Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/5/2017

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Ich begrüße Sie alle herzlich zur letzten Plenarsitzung des Deutschen Bundestages in der 18. Wahlperiode. Für viele Kolleginnen und Kollegen - auch für mich - ist dies zugleich die letzte Sitzung als gewählte Abgeordnete hier im Hohen Haus. Nicht wenige von uns haben in der Zeit ihrer Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag mit der Überwindung der Teilung unseres Landes die größte, spektakulärste und zugleich friedliche Veränderung in der jüngeren Geschichte unseres Landes nicht nur miterlebt, sondern auch aktiv mitgestaltet. Um zu würdigen, was wir heute längst für selbstverständlich halten, muss man gelegentlich daran erinnern, wie es vorher war. Als ich 1980 zum ersten Mal in den Deutschen Bundestag gewählt wurde, war Deutschland geteilt und Europa auch, in zwei rivalisierenden Militärbündnissen organisiert, die sich bis an die Zähne bewaffnet an einer durch Mauer und Stacheldrahtzäune befestigten deutsch-deutschen Grenze gegenüberstanden. Damals, Anfang der 1980er-Jahre - Bundeskanzler war Helmut Schmidt -, wurde innerhalb und außerhalb des Parlamentes leidenschaftlich über den sogenannten NATO-Doppelbeschluss gestritten, den die einen für den Anfang vom Ende der westlichen Zivilisation hielten und bekämpften und die anderen für die Voraussetzung der territorialen Integrität der westlichen Staatengemeinschaft. Unter den Bedingungen des Kalten Krieges und - wie fast alle glaubten - den damit verbundenen unverrückbaren Verhältnissen im eigenen Land wie in Europa haben wir in den 1980er-Jahren im Deutschen Bundestag vorsichtig damit begonnen, dem zunächst in einer ehemaligen Pädagogischen Akademie provisorisch untergebrachten Deutschen Bundestag angemessene Arbeitsbedingungen zu verschaffen, und haben schließlich den Bau eines neuen Plenarsaales beschlossen, der, als er fertig war, nicht mehr gebraucht wurde. Denn inzwischen war die Mauer in Berlin gefallen und mit der Mauer zugleich die Verhältnisse, die scheinbar ein für alle Mal in Beton gegossen waren. Wenn wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Jahr, wie in jedem Jahr, am 9. November an den Fall der Mauer 1989 erinnern, dann ist seitdem so viel Zeit vergangen, wie die Mauer überhaupt gestanden hat: 28 Jahre. Der Bau wie der Fall der Mauer waren das Symbol der politischen Kräfteverhältnisse in Europa und ihrer Veränderungen. Auch der Deutsche Bundestag hat sich in dieser Zeit, vor und nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit und nach dem Umzug von Parlament und Regierung von Bonn nach Berlin, natürlich immer wieder verändert, sich immer wieder neu zusammengesetzt; aber im Wesentlichen arbeitet er in Berlin ganz genau so, wie es in Bonn eingeübt worden war. Vieles hat sich verändert, vieles hat sich bewährt und ist geblieben. Der Deutsche Bundestag ist im Vergleich zu anderen Parlamenten innerhalb und außerhalb der Europäischen Union in seinen verfassungsmäßigen Aufgaben, in seiner Zusammensetzung und in seiner Ausstattung stärker und einflussreicher als die meisten Parlamente auf diesem Globus. Für Minderwertigkeitskomplexe besteht kein Anlass. Aber der Deutsche Bundestag ist nicht immer so gut, wie er sein könnte und vielleicht auch sein sollte. Dass Parlamente Regierungen nicht nur bestellen, sondern auch kontrollieren, ist im Allgemeinen unbestritten; im konkreten parlamentarischen Alltag ist der Eifer bei der zweiten Aufgabe nicht immer so ausgeprägt wie bei der ersten. ({0}) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages … sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. ({1}) So steht es im Grundgesetz. Und ganz genau so ist es auch gemeint. Dass die Regierungsbefragung in jeder Sitzungswoche des Deutschen Bundestages noch immer zu den Themen stattfindet, die die Regierung vorgibt und nicht das Parlament, ist unter den Mindestansprüchen, ({2}) die ein selbstbewusstes Parlament für sich gelten lassen muss. ({3}) Das wird auch dadurch nicht völlig ausgeglichen, dass es inzwischen immerhin gelungen ist, sicherzustellen, dass leibhaftige Mitglieder der Bundesregierung an der Regierungsbefragung teilnehmen. ({4}) Wir haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Haus zweifellos immer wieder herausragende Debatten erlebt; aber bei selbstkritischer Betrachtung sollten wir einräumen, dass in der Regel hier im Hause immer noch zu häufig geredet und zu wenig debattiert wird. ({5}) Wir beraten in jeder Legislaturperiode einige Hundert Gesetzentwürfe; ich glaube, eher zu viele als zu wenige. ({6}) Dass wir gelegentlich offensichtlich Dringliches vertagen und dafür weniger Wichtiges für dringlich erklären, dazu fällt mir mindestens ein prominentes Beispiel ein, das ich jetzt nicht mehr ausdrücklich vortrage. Wir haben uns, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, von der Asylgesetzgebung in den 1990er-Jahren über die Föderalismusreformen bis hin zum kürzlich verabschiedeten neuen Länderfinanzausgleich einen allzu großzügigen Umgang mit unserer Verfassung angewöhnt ({7}) und sie häufiger und immer umfangreicher, regelmäßig auch komplizierter verändert, als es ihrem überragenden Rang und dem Respekt entspricht, den wir dem Gestaltungsanspruch künftiger Parlamente und ihrer Mehrheiten schulden. ({8}) Hier im Deutschen Bundestag schlägt das Herz der Demokratie, ({9}) und hier im Bundestag heißt auch hier im Bundestag, nicht in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages. ({10}) Verlässlich kann und muss es in dem gemeinsamen, aber nicht immer präsenten Bewusstsein schlagen, dass eine vitale Demokratie nicht daran zu erkennen ist, dass am Ende Mehrheiten entscheiden, sondern daran, dass auf dem Weg bis zur Entscheidung Minderheiten ihre Rechte wahrnehmen können. ({11}) Dafür zu sorgen, ist die nicht immer einfache, aber nach meinem Verständnis vornehmste Aufgabe des Parlamentspräsidenten. Umso dankbarer bin ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen dieser wie der beiden vorhergehenden Legislaturperioden, dass Sie mich gleich dreimal, für insgesamt zwölf Jahre, in dieses Amt gewählt haben. Ich habe es gerne, nach besten Kräften und gelegentlich auch mit einem gewissen Vergnügen ausgeübt, ({12}) und ich empfinde es als Privileg meiner Biografie - neben dem Glück, in einem freien Lande zu leben -, meinem Land an dieser prominenten Stelle dienen zu können. ({13}) Eine schönere, anspruchsvollere Aufgabe hätte es für mich nicht geben können. Deswegen möchte ich mich bei allen bedanken, die mich dabei in diesen Jahren begleitet und unterstützt haben: bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den Fraktionen, bei den Parteien, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundestagsverwaltung, den vielen Unsichtbaren, ohne die dieses Parlament nicht so leistungsfähig sein könnte, wie es glücklicherweise ist, ({14}) bei den Medien für mal diese und mal andere Berichterstattungen ({15}) und insbesondere bei den Wählerinnen und Wählern. Vieles aus diesen Jahren wird mir und vermutlich all denen, die dabei gewesen sind, ganz gewiss in Erinnerung bleiben: die erste Rede eines deutschen Papstes vor einem gewählten deutschen Parlament, ({16}) - auch das -, die denkwürdige gemeinsame Sitzung des Deutschen Bundestages mit der französischen Nationalversammlung hier im Reichstagsgebäude aus Anlass des 50. Jahrestages des Élysée-Vertrages - damals konnte man gewissermaßen besichtigen, wie nahe wir uns inzwischen sind und wie gründlich sich dieses Europa verändert hat -, die großen Ansprachen zum Beispiel des israelischen Staatspräsidenten Schimon Peres oder Präsident Dr. Norbert Lammert des damaligen polnischen Staatspräsidenten Bronislaw Komorowski zur Erinnerung an traumatische Ereignisse unserer gemeinsamen Geschichte, aber auch die Auftritte von Navid Kermani und Wolf Biermann zum Geburtstag des Grundgesetzes und zum Jahrestag des Mauerfalls, ({17}) die sich jeweils auf ihre Weise von dem bei solchen Gelegenheiten im Hohen Haus Erwarteten und Üblichen deutlich unterschieden. ({18}) Und dass mal den einen dies und mal den anderen jenes nicht nur gefallen hat, das war zugegebenermaßen eingepreist. Ich weiß nicht, ob es kühn ist, nach dem Dank zum Schluss noch eine Bitte vorzutragen - oder am liebsten gleich zwei. ({19}) Zunächst an die Mitglieder des nächsten und künftiger Bundestage: Bewahren Sie sich bitte, wenn eben möglich, die nach den Abstürzen unserer Geschichte mühsam errungene Fähigkeit und Bereitschaft, über den Wettbewerb der Parteien und Gruppen hinweg den Konsens der Demokraten gegen Fanatiker und Fundamentalisten für noch wichtiger zu halten. ({20}) Ich habe in den vergangenen Jahren viele, viele Parlamente kennengelernt und erlebt, und wenn ich auf irgendetwas tatsächlich stolz bin, dann darauf, dass dieses Parlament, mehr als irgendein anderes, das ich je erlebt habe, bereit und in der Lage ist, wenn es wirklich wichtig ist, das gemeinsame Suchen und Vertreten gemeinsamer Lösungen für noch wichtiger zu halten als den üblichen Konkurrenzreflex. ({21}) Es muss auch in Zukunft möglich sein, bei den ganz großen Problemen und Streitfragen, die polarisieren und das Land zu spalten drohen, Mehrheiten in diesem Parlament zu suchen und zu finden, die größer oder anders sind als die Mehrheiten, über die eine jeweilige Koalition ohnehin verfügt. Dann habe ich eine Bitte an die Wählerinnen und Wähler: Nehmen Sie bitte das Königsrecht aller Demokraten, in regelmäßigen Abständen selbst darüber befinden zu können, von wem sie regiert werden wollen, so ernst, wie es ist. ({22}) Das ist für uns heute scheinbar eine Selbstverständlichkeit; aber dieser Zustand ist, wie wir alle wissen, weder der Normalzustand der deutschen Geschichte, noch ist es die Regel für die ganz große Mehrheit der heute auf diesem Globus lebenden Menschen. Viele Millionen Menschen in aller Welt beneiden uns um die Einflussmöglichkeiten, die wir haben und die ihnen vorenthalten sind. ({23}) Autoritäre Regime brauchen kein bürgerschaftliches Engagement. Sie mögen es nicht, sie behindern es, und wenn es nicht anders geht, verbieten sie es. Die Demokratie braucht es. ({24}) Und wir wissen aus noch nicht ganz so lange zurückliegenden Phasen der deutschen Geschichte, dass auch Demokratien ausbluten können, dass sie ihre innere Kraft verlieren, wenn sie die Unterstützung der Menschen verlieren, für die es sie gibt. Die Demokratie steht und fällt mit dem Engagement ihrer Bürgerinnen und Bürger. Das ist die wichtigste Lektion, die ich in meinem politischen Leben gelernt habe, ({25}) und dieser Einsicht und dieser Verantwortung werde ich verpflichtet bleiben. In diesem Sinne bleiben wir ganz sicher miteinander verbunden. Herzlichen Dank. ({26}) - Herzlichen Dank. Wir haben aber tatsächlich auch noch ein paar dienstliche Angelegenheiten zu erledigen. Bevor ich zum Ernst der Dinge komme, habe ich noch einige Geburtstage zu erwähnen und dafür Gratulationen zu übermitteln. In der parlamentarischen Sommerpause gab es einige besonders zu erwähnende Geburtstage: Die Kollegin Karin Binder und der Kollege Klaus Brähmig haben ihren 60. Geburtstag gefeiert. ({27}) - Es sind noch ein paar mehr. - Der Parlamentarische Staatssekretär Peter Bleser und der Kollege Axel Schäfer haben ihren 65. Geburtstag gefeiert. Ihren 70. Geburtstag feierten die Kollegin Helga KühnMengel, der Kollege Günter Baumann und der Kollege Martin Patzelt. Schließlich hat der Kollege Hans-Peter Uhl seinen 73. Geburtstag gefeiert. Ihnen allen im Namen des ganzen Hauses geballte gute Wünsche und alles Gute für das neue Lebensjahr! ({28}) Für die ausgeschiedene Kollegin Sabine SütterlinWaack und den ausgeschiedenen Kollegen Alexander Funk sind der Kollege Thomas Jepsen und der Kollege Markus Uhl als Mitglieder des Deutschen Bundestages nachgerückt. Wenn sie den Plenarsaal gefunden haben, ({29}) Präsident Dr. Norbert Lammert möchte ich sie im Namen aller Kolleginnen und Kollegen herzlich begrüßen und für die übersichtliche verbleibende Zeit eine gute Zusammenarbeit wünschen. ({30}) Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, nach dem Tagesordnungspunkt 1 mehrere Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses ohne Debatte zu beraten. Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll abgewichen werden. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Bevor wir nun in die verabredete Tagesordnung eintreten, müssen wir zwei Geschäftsordnungsanträge behandeln. Die Fraktion Die Linke hat fristgerecht beantragt, die Tagesordnung um die Beratung ihres Antrages auf der Drucksache 18/13481 mit dem Titel „Aufrüstung ablehnen und Atomwaffen aus Deutschland abziehen“ zu erweitern und dies in Verbindung mit dem Tagesordnungspunkt 1 zu beraten. - Das Wort zur Geschäftsordnung erhält Herr Korte. Bitte schön.

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem alle wieder aus dem TV-Duell erwacht sind, wollen wir heute vielleicht etwas wirklich Wichtiges entscheiden. Wir wollen die Chance dazu an diesem letzten Sitzungstag nutzen. Deswegen möchte ich begründen, warum wir es für sinnvoll halten, unseren Antrag „Aufrüstung ablehnen und Atomwaffen aus Deutschland abziehen“ heute aufzusetzen. ({0}) Sie wissen, die Bundesregierung plant massive Aufrüstungen im Verbund mit der NATO mit einem Volumen von rund 37 Milliarden Euro. Sie, die Sie jetzt alle in den Wahlkreisen unterwegs sind, kennen die Situation in den Kommunen, Sie wissen, wie marode die Schulen und die Kitas sind, wie unterfinanziert die Kommunen sind. Wir sagen: Wir haben die Chance, diesen Aufrüstungswahnsinn heute hier zu stoppen und das Geld in die Zukunft unseres Landes zu stecken. ({1}) Das wäre ein gutes Zeichen für die Wählerinnen und Wähler so kurz vor der Wahl. Ich will begründen, warum es sinnvoll ist, das heute hier zu entscheiden. Wenn die Aussagen stimmen, die gerade insbesondere von den Freunden von der SPD und den Grünen und natürlich von uns, den Linken, gemacht werden, dann gibt es in diesem Hause heute offenbar eine Mehrheit, um gegen diesen Aufrüstungswahn ein Stoppzeichen zu setzen. ({2}) Der Kollege Oppermann schließt eine Regierungsbeteiligung aus, wenn es diese Aufrüstung gibt. Eine solche Abstimmung jetzt, vor der Wahl, ist etwas, was die Politik wirklich spannend machen würde. ({3}) Ich knüpfe an die Aussage von Professor Lammert an, der gesagt hat, wem Sie hier eigentlich verpflichtet sind: Ihrem Gewissen. Wenn Aufrüstung keine Gewissensfrage ist, dann weiß ich es auch nicht. Deswegen sollten wir darüber entscheiden. ({4}) Zum Zweiten. Wie Sie alle wissen - auch das spielt gerade eine große Rolle in der Öffentlichkeit und im Wahlkampf -, gibt es in Deutschland zahlreiche US-amerikanische Atomwaffen. Wir alle wissen natürlich - Politik ist so schnelllebig in dieser Zeit; Sie kennen die Krisen in der Welt -: Wenn diese jemals zum Einsatz kommen sollten, dann bliebe von Europa und Deutschland nichts mehr übrig. Der Kalte Krieg ist zu Ende. Wir haben heute die Chance, mit einer Mehrheit hier im Parlament die US-amerikanische Regierung aufzufordern, ihre Atomwaffen endlich abzuziehen. Das wäre ein richtiges Zeichen. ({5}) Ich will deutlich sagen: Heute gibt es die Chance, eine historische Entscheidung in dieser Hinsicht zu treffen. Wie oft wurde darüber diskutiert? Was denken die Wählerinnen und Wähler, wenn dies nicht geschieht, obwohl von den drei Parteien, die zusammen in der Mehrheit sind, immer wieder gesagt wird: „Wir wollen diese Atomwaffen hier nicht“? Wenn wir heute darüber entscheiden, würde das die Menschen mobilisieren und motivieren. Das würde auch zeigen: Hier wird kontrovers gestritten. Es gibt in diesem Parlament nun einmal folgende Konstellation: SPD, Linke und Grüne sind gegen die US-Atomwaffen hier, CDU und CSU sind für die Atomwaffen. Das ist doch eine übersichtliche politische Konstellation. Deswegen wäre es, auch für die anstehenden Wahlen, ein gutes Zeichen, wenn hier heute nach Überzeugung abgestimmt und so Demokratie erlebbar und spannend gemacht würde. ({6}) Wir wissen nicht, wie die Wahl ausgeht; keiner weiß das. Wir wissen nicht, wie die Mehrheiten sein werden; das ist völlig unklar. Es kann übrigens auch sein, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie nicht mehr Bundeskanzlerin sein werden. ({7}) All das kann in einer Demokratie passieren. Um das zu befördern und die Auseinandersetzungen, die es in diesem Hause gibt, spannend zu machen, wäre es sinnvoll, heute unseren Antrag aufzusetzen. Wenn SPD, Linke und Grüne zu ihren Worten stehen, dann können wir heute Taten folgen lassen. Das wäre eine verdammt gute Sache. Es würde die Demokratie stärken. Es würde übrigens auch zeigen, dass wir unabhängig - auch von den VereiPräsident Dr. Norbert Lammert nigten Staaten von Amerika - und souverän sind und hier unsere eigene Politik machen. ({8}) Sollten Sie es allerdings heute ablehnen, über diesen Antrag kontrovers zu diskutieren, weil es dazu unterschiedliche Auffassungen gibt, dann haben Sie natürlich ein Problem mit Ihrer Glaubwürdigkeit, und zwar nicht nur Sie. Vielmehr glaube ich, dass Sie damit die Glaubwürdigkeit der Politik insgesamt beschädigen würden. ({9}) Lasst uns deswegen heute darüber streiten. Lasst uns diesen Antrag aufsetzen und ein wichtiges Zeichen für Abrüstung und den längst überfälligen Abzug der US-Atomwaffen aus der Bundesrepublik setzen. Das wäre doch eine wirkliche Motivation für die Wahl; denn dabei geht es endlich einmal um eine Sachfrage. Darüber können wir heute entscheiden. In diesem Sinne: Die Linke stimmt zu. Setzen wir es auf. Streiten und entscheiden! Danke. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält der Kollege Johann Wadephul das Wort.

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Spätestens nachdem der Bundestagspräsident noch einmal auf den Minderheitenschutz im Deutschen Bundestag hingewiesen hat, ist es notwendig, darzulegen, warum wir empfehlen, den Antrag heute nicht zu behandeln. ({0}) - Der Antrag wird ja von der Minderheit gestellt. In dieser Wahlperiode hatte die Große Koalition eine sehr große Mehrheit von 80 Prozent der Abgeordneten. Wir haben das im Sinne dessen, was der Bundestagspräsident gerade noch einmal betont hat, als Auftrag empfunden, die Minderheitenrechte zu wahren. In dieser Wahlperiode sind die Oppositionsrechte in großem Maße gestärkt worden. Darauf können wir stolz sein. Sie hatten in dieser Wahlperiode jede Möglichkeit, Ihre Anträge einzubringen und Ihre Untersuchungsausschüsse einzusetzen. ({1}) Es gibt überhaupt keinen Anlass, sich zu beklagen. Sie hatten alle Möglichkeiten. Wenn Sie sie nach eigenem Empfinden nicht vollständig genutzt haben, dann müssen Sie das mit sich selbst ausmachen. ({2}) Wir haben alles getan, was wir tun konnten. Zweitens. Der Bundestagspräsident hat darauf hingewiesen: Es ist eine gute Sitte, dass wir, auch wenn Wahlen bevorstehen, noch einmal für eine Sitzung zusammenkommen. Aber jeder weiß, dass das, was wir normalerweise mit solchen Anträgen machen, nicht mehr geschehen kann: eine Ausschussüberweisung und eine erneute Debatte im Bundestag. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, sprechen Sie in diesem Zusammenhang nicht von Glaubwürdigkeit. ({3}) Machen Sie unseren Bundestag, der ein Arbeitsparlament ist, nicht schlechter, als er ist. ({4}) Wir tun unsere Arbeit in den Ausschüssen, machen aber keine Klamauk-Hüftschüsse in der letzten Sekunde vor der Bundestagswahl. ({5}) Drittens. Es gibt keine Eilbedürftigkeit. Diese Beschlüsse sind nicht neu. Sie sind 2002 unter der Bundeskanzlerschaft von Gerhard Schröder erstmalig in der NATO vereinbart worden, danach 2006 mit Außenminister Steinmeier und 2014 in Wales auf einem NATO-Gipfel erneut mit Außenminister Steinmeier. Sie sind also unter höchstrangiger Beteiligung der Sozialdemokraten - darauf darf ich hinweisen, liebe Freunde von der Koalitionspartei SPD - auf NATO-Ebene beschlossen worden; auch das soll hier einmal festgehalten werden. ({6}) Diese Beschlüsse sind in das Weißbuch eingeflossen. Es handelt sich dabei übrigens - das hat der Wissenschaftliche Dienst bestätigt, und das ist eine Selbstverständlichkeit - um politische Aussagen und politische Abmachungen im Rahmen der NATO, nicht um bilaterale mit den USA. Es wird ja in den letzten Wahlkampfwochen der Eindruck erweckt, wir würden hier etwas tun, was die USA von uns verlangen. ({7}) Nein, das sind Vereinbarungen im Rahmen der NATO. Gerade die von Ihnen oft nicht beachteten Staaten beispielsweise des Baltikums legen größten Wert darauf, dass diese Vereinbarungen eingehalten werden. Deswegen ist Bündnistreue an dieser Stelle eine wichtige Sache, jedenfalls für die Union. ({8}) Vierter Punkt. Die Bundesregierung verfolgt eine umfassende und auf Nachhaltigkeit angelegte Außen- und Sicherheitspolitik, die zunächst auf Diplomatie setzt. Was haben wir in dieser Legislaturperiode erlebt? Es kam durch die Bundeskanzlerin zur Eingrenzung des Ukraine-Konflikts im Normandie-Format, was zu den Minsker Beschlüssen geführt hat. Außenminister Gabriel hat - trotz kurzer Amtszeit - auf der Arabischen Halbinsel schon gezeigt, dass deutsche Diplomatie gefragt ist. Dazu gehört auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Bundesminister Dr. Müller hat das Thema Afrika in Deutschland präsent gemacht, es in der Bundespolitik verankert und mit dafür gesorgt, dass wir es mit Zahlen hinterlegt haben; darauf können wir stolz sein. Wir haben also eine Sicherheits- und eine Außenpolitik, die auf Diplomatie fußen, die die wirtschaftliche Zusammenarbeit im Blick haben und in deren Rahmen unsere Soldatinnen und Soldaten gut gerüstet in die gefährlichen Einsätze geschickt werden, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({9}) Wenn wir über Atomwaffen reden, dann muss man letztlich sagen: Das Schlimmste, was geschehen ist, war leider die Annexion der Krim. ({10}) Wir alle kämpfen dafür, dass es weniger Atomwaffen gibt. ({11}) Aber es war wirklich bedrückend, dass die Ukraine, der im Budapester Memorandum ihre territoriale Integrität zugesagt wurde, miterleben musste, dass Russland die Krim rechtswidrig annektiert hat. Dass Sie von der Linksfraktion auf diesem Auge absolut blind sind, haben wir festgestellt. ({12}) Sie könnten aber etwas gegen Atomwaffen tun, nämlich indem Sie an dieser Stelle zu einer klaren Position, auch gegenüber Russland, kämen. Ihren Antrag brauchen wir hier und heute nicht zu behandeln. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich will daran erinnern, dass der Sinn von Geschäftsordnungsdebatten darin besteht, darzulegen, ob und warum man eine Debatte führen oder nicht führen will, ({0}) nicht aber darin, die Debatte stellvertretend selber zu beginnen. ({1}) Der Kollege Mützenich ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. ({2})

