Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich zur 244 . Plenarsitzung der jetzt allmählich zu
Ende gehenden Legislaturperiode . Ich freue mich, dass
zu ungewöhnlich früher Zeit ungewöhnlich viele Kolleginnen und Kollegen anwesend sind;
({0})
das könnte mit der Tagesordnung zu tun haben . Auch
auf der Pressetribüne habe ich selten so viele Journalisten gleichzeitig und noch nie zu dieser Uhrzeit gesehen .
Auch Ihnen ein herzliches Willkommen .
({1})
Ich möchte Ihnen mitteilen, dass der Ältestenrat sich
in seiner gestrigen Sitzung darauf verständigt hat, in der
Plenarsitzung, die wir für den 5 . September eingeplant
haben, keine Befragung der Bundesregierung, keine Fragestunde und auch keine Aktuelle Stunde durchzuführen .
({2})
Ich frage, ob Sie damit einverstanden sind . - Das ist offensichtlich der Fall . Dann können wir das so festhalten .
Wir kommen nun zu einem Geschäftsordnungsantrag. Die Fraktionen der SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die zweite und dritte Beratung
des vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurfs zur
Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen
gleichen Geschlechts auf den Drucksachen 18/6665 und
18/12989 zu erweitern und jetzt sofort im Anschluss mit
einer Debattenzeit von 38 Minuten zu beraten . Über diesen Geschäftsordnungsantrag lasse ich nun abstimmen .
Wer stimmt für den Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung? - Wer stimmt dagegen? - Das Erste war erkennbar die Mehrheit . Enthaltungen gibt es keine .
({3})
- Beifallsstürme nach Geschäftsordnungsentscheidungen hatten wir auch eher selten .
({4})
Ich rufe somit Zusatzpunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für
Personen gleichen Geschlechts
Drucksache 18/6665
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({5})
Drucksache 18/12989 Buchstabe a
Über diesen Gesetzentwurf werden wir später namentlich abstimmen .
Ich möchte eine Vorbemerkung machen . Nach der jetzt
folgenden Debatte stimmen wir über ein Anliegen ab, das
erkennbar viel mehr Menschen intensiv beschäftigt und
umtreibt, als davon unmittelbar betroffen sind; das gilt in
die eine wie in die andere Richtung . Auch diesmal gibt es
bei ruhiger, nüchterner Betrachtung jeweils beachtliche
Gründe für wie gegen die geltende Rechtslage . Es wäre
schön, wenn in der folgenden Aussprache der wechselseitige Respekt deutlich würde, den beide Positionen
zweifellos verdienen .
({6})
Wir hatten uns vorhin schon darauf verständigt, dass
diese Debatte 38 Minuten dauern soll . - Auch dazu kann
ich keinen Widerspruch feststellen .
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort
dem Kollegen Thomas Oppermann für die SPD-Fraktion .
({7})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue
mich, dass es heute zu einer Entscheidung kommt .
({0})
Die Öffnung der Ehe ist ein wichtiger gesellschaftspolitischer Fortschritt . Darauf haben viele Menschen in diesem Land lange gewartet .
({1})
Bei der Ehe geht es nicht um das Geschlecht, sondern
darum, ob Menschen füreinander einstehen und Verantwortung übernehmen wollen . Nach Artikel 6 des Grundgesetzes stehen Ehe und Familie unter dem besonderen
Schutz des Staates .
({2})
Dieses Grundrecht schützt im Kern die Verantwortungsgemeinschaft von Menschen .
({3})
Deshalb brauchen wir auch keine Grundgesetzänderung,
um die Ehe für alle einzuführen .
Niemand kann sagen, dass wir über dieses Thema
nicht gründlich genug diskutiert hätten . Wir entscheiden
heute über einen Gesetzentwurf, der bereits 2015 auf Initiative von Rheinland-Pfalz im Bundesrat beschlossen
wurde . Es gab eine ordentliche Anhörung im Rechtsausschuss zu diesem Thema, und der Bundestag hat fünfmal
im Plenum darüber debattiert . Dass wir heute darüber
entscheiden, ist vielleicht nicht gut für die Koalition, aber
es ist gut für die Menschen,
({4})
und es ist gut für das Parlament .
Es gibt seit Jahren im Deutschen Bundestag eine klare
Mehrheit der Abgeordneten für die Öffnung der Ehe .
({5})
Eine Abstimmung ist aber bisher durch Koalitionsverträge verhindert worden . Erfreulicherweise ist seit Montag
auch unser Koalitionspartner der Meinung, dass diese
Frage eine Gewissensentscheidung ist .
({6})
Eine zwingende, logische Folge daraus ist, dass die Abstimmung freigegeben werden muss .
Meine Damen und Herren, wir leben in einer Zeit
des gesellschaftlichen Wandels . Gleichgeschlechtliche
Paare werden heute akzeptiert . Das ist in einer offenen,
toleranten Gesellschaft möglich . Ganz unterschiedliche
Lebensentwürfe gehören heute zum Alltag . Wenn unsere
Verfassung eines garantiert, dann, dass jeder in diesem
Land so leben kann, wie er es für richtig hält, wie sie es
für richtig hält .
({7})
Ich habe aber auch Verständnis für alle, die gegenüber
der Öffnung der Ehe Bedenken haben und diesen Schritt
noch nicht mitgehen wollen. Ich finde, das muss man respektieren .
({8})
Diese Personen sollten aber Folgendes bedenken: Wenn
die Ehe für alle kommt, dann wird vielen etwas gegeben,
aber niemandem etwas genommen .
({9})
Das sollten diejenigen bedenken, die heute dagegenstimmen wollen .
Ich wünsche mir eine möglichst große Mehrheit für
dieses Gesetz .
Vielen Dank .
({10})
Dietmar Bartsch ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist
heute sicherlich ein historischer Tag für viele Menschen .
Wir beschließen das Recht auf Eheschließung für Menschen gleichen Geschlechts . Das ist vor allen Dingen ein
Erfolg des langjährigen Kampfs vieler Aktivistinnen und
Aktivisten, die sich jahrelang außerhalb des Parlaments
engagiert haben .
({0})
Ich will denen auch ausdrücklich gratulieren .
({1})
Wir schaffen ein Stück weit Normalität in unserem
Land . Der rechtliche Raum auch für gleichgeschlechtlich
liebende Partner wird vollständig geöffnet . Aber, meine
Damen und Herren, der Kampf in der Gesellschaft, der
Kampf im Alltag um Gleichstellung ist noch lange nicht
vorbei . Wir dürfen nicht zulassen, dass gleichgeschlechtliche Paare weiterhin an der einen oder anderen Stelle
Angst haben müssen, Hand in Hand durch die Straßen
zu gehen . Also lassen Sie uns den Kampf auch nach der
Entscheidung heute fortführen .
({2})
Lieber Thomas Oppermann, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der SPD, ich habe Sie ja selten so gelöst
erlebt wie heute .
({3})
Ich will aber schon anmerken: Das hätten Sie natürlich
die ganzen vier Jahre über haben können .
({4})
Wir hätten doch so viel an fortschrittlicher Politik hier im
Deutschen Bundestag beschließen und umsetzen können .
Das wäre doch wunderbar gewesen .
({5})
Wir als Linke werden allerdings nie die CDU-Vorsitzende um Erlaubnis fragen, ob wir fortschrittliche Politik
beschließen dürfen . Das werden wir nie machen .
({6})
- Für Sie ist das schade, das kann ich nachvollziehen;
aber wir werden es nicht machen .
({7})
Lassen Sie mich deswegen zum Abschluss folgende Bemerkung machen: Heute steht auch nach der Abstimmung nicht die Frage im Raum, ob Merkel oder ob
Schulz gewonnen hat . Das ist, ehrlich gesagt, in dieser
Frage völlig unerheblich .
({8})
Ich bin stolz, dass meine Fraktion zur Ehe für alle
auch einen Beitrag geleistet hat . Der erste Antrag war
unser Antrag
({9})
- wie viele andere - mit der schönen Drucksachennummer 18/8 .
Ich fordere Sie alle auf, heute für Würde, Gleichheit
und die Liebe abzustimmen .
Herzlichen Dank .
({10})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat Volker Kauder das
Wort .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
In meiner Fraktion gibt es zu diesem Thema, das heute
zur Abstimmung ansteht, unterschiedliche Auffassungen .
Es gibt in ihr Kolleginnen und Kollegen, die der Eheöffnung zustimmen werden, und es gibt Kolleginnen und
Kollegen, die zu genau einer anderen Erkenntnis gekommen sind . Als Vorsitzender dieser Fraktion habe ich Respekt vor beiden Seiten .
({0})
Ich selbst habe mehrfach öffentlich erklärt, dass ich
nach intensivem Nachdenken und Überlegen der Meinung bin, dass die Ehe die Verbindung von Mann und
Frau ist .
({1})
Auch wenn ich weiß, dass man auch als Christ zu einer anderen Überzeugung kommen kann, war für mich
schon klar, dass ich persönlich aus Gewissensgründen
nie irgendetwas unterschreiben würde, in dem „Ehe für
alle“ steht, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({2})
Diese Gewissensentscheidung, die ich für mich getroffen
habe, muss ich natürlich und will ich auch allen anderen
zugestehen . Deswegen ist es völlig selbstverständlich das geschieht übrigens nicht zum ersten Mal im Deutschen Bundestag bei solchen gesellschaftlichen Fragen;
ich erinnere nur an die Sterbehilfe, an die PID und an ein
paar andere Entscheidungen -, zu sagen: Da muss jeder
wirklich nach seinem Gewissen entscheiden können .
Wir entscheiden heute nicht darüber, ob wir homosexuelle Menschen diskriminieren oder nicht . Das ist längst
entschieden, weil wir hier im Deutschen Bundestag klar
und deutlich gesagt haben: Mit der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft wird Diskriminierung aufgehoben .
Um diese Frage geht es hier also gar nicht .
({3})
Es geht auch nicht um die Frage, ob auch in Beziehungen von gleichgeschlechtlichen Partnern Liebe, Treue,
Aufmerksamkeit gelebt werden können, sondern es geht
schlicht und ergreifend um die Frage, ob der Begriff der
Ehe, die in unserem Kulturraum seit Jahrhunderten als
Verbindung von Mann und Frau definiert wird, nun auch
geöffnet wird . Da kann ich nur sagen: Es bleibt für mich
schon klar, dass das nicht dasselbe ist, weshalb es durchaus gerechtfertigt ist, den Begriff „Ehe“ als Beziehung
von Mann und Frau zu definieren.
Man kann nun die Frage stellen: Ist dies mit dem
Grundgesetz vereinbar? Die einen sagen: Die Verfassung
geht bei dem Ehebegriff von einer Verbindung von Mann
und Frau aus . Die anderen sagen: Die Verfassung gibt
das her .
Was mich natürlich schon ein wenig irritiert, ist, dass
die Bundesregierung, vertreten durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, in dieser
Legislaturperiode auf eine Kleine Anfrage erklärt hat,
dass eine Öffnung der Ehe nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei - das ist zunächst einmal ein Fakt
aus dem Jahr 2015 -,
({4})
während das gleiche Haus mit demselben Minister rechtzeitig vor dieser heutigen Entscheidung im Bundestag erklärt, dass eine Grundgesetzänderung nicht erforderlich
ist . Da sage ich nur:
({5})
Vorsicht, Herr Minister! Es darf nicht der Eindruck erweckt werden, als ob die Frage, ob etwas verfassungskonform ist oder nicht, aufgrund politischer Opportunität
beurteilt wird .
({6})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, unabhängig davon, wie die Entscheidung ausfallen wird - man kann es
ja schon voraussagen -, sage ich für mich und auch für
meine Fraktion: Wir haben Respekt vor der Haltung eines jeden Kollegen und einer jeden Kollegin . - Wenn ich
die Diskussionen der letzten Zeit an mir vorüberziehen
lasse, dann habe ich aber allen Grund, auch zu sagen:
Auch diejenigen, die sagen, dass sie dem Gesetzentwurf
„Ehe für alle“ aufgrund ihrer christlichen und ihrer persönlichen Überzeugung nicht zustimmen können, haben
denselben Respekt verdient .
({7})
Das Wort erhält nun die Kollegin Katrin GöringEckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Meine Damen und Herren! Auf den Tribünen und wahrscheinlich auch draußen an den Bildschirmen werden
morgens zwischen 8 und 9 Uhr normalerweise nicht so
viele schon Bundestagsdebatten verfolgen .
Man sollte mit Worten wie „historisch“ besser sparsam umgehen, doch es gibt diese Momente, an denen
man weiß: Hier wird gerade Geschichte gemacht . Und
das hier ist ein solcher Moment .
({0})
Er ist zuerst historisch für uns, für unsere Gesellschaft
und für ihre Werte, denen wir heute weiterhin Kraft verleihen: für die Menschenwürde, für die freie Entfaltung
der Persönlichkeit, vor allem für die Gleichheit aller
Menschen vor dem Gesetz . Darüber - und nicht über weniger - stimmen wir heute ab, meine Damen und Herren .
({1})
Er ist sodann historisch für Lesben und Schwule, die
das Unwort „verpartnern“ endlich aus dem Wortschatz
streichen können . „Ja, ich will“ reicht . Es ist genug Ehe
für alle da, meine Damen und Herren .
({2})
Er ist historisch für die Zivilgesellschaft und deren
politischer Kampf für gleiche Rechte . Nach mehr als
25 Jahren, unzähligen CSDs, Initiativen und Aktionen
freue ich mich, dass es heute hoffentlich seinen hochverdienten Höhepunkt findet, meine Damen und Herren.
Es geht um etwas Simples, um etwas Einfaches: Es
geht um die Ehe . Aber es geht eben auch darum, wie wir
in unserem Land zusammenleben . Die Ehe, heißt es ja,
sei konservativ . Deswegen verstehe ich so wenig, warum
dann Konservative so sehr dagegen sind . Nein, es wird
niemandem etwas genommen . Vertrauen, Verbindlichkeit, Verlässlichkeit: Darum geht es, und zwar für alle .
Nehmen Sie doch Ihr Gewissen in die Hand, und freuen
Sie sich .
({3})
Freuen Sie sich auch, dass Paare Kinder adoptieren wollen; denn es ist großartig, mit Kindern zusammenzuleben, und zwar verbindlich und ohne Unterschied zu anderen Partnern mit Kindern . Auch darum geht es heute .
({4})
Der Weg war lang: 1992 die „Aktion Standesamt“ 250 homosexuelle Paare hatten das Aufgebot bestellt, sie
könnten heute schon Silberhochzeit feiern -, 1994 der
Roth-Report im Europäischen Parlament zur Gleichberechtigung . Danke, Claudia Roth .
({5})
Im gleichen Jahr: der erste grüne Gesetzentwurf im Bundestag . 1999 folgte die Hamburger Ehe, von Krista Sager
durchgesetzt, die sich damals wie eine Schwiegermutter
fühlte . Oder 2001: das Dauerprovisorium „eingetragene
Lebenspartnerschaft“, hart erkämpft . Auch in der damaligen Koalition waren nicht alle Fans dieses Instituts . Vorkämpferin damals: Renate Künast .
Dass sich dann einige von den unionsregierten Ländern dazu entschieden haben, dass die eingetragene Lebenspartnerschaft nur in Kfz-Meldestellen geschlossen
werden konnte, zeigt mir jedenfalls, dass man ziemlich
ideologisch sein kann, auch wenn es um die Liebe geht .
Gut, dass so etwas inzwischen nicht mehr gängige Praxis
ist .
({6})
Seitdem gab es Anträge und Gesetzentwürfe von uns
und anderen, gab es Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts . 80 Prozent der Menschen in diesem Land
und übrigens 70 Prozent der Unionswählerinnen und
Unionswähler befürworten die Ehe für alle . Herr Kauder,
da müssten doch eigentlich selbst Sie schwach werden .
Drei Gesetzentwürfe in dieser Legislatur, darunter jener
vom Bundesrat, stammen aus Rheinland-Pfalz von der
grünen Ministerin Irene Alt .
Die Erfolge auf diesem Weg haben wir vielen Menschen zu verdanken . Mein Dank und meine Anerkennung
gelten heute einem, der sich schwer selber loben kann .
Deshalb stehe ich hier . Unermüdlich, beharrlich, unbeirrbar: Lieber Volker Beck, du hast deine Gegner und deine
Freunde gleichermaßen genervt .
Frau Kollegin .
Es ist dein Lebenswerk . Du bist kein Lobbyvertreter . Du bist Bürgerrechtler . Darauf sind wir Grüne stolz .
Danke, Volker Beck .
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren, die Argumente sind
ausgetauscht . Wir haben lange diskutiert . Lassen Sie
uns Geschichte schreiben in einer Sache, die nur wenige
Menschen konkret betrifft, aber dennoch uns alle, einer
Sache, die unser Land gerechter und unseren Rechtsstaat
stärker macht .
Vielen Dank .
({1})
Eva Högl ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion .
({0})
Einen schönen guten Morgen, Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Endlich, endlich stimmen wir heute über
das Recht auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts ab .
({0})
Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich in dieser Legislaturperiode für genau diese Abstimmung eingesetzt, und
deswegen ist es gut, dass wir heute die Möglichkeit haben, eine Entscheidung zu treffen .
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in unserer Gesellschaft gibt es vielfältige Formen des Zusammenlebens .
Das ist Realität, und ja, das ist Normalität . Menschen leben mit Kindern und ohne Kinder zusammen . Sie haben
einen Trauschein oder haben keinen . Sie nennen es Ehe
oder eingetragene Partnerschaft . Das ist Ausdruck der
freien Entfaltung der Persönlichkeit und der Menschenwürde . Eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des
Bundes besagt, dass 82 Prozent der Befragten eine Ehe
für alle befürworten .
({2})
Wenn sich die Gesellschaft wandelt - das sage ich in
Richtung der Union -, dann müssen wir als Gesetzgeber
handeln . Dann müssen wir reagieren und dürfen das nicht
ignorieren .
({3})
Wenn Menschen sich lieben, wenn sie ihr Leben teilen, wenn sie füreinander sorgen, wenn sie vielleicht Kinder großziehen oder auch nicht, wenn sie sich entscheiden, diese Verbindung auf Lebenszeit einzugehen, dann
nennen wir das Ehe . Darum steht diese Verbindung unter
dem besonderen Schutz des Staates . Es ist eine nicht zu
rechtfertigende Diskriminierung, wenn wir hierbei nach
dem Geschlecht unterscheiden .
({4})
Was nach Artikel 6 unseres Grundgesetzes unter der
Ehe zu verstehen ist, das ist nicht auf Ewigkeit festgeschrieben . Es wandelt sich, und das wissen wir auch alle,
wenn wir daran zurückdenken, wie die Ehe in den letzten Jahrzehnten verstanden wurde . Deshalb brauchen wir
auch keine Änderung des Artikels 6 unseres Grundgesetzes, Herr Kollege Kauder, sondern wir können das ohne
eine Änderung des Grundgesetzes heute so beschließen .
({5})
Wenn wir diese Grundgesetzänderung brauchten, dann
hätten wir das in den letzten dreieinhalb Jahren längst
machen können; denn dazu wären wir als SPD-Bundestagsfraktion bereit gewesen .
({6})
Wir gehen heute als Gesetzgeber den letzten entscheidenden Schritt . Denn das Bundesverfassungsgericht hat
die Ehe schon dem Wandel in der Gesellschaft angepasst
und durch seine Rechtsprechung sukzessive in ihrer Bedeutung verändert .
Jetzt ist es an uns, dem Gesetzgeber, den letzten
Schritt zu gehen, und das ist keine Frage des Geschmacks
oder des Bauchgefühls, liebe Kolleginnen und Kollegen,
sondern es ist eine Frage der Gerechtigkeit und der Menschenwürde . Deswegen sagen wir heute Ja zur Ehe für
alle .
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Harald Petzold für die
Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste auf der Besuchertribüne! Auch für mich
schließt sich heute hier ein Kreis . Ich habe meine erste Rede im Deutschen Bundestag zur Einführung des
Rechts auf Eheschließung für Menschen gleichen Geschlechts halten dürfen, und wir beschließen nun heute
an seinem letzten regulären Sitzungstag dieser Legislaturperiode endlich die Einführung dieses Rechts .
Ich bin meiner Fraktion sehr dankbar, dass sie ihre erste Gesetzesinitiative diesem wichtigen Thema gewidmet
hat . Unsere Fraktion hat sie eingebracht, und ich danke
ihr auch dafür, dass sie mir dieses wichtige Projekt anvertraut hat . Ich danke auch all jenen, die uns innerhalb und
außerhalb des Parlaments unterstützt haben, insbesondere auch den Abgeordneten, die nicht mehr Mitglied des
Deutschen Bundestages sind, beispielsweise meiner Vorgängerkollegin Dr . Barbara Höll, die ich auf der Besuchertribüne ganz herzlich begrüße, und Christian Schenk
aus unserer Fraktion,
({0})
aber auch all denjenigen, die hier im Hause, beispielsweise in der überfraktionellen Abgeordnetengruppe, mit
dafür gesorgt haben, dass wir den heutigen Moment erleben und den Gesetzentwurf gemeinsam beschließen
können .
({1})
Ich bin auch froh, dass wir dann ab heute die Ressourcen haben und auch den Kopf dafür frei haben, uns auch
weiteren wichtigen Fragen auf diesem Gebiet widmen
zu können, dass wir endlich eine Reform des Transsexuellengesetzes und die Förderung von Regenbogenfamilien anpacken und einen nationalen Aktionsplan gegen
Homo- und Transphobie auf den Weg bringen können .
All das werden wir ab morgen in Angriff nehmen können .
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, auch
wir hätten uns ein anderes Zustandekommen dieses Gesetzes gewünscht . Insofern verstehe ich Ihren Ärger . Ich
respektiere Ihre Position, auch wenn ich sie nicht verstehe . Ich kann Ihnen sagen: Fürchtet euch nicht! Auch morgen wird sich die Welt genauso weiterdrehen wie heute .
({3})
Es wird nicht eine heterosexuelle Ehe weniger geben .
Die erste nächste Eheschließung, an der ich als Gast teilnehmen werde, wird die zwischen meiner Freundin Juliane Lorenz und meinem Kumpel Thomas Wehling sein,
also eine Heteroehe .
({4})
Es wird also niemandem etwas weggenommen . Niemand muss, alle dürfen . Es wird lediglich ein paar glückliche Menschen mehr geben .
Vielen Dank .
({5})
Das Wort erhält nun die Kollegin Erika Steinbach .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Grundgesetz stellt in Art . 6 Abs . 1 Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen
Ordnung . … Die Ehe als allein der Verbindung zwischen Mann und Frau vorbehaltenes Institut erfährt
durch Art . 6 Abs . 1 einen eigenständigen verfassungsrechtlichen Schutz .
({0})
So das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 19 . Juni
2012 .
Der heute in einer Art Sturzgeburt zur Abstimmung
stehende Gesetzentwurf,
({1})
die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen, steht
diesem Urteil diametral entgegen . Eine solche Debatte
aus dem Handgelenk, das haben unser Grundgesetz und
auch das Thema nicht verdient - in 38 Minuten heute .
Insofern kann ich natürlich den Fraktionsvorsitzenden
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gut verstehen, wenn
er sich über diese erzwungene Abstimmung empört . Allerdings zielt Volker Kauder mit seiner Kritik an der SPD
auf den falschen Adressaten . Es war die Bundeskanzlerin - und nicht die SPD-Fraktion -,
({2})
die mit ihrer wohlkalkulierten Einlassung, dass dies allein eine Frage des Gewissens sei, die Türen für die heutige überstürzte Entscheidung sperrangelweit geöffnet
hat und sich auch noch als quasi neue Fraktionsvorsitzende der Unionsfraktion dazu hat hinreißen lassen, generös
die Abstimmung freizugeben, zudem auch noch entgegen
dem eigenen, nach wie vor gültigen Grundsatzprogramm
der CDU; denn darin steht zu lesen:
Die Ehe ist unser Leitbild der Gemeinschaft von
Mann und Frau . … Deshalb steht die Ehe unter dem
besonderen Schutz unseres Grundgesetzes .
Daran sehe ich: Beschlüsse der CDU sind offenkundig
nicht das Papier wert, auf dem sie stehen .
Insgesamt ist der heutige Vorgang an Peinlichkeit
kaum zu überbieten .
({3})
Unberechenbarkeit und Beliebigkeit erschüttern die
Grundfesten unserer Demokratie . Ich werde diesen Gesetzentwurf ablehnen, weil er dem Grundgesetz und auch
meiner persönlichen Überzeugung widerspricht .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach 27 Jahren im
Deutschen Bundestag ist das heute meine letzte Rede .
({4})
Es waren intensive Jahre - danke für den Beifall -, die
ich nicht missen möchte, insbesondere meine erste Legislaturperiode im auch erstmals gesamtdeutschen Bundestag mit Bundeskanzler Helmut Kohl . Das war eine
singuläre historische Lebenserfahrung . Ich bedanke mich
bei allen Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen des
Hauses für eine konstruktive, teils harmonische, teils
kontroverse, zumeist respektvolle Zusammenarbeit . Vom
neuen Bundestag erhoffe ich, dass er seine Kontrollfunktion gegenüber der Bundesregierung verantwortungsvoller wahrnimmt, als es in den letzten Jahren geschehen ist .
Wir haben keine Kanzlerdemokratie . Wir haben eine parlamentarische Demokratie, und unsere parlamentarische
Demokratie bedarf dringend der Wachsamkeit .
Danke schön .
Frau Kollegin, ich möchte eine Bemerkung in Ihrer
Rede zum Anlass für eine Klarstellung nehmen . Nach
unserer Verfassung entscheidet jeder einzelne Abgeordnete
({0})
- Sie haben gleich nicht noch einmal das Wort; ich habe
jetzt nicht die Absicht, mit Ihnen eine Debatte zu führen -,
({1})
wie er sich zu welchem beliebigen Tagesordnungspunkt
auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages verhält . Dazu bedarf es keiner Freigabe, weder durch Fraktionen noch durch Parteien .
({2})
Auch für die vielstrapazierte Frage, was denn eine Gewissensentscheidung sei, gibt es eine einzige zuständige Instanz: Das ist der jeweils einzelne Abgeordnete . Es
wäre schön, wenn das für die Zukunft unmissverständlich deutlich bliebe .
({3})
Jan-Marco Luczak ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion .
({4})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Tribünen! Mit dem
heutigen Tag findet eine Debatte ihren Schlusspunkt, in
der höchst kontrovers gestritten, in der leidenschaftlich
gerungen wurde und in der die Emotionen das eine oder
andere Mal auch wirklich hochgingen, auch und gerade
in meiner eigenen Partei .
Ich fand dabei immer wichtig - das ist heute schon
betont worden -, dass wir die Meinungsunterschiede hart
in der Sache, aber immer mit gegenseitigem Respekt
für die Sichtweise des jeweils anderen ausgetragen haben . Nicht jeder, der heute nicht für die Öffnung der Ehe
stimmt, ist damit gleich homophob . Deswegen wünsche
ich mir, dass wir nicht herausgehen und schauen, wer
heute wie abgestimmt hat, um es uns dann gegenseitig
im Wahlkampf vorzuwerfen . Bei der Gleichstellung geht
es vielmehr um Toleranz und Respekt. Ich finde, wir alle
sollten sie auch denjenigen gewähren, die nicht unserer
Meinung sind .
({0})
Richtig ist: Die Debatte hat lange gedauert - sehr lange . Aber vielleicht hat die Länge dieser Debatte auch etwas Gutes; denn manche gesellschaftliche Veränderung
benötigt Zeit, wenn sie akzeptiert werden soll . Das zeigt
zum Beispiel ein Blick nach Spanien, das zeigt ein Blick
nach Frankreich, wo die Gleichstellung mit knappen
Mehrheiten, aber dafür sehr schnell umgesetzt wurde .
Manche Menschen haben sich dadurch überfordert
gefühlt . Sie sind zu Millionen auf die Straße gegangen
und haben dagegen demonstriert . Das ist in Deutschland
glücklicherweise nicht der Fall . Heute sagen uns Umfragen, dass 82 Prozent der Menschen für die Öffnung der
Ehe für gleichgeschlechtliche Paare sind . Deswegen sage
ich: Der Zeitpunkt für die Öffnung der Ehe ist heute da .
({1})
Ich habe in der ganzen Zeit manchmal das Gefühl gehabt, dass aus dem Blick geraten ist, worum es bei der
Ehe im Kern geht . Für mich ist die Ehe der wunderbare Liebesbeweis von zwei Menschen, die in guten und
schlechten Zeiten füreinander einstehen wollen - bis dass
der Tod sie scheidet . Zwei Menschen sind bereit, Verantwortung füreinander zu übernehmen . Es geht um Treue;
es geht um Beständigkeit; es geht um Verlässlichkeit . All
dies sind zutiefst konservative Werte, die Anerkennung,
die Respekt verdienen .
({2})
Ich kann nicht erkennen, wieso das Geschlecht hierbei
einen Unterschied machen soll .
({3})
Ich bin für die Öffnung der Ehe, aber nicht, obwohl ich
Christdemokrat bin, sondern gerade weil ich Christdemokrat bin: Es geht um konservative, bürgerliche Werte .
({4})
Wenn nun demgegenüber argumentiert wird, gleichgeschlechtliche Ehen seien ein Angriff auf Familien, so
möchte ich entgegnen: Es wird nicht ein einziges Kind
weniger geboren und es wird nicht eine einzige Ehe zwischen Heterosexuellen weniger geschlossen, nur weil es
zukünftig auch Schwulen und Lesben erlaubt ist, zu heiraten . Den einen wird nichts genommen, nur weil den
anderen etwas ermöglicht wird .
({5})
Genau so sieht es auch die Evangelische Kirche in
Deutschland . Sie hat gerade noch einmal betont:
Die Bedeutung der Ehe zwischen Mann und Frau
wird dadurch keineswegs geschmälert . Im Gegenteil - sie wird noch einmal unterstrichen .
Ich finde das richtig. Es wäre doch absurd, die Ehe
dadurch schützen zu wollen, dass man Menschen ausschließt, zu heiraten . Das passt doch nicht zusammen .
({6})
Nun stellt sich natürlich die Frage: Brauchen wir
dazu eine Änderung unserer Verfassung? Ich persönlich
glaube, das ist nicht der Fall . Wenn wir uns den verfassungsrechtlichen Ehebegriff in Artikel 6 Absatz 1 unseres Grundgesetzes anschauen, und zwar in der Diktion
der Rechtsprechung unseres Bundesverfassungsgerichts,
dann stellen wir fest, dass dieser Begriff offen ist . Er
muss in den zeitgeschichtlichen Kontext eingebettet werden . Er muss mit Blick auf einfachgesetzliche Regelungen und mit Blick auf die gesellschaftlichen Anschauungen interpretiert werden .
Das Verständnis der Ehe, meine Damen und Herren,
hat sich in den letzten Jahren fundamental gewandelt .
Früher durfte es keine Ehe zwischen Adligen und Bürgerlichen geben . Früher durfte es auch keine Ehe zwischen Katholiken und Protestanten geben . Früher konnte
der Ehemann seiner Ehefrau das Arbeitsverhältnis kündigen, ohne diese zu fragen .
Heute haben wir das Lebenspartnerschaftsgesetz eingeführt . Heute sind diskriminierende Regelungen abgeschafft worden . Heute sind gleichgeschlechtliche Paare
selbstverständlicher Teil unserer gesellschaftlichen Realität . Und heute wird auch sprachlich nicht mehr differenziert, ob jemand verpartnert oder verheiratet ist .
Deswegen glaube ich, dass die Politik an diesen Veränderungen nicht vorbeigehen kann . Ich glaube: Auch
die Auslegung unserer Verfassung kann daran nicht vorbeigehen, meine Damen und Herren .
({7})
Deshalb möchte ich zum Schluss betonen: Wenn wir
heute die Öffnung der Ehe beschließen, setzen wir damit
ein Stück bürgerliche und konservative Politik um . Deswegen sage ich auch insbesondere an meine eigene Fraktion gerichtet, gerichtet an diejenigen, die noch mit sich
ringen, die noch Zweifel haben, wie sie heute abstimmen
wollen: Gebt euch einen Ruck!
({8})
Wir sind schon immer diejenigen gewesen, die neue
Entwicklungen mit tradierten Werten zusammenbringen .
Ich bin überzeugt: Wir können heute nicht nur für die
Gesellschaft, sondern auch für die Unionsparteien ein
wichtiges Zeichen für eine moderne, für eine tolerante,
aber eben auch für eine im besten Sinne wertkonservative Politik setzen .
Und deswegen werbe ich dafür, dass möglichst viele
von euch heute bei dieser Abstimmung ein klares Ja zur
Ehe sagen .
Vielen Dank .
({9})
Volker Beck erhält nun das Wort für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende
Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen .
Dulden heißt beleidigen .
So spricht Goethe .
Schwule und Lesben sind Menschen mit gleicher
Würde und gleichen Rechten wie Heterosexuelle . Daraus folgt: Das Eheverbot für gleichgeschlechtliche Partner muss fallen . Die Ehe für alle muss kommen . Denn
alles andere als Gleichberechtigung ist Diskriminierung .
({0})
Wenn der Bundestag heute die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare öffnet, ist das ein historischer Tag für
unsere Minderheit . Es ist ein Beitrag zu Einigkeit und
Recht und Freiheit für unser Land . Die Verheißungen unserer Verfassung und unserer Hymne werden dann endlich auch für Lesben und Schwule wahr .
({1})
Die Phase der Toleranz ist beendet; die Epoche der Akzeptanz kann heute beginnen .
({2})
Das Ja zur Ehe für alle nimmt niemandem etwas weg,
es beendet lediglich die Diskriminierung der Lesben und
Schwulen .
Ich appelliere an die Konservativen hier im Saal - ich
spreche da keine Partei an, sondern eine Wertehaltung -:
Konservativ sein heißt, im zu Bewahrenden das Bewahrenswerte zu erkennen und zu erhalten . Und was ist an
der Ehe bewahrenswert? Die Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft zweier Menschen, aber nicht die
Diskriminierung von Homosexuellen .
({3})
Heute ist ein großer Tag für Schwule und Lesben . Ich
danke allen, die sich hierfür in den letzten drei Jahrzehnten in der LGTB-Community engagiert haben, insbesondere Eddi Stapel, Manfred Bruns, Günter Dworek vom
LSVD, und die diesen Tag möglich gemacht haben .
Nein, Herr Beck, das geht jetzt nicht .
Und ich danke dem Bundesrat, stellvertretend
Winfried Kretschmann, aber auch Irene Alt, die uns die
Vorlage für diesen Tag hier heute geliefert haben .
({0})
Meine Damen und Herren, lassen Sie heute die Parteipolitik beiseite,
({1})
lassen Sie uns die Lesben und Schwulen und ihre Rechte
in den Mittelpunkt stellen .
Vielen Dank .
({2})
Johannes Kahrs ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Für Lesben und Schwule ist heute ein großer
Tag . Es hat lange genug gedauert . Ich möchte insbesondere denjenigen danken, die in den 50er-, 60er- und
70er-Jahren noch unter Androhung von Haft für die
Rechte von Lesben und Schwulen in diesem Land gekämpft haben . Einige davon sind heute hier . Noch einmal
herzlichen Dank!
({0})
Wir haben hier viele Debatten geführt . Wir haben lange diskutiert . Ich möchte mich noch einmal ganz herzlich bedanken bei Volker Beck, Michael Kauch - er sitzt
oben auf der Tribüne -, Stefan Kaufmann, Karl-Heinz
Brunner, aber auch den Schwusos bzw . der SPDqueer
und ihrer Bundesvorsitzenden Petra Nowacki, die ebenfalls heute anwesend sind . So etwas wie heute schafft
man nur gemeinsam .
({1})
Ich muss allerdings auch sagen, dass heute der letzte
Moment war . Wir haben hier Legislaturperiode für Legislaturperiode diskutiert, und immer war es die CDU/
CSU, die in jeder Frage die Gleichstellung von Lesben
und Schwulen blockiert hat, trotz aller gegenteiligen Reden heute .
({2})
Einige Kommentatoren loben Frau Merkel und sagen, dass es eine große strategische Glanzleistung war .
Ehrlich gesagt, das war es nicht . Frau Merkel, ich kann es
Ihnen nicht ersparen: Es war erbärmlich . Es war peinlich .
Seit 2005 haben Sie die Diskriminierung von Lesben und
Schwulen unterstützt
({3})
und haben nichts dafür getan, dass es zu einer Gleichstellung kommt . Sie haben sich hier verstolpert . Das war Ihr
Schabowski-Moment .
({4})
Sie haben ernsthaft gesagt, dass erst die Abgeordneten
der nächsten Legislaturperiode ein Gewissen haben dürVolker Beck ({5})
fen . Aber in dieser Legislaturperiode hätten wir mit unserem Gewissen hier und heute nicht abstimmen dürfen,
und deswegen, wirklich deswegen ist es wichtig, dass
wir heute für die Öffnung der Ehe stimmen . Das ganze
Verschwurbeln steht mir bis hier . Wir haben die Gleichstellung verdient . Ich glaube, dass die Öffnung der Ehe
dazugehört .
({6})
Ich bedanke mich noch einmal bei allen, die auf den
CSDs, an Infoständen und in Diskussionen dafür gearbeitet haben . Ich habe in den Koalitionsverhandlungen
immer wieder erlebt, dass die Union blockiert hat, genauso wie noch in den letzten Tagen im Rechtsausschuss und
im Innenausschuss . Heute wollten Sie diesen Tagesordnungspunkt gar nicht aufsetzen . Das ist erbärmlich . Das
ist peinlich . Ehrlicherweise, Frau Merkel: Vielen Dank
für nichts!
({7})
Gerda Hasselfeldt ist die nächste Rednerin für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
will versuchen, den Ton der Debatte wieder auf ein Niveau zu führen, das der Bedeutung des Themas angemessen ist .
({0})
Für mich ist unbestritten: Die Entscheidung von zwei
Menschen, eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft
einzugehen, verdient Anerkennung und Toleranz und
braucht auch eine rechtliche Absicherung . Diese rechtliche Absicherung haben wir vor vielen Jahren dieser Gemeinschaft mit der eingetragenen Lebenspartnerschaft
gegeben .
({1})
Ich betone: Die eingetragene Lebenspartnerschaft ist
nicht weniger und nicht mehr wert als die Ehe . Sie ist
gleichwertig, aber sie ist nicht identisch . Ehe und Lebenspartnerschaft sind unterschiedlich .
({2})
In der Ehe geht es nicht nur um das Füreinandereinstehen, was natürlich auch in der Lebenspartnerschaft
gelebt wird - das bestreitet niemand, und das ist wesentlich für beide -; die Ehe ist auch die Grundlage für die
Familie . Sie ist und bleibt nach meinem Dafürhalten ich sage bewusst: meine Einschätzung - die Grundlage
dafür, dass unsere Gesellschaft auch weiterhin besteht .
Es ist eine Gemeinschaft von Mann und Frau, aus der
auch die Kinder geboren werden und die Zukunft unserer
Gesellschaft gesichert wird .
({3})
Damit ist sie die Keimzelle unserer Gesellschaft und die
Grundlage auch für die Ordnung unseres Staates .
({4})
Dies ist der Grund dafür, dass Ehe und Familie durch
das Grundgesetz unter den Schutz des Staates, der staatlichen Ordnung gestellt werden, und dies ist auch der
Grund dafür, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung
Ehe als Gemeinschaft von Frau und Mann definiert.
Das ist die rechtliche Position . Liebe Kolleginnen und
Kollegen, bei aller verständlichen Emotionalität sollten
wir das, was unseren Staat ausmacht, was unser Zusammenleben ausmacht, was unsere rechtliche Ordnung
ausmacht, nicht einfach auf die Seite schieben, und wir
sollten nicht so tun, als wäre damit Diskriminierung verbunden . Im Gegenteil: Die Achtung, die Toleranz, die
rechtliche Absicherung sind gegeben . Aber Ungleiches
ist nun einmal nicht gleich .
({5})
Ich wundere mich etwas darüber, dass die Frage der
Verfassungsmäßigkeit so einfach abgetan wird: Das spiele keine Rolle, und das müsse man jetzt anders sehen .
Tatsache ist - Volker Kauder hat darauf hingewiesen -,
dass es gar nicht so lange her ist, dass aus dem Bundesjustizministerium die klare Ansage kam: Zu einer Änderung, wie Sie sie heute beschließen wollen, ist eine
Grundgesetzänderung notwendig . - Heute klingt das anders . Ich sage mal aus meiner Sicht, ehrlich gesagt: Mit
Glaubwürdigkeit, mit Ernsthaftigkeit, auch mit meinem
Verständnis von Rechtsstaatlichkeit hat das nichts zu tun .
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in unserer Fraktion,
auch bei mir in der Landesgruppe, sind die Meinungen
naturgemäß unterschiedlich . Für mich ist diese Entscheidung eine wirklich höchstpersönliche Entscheidung . Ich
respektiere die Entscheidung jedes Einzelnen, sowohl in
meiner Landesgruppe als auch in der Fraktion sowie in
diesem Hause und in der Bevölkerung .
({7})
Ich würde mir wünschen, dass dieser Respekt aber auch
jenen zuteilwird, die heute diesem Gesetzentwurf nicht
zustimmen, aus guten Gründen, dass wir uns gegenseitig
anhören, aber dann individuell so entscheiden, wie wir es
mit unserer Meinung, mit unserem Gewissen, mit unserem Verständnis vereinbaren können .
({8})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Karl-Heinz Brunner für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen
und Kollegen! Viele von uns kennen das wunderbare Lied What a Wonderful Day - Was für ein schöner
Tag! - Was für ein schöner Tag, politisch zu arbeiten und
Politik Wirklichkeit werden zu lassen! Was für ein Gefühl, wenn eine jahrzehntelange Debatte zu ihrem Ende
kommt - zum Wohle der Menschen! Wer könnte dies
besser verkörpern als Patrick Pronk, der dort oben auf
der Zuschauertribüne sitzt . Er hatte im Jahre 2013 in der
ARD-Wahlarena der Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion die Frage gestellt, warum er seinen Partner nicht
ehelichen, sondern mit ihm nur in Lebenspartnerschaft
leben könne .
({0})
Wie schön, dass die Ehe für alle, dieses Grundrecht, in
diesem Land ohne Gerichtsentscheidung möglich wird,
aus der Mitte der Gesellschaft heraus, politisch gewollt
umgesetzt, unterstützt von weit mehr als 80 Prozent der
Bevölkerung, einer tollen starken Community, vielen
Unterstützerinnen und Unterstützern über alle Parteigrenzen hinweg . Heute geht es um ein Gesetz, das zu
mehr Freudentränen, Rührung, Erleichterung, Freude
und Glück führen wird als jedes, das zumindest ich in
den letzten vier Jahren hier im Deutschen Bundestag erleben konnte . Am Ende dieses Morgens wird niemandem
etwas genommen, niemand wird seiner Rechte beraubt,
niemand wird ärmer, nein, wir in Deutschland werden
reicher . Wir werden heute Geschichte geschrieben haben
und dieses Land ein Stück reicher gemacht haben .
({1})
Denn Liebe und Verstand drängen heute endlich zu ihrem
Recht .
Das ist ein Erfolg, eine Freude für die Lesben und
Schwulen in diesem Land, aber auch für unsere Demokratie, für unser tolerantes, für unser buntes Deutschland
und nicht zuletzt auch für dieses Hohe Haus . What a
wonderful day!
({2})
Bitte stimmen Sie, meine Kolleginnen und Kollegen,
heute dem Gesetzentwurf des Bundesrates zu, damit den
Schwulen und Lesben, den Lesben und Schwulen, den
Männern und Frauen, den Menschen in unserem Land
Gerechtigkeit widerfährt, damit die rechtliche Diskriminierung von Lesben und Schwulen in Deutschland endgültig ein Ende findet.
Vielen Dank .
({3})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen nun zur Abstimmung über den vom
Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Einführung
des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Ge-
schlechts .
Dazu liegen mir etwa 80 persönliche Erklärungen zur
Abstimmung vor, die wir wie immer dem Protokoll bei-
fügen .1)
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12989, den Gesetzentwurf des Bundesra-
tes auf Drucksache 18/6665 anzunehmen . Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Das Erste war zweifellos die Mehrheit . Damit ist
der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen .
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Wir stimmen über den Gesetz-
entwurf des Bundesrates auf Verlangen der Fraktionen
SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen namentlich
ab . Ich darf die Schriftführerinnen und Schriftführer bit-
ten, die vorgesehenen Plätze einzunehmen . - Sind alle
Abstimmungsurnen jeweils mit zwei Schriftführerinnen
und Schriftführern besetzt? - Das scheint der Fall zu
sein . Dann eröffne ich die Abstimmung .
Ist noch jemand im Saal anwesend, der seine Stimm-
karte nicht abgegeben hat? - Das ist offensichtlich nicht
der Fall . Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen . Wir geben das Ergebnis der namentlichen
Abstimmung später bekannt .2)
Es wäre schön, wenn diejenigen, die auch am nächsten
Tagesordnungspunkt mitwirken wollen, sich auf einen
der wenigen freien Plätze setzen würden .
Ich rufe die Zusatzpunkte 12 a und 12 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung
der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken ({0})
Drucksache 18/12356
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken
({1})
Drucksache 18/12727
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({2})
Drucksache 18/13013
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-
1) Anlagen 2 bis 4
2) Ergebnis Seite 25117A
cherschutz ({3}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Dr . Konstantin von Notz, Renate
Künast, Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Transparenz und Recht im Netz - Maßnahmen gegen Hasskommentare, „Fake News“
und Missbrauch von „Social Bots“
Drucksachen 18/11856, 18/13013
Auch hier soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung die Aussprache 38 Minuten dauern . - Ich sehe dazu
keinen Widerspruch, also verfahren wir so .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesjustizminister Heiko Maas .
({4})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Seit nunmehr zwei Jahren findet
in Deutschland eine außerordentlich intensiv und auch
eine außerordentlich kontrovers geführte Debatte darüber statt, wie wir der Hasskriminalität im Netz begegnen können . Es ist eine schwierige Debatte, es ist eine
wichtige Debatte, aber es ist eine Debatte, die wir führen
müssen; denn das Schlechteste, was wir tun können, ist,
nichts zu tun angesichts dessen, was sich dort zurzeit abspielt .
({0})
Wie groß das Problem ist, zeigt die aktuelle Statistik
des Bundeskriminalamtes . In den letzten beiden Jahren
ist die Hasskriminalität in Deutschland um über 300 Prozent gestiegen .
Deshalb geht es heute nicht nur um ein bisschen Regulierung und ein paar neue Compliance-Vorschriften .
Es geht um eine Grundsatzentscheidung für das digitale
Zeitalter . Damit das Internet nicht länger ein rechtsfreier
Raum bleibt,
({1})
müssen wir Recht und Gesetz endlich auch im Netz
durchsetzen .
({2})
Meine Damen und Herren, ja, die Grundwerte, die
hier auf dem Spiel stehen, sind keine geringeren als Freiheit und Gleichheit . Die Meinungsfreiheit ist ein hohes
Gut . In einer offenen Gesellschaft, in einer Demokratie
sind Streit und Debatte völlig unverzichtbar . Zur Meinungsfreiheit gehören auch hässliche Äußerungen . Das
muss in einem freien Land jeder ertragen können . Aber
die Meinungsfreiheit endet da, wo das Strafrecht beginnt .
Deshalb ist die Einhaltung von Recht und Gesetz kein
Angriff auf die Meinungsfreiheit, sondern die Garantie
der Meinungsfreiheit . Genau darum geht es in diesem
Gesetz .
Ich frage deshalb: Wo bleibt diese Freiheit, wenn Andersdenkende im Netz ohne Konsequenzen beleidigt,
bedroht oder mit Mordaufrufen attackiert werden? Mit
kriminellen Hasspostings sollen Andersdenkende eingeschüchtert und mundtot gemacht werden . Solche Hasspostings sind die wahren Angriffe auf die Meinungsfreiheit .
Mit diesem Gesetz beenden wir das verbale Faustrecht
im Netz und schützen die Meinungsfreiheit aller, die im
Netz unterwegs sind und sich dort auch äußern wollen .
({3})
Wir stellen sicher, dass jeder seine Meinung äußern kann,
ohne deswegen beleidigt und bedroht zu werden . Das ist
keine Einschränkung, sondern es ist eine Voraussetzung
für die Ausübung der Meinungsfreiheit .
Der zweite Grundwert, der hier auf dem Spiel steht,
ist die Gleichheit . „Alle Menschen sind vor dem Gesetz
gleich“, so steht es im Grundgesetz . Aber die Realität sah
gerade in diesem Punkt etwas anders aus . Jeder Journalist, der eine Zeitung macht, jeder Verleger, der ein Buch
herausgibt, jeder Mensch, der sich auf dem Marktplatz
auf eine Holzkiste stellt und eine Rede hält, muss sich
an unsere Gesetze und auch an das Strafrecht halten . Ich
sehe keinen Grund, warum das gleiche Recht nicht auch
für die großen Internetkonzerne gelten sollte . Niemand
steht über dem Gesetz, auch nicht Facebook und Twitter .
