehrraketensysteme und die NATO vor Ort sind, möchte ich
Sie gerne fragen - auch weil das Erdogan-Regime wiederholt versucht, einen Einmarsch nach Syrien zu legitimieren, und weil die Bundesregierung aufgrund von
NATO-Berichten weiß, dass alle Vorwände der türkischen Regierung einschließlich der Grundlage für die
Stationierung der Patriot-Abwehrraketensysteme erlogen sind -: Welche Konsequenzen könnte ein Krieg, der
von der türkischen Seite vom Zaun gebrochen wird, für
die Stationierung der Bundeswehr haben, und ist die
Bundesregierung dann gewillt, in diesen Krieg zu ziehen, der unter konstruierten Vorwänden von der türkischen Regierung ausgelöst wurde?
Ich hatte Ihnen schon mitgeteilt, dass die derzeitigen
Reaktionen der türkischen Regierung rein reaktiv und
defensiv sind, dass das NATO-Engagement - auch mit
Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland - rein
defensiv ist, dass wir bislang keinen Zweifel an Politik
und Ausrichtung der Türkei hatten und dass wir in allen
Gesprächen mit der türkischen Regierung darauf hingewiesen haben, dass wir erwarten, dass die Politik, die
rein defensiv ausgerichtet ist, auch so fortgesetzt wird.
Kollege Beck hat dazu eine Frage. Bitte.
Ich habe zwar Ihren Eingangsdiskurs nicht gehört,
({0})
aber Ihren Antworten entnehme ich, dass Sie noch keine
Bewertung zu dem abgegeben haben, was im Internet
veröffentlicht wurde. Unabhängig davon, dass ich den
Einsatz unterstütze und dass es sich um eine NATO-Verpflichtung handelt, bei der die grundsätzliche defensive
Ausrichtung nicht infrage steht, frage ich Sie: Wie bewertet denn die Bundesregierung die Information, dass
es in der türkischen Regierung Gespräche gab, in denen
zumindest erörtert wurde, ob sich ein Angriff auf Syrien
von der Türkei sozusagen inszenieren ließe, um so, wenn
nicht klar wird, dass das gefaket ist, den Bündnisfall hervorzurufen? Kann die Bundesregierung sagen, dass
diese Information falsch ist, und wenn nicht, welchen
Stellenwert der Bewertung hat diese Information nach
Erkenntnissen unserer Dienste und der Bundesregierung?
Herr Präsident, lieber Kollege Beck, ich hatte schon
in meinem Eingangsstatement darauf hingewiesen, dass
sich die Bundesregierung grundsätzlich nicht zu illegal
beschafften Aufnahmen äußert.
({0})
Es ist etwas komplizierter.
({0})
- Alles recht. Der Punkt ist nur: Es dient der Fragestunde, wenn alle Beteiligten den Fragenkomplex, zu
dem gefragt wird, auch von Anfang bis Ende verfolgen.
(Volker Beck ({1})
- Wir verteidigen alle Parlamentsrechte freudig und konsequent. Deswegen geben wir jetzt dem Kollegen
Hunko, der sich gemeldet hat, gemäß dem Parlamentsrecht das Wort zu einer weiteren Frage.
Herr Staatsminister, wenn ein solcher Fall eintreten
würde, wie die - Sie sagen: illegal beschaffte - Tonbandaufnahme vermuten lässt, wenn also ein Kriegsgrund inszeniert würde und Sie darüber Informationen hätten:
Welche Konsequenzen würden Sie daraus für die Stationierung der „Patriot-Soldaten“ an der türkischen Grenze
ziehen? Es würde sich schließlich um einen ganz klaren
Fall von Völkerrechtsbruch handeln.
Herr Kollege Hunko, ich will noch einmal in Erinnerung rufen, wie die derzeitige Situation in der Türkei
aussieht. Die Türkei ist ein unmittelbares Nachbarland
des Bürgerkriegslandes Syrien. Bei den bisherigen
Grenzzwischenfällen sind 72 türkische Zivilisten durch
Angriffe aus Syrien umgekommen. Über 800 000 syrische Flüchtlinge leben derzeit auf dem türkischen Staatsgebiet und sind dort untergebracht. Die bisherige türkische Politik war auf eine rein defensive Reaktion
ausgerichtet. Die NATO hat die Verteidigung der Türkei
entsprechend unterstützt und flankiert, unter anderem
auch durch den Patriot-Einsatz. Wir weisen in allen Ge1962
sprächen mit der Türkei darauf hin, dass wir davon ausgehen, dass es keinerlei Änderungen an der bisherigen
Politik gibt, die von uns als besonnen, verantwortungsvoll und verantwortungsbewusst eingestuft wird.
Schönen Dank. - Als Nächstes hat die Kollegin
Höger, Fraktion Die Linke, das Wort zu einer Nachfrage.
Herr Staatsminister Roth, ist Ihnen nicht bekannt,
dass die türkische Regierung schon seit längerem jihadistische Gruppen unterstützt, Waffenlieferungen über
die Grenze zulässt und ihnen die Türkei als Rückzugsgebiet zur Verfügung stellt? Wie kann man da noch von einer neutralen Rolle der Türkei sprechen?
Ich habe nicht von einer neutralen Rolle der Türkei
gesprochen. Das ist auch schlechterdings nicht möglich,
weil die Türkei mehrfach und wiederholt vom syrischen
Staatsgebiet aus angegriffen wurde. Sie hat darauf reagiert, sie hat sich verteidigt, und sie wird im Rahmen
der Bündnisverpflichtungen auch dabei von NATO-Einheiten unterstützt. Aber auch diese haben einen rein defensiven Charakter.
Wir kommen zur Frage 26 der Abgeordneten Sevim
Dağdelen, die Linke:
Welche eigenen Informationen ({0}) liegen der Bundesregierung
aktuell über den Abschuss eines syrischen Kampfflugzeuges
am 23. März 2014 vor, das nach Angaben türkischer Behörden den türkischen Luftraum verletzt haben soll und auf syrischem Gebiet westlich der Grenzstadt Kasab ({1}) abgestürzt ist ({2}), nachdem sich
die Bundesregierung analog zum vermeintlichen Abschuss eines türkischen Kampfflugzeuges vom Typ F-4 Phantom am
22. Juni 2012 auf die Angaben der türkischen Regierung verlassen hat ({3}), obwohl diese später einräumen musste, dass
deren ursprüngliche Darstellung des Zwischenfalls unzutreffend war ({4}), und in welcher Form war die
Integrierte Luftverteidigung der NATO - NATINADS - in
den Abschuss des syrischen Kampfflugzeuges involviert?
Herr Staatsminister, bitte.
Danke, Herr Präsident. - Frau Kollegin Dağdelen, am
23. März 2014 kam es zum Abschuss eines syrischen
Kampfflugzeuges durch türkische Luftverteidigungskräfte unter nationaler türkischer Führung. Dazu liegen
der Bundesregierung keine eigenen Erkenntnisse vor.
Der in den Erklärungen des türkischen Außenministeriums bzw. des türkischen Generalstabs benannte Luftraum liegt außerhalb der Bereiche, die durch die Radarsysteme der in Kahramanmaras stationierten deutschen
Patriot-Systeme erfasst werden können.
Schönen Dank. - Erste Nachfrage. Bitte schön, Frau
Kollegin Dağdelen.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister,
die integrierte Luftverteidigung der NATO beinhaltet
nicht nur die Stationierung deutscher Patriot-Einheiten.
Sie haben gesagt, dass Sie keine eigenen Erkenntnisse
haben. Normalerweise liegen auch geheimdienstliche Informationen vor, die die Bundesregierung, wenn sie Interesse hat, abrufen kann, was normalerweise der Fall
ist. Insofern möchte ich gerne wissen, inwieweit die integrierte Luftverteidigung der NATO vorausgegangene
Flugbewegungen verfolgt hat und wem sie diese gemeldet hat. Sie können mir gerne die Antworten nachreichen, wenn Sie diese im Moment nicht geben können.
Herr Staatsminister, bitte.
Ich möchte versuchen, Ihnen zu antworten, Frau Kollegin Dağdelen. Für die Kolleginnen und Kollegen, die
mit dem Vorgang nicht so intensiv betraut sind, wiederhole ich: Eingangs hatte ich geschildert, dass am 23. März
die türkische Luftwaffe ein syrisches Kampfflugzeug abgeschossen hat. Nach offiziellen türkischen Angaben haben sich zwei syrische Kampfjets aus Richtung Mittelmeer kommend dem türkischen Luftraum genähert. Die
türkische Luftwaffe habe die beiden Kampfjets viermal
gewarnt, in den Luftraum der Türkei einzudringen. Eine
der beiden Maschinen ist abgedreht. Die zweite Maschine ist in den türkischen Luftraum vorgedrungen und
dabei abgeschossen worden. In meiner Beantwortung
kann ich mich nur auf die Informationen beziehen, die
die deutsche Bundeswehr durch ihr Engagement im Rahmen des Patriot-Einsatzes vor Ort hat. Dort liegen uns
keine eigenen Erkenntnisse vor, weil unsere Radarsysteme darauf nicht ausgerichtet sind.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage?
Ja.
Bitte.
Da man hier keine Antworten bekommt, wird man
wieder gezwungen, Kleine Anfragen zu stellen. Damit
gibt man der Bundesregierung etwas mehr Zeit, sich die
Informationen, nach denen ich gefragt habe, zu beschaffen.
Ich habe nicht nach den deutschen Erkenntnissen gefragt, sondern nach denen der integrierten Luftverteidigung der NATO. Meines Wissens müsste es Berichte der
NATO geben wie bei dem Zwischenfall im Juni 2012,
als die Türken behauptet haben, ein türkisches Militärflugzeug sei von Syrern abgeschossen worden. Das
wurde von der NATO nicht bestätigt. Durch den Bericht
der NATO wurden die Syrer entlastet. Deshalb trifft auch
Ihre Behauptung nicht zu, dass die Türken neben der Bewaffnung der Al-Qaida-Milizen bisher defensiv agieren
würden. Ich frage Sie noch einmal: Kann die Bundesregierung bezüglich des Zwischenfalls vom 23. März die
Berichte der NATO und dazu noch zusätzliche Geheimdienstinformationen den Abgeordneten des Bundestages
zur Verfügung stellen?
Ich habe Sie über den derzeitigen Kenntnisstand der
Bundesregierung informiert. Wenn Sie noch weitere Fragen haben, stehe ich Ihnen selbstverständlich uneingeschränkt zur Verfügung. Wir werden dann andere Wege
finden, um Ihr Informationsbedürfnis zu stillen. Das tun
wir selbstverständlich gerne.
Es gibt eine Zusatzfrage des Kollegen Volker Beck,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Herr Staatsminister! Die beiden Fragen der Kollegin Dağdelen stehen in einem inneren Zusammenhang. Wenn Sie hier keine eigenen Erkenntnisse
haben und Ihre Einschätzung auf den Informationen unseres Bündnispartners Türkei beruhen, dann ist die
Frage: Als wie glaubwürdig ist diese Information vor
dem Hintergrund der Frage 25 der Kollegin Dağdelen
einzuschätzen? Deshalb frage ich Sie noch einmal, und
zwar eindeutig - ich bitte, das mit einem Ja oder Nein zu
beantworten; denn bei der Frage sind keine Geheimschutzinteressen vorzuschieben -: Liegen der Bundesregierung von unseren oder befreundeten Diensten Informationen über die Echtheit oder Nichtechtheit der
veröffentlichten Tonbandausschnitte vor? Ich frage Sie
nicht nach der Einschätzung; ich frage Sie: Liegen Ihnen
Erkenntnisse vor?
Ich habe die Frage schon mehrfach beantwortet,
({0})
und ich kann der bisherigen Beantwortung nichts weiter
hinzufügen, Herr Kollege Beck.
({1})
- Sie können mir, bei aller Wertschätzung Ihnen persönlich und dem Deutschen Bundestag gegenüber, gar nicht
vorschreiben, wie ich eine Frage zu beantworten habe.
Das müssen Sie dann schon mir selber überlassen.
({2})
Ich bitte um Nachsicht.
Lieber Kollege Beck, ich bitte zu beachten: Erstens
haben Sie eine Nachfrage zu Frage 25 gestellt.
({0})
Die Nachfrage war damit nicht zulässig. Wir sind schon
seit längerem bei Frage 26, bei der es gar nicht um ein
Audiodokument ging. Zweitens hat der Staatsminister
die Freiheit der Bundesregierung, was die Art der Beantwortung angeht, zutreffend angesprochen.
({1})
Ich rufe jetzt die Frage 27 des Abgeordneten Andrej
Hunko auf:
Wie hat sich die Bundesregierung gegenüber der türkischen Regierung zur Einschränkung von Twitter und YouTube
geäußert, mit der die türkische Regierung auf die Veröffentlichung von Vorwürfen über Korruption und die Beratung über
einen Militäreinsatz in Syrien und mögliche Rechtfertigungsgründe reagiert hat, und wie bewertet sie die Lage der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit in der Türkei?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Hunko,
die Bundesregierung hat bezüglich der Sperrung des Internetdienstes Twitter in der Türkei unmissverständlich
klargestellt, dass es nicht ihrer Vorstellung von Meinungsfreiheit entspricht, Kommunikationswege zu verbieten oder auszuschließen. Ebenso hält die Bundesregierung die Sperrung des Videoportals YouTube für eine
inakzeptable Reaktion. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die Europäische Union derzeit mit der Republik Türkei Beitrittsverhandlungen führt.
Die Bundesregierung stellt in der Türkei seit einiger
Zeit erhebliche Defizite bei der Presse- und Meinungsfreiheit sowie der Versammlungsfreiheit fest. Aktuell beobachtet die Bundesregierung mit großer Sorge, dass die
innenpolitische Auseinandersetzung in der Türkei auf
Kosten der Medienfreiheit geht. Diese Defizite werden
von der Bundesregierung im Rahmen ihres politischen
Dialogs mit der Türkei angesprochen, unter anderem
auch bei Besuchen hochrangiger Vertreter, die in den
nächsten Wochen und Monaten anstehen.
Gibt es dazu eine Zusatzfrage? - Bitte schön, Herr
Hunko.
Vielen Dank. - Herr Kollege Roth, auch diese Frage
steht im Zusammenhang mit dem, was wir vorher diskutiert hatten. Die YouTube-Sperrung war ja zum Beispiel
eine direkte Reaktion auf die Veröffentlichung des genannten Tondokuments auf YouTube.
Meine Frage: Glauben Sie, dass es das richtige Signal
war, das damit ausgesendet wurde, dass ziemlich bald
nach der brutalen Niederschlagung der Gezi-Proteste im
Juli letzten Jahres neue Kapitel in den Beitrittsverhand1964
lungen der EU mit der Türkei eröffnet wurden? Vor dem
Hintergrund der neuen Vorfälle, also zum Beispiel der
Sperrung von Twitter und YouTube und auch der Reaktionen der türkischen Regierung auf den Wahlausgang, frage ich Sie: Glauben Sie, dass es das richtige Signal ist, das Sie damit aussenden, dass Sie jetzt sagen:
„Wir führen hochrangige Gespräche“? Sie stellen diese
Gespräche mit der Türkei auf höchster Ebene nicht infrage. Glauben Sie wirklich, dass das angesichts der
drastischen Einschränkung der Meinungsfreiheit in der
Türkei das richtige Signal ist?
Herr Kollege Hunko, es geht hier nicht um Glauben,
es geht hier um Wissen, und eines weiß ich: Die Entwicklungen, die es derzeit in der Türkei gibt, erschweren
die Beitrittsverhandlungen. Wir als Bundesregierung setzen uns derzeit sehr engagiert dafür ein, die Europäische
Union nicht nur als einen funktionierenden Binnenmarkt
zu positionieren, sondern vor allem als eine Werteunion.
Hier gehören die Freiheitsrechte, die Grundrechte zum
essenziellen Kerngehalt unseres Werteverständnisses.
Insofern deckt sich das, was sich derzeit in der Türkei ereignet, nicht mit unseren Vorstellungen.
Wir wollen aber auch hier die türkische Regierung
nicht aus der Verantwortung nehmen. Deshalb drängt die
Bundesregierung darauf, dass wir jetzt gerade die Kapitel eröffnen - nämlich Kapitel 23 und 24 -, in denen es
um Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Korruptionsbekämpfung geht. Wir wollen hier gerade jetzt, am Anfang
der Verhandlungen - wobei man ja bei der Türkei nicht
mehr vom Anfang der Verhandlungen sprechen kann -,
deutlich machen, dass diese zentralen Fragen in Gesprächen mit der Türkei geklärt werden müssen, um die
größten Steine auf dem Weg zu einem möglichen Beitritt
der Türkei zur EU aus dem Weg räumen zu können. Ob
dies geschehen kann, ist derzeit noch ungewiss.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege
Hunko? - Bitte.
Vielen Dank. - Ich will klarstellen, dass wir grundsätzlich dafür sind, dass Beitrittsverhandlungen mit der
Türkei geführt werden, aber eben nach Maßgabe klarer
Kriterien. Die Frage ist, ob diese Kriterien gegenwärtig
gegeben sind.
Meine Frage an Sie lautet: Wo wäre Ihre rote Linie?
Was müsste in der Türkei passieren, dass Sie sagen: „Es
macht jetzt keinen Sinn, neue Kapitel zu eröffnen?“
Wann wären für Sie die Voraussetzungen in der Türkei
in puncto Menschenrechte und Meinungsfreiheit nicht
gegeben?