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihr Antrag ist unseriös und schludrig erarbeitet. Ich muss Ihnen sagen: Das, was Sie eben erzählt haben, stimmt überhaupt nicht mit dem eingebrachten Antrag überein. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie fordern die Bundesregierung auf, die politische Erklärung eines 2-Prozent-Ziels zurückzunehmen. Ich sage sehr selbstbewusst: Das kann die Bundesregierung vielleicht erklären, aber wir, das Parlament, beschließen über den Bundeshaushalt. Ich finde, diesem Parlament steht das Selbstbewusstsein, diese Frage im Zusammenhang mit dem Haushalt zu besprechen, gut zu Gesicht. ({1}) Ich kann Ihnen sagen: Nur eine starke SPD-Bundestagsfraktion kann mit dafür sorgen, dass eine solch ungeheuerliche Steigerung nicht Realität wird, meine Damen und Herren. ({2}) Deswegen sage ich für meine Fraktion: Die Wahl ist klar. Auf der einen Seite steht eine Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende, die sich dem 2-Prozent-Diktat des amerikanischen Präsidenten unterordnet ({3}) - Sie hätten sich besser damals aufgeregt, als Ihre Vorsitzende dies erklärt hat; diese politische Debatte wäre auf Ihrem Parteitag notwendig gewesen -, ({4}) und auf der anderen Seite steht Martin Schulz. Mit ihm an der Spitze - das sage ich Ihnen als Vertreter einer selbstbewussten Fraktion - werden wir den Aufrüstungswahn dieser Bundesregierung nicht unterstützen. ({5}) Meine Damen und Herren, die Bundeskanzlerin weiß vieles, aber sie sagt nicht alles. Am 28. Juni haben die sozialdemokratischen Minister in einer Protokollnotiz erklärt, dass sie den Entwurf des Finanzministers in dieser Frage nicht unterstützen. Ich finde, das muss in diesem Parlament auch einmal gesagt werden, und Sie sollten das wissen. ({6}) Die Linken sagen, wir müssten Verhandlungen mit den USA aufnehmen. Wir sagen Ihnen sehr eindeutig: Auch diese Forderung wird längst erfüllt. Denn es war der Außenminister Frank-Walter Steinmeier, ({7}) der innerhalb der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa eine Verhandlungsrunde auch mit den USA über die konventionelle Abrüstung in Europa eingeleitet hat, weil die Disparität in dieser Waffenkategorie - das wissen Sie, und Sie sollten es irgendwann auch einmal sagen - es bisher verhindert hat, dass man zu einer Verabredung kommen konnte, wonach alle taktischen Atomwaffen aus Europa abgezogen werden können. Deswegen ist auch dieser Teil Ihres Antrages nicht realitätsgerecht und, wie ich finde, unseriös. Wir sind der Meinung, dass dieser Antrag in die Fachausschüsse überwiesen und dort debattiert werden muss. Am Ende muss in den Haushaltsberatungen hier im Deutschen Bundestag über ihn abgestimmt werden; denn das ist Ausdruck der Souveränität dieses Parlaments. Wir glauben, das ist der richtige Weg, und deswegen sind wir für die Überweisung. ({8}) In der Tat - alle Abgeordneten haben das angesprochen -: Es legt sich wieder ein nuklearer Schatten über diese Welt - durch Nordkorea, aber insbesondere auch durch einen fahrlässig daherredenden US-Präsidenten, der diesen nuklearen Schatten verstärkt. Frau Bundeskanzlerin, ich finde, es wäre aller Ehren wert, einem solchen amerikanischen Präsidenten in der verbleibenden Amtszeit deutlich zu widersprechen. Vielen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Britta Haßelmann das Wort. Danach stimmen wir über den Geschäftsordnungsantrag ab.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stimmen heute der Aufsetzung des Antrages der Linken zu. - Herr Mützenich, es geht nicht darum, ob wir den Antrag heute überweisen oder direkt über ihn abstimmen, sondern bei der folgenden Abstimmung geht es ausschließlich darum, ob wir der Aufsetzung einer Debatte zum Thema Atomwaffenfreiheit hier im Deutschen Bundestag zustimmen oder nicht. ({0}) Danach können wir ja inhaltlich debattieren. Wir führen jetzt hier zwar eine Geschäftsordnungsdebatte, aber sowohl die Rede des Vertreters der SPD als auch die Rede des Vertreters der CDU/CSU haben gezeigt, dass es genug inhaltlichen Stoff gibt, über den wir diskutieren sollten. ({1}) Da wir heute sowieso zusammengekommen sind - wir haben gerade Ihre letzte Rede als Bundestagspräsident hören dürfen, Herr Dr. Lammert, und bedanken uns als Fraktion sehr herzlich für die Zeit, in der Sie uns begleitet haben -, ({2}) können wir jetzt doch auch inhaltlich über diese so wichtige Frage diskutieren. Deshalb werden wir als Fraktion der Aufsetzung heute zustimmen. Wir sind inhaltlich für ein atomwaffenfreies Deutschland und ein atomwaffenfreies Europa. ({3}) Dafür setzen wir uns ein. Darüber könnten wir unserer Auffassung nach heute und hier gerne diskutieren. Vielen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir stimmen über den Geschäftsordnungsantrag ab. Wer für die Aufsetzung dieses Tagesordnungspunktes ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Aufsetzungsantrag mit den Stimmen der Koalition abgelehnt. Es gibt einen zweiten Antrag zur Erweiterung der Tagesordnung, den die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ebenso fristgerecht gestellt hat. Die Fraktion wünscht, die erste Beratung ihres Gesetzentwurfes auf der Drucksache 18/13426 zur Einführung von Gruppenverfahren im Anschluss an den Tagesordnungspunkt 2 mit einer Debattenzeit von 38 Minuten aufzusetzen. Dazu wird nicht das Wort gewünscht, sodass wir über diesen Geschäftsordnungsantrag sofort abstimmen können. Wer stimmt diesem Aufsetzungsantrag zu? - Wer stimmt dagegen? - Bei gleichen Mehrheiten ist auch dieser Aufsetzungsantrag abgelehnt. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 1: Vereinbarte Debatte zur Situation in Deutschland Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 180 Minuten, also drei Stunden, vorgesehen. - Das ist offenkundig einvernehmlich. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel. ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie, lieber Herr Präsident, dass ich Ihnen zu Beginn im Namen der Bundesregierung meinen herzlichen Dank übermittle; das ist mit dem Vizekanzler abgestimmt. ({0}) Wir haben Ihre Arbeit immer geschätzt. Wenn nötig, haben Sie uns den im Grundgesetz festgelegten Platz zugewiesen, und wir haben nach bestem Wissen und Gewissen versucht, uns daran zu halten. Ich erinnere mich in den letzten drei Legislaturperioden an dramatische Situationen, etwa in der weltweiten Finanzkrise, in der Euro-Krise und in der Flüchtlingskrise, als viele Flüchtlinge zu uns kamen. In diesen Krisen ist es Regierung und Parlament trotz großer Zeitnot und trotz drängendster Entscheidungen immer gelungen, in einem guten Einvernehmen und bei einer schrittweisen Stärkung der Rolle des Parlaments Lösungen zu finden, die, glaube ich, für uns als Bundesrepublik Deutschland richtig und gut waren, aber auch Lösungen zu finden, die uns als verlässlichen Partner in Europa und in der Welt dargestellt haben. Dafür möchte ich von Herzen danken. Für mich war eine der emotionalsten Situationen, als wir vor kurzem über den Bund-Länder-Finanzausgleich abgestimmt haben; im Gegensatz zum heutigen Tag war auch die Bundesratsbank gut besetzt. Das waren wirklich schwierigste Verhandlungen, in denen es um die Fragen ging: Welche Rolle spielt der Bund? Welche Rolle spielen die Länder? Dass dies trotz aller Kontroversen in einer so guten Atmosphäre verhandelt werden konnte, ({1}) spricht für unser Land. Daran haben Sie, lieber Herr Lammert, lieber Norbert, einen ganz entscheidenden Anteil. Danke dafür! ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, wir haben in den letzten vier Jahren vieles erreicht. Unbestritten geht es Deutschland in vielen Bereichen gut. Aber wir dürfen uns auf diesen Erfolgen keinesfalls ausruhen. ({3}) Ich bin der tiefen Überzeugung, dass wir an der Schwelle zu einer neuen Entwicklungsetappe stehen. Wir müssen jetzt die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Deutschland auch in 10 oder 15 Jahren wirtschaftlich erfolgreich und sozial gerecht ist und noch mehr Menschen eine gute und sichere Arbeit haben. Wir haben eben den Blick auf die Zeit der deutschen Einheit zurückschweifen lassen. Seitdem sind 27 Jahre vergangen. Deutschland hatte Anfang der 90er-Jahre die Kraft, die deutsche Einheit gut zu bewältigen. Ein Jahrzehnt später waren wir der kranke Mann Europas. Es ist uns dann gelungen - ganz wesentlich mit der Agenda 2010, die wir von CDU/CSU immer unterstützt haben -, wieder die Kraft zu finden, aufzuholen. Wir sind heute Wachstumsmotor. Wir sind heute ein Land mit der höchsten Beschäftigungsquote, die wir jemals hatten, und in Europa erfahren wir dafür sehr viel Anerkennung. ({4}) Aber ich habe das Gefühl, dass wir wieder an einer Schwelle zu einer neuen Etappe stehen. Diese hat ganz wesentlich mit dem Treiber unserer heutigen Entwicklung zu tun: mit dem digitalen Fortschritt. Das, was wir zurzeit in der Automobilindustrie erleben, zeigt - wie in einem Brennglas - die Summe der neuen Herausforderungen. Die Automobilindustrie ist eine der Säulen des deutschen wirtschaftlichen Erfolgs. Die deutsche Automobilindustrie ist weltweit anerkannt. Die Produkte der deutschen Automobilindustrie verkörpern das, was weltweit unter „Made in Germany“ verstanden wird. In der Automobilindustrie haben im Übrigen 800 000 Menschen und mehr ihren Arbeitsplatz. Diese Menschen haben sich nichts zuschulden kommen lassen; sie haben gut, sehr gut oder gar hervorragend gearbeitet. Aber sie sind jetzt in der Gefahr, dass das, was an Vertrauensverlust durch die Führung von Automobilkonzernen entstanden ist, auf sie zurückschlägt. Wir haben hier eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Fehler beim Namen zu nennen, aber auch gleichzeitig die Zukunft der deutschen Automobilindustrie sichern zu helfen. ({5}) Deshalb müssen wir dafür Sorge tragen - durch vernünftige Rahmenbedingungen, wie wir das auch mit der Industrie 4.0 in unserer Digitalen Agenda getan haben -, dass die Voraussetzungen für den Übergang der Produktion in ein digitales Zeitalter geschaffen werden, in dem nicht nur die Menschen durch Smartphones vernetzt sind, sondern in dem alle Gegenstände miteinander vernetzt werden - das ist das Internet der Dinge -, damit die Produktion auch weiter erfolgreich erfolgen kann. Wir werden noch auf Jahre und Jahrzehnte Verbrennungsmotoren brauchen, und trotzdem werden wir gleichzeitig den Weg in eine neue Mobilität mit neuen Antrieben gehen müssen. Wir von der Christlich-Demokratischen Union und von der CSU sagen: ({6}) Wir arbeiten nicht mit Verboten, sondern wir wollen solche Übergänge vernünftig ermöglichen, mit Blick auf die Beschäftigten und auf den technologischen Wandel. ({7}) Ich bin überzeugt, dass dies auch der Ansatz der gesamten Bundesregierung ist. Meine Damen und Herren, wir haben gestern seitens der Bundesregierung ein Gespräch mit den Kommunen gehabt, die unter Grenzwertüberschreitungen leiden und die von Fahrverboten bedroht sind. Ich sage ausdrücklich für die ganze Regierung: Wir werden alle Kraft darauf lenken, dass es zu solchen Verboten nicht kommt. ({8}) Wir müssen den Menschen, die sich im Übrigen im guten Glauben und von uns auch ermuntert Dieselautos gekauft haben, die Möglichkeit geben, dass sie diese AuBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel tos auch nutzen können. Im Übrigen ist es so, dass wir den Kauf von Dieselautos - davon gibt es etwa 15 Millionen in Deutschland - deshalb empfohlen haben, weil dadurch CO2-Emissionen eingespart wurden. Gegen den Diesel vorzugehen, bedeutet gleichermaßen auch, gegen die CO2-Ziele, die wir uns gesetzt haben, vorzugehen. Und das darf nicht passieren. ({9}) Deshalb brauchen wir saubere Dieselautos, ({10}) und wir brauchen den Übergang zu einer modernen Mobilität. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das macht nicht wieder gut, dass in der Automobilindustrie unverzeihliche Fehler vorgefallen sind. Deshalb können wir auch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Aber das berechtigt uns nicht, sozusagen die gesamte Branche ihrer Zukunft zu berauben. ({12}) Jetzt geht es darum, mit Maß und Mitte die richtigen Wege zu finden. Und dafür steht diese Bundesregierung, meine Damen und Herren, mit Blick auf die Beschäftigten und die Wirtschaftskraft Deutschlands. ({13}) Beim Thema Auto zeigen sich die großen Herausforderungen, denen wir entgegensehen. Ich nenne stichwortartig nur die Bereiche „autonomes Fahren“ und „neue Antriebe“, die wir technologieoffen fördern sollten. Gleichzeitig gibt es große Herausforderungen hinsichtlich des Klimaschutzes. Wir werden dies alles natürlich auch mit Blick auf das Pariser Klimaschutzabkommen vom Dezember 2015 umzusetzen haben. Deshalb hat die Bundesregierung einen Klimaschutzplan vorgelegt. Es ist schon absehbar, dass in der nächsten Legislaturperiode, gleich im Jahre 2018, dieser Klimaschutzplan spezifiziert werden muss. Wieder wollen wir das nicht gegen die Betroffenen machen, sondern im Gespräch mit den Betroffenen. Wenn wir zum Beispiel über Braunkohlegebiete sprechen und den Ausstieg fordern, ohne den Menschen in irgendeiner Weise eine Perspektive zu geben, dann fördert das nicht die Bereitschaft, sich für den Klimaschutz einzusetzen, sondern verhindert sie. Deshalb sind wir dafür, mit den Betroffenen Alternativen zu erarbeiten und erst dann Entscheidungen zu treffen. Ich finde, das sind wir den Menschen schuldig. So haben wir es im Übrigen auch bei der Steinkohle gemacht, um es einmal ganz klar zu sagen. ({14}) Wir haben mit der Digitalen Agenda vieles vorangebracht. Wir werden in der nächsten Legislaturperiode da ansetzen müssen und manches noch beschleunigen und straffen müssen. Wir sind nicht in allen Bereichen Spitze weltweit, was den digitalen Fortschritt und die Einführung entsprechender Maßnahmen anbelangt. Wir haben im Bereich der Wirtschaft vieles erreicht, insbesondere bei den großen Unternehmen. Die Bundesregierung hat mittelständischen Unternehmen viel Hilfestellung gegeben. Sie hat in dieser Legislaturperiode die Start-ups gefördert, sodass wir sagen können: Wir stehen deutlich besser da als vor vier Jahren. Aber die Welt schläft nicht. Die Welt entwickelt sich in rasantem Tempo. Deshalb wird es notwendig sein, hier weiterzuarbeiten. Wir haben früher das MP3-Format erfunden. Wir haben den ersten Computer gebaut. Aber wir wollen als Deutschland nicht im Technikmuseum enden, sondern wir wollen vorne dabei sein, wenn es um die Entwicklung neuer Güter und neuer Produktionsmöglichkeiten geht. Da haben wir viel zu tun. ({15}) Das bedeutet auch, dass wir seitens des Staates und seitens der Verwaltung vorangehen müssen. Ich bin sehr dankbar, dass es im Rahmen der Verhandlungen zu den Bund-Länder-Finanzbeziehungen möglich war, sich zu einigen und das Grundgesetz so zu ändern, dass Bund, Länder und Kommunen ein gemeinsames Bürgerportal erarbeiten werden. Die gesetzlichen Voraussetzungen, um das umzusetzen, sind von der Bundesregierung geschaffen worden. Wir haben uns einen Zeitraum von fünf Jahren vorgenommen, in dem wir das erreichen wollen. Wenn es zum Ende der nächsten Legislaturperiode geschafft ist, wäre es noch besser. Die Bürgerinnen und Bürger müssen spüren, dass auch ihre Beziehung zum Staat endlich dem digitalen Fortschritt entspricht. Da haben wir gemeinsam noch sehr viel vor uns. ({16}) - Die geschaffenen rechtlichen Voraussetzungen sind gut; Herr Heil, das wissen Sie auch. Wenn wir Hochtechnologieland bleiben wollen, haben wir die Aufgabe, Forschung und Entwicklung weiter zu fördern. Die europäischen Staaten haben sich noch in der Zeit von Bundeskanzler Schröder im Jahr 2000 vorgenommen, dass jedes europäische Land 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung ausgibt. ({17}) - Das heißt nicht, dass man für Bildung nichts ausgibt. Das heißt einfach, dass man für Forschung und Entwicklung 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausgibt, und das ist auch richtig so. Wir freuen uns, dass wir 17 Jahre später dies erreicht haben ({18}) und eines der wenigen Länder in der Europäischen Union sind, die das geschafft haben. Allerdings müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, dass es skandinavische Länder gibt, die bereits 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung ausgeben, genauso wie Südkorea und Israel. Deshalb dürfen wir uns auch hier nicht ausruhen, sondern müssen das weiterentwickeln. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass der Bund - die Bundesregierung und das Parlament haben dem zugestimmt - die BAföG-Zahlungen voll übernimmt. ({19}) - Herr Heil, ich achte sehr wohl die Zahl der Abgeordneten Ihrer Fraktion. Aber gegen meinen Willen und den Willen der Unionsfraktion konnten Sie in diesem Parlament echt nichts durchsetzen. Das muss man jetzt einfach akzeptieren. ({20}) Vielleicht, Herr Heil, waren Ihre Argumente so gut, dass sie mich überzeugt haben. Oder besser gesagt: Es waren die Argumente des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz, die mich schlussendlich überzeugt haben. Daran sehen Sie, wie gut ich zuhören kann, wie ich auf gute Argumente eingehen kann. ({21}) Insofern ist es ein guter, gemeinsamer Erfolg von uns allen. Hier haben wir viel Wert darauf gelegt, dass möglichst alle Länder die freiwerdenden Mittel anschließend wieder für Bildung in den Hochschulen eingesetzt haben. Da waren wir nicht vollständig erfolgreich. Aber für die unionsregierten Länder kann ich sagen: Da hat es so stattgefunden, und darauf sind wir stolz. ({22}) Meine Damen und Herren, wir haben durch gute Wirtschaftspolitik, auch durch die Tatsache, dass wir vier Jahre lang keine Schulden gemacht haben, zeigen können, dass solide Haushaltspolitik und Wirtschaftswachstum Hand in Hand gehen können, dass dadurch nachhaltiges Wirtschaftswachstum entstehen kann. Die letzten vier Jahre sind dadurch gekennzeichnet, dass der Wachstumsmotor in Deutschland nicht mehr der Export ist, sondern der Binnenkonsum. Das sieht man auch an den Lohnsteigerungen. ({23}) - Erstens sind Sie nachher noch an der Reihe. Und zweitens: Freuen Sie sich doch mit uns oder mit mir. ({24}) Ich kann überhaupt nicht verstehen, was Sie hier machen. Stellen Sie sich einmal vor, Sie hätten gar nichts gemacht in dieser Regierung. Das wäre auch nicht schön gewesen. Wir haben gemeinsam eine Regierung gestellt. Wir haben uns im letzten Wahlkampf eine Lohnuntergrenze vorgenommen. Sie haben den einheitlichen Mindestlohn angestrebt. Wir haben uns zum Schluss darauf geeinigt, dass wir den einheitlichen Mindestlohn einführen. Millionen von Menschen haben heute mehr in der Tasche, und darüber können wir uns alle freuen. Auch die Facharbeiterinnen und Facharbeiter haben mehr. Die Reallöhne sind gestiegen; das drückt sich auch in der Steigerung der Renten aus. ({25}) Ich glaube, darüber freuen sich viele Menschen in unserem Land. Meine Damen und Herren, die vernetzte Welt, die sich im digitalen Fortschritt zeigt, spiegelt sich natürlich auch in der Außenpolitik wider. Die Grenzen von Wirtschafts-, Finanz-, Handels- und Sicherheitspolitik verschwimmen immer mehr; das sehen wir an vielen Krisenherden dieser Welt. Deshalb beschäftigt uns im Augenblick leider natürlich in ganz besonderer Weise die Situation im asiatischen Raum, wo die Nukleartests Nordkoreas eine flagrante Verletzung aller internationalen Gegebenheiten sind. Es ist richtig, dass der UN-Sicherheitsrat klare Positionen bezieht. Ich sage ausdrücklich, auch im Namen der ganzen Bundesregierung: Hier kann es nur eine friedliche diplomatische Lösung geben, für die wir allerdings mit allen Kräften eintreten müssen. ({26}) Deshalb, meine Damen und Herren, habe ich am Sonntag mit dem französischen Präsidenten telefoniert. Der Bundesaußenminister ist im Kontakt mit seinem Kollegen. Es wird am Wochenende ein Außenministertreffen in Gymnich geben, wo wir über weitere Sanktionen von europäischer Seite gegenüber Nordkorea beraten werden; das ist auch dringend erforderlich. Ich habe darüber gestern mit dem südkoreanischen Präsidenten und auch mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump gesprochen. Beide unterstützen diese europäischen Bemühungen außerordentlich. Die Tatsache, dass Nordkorea eine gewisse Entfernung zu uns hat, sollte uns nicht davon abhalten, mit aller Entschiedenheit hier für eine diplomatische Lösung einzutreten. Europa hat eine wichtige Stimme in der Welt und muss diese Stimme in dieser Situation nutzen. ({27}) Meine Damen und Herren, uns beschäftigt aus traurigem Anlass - zwölf deutsche Staatsbürger befinden sich aus politischen Gründen in der Türkei in Haft - die Entwicklung in der Türkei in ganz besonderer Weise. Diese Entwicklung ist mehr als besorgniserregend. Die Türkei verlässt immer mehr den Weg der Rechtsstaatlichkeit, und das zum Teil in einem sehr schnellen Tempo. Wir haben die Aufgabe - das Auswärtige Amt und wir alle tun alles dafür -, die deutschen Staatsbürger freizubekommen. Ich will exemplarisch Frau Tolu nennen, die mit einem zweijährigen Kind im Gefängnis sitzt; auch ihr Mann befindet sich in Untersuchungshaft. Ich kann genauso Deniz Yücel und Herrn Steudtner und andere nennen. Erstens sollten wir niemanden von ihnen vergessen. Zweitens sollten wir allen die bestmögliche Betreuung zukommen lassen. Drittens sollten wir auf allen Ebenen alles in unserer Macht Stehende versuchen - und zwar Tag für Tag -, um diese Menschen, die nach unserer Überzeugung unschuldig in Untersuchungshaft sitzen, freizubekommen. Ich glaube, das ist unser aller Anliegen. ({28}) Dieser Umgang mit deutschen Staatsbürgern, aber auch die Gesamtsituation in der Türkei veranlassen uns natürlich, darüber nachzudenken, wie wir die Beziehungen zur Türkei neu ordnen. Die Bundesregierung hat erste Schritte unternommen; das hat der Bundesaußenminister anlässlich der Verhaftung von Herrn Steudtner ausführlich dargelegt. Wir haben die estnische Präsidentschaft gebeten, in den nächsten Monaten, solange die Situation so ist, keinerlei Verhandlungen über eine Erweiterung der Zollunion auf die Tagesordnung zu setzen; das schließt sich aus. Wir werden auch über die zukünftigen Beziehungen zur Türkei beraten - ich werde dazu vorschlagen, dass das im Oktober auf dem Europäischen Rat stattfindet -, eingeschlossen auch die Frage, die Verhandlungen zu suspendieren oder zu beenden. Hierzu braucht man Mehrheiten in Europa. Dies ist ein Vorgang, der natürlich entschieden, aber auch wohlbedacht durchgeführt werden sollte. Die Beziehungen zur Türkei sind strategischer Natur. Wenige Tage bevor ich Bundeskanzlerin wurde, am 3./4. Oktober 2005, sind durch meinen Vorgänger Gerhard Schröder die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufgenommen worden. Dem ging ein langer Diskussionsprozess voraus; die Grundentscheidung war schon Ende 2004 gefallen. Wir von der Unionsfraktion waren immer skeptisch oder dagegen, diese Beitrittsverhandlungen aufzunehmen. ({29}) Ich habe dennoch im Sinne einer großen außenpolitischen Kontinuität - pacta sunt servanda - immer diese Verhandlungen geführt. Wir haben Kapitel eröffnet. Wir haben seit langem keine Kapitel mehr geschlossen. Die Beziehungen zur Türkei sind von großer Bedeutung. Deshalb werde ich mich dafür einsetzen, dass wir entschieden vorgehen, dass wir aber mit unseren europäischen Partnern vorgehen und darüber sprechen; denn nichts wäre erstaunlicher, als wenn wir uns in Europa über die Frage des zukünftigen Umgangs mit der Türkei vor den Augen des Präsidenten Erdogan öffentlich zerstreiten. Das würde Europas Position dramatisch schwächen. Davon kann ich uns nur abraten. ({30}) Die gleiche Entschiedenheit, die wir im Umgang mit der türkischen Regierung, mit dem Präsidenten haben, müssen wir auch haben, wenn es darum geht, den Blick auf die vielen zu haben, die in der Türkei mit der augenblicklichen politischen Entwicklung nicht zufrieden sind. Wir müssen den Blick auch auf die vielen türkischstämmigen Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland haben, weil es unsere Bürgerinnen und Bürger sind, auch auf diejenigen, die mit türkischer Staatsbürgerschaft seit langem hier leben. Sie tragen zum Wohlstand unseres Landes bei. Wir dürfen sie nicht vor den Kopf stoßen. Wir müssen auch mit ihnen das Gespräch über die weiteren Entwicklungen führen; denn sie sind Teil unseres Landes, und das sollten wir ihnen auch deutlich machen. Insofern ist es eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe, die vor uns liegt und der wir uns natürlich stellen werden. Meine Damen und Herren, ein Weiteres, in dem sich auch wieder symbolhaft die Situation, die globalen Herausforderungen spiegeln, das ist die Lage der Flüchtlinge weltweit. Hier haben wir vieles unternommen. Ich will darauf heute im Einzelfall nicht eingehen, will allerdings sagen, dass mir die Partnerschaft mit Afrika besonders wichtig ist. Wir haben jüngst mit dem italienischen und dem spanischen Premierminister sowie dem französischen Präsidenten über die Partnerschaft mit der Einheitsregierung in Libyen, über die Partnerschaft mit Niger, über die Zusammenarbeit mit Tschad und anderen afrikanischen Ländern gesprochen. ({31}) - Ich habe nicht behauptet, dass es sich um eine Demokratie nach unserem Vorbild handelt. Trotzdem müssen wir mit diesen Ländern reden. ({32}) Es hat keinen Sinn, zu glauben, dass durch simple Verurteilung im Deutschen Bundestag die Welt sich zum Besseren ändert, sondern wir müssen Menschen im Blick haben: ({33}) Menschen, die durch die Sahara fliehen, Menschen, die durch Niger gehen, Menschen, die nach Libyen kommen. All diese Länder sind sicherlich nicht Demokratien, wie wir sie uns vorstellen, und trotzdem müssen wir mit diesen Ländern reden und Partnerschaft mit ihnen aufbauen. ({34}) Meine Damen und Herren, wir werden am Jahresende einen EU-Afrika-Gipfel haben, und auf diesem EU-Afrika-Gipfel werden die Weichen für mehr fairen Handel mit Afrika und für mehr wirtschaftliche Entwicklung in Afrika gestellt werden müssen ({35}) so wie Wolfgang Schäuble das mit seinem Compact with Africa im Rahmen der G-20-Präsidentschaft vorgeschlagen hat; darauf zielen auch viele Initiativen der Wirtschaftsministerin und anderer Minister, die von uns eingeleitet wurden. Insofern gibt es in der gesamten Bundesregierung eine sehr vernetzte Zusammenarbeit, um diesen afrikanischen Ländern zu helfen. Meine Damen und Herren, wenn es um Sicherheit in der Welt geht, dann spielt natürlich auch das Thema Verteidigung eine Rolle. Wir hatten hierzu heute Morgen ja schon eine bemerkenswerte Diskussion. Deshalb möchte ich dazu auch etwas sagen. Im Jahre 2002 hat die NATO beschlossen, dass neue Mitgliedstaaten nur dann in die NATO aufgenommen werden, wenn sie sich vorher verpflichten, bereits im Zuge des Membership Action Plans, also vor dem eigentlichen Beitritt, 2 Prozent ihres Budgets für die Verteidigung auszugeben. Dies blieb natürlich nicht ohne Folgen für die Diskussion über die Höhe der Verteidigungsausgaben der bereits langjährig der NATO angehörenden Mitgliedstaaten. Deshalb haben die Verteidigungsminister 2006 diesen Beschluss wiederholt, deshalb spielt es seitdem eine zentrale Rolle. Und in der gesamten Amtszeit des amerikanischen Präsidenten Barack Obama gab es ein immer wiederkehrendes Thema, und das hieß: Ihr Deutsche könnt nicht davon ausgehen, dass auf Dauer andere für euch ein Stück Sicherheit schaffen, ohne dass ihr den Anstrengungen, zu denen wir uns gemeinsam verpflichtet haben, folgt. ({36}) Daraufhin hat man sich dann in Wales - auch sehr stark unter dem Eindruck des Ukraine-Konflikts - entschieden, zu sagen - und diese Position hat die Bundesregierung gemeinsam getragen -: Auch die Länder, die das 2-Prozent-Ziel heute noch nicht einhalten - die neuen Mitgliedstaaten tun das ja weitestgehend -, sollen den Richtwert 2 Prozent in Betracht ziehen und sollen sich deshalb bis 2024 in Richtung von Verteidigungsausgaben in Höhe von 2 Prozent des Budgets entwickeln. ({37}) Dieses wiederum spiegelt sich wider in dem Weißbuch, das von der gesamten Bundesregierung verabschiedet wurde, und zwar im Juli 2016. Das sind alles Beschlüsse, die vor der Wahl in den USA gefasst wurden, in der Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt wurde. ({38}) Meine Damen und Herren, wir haben dann moderate Erhöhungen des Verteidigungsetats vorgenommen, regelmäßig begleitet von Kommentaren unserer Verteidigungsexperten sowohl aus der Fraktion der CDU/CSU als auch aus der Fraktion der SPD, dass dies dringendst notwendige Erhöhungen seien, allerdings immer noch nicht ausreichende Erhöhungen, ({39}) weil uns alleine schon die Ausrüstung der Bundeswehr in vielerlei Hinsicht fordert. Da rede ich noch gar nicht über Blauhelmeinsätze und Hilfe für andere Länder, zum Beispiel bei der Ausrüstung und beim Training von Soldatinnen und Soldaten. Dann habe ich zu meiner Nicht-Freude gehört, ({40}) dass dieses Ziel nicht mehr akzeptiert wird. Dann habe ich, diesmal zu meiner Freude, gehört, dass der Kanzlerkandidat der Sozialdemokratischen Partei sich bei seinen Experten für Verteidigung Rat gesucht hat, zum Beispiel bei Rainer Arnold, und dass der ihm empfohlen hat, dass man pro Jahr 3 bis 5 Milliarden Euro mehr für die Bundeswehr einsetzen sollte. Da habe ich meine mathematischen Fähigkeiten zusammengenommen ({41}) und habe mir gedacht: Wenn es 3 Milliarden sind, bewegen wir uns schnell in Richtung 2-Prozent-Ziel. Wenn es 5 Milliarden sind, haben wir das 2-Prozent-Ziel wahrscheinlich 2024 erreicht. - Also: kein Problem, kein Dissens. Ich bin froh und hoffe, dass das Wort des Kanzlerkandidaten Martin Schulz gilt. ({42}) Um die Quelle zu nennen, Herr Heil: Es war beim Forum von Deutschlandfunk und Phoenix. - Da wurde darüber hinaus noch behauptet, ich wolle 30 Milliarden Euro mehr einsetzen, was von einem Jahr aufs andere ergeben hätte, dass wir das 2-Prozent-Ziel erfüllt hätten, was ja nun - - Nur, damit alles klar ist. ({43}) Meine Damen und Herren, jetzt möchte ich nur noch kurz darauf hinweisen, weil meine Zeit nämlich so gut wie vorbei ist, dass wir - ({44}) - Ich meine meine Redezeit hier. Mein Gott, wie weit sind wir jetzt eigentlich schon gekommen? Leute, kommt, es sind noch wenige Tage bis zur Wahl! Lassen Sie uns diese erfolgreiche Regierungsarbeit wenigstens am heutigen Tage einigermaßen gelten lassen! Wir haben nämlich wirklich eine Menge miteinander erreicht. ({45}) Wir haben eine Menge Unterschiede; das ist überhaupt keine Frage. Diese zeigen sich auch in den Regierungsprogrammen; das ist auch keine Frage. Aber das, was wir geschafft haben, sollten wir den Menschen schon sagen. Und damit schließe ich. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({46})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sahra Wagenknecht für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Sahra Wagenknecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004183, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Lieber Herr Dr. Lammert, als Erstes möchte ich Ihnen, natürlich auch im Namen meiner Fraktion, unsere Anerkennung und unseren Dank für Ihre faire Amtsführung aussprechen. Wir wünschen Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute. ({0}) Der französische Präsident Macron ist bekanntlich mit der Bewegung La République en Marche an die Macht gekommen. Wenn Sie, Frau Bundeskanzlerin, eine Wahlplattform gründen würden, müsste die wohl eher „La République en transe“ heißen. Wer in Trance ist, der nimmt bekanntlich die Realität nur noch sehr eingeschränkt wahr, und der neigt ab und an zu anlassloser Euphorie. ({1}) Einlullend, inhaltsleer, demobilisierend - so beschreiben viele Journalisten Ihren Wahlkampf, Frau Bundeskanzlerin. Dass Sie in einer Zeit, in der auch im reichen Deutschland unzählige ungelöste Probleme den Wohlstand der Bürgerinnen und Bürger bedrohen, in einer Zeit großer weltpolitischer Gefahren versuchen, mit einem Schönwetter-Wohlfühl-Wahlkampf eine demokratische Debatte über die Lösung dieser Probleme von vornherein zu verhindern, das finden wir - ich glaube, nicht nur wir - wirklich empörend. ({2}) Sie erzählen den Leuten, Deutschland ginge es so gut wie nie zuvor. ({3}) Wer aus der Trance aufwacht, der stellt fest: Nach den Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung haben heute sage und schreibe 40 Prozent der Bevölkerung in Deutschland weniger Einkommen als Ende der 90er-Jahre. Gehört für Sie fast die Hälfte der Bevölkerung nicht zu Deutschland? Was ist denn das für eine Anmaßung! ({4}) Da plakatiert die Union allen Ernstes: „Für gute Arbeit und gute Löhne.“ Ja, es gibt in Deutschland viele erfolgreiche Unternehmen. Es gibt hochqualifizierte Arbeitskräfte, und es gibt zum Glück auch viele gut bezahlte Arbeitsplätze; aber das war früher auch schon so. Neu ist, dass selbst im Wirtschaftsboom immer mehr ungesicherte, schlecht bezahlte Jobs entstanden sind und dass sich inzwischen sogar die Bundesbank angesichts der schwachen Lohnentwicklung in Deutschland Sorgen macht. Neu ist, dass sich der Anteil derer, die trotz Arbeit ein Einkommen unterhalb der Armutsschwelle beziehen, in den letzten zehn Jahren - also genau in Ihrer Amtszeit, Frau Merkel - mehr als verdoppelt hat. Ich finde, mit so einer Bilanz „Für gute Arbeit und gute Löhne.“ zu plakatieren, ist eine Verhöhnung der Wählerinnen und Wähler. ({5}) Wenn Sie gute Löhne wollen, dann hätten Sie doch zwölf Jahre lang die Möglichkeit gehabt, den von RotGrün unter Gerhard Schröder geschaffenen Niedriglohnsektor wieder einzudämmen. Sie hätten doch unsere Vorschläge umsetzen können, grundlose Befristungen zu verbieten und der Lohndrückerei über Leiharbeit und Werkverträge die gesetzliche Grundlage zu entziehen. Sie hätten dafür sorgen können, dass der Mindestlohn mehr ist als ein Armutslohn, den der Steuerzahler mit 10 Milliarden Euro an Aufstockerleistungen jedes Jahr subventionieren muss. ({6}) Aber nichts davon haben Sie getan. Stattdessen erzählen Sie uns gemeinsam mit der SPD das Märchen, die Agenda-2010-Gesetze hätten die Arbeitslosigkeit dramatisch verringert. Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger hat Ihnen daraufhin zu Recht „ökonomische Ignoranz“ vorgeworfen. ({7}) „Familien sollen es kinderleichter haben.“, lese ich auf Ihren Plakaten. Wunderbar! Warum haben Sie denn nichts daran geändert, dass Kinder das Armutsrisiko Nummer eins in diesem Land sind? Warum lassen Sie es seit Jahren zu, dass steigende Mieten gerade Familien aus den Innenstädten vertreiben, weil sie schlicht keine bezahlbare Wohnung mehr finden können? Und warum stört es Sie nicht, dass bundesweit 350 000 Kitaplätze fehlen und viele Kinder in maroden Schulen lernen müssen, wo wegen chronischen Lehrermangels noch nicht einmal der Schulstoff geschafft wird? ({8}) Natürlich wissen auch wir, dass Bildung Ländersache ist. Wir wissen aber auch, dass die Finanzen, die die Länder zur Verfügung haben, von der Steuerpolitik des Bundes abhängen und dass Ihre Steuerpolitik, Frau Merkel, immer darauf hinauslief, die Mittelschicht zu belasten, aber Konzerne und Superreiche steuerlich zu schonen. ({9}) So hat man auf die Milliardeneinnahmen verzichtet, die man aber braucht, wenn man gute Bildung, gute Pflege und eine gute Gesundheitsversorgung finanzieren will. „Für Sicherheit und Ordnung.“ werben Sie auf Ihren Plakaten. Was ist das für eine Ordnung, in der Großbetrüger in Banken und Konzernen immer wieder damit durchkommen, die Allgemeinheit massiv zu schädigen, ohne für die Folgen zur Verantwortung gezogen zu werden? ({10}) Das jüngste Beispiel dafür ist doch der Dieselskandal. Ich finde, es ist wirklich blamabel, dass die Große Koalition nicht das Rückgrat hat, Autobauer, die in den letzten fünf Jahren 111 Milliarden Euro Gewinn gemacht haben, zur Nachrüstung der Motoren zu verpflichten. ({11}) Auch mit Ihrer Außenpolitik haben Sie die Sicherheit in unserem Land nicht erhöht. Im Gegenteil: Sie haben die gute Tradition der Entspannungspolitik aufgegeben und sich - anders als Ihre Vorgänger Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl und auch Gerhard Schröder - von den USA in eine Konfrontationspolitik gegenüber Russland ({12}) hineintreiben lassen, die unsere Sicherheit gefährdet und unsere Wirtschaft schädigt. ({13}) Herr Lammert hat vorhin an die deutsche Wiedervereinigung erinnert. Es hatte doch auch einiges mit Entscheidungen in Moskau zu tun, dass das alles auf diese Art so friedlich geschehen konnte. ({14}) Frau Merkel, Sie haben unsere Soldaten immer wieder in neue gefährliche Kriege geschickt, obwohl wir seit dem Beginn des Krieges in Afghanistan erleben - ich erinnere an Kunduz -, dass Bomben und zivile Opfer die Dschihadisten stärken und nicht schwächen. Gibt es Ihnen nicht zu denken, dass es 2001, vor Beginn des ersten sogenannten Antiterrorkrieges, weltweit wenige Hundert gefährliche islamistische Terroristen gab und dass es heute Hunderttausende sind? Der „Islamische Staat“, dessen Anschläge jetzt immer öfter auch Europa treffen, ist doch das Produkt des verbrecherischen Irakkrieges, an dem Sie sich damals sogar noch beteiligen wollten. ({15}) Während viele Menschen vor neuem Terror flüchten, liefern Sie den Chefs der islamistischen Gefährder, den Kopf-ab-Diktatoren am Golf und dem türkischen Despoten Erdogan unverändert Waffen und Kriegsgerät frei Haus. Ich finde, das ist wirklich überhaupt nicht akzeptabel. ({16}) Insoweit ist es auch Ihre Verantwortung, Frau Merkel, dass sich die Lebensunsicherheit und die Zukunftssorgen vieler Bürgerinnen und Bürger in den zurückliegenden zwölf Jahren erheblich gesteigert haben. Und dennoch soll es keine Wechselstimmung geben? Ich denke, es ist eher so, dass die meisten Menschen die Hoffnung auf einen echten Wechsel aufgegeben haben. Wo soll denn eine Wechselstimmung herkommen, wenn alle Parteien außer der Linken signalisieren, dass sie eigentlich gar nichts Grundlegendes ändern wollen, ({17}) und wenn man insbesondere die Unterschiede zwischen SPD und CDU wirklich mit der Lupe suchen muss. ({18}) Das wurde ja beim Kanzlerduell, das alles andere als ein Duell war, mehr als deutlich. ({19}) Wie groß die Sehnsucht nach einem Wechsel tatsächlich ist, das konnte man, denke ich, nach der Nominierung von Martin Schulz erleben. Warum sind denn die Umfragewerte der SPD damals so nach oben gegangen? Weil viele Menschen die Hoffnung hatten, die SPD würde mit dem neuen Kanzlerkandidaten auch ihre Politik verändern, sie würde wieder eine sozialdemokratische Partei werden. Und das hat ihre Umfragewerte hochgetrieben. Aber danach haben Sie wirklich alles dafür getan, diese Hoffnung zu zerstören. ({20}) Dazu muss ich sagen: Wer an Leiharbeit, an Niedriglöhnen, an Hartz IV überhaupt nichts mehr ändern will, wer sich nicht einmal traut, eine Vermögensteuer für Superreiche zu fordern, der sollte wirklich aufhören, von sozialer Gerechtigkeit zu reden. ({21}) „Damit die Rente nicht klein ist …“, das lese ich auf SPD-Wahlplakaten, illustriert durch das Bild einer fröhlichen Rentnerin. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, meinen Sie wirklich, die Wähler haben vergessen, dass die schlimmsten Rentenkürzungen unter Ihrer Verantwortung stattgefunden haben, dass Sie mit der Absenkung des Rentenniveaus, mit dem Riester-Betrug und mit der Rente erst ab 67 dafür gesorgt haben, dass die Renten für viele verdammt klein geworden sind? Jeder sechste Rentner lebt heute unter der Armutsgrenze. Daran wollen Sie noch nicht einmal etwas ändern. Der einzige Unterschied zur Union ist, dass Sie die Rente nicht noch weiter kürzen wollen. Das ist wirklich eine hinreißende Alternative. Dabei können wir in unserem Nachbarland Österreich sehen, wie man den Menschen einen sorgenfreien Lebensabend ermöglichen kann. Dort zahlen alle in einen Rententopf ein: Selbstständige, Beamte und Politiker. Im Ergebnis bekommt ein Durchschnittsrentner 800 Euro mehr im Monat. Das wollen Sie den Menschen in unserem Land vorenthalten? Bei der Außenpolitik würden wir uns natürlich darüber freuen, wenn die Übernahme unserer Forderungen nach Abrüstung und nach einem Abzug der Atomwaffen aus Deutschland durch Martin Schulz ernst gemeint gewesen wäre. Niemand braucht diese gefährlichen Waffen in Deutschland. Niemand braucht weitere Aufrüstung. Das ist völlig richtig. Aber das, was Sie heute früh wieder hier abgezogen haben, zeigt doch, wie wenig ernst Sie das meinen, was Sie jetzt auf den Marktplätzen und auf den Straßen erzählen. Sie haben verhindert, dass ein Antrag von uns nicht einmal auf die Tagesordnung gesetzt wurde, mit dem wir mit der jetzt noch vorhandenen Mehrheit im Bundestag genau das hätten beschließen können. Ich finde das wirklich traurig. ({22}) So gesehen wäre es tatsächlich ungerecht, der Bundeskanzlerin die alleinige Verantwortung dafür zu geben, dass dieser Wahlkampf in gepflegter Langeweile dahinplätschert. Wer hat denn die SPD daran gehindert, ein glaubwürdiges Alternativangebot zum Weiter-so-Wahlkampf der Kanzlerin zu unterbreiten? Sie haben es nicht getan. ({23}) Und damit sind Sie mitverantwortlich dafür, dass die Wählerinnen und Wähler wieder nicht zwischen alternativen Regierungen mit klar unterschiedenem Programm entscheiden können. Das untergräbt tatsächlich die Demokratie. ({24}) Wer sich ein Deutschland wünscht, in dem wirklich alle gut und gerne leben können, ein Deutschland ohne Niedriglöhne und Altersarmut, in dem Politiker sich nicht mehr von Konzernen kaufen lassen und Geld für Bildung statt für Panzer ausgegeben wird, der kann heute tatsächlich nur noch die Linke wählen. ({25}) Ich bin auch überzeugt: Nur ein Weckruf durch eine deutlich gestärkte Linke kann vielleicht verhindern, dass sich die SPD nach ihrer Wahlniederlage in der nächsten Großen Koalition verkriecht - Herr Mützenich hat Martin Schulz schon einmal nur zum Fraktionsvorsitzenden gemacht; ich fand interessant, was Sie vorhin gesagt haben - und so der Union ein Zeitlosticket für die Fahrt im Schlafwagen an die Macht verschafft. Wir wünschen uns, dass sich das endlich verändert. ({26})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die SPD-Fraktion erhält jetzt der Kollege Thomas Oppermann das Wort. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist die voraussichtlich letzte Bundestagssitzung des Präsidenten, aber auch der Vizepräsidenten Johannes Singhammer und Edelgard Bulmahn. Ich möchte Ihnen, auch im Namen meiner ganzen Fraktion, für viele Jahre souveräner Sitzungsleitung ganz herzlich danken. ({0}) Lieber Norbert Lammert, Sie haben in drei Wahlperioden mit Witz, Ironie und Charme durch die Tagesordnung geführt, dabei aber vor allem immer den Rang dieses Parlamentes verteidigt. Sie haben klargestellt, dass hier das Herz der Demokratie schlägt und dieses Haus Auftraggeber und nicht Vollzugsorgan ist. ({1}) Dass es dabei nicht nur steif und trocken zugehen muss, haben Sie in vielen launigen Bemerkungen und Reden bewiesen. Dabei haben Sie manchmal selbst die Regierungserklärung gleich miterledigt. Das hat nicht immer alle in Ihrer Fraktion erfreut ({2}) und Ihnen den Beinamen „der Unfehlbare“ eingebracht. ({3}) Das mit dem Unfehlbaren würden wir so nicht unterschreiben, aber fehlen werden Sie uns schon. ({4}) Ich wünsche Ihnen für die Zukunft alles erdenklich Gute. Meine Damen und Herren, diese Regierung hat in den letzten vier Jahren viel bewegt. Wir haben zahlreiche Gesetze beschlossen, die das Leben vieler Menschen in diesem Land spürbar besser gemacht haben. ({5}) Wir haben den gesetzlichen Mindestlohn eingeführt und die Leih- und Zeitarbeit begrenzt. Wir haben eine Frauenquote für die Besetzung von Aufsichtsräten in großen Unternehmen durchgesetzt, aber auch die Situation der Alleinerziehenden deutlich verbessert. Wir haben die Renten in Ost und West angeglichen, ({6}) und wir haben das erste Integrationsgesetz in der Geschichte dieses Landes verabschiedet. Ich muss sagen: Ich bin stolz darauf, was wir gemeinsam erreicht haben. ({7}) Aber zur Wahrheit gehört auch: All diese Vorhaben mussten von uns hart erkämpft werden, und zwar gegen die Kollegen und Kolleginnen von CDU und CSU, ({8}) und viel zu häufig auch gegen Sie selbst, Frau Merkel. Ich räume ein: Nicht immer haben wir uns gegen Sie durchsetzen können. Einige der Projekte, die mehr Gerechtigkeit bringen sollten, haben Sie bis zur Unkenntlichkeit beschädigt, zum Beispiel die Mietpreisbremse. Sie, Frau Merkel, haben vor einigen Wochen beklagt, dass die Mietpreisbremse nicht funktioniert, ({9}) aber Sie haben nicht gesagt, warum sie nicht funktioniert. Das ist so, weil Sie als Bundeskanzlerin ganz persönlich dafür gesorgt haben, dass es für die Vermieter heute ganz leicht ist, das Gesetz zu umgehen. ({10}) Deshalb tragen Sie persönlich Mitverantwortung für viele unangemessene Mieterhöhungen in diesem Land. ({11}) Sie reden von Zusammenhalt, aber Ihr Handeln sieht anders aus. Eine solidarische Mindestrente ist mit Ihnen nicht zu machen. ({12}) Sie lassen die Leute mit den kleinen Renten im Stich. Ich finde: Wer ein Leben lang gearbeitet hat, der hat eine anständige Rente verdient. ({13}) Die Union ist nicht bereit, über ein Einwanderungsgesetz auch nur zu verhandeln. Stattdessen tragen Herr Seehofer und Frau Merkel einen jahrelangen Streit über die Obergrenze aus. Ich sage Ihnen: Dieser Streit ist einer der Tiefpunkte der politischen Kultur in dieser Wahlperiode. ({14}) Sie haben verhindert, dass Arbeitnehmer das Recht bekommen, von der Teilzeit in die Vollzeit zurückzukehren. Es ist Ihre Verantwortung, dass Millionen Frauen in der Teilzeitfalle festsitzen. ({15}) Nicht zuletzt gilt das für die Öffnung der Ehe. Da haben Sie sich erst offen gezeigt, dann aber, als es darauf ankam, dagegengestimmt. So was kommt vor. Dumm ist nur, wenn das innerhalb einer Woche passiert; denn dann merkt es jeder. ({16}) Deshalb, meine Damen und Herren: Dieses Land braucht keine Bundeskanzlerin, die nur sozialdemokratisch redet, dieses Land braucht einen Bundeskanzler, der sozialdemokratisch handelt. ({17}) Deutschland hat eine starke Wirtschaft, aber das kam nicht von selbst, und das bleibt auch nicht automatisch so. Da braucht man schon den Mut, die Zukunft zu gestalten, und diesen Mut sehe ich bei Ihnen nicht. ({18}) Seit Monaten bunkert Ihr Finanzminister Schäuble 6 Milliarden Euro Überschuss aus 2016. Wir wollen dieses Geld für Investitionen zur Verfügung stellen, zum Beispiel für den Breitbandausbau. Frau Merkel, Sie sind jetzt 12 Jahre Bundeskanzlerin. ({19}) Deutschland als Industriemacht liegt bei der Übertragungsgeschwindigkeit im Internet weltweit auf Platz 25 hinter Lettland, Rumänien und Bulgarien. Sie haben eben gesagt: Wir müssen aufpassen, dass wir nicht im Technikmuseum enden. Beim Thema Internet, Frau Merkel, müssen Sie aufpassen, dass Sie aus dem Technikmuseum herauskommen, in dem wir uns im Augenblick befinden. ({20}) Sie haben dieses Zukunftsthema total verschlafen. Völlig verschlafen haben Sie auch das Thema „digitale Bildung“. Es ist unfassbar, dass Bildungsministerin Johanna Wanka erst ein 5-Milliarden-Programm für die Computerausstattung an den Schulen ankündigt und dann - ich kann es immer noch nicht glauben - einräumen muss, dass sie vergessen hat, das Geld beim Finanzminister zu beantragen. So, Frau Merkel, verspielen Sie die Zukunft dieses Landes. ({21}) Sie reden von „Bildungsrepublik Deutschland“, aber Sie weigern sich, mehr Geld in die Bildung zu investieren, stattdessen verteidigen Sie das Kooperationsverbot. Aber dieses Kooperationsverbot ist ein unseliger Anachro nismus und muss endlich abgeschafft werden. ({22}) Wir wollen, dass der Bund mehr in Bildung investiert: in Ganztagsschulen und in gebührenfreie Bildung von der Kita bis zur Meisterprüfung, und zwar flächendeckend; denn das ist eine Investition in Menschen, in Werte, eine Investition in die Zukunft, aber auch in Gerechtigkeit. Alle Kinder müssen unabhängig von ihrer Herkunft oder von ihrem Wohnort die Chance auf einen guten Schulabschluss und eine gute Ausbildung in diesem Lande haben. ({23}) Wir brauchen einheitliche Bildungsstandards überall in Deutschland. Es kann doch nicht sein, dass der Umzug mit Kindern in ein anderes Bundesland regelmäßig in einem schulischen Chaos endet, weil jedes Land völlig andere Lehrpläne und Standards hat. Diese Kleinstaaterei auf dem Rücken von Eltern und Kindern muss endlich ein Ende haben. ({24}) Meine Damen und Herren, Deutschland ist ein wohlhabendes Land, aber dieser Wohlstand kommt nicht bei allen an. Wir brauchen ein gerechteres Steuersystem. Deshalb wollen wir den Soli für kleine und mittlere Einkommen, für Normalverdiener sofort abschaffen. Finanzminister Schäuble will sich dafür zehn Jahre Zeit nehmen. Wir wollen eine gerechte Finanzierung der Krankenkassenbeiträge. Sie hingegen wollen an der ungerechten Finanzierung der Zusatzbeiträge festhalten und damit die Kosten für den gesamten medizinischen Fortschritt allein den Arbeitnehmern aufbürden; da war ja Bismarck schon fortschrittlicher. Deshalb müssen die Arbeitgeber endlich wieder die Hälfte der Krankenversicherungsbeiträge zahlen. ({25}) Aber am meisten hat mich erstaunt, wie Sie mit den Sorgen der Menschen um eine sichere Rente und der Angst vor Altersarmut umgehen, Frau Merkel. Sie haben gesagt, dass Sie da überhaupt nichts machen wollen. ({26}) Aber schon in wenigen Jahren wird das System der Rentenversicherung durch die Alterung der Gesellschaft in eine Schieflage geraten. Wenn wir nicht gegensteuern, sinkt das Rentenniveau von 48 auf 43 Prozent. Sie wollen an der Rente bis zum Jahr 2030 nichts ändern. Sie wollen nichts tun, wenn das Niveau absinkt, und Sie nehmen bewusst steigende Beiträge in Kauf. Ich sage Ihnen: Das ist eine Kampfansage an die jüngere Generation. ({27}) Meine Damen und Herren, es gibt nur ein großes Ziel, für das CDU und CSU viel Geld ausgeben wollen. Dieses Ziel heißt Aufrüstung.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Oppermann, darf der Kollege Birkwald eine Zwischenfrage stellen?