({4})
Meine Damen und Herren, Facebook hat allein in
Deutschland rund 30 Millionen Nutzer . Weltweit hat es
allein im ersten Quartal des Jahres einen Rekordgewinn
von 3 Milliarden Euro gemacht . Diese Zahlen zeigen,
dass es hier noch um einen dritten Grundwert unseres
Zusammenlebens geht . Auch dieser steht im Grundgesetz, nämlich „Eigentum verpflichtet“. Die Erfahrung
hat gezeigt: Ohne politischen Druck werden die großen
Plattformbetreiber ihre Verpflichtungen nicht erfüllen.
Wir haben es 14 Monate mit Gesprächen versucht . Deshalb ist es richtig, jetzt mit einem Gesetz tätig zu werden .
Die Beratungen im Ausschuss haben zu vielen und
sinnvollen Klarstellungen im Gesetz geführt . Das Ziel
bleibt aber völlig unverändert . Trotzdem - auch das sage
ich - werden wir mit diesem Gesetz nicht alle Probleme lösen können . Wir bleiben auch künftig gefordert: die
Plattformbetreiber, die Zivilgesellschaft und natürlich
auch und vor allem die Justiz . Und wir werden auch auf
europäischer Ebene für gemeinsame Lösungen streiten .
Wir werden weiter gegen die sprachliche Verrohung im
Netz streiten . Zum Schutz der Meinungsfreiheit müssen
wir verhindern, dass ein Klima der Angst und der Einschüchterung entsteht . Deshalb müssen strafbare Inhalte,
strafbarer Hass, künftig schneller aus dem Netz gelöscht
werden . Mit diesem Gesetz kommen wir dem einen ganz
wesentlichen Schritt näher .
Herzlichen Dank .
({5})
Präsident Dr. Norbert Lammert
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann Ihnen das
von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum vorherigen Tagesordnungspunkt - Entwurf eines Gesetzes zur
Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen
gleichen Geschlechts - mitteilen: abgegebene Stimmen
623 . Mit Ja haben gestimmt 393,
({0})
mit Nein haben gestimmt 226, 4 Kolleginnen und Kollegen haben sich der Stimme enthalten . Damit ist der Gesetzentwurf angenommen .
({1})
- Nein, nein, nein! Also, liebe Leute, mal unabhängig
davon, dass es nach unserem Reglement unzulässig ist:
Ich halte es auch für eine völlig unangemessene Reaktion
({2})
auf eine Debatte und auf ein Anliegen, bei dem ich es
besonders bedauerlich fände, wenn diejenigen, die sich
mit ihrem Anliegen heute durchgesetzt haben, dadurch in
den Verdacht der Albernheit gerieten .
({3})
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 623;
davon
ja: 393
nein: 226
enthalten: 4
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Peter Altmaier
Sybille Benning
Dr . Maria Böhmer
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Dr . Dr . h . c . Bernd Fabritius
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Thomas Gebhart
Cemile Giousouf
Klaus-Dieter Gröhler
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Matthias Hauer
Mechthild Heil
Mark Helfrich
Marion Marga Herdan
Dr . Heribert Hirte
Thorsten Hoffmann ({4})
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Bettina Hornhues
Anette Hübinger
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Jürgen Klimke
Rüdiger Kruse
Dr . Roy Kühne
Dr . Katja Leikert
Dr . Ursula von der Leyen
Dr . Jan-Marco Luczak
Andreas Mattfeldt
Jan Metzler
Dr . h . c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Carsten Müller ({5})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Dr . Martin Pätzold
Anita Schäfer ({6})
Nadine Schön ({7})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder ({8})
Uwe Schummer
Christina Schwarzer
Tino Sorge
Jens Spahn
Dr. Wolfgang Stefinger
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Dieter Stier
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Michael Vietz
Dr . Johann Wadephul
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({9})
Sabine Weiss ({10})
Karl-Georg Wellmann
Kai Whittaker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Tobias Zech
Dr . Matthias Zimmer
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({11})
Burkhard Blienert
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h . c . Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Dr . h . c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann ({12})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({13})
Gabriela Heinrich
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({14})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({15})
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({16})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({17})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({18})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({19})
Dr . Nina Scheer
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({20})
Matthias Schmidt ({21})
Dagmar Schmidt ({22})
Carsten Schneider ({23})
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz ({24})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff ({25})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . Gregor Gysi
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({26})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold ({27})
Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Dr . Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({28})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({29})
Volker Beck ({30})
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Stephan Kühn ({31})
Christian Kühn ({32})
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({33})
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms
Nein
CDU/CSU
Katrin Albsteiger
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens ({34})
Veronika Bellmann
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({35})
Axel E . Fischer ({36})
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr . Hans-Peter Friedrich
({37})
Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Frank Heinrich ({38})
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Margaret Horb
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Dr . Franz Josef Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Ronja Kemmer
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Bettina Kudla
Günter Lach
Dr . Dr . h . c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Antje Lezius
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Stephan Mayer ({39})
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Dr . Angela Merkel
Maria Michalk
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Stefan Müller ({40})
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({41})
Gabriele Schmidt ({42})
Patrick Schnieder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Armin Schuster ({43})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Albert Stegemann
Christian Frhr . von Stetten
Rita Stockhofe
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Thomas Viesehon
Volkmar Vogel ({44})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({45})
Ingo Wellenreuther
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({46})
Klaus-Peter Willsch
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Fraktionslos
Enthalten
CDU/CSU
Uda Heller
Dr . Silke Launert
HonD Albert Weiler
Elisabeth WinkelmeierBecker
Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Sitte für die
Fraktion Die Linke .
({47})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was lange währt, wird endlich gut - passt doch -, was weniger
lange währt, wohl eher nicht . So jedenfalls könnte man
es durchaus für das Netzwerkdurchsetzungsgesetz sagen . Es ist schon auffällig, dass heute einige Themen auf
der Tagesordnung sind, die seit vielen Jahren hoch und
runter diskutiert werden - wie eben die Ehe für alle, das
Wissenschaftsurheberrecht, die Störerhaftung . Und doch
wollen einige am liebsten die ganze Diskussion jeweils
wieder von vorne aufrollen .
Auf der anderen Seite kann es hier, beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz, einem vor wenigen Monaten überhaupt erst in die Diskussion gekommenen, völlig neuartigen Gesetzesvorhaben, gar nicht schnell genug gehen .
Natürlich hat Herr Maas recht: Es gibt Probleme mit
Hass- und Falschnachrichten und der Rolle, die soziale
Netzwerke da als Plattformen spielen . Die gibt es aber
nicht erst seit gestern, und sie sind unbedingt ernst zu
nehmen . Gerade deshalb ist eine ernsthafte und gründliche Prüfung von Lösungsansätzen notwendig, und genau
das verkörpert dieser Entwurf nicht .
({0})
Der Bundestag konnte ihn in den letzten Wochen auch
nicht nachhaltig verbessern .
Dabei will ich nicht bestreiten, dass der Änderungsantrag der Koalition einige deutliche Verbesserungen mit
sich bringt - für die war ja auch, wie angedeutet, sehr viel
Luft . Es sind einige handwerkliche Probleme beseitigt .
Es sind einige Stellen behoben, an denen der Entwurf
weit über das hinausgegriffen hätte, was zu seiner Begründung angeführt wird .
Als er uns zuerst vorlag, war eines unserer größten
Probleme: Worauf richten wir eigentlich unsere Kritik?
Was sollten wir kritisieren? Denn wir hätten uns in dem
Falle angesichts der großen Masse der zu kritisierenden
Punkte auch in Details verlieren können . Der jetzt vorliegende Entwurf gibt uns zumindest die Chance, uns ganz
auf den Kern des Problems zu konzentrieren .
Den Kern des Problems will ich anhand des neuen
Entwurfs daher noch einmal sehr deutlich nennen: Immer
noch verpflichten Sie Netzwerke dazu, bestimmte Inhalte innerhalb von sieben Tagen zu löschen, wenn sie sich
nicht hohen Bußgeldern aussetzen wollen . Davon soll es
zwar jetzt Ausnahmen geben, so zum Beispiel, wenn die
Strafbarkeit von bestimmten Umständen abhängt oder
wenn eine Einrichtung der Selbstregulierung eingeschaltet wird; aber auch die soll dann innerhalb von sieben
Tagen entscheiden . Ein „offensichtlich rechtswidriger Inhalt“ soll innerhalb von 24 Stunden gelöscht werden, und
da darf diese Selbstregulierung nicht stattfinden.
Damit werden den Plattformen teils sehr schwierige
rechtliche Entscheidungen auferlegt, bei denen eigentlich nur die Löschung am selben Tag tatsächlich Sanktionsfreiheit garantiert . Dass sie im Zweifel auch rechtmäßige Inhalte sozusagen sicherheitshalber löschen, liegt
doch auf der Hand .
({1})
Das gilt auch dann, wenn die Koalition sagt, sie wolle
erst im Wiederholungsfall und erst nach dem Nachweis
von strukturellen Defiziten sanktionieren. In Anbetracht
der Bedeutung, die soziale Netzwerke heute für unsere
Kommunikation haben, wäre dieser Vorgang beunruhigend . Außerdem werden Abwägungen und Entscheidungen über Strafbarkeit, für die eigentlich Gerichte zuständig sein sollten, nach wie vor in die Hände von Privaten
gelegt . Deren Macht über unser Kommunikationsverhalten wollten wir aber gerade eingrenzen .
Lassen Sie mich festhalten: Es gibt also durchaus
sinnvolle Teile des Gesetzes . Über Vorschriften zur Erreichbarkeit der Netzwerke, über Transparenz- und Berichtspflichten und auch über die Strukturierung von
Beschwerdeverfahren hätten wir uns wohl relativ schnell
einigen können . Was darüber hinausgeht, können wir
aber in dieser Form nicht mittragen .
({2})
Ob es überhaupt verfassungsrechtlich und europarechtlich am Ende trägt, bleibt noch offen . In jedem Fall kann
dieses Gesetz nicht als Schlusspunkt einer Debatte stehen
bleiben . Wir werden in der nächsten Wahlperiode ganz
sicher erneut und umfänglich darüber beraten müssen .
Selbst die Koalitionsfraktionen haben das im Ausschuss
jeweils schon zum Ausdruck gebracht .
Danke .
({3})
Das Wort hat nun die Kollegin Nadine Schön für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist völlig klar: Soziale Netzwerke bieten ganz neue
Möglichkeiten und Chancen der Kommunikation . Noch
nie war es so einfach, sich zu informieren, sich auszutauschen, zu diskutieren und auch streitbar zu debattieren .
Das ist ein großer Gewinn auch für die Demokratie .
Aber es war auch noch nie so einfach, öffentlich zu
pöbeln, zu hetzen, zu Straftaten aufzurufen oder selbst
strafbare Inhalte zu posten . Ich zitiere mit Erlaubnis des
Präsidenten aus einem Post auf der Facebook-Seite des
Berliner Abgeordnetenkollegen Stefan Evers von vor
zwei, drei Tagen: Ich möchte Stefan Evers, CDU, an
einem Bajonett die Halsschlagader und die Luftröhre
durchtrennen . Dann kann der Nazi-Bastard nicht mehr
hetzen oder heulen, sondern gurgelt nur noch . Kurz:
standrechtlich erschießen wäre auch möglich . Und die
ökologischste sinnvolle Variante wäre, Stefan Evers,
CDU, an einem langen Strick an einem Baum aufzuhängen . Strick um den Hals, das andere Ende um eine Anhängerkupplung und über die Stadtautobahn wäre auch
lustig .
Dass das kein Post ist, der unter die Meinungsfreiheit
fällt, dürfte jedem von uns einleuchten .
({0})
Das ist Aufruf zum Mord, das ist eine Straftat . Als Betroffener hätte ich die Erwartung, dass dieser Post so
schnell wie möglich aus Facebook entfernt wird, und das
zu Recht .
Natürlich, liebe Kollegin Sitte, ist Strafverfolgung Sache der Justiz . Natürlich braucht es auch eine lebendige
Zivilgesellschaft, um Hetze, Hass und Verleumdung im
Netz zu begegnen . Das ist völlig unbestritten . Aber doch
schon heute haben Plattformbetreiber die Pflicht, strafbare Inhalte von ihren Seiten zu löschen . Das ist nach
dem Telemediengesetz schon heute die Verantwortung
der Plattformbetreiber, und wir mussten doch feststellen,
dass sie über Monate und Jahre dieser nicht nachgekommen sind . Zahllose Beispiele kennen wir, bei denen sich
Menschen, die Opfer von Straftaten im Netz wurden, an
die Plattformbetreiber gewendet haben und nichts passiert ist .
({1})
Deshalb sind wir der Meinung, dass die Zeit der leeren
Versprechungen vorbei ist und dass wir ein Gesetz brauchen . Es ist wirklich sehr schade, dass dieser Gesetzentwurf so spät vorgelegt wurde
({2})
und dass er auch noch handwerklich wirklich schlecht
gemacht war . Nicht umsonst gab es eine breite Kritik in
der Bevölkerung . Wir hatten große Mühe und haben mit
vereinten Kräften daran gearbeitet, diesen Gesetzentwurf
zu ändern . Bei allem Respekt, lieber Heiko Maas: Wir
haben nicht nur für Klarstellungen gesorgt, sondern wir
haben ihn an vielen entscheidenden Stellen deutlich verändert und deutlich nachgebessert .
({3})
An dieser Stelle möchte ich Dank sagen: zum einen
dem Koalitionspartner SPD, der mit uns gemeinsam diese Änderungen vorgenommen hat, und zum anderen dem
Ministerium, das am Schluss gute Zuarbeit geleistet hat .
Der Gesetzentwurf, den wir heute vorlegen, ist vielleicht nicht der Weisheit letzter Schluss, denn die Entwicklung ist dynamisch, und wir müssen sie weiterhin
beobachten; aber es ist der Entwurf eines Gesetzes,
mit dem wir dem Thema Hass und Straftaten im Netz
die Stirn bieten . Wir verhelfen den Menschen zu ihrem
Recht, aber gleichzeitig respektieren wir die Meinungsfreiheit .
Liebe Kollegin Sitte, ich weiß nicht, ob Sie sich unsere Änderungsanträge durchgelesen haben . Wenn Sie jetzt
immer noch behaupten, wir überließen es Privaten, darüber zu entscheiden, was von Meinungsfreiheit gedeckt ist
und was nicht, dann ist das schlicht falsch .
({4})
Wir haben - und das ist die entscheidende Änderung in
diesem Gesetzentwurf - nun ein System der regulierten
Selbstregulierung eingeführt .
({5})
Künftig können sich Plattformbetreiber einer Selbstregulierungsstelle anschließen, die schon bei dem leisesten
Zweifel, ob ein strafbarer Inhalt vorliegt oder nicht - so
etwas wie „Alle Juden gehören ins Gas“ ist zweifellos
ein strafbarer Inhalt -, nach klaren Kriterien und mit qualifiziertem Personal neutral entscheidet,
({6})
ob die Äußerung strafbar ist oder nicht .
Das alles ist nichts Neues; wir kennen es aus dem Jugendmedienschutz, das ist gängige Praxis . Tun Sie doch
nicht so, als wäre das etwas völlig Neues . Das ist das
optimale Setting, um dafür zu sorgen, dass die Entscheidung über Wahrheit oder Unwahrheit im Netz nicht Privaten überlassen wird,
({7})
aber gleichzeitig etablieren wir keine staatliche Überwachungsbehörde . Die regulierte Selbstregulierung geht
genau den richtigen Mittelweg . Deshalb war es uns ein
großes Anliegen, diese ins Gesetz zu übernehmen .
({8})
Wir haben viele andere Änderungen vorgenommen,
zum Beispiel was den Anwendungsbereich angeht . Manche machten sich große Sorgen, wer von diesem Gesetz
überhaupt betroffen ist . Es gab bei Start-ups, die teilweise sehr schnell wachsen, die Sorge, ob sie von heute auf
morgen ein Beschwerdemanagement vorhalten müssen .
Diesen geben wir künftig drei Monate Zeit, wenn sie die
Schwelle von 2 Millionen Nutzern überschreiten . Auch
den Nutzerbegriff haben wir konkretisiert . Zukünftig
müssen es registrierte Nutzer sein . Das sind wichtige
Klarstellungen, die wir ins Gesetz eingefügt haben .
Ich will noch einen weiteren Punkt nennen, der uns
sehr wichtig war: Das ist das Thema des Zustellungsbevollmächtigten . Es ist wichtig, dass die Menschen in
Deutschland auch bei internationalen Großkonzernen
einen Zustellungsbevollmächtigten im Land haben, der
den Weg dafür öffnet, dass man klagen kann, dass man
zu seinem Recht kommt . Dieser muss - und das ist neu innerhalb von 48 Stunden antworten . Das ist eine maßgebliche Verbesserung in diesem Gesetzentwurf .
({9})
Ich möchte zum Schluss für meine Fraktion sagen:
Wir sind der Meinung, die Zeit der leeren Versprechungen ist vorbei . Es ist wichtig, dass wir jetzt eine gesetzliche Regelung bekommen . Mit den Änderungen, die wir
vorgenommen haben, haben wir den Gesetzentwurf, der
eine starke Schieflage hatte, zu einem guten Gesetzentwurf gemacht; denn er verbindet den hohen Respekt vor
der Meinungsfreiheit mit dem Anspruch derjenigen, die
Opfer von Straftaten geworden sind, zu ihrem Recht zu
kommen . Es ist ein guter Gesetzentwurf, und deshalb
kann ich uns allen die Zustimmung empfehlen .
({10})
Renate Künast ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eins will
ich vorausschicken: Wir stellen heute grundlegende Weichen für das digitale Zeitalter . Wir testen nicht einfach
etwas aus; vielmehr gibt Deutschland weltweit ein Muster vor . Ich weiß, dass viele andere Staaten dieser Welt
beobachten, wie Deutschland diesen Bereich regelt . Das
macht mir und uns an dieser Stelle übrigens Sorgen; denn
wir geben vor, wie eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit auf der einen Seite und Persönlichkeitsschutz,
Schutz vor Diskriminierung und Volksverhetzung auf
der anderen Seite erfolgen kann, und da schauen auch
nichtdemokratische Länder auf uns . Es ist deshalb bedeutsam, was wir heute diskutieren . Darum ringen wir
um Seriosität und um einen guten verfassungsrechtlichen
Ausgleich .
({0})
Auch wenn die EU-Kommission nicht interveniert
hat: Wir wissen, dass sie das Ganze als Testballon betrachtet . Wir wissen doch alle - die Komplexität des
Themas kommt mir hier zu kurz; denn die ganze Debatte
bezieht sich nur auf den vorliegenden Gesetzentwurf -:
Eigentlich hätte hier angesichts all der Hasskommentare, die teilweise strafbar sind, teilweise nicht, und der
vergifteten Debattenkultur eine Debatte darüber geführt
werden müssen, was in unserer Gesellschaft passiert, was
sich verändert .
Das erinnert mich manchmal an die Zeit nach der
Wende . Denken Sie an Rostock-Lichtenhagen, an Hoyerswerda, an Kameradschaften und an Rechtsextreme,
die die Jugendzentren übernahmen . Damals wussten
demokratische Jugendliche gar nicht mehr, wo sie hingehen können . Auch damals haben wir angefangen, eine
Grundsatzdebatte darüber zu führen, wie wir unsere gesellschaftlichen Strukturen und den Respekt vor dem
Menschen - ich würde es positiv sagen: die Political Correctness; andere nicht zu diskriminieren, runterzumachen
und zu verletzen - verteidigen und vertreten können . Das
geht natürlich nicht allein mit Bußgeldtatbeständen, über
die wir heute diskutieren, bei weitem nicht .
({1})
Diese Engführung der Debatte macht mich nervös .
Auch - mit Verlaub - das Verfahren bis hierhin war
nicht gut . Egal wie sehr ihr von CDU/CSU und SPD euch
untereinander gekloppt habt,
({2})
es war nicht gut, dass ihr erst einmal interne Gespräche
geführt habt, ohne Einbeziehung des Parlaments . Zum
angekündigten Evaluierungszeitpunkt wertete Herr Maas
diese Gespräche aus und kam kurz vor Ostern plötzlich,
wie Kai aus der Kiste, mit einem Gesetzentwurf, der helles Entsetzen auslöste . Das hat nichts mit dem Niveau
und der Seriosität zu tun, die wir hier gebraucht hätten .
({3})
Eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit, Persönlichkeitsschutz und Schutz vor Diskriminierung liefert dieser
Gesetzentwurf im Übrigen nicht .
Meine Vorrednerin Nadine Schön hat ein schauriges
Beispiel gebracht . Ich will eins hinzufügen, um Ihnen zu
zeigen, wie kompliziert das Ganze ist . Ich sage es einmal
Nadine Schön ({4})
so: Auch ich habe mich über unterschiedliche Unternehmen geärgert, die glauben, sie könnten globusweit Geld
mit Werbung usw . verdienen und mit ihren Algorithmen
faktisch auch Meinungen machen, ohne sich um das jeweilige nationale Recht kümmern zu müssen . Der politische Druck und die Debatte waren nötig, damit an den
entsprechenden Stellen überhaupt Personal eingestellt
wurde, ja . Wir müssen aber eine Differenzierung hinbekommen . Wir können nicht sagen, dass alles, worüber
wir uns ärgern, gelöscht werden muss . Wir müssen, digital wie analog, mit der Meinungsfreiheit umgehen . Deshalb ist es ja so wichtig, mehr zu tun, als Paragrafen zu
schaffen . Wir müssen uns wehren, gegebenenfalls aber
auch Entscheidungen akzeptieren .
Ich war bei einem Dienstleister . Dort habe ich erzählt,
was mir passiert ist . Mir hat jemand geschrieben, in grenzenloser Weisheit: Von Ihnen würde ich auch gerne ein
Enthauptungsvideo sehen . - Nach langem Quengeln man muss immer nerven - durfte ich die Qualitätssicherung bei Arvato aufsuchen . Die für die Qualitätssicherung zuständige Frau hat nach langem Überlegen zu mir
gesagt: Ich würde das nicht löschen, weil kein konkreter
Hinweis und keine konkrete Aufforderung vorliegen . Sie guckte mich unsicher an, weil ihr natürlich klar war,
dass das auf emotionaler Ebene nicht das gewünschte
Ergebnis war . Ich konnte ihr dann aber sagen, dass die
Berliner Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwalt
das genauso sehen .
Daran erkennt man das Problem: Wenn wir über das
Löschen von bestimmen Inhalten reden, müssen wir uns
auch fragen, ob wir uns nicht etwas vormachen . Wir reden nur über die Löscherei; aber das Verfassungsgericht
hält in der Rechtsprechung immer die Meinungsfreiheit
hoch . Damit müssen wir uns auseinandersetzen . Dafür
reicht dieser Gesetzentwurf nicht, sosehr ich mich auch
über solche Sachen ärgere und mich frage, wes Geistes
Kind diese Leute eigentlich sind . Die Gesellschaft muss
im wahrsten Sinne des Wortes auf die Straße .
({5})
Meine Damen und Herren, wir hätten uns ein anderes parlamentarisches Verfahren gewünscht . Die Mehrheit der Sachverständigen im Ausschuss hatte neben der
Verfahrenskritik auch schwere verfassungsrechtliche
Bedenken an der alten Fassung des Gesetzentwurfs geäußert . Ein paar Dinge haben Sie geändert: Sie haben
den Straftatenkatalog reduziert . Der inländische Zustellungsbevollmächtigte - ich will mal loben - ist eine gute
Idee; immerhin etwas . Vielleicht hätten wir in dieser Legislaturperiode an dieser Stelle enden sollen und uns Zeit
lassen sollen .
Ein paar Regelungen sind gar nicht so schlecht, Frau
Schön, zum Beispiel die regulierte Selbstregulierung .
Das ist aber eine Kannregelung, die nicht sofort in Kraft
tritt . Außerdem ist sie nicht ausformuliert . Sie haben
nach der Sieben-Tage-Regelung unverzüglich, in der
Regel innerhalb von sieben Tagen zu löschen . Ich frage
jedes Erstsemester: Wer weiß, was das bedeutet?
({6})
- Ich komme zum Schluss . - Sie haben beim Bußgeldverfahren eine Vorabentscheidung durch das Bundesamt
für Justiz vorgesehen . Ich wünsche viel Vergnügen bei
diesem schwierigen Verfahren mit Tausenden, Zehntausenden von Angaben . Sie haben nicht gesagt, wie unabhängig diese regulierte Selbstregulierung ist und wer sie
eigentlich finanziert. Sie haben immerhin einen Richtervorbehalt bei der Auskunft vorgesehen .
Meine Damen und Herren, ich finde, wir haben eine
Engführung . Dieser Gesetzentwurf entspricht nicht unseren Vorstellungen . Ich habe immer noch das Gefühl,
dass der Reiz, zu löschen, größer ist als der Reiz, das
Recht einzuhalten und die Meinungsfreiheit anzuerkennen . Und ich habe das sichere Gefühl: Wir hätten eine
breitere Diskussion führen müssen, eine Diskussion, in
der wir die Gesellschaft entsprechend aufstellen und uns
gemeinsam für die Würde des Menschen und für Respekt
einsetzen müssten . Das wird eine Aufgabe für die nächste Wahlperiode sein .
({7})
Lars Klingbeil ist der nächste Redner für die SPD .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben in den letzten Monaten und Jahren in der Tat eine
sehr schwierige Diskussion geführt . Dabei ging es um
nicht weniger als um die Fragen: Wer trägt eigentlich
Verantwortung im Netz? Und wie haben wir als Staat
bzw. als Politik unsere Rolle dort zu definieren? Ich finde, dass der Ansatz von Minister Maas genau der richtige
Weg ist, nämlich zunächst mit den sozialen Netzwerken
in einen ausführlichen Dialog zu treten und zu gucken,
was im Rahmen von Absprachen möglich ist, und, wenn
dann erkannt wird, dass Absprachen nicht wirksam sind,
zu sagen: Der Gesetzgeber muss eingreifen .
({0})
Ich bin Minister Maas außerordentlich dankbar für das
Gesetz, das er in den Bundestag eingebracht hat . Auch
finde ich, dass wir es als Große Koalition geschafft haben - dafür danke ich dem Koalitionspartner -, an vielen
Stellen Hinweise auch von Sachverständigen aufzunehmen. Weiterhin finde ich es gut, dass wir es geschafft haben, dieses Gesetz noch in dieser Legislatur auf den Weg
zu bringen, um es jetzt gleich hier im Deutschen Bundestag verabschieden zu können .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt einige Punkte, die in der Tat für uns sehr wichtig sind . Der inländische Zustellungsbevollmächtigte ist angesprochen worden . Ich glaube, niemand hier im Haus stellt infrage, dass
es einen solchen Bevollmächtigten geben muss und dass
Ansprechpartner bei den sozialen Netzwerken benötigt
werden . Wir haben es - da haben wir uns an dem Positionspapier der SPD-Fraktion orientiert - in den Verhandlungen geschafft, die regulierte Selbstregulierung
in das Gesetz aufzunehmen und sie damit möglich zu
machen . Weiter haben wir es geschafft, die Sieben-TaRenate Künast
ge-Regelung, die von vielen kritisiert wurde, zu lockern .
Auch das, was in Bezug auf das sogenannte Overblocking immer als Zensurvorwurf im Raum stand, haben
wir entschärft . Das geschah übrigens schon vonseiten
des Ministeriums aufgrund vieler Hinweise . Wir wollen
deutlich machen: Es geht nicht um den einzelnen Post,
sondern darum, dass ein effektives Beschwerdemanagement vorgehalten werden muss .
({1})
Für uns als SPD-Fraktion war sehr wichtig, dass der
Auskunftsanspruch mit einem Richtervorbehalt versehen
wird . Von daher werden wir eine enge Begrenzung haben . Auch das wurde in den Verhandlungen aufgenommen. Ich finde, wir haben jetzt ein sehr gutes Gesetz, dem
wir als Parlament zustimmen können .
Wenn die Kollegin Künast sagt: „Das darf aber nicht
der Endpunkt sein“, dann bin ich voll bei ihr . Denn ich
glaube, dieses Thema wird uns in der nächsten Legislatur an den unterschiedlichsten Stellen wieder begegnen .
Dabei geht es um die Fragen: Wer trägt eigentlich Verantwortung im Netz? Und wie gehen wir mit all dem, was
wir im Netz erleben, um?
Wir reden hier heute über offensichtliche Rechtsverletzungen . Dagegen bedarf alles das, was unter dem
Stichwort „Fake News“ - ich finde, das ist ein schwieriger Begriff -, was unter den Begriffen „Manipulation“,
„Falschmeldungen“ oder „Lügen“ diskutiert wird, anderer Maßnahmen . Wir müssen hier im Bundestag endlich
einmal intensiv über die Frage reden: Wie bekommen wir
digitale Bildung und digitale Sensibilität hin? Des Weiteren müssen wir im Parlament darüber reden, wie wir Initiativen wie „Ich bin hier“, die in den sozialen Netzwerken auf Toleranz und konstruktiven Dialog setzen, auch
zivilgesellschaftlich stärken können . Und wir müssen
überlegen, wie wir es schaffen können, dass vernünftige
und seriöse Inhalte im Netz stärker verbreitet werden . All
das sind Punkte, die wir sicherlich in der nächsten Legislatur intensiv diskutieren werden .
Lassen Sie mich am Ende zu den unterschiedlichen
Kritiken kommen, die es gab . Die einen haben gesagt:
„Das Gesetz kam zu schnell“, die anderen: Das hat alles
zu lange gedauert . - Ich möchte mich beim Koalitionspartner entschuldigen, wenn wir ihn im Rahmen dieses
Gesetzgebungsverfahrens das eine oder andere Mal überfordert haben . Für uns war es wichtig, dass wir zu einem
Ergebnis kommen . Und das passiert mit dem heutigen
Tag .
Vielen Dank .
({2})
Elisabeth Winkelmeier-Becker hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir bringen
heute ein wichtiges Gesetzgebungspaket auf den Weg .
Anspruchsvolle Arbeit liegt hinter uns . Und wer hier wen
überfordert hat, das muss man vielleicht der öffentlichen
Bewertung überlassen . Ich stelle jedenfalls fest, dass wir
einen Gesetzentwurf gehabt haben, der in der Anhörung
von den Sachverständigen unisono sehr stark kritisiert
worden ist . Wir haben uns dann aber in sehr konstruktive
Beratungen begeben . Gerade wir von der Union haben
uns mit sehr guten Vorschlägen eingebracht, die auch von
den Experten ausdrücklich gelobt worden sind . Ich glaube, dass sich das Ergebnis, das wir heute vorlegen, sehen
lassen kann .
Bei dem heutigen Projekt geht es um sehr viel; es geht
nämlich mal wieder um nicht weniger als um den Primat
der Politik, um die Frage: Wer bestimmt die Regeln?
Das erinnert mich an die Diskussionen, die wir hier
vor einigen Jahren um den Primat der Politik gegenüber
den Finanzmärkten geführt haben . Damals ging es darum, wer eigentlich bestimmt, gegen welchen Staat gewettet werden kann und wie die Regeln lauten . Auch da
ging es darum, dass sich der demokratisch legitimierte
Gesetzgeber mit den Regeln, die er für die analoge und
die digitale Welt aufstellt, durchsetzt . Darum geht es
auch hier . Wir dürfen das Internet nicht wie bisher den
Konzernen überlassen .
({0})
Wir dürfen es nicht den Konzernen überlassen, die die
Holocaustlüge für nicht so schlimm halten, auf der anderen Seite aber jeden Busen eliminieren, egal ob es sich
um einen medizinischen Kontext oder was auch immer
handelt . Wir dürfen es auch nicht den Hetzern und Mobbern überlassen, die meinen, dass sie die Anstandsregeln komplett hintanstellen können, sondern wir müssen
wirklich die Regeln setzen .
Das ist nicht leicht . Viele Netzwerkbetreiber haben
sich eine Zeitlang überhaupt nicht darum geschert und
nur ganz langsam - auf großen Druck - reagiert . Das ist
aber auch technisch nicht einfach; das muss man zugestehen . Trotzdem ist es notwendig, denke ich, auf jeden
Fall das zu tun, was möglich ist; denn sonst bleibt die
Schülerin, die in der Umkleidekabine fotografiert wird
und deren Bild in die Netzwerke gestellt wird, schutzlos .
Sonst bleiben die Politikerin und der Politiker und auch
der Schiri, dem nach dem Spiel gedroht wird, schutzlos .
Und das geht nicht . Deshalb ist es gut, dass wir hier heute
die Facebooks dieser Welt in die Pflicht nehmen.
({1})
Wie das funktioniert? Innerhalb von 24 Stunden müssen die eindeutig rechtswidrigen Posts gelöscht werden .
Innerhalb von 7 Tagen müssen auch schwierigere Dinge
jedenfalls bearbeitet sein . Wenn sich herausstellt, dass
man erst rückfragen muss, dann ist auch dafür die notwendige Zeit gegeben . Daneben haben wir die regulierte
Selbstregulierung eingeführt .
Ich denke, mit diesem neuen Angebot - dieser Struktur, die wir neu eingeführt haben - haben wir die Gefahr
des Overblockings gut gebannt .
Mit dieser gestuften Fristsetzung haben wir erreicht,
dass nicht schon im vorauseilenden Gehorsam wegen
der Androhung eines spürbaren Bußgeldes auf Nummer
sicher gegangen und vieles gelöscht wird, was doch eigentlich hätte stehen bleiben können .
Es wurde klargestellt, dass eine Entscheidung des
Bundesamts für Justiz, möglicherweise Sanktionen zu
verhängen, nur dann erfolgen kann, wenn wirklich systemische Mängel nachgewiesen sind . Nicht die einzelne
Entscheidung ist es, die dafür zum Anlass genommen
werden kann, sondern es muss sich insgesamt herausstellen, dass das Beschwerdesystem nicht funktioniert, dass
es unterfinanziert, unterbesetzt oder nicht qualifiziert ist.
Wir haben also, wie gesagt, die regulierte Selbstregulierung eingeführt, und sie hat noch mehr Potenzial . Wir
hätten gerne schon jetzt in den Gesetzentwurf geschrieben, dass diese Selbstregulierung maßgeblich in die Beantwortung der Frage mit einbezogen werden kann, ob
das System insgesamt ausreichend ist .
Dieses Instrument, das wir jetzt im Gesetzentwurf angelegt haben, wird weiter auszubauen sein . Obwohl wir
einen konkreten Formulierungsvorschlag dafür hatten,
wurden unsere Vorschläge jetzt noch nicht übernommen .
Es mag sein, dass auch das Notifizierungsverfahren dabei
ein Stück weit eine Rolle gespielt hat . Wir werden dabei
aber nicht stehen bleiben, sondern das Instrument noch
weiter ausbauen . Mit ihm ist eine sehr gute Systematik
gegeben, um einen Ausgleich zwischen Meinungsfreiheit
auf der einen Seite und Kontrolle im Sinne des Persönlichkeitsschutzes auf der anderen Seite zu schaffen .
({2})
Wichtig ist für uns auch der Aspekt - Frau Künast hatte es schon angesprochen -, dass dieses Gesetz für andere
Länder eine Blaupause sein kann . Ich glaube, dass sehr
stark beobachtet wird, was wir hier liefern . Wir sind das
erste Parlament, das sich mit dieser Aufgabe auseinandersetzt .
Ich glaube, in diesem Zusammenhang stellt die Struktur der regulierten Selbstregulierung einen ganz wichtigen Vorschlag dar . Wenn sich nämlich die Erdogans oder
Putins dieser Welt darauf berufen, dass Deutschland ja
jetzt auch das Internet und damit die Meinungsfreiheit reguliert, dann können wir ihnen entgegenhalten: Der Staat
will hier nicht das Monopol haben, sondern er bietet konkret an, dass diese Regulierung durch ein gesellschaftlich
plural besetztes Gremium geschieht . Mit diesem Vorschlag können sich die Diktatoren dieser Welt gerne mal
auseinandersetzen . Wir stärken gerade nicht die staatliche Durchgriffsbefugnis, sondern die gesellschaftlichen
Kräfte .
({3})
Uns ist auch der Auskunftsanspruch wichtig . Wir
sagen: Die strittigen Dinge müssen von einem Gericht
entschieden werden . Genau dieser Auskunftsanspruch ist
aber die Voraussetzung dafür, dass einzelne Fälle vor ein
Gericht gebracht werden können . Deshalb ist auch das
ein wichtiger Beitrag .
Wir sind in diesen Fragen noch nicht am Ende der Diskussion, aber ich bin am Ende meiner Rede . Ich bitte um
Ihre Zustimmung .
Vielen Dank .
({4})
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Johannes
Fechner das Wort .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Vorgestern habe ich
mich mit einem Polizisten unterhalten, der im Bereich
der Onlinekriminalität tätig ist . Das, was er mir gezeigt
hat, war wirklich erschütternd . Es ist immer wieder unfassbar, in welchem Ausmaß im Netz gehetzt wird, wie
dreist Pädophile versuchen, mit Kindern in Kontakt zu
kommen, und wie schlimm im Netz gemobbt und beleidigt wird . Sie alle haben sicherlich ähnliche Erfahrungen
gemacht . Deshalb ist es gut, dass wir nach diesen Beratungen nun alle der Meinung sind: Wir müssen auf diesen
massiven Umfang an Hetze und Hass im Netz gesetzlich
reagieren . Deswegen müssen wir hier tätig werden, liebe
Kolleginnen und Kollegen .
({0})
Ich bin Justizminister Maas sehr dankbar, dass er nicht
nur im Netz immer wieder Flagge gegen Hass und Hetze
sowie für Demokratie und Freiheit zeigt, auch wenn er
dadurch selbst heftig attackiert wird . Besonders dankbar
bin ich ihm, dass er die Initiative dazu ergriffen hat, dass
wir in Deutschland ein Gesetz gegen Hass und Hetze in
sozialen Netzwerken beschließen können . Ganz herzlichen Dank dafür, Herr Minister . Ich glaube ernsthaft,
dass dies eines der wichtigsten Gesetze ist, das wir in
dieser Legislaturperiode beschließen .
({1})
Wenn soziale Netzwerke Milliardengewinne machen,
dann stehen sie auch in der Pflicht, gegen Hass und Hetze vorzugehen . Im Moment tun sie das absolut unzureichend . Deshalb ist es richtig, dass wir sozialen Netzwerken ein Bußgeld in Höhe von bis zu 50 Millionen
Euro androhen, wenn sie kein Beschwerdemanagement
vorhalten, um rechtswidrige Inhalte zu löschen . Dabei
wollen wir natürlich verhindern, dass soziale Netzwerke
aus Angst vor diesem hohen Bußgeld quasi in vorauseilendem Gehorsam Inhalte in Zweifelsfällen löschen .
Aber genau gegen diese Problematik hat sich auch schon
der Gesetzentwurf gerichtet . Sobald ein Zweifel daran
besteht, ob eine Äußerung eine zu löschende Straftat
darstellt, hat das soziale Netzwerk sieben Tage Zeit zur
Prüfung, in Ausnahmefällen sogar länger . Selbst wenn
es mit vertretbarer Begründung einen Inhalt nicht löscht,
den ein Gericht später als zu löschen beurteilt, droht kein
Bußgeld . Um es ganz klar zu sagen: Das Bußgeld kann
nur bei einem Systemversagen des einzurichtenden BeElisabeth Winkelmeier-Becker
schwerdemanagements verhängt werden, nicht, wenn
eine einzelne Äußerung falsch eingeschätzt wird .
Auf unsere Initiative hin haben wir die wichtigste Regelung im Gesetzentwurf erweitert, nämlich dass wir in
Deutschland endlich einen Ansprechpartner, einen Zustellungsbevollmächtigten für Ermittlungsbehörden und
für Zivilrechtsverfahren bekommen . Ich glaube, das ist
eine ganz wichtige Norm . Alle Sachverständigen, die
wir in der Anhörung dazu befragt haben, haben uns dafür gelobt und erklärt: Das müsst ihr so machen . - Wir
gehen noch einen Schritt weiter . Auf den Vorschlag der
SPD-Fraktion hin werden die sozialen Netzwerke nunmehr verpflichtet, einen Zustellungsbevollmächtigten im
Internet für jedermann deutlich zu benennen . Ich glaube,
das ist ein Meilenstein gegen Hass und Hetze im Netz .
({2})
Wichtig ist uns auch, dass das Auskunftsersuchen einer Behörde tatsächlich erfüllt wird . Deshalb erhöhen
wir den Druck auf die sozialen Netzwerke: Es muss
innerhalb von 48 Stunden auf eine Anfrage, etwa einer
Staatsanwaltschaft, reagiert werden . Ansonsten wird ein
Bußgeld fällig . Auch das ist eine ganz wichtige Maßnahme .
Schließlich haben wir verhindert, dass durch eine vorgetäuschte Straftat die Identität eines anonymen Nutzers
preisgegeben werden muss, der sich überhaupt nichts hat
zuschulden kommen lassen . Ein soziales Netzwerk darf
nun die Bestandsdaten aufgrund der von uns geforderten Beschränkungen des Auskunftsanspruches nur dann
übermitteln, wenn eine Straftat behauptet wird und wenn
ein Richter dies so beschlossen hat . Auch das ist, glaube
ich, eine ganz wichtige Klarstellung in diesem Gesetz .
Was wir in der nächsten Wahlperiode angehen sollten,
ist die Ausgestaltung eines Rechtsanspruchs für Nutzer,
dass ihre zu Unrecht gelöschte Aussage wieder veröffentlicht wird . Eine solche AGB-feste Regelung sollten wir
uns für die nächste Wahlperiode vornehmen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns alle eint das
Ziel, gegen Hass und Hetze im Netz vorzugehen . Diesem
Ziel dient dieser Gesetzentwurf . Stimmen wir also zu!
Vielen Dank .
({3})
Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes erhält der
Kollege Alexander Hoffmann für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wenn man im Netz unterwegs ist, dann stößt man auf
so einiges . Herr Präsident, gestatten Sie, dass ich zwei
Beispiele zum Besten gebe, und seien Sie versichert:
Das ist noch mit das Seichteste, was ich gefunden habe .
Da schreibt jemand - ich zitiere -: Warum wird dieses
Biest nicht gesteinigt? So eine hat doch null Charakter .
Für Geld und Macht verkauft die sich doch zur Not auch
selbst .
Ein anderer schreibt: Kann der Alten nicht irgendjemand in den Kopf schießen? Das muss doch mal ein
Ende haben .
Beide Kommentare wurden an Facebook gemeldet .
Facebook hat auch reagiert, und zwar mit folgendem
Satz:
Wir haben den von dir im Hinblick auf Verherrlichung drastischer Gewalt gemeldeten Kommentar
geprüft und festgestellt, dass er nicht gegen unsere
Gemeinschaftsstandards verstößt .
Wenn man sich dann andere Ereignisse, die mit dem
Netz zu tun haben, anschaut, wird es noch tragischer .
Eine 15-jährige Kanadierin wurde im Jahr 2012 auf einer
Party von vier Männern erst betrunken gemacht und dann
vergewaltigt . Es wurden Bilder angefertigt, und die wurden ins Netz gestellt . Das hat das Mädchen seitdem nicht
mehr losgelassen . Sie wurde als Schlampe beschimpft,
und ein Jahr später hat sie sich das Leben genommen .
Eine andere Kanadierin ist Opfer von Cybergrooming
geworden . Mit zwölf Jahren hat sie sich dazu verleiten
lassen, intime Bilder von sich zu schicken, und der Täter
hat diese ins Netz gestellt . Das Mädchen wurde drogenabhängig, alkoholabhängig und hat im Alter von 15 Jahren ihrem Leben ein Ende gesetzt .
Wenn wir das auf uns wirken lassen, dann müssen uns,
glaube ich, vier Erkenntnisse treiben:
Erstens . Die Hemmschwelle im Netz sinkt . Wenn man
sich nicht mehr Auge in Auge gegenübersteht, dann traut
man sich ein ganzes Stück mehr .
Zweitens . Soziale Plattformen sind entweder nicht
willens oder nicht in der Lage, dem entschieden entgegenzutreten .
Die dritte Erkenntnis: Wenn erst einmal etwas in die
digitale Welt entsendet und um die Welt gejagt worden
ist, dann ist das nicht mehr rückholbar .
Und viertens: Die Neugierde der Menschen kennt offenbar keine Grenzen . Denn anders ist es nicht zu erklären, dass Prügelattacken millionenmal angeklickt werden
und Mordvideos hunderttausendmal .
Der Blick ins Internet offenbart Handlungsbedarf . Ich
denke, uns allen wäre es lieber gewesen, wenn Facebook
und Co gehandelt hätten . Aber sie haben eben nicht geliefert, und deshalb ist es nun an uns .
Wir reden über eine sensible Materie . Denn es geht um
Meinungsfreiheit, und wir wollen eben nicht - da spreche
ich für uns alle - in den Verdacht geraten, hier der Zensur
Tür und Tor zu öffnen . Diesen Gesetzentwurf - vor allem
in der überarbeiteten Fassung - mit Zensur in Verbindung
zu bringen, wird ihm, glaube ich, nicht einmal im Ansatz
gerecht . Dafür will ich Ihnen drei Argumente nennen .
Zum einen zielen wir auf rechtswidrige Äußerungen
ab, und rechtswidrige Äußerungen sind vom Grundrecht
der Meinungsfreiheit nicht gedeckt .
Die zweite Erkenntnis - ich glaube, auch das sollten
wir nicht vergessen -: Facebook löscht und filtert heute
schon Äußerungen, aber letztendlich immer nach willkürlich selbst gegebenen Maßstäben, nämlich den Gemeinschaftsstandards, ohne dass das transparent ist und
ohne dass nachvollziehbar ist, anhand welcher Maßstäbe
Facebook welche Entscheidungen trifft .
Die dritte Erkenntnis ist für mich fast die wichtigste:
Jede Zeitung und jeder Fernsehsender ist dafür verantwortlich, zu prüfen, bevor zum Beispiel ein Leserbrief
veröffentlicht oder ein Interview ausgestrahlt wird, dass
darin keine rechtswidrigen Inhalte enthalten sind . Genau
diese Maßstäbe müssen wir selbstverständlich auch dort
anlegen, obwohl natürlich klar sein muss, dass das Ganze de facto eine andere Dimension haben wird, weil wir
über ein Massenmedium in der digitalen Welt sprechen .
Ich glaube, der Schritt ist richtig, und ich glaube, der
Schritt ist überfällig . Justizminister Maas hat das sehr
früh auf seine Agenda gesetzt, und das war richtig .
({0})
Ich will aber auch das sagen: Ich glaube, Sie haben
zu lange auf den Goodwill der großen Konzerne vertraut
und sich viel zu lange vertrösten lassen . Das führt jetzt
am Ende dazu, dass wir auf der Zielgeraden dieser Legislaturperiode ein ganz wichtiges Gesetz verabschieden
müssen . Wenn wir Gesetze beschließen, dann hat das immer auch etwas mit Akzeptanz zu tun . Allein dass wir das
Gesetz so kurz vor knapp beschließen, lässt bei vielen
Menschen die Akzeptanz fehlen . Viele denken: Es wird
einfach durchgepeitscht . - Das fällt leider in Ihren Verantwortungsbereich .
Ich bitte um Zustimmung . Ich glaube, wir müssen diesen Weg gehen .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({1})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzent-
wurf zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozia-
len Netzwerken .
Auch hierzu liegen mir drei persönliche Erklärungen
zur Abstimmung vor .1)
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
auf der Drucksache 18/13013, den Gesetzentwurf der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksa-
che 18/12356 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich
bitte diejenigen, die diesem Gesetzentwurf in der Aus-
1) Anlagen 5 und 6
schussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen . -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Gesetzentwurf in zweiter Lesung bei Gegenstimmen der
Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen und einer Gegenstimme aus den Rei-
hen der CDU/CSU-Fraktion angenommen .
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich
der Stimme? - Bei gleichem Stimmverhalten - mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Linken
und die Stimme einer Kollegin der CDU/CSU-Fraktion
und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen - ist der Gesetzentwurf damit angenommen .
Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem von
der Bundesregierung eingebrachten Parallelgesetzent-
wurf ab . Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung
auf der Drucksache 18/13013, diesen Gesetzentwurf der
Bundesregierung für erledigt zu erklären . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Das könnten eigentlich
alle sein . - Das wird auch zunehmend so . Ist jemand an-
derer Meinung oder enthält sich der Stimme? - Damit ist
diese Beschlussempfehlung angenommen .
Unter dem Zusatzpunkt 12 b geht es um die Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Recht und Verbraucherschutz zum Antrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Transparenz
und Recht im Netz - Maßnahmen gegen Hasskommen-
tare, ,Fake News‘ und Missbrauch von ,Social Bots‘“ .
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Be-
schlussempfehlung auf der Drucksache 18/13013, die-
sen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
der Drucksache 18/11856 abzulehnen . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Die Antragsteller . Wer enthält sich? - Damit ist die Be-
schlussempfehlung mit den übrigen Stimmen des Hauses
angenommen .
Ich rufe die Zusatzpunkte 13 a und 13 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft
({0})
Drucksachen 18/12329, 18/12378
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({1})
Drucksache 18/13014
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({2}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Sigrid Hupach, Dr . Petra Sitte,
Halina Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE
Verleihbarkeit digitaler Medien entsprechend
analoger Werke in Öffentlichen Bibliotheken
sicherstellen
Drucksachen 18/5405, 18/13014
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor .
Vereinbart ist, dass die Debatte 38 Minuten dauern
soll . Ist jemand dagegen? - Das ist nicht der Fall . Dann
verfahren wir so .
Ich eröffne die Aussprache und bitte auch hier den
Bundesjustizminister, die Aussprache zu eröffnen .
({3})
Vielen Dank . - Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! In dieser Legislaturperiode haben
wir wahrhaftig das Urheberrecht gründlich reformiert .
Wir haben das Recht der Verwertungsgesellschaften
modernisiert, damit Urheber schneller ihre Vergütungen
bekommen und Unternehmen mehr Rechtssicherheit haben . Wir haben das Urhebervertragsrecht reformiert, damit die Rechte der Kreativen, der ausübenden Künstler,
auch im digitalen Zeitalter gewahrt werden . Wir haben
die Beteiligung der Verleger an den Pauschalvergütungen nach dem Urheberrecht gesichert . Jetzt schließen wir
ein weiteres Großprojekt ab: Wir erleichtern Bildung und
Wissenschaft die digitale Nutzung geschützter Werke .
({0})
Das ist wirklich eine ganze Menge für eine Legislaturperiode .
Wir schaffen jetzt einen gesetzlichen Basiszugang,
damit an Schulen, Universitäten, Bibliotheken und Archiven eben nicht mehr mit viel Aufwand und Bürokratie um Erlaubnis gefragt werden muss, wenn geschützte
Werke für Unterricht und Lehre genutzt werden sollen .
({1})
Dabei sage ich auch und ganz bewusst: Es muss zwar
nicht mehr um Erlaubnis gefragt werden; aber selbstverständlich muss diese Nutzung dann weiterhin angemessen vergütet und damit das geistige Eigentum auch
respektiert werden .
Was wir mit dieser Reform vor allen Dingen schaffen,
ist mehr Rechtssicherheit; denn jetzt ist klar geregelt, was
erlaubt ist und was eben nicht erlaubt ist . Das hat auch
zu einem großen Streit geführt, weil erstmals klar war,
was geht und was nicht geht . Wir schaffen damit ein praxistaugliches Recht; denn die Vorstellung, dass ein Lehrer oder ein Dozent erst einen Lizenzvertrag mit einem
Verlag abschließen muss, bevor er einen Text einscannt
und an die Schüler versendet, die ist schlichtweg lebensfremd . Das haben wir in der Praxis in den letzten Jahren
immer mehr gemerkt: Kein Lehrer und kein Dozent kann
beurteilen, ob Preis- und Vertragsbedingungen für solche
Lizenzen angemessen sind oder eben nicht .
Trotzdem wird natürlich auch in Zukunft der größte
Teil der Nutzung auf Lizenzbasis stattfinden. Studenten
werden weiterhin Lehrbücher kaufen, und Bibliotheken
werden auch weiterhin wissenschaftliche Zeitschriften
abonnieren . Deshalb bin ich sicher, dass die deutschen
Wissenschaftsverlage mit dem gesetzlichen Basiszugang
auch in der digitalen Zukunft werden bestehen können .
({2})
Wir haben in den Beratungen entschieden, dass diese
Reform befristet wird . Wir werden bis spätestens 2023
prüfen, ob sich dieses Recht und ob sich dieser Systemwandel dann auch bewährt haben . Die Bundesregierung
wird außerdem für eine europäische Regelung zur Verlegerbeteiligung eintreten - ein Thema, das gerade ganz
besonders in Brüssel diskutiert wird . Wir haben bereits
dafür gesorgt, dass die Kommission hier einen Vorschlag
gemacht hat . Wir werden weiter auf eine schnelle Umsetzung drängen, weil das für unsere Verlage wichtig ist . In
Deutschland werden wir beobachten, wie sich die Verteilung der Vergütung zwischen Autoren und Verlegern
entwickelt, ob Verlage wirtschaftlich in Not geraten und
deshalb möglicherweise besondere Formen der Hilfe geboten sind .
Meine Damen und Herren, über das Projekt, das wir
mit diesem Gesetz abschließen, ist weit mehr als ein
Jahrzehnt gestritten worden . Wir bringen es nun zum Abschluss, und das, obwohl - das haben die Diskussionen
und auch der ganze Streit gezeigt - man manchmal den
Eindruck hatte, dass sich die Positionen völlig unversöhnlich gegenübergestanden haben . Dass wir uns trotzdem zu einer Regelung durchringen können, ist auch ein
Beispiel für die Handlungsfähigkeit der Politik .
({3})
Das rechts- und verbraucherpolitische Arbeitspensum dieser Wahlperiode zeigt - das Urheberrecht ist ein
ganz besonders deutlicher Hinweis -, wie konstruktiv die
Rechtspolitikerinnen und Rechtspolitiker zusammengearbeitet haben . Wir waren sicher nicht immer einer Meinung; aber wir hatten stets den Willen zum gemeinsamen
Erfolg . Deshalb gilt an dieser Stelle mein ganz besonderer Dank Eva Högl und Johannes Fechner genauso wie
Stephan Harbarth und Elisabeth Winkelmeier-Becker für
diese gute Zusammenarbeit . Es hat sich gelohnt, wie man
an den Ergebnissen erkennt .
({4})
Ich danke aber auch allen Mitgliedern des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen, die uns unterstützt
haben, sowie dem Sekretariat des Rechtsausschusses und
natürlich deren Vorsitzender, Renate Künast . Ich danke
auch Frau Keul und Frau Wawzyniak sowie allen weiteren Kolleginnen und Kollegen aus der Opposition, die
ihrem Auftrag, wie ich finde, in dieser Legislaturperiode
rechts- und verbraucherpolitisch gerecht geworden sind .
Präsident Dr. Norbert Lammert
Herzlichen Dank .
({5})
Vielen Dank, Herr Minister . - Als Nächster erteile ich
Frau Dr . Petra Sitte für die Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der
heutigen Beschlussfassung zum Urheberrecht wird für
Schulen und Bibliotheken, für Forschungseinrichtungen
und ganz besonders natürlich für die Hochschulen eine
lange Zitterpartie zu Ende gehen, aber leider nur unter
Vorbehalt .
Diese Einrichtungen kämpfen seit langem damit, dass
sie keine umfassenden und rechtssicheren Nutzungsregelungen für urheberrechtlich geschützte Werke haben, die
den Bedingungen des digitalen Zeitalters gerecht werden .
Seit Jahren diskutieren wir daher über die Einführung einer allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke
im Urheberrecht .
({0})
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat keine solche allgemeine Schranke beinhaltet . Er enthielt aber
immerhin deutliche Verbesserungen, sodass ich, als Sie
den Gesetzentwurf eingebracht haben, noch Zustimmung
signalisiert habe, insbesondere auch mit Blick auf den
Hochschulbereich, wo eine Lösung drängt .
Was halten wir für wichtig? Wir halten für wichtig
eine allgemeine Öffnungsklausel im Entwurf, eine Regelung zum Verleih von E-Books, die Rücknahme der jetzt
erst gesenkten Prozentgrenzen gegenüber dem Referentenentwurf sowie die langfristige Weiterentwicklung zu
einer allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke .
Dazu haben wir Ihnen mit dem Entschließungsantrag
weiter gehende Vorschläge unterbreitet . Gerne hätten wir
das im Entwurf selbst gesehen . Dann hätten wir auch zugestimmt .
Es wäre keine echte Urheberrechtsdebatte im Bundestag, wenn wir es nicht massiv mit der Verlagslobby zu tun
bekommen hätten . Dass sie es geschafft hat, noch bei den
Beratungen innerhalb der Bundesregierung die Grenze
vieler erlaubten Nutzungen von 25 Prozent auf 15 Prozent zu drücken, ist das eine . Offenbar war ihr das aber
nicht genug . In den letzten Wochen haben wir eine Kampagne sondergleichen erlebt . Dass Wissenschaftsverlage
gegen jede noch so behutsame Ausweitung der Schrankenregelungen Sturm laufen, ist nun für alle Beteiligten
keine Neuigkeit . Aber nun haben wir es auch noch mit
den Zeitungsverlagen zu tun bekommen, die in den letzten Wochen nicht nur mit Zeitschriften, sondern auch mit
Artikeln und großformatigen Anzeigen eine Bedrohung
der Pressefreiheit signalisiert haben .
Insbesondere ist völlig absurd, was sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung geleistet hat . Da kann man nur
von einer Desinformationskampagne sprechen .
({1})
Da wurden Falschaussagen bezüglich der Regelungsinhalte getroffen . Da wurden Dinge, die seit Jahren geltendes Recht sind, zur existenziellen Bedrohung erklärt, und
das von einer Zeitung, die für sich immer Qualitätsjournalismus in Anspruch nimmt .
Obwohl es die Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker
der Koalition eigentlich besser wissen sollten, sind sie
am Ende doch wieder vor dieser Verlagslobby eingeknickt, wie damals auch beim Leistungsschutzrecht . Herr
Uhl hat das vor dem Bundesverfassungsgericht bezogen
auf die Rolle der Abgeordneten so umschrieben: Man
solle ihre Verantwortung und ihre Urteilsfähigkeit nicht
unterschätzen . - Das wäre jetzt ein guter Beitrag dazu
gewesen .
({2})
Ihre Änderungsanträge sehen einmal vor, dass Artikel in Zeitungen und Zeitschriften gar nicht mehr unter
die Schranke fallen sollen . Diese Regelung hatte der ursprüngliche Entwurf gar nicht angefasst . Jetzt also ein
deutlicher Rückschritt: Wer für den Schulunterricht oder
für die wissenschaftliche Forschung auf Zeitungsartikel
zurückgreifen will, fällt zukünftig in völlige Rechtsunsicherheit . Damit tun sich im Übrigen auch die Verlage
keinen Gefallen . Aber das einzusehen, ist Ihnen ja schon
beim Leistungsschutzrecht bis heute misslungen .
({3})
Der Entwurf sieht jetzt eine Befristung der Schranken
bis 2023 vor . Mit Befristungen haben wir im Urheberrecht eh schon schlechte Erfahrungen gemacht . Es geht
dabei wohlgemerkt aber nicht um die Änderungen, über
die wir heute reden, sondern um alle Schranken für Bildung und Wissenschaft . Statt nun endlich wenigstens
einen vorläufigen Schlussstrich unter dieses Thema zu
ziehen, haben wir nun - um es ein bisschen gewalttätig
zu umschreiben - eine tickende Zeitbombe in diesem Gesetz . Wir werden in fünf Jahren wieder anfangen, über
die ganze Problematik zu diskutieren . Ich bin mir nicht
sicher, ob wir dann beim Status quo bleiben oder ob wieder Verschlechterungen drohen . Etwas mehr Mut hätten
Sie aufbringen können .
({4})
Die von mir vorhin beschriebene Zitterpartie ist also nur
ausgesetzt .
Ohnehin ist mir bis heute ziemlich unklar, was den
Hochschulen im kommenden Wintersemester eigentlich
droht . Wir haben gerade erlebt, wie chaotisch die Zustände sind . Dieses Gesetz soll jedenfalls erst im März 2018
greifen . Was soll denn an den Hochschulen in der Zwischenzeit passieren? Die Vereinbarungen laufen doch im
Oktober aus .
Alles in allem: Auch wenn manches besser wird - Herr
Maas hat das durchaus zutreffend beschrieben -, können
wir angesichts der erheblichen Verschlechterungen diesem Gesetzentwurf leider nicht zustimmen .
Danke .
({5})
Vielen Dank, Frau Dr . Sitte . - Als Nächste hat die
Bundesministerin Dr . Johanna Wanka für die Bundesregierung das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Abgeordnete! Meine Damen und Herren! Ende des vergangenen Jahres gab es
große Unruhe an den Hochschulen . Viele Hochschullehrer und Professoren haben befürchtet, dass sie ihre
Lehrinhalte bzw . Auszüge aus Werken nicht mehr in ihre
elektronischen Semesterapparate einstellen können und
dass die Studierenden wieder in die Sekretariate gehen
müssen, um aus Papierordnern zu kopieren . Das ist Studierenden im Jahr 2017, in Zeiten der Digitalisierung,
nicht zumutbar .
({0})
Es entspricht auch nicht dem Anspruch Deutschlands,
innovativ und zukunftsgewandt zu sein . Deshalb freue
ich mich sehr, dass wir heute nach langen Diskussionen
die vorliegende Novelle zum Urheberrecht am letzten
Sitzungstag noch verabschieden . Viele haben darauf gewartet: die Bibliotheken, die Schulen und die Archive,
aber vor allen Dingen die Forschungseinrichtungen und
die Hochschulen . Diese haben sich besonders engagiert .
({1})
Mit dem Gesetz schaffen wir einen neuen Rechtsrahmen, der für den Umgang mit urheberrechtlich geschützten Werken in Wissenschaft und Lehre gut ist . Das, was
wir bisher hatten, ist nicht praxistauglich und passt vor
allen Dingen nicht zu den modernen Formen, zur Digitalisierung . Mit diesem Gesetz wird das Problem nun
gelöst . Es ist rechtssicher und praktikabel . Des Weiteren
regelt es Sachverhalte, die noch nie gesetzlich festgelegt
wurden . Schließlich ist die technologische Entwicklung
weitergegangen .
Ich nenne ein Bespiel für die Auswirkungen der Digitalisierung . Das Gesetz regelt nun das sogenannte Text und
Data Mining . Es ist klargestellt, dass Forscherinnen und
Forscher große Textmengen mit dieser Methode - diese
ermöglicht unter anderem das Suchen nach bestimmten
Begriffen - auswerten können . Wir verdeutlichen zudem,
dass jeder Lehrende an einer Hochschule Auszüge aus
Werken rechtssicher in elektronische Semesterapparate
einstellen kann . Das ist für die Wissenschaftsszene sehr
gut . Ich weiß natürlich - das war unüberhörbar und unübersehbar -, dass es eine heftige Diskussion über dieses
Gesetz und viele Bedenken vonseiten der Verlage gab .
Wir haben diese Bedenken ernst genommen und geprüft .
Ich muss deutlich sagen - das war eines der Argumente,
die mich am meisten aufgeregt haben -: Es geht nicht um
Bildung zum Nulltarif . Im Gesetz wurde von Anfang an
klargestellt, dass die Nutzungen nach den gesetzlichen
Schranken angemessen vergütet werden .
({2})
Wer die Praxis an den Hochschulen kennt, weiß: Viele
haben Lizenzverträge mit Verlagen . Was dort geleistet wird - ich nenne als Stichworte „Onlinesuche“ und
„Verlinkung“ -, wird auch weiterhin lizenziert und den
Verlagen entsprechend vergütet werden . Das Gesetz lässt
den Verlagen auch genügend Spielraum für neue Möglichkeiten .
Wir haben immer wieder gehört, wie schwierig die
Situation der Verlage ist . Durch die Digitalisierung gehen den Verlagen klassische Geschäftsmodelle verloren;
sie müssen sich auf neue einstellen . Aber die Digitalisierung ist nicht nur eine Herausforderung für die Verlage,
sondern auch für die Wissenschaftsszene . Wir müssen in
Deutschland aufpassen, dass wir international leistungsstark sind . Deswegen ist es zwingend notwendig, dass
der Zugriff auf Texte und die Art und Weise des Umgangs miteinander so geregelt werden, dass wir uns im
internationalen Wettbewerb nicht ein Bein stellen .
({3})
Was ist Aufgabe des Gesetzgebers? Aufgabe des Gesetzgebers ist es, eine Balance zwischen widerstreitenden Interessen herzustellen; das ist an dieser Stelle geschehen . Aufgabe ist es aber auch, das Grundgesetz zu
respektieren . Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes Gut .
Gerade in der heutigen Zeit ist es ein als besonders wertvoll geschätztes Gut . Ich glaube, dass wir dem gerecht
geworden sind mit den Kompromissen, die eingegangen
wurden, vor allen Dingen mit dem Kompromiss, der den
Durchbruch brachte . Wir verabschieden das Gesetz nun
mit einer Befristung auf fünf Jahre . Nach vier Jahren gibt
es eine Evaluation . Das ist eine angemessene Zeit, um
zu schauen, wie es wirkt und was wir eventuell ändern
müssen, aber auch zu demonstrieren, dass es nicht die befürchteten Auswirkungen auf die Verlagslandschaft hat,
wovon ich ganz fest überzeugt bin .
Ich glaube, man kann sagen, dass wir zum Ende der
Legislaturperiode mit dieser Novellierung einen Kraftakt
geschafft haben; wir haben diskutiert bis zur letzten
Minute . Es ist ein ganz entscheidender, ein wichtiger
Schritt, ein wichtiges Signal für eine moderne Wissenschaftslandschaft sowie die Leistungsfähigkeit und Innovationskraft unseres Landes, und das bewirkt eine hohe
Lebensqualität . Deswegen ist heute ein schöner Tag .
({4})
Vielen Dank, Frau Ministerin . - Jetzt erteile ich dem
Kollegen Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .
Vielen Dank . - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Auch für mich ist heute ein großartiger Tag,
nicht so sehr wegen dieses Gesetzentwurfs, sondern wegen der Abstimmung über die Ehe für alle .
Bis zum letzten Sitzungstag dieser Wahlperiode mussten Lehrende und Lernende, Forscherinnen und Forscher
auf die Schlussberatung des Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetzes warten . Vor allem durch die Digitalisierung unserer Wissensgesellschaft hat sich hier ein
großer Modernisierungsstau gebildet, den Ihre Reform
leider nur teilweise auflöst. Seit zehn Jahren stehen die
kleinteiligen, hochkomplizierten Regelungen des Urheberrechtsgesetzes für Bildung und Forschung in der Kritik, und das zu Recht . Zwar wurde im Koalitionsvertrag
versprochen, eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke
einzuführen; diese Vereinbarung lösen Sie heute aber nur
maximal halbherzig ein . Was lange währte, wurde leider
nicht gut genug .
({0})
Wir Grüne im Bundestag setzen uns dafür ein, die
Chancen der Digitalisierung optimal zu nutzen . Deshalb
fordern wir seit Jahren die Einführung einer allgemeinen
Bildungs- und Wissenschaftsschranke . Damit könnten
Nutzungs- und Vergütungsregeln klar und verständlicher
gefasst werden . Das wäre der bessere Weg, um das Urheberrecht für Forschung, Lehre und Lernen im digitalen
Zeitalter fit zu machen.
({1})
Leider haben Sie in den letzten Jahren all unsere Initiativen für ein wissenschaftsfreundlicheres Urheberrechtsgesetz abgelehnt, und das war zukunftsblind .
({2})
- Das war zukunftsblind .
({3})
Anstelle einer generellen Regelung werden mit Ihrem
Gesetz einige Erlaubnistatbestände erweitert . Das ist
durchaus ein Fortschritt für Bildung und Wissenschaft,
den wir grundsätzlich unterstützen; denn diese Schrankenregelungen sind natürlich besser als keine .
({4})
Ihrem Ursprungsentwurf hätten wir sogar zustimmen
können . Er war kein großer Wurf, hätte aber die Basis für
einen fairen Interessenausgleich gelegt . Bei den Beratungen in der Koalition hat er jedoch eine Unwucht bekommen, und das nicht aus fachlichen Gründen . Unionsfraktionschef Kauder wollte offenbar den Börsenverein und
einige Zeitungsverlage bedienen, die vor massenhafter
Enteignung gewarnt haben, als er auf der Titelseite der
Bild-Zeitung auf den letzten Metern barsch in die Beratungen des Gesetzes eingriff . Ihm und seinen Rechtspolitikern ist die Beschränkung des Gesetzes auf Fachpublikationen zu verdanken . Das ist für Medienanalysen zum
Beispiel in den Geistes- und Sozialwissenschaften ein
Rückschritt und erschwert den Zugang von Schüler- und
Lehrerschaft zu Zeitungsartikeln für Unterricht, Hausaufgaben und Co . Das war unnötig, und das ist schlicht
schade .
({5})
Als wäre diese Verschlechterung nicht schlimm genug, machen Sie plötzlich erneut den Kardinalfehler bisheriger Regelungen, die Gültigkeit des Gesetzes auf fünf
Jahre zu begrenzen . Diese Befristung produziert Rechtsunsicherheit, und die lehnen wir klar ab .
({6})
Es hätte doch wirklich gereicht, eine Evaluation der
Gesetzesfolgen vorzusehen . Ein automatisches Auslaufen der gesetzlichen Erlaubnisregeln ist aber ein dicker
Fauxpas .
Es ist schade, dass die Koalition sich einseitig Lobbyinteressen beugt, statt auszutarieren . Neben Befristung
und kleineren Eingrenzungen, die Sie vorgenommen haben, haben Sie aus dem Ursprungsentwurf gestrichen,
dass 25 Prozent eines Werkes genehmigungsfrei nutzbar
sind . Nun sind es nur 15 Prozent . Ein unnötiger Rückschritt ohne fachlich fundierte Gründe!
({7})
Von den guten Verbesserungsvorschlägen aus der Wissenschaft, unter anderem aus der Anhörung des Rechtsausschusses, zum Beispiel zur Öffnungsklausel, haben
Sie dagegen keinen einzigen übernommen . Auch das ist
sehr schade . So haben Schulen und Hochschulen auf den
letzten Metern des Gesetzgebungsverfahrens das Nachsehen, und es bleibt ein gewisser Nachgeschmack . Das
zeigt: Man kann sich nie darauf verlassen, dass Große
Koalitionen große politische Würfe hinbekommen, selbst
dann nicht, wenn sie im Koalitionsvertrag stehen .
Ihre befristeten Erlaubnisregeln sind ein halbherziger
Zwischenschritt . Dem großen Wurf sind Sie abermals
nicht gerecht geworden . Er ist vertagt, er ist verschoben
auf die nächste Wahlperiode . In spätestens fünf Jahren
muss eine nachhaltige und langfristige Lösung in Kraft
treten . Ansonsten würden wir als Bildungsnation und als
Wissensgesellschaft zurückfallen .
({8})
Vielen Dank, Herr Kollege Gehring . - Als Nächstes erteile ich dem Kollegen Christian Flisek für die
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Die Opposition zeichnet in ihren
bisherigen Redebeiträgen ein Bild vom Urheberrecht
in dieser Legislaturperiode, das den Tatsachen nicht
entspricht . Mit dem Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz schließen wir heute eine hervorragende
Legislaturperiode für das Urheberrecht ab .
({0})
Der Minister hat es bereits angedeutet: Nach der Novelle zum Urhebervertragsrecht und der umfassenden Reform des Verwertungsgesellschaftengesetzes ist dies nun
die dritte große Reform in einem anspruchsvollen Feld .
Damit haben die Koalitionsfraktionen die Ziele aus dem
Koalitionsvertrag umfassend umgesetzt . Es wurde geliefert . Das ist der große Unterschied zur vorangegangenen Legislaturperiode, in der, außer zu reden, überhaupt
nichts passiert ist .
({1})
Wir verabschieden heute ein ausgewogenes Gesetz,
ein Gesetz, das für Rechtssicherheit an deutschen Universitäten, Schulen und Bibliotheken sorgen wird . Das
war uns als SPD-Fraktion wichtig . Im Interesse von Unterricht und Forschung haben wir einen erlaubnisfreien
Basiszugang geschaffen, der pauschal zu vergüten ist .
({2})
Damit gibt es eine praktikable Lösung für Universitäten
und eine angemessene Vergütung für die Rechteinhaber .
Die Zeit, in der Universitäten jahrelange Rechtsstreite
führen mussten, um zu wissen, was erlaubt ist und was
nicht, um zu erfahren, was angemessen ist und was unangemessen, ist damit vorbei . Mit der Reform wird ein umständliches Lizenzmanagement vermieden, und die drohende Abschaltung der digitalen Semesterapparate zum
Wintersemester 2017/18 wird damit wohl verhindert .
Die SPD-Fraktion hat sich lange und ausführlich mit
den Verlagen, mit den Urhebern und Rechteinhabern,
aber eben auch mit den Vertretern der Hochschulen und
Bibliotheken auseinandergesetzt . Am Ende ging es vor
allem um einen Punkt, nämlich um die Frage, ob angemessene Lizenzangebote die gesetzlichen Regelungen,
die sogenannten Schranken, aushebeln können . Wir haben von Anfang an klargemacht, dass dies mit uns nicht
zu machen ist .
({3})
Man muss sich einmal klarmachen, was ein Vorrang der
Lizenzangebote ganz allgemein bedeutet hätte . Schon ein
Lizenzangebot, also allein das Angebot, hätte dazu geführt, dass ein Verlag die gesetzlichen Schrankenregelungen hätte aushebeln können . Wenn wir einen Ausgleich
zwischen Verlegern auf der einen Seite und Wissenschaft
und Lehre auf der anderen Seite schaffen wollen, dann
können wir eine gesetzliche Regelung nicht zur Disposition nur einer Seite stellen . Deswegen haben wir uns
entschieden dagegen gewehrt .
({4})
Die SPD-Fraktion hat hier eine rote Linie gezogen und
den Kern der Reform, den Vorrang der Schranke vor
vertraglichen Angeboten, durchgesetzt . Das ist unserer
klaren Linie geschuldet . So haben wir den bildungs- und
wissenschaftsfreundlichen Charakter dieses Gesetzes erhalten können .
Meine Damen und Herren, ich möchte mich abschließend auch im Namen der SPD-Fraktion bei all jenen,
die sich im Urheberrecht engagiert haben, für die ausgezeichnete Arbeit bedanken . Ich danke dem Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, Herrn Heiko
Maas, und dem zuständigen Parlamentarischen Staatssekretär Christian Lange . Aber ich bitte Sie, Herr Minister,
dieses Lob auch an Ihr Referat weiterzugeben . Es war
über die weite Strecke dieser Legislaturperiode hinweg
eine sehr intensive, fachlich höchst kompetente und immer konstruktive Zusammenarbeit .
({5})
Ich möchte mich aber auch bei den Kolleginnen und
Kollegen meiner Fraktion bedanken, die über alle Fachbereiche hinweg Interesse am Urheberrecht hatten . Es
sei mir erlaubt, dass ich einen hervorhebe, nämlich Siggi
Ehrmann, weil er in der nächsten Legislaturperiode dem
Bundestag nicht mehr angehören wird .
({6})
Siggi, bei dir waren die urheberrechtlichen Interessen der
Kreativen und der Kulturschaffenden immer gut aufgehoben . Herzlichen Dank dafür!
({7})
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluss
meinen Dank auch an die Kolleginnen und Kollegen des
Koalitionspartners richten . Trotz aller Interessengegensätze haben wir immer fair zusammengearbeitet . Gerade
bei diesem letzten Thema - das muss ich als Rechtspolitiker sagen - gab es eine ganz besondere Nähe zu den
Bildungspolitikern in der Fraktion .
({8})
So ist das nun einmal . Aber wir sind zu einem guten Ergebnis gekommen .
Herzlichen Dank und Ihnen noch eine gute Zeit .
({9})
Vielen Dank, Herr Kollege Flisek . - Als Nächster hat
Dr . Stefan Heck für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste auf der Tribüne! Wir setzen heute den Koalitionsvertrag um, in dem festgelegt wurde, dass wir eine
Bildungs- und Wissenschaftsschranke einführen wollen .
Aber ich will ganz ehrlich sagen: Ich kann die Euphorie,
die hier teilweise in den Wortmeldungen aus den Reihen der Koalition aufkam, als Rechtspolitiker der Union
nicht so richtig teilen .
({0})
Wir haben in dieser Legislaturperiode ein ausgesprochen anspruchsvolles Arbeitsprogramm im Bereich des
Urheberrechts gehabt .
({1})
Wir haben zu Beginn auf Grundlage einer europäischen
Richtlinie das Verwertungsgesellschaftengesetz neu geregelt . Wir haben uns dann sehr intensiv mit dem Urhebervertragsrecht beschäftigt und die Novelle gemeinsam
zum Abschluss gebracht . Es war gut, dass wir bei all
diesen Gesetzen eines immer ganz besonders im Blick
hatten: die Rechte der Urheberinnen und Urheber und der
Rechteinhaber, die dafür sorgen, dass das geistige Eigentum, über das wir sprechen, überhaupt erst entsteht . Uns
als Union war dabei immer wichtig, dass wir die grundlegenden Regeln und Überzeugungen, die wir im analogen
Zusammenleben haben, auf das Digitale zu übertragen
versuchen . Das gilt für viele Rechtsbereiche; das gilt für
die Innenpolitik, und das gilt ganz besonders auch für die
Rechtspolitik . Da ist es eben so, dass ein Ausgleich der
Interessen, von dem gesprochen worden ist, im Regelfall
dadurch stattfindet, dass eine Seite für die Leistungen der
anderen Seite Geld bezahlt .
({2})
Es ist schade, dass wir diesen Weg heute ein Stück
weit verlassen . Wir haben Schranken im Urheberrecht,
und sie haben ihre gute Berechtigung . Ja, es geht um die
Wissenschaftsfreiheit, die im Grundgesetz zu Recht einen besonderen Schutz erfährt; aber es geht eben auch
um die Eigentumsfreiheit aus Artikel 14 des Grundgesetzes . Wir wissen, dass im Urheberrecht immer auch in
besonderer Weise das Persönlichkeitsrecht der Urheberinnen und Urheber eine Rolle spielt . Ich glaube, dass
in diesem besonderen Spannungsfeld der Grundrechte
für uns als Gesetzgeber besondere Vorsicht geboten sein
sollte .
({3})
Ich will zu dem Gesetz, das wir heute beschließen,
vier kurze Anmerkungen machen .
Erster Punkt . Als wir im Dezember 2013 den Koalitionsvertrag beschlossen haben, war nicht absehbar,
welche dramatische Veränderung sich für viele Verlage
ergeben würde . Die Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs zum Fall Reprobel und die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, bekannt geworden unter
dem Schlagwort „Vogel-Urteil“, hätten wir damals nicht
kommen sehen können . Ich muss Ihnen sagen: Ich bin
unsicher, ob wir, wenn wir das geahnt hätten, diese Verabredung so getroffen hätten . Wir haben die Situation,
dass gerade kleine und mittelständische Verlage durch
die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die ich gar
nicht kritisieren möchte, in eine teilweise existenzbedrohende Situation gekommen sind . Aber es hätte niemals
ein Deutscher Bundestag sehenden Auges eine Regelung
beschlossen, die zu dieser Situation führen würde . Deswegen waren wir, glaube ich, gut beraten, zunächst auf
nationaler Ebene sehr viel dafür zu tun, hier Abhilfe zu
schaffen . Wir warten jetzt darauf, dass die endgültige
Regelung auf europäischer Ebene getroffen wird . Es war
uns schon ein wichtiges Anliegen, dass wir das hinkriegen . Herr Minister, hier mussten Sie zum Jagen getragen werden . Wir hätten uns gewünscht, das Ganze wäre
schon sehr viel eher geschehen .
({4})
Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist
der Vorrang von vertraglichen Vereinbarungen . Es ist
hier mehrmals angesprochen worden: Dass vertragliche
Vereinbarungen Vorrang haben vor freiem Zugang zu
Leistungen, ist ein Element, das wir in keinem anderen
Rechtsgebiet überhaupt diskutieren würden . Wir hätten
uns sehr gewünscht, dass wir dieses Instrument im Urheberrecht weiterhin nutzen . Es ist schade, dass es uns am
Ende nicht gelungen ist, dies aufzunehmen .
({5})
Die dritte Anmerkung . Wir haben gerade im Bereich
der Wissenschaft unglaublich viel an Digitalisierung
erlebt und sind erstaunt, was alles möglich ist . Was ich
nicht begreife, ist, dass es uns nicht gelingt, ein funktionierendes System der Einzelabrechnung für urheberrechtlich geschützte Werke zu etablieren . Da haben wir
als Gesetzgeber möglicherweise nicht genug getan, aber
vor allem sind da die Hochschulen und die Verlage in
der Pflicht. Deswegen ist es uns ein wichtiges Anliegen,
innerhalb der nächsten Jahre eine rechtssichere Onlinelizenzierungsplattform zu schaffen .
({6})
Eine letzte Anmerkung, wenn Sie mir das erlauben .
Wir haben sehr lange mit diesem Gesetz gerungen; das
ist ein offenes Geheimnis . Es gab auch in unserer Fraktion unterschiedliche Herangehensweisen und Ansätze .
Für uns war am Ende Bedingung für die Zustimmung,
dass wir dieses Gesetz befristen . Wir glauben, dass es
nicht der Weisheit letzter Schluss ist . Ich glaube, wir
sollten die fünf Jahre als Zeitraum des Übergangs nutzen
und gemeinsam daran arbeiten, dass wir insbesondere ein
funktionierendes Lizensierungssystem hinbekommen .
Ich hoffe, dass wir, wenn wir das nächste Mal im Deutschen Bundestag über dieses Thema beraten, Mehrheiten
finden, die das geistige Eigentum wieder höher schätzen,
als wir es heute tun .
Herzlichen Dank .
({7})
Herzlichen Dank, Herr Kollege Dr . Heck . - Als Nächstes erteile ich Frau Marianne Schieder für die SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Woche ist eine gute Woche für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Hochschulen und Bibliotheken
und auch für uns Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker .
({0})
Mit den neuen Schrankenregelungen im Urheberrecht
werden die einschlägigen gesetzlichen Vorgaben neu und
übersichtlich geordnet und wird das Gesetz zeitgemäß
gestaltet .
Herr Kollege Heck, da Sie sagten, der Herr Minister
musste zum Jagen getragen werden, darf ich, um im Bild
zu bleiben, entgegnen: Mit uns ist er zum Schießen gekommen . Bei Ihnen hätte er nicht einmal ein Gewehr bekommen, und dann wäre gar nichts zustande gekommen .
({1})
Und getroffen hat er natürlich auch .
Ich will mich den Punkten zuwenden, die mir als Bildungspolitikerin besonders wichtig erscheinen . Das ist
zum einen die Vereinfachung . Es war doch bislang oft
sehr schwierig, wenn man im Unterricht einen Bildausschnitt oder etwas anderes verwenden wollte, festzustellen, was man verwenden darf und was nicht . Jetzt ist auf
einen Blick und auch ohne Jurastudium klar, was man
darf und was man nicht darf .
Ich möchte auch die digitalen Semesterapparate ansprechen . Es war doch wirklich dramatisch, als die Hochschulen im letzten Herbst gedroht haben, diese Apparate
abzuschalten . Nur durch ein Moratorium konnte dies in
letzter Sekunde verhindert werden . Ich bin wirklich froh,
dass wir mit diesem Gesetz, mit dieser Reform erreichen,
dass die Semesterapparate weiter betrieben werden können und dass generell eine zeitgemäße Arbeit im Wissenschaftssystem sichergestellt wird .
({2})
Als Drittes möchte ich darauf hinweisen, dass wir
endlich eine Grundlage für eine legale Nutzung haben
werden . Es ist doch kein Geheimnis, dass ein viel zu
großer Teil urheberrechtlich geschützter Werke über Piraterie zu den Nutzerinnen und Nutzern gekommen ist .
Die allermeisten von ihnen wollten doch gar nicht gegen
das Urheberrecht verstoßen . Aber ein wirklich kompliziertes und unübersichtliches Gesetz hat es ihnen schwer
gemacht, das Urheberrecht einhalten zu können . Damit
ist Schluss . Alle wissen künftig, wie geistiges Eigentum
zu schützen, zu nutzen und auch zu achten ist . Mit diesem Gesetz geben wir einen Weg für eine einfache, legale
und angemessen vergütete digitale Nutzung von wissenschaftlicher Literatur vor .
Auch ich möchte herzlich Danke sagen, und zwar an
Herrn Kollegen Schipanski und die Rechtspolitikerinnen
und Rechtspolitiker der SPD-Fraktion - die Union kann
ich leider nicht einschließen -, allen voran Eva Högl und
Christian Flisek, sowie natürlich auch an das BMJV .
Danke für die gute Zusammenarbeit und die bis zur letzten Minute engagierte Arbeit am Gesetz! Ich meine, die
Mühe hat sich gelohnt . Man kann heute wirklich sagen:
Was lange währt, wird endlich gut .
Vielen Dank .
({3})
Vielen Dank, Frau Kollegin Schieder . - Nunmehr hat
der Kollege Michael Kretschmer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das
Urheberrecht regelt eine wirklich schwierige Materie:
den Anspruch von Verlagen, von Autoren auf ihr geistiges Eigentum und auf der anderen Seite die Frage, wie
die Wissenschaft, wie andere Nutzer das Werk verwenden können . Mit dem Versprechen, eine Bildungs- und
Wissenschaftsschranke einzuführen, um dieses Thema
grundlegend zu regeln, haben wir uns ein wichtiges, aber
eben auch schwieriges Thema vorgenommen .
Ich bin sehr froh - mit mir die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, im Besonderen natürlich die Wissenschaftspolitiker, aber eben auch die gesamte Wissenschafts- und
Hochschullandschaft in Deutschland -, dass uns dieses
Mammutwerk gelungen ist, meine Damen und Herren .
({0})
Denn wir finden mit diesem Gesetz einen wirklich fairen
Ausgleich - der nicht einfach ist, der im Übrigen angesichts der schwierigen Lage nur von einem Parlament
zu erreichen ist - zwischen den Interessen der Verleger,
der Autoren und der Nutzer . Die erlaubnisfreie Nutzung
urheberrechtlich geschützter Werke für die akademische Lehre in dieser Art und Weise, das heißt mit einer
pauschalen Vergütung, ermöglicht den einfachen und
unkomplizierten Einsatz der wissenschaftlichen Lehrbücher im digitalen Zeitalter .
Wir haben an der Universität Osnabrück einen Versuch gemacht, um der Frage nachzugehen, ob nicht auch
eine Einzelerfassung der Nutzungen eine mögliche Variante ist . Aber jeder, der sich vorstellt, dass in einer Bibliothek Tausende Bücher sind, für die es wirklich in jedem einzelnen Fall eine eigene Regelung bräuchte, wird
nachvollziehen können, dass eine Einzelvergütung zu
komplex, zu bürokratisch wäre und am Ende Aufwand
und Kosten in keinem Verhältnis zu dem stünden, was
als Umsatz generiert würde . Deswegen ist es richtig, dass
wir in Zukunft eine Pauschalvergütung haben werden .
({1})
Es bleibt die Aufgabe, dass sich auch die Verlage gerade im Bereich der Wissenschaft auf das digitale Zeitalter
einstellen . Wir machen mit diesem Urheberrecht tatsächlich ein echtes Angebot . Wir schaffen ein Urheberrecht,
das die Erfordernisse der Digitalisierung berücksichtigt .
Jetzt liegt es an den Verlagen - nicht an den Hochschulen
oder den Schulen - entsprechende Angebote zu machen
und die Chancen der Digitalisierung zu ergreifen . Es wird
sich zeigen, ob ihnen das gelingt, was im Bereich der
Musik- und Filmindustrie sehr lange gedauert hat - man
könnte auch sagen: zu lange -, am Ende aber tatsächlich
zu praktikablen und auch akzeptierten Konzepten geführt
hat, die heute von uns allen genutzt werden . Das brauchen
wir auch im Bereich der Wissenschaft . Es wäre natürlich
eine große Chance, in einem Land mit 80 Millionen Einwohnern, in der Wissenschaftsnation in Europa - wer ist
stärker als der Wissenschaftsstandort Deutschland? - ein
solches Modell aufzusetzen und es zum Standard für Europa und darüber hinaus zu machen . Das könnte ein echter Wettbewerbsvorteil sein . Man kann nur hoffen, dass
sich die Verlagsbranche zusammenfindet und ein solches
System aufsetzt, meine Damen und Herren .
({2})
Wir wollen die digitale Nutzung, wir wollen die faire
Vergütung, und wir möchten, dass auch im Bereich der
Schulen und der Lehre eine breite Nutzung von Zeitungen und Zeitschriften, übrigens auch von Tageszeitungen
stattfindet. Es ist wichtig für unsere Demokratie, dass
sich junge Leute mit ihr auseinandersetzen, dass sie einen
guten Zugang zu Informationen bekommen und eine tägliche Berührung haben - nicht nur mit sozialen Netzwerken, sondern mit wirklich hochwertigen journalistischen
Produkten . Deswegen kann man nur hoffen, dass auch in
diesem Bereich sich etwas bewegt .
Die Bundesministerin für Bildung und Forschung hat
mit dem Digitalpakt, der jetzt mit den Ländern ausverhandelt ist, ein Angebot gemacht .
({3})
Wir werden hier in der nächsten Legislaturperiode - zumindest wird die CDU/CSU dafür kämpfen - einen deutlichen Schritt nach vorn machen und über 5 Milliarden
Euro in die Ausstattung von Schulen, von Berufsschulen
mit digitalen Medien investieren, die die Grundlage dafür
sind, dass das, was wir in diesem Gesetz regeln, am Ende
in der Praxis, in den Schulen ankommt . Ich hoffe, meine
Damen und Herren, dass uns das am Ende gelingen wird .
({4})
Ob es gelingen wird, ob es eine Bildungscloud geben
wird, ob wir diese ganzen Dinge wirklich in den Schulen
einsetzen, hat auch etwas mit politischen Mehrheiten zu
tun . Unsere Position dazu ist klar .
({5})
Mit dem heute vorliegenden Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz leisten wir einen ganz wichtigen Beitrag und schaffen die Voraussetzung dafür, dass diese
Dinge am Ende möglich sind .
Herzlichen Dank .
({6})
Herzlichen Dank, Herr Kollege Kretschmer . - Ich
schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse
der Wissensgesellschaft .
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/13014, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/12329 und 18/12378 in der
Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Regierungsfraktionen
gegen die Stimmen der Linken und bei Enthaltung der
Grünen angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmergebnis wie soeben
angenommen .
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/13014 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen .
({0})
- Wir sind noch nicht am Ende der Abstimmung . - Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der
Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition
angenommen .
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/13022 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der Linken und bei
Enthaltung der Grünen abgelehnt .
Zusatzpunkt 13 b . Wir setzen die Abstimmung zu der
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und
Verbraucherschutz auf Drucksache 18/13014 fort . Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/5405 mit dem Titel „Verleihbarkeit digitaler Medien entsprechend analoger Werke in
Öffentlichen Bibliotheken sicherstellen“ . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der Linken
und bei Enthaltung der Grünen angenommen .
Ich rufe den Zusatzpunkt 14 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der Netzentgeltstruktur ({1})
Drucksache 18/11528
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({2})
Drucksache 18/12999
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
Kollegen Johann Saathoff für die SPD-Fraktion das Wort .
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Mit dem Beschluss über die Ehe für alle
haben wir heute Morgen schon etwas für die Gerechtigkeit in Deutschland getan . Mit dem Netzentgeltmodernisierungsgesetz, das wir jetzt gleich beschließen wollen, wollen wir ebenfalls etwas für die Gerechtigkeit in
Deutschland tun . Darin geht es nämlich um die Gerechtigkeit bei der Energiewende . Gestern haben wir mit dem
Mieterstromgesetz auch schon etwas für die Gerechtigkeit in der Energiewende getan . Irgendwie scheint das
Thema Gerechtigkeit Thema der Woche zu sein .
({0})
Bezogen auf das NEMoG müsste man dann nämlich
sagen: Gleiche Übertragungsnetzentgelte für alle! Wenn
es um die Kosten des Baus und um den Betrieb von
Stromleitungen geht, muss man vor allem zwischen zwei
verschiedenen Ebenen unterscheiden . Zum einen gibt es
das Verteilnetz, an das jeder zu Hause angeschlossen ist;
zum anderen gibt es das Übertragungsnetz, das Strom in
großen Mengen zwischen den Regionen in Deutschland
transportiert, in Zukunft vor allem grünen Strom aus dem
Norden Deutschlands, der in die Lastzentren im Süden
und Westen Deutschlands transportiert werden muss .
Beim Übertragungsnetz geht es also um deutschlandweite Interessen . Die Kosten fallen bislang aber in den
vier Regelzonen der Übertragungsnetzbetreiber in unterschiedlicher Höhe an . Die Netzentgelte auf dieser Ebene
sind also nicht gleich verteilt . Das wollen wir nun ändern .
Mit der bundesweiten Angleichung werden wir diese
Übertragungsnetzentgelte schrittweise angleichen . Alle
werden am Ende das Gleiche zahlen, egal ob in Emden
oder Freiburg, in Chemnitz oder in Kassel .
Die Netzentgelte auf Übertragungsebene sind vor allem für industrielle Großverbraucher bedeutsam . Hier
schlagen die zum Teil erheblichen Erhöhungen der Übertragungsnetzbetreiber dieses Jahr voll durch . Auch die
Klagen der letzten Monate über die Standortnachteile
aufgrund hoher Netzentgelte, gerade in den neuen Bundesländern, kann ich ein Stück weit nachvollziehen . Deshalb hatte sich auch der Bundesrat für eine Vereinheitlichung ausgesprochen, und das, liebe Kolleginnen und
Kollegen, setzen wir jetzt um .
({1})
Man muss aber sagen, lieber Kollege Olli Krischer:
Wenn es um die Modernisierung der Netzentgeltstruktur
geht, ist dieses Gesetz bestenfalls ein Reförmchen . Eine
umfassende Reform der Netzentgeltsystematik, die mit
Maßnahmen zur Sektorkopplung einhergeht und auch
die Finanzierung der Energiewende insgesamt behandelt,
muss sehr gut vorbereitet sein . Wir arbeiten schon daran,
und ich bin mir sicher: In der nächsten Legislaturperiode
werden wir hier zu einer umfassenden Reform kommen,
ja sogar zu einer umfassenden Reform kommen müssen .
Heute wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen weiteren Punkt regeln . Dieser betrifft die
vermiedenen Netzentgelte; zugegebenermaßen ein Feinschmeckerthema in der energiepolitischen Debatte . Die
vermiedenen Netzentgelte sind im Grunde eine Vergütung für dezentrale Erzeuger, die Netzausbau auf höheren Spannungsebenen durch ihre Erzeugung von Energie
vermeiden . Diese vermiedenen Netzentgelte sind in den
vergangenen Jahren stark gestiegen . Ob das in diesem
Maß gerechtfertigt war, darüber kann man diskutieren .
Auf jeden Fall war ein Anstieg in der Höhe selbst für
Investoren nicht zu erwarten .
Bei den vermiedenen Netzentgelten sind wir den Vorschlägen des Bundeswirtschaftsministeriums nur teilweise gefolgt . Vor allem das Abschmelzen der vermiedenen
Netzentgelte sehen wir kritisch . Mit der KWKG-Novelle
haben wir den Betreibern der Anlagen Planungssicherheit
gegeben . Wir haben das getan, weil wir die KWK-Anlagen zur Erreichung unserer Klimaziele brauchen . Wenn
wir den Betreibern die vermiedenen Netzentgelte gestrichen hätten, hätten wir der KWK wieder den Boden unter
den Füßen weggezogen . Wir brauchen mit dem Voranschreiten der Energiewende aber auch die steuerbaren
Anlagen; denn diese müssen die Residuallast und andere
wichtige Aufgaben erbringen . Weil das so ist, schmelzen
wir die vermiedenen Netznutzungsentgelte nicht ab und
geben den Betreibern, vornehmlich den Kommunen, damit die notwendige Planungs- und Investitionssicherheit,
die sie brauchen .
({2})
Man kann das auch mit kleinen Gaskraftwerken machen, die man den Übertragungsnetzbetreibern an die
Vizepräsidentin Michaela Noll
Hand gibt, aber ehrlich gesagt, bin ich von diesem Instrument nicht wirklich überzeugt . Es ist ein Kompromiss, so wie wir in dieser Periode eine ganze Reihe von
Kompromissen schließen mussten, die uns nicht wirklich
geschmeckt haben .
Ich möchte zum Abschluss dieser Periode noch einen
Ausblick wagen . Die Reform der Netzentgeltsystematik
in Kombination mit der Sektorkopplung habe ich bereits
angesprochen . Aber da wir wissen, dass der Netzausbau
nicht hinterherkommt, müssen wir auch über Maßnahmen sprechen, die uns in den nächsten zehn Jahren Entlastungspotenziale im Netz bieten . Als ich gehört habe,
wie hoch der durchschnittliche Auslastungsgrad der
Stromnetze in Deutschland ist, habe ich erst einmal geschluckt: Es sind 27 Prozent . Es geht in Zukunft also auch
um innovative Maßnahmen beim Netzbetrieb, durch die
der geplante Netzausbau keinesfalls infrage gestellt werden soll, die aber alles in allem höhere Übertragungsraten
liefern sollen - um eine Anleihe aus dem digitalen Jargon
zu bemühen .
Es gibt eine ganze Reihe vielversprechender Ansätze .
Diese wollen wir uns in den nächsten Monaten genauer
anschauen, auf ihr Potenzial prüfen und gegebenenfalls
schnellstmöglich umsetzen; denn das günstigste Netz
ist das, das nicht gebaut werden muss, das optimiert betrieben wird . In der Energiepolitik wird uns also in den
nächsten Jahren sicher nicht langweilig werden .
Ich möchte mich abschließend herzlich bedanken bei
meinen Kollegen Berichterstattern, speziell auch bei
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BMWi . Herr
Staatssekretär, nehmen Sie den Dank bitte mit an die
Kolleginnen und Kollegen . Ich hätte nie gedacht, dass
ich in meinem Leben einmal so vielen Ministerialbeamten das Wochenende vermiese bzw. schlaflose Nächte
bereite . Schöne Grüße an die Kolleginnen und Kollegen .