Herr Kollege Hunko, Sie haben eben davon gesprochen, dass eine Reihe von Kapiteln geöffnet wurde, es
gleichwohl keine substanziellen Fortschritte gegeben
habe. Deshalb will ich die Kolleginnen und Kollegen
noch einmal daran erinnern, dass es dreieinhalb Jahre
formal zu einem Verhandlungsstillstand gekommen ist
und dass es über das Kapitel 22 zur Regionalpolitik, das
Ende 2013 geöffnet wurde, hinaus keine weiteren
Öffnungen gegeben hat. Die Bundesregierung ist aber
nach wie vor davon überzeugt, dass es zur Klärung der
auch von Ihnen zu Recht angesprochenen Fragen essenziell wäre, wenn wir über diese Fragen auch im Rahmen
von Beitrittsverhandlungen sprechen. Dazu gehört eben
die Öffnung der Kapitel 23 und 24.
Es gibt für die Türkei keinerlei politischen Rabatt.
Die Verhandlungen, die sich entlang der Kopenhagener
Kriterien bewegen, sind da, um zu prüfen, ob ein Land
überhaupt die Voraussetzungen mit sich bringt, der Europäischen Union mit ihrem Wertefundament beizutreten.
Danke schön. - Kollegin Dağdelen hat eine Frage
dazu.
Herr Staatsminister Roth, es ist ja nicht so, dass die
Kopenhagener Kriterien bei Abschluss eines Beitrittsprozesses zu bewerten sind. Vielmehr müssen die Kopenhagener Kriterien bereits während der Beitrittsverhandlungen erfüllt werden, was im Fall der Türkei auf
lange Zeit nicht absehbar ist.
Sie haben dann davon gesprochen, dass es über dreieinhalb Jahre einen Stillstand gegeben hat. Dieser Stillstand war ja berechtigt, und er ist es immer noch, weil
die Türkei zum Beispiel einen Mitgliedstaat, nämlich die
Republik Zypern, bis heute nicht anerkannt hat. Für die
Europäische Union ist das ja eigentlich nicht akzeptabel.
Eigentlich möchte ich Sie aber fragen: Wie bewerten
Sie den Beschluss der EU-Außenminister vom Oktober
letzten Jahres, neue Beitrittskapitel zu eröffnen und den
Beitrittsprozess zu intensivieren - übrigens war die
Linksfraktion die einzige Fraktion, die hierzu Kritik geäußert hat -, vor dem Hintergrund, dass der türkische
Premier nach der blutigen Niederschlagung der Proteste
vor eine Polizeiakademie getreten ist und hat gesagt:
„Ihr seid die Helden der türkischen Demokratie!“? Außerdem möchte ich gerne von Ihnen wissen: Was, glauben Sie, wird Erdogan machen, wenn die Beitrittsverhandlungen noch intensiver geführt werden, nachdem er
schon jetzt angekündigt hat, dass er nach der Kommunalwahl einen Rachefeldzug gegen die Opposition beginnen möchte?
Ich will noch einmal darauf hinweisen: Kapitel, über
die verhandelt wird, können erst dann geschlossen werden, wenn die Kriterien, die diesem Kapitel zugrunde
liegen, vollumfänglich erfüllt worden sind. Da zu Recht
nicht nur Mitglieder des Deutschen Bundestages, sondern auch Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft, aber auch die Bundesregierung als Ganzes den
Menschenrechten, den Grundrechten und den Freiheitsrechten eine herausragende Bedeutung beimessen, legen
wir allergrößten Wert darauf, gerade jetzt über diese zentralen Fragen zu verhandeln.
Leider wird die Öffnung der Verhandlungskapitel 23
und 24 von Zypern blockiert. Wir haben in Bezug darauf
eine andere Auffassung. Wir hoffen, im Zuge der Gespräche mit der zyprischen Regierung einen Beitrag
dazu leisten zu können, damit die Frage der Menschenrechte und der Werte stärker in den Mittelpunkt der derzeitigen EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gerückt wird, als das bislang der Fall ist.
Schönen Dank. - Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht bereit der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Ole Schröder.
Ich rufe die Frage 28 des Abgeordneten Andrej
Hunko auf:
Inwieweit teilt die Bundesregierung meine Ansicht, dass
die Nichtbeantwortung ihrer Eingaben vom 11. Juni 2013 an
die USA zu den ausufernden NSA-Spionageprogrammen sowie die Ergebnislosigkeit der zahlreichen weiteren Nachfragen und Demarchen ({0}) auch einer fehlenden
Bereitschaft geschuldet sein könnten, mehr Druck gegenüber
US-Repräsentanten auszuüben und aus meiner Sicht stattdessen zu signalisieren, man sei letztlich einverstanden mit den
Überwachungsvorhaben ({1}), und inwiefern
glaubt sie weiterhin daran, jemals Antworten auf die besagten
Fragen zu erhalten ({2})?
Herr Staatssekretär, bitte.
Herr Abgeordneter, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Vertreter der Bundesregierung haben sich in zahlreichen Gesprächen mit Vertretern der amerikanischen
Regierung für eine zeitnahe Beantwortung der übermittelten Fragenkataloge eingesetzt und im Rahmen dieser
Gespräche auch Sachverhalte erörtert, die Gegenstand
der Fragenkataloge waren. Entsprechende Gespräche
werden weiterhin geführt. Bei diesen Gesprächen und
sonstigen Begegnungen mit Vertretern der US-Regierung wurde seitens der Bundesregierung die kritische
Haltung zu Umfang und Ausmaß der öffentlich bekannt
gewordenen Spionageaktivitäten der NSA deutlich zum
Ausdruck gebracht. So hatte der Bundesminister des Innern, Thomas de Maizière, am Rande der Münchener
Sicherheitskonferenz Anfang 2014 die Spionageaktivitäten der NSA als maßlos und die Aufklärung seitens der
USA als unzureichend bezeichnet.
Die Verhandlungen über eine Kooperationsvereinbarung zwischen Deutschland und den USA werden in vertrauensvollen Gesprächen fortgeführt. Die Bundesregierung hält die Sachverhaltsaufklärung weiterhin für eine
notwendige Konsequenz aus den Vorwürfen unverhältnismäßiger Datenerhebung durch ausländische Nachrichtendienste. Daneben konzentriert sich die Bundesregierung darauf, die richtigen Lehren für die Zukunft zu
ziehen und das Vertrauen in die globale elektronische
Kommunikation wiederherzustellen.
Letztlich darf nicht außer Acht gelassen werden, dass
der Austausch von nachrichtendienstlichen Informationen mit ausländischen Diensten, insbesondere mit den
Sicherheitsbehörden der USA, für die Gewährleistung
der Sicherheit in Deutschland von großer Bedeutung ist.
Insoweit ist es besonders wichtig, gemeinsam zukünftige
Lösungen zu finden.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege Hunko? Bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade die Auskünfte
der US-Seite als unzureichend bezeichnet bzw. Herrn de
Maizière zitiert, der das so bezeichnet hat. Die Frage
ging ja auch dahin, inwieweit nach dem Bekanntwerden
dieses unglaublichen Überwachungsskandals Ihrer Meinung nach ausreichend Druck ausgeübt wurde. Sind Sie
wirklich der Meinung, dass von deutscher Seite genügend Druck ausgeübt wird, um zur Aufklärung zu kommen? Es geht ja erst einmal nur um die Aufklärung. Die
Fragen, auch die Fragen der Bundesregierung, sind ja
von der US-Seite offensichtlich nicht beantwortet worden.
Ja.
Noch eine Zusatzfrage?
Wenn Sie selbst jetzt schon sagen, dass das unzureichend ist, frage ich Sie: Gehen Sie davon aus, dass Sie
jemals Antworten auf die gestellten Fragen bekommen
werden, oder glauben Sie, dass Sie die Antworten nicht
bekommen werden?
Herr Staatssekretär.
Ich bin eher skeptisch, dass wir unmittelbar von den
USA sämtliche Antworten bekommen und dass wir sie
dann auch dem Parlament öffentlich bekannt geben können. Nichtsdestotrotz müssen wir dafür sorgen und alles
dafür tun, unsere Informations- und Kommunikationssysteme so auszustatten, dass sie vor Spionage geschützt
sind.
Danke schön. - Dazu gibt es jetzt keine weiteren Fragen.
Vizepräsident Peter Hintze
Die Frage 29 des Abgeordneten Dr. Hahn und die
Frage 30 der Abgeordneten Jelpke werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen dann zur Frage 31 des Abgeordneten
Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen:
Wie viele Personen unterliegen jeweils in den kommenden
Jahren nach der Einigung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung ({0}) weiterhin der Optionspflicht, und inwiefern ist die Höhe des Verwaltungsaufwandes
angesichts der Zahl derjenigen, die aufgrund der Optionspflicht die Staatsangehörigkeit verlieren würden, verhältnismäßig ({1})?
Herr Staatssekretär, bitte.
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Absicht der
Bundesregierung ist es, dass in Deutschland geborene
und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern in Zukunft nicht mehr der Optionspflicht unterliegen. Damit
wird der Kreis derjenigen, die sich zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und der Staatsangehörigkeit
ihrer Eltern entscheiden müssen, wesentlich kleiner. Wie
viele Personen zukünftig von der Optionspflicht befreit
sein werden, lässt sich nicht zuverlässig sagen, da der
Bundesregierung keine entsprechenden statistischen Erhebungen vorliegen.
Die Bundesregierung geht jedoch davon aus, dass
sich der Verwaltungsaufwand im Vergleich zur derzeitigen Rechtslage erheblich verringern dürfte, weil in Zukunft nicht mehr jedes Jus-Soli-Kind angeschrieben und
ausführlich informiert werden muss. Die Prüfung, ob die
ausländische Staatsangehörigkeit aufgegeben worden ist
oder ob eine Beibehaltungsgenehmigung erteilt werden
muss, obliegt der Verwaltung künftig nur noch für eine
kleinere Gruppe von Jus-Soli-Kindern, die nicht in
Deutschland aufgewachsen sind. Die Prüfung, ob ein
Jus-Soli-Kind im Ausland aufgewachsen ist, wird regelmäßig durch das Abgleichen mit den bereits vorhandenen Meldedaten erfolgen können.
Zusatzfrage, Herr Kollege Beck?
Ja. - Ich muss jetzt vermuten, dass Ihre Kompromissbildung sozusagen im luftleeren Raum stattgefunden hat
und Sie gar nicht wissen, also nicht empirisch erhoben
haben, ob es das Problem gibt, das Sie mit Ihrer komplizierten Regelung lösen wollen. Es bleibt aber auch in
Zukunft dabei, dass Sie, wenn wir von 40 000 potenziell
Optionspflichtigen ausgehen, 40 000 Mal die melderechtlichen Daten dahin gehend überprüfen müssen, ob
Sie den Fall näher anschauen müssen oder nicht. Auch
das ist ein Verwaltungsvorgang. Es kommt also weiterhin zu 40 000 Verwaltungsvorgängen.
Ich würde angesichts dieser Zahl schon erwarten, dass
Sie eine ungefähre Hausnummer nennen, wie viele Personen Ihrer neuen Regelung des Abs. 4 unterfallen, auf
die dann die Bestimmung, dass sie nicht in Deutschland
aufgewachsen seien, zutrifft. Mir scheint diese Regelung
bislang völlig willkürlich gegriffen. Deshalb möchte ich
für uns im Parlament ein Bild davon haben, damit wir
uns zu Ihrem Vorschlag eine Meinung bilden können.
Wie viele Optionspflichtige entstehen, und wie viel Prozent von diesen Optionspflichtigen werden tatsächlich
mit einem Verlust der Staatsangehörigkeit bestraft? Mein
Verdacht ist - vielleicht können Sie ihn empirisch widerlegen -, dass es bei 40 000 Fällen pro Jahrgang vielleicht
zu 50 Entziehungen der Staatsangehörigkeit kommt. Da
darf man schon einmal aus der Perspektive der Effizienz
fragen: Lohnen sich 40 000 Verwaltungsvorgänge für
diese schwarze Pädagogik der Unionsfraktion im Staatsangehörigkeitsrecht?
Herr Staatssekretär, bitte.
Zunächst einmal bleibt die Optionspflicht bestehen.
Sie entfällt aber für die Kinder, die hier in Deutschland
aufgewachsen sind. Das haben wir entsprechend tatbestandlich gefasst. Wir gehen nicht von 40 000 Jus-SoliKindern aus, wie Sie es gesagt haben, sondern eher von
30 000. Es ist zurzeit so, dass schätzungsweise 10 Prozent der Jus-Soli-Kinder, die in Deutschland geboren
wurden, ins Ausland gehen. Damit haben Sie eine ungefähre Einschätzung, aber das ist, wie gesagt, nur eine
Einschätzung. Dazu haben wir keine statistisch belegten
Zahlen oder Erhebungen.
Sie müssen doch trotzdem einen Begriff davon haben.
Jemand, der für ein Jahr ins Ausland geht, der vielleicht
ein Auslandsschuljahr macht, erfüllt ja nicht per se die
Kriterien Ihrer Regelung. Wie viel von diesen 10 Prozent
reißen denn die Achtjahresgrenze?
Es ist unsere Einschätzung, dass etwa 10 Prozent ins
Ausland verziehen. Das wissen wir, weil wir schon jetzt
alle Jus-Soli-Kinder anschreiben müssen. Wenn diese ins
Ausland verzogen sind - das können wir aus den Meldedaten erfassen -, dann werden sie ja im Ausland angeschrieben. Das sind also keine Personen, die nur einmal
ein Auslandsjahr gemacht haben, sondern diese Personen sind wirklich ins Ausland gezogen.
({0})
- Das habe ich doch gerade schon eingeschätzt.
Bitte keine Dialoge außerhalb unseres geschäftsordnungsmäßig vorgezeichneten klugen Wegs.
Vizepräsident Peter Hintze
Jetzt erst einmal Frau Dağdelen und dann Frau Kollegin Haßelmann.
Herr Schröder, ich habe eine Nachfrage zu der Frage
meines Kollegen Herrn Beck. Ich würde gerne wissen,
ob es Bestrebungen gibt, den bisher ausgebürgerten ursprünglich deutschen Optionskindern - laut Auskunft
der Bundesregierung wurden 268 Deutsche aufgrund der
Optionspflicht zu Ausländern gemacht - wieder ihre
deutsche Staatsangehörigkeit zuteilwerden zu lassen,
und wenn ja, wie gedenken Sie das zu tun?
Die Personen, von denen Sie reden, sind nicht zu
Ausländern gemacht worden, sondern sie haben sich
nicht zugunsten der deutschen Staatsbürgerschaft entschieden oder sich schlichtweg nicht gemeldet.
({0})
Aber sie sind nicht durch Nichtstun zu Ausländern gemacht worden. Denn niemandem kann die deutsche
Staatsbürgerschaft aufgrund von Nichtstun einfach entzogen werden,
({1})
sondern sie müssten dann zumindest nicht erreichbar gewesen sein.
Die vorgesehene Regelung - das sagt ja auch der Koalitionsvertrag eindeutig aus - gilt für die Zukunft. Wiedereinbürgerungen können durch das bisherige Staatsangehörigkeitsrecht dennoch vollzogen werden.
({2})
Die nächste Frage stellt die Kollegin Haßelmann,
Bündnis 90/Die Grünen. - Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
weil Sie sich ja auf die schriftlichen Fragen vorbereiten
konnten, finde ich es sehr unbefriedigend, dass Sie so
schwammig geantwortet haben, nach dem Motto „circa
10 Prozent“, „vielleicht“, „wenn“, „doch“ und „aber“.
Deshalb würde ich Sie im Namen meiner Fraktion bitten, uns die Zahlen schriftlich en détail vorzulegen.
Noch einmal: Wir haben dazu keine statistischen Erhebungen im Sinne der Fragestellung des Kollegen
Beck. Ich habe lediglich ausgeführt, wie viele der bisherigen Optionspflichtigen ins Ausland verzogen sind. Das
ist eine andere Fragestellung als die des Kollegen Beck.
Ich habe das dennoch erwähnt, weil das für die nachgefragte Einschätzung von Relevanz ist.
Schönen Dank. - Die Frage 32 der Kollegin KottingUhl wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kelber bereit.
Ich rufe die Frage 33 des Kollegen Abgeordneten
Herbert Behrens, Fraktion Die Linke, auf:
Wird sich die Bundesregierung im Sinne des Koalitionsvertrages zwischen CDU, CSU und SPD, in dem es heißt, dass sich
Deutschland bei „der Neuregelung der Fluggastrechteverordnung … für den Erhalt des bestehenden Schutzniveaus“ einsetzt, bei den Beratungen des Rates der Europäischen Union
über den Kommissionsvorschlag KOM({0}) 130 eindeutig
gegen das darin - im Vergleich zur geltenden Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofes zur bestehenden Fluggastrechteverordnung - vorgesehene Hochsetzen der Schwellenwerte um - je nach Distanz - mindestens zwei Stunden für
Entschädigungsansprüche einsetzen ({1})?
Herr Staatssekretär, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Behrens,
Sie mussten die Fragestunde in der letzten Sitzungswoche ja für eine Ausschusssitzung verlassen. Deswegen
habe ich die Gelegenheit, Ihre Frage nach der schriftlichen Beantwortung heute noch einmal mündlich zu beantworten.
Die EU-Kommission hat am 13. März des letzten Jahres einen Vorschlag zur Änderung der Fluggastrechteverordnungen vorgelegt. Das Europäische Parlament hat
am 5. Februar dieses Jahres seine Stellungnahme zu diesem Vorschlag beschlossen. Die Beratungen des Rates
der Europäischen Union zu dem Vorschlag dauern noch
an. Die griechische Ratspräsidentschaft strebt eine allgemeine Ausrichtung im Ministerrat im Juni dieses Jahres
an. Daran anschließen wird sich, vermutlich im Herbst,
der Trilog zwischen EU-Kommission, Europäischem
Parlament und Europäischem Rat.