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Vielen Dank, Herr Oppermann, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie haben gerade völlig korrekt dargestellt, dass, wenn es nach CDU und CSU geht, die zukünftigen Rentner immer weniger Rente bekommen werden und bald viele, viele Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet haben, in die Nähe der Grundsicherung im Alter, also in die Nähe des Rentner-Hartz-IV kommen werden. Sind Sie erstens bereit, zuzugestehen, dass Sie diese Regelung, nach der das Rentenniveau bis 2030 auf bis zu 43 Prozent absinken darf, mitbeschlossen haben? Und sind Sie zweitens bereit, zuzugestehen, dass Sie Ihre jetzige Aussage, das Rentenniveau solle bei 48 Prozent bleiben, nicht freiwillig tätigen, sondern weil wir Linken immer wieder vorgerechnet haben, was passieren wird, wenn das Rentenniveau auf 43 Prozent sinkt? ({0}) Was Sie jetzt mit Ihrer sogenannten Stabilisierung des Rentenniveaus vorschlagen, bedeutet nichts anderes, als dass Sie die Rentenkürzungen der vergangenen 15 Jahre festschreiben. Das wiederum bedeutet, dass ein Standardrentner oder eine Eckrentnerin 139 Euro brutto im Monat weniger Rente hat, als sie haben könnten, wenn wir wieder ein Rentenniveau von 53 Prozent hätten. Das wäre auch finanzierbar. Sind Sie bereit, das zuzugestehen? Dann bin ich auch bereit, zu konzedieren, ({1}) dass Sie wenigstens nicht den Unsinn der Union mitmachen, das Rentenniveau weiter abzusenken. ({2})