Ich möchte meine Rede auf Plattdeutsch beenden:
Besten Dank för’t tauhörn un leckerst un best för’t taukunft! Moin!
Vielen Dank, Herr Kollege Saathoff . Nun erteile ich
das Wort dem Kollegen Ralph Lenkert für die Fraktion
Die Linke .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Die Strompreise für Haushalte, Handwerker sowie kleine und mittlere Unternehmen steigen massiv an . Gerade im Norden und Osten der Republik sind
inzwischen die Netzentgelte, die Sie, liebe Zuhörerinnen
und Zuhörer, zahlen, die Haupttreiber des Strompreises .
Während die Netzentgelte in Düsseldorf bei 4 Cent je
Kilowattstunde liegen, liegen sie in Teilen Brandenburgs
schon bei 11 Cent . Die Lage ist absurd: In Brandenburg,
Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, also dort, wo viel
Strom produziert wird, ist er teurer als in Bayern, wo er
aufwendig hintransportiert wird . Ein Stahlwerk in Thüringen zahlte 2016 900 000 Euro mehr Stromkosten als
ein vergleichbares Werk im Ruhrgebiet . Stromintensive
Unternehmen siedeln sich dort an, wo der Strom billig
ist . In der Folge wird mehr Stromtransport benötigt, werden Netze weiter ausgebaut und steigen die Netzentgelte
weiter . Wir sind aber ein Land, haben einen Börsenstrompreis und sind alle auf ein funktionierendes Stromsystem
angewiesen .
({0})
Das Stückwerk des Koalitionskompromisses, „Netzentgeltmodernisierungsgesetz“ genannt, ermöglicht es
jetzt wenigstens, dass die Kosten des Übertragungsnetzes
zwischen den Regionen ausgeglichen werden - bis 2023 .
({1})
- Na ja, ein Anfang, aber die große Differenz bei den
Verteilnetzen bleibt . Darum fordert die Linke komplett
einheitliche Netzentgelte für alle Kunden .
({2})
Ein Beispiel: Eine große bayerische Autofirma kauft
billigsten Strom beim Kraftwerk Hamburg-Moorburg
ein . Das Kraftwerk speist 10 Millionen Kilowattstunden
ins Netz ein . Die bekommt es bezahlt, logisch . In Bayern kommen wegen der Transportverluste von 2 Prozent
auf 100 Kilometern nur 8 Millionen Kilowattstunden an .
Die Autofirma zahlt nur diese 8 Millionen, logisch. Die
2 Millionen Kilowattstunden Netzverluste zahlen Sie, die
Verbraucherinnen und Verbraucher . Das ist doch absurd!
({3})
Dass Spekulanten und Stromhändler die Netze mitbezahlen, hätte in den Gesetzentwurf geschrieben werden
müssen . Liebe Bürgerinnen und Bürger, genau diese Börsenstromhändler, Kraftwerkskonzerne und Großkunden
fordern für eigene Profite einen maximalen Netzausbau;
denn sie müssen den ja nicht bezahlen . Die für diese Profite geplanten Starkstromtrassen UltraLink, SuedLink
und SuedOstLink lehnt die Linke ab .
({4})
Dass Alternativen technisch möglich und sogar billiger sind, hat die Studie „Dezentralität und zellulare
Optimierung - Auswirkungen auf den Netzausbau“ der
Stadtwerke Nürnberg, der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg und der Prognos AG belegt .
({5})
Aber Sie von CDU/CSU und SPD und auch die Grünen
hören ja lieber auf die Übertragungsnetzbetreiber . Sie hören lieber das Märchen, die Energiewende sei vom Netzausbau abhängig .
({6})
Netzbetreiber erhalten 7 Prozent garantierte Rendite
auf investiertes Kapital - bei null Risiko . Da baut doch
jeder Kapitalist so viele Stromtrassen wie möglich . Liebe Koalition, behaupten Sie lieber nicht, dass die Bundesnetzagentur, BNetzA, die Angaben der Netzbetreiber ernsthaft kontrolliert; denn alle Bundesregierungen
haben der BNetzA eigene Berechnungsprogramme zum
Stromnetz verweigert . Die BNetzA rechnet mit der Software nach, die die Netzbetreiber freundlicherweise zur
Verfügung stellen . Ein Schelm, der Arges dabei denkt!
({7})
Darüber hinaus fehlen der BNetzA wichtige Informationen zum Stromsystem . 2014 fragte ich Bundesnetzagentur und Bundesregierung nach dem Alter der
Starkstromtrassen in Deutschland . Antwort: Das wissen
wir nicht . Vorletzte Woche fragte ich die Bundesnetzagentur, wie viele schwarzstartfähige Kraftwerke es in
Deutschland gibt . Das sind spezielle, meist Gas- oder
Pumpspeicherkraftwerke, die auch nach einem kompletten Stromausfall, einem Blackout, noch Strom liefern
können . Für mich als Techniker war die Antwort schockierend . Die Bundesnetzagentur wusste nicht einmal,
dass das größte Pumpspeicherkraftwerk Deutschlands,
Goldisthal in Thüringen, schwarzstartfähig ist, also bei
einem Blackout Strom liefern kann .
Klartext: Eine Behörde, die weder das Alter der
Stromtrassen noch den Kraftwerkspark in Deutschland
kennt und kein unabhängiges Rechenprogramm besitzt,
kann die Berechnungen der Netzbetreiber gar nicht nachvollziehen .
Wenn dieser Gesetzentwurf heute mit Koalitionsmehrheit beschlossen wird, werden diese drängenden Fragen
und vor allem eine faire Kostenverteilung der Netze
weiterhin nicht gelöst . Die Linke lehnt daher UltraLink,
SuedLink, SuedOstLink und diesen verkorksten Entwurf
eines Netzentgeltmodernisierungsgesetzes ab .
({8})
Danke, Herr Kollege Lenkert . - Nun spricht der Kollege Dr . Matthias Heider für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Lenkert, wenn
man einmal in Betracht zieht, dass es gerade einmal fünf
Höchstspannungsleitungen zwischen den neuen und den
alten Bundesländern gibt, von denen sich eine in Bayern
befindet, dann kann ich mich dem Verständnis der Energiewende, das Sie gerade präsentiert haben, nicht so ganz
anschließen .
In der Tat beschließen wir hier heute aber ein Gesetz,
das mit der heißen Nadel gestrickt ist . Das liegt nicht nur
daran, dass wir in der Phase kurz vor Ende der Legislaturperiode stehen .
({0})
Es ist aber trotzdem wichtig, dass wir uns am letzten regulären Sitzungstag mit dem wichtigen Thema der Netzentgelte beschäftigen . Das liegt daran, dass hier in der Tat
einiges aus dem Ruder gelaufen ist und dass kein Handeln seitens des Gesetzgebers eine fahrlässige Vernachlässigung unserer Pflichten für das gesamte Bundesgebiet
wäre . Vom französischen Rechtsgelehrten Montesquieu
stammt allerdings die Erkenntnis:
Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen,
dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen .
Das hätte uns hier nicht weitergeholfen, sehr geehrte
Kolleginnen und Kollegen, wenngleich aus der Perspektive der Industrien, einiger Bundesländer und auch vieler
kommunaler Unternehmen kein Gesetz weniger Erlösverlust und damit weniger finanzielle Einbuße bedeutet
hätte .
Wir haben uns aber im Koalitionsvertrag gemeinsam - ich zitiere - dazu bekannt:
Die Koalition wird das System der Netzentgelte auf
eine faire Lastenverteilung bei der Finanzierung der
Netzinfrastruktur überprüfen .
Meine Damen und Herren, was bedeutet „überprüfen“?
Der Preis der Energiewende erschließt sich nur durch einen intensiven Blick auf Ihre Stromabrechnung . 55 Prozent der Umlagen, Abgaben und Steuern sind darin verzeichnet, und die staatlich geregelten Netzentgelte im
System der Anreizregulierung kommen noch dazu .
Die Netzentgelte machen einen durchschnittlichen
Anteil an der Stromrechnung von bis zu 25 Prozent aus .
Schon für uns Verbraucher ist das eine ordentliche Summe . Für die energieintensiven Unternehmen aber stellt
das eine erhebliche Belastung dar .
Werfen wir der Vollständigkeit wegen einmal einen
Blick auf die regionalen Unterschiede, die Sie alle im
Hinblick auf die Netzentgelte gerade angesprochen haben . Derzeit betragen Netzentgelte im Westen Deutschlands 63 Euro pro transportierter Kilowattstunde im Jahr .
Im Nordosten Deutschlands sind es bis zu 122 Euro . Die
Gründe dafür sind sehr verschieden . Das hängt zum einen mit der geringen Bevölkerungs- und Industriedichte
in diesen Regionen zusammen . Ins Gewicht fällt zum anderen aber auch der in Nord- und Ostdeutschland überproportional starke Ausbau der erneuerbaren Energien .
Speziell in Ostdeutschland ist auch die Investitionshistorie eine andere als im Rest des Bundesgebietes .
Vielfach sind Investitionen in die Netze nach der Wende
zeitlich geschoben worden, wofür es technische, politische und eine ganze Anzahl anderer guter Gründe geben
mochte .
Fakt ist, dass es nur fünf Höchstspannungsleitungen
gibt, Herr Lenkert . Vielleicht wären wir bei der EnergieRalph Lenkert
wende schon einen Schritt weiter, wenn wir etwas eher
angefangen hätten, uns damit zu beschäftigen .
Das alles führt jetzt zu Handlungsbedarf bei den Netznutzungsentgelten, meine Damen und Herren . Ich sage
Ihnen aber: Mit einem kräftigen Ruck am Tischtuch,
um die Entgelte bundesweit zu glätten, würde man der
Sachentscheidung auch nicht gerecht werden . Denn bei
einem solchen Ruck würden eine ganze Menge Dinge
vom Tisch fallen . Deshalb ist eher vorsichtiges Ziehen
mit Augenmaß geboten .
Von einer grundsätzlich unfairen Lastenverteilung ob jetzt zwischen Nord und Süd, Ost und West - kann
man nach meiner Auffassung eh nicht sprechen . Dazu
lohnt auch ein Blick auf die EEG-Umlage . Was sie anbetrifft, gibt es ebenso bevorteilte wie benachteiligte
Regionen . So zahlte zum Beispiel Nordrhein-Westfalen
2014 mit Verbrauchern und Unternehmen 3,1 Milliarden
Euro in die EEG-Umlage . Zum Vergleich: Nach Schleswig-Holstein flossen in diesem Zeitraum netto 675 Millionen Euro aus der EEG-Umlage . Unterschiedliche
Netzausbaukosten können insoweit zumindest teilweise
gegenläufig und damit kostenglättend wirken. Es kommt
auf einen Gesamtblick auf diese Belastungen an .
Während wir bei der EEG-Umlage eine besondere
Ausgleichsregelung - einen Schutzmechanismus - für
energieintensive Unternehmen haben, fehlt dieser Mechanismus bei den Netzentgelten . Darin liegt das Problem, und ich mache das noch einmal an dem Stahlwerk
in Salzgitter und an dem Stahlwerk in Duisburg deutlich:
Dem einen Stahlwerk ist ein geringeres Netzentgelt als
dem anderen Stahlwerk zu zahlen . Bei der EEG-Umlage
stehen beide als energieintensive Unternehmen dagegen
gleich .
Im Koalitionsvertrag steht nicht nur die Überschrift
„Die Energiewende zum Erfolg führen“, sondern auch
die Überschrift „Deutschlands Wirtschaft stärken“ . Auch
daran müssen wir denken, und deshalb darf ein Arbeitsplatz im Osten oder im Norden nicht unsicherer sein, nur
weil dort der Strom teurer ist . Als Nordrhein-Westfale
kann ich durchaus verstehen, dass es ein Interesse daran
gibt, aber im Westen des Landes sagen wir: Die Beseitigung der Wettbewerbsnachteile in anderen Regionen darf
nicht dazu führen, dass sie in wiederum anderen Regionen erwachsen .
({1})
Das gehört auch dazu . Deshalb sind wir mit den Maßnahmen, auf die wir uns verständigt haben, zwar nicht
glücklich, aber zufrieden .
Wir gleichen die Netzentgelte jetzt in einem Zeitraum
von fünf Jahren schrittweise an, sodass 2023 ein einheitliches Niveau erreicht wird . Wir verschieben die Offshoreanbindungskosten in die Haftungsumlage . 1,3 Milliarden
Euro werden zukünftig über eine gesonderte Umlage gewälzt, und die energieintensive Industrie wird entlastet .
Das ist ein gutes Ergebnis, und letztendlich gibt es noch
eine Auffangregelung für den Fall, dass wir mit dieser
ganzen Nummer beihilferechtlich Schiffbruch erleiden;
denn das steht in Brüssel noch zur Debatte .
Wir haben einen Kompromiss gefunden, aber trotzdem werden wir uns in den nächsten Jahren - das hat der
Kollege Saathoff richtig eingekreist - generell über die
Netzentgeltsystematik, über die Systematik der Steuern,
Abgaben und Umlagen im Rahmen der Energiewende
Gedanken machen müssen .
Lassen Sie mich noch etwas zu den vermiedenen
Netzentgelten sagen: Das ist in der Tat ein Feinschmeckerthema, und jeder, dem man versucht das in drei Minuten an der Straßenecke zu erklären, steigt schon nach
einer Minute aus . Ich glaube aber, das Thema ist wichtig
für unsere kommunalen Unternehmen und die Investitionen, die sie deutschlandweit in KWK-Anlagen getätigt
haben; das ist schützenswert .
Wir haben als Basisjahr das Jahr 2016 gewählt . Das
lässt die Erlösverluste an dieser Stelle geringer ausfallen .
Nach einem ersten Blick auf das, was die kommunalen
Anlagenbetreiber zurückgemeldet haben, kann man sagen: Der Unterschied gegenüber dem Jahr 2015 wird ungefähr bei 25 Prozent liegen . Das ist ein ausgesprochen
gutes Ergebnis, und das können wir auch unseren kommunalen Mandatsträgern an dieser Stelle weiterreichen .
({2})
Das ist ein Erfolg vor allen Dingen auch aufgrund des
Vorschlags vonseiten der Union . Ich bin zufrieden, dass
wir uns zusammen darauf verständigt haben .
({3})
Ich fasse die anderen Punkt einmal kurz zusammen: Wir werden uns künftig noch einmal über das
Einspeisemanagement, über die Verringerung der Redispatch-Maßnahmen, über das wettbewerbliche Marktdesign unterhalten müssen, wir müssen die Energieforschung voranbringen . Vor allen Dingen müssen wir bei
einem intelligenten Verkoppeln von Großabnehmern und
Einspeisern von erneuerbarer Energie mehr auf Effizienz
und Kostensenkung setzen . Ich glaube, auch das ist einer
der Punkte, die wir beachten müssen .
Meine Damen und Herren, so viel zu den Netzentgelten für heute . Ich bedanke mich auch bei den Kollegen
der SPD für die gute Zusammenarbeit in dieser Legislaturperiode und bei den Kollegen der Union für die Unterstützung .
Herzlichen Dank .
({4})
Herzlichen Dank, Herr Dr . Heider . - Als Nächster hat
der Kollege Oliver Krischer für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sie beschließen heute ein Gesetz, das Sie Netzentgeltmodernisierungsgesetz nennen . Der Kollege Saathoff,
den ich sehr schätze, hat gerade schon gesagt: Das ist
eigentlich keine Reform, das ist bestenfalls ein Reförmchen . - Wenn schon der zuständige Vertreter einer Regierungsfraktion das so nennt, dann mag man erahnen, wie
dünn und bedeutungslos das, was Sie hier machen, am
Ende ist . Man könnte es auch mit einem alten Werbeslogan umschreiben: Nicht überall, wo Nutella draufsteht, ist
auch Nutella drin . - Eine Netzentgeltreform ist das nicht .
({0})
Da hat Herr Saathoff völlig recht .
Sie haben groß angekündigt, sich dieser Aufgabe zu
widmen . Dafür haben Sie vom Bundeswirtschaftsministerium Grünbücher und Weißbücher anfertigen lassen .
Demzufolge gibt es eine dringende Notwendigkeit zur
Reform . Da geht es um Flexibilisierung, Sektorkopplung
und Redispatch . All das sind wichtige Themen, die wir
im Rahmen der Energiewende regeln müssen . Aber man
muss leider feststellen: Diese Koalition hat trotz einer
Mehrheit von 80 Prozent nicht die Kraft aufgebracht,
eine Netzentgeltreform anzugehen . Übrig geblieben ist ich zitiere Herrn Saathoff - ein Reförmchen .
({1})
Ich hatte eigentlich gedacht, die Einführung von bundeseinheitlichen Übertragungsnetzentgelten sei schon
lange Konsens . Darüber haben wir schon vor Monaten
geredet . Aber dann war es irgendwie schwierig . Jetzt
kommen Sie nach langem Hin und Her doch noch mit
bundeseinheitlichen Übertragungsnetzentgelten . Aber
Sie führen sie nicht sofort ein, sondern schrittweise . Das
Ganze endet auch nicht in der nächsten, sondern in der
übernächsten Legislaturperiode . Also langsamer geht es
wirklich nicht .
Wenn es ein Problem gibt, dann regelt man es sofort . Wenn man etwas nicht als Problem ansieht, dann
lässt man es . Aber das, was Sie machen, ist ein typischer
großkoalitionärer Kompromiss . So können am Ende die
Kollegen in Ostdeutschland sagen: „Ja, wir haben doch
etwas gemacht“, und Herr Heider kann dafür in Nordrhein-Westfalen erzählen: „Das ist alles gar nicht so bedeutungsvoll .“
({2})
Das ist nicht das, was es zur Energiewende in Deutschland braucht . Das ist das exakte Gegenteil . Das bringt
uns nicht voran .
({3})
Sie feiern jetzt die nicht erfolgte Streichung der vermiedenen Netznutzungsentgelte, weil diese - das hat die
Anhörung gezeigt; darin waren sich alle Sachverständigen einig - vor allen Dingen die Kraft-Wärme-Kopplung, die wir alle gemeinsam ausbauen wollen, unwirtschaftlicher gemacht hätte . Das ist aber, ehrlich gesagt,
auch kein Erfolg . Die Streichung hatte ja Ihr eigenes
Wirtschaftsministerium und damit die eigene Bundesregierung vorgeschlagen . Jetzt verhindern Sie, dass der
Unsinn, den sich die Bundesregierung ausgedacht hat,
beschlossen wird . Also, das kann man wirklich nicht
als Erfolg feiern, meine Damen und Herren . Das ist die
Verhinderung von Unsinn und keine positive, nach vorne
gerichtete Politik .
({4})
Meine Damen und Herren, Sie wären nicht die Große Koalition, wenn Sie es nicht noch schaffen würden,
in einem solchen Gesetz einen wirklichen Klopper
unterzubringen . Ehrlich gesagt sind mir fast die Augen ausgefallen, als das diese Woche plötzlich kam .
Laut Gesetzentwurf kann der Netzbetreiber im Süden
Deutschlands - sprich: in Bayern - TenneT ein 2-Gigawatt-Gaskraftwerk ohne Zustimmung der Bundesnetzagentur ausschreiben .
({5})
Wir hören immer von Ihnen: Es soll keine Kapazitätsmärkte geben . Es soll wettbewerblich ablaufen .
Meine Damen und Herren, da kann man doch erfühlen, was passiert ist . CDU und SPD haben sich gestritten, auch die CSU war irgendwie dabei . Am Ende musste
wieder Herr Seehofer bedient werden. Ich finde, ehrlich
gesagt, das ist skandalös .
({6})
Damit belohnen Sie eine Politik von Herrn Seehofer, mit
der der Windenergieausbau verhindert und der Netzausbau blockiert werden soll . Zum Dank bekommt er jetzt
von allen Stromkunden in Deutschland Gaskraftwerke
zur Absicherung bezahlt . Das ist energiewirtschaftlich
absurd . Damit degradieren Sie die Energiewende endgültig zu Regionalisierungspolitik für eine südostdeutsche
Regionalpartei . Meine Damen und Herren, das kann
überhaupt nicht sein .
({7})
Ich finde, damit konterkarieren Sie all das, was Sie
sonst immer erzählen . Wir hören von Ihnen immer etwas von Marktwirtschaft, von Ausschreibungen und
von Wettbewerb im Bereich erneuerbare Energien . Aber
dann, wenn Regionalinteressen bedient werden sollen,
spielt all das plötzlich keine Rolle mehr . Dann spielt auch
keine Rolle mehr, dass das nach EU-Regeln nicht erlaubt
ist, weil ein Netzbetreiber kein Kraftwerk betreiben darf .
Das widerspricht den Unbundling-Regelungen . Das interessiert Sie alles gar nicht mehr . Eine solche Regelung
wird dann eben so in das Gesetz hineingezaubert . Damit
konterkarieren Sie Ihr eigentliches Gerede, meine Damen und Herren . Das ist typisch für Ihre Energiepolitik:
auf der einen Seite eine große Show zu machen und auf
der anderen Seite notwendige Regelungen zu verhindern
und die Erneuerbaren auszubremsen .
Deshalb bitte ich Sie: Haben Sie Verständnis, dass wir
dieses Minireförmchen, das in Wahrheit gar keines ist,
nicht mitmachen . Für den Unsinn, dass andere für die InOliver Krischer
teressen der CSU und Bayerns bezahlen sollen, sind wir
nicht zu haben . Das müssen sie schon selber machen . An
der Stelle werden wir unsere Zustimmung verweigern .
Danke schön .
({8})
Danke, Herr Kollege . - Als Nächster spricht der Kollege Carsten Schneider für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute ist fast der letzte Sitzungstag dieser Legislaturperiode, und es geht noch um wichtige Gesetze . Wir haben
lange in der Koalition darum gerungen, eine Einigung
zum Netzentgeltmodernisierungsgesetz zu erreichen .
Die unterschiedlichen Positionen sind in den Reden des
Kollegen von der Union wie auch des Kollegen von der
Linken und von Herrn Krischer deutlich geworden .
Wir haben uns als Sozialdemokraten das Ziel gesetzt,
dass wir die Energiewende umsetzen, aber dass wir sie
auch gerecht und fair finanzieren; und da haben wir eine
extreme Regelungslücke entdeckt, die wir dann auch behoben haben . Sie besteht darin, dass wir vor allem im
nordostdeutschen Bereich - Bayern wird ja jetzt immer
wieder zu Ostdeutschland gezählt; Herr Krischer hat
eben auch wieder von der CSU als „südostdeutsche Regionalpartei“ gesprochen; das war mir ganz neu ({0})
extrem hohe Netzentgelte haben . Dort sind sie deutlich
höher als in Baden-Württemberg, NRW und insbesondere Rheinland-Pfalz . Diese Ungleichheit wollten und
mussten wir beheben, und das ist uns mit diesem Gesetz
gelungen . Deswegen werden wir ihm heute auch zustimmen und halten es für einen großen Fortschritt für unser
Land .
({1})
Sie haben in der Debatte auch gemerkt, dass es zwischen SPD und CDU/CSU Unterschiede gab . Die Verhandlungen in den letzten zwei Wochen waren intensiv .
Die Ausgangslage war, dass die Union eine sehr lange
Übergangszeit wollte und die SPD das zügig umsetzen
wollte .
({2})
- Ja, Herr Hauptmann, Sie können gerne darauf eingehen . - Die Verhandlungsführer der Unionsseite wollten
eine zehnjährige Übergangszeit: zehn Jahre, bis wir einheitliche Entgelte hätten .
({3})
Wir wollten maximal drei Jahre . Jetzt haben wir uns auf
vier Jahre geeinigt . Ich halte das für einen noch vertretbaren Zeitraum . Aber dies bedeutet, dass insbesondere in
Nordostdeutschland die Kunden noch länger einen höheren Preis zahlen . Wir hätten uns eine kürzere Übergangszeit vorgestellt . Das ist leider an Ihnen gescheitert .
({4})
Nichtsdestotrotz ist es gut, dass wir noch in dieser Legislatur den Einstieg schaffen . Denn selbst dann, wenn
sich in der nächsten Legislaturperiode ein neuer Bundestag konstituiert hat, bei welchen Mehrheiten auch immer,
würde es sicherlich noch eine Weile dauern, bis es zu einer Einigung kommt . Dann hätte es mit Sicherheit keine
frühere Angleichung gegeben . Von daher stimmen wir
dem Gesetzentwurf heute zu .
Herr Kollege Lenkert aus Jena
({5})
- doch; er ist ja Carl-Zeiss-Jena-Fan; ich als Rot-Weißer
aus Erfurt kann das ergänzen - hat gesagt, dass er jede
Form der vorgesehenen Stromtrassen ablehne .
({6})
Deutschland besteht zwar aus vielen Bundesländern,
aber wir sind ein Deutschland, und der Strom wird im
Norden produziert und im Süden verbraucht . Er muss
also irgendwie dorthin transportiert werden . Dafür brauchen wir die Trassen .
Ich kann Ihnen nur sagen, dass die Thüringer Landesregierung dem Gesetzentwurf im Bundesrat zustimmen
wird, und an deren Spitze steht Ihr Ministerpräsident,
der sich per Pressemitteilung ausdrücklich für die guten
Verhandlungen, die wir beide hatten, zu diesem Gesetzentwurf bedankt hat und das Ergebnis begrüßt . Ganz so
einheitlich scheinen die Positionen in der Linkspartei,
zumindest innerhalb Thüringens, nicht zu sein .
({7})
Herr Kollege Schneider, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lenkert zu?
Wenn es der Erhellung dient, gern .
Herr Kollege Schneider, nehmen Sie zur Kenntnis,
dass ich ausdrücklich gesagt habe, dass die Angleichung
der Übertragungsnetzentgelte ein winziger Schritt in die
richtige Richtung ist . Der Ministerpräsident von Thüringen hat an dieser Stelle natürlich zuzustimmen . Aber über
die anderen Fragen, also über den Bau von UltraLink,
SuedLink, SuedOstLink, hat die Landesregierung überhaupt keine Entscheidungshoheit mehr; darüber kann nur
der Bundestag entscheiden . Deswegen müssen wir hier
die entsprechenden Gesetze ablehnen . In Thüringen kann
man darüber sowieso nicht entscheiden . Denn das hat
die Koalition, die in der vorangegangenen Wahlperiode
regierte, verhindert . Wo welche Netze und Stromtrassen
gebaut werden, entscheiden nicht mehr die Länder; das
entscheidet jetzt der Bundestag bzw . die Bundesregierung .
Insofern kann man dieses differenzierte Abstimmungsverhalten durchaus erklären . Denn Thüringen
kann nur darüber beschließen, was in seine Zuständigkeit fällt, und das sind die Übertragungsnetzentgelte . Die
Trassen selbst werden hier im Hause beschlossen, und
wir lehnen sie ab .
({0})
Herr Lenkert, danke für die Aufklärung . Aber klar
ist: Mit dem Gesetzentwurf regeln wir nicht die Trassen,
sondern die Netzentgelte .
({0})
Über die Entgelte haben wir auch im Bundesrat eine Einigung erzielt . Von daher hätte ich erwartet, dass Sie heute zustimmen . Aber es bedarf zumindest in diesem Punkt
heute nicht Ihrer Zustimmung, um die nötige Mehrheit
zu bekommen .
({1})
Ein zweiter Punkt, den ich ansprechen will, ist die
Kraft-Wärme-Kopplung . Wir haben den Stadtwerken
insbesondere in den letzten Jahren den Ausbau von
Kraft-Wärme-Kopplung und Stromfernwärme ermöglicht . Wir haben ihnen dafür Anreize gegeben und sie unterstützt, in diese Richtung zu gehen . Der Abbau dieser
vermiedenen Netznutzungsentgelte - ich verzichte darauf, ihn zu erklären, nenne nur die Stichworte: degressiv,
Zehnjahreszeitraum - hätte deren Geschäftsgrundlage
zerstört . Daher haben wir den Erlös, den sie bekommen,
auf ein vertretbares Maß reduziert, nämlich auf den Stand
von 2016 eingefroren, sodass die KWK-Anlagen auch
weiterhin ihren Teil zur Energiewende beitragen können .
Zum Dritten und zum Abschluss will ich noch einen
Punkt ansprechen, nämlich die Kernbrennstoffsteuer .
Wir reden hier viel über Geld und was die Energiewende
kostet . Sie kostet sehr viel Geld . Ich glaube, die ganze
Energiewende würde ein bisschen weniger kosten, wenn
wir sie über den Bundeshaushalt finanziert hätten.
Aber einen Teil der Finanzierung hatten Sie, die
schwarz-gelbe Regierung - Stichwort „Sparpaket 2010“ -, über die Kernbrennstoffsteuer vorgesehen .
Wir müssen jetzt 7 Milliarden Euro zurückzahlen, weil
dieses Gesetz von Schwarz-Gelb so schlecht gemacht
wurde, dass das Bundesverfassungsgericht es als verfassungswidrig eingestuft hat . Meine Damen und Herren,
das ist nicht zu akzeptieren .
({2})
Deswegen wollen wir Sozialdemokraten uns dieses Geld
wiederholen . Während der Restlaufzeiten der Kernkraftwerke soll das zurückgezahlt werden . Ich kann überhaupt
nicht verstehen, dass ein Unternehmen wie RWE diese
Windfall Profits - das sind ja Einmaleffekte - nutzt, um
in der schwierigen Lage, in der das Unternehmen ist hohe Verschuldung und kein klares Geschäftskonzept -,
Dividende auszuschütten, also dem Unternehmen noch
Kapital zu entziehen . Meine Damen und Herren, das ist
nicht zu akzeptieren . Das ist Steuergeld, das aufgrund
des schlechten Gesetzes von Schwarz-Gelb direkt in die
Kassen der Aktionäre geht . So macht man die Energiewende nicht .
({3})
Vielen Dank, Herr Kollege Schneider . - Nun hat der
Kollege Mark Hauptmann für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Kurz vor
Ende dieser Legislaturperiode ist noch einmal ein guter
Tag für Deutschland; denn heute beschließen wir mit
dem Netzentgeltmodernisierungsgesetz nach langer Zeit,
auch nach Zeiten der Blockade, lieber Carsten Schneider
und liebe Kollegen der SPD, eine wichtige Regelung .
Wir hatten das schon einmal in einem Referentenentwurf
des BMWi . Die entsprechende Regelung wurde aber
großzügig vor der NRW-Wahl herausgestrichen . Genützt
hat es dem Wahlerfolg nicht . Jetzt aber können wir diesen
Punkt nachholen und eine wichtige Entscheidung im Sinne der Akzeptanz der Energiewende bei den Bürgerinnen
und Bürgern treffen .
Keinem Menschen in Deutschland ist doch erklärbar,
warum diejenigen, die die Lasten baulicher Natur in ihren Bundesländern haben, auch die finanziellen Lasten
zu tragen haben, selbst wenn sich der eigene Nutzen für
sie und für die Region in überschaubaren Grenzen hält .
Ich will ein Beispiel aus meiner Heimat bringen .
Über die Thüringer Strombrücke leiten wir den Strom
von Nord- nach Süddeutschland, haben den Ausbau vor
Ort im Freistaat Thüringen, tragen die Kosten, aber Nutzen für unseren Freistaat ergibt sich nicht, sondern diesen haben die energieintensiven Unternehmen, die Gewerbetreibenden und die Verbraucher in Süddeutschland .
Deswegen schaffen wir etwas Ungerechtes ab, nämlich
die Stromleitung vor der Nase und die Rechnung im
Briefkasten . Mit dem heutigen Gesetz haben wir einen
Vorschlag gemacht, wie wir die Kosten für unsere Stromnetze auf viele Schultern verteilen . Wir entlasten Bundesländer im Norden und im Osten, aber auch im Süden,
im TenneT-Gebiet . Die größten Unterschiede bei Netzentgelten gibt es übrigens im Freistaat Bayern . Deswegen ist es ein Gebot der Fairness, dass wir die regionalen
Unterschiede bei der Höhe der Übertragungsnetzentgelte
beseitigen .
Ich glaube, wir können die Energiewende nur zu einem Erfolg bringen, wenn wir die Kostenverteilung
gesamtgesellschaftlich angehen . Da lohnt ein Blick in
die derzeitige Ausgangssituation . Derzeit haben wir im
Norden und Osten unseres Landes Netzentgeltpreise,
die zu einem Drittel der Strompreise in diesen Gebieten
beitragen . Stromabnehmer müssen hier teilweise 7 Cent
pro Kilowattstunde mehr bezahlen als beispielsweise in
Rheinland-Pfalz oder Nordrhein-Westfalen .
Die Industrie- und Handelskammer in meinem Wahlkreis hat ausgerechnet, was es für ein mittelständisches
Unternehmen aus der Kunststoffbranche bedeutet, wenn
es von heute auf morgen seinen Unternehmenssitz in ein
Gebiet verlagert, wo es niedrigere Preise gibt: Es spart
mehrere 10 000 Euro im Jahr, weil niedrigere Kosten
anfallen . Das heißt, wir erleben heute schon, dass die
Netzentgelte ein maßgeblicher Kostenfaktor für die Wirtschaft sind und nicht gleich in Deutschland verteilt sind .
Deswegen ist es richtig, dass wir diesen Nachteil bis zum
Jahr 2023 vollständig abschaffen .
({0})
Das ist ein gutes Signal für unsere gewerblichen Stromabnehmer in den neuen Bundesländern, aber zum Beispiel auch in Schleswig-Holstein, in Hamburg, teils auch
in Bayern .
Wie es bei einem Kompromiss üblich ist, trifft man
sich in der Mitte. 12 von 16 Bundesländern profitieren
von dieser Regelung . Das bedeutet aber auch: Manche
Bundesländer müssen in Zukunft höhere Anteile für die
Netzinfrastruktur leisten . Deswegen ist es richtig, dass
wir es im parlamentarischen Prozess - da danke ich dem
Koalitionspartner, der SPD, aber auch den Verhandlungsführern der Union und des BMWi - geschafft haben, die Vereinheitlichung nicht von heute auf morgen
durchzuführen, so wie es im ursprünglichen Plan des
BMWi vorgesehen war, sondern dass wir dafür einen Anpassungszeitraum definiert haben, der letztendlich auch
Planbarkeit schafft .
Herr Krischer, deswegen ist Ihr Vorwurf falsch, dass
wir es mit dieser Regelung in die Zukunft verschleppen .
Letztendlich sorgen wir vielmehr für alle Beteiligten in
Ost und West, weil wir die Energiewende in Deutschland
gesamtgesellschaftlich gestalten, für Planbarkeit . Auch
das ist eine Frage der Fairness im Zuge der Energiewende .
Richtigerweise wurde schon gesagt: Wir schaffen die
vermiedenen Netzentgelte für nicht steuerbare Energieerzeuger wie Wind oder Solar ab, weil sie keine netzentlastende Wirkung haben . Deswegen ist es richtig, dass
die Regelungen für KWK-Anlagen oder große Biomasseanlagen grundsätzlich fortbestehen, und zwar für Neuanlagen bis einschließlich 2022. Sie sind energieeffizient,
steuerbar und daher netzentlastend . Deswegen ist auch
diese Sonderregelung, die wir hier für die KWK-Anlagen
treffen, eine Entscheidung, die im Sinne der Energiewende zu rechtfertigen ist .
Auch hier will ich noch einmal auf den Vorwurf
der Grünen eingehen, dass die Wirtschaftlichkeit der
KWK-Anlagen durch dieses Gesetz gefährdet werde . Ich
habe mit den Stadtwerken in meiner Heimat, aber auch
mit anderen Stadtwerken in meinem Heimatfreistaat
Rücksprache gehalten . Hierbei ist ein ganz anderer Punkt
zutage getreten, dass nämlich die Energieversorger von
sich aus sagen, sie begrüßten ausdrücklich die Regelung,
die wir jetzt getroffen haben, weil sie nämlich Planungssicherheit schafft, weil sie die Rolle der KWK-Anlagen
als Energieversorger stärkt und weil anerkannt wird, dass
diese Anlagen einen wichtigen Beitrag zur Netzstabilität
dank der flexiblen und steuerbaren Einspeisungen leisten .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, natürlich
möchte ich zum Abschluss noch auf einen Punkt eingehen, der die Zukunft betrifft; es ist vor allem eine Aufgabe der nächsten Legislaturperiode . Wir folgen mit dieser
Entscheidung heute einem Beschluss der Länderkammer .
Mit diesem Gesetz gestalten wir, wie wir es auf beiden
Seiten des Hauses debattiert haben, die Energiewende
ein Stück weit gerechter . Aber das ist nur der Anfang;
denn letztendlich müssen wir auch in Zukunft Anpassungen und Reformen vornehmen . Ich bin der Überzeugung:
Wir brauchen in der nächsten Legislaturperiode eine
grundlegende Überarbeitung der Netzentgeltstrukturen .
Wir müssen den Netzausbau noch stärker mit dem Ausbau der erneuerbaren Energieträger koppeln .
Ich will dafür einmal ein Beispiel liefern: Das Land
Niedersachsen äußert permanent den Wunsch, dass mehr
für den Ausbau der Anlagen getan werde . Die Landesregierung hat es aber bis zum heutigen Tag nicht fertiggebracht, auch nur einen einzigen Meter Netzausbau in
diesem Bundesland zustande zu bringen .
({1})
Wir können die Energiewende nicht erfolgreich gestalten,
wenn wir mit dem Netzausbau nicht hinterherkommen,
wenn wir Offshoreanlagen wie BorWin 3 nicht anbinden
können, wenn der Strom stückweise sprichwörtlich im
Sande verläuft .
({2})
Deswegen ist es richtig, dass wir im Zuge der Energiewende darauf achten, dass wir Netzausbau vor Anlagenausbau gewährleisten, um sie zu einem Erfolg zu machen .
({3})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Abschluss möchte ich sagen: Uns eint, wie ich glaube, ein
Ziel . Wir haben in dieser Legislaturperiode einen Systemwechsel zustande gebracht - einen Systemwechsel
von reiner Planbarkeit und Planwirtschaft, was den Ausbauzeitraum, den Ausbaukorridor und die Höhe der Vergütung angeht, hin zu Ausschreibemodellen . Wir haben
jetzt gesehen, dass die erste Ausschreibung im Offshorebereich gezeigt hat, dass auch mit 0 Cent Subventionen
Anlagen gebaut werden können . Das Ziel für die nächste
Legislaturperiode ist, dass die erneuerbaren Energieträger in Zukunft ohne Subventionen auskommen, dass sie
sich also selber tragen können . Die übergeordneten Ziele,
die wir mit dieser Energiewende verbinden, sind soziale
Bezahlbarkeit, wirtschaftliche Verträglichkeit, aber auch
Netzstabilität . Diesen Zielen dient letztendlich das Gesetz, das wir heute vorgelegt haben .
Herzlichen Dank .
({4})
Herzlichen Dank, Herr Kollege Hauptmann . - Ich
schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Modernisierung der Netzentgeltstruktur . Der Ausschuss für
Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12999, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11528 in
der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Die stelle ich nicht fest .
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen gibt es keine . Der
Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Abstimmungsergebnis wie bei der vorangegangenen Abstimmung angenommen .
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/13047 . Wer stimmt für den Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen
gibt es keine . Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der
Grünen und Linken abgelehnt .
Ich rufe den Zusatzpunkt 15 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes
Drucksachen 18/12202, 18/12496
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({0})
Drucksache 18/13010
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat zunächst der
Kollege Marcus Held für die SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Zuhörer und Zuschauer! Wir
haben diese Woche offenbar die Woche der Erleuchtung
oder, wenn ich es anders auf heute übertrage, die Woche
der Einsicht . Heute Morgen haben wir gemeinschaftlich
hier im Deutschen Bundestag ein wichtiges Gesetz auf
den Weg gebracht .
({0})
- Herr von Notz, es war sehr gut sogar . - Mit dem Änderungsgesetz zum Telemediengesetz, das wir jetzt noch
kurz vor Ende der Legislaturperiode, nämlich wenige
Stunden vor Ende der letzten regulären Sitzungswoche,
verabschieden, setzen wir einen weiteren Meilenstein
um . Ich hätte mir in den letzten Monaten nicht erträumt,
dass wir das tatsächlich noch vollziehen können .
Wir hätten diese Entscheidung schon sehr viel früher
haben können . Leider war das innerhalb der Koalition
sehr schwierig . Ich weiß, dass wir mit den Wirtschaftspolitikern der Union - mit denen haben wir lange Zeit
sehr gut zusammengearbeitet - eigentlich in dieser Frage
gute Zwischenergebnisse hatten . Leider konnten sie sich
in ihrer Fraktion nicht durchsetzen; deswegen haben wir
ein bisschen länger dafür gebraucht . Es hat dieses Mal
aber zumindest keines Versprechers der Kanzlerin bedurft, um dieses Gesetz umzusetzen . Insofern freue ich
mich darüber, dass wir das Telemediengesetz jetzt ändern
und damit die WLAN-Störerhaftung in Deutschland endlich aufheben .
({1})
Meine Damen und Herren, wenn ich Besuchergruppen aus anderen europäischen Ländern bei mir habe,
zum Beispiel aus Polen, aus dem Partnerlandkreis meines Heimatlandkreises, aus dem Kreis Koscian, muss ich
den Schülern erst einmal sehr aufwendig erklären, was
überhaupt die WLAN-Störerhaftung ist . Dann frage ich:
Habt ihr ein Handy? Habt ihr schon mal in Deutschland
versucht, über WLAN ins Internet zu kommen? Dann beantworten mir die meisten die Frage so: Ja, aber da muss
man immer so ein schwieriges Passwort eingeben . - Das
gibt es in allen anderen Ländern Europas nicht .
({2})
Das gibt es in allen anderen Ländern der Welt nicht .
({3})
Hier sind wir über Jahre hinweg Entwicklungsland gewesen, meine Damen und Herren . Das ändern wir heute, damit wir endlich in der Technologie vorankommen, damit
wir endlich mehr offene WLAN-Netze in Deutschland
hinbekommen . Dafür bin ich sehr dankbar .
({4})
Das ist nämlich nicht nur eine Frage, die zum Beispiel
uns hier im Plenum betrifft, wenn der eine oder andere
auf sein Handy schaut oder etwas im Internet machen
will, sondern das ist tatsächlich auch eine wirtschaftliche Frage . Zum Beispiel hier in Berlin, wo immer mehr
Touristen in die Stadt kommen und im Grunde selbst mit
ihrem Guide durch die Stadt laufen können, sind offene
WLAN-Netze eine große Bereicherung . In Rheinhessen in Rheinland-Pfalz, wo ich herkomme, entwickelt
sich der Tourismus ebenfalls . Immer mehr Menschen
nehmen auch im Einzelhandel, wenn sie zum Beispiel
im Supermarkt sind, Preisvergleiche vor . Auch dort
sind die Anbieter immer wieder bereit gewesen, offene
WLAN-Netze zur Verfügung zu stellen . Sie haben es allerdings aufgrund ihrer Verantwortung nicht gewagt, ihre
WLAN-Netze ohne Zugangspasswort zur Verfügung zu
stellen .
Wir schaffen es nur, in Deutschland tatsächlich
WLAN-Netze in der Breite anzubieten, wenn wir sie öffnen . Wenn der Kunde bzw . der Bürger sozusagen von einem Hotspot in den anderen übergehen kann, ohne zu bemerken, dass der Sender wechselt, kann er die Angebote
im Internet umfassend in Anspruch nehmen . Ich denke,
das ist für uns alle ein Fortschritt .
Insofern hat der letzte Sitzungstag noch einiges gebracht: heute Morgen die Ehe für alle als großen Fortschritt, eine Bewegung für Deutschland, und heute Mittag
den Wegfall der WLAN-Störerhaftung, für den wir als
SPD über Jahre hinweg in dieser Koalition gekämpft haben . Der Kampf hat sich gelohnt - für die Menschen in
Deutschland, für die Wirtschaft und für den Fortschritt .
Herzlichen Dank .
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege . - Nunmehr hat das Wort
Dr . Petra Sitte für die Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute
reden wir mal wieder - und voraussichtlich zum letzten
Mal in dieser Legislaturperiode - über die endgültige Abschaffung der Störerhaftung
({0})
- genau, voraussichtlich -, dieses Mal tatsächlich anhand
eines Antrags, der halten sollte, was er verspricht . Es
wird endlich klargestellt, dass WLAN-Betreiber, die ihr
Netz frei zur Verfügung stellen, keine Haftung für Dritte tragen . Diese Störerhaftung ist - das hat der Kollege
gerade gesagt - tatsächlich eine rein deutsche Erfindung,
allerdings keine gute,
({1})
und ist in anderen Ländern völlig unbekannt . Das hat den
rechtssicheren Betrieb von WLAN-Netzen lange behindert und damit ihren Ausbau wirksam begrenzt . Damit
soll nun also Schluss sein .
Es bleibt aber festzuhalten, dass man das alles auch
viel früher hätte haben können, wenn Sie damals, 2014,
unserem Antrag zugestimmt hätten .
({2})
Aber nicht nur 2014, sondern auch im letzten Jahr, als wir
darüber diskutiert haben, haben wir Ihnen gesagt, dass
das so nicht geregelt bleiben kann, weil das zu Problemen führt . Nun ist genau das passiert . Nun gut, dass Sie
nicht auf mich hören, erschüttert mich nicht so tief . Aber
wenigstens haben Sie auf den Europäischen Gerichtshof
gehört .
({3})
Wir können ja anscheinend froh sein, dass es überhaupt noch zur Abstimmung kommt . Da gab es nämlich so jedenfalls die Signale in der letzten Woche - eine ganze Reihe von Hürden, die zu überwinden waren . Bei der
Anhörung im Wirtschaftsausschuss haben die Sachverständigen der Union freies WLAN in Gänze verteufelt;
es hat nicht wirklich Spaß gemacht, dort zuzuhören . Bei
den Bedrohungen, die da an die Wand gemalt wurden,
wenn etwa Cafés freie Internetzugänge bieten, hätte mich
nicht verwundert, wenn einer der Sachverständigen in einem Schlusssatz gesagt hätte, dass wir auch die Cafés
verbieten sollten .
Dass sich diese Denkweise am Ende nicht durchsetzen konnte, ist ein Grund zur Freude . Getrübt wird diese
allerdings dadurch, dass hier nicht einfach die Störerhaftung abgeschafft wird, sondern dass Sie dies mit einer
weiteren Regelung, einer weiteren Bedingung verknüpfen . Es wäre auch zu schön gewesen, wenn Sie etwas
richtig durchgezogen hätten .
({4})
Betreiber von WLAN-Zugängen sollen jetzt im Fall einer
Rechtsverletzung verpflichtet werden können, Netzsperren gegen bestimmte Inhalte einzurichten .
({5})
Das soll nun wirklich verstehen, wer will . Es ist ja nicht
so, als ob wir nicht schon hundertmal über Erfolg und
Misserfolg von Netzsperren in diesem Haus geredet hätten . Jetzt taucht das wieder auf . Wir wissen längst, dass
solche Sperren ein vollkommen untaugliches Mittel zur
Bekämpfung illegaler Inhalte sind
({6})
und immer mit der Gefahr verbunden sind, dass auch Inhalte gesperrt werden, die rechtmäßig sind .
Die technische Umsetzung solcher Sperranordnungen
liegt dann bei Privatpersonen, die WLAN anbieten, oder
bei Geschäftsinhabern . Damit droht erneut Unsicherheit .
Wie viele von Ihnen wüssten denn, was Sie auf Ihrem
Router einstellen müssten, wenn Ihnen eine solche Aufforderung ins Haus käme, um rechtlich und technisch auf
der sicheren Seite zu sein?
Am Ende bleibt wohl bloß das Motto der Großen Koalition: keine Verbesserung ohne Verschlechterung . Wir
werden uns diesmal bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf enthalten . Das ist vielleicht eine Ermutigung
für Sie, in der nächsten Wahlperiode diesen Punkt anzugehen und ihn dann auch noch zu beseitigen .
({7})
Vielen Dank, Frau Dr . Sitte . - Nunmehr hat das Wort
der Kollege Axel Knoerig für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist
richtig: Der Weg ist frei für freies WLAN . Denn in Zukunft gilt: Wer anderen Zugang zum Internet gewährt, ist
nicht mehr für die Rechtsverletzungen der Nutzer verantwortlich . Diese Neuregelung ist gerade für Hotels, Cafés
und Gaststätten wichtig . Sie müssen keine Abmahnungen mehr fürchten . Meine Damen und Herren, damit fördern wir eine schnelle Ausbreitung von freien Hotspots
in ganz Deutschland . Ich denke, das ist ein Erfolg, den
wir heute mit nach Hause nehmen können .
({0})
Ich erwähne aber auch, dass mit dem Gesetz alle Access-Provider von der Haftung befreit sind . Das heißt:
auch die großen Telekommunikationsunternehmen . Diesen Punkt haben wir in den Verhandlungen als kritisch
bewertet; denn die großen Netzbetreiber sind schon jetzt
von der Haftung für fremde Inhalte befreit . Nun werden
sie im Grunde genommen noch weiter begünstigt . Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche entfallen auch für
sie . Deshalb ist es richtig - das sage ich mit Blick auf die
Ministerin Zypries, die heute nicht da ist -, dass dieses
Gesetz in zwei Jahren überprüft wird, gerade an dieser
Stelle .