Bei der Beratung des Kommissionsvorschlags setzt
sich die Bundesregierung für einen Ausgleich der Interessen von Fluggästen und Luftfahrtunternehmen ein,
weil wir auf der einen Seite das erreichte Schutzniveau
für die Fluggäste sicherstellen, auf der anderen Seite
aber unzumutbare Belastungen für die Luftfahrtunternehmen vermeiden wollen, die auch zu unerwünschten
Leistungseinschränkungen oder Preisaufschlägen für die
Passagiere und damit die Verbraucherinnen und Verbrau1968
cher führen könnten. Der Erhalt des Schutzniveaus bestimmt sich dabei jedoch nicht nach der Regelung einer
einzigen Bestimmung, sondern nach einer Gesamtschau
aller mit der Änderungsverordnung geschaffenen Novellierungen.
In der bisherigen Beratung des Rates wurden auch die
zeitlichen Schwellenwerte für die Ankunftsverspätung
thematisiert. Der Rechtsdienst des Rates hat in einer gutachterlichen Stellungnahme vor dem Hintergrund der
Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union
von 2009 eine kohärente Regelung der Anspruchsvoraussetzungen von Ankunftsverspätung und Annullierung empfohlen. Dem von der EU-Kommission mit dem
Entwurf der Änderungsverordnung vorgelegten Vorschlag, die Zeitschwellen für die Ankunftsverspätung
entfernungsabhängig auf fünf, neun und zwölf Stunden
zu setzen, hat die Bundesregierung widersprochen. Sie
hat sich für die Herabsetzung dieser Zeitschwellen und
eine ergebnisoffene Prüfung des Vorschlags des Europäischen Parlaments eingesetzt, der eine Stufung nach drei,
fünf und sieben Stunden vorsieht. Ob sich diese Position
durchsetzt, ist allerdings zweifelhaft, da eine deutliche
Mehrheit der Mitgliedstaaten den Kommissionsvorschlag unterstützt.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte
schön.
Vielen Dank, Herr Kelber. - Die Zusatzfrage bezieht
sich darauf, dass in der Presse zu lesen war, dass es offenbar Unstimmigkeiten zwischen dem Staatssekretär im
Verbraucherschutzministerium, Herrn Billen, und dem
Verkehrsminister, Herrn Dobrindt, gibt. Herr Dobrindt
soll, was den gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Luftverkehrsgesellschaften und den Passagierrechten anbetrifft, eine andere Auffassung vertreten. Sie
sagten gerade, die Position, die Stufung bei drei Stunden
Verspätung beginnen zu lassen, sei Gegenstand der Stellungnahme der Bundesregierung. Habe ich das so richtig
verstanden? Gibt es keine Differenz zwischen Verkehrsministerium und Verbraucherschutzministerium?
Herr Behrens, ich hatte Ihnen die gemeinsame Position der Bundesregierung vorgetragen. Auch schon in
der letzten Sitzungswoche war die gemeinsame Position:
Widerspruch zu dem Vorschlag der Kommission, Vorschlag einer ergebnisoffenen Überprüfung und natürlich
Verfolgung einer Verhandlungsstrategie, mit der versucht werden sollte, für den deutschen Vorschlag eine
Mehrheit zu organisieren; es ging also nicht darum, einen Schaufenstervorschlag zu machen.
Noch eine Zusatzfrage? - Bitte schön, Herr Kollege
Behrens.
Herr Kelber, die Auffassung der Bundesregierung
wird gestützt von der europäischen Rechtsprechung. Der
EuGH hat sich ja zu den Passagierrechten geäußert.
Inwieweit ist da nicht auch eine rechtlich kritisch zu
bewertende Entwicklung möglich? Halten Sie es für ausgeschlossen, dass sich die EU-Kommission gegen entsprechende Urteile des EuGH, was Passagierrechte anbetrifft, wendet? Will man eigenes neues Recht setzen?
Die bisherige Fluggastrechteverordnung sieht keine
Entschädigung für den Fall von Ankunftsverspätungen
vor. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs hat eine
Kohärenz empfohlen zwischen den Regelungen für eine
Annullierung - in dem Fall muss eine Entschädigung gezahlt werden, wenn der Start des Ersatzfluges um drei
Stunden von der ursprünglich vorgesehenen Flugzeit abweicht - und den für Ankunftsverspätungen vorgesehenen Lösungen. Auf Bitte auch der Bundesregierung ist
der juristische Dienst des Europäischen Rates tätig geworden und hat geprüft, inwieweit solche Regelungen
mit Regelungen wie dem Montrealer Abkommen vereinbar sind.
In der Tat würde es erstmalig auf Basis einer Verordnung und damit leicht durchsetzbar eine Entschädigung
bei einer Ankunftsverspätung geben. Deswegen hat sich
die Bundesregierung entschieden, einer deutlichen Abweichung von dem, was bisher durch europäische Rechtsprechung geschaffen wurde, zu widersprechen.
Herzlichen Dank.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht
Herr Staatssekretär Dr. Michael Meister bereit.
Die Frage 34 der Abgeordneten Katja Keul sowie die
Fragen 35 und 36 des Abgeordneten Dr. Axel Troost
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 37 der Abgeordneten Lisa
Paus, Bündnis 90/Die Grünen:
Welche die Finanzverwaltung bindenden veröffentlichten
Regelungen - gemeint sind nicht unter das Steuergeheimnis
fallende Verwaltungsanweisungen wie Erlasse, BMF-Schreiben etc. - sind der Bundesregierung bekannt, die sich auf die
Besteuerung von einzelnen steuerpflichtigen Personen, vergleichbar dem Erlass des Niedersächsischen Finanzministeriums „Erlass betr. Umsatzsteuer; hier: Mitgliederbeiträge des
ADAC“ vom 19. März 1981 ({0}), beziehen und über den Bereich der Umsatzsteuer
hinausgehen ({1})?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Frau Kollegin Paus, bei dem Erlass
des Niedersächsischen Finanzministeriums vom
19. März 1981, auf den Sie sich in Ihrer Frage beziehen,
handelt es sich um eine verwaltungsinterne Anweisung
an die nachgeordneten Behörden des Landes Niedersachsen, mit der eine bundeseinheitlich abgestimmte
Verwaltungsauffassung in einem steuerlichen Einzelfall
umgesetzt wurde.
Im Bereich der Umsatzsteuer gibt es keine zur amtlichen Veröffentlichung bestimmten bundeseinheitlich abgestimmten Verwaltungsanweisungen, die die Besteuerung einzelner Steuerpflichtiger regeln. Dies gilt auch
für die übrigen Besitz- und Verkehrsteuern.
Am 5. September 2001 erging ein BMF-Schreiben zur
steuerlichen Behandlung von Zuwendungen - sprich:
Spenden - an die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung
und Zukunft“ mit Sitz in Berlin. Dieses BMF-Schreiben
sollte aber lediglich die Bedeutung der Stiftung verdeutlichen und einen reibungslosen Ablauf des Spendenabzugs innerhalb der Verwaltung sicherstellen.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Paus? - Bitte.
Herr Staatssekretär, es ist sozusagen das vierte Mal,
dass ich zu diesem Komplex nachfrage. Jetzt haben Sie
weitere Details genannt, aber nicht grundsätzlich geantwortet.
Meine Frage ist: Gibt es einen Einzelerlass für ein
Unternehmen, für einen Konzern oder für einen Verein jenseits des Erlasses, der für den ADAC gemacht worden ist? Darauf haben Sie gesagt: im Umsatzsteuerrecht
nicht. Heute haben Sie neu gesagt: Für die genannte Stiftung hier in Berlin gibt es das. - Sie haben es damit für
eine weitere Steuer benannt. Sie haben aber immer noch
Steuern ausgespart.
Meine Frage ist grundsätzlich: Gibt es Einzelerlasse
- jenseits des Erlasses, der für den ADAC gemacht worden ist - bezüglich sämtlicher Steuerarten für Unternehmen, Vereine oder Konzerne in Deutschland? Das war
von Anfang an meine Frage. Darauf möchte ich nach
wie vor eine Antwort.
Sie haben gehört, dass es für den speziellen Fall, auf
den Sie Bezug genommen haben, vom zuständigen Landesministerium eine nicht zur Veröffentlichung bestimmte
Anweisung zur einheitlichen Verwaltungshandhabung gegeben hat. Da es sich um Landesbehörden handelt, die
solche Anweisungen verwaltungsintern und damit nicht
zur Veröffentlichung bestimmt erteilen, kann ich dazu
- Sie haben ja nach einzelnen Steuerpflichtigen gefragt keine weiteren Auskünfte geben.
Das ist nicht richtig. Ich habe nicht nach einzelnen
Steuerpflichtigen gefragt. Ich habe gefragt: Gibt es Einzelerlasse? Ich habe nicht gefragt: „Für wen?“, sondern:
Gibt es in Deutschland grundsätzlich - jenseits des Falles ADAC - einen Einzelerlass dieser Art? Ich will keinen Namen von einem Unternehmen, Verein oder Konzern wissen. Ich möchte nur wissen: Gibt es zu dieser
Praxis, dass es einen Einzelerlass zu einer Steuer gibt,
egal welcher, weitere Fälle in Deutschland?
Es gibt vom Bundesministerium der Finanzen die üblichen Schreiben, sogenannte BMF-Schreiben, die der
einheitlichen Verwaltungspraxis und Verwaltungsauslegung von Steuergesetzen dienen. Diese beziehen sich allerdings nicht auf einzelne Steuerpflichtige.
Darüber hinaus gibt es die Rechtspraxis, dass sich unterschiedliche Länderverwaltungen, die mit demselben
Steuerpflichtigen zu tun haben, auf eine einheitliche Verwaltungspraxis verständigen.
Frau Kollegin Haßelmann, Sie haben das Wort zu einer Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
können Sie für die Bundesregierung und das Bundesministerium der Finanzen ausschließen, dass es in Bezug
auf sämtliche Steuerarten für einzelne Unternehmen Einzelerlasse gibt?
Ich habe darauf hingewiesen, dass es zur Auslegung
von einzelnen Steuergesetzen BMF-Schreiben gibt.
Diese BMF-Schreiben werden auf der Basis von § 21 a
Finanzverwaltungsgesetz herausgegeben; darin enthalten sind allgemeine Weisungen. Diese allgemeinen Weisungen dienen der Vollzugsgleichheit bei den von den
Ländern im Auftrag des Bundes verwalteten Steuern.
Dies ist über Art. 3 des Grundgesetzes in Verbindung mit
§ 85 und § 88 der Abgabenordnung so gehalten, um eine
gleichmäßige Besteuerung vorzunehmen.
Die BMF-Schreiben sind seitens der Steuerverwaltung im Vollzug zu beachten. Sie werden im Übrigen im
Bundessteuerblatt, Teil I, veröffentlicht. Sie binden nur
die Finanzbehörden, nicht allerdings die Gerichte. Ländererlasse können demgegenüber eine zwischen Bund
und Ländern abgestimmte allgemeine Verwaltungsauffassung in einem Einzelfall umsetzen.
Frau Dr. Brantner hat sich als Nächste zu einer Nachfrage gemeldet.
Herzlichen Dank. - Wie bewertet die Bundesregierung den ADAC-Erlass aus fachlicher Sicht, zumal dieser Erlass seit über 30 Jahren offenkundig unverändert
und womöglich auch ungeprüft eine Besteuerungsbasis
für einen Multimilliardenkonzern darstellt? Wann wird
der ADAC-Erlass überprüft?
Ich sehe mich aufgrund des Steuergeheimnisses außerstande, zu einzelnen Steuervorgängen hier öffentliche
Ausführungen zu tätigen.
({0})
Der Staatssekretär Dr. Meister hat nach meiner Empfindung die Fragen ausführlich beantwortet. Weitere Fragewünsche liegen nicht vor.
({0})
- Sie haben sich schon einmal zu einer Nachfrage gemeldet, Frau Kollegin.
({1})
- Ja, das weiß ich doch. Dann kommen Sie zum Präsidium!
Ich bitte die nächsten Fragesteller der Grünen, ihrer
Parlamentarischen Geschäftsführerin kurz die Gelegenheit zu geben, hier oben vorzusprechen. Wir machen
also eine kleine Pause.
({2})
So, herzlichen Dank für das Warten. - Ich rufe jetzt
die Frage 38 der Kollegin Lisa Paus, Bündnis 90/Die
Grünen, auf:
Wie viele Fälle von Steuerhinterziehung durch mehrfachen Kindergeldbezug, zum Beispiel durch doppelte Kindergeldzahlungen verschiedener Bundesfamilienkassen, sind seit
dem Jahr 2009 entdeckt worden ({3}), und in
welcher Höhe sind in diesen Fällen Steuern durch unrechtmäßigen Mehrfachbezug von Kindergeld verkürzt worden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, vielen Dank. - Frau Kollegin Paus,
für die Bearbeitung von Doppelzahlungsfällen sind die
jeweiligen Familienkassen zuständig. Das Bundeszentralamt für Steuern führt darüber keine gesonderte Statistik.
Aus den vom Bundesrechnungshof und den Prüfungsämtern des Bundes zum Themenfeld des mehrfachen
Kindergeldbezuges durchgeführten Erhebungen im Zeitraum 2009 bis 2011 hat das Bundeszentralamt für Steuern die Rückabwicklung sowie die straf- und bußgeldrechtliche Aufarbeitung der aufgedeckten Fälle bei
37 Familienkassen fachaufsichtlich begleitet. Die Höhe
des Hinterziehungsbetrages schwankt zwischen mehreren Hundert und mehreren Tausend Euro. Der Bundesrechnungshof und die Prüfungsämter des Bundes haben
bei ihren Erhebungen aber auch Hinterziehungszeiträume von bis zu 15 Jahren ermittelt.
Die Namen der 37 betroffenen Familienkassen nebst
Zeitraum und jeweiliger Höhe der verkürzten Steuern
leite ich Ihnen, wenn Sie einverstanden sind, Frau Paus,
zu. Dabei handelt es sich um die im Einzelnen bekannt
gewordenen Fälle. Wenn Sie wünschen, trage ich sie Ihnen gerne vor; das dauert dann allerdings ein bisschen.
Frau Kollegin Paus, haben Sie eine Nachfrage?
Ja. Danke, Frau Präsidentin. - Es reicht mir, Herr
Meister, wenn Sie mir das zuleiten.
Ich wollte aber trotzdem noch einmal nachfragen;
denn es geht ja nicht nur um das Problem im Zusammenhang mit den Bundesfamilienkassen, sondern auch um
den fehlenden Datenabgleich mit der Bundesagentur für
Arbeit. Der Bundesrechnungshof hat ja vor fünf Jahren
aufgedeckt, dass es hier ein strukturelles Problem gibt.
Es geht hier auch nicht - wie Sie es gerade ein bisschen
suggeriert haben - um 37 Fälle, sondern um Tausende
deutsche Beamte. Deswegen noch einmal meine Nachfrage: Was hat die Bundesregierung unternommen, um
diese Betrugsfälle zu bekämpfen, und welcher finanzielle Schaden ist seither insgesamt entstanden?
Zunächst einmal, Frau Kollegin Paus: Ich habe nicht
von 37 Fällen, sondern von 37 Familienkassen gesprochen.
Wir haben lediglich Kenntnis über die Fälle, die bei
diesen einzelnen Kassen nachverfolgt worden sind. Insofern kann ich Ihnen keine Zahlen nennen, die über diese
einzelnen nachverfolgten, überprüften Fälle hinausgehen.
Eine Ursache, dass es zu Problemen kommen kann,
ist aus unserer Sicht: Ist das Kind zur jeweils zuständigen Familienkasse richtig zugeordnet, oder kommt es
gegebenenfalls zu Mehrfachzuordnungen? Das kann eine
Ursache sein, dass es zu falschen Zahlungen kommt.
Zum Zweiten haben wir im Regelfall zwei Antragsberechtigte, nämlich beide Elternteile; es kann allerdings
nur ein Antragsberechtigter rechtmäßig das Kindergeld
beziehen. Wenn jetzt, ohne dass das den zuständigen
Stellen auffällt, beide Antragsberechtigte unabhängig
voneinander bei unterschiedlichen Stellen den Antrag
stellen, kann es zu Mehrfachzahlungen kommen.
Die Bundesregierung beabsichtigt, die Zuordnung
von Kindergeldzahlungen für ein bestimmtes Kind in
Zukunft grundsätzlich an einer Steueridentifikationsnummer festzumachen und damit einen Beitrag zu leisten, dass Doppelzahlungen weniger wahrscheinlich werden.
Frau Kollegin Paus.
Ich entnehme Ihrer Beschreibung, dass Sie im Hinblick auf die bisherigen Betrugsfälle nichts unternommen haben und dass Sie auch keine Zahlen darüber haben. Ich frage trotzdem nach: In wie vielen Fällen haben
nach Informationen der Bundesregierung Beamte der
Leitungsebene in einer obersten Bundesbehörde seit
2009 unberechtigt mehrfach Kindergeld bezogen?
Wir haben Zahlen vorliegen - das habe ich mehrfach
erwähnt, und die gebe ich Ihnen nachher - zu den Fällen
bei den 37 Familienkassen, wo für uns sozusagen offenkundig wurde, dass es da tatsächlich zu Mehrfachleistungen gekommen ist. Ob es auch andere Fälle gibt, ist
der Bundesregierung nicht bekannt; dazu gibt es auch
keine Statistik. Deshalb kann ich zu dieser Frage auch
nichts sagen.