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehen Sie, durch unsere gute Arbeitsmarktpolitik haben wir im Augenblick folgende Situation: Der Stand der Beschäftigung ist heute so hoch wie nie zuvor in Deutschland. Die Zahl der Beitragszahler ist gestiegen. ({0}) Dadurch haben wir ein Rentenniveau von 48 Prozent. Das ist ein relativ gutes Niveau. ({1}) Wir sagen ganz klar: Wir wollen dieses Niveau stabilisieren; aber das bedeutet eine Kraftanstrengung. ({2}) Dazu müssen wir, wenn nicht gleichzeitig die Beiträge uferlos steigen sollen, einen steuerfinanzierten Demografiezuschuss in unsere Rentenversicherung einzahlen. Das ist das Konzept von Andrea Nahles: die doppelte Haltelinie, für das Rentenniveau und für die Rentenbeiträge. Das ist ein fairer Ausgleich zwischen den Generationen. Dafür arbeiten wir. Das ist die Politik der SPD. ({3}) Was Sie vorschlagen, sind völlig unrealistische Versprechen. ({4}) Sie stellen Summen in den Raum, die überhaupt nicht zu finanzieren sind. Machen Sie erst einmal Ihre Hausaufgaben, und dann melden Sie sich wieder. ({5}) Die Union will Geld für Aufrüstung ausgeben. Frau Merkel, Sie wollen den deutschen Wehretat - das haben Sie eben noch einmal bestätigt - bis zum Jahr 2024 von heute 1,2 Prozent auf 2 Prozent anheben. Das wäre fast eine Verdoppelung der Militärausgaben. ({6}) Das bedeutete am Ende, dass Deutschland ab 2024 30 Milliarden Euro pro Jahr mehr für Waffen ausgeben müsste. ({7}) Ich sage: Das wäre die größte Aufrüstung, die Europa seit Jahrzehnten erlebt hat. Das, Frau Merkel, macht unser Land nicht sicherer, sondern das wäre der unheilvolle Beginn eines neuen Wettrüstens. ({8}) Daran ändern auch Ihre mathematischen Rechenkünste nichts. Sie wollen sich der Aufrüstungspolitik von Donald Trump unterwerfen. Aber das wird Ihnen nichts nutzen. ({9}) Denn dieser Bundestag hat diese 2 Prozent niemals beschlossen. Ich sage Ihnen: Er wird sie auch nicht beschließen. ({10}) Klar ist aber auch, dass wir deutlich mehr Geld ausgeben müssen, um die Bundeswehr bestmöglich auszurüsten. Da besteht Nachholbedarf. ({11}) In den letzten zwölf Jahren hat die Bundeswehr vier Verteidigungsminister von CDU und CSU erlebt. Diese vier haben eines gemeinsam: Mit jedem Minister ist es für die Bundeswehr schlimmer geworden. ({12}) Frau von der Leyen hat noch einen draufgelegt und der ganzen Truppe pauschal ein Haltungsproblem bescheinigt. Eine der ersten Aufgaben der nächsten Bundesregierung wird sein, einen gewaltigen Scherbenhaufen beiseitezuräumen und der Bundeswehr wieder eine bessere Ausrüstung, mehr Personal und vor allem eine verlässliche politische Führung zu geben. ({13}) Wir leben in einer Zeit, in der überall auf der Welt Populisten und Autokraten unsere Werte einer offenen Gesellschaft und liberalen Demokratie angreifen, in einer Zeit, in der Wladimir Putin durch die Annexion der Krim die europäische Friedensordnung infrage gestellt hat, ({14}) in einer Zeit, in der ein autokratischer Präsident Erdogan den Rechtsstaat und die Demokratie in der Türkei zerstört, in einer Zeit, in der Donald Trump den Rassismus in den USA wieder hoffähig macht. Ich sage: In einer solchen Zeit müssen wir alles, aber auch wirklich alles dafür tun, dass die Europäische Union zusammenbleibt, zusammenhält und die westlichen Werte verteidigt. ({15}) Donald Trump propagiert den Egoismus der Nationen. Amerika zuerst, Großbritannien zuerst - dieser Nationalismus kann keine Grundlage für das friedliche Zusammenleben der Völker im 21. Jahrhundert sein. Deshalb kämpfen wir für den Zusammenhalt der Europäischen Union. ({16}) Nationalismus und Menschenverachtung gibt es auch bei uns. Wenn Alexander Gauland über unsere Staatsministerin Aydan Özoğuz sagt, er wolle sie in Anatolien entsorgen, ({17}) dann ist das ein unsäglicher Rassismus. ({18}) Eine Partei, die so etwas sagt, ist keine Alternative; sie ist ganz klar eine Schande für Deutschland. Deshalb ist es ein schwerer Fehler gewesen, dass die CDU in Sachsen-Anhalt mit der AfD gemeinsame Sache gemacht hat. ({19}) Wir werden alles dafür tun, dass diese völkische Partei mit ihrem rassistischen Geist unser schönes Land nicht kaputt macht. Dafür muss Deutschland stark bleiben und gerechter werden. ({20})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Cem Özdemir ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Präsident Erdogan der Republik Türkei wurde hier mehrmals genannt. Ich stelle mir die Frage: Hat dieser Mann den Titel „Präsident“ wirklich verdient? Ich habe noch gelernt, dass Präsident etwas mit Würde und Respekt zu tun hat. Ich habe den Eindruck, wir haben es hier mit einem ganz normalen Geiselnehmer zu tun, der deutsche Geiseln nimmt. Ich will für meine Partei und das hoffe ich - für alle hier erklären: Die Bundesrepublik Deutschland ist durch einen Geiselnehmer, der sich Präsident nennt, nicht erpressbar. ({0}) An die Adresse der Großen Koalition will ich sagen: Hören Sie auf, zu prüfen, ob man Hermesbürgschaften aussetzen kann! Hören Sie auf, zu prüfen, ob man die Zollunion nicht vielleicht doch ausweitet! Hören Sie auf, zu prüfen, ob man die Reisewarnungen vielleicht verschärfen sollte! Tun Sie es endlich! ({1}) Was muss dieser Erdogan denn noch machen, damit Sie endlich aufwachen und aufhören, mit ihm zu kuscheln? Dies ist die einzige Sprache, die Erdogan versteht. Wenn wir alle miteinander noch einen Rest an Glaubwürdigkeit bewahren wollen - hier geht es nicht nur um die Große Koalition, sondern auch um unser Land -, dann erklären Sie bitte klar, dass wir uns eindeutig gegen das Projekt von Rheinmetall, sich in der Türkei am Bau einer Panzerfabrik zu beteiligen, stellen. ({2}) Da haben deutsche Unternehmer nichts verloren, zumal in dieser Zeit. Für diejenigen, die es vielleicht nicht wissen - die Öffentlichkeit sollte das erfahren -: Der Chefl obbyist für das Auslandsgeschäft von Rheinmetall ist kein Geringerer als der ehemalige Entwicklungshilfeminister von der FDP, Dirk Niebel. Das sagt einiges darüber aus, was uns erwarten würde, wenn diese Partei zusammen mit der CDU/CSU die nächste Bundesregierung stellen sollte. ({3}) Ich will diese Gelegenheit nutzen, um auf eine Sache hinzuweisen, die uns alle umtreiben sollte. Zu mir kommen in letzter Zeit viele Deutschtürken, die in Opposition zu Erdogan stehen, sich zum deutschen Grundgesetz bekennen und sich fragen: Beschützt uns Deutschland vor dem langen Arm Erdogans? Darauf kann es - hoffentlich - nur eine einzige klare, gemeinsame und parteiübergreifende Antwort geben, die lautet: Der lange Arm Erdogans hat in der deutschen Innenpolitik nirgendwo in keiner Moschee, in keinem türkischen Verein - etwas verloren. Ich würde mir wünschen, dass diese Ansage auch einmal von der Regierungsbank in dieser Deutlichkeit gemacht würde. ({4}) - Der ist in dieser Frage ja wohl mit am klarsten. Wenn Sie sich einmal informieren und nicht nur Russia Today schauen würden, wüssten Sie das. ({5}) Die Fähigkeit, Klartext zu sprechen, wäre gelegentlich auch in der deutschen Außenpolitik vonnöten. ({6}) - Sie können gerne eine Frage stellen; ({7}) denn dann verlängert sich meine Redezeit. ({8}) Klartext müsste man gelegentlich aber auch mit dem einen oder anderen Konzernführer sprechen. In den letzten Jahren habe ich das Gefühl gehabt, dass es eine Partnerschaft gab, die so aussah: Die einen tun so, als ob sie Grenzwerte einhalten würden, und die anderen tun so, als ob sie die Grenzwerte kontrollieren würden; dann hofft man, dass das unentdeckt bleibt und dass dieses Geschäftsmodell immer weitergeht. Das Problem ist nur: In Amerika hat die Umweltbehörde kontrolliert und festgestellt, dass beim Diesel betrogen wurde. Ich sage Ihnen: Ihre Krokodilstränen für die deutschen Autofahrer können Sie sich wirklich sparen. Denn Sie sind diejenigen, die durch Ihr Nichtstun Fahrverbote erzwingen, meine Damen und Herren. ({9}) Wenn Sie wirklich ein so großes Herz für die Dieselfahrer haben, dann sagen Sie doch bitte einmal im Klartext: Die Dieselfahrzeuge müssen sauber, nachprüfbar und finanziert von der deutschen Automobilindustrie, die das Problem schließlich verursacht hat, nachgerüstet werden. Dann hätten Sie ein Herz für die Dieselfahrer. Den Rest können sich die Leute schenken. ({10}) Sagen Sie bitte auch, dass wir dringend die blaue Plakette brauchen, damit der Irrsinn aufhört, dass die Gerichte bald einen Flickenteppich in Deutschland erzeugt haben werden, weil man in die eine Stadt hineinfahren darf, in die andere aber nicht. Wer in Deutschland Chaos haben will, der ist bei Ihnen gut aufgehoben. Wer will, dass der Diesel nachgerüstet wird und dass Mutter und Vater, die ihre Kinder mit dem Diesel zur Schule fahren, nachher nicht diejenigen sind, die den Preis für Ihr Nichthandeln zahlen müssen, der ist bei uns besser aufgehoben. ({11}) Es ist nicht nur das Thema Auto, bei dem Sie versagen; bei der Mobilität geht es ja um ein bisschen mehr als nur um das Auto. ({12}) Der Verkehrsminister ist auch für den öffentlichen Verkehr zuständig. ({13}) Schauen wir uns doch einmal die Situation bei der Rheintalbahn an. Normalerweise würde man in einem solchen Fall sagen: Schlimm genug, weil sie die wichtigste Nord-Süd-Verkehrsachse ist, aber dann fahren wir auf Ausweichstrecken. - Das Problem ist nur: Die Ausweichstrecken sind nicht elektrifiziert. Vielleicht muss Herrn Dobrindt einmal jemand sagen, dass die Elektrifizierung der Eisenbahn schon erfunden ist. Wir sind im 21. Jahrhundert, Herr Dobrindt. Es wird Zeit, dass der technische Fortschritt auch auf der Regierungsbank ankommt. ({14}) Ich kann Ihnen das Sündenregister von Herrn Dobrindt nicht ersparen: Dazu gehört die A 1. Die Rheintalbahn habe ich schon genannt. Außerdem hat er die Deutsche Bahn systematisch unterfinanziert und so dafür gesorgt, dass keine Ausweichstrecken existieren und Eisenbahnstrecken nicht elektrifiziert wurden. Auch der fehlende Ausbau des Breitbandinternets ist hier zu nennen. Der schlechteste Verkehrsminister, den dieses Land je hatte, heißt Alexander Dobrindt. ({15}) Ich sage das auch im Namen der Lehrerinnen und Lehrer, die versuchen, ihren Kindern in der Schule beizubringen, dass man sich anstrengen muss und dass sich Leistung wieder lohnen muss - das sagen Sie doch gerne -: Ich finde, Qualifikation darf künftig in Deutschland kein Hinderungsgrund mehr sein, um Verkehrsminister zu werden. Das muss hier doch einmal deutlich werden. Wenn wir unseren Kindern sagen, sie sollen fleißig lernen, dann kann es doch nicht sein, dass so einer bei uns Verkehrsminister wird. ({16}) Wir haben es hier aber auch mit einer sozialpolitischen Sauerei zu tun. Diejenigen, die sich im guten Glauben einen Diesel gekauft haben, werden die Zeche für Ihr Nichthandeln zahlen müssen, und diejenigen, die das mit eingebrockt haben, erhalten zum Teil 3 000 Euro - nicht im Monat, sondern am Tag. Wie wäre es denn einmal damit, dass die, bitte schön, zur Kasse gebeten werden? Wie wäre es denn einmal damit, dass Sie Gruppenklagen einführen und den Geschädigten die Möglichkeit geben, bis zum Jahresende eine Klage einzureichen? Das wäre doch einmal eine praktische Tat und mehr als Rhetorik. ({17}) Sie machen das aber schon sehr geschickt. Chapeau, meine Damen und Herren! Herr Seehofer sagt, er will das auch. Andere von der Großen Koalition sagen das auch. Sie verzögern das aber so lange, bis die Klagefristen zum Jahresende abgelaufen sind. „Hut ab“, kann man da nur sagen. Man muss sich erst einmal trauen, mit dieser Chuzpe Politik zu machen. ({18}) Meine Damen, meine Herren, hier wurde das Thema „Zukunft der Mobilität“ angesprochen. Wir kritisieren Sie doch nicht, um hier irgendjemanden zu ärgern. Frau Merkel, ich habe Sie einmal nach China begleitet und das doch schon mitbekommen: Ich nehme an, in den Gesprächen in der Volksrepublik China geht es auch darum, dass dort gerade mit staatlichen Subventionen in Milliardenhöhe ein riesiger Markt der Elektromobilität aufgebaut wird. Wenn Sie in die USA gehen, dann sehen Sie: Dort wird das nicht mit staatlichen Geldern, sondern mit Risikokapital gemacht. Auch dort wird ein riesiger Markt der Elektromobilität aufgebaut. Ja, wir haben vor 130 Jahren den Verbrennungsmotor erfunden, und wir sind stolz darauf. Wir haben damals eine großartige Erfindung gemacht. Das Problem ist nur: Es kann doch nicht sein, dass die wichtigste Innovation aus Deutschland der letzten Jahre die Sitzheizung war. ({19}) Es ist Zeit, dass das nächste große Projekt ebenfalls aus Deutschland kommt. Ich will, dass das Elektroauto hier in Deutschland gebaut wird. ({20}) Wenn man Ihre Politik konsequent zu Ende denkt, dann wird Kaiser Wilhelm II. im Nachhinein doch noch recht behalten. Er hat damals, als das Auto aufkam, nämlich gesagt, dass das Auto, der Verbrennungsmotor, keine Chance - ich zitiere sinngemäß - gegen die Pferdekutsche hat. Kaiser Wilhelm II. hatte unrecht. Kaiser Wilhelm II. kann man aber gerade hier auf dieser Regierungsbank bewundern; denn von dort heißt es, dass der Verbrennungsmotor noch hundert Jahre fahren wird. Wer das sagt, der will das deutsche Auto im Museum bewundern. ({21}) Ich will, dass Deutschland Automobilproduktionsstandort bleibt. Das wird nur gehen, wenn das Auto der Zukunft emissionsfrei ist und in Deutschland, von unseren deutschen Ingenieuren, hergestellt wird. ({22}) Meine Damen, meine Herren, zur Fairness im Wahlkampf gehört, auch zu sagen: Wenn man den G-20-Gipfel mit Herrn Trump, Herrn Erdogan und Herrn Putin gesehen hat, dann erscheint die Bundeskanzlerin schon fast wie eine Lichtgestalt. Das muss man zugeben, ({23}) wenn man das Trio Infernale dort gesehen hat. Vergnügungsteuerpflichtig war das sicher nicht. Wenn Herr Trump seine Unterlagen zur Abwechslung einmal gelesen und sich vorbereitet hätte, dann hätte er die Bundesregierung und die Große Koalition aber sehr einfach auskontern können. Er hätte nämlich sagen können: Ich habe das Pariser Klimaschutzabkommen zwar gekündigt, aber was machen Sie? Sie unterschreiben es, und seit acht Jahren gehen die CO2-Emissionen in Deutschland nicht zurück. - Deutschland ist Weltmeister bei der Nutzung der Braunkohle. Diese Politik schadet dem schmelzenden Eis in der Arktis genauso wie die Politik von Herrn Trump. ({24}) Nur, damit wir einmal Klartext darüber reden, was diese Regierung unter Hightech versteht: Wir reden hier zum Teil über Kohlekraftwerke aus der Zeit von Sepp Herberger. Für die, die es nicht mehr wissen: Er war einmal Fußballnationaltrainer in Deutschland. ({25}) - Herr Kauder, auch als Baden-Württemberger kann es nicht Ihr Ernst sein, dass Kohlekraftwerke mit einem Wirkungsgrad von 30 Prozent - das sollten Sie wissen unser Hightechprojekt sein sollen. Das können unsere Ingenieure besser. Seien Sie nicht so ingenieursfeindlich! ({26}) Meine Damen, meine Herren, wir haben das TV-Duell gesehen. Vielleicht sollte ich besser von einem „Duett mit Dissonanzen“ sprechen, die quasi in Stein gemeißelte Alternativlosigkeit. Aber es kann noch schlimmer kommen als eine Große Koalition, nämlich wenn sich Schwarz und Gelb miteinander verbünden. ({27}) Dann kommen zu denjenigen, die schon jetzt nichts tun, noch welche, die die Reise nach hinten antreten wollen. Die FDP hat einen Vorschlag gemacht - ich will fair sein -, wie man mit dem Problem der Dieselgrenzwerte und mit den Stickoxiden in der Stadt umgehen soll. Sie will einfach die Grenzwerte aufweichen. So kann man das natürlich auch machen. Eine einfache Lösung, aber halt auch eine sehr dumme Lösung, meine Damen und Herren! ({28}) Es scheint momentan so zu sein, als würde das Hohe Haus am 24. September dieses Jahres durch den Einzug einer weiteren Fraktion einschneidend verändert werden. Ich will mich ausdrücklich dem Kollegen Oppermann anschließen. Egal, wie man zu wem auch immer hier in diesem Haus und zu seinen Äußerungen steht: Ein Mitglied dieses Hauses wird nicht in Anatolien entsorgt, meine Damen und Herren. ({29}) Ich will auch für meine Fraktion klar sagen: Das Menschenbild der AfD hat mit dem Menschenbild der Bundesrepublik Deutschland nichts zu tun. Wir leben in der Bundesrepublik Deutschland in einem großartigen Land. Dieses Land hat nichts mit der AfD zu tun. ({30}) Ich sage ganz bewusst als jemand, dessen Vorfahren zwar nicht in der Bundesrepublik Deutschland geboren sind, der aber selbst in Deutschland geboren ist und der die Schwäbische Alb genauso seine Heimat nennt wie jeder andere auch, der von dort kommt: Eine Partei, deren Loyalität zu einem autoritären Herrscher wie Putin höher ist als deren Loyalität zum deutschen Grundgesetz, ({31}) soll bitte schön nicht für sich in Anspruch nehmen, dass sie irgendetwas mit deutschen Tugenden zu tun hat, meine Damen und Herren. ({32}) Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Lammert! Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Ich werde Ihren Scharfsinn und Ihren Humor sehr vermissen. Herzlichen Dank für Ihre kluge und zuweilen auch fröhliche Amtsführung. Ich hoffe, dass wir noch viel von Ihnen hören werden. Herzlichen Dank. ({33})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Volker Kauder ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich möchte zunächst dem Präsidenten im Namen meiner Fraktion herzlich danken. Wir haben ihn schon gestern in unserer Fraktionssitzung mit stehendem Applaus gewürdigt. Ich glaube, man kann sagen: Dieser Deutsche Bundestag kann wirklich stolz darauf sein, einen solchen Präsidenten gewählt zu haben. ({0}) Lieber Norbert Lammert, wir wünschen alles Gute; Gottes Segen begleite Sie. Ich bin ganz sicher: Wir werden vom ehemaligen Präsidenten immer wieder etwas hören. Vor allem wenn ihm wegen des einen oder andeCem Özdemir ren die Hutschnur platzt - so kenne ich ihn -, wird er nicht schweigen können. Deswegen freuen wir uns natürlich - die Sitzungen der CDU/CSU-Fraktion sind für jeden ehemaligen Kollegen offen - über jeden Besuch. ({1}) - Gut, wenn ich in Pension bin, dann komme ich einmal bei euch vorbei. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Vielleicht gehen wir am besten zusammen hin, um größere Zusammenstöße zu vermeiden. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das können wir einmal probieren. - Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man heute auf unser Land schaut, dann muss man zugeben, dass es wahrscheinlich kein einziges Land auf der Welt gibt, in dem es den Menschen im Schnitt so gut geht wie bei uns in Deutschland. ({0}) Dies hat etwas mit einer großen Gesamtleistung von fleißigen Bürgerinnen und Bürgern, von Unternehmern, die risikofreudig sind und investieren, und einer guten Politik zu tun. Es mag ja sein, Herr Kollege Oppermann, dass nicht alles hundertprozentig gelungen ist. Aber ich kann nur sagen: Ich bin stolz auf das, was wir in diesen vier Jahren in dieser Regierung für unser Land geleistet haben. ({1}) Jetzt kann ich eine Erfahrung anführen, die ich schon mit meinem Freund Peter Struck besprochen habe und über die er in seinem Buch berichtet hat: Wenn man miteinander in einer Regierung ist, dann muss man sich zu dieser Regierung bekennen. Auf jeden Fall wird es nicht gelingen - das werden wir am 24. September sehen -, gleichzeitig Regierung und Opposition zu sein. Dies funktioniert nicht. ({2}) Peter Struck hat in seinem Buch auch bestätigt, dass dies ein Fehler gewesen sei. Und der wird jetzt wiederholt. Bei dem, was wir in den nächsten vier Jahren vorhaben, sind ein paar Projekte von besonderer Bedeutung. Eines - das zentrale überhaupt - heißt: Wir müssen unsere Wirtschaft darin unterstützen, dass sie wachsen kann und vorankommt. Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({3}) Was eine funktionierende Wirtschaft bedeutet, hat der Kollege Oppermann - allerdings erst auf Nachfrage aus der Fraktion Die Linke - erklärt. Ich kann nur den Kopf darüber schütteln, wie dort das eine oder andere diskutiert wird, zum Beispiel die Rente. Wir haben in der letzten Großen Koalition auf Vorschlag von Franz Müntefering ein Rentenkonzept bis zum Jahr 2030 entwickelt. Dass die SPD jetzt nicht immer dazu stehen will, wundert mich nicht; denn sie will sich von allem verabschieden, was sie einmal gemacht hat, auch von den Dingen, die richtig waren, was selten genug der Fall ist. ({4}) Aber selbst von denen will sie sich verabschieden. Jetzt muss ich sagen: Ja, es ist ja richtig: Als Angela Merkel zum ersten Mal Bundeskanzlerin geworden ist, hat sie 5 Millionen Arbeitslose im Gepäck gehabt, die sie geerbt hat. Heute sehen die Zahlen ganz anders aus. Das Ergebnis sieht man: Dass 44 Millionen Menschen beschäftigt sind und in die Sozialkassen einzahlen, führt dazu, dass wir eine Situation in unseren Sozialversicherungssystemen haben, wie wir sie schon lange nicht mehr hatten. Auch dies ist ein gutes Ergebnis unserer Regierung. Klar ist auch: Je mehr Menschen in Arbeit sind und Beiträge zahlen, desto stabiler ist das Rentenversicherungssystem, und damit werden auch die 48 Prozent gehalten. ({5}) Alles andere ist Quatsch. In der Zeit der rot-grünen Regierung mit 5 Millionen Arbeitslosen wäre ein Rentenniveau von 48 Prozent nicht einmal mit einem Milliardenaufwand möglich gewesen. Deswegen: Sorgen wir für eine gute wirtschaftliche Situation! Dann sind die Renten- und auch die Sozialversicherungssysteme in Ordnung, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({6}) Dass man den Mut hat, hier aufzutreten, und den eigenen Kanzlerkandidaten im Regen stehen lässt, das ist wohl typisch sozialdemokratisch. Ich will darauf hinweisen: Es ist absolut nicht in Ordnung, Thomas Oppermann, sich hierhinzustellen und zu sagen: Die CDU/CSU will aufrüsten. ({7}) Das ist absolut nicht in Ordnung. Ich zitiere Martin Schulz im Phoenix-Interview: Die Experten sagen mir: Zwischen 3 und 5 Milliarden braucht die Bundeswehr jährlich mehr. Ja, unbedingt; sollten wir tun. Sich dann hierhinzustellen und etwas anderes zu sagen, ist schäbig, um das einmal so offen zu formulieren. ({8}) Es bleibt dabei, dass wir mit dieser Regierung unter Angela Merkel dem Land einen guten Dienst erwiesen haben, vor allem deshalb, weil wir neue Chancen und neue Möglichkeiten für die nächste Regierung und auch für die junge Generation geschaffen haben. Es ist erstaunlich - eigentlich ist es das nicht -, dass die SPD darüber nicht spricht. Aber wahrscheinlich eine der größten Leistungen dieser Koalition - nicht nur der Regierung ist, dass wir dreimal hintereinander einen Haushalt ohne neue Schulden geschafft haben. ({9}) Nein, es ist bereits das vierte Mal hintereinander. Nun sind wir beim fünften Haushalt. Dass wir keine neuen Schulden gemacht haben, und dies, ohne die Steuern zu erhöhen, das ist eine großartige Leistung. Das ist etwas, was wirklich generationengerecht ist. ({10}) Es ist auch die Wahrheit: Als wir einen Haushaltsüberschuss nicht für die Rücklage, sondern zur Reduzierung der Schulden nehmen wollten, hat die SPD nicht mitgemacht, sondern gesagt: Wir wollen nicht die Schulden senken, sondern geben das Geld lieber aus. - Das ist so typisch: Anstatt die Schulden zu senken, Geld ausgeben, obwohl wir in diesem Land genügend investieren. ({11}) Die Rede des Kollegen Oppermann habe ich in vielen Punkten so verstanden, als ob der Bund mehr und mehr Aufgaben der Länder übernehmen sollte und die Länder damit abgeschafft werden sollten. Ich kann nur sagen: Bildungspolitik ist zunächst einmal Aufgabe der Länder. Dort, wo die Union regiert, läuft es wesentlich besser als dort, wo ihr regiert. ({12}) - Auf der Regierungsbank, Frau Nahles, hat man ruhig zu sein. Sie können sich ja ins Plenum setzen. Aber auf der Regierungsbank ist man zunächst einmal friedlich. ({13}) Es ist doch bezeichnend, dass die SPD-Bundestagsfraktion und insbesondere der Kollege Oppermann mehrfach gesagt haben: Wir brauchen ein Programm zur Sanierung von Schulen und für finanziell notleidende Städte, vor allem wegen Nordrhein-Westfalen. - Dort habt ihr viele Jahrzehnte regiert. Das Ergebnis kann man besichtigen. Gott sei Dank hat sich das in diesem Jahr geändert. ({14}) Im Übrigen haben wir überhaupt nichts gegen eine verstärkte Zusammenarbeit. Wir haben das Grundgesetz geändert, um zusammenarbeiten zu können. Wir haben auch gesagt: Wir wollen einen Bildungspakt mit Ländern und Kommunen, um zu helfen, dass Schulen an das Internet angeschlossen werden. ({15}) Aber wir haben immer gesagt, dass die Verantwortung für das, was in der Schule geschieht, bei den Ländern verbleiben muss. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Doch nur weil man im SPD-regierten Bremen so miserable Ergebnisse bei der Bildungspolitik hat, muss man nicht für einheitliche Standards in ganz Deutschland plädieren. ({16}) Man sollte nur nicht, wenn man in Bremen Kinder in der Schule hat, den Versuch unternehmen, mit denen nach Sachsen umzuziehen; denn die Bremer haben selber gesagt, sie seien beim Abitur eineinhalb Jahre zurück. Daran muss man schon auch in den Ländern etwas ändern. Es muss dabei bleiben, dass Verantwortung und Kompetenzen zusammengehören. Es geht auf gar keinen Fall, Kompetenzen für sich zu beanspruchen und sich dann, wenn es schiefgeht, Geld beim Bund abholen zu wollen. So funktionieren die Dinge wirklich nicht. ({17}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin zuversichtlich, dass wir dieses Land auch in den nächsten vier Jahren in eine gute Zukunft führen können. Aber manche aufgeregte Diskussion darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir es mit Risiken in der Außenpolitik zu tun haben. Wenn wir uns Amerika oder Nordkorea anschauen, wenn wir die Art und Weise, wie Putin Politik macht - nicht nur in der Ukraine, sondern auch in anderen Bereichen -, anschauen, dann müssen wir feststellen: Man muss sich wirklich Sorgen machen. Da kann ich nur sagen: Es kommt darauf an, dass man mit Ruhe, klarer Einsicht, Kompetenz und auch Mut an die Sachen herangeht. Jetzt kann ich nur sagen: Die oberste aller Tugenden ist die Klugheit und nicht das politische Rabaukentum. ({18}) Wenn ich so sehe, wie sich die Positionen im Wahlkampf verändern, dann kann ich nur dringend davor warnen, wegen einer Wahl Positionen über Bord zu werfen, die man noch vor vier Tagen, nämlich bis zum letzten Freitag, für richtig erkannt hat. Wenn ich mir das alles anschaue - so sehen es auch viele Menschen in unserem Land -, bin ich mir ganz sicher, dass gerade die schwierigen außenpolitischen Aufgaben nirgendwo besser aufgehoben sind als bei Angela Merkel. ({19}) Der Bundestagspräsident hat gemahnt, dass wir uns gemeinsam für die Demokratie einsetzen, auch über den Wahlkampf hinaus; das ist richtig. Deswegen teile ich alles, was hier zur AfD gesagt wurde. Aber man muss sagen: Es gibt auch Gefahren von anderer Seite. Es hat mich schon sehr gestört, dass das Thema eines zunehVolker Kauder mend gewaltbereiten Linksextremismus hier überhaupt noch nie angesprochen worden ist. ({20}) Das, was in Hamburg geschehen ist, hat mit rechts weniger zu tun als mit links. ({21}) Ich rate dringend, Kollege Oppermann und auch Kollegen von den Grünen, auf keinem Auge blind zu sein. Extremismus, der unsere Gesellschaft gefährdet, ob von links oder von rechts, muss beiderseits bekämpft werden. ({22}) Wenn wir dies schaffen - wir sind dazu bereit -, dann tun wir unserem Land einen großen Dienst. ({23})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Dietmar Bartsch für die Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Dr. Dietmar Bartsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003034, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Lammert hat ja angemahnt, wir sollten weniger reden, sondern mehr debattieren. Da muss ich selbstverständlich auf Herrn Kauder und auch auf Herrn Oppermann eingehen. Herr Kauder, Sie haben eben gesagt, Sie wollten gar nicht aufrüsten, es sei schäbig, das zu sagen. Ja, was ist es denn, wenn man den Verteidigungsetat von 37 Milliarden Euro auf letztlich 70 Milliarden Euro anheben will? Das ist Aufrüstung, das ist nichts anderes. ({0}) Wenn man den Verteidigungsetat jedes Jahr um 3 Milliarden Euro erhöht, ist das auch nichts anderes. Was hat denn das mit schäbig zu tun? Das ist das, was Sie vorhaben. Darüber muss man doch reden. Die Menschen müssen wissen: Sie wollen deutlich mehr für Verteidigung ausgeben. Sie wollen auch weiter Waffen exportieren, und es gibt andere, die deutlich dagegen sind. ({1}) Herr Oppermann, 3 Milliarden Euro jedes Jahr mehr für den Verteidigungsetat ist auch Aufrüstung; das ist nichts anderes. Es gibt aber eine Partei, die einen Abrüstungswahlkampf führt. ({2}) Eins muss ich Ihnen auch sagen: Sie haben hier so wunderbare Vorschläge gemacht. Ich habe gedacht, das ist eine Liste der Anträge der Linken. Ich frage mich, wieso Sie nur ein einziges Mal in dieser Legislatur - bei der Ehe für alle - den Mut hatten, wenigstens die Dinge, die im Koalitionsvertrag stehen, umzusetzen. Die Abschaffung der Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung hatten Sie sogar vereinbart. Nicht einmal das haben Sie geschafft. Und jetzt tun Sie so, als wenn Sie das alles hätten anders machen wollen. Das ist, ehrlich gesagt, nicht ehrlich, meine Damen und Herren. ({3}) Ich will die Frage stellen - bei allen Krisen dieser Welt; darüber ist geredet worden; da ist manches zu unterstützen -: Warum eigentlich kann Europa in dieser Situation nicht eine andere Rolle spielen? Ich frage einmal ganz nüchtern: Ist Europa heute eigentlich ein besseres als vor zwölf Jahren, als Angela Merkel Kanzlerin geworden ist? Wie ist denn die Situation? Den Brexit haben wir. Die Finanzmarktkrise ist nicht bewältigt. Wir haben das Erstarken rechtspopulistischer und rechtsextremistischer Parteien. Wir haben eine Jugendarbeitslosigkeit in den Südländern von über 50 Prozent - in Griechenland das vierte Jahr. Da wächst eine Generation der Hoffnungslosigkeit heran. Der desolate Zustand in Europa hat aber mit Ihrer Politik, mit der Politik von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble, zu tun. Das hat zur Entsolidarisierung geführt, meine Damen und Herren. Das ist die Wahrheit. ({4}) Herr Kauder hat gesagt: Hier ist über einiges nicht geredet worden. - Ja, das ist mir auch aufgefallen. Hier ist über einiges nicht geredet worden. Wenn ich in meinem Wahlkreis in Rostock bin, höre ich ganz andere Themen, über die geredet wird. Es gab in unserem Land mal den schönen Satz: Unseren Kindern soll es einmal besser gehen. - Wir hatten gerade die Einschulung in Brandenburg und in Mecklenburg-Vorpommern; jetzt am Sonnabend ist sie auch in Berlin. Wir sind uns doch einig, dass eigentlich alle diese kleinen Kinder in unserem Land die gleichen Chancen haben sollten. Aber das Ergebnis Ihrer Politik ist, dass sie nicht die gleichen Chancen haben. Das ist die Realität. Unsere Kinder haben nicht die gleichen Chancen, und das hat natürlich zuallererst mit Elternarmut zu tun. Sie sagen so schön: Im Schnitt geht es Deutschland gut. - Ja, das ist wie mit der Kuh, die in dem Teich, der 50 Zentimeter tief war, ertrunken ist. Es gibt perversen Reichtum und Armut in unserem Land. Das ist die Realität. ({5}) Die Kanzlerin hat angeführt: Mit den Arbeitsplätzen ist es deutlich besser. - Bei jedem Arbeitsplatz, der gut bezahlt wird, unterstützen wir das. In Kommunen und Ländern machen wir etwas, Unternehmen und Gewerkschaften arbeiten daran. Aber es ist doch eine Frage zu beantworten: Hat denn das alles in unserem Land zu mehr Armut oder nicht geführt? Das ist eine zentrale Frage. Da kann ich nur eines feststellen: Als Angela Merkel Kanzlerin wurde, lag die Armutsrisikoquote bei 14 Prozent. Jetzt liegt sie bei 15,7 Prozent. Bei den Beschäftigten ist das Risiko, in Armut zu kommen, obwohl sie vollzeitbeVolker Kauder schäftigt sind, von 6,8 Prozent auf 9,7 Prozent gestiegen. Da ist doch etwas nicht in Ordnung in unserem Land. ({6}) Besonders skandalös ist, dass es in unserem reichen Land Kinderarmut gibt, meine Damen und Herren. ({7}) Die Zahl ist in den letzten Jahren gestiegen. Das hat doch etwas mit Politik zu tun. Warum haben Sie da nichts getan? In Ihrem Koalitionsvertrag kommt dieses Wort nicht vor. Ich hoffe, im nächsten, egal, wer ihn schreibt, kommt dieses Thema endlich vor. Diesen unhaltbaren Zustand muss man endlich beenden. Wie ist es mit der Altersarmut? Es ist eine ähnliche Situation. Die Zahl der Menschen, die auf Grundsicherung angewiesen sind, ist in den letzten zehn Jahren von 365 000 auf 525 000 gestiegen. Das sind 44 Prozent. Warum gibt es bei uns nicht eine Mindestrente von 1 050 Euro? Das können wir doch finanzieren, wenn wir wollen, wenn es eine ordentliche Rentenreform gibt. ({8}) Es bleibt dabei: In einem Land, in dem Alleinerziehende Zukunftsangst haben, in dem Kinderreichtum zum Armutsrisiko wird und in dem alte Menschen Flaschen sammeln, kann man von Sozialstaat nicht reden. Am 24. September geht es auch um die Wiederherstellung des Sozialstaats in unserem Land, meine Damen und Herren. ({9}) Die andere Seite der Medaille kennen wir alle: Das ist dieser Reichtum. Die Zahl der Milliardäre in unserem Land steigt. 186 Milliardäre! Die 500 reichsten Familien haben von 2011 bis 2016 ihr Vermögen von 500 Milliarden Euro auf 692 Milliarden Euro gesteigert. Das ist obszön, meine Damen und Herren. Als Norddeutscher weiß ich: Die Steuern heißen auch so, weil wir damit das Land steuern. Da muss etwas passieren. Wir haben das Steuersystem des vergangenen Jahrhunderts, und diese Koalition hat in den letzten Jahren auf diesem Gebiet nichts bewegt. Es gehört Mut dazu, sich mit den Mächtigen anzulegen. Aber diesen Mut haben Sie nicht. ({10}) Es wird immer über den ausgeglichenen Haushalt gesprochen. Wir haben gar nichts dagegen, dass es ausgeglichene Haushalte gibt. Aber wir müssen an der Spitze noch etwas abholen. Ich könnte Ihnen jetzt zur Erbschaftsteuer und zur Vermögensteuer vortragen. Das kann man alles im Wahlprogramm nachlesen. Aber eines will ich schon noch sagen, weil hier immer über die Riesenleistung des Finanzministeriums geredet wird: Wer ist denn eigentlich verantwortlich für den Skandal der Brennelementesteuer? ({11}) Wer ist denn eigentlich verantwortlich für die Cum/ Ex-Geschäfte? Wer ist denn eigentlich verantwortlich dafür, dass nach Veröffentlichung der Panama Leaks nichts passiert ist? Das alles lag in der Hoheit des Finanzministers. Da gehen die Mittel verloren, die wir eigentlich für Investitionen in Bildung, für Investitionen im Pflegebereich, für Investitionen in erneuerbare Energien brauchen. Da haben Sie Fehler gemacht. Da muss es Veränderungen geben, meine Damen und Herren. ({12}) Dann höre ich hier auch sehr viel zu den Themen Dieselgate, Abgasskandal usw. Nun sind diese Absprachen und all das andere auch so schon ein Riesenskandal. Aber wie die Politik, wie die Regierung damit umgeht, das ist doch auch ein Skandal. Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, sitzen mit den Verursachern der Krise zusammen, ({13}) aber nicht mit denjenigen, die betroffen sind. Das alles haben doch Leute zu verantworten, die ganz fette Millionenverträge hatten. Der Winterkorn hat 17,1 Millionen Euro verdient; der war immer stolz, dass er am allermeisten verdient. Wo wird denn so jemand mal zur Verantwortung gezogen? Da glaubt doch kein Mensch, dass das ohne Mitwisserei des Wirtschaftsministeriums oder nachgeordneter Regierungsbehörden möglich war. ({14}) Ich meine, das ist ein Betrug, ein Kartell der Wirtschaft. Ich habe jetzt wenigstens verstanden, wieso das in den Stadien Bandenwerbung heißt: Ja, das heißt aus gutem Grund Bandenwerbung, meine Damen und Herren. ({15}) Im Wahlkampf fragen jetzt viele Menschen: Wie ist es eigentlich mit den Verantwortlichen? Wieso steht hier eigentlich keiner vor Gericht? In den Vereinigten Staaten ist das doch so. Es ist irgendwie komisch, dass das bei uns nicht passiert. - Da wird immer mehr gefragt. Die Leute kommen auf einen zu und fragen: Wie ist es eigentlich mit Verfristungen? - Die Arbeiter, ob in Wolfsburg oder Leipzig, ob in Chemnitz oder Hannover, bangen teilweise um ihre Zukunft. Sie von der Regierung haben das alles zulasten der Umwelt, zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher, zulasten der Zulieferindustrie, letztlich auch zulasten des Standortes Deutschland mitzuverantworten. Bei den Sammelklagen lassen Sie jetzt einen Verschiebebahnhof auf die Zeit nach der Wahl zu. Das ist doch alles unverantwortlich. So verlieren die Menschen den Glauben an die Politik, meine Damen und Herren. Was sagen Sie eigentlich den Tausenden von Ingenieurstudentinnen und -studenten, ob nun in Rostock oder Dresden, die an Technik und an Fortschritt glauben und dafür arbeiten wollen? Sie, Frau Merkel, haben von made in Germany gesprochen und davon, dass sie ihr Leben damit verbinden sollen. Das ist ja sehr gut. Aber ist es jetzt wirklich so, dass man dazu immer noch eine Riesenportion Zynismus braucht: Erwischt? Pech gehabt, aber dann weiter so! - Das kann doch wohl nicht wahr sein. Da müssen doch auch von hier andere Signale kommen. ({16}) Ich habe jetzt am Wochenende viel über Fluchtursachen gehört. Das ist auch so ein Punkt. Ich glaube, wir haben hier im Haus ganz großen Konsens darüber, dass wir da wirklich etwas tun müssen. Es kann aber doch nicht sein, dass wir ernsthaft - - Liebe Frau Merkel, es mag zwar spannend sein, sich mit Herrn Kauder zu unterhalten, aber es wäre vielleicht auch eine gute Idee, einmal einen Moment zuzuhören - einen Moment nur! ({17}) - Sie sollten auch nicht einfach so abwinken, Herr Kauder. Es könnte passieren, dass man später auch einmal in der Opposition sitzt. - Aber gut. ({18}) - Wir können gerne rausgehen, wir beide. Das machen wir einmal. Das wäre doch einmal eine Sache. ({19}) Also, ich finde es für die Große Koalition inakzeptabel, über Fluchtursachen zu reden, nachdem sie in dieser Legislaturperiode so viele Waffenexporte wie noch nie genehmigt hat. Es ist unglaubwürdig, vor diesem Hintergrund ernsthaft zu sagen: Wir wollen Fluchtursachen bekämpfen. - Ich finde, das geht überhaupt nicht. Wenn Sie weiterhin auch noch Waffen in die Türkei exportieren, ist das ein ganz großer Skandal. ({20}) Im Übrigen kann ich mich hinsichtlich der Aussagen über die Staatsministerin in dem Fall der Kanzlerin, Cem Özdemir und auch Thomas Oppermann nur anschließen. Das ist völlig inakzeptabel. Wir werden jedenfalls bis zum letzten Tag kämpfen, dass hier in diesem Hause keine rechtspopulistische Partei vertreten ist. ({21}) Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, der auch nicht vorkommt, nämlich die Angleichung der Lebensverhältnisse. Frau Merkel, es ist nun einmal die Wahrheit - das erleben wir doch alle -, dass die „blühenden Landschaften“ und die „Chefsache Ost“ bei vielen als - na ja, auf gut Deutsch - Verarschung ankommen. Sie wollen offensichtlich nicht darüber reden. Es gibt jedoch weiter einen riesigen Lohnabstand, es gibt weiterhin riesige Defizite bei Landärzten, es gibt Defizite in der Pflege. Und jetzt wird tatsächlich ein unterschiedlicher Mindestlohn für das Pflegepersonal in Ost und West vereinbart. Pflege und Zuneigung für Menschen, die gepflegt werden müssen, dürfen doch nicht in Ost und West unterschiedlich bezahlt werden, meine Damen und Herren. ({22}) Es ist doch unsere Aufgabe, hier nachhaltig Druck zu machen, dass genau das nicht passiert. Besonders skandalös ist natürlich, wie es in den neuen Ländern um das Thema Breitbandausbau und -netze bestellt ist. Herr Dobrindt, was haben Sie in den vergangenen vier Jahren gemacht! Ich habe mir noch einmal Ihre Ankündigungen durchgelesen, nicht zur Vorbereitung auf heute, sondern zur Vorbereitung der gestrigen Sendung. Davon ist ja nichts realisiert worden. Das Netz ist schlechter als in Georgien, Rumänien oder Peru. Das ist doch wirklich unhaltbar. Was haben Sie in den vier Jahren gemacht? Das Entscheidende ist doch, dass endlich etwas passieren muss. Jetzt machen Sie im Wahlkampf so weiter; ein Schlafwagen-Wahlkampf. Ein Land, in dem man gut und gerne leben kann - das unterschreiben wir alle. Gute Arbeit, gute Löhne - das unterschreiben wir alle. Aber Auseinandersetzungen um die Zukunft unseres Landes müssen geführt werden: Es geht darum, ob der soziale Zusammenhalt in diesem Land wiederhergestellt wird. Es geht um die Zukunft Europas, damit dieses Projekt - es war ein Friedensprojekt - nicht scheitert. Dabei hat diese Koalition in den letzten vier Jahren wenig bis gar nichts geleistet. Deswegen wäre es sehr sinnvoll, wenn am besten beide Parteien nicht mehr in Regierungsverantwortung kommen, meine Damen und Herren. ({23}) Frau Präsidentin, da so viel gedankt worden ist, nehme ich mir diese Besonderheit heraus und danke den Vizepräsidenten ebenfalls für ihre Arbeit. Alles Gute auf allen Wegen! ({24})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ganz herzlichen Dank.