Im Entwurf war außerdem vorgesehen, dass Passwörter oder eine Registrierung nicht mehr vorgeschrieben
sind . Meine Damen und Herren, hier hat sich die Union
aber für eine Klarstellung eingesetzt: WLAN-Betreiber
dürfen weiter freiwillig Sicherheitsvorkehrungen treffen .
Hier haben wir die Bedenken der Hotels und Gaststätten
berücksichtigt. Eine Registrierungspflicht ist auch aus
innenpolitischer Sicht wichtig . Das hat der Anschlag in
Dortmund gezeigt . Der Täter konnte durch seine Anmeldung im Hotel-WLAN identifiziert werden. Ebenso hat
der Europäische Gerichtshof die Registrierungspflicht
unterstrichen .
Noch ein Hinweis an die SPD-Kolleginnen und -Kollegen sowie an das Wirtschaftsministerium: Auch das
neue EU-Programm zur WLAN-Förderung setzt auf
eine Anmeldepflicht der Nutzer, und das wird in den
Mitgliedstaaten der Union sehr wohl schon praktiziert;
denn der Europäische Gerichtshof hat eines festgehalten:
Wenn es einerseits eine Haftungsbefreiung gibt, muss es
andererseits auch eine effektive Rechtsdurchsetzung geben . Und was hält Frau Ministerin Zypries für effektiv?
Netzsperren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie sagen: WLAN ja, aber nur mit Sperren,
({1})
und in letzter Konsequenz auch mithilfe von Netzsperren .
({2})
Diese Beschränkung sollten Sie dann in der Öffentlichkeit aber auch so kommunizieren . Als Wirtschaftspolitiker der Union kann ich solche Sperren nur bedingt mittragen . Schließlich ist die Branche schon viel weiter .
({3})
Deshalb wird es Sperren - das ist letztendlich schon
wieder gut formuliert im Gesetz - nur bei mehrfachem
Missbrauch geben . WLAN-Betreiber brauchen hier keine Gängelei zu befürchten .
Meine Damen und Herren, aus meinem Wahlkreis
Diepholz - Nienburg weiß ich, wie dringend unsere Internetversorgung im mobilen und auch im Breitbandbereich besser werden muss, gerade - das betone ich hier
noch einmal - im ländlichen Raum . Ich denke, dass dieses Gesetz durchaus einen Beitrag dazu leisten wird, dass
die Abdeckung besser wird .
Daher bleibt unter dem Strich: Das freie WLAN ist
da . Es ist insbesondere für den ländlichen Raum ein Gewinn . Deswegen tragen wir dieses Gesetz auch in dieser
Fassung mit .
Danke schön .
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege Knoerig . - Nunmehr hat
das Wort der Kollege Dr . Konstantin von Notz für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man hat ein
Déjà-vu . Wir stehen hier tatsächlich zum soundsovielten
Mal sozusagen in der 120 . Minute der Spielzeit . Unzählige Male wollte der Treffer nicht gelingen - und das, obDr. Petra Sitte
wohl kein Torwart im Tor steht . Man stellt sich die Frage:
Schaffen Sie es diesmal, das kleine Einmaleins der Digitalisierung irgendwie hinzubekommen?
({0})
Seit geschlagenen sieben Jahren ist hierzulande ein
Problem, was woanders in der Welt völlig normal ist,
nämlich im offenen WLAN leicht, kostenfrei und rechtssicher zu surfen . Dabei würden auch in Deutschland
Freifunker, Gastronomen und Kirchengemeinden ihr
Netz gern zum Nutzen aller öffnen . Einige trauen sich
das, trotz großer Rechtsunsicherheiten - und das, obwohl
ihr Engagement von Ihnen als Großer Koalition nicht als
gemeinnützig anerkannt wird . Und es ist Ihnen in dieser
Woche nicht mehr gelungen, das durchzusetzen . Deswegen sage ich an dieser Stelle: Herzlichen Dank allen Freifunkerinnen und Freifunkern draußen im Land .
({1})
Seit 2013 will diese Regierung für Rechtssicherheit
sorgen, bekommt es aber auch im dritten Anlauf und
trotz Kanzlerinnenmachtwort nicht hin; in anderen Fällen scheint es ja zu helfen . Die Haftungsfragen haben
Sie - das wurde hier bereits gesagt - heute einigermaßen ausgeräumt . Aber dafür führen Sie Netzsperren ein Netzsperren -,
({2})
als hätte man nicht schon genug Diskussionen dazu gehabt . Die Anhörung hat klipp und klar gezeigt, dass die
Argumente, die da ins Feld geführt werden, es komme
massenhaft zu Urheberrechtsverstößen und zu sogenannter WLAN-Kriminalität, nicht zutreffen . Das ist nicht
existent . Dafür gibt es keine Zahlen, nirgendwo .
({3})
Damit lassen Sie den Bäcker an der Ecke, den Freifunker
und andere im Regen stehen; denn natürlich bleibt eine
Rechtsunsicherheit . Sie kriegen also noch nicht einmal
diesen Elfmeter ohne Torwart hin .
({4})
Trotzdem ist jetzt ein guter Moment, auf die Netzpolitik der 18 . Wahlperiode zurückzublicken .
({5})
Dazu fallen mir ein paar Themen ein . Derzeit werden wir
weltweit wieder heimgesucht von einer IT-Angriffswelle und Trojanern . Da kann man nur sagen: Das passiert,
wenn Sicherheitslücken der Geheimdienste in die falschen Hände gelangen . Doch Schwarz-Rot hatte in den
letzten Wochen nichts Besseres zu tun, als das Gesetz zur
Onlinedurchsuchung durch dieses Haus zu winken und
damit staatliche Zero-Day Exploits legal zu machen . Damit wird die IT-Sicherheit in Deutschland und der Welt
am Ende nicht gestärkt, sondern wird weiter geschwächt .
Das ist schlecht, meine Damen und Herren .
({6})
Vor Gericht gibt es für die Vorratsdatenspeicherung
eine klatschende Ohrfeige nach der anderen . Ich darf der
Großen Koalition sagen: Nach dem Versuch 2009 und
dem erneuten Anlauf in dieser Legislaturperiode ist die
Vorratsdatenspeicherung ein Symbol für Ihre verfehlte
Sicherheits-, aber auch für Ihre verfehlte Digitalpolitik .
Sie lassen die Unternehmen mit einer Rechtsunsicherheit
leben . Es ist gut, dass die Bundesnetzagentur jetzt festgestellt hat, das müsse nicht umgesetzt werden; denn Ihr
Gesetz ist offenkundig nicht konform mit Europarecht .
Der EuGH hat recht: Die Vorratsdatenspeicherung geht
nicht . Treten Sie sie endlich in die Tonne!
({7})
Zu guter Letzt: Von den hehren netzpolitischen Versprechungen, die am Anfang dieser Legislaturperiode
kamen, ist sehr wenig umgesetzt worden . Es bleibt zu
hoffen, dass das diesem Haus und uns in der 19 . Wahlperiode besser gelingt, mit mehr Visionen, mit mehr Hochdruck und hoffentlich besser koordiniert .
Ganz herzlichen Dank .
({8})
Vielen Dank, Herr Kollege von Notz . - Jetzt hat das
Wort der Kollege Lars Klingbeil für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Angesichts dessen, dass sich die Linken enthalten werden und der Kollege von Notz nach einer Redezeit von
eineinhalb Minuten auf andere netzpolitische Themen
umschwenken musste, kann das, was wir als Große Koalition auf den Weg bringen und heute noch verabschieden
werden, gar nicht so schlecht sein .
({0})
Zu Beginn möchte ich mich ausdrücklich bei Ministerin Brigitte Zypries bedanken . Wenn sie in der letzten
Woche nicht noch einmal richtig Druck gemacht hätte,
dann hätten wir dieses Gesetz nicht zustande bekommen .
({1})
- Ich glaube, die meisten hier wissen, dass sich die Ministerin gestern den Arm gebrochen hat und deswegen
jetzt im Krankenhaus ist . Ich will ihr von dieser Stelle
nicht nur vielen Dank sagen, sondern ihr auch gute Besserung wünschen . Ich denke, das kann ich im Namen von
uns allen tun .
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben es als
Große Koalition in dieser Legislatur geschafft, die digitale Infrastruktur voranzubringen . Wir haben massiv in
den Breitbandausbau investiert und schaffen die offenen
WLAN-Netze . Das ist gut für die digitale Infrastruktur,
auch wenn wir natürlich wissen, dass wir gerade im Bereich des Breitbandausbaus in der nächsten Legislatur
noch einmal eine Schippe obendrauf legen müssen . Wir
brauchen eine bessere Versorgung mit Glasfaserkabeln;
das wissen wir alle . Aber es ist gut, dass wir in diesen
vier Jahren vorangekommen sind .
Wir haben das Gesetz zur Verbesserung der WLAN-Situation in Deutschland schon einmal auf der Tagesordnung gehabt, haben aber durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes noch einmal nachbessern müssen .
Das Ministerium ist hier sofort aktiv geworden und hat
in diesem Gesetzestext einige Klarstellungen formuliert,
mit denen wir in der Tat Rechtssicherheit für WLAN-Betreiber schaffen .
Ich glaube, wir alle kennen die Situation aus unseren
Wahlkreisen . Ich habe meinen Wahlkreis in der Lüneburger Heide . Wenn ich dort unterwegs bin und sehe,
wie an vielen Orten von den Kommunen, von den Caféund Restaurantbetreibern überlegt wird, ob man offene
WLAN-Netze betreibt, um die Situation gerade mit Blick
auf den Tourismus zu verbessern, dann merke ich, mit
welchen rechtlichen Auseinandersetzungen sie zu kämpfen haben .
Wir alle kennen die Situation der Schulen, wo Schulleitungen überlegen, offene WLAN-Netze in den Schulen anzubieten, damit im Unterricht digitale Medien
eingesetzt werden können . Wir alle wissen, mit welcher
Unsicherheit die Schulen zu kämpfen haben . Deswegen
ist es gut, dass wir als Koalition heute diese Klarstellung
vornehmen und den Weg für offene WLAN-Netze in
Deutschland an vielen unterschiedlichen Stellen ermöglichen .
({3})
Wir nehmen die Cafébetreiber, die Schulen, die Restaurants, die Kommunen aus der Haftung heraus, und alle
wissen, dass sie nicht mehr für das haften müssen, was in
ihren offenen Netzen passiert .
Dieses Gesetz hat in der Tat - das will ich hier am
Ende sagen -, einen Beigeschmack, sodass wir nicht
hundertprozentig zufrieden sind, nämlich die Nutzungssperren, die angeordnet werden können . Wir hätten uns
gewünscht, dass dafür eine gerichtliche Anordnung notwendig ist und dass dies nicht auf Zuruf passiert . Ich nehme jetzt hier einfach einmal verwundert zur Kenntnis,
dass der Koalitionspartner sagt, dass ihm das auch gefallen hätte . Wenn das in den Berichterstattergesprächen
thematisiert worden wäre, hätten wir ja vielleicht noch
eine bessere Lösung gefunden . Das Signal in der letzten
Woche war eher, dass man dieses Gesetz gar nicht will .
Ich bin aber froh, dass wir hier noch etwas auf die Beine
gestellt haben .
In der nächsten Legislatur geht es sicherlich weiter mit
der digitalen Infrastruktur . Aber das, was wir heute beschließen, ist schon einmal ein großer Schritt .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege . - Als Letzter hat das
Wort in der Aussprache nun Hansjörg Durz für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir schaffen
heute, kurz vor Ende dieser Wahlperiode, die Störerhaftung ab . Das ist für die Ausbreitung offener WLANs
grundsätzlich äußerst positiv . Ich mache aber keinen
Hehl daraus, dass ich den vorliegenden Gesetzentwurf
für nicht so gut austariert halte wie den Status quo, den
wir mit der zweiten TMG-Novelle im letzten Sommer
beschlossen hatten . Aber aufgrund des EuGH-Urteils
wurden hier Änderungen notwendig . Den letzten Kompromiss, den wir getroffen haben, hat beispielsweise der
Verband der deutschen Internetwirtschaft eco als sehr
sinnvoll bezeichnet .
Ich akzeptiere selbstverständlich den Wunsch, die
Störerhaftung abzuschaffen . Er ist letzten Endes größer
als die damit verbundenen Bedenken, die auch in der öffentlichen Anhörung am vergangenen Montag noch einmal deutlich wurden und von den Experten vorgetragen
wurden . Gleichwohl möchte ich die Gelegenheit nutzen,
um mit drei Mythen aufzuräumen, die immer wieder in
der öffentlichen Debatte und auch hier im Parlament in
den Raum gestellt wurden .
Erstens . Es wird immer wieder von der WLAN-Wüste Deutschland gesprochen und davon, dass angeblich
nichts voranginge . Entgegen der weit verbreiteten Meinung gestaltet sich der Ausbau von WLAN-Hotspots in
Deutschland tatsächlich sehr dynamisch . Dazu ein paar
Zahlen: Alleine die drei größten Anbieter kommerzieller
WLAN-Netze verfügen mittlerweile über 3,5 Millionen
Hotspots . Im Freistaat Bayern beispielsweise werden bis
zum Jahr 2020 20 000 Zugangspunkte an öffentlichen
Plätzen im Bayern-WLAN kostenfrei zur Verfügung gestellt .
({0})
Aktuell sind 7 761 davon bereits aktiv . Unzählige Cafés,
Hotels, Konzert- und Messehallen oder Schulen bieten
ihren Gästen Zugang zum Internet über Drahtlosnetzwerke und lassen diese zumeist von professionellen Dienstleistern administrieren . Da kann und muss sicherlich
noch mehr passieren . Aber zu behaupten, dass es keine
Dynamik beim Ausbau zu verzeichnen gäbe, ist schlicht
falsch .
({1})
Zweitens . Dass der Betrieb eines WLAN generell
Rechtsunsicherheit für den Anbieter birgt, ist auch so ein
Mythos . Auch diesen Punkt möchte ich klarstellen: Wer
seine Nutzer kennt, für den gab es bisher keine RechtsunLars Klingbeil
sicherheit . In vielen Gesprächen mit Anbietern haben wir
die Rückmeldung bekommen, dass dieser Fakt bislang
nicht genügend kommuniziert wurde . Deshalb haben
wir nun mit einer Klarstellung im Gesetz dafür gesorgt,
dass etwa Hotels - das war für uns wichtig - ihre bislang
gängige Praxis der Herausgabe eines WLAN-Schlüssels
gegen Registrierung fortsetzen können, übrigens eine
Praxis, die auch international sehr häufig und in nahezu
allen Ländern praktiziert wird . Für diese Praxis der Authentifizierung schaffen wir unmissverständlich Rechtssicherheit . Hotels können sich dadurch vom drohenden
Sperraufwand befreien . Also, wer dies tut, muss später
keine Sperrlisten umsetzen . Das ist eine gute Nachricht,
vor allem für unser mittelständisch geprägtes Hotelund Gaststättengewerbe . Wer sein Netzwerk von einem
Dritten professionell betreiben lässt, hatte bisher schon
Rechtssicherheit .
Richtig ist aber auch die Feststellung, dass die vielfach diskutierte Störerhaftung sich als sehr problematisch für jene Fälle entpuppen kann, in denen ein Provider bzw . ein Nebenbeiprovider - ein Café, ein Hotel oder
ein Privater - ohne weitere Maßnahmen sein WLAN öffnet . Wir reden hier also von einer Teilmenge, die bislang
Unsicherheiten zu befürchten hatte . Hier mussten wir reagieren und haben mit dem Gesetz auch reagiert .
Drittens . Weder das Einloggen in ein fremdes WLANNetz noch die Freigabe eines fremden WLAN-Netzes
sollte gedankenlos erfolgen . Es ist in der Debatte vollkommen untergegangen, dass die Nutzer hierüber aufgeklärt werden müssen . Hier muss mehr Aufklärung erfolgen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben sehr lange über die Abschaffung der Störerhaftung miteinander
gerungen . Ergebnis ist der heute vorliegende Gesetzentwurf . Wir hatten darin eine Abwägung zwischen offenem WLAN und dem Schutz der Rechteinhaber zu
treffen, wie ihn der europäische Rechtsrahmen vorgibt .
Rechtsverletzungen im Internet sind Realität und keine
Erfindung. Enttäuschend finde ich, dass aufseiten der
Oppositionsfraktionen - das war heute auch wieder zu
hören - kein einziger Vorschlag, obwohl sie die europäischen Vorgaben kennen, zu hören war, wie man dem
Aspekt der Rechtssicherheit für die Rechteinhaber, wie
man dem Aspekt der Durchsetzung der Rechte, wie es
auch der EuGH festgeschrieben hat, nachkommt . Kritik
kann man üben, aber konstruktive Vorschläge müssen
auch folgen .
Nun hoffe ich, dass die Gesetzesänderung, die wir
heute vornehmen, tatsächlich zu mehr freiem WLAN in
Deutschland führt . Ich stelle fest, dass wir nahezu alle
Projekte der Digitalen Agenda, die wir uns in dieser
Wahlperiode vorgenommen haben, umgesetzt haben, und
damit haben wir in der Digitalpolitik in Deutschland sehr
viel vorangebracht .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank, Herr Kollege Durz . - Ich schließe die
Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Telemediengesetzes .
Es liegen mehrere Erklärungen zur Abstimmung nach
§ 31 der Geschäftsordnung vor .1)
Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/13010,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
chen 18/12202 und 18/12496 in der Ausschussfassung
anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmergebnis wie vorhin
angenommen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cem
Özdemir, Dr . Anton Hofreiter, Oliver Krischer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Emissionsfreier Mobilität zum Durchbruch
verhelfen - Mit sauberen Autos Wettbewerbs-
stärke, Wertschöpfung und Arbeitsplätze in
der Automobilwirtschaft erhalten
Drucksache 18/12948
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur ({0}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Matthias Gastel, Oliver Krischer,
Dr . Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die Bahnpolitik auf das richtige Gleis setzen
Drucksachen 18/10383, 18/11219
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur ({1}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Matthias Gastel, Stephan Kühn
({2}), Markus Tressel, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Radverkehr konsequent fördern
Drucksachen 18/11729, 18/12816
1) Anlagen 7 und 8
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst das
Wort dem Kollegen Cem Özdemir für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir Grüne diskutieren mit viel Leidenschaft über die Zukunft des Automobils . Aber wir haben kein Benzin im
Blut, sondern wir haben die Automobilwirtschaft und
ihre Zukunft im Blick .
({0})
Wer das nicht glaubt, dem empfehle ich einige sehr sehenswerte Videos über die letzten Parteitage von Bündnis 90/Die Grünen . Ich denke beispielsweise an die Rede
des Daimler-Chefs Zetsche auf dem Bundesparteitag der
Grünen im Jahr 2016, wo er zusammen mit den Grünen
die Zukunft der Automobilwirtschaft erörtert hat . Ich
denke aber auch an den letzten Bundesparteitag der Grünen 2017 in Berlin, auf dem wir beschlossen haben, dass
wir ab 2030 nur noch abgasfreie Fahrzeuge in Deutschland zulassen wollen .
({1})
Wir machen es uns bei diesen Debatten nicht leicht .
Aber wir müssen mit so einer Debatte auch nicht zum
Brigitte-Talk, schließlich geht es um eine Schlüsselindustrie unserer Volkswirtschaft, um 800 000 Beschäftigte .
({2})
Das muss man schon ernst nehmen, meine Kolleginnen
und Kollegen . Es geht um einen tiefgreifenden Veränderungsprozess in unserer Volkswirtschaft, und wir sehen
die Aufgabe der Politik darin, dass wir Veränderungen
vorantreiben, dass wir notwendige Rahmenbedingungen
so gestalten, dass alle Marktteilnehmer am Ende eine
emissionsfreie Zukunft haben .
Ich will mal sagen: Wenn alle es so machen würden
wie der baden-württembergische Ministerpräsident mit
seiner grün-schwarzen Koalition, bräuchte man sich um
die Zukunft der Automobilwirtschaft in Deutschland
deutlich weniger Sorgen zu machen . Baden-Württemberg hat beispielsweise bereits ein Drittel mehr öffentliche Ladepunkte als das größere Nachbarland Bayern .
Die Landesregierung hat jetzt angekündigt, dass sie das
Netz um weitere 2 000 Ladepunkte ergänzen möchte . So
geht Zukunft, meine Damen, meine Herren .
({3})
Das ist auch dringend notwendig für die Zukunft unserer Industrie, für die Zukunft unseres Landes . Denn
Sie wissen: Für die Hersteller ist der Weltmarkt entscheidend, da verkaufen wir unsere Autos . Ich kann Ihnen nur
sagen: Wer schon einmal - wie ich - die Luft einer chinesischen Millionenmetropole eingeatmet hat, der weiß,
dass der fossile Verbrenner keine Zukunft hat .
({4})
Ich will nicht warten, bis ein chinesischer Industrieminister oder ein chinesischer Oberbürgermeister über die Zukunft der deutschen Automobilindustrie entscheidet . Das
muss man hier entscheiden . Dann müssen wir aber auch
hier die Zukunft anpacken und uns nicht vor der Zukunft
fürchten, meine Damen, meine Herren .
({5})
Schon jetzt wird jedes zweite E-Auto weltweit in China zugelassen . Indien hat angekündigt, ab 2030 nur noch
abgasfreie Autos zuzulassen . Porsche aus Stuttgart-Zuffenhausen - das ist mein Kreisverband - hat diese Woche angekündigt, dass ab 2023 die Hälfte der Produktion
emissionsfrei fahren soll . Wer es - wie der Porsche bei
uns im Ländle - schafft, dass bis 2023 die Hälfte der
Produktion emissionsfrei fährt, der schafft bis 2030 auch
100 Prozent emissionsfreie Fahrzeuge, meine Damen,
meine Herren .
({6})
Ich vertraue den deutschen Ingenieuren, ich vertraue der
deutschen Wirtschaft - die können das .
Ich bin aber auch sehr dankbar dafür, dass die Arbeitnehmerseite mit der IG Metall an der Spitze gesagt hat,
Deutschland und Europa müssten zum Schaufenster für
die besten Umwelttechnologien beim Automobil werden . - Recht hat die Arbeitgeberseite . Wir wollen mit
ihr gemeinsam die Zukunft anpacken; denn da geht es
schließlich auch um Arbeitsplätze und die Familien .
({7})
- Die Arbeitnehmerseite, sorry . Sie haben natürlich recht .
Im Deutschlandfunk hat der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer das Ende des Verbrennungsmotors
eingeleitet, und Die Zeit fragt in dieser Woche auf der Titelseite in großen Buchstaben: „Ist das Auto am Ende?“
Das heißt, die gesamte Welt diskutiert die Zukunft der
Mobilität . Ich muss korrigieren: die gesamte Welt bis auf
einen - bis auf Alexander Dobrindt . Alexander Dobrindt
diskutiert lieber eine unsinnige Maut . Ich hätte hier gern
zukünftig einen Verkehrsminister sitzen, der mit den Arbeitnehmern, mit den Arbeitgebern die Zukunft des Autos in Deutschland diskutiert
({8})
und keine schwachsinnige Maut, die am Ende mehr Bürokratiekosten als Ertrag mit sich bringt, meine Damen,
meine Herren .
({9})
Die Bundesregierung tut bislang so, als ginge sie der
Strukturwandel nichts an . Sie verabschiedet sich en passant von dem selbstgesteckten Ziel, 1 Million Elektroautos auf die Straße zu bekommen . Die Kaufprämie stellt
sich als Rohrkrepierer heraus . Das Ganze wird dann noch
durch das Dieseldesaster von Herrn Dobrindt getoppt .
Ich finde, wenn man die Folgen der Dieselkatastrophe
Vizepräsidentin Michaela Noll
anschaut, dann muss man doch sagen: Herr Dobrindt ist
nicht der Verkehrsminister dieser Republik, sondern er
ist der Bundesfahrverbotsminister . Denn seine Politik
wird dazu führen, dass künftig Dieselfahrer in Deutschland ein dickes Handbuch brauchen, mit dem sie durch
Deutschland fahren . Sie müssen dann schauen, in welche
Stadt sie noch reinfahren dürfen und in welche nicht .
Wer eine solche Politik will, muss Herrn Dobrindt
wählen . Wir wollen hingegen im Interesse derjenigen,
die sich zu Recht auf das verlassen haben, was ihnen,
als sie ihr Auto gekauft haben, versprochen wurde, dafür
sorgen, dass das Verursacherprinzip gilt, dass die Autos
nachgerüstet werden und diejenigen dafür zahlen, die
den Fehler verursacht haben . Die Autofahrer dürfen nicht
die Gelackmeierten Ihrer Politik werden .
({10})
Ich will mich ausdrücklich bei Oberbürgermeister
Reiter, SPD, bedanken . Übrigens ist er Mitglied einer
SPD-CSU-Koalition in der Landeshauptstadt München,
die deutlich macht, dass die Kommunalpolitiker auf uns
warten und sagen: Wir können das Problem, das ihr uns
beim Diesel eingebrockt habt, nicht beseitigen .
Meine Damen, meine Herren, deshalb ist die Bundespolitik gefragt . Ich rate uns, dass wir der deutschen Automobilindustrie nicht das Schicksal von Nokia empfehlen .
Sie wissen, was mit Nokia, dem einstigen Weltmarktführer, passiert ist . Nokia glaubte, dass man das Smartphone
ignorieren kann . Wer die Nokia-Strategie für die Automobilindustrie richtig findet, sollte die Große Koalition
wählen . Wer dagegen will, dass das Auto von morgen in
Deutschland erforscht, produziert und gebaut wird, muss
uns wählen .
Herzlichen Dank .
({11})
Vielen Dank, Herr Kollege . - Jetzt hat der Kollege
Steffen Bilger für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Emissionsfreier Mobilität zum Durchbruch verhelfen“,
so lautet der Titel des heute unter anderem zu debattierenden Antrags der Grünen . Emissionsfreie Mobilität
wünschen wir uns alle für die Zukunft . Doch ganz so
einfach, wie Sie es in Ihrem Antrag darstellen, ist es in
der Realität eben doch nicht . Aber immer der Reihe nach .
Wenn man Ihren Antrag zu lesen beginnt, klingt vieles
zunächst eigentlich begrüßenswert . Auf den vorliegenden vier Seiten schreiben Sie zu Beginn - ich fasse etwas
zusammen -: Deutschland sollte auch im 21 . Jahrhundert
Vorreiter und Innovationsführer einer nachhaltigen Mobilität sein . Erneuerbare Energien sollen das Rückgrat
zur Reduzierung von Schadstoffen und Emissionen auch
beim Automobil werden . Das Auto der Zukunft ist vernetzt, zunehmend selbstfahrend und kombinierbarer Teil
der Reisekette . - Ich denke, bis dahin könnte man dem
durchaus zustimmen .
({0})
Liest man Ihren Antrag jedoch weiter, zeigt sich, dass
Ihre Vorschläge zur Erreichung dieser Ziele in vielen
Punkten einem Wunschdenken entsprechen . Das hat mit
der Realität nicht viel zu tun . Die Realität ist komplex,
und komplexe Probleme erfordern gut durchdachte, umsichtige und kluge Lösungen .
Das, meine Damen und Herren, gilt ganz besonders
im Autoland Deutschland . Wir haben Verantwortung für
Arbeitsplätze und für die Zukunft dieser Schlüsseltechnologie . Dauerhafte und nachhaltige Lösungen brauchen
wir, um den großen Herausforderungen im Mobilitätsund Verkehrsbereich zu begegnen . Der Personen- und
Güterverkehr wird allen Prognosen nach in den nächsten
Jahren noch einmal deutlich zunehmen . In einer hochmodernen Gesellschaft mit einer leistungsfähigen Wirtschaft sind wir auf eine schnelle, flexible und sichere
Mobilität angewiesen .
Auf der einen Seite gibt es diese Herausforderung . Auf
der anderen Seite muss der Verkehrssektor seinen Beitrag
zur Erreichung der Klimaziele leisten . Auch die lokalen
Schadstoffemissionen dürfen wir natürlich keinesfalls
aus dem Blick verlieren . Aber noch einmal: Deutschland
ist Autoland . Wohlstand und Innovationskraft hängen eng
mit der Entwicklung und dem Bau von Fahrzeugen und
Fahrzeugkomponenten zusammen . Damit das so bleibt daran besteht gar kein Zweifel -, muss Deutschland bei
den Themen Elektromobilität und alternative Antriebe,
aber auch beim automatisierten und autonomen Fahren
und bei neuen, innovativen Mobilitätskonzepten ganz
vorne mit dabei sein .
In der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode haben
wir bereits viel unternommen, um die Mobilität der Zukunft zu gestalten,
({1})
weshalb ich auch ein Stück weit Bilanz ziehen möchte . Erst kürzlich haben wir das Straßenverkehrsrecht
so geändert, dass automatisiertes Fahren auf dem Weg
zum autonomen Fahren auf deutschen Straßen möglich
ist . Mit dem Elektromobilitätsgesetz haben wir die Bevorrechtigung für Elektrofahrzeuge geregelt . Der Bund
nimmt viel Geld in die Hand: mit der sicherlich umstrittenen Kaufprämie beim Paket für die Elektromobilität
({2})
und vor allem mit dem Förderprogramm für die Ladeinfrastruktur .
Jüngste Zahlen, meine Damen und Herren, zeigen,
dass die Förderungen langsam greifen und das Interesse steigt . Das Ziel von 1 Million Elektrofahrzeugen bis
2020, das wir auch im Koalitionsvertrag vereinbart hatten, wird infrage gestellt, sicherlich . Allerdings haben
wir in der Nationalen Plattform Elektromobilität auch
noch andere Ziele vereinbart, zum Beispiel 6 Millionen
bis 2030 . Dieses Ziel halte ich durchaus für realistisch .
Umso wichtiger für den Ausbau der Elektromobilität ist aber die Ladeinfrastruktur . Anfang des Jahres gab
es den Startschuss für den flächendeckenden Ausbau
der Ladeinfrastruktur, mit dem in den nächsten Jahren
15 000 Ladesäulen entstehen werden . Ich bin sehr froh,
dass dieses Programm sehr gut angenommen wird .
Mit dem Nationalen Innovationsprogramm Wasserstoff und Brennstoffzellentechnologie, das nun in seine
zweite Phase gestartet ist, haben wir viele Fortschritte für
den Einsatz der Brennstoffzelle im Mobilitätsbereich erzielen können. Auch der Aufbau eines flächendeckenden
Netzes von Wasserstofftankstellen ist in vollem Gange .
Wir wollen bis 2019 eine Grundversorgung garantieren .
Es ist unser Ziel, bis 2023 400 Wasserstofftankstellen in
Deutschland zu etablieren .
Wenn man sich mit alternativen Antrieben beschäftigt,
wird man immer wieder gefragt: Was wird sich durchsetzen: batteriebetriebene Elektrofahrzeuge, Wasserstoff,
andere alternative Antriebe? Ich glaube, diese Frage ist
für uns als Politik gar nicht so entscheidend . Vielmehr
müssen wir technologieoffen sein, damit unser Land im
Bereich „Mobilität der Zukunft“ weiterhin an der Spitze
steht .
Vieles ist auf einem guten Weg, aber neue Technologien brauchen Zeit, um sich sozial und ökonomisch nachhaltig zu entwickeln . Ziel unserer Förderung muss es
immer sein, die Wettbewerbsfähigkeit der Technologien
voranzubringen, damit sie am Ende des Prozesses ohne
staatliche Hilfen und Subventionen auskommen .
Nicht zuletzt muss die Energiewende weiter voranschreiten;
({3})
denn eine Elektromobilität ohne erneuerbare Energien
verlagert das Problem der CO2-Emissionen nur aus den
Innenstädten hin zu den Kraftwerken . Nachhaltigkeit
heißt, ökonomische, soziale und ökologische Aspekte in
Einklang zu bringen . Nur dann kann eine erfolgreiche
Transformation gelingen .
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie
scheinen beim Verfassen Ihres Antrags genau das, was
ich eben dargestellt habe, völlig vergessen zu haben . Keine Frage: Interessante Ideen sind enthalten, beispielsweise die Forderung, dass Betreiber innerstädtischer Flotten
wie beispielsweise Lieferdienste, Taxis und Pflegedienste
stärker in den Fokus genommen werden und Hemmnisse
im Wohnungseigentums- und Mietrecht beseitigt werden
müssen . Das sind alles Punkte, die wir in der kommenden Legislaturperiode angehen wollen .
({5})
Ihre Forderung hingegen, ab 2030 ausschließlich Autos mit abgasfreiem Antrieb zuzulassen, entbehrt jeglicher Grundlage; das ist fernab der Realität . Als Politiker
sind wir doch gefordert, die Autofahrer, die Mobilitätsnutzer mitzunehmen auf dem Weg der Mobilität der Zukunft . Wir sind hier nicht in einer Planwirtschaft, in der
unrealistische Parteitagsbeschlüsse umgesetzt werden,
ohne gründlich geprüft zu haben, ob diese Vorstellungen
überhaupt realistisch sind .
({6})
Ich kann es Ihnen nicht ersparen, das bereits angesprochene Video von Herrn Kretschmann noch einmal zu thematisieren; es wurde in dieser Woche hier im Bundestag
schon einige Male angesprochen . Herr Kretschmann hat
seiner Partei sehr deutlich ins Stammbuch geschrieben,
wo er die Probleme solcher Beschlüsse sieht, die wenig
realistisch sind .
({7})
- Ja, zum Beispiel hat er sich kürzlich einen neuen Diesel
gekauft .
({8})
Die Aussage von Herrn Kretschmann war: Ihr habt
keine Ahnung! Es seien Schwachsinnstermine, die mit
dem Jahr 2030 gesetzt werden . Kollege Gastel, Sie haben darauf hingewiesen, es gäbe unterschiedliche Rollen
zwischen Bundestagsfraktion und Grünen in Regierungsverantwortung, die Bundestagsfraktion müsse schließlich ihr eigenes Klientel bedienen .
({9})
Nun gut, diese Diskussion mögen Sie gerne innerparteilich führen .
Ein realistischer Blick führt zu dem Ergebnis: Wir
brauchen mittelfristig einen guten Mix aus Elektroautos
und Hybriden, aber auch Fahrzeugen mit hocheffizienten
Verbrennungsmotoren, die uns helfen, unsere gesteckten
Klimaziele zu erreichen und Emissionen weiter zu vermeiden .
Sie wissen, ich bin ein großer Befürworter der Elektromobilität . Ich habe mich sehr gefreut, dass ich kürzlich
sogar von Arnold Vaatz, mit dem wir immer spannende
Diskussionen führen können, nach Dresden eingeladen
wurde, um für das Thema zu werben .
Ich sehe durchaus die Chancen der Elektromobilität .
Die Elektromobilität ist für mich die Zukunft . Ich will
aber auch nicht verhehlen, dass sie kein Allheilmittel
ist . Deswegen sollten wir auch nicht den Fehler machen,
bestimmten Technologien den Vorrang zu geben: Förderung ja, aber Verbote nein . Da treffen die unterschiedlichen Denkweisen unserer Fraktion und der Grünen aufeinander . Bei den Grünen geht es immer noch zu sehr
um Verbote . Ich will hier keine Kommunal- oder Landespolitik machen, aber am Beispiel Stuttgart, wo der grüne Oberbürgermeister mit seinem Ansatz scheitert, weil
im Gemeinderat außer der Grünenfraktion keine einzige
Fraktion den Vorschlag, Fahrverbote in Stuttgart umzusetzen, unterstützt, wird deutlich: Wir brauchen andere
Lösungen . Wir brauchen Maßnahmenpakete, mit denen
wir auf Innovation und nachhaltige Mobilität setzen . Wir
wollen Fahrverbote vermeiden .
({10})
Ich möchte zum Abschluss allen Kolleginnen und
Kollegen Danke sagen, die mit dieser Legislaturperiode
ausscheiden werden . Ich möchte besonders Dirk Fischer
erwähnen, der uns jüngere und neue Abgeordnete innerhalb der Unionsfraktion in die Verkehrspolitik eingeführt
hat . Ich freue mich auf deine letzte Rede gleich, lieber
Dirk .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({11})
Vielen Dank, Steffen Bilger . - Nächste Rednerin:
Sabine Leidig für die Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste auf der Tribüne! Ich bin erstaunt, dass die
Grünen jetzt mit der CDU darum wetteifern, wer die Automobilindustrie am besten befriedigen kann .
({0})
Aus Sicht der Linken stehen die Interessen der Menschen im Mittelpunkt, und zwar aller Menschen, die in
unseren Städten und Gemeinden leben, aber auch die Interessen der Menschen, die nicht hier leben, sondern im
globalen Süden, und die - das wissen Sie genauso gut
wie ich - Opfer von Umweltzerstörungen sind .
({1})
Auch diese Menschen verlieren wir nicht aus dem Blick .
Das ist unsere Perspektive . Uns geht es nicht um die Gewinne der Automobilindustrie .
({2})
Ich zitiere:
Die Marktprognosen versprechen bis zu einer Million . . . E-Mobile in den nächsten fünf Jahren .
Das stand in der VCD-Zeitschrift fairkehr, und zwar vor
einem Vierteljahrhundert, im März 1991 . Das gleiche
Ziel gilt immer noch, jetzt für das Jahr 2020 . Aber man
wird erneut scheitern . Aktuell haben wir gerade einmal
57 000 Elektroautos in Deutschland . Insgesamt haben
wir aber 12 Millionen Autos mehr als 1990 auf unseren
Straßen . Das ist das Problem .
({3})
Der Antrag der Grünen zur emissionsfreien Mobilität ist wirklich geprägt von männlicher Technikgläubigkeit - ich hätte es nicht für möglich gehalten - und dem
Wunsch, das Auto als deutschen Exportschlager in der
Welt zu behalten . Als ob wir keine anderen Sorgen hätten! Es wäre viel besser, wir würden eine wirklich umweltverträgliche Mobilität entwickeln und dafür sorgen,
dass auch andere davon profitieren. Es sollte nicht um
„deutsche Autos überall in der Welt“ gehen .
({4})
Übrigens teilen Sie diese Ausrichtung mit dem von Ihnen
oft gescholtenen Verkehrsminister Dobrindt . Auch dessen Ziel ist es, „deutsche Autos überall in der Welt“ an
die erste Stelle zu setzen . Dieses Ziel teilen wir wirklich
nicht .
({5})
Herr Özdemir, Sie haben gerade bejubelt, dass 2016
in China rund eine halbe Million Elektroautos verkauft
wurden . Tatsächlich sind 2016 in China aber vor allem
28 Millionen Kraftfahrzeuge mit konventionellen Antrieben verkauft worden, und das, obwohl der chinesische Staat den Käufern von Elektroautos insgesamt rund
24 000 Euro pro Fahrzeug zahlt . Ich meine, es kann nicht
Sinn der Sache sein, dass man Geld hinterherschmeißt,
damit sich die Leute noch mehr Autos anschaffen . Das
ist kein Beitrag zur sozialökologischen Verkehrswende .
({6})
Elektroautos sind auch nicht der Inbegriff moderner
Mobilität in den Städten, wie es in dem Antrag der Grünen heißt .
({7})
Auch mit Batterieantrieb stehen diese Fahrzeuge den
größten Teil der Zeit . Sie nehmen Raum für Spielplätze
oder Raum für Radwege weg, oder sie stehen im Stau .
Oslo ist heute die Stadt mit den meisten Elektroautos weltweit, und zwar auch, weil man dafür insgesamt
20 000 Euro Förderung vom norwegischen Staat bekommt . Fakt ist allerdings, dass 60 Prozent dieser Elektroautos als Zweit- oder Drittwagen angeschafft worden
sind, die Elektroautobesitzer insgesamt mehr Auto fahren
und die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs zurückgegangen ist . Im Ergebnis heißt Elektromobilität hier also
konkret: noch mehr Autos in der Stadt . Und das ist wirklich völliger Unsinn .
({8})
Wirklich schräg ist auch Ihre Behauptung, Elektroautos seien emissionsfrei oder gar sauber . Das ist wirklich
eine grobe Täuschung . Sie wissen genauso gut wie wir,
dass, wenn man den gesamten Produktionsprozess berücksichtigt, die CO2-Emissionen von Elektrofahrzeugen
nicht wesentlich geringer sind als von normalen Fahrzeugen, da für die Batterieproduktion viel mehr Energie
gebraucht wird als für die Produktion eines normalen
Motors . Hinzu kommt aber, dass für die Herstellung von
Batterien viele kritische Rohstoffe gebraucht werden . Ich
nenne nur Lithium und Kobalt; es gibt noch andere, deren Vorkommen unter katastrophalen Umweltbedingungen und unter menschenverachtenden Arbeitsbedingungen im globalen Süden ausgebeutet werden .
Das wollen wir nicht . Wir wollen nicht weiter auf
Kosten von anderen leben . Wir wollen wirklich vernünftige Auswege aus dieser Automobilgesellschaft finden.
({9})
Dafür gibt es probate Mittel . Dazu liegen Vorschläge auf
dem Tisch . Übrigens haben auch die Grünen hier zwei
Anträge dazu vorgelegt, einen zur Förderung der Bahn
und einen zur Förderung des Fahrradverkehrs . Stecken
Sie das Geld, das Sie zum Pampern der Automobilindustrie verschleudern, in den öffentlichen Nahverkehr .
Stecken Sie das Geld in vernünftige Elektromobilität: in
Straßenbahnen, in S-Bahnen und in Eisenbahnen . Damit
tun Sie - das fordern wir auch - viel mehr für die Gesellschaft, für einen sozialökologischen Umbau und auch
für eine nachhaltige Mobilität, als wenn jetzt individuell
noch mehr Elektroautos gefördert würden . Diesen Weg
lehnen wir ab .
({10})
Vielen Dank, Sabine Leidig . - Nächster Redner: Arno
Klare für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich fasse einmal
zusammen, was ich so in den Reden - vor allen Dingen
gerade in der von Herrn Özdemir - gehört habe:
Erstens . Die Energiewende kann nur gelingen, wenn
man eine Verkehrswende herbeiführt . - Da würden Sie
mir erst einmal zustimmen .
Zweitens . Wir werden die Klimaschutzziele, die wir
uns da gesetzt haben, auch nur in Verbindung von Ökologie und Ökonomie - also wenn es sozusagen ein Business Case gibt - realisieren können . Das ist erforderlich,
um keine Deindustrialisierung zu betreiben .
({0})
- Ja, genau .
Drittens . Den großen Transformationsprozess, den wir
der Gesellschaft hier abverlangen, werden wir nur dann
mit Akzeptanz hinbekommen, wenn wir unserer Gesellschaft eine Wohlstandsperspektive und damit eine industriepolitische Perspektive vorstellen .
({1})
- Sie stimmen mir da zu .
Diese drei Punkte stellen den Grundtenor des Klimaschutzplans der Bundesregierung dar . Da steht ja alles
drin . Das heißt, dass das, was Sie jetzt hier sozusagen als
das große Novum verkaufen, schon längst formuliert ist .
({2})
Ich komme jetzt zu einzelnen Punkten Ihres Forderungskatalogs . In Ihrer ersten Forderung steht irgendetwas von Treibhausgasneutralität, die der Verkehrssektor
im Jahr 2050 erreichen muss . Darin stimme ich Ihnen
sofort zu . Das ist absolut richtig .
Und dann steht dort weiter, dass es ab dem Jahr 2030
nur noch Autos mit abgasfreien Antrieben geben solle .
({3})
Ich will mich gar nicht auf das für Neufahrzeuge geltende
Datum versteifen, sondern darauf, dass von „abgasfrei“
die Rede ist . Was ist mit EE-Strom-basiertem CH4? Da
spreche ich nicht mehr von CNG - Compressed Natural
Gas -, sondern von CG, also von wirklich treibhausgasneutral hergestelltem CH4 .
Wenn ich die Autos damit fahren lasse, sind diese was also den Betrieb anbelangt - nicht abgasfrei . Aber
der gesamte Kreislauf, der dahinter steht, ist treibhausgasneutral . Also bitte bedenken Sie das .
Greenpeace hat vor wenigen Tagen in seinem Hauptstadtbüro in der Marienstraße eine Studie vorgestellt,
die sich nicht allein mit diesem Thema befasst, sondern
mit dem Thema Speicherung . Dabei wurde gesagt, dass
wir vermehrt genau auf diese Gastechnologie - Wind to
Gas - setzen müssen, um im ökologischen Bereich voranzukommen . Wenn Sie aber die abgasfreien Antriebe
fordern, dann setzen Sie auf ein All-Electric-Szenario,
das ich für falsch halte . Denken Sie noch einmal darüber
nach .
Ich werde noch kursorisch ein paar Punkte ansprechen . Unter Punkt 4 Ihres Antrages sprechen Sie die Besteuerung von Dienstwagen an, die an den CO2-Ausstoß
zu koppeln sei. Das findet sofort meine persönliche Zustimmung und auch die der SPD-Bundestagsfraktion . Jetzt können Sie doch einmal sagen, dass es toll ist, dass
ich das gesagt habe .
Ich kann mir vorstellen - damit könnte ich mich auch
anfreunden -, über ein Bonus-Malus-System, das Sie
hier vorschlagen, nachzudenken . Auch bin ich durchaus
bereit - mit Stephan Kühn haben wir gestern bei Uber
darüber diskutiert -, § 2 Absatz 7 des Personenbeförderungsgesetzes - da geht es um eine Experimentierklausel - etwas auszuweiten und mehr Möglichkeiten zu
schaffen . Darin waren wir uns gestern in der Diskussion
auch einig . Ich will aber nicht, dass dann die Ubers dieser Welt sozusagen für die Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen sorgen . Das will ich nicht, und auch die
Sozialdemokratie will das nicht .
In diesem Papier finden sich durchaus viele Dinge. Da
ist zum Beispiel von Wagniskapital die Rede . Ob Sie jetzt
aber den Start-ups mit einem steuerlichen Forschungsbonus irgendetwas Gutes tun, wage ich zu bezweifeln .
Die bezahlen nämlich keine Steuern . Damit würden Sie,
wohlgemerkt, die großen Start-ups fördern und nicht die
kleinen .
({4})
- Ja, der Steuerbonus muss von der Steuerschuld abgezogen werden . Die haben aber gar keine Steuerschuld .
Also seien Sie vorsichtig damit . Die brauchen eine direkte Zahlung bzw . ein Venture Capital .
({5})
- Wenn das so gemeint sein soll, dann drücken Sie es klarer aus . Dann können wir das durchaus als Basis nehmen,
um eventuell in irgendwelchen Verhandlungen, die wir
zukünftig führen werden, darüber zu reden . Insofern ist
das, was hier steht, durchaus vernünftig .
({6})
Vielen Dank, Arno Klare . - Ja, dann kommt jetzt die
Rede von Dirk Fischer .
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die Grünen erheben in ihrem Antrag zur Bahnpolitik
Vorwürfe, die unberechtigt und teilweise sogar gegen
sich selbst gerichtet sind .
Beispiel 1 . Die Abschaffung des Interregios mit dem
Schwerpunkt in den Jahren 2001 und 2002 fand unter
einer rot-grünen Bundesregierung statt, als die Grünen
als Juniorpartner der Koalition sogar im Aufsichtsrat der
DB AG gesessen haben .
Ich habe seinerzeit als Sprecher der Opposition heftig dagegen protestiert, dass Herr Mehdorn aus einem
überwiegend eigenwirtschaftlichen Personenfernverkehr
in einen bezuschussten Nahverkehr gewechselt ist . Die
Grünen haben nichts dagegen getan . Die Bahngewerkschaft forderte den Interregio zurück - auch mit dem
Argument, 300 Reisekilometer in einem Interregio seien unzumutbar . Die Grünen haben der Gewerkschaft die
kalte Schulter gezeigt .
Beispiel 2 . Die Grünen werfen der Bundesregierung
vor, die Elektromobilität auf der Straße mit neuen Steuersubventionen und mit einer Kaufprämie zu päppeln .
Der Titel Ihres heutigen Antrags heißt dagegen: „ . . . Mit
sauberen Autos Wettbewerbsstärke, Wertschöpfung und
Arbeitsplätze in der Automobilwirtschaft erhalten“ . Ich
frage: Was gilt denn nun?
({0})
Beispiel 3 . Die Grünen beklagen die geringeren Mautgebühren für Lastkraftwagen und verschweigen, dass
der Bund in Brüssel seine EU-binnenmarkterheblichen
Mautgebühren genehmigt erhalten muss . Er muss den
Kostennachweis führen . Die Zinsen sind gesunken, und
deswegen mussten die Mautgebühren gesenkt werden .
Sonst hätte es in Brüssel gar keine Genehmigung gegeben .
({1})
Ich frage: Warum sollte ein Bundesverkehrsminister
nach Ihrem Verständnis sonst freiwillig auf Geld für die
Infrastruktur verzichten?
Beispiel 4 . Die Grünen werfen Bundesverkehrsminister Dobrindt ein Durchwursteln vor,
({2})
ohne seinen Erfolg in Form des deutlichen Investitionshochlaufs für die Infrastruktur anzuerkennen . Das Gegenteil ist also richtig, und ich könnte dafür noch eine
Fülle weiterer Beispiele nennen .
Die Grünen erheben in ihrem Antrag zudem Forderungen, die entweder bereits umgesetzt sind oder sich
auf gutem Wege befinden. Das ist teilweise verzeihlich,
weil Ihr Antrag zur Bahnpolitik vom 22 . November 2016
stammt und der Masterplan Schienengüterverkehr vom
23 . Juni 2017 .