Eine gesonderte Statistik über Mitarbeiter der obersten Bundesbehörden, bei denen solche Mehrfachzahlungen von Kindergeld stattgefunden haben, liegt uns nicht
vor.
Gibt es weitere Fragen zu diesem Themenbereich? Ich sehe, das ist nicht der Fall.
Dann komme ich jetzt zur Frage 39 der Kollegin
Dr. Franziska Brantner:
Auf welche genaue Höhe beläuft sich der finanzielle Schaden für Bund, Länder und Kommunen ({0}) durch zu Unrecht in Anspruch genommenes
Kindergeld von Zuwanderern aus EU-Staaten, und was unternimmt die Bundesregierung, um diesen Schaden beziffern zu
können?
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Dr. Brantner, möglicherweise zu Unrecht ausgezahltes Kindergeld wird von
den Familienkassen von Amts wegen zurückgefordert.
Der Anteil, der auf Zahlungen an Zuwanderer aus EUStaaten entfällt, wird statistisch nicht gesondert erfasst.
Frau Kollegin Brantner.
Wie berechnen Sie denn dann den Schaden? Wie wollen Sie das genau beziffern, wenn Sie den Unterschied
gar nicht erfassen können? Sie sagen, es werde keine
Unterscheidung zwischen Deutschen und EU-Ausländern gemacht. Dann hätten Sie eigentlich gar keine Zahlen liefern können.
Ich habe nach meiner Erinnerung eben auch keine
Zahlen genannt.
Nein, aber in dem Zwischenbericht wurden Zahlen
zum Kindergeld genannt. Mich würde interessieren, wie
Sie auf diese Zahlen kamen.
Dazu, woraus diese Zahlen abgeleitet sind, kann ich
Ihnen hier aus dem Stegreif keine Auskunft geben. Das
kann ich aber gerne recherchieren und nachreichen.
Vielen Dank. - Gibt es andere Fragen zu diesem Themenbereich? - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe Frage 40 der Abgeordneten Dr. Franziska
Brantner auf:
Wie hoch beziffert die Bundesregierung die Kosten für ihr
Vorhaben, zur Vermeidung von Missbrauch Antragstellern
künftig Kindergeld nur noch unter Angabe einer Steueridentifikationsnummer auszuzahlen, und welche Berechnungen hat
die Bundesregierung angestellt, um zu klären, ob diese Kosten
auch in einem angemessenen Verhältnis zum beabsichtigten
Ziel der Missbrauchs- und Betrugsbekämpfung stehen?
Der Herr Kollege Meister wird wieder antworten.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin
Dr. Brantner, eine Umsetzung des Vorhabens wird voraussichtlich einen Aufwand von rund 3,4 Millionen
Euro erzeugen. Die Bundesregierung hat keine eigenen
Berechnungen verlangt. Wir gehen davon aus, dass sich
der Aufwand von 3,4 Millionen Euro mittelfristig rentieren wird.
Frau Kollegin Brantner.
Woher können Sie denn wissen, dass sich dieser Aufwand mittelfristig rentieren wird, wenn Sie keinerlei Ahnung über die wirklichen Schäden haben? In Ihrer Antwort auf meine Frage 39 haben Sie vorhin gesagt, Sie
wüssten gar nicht, wie hoch der Schaden ist. Es ist interessant, dass Sie jetzt sagen können, dass sich das rentiert.
Frau Kollegin Brantner, wir gehen davon aus, dass es
bei Kindergeldfällen mit Auslandsbezug deshalb besonders schwierig ist, die Korrektheit nachzuweisen, weil es
eben besonders schwierig ist, die korrekte Erfüllung der
Anspruchsgrundlagen für eine Kindergeldzahlung nachzuweisen. Deshalb ist natürlich das Risiko, dass es hier
zu nicht korrekten Zahlungen kommt, höher als bei einem Inlandssachverhalt, bei dem das Kind hier am Ort
lebt und die Zahlungen eindeutig dem Kind zugeordnet
werden können.
Trotzdem möchte ich noch einmal nachfragen: Es gibt
natürlich immer viele Risiken, aber nicht jedes Risiko
muss man durch einen Verwaltungsaufwand in Höhe von
mindestens 3,4 Millionen Euro absichern. Können Sie
vielleicht noch einmal schriftlich darlegen, wie hoch Sie
das Risiko einschätzen, wie groß der Schaden ist, der
wirklich entsteht, und ob er in einem angemessenen Verhältnis zu dem Generalverdacht gegen EU-Ausländer
hinsichtlich eines Kindergeldbetrugs steht, warum er bei
Fällen mit einem Auslandsbezug höher liegen soll und
worauf sich Ihre Annahme stützt, dass europäische Ausländer generell eher betrügen als Deutsche?
Wir unterstellen weder bei Inländern noch bei Ausländern Betrug. Wir werden auch keine Sonderregeln für
Menschen, die im Ausland leben, schaffen, sondern wir
werden allgemeine Regeln aufstellen, die für alle Kinder
und den Kindergeldbezug anzuwenden sind.
Vornehmlich versuchen wir dort, wo es möglich ist,
anhand der vorhin angesprochenen Steueridentifikationsnummer vorzugehen, weil wir dann einen Fall eindeutig
einer Nummer zuordnen können. Sollten also mehrere
Kindergeldzahlungen derselben Steueridentifikationsnummer zugeordnet werden, dann kann man das relativ
leicht aufklären.
Wenn das nicht möglich ist, weil das Kind im Ausland lebt, der Antrag aber von einem im Inland anspruchsberechtigten Elternteil gestellt wird, werden wir
Unterlagen verlangen, die denen gleichgestellt sind, die
sie benötigen, wenn sie eine Steueridentifikationsnummer beantragen.
Vielen Dank. - Gibt es weitere Fragen zu diesem Themenschwerpunkt? - Ich sehe, das ist nicht der Fall.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums der Finanzen.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
Die Fragen 41 und 42 der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, die Fragen 43 und 44 des Abgeordneten
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, die Frage 45 der Abgeordneten Ulla Jelpke, die Fragen 46 und 47 der Abgeordneten Sabine Zimmermann und die Fragen 48 und 49 des
Abgeordneten Markus Kurth werden schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.
Die Fragen 50 und 51 der Abgeordneten Bärbel Höhn
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung.
Die Fragen 52 und 53 der Abgeordneten Agnieszka
Brugger werden schriftlich beantwortet.
Schließlich kommen wir zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend.
Die Frage 54 der Abgeordneten Renate Künast wird
schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende der heutigen Fragestunde angelangt.
Ich unterbreche die Sitzung bis zur Aktuellen Stunde
um 15.35 Uhr, die dann aufgerufen wird.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung wird fortgesetzt.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Konsequenzen der Bundesregierung aus dem
IPCC-Weltklimabericht
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Anton Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der IPCC-Bericht lässt an Deutlichkeit nichts
vermissen. Die Wissenschaft ist sich inzwischen vollkommen einig: Die Szenarien sind dramatisch. Wir brauchen rasches und entschlossenes Handeln, um die Klimakatastrophe - es geht schon gar nicht mehr darum, sie
zu verhindern - zumindest zu verzögern, sie abzumildern, sodass wir eine Chance haben, wenigstens einigermaßen erträglich mit den Folgen umzugehen.
Die Klimakatastrophe - es wirkt oft harmlos, wenn
man hört, es wird etwas wärmer - hat massive Auswirkungen auf viele Menschen und auf viele Ökosysteme.
Viele Menschen werden durch die Klimakatastrophe ihre
Heimat verlassen müssen. Sie werden zur Flucht gezwungen werden. Es wird Wassermangel geben. Es wird
Dürren geben. Die Zahl der Bürgerkriege wird zunehmen. Das alles wird insbesondere in südlichen Regionen
der Fall sein. Das wird besonders Afrika und Ozeanien
betreffen, aber auch Australien. Aber auch wir hier in
Europa, in Deutschland, müssen damit rechnen, dass die
Anzahl der Hochwasserereignisse, die Anzahl der DürDr. Anton Hofreiter
ren und die Anzahl instabiler Wetterlagen zunimmt und
wir deshalb vor großen Problemen stehen.
Wenn man den IPCC-Bericht genau liest, dann erkennt man darin auch eine ermutigende Botschaft, eine
Hoffnung; denn noch haben wir die Chance, das 2-GradZiel einzuhalten. Das wird nicht einfach, und dann ist
auch nicht alles gut, aber es wird zumindest nicht katastrophal werden. Wir müssen jetzt handeln. Die Bundesrepublik muss jetzt dringend handeln.
({0})
Was macht Merkel bei diesem schönen Thema?
Merkel sitzt da und legt die Hände in den Schoß. Sie legt
sie rautenförmig in den Schoß. Aus der Raute ist so eine
Art Flaute geworden, was das Thema Klimaschutz angeht.
({1})
Deutschland war einmal Vorreiter beim Thema Klimaschutz. Unter Schwarz-Gelb ist Deutschland dann zurückgefallen. Unter Schwarz-Rot laufen die Kohlekraftwerke auf Hochtouren. Der CO2-Ausstoß steigt. Wir sind
nicht nur nicht mehr Vorreiter, wir sind auch nicht zurückgefallen, sondern wir sind inzwischen leider einer
der Bremser beim Klimaschutz. Das darf so nicht sein.
({2})
Man hat oft den Eindruck: Je stärker der Handlungsdruck wird, desto ruhiger, entspannter und zurückhaltender wird die Politik. Je notwendiger es wird, rasch zu
handeln, je alarmistischer, je besorgter die Prognosen der
Wissenschaft werden, desto handlungsärmer wird die
Politik, desto ruhiger sitzt Frau Merkel auf ihrem Stuhl.
Aber wenn Realität und Politik miteinander in Konflikt
geraten, dann wird es am Ende für die Politik schwierig
werden. Der Klimawandel, die Klimakatastrophe ist
Realität. Sie wird nicht durch Aussitzen verschwinden.
({3})
Wir bräuchten also eine Kanzlerin, die sich wirklich
um den Klimaschutz kümmert, eine Regierung, die sich
um den Klimaschutz kümmert, und Regierungsfraktionen, die dafür sorgen, dass Klimaschutz Realität wird.
Stattdessen haben wir eine Bundesumweltministerin, die
davon spricht, dass man die Kohle nicht verteufeln solle.
Hat sie nicht verstanden, dass das Problem nicht im Verteufeln liegt, sondern dass das Problem das Verbrennen
der Kohle ist? Da fragt man sich: Warum ist sie dann
Bundesumweltministerin?
({4})
Was wir deshalb dringend brauchen, ist eine Regierung, die handelt. Wir brauchen dringend eine Regierung, die ein ambitioniertes Klimaschutzgesetz erlässt,
das dafür sorgt, dass das Klima auch wirklich geschützt
wird.
Wir bräuchten eine Bundesregierung, die auf die EU
Druck ausübt, damit diese wieder Vorreiter wird. Dringend notwendig sind drei Ziele: Wir brauchen ein Effizienzziel; denn die beste Energie ist immer noch die gesparte Energie. Wir brauchen ein Erneuerbare-EnergienZiel. Wir brauchen ein ambitioniertes CO2-Reduktionsziel und eine Reparatur des Emissionshandels.
Bei all dem hat man das Gefühl, dass die Bundesregierung im Bremserhäuschen sitzt und auf europäischer
Ebene eher ein Teil des Problems als ein Teil der Lösung
ist. Unterstützen Sie die Klimakommissarin, und hören
Sie auf, auf Herrn Oettinger zu hören! Denn er hat die
grundlegenden Probleme nicht verstanden. Seien Sie
Teil der Lösung statt Teil des Problems!
({5})
Herr Kollege, bitte denken Sie an die Redezeit.
Was wir brauchen, ist Klimaschutz, eine EEG-Novelle, die für Klimaschutz sorgt, und Mobilität ohne Öl.
Es ist höchste Zeit, zu handeln, und es wird höchste Zeit,
dass wir eine Bundesregierung haben, die diese Herausforderung endlich annimmt.
({0})
Vielen Dank. - Es spricht jetzt für die CDU/CSUFraktion der Kollege Andreas Jung.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bevor ich zu den unterschiedlichen politischen Wertungen komme, die wir ohne Zweifel haben, lieber Kollege
Hofreiter, möchte ich zunächst einmal die Gemeinsamkeiten und die gemeinsame Wahrnehmung in den Mittelpunkt stellen. Die gemeinsame Wahrnehmung ist, dass
der IPCC-Bericht hilfreich ist. Er knüpft an viele Berichte an, die ihm vorausgegangen sind, und er führt uns
vor Augen: Ja, der Klimawandel findet statt. Ja, es gibt
eine ganz reale Bedrohung, und ja, es gibt ganz erhebliche Risiken, die von dieser Entwicklung ausgehen. Es ist
dringend Zeit, zu handeln, und wir müssen etwas tun.
Wenn es uns nicht gelingt, dann werden die Auswirkungen auf Mensch und Arten, auf die Natur insgesamt
im wahrsten Sinne des Wortes fatal sein. Deshalb kann
man nach meiner Überzeugung auch ohne Übertreibung
sagen: Die Herausforderung des Klimawandels ist global
gesehen in diesem Jahrhundert die größte ökologische,
ökonomische, soziale und humanitäre Herausforderung
und hat im Übrigen auch sicherheitspolitische Dimensionen.
Deshalb müssen wir handeln. Deshalb muss auf den
UN-Konferenzen die Zeit des Redens in eine Ära des
Handelns übergehen. Deshalb brauchen wir endlich ein
internationales und effizientes Klimaschutzabkommen,
an dem alle Staaten beteiligt sind und bei dem alle mitmachen. Darum geht es in Lima als Weichenstellung.
Darum geht es nächstes Jahr bei der Konferenz in Paris.
Wir ermuntern die Bundesregierung und Sie, Frau
Umweltministerin: Tun Sie alles, damit dieser Gipfel
zum Erfolg wird! Ich bin sicher: Dabei haben Sie die
Unterstützung des ganzen Parlaments.
({0})
Wir wissen: Ob es am Ende gelingt, liegt nicht nur an
uns. Das liegt maßgeblich daran, ob die großen Emittenten, die USA und China, ihre gegenseitige Blockade
überwinden und tatsächlich bereit sind, sich ausgehend
von Maßnahmen, die sie schon durchführen, gegenüber
der Staatengemeinschaft in einem internationalen Abkommen zu verpflichten. Es gibt Meldungen, die uns
optimistisch sein lassen. Aber es ist noch eine weite
Strecke zurückzulegen. Wir müssen beide, die USA und
China, in die Verantwortung nehmen. Ohne sie geht es
nicht.
Aber uns, der Europäischen Union und Deutschland,
kommt in diesem Prozess eine wichtige Rolle zu. Worum geht es? Wir müssen glaubwürdig die Vorreiterrolle
ausfüllen. Da, lieber Kollege Hofreiter, beginnt die unterschiedliche Wertung. Deutschland und Europa werden
nach wie vor als Vorreiter in diesem Prozess und als
Staaten wahrgenommen, die auf einen Erfolg drängen.
Aber ich sage dazu auch: Jetzt müssen die Weichen gestellt werden, um diese Glaubwürdigkeit zu bewahren.
Das gilt innerhalb der Europäischen Union. Es geht um
ehrgeizige Ziele und wirkungsvolle Instrumente.
Wir bekennen uns als Regierungskoalition zu der
Zieltrias, also zu ehrgeizigen Zielen bei den erneuerbaren Energien und bei der Energieeffizienz. Das hat die
EU noch zurückgestellt. Da brauchen wir ein ambitioniertes Ziel. Ich finde es richtig, dass am Ende das herauskommt, was das Europaparlament befürwortet hat,
nämlich ein Ziel von 40 Prozent im Bereich der Energieeffizienz. Das sollte Deutschland unterstützen.
({1})
Bei den Klimazielen ist der aktuelle Stand in der Europäischen Union: Minus 40 Prozent bis 2030 werden
als Ziel angestrebt. Dazu will ich sagen: Das ist die untere Grenze. Da ist Spielraum nach oben. Das sieht man
schon im Koalitionsvertrag. Dort ist nämlich von einem
Ziel von mindestens minus 40 Prozent die Rede. Wenn
wir wollen, dass die Verhandlungen am Ende erfolgreich
sind, dann bedarf es einer Dynamik. Dann müssen alle
ein Stück weit über das hinausgehen, was sie bisher gemacht und vereinbart haben. Wenn ich „alle“ sage, dann
meine ich damit auch die Europäische Union. Wir sollten mit Offenheit in diesen Prozess gehen. Das bedeutet
auch, dass er mit sich bringen kann, diese Zielvorgabe in
einem solchen Prozess und im Rahmen eines Klimaabkommens noch einmal zu erhöhen. Das verstehe ich unter der Aussage „mindestens minus 40 Prozent“ im
Koalitionsvertrag.
({2})
Ferner geht es darum, den Emissionshandel zu „reparieren“. Da sind wir uns in der Analyse einig. Wahr ist
im Übrigen, dass es diese Regierungskoalition war, die
mit dem Backloading, also der Verknappung der Zertifikate, den ersten Schritt gemacht hat, um mehr Druck auf
Kohlekraftwerke und zugunsten des Klimaschutzes zu
erzeugen. Wahr ist aber auch: Das reicht nicht. Wir brauchen darüber hinaus eine strukturelle Reform. Das muss
in der EU passieren. Bei uns in Deutschland geht es darum, dass wir unser ehrgeiziges Ziel von minus 40 Prozent bis 2020 erreichen. Die Bundesumweltministerin
will dafür Sofortmaßnahmen vorschlagen. Sie wird
nachher sicherlich dazu sprechen. Diese Diskussion werden wir als Union konstruktiv angehen. Wir wollen sie
zum Erfolg bringen. Das gilt für die gesamte Energiewende. Wir setzen nicht auf Kernenergie, Fracking und
Kohle, sondern auf Erneuerbare, auf Energieeffizienz
und auf Klimaschutz. Das ist unser Weg. Wir wollen gemeinsam daran arbeiten, das zum Erfolg zu führen.