Dr. Dietmar Bartsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003034, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, hat als nächste Rednerin für die Bundesregierung das Wort. ({0})

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, diese Regierung hat erfolgreich gearbeitet, insbesondere in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. ({0}) Die Beschäftigung boomt. Wir haben die niedrigste Arbeitslosenquote. Sogar die niedrigen Löhne steigen dank des Mindestlohns wieder. Trotzdem finde ich es reichlich abgehoben, Frau Merkel, wenn Sie sich heute hierhinstellen und in Selbstzufriedenheit erklären: „Darüber dürfen wir uns freuen.“ Was glauben Sie, wie ich mich gefreut habe, als ich den Mindestlohn nach monatelangem, zähem Ringen mit Ihrer Fraktion durchbekommen habe? ({1}) Aber der Mindestlohn ist kein guter Lohn. Deswegen muss unser Ehrgeiz über diesen Mindestlohn hinausgehen. Mindestlohn heißt doch noch lange nicht, dass die Leute anständige Löhne für ihre harte Arbeit bekommen. Fragen Sie einmal den Hermes-Boten, ob er bekommt, was er verdient, die Altenpflegerin oder den Altenpfleger, ob sie bekommen, was sie verdienen. Dabei werden Sie feststellen: Nein. Deswegen wollen wir anständige Löhne, von denen die Leute leben und eine anständige Rente bekommen können. ({2}) Wie schaffen wir das? Wir haben einiges auf den Weg gebracht: den Missbrauch bei Leiharbeit eingedämmt, für die Werkarbeitnehmer endlich einen Rechtsanspruch für die Betriebsräte durchgesetzt. Aber wir brauchen in diesem Land vor allem wieder mehr Arbeitgeber, die tarifgebunden sind. Helfen Sie uns dabei, dafür zu sorgen, dass im nächsten Jahr bei den Betriebsratswahlen auch dort Betriebsratswahlen stattfinden, wo heute noch gar kein Betriebsrat existiert! ({3}) Wir brauchen an dieser Stelle Unterstützung. Wir brauchen aber auch einen Pakt für anständige Löhne. Denn eines ist klar: Gerade in den sozialen Berufen bekommen die Leute nicht die Wertschätzung, die sie verdienen. Derzeit wird der Kosten- und Wettbewerbsdruck in der Pflege, im Bereich der sozialen Berufe einzig auf den Schultern der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land abgeladen. Deswegen müssen wir auch die Kirchen, die freien Träger mit ins Boot nehmen. Wir brauchen eine Anstrengung, damit hier endlich wieder tarifliche Strukturen existieren, die die Menschen schützen und ihnen anständige Löhne garantieren. ({4}) Aber was wir in Deutschland nicht brauchen, ist sachgrundlose Befristung. Deren Abschaffung haben wir nicht im Koalitionsvertrag verabredet, Herr Bartsch. Das hätten wir gerne gewollt, aber das hat unser Koalitionspartner verhindert. Versuchen Sie einmal mit einem befristeten Arbeitsvertrag - 45 Prozent der Einstellungen erfolgen heute auf befristeten Arbeitsverträgen - in Berlin, in Hamburg, in München, in Stuttgart oder irgendwo sonst eine Wohnung zu bekommen. Versuchen Sie einmal, einen Kredit zu bekommen. Versuchen Sie einmal, ein Auto zu kaufen. Sie werden feststellen, dass das faktisch unmöglich ist. Junge Leute können auf befristeten Verträgen keine Familienplanung aufbauen. Wir brauchen die sachgrundlose Befristung in diesem Land nicht mehr. Deswegen gehört sie abgeschafft. ({5}) Was ist einer der Hauptgründe für niedrige Löhne in diesem Land? Das ist die Teilzeit. 46 Prozent der Frauen arbeiten in Teilzeit, teilweise unter 20 Stunden. ({6}) Warum machen die Frauen das? Die Frauen machen das für die Familie, für die Kinder. Die machen das, weil sie nicht Kinder bekommen, um sie dann direkt wegzuorganisieren - das verstehe ich als Mutter sehr gut. Wenn sich Frauen also für Teilzeit, für die Familie entscheiden, wie reagieren wir in diesem Land darauf? Mit einer doppelten Bestrafung. Erstens. Wenn sie zurückkommen wollen, stellen sie oft fest: Oh, die Jungs haben sich die Claims schon wieder neu abgesteckt, Rückkehr ist gar nicht möglich. - Zweitens. Aus der Karriereplanung und aus der Weiterbildung sind sie raus. Und dann kriegen sie als Bonbon, als doppelte Bestrafung, wenn sie jahrzehntelang Teilzeit gearbeitet haben, am Ende natürlich auch keine Vollzeitrente. Ich sage Ihnen: Es ist ein Skandal, dass wir eines der größten Potenziale in diesem Land, unsere gut ausgebildeten Frauen, die sich phasenweise für die Familie entscheiden, am Ende so hängen lassen. ({7}) Sie und niemand anders hat das Gesetz zur Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit, das fertig in der Schublade liegt, verhindert, höchstpersönlich. Frau Merkel hat gesagt: Wir wollen das erst ab einer Betriebsgröße von 200 Beschäftigten. ({8}) Ich sage Ihnen: Dann hätte dieses Gesetz 7,3 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gar nichts gebracht. So ein Gesetz machen wir doch nicht. Wir machen doch keine Gesetze, damit sie auf dem Papier stehen. Wir machen Gesetze für die Realität, damit die Frauen in diesem Land etwas davon haben. ({9}) In diesem Zusammenhang sage ich Ihnen: Lieber Martin Schulz - in Klammern: Mann - und Andrea Nahles - in Klammern: Frau - als Angela Merkel - in Klammern: Frau -; denn für die Frauen bringt es in dieser Frage am Ende eindeutig mehr, wenn sie Martin Schulz wählen. ({10}) Was ich Ihnen ganz offen und klar sagen muss, ist Folgendes: Sie haben ein sehr schönes Ziel ausgerufen. Ich persönlich bin sehr dafür. Wir wollen Vollbeschäftigung. Sie haben auch gesagt, dass Sie das erreichen wollen. Wenn man aber Vollbeschäftigung erreichen will, dann muss man endlich auch den Mumm haben, die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit anzupacken. ({11}) Sie, Frau Merkel, und Herr Schäuble haben es wirklich geschafft, mich am langen Arm verhungern zu lassen, was das Programm zur Förderung öffentlicher Beschäftigung und sozialer Teilhabe angeht. Gerade einmal 20 000 Plätze konnte ich im Rahmen dieses sehr erfolgreichen Programmes besetzen. In diesem Land warten aber Hunderttausende von Langzeitarbeitslosen darauf, endlich eine Chance zu bekommen. ({12}) Dass sie Arbeit im öffentlich geförderten Bereich finden, ist ihre einzige Chance. Wir brauchen mindestens 100 000 Plätze, um in der Fläche zu Erfolgen zu kommen. Das kostet 2 Milliarden Euro. ({13}) Und jetzt sagen Sie mir: Wollen Sie die 2 Milliarden Euro in die Hand nehmen, ja oder nein? Das ist doch ganz einfach. Das können Sie den Wählern doch vor der Bundestagswahl erzählen. Sie könnten den Wählern vor der Bundestagswahl sagen: Jawohl, es gibt 2 Milliarden Euro mehr für Langzeitarbeitslose. - Dann wären wir doch glücklich. Dann wären wir doch schon zufrieden. ({14}) Aber das werden Sie nicht tun; denn bisher haben Sie es auch nicht gemacht. Wir hätten das ja gerne gemeinsam umgesetzt. Es ist ja nicht so, dass es an uns gescheitert wäre. ({15}) Darüber hinaus gibt es leere Versprechungen aller Art, auf die ich jetzt nicht eingehen will. Aber dass Sie sich zu einem Punkt klar bekannt haben, war ja wirklich überraschend. Sie sind jetzt gegen die Rente mit 70. Okay, das wird ja jetzt gar nicht so diskutiert. Herr Schäuble, Herr Spahn und andere diskutieren ja eher über eine Koppelung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung. Das ist eine andere Mechanik. Das ist so eine Art Automatismus der Renteneintrittsaltererhöhung. ({16}) Gilt die klare Aussage „keine Rente mit 70“ auch für diese Forderung? Das wäre meine Frage, Frau Merkel; ({17}) denn das ist es, was eigentlich diskutiert wurde in den letzten Monaten, übrigens auch in der Rentenkommission, die ich letztes Jahr geleitet habe. ({18})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Nahles, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Nein, jetzt nicht. ({0}) Wir haben klar gehört, was Sie zur Rente gesagt haben. Ich nehme Sie jetzt einmal beim Wort, dass es keine Rente mit 70 geben wird. Die eigentliche Frage, über die wir hier die ganze Zeit reden, ist aber doch nicht die des Renteneintrittsalters. Die eigentliche Frage ist, ob wir das Gesetz ändern. Jetzt ist die Rechtslage ja so: Dieses Gesetz wurde Anfang der 2000er-Jahre auch mit sozialdemokratischen Stimmen gemacht, ({1}) weil wir 5,3 Millionen Arbeitslose hatten, weil die Frauenerwerbstätigkeit niedrig war, die Zuwanderung minimal und weil die Älteren ab 55 zum alten Eisen geschoben wurden. Das war die Lage Anfang der 2000er-Jahre. ({2}) Die Lage ist mittlerweile völlig anders. Wir haben die höchste Frauenerwerbstätigenquote mit 74 Prozent. ({3}) Wir haben tatsächlich keinen Unterschied mehr bezüglich der Beschäftigung von 60-Jährigen gegenüber 50-Jährigen oder 40-Jährigen. Die sind alle gleichermaßen in Beschäftigung. ({4}) Wir haben eine wesentlich bessere Situation bei der Zuwanderung, und zwar auch schon vor der Flüchtlingskrise. Vor allem haben wir nur noch 2,5 Millionen Arbeitslose. Das befähigt uns, ein Versprechen zu geben, das das Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung in diesem Land wiederherstellt; denn dieses Vertrauen ist bei den jungen Leuten weg, das ist einfach zerstört. ({5}) Bei der Bundestagswahl am 24. September geht es darum: Wollen wir, dass das Rentenniveau weiter sinkt, oder wollen wir eine gesetzlich festgelegte Haltelinie einziehen, damit das Rentenniveau auch für die jüngeren Leute gleich bleibt? ({6}) Wenn Sie das mit uns machten, hätten wir viel gewonnen. Aber das haben Sie abgelehnt. Ich finde aber, dass man das den Leuten vor der Wahl ganz klar sagen muss. ({7}) Die jüngere Generation ist die Gelackmeierte. Sie bezahlt mehr Beiträge - das können wir wegen der Babyboomer, die zusätzlich in Rente kommen, nicht verhindern -, aber hat, wenn es nach Ihnen geht und wir nichts machen, unterm Strich überhaupt nichts davon. Sie zahlt mehr und bekommt weniger Rente. ({8}) Das zerstört auf Dauer das Vertrauen in die wichtigste Säule unseres Sozialsystems, die Rente. ({9}) Deswegen ist die Sicherung des Rentenniveaus für uns erste Priorität. ({10}) Ja, wir haben an vielen Stellen sehr gut regiert; aber Deutschland braucht mehr und Deutschland kann mehr, vor allem soziale Gerechtigkeit. Vielen Dank. ({11})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat Katrin Göring-Eckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundeskanzlerin, Sie haben heute hier sehr lange darüber geredet, was die Erfolge der Großen Koalition sind und wie gut es dem Land geht. ({0}) Sie haben aber vergessen, was die zentralen Fragen dieses Landes sind. Sie haben den Abgasskandal wieder einmal heruntermoderiert nach dem Motto: Mich geht das doch nichts an. - Doch die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land geht es etwas an. ({1}) Sie haben weggelassen die Kinderarmut und die Mietenexplosion, Sie haben weggelassen die Skandale um NSA. Sie haben nicht über NSU geredet, und Sie haben nicht über den Maut-Murks geredet. Die Milchkrise, die Bankenkrise, das Extremismuserwachen, all das ist in Ihrer Rede nicht vorgekommen, Frau Merkel. Ich sage Ihnen: So werden Sie in den nächsten Jahren nicht weiterregieren können. ({2}) Da ist nichts Frisches mehr, bei Ihnen nicht und - das muss man ehrlicherweise sagen, auch wenn sich Frau Nahles hier wirklich sehr angestrengt hat - auch nicht bei der Großen Koalition. Wir erleben den Muff aus zwölf Jahren Schwarz-Rot, Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot. Da hat sich nichts mehr bewegt. Deutschland braucht endlich frischen Wind. Deutschland verdient in vier Jahren eine andere Regierungserklärung hier an diesem Pult. ({3}) Ich will Ihnen sagen, was ich wünsche, was darin vorkommt. Darin muss vorkommen: Ja, wir haben die Zukunft unserer Kinder endlich angepackt. Wir haben erkämpft, dass Kinderarmut in diesem Land keine Rolle mehr spielt. - Das will ich in vier Jahren hören und keine Ignoranz mehr. ({4}) Ich will in vier Jahren hören, dass wir gemeinsam angepackt haben, dass die Luft klar ist, dass Wasser sauber und bezahlbar ist und dass das Essen gesund ist. Bei uns stehen das Tierwohl und eine intakte Natur im Mittelpunkt und nicht mehr nur die alte Agrarlobby, über die Sie immer die Hände halten. ({5}) Ich will, dass wir sagen können, dass wir das Sterben im Mittelmeer endlich beendet haben, dass wir im Umgang mit Flüchtlingen über uns hinausgewachsen sind, und zwar noch einmal, mit den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes, dass Schluss ist mit Abschottungspolitik und dass wir endlich für Integration in diesem Land sorgen, und zwar ehrlich, mit Anstrengung und mit Klarheit, sodass wir hier wirklich gut zusammenleben können. Das ist der Unterschied zu Ihnen, Frau Merkel. ({6}) Eine ehrliche Bilanz wäre gewesen, klar zu sagen, was Sie alles haben laufenlassen, was zu stoppen gewesen wäre. Die Autoindustrie, die Energieindustrie, die Agrarindustrie, sie alle haben, gemeinsam mit Ihnen und Ihren Ministern, jegliches Maß verloren, von Mitte ganz zu schweigen. Sie haben es zugelassen, dass Herr Dobrindt und Herr Schmidt, die beiden Herren von der CSU, die Infrastruktur und die Landwirtschaft in diesem Land in eine richtig große Krise gebracht haben. ({7}) - Entschuldigung, ich finde das nicht lächerlich; denn einerseits haben wir einen Minister, der unfassbar viel Geld für Infrastruktur hat und vier Jahre lang nichts anBundesministerin Andrea Nahles deres macht, als sich um eine Maut zu kümmern, die vermutlich nie kommen wird, ({8}) und andererseits können sich die Menschen in diesem Land nicht sicher sein, dass sie kein Gift im Essen haben und dass kein Läusegift in den Eiern ist, weil das nicht mal kontrolliert wird, sondern Herr Schmidt Entwarnung gibt, bevor er überhaupt sicher sagen kann, dass in diesem Land alles in Ordnung ist. Darüber kann ich nicht lachen. Das muss ich Ihnen klar sagen. ({9}) Was wir auch erleben, ist, dass die Große Koalition seit Sonntag nichts anderes zu tun hat, als miteinander zu kuscheln und gleichzeitig zu versuchen, dass es nicht auffällt. Das ist irgendwie wie bei Teenagern, die zu Hause nicht zugeben können, dass sie jetzt eine neue Freundin haben. Frau Nahles, Sie haben eben gesagt, dass es für die Frauen in diesem Land besser wäre, sie würden Martin Schulz wählen. Ich habe mir dieses Duell ja angeguckt. ({10}) Da wundert es mich doch schon sehr, dass die Frauenpolitik oder die Gleichstellung von Frauen oder die Gehälter von Pflegekräften oder die Situation der Alleinerziehenden kein einziges Mal vorgekommen sind, Frau Nahles. ({11}) Wenn Sie das hier sagen, dann geht es wohl nicht um Martin Schulz, sondern vielleicht um die nächste Kanzlerkandidatin der SPD; vielleicht werden Sie, Frau Nahles, das sein. Aber mit Herrn Schulz hat all das jedenfalls nichts zu tun. Meine Damen und Herren, Schwarz-Rot waren verlorene Jahre im Kampf gegen die Klimakrise. Man kann und muss Donald Trump dafür kritisieren, dass er aus dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen ist. Aber wenn Sie sich hierhinstellen, Frau Merkel, und sagen, dass wir den Verbrenner noch jahrzehntelang haben werden, dann sind Sie auch ausgestiegen, zwar nicht, weil Sie Ihre Unterschrift zurückgenommen hätten, sondern, weil Sie das Abkommen nicht umsetzen. So ehrlich muss man dann auch sein. Wer die Klimakrise bekämpfen will, der muss es auch machen, der muss endlich handeln in diesem Land. ({12}) Jetzt muss man natürlich ehrlicherweise sagen, was uns möglicherweise bevorsteht. Nach zwölf Jahren des Verschlafens, nach Wiedereinstieg in die Braunkohle, beispielsweise in Brandenburg, droht ja, dass im September zwei Parteien in den Bundestag einziehen, die harte Klimaleugner sind. Die eine ist die AfD, die sich mit Herrn Trump gemeinmacht, die andere ist die FDP. Die Generalsekretärin der FDP behauptet ja auch, die Klimakrise gäbe es gar nicht. Diese FDP kumpelt weiter mit der Energiewirtschaft. Deswegen will ich an dieser Stelle schon einmal sagen, was uns bevorsteht, wenn wir eine Regierung bekommen, wie es in Nordrhein-Westfalen der Fall ist. Dort wird es keine Windkraftinvestitionen mehr geben. Dort wird es mehr Braunkohle, mehr Verschmutzung geben. Dort sind 18 500 Arbeitsplätze in Gefahr - es sind die Arbeitsplätze der Zukunft -, weil man weiter in die Vergangenheit blickt. Das ist es, was uns bevorsteht, wenn Sie gemeinsam mit der FDP in diesem Land regieren. ({13}) Sie reden immer gerne davon, dass Sie konservativ sind. Für mich hat das sehr viel mit Heimat und Bewahren zu tun. Sie haben in zwölf Jahren Landwirtschaftspolitik zugelassen, dass sich die Agrarindustrie zulasten unserer Heimat selbst pervertiert. Das müssen übrigens nicht Sie ausbaden; das müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher ausbaden, von Gammelfleisch bis hin zu Läusegifteiern. Was ist eigentlich mit Gentechnik auf dem Teller? Was ist mit Glyphosat? Die Menschen wissen das nicht, weil Sie nicht bereit waren, zuzulassen, dass man weiß, was im Essen drin ist. Sie haben nicht die Bereitschaft gehabt, zuzulassen, dass es Lebensmittelkennzeichnungen in diesem Land gibt. Es muss doch das Mindeste sein, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher wissen, woher das Essen kommt, wie die Tiere gehalten worden sind, wie die Pflanzen hergestellt worden sind, wenigstens wissen, was drin ist. Das ist das Mindeste, was ich von Ihnen verlange: dass die Verbraucherinnen und Verbraucher die Chance haben, endlich frei zu entscheiden. ({14}) Ich habe es am Anfang schon gesagt: Es hat mich sehr bewegt, Frau Merkel, dass Sie hier kein Wort über das Sterben im Mittelmeer verloren haben, auch kein Wort darüber, dass humanitäre Seenotretter aufgeben müssen, weil Sie stillschweigend zuschauen, wenn sie von der libyschen Küstenwache beschossen werden. Es wird davon berichtet - Herr Gabriel hat das für die Bundesregierung getan -, dass die Lager in Libyen derzeit KZs ähneln. Es herrschen unhaltbare Zustände. 97 Prozent der Frauen berichten von sexuellen Übergriffen, von Vergewaltigungen, von brutaler Gewalt. Sie, Frau Merkel, haben in der Bundespressekonferenz gesagt, das sei „sicher noch nicht ideal“. Es gibt Punkte, Frau Merkel, wo Moderation wohlfeil und Nonchalance zynisch ist. ({15}) Benennen Sie, worum es geht! Das sind Menschenrechtsverletzungen, das ist eine Katastrophe! Ich sage Ihnen: Mit einem solchen Land, mit Libyen, darf es keinen Flüchtlingsdeal geben. Der Deal mit der Türkei ist ohnehin schon gescheitert. Zu versuchen, mit einem Land, das gar keine Regierung hat, weiter Abschottungspolitik zu betreiben, mit autokratischen Ländern Deals zu machen und ihnen Waffen liefern zu wollen, damit die Grenzen Europas in die Mitte Afrikas verlegt werden, das ist doch keine realistische Flüchtlingspolitik, das ist das Gegenteil davon! Das hat mit Menschlichkeit nichts zu tun, und das hat mit Planbarkeit nichts zu tun. Sie wollen, dass diese Menschen aus den Augen und aus dem Sinn sind. Ich sage Ihnen: Ich will, dass wir eine menschliche Flüchtlingspolitik machen, und zwar ohne Obergrenze. Ich will, dass wir wissen, wer in Europa ist, dass das registriert wird, dass die Menschen sicher hierherkommen können und, ja, dass diejenigen, die hier kein Asyl bekommen, auch wieder zurückkehren müssen. Aber ich will nicht, dass wir so tun, als ob wir Fluchtursachen bekämpfen und dabei selber eine Fluchtursache bleiben. ({16}) Der somalische Kleinbauer, der nach Deutschland kommt, ist auch deswegen zum Flüchtling geworden, weil von uns hochsubventioniertes tiefgefrorenes Hühnerfleisch geliefert wird und er deswegen seine Hühnerfarm aufgeben musste. Wir sind Teil der Fluchtursachen. Dieser Tatsache endlich ins Auge zu blicken, das verlange ich von Ihnen, wenn Sie über realistische Flüchtlingspolitik reden. ({17}) Es war schon nett, am Sonntag zu beobachten - auch heute konnten wir es hier beobachten -, dass sich Union und SPD darauf geeinigt haben, dass wir eine Erhöhung der Rüstungsausgaben um 2 Prozent brauchen. ({18}) - Ja, doch. Verschiedene Menschen aus der Union haben verschiedene führende Sozialdemokraten zitiert. Das ist so. ({19}) - Nein, es sind keine Fake News. ({20}) - Moment! Das ist das, was Sie im Kabinett beschlossen haben. ({21}) Es geht darum, dass auf der einen Seite die Ausgaben im Etat des Auswärtigen Amts und im Entwicklungsetat sinken, aber auf der anderen Seite die Verteidigungsausgaben steigen. Was ist denn das anderes als eine Schwerpunktverlagerung? Aus der Nummer kommen Sie nicht mehr raus, meine Damen und Herren. ({22}) Liebe Frau Nahles, ich muss noch einmal zu Ihnen kommen; denn Sie tun ja so, als hätten Sie gar nichts mit dem zu tun, was Sie hier alles beschlossen haben. ({23}) Wer hat denn im Kabinett zugestimmt, dass es Kürzungen bei der Förderung der Langzeitarbeitslosen gab? Das war die Bundesarbeitsministerin! Die Nummer mit „Haltet den Dieb!“ lassen wir Ihnen nicht durchgehen, meine Damen und Herren. ({24})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Göring-Eckardt, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Heil muss es jetzt wieder richten. Machen Sie!

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Heil.