Es ist erfreulich, dass wir lesen können, dass wir auch
viele Ziele gemeinsam vertreten und unterstützen .
({3})
Daraus folgt gleichwohl, dass es nicht nötig ist, heute Ihren Antrag zu beschließen;
({4})
denn mit dem Masterplan Schienengüterverkehr ist wirklich ein großer Wurf gelungen, der es sogar in die Tagesschau zur besten Sendezeit geschafft hat .
({5})
Vertreter von Bahnverbänden und der Logistik,
beispielsweise der Allianz für Schiene, des BDI, der
DB AG, des VDV, des Deutschen Verkehrsforums etc .,
und Bahnexperten aus der Wissenschaft und der Digitalwirtschaft haben sich unter der Leitung von Staatssekretär Odenwald mit dem Bundesverkehrsministerium auf
einen umfangreichen Maßnahmenkatalog geeinigt, der
die Stärkung des Schienengüterverkehrs zum Ziel hat .
Damit ist auch die von den Grünen geforderte Reformkommission bereits erledigt .
Es geht jetzt darum, die vereinbarten Sofortmaßnahmen möglichst rasch umzusetzen: Ertüchtigung des
Schienennetzes für 740-Meter-Züge, Neu- und Ausbau
der Hauptknoten im Schienennetz, Reduzierung von
Anlagen- und Trassenpreisen, Bereitstellung von Bundesmitteln für die Digitalisierung des Netzes und von
Schienenfahrzeugen .
Prognosen gehen davon aus, dass die Verkehrsleistung
der Gütertransporte auf der Schiene bis 2030 um 43 Prozent wachsen wird, und ich denke, die Regierungskoalition hat in dieser Legislaturperiode das einzig Richtige
getan: Sie hat den Erhalt, die Modernisierung und den
Ausbau der bundeseigenen Schieneninfrastruktur für die
kommenden Jahre auf eine verlässliche Finanzierungsgrundlage gestellt - genau so, wie es im Koalitionsvertrag steht .
Wir haben dabei die Ziele der Bahnreform nie außer Acht gelassen, im Gegensatz - das muss ich einmal
sagen - zur Opposition, die mit ihren Anträgen immer
wieder das Aktiengesetz verletzen oder Maßnahmen ergreifen wollten, die den Bundeshaushalt in einem unrealistischen Maße strapaziert hätten oder die nicht zum
grundgesetzlich verankerten Aufgabengebiet des Bundes
gehören . Deswegen mussten wir sie ablehnen .
Wir können mit Fug und Recht behaupten, dass die
Schiene durch den neuen Bundesverkehrswegeplan eine
erhebliche Aufwertung erfahren hat . Allein die Mittel für
die Schiene liegen bis 2030 bei 112,3 Milliarden Euro .
Das sind 41,6 Prozent der Gesamtmittel von 270 Milliarden Euro . Im Vergleich zu den 72,3 Milliarden Euro des
Bundesverkehrswegeplans von 2003 der seinerzeitigen
rot-grünen Bundesregierung ist das eine Steigerung um
40 Milliarden Euro .
Mit dem neuen Bundesschienenwegeausbaugesetz
werden die Hauptachsen und Knoten deutlich gestärkt,
da 87 Prozent der Mittel in großräumig bedeutsame Projekte fließen werden. 800 Kilometer Engpässe auf Schienen können in den nächsten Jahren beseitigt werden . Die
Elektrifizierung wird deutlich vorangetrieben. Wir haben
den Bundesverkehrswegeplan erstmals am Ziel eines
Deutschland-Taktes
({6})
mit bundesweit aufeinander abgestimmten Anschlüssen
sowie leistungsfähigen Güterverkehrstrassen ausgerichtet . 3,3 Milliarden Euro sind allein für den Ausbau von
Schienenknoten und für den Deutschland-Takt vorgesehen .
({7})
Die Bundesregierung hat mit Unterstützung der Koalitionsfraktionen mehrere Förder- und Bundesprogramme
verstetigt und teilweise die Bundesmittel dafür deutlich
aufgestockt . Beispiele: Es gibt weiterhin 333 Millionen Euro für das restliche, beim Bund verbliebene
GVFG-Programm für große Nahverkehrsprojekte . Für
die Förderung des Neu- und Ausbaus bzw . der Reaktivierung von privaten Gleisanschlüssen gibt es weiterhin
14 Millionen Euro jährlich . In die Förderung des kombinierten Verkehrs fließen jährlich knapp 93 Millionen und
in die Förderung der Schienenwege nicht bundeseigener
Eisenbahnen, die Teil des Güterverkehrsnetzes sind, jährlich 25 Millionen Euro .
Wir haben die Regionalisierungsmittel des Bundes
für Investitionen und Bestellungen von subventionierten
Nahverkehrsleistungen in 2016 auf 8,2 Milliarden Euro
erhöht . Die Länder erhalten bis 2031 aus Bundesmitteln
insgesamt mehr als 150 Milliarden Euro für ein bedarfsgerechtes Angebot im Schienenpersonennahverkehr .
Weiterhin erwähne ich die Lärmsanierung an Schienenwegen und die Förderung leiser Güterwagen, das Modernisierungsprogramm für kleine Bahnhöfe, Seehafen-Hinterland-Programme und, und, und .
Wir haben in dieser Legislaturperiode umfangreiche
Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt, um Neu- und
Ausbauprojekte zu ermöglichen: in diesem Jahr 5 Milliarden Euro . Das sind 40 Prozent der Gesamtinvestitionen
des Bundes in die deutsche Verkehrsinfrastruktur . Ich
verweise auf den Abschluss der zweiten Leistungs- und
Finanzierungsvereinbarung . Damit werden Erhalt und
Sanierung der bundeseigenen Schienenwege gesichert .
Der Bund wird bis 2019 rund 20 Milliarden Euro für Ersatzinvestitionen in das Bestandsnetz bereitstellen . Nehme ich noch die Eigenmittel der DB AG hinzu, so wird
bis 2019 die Rekordsumme von 28 Milliarden Euro in
das Schienennetz gehen . Das sind Zahlen, die nach meiner Auffassung klar für sich sprechen . Liebe Kollegen
und Freunde von den Grünen, Sie als rot-grüne Bundesregierung haben das seinerzeit nicht zustande gebracht;
das muss ich feststellen .
({8})
Sehr geehrte Frau Präsidentin, gestatten Sie mir in
meiner letzten Rede vor dem Deutschen Bundestag einige persönliche Bemerkungen . Mit meinem heutigen Beitrag zur Bahnpolitik schließt sich für mich ein Kreis . Am
26 . November 1981 erteilte mir der Vizepräsident des
Deutschen Bundestages Georg Leber, den wir alle immer
Dirk Fischer ({9})
nur „Schorsch“ nannten, das Wort zu meiner ersten Rede
im Deutschen Bundestag .
({10})
Auch dies ist symbolhaft; denn Schorsch Leber war
sowohl unter Bundeskanzler Kiesinger als auch unter
Bundeskanzler Willy Brandt von 1966 bis 1972 Bundesverkehrsminister . Wir erinnern uns an den sogenannten
Leber-Plan, der die Verlagerung von Massengütern von
der Straße auf die Bahn vorsah .
({11})
Ich darf wohl feststellen, dass dieses Thema seit 1966 bis heute - immer noch nicht vollständig erledigt ist .
({12})
Es gibt etwas noch Schöneres . Denn Schorsch Leber
sagte 1966 auch: Kein Deutscher soll mehr als 20 Kilometer von einer Autobahnauffahrt entfernt leben müssen . - Ich glaube, auch das haben wir noch nicht geschafft .
({13})
Meine erste Rede habe ich damals zu einer Großen
Anfrage der CDU/CSU-Fraktion - in der Opposition mit dem Titel „Deutsche Bundesbahn“ gehalten . Das war
verbunden mit der zweiten und dritten Lesung eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesbahngesetzes . Das
war in Wahrheit die Bahnreform des Bundesverkehrsministers Volker Hauff, in deren Folge dann Reiner Gohlke
Bahnchef wurde und Herrn Vaerst ablöste . Ich muss feststellen: Das war nicht die letzte Bahnreform .
({14})
Wir haben 1993 die noch heute bestehende große
Bahnreform beschlossen und aus einer Behördenbahn
eine Aktiengesellschaft gemacht . In meiner Rede heute
durfte ich mich wieder mit dem Thema Bahn auseinandersetzen, und ich darf feststellen, dass bei mir die Bahn
also parlamentarisch im Kreis gefahren ist .
({15})
Nach 48 Jahren im Parlament, davon 37 Jahre im
Deutschen Bundestag, habe ich mich stets und insbesondere mit der Verkehrspolitik - zu Land, zu Wasser und in
der Luft - befasst und mich mit den jeweiligen Verkehrsträgern und ihrer Vielfalt von Verbänden und Unternehmen, auch mit den Interessen der Länder und Kommunen
auseinandergesetzt .
Wir haben jetzt sicher nicht genug Zeit, um Bilanz zu
ziehen .
({16})
Ich glaube aber, doch einige gute Werkstücke der Politik
erzeugt oder miterzeugt zu haben, die für Land und Leute
gut gewesen sind .
({17})
Ich will aber einschränkend sagen: Niemand ist allein
erfolgreich, sondern nur gemeinsam mit Kolleginnen und
Kollegen verschiedener Fraktionen, in wechselnden Koalitionen, mal in der Regierung und mal in der Opposition, und dabei unterstützt von hervorragenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bundesministerium, in der
eigenen Fraktion, denen hier auch ein großes Wort des
Dankes gilt . Aus dieser Arbeit ist auch fraktionsübergreifend eine große Zahl vieler verlässlicher menschlicher
Beziehungen und Freundschaften entstanden . Und dafür
sage ich einfach: Herzlichen Dank .
({18})
Aber ich bekenne auch ausdrücklich, dass ich jetzt
nach diesen vielen Parlamentsjahren unverändert als
begeistertes Mitglied unserer parlamentarischen Demokratie, die nach Winston Churchill „von allen schlechten
Staatsformen immer noch die allerbeste“ ist, ausscheide .
Deswegen wünsche ich unserem Land und unserem Parlament, dem Deutschen Bundestag, eine gute Zukunft .
({19})
Lieber Dirk Fischer, Sie sehen, das ganze Haus bedankt sich bei Ihnen . Sie haben diesem Haus 37 Jahre als
streitbarer Hanseat - ich komme aus dem Süden; das war
für mich erst einmal etwas Neues - ein Gesicht gegeben .
Wenn man Herrn Fischer wirklich leidenschaftlich erleben will, dann muss man auf den Fußballplatz gehen .
Auch dafür danke ich Ihnen: für Ihre streitbare, leidenschaftliche Arbeit beim DFB, beim Norddeutschen Fußball-Verband und beim Hamburger Fußball-Verband . Ich
weiß nicht, ob Sie Sankt Paulianer oder HSVler sind .
({0})
- Okay . Wenn Sie HSVler sind, dann treffen wir uns zusammen mit Herrn Bosbach - mit ihm bin ich schon verabredet -, wenn der HSV gegen Augsburg spielt . Aber
wir können auch mal zu Sankt Pauli gehen .
({1})
Wir wünschen Ihnen, dem streitbaren und leidenschaftlichen Kollegen Dirk Fischer alles, alles Gute .
({2})
Dirk Fischer ({3})
Nächster Redner: Herbert Behrens für die Linke .
({4})
Auch mein Dank für die Zusammenarbeit gilt dem
Kollegen Fischer, den ich aus dem Verkehrsausschuss
sehr gut kenne . Auch von meiner Seite aus alles Gute für
Ihre Zukunft!
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir
uns am Ende der Legislaturperiode noch einmal mit einem zentralen verkehrspolitischen Thema - eher einem
Problem - auseinandersetzen . Es geht nämlich um den
unrühmlichen Beitrag, den der Autoverkehr zur Schädigung des Klimas leistet, und auch um das Versagen der
Bundesregierung, auf dieses Problem angemessen zu reagieren . Das wollen wir ihr nicht durchgehen lassen .
({1})
Die Fraktion der Grünen hat Vorschläge gemacht, wie
der Verkehr vom Automobil auf umweltgerechtere Verkehrsmittel wie die Bahn oder auch das Fahrrad übertragen werden kann . Dagegen steht das völlige Kontrastprogramm der Bundesregierung, die die politischen Fehler
der vergangenen Jahrzehnte fortsetzt . Der Verkehrsminister verbreitet mit seinen Sprechblasen zwar immer
wieder den Eindruck, dass er die Mobilitätsrevolution
anführt und an der Spitze der Bewegung steht, wenn er
von Modernität spricht, aber in Wirklichkeit reicht die
Fantasie der Bundesregierung, wenn man genau hinschaut, nicht weiter als von der Fahrertür bis zum Fahrersitz .
({2})
Vom Gesetz zum automatisierten Fahren über die
Bundesfernstraßengesellschaft bis hin zur Kaufprämie
für Elektroautos finden wir nur Geschenke für die Industrie . Die arbeitet mit systematischem Abgasbetrug - das
wissen wir - unter den Augen der Aufsichtsbehörden und
hat dazu beigetragen, dass wir den größten Skandal der
letzten Jahrzehnte im Verkehrssektor zu beklagen haben,
und zwar zulasten der Gesundheit der Menschen, zulasten der Beschäftigten in der Automobilindustrie, die um
ihre Zukunft bangen, obwohl sie dringend für eine moderne Verkehrspolitik der Zukunft gebraucht werden .
Seit einem Jahr gibt es jetzt die Kaufprämie für Elektrofahrzeuge . 600 Millionen Euro gibt es vom Staat,
600 Millionen Euro angeblich von der Automobilindustrie, die über Rabatte finanziert werden sollen. Jeder von
uns weiß: Rabatte gibt es bei jedem Autokauf . Ich weiß
nicht, was der Beitrag sein soll .
({3})
Elektroautos werden von fast allen hier vertretenen
Fraktionen im Bundestag als Heilsbringer gefeiert . Bis
vor kurzem standen diese Fraktionen auch geschlossen
hinter dem sogenannten Umweltbonus, also der Kaufprämie für E-Autos . Ich bin froh, dass jetzt im Antrag der
Grünen zumindest eine Abkehr erkennbar ist und sie ein
Stück weit unseren Vorschlägen folgen . Die Kaufprämie
ist nämlich sehr kritisch zu sehen und hält längst nicht
das, was sie halten soll . Diese Art von Umweltbonus ist
ein Etikettenschwindel .
({4})
Mit diesem Bonus werden indirekt die großen Spritfresser subventioniert . Der Hintergrund ist ganz simpel:
Demnächst müssen die Fahrzeugflotten das Klimaziel
von 35 Gramm CO2-Ausstoß pro Kilometer einhalten .
Das kann man mit den großen Limousinen nicht erreichen . Also bedarf es einer entsprechenden Umverteilung
unter Einbeziehung von Elektroautos, damit der Schnitt
wieder eingehalten werden kann . Das ist keine zukunftsfähige Verkehrspolitik . Das lehnen wir deshalb ab .
Mit anderen Worten: Die Industrie hat ihre Dieselflotte mit dem Umweltbonus subventioniert . Das können wir
in der Zukunft nicht zulassen . Wir brauchen eine echte
Wende in der Verkehrspolitik . Darum brauchen wir eine
echte Veränderung auch bei den Mehrheitsverhältnissen
hier im Bundestag .
({5})
Vielen Dank, Herbert Behrens . - Nächste Rednerin
für die SPD-Fraktion: Birgit Kömpel .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Wer unser Regierungsprogramm
gelesen hat, der wird vieles aus dem Antrag der Grünen
dort bereits gefunden haben; denn für die SPD ist vollkommen klar: Ein einseitiges Setzen auf fossile Antriebe
hat keine Zukunft . Wir brauchen saubere, emissionsfreie
und leise Antriebe, wenn wir auch in Zukunft individuell
mobil sein wollen .
({0})
Die Zukunft der Autos geht nur elektrisch; da sind wir
uns einig . Aber als Sozialdemokraten denken wir natürlich auch an die Arbeitsplätze .
({1})
- Lassen Sie mich doch ausreden . Da sind wir überhaupt
nicht so weit voneinander entfernt . - Wichtig ist - deshalb danke ich den Grünen für den Antrag -, dass wir uns
jetzt Gedanken machen; denn die Zeit läuft uns davon .
({2})
Neben der Förderung von Forschung im Bereich alternativer Antriebe müssen wir dafür sorgen, dass wir
einen sanften Übergang für die vielen Arbeitnehmer und
Arbeitnehmerinnen in der Automobilindustrie hinbekommen . Das Ziel der Grünen, ab 2030 nur noch Elektromotoren zuzulassen, halte ich persönlich für sehr ambitioniert . Wir haben gerade gehört, dass Instrumente wie
Vizepräsidentin Claudia Roth
die Kaufprämie noch nicht so richtig wirken . Aber nur zu
sagen, das gehe nicht, hilft uns hier nicht weiter .
({3})
Hier müssen Konzepte und Lösungen her, die uns einen
sanften Übergang in die neuen Technologien ermöglichen .
Sehr hilfreich finde ich hierbei die Vorschläge unseres
Kanzlerkandidaten Martin Schulz, die Bundesagentur für
Arbeit neu zu strukturieren . Wir brauchen bessere Weiterbildungs- und Qualifizierungsangebote und müssen
den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Möglichkeit geben, sich in neue Bereiche einzuarbeiten .
({4})
Wir brauchen Qualifizierung und soziale Absicherung.
Wir wollen auch die Bedingungen für Firmengründungen und Start-ups im Bereich Elektroantriebe und Batteriezellenfertigung entscheidend verbessern .
Wenn wir von Mobilität reden, dann denke ich als
Abgeordnete aus dem Wahlkreis Fulda/Vogelsberg natürlich vor allem an den ländlichen Raum . Anders als in
der Großstadt können die Menschen im ländlichen Raum
nicht immer auf ein funktionierendes Netz von öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgreifen .
({5})
- Genau .
Carsharing ist derzeit ein gutes Konzept für die Stadt .
Aber auch auf dem Land gibt es natürlich viele Menschen, die von A nach B kommen müssen . Was tut man
also? Man setzt sich in sein Auto . Das tun viele Menschen auf dem Land . Oft sind es weite Strecken, die sie
fahren müssen, und viele Menschen pendeln täglich aus
dem ländlichen Raum in die Großstädte .
Es gibt zwar schon Modelle von Elektroautos, die eine
Reichweite von 500 Kilometern und mehr haben, aber
jetzt machen wir uns einmal ehrlich: Diese Autos sind
für Otto Normalverbraucher derzeit nicht erschwinglich .
({6})
- Das ist das Problem; ganz genau .
Trotzdem lassen sich auch im ländlichen Raum Konzepte entwickeln, mit denen Emissionen eingespart werden können. Eine flächendeckende Breitbandversorgung
und eine ausreichende Funknetzinfrastruktur sind Voraussetzungen für emissionsbewusste Mobilität auch auf
dem Land .
({7})
Staatliche Förderung darf hier und muss hier nach
beiden Seiten erfolgen . Durch die Verbesserung unserer
digitalen Infrastruktur können sich auch die Menschen
im ländlichen Raum besser vernetzen . Dann können auch
hier Konzepte wie Carsharing und Plattformen oder Apps
für Mitfahrgelegenheiten entstehen; denn das ist umweltschonend, und das ist auch erschwinglich für jedermann
und jede Frau .
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen eine tollen
Sommer . Ich freue mich darauf, Sie alle gesund und
munter im September hier wiederzusehen .
Herzlichen Dank .
({8})
Vielen Dank, Birgit Kömpel . - Nächster Redner:
Oliver Krischer für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe gerade von Herrn Fischer Namen von Verkehrsministern wie Georg Leber oder Volker Hauff gehört .
Wenn man sich den aktuellen Verkehrsminister anschaut,
kann man nur sagen: Manchmal geht es auch abwärts mit
diesem Land .
({0})
Wo ist er überhaupt? Wir sitzen hier zum wiederholten
Mal und diskutieren hier über die Mobilität der Zukunft,
diskutieren über die Zukunft der Autoindustrie, und - es
ist schon interessant, dass es die Grünen sind, die diese
Themen hier auf die Tagesordnung setzen - Alexander
Dobrindt nicht da ist . Er hat offensichtlich Wichtigeres
zu tun .
({1})
Das ist typisch für das, was hier in der Verkehrspolitik
läuft .
Herr Bilger, ich möchte Ihnen etwas sagen . Sie haben
gesagt, es sei Wunschdenken, ab 2030 nur noch emissionsfreie Mobilität haben zu wollen . Nein, das ist eine
existenzielle Frage für das Überleben der Menschheit auf
diesem Planeten . Darum geht es .
({2})
Wir alle hier haben die Hände für das Pariser Klimaabkommen gehoben . Das Pariser Klimaabkommen besagt: Mitte dieses Jahrhunderts, bis 2050, darf es keine
Nettoemissionen mehr geben . Da man weiß, dass ein
Auto durchschnittlich 20 Jahre auf der Straße ist, wird
man irgendwann um das Jahr 2030 nur noch emissionsfreie Mobilität zulassen können, oder aber man sagt: Das
Pariser Klimaabkommen interessiert uns nicht, wir haben
bei der Abstimmung darüber zwar die Hand gehoben,
aber wir setzen es nicht um . Beides zusammen aber geht
nicht . Entscheiden Sie sich, was Sie wollen .
({3})
Ich sage Ihnen auch: Es geht nicht nur um Klimaschutz . Selbstverständlich werden wir die Mobilität
verändern müssen . Selbstverständlich werden wir in
den öffentlichen Verkehr, in den Radverkehr investieren
müssen . Aber die Automobilindustrie ist die wichtigste
Industrie unseres Landes . Ich will nicht, dass möglicherweise noch vor 2030 ein in Ostasien gefertigter e-Golf in
Bremerhaven vom Schiff rollt und dann unsere Automobilindustrie den Bach runtergeht . Das darf nicht passieren . Dafür müssen wir uns aufstellen .
({4})
Ich habe viel aus der Rubrik Wünsch-dir-Was gehört,
was man alles in dieser Regierung machen könnte . Dazu
sage ich: Sie regieren seit vier Jahren . Sie hätten hier
handeln können .
({5})
Aber heute ist der letzte reguläre Sitzungstag .
Man kann sich beispielsweise Ihre Kaufprämie anschauen . Ich habe das am eigenen Leib praktiziert und
mir ein Elektrofahrzeug gekauft . Was haben Sie gemacht? Die Kaufprämie kommt bei den Menschen, die
kaufen wollen, gar nicht an, weil die Händler und die Autoindustrie sie einsacken . Die Fahrzeuge kosten vor Abzug der Kaufprämie genau das gleiche wie danach . Ihre
Kaufprämie verpufft . Das sieht man auch daran, dass Sie
gerade mal 11 000 Fahrzeuge in Deutschland gefördert
haben bei 3,4 Millionen Zulassungen pro Jahr . Das ist im
Promillebereich . Das ist lachhaft . Und das nennt sich bei
Ihnen „weltweiter Leitmarkt für Elektromobilität“? Eine
größere Bankrotterklärung, meine Damen und Herren,
kann es von dieser Großen Koalition nicht geben .
({6})
Frau Merkel hat es inzwischen offen zuzugeben . Sie
wollte bis 2020 1 Million Elektrofahrzeuge haben . Dieses Ziel hat sie seit 2007 zehn Jahre lang vor sich hergetragen . Sie ist weit von diesem Ziel entfernt . Und wie in
dieser Bundesregierung üblich: Beim Klimaschutz, bei
den erneuerbaren Energien, bei der Energieeffizienz überall werden, wenn das Zieldatum näherrückt, die
Ziele einfach weggeräumt . Meine Damen und Herren,
das ist nicht zukunftsfähig . Wir brauchen verlässliche
Rahmenbedingungen und politische Steuerung, damit
sich die Industrie auch darauf einstellen kann . Das ist die
Zukunft .
Wir Grüne wollen, dass die Menschen nicht am Ende
in Wolfsburg, in Stuttgart und in München abends ins
Bett gehen und morgens in Detroit aufwachen . Wir sollten aus den Fehlern von anderen lernen und klare Rahmenbedingungen setzen für die Zukunft der Automobilindustrie sowie für eine nachhaltige und emissionsfreie
Mobilität . Darum geht es .
Das ist Zukunftspolitik für unser Land, und diese Zukunftspolitik wird von dieser Bundesregierung und diesem Verkehrsminister verweigert .
Danke schön .
({7})
Vielen Dank, Oliver Krischer . - Nächster Redner ist
Gero Storjohann, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dafür, dass das mit meinem Namen immer so schwierig
ist, bitte ich vielmals um Entschuldigung .
Wie spricht man ihn richtig aus?
Storjohann, ganz einfach . Sie sind nicht die einzige,
die das Problem hat . Insofern ist alles in Ordnung .
Also: Nächster Redner ist Gero Storjohann .
({0})
- Auch die Präsidentin ist lernfähig .
Ich versuche es jetzt mal ein bisschen zaghafter .
Können wir die Redezeit bitte noch einmal auf acht
Minuten einstellen? Der Kollege kann nun wirklich
nichts dafür, dass ich seinen Namen nicht aussprechen
kann .
Vielleicht gibt es eine Zwischenfrage, dann bekommen wir das auch wieder hin .
Jetzt sind Sie dran .
Ich bin froh, dass wir in der letzten Debatte dieses
Jahres noch über den Radverkehr sprechen dürfen, dafür
herzlichen Dank an die Grünen .
({0})
Wir haben den Antrag intensiv im Ausschuss beraten . Einige gute Anregungen sind drin gewesen
({1})
wie auch einige Dinge, die schon erledigt worden sind,
und viele Dinge, die noch vor uns liegen, die aber nicht
unbedingt in der Kompetenz des Bundes liegen .
Sie wissen alle: Wir haben ein föderales System .
Wenn wir hier kraftvoll beschließen, dass der Radverkehr
in den Städten gefälligst anders zu organisieren ist, ist
das nett, aber dafür sind die Kommunalpolitiker mit Unterstützung der Landespolitiker zuständig . Dennoch ist es
wichtig, dass wir über den Radverkehr sprechen .
Wir haben eben hier Dirk Fischer würdig abgefeiert .
({2})
Mit Dirk Fischer als Arbeitsgruppenvorsitzendem verbindet mich natürlich die gemeinsame Grenze unserer
Wahlkreise . Als ich 2005 für den Radverkehr zuständig
wurde und ihm stolz berichtete, wie ich mit meiner Familie durch Deutschland fahre und immer etwa 50 bis
70 km mache, sagte er mir nur abfällig: Ich fahre 130 km
am Tag und mache richtig Speed mit technischer Unterstützung .
Der Radverkehr ist in den letzten Jahren, seit etwa
2000, wichtig geworden und hat an Bedeutung gewonnen . Er hat auch politische Bedeutung errungen . Der
Radverkehr ist sehr vielfältig . So wird Fahrradfahren als
Ausgleichssport betrieben . In meiner Jugend war Tennis
Ausgleichssport . Dann gingen die Herrschaften nicht
mehr Tennis spielen, sondern zum Golfen . Nun wird es
immer schwieriger, sich zu organisieren und einen Partner zu finden, deshalb fahren die Rentner neuerdings
Fahrrad - zumeist 30 bis 40 Kilometer jeden Tag - und
fordern eine entsprechende Infrastruktur .
({3})
Fahrradfahren ist aber auch wichtig für Pendler . Immer mehr Firmen orientieren sich an den Bedürfnissen
der Fahrradfahrer . Sie schaffen Dusch- und Abstellmöglichkeiten . Wir alle kennen die sogenannten Felgenkiller .
Alles wird inzwischen umgerüstet . Fahrradfahren in der
Stadt ist inzwischen aber ein Problem . Noch vor fünf,
sechs Jahren war es kein Problem, in Berlin vernünftig
Fahrrad zu fahren . Inzwischen gibt es sehr viele Fahrradfahrer .
({4})
Wir alle kennen die wenigen Fahrradfahrer, die sich nicht
an die Regeln halten . Wenn man sich als Fahrradfahrer
in Berlin nicht an die Regeln hält, dann läuft man inzwischen Gefahr, mit einem anderen Fahrradfahrer zusammenzustoßen . Das macht deutlich, dass die Infrastruktur
der Stadt zurzeit für Fahrradfahrer nicht optimal ist . Wir
müssen hier enorm viel tun .
Nun stellt sich die Frage, was wir als Bund machen
können . Zuerst einmal ist es wichtig, dass wir über den
Fahrradverkehr sprechen . In letzter Zeit ist uns das durch
die Initiative zur Förderung der Radschnellwege auf
Bundesebene gelungen . Dadurch sind sowohl die Kommunen und die Kreise als auch die Länder gezwungen,
über eine vernünftige Netzstruktur - auch bei der Zuführung zu Radschnellwegen - zu diskutieren und sie auf
den Weg zu bringen . Überall werden Pläne gemacht, aus
denen hervorgeht, wie man am besten den Fahrradverkehr bündeln kann und wo man Radschnellwege anlegen
will . Die Radschnellwege werden wir in diesem Jahr mit
25 Millionen Euro anfördern .
({5})
- Entschuldigung, aber es geht doch zuerst einmal darum, dass wir eine Planung machen . - Neu ist, dass der
Bund den Ländern, den Kreisen und den Kommunen die
Planungskosten schon jetzt erstattet . Sonst wurden diese
Kosten erst in der Bauphase erstattet . Nun ist ein Impuls
gegeben: Fangt an, zu planen! Dann kann es losgehen .
Vor zwei Wochen gab es bereits 81 auf Bundesebene angemeldete Projekte für Radschnellwege, und zwar
mit einem Volumen von 800 Millionen Euro . Nach meiner persönlichen Einschätzung wird es im nächsten Jahr
mindestens 100 bis 150 Projekte mit einem Volumen von
mindestens 1 Milliarde Euro in Deutschland geben . Das
alles wird nicht in einem Jahr gebaut werden können .
Aber das wird den Weg zeigen, den wir finanziell gehen
werden . Wir werden in diesem Bereich mehr fördern
müssen, und das ist auch gut so .
Wenn wir den zusätzlichen Verkehr, den wir in den
Städten bei den Pkws bemerken, auf das Rad verlagern
können, wird es in unseren Städten weiterhin einen Verkehrsfluss geben. Sie werden dann nicht das Problem
wie andere Metropolen dieser Welt haben - ich nenne
als Beispiele São Paulo oder Rio de Janeiro -, wo der
Verkehr nur steht . In Deutschland haben wir ein gutes
ÖPNV-System, ein gutes Autobahnsystem und ein gutes
Schienensystem . Nun geht es darum, ein Fahrradsystem
intelligent zu integrieren . Wenn wir die Bündelung von
Verkehren und die Beschleunigung von Radverkehren
hinbekommen, dann profitieren alle Verkehrsteilnehmer.
Wir brauchen also eine intelligente Verkehrsverlagerung .
Da spielt das Rad eine große Rolle . Schon heute nutzen
45 Prozent aller Arbeitnehmer mehrere Verkehrsmittel,
Stichwort „Multimodalität“ . Die Bundesregierung hat
den Nationalen Radverkehrsplan 2020 genutzt, um speziell den Radverkehr zu fördern .
Wir haben viel erreicht . Wir nutzen Mittel aus der
Städtebauförderung, um die Radverkehrsinfrastruktur
anteilig zu finanzieren. Der Beitrag zum Klimaschutz ist
unbestritten . Das Parlament hat nach Zeiten der Finanzkrise die Mittel für den Radverkehr wieder erhöht . Das
Parlament hat 130 Millionen Euro - zu Zeiten der Grünen
waren es nur 100 Millionen Euro - für den Radverkehr
beschlossen . Davon stehen 98 Millionen Euro für den
Radwegebau an Bundesstraßen zur Verfügung . 1,3 Millionen Euro - dieses Projekt fing einmal mit 5 Millionen
an, wenn ich das richtig in Erinnerung habe - sind für die
Ertüchtigung von Betriebswegen an Bundeswasserstraßen vorgesehen . Das dient sicherlich mehr touristischen
Zwecken . Aber wir sehen, wie schwierig es ist, die Bundeswasserstraßenverwaltung und die Kommunen dazu
zu bringen, das von uns zur Verfügung gestellte Geld zu
nutzen und Betriebswege in Fahrradwege umzuwidmen .
Hier müssen wir weitere Anstrengungen unternehmen,
damit das Geld auch abgerufen wird .
Wir haben weitere Mittel in Höhe von 3,7 Millionen
Euro aus dem Topf der Städtebauförderung genommen .
Wir haben im Rahmen des Schaufensters Elektromobilität für das Projekt „eRadschnellweg“ 485 000 Euro
zur Verfügung gestellt . Das heißt: Die Haushälter haben
sich schon intensiv auch mit all den kleinen Facetten im
Radverkehr beschäftigen dürfen, und sie haben unseren
Wünschen Rechnung getragen .
Meine Damen und Herren, die Grünen haben vieles
auf den Weg gebracht; sie haben vieles hier angesprochen . Ich danke dafür . In Schleswig-Holstein arbeiten wir
jetzt zusammen, Herr Gastel . In Schleswig-Holstein ist in
den letzten Jahren im Radverkehr nicht viel gelaufen . Da
kann man sagen: Das war ein anderer Verkehrsminister . Insofern freue ich mich auf die neue Zusammenarbeit .
Gucken wir mal, ob wir vom Bund Impulse in die Länder
durchreichen können! Wie das nun in Baden-Württemberg ist, können Sie selbst viel besser beurteilen .
({6})
Ich freue mich jedenfalls darauf, dass wir in der nächsten Legislaturperiode hier noch mehr Gas geben können;
denn Radverkehr ist wichtig . Wenn wir alle dafür einstehen und Radverkehr nicht schlechtmachen, sondern
sagen: „Jawohl, auch dieser Bundesverkehrsminister hat
den Radverkehr gefördert“, dann sind wir auf einem guten Weg .
Herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit . Es
gibt noch viel zu tun .
({7})
Vielen Dank, Gero Storjohann . - Nächste Rednerin:
Dr . Birgit Malecha-Nissen für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Storjohann hat gerade über den Radverkehr gesprochen .
Wenn ich gewusst hätte, dass er dazu spricht, und zwar
vor mir, dann hätte ich mich vielleicht doch entschieden,
beim Thema „Emissionsfreie Mobilität“ wieder über die
Schifffahrt und über saubere Häfen zu sprechen .
Ich bin der festen Überzeugung: Die beste Energie ist
immer die, die nicht verbraucht wird . - Deswegen beginne ich mit einer Frage: Was haben Vulkane mit der Erfindung des Fahrrads zu tun? Für mich als Geologin - ich
habe mehr als 20 Jahre über Vulkane geforscht - ist das
eine spannende Frage .
Vor 200 Jahren bewirkte der Ausbruch des Vulkans
Tambora in Indonesien eine kurzfristige weltweite Klimaveränderung . Das war das Jahr ohne Sommer, und das
hatte schreckliche Hungersnöte zur Folge . Es gab viele
Opfer . Unter anderem kam es zum massenhaften Sterben
des damals wichtigen Transport- und Verkehrsmittels,
des Pferdes . Aus dieser Not heraus erfand Karl Drais die
Draisine, das Vorläufermodell des heutigen Fahrrads .
Bis in die 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts war das
Fahrrad das Verkehrs- und Transportmittel der kleinen
Leute: der Industriearbeiter und der Landarbeiter . Es
wurde dann durch die sich rasant entwickelnden Automobile für jedermann - auch preislich für jedermann erschwinglich - überholt und abgelöst . Deutschland wurde
Autoland .
Das Fahrrad hat in den letzten Jahren einen hohen
Freizeitwert erlangt, den Herr Storjohann erwähnt hat,
sowie einen Wert für die Gesundheit . Daneben hat es
eine Renaissance als umweltfreundliches Verkehrsmittel
erlebt . Das Fahrrad als Teil der Elektromobilität und als
„Zukunft auf zwei Rädern“ ist das Symbol für eine emissionsfreie Mobilität geworden .
({0})
Das entspricht auch dem Lebensgefühl vieler Menschen .
Es ist erneut der Klimawandel - diesmal aber nicht
durch einen Vulkan ausgelöst, sondern von uns selber
gemacht -, der von uns klar fordert, Mobilität neu zu
denken . Wenn wir die Klimaschutzziele erreichen wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir neben
der Energiewende dringend eine Verkehrswende, und die
Verkehrswende braucht auch das Fahrrad .
({1})
„Mobilität neu denken“ heißt: neue Prioritäten setzen
und die Verkehrsträger Straße, Schiene und Fahrrad vernetzt denken . Moderne Mobilität braucht eine Neuorientierung der Verkehrspolitik und der Infrastrukturplanung .
Die entscheidende Voraussetzung, der große Treiber ist
die Digitalisierung . Es gibt für viele Städte wunderbare
neue Mobilitätskonzepte - das haben wir bereits gehört;
die Stadt Münster zum Beispiel ist eine Vorzeigestadt;
Münster ist eine Fahrradstadt -, die man natürlich weiter fördern muss . Man braucht da gar nicht nach Oslo
zu schauen . Zum Thema Oslo will ich nur hinzufügen,
dass man sicher auch bedenken muss: Wer finanziert die
Elektromobilität? Wodurch wird sie finanziert? Womit
verdient Norwegen sein Geld?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor kurzem habe
ich eine Softwarefirma im Wahlkreis besucht, die flexible, effiziente und emissionsarme Mobilitätskonzepte für
den ländlichen Raum entwickelt . Da wird einiges von
den bekannten Strukturen - die Strecke, die der Bus oder
die Bahn fährt - auf den Kopf gestellt . Wir müssen energischer und mutiger werden, um die Mobilität im ländlichen Raum attraktiv zu gestalten . Das ist eine unserer
Zukunftsaufgaben .
({2})
Wir müssen den Radverkehr stärker in den Fokus
rücken, wenn wir ihn mit dem öffentlichen Nahverkehr
vernetzen wollen, und das Fahrrad als Verkehrsmittel
betrachten, zum Beispiel für den Weg zur Arbeit . Damit
komme ich zum Nationalen Radverkehrsplan, für den der
Bund jährlich 3,2 Millionen Euro zur Verfügung stellt .
Mit diesem Plan werden Modellprojekte gefördert, zum
Beispiel das Fahrradportal . Auch die Kampagne „Mit
dem Rad zur Arbeit“ ist dort sehr erfolgreich .
Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Förderung allein reicht nicht aus . Wir brauchen dringend eine
Debatte über die Verteilung von Verkehr im öffentlichen
Raum, also zur Nutzerkonkurrenz von Auto, Rad und
Fußgängern . In Berlin sind nicht zu viele Fahrräder unterwegs, sondern tatsächlich zu viele Autos .
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist der letzte Sitzungstag dieser Legislaturperiode. Ich finde, wir haben
in der Großen Koalition sehr viel im Verkehrssektor erreicht . Ich bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausschuss, besonders natürlich bei meiner
AG Verkehr. Ich finde, das war eine gute Zeit.
Vielen herzlichen Dank .
({4})
Vielen Dank, Birgit Malecha-Nissen . Der allerletzte
Tag ist es nicht; ich will Sie daran erinnern: Am 5 . September ist noch ein Sitzungstag . Das ist dann der letzte
Sitzungstag in dieser Legislatur . Ich sage das nur, damit
Sie nicht glauben, den hätten wir gecancelt .
Letzter Redner in der Debatte: Dr . Hans-Joachim
Schabedoth für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Irgendwann war doch einmal Schluss mit den Postkutschen . Wann das genau war - wer will das mit absoluter Sicherheit bestimmen? Aber ganz sicher ist: Nie ist
irgendjemand auf die Idee gekommen, den Siegeszug
des Autos durch die Begrenzung der Nutzungsjahre von
Pferden für das Reiten und Kutschieren beschleunigen zu
wollen .
({0})
Wie so oft: Das Bessere setzte sich hier durch .
Die Grünen wollen nun die Schonfrist für klimaschädliches Autofahren 2030 auslaufen lassen . Sie versprechen
sich davon den Siegeszug des Besseren .
({1})
Es ist immer gut, wenn man in der Politik Ziele definiert.
Aber: Hat das Ganze nicht auch ein dirigistisches Geschmäckle, wie man im Musterländle des Automobils zu
sagen pflegt? Warum 2030? Warum nicht 2035? Warum
nicht 2029?
({2})
Ist 2030 wirklich ein „Schwachsinnstermin“, wie Herr
Kretschmann rügte? Ist die Erwartung, dass es sogar
noch schneller geht, wirklich absolut unrealistisch?
({3})
Der technische Fortschritt war gerade im Automobilbau schon immer Treiber des Besseren . Diesel- und
Benzinfahrzeuge sind heute schon Auslaufmodelle wie
ihrerzeit die Kutschen .
({4})
- Tja, der wird damit dann auch kein Geld mehr verdienen können . - Kann die Automobilindustrie in Deutschland noch Leitmarkt und Leitanbieter sein, wenn sie auf
diese langen Auslauffristen setzt und darauf vertraut? Die
nichtdeutschen Wettbewerber würden uns doch schnell
den Rang ablaufen .
Die IG Metall und die SPD haben im Rahmen der
Nationalen Plattform Elektromobilität seit Jahren eine
bessere politische Flankierung der Elektromobilität gefordert . Doch unser Koalitionspartner hat den Knall erst
nach Dieselgate gehört .
({5})
- Das wäre traurig, aber da kann ich Sie beruhigen: Ich
glaube, sie haben es verstanden .
({6})
Ähnliches gilt leider auch für viele Automobilhersteller; wir haben so mindestens zwei Jahre verloren . Einige
setzen immer noch auf verbesserte Dieselmotoren, Erdgas oder effizientere synthetische Brennstoffe. Deshalb
frage ich mich, ob der Dieselgate-Knall vielleicht doch
nicht laut genug war . Der Elektroantrieb, das autonome
Fahren, das Teilen, statt das Besitzen von Autos - das
sind Eckpunkte für den Erfolg von morgen . Zulieferungen für Autos mit Verbrennungsmotoren sind sicherlich
schon vor 2030 ein auslaufendes Geschäftsmodell . Es
wird der Tag kommen - eher früher als später -, an dem
niemand mehr eine Einspritzpumpe oder einen Auspuff
braucht . Die hier gebundenen Arbeitsplätze werden sich
sicher so nicht erhalten lassen . Doch klar ist auch: Alle
Arbeitsplätze in der Automobilindustrie von heute wären massiv gefährdet, wenn wir den Anschluss an die
Weltspitze verlieren würden . Die weitsichtigeren Automobilzulieferer investieren deshalb schon lange in eine
Zukunft ohne Verbrennungsmotoren . Nötiger denn je
wäre jetzt der Aufbau einer deutschen Batterie- und Zellproduktion .
({7})
Konsortien könnten dabei deutsches Know-how und Investitionskraft bündeln .
Fazit: Ich bezweifle, ob wir Fristsetzungen wirklich
benötigen, um die deutsche Automobilindustrie auf einen
richtigen Weg zu zwingen .
({8})
Wer in Zukunft mit Autos in unserem Land Geld verdienen will, der muss jetzt umsteuern .
({9})
Tesla und die chinesischen Autobauer werden jedenfalls
nicht warten, bis die ganze deutsche Automobilindustrie
verstanden hat . Die Politik kann sie leider auch nicht zum
Jagen tragen . Vielleicht könnte man dem Begehren der
Grünen, dem ich ja sympathisch gegenüberstehe, noch
die Funktion eines letzten Warnschusses zuerkennen,
auch wenn meine Fraktion ihn nicht mit abfeuern wird .
Doch es gibt Besseres als das Drohen mit dem grünen Zeigefinger: Wir müssen die Mitbestimmung der Beschäftigten und der Gewerkschaften stärken .
({10})
Damit stärken wir zugleich die Durchsetzungskraft für
den Ausstieg aus dem Zeitalter des Verbrennungsmotors
hin zur emissionsfreien Mobilität . In der Auseinandersetzung mit den Schlafmützen an den Schaltstellen der
industriellen Zukunft vertraut die SPD mehr auf den Stachel der Unternehmensmitbestimmung als auf gelegentliche grüne Nadelstiche .
({11})
Vielen Dank, Dr . Hans-Joachim Schabedoth . - Damit
schließe ich die Aussprache .
Wir kommen zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/12948 mit dem Titel „Emissionsfreier Mobilität zum Durchbruch verhelfen - Mit
sauberen Autos Wettbewerbsstärke, Wertschöpfung und
Arbeitsplätze in der Automobilwirtschaft erhalten“ . Die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung
in der Sache, die Fraktionen der CDU/CSU und SPD
wünschen Überweisung an den Ausschuss für Verkehr
und digitale Infrastruktur . Wir stimmen nach ständiger
Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Deswegen frage ich Sie: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Wer stimmt dagegen? - Dann
gibt es keine Enthaltungen . Damit ist die Überweisung
so beschlossen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD,
dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .
Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 18/12948 nicht in der Sache ab .
Tagesordnungspunkt 29 b . Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und
digitale Infrastruktur zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Die Bahnpolitik auf
das richtige Gleis setzen“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11219,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/10383 abzulehnen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltung? - Enthalten hat sich niemand . Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD, dagegen waren Grüne und die Linke .
Tagesordnungspunkt 29 c . Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen mit dem Titel „Radverkehr konsequent fördern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12816, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11729
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine .
Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt
haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/
Die Grünen und die Linke .
Ich gehe davon aus, dass möglicherweise nicht alle bei
der nächsten Debatte dabei sein wollen . Deshalb bitte ich
Sie, die Plätze zügig zu tauschen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Leitlinien der Bundesregierung - Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern
Drucksache 18/12813
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre ziemlich viel, aber dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so
beschlossen .
Wenn Sie Ihre bilateralen Gespräche einstellen würden, könnte ich die Aussprache eröffnen . - Ich eröffne
die Aussprache und gebe für die Bundesregierung das
Wort dem Bundesaußenminister Sigmar Gabriel . - Herzlich willkommen, Sigmar Gabriel .
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal vielen Dank,
dass Sie trotz der nahenden Sommerpause und anderer
wichtiger Entscheidungen, die wir heute schon getroffen
haben, zu einem Thema gekommen sind, das sich am Anfang vielleicht ein bisschen abstrakt anhört .
({0})
- Ihr beide seid immer da .
({1})
- Ob wir alle bleiben, werden wir am 24 . September merken .
Das Thema hört sich am Anfang vielleicht ein bisschen abstrakt an, aber dahinter - ich glaube, das wissen
alle - verbergen sich ganz viele konkrete Schicksale von
Menschen inmitten von Kriegen und Konflikten, die
schlicht ums Überleben kämpfen . Wir haben nach langen
Debatten und Beratungen - nicht nur im Parlament, sondern auch mit bürgerlichem Engagement - die Leitlinien
der Bundesregierung mit dem Titel „Krisen verhindern,
Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ verabschiedet.
Ein sehr unbarmherziger Gradmesser für die aktuelle Entwicklung ist die Zahl derjenigen, die vor Gewalt
fliehen müssen. Noch nie gab es so viele Flüchtlinge und
Vertriebene: 65 Millionen Menschen zum Ende des letzten Jahres . Auch wenn wir in unserem Land mit diesem
Thema Herausforderungen erlebt haben und immer noch
erleben, muss man wissen, dass bei weitem nicht wir die
größte Last zu spüren bekommen, sondern viele andere
Länder der Welt, weil die größte Zahl der Menschen in
ihren Heimatländern oder zwischen armen Ländern hin
und her flüchtet.
Wenn wir uns anschauen, was im Norden Ugandas
und in der Mitte der Demokratischen Republik Kongo
weitab von großer öffentlicher Aufmerksamkeit passiert,
dann müssen wir befürchten, dass auch in diesem Jahr
erneut ein Negativrekord erreicht wird . Und - lassen Sie
mich das an dieser Stelle offen sagen - wir hören gerade in diesen Tagen von der gewaltigen Flüchtlingszahl,
die erneut Italien betrifft . Ich habe heute die Zahl gehört:
20 000 Flüchtlinge innerhalb ganz weniger Tage . Ich
glaube, die erste Botschaft nach Europa muss sein: Wir
können unsere Freundinnen und Freunde, unsere Partnerinnen und Partner in Italien nicht alleinlassen . Das geht
nicht .
({2})
Was immer in der Europäischen Union an Debatten
über Migrationspolitik herrscht: Wir müssen dazu kommen, dass in dieser Frage alle in Europa, nicht nur wenige Länder, Solidarität mit den Italienern zeigen . Es kann
nicht sein, dass sie mit dem Thema alleingelassen sind
und wir am Ende wieder völlig unübersichtliche Flüchtlingsbewegungen in Europa erleben .
({3})
Meine Damen und Herren, Inseln der Sicherheit und
Freiheit werden in dieser Welt immer kleiner . Die Zahl
der Länder, in denen Spannungen, Gewalt, Krieg und
Vertreibung zum Alltag gehören, hingegen wächst . Wenn
wir uns diesen Realitäten nicht nur stellen wollen, sondern auch als Bundesrepublik Deutschland Verantwortung dafür übernehmen wollen, dass sich daran etwas
ändert, dann müssen wir uns darüber im Klaren sein, wie
wir dies tun wollen . Wir haben uns die Frage gestellt,
schon beginnend unter meinem Amtsvorgänger, dem
heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier,
mit welcher Haltung und vor allem mit welchen Mitteln
wir als Bundesrepublik Deutschland, wir als Bundesregierung dazu beitragen wollen, dass Gewalt und Vertreibung nicht noch mehr um sich greifen . Es ist klar: Wir
dürfen uns nicht überschätzen - das wissen wir -, aber
wir sollten auch nicht unterschätzen, was ein Land wie
Deutschland gerade mit Blick auf die Zusammenarbeit in
Europa dafür leisten kann .