({3})
Vielen Dank. - Es spricht jetzt Eva Bulling-Schröter,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als Klimapolitikerin weiß ich, wie schwer vermittelbar
globale Erwärmung, Klimawandel sowie Folgen für
Mensch und Natur sind. Ich sage „schwer vermittelbar“,
weil spürbare Folgen verfehlter Energie- und Klimapolitik hierzulande nicht morgen oder übermorgen auftreten,
sondern erst in 20, 30 oder gar 100 Jahren und weil Ergebnisse guter Energie- und Klimapolitik eben nicht
über Niederlage und Sieg bei der nächsten Wahl entscheiden, sondern erst später, etwa im Jahr 2040, wenn
Schulkinder über diese Große Koalition, die bei der
Energiewende weiter auf die Bremse tritt, verständnislos
den Kopf schütteln werden. So sieht es heute aus. Gerade wegen der Langfristigkeit ist es mir ein Anliegen,
dass heute wirklich jedem hier im Haus und im Land, ob
in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg oder
Mecklenburg-Vorpommern, deutlich wird, warum es uns
etwas angeht, wenn vom Klimawandel die Rede ist, und
auf welcher Grundlage die Warnungen von uns Klimapolitikern überhaupt fußen.
Zur empirischen Datenlage. Noch nie war ein Bericht
des Weltklimarates sowohl bei Auswahl als auch bei
Bewertung von Datenmaterial, Studien und Modellierungen so sorgfältig, so detailliert und damit wissenschaftlich so unangreifbar wie dieser Fünfte Sachstandsbericht. Allen Klimawandelskeptikern und Kohlefans
bei Union, SPD und anderswo, denen es nur um Verharmlosung geht, sage ich deshalb: Noch nie in der Wissenschaftsgeschichte der Menschheit haben ForscherinEva Bulling-Schröter
nen und Forscher aller fünf Kontinente in gemeinsamer
Arbeit, Abstimmung und Fachdiskussion ein derart umfangreiches Projekt in die Tat umgesetzt. Ihr Forschungsinteresse ist für uns alle von entscheidender Bedeutung,
({0})
nämlich der Erde eine verlässliche Diagnose über das ins
Taumeln geratene Weltklima abzuringen.
Ja, die Klimaforscher sind Überbringer schlechter
Nachrichten, und sie sehen sich aus diesem Grund immer wieder öffentlichen Anfeindungen ausgesetzt.
Selbst die wissenschaftliche Seriosität wird ihnen abgesprochen. Ich finde, das geht überhaupt nicht.
({1})
Die Linke will der Klimaforschung an dieser Stelle ganz
klar ihren Respekt und ausdrücklichen Dank aussprechen. Es geht immerhin um die Lebensgrundlage aller
Menschen. Das, meine Damen und Herren, geht uns alle
an.
({2})
Der neueste Bericht des Weltklimarates zeigt wieder
einmal, wie tiefgreifend die Folgen des menschengemachten Klimawandels wirklich sind. Ich will an dieser
Stelle nicht wieder die bekannten Bilder von Wirbelstürmen, Dürren, Überschwemmungen und Flüchtlingsströmen bemühen. So viel aber ist klar: Die 2-Grad-Marke
der Erderwärmung ist in der aktuellen Tendenz nicht zu
schaffen. Die Forscher rechnen in Worst-Case-Szenarien
gar mit einer möglichen Erwärmung von 6,8 Grad Temperaturanstieg. Das ist einfach eine Katastrophe. Bald ist
es 4 Grad wärmer als vor der Industrialisierung. Die Klimaerwärmung ist also Realität. Nun heißt es, sich an die
Folgen anzupassen, ohne aber die CO2-Reduktion aus
den Augen zu verlieren. Auch das sage ich ganz klar.
Wie erklärte gestern ein IPCC-Leitautor von der Arbeitsgruppe 2 zu „Folgen, Anpassung und Verwundbarkeit“ so schön? Wir wissen nicht, ob bei einem vollgelaufenen Keller 50 Prozent vom Klimawandel kommen
und 50 Prozent ganz normales Wetter ist. - Ganz richtig.
Aber wenn das Haus unter Wasser steht oder das Dach
weggeflogen ist, dann ist es den Bürgern eigentlich
wurscht. Diese Zahlenspiele sind völlig egal. Da ist die
Politik gefragt.
({3})
Wir wissen um die Notwendigkeit der Anpassung.
2009 wurde hier im Haus die deutsche Anpassungsstrategie verabschiedet. Alle Reden gingen zu Protokoll. Ein
dringendes Interesse in Öffentlichkeit und Politik fehlt
weiter. Darum finde ich diese Aktuelle Stunde so wichtig, auch wenn wir den nächsten IPCC-Bericht noch hätten abwarten können. Ich finde es aber trotzdem gut,
dass wir das diskutieren.
Die größten Risiken des Klimawandels tragen - das
kann man an dieser Stelle noch einmal sagen - Arme,
Fischer, Bauern, Kleinsthändler. Die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit kann Schaden nehmen, überall, auch
die Gesundheit. Dann frage ich mich: Warum erkennen
Versicherungen klimawandelinduzierte Schäden nicht
an? Was ist mit der medizinischen Forschung zu Gesundheitsschäden durch Klimawandel? Warum gibt es in
der UN-Flüchtlingskonvention keinen Status für Klimaflüchtlinge? Und warum rühmen sich Forschungs- und
Umweltministerium? 250 Millionen Euro stehen für die
Anpassung in den Entwicklungsländern bereit.
Denken Sie an die Redezeit, bitte.
Letzter Satz. - Wissen Sie, was ein Deich kostet? Die
250 Millionen sind viel zu wenig. Allein auf den Philippinen gibt es 36 000 Kilometer Küste. Der Betrag ist lächerlich.
Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie in
vielerlei Hinsicht etwas tut. Wir haben die Themen genannt. Es muss jetzt wirklich etwas passieren. Es ist eigentlich schon fünf nach zwölf.
Danke.
({0})
Für die Bundesregierung spricht jetzt Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Bericht des Weltklimarates IPCC ist erneut ein
Weckruf an uns alle, an die gesamte Menschheit, wenn
man so will. Wir wissen alle: Die Folgen des Klimawandels sind bereits heute mehr als deutlich zu beobachten.
In den kommenden Jahrzehnten drohen durch Zunahme
von Hitze und Extremereignissen immer stärkere Nachteile für Menschen und Ökosysteme. Ohne raschen und
ambitionierten Klimaschutz wäre ein globaler Temperaturanstieg um durchschnittlich 4 Grad Celsius oder mehr
wahrscheinlich. Das wäre eine Welt, in der wir uns gar
nicht vorstellen können zu leben. Deswegen ist natürlich
das Ziel, den Anstieg auf maximal 2 Grad zu begrenzen,
das größte Ziel, das wir in diesem Zusammenhang haben. Die Möglichkeiten zur Anpassung an den Klimawandel würden bei einem Anstieg von 4 Grad nämlich
schwinden oder sehr viel teurer werden. Es steigt auch
die Gefahr von abrupten, unumkehrbaren Klimaänderungen, sogenannten Kipppunkten. Der IPCC betont
auch, dass angesichts des zu erwartenden Klimawandels
die gegenwärtigen Anpassungsmaßnahmen schon nicht
mehr ausreichen.
Für mich sind die politischen Konsequenzen aus den
neuen IPCC-Berichten - einen Teilbericht haben wir
heute vorliegen, und schon in anderthalb Wochen bekommen wir hier in Berlin einen weiteren Teilbericht
überreicht - vollkommen klar: Eine verantwortungsvolle
Klimapolitik muss immer auf zwei Säulen stehen: Sie
muss erstens dafür sorgen, dass die Erderwärmung die
2-Grad-Marke nicht übersteigt. Sie muss aber zweitens
auch Risiken erkennen und sich auf die nicht vermeidbaren Folgen von Klimaveränderungen vorbereiten und
einstellen.
({0})
Anpassung ist jedenfalls weder leichter noch billiger als
Vermeidung. Trotzdem müssen wir auch an Anpassungsstrategien denken. Wir wissen aber, wie gesagt, dass Anpassung ganz gewiss nicht leichter oder billiger ist als
Vermeidung, im Gegenteil: Je zögerlicher die Staatengemeinschaft bei der Minderung der Treibhausgase ist,
desto mehr wird schließlich für Anpassungen zu zahlen
sein.
Die IPCC-Ergebnisse sind eine Bestätigung für die
ehrgeizigen Klimaschutzziele der Bundesregierung. Bis
zum Jahr 2050 wollen wir in der EU die Emissionen um
80 bis 95 Prozent absenken, und wir in der Bundesrepublik Deutschland haben schon den Ehrgeiz, bei der Absenkung eher am oberen als am unteren Rand zu liegen,
also eher an 95 Prozent zu kommen, als bei 80 Prozent
zu verbleiben.
Unser nächstes Etappenziel ist es, die Treibhausgasemissionen hier in Deutschland bis 2020 um mindestens
40 Prozent gegenüber 1990 zu senken.
({1})
Ich habe mir nach meinem Amtsantritt aufarbeiten lassen, wo wir mit den bisher von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen stehen. Die nüchterne Eröffnungsbilanz zu Beginn dieser Legislaturperiode ist, dass
wir mit den Maßnahmen, die wir bislang ergriffen haben, eine Minderung der Treibhausgase um etwa 33 bis
35 Prozent bis zum Jahr 2020 erreichen können. Da ich
mir eine verhältnismäßig schlechte Wirtschaftsentwicklung, die dazu führen würde, dass wir die Reduzierung
um 35 Prozent erreichen, nicht wünschen kann und ich
nicht glaube, dass wir damit zu rechnen haben, müssen
wir davon ausgehen, dass tatsächlich bis zum Jahr 2020
eine Lücke von 7 Prozentpunkten verbleibt, die wir mit
den bisher ergriffenen Maßnahmen nicht schließen können. Ich werde deswegen, wie schon angekündigt wurde
- es wurde eben angesprochen -, auf der Basis dieser
Ausgangsanalyse, nach der wir noch 7 Prozentpunkte
mehr erreichen müssen, mit den Ressorts der Bundesregierung ein Sofortprogramm abstimmen, mit dem wir
die Politiklücke, die wir bisher offenbar haben, schließen
können. Dabei ist klar:
Erstens. Das Umwelt- und Bauministerium kann,
auch wenn es einen großen Teil erbringen kann, die zusätzlichen Minderungen nicht alleine erbringen. Wir
brauchen das Mittun aller Ressorts, die ihre Verantwortung für die jeweiligen Sektoren, für die sie zuständig
sind, übernehmen müssen.
({2})
Jeder muss also zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen erbringen.
Zweitens. Wir dürfen uns und auch der Öffentlichkeit
nichts schönrechnen. Die Minderungsmaßnahmen müssen geeignet sein, die notwendigen Erfolge zu bringen.
Drittens. Auch ein Sofortprogramm gelingt leider
nicht im Hauruckverfahren, sondern muss sorgfältig mit
den betroffenen Ministerien ausgearbeitet werden.
Ich werde noch vor Ostern erste Eckpunkte des Programms an die Ressorts versenden. In einer ressortübergreifenden Arbeitsgruppe werden wir auf der Basis dieser Eckpunkte die konkreten Maßnahmen verabreden.
({3})
Im Herbst sollten wir das Programm im Kabinett verabschieden können. Ich glaube, dass wir dann endlich wieder die Vorreiterrolle zurückerobert haben, die uns in der
Vergangenheit etwas abhandengekommen ist. Aber es ist
schon richtig: Wir gelten immer noch als beispielhaft.
Nur, der Ehrgeiz hat in Europa insgesamt etwas nachgelassen. Dann muss es unser Ziel sein, nicht nur selber
wieder ehrgeiziger zu werden, sondern auch den Ehrgeiz
der anderen gleichsam mitzuziehen.
({4})
Ich will dem skizzierten Prozess nicht vorgreifen;
aber es ist völlig klar - das haben der Bundeswirtschaftsminister und ich in den letzten Wochen immer wieder
gesagt -, dass eine Reform des Emissionshandels einen
bedeutenden Teil der zusätzlichen Minderungen ermöglichen muss. Denn dieses Instrument steuert ja die Emissionsminderungen im gesamten Bereich der Energiewirtschaft und der Industrie.
Kollege Hofreiter, Sie machen es sich ein bisschen zu
leicht, wenn Sie so tun, als würden alle Menschen, die
aus Nordrhein-Westfalen kommen, nicht begreifen, dass
beim Verbrennen von Kohle CO2 entsteht. Das wissen
wir sehr wohl, keine Sorge.
({5})
- Herr Krischer kommt sogar aus dem Aachener Kohlerevier, ich nicht.
({6})
Die Energiewende mit dem Ausbau der erneuerbaren
Energien und mehr Energieeffizienz kann nur in Kombination mit einer solchen Reform des Emissionshandels
ihre volle Wirksamkeit für den Klimaschutz erbringen.
Selbstverständlich muss auch der Verkehrssektor seinen
Beitrag für mehr Klimaschutz leisten. Und im Gebäudebereich werden wir gemeinsam mit dem Energieminister
unter anderem dafür sorgen, dass die bereitstehenden
Fördermittel eine maximale Wirksamkeit für den Klimaschutz erreichen. Im Übrigen ist dies auch die vernünftigste Strategie, um unsere Abhängigkeit von Gasimporten zu mindern.
({7})
Ich bin in den letzten Tagen häufiger auf ein Interview angesprochen worden, das ich gegeben habe. Ich
will dazu nur so viel sagen: Ich weiß auch, dass wir das
Klima nicht dadurch retten, dass wir Pullover anziehen.
({8})
Aber ich weiß - und das wollte ich zum Ausdruck bringen; ich hoffe, dass das die meisten auch so verstanden
haben -, dass auch wir in Mitteleuropa unsere Lebensweise überprüfen müssen. Es geht hier nicht allein um
staatliche Maßnahmen, die wir selbstverständlich brauchen: Vorgaben im Ordnungsrecht, Fördermaßnahmen
und vieles andere mehr. Es geht auch darum, dass wir
unsere eigene Lebensweise überprüfen. Wir sollten nicht
vergessen, dass die Menschen in den Tropen oder in den
Subtropen ihr Leben sozusagen total auf den Kopf stellen - oder es sogar verlieren. Im Gegensatz dazu sind die
Anpassungsmaßnahmen, die von uns erwartet werden,
verhältnismäßig überschaubar.
({9})
In der EU setzen wir uns dafür ein, dass ehrgeizige
Ziele für das Jahr 2030 beschlossen werden; das ist heute
schon angesprochen worden. Selbstverständlich setzen
wir uns für die Zieltrias ein: 40 Prozent Emissionsminderung, Zunahme des Anteils der erneuerbaren Energien
an der Stromversorgung um 30 Prozent und ein wirklich
spürbares Ziel bei der Energieeffizienz.
Es ist nicht so einfach, das in der Europäischen Union
zum Gemeingut zu machen, aber - Kollege Jung und
andere haben darauf hingewiesen - dies ist unser gemeinsames Ziel. Nur auf diese Weise können wir bei den
Vereinbarungen, die auf uns zukommen werden, voranschreiten. Wir wissen ja, dass wir die Ziele auf europäischer Ebene erreichen müssen; denn nur durch unser entschlossenes Handeln auf europäischer Ebene können wir
wiederum auf internationaler Ebene voranschreiten.
Wir haben die Verantwortung, die Klimakonferenz
Ende des Jahres 2015 zu einem Erfolg zu bringen. Dafür
arbeiten wir auf allen Ebenen. Wir haben zum Beispiel
so etwas wie eine „Klimaaußenpolitik“ angestoßen. Ich
bin meinem Kollegen Frank-Walter Steinmeier außerordentlich dankbar, dass er dafür gesorgt hat, dass sich diejenigen, die sowieso für uns im Ausland tätig sind, nämlich im Diplomatischen Dienst, dieses zu ihrer Aufgabe
gemacht haben und viele notwendige Gespräche führen.
({10})
Selbstverständlich geschieht das auch auf der Leitungsebene meines Ministeriums. Aber wir können natürlich nicht in der ganzen Welt unterwegs sein; denn irgendwie müssen wir die Arbeit zu Hause auch noch
erledigen. Diese Klimaaußenpolitik ist gerade im Hinblick auf 2015 von hoher Bedeutung; denn die Interessenlagen in der Welt sind nun mal außerordentlich unterschiedlich.
Frau Ministerin, Sie haben eine ganz besondere Verantwortung.
({0})
Danke. - Im Juli werden wir zum Petersberger Klimadialog einladen. Wir tun alles, um voranzuschreiten. Wir
wissen, dass wir das nicht alleine können. Wir sind darauf angewiesen, dass die Weltgemeinschaft das ebenso
sieht wie wir. Wir sind auch auf das Verständnis und das
Engagement unserer Bürgerinnen und Bürger angewiesen.