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Katrin Göring-Eckardt, es geht einfach nur darum, zwischen Bündnis 90/Die Grünen und SPD nicht Unterschiede aufzuzeigen, wo es gar keine Unterschiede gibt. Ich bitte Sie, Folgendes zur Kenntnis zu nehmen: Frau Merkel hat vorhin ein Zitat aus dem Zusammenhang gerissen und verfälscht, und das möchte ich klarstellen. ({0}) - Wir wollen hier Argumente austauschen und sollten nicht Dinge unterstellen, die nicht gesagt wurden. Martin Schulz hat deutlich gemacht, dass er für eine bessere Ausrüstung der Bundeswehr ist und dafür 3 bis 5 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung stellen will, ({1}) und zwar insgesamt, aber nicht aufwachsend Jahr für Jahr. Das ist der Unterschied zum 2-Prozent-Ziel von Frau Merkel. Sie will Jahr für Jahr mehr und ab 2024 30 Milliarden Euro zusätzlich für die Bundeswehr ausgeben. Frau Göring-Eckardt, Sie als Grüne haben vielen Auslandseinsätzen zugestimmt. Wenn wir im Interesse unserer Soldatinnen und Soldaten für eine bessere Ausrüstung der Bundeswehr sind, dann ist das das eine. Wenn Frau Merkel für eine massive Aufrüstung der Bundeswehr ist, dann ist das etwas anderes. Ich bitte Sie, diesen Unterschied klarzumachen. ({2}) Frau Merkel hat zitiert, was Martin Schulz in einer Phoenix-Sendung gesagt hat. Darin hat er deutlich gemacht, dass ihm Experten sagen - ich finde, die haben recht -, dass unsere Bundeswehr 2, 3, bis zu 5 Milliarden Euro mehr für Ausrüstung braucht, aber nicht Jahr für Jahr aufwachsend, sondern dauerhaft. Frau Merkel, das ist der Unterschied. Sie wollen - das haben Sie im Wahlprogramm der CDU deutlich gemacht - ab 2024 zusätzlich 30 Milliarden Euro. Das ist Aufrüstung, nicht Ausrüstung. ({3}) Das ist der Unterschied, Frau Göring-Eckardt. Bitte machen Sie sich nicht zum verlängerten Arm dieser falschen Informationspolitik von Frau Merkel. Das ist meine herzliche Bitte. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, nein, nein, Herr Heil. Niemals würde ich mich auf Informationen von Frau Merkel verlassen. Ich habe mich einfach auf das verlassen, was Sie gemeinsam beim Haushalt beschlossen haben. Genau darüber habe ich gesprochen. ({0}) Beim Haushalt haben Sie beschlossen: Die Etats für die Außenpolitik und die Entwicklungspolitik sinken, der Wehretat steigt. Dabei ging es nicht um Ausrüstung oder die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten - da wären wir uns ja ganz schnell einig -, sondern es ging um einen echten Aufwuchs. Herr Heil, eines muss klar sein: Sie müssen wenigstens zu den Sachen stehen, bei denen Ihre Leute im Kabinett die Hand gehoben haben - jenseits von Phoenix-Sendungen. ({1}) Ich will am Schluss auf etwas eingehen, was hier schon mehrere benannt haben, und will deutlich sagen, dass ich glaube, dass wir tatsächlich vor einer historischen Wahl stehen. Es steht zu befürchten, dass im Herbst hier Abgeordnete sitzen werden, die all das infrage stellen, was wir gemeinsam in 70 Jahren Nachkriegsdemokratie inklusive der friedlichen Revolution erarbeitet haben: Anstand, harte, aber faire Auseinandersetzungen, das Streben nach Interessenausgleich. Ich bitte Sie alle, auch jenseits des Wahlkampfes, in dem wir diese harte Auseinandersetzung führen müssen: Lassen wir uns nicht von Rechtsextremen in unserer Mitte beirren, und zeigen wir der AfD, dass wir geschlossen sind gegen Hass, gegen Hetze, gegen Fake News, gegen Spaltung, gegen Rassismus bis in unsere eigenen Reihen! Machen wir das gemeinsam für die Demokratie, meine Damen und Herren! ({2}) Auch dabei, Herr Lammert, werden Sie uns fehlen. ({3}) Denjenigen, die am 24. September 2017 wählen können, sage ich: Gehen Sie bitte zur Wahl. Sorgen Sie dafür, dass die Demokratie wieder lebendig wird und dass diese eingeschlafene Große Koalition - Herr Kauder, durch Schulterklopfen wachen die Leute nicht wieder auf - endlich Geschichte wird. Die Richtung dieses Landes, die Richtung der Politik ab Herbst dieses Jahres wird sich bei Platz drei entscheiden. Ich möchte gerne, dass es nach vorne geht, dass wir Verantwortung für die Zukunft übernehmen, dass wir Verantwortung tragen für Klimaschutz in diesem Land, für die Zukunft unserer Kinder, für die Zukunft des Planeten, auch wenn Ihnen das vielleicht zu pathetisch ist. Mir geht es darum, dass wir keine FDP in der Regierung haben, die dafür steht, dass die Löhne sinken, die Pflegerin keinen Stich bekommt und die Mieten noch stärker steigen. Ich will Klimaschutz und Gerechtigkeit. Das müssen die Markenzeichen der nächsten Bundesregierung werden. Darum Grün wählen. So einfach ist das. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Bundesminister für Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, für die Bundesregierung das Wort. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Göring-Eckardt, das, was Sie zum Schluss Ihrer Rede gesagt haben, dass wir uns auch im Wahlkampf darum bemühen sollten, unsere Prinzipien einzuhalten - das hat der Parlamentspräsident am Anfang dieser Debatte schon gesagt -, erfordert meines Erachtens auch, dass wir im Wahlkampf versuchen, die Lage unseres Landes mit all den Problemen und Herausforderungen so realistisch wie irgend möglich zu beschreiben, dass wir keine Illusionen schüren und keine unerfüllbaren Versprechen geben; denn das ist der Nährboden der Demagogen. ({0}) Unser Land ist in einer guten Lage, auch mit all den Problemen. Wir werden übrigens immer, solange Menschen Gesellschaften bilden - das Paradies auf Erden werden wir nicht haben -, Probleme haben, und wir werden uns anstrengen müssen, sie zu lösen. Das ist fast eine Grundbedingung menschlicher Existenz und politischen Handelns. Aber dass unser Land und die meisten Menschen in unserem Land in einer besseren Lage sind als die meisten anderen auf dieser Welt und zu früheren Zeiten und dass wir in Europa und weit darüber hinaus darum beneidet werden, das sollte man auch zweieinhalb Wochen vor der Bundestagswahl nicht in Abrede stellen. Alles andere macht keinen Sinn. ({1}) Im Übrigen, liebe Frau Nahles: Wir haben vier Jahre nebeneinander gesessen; das war nett. Der Wettbewerb in Ihrer Partei um die künftigen Führungspositionen muss Hubertus Heil ({2}) schon sehr heftig sein, wenn ich Ihre Rede richtig verstanden habe; denn es war völlig anders. ({3}) Wir haben vieles zusammen erreicht. Nun kommt das eigentliche Problem. Unser Land, so gut die Lage auch ist, steht vor großen Herausforderungen. Die Bundeskanzlerin hat es in ihrer Rede ganz am Anfang beschrieben. Das Tempo der Veränderungen, der schnelle Wandel in Wissenschaft und Technik, die Digitalisierung und Informationstechnik machen Menschen Angst. Die Globalisierung hat sich durch diese technische Entwicklung ebenso wie durch das Ende der Ost-West-Teilung vor 27 Jahren wahnsinnig beschleunigt. Das macht den Spielraum, in dem wir politische Entscheidungen treffen, so viel komplizierter. Das sind die Herausforderungen. Dafür ist unser Land durch die erfolgreiche Entwicklung in den letzten vier Jahren gut gerüstet; das ist auch die Aufgabe für die nächsten vier Jahre. Im Wahlkampf ist es wichtig, sich daran zu erinnern und sich klarzumachen, wie das geht. Erstens. Volker Kauder hat gesagt: Ohne Wirtschaft ist alles nichts. Ich würde „fast“ hinzufügen. Aber wirtschaftliche Erfolge sind nicht Erfolge der Politik. Die Politik kann in der Regel wirtschaftliche Erfolge verhindern; das hat sie oft genug bewiesen. Ansonsten kann sie, wenn sie es gut macht, einen Rahmen setzen, dass Arbeitnehmer, Unternehmer und Verbraucher so miteinander arbeiten, dass es zum wirtschaftlichen Erfolg beiträgt. Das haben wir in den letzten Jahren erfolgreich gemacht. Dazu gehört übrigens ganz entscheidend das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit von Politik, auch in die Finanzpolitik und in die Nachhaltigkeit öffentlicher Haushalte und in die sozialen Sicherungssysteme. Deswegen ist solide Finanzpolitik eine Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum und dafür, dass es den Menschen besser geht. ({4}) Zweitens. Man muss die Systeme so gestalten, dass die Menschen die richtigen Entscheidungen treffen. Das gilt in den Bundesländern und der Bundesrepublik Deutschland, und das gilt in Europa. Natürlich sind wir in diesem Bundestag uns alle - oder fast alle - darin einig: In dieser globalisierten Welt werden wir nur durch ein starkes und handlungsfähiges Europa die großen Herausforderungen der Zukunft besser bewältigen können. Dass wir hier noch viel zu leisten haben, ist gar keine Frage. Aber man muss Europa richtig machen. Wir alle haben vor zehn Jahren unter den Folgen der Finanz- bzw. Banken- und dann der Wirtschaftskrise gelitten. Was war die Ursache? Haftung und Entscheidungszuständigkeit in den Finanzmärkten waren auseinandergefallen. Das war die Ursache. Alle haben gesagt: Diesen Fehler dürfen wir nicht wiederholen. Die, die entscheiden, müssen für die Folgen ihrer Entscheidungen haften. ({5}) Deswegen müssen wir auch in Europa dabei bleiben: Solange die Entscheidungen für Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik in den Mitgliedstaaten getroffen werden - das kann man ändern, wenn man die Mehrheit dafür hat; diese haben wir aber derzeit nicht -, müssen die Mitgliedstaaten auch die Verantwortung für die Folgen ihrer Entscheidungen tragen. Sonst treffen sie die falschen Entscheidungen. ({6}) Das ist kein Mangel an Solidarität, sondern die Voraussetzung dafür, dass wir in Europa Solidarität leisten. Das gilt auch im Bundestag. Ich glaube, Herr Oppermann, wenn Sie nicht mehr im Wahlkampf sind und alles geklärt ist, was die Sozialdemokraten sonst so beschäftigt, werden Sie wieder zu der Erkenntnis kommen: Unser föderales System hat natürlich Schwächen. Wir haben uns in den Bund-Länder-Verhandlungen auch gerieben und wissen, dass da manches suboptimal ist. Ein Grund für die Überlegenheit des deutschen Modells ist doch im Kern, dass wir in Deutschland nicht alles zentralisieren und vereinheitlichen. So macht der Mittelstand die Stärke der deutschen Wirtschaft aus, nicht nur ein paar Großunternehmen. Es geht um Vielfalt: Es gibt die kommunale Selbstverwaltung, starke Länder und einen starken Bund. Allerdings muss jeder seine Aufgaben richtig wahrnehmen. Dafür muss man die richtigen Anreize setzen. ({7}) Der Ansatz, in der Bildungspolitik möglichst viel zu vereinheitlichen, wird die Situation nicht besser machen. ({8}) Frankreich ist - hoffentlich - auf dem Weg, stärker zu werden; das wäre im Interesse Europas und im Interesse Deutschlands. In Frankreich diskutiert man sehr ernsthaft über die Nachteile der zu starken Zentralisierung des dortigen Systems; wir sollten das nicht vergessen. Auch im Föderalstaat gilt, dass jeder seine Aufgaben optimal und richtig erfüllen, dass sich jeder daran messen lassen und dafür die Verantwortung übernehmen muss. Für die Bildungspolitik sind in erster Linie die Länder zuständig. Sie müssen ihre Aufgaben wahrnehmen. Man kann die Ergebnisse vergleichen. Dort, wo sie schlecht sind, wählen die Wählerinnen und Wähler die jeweilige Landesregierung ab und entscheiden sich für eine bessere. Das war in diesem Jahr gar nicht so schlecht. ({9}) Ich werbe dafür, dass wir bei diesen Prinzipien bleiben und sie nicht aus den Augen verlieren. Im Übrigen: Wenn wir uns die Zahlen anschauen - sie spielen in dieser Debatte fast gar keine Rolle -, dann ist es wirklich jenseits jeder Realität, zu behaupten, der Bund habe den Ländern und Kommunen - das gilt übrigens für die letzten zwei Legislaturperioden - nicht mehr geholfen als jede Bundesregierung zuvor. Jeder Vertreter einer kommunalen Interessenvertretung oder eines kommunalen Verbandes sagt, nie zuvor sei eine Bundesregierung so kommunalfreundlich gewesen wie die Bundesregierungen in den letzten beiden Legislaturperioden. Das gilt im Übrigen auch für die Länder. Alle 16 Ministerpräsidenten haben sehr gefeiert, dass sich der Bund in den Bund-Länder-Finanzverhandlungen für die Länder eingesetzt hat, sodass sie mit dem Ergebnis zufrieden waren. Nun muss man aber auch sagen: Erfüllt eure Aufgaben, anstatt die eigene Verantwortung - kaum dass die Verhandlungen abgeschlossen sind - wieder zum Bund zu schieben, und löst eure Probleme selbst! ({10}) Jetzt will ich, liebe Frau Nahles, noch eine Bemerkung zu Ihnen machen. Ich bin zwar nicht jeden Tag so sehr mit Sozial- und Arbeitsmarktpolitik befasst, aber ein paar Grundprinzipien habe ich gelernt und ganz gut verstanden. Ich glaube, es ist eine Stärke des deutschen Sozialsystems, dass die sozialen Sicherungssysteme im Prinzip von Arbeitgebern und Arbeitnehmern partnerschaftlich finanziert werden, und zwar in Selbstverwaltung. Da sind wir wieder bei dem Prinzip: Wer entscheidet, der muss auch die Verantwortung tragen; denn wenn das auseinanderfällt, ist man furchtbar großzügig. ({11}) Deswegen: Lassen Sie uns bei der Rente um Gottes willen an dem bewährten Prinzip der Drittelfinanzierung durch Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Steuerzahler festhalten. ({12}) Ich sage Ihnen: Wenn Sie hier eine Verschiebung vornehmen und alles in die steuerfinanzierte Rente überführen, dann wird die wirtschaftliche Leistungskraft Deutschlands wesentlich geringer und die Rente unsicherer sein. Weil wir das nicht möchten, halten wir an diesem Prinzip fest. ({13}) Zur demografischen Entwicklung. Wir haben schon in den 90er-Jahren im Rahmen der Rentenversicherung einen demografischen Faktor eingeführt. Dabei ging es um das System der dynamischen Rente. Auch Rentner sollen am Fortschritt der wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben; denn die Rente ist auch der Lohn für die Lebensleistung. Wenn sich das Verhältnis von Älteren und Jüngeren verändert, muss man das natürlich berücksichtigen. Ich glaube, es ist völlig unsinnig, zu sagen: Egal wie sich die Lebenserwartung entwickelt, das Rentenalter bleibt für alle Zeiten unveränderbar. - Das ist leider jenseits aller Regeln. Sie haben das gerade gesagt, aber das ergibt keinen Sinn. Wir haben gemeinsam verabredet, dass das Renteneintrittsalter bis 2030 jedes Jahr um einen Monat bis zum Alter von 67 Jahren angehoben wird. Da Sie selber gesagt haben, wie sehr sich die Annahmen für die Rentenversicherung in den nächsten Jahren durch die Beschäftigungszahlen verändern werden, macht es gar keinen Sinn, dass wir jetzt eine Debatte über die Jahre zwischen 2030 und 2050 führen. Keiner weiß, was bis dahin ist. Wenn wir eine rot-rot-grüne Regierung bekommen, dann werden wir ganz andere wirtschaftliche Zahlen haben, als wenn wir die erfolgreiche, von Angela Merkel geführte Regierung fortsetzen können. ({14}) Frau Göring-Eckardt, ich will auch noch eine Bemerkung zum Thema Migration machen. Ich habe vor zwei Jahren von einem „Rendezvous mit der Globalisierung“ gesprochen. Diese Welt wird durch technologische Entwicklungen und durch Informationen immer enger zusammenrücken. Wenn die 8 Milliarden Menschen auf dieser Welt immer stärker spüren, wie groß die Unterschiede sind, dann werden wir eine gute Zukunft in Deutschland und in Europa natürlich nur dann haben, wenn wir uns stärker dafür engagieren, dass auch andere eine bessere Chance haben. Wir haben den Etat für wirtschaftliche Zusammenarbeit in dieser Legislaturperiode übrigens um rund 35 Prozent erhöht. Daneben haben wir in dieser Legislaturperiode übrigens auch den Etat für Verkehrsinvestitionen um gut 39 Prozent erhöht. Nur so viel zum Sachverhalt! ({15}) Jetzt kommt aber der entscheidende Punkt: Erinnern Sie sich noch daran, dass

Not found (Gast)

„Unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkeiten sind endlich“, oder dass Papst Franziskus bei seiner Begegnung mit der obersten Repräsentantin der lutherischen Weltkirchen, der schwedischen Bischöfin, Deutschland für seine so große Hilfsbereitschaft im Gegensatz zu anderen gelobt hat? Wir werden noch in Jahrzehnten stolz darauf sein, dass sich unser Land unter der Führung von Angela Merkel mehr als andere als hilfsbereit gegenüber Schwächeren gezeigt hat. Das bleibt für Deutschland wesentlich. ({0}) - Ich versuche gerade, etwas zu sagen. Ich habe Sie auch reden lassen und nicht unterbrochen. Ganz ruhig! ({1}) Ein solches Problem gab es auch schon bei der Wiedervereinigung 1990/1991. Damals hatten wir auch über eine halbe Million Asylbewerber in Deutschland, und wir mussten in einer fürchterlichen Auseinandersetzung schließlich eine Grundgesetzänderung erringen - sie hat uns viel gekostet -, um die Rechtspraxis in Deutschland an die Genfer Flüchtlingskonvention anzupassen. Wir können nicht jeden, dem es auf dieser Welt schlecht geht, das Recht geben, auszuwählen, wo er leben will, ({2}) sondern wir müssen die Migration steuern, und das geht nur in Zusammenarbeit. ({3}) Deswegen brauchen wir drei Dinge: Wir müssen die Migration in Zusammenarbeit mit den Anrainerländern im Mittelmeer steuern, wir müssen natürlich dafür sorgen, dass die Vereinten Nationen - der Flüchtlingskommissar - dort die Verantwortung übernehmen - genau das macht die Bundesregierung; genau darüber hat die Bundeskanzlerin mit den anderen geredet; ohne das geht es nicht -, und wir müssen - das habe ich schon vor zwei Jahren gesagt, und das sage ich in jeder Haushaltsrede; eigentlich soll das heute ja eine Haushaltsdebatte sein sehr viel mehr für die Stabilisierung unserer Nachbarschaft in Afrika investieren. ({4}) Deswegen sollten Sie hier keine solchen Reden halten, als könnten wir unbegrenzt Geld verteilen, weil es uns gut geht. Nein, wir müssen wirtschaftlich leistungsfähig bleiben, um Frieden und Stabilität in diesem Land auch in der Zukunft zu gewährleisten. Es muss uns gelingen, die Migration entsprechend zu steuern, und es muss uns gelingen, die Menschen, die kein Recht haben, hier zu bleiben, oder die sich nicht an unsere Gesetze halten, auch schnell wieder abzuschieben. Deswegen müssen wir Algerien, Marokko und Tunesien auch zu sicheren Herkunftsländern erklären. Stimmen Sie da endlich zu! ({5}) Wenn Sie Toleranz, Offenheit, Demokratie, Menschenwürde in diesem Land für die Zukunft bewahren wollen, dann müssen Sie in der Lage sein, verantwortliche Entscheidungen zu treffen. Ein Staat, der die Grundanforderungen seiner Bürger - die Gewährleistung von Sicherheit und von einem Mindestmaß an Berechenbarkeit - nicht erfüllen kann, wird schnell ein Opfer von Demagogen. ({6}) Deswegen noch einmal: Sie können nicht politische Verantwortung tragen, ohne sich schuldig zu machen. Helmut Schmidt ist vor einiger Zeit gestorben. Er hat immer gesagt: Als Politiker wird man schuldig, wann immer man entscheidet. - Das sage ich zu Ihnen, Frau Göring-Eckardt, die Sie in der evangelischen Kirche eine große Verantwortung getragen haben. Das muss man wissen. Aber dem auszuweichen, ist der falsche Weg. Wer eine Zukunft in Sicherheit, in Stabilität, in Toleranz und Demut für unser Land will, ({7}) der muss bereit sein, die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Wir haben das in den letzten Jahren gut gemacht. Wir brauchen alle Kraft, um in den nächsten Jahren weiterzugehen. Ich plädiere dafür, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass wir dies unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern im Wahlkampf jeden Tag sagen. Wenn sie dann eine gute Wahlentscheidung treffen, dann ist das gut für Deutschland und Europa. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da dies meine letzte Sitzung im Deutschen Bundestag sein wird, weil ich für den neuen Bundestag nicht mehr kandidiere, bitte ich darum, einige Worte sagen zu können. Ich bin Abgeordnete in einer sehr spannenden Zeit gewesen. Als ich im Januar 1987, vor über 30 Jahren, das erste Mal in den Deutschen Bundestag gewählt worden bin, habe ich mir nicht vorstellen können, einige Jahre später in einem geeinten Land leben zu dürfen. Ich hätte mir überhaupt nicht vorstellen können, dass ich an diesem Prozess sogar mitwirken konnte: als Abgeordnete, unter anderem im Ausschuss für Deutsche Einheit. Ich hätte mir einige wenige Jahre später aber auch nicht vorstellen können, dass die Hoffnungen, die ich und auch viele andere 1990/1991/1992 hatten, endlich in einem Zeitalter des Friedens leben zu können, so schnell wieder zerstört werden. 30 Jahre lang die Möglichkeit zu haben, als Abgeordnete, mehrmals als Ausschussvorsitzende, als Sprecherin meiner Fraktion, als Bundesministerin für Bildung und Forschung und jetzt als Vizepräsidentin Politik aktiv gestalten zu dürfen, habe ich genau wie Norbert Lammert immer als ein Privileg empfunden und wahrgenommen. Das ist es auch. Das kann nicht jeder. Politik wirklich aktiv gestalten zu können, zu beeinflussen, die Zukunft gestalten zu können, Weichen zu stellen, die weit in die Zukunft hineinreichen, wie mir das mit dem Ganztagsschulprogramm, mit der Nachwuchswissenschaftlerförderung, mit der grundlegenden Reform des BAföG und der Exzellenzinitiative gelungen ist, um nur einiges zu nennen, das ist eine wirklich wunderbare Möglichkeit, für die ich außerordentlich dankbar bin. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass all das nicht ohne Mitarbeit der Kolleginnen und Kollegen geht. Ich glaube, das weiß jeder, egal in welcher Funktion man ist. Deshalb möchte ich mich bei Ihnen allen ganz herzlich bedanken. Ich weiß, lieber Heinz Riesenhuber, dass du dich damals als Minister für Forschung und Technologie wahrscheinlich manches Mal über die junge Abgeordnete Bulmahn geärgert hast. Im Übrigen wurde auch ich von anderen geärgert. Aber ich glaube, eines war klar, nämlich dass es immer um die Sache ging. Deshalb möchte ich diesen Dank an Sie alle für diese langen Jahre der Zusammenarbeit mit zwei Bitten verbinden. Ich möchte ihn mit der Bitte verbinden, dass dieses Parlament auch in Zukunft wirklich mit aller Kraft und mit allem Engagement für eine starke und stabile Demokratie kämpft. In dieser leben wir nämlich. ({0}) Nichts kommt von selbst. ({1}) Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, wünsche ich mir, dass dies ein Parlament bleibt, das sehr viel Selbstbewusstsein hat, das debattierfreudig ist, das seine Rechte, aber auch seine Verantwortung wahrnimmt, und dass dies ein Parlament bleibt, in dem das Argument und die Leidenschaft für die Sache zählen und nicht Pöbelei, Rassismus, Ausgrenzung oder Hass an der Tagesordnung sind. ({2}) Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen Sie streiten; denn das fällt nicht vom Himmel. Ich habe eine zweite Bitte. Viele wissen, dass mein Herz für Bildung, Wissenschaft und Forschung brennt immer noch. Ja, wir investieren viel in Wissenschaft und Forschung. Darüber, dass uns das gelungen ist, bin ich sehr, sehr froh, und wir müssen dies fortsetzen. Auch das ist richtig. Wir dürfen uns nicht darauf ausruhen. Wir müssen noch mehr tun. Aber wir müssen noch viel, viel mehr in Bildung investieren. ({3}) Es gibt kaum etwas, von dem die Lebenschancen eines Menschen so stark abhängen wie von den Bildungschancen, und es gibt keinen anderen Bereich, von dem unsere Zukunft so abhängt wie von Bildung, Wissenschaft, Forschung und dem, was wir können, was unsere Kompetenz ausmacht. Deshalb, sehr geehrter Herr Schäuble: Ja, wir leben in einem föderalen Staat, und er hat wirklich sehr viele Stärken. Ich bin davon überzeugt, dass es sich lohnt, diesen föderalen Staat immer wieder zu stärken und zu unterstützen. Aber wir leben auch in einer sozialen Demokratie, und zu einer sozialen Demokratie gehört auch, dass man sich gegenseitig unterstützt, ({4}) dass man auch diejenigen unterstützt, die dieses Ziel unter schlechteren Rahmenbedingungen erreichen müssen. Der Wert und die Stärke einer Demokratie zeigen sich auch daran, wie viel sie in ihre Kinder und ihre Zukunft investiert. ({5}) Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir hier noch mehr tun müssen: Wir müssen mehr investieren, und es sind mehr Anstrengungen nötig, auch vom Bund. Auch dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, lohnt es sich zu streiten. ({6}) Ich möchte mich auch ausdrücklich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken, nicht nur bei denjenigen, die hinter mir sitzen, sondern bei all denjenigen, die uns unsere Arbeit erleichtern. Vor allen Dingen wünsche ich Ihnen aber auch Erfolg bei Ihrer Arbeit, heftigen Streit in der Sache, aber auch, dass man zu Ergebnissen kommt. Alles Gute für die Zukunft! Ich werde weiterhin mit Interesse beobachten, mit ein bisschen Wehmut gehen, aber auch mit Freude darüber, dass ich so lange mitmachen und mit Ihnen gemeinsam die Zukunft dieses Landes gestalten konnte. Danke. ({7}) Ja, jetzt muss der Kollege Singhammer kommen. Dann hat die Ministerin Katarina Barley für die Bundesregierung das Wort. ({8})

Dr. Katarina Barley (Minister:in)