({4})
Friedenspolitik - auch das gehört zur Wahrheit - erfordert manchmal auch den Einsatz militärischer Mittel .
Es muss Einsätze geben - insbesondere der Vereinten
Nationen -, bei denen unter bestimmten Bedingungen
auch mit militärischen Mitteln dafür gesorgt wird, dass
Gewaltexzesse gestoppt und weitere verhindert werden .
Das ist die Lehre zum Beispiel aus dem, was wir vor einigen Jahren in Ruanda erlebt haben, wo die Welt zugesehen hat, weil sie nicht entschlossen war, einzugreifen .
Hunderttausende oder Millionen Menschen haben mit
Leben und Gesundheit dafür gebüßt .
Eine Lehre aus den letzten Jahrzehnten lautet aber
auch - vor allen Dingen Militärs sagen uns das -: Gerade militärische Interventionen von außen, auch wenn
sie mit den besten Absichten geführt werden, führen eben
nicht zwangsläufig zu einer dauerhaften Befriedung. Wir
brauchen deshalb in unseren Friedensbemühungen ein
eindeutiges Bekenntnis zum Primat des Politischen, zum
nichtmilitärischen, zivilen Eingreifen, vor allen Dingen
dort, wo sich an unvermeidbare militärische Konflikte
ziviles Engagement anschließen muss - nicht nur, weil
es uns das Grundgesetz zum Auftrag macht, unsere Außenpolitik nicht auf die Macht des Militärischen abzustützen, sondern auf Diplomatie, auf Ausgleich und auf
ziviles Engagement, sondern auch schlicht aus der Erfahrung, die gerade unsere Soldatinnen und Soldaten in
schwierigen Einsätzen machen: Sie sagen uns, dass im
Zweifel nur mit dieser Kombination, mit solchen Einsätzen am Ende Stabilität und nachhaltiger Frieden erreicht
werden können . - Es gibt also angesichts der komplexen
Krisen unserer Zeit vor allen Dingen die Aufgabe, etwas
zur Vorbeugung zu tun, aber auch schnelle Unterstützung
zu leisten, wirksam und vernetzt zu arbeiten .
Meine Damen und Herren, mit den Leitlinien legen
wir deshalb einen Kompass für moderne Friedensdiplomatie vor . Dabei ist mir besonders wichtig, dass wir erstens - die konzeptionelle Arbeit einerseits auf einer
kritischen Bestandsaufnahme und andererseits, wie ich
es vorhin gesagt habe, auf einem Dialog mit der Zivilgesellschaft, mit Wissenschaft, Verbänden und Wirtschaft
abgestützt haben .
Auch viele Kolleginnen und Kollegen des Deutschen
Bundestages haben sich eingebracht . Ich glaube, dieser
Debattenprozess hat nicht nur dafür gesorgt, dass wir
jetzt ein überzeugendes Produkt haben . Er hat vor allen
Dingen auch deutlich gemacht, wie stark und wie lebendig - lassen Sie mich das so sagen - die Friedenscommunity in unserem Land ist; auch ihr sind wir zu Dank
verpflichtet. Wir sind natürlich denen, die in Einsätzen
sind - den Soldaten, den Entwicklungshelfern usw . -, zu
Dank verpflichtet, aber auch der Community in unserem
Land, die Deutschland als Friedensmacht stark halten
will. Ich finde, das ist eine gute Botschaft in einer Zeit,
in der wir überall in der Welt eher von Aufrüstung und
Konflikten reden.
({5})
Zweitens liegt diesen Leitlinien die Einsicht zugrunde, dass es kluger politischer Strategien sowie effizienter
und effektiver Instrumente, aber vor allen Dingen auch
realistischer Zielsetzungen bedarf . Wir dürfen nicht erwarten, dass über Nacht aus Krisengebieten stabile Demokratien entstehen . Uns muss bei allem Optimismus
und aller Entschlossenheit klar sein: Friedenschaffen ist
keine exakte Wissenschaft . Rückschläge zu verarbeiten,
gehört ebenso dazu wie die Bereitschaft zum kalkulierten Risiko, gerade wenn man mit frischen Ideen diese
Aufgabe angeht, wie wir es auf Grundlage der Leitlinien
tun wollen . Wichtig ist: Rückschläge dürfen uns nicht
entmutigen . Sie müssen vielmehr Ansporn sein, überlegt
und auch mit Augenmaß auszuloten, wie Deutschland einen langfristigen Beitrag zu mehr Frieden und Sicherheit
leisten kann .
Lassen Sie mich auch eine Bemerkung zu dem ganz
schwierigen Thema Rüstungsexporte machen . Ich habe
in diesen Jahren vor allen Dingen eins lernen müssen:
Der Glaube, mit dem Liefern von Waffen oder mit dem
Nichtliefern von Waffen auf der sicheren Seite zu sein, ist
immer ein Irrglaube . Man kann sich mit beiden Handlungen schuldig machen:
({6})
mit dem Liefern von Waffen, aber auch mit dem Nichtliefern von Waffen . Das sehen wir an der Geschichte
der Jesiden, die sozusagen der Ausrottung preisgegeben
worden wären . Insofern, glaube ich, ist es klug, dass wir
in all diesen Fragen Einzelfallabwägungen machen, uns
nicht international isolieren, aber vor allen Dingen nicht
die Botschaft senden, man könne sich mit dem einen oder
anderen Verhalten moralisch auf der sicheren Seite fühlen . Ich glaube, wir müssen uns immer der Verantwortung bewusst sein, die wir mit der einen oder der anderen
Entscheidung übernehmen, und uns auch über das Risiko im Klaren sein, dass man mit beiden Entscheidungen
auch falsch liegen kann .
({7})
Ich glaube, das gehört zur Offenheit und Ehrlichkeit der
Debatte .
Meine Damen und Herren, der dritte Punkt . Die Leitlinien identifizieren dabei Handlungsspielräume. Sie zeigen uns auf, wie und mit welchen Methoden wir diese
Räume für unsere Friedensarbeit nutzen können . Dazu
gehört auch, Rechtsstaatlichkeit zu fördern . Dazu gehört
auch die Arbeit unserer Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, auch derjenigen, die Justizberatung machen .
Denn natürlich soll auch die Arbeit der Polizistinnen und
Polizisten sicherstellen, dass in schwierigen Ländern
rechtsstaatliche Instrumente entstehen und dass im Übrigen dort auch eine Polizei entsteht, die diese rechtsstaatlichen Instrumente für sich sozusagen als Zielsetzung erfasst . Ich habe ein paar solcher Polizeiprojekte besucht,
zum Beispiel in Mali, und ich finde, wir können wirklich
stolz auf das sein, was die Polizistinnen und Polizisten
mit großem Einsatz für uns beim Aufbau von Rechtsstaatlichkeit und rechtsstaatlich organisiertem Handeln
dort leisten, meine Damen und Herren .
({8})
Letzter Aspekt. Die Bundesregierung verpflichtet sich
ganz konkret, ihre eigenen Fähigkeiten der Konfliktbearbeitung weiter auszubauen . Dafür wollen wir auch unsere Partnerschaften mit unseren europäischen Freunden,
den Vereinten Nationen, aber auch mit den Regionalorganisationen wie der Afrikanischen Union vertiefen . Denn
eines ist klar: Wir Deutsche können uns alleine noch so
sehr anstrengen, wir werden dauerhaft nur im Verbund
mit anderen etwas erreichen .
Meine Damen und Herren, wir werden diese Leitlinien als Kompass für eine moderne deutsche Friedensdiplomatie nutzen . Jeder von uns im Parlament weiß, dass
der Kompass alleine noch nicht ausreicht, sondern dass
wir sozusagen auch Hardware, Instrumente, am Ende immer auch Geld brauchen .
Deswegen sage ich in aller Offenheit: Ich habe mich
in den letzten Wochen und Monaten wie Sie alle an der
Debatte beteiligt, in der es um die Erreichung des 2-prozentigen Anteils der Verteidigungsausgaben am BIP in
den NATO-Ländern ging . Ich will gar nichts zu den Details sagen . Aber zwei Punkte fehlen mir völlig in dieser
Diskussion:
Erstens . Wenn die ganze Welt über Aufrüstung redet,
müssen doch Deutschland und Europa auch wieder über
Abrüstung und Rüstungskontrolle reden .
({9})
Es kann doch nicht sein, dass das gar kein Thema mehr
ist . Wir organisieren in diesen Tagen das Gedenken an
Helmut Kohl . Nicht zu Unrecht sind Schmidt und Kohl
im Zusammenhang mit dem NATO-Doppelbeschluss
immer wieder zitiert worden . Damals haben Verteidigungsfähigkeit auf der einen Seite, aber auch Angebote
zur Abrüstung auf der anderen Seite existiert . Ich war vor
ein paar Tagen in Island auf einer Konferenz einer Reihe
europäischer Staaten und habe die Gelegenheit gehabt,
in das weiße Haus in Reykjavík zu gehen, in dem Gorbatschow und Reagan einen Vertrag ausgearbeitet haben,
von dem wir heute noch profitieren: den INF-Vertrag, der
landgestützte Mittelstreckenraketen ausschließt . Genau
dieser Vertrag ist derzeit in Gefahr, einerseits durch die
Sorgen, was die Russen dort machen, andererseits dadurch, dass die Amerikaner sagen: Das, was dort passiert,
können wir auf Dauer nicht hinnehmen .
Wir müssen zurück in eine Diskussion, in der wir sagen: Verteidigungsfähigkeit ja, aber bitte auch offensive
Angebote zur Rüstungskontrolle, zur Abrüstung, gerade
von uns Deutschen und gerade in Europa, meine Damen
und Herren . Das gehört auch dazu .
({10})
Zweitens . Wichtig sind bei alldem natürlich auch die
Finanzierungsinstrumente. Ich finde die Debatte über
2 Prozent deshalb ein bisschen schräg, weil am Anfang
eigentlich die Frage stehen müsste, wofür man etwas
braucht .
({11})
Solange man das nicht sagen kann, ist es schwierig, zu
sagen, wie viel es denn sein muss, vor allen Dingen,
wenn wir wissen, dass wir in Europa 45 Prozent der Verteidigungsausgaben der USA tätigen, aber im Vergleich
nur 15 Prozent der Effizienz aufweisen. Aber es gehört
auch dazu, dass wir nicht bei dem verhängnisvollen Prozess mitlaufen, Militärausgaben zu erweitern und Entwicklungshilfe und Krisenprävention zu reduzieren . Im
Gegenteil: Eigentlich muss man für jeden Euro, den man
in die Verteidigungsfähigkeit steckt, 1,50 Euro in Entwicklungshilfe und Krisenprävention stecken .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({12})
Vielen Dank, Sigmar Gabriel . - Nächste Rednerin:
Kathrin Vogler für die Fraktion Die Linke .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Herr Minister! Am vergangenen Montag haben wir hier im Bundestag eine Wanderausstellung eröffnet . Sie hat den Titel „Frieden machen“ . Genau darum
sollte es in dieser Debatte heute eigentlich gehen .
({0})
Wie macht man eigentlich Frieden? Wer macht was?
Was schadet? Was muss man vielleicht auch unterlassen,
um Kriege und Bürgerkriege nicht weiter zu befeuern?
All das sind Fragen, mit denen wir uns in der Friedensbewegung sehr lange und intensiv auseinandergesetzt haben und auch noch auseinandersetzen, und genau darum
sollte es auch in den heute vorliegenden Leitlinien der
Bundesregierung gehen . In dieser Hinsicht, Herr Gabriel,
sind diese Leitlinien leider eine große Enttäuschung .
Zunächst einmal fehlt Ihnen jede Selbstkritik .
({1})
Was hat denn die Bundesregierung in den vergangenen
Jahren getan, um Friedensprozesse und Versöhnung zu
fördern und um Gewalt aktiv vorzubeugen? Wo hat Ihr
Handeln stattdessen Krisen und Konflikte befeuert? Ohne
eine solche selbstkritische Analyse - ich bitte Sie - kann
man doch keine Leitlinien für die Zukunft entwickeln .
Darüber können auch die vielen schönen Worte in Ihrem
Dokument nicht hinwegtäuschen . Wenn es nämlich konkret wird, dann folgt aus diesen Worten nichts .
Ich frage Sie: Geht die Bundesregierung mit mutigen
Abrüstungsschritten voran? Das Gegenteil ist der Fall,
wie wir an den aktuellen Aufrüstungsvorhaben und dem
steigenden Rüstungsetat sehen .
({2})
Wird die Bundesregierung etwas an den Rüstungsexporten ändern? Nein, Sie behaupten einfach, das werde
ohnehin restriktiv gehandhabt; dabei haben deutsche Firmen allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres allein
an die Länder Saudi-Arabien und Katar für fast 50 Millionen Euro Kriegsgerät geliefert . Ich bitte Sie: Nennen
Sie das verantwortungsvolle und vorausschauende Friedenspolitik?
({3})
Und: Wird die Bundesregierung mit den Leitlinien die
Abschaffung der Atomwaffen vorantreiben? Nein, die
Leitlinien bestehen weiter auf nuklearer Abschreckung,
und das ist eine Schande .
({4})
Nimmt denn diese Bundesregierung wenigstens die
krisenverschärfenden Effekte in ihrer Außenwirtschaftspolitik zur Kenntnis? Nein, Sie propagieren weiter die
Ausplünderung des globalen Südens unter der Ideologie
des Freihandels . In diesem Dokument fordert die Bundesregierung sogar die Öffnung afrikanischer Länder für die
großen Finanzinstitutionen . Ich bitte Sie: Wenn selbst ein
Land wie Deutschland sich von den Investment bankern
auf der Nase herumtanzen lässt, wie soll sich dann ein
afrikanisches Land mit sehr viel schwächeren staatlichen
Strukturen gegen die Machenschaften der Deutschen
Bank und ähnlicher Menschenfreunde wehren? Das ist
gar nicht zu erkennen . Herr Gabriel, das ist wirklich eine
völlig verdrehte Vorstellung davon, wie man Frieden machen kann .
({5})
Auch der Vorrang für Zivil ist leider mit lauter Konjunktiven abgeschwächt . Bisher hieß das Politikfeld,
über das wir heute sprechen, „Zivile Krisenprävention“ .
Es gab einen Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“, einen Beirat „Zivile Krisenprävention“, den Ressortkreis
„Zivile Krisenprävention“, und auch unser Unterausschuss heißt „Zivile Krisenprävention“ .
Wenn ich jetzt in die Leitlinien schaue, dann sehe ich,
dass überall dort, wo Krisenprävention steht, das Wort
„zivil“ sorgsam herausgestrichen wurde . Das ist doch
kein Zufall! Nein, diese Bundesregierung will sich eben
nicht verbindlich darauf festlegen, Konflikte und Krisen
wenigstens vorrangig mit zivilen Mitteln zu bekämpfen
und zumindest in der Vorbeugung auf Militär zu verzichten . Das Ministerium von Frau von der Leyen hat inzwischen eine solche Machtstellung, dass es ein harmloses
Wort wie „zivil“ quasi zum Unwort erklären kann . Mit
Friedenslogik hat das nun wirklich nicht mehr viel zu tun .
({6})
Als 2004 der Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“
beschlossen wurde, war das, trotz aller Kritik, wirklich
ein Meilenstein in der Außenpolitik . Wenn wir uns jetzt
fragen, ob diese Leitlinien ein ähnlicher Meilenstein
sind, dann muss ich leider sagen: Nein, Sie schreiben
nur das fest, was diese Bundesregierung sowieso tut . Sie
formulieren einen Aspekt des Weißbuchs aus dem Verteidigungsministerium ein bisschen genauer aus . Die Einbindung ziviler Instrumente im Rahmen eines vernetzten
Ansatzes in einer letzten Endes vor allem militärischen
Strategie ist aber der falsche Weg .
Dabei gibt es im Detail durchaus Fortschritte .
({7})
Dass die Bundesregierung die Mediation stärken will,
begrüßt die Linke ausdrücklich .
({8})
Auch die Aufwertung des Beirats finden wir positiv, auch
wenn unklar ist, wie er für die Erfüllung seiner neuen
Aufgaben ausgestattet werden soll .
Ganz besonders habe ich mich gefreut, dass es ein
klares Bekenntnis zum zivilen Peacekeeping gibt . Dafür haben sich meine Fraktion und ich ganz persönlich
schon seit langem eingesetzt . Ziviles, unbewaffnetes
Peacekeeping ist nämlich sehr viel besser geeignet, die
Zivilbevölkerung in Kriegssituationen zu schützen, als
bewaffnete Militärpatrouillen .
({9})
Zum Ende meiner Rede möchte ich Ihnen noch etwas
zum Thema „Frieden machen“ sagen: Letzten Endes
können das immer nur die Menschen in den Konfliktregionen selbst . Wenn wir dabei wirklich helfen wollen,
dann sollten wir die zivile Konfliktbearbeitung in ihrer
ganzen Breite fördern und in ihrer Eigenständigkeit und
Unabhängigkeit stärken . Dafür wollen wir als Linke auch
in der nächsten Wahlperiode hier im Bundestag streiten .
({10})
Vielen Dank, Kathrin Vogler . - Nächster Redner:
Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Ein nachhaltiger Friedensansatz muss selbstverständlich ganz stark auf die zivilen Elemente setzen . Der
frühere Verteidigungsminister Franz Josef Jung hat in
seiner Amtszeit genau diesen vernetzten Ansatz, diesen
Comprehensive Approach, vorangetrieben. Ich finde, da
er jetzt seine letzten Tage im Deutschen Bundestag verbringt,
({0})
gilt es, ihm dafür Danke schön zu sagen .
Der vernetzte Ansatz, der Comprehensive Approach,
ist so etwas wie das Markenzeichen der Europäischen
Union in Fragen von Sicherheit und dauerhaftem Frieden geworden . Wir reden in diesen Tagen viel darüber,
wie wir die Europäische Union in der Außen- und Sicherheitspolitik stärken können . Auf dem EU-Gipfel in
der vergangenen Woche wurde mit der Vereinbarung zur
Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit, PESCO, eine
erste Weichenstellung vorgenommen . In den nächsten
drei Monaten werden wir konkrete Schritte unternehmen .
All dem liegt die Idee zugrunde, dass ohne militärische
Mittel zivile Anstrengungen häufig fruchtlos sind, dass
mit militärischen Mittel allein man aber niemals in der
Lage ist, eine nachhaltige Friedenssituation herzustellen,
also den Frieden nachhaltig zu bewahren . Das sollte ein
Markenzeichen der Außen- und Sicherheitspolitik der
Europäischen Union sein . Damit gewinnen unsere internationalen, auch unsere transatlantischen Bemühungen
um dauerhaften Frieden nicht nur in quantitativer Hinsicht, sondern auch in qualitativer Hinsicht an Bedeutung .
Ich glaube, dass wir gut daran tun, an dem Konzept
der wertebasierten Außenpolitik auch in der Sicherheitspolitik festzuhalten . Wir formulieren in diesem Papier
der Bundesregierung ein ganz klares Bekenntnis zu den
Menschenrechten, zu den internationalen Institutionen
und zur Achtung von internationalen Verträgen . Das unterstützen wir voll und ganz .
Umso verwunderter war ich allerdings, als ich am vergangenen Sonntag die Rede des SPD-Parteivorsitzenden
auf dem Parteitag gehört habe . Er hat 80 Minuten gesprochen . In diesen 80 Minuten hat er an mehreren Stellen
Amerika - mal sanft, mal scharf - kritisiert; aber er hat
nicht ein einziges Mal die russische Aggression auf der
Krim und in der Ukraine kritisiert . Mit Blick auf die Frage, wie die wertebasierte Außenpolitik der Zukunft aussehen sollte, sollte der SPD-Kanzlerkandidat dieses Papier dringend lesen und sich dringend zu eigen machen .
Sonst wird es ihm im Wahlkampf nicht erspart bleiben,
dass wir ihn damit konfrontieren .
({1})
Wenn ich noch einen kleinen Schwenk machen darf:
Sie haben eben von der Bedrohung des INF-Vertrags gesprochen . Sie haben das frei formuliert, nicht aus dem
Manuskript . Sie haben gesagt, der INF-Vertrag, der Mittelstreckenwaffenabrüstungsvertrag, sei bedroht durch
die Bemühungen Russlands - in Kaliningrad ist das
wohl -, die Raketen zu modernisieren .
({2})
Aber Sie haben auch gesagt, in gleicher Weise sei das,
was die amerikanische Seite plane, eine Bedrohung . Ich
sage Ihnen: Wir müssen Aktion und Reaktion schon sauber auseinanderhalten . Wir können uns gerne darüber
unterhalten, wie man auf diese Provokation Russlands,
auf diese mögliche Verletzung des INF-Vertrags seitens
Russlands reagiert . Aber diejenigen, die sich darüber
Gedanken machen, wie man darauf reagieren kann, mit
denjenigen auf eine Stufe zu stellen, die diesen, wie wir
finden, massiven Rückschritt in der Abrüstungspolitik zu
verantworten haben, nämlich den Russen, das finde ich
nicht in Ordnung . Wenn, dann sollten wir bitte schön alle
Sachverhalte vor dem Hintergrund einer wertebasierten
Außenpolitik betrachten .
Ich möchte eingehen auf das Verhältnis zwischen zivilen und militärischen Mitteln im Bereich unser Haushaltsaufwendungen . In diesem Jahr haben wir zum ersten
Mal das 0,7-Prozent-Ziel im Bereich wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erreicht, natürlich auch,
weil wir gegenwärtig viel im Rahmen der humanitären
Hilfe tun . Ich glaube, es ist völlig klar - das ist in diesem
Hause vermutlich auch unstrittig -, dass wir uns das Ziel
setzen, diese Quote mindestens zu halten und niemals
mehr unter diese 0,7 Prozent Entwicklungshilfeausgaben, unter diese sogenannte ODA-Quote, zu fallen .
Aber wir haben eben auch vor drei Jahren - lange bevor
Donald Trump am Horizont als Präsident von Amerika zu
erkennen war - auf dem Gipfel in Wales verabredet, dass
wir uns dem 2-Prozent-Ziel der NATO annähern wollen .
Dieser Beschluss von Wales der 28 NATO-Mitglieder
von vor drei Jahren trägt eben auch die Unterschrift des
SPD-Außenministers Frank-Walter Steinmeier . Deswegen waren wir schon über die eine oder andere Äußerung
in der Vergangenheit etwas verwundert,
({3})
bei der wir das Gefühl hatten, dass sich die SPD bei der
Frage des 2-Prozent-Ziels in unserem Commitment ein
Stück weit vom Acker macht .
Wenn wir mangelnde Verlässlichkeit bei anderen Regierungen beklagen - zum Beispiel den amerikanischen
Präsidenten dafür kritisieren, dass er vielleicht etwas zu
zögerlich ein klares Bekenntnis zu Artikel 5 des NATO-Vertrages abgegeben hat -, dann sollten wir als Deutsche keinen Zweifel daran lassen, dass wir uns wirklich
buchstabengetreu an die NATO-Vereinbarung von Cardiff von vor drei Jahren halten .
Ich glaube, wir sollten uns zum Ziel setzen, dass wir
zum einen, was die Verteidigungsausgaben angeht, unser
Cardiff-Versprechen einhalten und zum anderen auch die
zivilen Komponenten zum Zweck der Friedenssicherung
und für die Entwicklung der Länder ausbauen. Ich finde
die Idee ganz spannend, zu sagen: Es muss 1 Euro zusätzlich für Verteidigung ausgegeben werden, aber eben
auch 1 Euro zusätzlich für zivile Maßnahmen .
({4})
Ich glaube, das wird die Politik der Union für die Jahre 2017 bis 2021 sein . Auf der Basis werden wir sicherlich auch Unterstützung bekommen .
Herzlichen Dank .
({5})
Vielen Dank, Jürgen Hardt . - Nächste Rednerin:
Dr . Franziska Brantner für Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und
Herren! Wir diskutieren heute die Leitlinien, die 13 Jahre nach dem Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“ den
neuen Rahmen für das Krisenmanagement dieser Bundesregierung darstellen sollen .
Wir sind in Zeiten, in denen die Krisen nicht weniger werden, sondern mehr . In den letzten Jahren - das
wussten wir auch schon vorher - haben wir nicht nur
schmerzlich gelernt, dass Frieden immer mehr ist als eine
Waffenruhe, sondern wir haben auch lernen müssen, wie
schwer es ist, Frieden zu schaffen . Dafür brauchen wir
in der Prävention nicht nur mehr Mediation bzw . mehr
Kapazitäten, sondern auch mehr und bessere Rechtsstaatsförderung . Des Weiteren brauchen wir eine Sicherheitssektorreform, Versöhnungsarbeit und ganz konkrete
Friedensarbeit vor Ort . Wir diskutieren heute also über
ein breites Spektrum, das extrem wichtig ist, um vor Ort
überhaupt wieder Frieden denken und voranbringen zu
können .
({0})
Diese Felder brauchen Expertise, Personal, Geld, politischen Willen und vor allem einen langen Atem . Wir alle
wissen, dass das meistens nicht schnell geht . Das dauert
nicht nur Monate und Jahre, sondern wir müssen eher in
Jahrzehnten denken, wenn wir über das Friedenschaffen
reden .
Angesichts dieser Herausforderungen sind die vorgelegten Leitlinien leider wirklich eine große Enttäuschung .
({1})
Es gibt in ihnen hauptsächlich sehr vage Absichtserklärungen . Zum Beispiel steht in den Leitlinien: Wir wollen bei der Mediation mehr machen . - Ja, aber wie viel
wollen Sie denn bis wann erreichen? Auf welche Bereiche soll Deutschland einen Schwerpunkt legen? Wollen
wir das Gleiche machen wie Finnland, wie die Schweiz?
Oder sieht Deutschland für sich eine andere Aufgabe?
Dazu gibt es in den Leitlinien nur eine Leerstelle und
keine Antwort .
Es gibt zwei andere Beispiele .
Herr Gabriel, Sie selber haben die Polizeibeamten
erwähnt und gesagt: Ihr Einsatz ist ein sehr wichtiges
Engagement . - Damit haben Sie recht . Denn es ist die
Aufgabe von Staatlichkeit, das Gewaltmonopol durchzusetzen, und zwar am besten zivil . Die Vereinten Nationen
haben für diese Aufgabe über 13 000 Polizeibeamte zur
Verfügung gestellt bekommen, aktuell 32 aus Deutschland . Das ist im Hinblick auf Deutschlands Verantwortung eine einfach blamable Anzahl . Ich hätte mir gewünscht, dass Sie sich, wenn Sie so ein Papier schreiben,
ein Ziel setzen, wie die Schweden es getan haben . Die
sagen: Wir setzen 1 Prozent unserer Polizeibeamten in
internationalen Einsätzen ein . - Das wäre eine Zielvorgabe, und das wäre ambitioniert . Das hätte ich von Ihnen
erwartet .
({2})
Ein anderes Beispiel . Wir alle wissen, wie schwierig
es ist, Expertisen gut herauszuarbeiten . Wir haben damals dafür die „Deutsche Stiftung Friedensforschung“
gegründet . Deren Stiftungsetat ist aber zu gering . In den
Leitlinien hätte stehen können: Wir verdoppeln den Stiftungsetat .
Das alles sind konkrete Ziele, die man sich hätte setzen können . Auch dort eine absolute Leerstelle .
Jetzt will ich noch einen weiteren Punkt erwähnen .
Herr Gabriel, Sie haben gesagt: Das Primat des Politischen muss gelten . - Aber die Leitlinien bringen einen
zentralen Rückschritt . Bis jetzt lag die Ressortabstimmung in der Hand Ihres Ministeriums, des Auswärtiges
Amtes . In Zukunft liegt sie in der Hand des Auswärtiges
Amtes und des Verteidigungsministeriums . Dass Sie dem
zugestimmt haben, Herr Gabriel, und hier so große Reden vom Primat des Politischen schwingen: Das ist doch
wirklich nichts anderes als Heuchelei . Das ist einfach
eine Enttäuschung .
({3})
Sie hätten dazu stehen müssen . Das Primat des Politischen - und nicht gemeinsam mit anderen Ministerien -:
Genau das muss gelten .
Man kann übrigens auch fragen: Warum muss das
Entwicklungsministerium dabei sein, warum muss das
Verteidigungsministerium dabei sein? Es ist klar: Hier
geht es um die Zukunft des Auswärtigen Amtes . Das Primat des Politischen haben Sie nicht durchgesetzt .
Wir Grüne wollen stattdessen einen Rat für Frieden, Menschenrechte und Nachhaltigkeit, eine Art
Friedens-TÜV, durch den alle Maßnahmen der Regierung - zum Beispiel Rüstungsexporte, Handel, Landwirtschaft - darauf überprüft werden müssen, ob sie dem
Auftrag unseres Grundgesetzes, dem Frieden in der Welt
zu dienen, wirklich gerecht werden . Das ist nämlich der
Auftrag des Grundgesetzes an alle Ministerien und nicht
nur an eines . Das muss endlich durchgesetzt werden:
dass wir diesem Auftrag auch gerecht werden .
({4})
Mehrere haben erwähnt, dass unglaublich viele Menschen für Deutschland in der Welt unterwegs sind und für
den Frieden arbeiten . Es gab die vor kurzem eingeführte
Tradition, den Tag des Peacekeepers . Leider hat Ihre Regierung den Termin diesmal abgesetzt . Er wurde auf den
Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben . Es gibt noch kein
neues Datum dafür .
Es ist auch ein falsches Zeichen an all diese Menschen
da draußen, dass man schon im dritten Jahr, in dem dieser Tag begangen wird, sagt: Jetzt haben wir den Termin
doch nicht, und wir werden einmal gucken, wann wir
das im Herbst - während der Koalitionsverhandlungen nachholen . - Auch das ist ein schlechtes Signal für diese
Menschen . Eigentlich müssten sie eine super Ehrung bekommen - sie erhalten aber gar keine .
({5})
Letzter kurzer Punkt . Herr Hardt, Sie haben erwähnt,
dass wir das im europäischen Rahmen machen sollten .
Darin stimme ich Ihnen komplett zu . Die Europäische Sicherheitsstrategie ist sogar so weit gegangen, dass gesagt
wurde: Die Zielsetzung der EU muss der Preemptive Peace sein, der wirklich vorbereitende und durchsetzende
Frieden .
Dafür gibt es ein ganz konkretes Projekt, dem
Deutschland endlich beitreten könnte, nämlich das Europäische Friedensinstitut, das viele Länder der Europäischen Union gegründet haben, um in solchen Situationen
mehr Europa voranzubringen . Auch dort ist Deutschland
immer noch nicht Mitglied, und das ist auch keine Zielsetzung der Leitlinien . Wir könnten hier Europa ganz
konkret stärken und gemeinsam vorangehen . Auch hier
ist aber eine Leerstelle .
Von daher hoffe ich, dass wir hier im September andere Mehrheiten haben werden . Das Primat des Politischen
zu sichern, dem Frieden in der Welt zu dienen: Das sind
die Aufgaben . Diese sollten wir dann gemeinsam angehen .
({6})
Vielen Dank, Franziska Brantner . - Nächster Redner:
Thorsten Frei für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da wir heute diesen Bericht der Bundesregierung „Leitlinien der Bundesregierung - Krisen verhindern,
Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ - diskutieren,
möchte ich zunächst einmal den zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Auswärtiges Amtes ein
herzliches Dankeschön sagen . Es geht hier nämlich nicht
nur um 60 Seiten bedrucktes Papier . Vielmehr sind sie in
einem monatelangen Diskussionsprozess auch unter Einbeziehung des Bundestages, der Zivilgesellschaft und der
Community, wie Sie vorhin gesagt haben, Herr Minister,
intensiv erarbeitet worden, und diesen Prozess fand ich
mustergültig und stilbildend .
Die Leitlinien sind nicht vom Himmel gefallen; Vorredner sind darauf eingegangen . Sie ersetzen im Wesentlichen den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“ aus
dem Jahr 2004; das müssen sie deshalb, weil der Aktionsplan im Grunde genommen abgearbeitet ist .
Wir haben die zivile Krisenprävention institutionalisiert, und wir haben - das wird in diesen Debatten immer
wieder vergessen - die dafür eingesetzten finanziellen
Mittel in den letzten 12, 13 Jahren mehr als verzehnfacht,
wir haben sie verstetigt, wir haben sie überjährig ausgestaltet . Wir haben also genau das getan, was die Adressaten dieser Politik immer gefordert haben .
Die Regierung hat das ZIF zu einer echten Entsendeorganisation ausgebaut, und wir haben vor wenigen
Wochen hier im Parlament das Sekundierungsgesetz
novelliert, wobei wir die soziale Absicherung - auch
die psychosoziale Betreuung - der entsendeten Kräfte
deutlich verbessert haben . Damit haben wir konkrete
Grundlagen dafür gelegt, dass wir in Zukunft noch mehr
Menschen in Friedenseinsätze bringen können . Die Zielsetzungen sind im Grunde genommen abgearbeitet . Dass
man von Aktionen irgendwann zu Leitlinien kommen
muss, um dem Ganzen einen Rahmen zu geben, ist aus
meiner Sicht nur konsequent .
Ich will dazu zwei Dinge sagen:
Erstens . Es gibt - das ist bisher unterschlagen worden - ganz konkrete Selbstverpflichtungen der Bundesregierung, die sich am Ende dieser Leitlinien finden. Die
Bundesregierung will sie evaluieren und mit dem Parlament diskutieren . Wir werden natürlich genau schauen,
was davon umgesetzt ist und was nicht .
Zweitens: das Leitbild . Wir alle würden uns wünschen,
dass man das friedenspolitische Leitbild für die Bundesrepublik Deutschland in drei Sätzen definieren kann. Das
wird kaum möglich sein. Ich finde, der Mehrzeiler, der
sich zu Beginn der Leitlinien findet, trifft es gar nicht
schlecht . Dort steht: Es gibt eine historische Verantwortung . Wir haben dadurch ein Problem, dass internationale
und regionale Ordnungen infrage gestellt werden, ohne
dass es belastbare Alternativen zu ihnen gibt .
Deutschland ist das bevölkerungsreichste Land Europas mit der stärksten und dynamischsten Wirtschaft . Das
berechtigt uns nicht, uns hinter anderen zu verstecken,
sondern das bedeutet, dass wir Verantwortung übernehmen müssen . Dazu kommt: Wir haben auch ein eigenes
Interesse . Wir verdienen mehr als die Hälfte unseres
wirtschaftlichen Wohlstandes außerhalb der Grenzen
Deutschlands . Wir haben die wahrscheinlich am stärksten internationalisierte Volkswirtschaft . Daraus ergeben
sich Interessen .
Deswegen ist es vollkommen richtig - wie mein Kollege Hardt gesagt hat -, dass wir natürlich auch in Zukunft
eine wertegebundene Außenpolitik betreiben wollen, die
auf die Universalität der Menschenrechte setzt und die
das Friedensgebot der Präambel des Grundgesetzes mit
Leben erfüllt, aber dass wir auch unsere Interessen definieren . Wir haben Interessen . Das spüren doch die Menschen bei uns im Lande . Sie spüren, dass Globalisierung
nicht nur etwas mit wirtschaftlichen Chancen zu tun hat;
Globalisierung hat auch etwas mit Migrationsströmen zu
tun; Globalisierung hat auch etwas mit internationalem,
häufig islamistischem Terrorismus zu tun. Es liegt doch
in unserem Interesse, uns um diese Themen zu kümmern
und zu bemühen .
({0})
Vor diesem Hintergrund, glaube ich, ist es absolut richtig,
diese Interessen zu definieren. Das heißt aus meiner Sicht
auch, zu sagen, was wir nicht machen .
Es gibt knapp 200 Länder auf der Erde . In etwa
100 Ländern der Erde gibt es Kriege, Bürgerkriege und
Konflikte irgendwelcher Art. Wir können uns nicht um
alle kümmern . Deswegen müssen wir klar sagen: Wir haben auch regionale Interessen: Das ist Osteuropa; das ist
der Nahe Osten; das ist vor allen Dingen der afrikanische
Kontinent . Dort sollten wir unsere Aktivitäten konzentrieren . In diesen Bereichen müssen wir mehr machen .
Es geht darum, ressortübergreifend tätig zu sein . Ich
will einen Vorschlag in die Runde werfen: Ich glaube,
dass dieser ressortübergreifende Ansatz, der vernetzte
Ansatz, wie wir ihn diskutiert haben, durch die Bildung
eines Bundessicherheitsrates zusätzlichen Nachdruck erhalten könnte . Das wäre ein innovativer Ansatz, der uns
weiterhelfen könnte .
Ich will etwas sagen, bei dem wir mit Sicherheit unterschiedlicher Meinung sind: Vernetzte Sicherheit bedeutet, den gesamten Instrumentenkasten der Außenpolitik
einzubeziehen . Das sind die Entwicklungszusammenarbeit und die wirtschaftliche Zusammenarbeit; das ist aber
auch das Militär . Es reicht nicht, aufzuschreiben, dass
man bündnistreu sein und mit anderen zusammenarbeiten möchte . Vielmehr muss man das letztlich mit Leben
erfüllen . Das bedeutet, dass man die dafür notwendigen
finanziellen Mittel bereitstellt. Deswegen sind die 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung bis zum
Jahr 2024 nicht einfach ein Punkt auf einer Wunschliste, sondern sie sind Grundvoraussetzung dafür, dass wir
auch Militär einsetzen können .
Ich möchte einen Blick - damit komme ich zum Ende,
Frau Präsidentin - auf den Libanon, den Kosovo, Afghanistan und Darfur werfen . Der amerikanische Präsident
kürzt die Mittel für Friedenseinsätze und Blauhelmmissionen, beispielsweise in Darfur . Das bedeutet, dass dort
die Zivilbevölkerung nicht mehr vor den Konfliktparteien geschützt werden kann . Ist denn das in Ordnung? Aus
meiner Sicht, nicht . Ich will, dass wir aus Deutschland
heraus eine andere Politik machen . Dafür haben wir jetzt
die richtigen Leitlinien .
Vielen Dank .
({1})
Vielen Dank, Thorsten Frei . - Die letzte Rednerin in
dieser Debatte: Julia Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In den vergangenen vier Jahren habe ich als
Mitglied des Verteidigungsausschusses unsere Soldatinnen und Soldaten in vielen Ländern besucht, in denen die
Bundeswehr für Frieden und Stabilität im Einsatz ist . So
habe ich mich in Afghanistan, in Mali, im Kosovo oder
im Irak mit unseren Soldaten ausgetauscht und mich über
die Einsatzbedingungen informiert .
Ich konnte mir auch ein Bild von den Lebensumständen der Menschen vor Ort machen . Meine Truppenbesuche haben mir deutlich vor Augen geführt: Sicherheit
und Entwicklung müssen Hand in Hand gehen; denn sie
bedingen einander . Ohne Sicherheit gibt es keine Entwicklung und umgekehrt .
Natürlich haben Diplomatie, Krisenprävention und
zivile Maßnahmen immer Vorrang . Doch auch die Ausbildungs-, Stabilisierungs- und Friedensmissionen sind
notwendig .
Über den Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten
entscheiden wir hier im Parlament nie leichtfertig . Die
Militäreinsätze stehen auch niemals allein . Sie sind stets
eingebettet in einen umfassenden und vernetzten Ansatz,
den Franz Josef Jung zum Markenzeichen der deutschen
Sicherheitspolitik gemacht hat .
Diesem bedeutenden Grundsatz tragen die Leitlinien der Bundesregierung „Krisen verhindern, Konflikte
bewältigen, Frieden fördern“ Rechnung . Sie bilden die
strategische Grundlage für das zukünftige internationale
Engagement Deutschlands bei Krisenprävention, Konfliktbewältigung und Friedensförderung.
Der Friede soll mit dem vernetzten Ansatz gestaltet
werden: als gemeinsames Ziel des Handelns der Ressorts
Außen, Entwicklung und Verteidigung . Daher freut es
mich, dass es uns in dieser Legislaturperiode gelungen
ist, die Etats aller drei Häuser zu erhöhen .
In den Leitlinien definiert die Bundesregierung umfangreiche Selbstverpflichtungen. Diese können nur umgesetzt werden, wenn alle relevanten Ministerien eng
zusammenarbeiten .
Die 50 Selbstverpflichtungen beziehen sich insbesondere auf fünf Ziele: legitime politische Strukturen stärken, ein sicheres Umfeld schaffen, Rechtsstaatlichkeit
fördern, wirtschaftliche Grundlagen und Erwerbschancen schaffen sowie eine leistungsstarke Regierungsführung und transparente öffentliche Finanzen .
Doch Deutschland kann diese Herausforderungen auch das geht aus den Leitlinien hervor - nicht alleine
bewältigen . Wir brauchen internationale Partnerschaften
wie die Europäische Union, die NATO, die OSZE und
die Vereinten Nationen .
Auch als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates weiß ich, wie wichtig die internationale Zusammenarbeit ist . Der Europarat hat 47 Mitgliedstaaten und versteht sich als Hüter von Menschenrechten,
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit . Diese drei Werte
sind grundlegend für die Stabilität von Staaten .
In der Ukraine beispielsweise leistet der Europarat einen wichtigen Beitrag zur Krisenbewältigung mit einem
eigenen Büro vor Ort . Auch die internationalen Wahlbeobachtungsmissionen sind von großer Bedeutung .
Sehr geehrte Damen und Herren, mit den vorgelegten Leitlinien bekennt sich Deutschland zu seiner internationalen Verantwortung . Es ist das erste umfassende
Leitbild für das friedenspolitische Engagement Deutschlands . An Frieden und Sicherheit sind wir hierzulande
Gott sei Dank gewöhnt . Aber dieser Frieden und diese
Sicherheit sind nicht selbstverständlich .
Als ich vor vier Jahren zum ersten Mal die Ehre hatte, an diesem Rednerpult zu sprechen, gab es noch keine
Annexion der Krim; da gab es noch keinen IS-Terror und
auch noch keine Flüchtlingskrise. Kriege und Konflikte
rücken immer näher an uns heran, ob am Breitscheidplatz
hier in Berlin oder durch russische Sanktionen gegen die
Produkte unserer heimischen Landwirtschaft . Kriege
und Konflikte haben unmittelbaren Einfluss auf unsere
Sicherheit und unseren Wohlstand in Deutschland .
Angesichts dieser Weltlage sind die Leitlinien der
Bundesregierung „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ eine wichtige Grundlage für unseren weiteren Beitrag zu Frieden und Entwicklung weltweit .
Vielen Dank .
({0})
Vielen Dank, Julia Obermeier . - Damit schließe ich
die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/12813 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Der Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/12969
soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden . - Sie
sind damit einverstanden . Dann sind die Überweisungen
so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des 5. Untersuchungsausschusses gemäß
Artikel 44 des Grundgesetzes
Drucksache 18/12900
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache, die hier stattfindet, 60 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so
beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Herbert
Behrens für die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Millionen Menschen tragen gesundheitliche Schäden
davon, wenn sie Stickoxidschadstoffen ausgesetzt sind .
Wir wissen, dass das Klimagas CO2 dazu beiträgt, dass
es zu einem dramatischen Klimawandel kommt . Wir
stellen fest, dass die Automobilindustrie bei beiden, bei
dem Schadstoff NOx und beim Klimagas CO2, die Werte
manipuliert und damit gesundheitliche Schäden und die
Klimaschädigung billigend in Kauf nimmt . Das darf es
auf keinen Fall weiterhin geben .
({0})
Ein Mitarbeiter von Volkswagen in den USA musste
im September 2015 zugeben, dass VW eine Abschalteinrichtung verwendet, die erkennt, wenn ein Auto auf dem
Prüfstand im Labor steht . Diese Art Abschalteinrichtung
ist in Kalifornien, aber auch in Europa verboten . Dieser
Betrug kostete das Unternehmen bis heute in den USA
23 Milliarden Euro .
Was ist geschehen? Umweltschutzorganisationen,
aber auch der Automobil-Club ADAC haben frühzeitig
immer wieder darauf hingewiesen, dass offiziell angegebene Abgaswerte im normalen Fahrbetrieb, teilweise
aber auch im Prüflabor nicht eingehalten werden. Das
war lange vor dem Auffliegen des VW-Betrugs. Ministerien und Behörden, wie zum Beispiel das Kraftfahrt-Bundesamt, KBA, wurden informiert . Dort allerdings stieß
man auf ein Verhalten, das eher dem Verhalten der drei
Affen gleicht: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen .
Oder: nichts sehen, nichts hören und nichts sagen wollen .
Das können wir auf jeden Fall keinen Tag länger dulden .
({1})
Betrogen hat aber nicht nur VW . Auch andere Autohersteller haben ihre Dieselmotoren frisiert und mit angeblich zulässigen Abschalteinrichtungen auf den Markt
gebracht . Der Verkehrsminister setzte eine Untersuchungskommission „Volkswagen“ ein, aber der Abgasskandal ist damit nicht aufgeklärt .
All dies machte den Untersuchungsausschuss nötig .
Der begann seine Arbeit am 7 . Juli 2016 . Bis zur letzten
Zeugenvernehmung am 8 . März 2017 wurden 57 Zeugen
vernommen, 13 Sachverständige gehört und 4 Gutachten
erarbeitet . Bei der Bewältigung dieser Arbeit wurden die
engagierten Mitglieder des Ausschusses von ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern intensiv unterstützt . Als
Ausschussvorsitzender gilt mein zusätzlicher Dank den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschusssekretariats, die unter einem großen Zeitdruck eine tolle Arbeit
geleistet haben .
({2})
Es war richtig, diesen Ausschuss einzusetzen, und es
war wichtig; denn wir decken Schwachstellen in den Behörden auf, die den Abgasbetrug nicht erkennen wollten
oder konnten . Wir zeigen auf, wie die Automobilindustrie Einfluss auf politische Entscheidungen nimmt. Wir
haben erreicht, dass wir hier die Debatte führen, wie wir
umweltgerechte, wirtschaftliche und nachhaltige Mobilität gestalten können .
Ich kann jetzt aufgrund der kurzen Redezeit leider nur
auf zwei Punkte direkt eingehen .
Erstens . Das KBA ist für die Zulassung von Fahrzeugen verantwortlich . Beharrlich ignorierten die Verantwortlichen dort und auch das vorgesetzte Verkehrsministerium Hinweise, dass die genehmigten Abgaswerte nicht
eingehalten werden . Im Untersuchungsausschuss haben
Vertreter des KBA bestritten, dass sie entsprechende
Nachprüfungen hätten vornehmen können . Das stimmt
aber nicht . Auch für das KBA gilt das Verwaltungsverfahrensgesetz . In § 24 Absatz 1 dieses Gesetzes heißt es:
Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts
wegen . Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen . . .
Sie ist also frei .
2011 gab es einen sogenannten Feldtest der Bundesanstalt für Straßenwesen, abgekürzt: BASt . In dem vom
Bundesumweltministerium initiierten und damals vom
Verkehrsministerium immer wieder gebremsten Projekt
wurden auch mehrere VW-Motoren getestet, unter anderem der Betrugsmotor EA189. Einem Mitarbeiter fiel
zunächst ein erhöhter CO2-Wert auf . Der BASt-Mitarbeiter wollte klären, woher dieser Wert komme, wurde dann
aber von einem Mitarbeiter des KBA ausgebremst . Ich
zitiere:
Da die CO2-Ermittlung nicht direkter Bestandteil
des Projekts ist . . . , ist meine Empfehlung, derzeit
keine weitere Klärung von VW abzuverlangen .
Die Devise war: Nichts hören .
Als dann am gleichen Motor auch erhöhte Stickoxidwerte gemessen wurden, hieß es ebenfalls, es handele
sich um einen Einzelfall . Zitat:
Für mich ergibt sich hieraus nicht die Notwendigkeit weiterer Fragestellungen an die VW AG .
Das damalige Verkehrsministerium hatte Kenntnis
von dieser Angelegenheit . Die Devise war: Nichts sehen,
nichts sagen .
Hätte man die Ereignisse damals hinterfragt und auch
das umfassende Testprogramm des Umweltbundesamtes
angewendet, so hätte man den Dieselskandal möglicherweise bereits im Jahre 2011 aufdecken können, und es
hätte nicht die schweren Verwerfungen, beispielsweise
bei VW, gegeben .
({3})
Das KBA muss deshalb verpflichtet werden, künftig
Hinweisen auf Manipulationen an Fahrzeugen oder einem entsprechenden Verdacht nachzugehen und dem
aufsichtführenden Bundesverkehrsministerium unverzüglich zu melden .
({4})
Zweitens . Aus Antworten auf zahlreiche Anfragen
der Linksfraktion geht hervor, dass die Automobilindustrie einen besonders guten Zugang zu dem politischen
Spitzenpersonal hat . Die Industrie führt im Kanzleramt
Gespräche, während die Umweltverbände und Verbraucherschutzorganisationen ihre Belange kaum bis auf die
Ministerialebene vermittelt bekommen . Im Untersuchungsausschuss konnten wir nachweisen, dass wesentliche Entscheidungen faktisch von der Industrie vorgegeben werden konnten .