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt die Kollegin
Annalena Baerbock, Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Meine Vorrednerinnen und -redner haben es
schon erwähnt: Der IPCC-Bericht hat deutlich gemacht:
Auch in Europa leben wir nicht auf einer Insel der
Glückseligen. Dass jetzt alle drei bis fünf Jahre Jahrhunderthochwasser mit Milliardenschäden kommen, hat
dazu geführt, dass selbst in den Reihen der CDU/CSU
gesagt wird, dass der Klimawandel ernsthaft angegangen
werden muss.
Das Problem ist nur, dass die Maßnahmen aufgeschoben werden. Der IPCC-Bericht richtet sich an all jene,
die sagen: Erst einmal müssen wir an unsere Wirtschaft
denken, dann tun wir etwas für das Klima. - Der Bericht
macht deutlich: Je später wir handeln, desto teurer wird
es auch für die gesamte Wirtschaft in Europa und weltweit.
({0})
Deswegen reicht es halt nicht, wenn man sagt: Wir ergreifen ein paar Maßnahmen, und irgendwann kommt
auch unser Sofortprogramm. - Vielmehr muss Klimaschutz in der Bundesrepublik Deutschland wieder
Toppriorität erhalten.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und
Union, müssen sich jetzt entscheiden: Wollen Sie Ihre
internationalen Klimaschutzverpflichtungen einhalten
- CO2-Reduktion um mindestens 80 Prozent bis zur
Mitte des Jahrhunderts -, oder wollen Sie sagen: „Die
Energiewende ist viel zu teuer, wir können das unserer
Wirtschaft nicht antun, und sowieso müssen wir mal ein
Stück langsamer fahren“? Das passt alles nicht zusammen.
({1})
Wenn Sie sich dafür entscheiden, in der Debatte allein
auf die Kostenfrage zu setzen und zu sagen: „Wir dürfen
der Industrie nicht so viel aufbürden“, dann fahren Sie
bitte zusammen mit Frau Hendricks zum nächsten Weltklimagipfel und sagen dort: Wir haben das mit unseren
internationalen Verpflichtungen nicht so gemeint; wir arbeiten nicht mehr an einer Minderung des CO2-Ausstoßes. - Dieses Sowohl-als-auch geht nun einmal nicht.
Die Energiewende ist wie eine Schwangerschaft: Ein
bisschen Energiewende geht eben nicht.
({2})
Liebe Frau Hendricks, wir Grüne mögen Strickpullis
sehr gerne. Wir ziehen sie auch gerne an; im Sommer
vielleicht einen etwas dünneren. Diese Lebensstilfrage
ist aber keine Rechtfertigung dafür, dass man sich aus
der politischen Verantwortung zurückzieht.
({3})
Wenn man sagt, dass die Menschen ihren Beitrag zum
Klimaschutz leisten müssen, dann muss die Politik in einem solchen Fall eben noch mehr tun. Das bedeutet ganz
konkret: Wenn Klimaschutz wieder Toppriorität erhalten
soll, dann müssen wir den Klimaschutz gesetzlich verankern. Wir brauchen ein Klimaschutzgesetz - wie es etliche Länder vorgemacht haben.
({4})
Wenn Klimaschutz wieder Toppriorität erhalten soll,
dann reicht ein Herumfrickeln am EEG eben nicht, sondern dann muss man über das Strommarktdesign reden,
und man muss den Bestandsschutz von Kohle infrage
stellen.
({5})
Wenn wir über Klimaschutz reden und das Toppriorität
erhalten soll, dann darf man nicht bei einem Frühjahrsgipfel der EU sagen: „Aufgrund der Ukraine verschieben
wir das Thema Klimaschutz auf die nächsten Ratssitzungen“; denn - das wurde zu Recht betont - wir müssen
uns unabhängiger machen von Energieimporten. Was
hätte die Antwort auf dem Frühjahrsgipfel sein müssen?
Sie hätte lauten müssen: Deswegen arbeiten wir noch
ambitionierter an den Klima- und Energiezielen für das
Jahr 2030; deswegen arbeiten wir noch härter für eine
bessere Energieeffizienz. - Die Energieeffizienz ist doch
der Schlüssel zu einer größeren Unabhängigkeit von Gasimporten aus aller Welt.
({6})
Wenn darauf verwiesen wird: „Die anderen europäischen Länder wollten nicht“, dann antworte ich mit dem
schönen Spruch von früher: Frieden fängt zu Hause an. Das gilt auch für den Klimaschutz: Klimaschutz fängt zu
Hause an. Schauen wir einmal hin, was Deutschland
beim Thema Energieeffizienz gemacht hat: Seit 2012
sollte die Energieeffizienz-Richtlinie umgesetzt werden.
Das ist sie bis heute nicht. Wir hatten uns dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2020 gegenüber dem Stand von 2008
20 Prozent Energie einzusparen. Wo stehen wir? Nach
Zahlen von 2012 stehen wir bei 2,7 Prozent. Inwiefern
ist man da Vorreiter?
({7})
Wenn Klimaschutz Priorität haben soll, dann kommen
Sie auch um die Frage der Nutzung fossiler Energien
nicht herum. So ist das halt: Wenn ein Drittel der weltweiten CO2-Emissionen von fossilen Energieträgern verursacht wird, dann müssen wir das angehen. Heute
wurde bekannt, dass die Emissionen der 30 größten
Kohlekraftwerke in Deutschland um 5 Prozent gestiegen
sind. Da kann man doch nicht einfach wegsehen, sondern man muss wie NRW sagen: Ja, wir ziehen die Konsequenzen, wir überdenken unsere Braunkohlepläne,
und wir steigen sukzessive aus. - Es redet niemand von
einem Sofortausstieg, auch nicht wir Grünen. Wir sagen:
Wir dürfen nicht mit einer Braunkohlestrategie weitermachen, nach der auch in den Jahren 2040 und 2050
Kohle verstromt wird; denn dann erreichen wir die internationalen Ziele definitiv nicht.
({8})
Liebe Linke, reden Sie bitte mit Ihren Kollegen in
Brandenburg. Dort stellen Sie den Wirtschaftsminister.
Just an dem Tag, an dem in NRW parlamentarisch entschieden werden soll, dass man den dritten Teilabschnitt
von Garzweiler II nicht angeht, am 28. April 2014, will
Ihr Wirtschaftsminister in Cottbus die neuen Tagebaupläne für Welzow-Süd II genehmigen. Das kann nicht
sein, die Kohle muss bleiben, wo sie ist. Sie muss unter
der Erde bleiben. Dafür müssen wir sorgen.
Eine letzte Bemerkung zum ETS. Wir begrüßen es,
dass der Emissionshandel reformiert werden soll. Aber
dann stellen Sie das bitte auch im Haushalt entsprechend
dar. Wir diskutieren in den nächsten Wochen über den
Haushalt. Sie bezuschussen mit 655 Millionen Euro den
Energie- und Klimafonds, weil es keine Zahlungen aus
dem ETS gibt. Zusätzlich stellen Sie 350 Millionen Euro
Steuergeld für stromintensive Unternehmen bereit, die
vom ETS nicht belastet werden, weil ohnehin zu viele
Zertifikate im Markt sind und man damit sogar noch Gewinne machen kann. Die Unternehmen, die von den
niedrigen Börsenstrompreisen profitieren, bekommen
also 350 Millionen Euro als Strompreiskompensationsgeld obendrauf. So machen diese Unternehmen sogar
noch einen Gewinn damit, dass sie mehr CO2 ausgestoßen haben. So geht Klimaschutz definitiv nicht.
Freuen Sie sich auf unsere Änderungsanträge zum
Haushalt.
Vielen Dank.
({9})
Vielen Dank. - Ich möchte nur darum bitten, dass die
letzten Sätze nicht ganze Bücher werden. Dann kommen
wir auch mit der Redezeit hin. - Nächste Rednerin in der
Debatte ist Frau Dr. Anja Weisgerber, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Ob an Land oder im Meer, ob an den Polen oder in der Wüste, die Auswirkungen des vom Menschen verursachten Klimawandels sind überall zu spüren. Das ist unbestritten. Dennoch ist zu sagen: Die
Wissenschaftler sind mit ihren Aussagen deutlich vorsichtiger geworden. Sie sehen die Auswirkungen differenzierter, und sie nehmen sogar manche frühere Prognose zurück oder schränken sie ein.
({0})
Und sie stellen fest, dass es auch erstmals Fortschritte in
vielen Ländern zu verzeichnen gibt. Deshalb dürfen wir
jetzt den Kopf nicht in den Sand stecken und alles nur
negativ sehen, sondern wir müssen ganz deutlich sagen:
Wir Deutsche müssen auch weiterhin weltweit eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz und bei der Nutzung der erneuerbaren Energien einnehmen. - Und wir nehmen sie
auch ein.
({1})
Deutschland allein kann das Klima nicht retten.
Grenzüberschreitende Herausforderungen wie der Klimaschutz lassen sich einfach nicht rein national lösen.
Wir brauchen dafür auch die anderen Staaten in der Welt.
Wir fordern daher ganz klar: Auch Länder wie die USA
und China müssen bei der Verhandlung um die Fortsetzung des Kioto-Protokolls ihrer Verantwortung gerecht
werden.
({2})
Um unserer Verantwortung in der Welt gerecht zu
werden, gibt es jetzt neue Vorschläge der EU zu den europaweiten Klimazielen. Die Kommission schlägt vor,
die CO2-Emissionen bis 2030 um 40 Prozent zu reduzieren und den Anteil der erneuerbaren Energien EU-weit
auf mindestens 27 Prozent zu erhöhen. Für die einzelnen
Mitgliedstaaten gibt es zu den erneuerbaren Energien
aber keine verbindlichen Ziele mehr. Da sage ich ganz
klar: Wir müssen uns jetzt dafür einsetzen, dass wir zu
einer gemeinsamen ehrgeizigen Position auf EU-Ebene
kommen. Dann können wir als Europäer beim Weltklimagipfel in Lima und beim dann entscheidenden Gipfel
in Paris geschlossen und, basierend auf unseren Zielen,
auch selbstbewusst auftreten.
({3})
Deswegen sage ich insbesondere mit Bezug auf das
Ziel bei den erneuerbaren Energien: Die Vorschläge der
EU-Kommission gehen mir als Klimapolitikerin und
vielen von uns nicht weit genug.
({4})
Wir müssen als Bundesrepublik Deutschland einfordern,
dass auf EU-Ebene an der bewährten Zieltrias festgehalten wird.
({5})
Darin möchten wir auch unsere Klimakanzlerin Angela
Merkel bestärken, die, Herr Hofreiter, nicht ihre Hände
in den Schoß legt, wie Sie es gerade formuliert haben,
sondern auf EU-Ebene aktiv für diese Zieltrias einsteht.
Wir sollten, statt uns ständig gegenseitig zu beschimpfen, an dieser Stelle einfach einmal an einem Strang ziehen. Dann können wir das vielleicht auch EU-weit
durchsetzen.
({6})
Es reicht eben nicht, dass nur das CO2-Ziel verbindlich ist. Wir wollen nämlich nicht, dass einige Mitgliedstaaten vor allem auf die Kernenergie setzen und so
durch die Hintertür zur CO2-Reduktion beitragen, ohne
dabei die erneuerbaren Energien auszubauen. Denn dann
müssten einige Musterschüler wie Deutschland - wir
sind beim Thema erneuerbare Energien Musterschüler;
denn wir werden hier unsere Ziele übererfüllen - im Bereich der erneuerbaren Energien die Arbeit der anderen
Mitgliedstaaten mitmachen. Das kann so auch nicht sein.
({7})
Wir brauchen auch klare Ziele beim Thema Energieeffizienz. Denn gerade im Gebäudebereich steckt viel
Einsparpotenzial. Daher ist es unumgänglich, dass wir in
Deutschland das Thema „steuerliche Absetzbarkeit von
Investitionen bei der Gebäudesanierung“ angehen.
({8})
Wir Klimapolitiker sollten in der Diskussion mit den
Haushalts- und Finanzpolitikern geeint und gestärkt auftreten, damit wir das gemeinsam durchsetzen.
({9})
- Auch die Länder sollten mitmachen, genau.
Ein weiteres Instrument im Kampf gegen den Klimawandel ist der Emissionshandel. Auch hier sind wir Europäer weltweit führend. Wir müssen einen funktionierenden Emissionshandel als Chance sehen, und zwar
nicht nur für die Klimapolitik, sondern auch für die
Energiewende. Denn steigt der Preis für die Emissionsrechte, dann wird der derzeit günstige, aber klimaunfreundliche Kohlestrom teurer und weniger attraktiv als
der umweltfreundlichere Strom aus Gas und die erneuerbaren Energien. Deshalb brauchen wir eine nachhaltige
Reform des Emissionshandels. Ein funktionierender
Emissionshandel steigert nämlich nicht nur die Energieeffizienz, sondern fördert auch die Innovationskraft der
Unternehmen.
({10})
Ein Satz noch: Trotz allem muss der Emissionshandel
ein marktwirtschaftliches Instrument bleiben, und der
Preis der Emissionsrechte darf nicht politisch verordnet
werden.
Vielen Dank.
({11})
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt die Kollegin Heike
Hänsel, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Baerbock, ich fand es ja richtig, die Linke
für das, was in Sachen Braunkohle in Brandenburg geschieht, zu kritisieren. Das kritisieren auch wir. Ich finde
es wichtig, sich da an die eigene Nase zu fassen. Ich
kann Ihnen aber sagen: Vor 14 Tagen habe ich in BadenWürttemberg, am AKW Neckarwestheim, demonstriert.
Da ist Rot-Grün an der Regierung. Auch da fordern wir
natürlich, dass die Atomkraftwerke schneller vom Netz
gehen. Auch die Politik von EnBW kann man in vielerlei
Hinsicht kritisieren.
({0})
Es ist wichtig, dass alle, die an Umweltpolitik und Klimapolitik interessiert sind, immer auch in ihren eigenen
Reihen kritisieren. Das gilt aber für alle.
({1})
Jetzt möchte ich gerne zum Bericht des Klimarates
kommen, der schon vielfach erwähnt wurde. Er zeigt
deutlich, dass das exzessive und unsoziale Wachstum der
Industriestaaten vor allem zulasten der Menschen im Süden geht; denn die Zerstörung der Ökosysteme betrifft
direkt die Welternährung und die Existenzgrundlagen
von Millionen von Menschen. Eine Erhöhung der globalen Temperatur um mehr als nur 2 Grad Celsius wird
diese Risiken für Mensch und Natur weiterhin überproportional steigern. Der Bericht zeigt meines Erachtens
auch ganz eindeutig, dass das existierende Weltwirtschaftssystem Armut und Hunger produziert und unsere
natürlichen Lebensgrundlagen zerstört. Genau deswegen
müssen wir uns auch fragen: In welchem Weltwirtschaftssystem leben wir eigentlich?
({2})
Diese Diskussion haben wir jetzt; denn die Welt will
sich nach 2015 neue global geltende Nachhaltigkeitsziele geben, die sogenannten SDGs, die Sustainable Development Goals. In der UNO werden diese Vorhaben
mittlerweile in vielen Kreisen diskutiert; es wird viel
entworfen. Aber gleichzeitig werden zum Beispiel in der
Europäischen Union wirtschafts- und handelspolitisch
Weichen gestellt und Fakten geschaffen, die den hehren
Zielen von nachhaltiger Entwicklung und Wirtschaftsweise zuwiderlaufen, wodurch all diese Ziele unterlaufen werden. Es geht um den nach wie vor stark gepushten Freihandel, um den sogenannten freien Markt, der
grenzenloses Wachstum und neue Wachstumsschübe
verspricht, auch für die Europäische Union, und da vor
allem aber natürlich für global agierende Konzerne, und
das auf Kosten von Millionen von Existenzen in den
Ländern des Südens und auf Kosten der Umwelt und des
Klimaschutzes. Genau deswegen thematisieren wir die
größte geplante Freihandelszone der Welt zwischen der
EU und den USA, TTIP, aber auch alle anderen Freihandelsabkommen mit den Ländern des Südens, ob in Lateinamerika, Afrika oder Asien. Wer ernsthaft Klimapolitik machen will, der muss diese neoliberale
Handelspolitik grundsätzlich infrage stellen.
({3})
Wie wir gesehen haben, wurden Klimawandel und
Umweltzerstörung trotz zahlreicher Entwicklungsgipfel
in den letzten 20 Jahren, zum Beispiel in Rio 1992 und
2012, nicht zurückgedrängt oder gestoppt, sondern - im
Gegenteil - sogar verstärkt. Der Anspruch einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung vor allem in den
Ländern des Südens wurde dadurch ganz massiv gefährdet.
Die Menschen, die in den ärmsten Ländern dieser
Erde leben, haben die größten Risiken und Konsequenzen zu tragen. Wir diskutieren das immer in unseren Entwicklungskreisen, aber es folgen nicht die entsprechenden Konsequenzen für die Industriestaaten, für die
Länder des Nordens. Es braucht sehr viel Geld für Anpassungsmaßnahmen. Ohne solche Maßnahmen - das
steht auch im Bericht - wird in vielen Regionen ein
Rückgang der Erträge von Weizen, Reis und Soja um bis
zu einem Fünftel im Laufe des Jahrhunderts zu erwarten
sein. Deswegen sind wir hier in der Verantwortung. Es
geht um die Existenz von vielen Menschen.
Wir müssen die Standards und die selbst formulierten
Ziele zur CO2-Reduzierung einhalten. Wir müssen aber
auch ganz konkret viel mehr Geld für die Finanzierung
bereitstellen. 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr werden
allein für die Anpassungsmaßnahmen in den Ländern
des Südens benötigt. Die Bundesregierung macht hier
sehr wenig. Wir haben gefordert, dass bei den Vereinten
Nationen ein Fonds für Anpassungsmaßnahmen, aber
auch für Wiedergutmachung eingerichtet wird.