Politiker ID: 11004247

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema heute ist die Situation in Deutschland, und ich will mich vor allen Dingen meinem Amt entsprechend auf die Situation der Frauen beziehen. Eines vorweg: Für die Frauen in diesem Land hat sich in den letzten vier Jahren viel zum Positiven verändert. Das hat viel mit der sehr guten Arbeit von Manuela Schwesig zu tun, der ich für ihren Einsatz an dieser Stelle auch noch einmal ganz herzlich danken möchte. ({0}) Ich will jetzt nicht viel aufzählen, aber was mir ganz besonders am Herzen liegt, ist die Reform des Unterhaltsvorschusses, die ganz vielen, vor allen Dingen weiblichen, Alleinerziehenden und deren Kindern zugutekommt. So viel zum Positiven. Politik beginnt aber, um den großen Sozialdemokraten Kurt Schumacher zu zitieren, mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Da muss ich schon sagen: In den letzten Wochen gab es in einem anderen Punkt den Versuch, ein großes Problem kleinzureden, nämlich die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen. Die ungeschönte Lohnlücke beträgt 21 Prozent. Wer das leugnet, wie zuletzt der CDU-Generalsekretär Peter Tauber, der das als Fake News bezeichnete, zeigt damit, dass er nicht einmal im Ansatz willens ist, dieses Problem ernsthaft anzugehen. ({1}) Das Problem liegt offen zutage. 6 Prozent ist der richtige Wert, wenn man einen Mann und eine Frau auf exakt demselben Arbeitsplatz hat. Dann beträgt die Lohnlücke 6 Prozent. Schon das ist doch nicht nachzuvollziehen. Bei 2 000 Euro Einkommen bekommt man 120 Euro weVizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn niger, nur weil man eine Frau ist. Mir soll einmal jemand erklären, warum das richtig sein soll. ({2}) Aber es kommen weitere Faktoren hinzu: Teilzeit als Karrierefalle, die dafür sorgt, dass man bei Beförderungen nicht mehr berücksichtigt wird, und vor allen Dingen die deutlich schlechtere Bezahlung der sogenannten traditionellen Frauenberufe. Die Lohnlücke, die sich auf insgesamt 21 Prozent summiert, hinterlässt natürlich Spuren bei der Altersversorgung. Dass Frauen trotz Arbeit von Altersarmut bedroht sind, ist eine der größten Ungerechtigkeiten in diesem Land. Das ist keine statistische Lappalie. Das beste Mittel gegen Altersarmut sind gute Löhne; das wissen wir alle. Die SPD wird deshalb weiterhin gegen anhaltenden Widerstand - auch von CDU/CSU - gegen die Lohnungerechtigkeit bei Männern und Frauen kämpfen. ({3}) Gleicher Lohn für gleiche Arbeit bedeutet, das Recht zu haben, zu wissen, was die männlichen Kollegen im Durchschnitt verdienen, und die gleiche Wertschätzung für die geleistete Arbeit zu bekommen. Das betrifft vor allen Dingen die Berufe im Sozial- und Gesundheitswesen, die Erzieherinnen und Erzieher, die Altenpflegerinnen und Altenpfleger, die Hebammen sowie die Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger. Ich nenne beide Geschlechter, aber 80 Prozent derjenigen, die diese Berufe ausüben, sind Frauen. Wenn wir schon von Lebensleistung sprechen, Herr Schäuble, dann sollten wir nicht vergessen, dass die in diesen Berufen geleistete Arbeit körperlich schwer ist, oft emotional belastend ist und viel Schichtarbeit erfordert. Die Menschen, die solche Berufe ausüben, haben es verdient, einen anständigen Lohn zu bekommen und dann eine anständige Rente im Alter zu beziehen. ({4}) Wir haben angepackt. Wir haben angefangen bei der Reform der Pflegeberufe. Dass man Schulgeld mitbringen muss, wenn man sich ausbilden lassen will, dass man keine Ausbildungsvergütung bekommt wie im Beruf der Erzieherin, in dem vier von fünf Jahren Ausbildung keine Vergütung gezahlt wird, gäbe es wahrscheinlich in Berufen, die überwiegend von Männern ausgeübt werden, von vornherein nicht. ({5}) Viel wäre noch zu sagen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, zu guter Bildung und insbesondere - das hat Edelgard Bulmahn angemerkt - zur frühkindlichen Bildung. Aber, Herr Kauder, ich würde gern noch ein Wort zu Ihnen verlieren. Sie haben sich in der letzten Woche in die Reihe der Quotenbefürworter eingereiht. Sie haben doch eben gesagt, dass man auf den letzten Metern vor der Wahl seine Meinung nicht um 180 Grad ändern dürfe. Ich erinnere Sie nur daran, was Sie über meine Vorgängerin gesagt haben, als sie sich für die Quote eingesetzt hat: Die Frau Familienministerin solle nicht so weinerlich sein, sondern solle den Koalitionsvertrag umsetzen; dann sei alles in Ordnung. Nun sind wir am Ende der Legislaturperiode. Schauen wir zurück. Die SPD hat den Koalitionsvertrag umgesetzt, vor allen Dingen wenn es um Frauen und die Quote ging, und zwar gegen Ihren Widerstand. Und CDU/CSU? Sie haben den Koalitionsvertrag gebrochen, vor allen Dingen dort, wo es um die Frauen ging. ({6}) Sie haben, als es um Entgelttransparenz ging, den Auskunftsanspruch, der Frauen erst in die Lage versetzt, zu erfahren, wie viel die Männer verdienen, so verwässert, dass er nur für Frauen gilt, die in großen Unternehmen arbeiten. ({7}) Als es um das Recht auf Rückkehr in Vollzeit nach einer Phase der Teilzeit ging, hat Andrea Nahles eins zu eins die Vereinbarung im Koalitionsvertrag in einen Gesetzentwurf gegossen. Aber Sie haben ihn abgelehnt. ({8}) Schließlich sah der Koalitionsvertrag eine Solidarrente für diejenigen vor, die lange gearbeitet haben und trotzdem eine kleine Rente beziehen. Das wäre vor allem Frauen zugutegekommen. Von Anfang an haben Sie nicht den geringsten Mut erkennen lassen, dieses Vorhaben tatsächlich umzusetzen. Sie haben dieses Vorhaben am langen Arm verhungern lassen. ({9}) Wir können festhalten: Wo immer es um die Rechte der Frauen geht, steht die SPD klar auf der Seite der Frauen. ({10}) Die CDU und die CSU fallen, wenn es hart auf hart kommt, den Frauen in den Rücken. Daher hilft es auch nichts, auf den letzten Metern sein Herz für Frauen zu entdecken. Es hilft noch nicht einmal, wenn man selber eine Frau ist, Frau Merkel; denn Frauen sind weder weinerlich noch blöd. ({11}) Frauen kennen ihre Rechte, und Frauen wollen ihr Recht. Frauen wollen die Hälfte der Welt, und das ist ganz richtig so. Frauen verdienen mehr, und Deutschland verdient mehr. Wenn alle Frauen ihr Recht am 24. September geltend machen, dann ist mir nicht bang. Vielen Dank. ({12})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Gerda Hasselfeldt. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei so mancher Rede heute, gerade auch bei der letzten, habe ich mich immer wieder gewundert, wie man eigene Ergebnisse, eigene Arbeitserfolge einfach so schlechtreden kann und sich von dem, was man gemeinsam in dieser Koalition zum Wohl der Menschen beschlossen hat, distanziert und dann verpuffen lässt. Wir haben erfolgreich regiert. ({0}) Ich habe mich bei so mancher Rede, die ich heute vonseiten der Opposition, aber auch vonseiten mancher Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion gehört habe, auch gewundert, wie das Land dargestellt wird. Da frage ich mich manchmal: In welchem Land leben Sie eigentlich? Von welchem Land reden Sie? ({1}) Tatsache ist, dass es den Menschen im Land gut geht, dass es ihnen besser geht als vorher, und das spüren sie auch. ({2}) Wer das nicht wahrhaben will, der braucht bloß einmal die Situation nach der Abwahl der rot-grünen Regierung im Jahr 2005 - Angela Merkel übernahm die Regierungsverantwortung - und die jetzige Situation zu vergleichen: Damals 5 Millionen Arbeitslose, heute weniger als die Hälfte; damals, zwischen 2002 und 2005, 1,5 Millionen weniger sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, seit 2005 plus 5 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte; ({3}) damals viermal in Folge die Maastricht-Kriterien verfehlt, während der gesamten abgelaufenen Legislaturperiode keine neue Verschuldung. Das ist die Bilanz dieser Regierung im Vergleich zur Bilanz der letzten SPD-geführten Regierung. ({4}) Dass die Menschen Rot-Grün und Rot-Rot-Grün nicht vertrauen, weil sie dies noch im Hinterkopf haben, weil sie Erfahrungen mit den Jahren bis 2005 gemacht haben, das ist meines Erachtens verständlich. Aber machen Sie bitte nicht den Fehler, dass Sie das Land schlechtreden und dass Sie damit den Fleiß der Menschen schlechtreden; denn dieser Erfolg, der Erfolg der letzten Jahre, hängt auch mit dem Fleiß der Menschen im Land zusammen, und er hängt mit einer guten Regierung in Berlin zusammen. ({5}) Aber wir werden uns darauf nicht ausruhen. Jeder Arbeitslose ist einer zu viel, und es ist unbestritten: Die beste Sozialpolitik ist, den Menschen Arbeit und Beschäftigung zu geben. Deshalb ist auch unser Ziel Vollbeschäftigung. Dafür brauchen wir das Rad aber nicht neu zu erfinden; denn die Erfolge dieser Legislaturperiode zeigen, dass wir mit unseren Zielen und Maßnahmen richtig gelegen haben, nämlich solider Haushalt, keine Steuererhöhungen, stabile Sozialversicherungsbeiträge, Investitionen zielgerichtet in die Infrastruktur, in Digitalisierung und auch in Bildung und Forschung. Das waren die Maßnahmen, die zum Erfolg geführt haben. Wir brauchen nichts Neues zu beginnen, sondern wir müssen an diesem Kurs festhalten. Das ist die erste große Herausforderung. Dazu kommt eine zweite große Herausforderung, die zu bewältigen wir in dieser Legislaturperiode durchaus begonnen haben. Ich denke an die Umbrüche in der Arbeitswelt: an die Digitalisierung und die Modernisierung der Infrastruktur im Verkehrsbereich. Gerade in diesen beiden Sektoren sind in dieser Legislaturperiode Weichen gestellt worden. Gerade in diese beiden Sektoren werden wir auch künftig investieren. Der Finanzminister hat es vorhin angesprochen: 35 Prozent mehr Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, eine Zunahme der Investitionen in die Breitbandstruktur. Wenn dann gerade vonseiten der Grünen - wie vorhin von Herrn Özdemir - auch noch beklagt wird, dass durch das Verkehrsministerium die Weichen nicht richtig gestellt worden wären, dann fordere ich Sie auf, doch einmal in die Regionen zu schauen: Wer blockiert denn vor Ort die Verkehrsprojekte? ({6}) Das sind nicht wir; das sind in weiten Bereichen die Grünen. Wir haben aber auch noch andere Situationen. Wenn es darum geht, die Beschäftigungssituation zu verbessern, nennen wir das Stichwort „Automobilindustrie“. Ja, das, was da an Manipulationen vorgefallen ist, hat viel Vertrauen zerstört: Vertrauen in eine wichtige, wenn nicht sogar die wichtigste Branche unserer Wirtschaft. Worum geht es jetzt? Jetzt geht es darum, die Grenzwerte einzuhalten und gleichzeitig die Arbeitsplätze von Hunderttausenden von Menschen in der Automobilbranche nicht zu gefährden, und es geht darum, 16 Millionen Diesel-Kfz-Besitzer nicht zu beschädigen. Diese Aufgabe steht vor uns: Umwelt, Arbeitsplätze und Menschen vor Ort, die Dieselautos fahren. ({7}) Die Maßnahmen, die dazu jetzt auf den Weg gebracht werden, sind meines Erachtens die richtigen: Maßnahmen, die gestern auf den Weg gebracht worden sind, und auch Maßnahmen, die auf dem vergangenen Gipfel angesprochen wurden und im November realisiert werden sollen. Dazu kommt noch ein Weiteres. Es ist heute vielfach die Rede gewesen von Armut, von Alterssicherung, von der Frage: Wie kommen wir mit den Langzeitarbeitslosen zurecht? Ja, jeder Arbeitslose ist einer zu viel. Nur, mit den Mitteln, mit denen die Sozialdemokraten die Probleme zu lösen meinen, werden wir sie nicht lösen, nämlich mit einem Weiterbildungskonto von 20 000 Euro für jeden oder auch mit der Verlängerung des Arbeitslosengeldbezugs. Meine Damen und Herren, das bringt keinen zusätzlichen, aber auch wirklich keinen einzigen zusätzlichen Arbeitsplatz; es kostet aber, ({8}) und zwar ganz gewaltig: Mehrere Hunderte von Milliarden sind da im Gespräch. ({9}) Das alles ist das übliche Muster der Sozialdemokraten, nämlich: Verschuldung, Verschuldung, Verschuldung. Es macht ja nichts aus. Das Geld kommt von irgendwoher. Irgendwo hatte Frau Thatcher, die frühere Premierministerin, schon recht, als sie einmal sagte: Das Problem der Sozialisten ist, dass ihnen irgendwann einmal das Geld anderer Leute ausgeht. - Genau das trifft den Kern. ({10}) Es wurde vorhin auch mehrfach von der Rentensituation gesprochen. Wir haben Rentenreformen, die unter dem Kanzler Schröder und dem Arbeitsminister Müntefering beschlossen wurden, zugestimmt. Die Eckwerte, die damals die Grundlage waren - vom Rentenniveau bis hin zum Rentenbeitragssatz -, sind heute günstiger, sogar günstiger, als sie damals für heute prognostiziert wurden. Das ist die Wahrheit. ({11}) Deshalb sollte man gerade dieses Thema, das in der Vergangenheit immer in großem Konsens des Parlaments, meines Erachtens zu Recht, entschieden wurde, nicht zu Wahlkampfzwecken missbrauchen und die Leute nicht verunsichern. Wir haben momentan hier keinen Handlungsbedarf, nicht zuletzt aufgrund der guten wirtschaftlichen Entwicklung. Das, was wir in künftigen Jahren zu entscheiden haben, soll in einer Kommission mit Fachleuten und Politikern erarbeitet werden - in der Zeit, die man sich dafür nimmt, nicht im Hauruckverfahren. Das sind wir der jüngeren Generation, den Beitragszahlern, und der älteren Generation schuldig. Beides gehört gerade bei der Rentenversicherung beachtet. ({12}) Lassen Sie mich aber auch einige Worte zu einem Thema verlieren, das heute in der Debatte, wenn ich das richtig verfolgt habe, kaum eine Rolle gespielt hat. Das ist das Thema: Wie gehen wir mit der Steuerbelastung in unserem Land um? Ich habe vorhin davon gesprochen: Wir wollen auch künftig den Kurs fortsetzen: keine neuen Schulden, keine Steuererhöhung. Durch die Solidität der Wirtschafts- und Finanzpolitik der letzten Jahre und auch, weil die Wirtschaft so gut läuft, haben wir jetzt den Spielraum, dass wir den Steuerpflichtigen etwas zurückgeben können. Deshalb ist es 27 Jahre nach der Wiedervereinigung an der Zeit, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen, und es ist an der Zeit, eine Einkommensteuerreform mit einer Entlastung der Einkommensteuerzahler zu machen, und zwar mit einer Entlastung für alle. ({13}) Das unterscheidet uns ganz wesentlich von den Vorschlägen der Sozialdemokraten und vieler anderer. Wir wollen eine Entlastung für alle: vom Facharbeiter ({14}) bis zum Mittelständler. Wir wollen nicht eine Belastung der Leistungsträger unserer Gesellschaft, wie sie in den Vorschlägen der SPD vorgesehen ist. Man hat da ja den Eindruck, dass die Leistungsträger unserer Gesellschaft bei der SPD die Melkkuh der Nation sind. ({15}) Zur steuerlichen Entlastung gehört aber auch die Entlastung der Familien. Ich halte nichts davon, dass man immer über einzelne Aspekte diskutiert. Das, was wir unseren Kindern und Enkelkindern in der Tat mitgeben können, sind vielmehr die beste Bildung, die beste Erziehung und intakte Familien, die auch materiell in der Lage sind, für sie zu sorgen. ({16}) Deshalb ist es erstens notwendig, dass wir im Bildungsbereich nicht nur Forderungen an wen auch immer stellen, mehr Geld zur Verfügung zu stellen, wie es manche in Form von Forderungen an den Bund tun, sondern dass auch jeder seine Verantwortung an der Stelle wahrnimmt, an der er sie trägt. Warum sind in Bayern beispielsweise die Schulen intakt? Warum gibt es in Bayern keine maroden Schulen, ({17}) dagegen aber in Nordrhein-Westfalen? ({18}) Warum gibt es Unterrichtsstundenausfälle insbesondere in Nordrhein-Westfalen und anderen SPD-regierten Ländern? Verantwortung wahrnehmen - der Finanzminister hat es vorhin deutlich gemacht - gehört zur Kompetenz dazu. ({19}) Darauf müssen wir immer wieder achten. Das gilt im privaten Bereich genauso wie im öffentlichen Bereich. ({20}) Der zweite Punkt: Wir wollen die Familien stärken. Deshalb wollen wir in der nächsten Legislaturperiode das Kindergeld erhöhen, und zwar kräftig - um 25 Euro im Monat -, und wir wollen auch den Kinderfreibetrag an den Freibetrag der Erwachsenen anpassen; denn Kinder sollten beim Freibetrag steuerlich genauso behandelt werden wie die Erwachsenen. Das ist unser Ziel. Wir werden das im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten realisieren. ({21}) Meine Damen und Herren, in den letzten Jahren und besonders in den letzten Monaten haben wir deutlich gemerkt: Terrorismus, Gewalt, Kriminalität, all das macht an den nationalen Grenzen nicht halt. - Wir alle miteinander haben bei all den Anschlägen immer wieder erfahren - das erleben wir ja nun fast tagtäglich -, dass unsere Sicherheitskräfte, dass unsere Polizeibeamten genauso wie die Soldaten im Ausland und im Inland, aber auch die haupt- und ehrenamtlich Tätigen in den Sicherheitsorganisationen eine ungemein wichtige, aufopferungsvolle Arbeit leisten. Sie verdienen unseren Dank und unsere Anerkennung. ({22}) Aber davon alleine haben sie noch nichts. Wir müssen auch für die entsprechende personelle Ausstattung, für ihre sachliche Ausstattung, für ihre Befugnisse arbeiten. Wir müssen darum kämpfen, dass all dieses auch zur Verfügung gestellt wird. Da geht es um Videoüberwachung, da geht es um Abschiebehaft, da geht es um die elektronische Fußfessel, da geht es um Schleierfahndung. Ich habe mich schon oft gefragt, warum in Bayern diese Instrumente angewandt werden und in anderen Bundesländern nicht. Die Sicherheit der Menschen ist in allen Bundesländern gleich viel wert, und die Verantwortlichen vor Ort müssen diese Instrumente auch anwenden können. ({23}) Deshalb habe ich auch kein Verständnis dafür, wenn in Berlin in Bezug auf die Videoüberwachung rumgeeiert wird. Bei alledem, genauso bei der Einbruchskriminalität, haben wir in der Union nie einen Hehl daraus gemacht, dass uns die Sicherheit der Menschen von ganz eminenter und großer Bedeutung ist. Das ist Markenkern unserer Politik. Deshalb haben wir in vielen Verhandlungen das gehört zur Wahrheit - innerhalb der Koalition hart dafür gekämpft. Beispielsweise musste es in Bezug auf die Abschiebehaft von Gefährdern leider den Anschlag am Breitscheidplatz geben, damit die Sozialdemokraten bereit waren, diese Politik mitzugehen. Das ist die Wahrheit. ({24}) - Regen Sie sich doch nicht so auf, es ist ja nur die Wahrheit, was ich gesagt habe. ({25}) Meine Damen und Herren, die erfolgreichen Jahre dieser Legislaturperiode und der Jahre davor sind ein Stück weit verbunden mit unserer Arbeit hier im Parlament. Wir möchten, dass die Menschen nach der nächsten Legislaturperiode sagen können: „Ja, es geht uns gut.“ Wir möchten, dass sie sagen können: „Es geht uns besser als vorher“, dass sie auch nach vier Jahren sagen können: „Wir sind, so wie jetzt auch, ein Hort der Stabilität und des Wohlstands. Darauf sind wir stolz.“ ({26}) Zu diesem Erfolg haben viele Debatten hier im Haus beigetragen - Debatten, die heute mit großer Leidenschaft geführt werden. Trotz dieser Leidenschaft habe ich überwiegend den Eindruck, dass diese Debatten im gegenseitigen Respekt geführt wurden und werden. Ich möchte sehr herzlich dafür danken, dass diese Debatten in einem Haus stattfinden konnten, das großes Ansehen in der Bevölkerung genießt und dessen Ansehen vonseiten der Bevölkerung in den letzten Jahren noch gestiegen ist. ({27}) Das haben wir wesentlich dem Bundestagspräsidenten Norbert Lammert zu verdanken. Deshalb möchte auch ich ihm sehr herzlich für seine Führung des Hauses danken und ihm alles erdenklich Gute wünschen. ({28}) Ich danke Ihnen für die kollegiale Zusammenarbeit, für die vielen interessanten Diskussionen und Begegnungen ebenso wie für die streitigen Diskussionen. Ich empfinde die 30 Jahre, die ich in diesem Parlament mitarbeiten durfte, als großes Geschenk. Ich bin dankbar für die Möglichkeit, meinem Land und den Menschen im Land so lange dienen zu dürfen. Ich wünsche allen, die künftig in diesem Hause arbeiten, eine glückliche Hand und Gottes Segen, und denen, die mit mir ausscheiden, viele glückliche und gesunde Jahre. ({29})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Liebe Gerda Hasselfeldt, das war Ihre letzte Rede nach 30 Jahren Zugehörigkeit zu diesem Hohen Haus. In diesen 30 Jahren haben Sie höchste Staatsämter und Parlamentsämter innegehabt: Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Bundesministerin für Gesundheit, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und, natürlich, Vorsitzende der CSU-Landesgruppe. In diesen 30 Jahren hat sich Deutschland in enormer Weise verändert. Als Sie vor 30 Jahren Ihre Tätigkeit begonnen haben, feierte die Stadt Berlin ihr 750-jähriges Bestehen, damals geteilt durch eine Mauer. Jetzt sind wir Glückskinder der deutschen Einheit, und Deutschland ist auf der Sonnenseite der Geschichte angekommen. Für diese große Lebensleistung unseren herzlichen Dank! ({0}) Nächster Redner für die Bundesregierung ist Bundesminister Sigmar Gabriel. ({1})

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist die letzte Sitzung dieser Legislaturperiode, in der ich Stellvertreter von Frau Merkel in der Großen Koalition gewesen bin. Deswegen will ich am Anfang etwas machen, was in einer solchen, durch den Wahlkampf aufgeheizten Atmosphäre vielleicht unüblich ist: Ich will mich bedanken, vor allen Dingen bei den Koalitionsfraktionen, die die Regierung getragen, geschoben, manchmal auch erlitten haben, speziell bei Thomas Oppermann und Volker Kauder. Ich fand die Zusammenarbeit in den schwierigsten Phasen immer besonders gut; das will ich einmal ausdrücklich sagen. ({0}) Ich will mich auch bei der Opposition bedanken, weil mir die Debatten Spaß gemacht haben ({1}) - uns beiden zum Beispiel in unterschiedlichsten Funktionen. - Ich möchte mich aber auch bei den Kolleginnen und Kollegen im Kabinett und ausdrücklich auch bei Ihnen, Frau Dr. Merkel, bedanken; denn ich fand, dass die Zusammenarbeit mit Ihnen in diesen vier Jahren immer fair, immer belastbar und gerade in den schwierigen Situationen ausgesprochen vertrauensbildend gewesen ist. Herzlichen Dank! Ich will das am Anfang dieser Debatte gerne sagen. In der Tat: Wir haben eine Menge erreicht; das stimmt. Thomas Oppermann hat das vorgetragen. Je nach Schwerpunkt haben andere das auch gesagt. Eine Sache, Frau Merkel, kann ich dann aber doch nicht so stehen lassen, wenn Sie sagen, gegen Ihren Willen sei das alles nie denkbar gewesen. Ich kann mich daran erinnern, dass die SPD gelegentlich - gar nicht so selten - helfen musste, dass Sie gegen Seehofer und Schäuble einen Willen haben durften. ({2}) Von daher: Ich finde, wir haben gut auf Sie aufgepasst. Das kann man nicht anders sagen. ({3}) Insofern glaube ich wirklich, dass es Grund gibt, zu sagen, dass wir gut regiert haben. Ich will das aber in erster Linie gar nicht auf die, wie ich finde, zu Recht erwähnten großen Erfolge, vom Mindestlohn über die Rente nach 45 Versicherungsjahren bis zur Verdreifachung der Wohnungsbaumittel und vieles andere mehr, beziehen. Ich will einen anderen Grund nennen, warum wir, glaube ich, erfolgreich waren. Wir haben etwas gemacht, was beim Abschluss des Koalitionsvertrages keiner wusste. Da haben wir über all das verhandelt, was heute hier Thema war. Aber was kam dann? Es begann mit der großen Krise in der Ukraine und dem russischen Einmarsch auf der Krim. Bis heute beschäftigt uns das Thema Ostukraine. Hatten Sie, Frau Merkel, und der französische Staatspräsident Hollande stellvertretend für Europa gerade irgendwie halbwegs Containment organisiert - ich fand übrigens, dass es ein Akt der Emanzipation war, dass Sie stellvertretend mit Hollande für Europa gehandelt haben und den Ukraine-Konflikt nicht Russland und den USA überlassen haben -, kam die Griechenland- bzw. Euro-Krise. Die ist dann ganz schnell überholt worden durch über 1 Million flüchtende Menschen, die zu uns gekommen sind. Wenn Sie mir vor einem Jahr oder vor zwei Jahren gesagt hätten, dass das Land bei über 1 Million zu uns kommender Menschen so stabil bleiben würde, wie es stabil geblieben ist, dann hätte ich das kaum für denkbar gehalten. Diese Stabilität ist auch eine große Leistung unseres Landes. ({4}) Die Terroranschläge, der Rechtspopulismus, die totale Verunsicherung durch das, was in den USA passiert ist, all das haben wir ja eigentlich nicht im Auge gehabt, als wir eine Koalitionsvereinbarung geschlossen haben. Da haben wir über Innenpolitik geredet. Dass wir es geschafft haben, in dieser rauen See mit großen Verunsicherungen Deutschland und damit in großen Teilen Europa auf Kurs zu halten: dieses Ergebnis ist für mich jedenfalls der eigentliche Erfolg der Großen Koalition mit Blick auf das, was um uns herum und in der Welt passiert ist. Ich nehme für uns in Anspruch, dass wir mit FrankWalter Steinmeier, mit den Ministerinnen und Ministern der SPD und mit den Kolleginnen und Kollegen der CDU - das Parlament insgesamt - darauf wirklich stolz sein können. Ich kenne nicht viele Länder, in denen diese Verunsicherung so viel Stabilität übrig gelassen hat, wie es in Deutschland bis heute der Fall ist. Das wollte ich am Anfang der Debatte einmal sagen. ({5}) Es geht auch um die Fragen: Wie wird es in Zukunft sein? Schaffen wir es, diese Balance weiter zu halten? Sind wir richtig aufgestellt? Hier kann man all denen zustimmen - Thomas Oppermann, Volker Kauder und anderen -, die gesagt haben: Im Kern muss es darum gehen, dass wir den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes behalten, weil wir nur dann die Balance und Stabilität behalten und wir deshalb übrigens auch nur ernst genommen werden. Ehrlich gesagt ist es leider nicht so, dass in Washington, Moskau oder Peking die Europäische Union besonders als Schwergewicht wahrgenommen wird, sondern im Kern konzentriert man sich oft auf Deutschland, ein bisschen mehr wieder auf Deutschland und Frankreich. Das muss sich ändern. Den Chinesen müssen wir sagen: Wir verstehen die Ein-China-Politik, aber es wäre ganz gut, es gäbe auch eine Ein-Europa-Politik und nicht den Versuch, uns aufzuspalten. ({6}) Vizepräsident Johannes Singhammer Aber die wirtschaftliche Stabilität dieses Landes ist die zentrale Voraussetzung dafür, dass wir im Land, aber auch von außen betrachtet, unsere Bedeutung behalten. ({7}) Dafür allerdings muss man auch Entscheidungen treffen, die das rechtfertigen. Hier ist der Unterschied zur Union. Wir glauben jedenfalls nicht, dass es die Zeit ist, in der man große Steuersenkungsversprechen machen kann und übrigens auch keine unglaublich hohen Rüstungsausgaben versprechen kann. ({8}) Kollegin Hasselfeldt - ich habe sie nie als Anhängerin von Maggie Thatcher kennengelernt; ich habe sie viel friedlicher und sozialer kennengelernt; so bleibt es auch in meiner Erinnerung - hat vorhin gesagt - das stimmt natürlich nicht mit den Grundrechenarten überein -: keine Steuern erhöhen, Steuern senken, mehr Geld für Rüstung, mehr Geld für Bildung, mehr Geld für Infrastruktur. Hier muss jemand bei den Grundrechenarten nicht aufgepasst haben. ({9}) Das funktioniert nicht. Deswegen sagen wir: Zuerst geht es darum, in Bildung, in Forschung, in Entwicklung, in Infrastruktur, in digitale Technik, in die Zukunftsfähigkeit dieses Landes zu investieren. Es geht nicht, wenn Sie versprechen, in einem Haushalt von 300 Milliarden Euro einen Block von 70 Milliarden Euro und mehr allein für Rüstung ausgeben zu wollen, ({10}) es sei denn, Sie folgen dem Kollegen Spahn - er ist quasi derjenige, der das sagt, was Herr Schäuble denkt -, der sagt, man soll es im Sozialetat einsparen. Da hat Frau Merkel, weil sie eine kluge Wahlkämpferin ist, sofort gesagt: Das mache ich nie. - Sie haben allerdings auch einmal gesagt: Sie schaffen die Wehrpflicht nicht ab, verlängern die Laufzeit der Atomkraftwerke und führen die Maut nicht ein. Insofern sage ich Ihnen: Ich nehme es sehr ernst, wenn jemand in der Union als neuer Rising Star erklärt, die Rüstungsausgaben wolle man dadurch finanzieren, dass man die Sozialausgaben senkt. Das jedenfalls ist ein Thema, das - das werden Sie gestatten wir im Wahlkampf nicht verschweigen werden. Das kann so nicht sein. ({11}) Es geht also darum, in die Zukunft des Landes zu investieren. Dann geht es natürlich um die Frage: Wie gehen wir damit in Europa um? Hier muss ich Ihnen sagen: Es ist natürlich Zeit, dass wir so etwas wie eine kopernikanische Wende in unserer eigenen Europapolitik hinbekommen. Der Kollege Schäuble ist Ende letzten Jahres bei mir gewesen und war der Überzeugung, man müsse Griechenland immer noch aus dem Euro herausbekommen. Gott sei Dank haben Sie und andere ihn daran gehindert, diese Politik weiter zu betreiben. ({12}) Aber das ist natürlich Irrsinn. In welcher Lage wären wir heute? Heute würden die Finanzmärkte gegen Spanien, Italien, Portugal wetten, wir wären beim Auseinanderfliegen des Euros und ganz Europas. Deswegen sage ich Ihnen: Wir werden unsere ganze Erzählung über Europa ändern müssen, diese dumme Erzählung, wir seien der Lastesel der Europäischen Union, wir wollten nur Schulden vergemeinschaften. Wir sind die finanziellen und wirtschaftlichen Gewinner der Europäischen Union. Das ist die Wahrheit. ({13}) - Natürlich steht Leistung dahinter. Aber wenn man erst einmal in Europa Exportweltmeister ist, dann scheint es so zu sein, dass man mehr Waren in andere Länder bringt und von denen mehr Geld bekommt als umgekehrt. Das scheint doch irgendwie logisch zu sein. Dann ist die Forderung, mehr in Europa zu investieren - in den Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit, ({14}) in die Digitalisierung in Europa, in Forschung und Entwicklung. Kein Strohfeuer für die Konjunktur, das soll die Wettbewerbsfähigkeit des Kontinents erhöhen. Dann ist das doch eine Investition in die Zukunft unserer eigenen Kinder und Enkelkinder und keine Geldverschwendung in Europa. ({15}) Die Erzählung, man müsse die Nettozahlungen verringern, hat in dieser Legislaturperiode - weil Sie das mit der FDP mal gemacht haben - dazu geführt, dass wir weniger Geld in den Fördertöpfen für Ostdeutschland hatten und sie deshalb mit zusätzlichen deutschen Steuermitteln auffüllen mussten. Also, ehrlich gesagt, das ist auch ein Umgang mit Geld - so ähnlich wie bei der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, die Sie gerade so gerne loben. Was macht Schwarz-Gelb? Sie kriegen keinen ausgeglichenen Haushalt hin. ({16}) Eines kann ich Ihnen versprechen: Wenn der schwarze Finanzminister schlechter agiert als der rote, dann lässt der westfälische Bauer den Hund von der Kette - da können Sie sicher sein. Das findet der komisch. ({17}) Sie haben über das Thema innere Sicherheit gesprochen. Ich kann mich ganz gut daran erinnern, wer im Bundeskabinett beantragt hat, Mittel für ein paar Tausend zusätzliche Stellen bei der Bundespolizei zur Verfügung zu stellen. ({18}) Ich kann mich gut daran erinnern, weil ich es selber gewesen bin. Denn kurz vorher hatte die Gewerkschaft der Polizei uns allen geschrieben, dass in den letzten zwölf - damals elf - Jahren immerhin 14 000 Stellen bei der Bundespolizei nicht besetzt wurden. Dann zu plakatieren, man wolle mehr für die innere Sicherheit tun, ist wenigstens mal mutig. Aber mit der Wahrheit darüber, was in der Koalition passiert ist, hat das wenig zu tun. ({19}) Jetzt zu der Frage, was darüber hinaus passiert. Ich glaube, es lohnt sich in der Tat, im Bundestag eine Debatte darüber zu führen - nicht kurz vor Ende der Legislaturperiode, aber, wer auch immer dann die Regierung bildet, in der Zeit danach -: Was steckt eigentlich hinter unserer Kontroverse über die Rüstungspolitik? In der Analyse kommen wir vermutlich gemeinsam zu dem Ergebnis, dass wir, wenn sich das Beispiel Nordkorea durchsetzt, in einer ganz gefährlichen Welt leben, weil andere diesem Beispiel folgen würden. Wir erleben doch in der Welt gerade eine Phase, in der ausschließlich über Aufrüstung geredet wird: In China, in Indien, Lateinamerika, den USA, Russland, Europa, Afrika, überall reden wir nur über Aufrüstung; nirgendwo in der Welt wird über etwas anderes diskutiert. Wenn man sich in einer NATO-Sitzung meldet und sagt: „Ich finde, wir müssten auch mal über Abrüstung und Rüstungskontrolle reden“, dann merkt man richtig, dass man die Veranstaltung stört und es nur irgendwo unter „ferner liefen“ auftaucht. Im Kern wird das eine ziemlich gefährliche Welt, vor allen Dingen dann, wenn es so weitergeht, dass erst Russland, dann die NATO und die USA die Friedensdividende, die wir übrigens schon vor der deutschen Einheit dank Gorbatschow und Reagan erhalten haben, in Trümmer legen. In einem kleinen, weißen Haus in Reykjavík auf Island haben sie damals den Doppelbeschluss verhandelt, der meine Partei fast zerrissen hat, am Ende aber richtig gewesen ist. Man hat gesagt: Wir wollen verteidigungsfähig sein, aber wir machen ein Rüstungskontroll- und Abrüstungsangebot. - Seitdem ist es verboten, in Europa landgestützte atomare Mittelstreckenraketen zu stationieren. Wir erleben gerade, dass Russland dabei ist, diesen Vertrag zu unterlaufen, und dass die USA und die NATO diskutieren, darauf genauso zu reagieren. Wir erleben, dass die USA das Iran-Abkommen mit dem Nukleardeal eigentlich nicht mehr wollen, und wir sind nicht sicher, ob der Vertrag über die Abrüstung atomarer Langstreckenraketen noch Bestand haben wird. Das heißt, wir sind in einer Phase, in der wir nicht nur über konventionelle Aufrüstung reden, sondern über eine Rückkehr in die dunkelsten Zeiten des Kalten Krieges. Deswegen sage ich: Das politische Symbol, die politische Handlung, die von Deutschland ausgehen muss, kann doch nicht sein, dass wir bei diesem Rüstungswettlauf mitmachen. Das Signal Deutschlands - und zwar egal, wer dieses Land regiert hat - war doch immer, dass Deutschland die Stimme des Friedens und Friedensmacht in der Welt sein will und bei der Aufrüstung nicht mitmacht. ({20}) In diesem Zusammenhang findet die Debatte über die Frage statt: Sollen wir wirklich 2 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung, für Rüstung ausgeben? Die NATO hat - Sie haben das richtig zitiert - nie beschlossen, dass es 2 Prozent sein sollen. Übrigens hat die NATO beschlossen, dass Haushaltsfragen und anderes eine Rolle spielen. Es geht doch darum: Erstens ist der Beschluss - wenn auch Sozialdemokraten diesen Kompromiss damals mitgetragen haben - an sich schon irre. Warum? Weil es doch nicht zuerst um die Frage gehen muss, wie viel wir ausgeben, sondern um die Frage, wofür wir es ausgeben. ({21}) Diese Frage wird gar nicht beantwortet. Die Verteidigungsausgaben in Europa betragen ungefähr 45 Prozent der Verteidigungsausgaben der USA, aber wir erzielen nur eine Effizienz von 15 Prozent. Da würde ich doch erst einmal beschließen, die Effizienz zu verdoppeln, statt den Haushalt für Verteidigung zu verdoppeln. Das ist doch verrückt. ({22}) Das Zweite. Steckt eigentlich die richtige Strategie dahinter? Die richtige Strategie erklärt Ihnen jeder Soldat, der aus dem Auslandseinsatz zurückkommt. Ich frage die Soldaten immer danach - Frau von der Leyen garantiert auch -, und die Antwort ist immer die gleiche: Ja, man braucht auch Militär. Aber, lieber Herr Gabriel, glauben Sie bloß nicht, durch noch mehr Verteidigungs- und Militärausgaben für Frieden und Stabilität sorgen und gegen die Fluchtbewegungen vorgehen zu können. Sie müssen den Hunger, die Armut, die Hoffnungslosigkeit und die Zukunftslosigkeit bekämpfen. Das müssen Sie machen. ({23}) Die Redner heute Morgen - zuerst war es, glaube ich, Herr Mützenich - haben zu Recht auf den Haushaltsentwurf hingewiesen, den der Finanzminister vorgelegt hat. Der Verteidigungshaushalt soll um 14 Prozent steigen, und zwar nur in den nächsten vier, fünf Jahren, und die Mittel für die Entwicklungshilfe sollen um 1,4 Prozent steigen. Wenn die Inflationsrate etwas steigt, dann nehmen die Ausgaben sogar ab. Da hilft es nicht, wenn Sie ein Zitat von Martin Schulz aus dem Kontext reißen. Es wäre fair, wenn Sie das ganze Interview vortragen würden, ({24}) dann würden Sie nämlich merken, dass für uns völlig klar ist: Natürlich müssen wir die Ausrüstung der Bundeswehr verbessern, übrigens unter anderem, weil an der Bundeswehr seit zwölf Jahren herumgespart wird. Der größte Held dabei war der, der 5 Milliarden Euro pro Jahr bei der Bundeswehr einsparen wollte; das ist der, dessen Rückkehr die bayrische CSU gerade organisiert, nämlich Herr zu Guttenberg. ({25}) Ich bin ja für Resozialisierung - deswegen habe ich nichts dagegen -, ({26}) aber er ist mit der Bundeswehr ungefähr so sorgsam umgegangen wie mit seiner Doktorarbeit. ({27}) Das ist dabei herausgekommen. Aufgrund dieses Zusammenhangs glaube ich, dass Deutschland eine andere Politik betreiben muss, dass wir die Stimme der Rüstungskontrolle und der Abrüstung sein müssen. Natürlich müssen wir gleichzeitig verteidigungsfähig sein - das ist gar keine Frage -, aber wir müssen das Thema Rüstungskontrolle und Abrüstung wieder auf die Tagesordnung bringen, und das tun wir derzeit nicht ausreichend stark. Ich jedenfalls habe von der CDU/CSU dazu noch keinen einzigen Wortbeitrag gehört, sondern ausschließlich eine Verteidigung der Aufrüstung in Deutschland. Das finde ich falsch. ({28}) Es ist sowieso komisch, dass wir in der Lage sind, uns bei Militärausgaben quantitative Ziele zu setzen, aber zum Beispiel bei Bildungsausgaben nicht. Nach OECD-Angaben geben wir 4 Prozent für Bildung aus; selbst Frankreich gibt 5,5 Prozent aus. Warum verdoppeln wir nicht die Bildungsausgaben statt die Rüstungsausgaben in Deutschland? ({29}) Bei allem, was wir geschafft haben, werden drei Dinge unsere Zukunft bestimmen: erstens die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unseres Landes; Investitionen sind wichtig; zweitens, dass wir Europa zusammenhalten und nicht weiter spalten, wie das in den letzten Jahren mit erhobenem Zeigefinger quer durch Europa der Fall gewesen ist; drittens, dass dieses Land die Stimme für Rüstungskontrolle und für Abrüstung erhebt, ganz egal, ob das gerade modern ist; übrigens auch dafür, eine neue Entspannungspolitik zu beginnen. Natürlich ist eine Voraussetzung dafür, dass Russland wenigstens einen Waffenstillstand in der Ukraine organisiert. Ich lese gerade auf Hinweis der Kanzlerin, dass Herr Putin öffentlich angeboten hat, was wir beide von ihm seit Wochen und Monaten fordern, er aber bisher abgelehnt hat: nämlich eine Blauhelmmission in der Ostukraine zur Durchsetzung des Waffenstillstandes. Wenn das wirklich eine Chance ist, dann lassen Sie uns diese Chance ergreifen. Wir brauchen mehr und nicht weniger Entspannungspolitik. Das ist unsere Aufgabe. ({30}) Die Entspannungspolitik hat unter Willy Brandt in den dunkelsten Zeiten des Kalten Krieges begonnen. 1968, als die Truppen des Warschauer Paktes unter Führung der Sowjetunion in Prag einmarschiert sind und keiner an Abrüstung und Entspannung geglaubt hat, hatte Brandt den Mut, zu sagen: Wir wollen eine neue Abrüstungsund Ostpolitik. - Die jetzigen Zeiten sind ähnlich gefährlich, wenn nicht gefährlicher. Deutschlands Aufgabe ist es, genau diese Politik jetzt erneut auf die Tagesordnung zu setzen. ({31})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Abgeordnetenkollege Jens Spahn hat um eine Kurzintervention gebeten. ({0}) Dazu erteile ich ihm das Wort.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Lieber Herr Gabriel, ich hätte mich gar nicht gemeldet, wenn Sie nicht für Fairness und ein richtiges Zitieren der Aussagen von Herrn Schulz geworben hätten. Ich bin sehr für richtiges Zitieren, auch im Wahlkampf. ({0}) Deshalb möchte ich, nachdem Sie seit Wochen auf Marktplätzen und an anderen Orten immer dieselbe Behauptung aufstellen, die Gelegenheit nutzen, Ihnen zu sagen, was ich gesagt habe. Sie können das falsch finden - das ist okay -; aber es ist nicht so, wie Sie es ständig behaupten. Ich habe gesagt, dass wir in Zukunft angesichts dessen, was um uns herum in Europa und der Welt los ist - jetzt wörtliches Zitat -, in dem einen oder anderen Jahr weniger stark Sozialleistungen werden erhöhen müssen - Zitat Ende -, um mehr in Sicherheit zu investieren. ({1}) Sie können sagen, dass Sie das anders sehen, dass Sie, nachdem wir in den letzten Jahren viele Erhöhungen bei den Sozialleistungen gehabt haben, die alle gut und richtig waren, noch mehr Erhöhungen wollen. Das ist auch okay. Aber Sie können vielleicht mit mir konform gehen, dass „etwas weniger stark erhöhen“ etwas anderes bedeutet als „kürzen“. Ich weiß, Sie sind verzweifelt in diesem Wahlkampf, weil nichts so richtig zündet. ({2}) Jetzt versuchen Sie, ob es um die Lohnlücke, die Mittel für Langzeitarbeitslose oder die Rentenpolitik geht, an verschiedenen Stellen mit Halb- und Unwahrheiten Stimmung zu machen. Das spüren wir überall. Das haben wir auch in dieser Debatte erlebt. ({3}) Aber da Sie darum bitten, Herrn Schulz richtig zu zitieren, habe ich eine einfache Bitte für die nächsten drei Wochen: Wenn Sie weiterhin, wie in den letzten Wochen, diesen Baustein in Ihren Reden haben, zitieren Sie mich einfach richtig. Um mehr bitte ich gar nicht. ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Minister, darauf können Sie antworten.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Herr Kollege Spahn, ich weiß, was Sie meinen, wenn Sie sagen „nicht erhöhen“. Es weiß doch jeder, dass wir bei dem, was wir in den Bereichen Rente, Bildung, Pflege und Gesundheit vor uns haben, über Mehrausgaben reden müssen, wenn wir wenigstens das Leistungsniveau von heute halten wollen. ({0}) Wenn Sie das nicht wollen - und Sie wollen es nicht -, dann heißt das de facto, dass Sie die derzeitigen Leistungen kürzen wollen. Haben Sie doch den Mumm, das zu sagen! ({1}) Sie sind doch derjenige in der CDU/CSU, der den nationalkonservativen Flügel als junger Mann neu beleben will. Haben Sie nicht so viel Angst davor, zu sagen, was Sie eigentlich sagen wollen, nämlich dass Sie glauben das sagen Sie auch sonst im Finanzministerium -, wir gäben zu viel Geld für Soziales aus, und dass Sie nicht wollen, dass die Steigerungsraten, die nötig sind, um das Leistungsniveau in den nächsten Jahren zu halten, vollzogen werden. Sie wollen das Geld für eine Verdoppelung des Rüstungshaushaltes unter anderem aus dem Bereich Soziales holen, um es dem Verteidigungsministerium zu geben. Das ist das, was Sie vorhaben. Und machen Sie sich keine Sorgen: Verzweifelte Leute sehen anders aus als ich. ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Das Wort hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Peter Tauber. ({0})