({4})
Das soll kein Geld sein, das für die Entwicklungszusammenarbeit bereitsteht; es muss extra Geld bereitgestellt
werden, weil es um eine Art der Kompensation, der Wiedergutmachung geht. Das brauchen die Menschen in den
Ländern des Südens. Hier sind wir in der Verantwortung.
Es gibt eine Initiative von Nobelpreisträgern, die fordert: Wir müssen die Billionen von Rüstungsgeldern
endlich umwidmen für Klimaschutz, für soziale Entwicklung weltweit. Das wäre dann auch eine gerechte
Klimapolitik.
({5})
Vielen Dank. - Nächster Redner in der Debatte ist
Frank Schwabe, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In der Tat, mit dem neuen Weltklimabericht ist noch einmal deutlich geworden: Erstens. Der Klimawandel ist
existent. Zweitens. Er ist menschengemacht. Drittens. Er
hat gravierende Auswirkungen auf Mensch und Natur.
Deswegen ist es richtig und wichtig, dass wir den Kampf
gegen den Klimawandel intensivieren und das machen,
was auch die Ministerin betont hat, nämlich Anpassungsmaßnahmen im Land vornehmen, aber auch international finanzieren.
Alle, die hier gesagt haben: „Es geht am Ende nur
global; es geht nur weltweit“, haben vollkommen recht.
Um das klarzumachen, reden gleich für uns auch noch
eine Außenpolitikerin und eine Entwicklungspolitikerin. Aber ich sage gleichzeitig: Hinter einer solchen Aussage kann man sich nicht verstecken.
({0})
Am Ende geht es darum, dass Länder und Regionen ihre
Beiträge leisten.
Ich will dazu deutlich sagen: Ich sehe mit etwas Sorge
die Debatte, die zurzeit innerhalb der Europäischen
Union geführt wird. Ich will die Bundesregierung ausdrücklich loben - ich glaube, so wird das auch international und europäisch wahrgenommen -: Wir sind da am
guten Ende der Debatte. Das, was ich ansonsten höre,
halte ich eher für bedenklich. Wenn es wirklich so sein
sollte, dass die Europäische Union ihre Ziele für ein
weltweites Klimaabkommen 2015 erst im Frühjahr des
nächsten Jahres vorlegt, dann ist das definitiv zu spät.
Ich denke, das ganze Haus erwartet von der Bundesregierung, von der Europäischen Union, dass wir durchsetzen, dass das eher geschieht, um eine entsprechende Dynamik in die internationalen Verhandlungen zu bringen.
({1})
Jetzt geht es darum, Bilanz zu ziehen - das wollen ja
die Grünen mit der von ihnen beantragten Aktuellen
Stunde heute - über das, was in Deutschland gelaufen
ist. Da komme ich nicht umhin, zu sagen - ich habe das
in der letzten Debatte schon betont -: Aus meiner Sicht
hat es für den Klimaschutz in Deutschland leider vier
verlorene Jahre gegeben. Ich habe das schon beim letzten Mal der hier nur noch imaginären FDP zugeschrieben, in der es einen „Mister No“ gab, der am Ende gegen
jede Maßnahme in Deutschland, aber auch in Europa
vorgegangen ist. Wir haben hier ein nationales Hickhack
erlebt. Wir waren zwischenzeitlich leider die europäischen Bremser und haben letztendlich wichtige Vorhaben im Bereich des Emissionshandels, im Bereich der
Kraftstoffqualitätsrichtlinie blockiert.
({2})
Das kann man in den Zahlen auch nachlesen, Herr
Krischer. Nachdem wir fast 20 Jahre Fortschritte gemacht und die CO2-Emissionen in Deutschland abgesenkt haben, sind sie in den letzten zwei Jahren wieder
gestiegen. Das ist eine falsche Entwicklung; dagegen
müssen wir angehen.
({3})
Ich betone noch einmal: Die neue Bundesregierung
wird auch innerhalb der Europäischen Union als wohltuend wahrgenommen. Endlich sprechen die Umweltministerin und der Wirtschaftsminister mit einer Stimme;
das war nicht immer selbstverständlich. Dass das jetzt so
ist, ist ein Riesenerfolg. Dass Umweltministerin, Wirtschaftsminister und die Koalitionspartner mit einer
Stimme sprechen, hat unter anderem dazu geführt, dass
wir beim Backloading richtige Signale gegeben haben
und hinsichtlich der bis 2030 zu erreichenden Ziele der
Europäische Union gut aufgestellt sind; die Kolleginnen
und Kollegen haben das schon betont. Es ist unsere feste
Erwartung, dass sich die ganze Bundesregierung, also
auch die Bundeskanzlerin, in den entscheidenden Verhandlungen auf europäischer Ebene entsprechend durchsetzt.
Was brauchen wir in Deutschland? Auch das ist schon
vom Kollegen Jung und anderen betont worden: Wir haben die wohltuende Übereinkunft erzielt, die Treibhausgasemissionen in Deutschland um 40 Prozent reduzieren
zu wollen. Es ist aber auch notwendig - das hat die
Ministerin gesagt -, dass wir uns ehrlich machen und
klarstellen, wo wir eigentlich stehen. Wir dürfen uns
nicht in die eigene Tasche lügen. Genau das war, glaube
ich, in den letzten Jahren zu häufig der Fall. Da gab es
das eine und das andere Gutachten. So richtig war aber
nicht klar, inwieweit wir unsere Ziele erreicht haben.
Heute müssen wir leider feststellen: Wir sind noch nicht
auf dem richtigen Weg; wir müssen dringend umsteuern.
({4})
Das gilt auf der einen Seite für den Bereich der Energiewirtschaft, insbesondere für den Bereich des Emissionshandels, den wir flottmachen wollen und zu dem es
aus Deutschland jetzt ambitionierte Vorschläge gibt. Für
mich persönlich möchte ich aber sagen: Der europäische
Emissionshandel muss gelingen. Wenn er nicht gelingt,
weiß ich jedenfalls nicht, wie wir zu einem weniger
CO2-intensiven Energiemix kommen sollen. Womöglich müssten wir auch noch über andere Maßnahmen diskutieren; es hilft nichts, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Der Bereich Emissionshandel ist die eine Seite der Medaille.
Die zweite Seite der Medaille ist das, was wir auf nationaler Ebene umsetzen müssen; darauf hat die Ministerin gerade hingewiesen. Es ist richtig, ein Programm aufzustellen, und zwar so, dass alle Ministerien in die
Verantwortung genommen werden. Klimaschutz ist eben
nicht nur in der Verantwortung des Umweltministeriums. Klimaschutz ist eine Querschnittsaufgabe, bei der
alle gefordert sind. Ich glaube, auch da hat die Ministerin
die Unterstützung des gesamten Hauses.
({5})
Die Energieeffizienzrichtlinie wird im Übrigen, Frau
Kollegin Baerbock, in Kürze umgesetzt. Dass dies erst
jetzt geschieht, kann man vielleicht ebenfalls dem ehemaligen Bundeswirtschaftsminister in die Schuhe schieben. Herr Gabriel und Frau Hendricks haben schon deutlich gemacht, dass diese Richtlinie in Kürze umgesetzt
wird.
Ich glaube, dass wir, wie im Koalitionsvertrag verankert, einen langfristigen Klimaschutzplan mit gesetzgeberischen Komponenten, so will ich es einmal formulieren, brauchen. Wir haben die letzten Jahre erlebt, dass
wir uns durchaus sehr gute, ambitionierte Ziele gesteckt
haben, aber auf dem Weg der Zielerreichung eben nicht
so weit gekommen sind, wie es nötig ist, weil die Überprüfungsmechanismen nicht ordentlich funktioniert haben. Insofern sage ich, an die Grünen gerichtet: Wir
haben eine neue Bundesregierung mit neuer Ernsthaftigkeit, neuen Ambitionen und neuem Schwung im Klimaschutz, und das sollte uns alle freuen.
Ein herzliches Glückauf!
({6})
Vielen Dank. - Für die CDU/CSU hat jetzt
Dr. Thomas Gebhart das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Weltklimarat hat seinen jüngsten Bericht vorgelegt. Er
hat sehr anschaulich beschrieben, was die Auswirkungen
des Klimawandels sind und sein werden. Die Risiken
sind enorm hoch, und es ist völlig klar: Der Klimawandel ist und bleibt eine der größten Herausforderungen
dieser Zeit. Dieser Bericht mahnt uns, zwei Dinge zu
tun: auf der einen Seite Klimaschutz zu betreiben und
auf der anderen Seite uns an die Folgen des Klimawandels anzupassen - hier in Deutschland, in Europa und
insbesondere in jenen Ländern, die schon heute in starkem Maße von diesen Auswirkungen betroffen sind.
Zum Klimaschutz. Wir wissen, er ist eine globale Herausforderung. Ein einzelnes Land für sich kann dieses
Problem nicht lösen. Deswegen ist es so wichtig, dass
die Welt kooperiert, dass wir eine gemeinsame Antwort
finden, und deswegen ist es so wichtig, dass es im nächsten Jahr, 2015, in Paris gelingt, endlich ein weltweites,
möglichst ambitioniertes Abkommen über den Klimaschutz zu erreichen.
({0})
Ich habe als Teil der deutschen Delegation an mehreren Klimakonferenzen der letzten Jahre teilgenommen.
Ich habe erlebt, wie unglaublich zäh dieser Verhandlungsprozess ist. Ich habe erlebt, wie schwierig es ist, die
unterschiedlichen Interessen von 195 Ländern unter einen Hut zu bringen, zumal bei diesen Verhandlungen das
Einstimmigkeitsprinzip gilt. Deswegen lautet meine Prognose: So wichtig diese Verhandlungen sind und so
wichtig es ist, dass wir daran arbeiten, ein möglichst gutes Abkommen zustande zu bringen, so sehr werden
diese Konferenzen und die Abkommen allein die Probleme nicht lösen können. Es muss ein Zweites hinzukommen: Forschung, Entwicklung, technologische Innovation, die es ermöglicht, Wohlstand und Wachstum auf
der einen Seite und Umwelt- und Klimaschutz auf der
anderen Seite vernünftig in Einklang zu bringen.
({1})
Technologie wird am Ende ein Schlüssel sein - Effizienztechnologien, erneuerbare Energien, neue Antriebstechnologien und vieles mehr -, Technologie, die es ermöglicht, Wohlstand zu schaffen auf der einen Seite und
den CO2-Ausstoß zu verringern auf der anderen Seite.
({2})
Deutschland hat sich mit der Energiewende auf den
Weg gemacht. Es ist höchst interessant, zu beobachten
- auch bei diesen Weltklimakonferenzen -, wie international auf Deutschland geschaut wird. Man beobachtet
sehr genau, wie wir diese Energiewende angehen. Man
spricht international von „the German Energiewende“;
schon dies ist aussagekräftig. Das Interesse an dieser
Energiewende ist riesig. Genauso klar ist aber - das wird
in allen Diskussionen auf dieser Ebene deutlich -: Die
deutsche Energiewende wird nur dann zu einem Modell,
das für andere Länder in der Zukunft attraktiv ist, wenn
wir es in Deutschland schaffen, diesen Umbau so zu organisieren, dass die Energieversorgung sicher bleibt,
dass auch die Preise bezahlbar bleiben und dass die Industrie eben nicht abwandert, meine Damen und Herren.
({3})
Wenn uns dies nicht gelingt, dann wird die Energiewende mit Sicherheit nicht zu einem Modell für andere
Länder werden und dann werden wir dem Klimaschutz
international einen Bärendienst erweisen. Je besser die
Energiewende gelingt, desto größer wird am Ende die
Chance sein, dass sich Nachahmer finden, und desto
eher können wir es schaffen, tatsächlich einen echten, einen wichtigen Beitrag zum internationalen Klimaschutz
zu leisten.
Es geht heute um die Frage: Welche Konsequenzen
sind für unser Land aus dem Weltklimabericht zu ziehen? Ich bin überzeugt, die wichtigste Konsequenz ist:
Wir müssen die deutsche Energiewende zum Erfolg
bringen. Erfolg bedeutet in diesem Fall: Wir müssen es
schaffen, dass die Energiewende gelingt, unter Umweltschutzgesichtspunkten, genauso aber unter wirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten. Daran müssen wir
arbeiten.
Herzlichen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist die Kollegin
Edelgard Bulmahn, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Klimawandel findet statt - es gibt keine
ernsthaften wissenschaftlichen Zweifel mehr -, und er
betrifft uns alle. Er findet auf allen Kontinenten statt,
und er findet auf allen Weltmeeren statt. - Das ist, in
Kurzfassung, die Kernaussage aus dem Bericht des
Weltklimarates.
Der Bericht enthält eine zweite Kernaussage: Es gibt
erfolgversprechende Gegenstrategien, um den Klimawandel einzudämmen und um die dramatischen Auswirkungen zu verringern. Genau darüber diskutieren wir
heute. Acht Schlüsselrisiken hat der IPCC identifiziert.
Angesichts dieser Dimension der Herausforderung, die
in dem Bericht deutlich wird, fragen sich viele Menschen: Kann Deutschland überhaupt etwas tun? Ist
Deutschland nicht viel zu klein, um tatsächlich spürbare
Veränderungen zu bewirken, damit künftige Generationen noch gute Lebensbedingungen vorfinden? Ja, es
stimmt; Deutschland allein kann den Klimawandel nicht
stoppen. Die Schlussfolgerung, dann könne sich
Deutschland eine anspruchsvolle Klimaschutzpolitik
sparen, wäre aber grundfalsch.
({0})
Deutschland verfügt wie nur wenige andere Nationen
über eine leistungsfähige industrielle Basis, über hervorragende Wissenschaftseinrichtungen und Forschungseinrichtungen, über erfolgversprechende Technologiestrategien, über erfolgversprechende ökonomische Strategien,
um den Wechsel von einer ressourcenvernichtenden
Wirtschaftsweise zu einer ressourcenschonenden Wirtschaftsweise zu vollziehen.
({1})
Das ist die eigentliche Herausforderung, vor der wir stehen. Die Bundesumweltministerin hat recht, wenn sie
sagt, das sei nicht allein ihre Aufgabe. Es ist eine Querschnittsaufgabe der ganzen Bundesregierung, es ist eine
Querschnittsaufgabe der Wirtschaft, und es ist eine
Querschnittsaufgabe eines jeden Menschen in unserem
Land. Nur gemeinsam werden wir diese Herausforderung bewältigen.
({2})
Dreh- und Angelpunkt aller Klimaschutzstrategien ist
die Begrenzung des Klimawandels und damit auch die
drastische Absenkung der anthropogen verursachten
Treibhausgasemissionen. Energieeinsparung und Ressourcenwechsel sind die zentralen Elemente des Umbaus, den ich beschrieben habe, eines Umbaus, der sich
im Übrigen nicht allein auf Stromerzeugung und Stromverbrauch beschränken darf, sondern sich auf das gesamte Energiesystem und auf unsere gesamte Volkswirtschaft beziehen muss.
({3})
Natürlich ist es am besten - das ist klar -, Energie gar
nicht erst zu verbrauchen. Bereits die absehbaren und realisierbaren Einsparpotenziale sind enorm. Ich will es
einmal konkret machen: Rund zwei Drittel des Energieverbrauchs in Gebäuden dienen der Warmwasserzubereitung und der Raumtemperierung. Wir wollen deshalb
die Gebäudedämmung und die energetische Sanierung
des Altbaubestandes massiv vorantreiben. Ich bin sehr
froh, dass sich auch die Bundesumweltministerin das
Ziel gesetzt hat, hier zu anspruchsvollen Programmen
und Ergebnissen zu kommen. Passiv- oder Plusenergiehäuser sind keine technische Utopie; sie sind realisierbar. Wir brauchen klare Zielmarken und auch Anreize,
um gerade beim Altbaubestand voranzukommen.
({4})
Die Steigerung der Energieeffizienz ist ebenfalls eine
große Aufgabe, und zwar auf allen Ebenen: in unseren
Haushalten durch verbrauchsärmere Geräte, bei unseren
Kraftfahrzeugen durch effizientere Motoren und andere
Antriebskonzepte, durch ein verändertes Produktdesign,
in der Industrie durch effizientere Produktionsverfahren
und die Rückgewinnung von Prozesswärme, in den Gebäuden durch die Verbindung von Energie- und Wärmeerzeugung, durch den Einsatz von neuen Materialien
und durch den Einsatz einer modernen, effizienten Steuerungstechnik. All das zeigt: Die Möglichkeiten sind
groß und bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Das zeigt
wiederum: Es ist eine Querschnittsaufgabe. Nur auf den
Klimaschutz und nicht auf die ganzen anderen Bereiche
zu schauen, würde uns nicht wirklich weiterführen.
Dann kämen wir nicht zu dem gewünschten Ziel und
dem angestrebten Ergebnis.
({5})
Es gehört auch dazu, dass wir die teilweise widersprüchlichen internationalen Vertrags- und Regelwerke
zu einem kohärenten Regelsystem weiterentwickeln.
Das gilt nicht nur in Bezug auf den Emissionshandel,
sondern für viele Regelwerke wie WTO- und andere internationale Verträge. Wir müssen immer wieder dafür
werben, dass sie kohärent auf Klimaschutzziele ausgerichtet werden.
Gleiches gilt für die Energiewende. Die Vorredner haben recht: Für das Gelingen der Energiewende ist entscheidend, ob wir es hier schaffen, einen spürbaren und
wirksamen Beitrag zur Reduzierung des Klimawandels
zu leisten. Ich bin sehr froh, dass die Koalition diese
Aufgabe mit Nachdruck angeht, dass sie sich ambitionierte Ziele setzt, dass sie die Stellschrauben beschreibt,
dass sie eine gezielte Technologieförderung betreiben
will, dass sie sich die Koordinierung der verschiedenen
Politikfelder vorgenommen hat und dass sie Überprüfungsmechanismen einführen will, die wir tatsächlich
brauchen.
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir gesellschaftliche und technologische Innovationen und nicht
den Verzicht darauf brauchen und dass wir feststellen
werden, dass ein schonender und effizienter Umgang mit
Ressourcen die Schlüsselkompetenz zukunftsfähiger Gesellschaften sein wird. Wenn es Deutschland gelingt, zu
zeigen, dass eine energieeffiziente, ressourcenschonende
Volkswirtschaft auch eine erfolgreiche Volkswirtschaft
sein kann und dass eine Energiewende ohne drastische
Wohlstandsverluste gelingen kann, dann ist das ein Modell, das vielen anderen Ländern Mut machen wird und
dem, so glaube ich, viele folgen werden.
Vielen Dank.
({6})
Danke, Frau Bulmahn. - Herr Kollege Göppel, Sie
haben jetzt das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wie glaubwürdig ist das europäische Klimaziel einer
Senkung der Treibhausgase um 40 Prozent? Das war
gestern die Frage im Entwicklungsministerium bei dem
Kongress „Zukunftscharta“ mit starker internationaler
Beteiligung.
Viele Länder des Südens haben mitbekommen, dass
der europäische Emissionshandel nicht richtig funktioniert. Von ihm geht kein Anreiz mehr zum Klimaschutz
aus. Grund ist der Konstruktionsfehler, dass reale Senkungen des Klimagasausstoßes durch Innovationen oder
auch durch langsamere wirtschaftliche Tätigkeit nicht
automatisch zu einer Verringerung der Zahl der Emissionszertifikate führen. Die entscheidende Frage ist jetzt:
Werden wir bis zur Klimakonferenz in Paris die viel verlangte Reform des Emissionshandels schaffen? Wenn
wir das nicht schaffen, dann werden wir als Europäer in
Paris nicht glaubwürdig auftreten können und sich andere mit Verweis auf das Versagen bei der Erreichung
des europäischen Klimaziels in ihren Anstrengungen zurückhalten. Letztlich würde auch diese Konferenz wieder scheitern.
Ich bin deswegen der Meinung, dass wir über Alternativen nachdenken müssen. Die konservative britische
Regierung hat vor ziemlich genau einem Jahr, am 1. April
2013, einen Mindestpreis für Zertifikate eingezogen, der
bei 16 Pfund je Tonne CO2 liegt; das wären 19,20 Euro.
Solange der europäische Emissionshandel die
19,20 Euro nicht erreicht, gilt der Basispreis. Ich meine,
wir müssen die Idee einer Untergrenze ins Spiel bringen,
um Deutschland und die deutsche Wirtschaft auf dem
Innovationspfad zu halten.
({0})
Es wird in der Tat viel für unsere Wettbewerbsfähigkeit getan; ich unterstütze das. Heute Abend wird Herr
Gabriel nach dem Treffen mit Herrn Almunia aus Brüssel heimkommen mit der Zusicherung für mehr Befreiungen für die Industrie statt mit weniger Befreiungen.
Wir haben also sehr wohl ein Auge auf die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie. Aber da, wo die Gefahr besteht,
dass unsere technologische Spitzenstellung in der Welt
bedroht ist, müssen wir politisch handeln; denn letztlich
ist der Erfolg Deutschlands auf den Weltmärkten von der
Glaubwürdigkeit unserer Technologien abhängig. Das
wird langfristig auch Wohlstand und Arbeitsplätze in
Deutschland sichern. Frau Hendricks, man spürt Ihr
Engagement als Umweltministerin. Sie sind eine Frau,
die weiß, wie man Mehrheiten organisiert.
({1})
Darauf setzen wir.
({2})
Wir haben die Aussage der Kanzlerin bei der Entgegennahme des Berichtes gehört. Sie hat gesagt: Wir
brauchen einen neuen Anlauf. - Liebe Kolleginnen und
Kollegen, daran möchte ich anknüpfen: Wir müssen einen neuen Anlauf aus den Fraktionen heraus unternehmen. Das betrifft die Union auf der Basis der Verantwortungsethik der sozialen Marktwirtschaft; das betrifft die
Sozialdemokraten aufgrund ihrer ordnungspolitischen
Traditionen. Gemeinsam müssen wir einen neuen politischen Anlauf bewirken; denn das ist notwendig, damit
wir glaubwürdig bleiben. Nur so können wir die Klimaprobleme lösen.
Ich komme noch einmal auf die Konferenz gestern
bei Minister Gerd Müller zu sprechen. Wer die Erwartungen und Hoffnungen der Menschen aus Afrika und
Südamerika auf die Hilfe durch deutsche Technik gespürt hat, der kann nur mit größter Energie daran arbeiten, dass wir auf diesem Innovationspfad schneller vorangehen und die Zaghaftigkeit, die sich in den letzten
Monaten eingeschlichen hat, überwinden.
({3})
Vielen Dank. - Frau Dr. Bärbel Kofler ist jetzt die
nächste Rednerin für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, dass wir die Gelegenheit haben, über
den Weltklimabericht zu diskutieren, weil er - viele Vorredner haben es gesagt - eine sehr deutliche Sprache
spricht. Es gibt zwei Themenstränge. Das eine Thema
- es ist mehrfach angesprochen worden - ist die Vermeidung des CO2-Ausstoßes bei uns im eigenen Land mit
allen Strategien zur Energiewende und zum Emissionshandel, wie meine Vorredner gerade ausgeführt haben.
Aber es geht auch um Vermeidungsstrategien weltweit.
Ich habe es in verschiedenen Reden betont und
möchte es auch heute noch einmal betonen: Wir leben in
einer Welt, in der weit mehr als 1 Milliarde Menschen
keinen Zugang zu Energie hat, mit allen Folgen für ihre
persönliche Entwicklung, für die Entwicklungschancen,
für die Bekämpfung von Armut und für die Industrialisierung und Entwicklung dieser Länder.
Wenn wir CO2-Ausstoß zukünftig vermeiden und
nachhaltig handeln wollen, dann ist es unabdingbar, dass
wir uns einer fossilfreien und CO2-mindernden Energiestrategie zuwenden und eine nachholende Entwicklung
in den Entwicklungsländern ohne dieselben Fehler möglich machen, die wir selbst bei unserer Industrialisierung
gemacht haben.
({0})
Zurzeit findet der EU-Afrika-Gipfel statt. Ich finde es
in diesem Zusammenhang wichtig, dass wir zum Beispiel auch über die Energiepartnerschaft mit Afrika diskutieren. Wenn versprochen wird, bis zum Jahr 2020 für
100 Millionen Afrikaner Zugang zu Energie zu schaffen,
dann kann das nur mit erneuerbaren Energien und einer
Verstärkung der Energieeffizienz geschehen. Denn nur
so trägt das zu einer nachhaltigen Entwicklung in diesen
Ländern bei.
({1})
Der Weltklimabericht spricht auch eine deutliche
Sprache, was Anpassungsmaßnahmen anbelangt. Das ist
die zweite Seite der Medaille: Dort, wo wir nicht mehr
umhinkönnen, müssen wir das, was bereits kaputt ist und
wo wir bereits versagt haben, an Schäden beheben.
Ich möchte ein paar Beispiele nennen, damit man sich
vorstellen kann, worum es geht. Es gibt deutliche Aussagen, dass zum Beispiel schon bei einer Klimaerwärmung
um 1,5 Grad Celsius bis 2030 40 Prozent der Anbauflächen dieser Erde für Mais vernichtet werden. Schon bei
einer so „geringen“ Erhöhung um 1,5 Grad Celsius wäre
es dann nicht mehr möglich, dort Mais anzubauen.
Wir alle wissen, was das für Folgen für die Menschen
in den Entwicklungsländern und für die Nahrungsmittelund Ernährungssicherheit hätte und was für eine unglaubliche Hungerkatastrophe auf uns zukommen wird,
wenn wir hier nicht rechtzeitig handeln.
({2})
Ähnliches gilt für die Trinkwasserversorgung und den
Zugang zu sauberem Wasser. Wer jemals in einem Land
war, das besonders vom Klimawandel betroffen ist, und
gesehen hat, was es bedeutet, wenn Böden versalzen und
das, was früher angebaut wurde, nicht mehr angebaut
werden kann, aber auch das Trinkwasser nicht mehr dort
zu finden ist, wo es früher geholt wurde, sodass man
- meistens im Übrigen die Frauen - stundenlang auf der
Suche nach Wasser durch die Gegend laufen muss, das
dann beileibe nicht sauber ist, der kann ermessen, was
das für eine Katastrophe für diese Länder und die Menschen dort ist.
Wenn wir dem entgegenwirken wollen, dann ist es,
finde ich - auch wenn es um die Nachhaltigkeitsziele
und die Verhandlungen darüber in der UN geht -, die
erste Voraussetzung, dass wir anerkennen: Es gibt eine
gemeinsame Verantwortung für den Klimawandel der
Länder dieser Erde, aber es gibt eine unterschiedliche
Verantwortung. Die historische Verantwortung für die,
die den Klimawandel verursacht haben, liegt bei den Industrieländern und künftig auch bei den Schwellenländern, aber nicht bei den Entwicklungsländern, die jetzt
unter den Folgen des Klimawandels leiden.
({3})
Diese Anerkennung ist im Übrigen die Voraussetzung
dafür, dass wir Vertrauen auf den Klimakonferenzen der
nächsten Jahre gewinnen und hier Allianzen schmieden
können, die zu wirklich fortschrittlichen Klimaschutzabkommen weltweit führen.
Das hat auch Konsequenzen für die Finanzierung; das
muss man sehr deutlich sagen. Anpassungsmaßnahmen
haben - ich habe nur einen Teil dessen geschildert, was
notwendig sein wird - einen hohen Finanzierungsbedarf;
darüber müssen wir uns klar sein. Diesen Bedarf können
wir nicht mit den Ressourcen bewältigen, die bisher in
den Haushalt eingestellt sind.
({4})
Das betrifft nicht nur uns. In jedem nationalen Haushalt
sind weltweit zu wenige Mittel eingestellt, um die Ziele,
die wir anstreben, zu erreichen oder zumindest die Folgen des Klimawandels abzumildern. Ein Satz der Hilfsorganisation CARE beschreibt alles, was man dazu in
finanzieller Hinsicht sagen kann - ich finde ihn absolut
richtig -: „Bekämpfung des Klimawandels und Unterstützung bei Anpassungsmaßnahmen“ sind „kein Akt
der Barmherzigkeit, sondern eine Frage der Gerechtigkeit“.
({5})
Vielen Dank. - Letzter Redner in der Debatte ist der
Kollege Carsten Müller, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Richtig ist: Der Klimawandel hat nicht nur diese
Debatte fest im Griff, sondern auch unseren gesamten
Planeten. Das sehen wir an einer Anzahl dramatischer
Naturereignisse gerade in jüngerer Vergangenheit.
Schmelzende Gletscher, dramatische Hochwassersituationen, ungewöhnlich lang anhaltende Dürreperioden in
einigen Teilen der Welt und Wetterextreme im Allgemeinen beschäftigen uns und die Öffentlichkeit. Deutschland nimmt - das ist allerdings genauso wichtig - beim
Klimaschutz ohne Zweifel eine Vorreiterposition ein.
Mein Kollege Andreas Jung hat gleich eingangs der Debatte richtigerweise darauf hingewiesen. Eine Vielzahl
von Rednern in der Debatte hat auf den weiteren wichtigen Punkt hingewiesen, dass eine ambitionierte Klimaschutzpolitik auch eine große Chance für unsere heimische Industrie darstellt.
({0})
- Ich freue mich, dass die Kollegin Baerbock klatscht.
Ich werde im weiteren Verlauf meiner Rede auf Sie vielleicht noch zu sprechen kommen.
({1})
Ambitionierte Klimaschutzpolitik schafft Spitzentechnologie, und diese sichert Ausbildungs- und Arbeitsplätze sowie Steuerkraft.
({2})
Das ist für uns, die Union, eine sehr wichtige Gleichung.
Ich persönlich freue mich sehr, dass sich diese Bundesregierung unzweifelhaft zur Zieltrias bekannt hat,
nämlich zu ambitionierten Zielen im Bereich des Ausbaus der erneuerbaren Energien genauso wie zu ambitionierten Zielen im Bereich der Treibhausgasreduktion
und bei der Energieeffizienz. Nur so kann Klimaschutz
wirksam umgesetzt werden. Das kann aber nur klappen,
wenn wir mit großer Gestaltungskraft vorangehen.
Ich will einen einzelnen Bereich besonders beleuchten, nämlich den Verkehrssektor. In den bisherigen Ausführungen ist er kurz gestreift worden. Ich will uns einige Zahlen, die wir im Verkehrssektor zu verzeichnen
haben, noch einmal vor Augen führen. Im Jahr 2012 kam
es durch den Verkehrssektor zu einem CO2-Ausstoß in
der Größenordnung von 151 Millionen Tonnen. Das waren rund 16 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen in Deutschland. Einen großen Anteil hat dabei der
Pkw- und Lkw-Verkehr. Aber richtig ist auch, dass die
Gesamtemissionen im Zeitraum zwischen 1999 und
2012 um insgesamt 31 Millionen Tonnen reduziert werden konnten. Es gibt also eine gewisse Aufteilung. Das
zeigt uns, dass wir im Grundsatz auf dem richtigen Weg
sind, dass aber noch eine Menge zu tun bleibt.
Wir haben beim Pkw-Verkehr 9 Prozent weniger
Treibhausgase und Luftschadstoffe, die ausgestoßen
werden, im Vergleich zum Jahre 1995 zu verzeichnen.
Wenn wir auf das Jahr 2006 blicken, stellen wir die gute
Entwicklung fest, dass der Kohlendioxidausstoß beim
Pkw-Verkehr von im Durchschnitt rund 175 Gramm pro
Kilometer auf 136 Gramm und damit um über 20 Prozent zurückgegangen ist. Ich habe die deutsche Industrie
bereits an anderer Stelle angesprochen. Über 500 Fahrzeuge deutscher Automobilhersteller unterschreiten
schon heute die Grenze von 120 Gramm CO2-Ausstoß
pro Kilometer.
({3})
Beim Lkw-Verkehr haben wir bezogen auf die Fahrzeuge sogar etwas bessere Ergebnisse, nämlich eine
Minderung um rund 28 Prozent im selben Zeitraum.
Aber wir haben folgendes Problem: Durch die Zunahme
des Transportvolumens und der Fahrleistung haben wir
bedauerlicherweise eine Steigerung des CO2-Ausstoßes
per saldo um 11 Prozent in den letzten 20 Jahren.
Ich will etwas konkreter werden. Für uns gibt es einen
sehr konkreten Handlungsauftrag. Den haben wir als Regierungskoalition angenommen. Im Koalitionsvertrag
haben wir uns dazu verpflichtet, künftig mehr Verkehr
auf Schienen und Wasserstraßen zu verlagern. Ich persönlich halte das für den richtigen Weg. Als Koalitionsfraktionen werden wir unseren Beitrag bei der Diskussion des Bundesverkehrswegeplans 2015 leisten.
({4})
Frau Kollegin Baerbock, an dieser Stelle wollte ich
etwas intensiver auf Sie eingehen. In Anbetracht der Zeit
setze ich darauf,
({5})
dass die Frau Präsidentin besondere Großzügigkeit walten lässt, weil ich der letzte Redner bin.
Meine Damen und Herren, uns kommt es auf Folgendes an: Wie müssen eine sorgfältig austarierte Balance
zwischen industriepolitischen Zielen und Klimaschutzzielen finden. Es geht darum, dass wir ambitionierte
Ziele formulieren und diese dann erreichen. Aber wir
dürfen diese Ziele nicht utopisch formulieren und damit
die Bevölkerung auf diesem wichtigen Weg zurücklassen. Das kann nicht richtig sein. Insofern, meine Damen
und Herren, ist die Koalition auf dem richtigen Weg. Wir
haben einige wichtige Weichen gestellt.
Abschließend nenne ich den Bereich der Elektromobilität. Gestatten Sie mir: Ich freue mich ganz besonders,
dass in der vergangenen Woche ein Meilenstein im Bereich der Elektromobilität erreicht worden ist. Induktiv
aufgeladene Linienbusse fahren in meiner Heimatstadt
Braunschweig im Regelverkehr. Das ist ein besonderer
Beitrag. Wir freuen uns darüber, dass dies international
Beachtung findet.
({6})
Ein letzter Satz - dies gestattet die Frau Präsidentin
mit Sicherheit -: Ich habe etwas zu den Emissionen gesagt. Meine Damen und Herren, beim Durchblättern des
Entwurfs des Haushaltsplans habe ich festgestellt, dass
der Ansatz für die Nachrüstung von Rußpartikelfiltern
Carsten Müller ({7})
wahrscheinlich infolge eines bedauerlichen Versehens
auf 0 Euro herabgesetzt wurde. Das ist deutlich zu wenig. Wir als Unionsfraktion wollen kräftig Mittel nachführen, damit wir mindestens den Stand der Vorjahre erreichen.
Ich freue mich unter anderem auf Ihre Unterstützung
bei diesem wichtigen Vorhaben und bedanke mich für
die Aufmerksamkeit.
({8})
Vielen Dank.
Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am
Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 3. April 2014,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.