Dr. Peter Tauber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004174, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gut drei Wochen vor der Bundestagswahl ist diese Debatte eine Standortbestimmung. Wenn man das Gehörte zusammenfassen will, dann bleibt eigentlich nur hängen: Sahra Wagenknecht liest die Slogans der CDU-Plakate vor, wahrscheinlich weil die ihr besser gefallen als die eigenen. Dietmar Bartsch sagt, er würde „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ unterschreiben. Lieber Herr Bartsch, Sie müssen das nicht unterschreiben. Wenn Sie diesen Satz richtig finden, müssen Sie CDU oder CSU wählen. ({0}) Herr Özdemir von den Grünen hat versucht, über Innovationen zu sprechen, und sich dann über Sitzheizungen lustig gemacht. Lieber Herr Özdemir, ja, wir müssen dringend darüber reden, was wir tun müssen, damit die Welt im 21. Jahrhundert noch deutsche Autos kauft. Diese Autos müssen so innovativ und so modern sein, mit alternativen Antrieben, dass die Welt sie wirklich haben will. Wahr ist aber auch: Das Rückgrat unserer Volkswirtschaft sind der Mittelstand, das Handwerk und die kleinen innovativen Unternehmen. Deswegen ist Ihr Vergleich ziemlich daneben; denn der Weltmarktführer für Sitzheizungen ist ein deutscher Mittelständler mit 4 000 Arbeitsplätzen in Deutschland und in Europa. Auch das Elektroauto - da bin ich mir ziemlich sicher wird noch eine Sitzheizung haben. Was die SPD betrifft, muss ich sagen: Ich verstehe, ehrlich gesagt, warum so viele Bürgerinnen und Bürger ratlos sind, wenn sie Sie im Wahlkampf beobachten. ({1}) Sie reden über Bildungspolitik, und Frau Schwesig schickt ihr Kind auf eine Privatschule. Sie reden über Abrüstung, sind sich aber selbst nicht darüber im Klaren, was Sie eigentlich wollen. Da wir gerade dabei sind, zu zitieren, lese ich Ihnen gerne noch einmal vor, was Martin Schulz gesagt hat. Er hat gesagt: Die Experten sagen mir: Zwischen 3 und 5 Milliarden braucht die Bundeswehr jährlich mehr. ({2}) Ja, unbedingt; sollten wir tun. Im selben Interview wiederholt er auf Nachfrage noch einmal diese Position. Er sagt mit Blick auf die beiden Verteidigungspolitiker der SPD: Das sind gerade die Experten, die mich ja auch beraten, Rainer Arnold und Hans-Peter Bartels, also unsere Verteidigungspolitiker, die mir sagen: Zwischen 3 und 5 Milliarden für die Bundeswehr mehr pro Jahr, das ist das, was wir brauchen. Ganz klar … ({3}) Sie müssen sich irgendwann entscheiden: Regierung und Opposition in einem, das funktioniert nicht. Lieber Herr Gabriel, dass Sie so relativ entspannt sind, liegt vielleicht auch daran, dass Sie ganz froh sind, dass Sie auf der Regierungsbank sitzen und damit relativ weit weg von Ihrer Fraktion. ({4}) Ansonsten bleibt festzuhalten: Nur die Redner der Unionsfraktion haben über die Zukunft gesprochen. Die Redner der anderen Fraktionen haben nur Vergangenheitsbewältigung betrieben. Ich will Ihnen sagen, was die Menschen erwartet, wenn sie am 24. September CDU oder CSU wählen: ({5}) Wir werden weiter daran arbeiten, dass Bildung und Forschung ein Schwerpunkt unserer Arbeit ist; denn der Etat des Bundes dafür ist ein Rekordetat. Wir haben noch nie so viel für Bildung und Forschung ausgegeben wie aktuell. ({6}) Wir werden die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler um 15 Milliarden Euro entlasten. Wir werden mit dem Abbau des Solis beginnen. Wir werden an der soliden Haushaltspolitik und an der schwarzen Null festhalten. Gerade heute können Sie die Meldung lesen, dass Deutschland für Investitionen ein sicherer Ort ist. Das liegt auch an unserer Finanzpolitik. Wir werden in moderne Technologien investieren, ein Glasfasernetz flächendeckend in Deutschland schaffen, den 5G-Standard einführen und ausbauen. Und wir werden die Familien auf eine bisher nicht dagewesene Art und Weise entlasten: mit dem Kindergeld, mit dem Baukindergeld, mit dem Kinderfreibetrag und mit einem Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz auch im Grundschulalter. Diese konkreten Dinge sind das eine. Aber die Wählerinnen und Wähler entscheiden auch über die großen Linien, über Haltung und über grundsätzliche Überzeugungen. Auch darin unterscheiden wir uns teilweise. Nicht in allen Fragen, aber doch in manchen. Wenn wir selbst und die Welt im Jahr 2017 auf unser Land schauen, dann können wir feststellen: Vor 100 Jahren war unser Land mit dem Rest der Welt im Krieg, vor 75 Jahren war unser Land mit dem Rest der Welt im Krieg, vor 50 Jahren war unser Land geteilt und besetzt. Heute ist dieses Deutschland ein Ort der Demokratie, des Rechts und der Freiheit. Viele sagen: Gott sei Dank sind die Deutschen so, wie sie sind. - Darauf können wir stolz sein. Das hat übrigens etwas mit Politik zu tun, angefangen bei der Politik von Konrad Adenauer über Helmut Kohl bis heute zu Angela Merkel. ({7}) Wir sollten deswegen - bei allem Streit in der Sache; über die genannten Punkte wie Kindergeld etc. können wir immer gerne streiten - aufhören mit dem, was Sie alle permanent machen in diesem Wahlkampf, nämlich unser Land schlechter zu reden, als es ist. Es ist das beste Deutschland, das es je gab. ({8}) Es ist gut, dass wir diese Debatte führen. Man kann sich noch einmal ein Bild machen. Wir reden über die Zukunft und über das, was Deutschland braucht, um weiter erfolgreich zu sein, und Sie arbeiten sich an Ihrer eigenen Vergangenheit ab. Darüber können die Menschen am 24. September abstimmen. Ich bin zuversichtlich, dass sie klug und richtig abstimmen werden. ({9})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließender Redner in dieser Debatte ist der Kollege Hubertus Heil für die Fraktion der SPD. ({0})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Tauber, Deutschland ist ein starkes Land, und niemand redet dieses Land schlecht. Aber zur Wahrheit gehört auch: Deutschland investiert zu wenig in die Zukunft. Deutschland ist auch ein wohlhabendes Land. Aber nicht alle haben gleichermaßen am Wohlstand teil; das ist der Unterschied. Wir haben deutlich gemacht, was wir für die Zukunft dieses Landes brauchen. Wir brauchen beispielsweise Investitionen in Bildung. Sie verweigern diese Investitionen in Deutschlands Schulen. Tun Sie doch nicht so, als gäbe es hier keine Unterschiede. Demokratie braucht gute Alternativen und eine Auswahl im demokratischen Spektrum. Wenn Sie so tun, als gäbe es keine Unterschiede, stärken Sie die politischen Ränder. Genau das kann Deutschland nicht gebrauchen, meine Damen und Herren. ({0}) Ich will an die Adresse der Bundeskanzlerin sagen: Wer im Fernsehduell ständig versucht, sich hinter SPD-Ministern zu verstecken, ({1}) und wer hier und heute versucht, ein Zitat falsch zu interpretieren, der will davon ablenken, dass Sie keinen Plan für die Zukunft haben. ({2}) Ich will Ihnen sagen, Herr Tauber: Wir als SPD haben deutlich gemacht - Martin Schulz hat das auch in dem Interview deutlich gemacht -, dass wir für eine gute Ausrüstung der Bundeswehr sind, und zwar im Umfang von 3 bis 5 Milliarden Euro jährlich, aber nicht aufwachsend - das ist der Unterschied -, sondern strukturell. ({3}) Sie wollen das 2-Prozent-Ziel einhalten. Das bedeutet, Sie wollen 30 bis 40 Milliarden Euro ab 2024 Jahr für Jahr. Es gibt noch einen Unterschied: Wir wollen das Geld lieber in Bildung investieren, also in Deutschlands Schulen und in die Chancen von Kindern und Jugendlichen in diesem Land, die alle eine Chance brauchen, und das unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. ({4}) Wenn wir in diesem Land über die Zukunft reden, dann reden wir vor allen Dingen über die nachwachsende Generation. Dass in unserem wohlhabenden Land trotz aller Anstrengungen der Geldbeutel von Papa und Mama und die soziale Herkunft stärker über die Bildungs- und Lebenschancen von Kindern entscheiden als Talent und Leistung, ist eine Schande. ({5}) Das ist nicht zukunftsfähig. Deshalb muss auch der Bund Mittel investieren. ({6}) Worum geht es dabei? Wir haben das Kooperationsverbot gegen Ihren Widerstand ein Stück weit aufgebrochen, um Schulen zu sanieren. Aber das reicht uns nicht. Zuständigkeitsdebatten interessieren die Menschen nicht, weder die Eltern noch die Lehrer noch die Kinder. Alle Kinder brauchen eine Bildungschance, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe und Geschlecht. ({7}) Sie brauchen gleiche Chancen, die nicht, wie in diesem Land, an der Herkunft kleben. Dafür muss man Geld in die Hand nehmen. Wir wollen dafür sorgen, dass die Schulen nicht nur saniert werden; sie müssen modernisiert werden. Wir müssen dafür sorgen, dass es einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz gibt, zumindest an Grundschulen. Das können Bund, Länder und Kommunen nur gemeinsam schaffen. ({8}) Den Investitionsstau an den Schulen in Höhe von 34 Milliarden Euro können wir nur gemeinsam auflösen. Auch das ist ein Unterschied zwischen Ihnen und uns. Meine sehr geehrten Damen und Herren, am 24. September steht dieses Land vor der Wahl. Es geht darum, sich mit der Gegenwart abzufinden oder die Vergangenheit zu verwalten. ({9}) Frau Merkel hat keinen Vorschlag für die Zukunft dieses Landes gemacht, ({10}) weder zur Zukunft der Kinder und zu ihren Bildungschancen - sie will, dass sich der Bund da heraushält noch zur Frage, woher das Geld kommen soll, das wir brauchen, um in ganz Deutschland endlich eine Breitbandinfrastruktur hinzubekommen. Sie sagen zwar, dass Sie die steuerliche Forschungsförderung wollen; Sie sagen aber nicht, wie. Wir haben einen klaren Vorschlag gemacht. Wir brauchen einen Vorrang für Investitionen in diesem Land: in Bildung, in Forschung, in Infrastruktur, in die Verbindung von ländlichen und städtischen Räumen, was die Mobilität betrifft. Den Haushalt zu sanieren, Herr Schäuble, ist in Ordnung. Auch wir wollen an der Schuldenbremse festhalten. Aber wenn wir nicht investieren und kein Geld in die Hand nehmen, dann verrottet die Infrastruktur in diesem Land, und dann schaffen wir keine zukunftsfähige Infrastruktur für die kommenden Generationen. Auch das ist ein Unterschied zwischen Ihnen und uns. ({11}) - Für die sind wir, Herr Kollege. ({12}) Ich will Ihnen deutlich sagen: Was die Frage der Gerechtigkeit in diesem Land betrifft, haben wir erlebt Andrea Nahles hat das deutlich gemacht -, dass Sie bei der Rente nichts ändern wollen. Das wird dazu führen, dass das Rentenniveau für die heute arbeitende Generation herunterkrachen wird. Wir wollen das Rentenniveau stabil halten. Wer sichere Renten und mehr Bildungsinvestitionen will, der muss am 24. September die SPD stark machen. Mit der Union ist das nicht zu machen. ({13}) Eine abschließende Bemerkung zu Frau Merkel. Ich kann mich noch an den Satz „Sie kennen mich“ aus dem Fernsehduell vor der letzten Wahl erinnern. Ich würde sagen, nach zwölf Jahren Angela Merkel kann man Folgendes feststellen: Viele Menschen glauben, Angela Merkel zu kennen - manchmal ist man angesichts der Wechsel und des Zickzackkurses ihrer Politik ja überrascht -, aber keiner weiß wohl wirklich, wohin sie dieses Land führen will. Das ist der Unterschied. Am 24. September, meine Damen und Herren, sagen wir: Deutschland kann mehr, und es ist Zeit für mehr Gerechtigkeit in diesem Land. Deshalb kämpfen wir mit Martin Schulz für eine starke SPD. Dieses Land kann mehr und braucht mehr Gerechtigkeit, Innovationen und Zukunft und nicht die Verwaltung des Gegenwartszustands und der Vergangenheit. Das ist der Unterschied, um den es am 24. September geht. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({14})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir zu der anschließenden Wahlhandlung kommen, gibt es noch eine Reihe von Entscheidungen, die wir zu treffen haben. Ich bitte, das bei dem Prozess des Wartens und Anstehens zu berücksichtigen. Zunächst kommen wir aber noch nicht zum Schluss dieser Aussprache, sondern ich erteile das Wort für eine Kurzintervention dem Kollegen Dr. Gysi. ({0}) Hubertus Heil ({1})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Vizepräsident. - In den Reden vieler Rednerinnen und Redner wurden heute die ausscheidende Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn und der ausscheidende Vizepräsident Johannes Singhammer gewürdigt, und ihnen wurde Dank ausgesprochen. Ich schließe mich dem selbstverständlich an. Ich bin auch den beiden Fraktionsvorsitzenden meiner Fraktion dankbar dafür, wie sie sich bei ihnen, aber vor allen Dingen auch beim Bundestagspräsidenten Professor Dr. Norbert Lammert bedankt haben. Auch dem schließe ich mich an. Aufgrund des Verhältnisses zwischen dem Herrn Bundestagspräsidenten und mir finde ich aber, dass ein paar persönliche Worte zum Abschied vielleicht doch angebracht sind. Sie, Herr Professor Dr. Lammert, gehören dem Bundestag seit 1980, also seit 37 Jahren, an und sind seit 2005 Präsident des Bundestages. Ich kann mir vorstellen, wie schwer es ist, wenn man aus einer Partei und einer Fraktion kommt und plötzlich die Zuständigkeit für alle Abgeordneten erhält, die ganz andere Herkünfte und ganz andere politische Auffassungen haben. Man soll ja der Präsident für alle sein. Das gelingt wirklich nicht jedem, aber ich muss sagen: Ihnen ist es wirklich gut gelungen. Ich habe Sie sehr respektiert, als Sie verschiedene Abgeordnete und verschiedene Fraktionen gegen den türkischen Präsidenten Erdogan verteidigt haben, der sie beschimpft hat. Das hat Mut gezeigt. Sie haben Reden gehalten, die auch mich erstaunt haben. Sie konnten von der CSU bis zur Linken akzeptiert werden. Das muss man erst einmal hinkriegen. Aber das ist Ihnen eigentlich fast immer gelungen, muss ich sagen. ({0}) Sie haben sogar Auseinandersetzungen mit den Medien geführt; das heißt, Sie waren und sind auch bereit, sich unbeliebt zu machen. Auch das ist nicht selbstverständlich. Sie waren auch nie parteiisch und nie der verlängerte Arm irgendeiner Koalition. Ihr eigentliches Verdienst besteht darin, dass Sie so sehr Präsident des Parlaments waren, dass Sie dem Parlament eine andere Stellung in der Gesellschaft gegeben haben. Das verdanken wir gerade Ihnen, weil Sie bewiesen haben: Man kann Präsident des Parlaments sein und keine andere Aufgabe dabei wahrnehmen. - Dafür, finde ich, gebührt Ihnen Respekt. ({1}) Sie haben, Herr Bundestagspräsident, immer die Rechte der Regierungsfraktionen geachtet, aber genauso die Rechte der Oppositionsfraktionen, und Sie haben auch heute wieder über Minderheitenrechte gesprochen, die so wahnsinnig wichtig sind. Wenn eine Mehrheit meint, die Kontrolle über sich reduzieren zu dürfen, hat sie die Demokratie nicht verstanden. Sie haben sie verstanden. Weil ich älter bin als Sie, möchte ich Ihnen zum Schluss noch zwei weise Ratschläge mitgeben; dazu bin ich ja berechtigt. Der erste Ratschlag ist: Sie müssen sich ganz bewusst entscheiden, das Alter zu genießen. Alles andere hat keinen Sinn. Mein zweiter Ratschlag ist: Reden Sie bloß nicht so viel über Krankheiten. Das macht nicht gesund. Nun will ich Ihnen als Letztes - ich hoffe, im Namen des ganzen Hauses, aber vor allem in meinem Namen in jeder Hinsicht Wohlergehen für Ihren neuen Lebensabschnitt wünschen und einfach ein Wort sagen: Danke! ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Gysi, dieses Hohe Haus dankt Ihnen für die Worte, die Sie für unseren Präsidenten Norbert Lammert gefunden haben. Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen jetzt zu den Zusatzpunkten a bis h. Es handelt sich um Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, und wir hatten vereinbart, dass eine Aussprache dazu nicht stattfindet. Zusatzpunkt a: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0}) Sammelübersicht 462 zu Petitionen Drucksache 18/13490 Wer dafürstimmt, den bitte ich jetzt um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Niemand. Die Sammelübersicht 462 ist damit mit allen Stimmen des Hohen Hauses angenommen. Zusatzpunkt b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1}) Sammelübersicht 463 zu Petitionen Drucksache 18/13491 Wer dafürstimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Niemand. Auch die Sammelübersicht 463 ist mit den Stimmen des gesamten Hohen Hauses angenommen. Zusatzpunkt c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2}) Sammelübersicht 464 zu Petitionen Drucksache 18/13492 Wer für diese Sammelübersicht stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Niemand. Die Sammelübersicht 464 ist damit mit allen Stimmen angenommen. Zusatzpunkt d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3}) Sammelübersicht 465 zu Petitionen Drucksache 18/13493 Wer dafürstimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 465 ist angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Zusatzpunkt e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4}) Sammelübersicht 466 zu Petitionen Drucksache 18/13494 Wer dafürstimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Keine. Die Sammelübersicht 466 ist damit mit allen Stimmen des Hohen Hauses angenommen. Zusatzpunkt f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5}) Sammelübersicht 467 zu Petitionen Drucksache 18/13495 Wer dafürstimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 467 ist damit angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD sowie der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Zusatzpunkt g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6}) Sammelübersicht 468 zu Petitionen Drucksache 18/13496 Wer für die Sammelübersicht 468 stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 468 ist damit angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke. Zusatzpunkt h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 469 zu Petitionen Drucksache 18/13497 Wer stimmt für diese Sammelübersicht? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 469 ist damit angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke sowie Bündnis 90/Die Grünen. Damit haben wir diese Zusatzpunkte abgeschlossen. Ich komme jetzt zum Tagesordnungspunkt 2: Wahlvorschlag des Wahlausschusses für die Richter des Bundesverfassungsgerichts Wahl einer Richterin oder eines Richters des Bundesverfassungsgerichts Drucksache 18/12822 Der Wahlausschuss schlägt auf der Drucksache 18/12822 Herrn Dr. Josef Christ vor. Diesen Wahlvorschlag hat der Wahlausschuss mit der gemäß § 6 Absatz 5 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes erforderlichen Mehrheit beschlossen. Ich bitte Sie jetzt noch um Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfahren. Die Wahl erfolgt mit verdeckten Stimmkarten, also geheim. Zum Richter des Bundesverfassungsgerichts ist gewählt, wer eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bundestags auf sich vereinigt. Sie benötigen jetzt für die Wahl Ihren blauen Wahlausweis, den Sie bitte, soweit Sie es noch nicht gemacht haben, Ihrem Stimmkartenfach entnehmen können. Wie üblich gilt die Bitte, nochmals zu prüfen, ob der Wahlausweis Ihren Namen trägt. Die für die Wahl gültige Stimmkarte und den amtlichen Wahlumschlag erhalten Sie von den Schriftführerinnen und Schriftführern an den Ausgabetischen neben den Wahlkabinen. Das Verfahren ist bekannt. Nachdem Sie die Stimmkarte in einer der Wahlkabinen gekennzeichnet und in den Wahlumschlag gelegt haben, gehen Sie bitte zu den Wahlurnen hier vor dem Rednerpult. Die Stimmkarte dürfen Sie bitte nur in der Wahlkabine ankreuzen, und Sie müssen ebenfalls noch in der Wahlkabine die Stimmkarte in den Umschlag legen. Die Schriftführerinnen und Schriftführer sind verpflichtet, jeden, der seine Stimmkarte außerhalb der Wahlkabine kennzeichnet oder in den Umschlag legt, zurückzuweisen. Die Stimmabgabe kann in diesem Fall jedoch vorschriftsmäßig wiederholt werden. Aber ich bitte Sie, auf diese Wiederholung zu verzichten. Gültig sind nur Stimmkarten mit einem Kreuz bei „ja“, „nein“ oder „enthalte mich“. Ungültig sind Stimmen auf nicht amtlichen Stimmkarten sowie Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz, kein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten. Bevor Sie die Stimmkarte in eine der Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte Ihren Wahlausweis den Schriftführerinnen und Schriftführern an der Wahlurne. Der Nachweis der Teilnahme an der Wahl kann nur durch die Abgabe des Wahlausweises erbracht werden. Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Das ist der Fall. Dann eröffne ich hiermit die Wahl und bitte, zum Empfang der Stimmkarte zu den Ausgabetischen zu gehen. Gibt es jetzt noch jemanden im Saal, der die Wahlhandlung abschließen möchte, aber dazu bisher nicht die Gelegenheit hatte? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Wahl und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Gleichzeitig unterbreche ich jetzt die Sitzung für einige Minuten, vermutlich für zehn Minuten. Ich werde dann das Ergebnis Vizepräsident Johannes Singhammer der Wahl bekannt geben und noch einige abschließende Worte sagen. ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe jetzt das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der Wahl eines Rich- ters des Bundesverfassungsgerichts bekannt: abgegebene Stimmzettel 586. Mit Ja haben gestimmt 455, mit Nein haben gestimmt 57 Abgeordnete, Enthaltungen 74. Herr Dr. Josef Christ hat damit die erforderliche Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen und mindestens 316 Jastimmen erreicht.1) Er ist damit zum Richter des Bundesverfassungsgerichts gewählt. Ich gratuliere dazu herzlich. ({0}) Damit nähern wir uns dem Ende dieser letzten Sitzung des Deutschen Bundestages in der 18. Wahlperiode. Vier Jahre parlamentarische Arbeit liegen hinter uns. Die Ar- beit ist getan. Ich möchte an dieser Stelle noch an etwas erinnern und ein Dankeschön aussprechen. Wir haben vor vier Jahren mit unserer Arbeit begonnen. Einige Kollegen sind heute nicht mehr unter uns, weil Krankheit und Tod in den ver- gangenen Jahren nach ihnen gegriffen haben. Ich nenne die Namen der Kollegen, die durch Tod aus der Mitte ihres Mandats abberufen worden sind. Das sind die Kol- legen Andreas Schockenhoff und Philipp Mißfelder und aus der Mitte des Präsidiums Vizepräsident Peter Hintze, den wir erst vor neun Monaten zu Grabe getragen haben. Ich denke auch an die Kolleginnen und Kollegen, die in früheren Legislaturperioden Verantwortung getragen ha- ben und die in den vergangenen vier Jahren heimberufen worden sind. Ich möchte jetzt aber vor allem ein Dankeschön rich- ten an die Kolleginnen und Kollegen, die ausscheiden, weil sie nicht mehr kandidieren, die sich nicht mehr in den Wahlkampf eingebracht haben, weil sie einfach das Mandat nicht mehr erneuert wissen wollen. Ich denke da- bei auch an diejenigen, die kämpfen und nicht wissen, ob sie gewählt werden oder nicht. Mein Dank gilt all denjenigen, die bei der sehr inten- siven Arbeit im Mandat mitgewirkt haben. Wir haben vieles gemeinsam auf den Weg gebracht und auch abge- schlossen. Die Ausübung eines parlamentarischen Man- dats und die damit verbundene Arbeit sind kaum möglich und auch nicht vorstellbar, wenn nicht das Zusammen- spiel mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf eine ganz herausragende Weise gelingt. Deshalb möchte ich in dieser letzten Sitzung insbesondere den Mitarbeiterin- nen und Mitarbeitern der Bundestagsverwaltung danken. Ohne sie könnten wir als Abgeordnete unsere parlamen- 1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2 tarische Arbeit nicht leisten. Deshalb ein ganz herzliches Dankeschön. ({1}) Ich selber werde auch mit dieser letzten Sitzung aus dem Deutschen Bundestag ausscheiden. Es war für mich wie auch für alle anderen ausscheidenden Kolleginnen und Kollegen ein Privileg, diesem Hohen Haus anzugehören. Der Bundestag ist die erste Gewalt im Staat, nicht die zweite und nicht die dritte. Wir sind, so denke ich, eine verantwortungsbewusste Volksvertretung. Die Menschen erwarten zu Recht einen klaren Standpunkt im Wettstreit um die besseren Ideen. Gleichwohl ist die Fähigkeit zu einem ehrlichen Kompromiss unverzichtbar. Wer einen notwendigen Kompromiss als Knieweichheit verspottet, der hat Demokratie nicht verstanden. Unser Mittel in der politischen Auseinandersetzung als Parlamentarier ist das Wort. Ich finde, dass Reiner Kunze eine zutreffende Formulierung getroffen hat: „Wort ist Währung - Je wahrer, desto härter“. Ich erinnere mich an meine erste Sitzung im Deutschen Bundestag. Meine erste Rede habe ich zur Familienpolitik gehalten. Danach hat der damalige Vizepräsident, wie es bei uns üblich ist, diese erste Rede entsprechend gewürdigt und hat zu mir als sechsfachem Vater gesagt, das sei jetzt eine „Jungfernrede“ gewesen. Das damalige Protokoll vermerkte damals dann „Heiterkeit“. Unabhängig davon ist Familienpolitik, die Politik für Familien und für Kinder, für mich immer von ganz besonderer Bedeutung gewesen. Ich wünsche dem neuen Bundestag, den Kolleginnen und Kollegen, die am 24. September 2017 gewählt werden, viel Glück. Aus meiner Erfahrung muss es nicht unbedingt ein Nachteil sein, wenn man in der politischen Arbeit die Menschen in unserem Land so annimmt, wie sie sind. Wer die Deutschen oder die Menschen in Deutschland nicht so richtig mag, tut sich schwer, eine gute Politik für sie zu gestalten. Wir wissen: In allem politischen Wollen und Handeln stoßen wir auch an Grenzen. Der Blick auf eine andere Instanz schadet nicht. Nach Zeiten tiefster menschlicher Erniedrigung in unserer Geschichte haben die Väter und Mütter des Grundgesetzes die Konsequenzen gezogen. Deshalb beginnt unsere Verfassung, das Grundgesetz, mit den Worten: Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen … Deshalb sage ich: Möge Gott unser Vaterland behüten. Es lebe die parlamentarische Demokratie! Die Sitzung ist geschlossen. ({2})