Nur ein Beispiel . Bei den Verhandlungen zum neuen Prüfzyklus Real Driving Emissions, RDE, haben die
Konzerne durchgesetzt, dass bei den Grenzwerten für
Stickoxide der Faktor der Überschreitung 2,1 betragen
darf und nicht 1,6, wie von der EU-Kommission vorgeschlagen worden war . Dieser skandalöse Sachverhalt ist
im Sondervotum der Linksfraktion ausführlich dargestellt. Um den Einfluss der Hersteller auf Regierung und
Behörden zulasten der Belange der Umwelt und der Gesundheitsinteressen der Menschen zu begrenzen, müssen
Lobbykontakte von der Bundesregierung offen dargelegt
werden, und zwar ab sofort .
({5})
Der Skandal ist nicht beendet, leider . Wir sehen es am
Beispiel der hohen CO2-Überschreitungen, die immer
noch gemessen werden . Der Skandal ist nicht beendet,
weil sich der Verkehrsminister weigert, wirklich umfassende Abgasmessungen vorzunehmen, weil er sich weigert, Verbraucherrechte zu stärken . Es gibt also noch viel
zu tun .
Der Ausschuss hat eine wesentliche Aufklärung geleistet . In der nächsten Wahlperiode können diese Erkenntnisse genutzt werden für Entscheidungen, die die
Interessen der Beschäftigten, der Verbraucher und die
Gesundheit der Allgemeinheit und nicht einseitig die
wirtschaftlichen Interessen der Automobilkonzerne ins
Zentrum stellen .
Vielen Dank .
({6})
Vielen Dank . - Das war auch Ihre letzte Rede, Herr
Behrens . Sie haben in den beiden Legislaturperioden,
die Sie dem Bundestag angehört haben, im Verkehrsausschuss gearbeitet . Dem ist die Arbeit nicht ausgegangen,
nicht nur in dieser Legislaturperiode, sondern sicherlich
auch vorher . Da dort in dieser Legislaturperiode aber besonders viel Arbeit war, möchte ich Ihnen im Namen aller Kolleginnen und Kollegen danken und alles Gute für
Ihre Zukunft wünschen .
({0})
Ulrich Lange hat als nächster Redner für die CDU/
CSU das Wort .
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch von mir an dieser Stelle, Herr Kollege Behrens, alles Gute für die weitere Zukunft und ein Dankeschön für
das Leiten des Untersuchungsausschusses!
Aber damit komme ich gleich zurück zur Realität .
Als ich gerade Ihre Rede gehört habe, hatte ich den Eindruck, wir saßen in zwei unterschiedlichen Ausschüssen .
Ich kann mir nicht verkneifen, das zu sagen . Mich hat
Ihre Rede erstaunt . Mich hat aber auch erstaunt, als ich
im Februar 2017 auf tagesschau .de gelesen habe: „Lob
vom Linkspartei-Politiker für den CSU-Minister“ . Sie
hatten zur Untersuchungskommission „Volkswagen“ gesagt - ich zitiere Sie wörtlich -: „Das ist eine gute Herangehensweise gewesen .“ Das attestierten Sie damals,
im Februar 2017, unserem Bundesverkehrsminister auf
tagesschau .de . Diesem Lob kann ich mich eigentlich nur
ganz herzlich anschließen .
({0})
Der Ausschuss hat eines klar hervorgebracht: dass
nämlich die Bundesregierung keine Kenntnis von den
Manipulationen hatte und dass der immer wieder genannte Kronzeuge Jürgen Resch von der Deutschen
Umwelthilfe in keiner Weise den an ihn gestellten hohen Anforderungen gerecht geworden ist . Viele Minister
haben bestätigt, mit Herrn Resch gesprochen zu haben .
Aber letztlich hat sich das nicht bestätigt, anhand keiner
Akte; es gab nie Beweise . Auch das sage ich Ihnen, lieber
Kollege Behrens . Ich habe immer noch Sigmar Gabriel
im Ohr, der gesagt hat, er sei sich mit Blick auf den Charakter von Herrn Resch sicher, dass Herr Resch, wenn er
Beweise gehabt hätte, das Ganze zur Anzeige gebracht
hätte . Die Umwelthilfe und Herr Resch, die sonst auch
nicht die Gerichte und Staatsanwaltschaften meiden, hätten - davon bin ich auch überzeugt - das in Anspruch genommen . Kronzeuge Resch, Umwelthilfe - Totalausfall!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben etliche
Sachverständige gehört - Sie haben das ja angesprochen -, die sowohl von Ihrer Seite als auch von unserer
Seite benannt wurden . Aber letztlich haben alle Sachverständigen bestätigt, dass es keine Hinweise auf Manipulationssoftware gegeben hat . Ich zitiere Ihren Sachverständigen Kolke - er ist ja interessanterweise nicht von
uns benannt worden; uns sagt man ja immer die Nähe
zum ADAC nach -, der ausführte, man habe definitiv nie
von Abschalteinrichtungen sprechen können . Damit wird
doch deutlich, dass es von der Manipulation - und dass
es sich bei VW um eine Manipulation gehandelt hat, ist
unstrittig - keine Kenntnis auf unserer Seite, aufseiten
der Regierung oder anderer Handelnden gab .
Lieber Kollege Behrens, klar, es ist Ihre Aufgabe, ein
Sondervotum zu erstellen . Aber wenn man Sondervoten
macht, sollte man doch bitte bei den Tatsachen bleiben .
Ich möchte auf ein Herstellergespräch mit dem KBA
hinweisen, das Sie zitieren und bei dem Sie die Jahreszahl 2011 nennen . Aus dem Protokoll geht aber eindeutig
hervor, dass das Gespräch 2015, nämlich nach Kenntnis
dieser Abschalteinrichtungen, geführt worden ist . Man
sollte, um keinen falschen Zungenschlag in solche Berichte zu bringen, bei der Wahrheit bleiben . Eines hat sich
nicht bestätigt, liebe Kolleginnen und Kollegen, nämlich
das Oppositionsgeheul vom Staatsversagen oder von der
Wegschaumentalität . Das waren rein mediale Floskeln,
um etwas aufzubauschen .
({1})
Dass die Messverfahren, insbesondere der NEFZ,
Schwächen haben und dass deswegen Messwerte im Labor nicht den realen Werten entsprochen haben oder entsprechen, ist im Endeffekt eine Volksweisheit; das weiß
jeder und ist von niemandem bestritten worden . Deswegen hat man sich in einem langjährigen und schwierigen
Verfahren auf europäischer Ebene auf den Weg gemacht,
hier ein besseres Verfahren, nämlich das Real Driving
Emissions, zu entwickeln . Die Sachverständigen haben
ganz klar gesagt, dass die Entwicklung eines solchen
neuen Messinstruments Zeit braucht . Wenn ich mich
richtig erinnere, war es der Sachverständige Hausberger,
der gesagt hat: Ich habe mich dabei in keiner Weise irgendwie von der Automobilindustrie beeinflusst gefühlt,
sondern es waren technische Fragestellungen, an deren
Beantwortung wir hier gearbeitet haben .
Man kann also festhalten: Abweichungen? - Ja, wir
wussten davon . Herausforderungen? - Ja, man ist sie auf
europäischer Ebene angegangen . Aber nochmals, liebe
Kolleginnen und Kollegen der Opposition: Es gab kein
Staatsversagen . Auch das ist Teil der Wahrheit: Die EPA
in den USA hat die manipulierte Software nicht selber
gefunden . Vielmehr hat VW es der EPA gegenüber aufgedeckt . Das ist ein ganz großer Unterschied in der Sache, den man nicht einfach wegdiskutieren oder beiseiteschieben kann .
Nun zu der Frage, ob es eines Untersuchungsausschusses bedarf . Lieber Kollege Behrens, der Untersuchungsausschuss ist das schärfste Schwert der Opposition . Sie
haben es gezogen . Dass der Untersuchungsausschuss
stumpf blieb, lag insbesondere daran, dass der Minister, wie Sie selber gegenüber tagesschau .de eingeräumt
haben, auf vorbildliche Weise zielgerichtet und schnell
eine Untersuchungskommission eingerichtet hat, um die
Vorwürfe zu untersuchen und die ganze Dimension der
manipulierten Software aufzuklären .
({2})
Insofern ist die Aussage klar: Wir haben den Untersuchungsausschuss gemeinsam gemacht . Wir haben - insbesondere ich als Jurist - viel über Technik gelernt; das
war manchmal ganz interessant . Aber letztlich war die
Herangehensweise des Ministeriums entscheidend . Für
andere Fragen sind Staatsanwaltschaften und Zivilgerichte zuständig, nicht ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss .
({3})
Ich gebe zu: Auch wir von der Union waren über ein
paar Auftritte - vorsichtig ausgedrückt - überrascht, erstaunt, verärgert oder enttäuscht . Ich meine zum Beispiel
den Auftritt des Herrn Winterkorn .
({4})
Ich sage ganz offen: Dieser Auftritt ließ den notwendigen
Respekt gegenüber dem Parlament vermissen .
({5})
Es war auch eine vertane Chance des VW-Konzerns,
der Öffentlichkeit, den eigenen Mitarbeitern und Kunden gegenüber die Dinge zu erklären, die offensichtlich
sind . Dass sich Herr Piëch nur über die Zeitung äußert,
aber dann aufgrund eines formalen Arguments überhaupt
nicht kommt, ist gelinde gesagt am Rande der . . .
({6})
Schnellstmögliche Aufklärung durch die Untersuchungskommission habe ich schon genannt . Weitere
Versuche der Opposition, im Laufe des Untersuchungsausschusses Internes - auch aus dem Ministerium - zu
skandalisieren, lieber Kollege Krischer, waren klassische
Rohrkrepierer . Vergleiche mit einer Affäre von Hillary
Clinton waren geradezu amüsant . Selbst die Ihnen in dieser Frage nahestehende Süddeutsche Zeitung hat Ihnen
politische Geschäftemacherei mit einer Affäre vorgeworfen . Wohlgemerkt, das kommt nicht von uns, sondern
von der Süddeutschen Zeitung, die bekanntlich uns nicht
so nahesteht wie Ihnen .
({7})
Verkehrsminister Alexander Dobrindt hat schnell gehandelt .
({8})
Ich zähle das nur noch einmal kurz auf:
({9})
die verpflichtenden und freiwilligen Rückrufe, ein ganzes Paket an nationalen Maßnahmen .
({10})
- Herr Kollege Krischer, Sie können lachen, aber es ist
gehandelt worden .
({11})
Das KBA bekommt in Zukunft vor Erteilung der Typgenehmigung eine Erklärung zu Motorschutzeinrichtungen .
({12})
Wir haben die Dopingtests . Wir haben die Endrohrmessung . Wir sind weiterhin auf europäischer Ebene unterwegs, um die Dinge zu regeln, die europäisch geklärt
werden müssen . Wir würden uns freuen, wenn alle europäischen Partner die Maßstäbe anlegen wollten, die wir
in diesen Dingen gerne anlegen würden . Ich verweise da
insbesondere auf die europäische Verkehrsministerkonferenz vom 7 . Juni 2016 . Da hat man ganz deutlich gesehen, wie die Fronten in Europa laufen .
({13})
- Da nützt alles Lachen oder Grinsen nichts . Helfen Sie
lieber mit,
({14})
auf diesen Ebenen für entsprechende Beschlüsse zu sorgen!
Nun ist der Kollege Gastel nicht da, und der Ministerpräsident Kretschmann war auch nur in der Früh da .
Ich kann Ihnen bei diesem Thema einfach nicht ersparen,
Sie auf die Widersprüchlichkeit in Ihren eigenen Reihen
hinzuweisen . Auf der einen Seite habe ich mich selten so
über ein Video amüsiert,
({15})
und auf der anderen Seite hat mich selten etwas so betroffen gemacht, nämlich wie Sie meinen die Öffentlichkeit
täuschen zu können, sodass Ihr eigener Ministerpräsident
fragt: Was verzapft ihr da eigentlich?
({16})
Wir dürfen den Klimaschutz natürlich nicht aus dem
Auge verlieren . Deswegen sind die Themen Diesel und
CO2-Werte in die Gesamtabwägung mit einzubeziehen .
({17})
Wir haben heute schon über das Thema Elektromobilität diskutiert; auch daran arbeiten wir . Da können wir
von der Union uns auch etwas anderes vorstellen als die
Kaufprämie der SPD; das sei hier einmal ganz offen gesagt .
({18})
Wir glauben aber, dass Dieselfahrverbote keine Antwort
auf die Herausforderung sind, die sich in diesem Zusammenhang stellt .
({19})
Es gibt inzwischen eine Reihe guter Vorschläge, mit denen wir uns in den nächsten Monaten auseinandersetzen
werden . Dafür brauchen wir den Untersuchungsausschuss nicht; denn das ist unsere politische Aufgabe .
Der Untersuchungsausschuss hat gezeigt: Es gab kein
Staatsversagen, kein Versagen der Regierung; es war in
erster Linie ein VW-Skandal .
Danke schön .
({20})
Oliver Krischer hat als nächster Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Uli Lange, Ihre Rede hat eigentlich wieder gezeigt,
wie das Schönreden, das Wegdrücken, das Ignorieren der
Probleme geht . Sie wollen einfach nicht wahrhaben, was
Sie regeln müssen . Sie versuchen, das auszusitzen . Das
ist längst der Skandal im Skandal .
({0})
Wir müssen noch einmal verdeutlichen, worum es
hier eigentlich geht: Weil Automobilhersteller - nicht
nur VW; ich rede hier von nahezu allen Herstellern, nicht
nur deutschen, sondern auch ausländischen Herstellern tricksen und betrügen, sind die Stickoxidwerte in unseren
Innenstädten so hoch, haben wir Vertragsverletzungsverfahren vonseiten der EU . Am Ende führt die hohe Luftbelastung dazu, dass Menschen ihr Leben oder ihre Gesundheit verlieren .
Ich erwarte von jeder Bundesregierung, dass sie sich
zuvorderst darum kümmert und dieses Problem löst . Ich
erlebe aber seit fast zwei Jahren, seit dieser Skandal bekannt ist, dass Alexander Dobrindt und die Bundesregierung, auch Frau Hendricks, in diesem Bereich überhaupt
nichts unternehmen, sondern alles so weiterlaufen lassen .
({1})
Dazu muss man nur einen Blick in Ihren eigenen Bericht,
in Ihre eigene Bewertung werfen . Dass Regierungsfraktionen versuchen, die Regierung herauszuhalten, und sagen: „Das war alles okay, was die gemacht haben“, erleben wir, glaube ich, bei jedem Untersuchungsausschuss .
Sie gehen aber noch einen Schritt weiter . Sie bestreiten,
dass es überhaupt ein Problem gibt, und schreiben in
Ihrem Untersuchungsbericht, es sei gar nicht erwiesen,
dass Stickoxid gesundheitsgefährdend ist .
({2})
- Doch, das steht da so drin .
({3})
Damit stellen Sie die Wissenschaft auf den Kopf, und
damit stellen Sie 20 Jahre Gesetzgebung auf den Kopf .
({4})
Das ist, ehrlich gesagt, ein Skandal . Das ist das Niveau
von Trump .
Sie brauchen mir ja nicht zu glauben . Aber dann
schauen Sie sich doch einmal die Presseerklärung von
fünf Gesundheitsorganisationen an, die Anfang dieser
Woche veröffentlicht worden ist und in der Sie als Regierungsfraktionen kritisiert werden . Dort heißt es: Was in
Ihrem Bericht steht, ist die Auf-den-Kopf-Stellung aller
wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Stickoxiden . Das ist,
ehrlich gesagt, niveaulos und eine Verhöhnung der Menschen, die unter diesen Schadstoffen leiden; das ist nicht
angemessen . Lesen Sie sich durch, was die Gesundheitsorganisationen schreiben . Da bekommen Sie ins StammUlrich Lange
buch geschrieben, was Sie hier machen, meine Damen
und Herren .
({5})
- Ja, lesen Sie Ihren eigenen Bericht .
({6})
Ich bin froh - da bin ich bei Herbert Behrens -, dass
wir diesen Untersuchungsausschuss eingerichtet haben;
denn wir haben nachweisen können, dass die Bundesregierung, das Kraftfahrt-Bundesamt und andere Behörden
seit über zehn Jahren von dem Problem wissen, dass sie
in vielfältiger Weise immer wieder auf ein drastisches
Auseinanderfallen von Messstandsemissionen und Realemissionen hingewiesen wurden . Und was ist passiert?
Nichts ist passiert . Alle Hinweise sind systematisch ignoriert worden, obwohl Abschalteinrichtungen sogar schon
in der EU-Verordnung stehen, obwohl solche Fälle bereits in den 90er-Jahren in den USA bekannt geworden
sind, obwohl es zahlreiche detaillierte Hinweise und Gutachten von Umweltorganisationen gibt . Alles ist ignoriert
worden . Ich will Ihnen auch sagen, warum . Herr Zinke,
der Präsident des KBA - es ist eigentlich ein Skandal,
dass der Mann immer noch im Amt ist -,
({7})
hat ganz offen gesagt, es sei nicht seine Aufgabe, herauszufinden, ob Grenzwerte auf den Straßen überschritten
werden, ob die Gesundheit von Menschen gefährdet ist .
Meine Damen und Herren, wer sich solche Mitarbeiter
leistet, wer wie Herr Dobrindt solche Menschen im Amt
hält, der ist mitverantwortlich für einen unserer größten
Industrie- und Umweltskandale . Die Verantwortlichkeit
zieht sich durch die gesamte Behörde, sie zieht sich durch
das Verkehrsministerium und die Bundesregierung .
({8})
Wir müssen feststellen: Es handelt sich eben nicht
nur um einen VW-Skandal . Klar, VW hat es besonders
doll getrieben - die haben eine Prüfstandserkennung als
Abschalteinrichtung eingebaut -, aber es gibt etliche Unternehmen, die die Abgasreinigung bei 17 oder 20 Grad
abschalten . Meine Damen und Herren, das ist illegal, in
jedem Fall illegitim . Es kann doch nicht sein, dass in Mitteleuropa eine Abgasreinigungseinrichtung neun Monate
im Jahr nicht funktioniert und Alexander Dobrindt und
seine Untersuchungskommission sagen: Ja, das ist legal;
das akzeptieren wir . - Eines der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses ist, dass von vornherein klar war: Außer VW werden alle mehr oder weniger reingewaschen
und freigesprochen . Das ist genau das, was Alexander
Dobrindt macht . Das haben wir in vielen Dokumenten
nachlesen können, die mit „industriefreundlichen Grüßen“ endeten .
Ich hätte mir vorher nicht vorstellen können - das war
für mich eine erschreckende Überraschung -, dass in den
Bericht ganze Absätze, die die Autoindustrie geschrieben
hat, Wort für Wort übernommen werden . Das zeigt, wer
bei diesem Thema eigentlich regiert und dass es Ihnen
viel wichtiger ist, die Trickser und Betrüger zu schützen
und davonkommen zu lassen, statt die Gesundheit der
Menschen in den Innenstädten zu schützen . Das muss
hier in aller Klarheit gesagt werden .
({9})
Ein Tiefpunkt des Ausschusses war für mich persönlich der Auftritt von Bundeskanzlerin Merkel; denn sie
hat gesagt, es gehe um Vorkommnisse und Verfehlungen
einzelner Ingenieure bei VW . Meine Damen und Herren,
ich habe, ehrlich gesagt, noch kein schlimmeres Kleinreden gehört .
Man muss einfach sagen: Von Frau Merkel über Herrn
Dobrindt stinkt der Fisch vom Kopfe her . Sie sind nicht
bereit und willens, die nötigen Konsequenzen zu ziehen .
Eine Konsequenz wäre, dass Sie sich die Behördenstrukturen anschauen, dass Sie einmal fragen: Was muss man
denn gegebenenfalls ändern? Nichts von dem ist passiert .
Es bleibt alles, wie es ist . Man macht so weiter . Man lernt
nicht von den Amerikanern, die das Ganze aufgedeckt
haben, die VW unter Druck gesetzt haben und damit diese Affäre, dieses Staatsversagen bekannt gemacht haben .
Das wäre eine notwendige Konsequenz in Deutschland .
Dazu höre ich von dieser Bundesregierung überhaupt
nichts .
Ein weiteres Thema ist der Verbraucherschutz . Ehrlich
gesagt, ist es doch ein Hohn, dass in den USA die Leute
entweder ein sauberes Auto bekommen oder entschädigt
werden .
({10})
In Deutschland bekommen die Leute in der Werkstatt
ein Softwareupdate, von dem Sie nicht wissen, was es
beinhaltet, und vielleicht noch einen lauwarmen Kaffee
zur Begrüßung . Meine Damen und Herren, da müsste die
Bundesregierung handeln . Da wäre eine Gruppenklage
oder eine Sammelfeststellungsklage genau die richtige
Konsequenz .
({11})
Ich werfe dieser Bundesregierung und diesem Verkehrsminister vor, dass sie genau das verhindert haben, obwohl
Dieselgate der richtige Anlass war . Es kann nicht angehen, dass die Konsequenz von Dieselgate ist, dass die
Folgen des Tricksens und Betrügens der Autoindustrie
und des im besten Fall noch freundlichen Wegsehens der
Bundesregierung bei den Menschen abgeladen werden,
den Menschen, die ihre Gesundheit verlieren, und den
Autofahrern, die jetzt von Fahrverboten bedroht sind .
Herr Lange, wenn Sie sich hier gegen Fahrverbote
wehren, ist das doch ein Hohn . Sie und Ihre Bundesregierung haben doch die Fahrverbote verursacht . Wir
müssen darüber reden - das wäre der Job des Verkehrsministers -, wie umgerüstet wird, wie die über 10 Millionen Fahrzeuge, die potenziell betroffen sind, sauber
werden, wie sie endlich die Grenzwerte einhalten . Herr
Kretschmann in Baden-Württemberg kümmert sich darum . Nach zwei Jahren ist endlich auch Herr Seehofer
aufgewacht, worüber ich mich freue . Aber von Alexander
Dobrindt ist nichts gekommen, bis Anfang dieser Woche .
Da lesen wir plötzlich in einer Pressemitteilung, dass es
am 2 . August 2017 ein Nationales Forum Diesel geben
wird - sechs Wochen vor der Bundestagswahl -, bei
dem über die Nachrüstung und Umrüstung von vorhandenen Fahrzeugen geredet werden soll . Zwei Jahre lang
ist nichts passiert . Meine Damen und Herren, hier wird
Show für den Wahlkampf gemacht
({12})
und am Ende das Problem bei den Autofahrern und bei
den Menschen abgeladen, deren Gesundheit Sie ruinieren .
({13})
Herr Kollege, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss
kommen .
({0})
Ich hoffe, in der nächsten Wahlperiode haben wir eine
Bundesregierung, die dieses Problem ernst nimmt und
die die Konsequenzen aus der Aufarbeitung des Untersuchungsausschusses zu ihrem Programm macht . Die
Menschen, die davon betroffen sind, die Millionen betrogenen Autofahrer, die Tausenden, die ihre Gesundheit
verloren haben, haben es verdient, entsprechend behandelt zu werden .
Danke schön .
({0})
Als nächste Rednerin hat Kirsten Lühmann für die
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!
Sehr verehrte Zuhörende! Zu Beginn des Untersuchungsausschusses wurde mir von der Presse die Frage gestellt:
Frau Lühmann, ist das denn eigentlich nötig? - Ich habe
das Gleiche gesagt wie jetzt: Ja, dieser Untersuchungsausschuss ist nötig, weil es ein demokratisches Recht des
Parlamentes ist, Auskunft zu verlangen . - Darum ist er
richtig und wichtig für die Demokratie, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({0})
Die zweite Frage, die mir jetzt gestellt wurde, war:
Was gab es denn an Erkenntnissen? - Wir haben heute
schon einiges gehört . Ich kann mich erinnern: Der Kollege Krischer hat, bevor wir die erste Sitzung hatten, den
Verdacht geäußert, es könne hier Staatsversagen vorliegen . Nach jeder Sitzung - völlig egal, wer was gesagt
hat - trat er vor die Presse und sagte: Das war wieder die
Bestätigung für Staatsversagen . - Liebe Kolleginnen und
Kollegen, wir haben in keiner Sitzung, von keinem Zeugen irgendeinen Hinweis auf Staatsversagen erhalten .
Das ist die Wahrheit .
({1})
Ja, es ist so, dass die Laborwerte und die Straßenwerte
auseinanderfallen . Aber das wussten schon die Politiker
und Politikerinnen, die 2007 die europäische Richtlinie
verabschiedet haben; das haben sie damals auch sehr
deutlich gesagt . Das ist absolut nichts Neues . Allerdings
haben sie - das haben uns die Zeugen bestätigt - kurze
Zeit später festgestellt, dass das Auseinanderfallen dieser Werte exorbitant anstieg . Darum haben sie schon vor
sieben Jahren - nicht erst nach Bekanntwerden der Manipulationen von VW - gesagt: Diesem Umstand müssen
wir entgegenwirken; wir brauchen neue Tests im Realbetrieb . - Die wurden auch entwickelt und sind in Kraft
getreten . Ab dem 1 . September dieses Jahres, also noch
in dieser Legislaturperiode, wird es bei jeder neuen Typzulassung die neuen Prüfverfahren geben . Dann werden
wir die Situation haben, dass die Werte, die in der Typzulassung stehen, auch im realen Fahrbetrieb erreicht werden, und das ist ein großer Erfolg .
({2})
Aber auch die Euro-6-Fahrzeuge wurden noch mit
dem alten Messverfahren geprüft, und auch bei den
Euro-6-Fahrzeugen ist es so, dass die Werte, die in der
Typzulassung stehen, nicht die sind, die wir im realen
Betrieb haben . Aber, Kollege Krischer, das ist legal . Das
war 2007 so gewollt .
({3})
Aber das haben wir ja gerade verändert . Darum war es so
wichtig, dass die Behörden, dass die Regierungen, dass
die Parlamente in den letzten Jahren nicht weggeschaut
haben, sondern etwas getan haben .
Den Zeugen wurde im Ausschuss immer wieder die
Frage gestellt: Hätten Sie nicht mehr machen müssen? Alle Zeugen haben übereinstimmend gesagt: Wir hatten
niemals Hinweise auf illegale Manipulationen . - Einige
von uns haben gefragt: Kann das denn sein? Ich sage
ganz ehrlich: Ich finde es schwierig, mit dem Wissen von
heute das Handeln der Verantwortlichen von gestern zu
verurteilen . Es gibt ganz viele Dinge, die wir uns alle
nicht vorstellen konnten, bevor sie passiert sind .
({4})
- Und auch nicht vorstellen wollten, Kollegin Nissen . Insofern halte ich das nicht für ein Wegsehen, sondern
ich halte es für richtig, dass wir festgestellt haben: Die
Verantwortlichen haben nach den rechtlichen Vorgaben
und im Rahmen ihrer Möglichkeiten gehandelt . Deshalb
müssen wir diese rechtlichen Vorgaben verändern .
Damit komme ich, liebe Kolleginnen und Kollegen,
zu unseren Schlussfolgerungen . Es sind zehn Punkte, die ich aufgrund der Zeit nicht alle erwähnen kann .
Aber ich fange mit einem an: Die Endrohrmessung bei
Dieselfahrzeugen haben wir bereits in die Wege geleitet . Die Offenlegung von Motorsteuerungssoftware ist in
Deutschland umgesetzt . Ich sage mit Blick auf die nächste Legislatur: Da gibt es noch einiges zu tun . Europa ist
nämlich entgegen der Bundesregierung der Meinung, es
reiche völlig aus, wenn bei der Typzulassung die Systeme der Motorsteuerung dargelegt werden . Man müsse
nicht die komplette Software hinterlegen . Es ist uns klar,
dass wir uns bei 1 000 Zulassungen pro Jahr nicht jede
Motorsteuerungssoftware bis in den kleinsten Befehl ansehen können . Aber für uns ist wichtig, dass nicht nur das
System dargelegt wird, sondern dass auch beim KBA die
Steuerungssoftware hinterlegt wird . Das gilt nicht nur für
die erste Typzulassung, sondern aus unserer Sicht auch
für jedes weitere Update der Motorsteuerungssoftware .
Die nächste Frage war: Was ist mit den Richtlinien? Herr Krischer, Sie haben heute gesagt, die Auffassung
verschiedener Automobilhersteller sei illegal oder illegitim. Ich finde es schön, dass Sie wenigstens diese Einschränkung gemacht haben . Wenn die Richtlinie so klar
wäre, wie Sie uns glauben machen wollen, dann hätten
wir den Konflikt mit Italien nicht. Wir haben bei den Fiat-Fahrzeugen festgestellt, dass es auch dort eine Abweichung gibt . Aus unserer Sicht sind diese Fahrzeuge nicht
konform mit der Richtlinie . Die Typzulassungsbehörden
in Italien sagen das Gegenteil . Wir haben keine Möglichkeit, zueinander zu kommen . Aber dafür brauchen
wir keine Kontrollbehörde, dafür müssen wir nicht das
KBA kontrollieren . Was wir brauchen, ist eine vernünftige Clearingstelle auf europäischer Ebene, die, wenn zwei
verschiedene Typzulassungsbehörden unterschiedlicher
Meinung über die Auslegung sind, eine Entscheidung
fällen kann . Auslegungshilfen oder Sonstiges reichen
nicht aus . Wir müssen dieser Richtlinie Zähne verschaffen, damit sie vernünftig wirkt .
({5})
Wir brauchen auch Lösungen für Bestandsfahrzeuge;
dazu wird mein Kollege Arno Klare gleich noch etwas
sagen . Wir brauchen für die Menschen, die betroffen
sind, bessere Rechtsinstrumente . Das können keine amerikanischen Rechtsinstrumente sein . Im amerikanischen
und europäischen Rechtssystem gibt es Unterschiede .
Wir als Koalition haben in den Bericht geschrieben, dass
die Musterfeststellungsklage den Menschen in Deutschland helfen würde . Es ist schade, dass wir sie nicht mehr
verwirklichen können . Wir brauchen vernünftige Sanktionen, die nicht die Halter und Halterinnen treffen, sondern die Automobilherstellenden, und zwar wirksame
Sanktionen in einer erheblichen Höhe .
({6})
- Wir müssen diese Sanktionen einführen,
({7})
und das geht heute so nicht . Kollege Behrens, wir haben
im Ausschuss auch diskutiert, dass das nicht geht .
({8})
Also müssen wir es einführen .
Insofern sage ich: Ich finde es schön, dass die Automobilherstellenden dem Kollegen Seehofer gesagt haben, sie wollten eine neue Motorsoftware entwickeln .
({9})
Aber dafür hätten sie zwei Jahre Zeit gehabt, und ich habe
keine Lust, so lange zu warten, bis sie kommt . Wenn sie
kommt, gilt: Alles, was dabei hilft, weniger Schadstoffe
auf unserer Straße zu haben, halte ich für gut .
Wir müssen aber jetzt Dinge machen . Schlichte Verbote, liebe Kollegen und Kolleginnen, sind bestenfalls
die letzte Option . Was wir benötigen, sind echte Lösungen, und zwar im Hinblick auf den Gesundheitsschutz,
die Mobilitätsbedürfnisse und den Wohlstand der Menschen in unserem Lande . Ich freue mich, wenn wir in der
nächsten Legislatur daran arbeiten können . Da haben wir
viel zu tun .
Herzlichen Dank .
({10})
Als nächster Redner hat Uwe Lagosky für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der deutschen Automobilindustrie arbeiten 815 000 Menschen .
Zusammen mit dem vor- und nachgelagerten Bereich
arbeiten rund 4 Millionen Menschen für die Automobilindustrie . In meinem Bundesland Niedersachsen
sind 120 000 Beschäftigte in der Automobilindustrie
tätig . Nimmt man die Zulieferindustrie hinzu, entfallen
30 Prozent der Industriearbeitsplätze in Niedersachsen
auf die Automobilherstellung . Ein Großteil davon lebt in
meinem Wahlkreis, in Salzgitter, Wolfenbüttel und dem
Braunschweiger Land . Ich frage aus deren Sicht: Machen
Sie sich eigentlich auch mal Gedanken darüber, meine
sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition,
was Sie mit Ihren Aussagen in den Unternehmen und bei
den Beschäftigten bewirken?
({0})
Natürlich hat VW durch den Einsatz von nicht gerechtfertigten Abschalteinrichtungen
({1})
illegal gehandelt . Das ist in keiner Weise akzeptabel und
muss juristisch aufgearbeitet werden; es ist hier schon
mehrfach angesprochen worden . Natürlich geht es auch
darum, in der Zukunft besser auf die Grenzwerte zu achten und den vorgegebenen Rahmen einzuhalten .
({2})
Aber das rechtfertigt noch lange nicht einen Feldzug gegen die gesamte deutsche Automobilindustrie .
({3})
Auch die Erkenntnisse des Untersuchungsausschusses
rechtfertigen diese Vorgehensweise nicht . Es ist nicht so,
dass uns der Untersuchungsausschuss nichts gelehrt hätte . Das Verhör von 57 Zeugen und 13 Sachverständigen
hat klargemacht, dass die bestehenden EU-Regelungen
Lücken enthalten, die den Herstellern die Möglichkeit
boten, bei den Abgasuntersuchungen durchaus zu tricksen .
({4})
Dass es Differenzen zwischen Abgaswerten auf dem
Rollenprüfstand und dem Betrieb auf der Straße gibt, ist
nicht neu, sondern auf den standardisierten Prüfzyklus
NEFZ zurückzuführen .
({5})
Seit 2014 besteht die Möglichkeit, Abweichungen größeren Umfangs auch mit portablen Messgeräten nachzuweisen . Vorher gab es zwar auch Messgeräte, aber sie
waren viel zu groß und für den Einsatz auf der Straße
nicht praxistauglich . Nach der neuen RDE-Gesetzgebung
werden Abgasmessungen künftig neben dem Rollenprüfstand auch mobil, im Straßenverkehr, durchgeführt .
Der Untersuchungsausschuss hat aber auch gezeigt,
dass die Bundesregierung vor September 2015 weder
Kenntnis von Manipulationen noch konkrete Hinweise auf den Einsatz unzulässiger Abschalteinrichtungen
hatte . Im Rahmen des Untersuchungsausschusses ist
deutlich geworden, dass es keinerlei Anhaltspunkte für
Staatsversagen gibt .
({6})
Das sollte nun auch mal die Opposition einräumen .
Anstatt zu skandalisieren, gilt es nun, weitere sinnvolle Gesetzgebungsverfahren auf der EU-Ebene einzuleiten . Wir setzen uns für eine Verbesserung der Abgasuntersuchungen bei Typgenehmigungen ein und sorgen in
der Zukunft für Transparenz .
Die Automobilindustrie muss nun die Herausforderungen bewältigen, ihre Hausaufgaben machen und die
bereits beschlossenen strengen EU-Vorgaben ab September 2017 umsetzen . Ich unterstütze ausdrücklich
unsere CDU/CSU-Vorgehensweise, strengere Vorgaben
auf europäischer Ebene zu verankern; das beugt nämlich
auch Wettbewerbsverzerrung innerhalb des europäischen
Marktes vor .
({7})
Für mich als Sozialpolitiker ist es das erste Anliegen, Arbeitsplätze für die Menschen in Deutschland zu
sichern und Rahmenbedingungen für gute Arbeit zu gewährleisten . Ich denke, da gehe ich auch mit den Kollegen Sozialpolitikern in den anderen Fraktionen konform .
Und doch fordern Sie einen radikalen Umbruch in der
Automobilindustrie, der ganze Montagehallen stilllegen
würde . Nichts anderes bewirken Sie mit einer Forderung,
ab 2030 den Verbrennungsmotor nicht mehr herzustellen .
({8})
Wer so etwas in sein Wahlprogramm schreibt, der will
das auch umsetzen und sich daran in der Zukunft messen
lassen . Weil Sie das so machen, verunsichern Sie sowohl
die Unternehmen als auch die Beschäftigten in unserem
Land .
({9})
Winfried Kretschmann hat Ihnen gegenüber doch sicherlich gesagt - und ich sage das hier noch mal -, dass diese
Termine „Schwachsinnstermine“ sind - Zitat Winfried
Kretschmann . Ich wünsche Ihnen, dass die Menschen in
unserem Land mal merken, was Sie mit solchen Aussagen anrichten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor drei Wochen
war ich zu Besuch bei VW im Motorenwerk Salzgitter .
Das ist ein Standort, an dem vorwiegend Dieselmotoren
hergestellt werden . In Zukunft wird sich der Schwerpunkt vom Dieselmotor zum Benzinmotor verlagern .
Das geschieht zwangsläufig aufgrund der Diskussion, die
wir haben . Im Moment arbeiten dort insgesamt 7 000 Beschäftigte, die an dieser Verlagerung mitwirken . In KürUwe Lagosky
ze wird auch ein Teil dieses Werkes Elektromotoren und
Komponenten dazu herstellen, und zwar im industriellen
Maßstab . Darüber hinaus wird das Werk langfristig auf
Batterieproduktion setzen .
Eines ist aber klar: Zur Vollumstellung der gesamten
Produktion braucht es jedoch einen vernünftigen Übergang und eine längere Zeit, um die Produkte entsprechend auf dem Markt für Elektromobilität in Europa zu
platzieren . Deshalb ist es wichtig, dass wir in Deutschland den Wandel für die Automobilindustrie gestalten .
Die Union setzt sich jedenfalls für die Automobilindustrie ein . Sie ist einer der wichtigsten Industriezweige
in Deutschland . Wir brauchen einen vernünftigen Wandel, der einen sozialverträglichen Übergang schafft und
Arbeitsplätze sichert .
Herzlichen Dank .
({10})
Als nächste Rednerin hat Ulli Nissen für die SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Dieser Freitag hat sehr spannend und für mich
auch historisch begonnen . Wer hätte am Anfang dieser
Woche gedacht, dass wir heute die Ehe für alle beschließen würden? Dies haben viele lange gefordert, und sie
mussten leider auch lange auf die Umsetzung warten .
({0})
Jetzt ging es auf einmal sehr schnell; das freut mich außerordentlich . Manche Dinge gingen schnell; manche
Dinge brauchen viel Zeit . Die Aufarbeitung des Dieselgate und vor allem die nötigen Verbesserungen, die
folgen müssen, werden vermutlich noch viel Zeit in Anspruch nehmen .
Viel Zeit haben wir auch im 5 . Untersuchungsausschuss verbracht . In einem knappen Jahr hatten wir
30 Sitzungen, 57 Zeugen vernommen und 30 Sachverständige gehört . Ungefähr 130 Stunden haben diese Sitzungen insgesamt gedauert .
({1})
Zunächst müssen wir noch einmal die gestellte Aufgabe realistisch betrachten . Der Ausschuss diente nicht
dazu, die internen Vorgänge der Automobilindustrie aufzudecken . Unser Untersuchungsgegenstand war, zu prüfen, ob die Bundesregierung sich im Umgang mit den abweichenden Emissionswerten falsch verhalten hat . Aus
Sicht der Koalitionsfraktionen hat sich die Regierung
richtig verhalten .
({2})
- Natürlich sieht das die Opposition anders; das ist mir
völlig klar .
({3})
Der 700-seitige Abschlussbericht liegt nun vor . Auch
wenn die Arbeit des Untersuchungsausschusses damit
formal beendet ist, hat sich das Thema leider noch lange nicht erledigt . Es kommen immer noch Schummeleien - ausgesprochen höflich ausgedrückt - anderer Autohersteller ans Licht, und ich befürchte, dass da noch
Weiteres folgt . Das macht deutlich, dass noch viel Aufarbeitung nötig ist; aber das ist dann wohl eher die Aufgabe der Staatsanwaltschaft und nicht die des Bundestages .
Unsere Aufgabe ist, Verbesserungen anzugehen und die
Rahmenbedingungen deutlich zu verschärfen .
Wir müssen aus den Versäumnissen der Vergangenheit Lehren für die Zukunft ziehen; denn wichtig ist,
dass die Energie und das Know-how der Automobilindustrie künftig nicht mehr dafür verwendet werden, die
Grenzwerte und die Testverfahren möglichst elegant zu
umgehen . Vielmehr geht es darum, Technologien zu entwickeln, mit denen die Grenzwerte eingehalten werden
können, und sie müssen auch eingehalten werden .
({4})
Grenzwerte gibt es ja nicht zum Spaß, sondern weil
die Menschen, ihre Gesundheit und die Umwelt geschützt werden müssen . Noch einmal für alle: Durch Autoemissionen sterben deutlich mehr Menschen als durch
Autounfälle . Deshalb müssen die gesetzten Grenzwerte
eingehalten werden . Zur Überprüfung brauchen wir die
Testverfahren im Echtbetrieb . Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser . Das ist leider notwendig, wie sich in der
Vergangenheit gezeigt hat .
Klar ist: Die Zukunft der Mobilität muss emissionsfrei
sein . Klar ist: Wir brauchen eine Verkehrswende . Deshalb fordern wir in unserem SPD-Wahlprogramm ein
Bündnis für bezahlbare und nachhaltige Mobilität . Wir
werden einen Zeit- und Aktionsplan erarbeiten, aus dem
hervorgeht, wie die Mobilität in Deutschland bis 2050
digital, schadstofffrei und barrierefrei gestaltet werden
kann .
Zum Abschluss des vorläufig letzten Sitzungstages
dieser Legislaturperiode möchte ich mich bei meinen
Kolleginnen und Kollegen, bei meinen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern und bei den Mitarbeitern der Fraktion
sowie beim Ausschusssekretariat für die tolle Zusammenarbeit bedanken . Ich wünsche uns allen eine gute
Zeit und einen fairen Wahlkampf .
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit . Herzlichen
Dank .
({5})
Als nächster Redner hat Carsten Müller für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir brauchen gar nicht darum herumzureden:
Der von Automobilherstellern begangene Betrug, die
Tricksereien und Täuschungen durch die Verwendung
von verbotenen Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung ist nicht stark genug zu kritisieren . Das hat einen
solchen Vertrauensverlust in die insbesondere für unser
Land so wichtige Automobilindustrie herbeigeführt, wie
wir ihn, jedenfalls mit Blick auf die Automobilindustrie,
in der Vergangenheit noch nie zu verzeichnen hatten .
Ich bin besonders erschüttert darüber, dass das nicht
nur - das ist heute verschiedentlich angesprochen worden - zu einer enormen Verunsicherung bei den Eigentümern von Kraftfahrzeugen geführt hat, sondern eben
auch - ich komme, wie mein Vorredner aus der Unionsfraktion, Uwe Lagosky, aus dem Braunschweiger Land zu einer dramatischen Verunsicherung bei Beschäftigten,
({0})
und das nicht nur in meiner Heimatregion, aber gerade
auch dort . Bei Volkswagen in Niedersachsen sind über
100 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt,
eine noch größere Zahl ist bei den Zulieferern in Lohn
und Brot . Sie sind tatsächlich schwer verunsichert worden .
Es geht - und das sage ich nicht nur als Lokalpatriot nicht nur um Volkswagen . Es ist verschiedentlich angesprochen worden: Es gab vormals in Südeuropa ansässige Automobilhersteller, die mit Zeitschaltuhren - um das
ganz vereinfacht auszudrücken - gearbeitet haben und
dann nach 22 Minuten die Abgasreinigung abgeschaltet
haben, andere arbeiteten mit sehr fragwürdigen Temperaturfenstern . Damit will ich das dramatische Fehlverhalten von Volkswagen nicht relativieren, ich will allerdings
sagen: Das Problem ist deutlich größer, und wir müssen
auch die internationalen Automobilhersteller im Blick
haben .
Bei der Arbeit des Untersuchungsausschusses gab es
einige Besonderheiten, die mir in Erinnerung geblieben
sind: Durch eine Vielzahl von Zeugen und Sachverständigen war es möglich, eine Einordnung von Schadstoffen
und deren gesundheitsschädlichen Auswirkungen vorzunehmen . Das war beeindruckend . Das ist wichtig gewesen . Das hat dazu geführt, dass ich die abenteuerlichen
Vorwürfe, die der Kollege Krischer noch in der letzten
Debatte angeführt hat, nicht mehr gehört habe . Außerdem: Auf Video mitgeschnittene Gespräche von einzelnen Abgeordneten Ihrer Fraktion durch andere Vertreter
führen zu einer Teileinsicht, und auch die sachlichen Debatten, die wir führen, sorgen für eine gewisse Bewegung
bei Ihnen . Ich bin trotzdem nur schwacher Hoffnung um das einmal so zu formulieren -; denn mir ist noch
etwas Bemerkenswertes in Erinnerung geblieben: Wir
wären im Ausschuss etwas schneller vorangekommen,
wenn nicht beispielsweise der Kollege Krischer regelmäßig mit Verdrehungen und Unterstellungen versucht hätte, sowohl Zeugen wie auch Sachverständigen seinen Begriff des Staatsversagens in den Mund zu legen . Er wurde
nicht nur einmal, er wurde nicht nur zehnmal, er wurde
zwanzig-, dreißigmal von Zeugen und Sachverständigen
korrigiert; sie haben immer wieder gesagt: Bleiben Sie
bitte bei der Wahrheit, Herr Krischer . - Das ist die Aufforderung, die heute an Sie ergeht .
({1})
Was ist mir noch in Erinnerung geblieben? Mir ist
ein vormaliger Vorstandsvorsitzender eines Automobilherstellers in Erinnerung geblieben, der sich plötzlich
an gar nichts mehr erinnerte und meinte, eigentlich für
gar nichts so richtig verantwortlich zu sein, der aber von
nicht unerheblichen Abschlusszahlungen - in Millionenhöhe - profitiert hat.
Eine zweite Person ist mir in Erinnerung geblieben .
Es geht ja auch um die Verknüpfung von Staat und Automobilindustrie, und dafür gibt es einen markanten Fall:
Volkswagen . In Erinnerung geblieben ist mir ein Präsidiumsmitglied des Aufsichtsrats eines Automobilherstellers . Er ist zugleich Ministerpräsident in Niedersachsen;
ich sage: noch .
({2})
Er schilderte, wie ihn der Skandal erreicht hat . Er hat davon bei der Tagesschau am Samstagabend erfahren . Er
hat uns ziemlich präzise und wirklich entwaffnend gesagt, was er dann gemacht hat: Zwei Tage lang gar nichts .
Er hat uns gesagt, er ist auf dem Sofa sitzen geblieben .
({3})
Und von diesem Präsidiumsmitglied des Aufsichtsrats
sind 100 000 Beschäftigte in seinem eigenen Bundesland
abhängig . Eine schiere Katastrophe!
({4})
Was ist mir noch in Erinnerung geblieben? Mir ist
in Erinnerung geblieben, dass wir bei einem der beiden
Kronzeugen der Anklage - so nenne ich sie einmal mit
Blick auf Linke und Grüne - wegen vollständiger Erschöpfung, Verwirrung und widersprüchlichster Aussagen die Vernehmung haben abbrechen müssen . So viel
zur Validität Ihrer Aussagen .
({5})
- Ich weiß, das tut weh, Herr Krischer; aber Sie müssen
das ertragen . Sie können mit der Wahrheit nur schwer
umgehen; aber heute müssen Sie das noch einmal ertragen .
({6})
Was lernen wir daraus? Wir haben hart gearbeitet . Wir
haben das Thema in die Öffentlichkeit gebracht, große
und berechtigte Kritik geäußert . Wir haben insofern auch
dazu beigetragen - darauf wurde schon im Rahmen der
Debatte über einen Antrag von Ihnen, die wir vor anderthalb Stunden geführt haben, hingewiesen -, dass das
Thema „umweltverträgliche, klimafreundliche Mobilität“ stärker beleuchtet wird . Das muss man konzedieren .
Dazu hat auch dieser Untersuchungsausschuss beigetragen . Wir müssen daraus jetzt die richtigen Schlüsse ziehen .
Im Übrigen ist der richtige Schluss nicht - das muss
man in aller Offenheit sagen -, jetzt alles auf die Elektromobilität zu setzen . Das wäre grundverkehrt . Ich bin
ein großer Freund von Elektromobilität, dort, wo sie Sinn
macht . Aber lassen Sie uns das bitte gemeinsam, frei von
ideologischen Scheuklappen, „from cradle to grave“ betrachten, wie der Fachmann das sagt . Wir müssen das
Mobilitätswerkzeug vom Bau bis zur Entsorgung, bis zur
Verschrottung betrachten . Leider ist es immer noch so das wird wahrscheinlich auf absehbare Zeit nicht anders
werden -, dass die Elektromobilität in Teilbereichen Lösungen anbietet, aber eben nicht in allen Bereichen . Darauf müssen wir alle gemeinsam schauen .
Meine Damen und Herren, am Ende des Tages sollte
sich dieser Untersuchungsausschuss mit einem von Ihnen
behaupteten, aber widerlegten Staatsversagen beschäftigen . Hat die Bundesregierung versagt? Hat der Bundesverkehrsminister versagt? Die klare Antwort - auch
das ist heute imposant herausgearbeitet worden - lautet:
Nein, eben nicht .
({7})
Warum und woran kann man das festmachen? Damit
will ich relativ bald zum Ende kommen . Aber lassen Sie
mich noch einige Punkte aufzählen: Es ist umgehend
eine Taskforce einberufen worden .
({8})
Ein damaliger Vorstandsvorsitzender ist umgehend zu
einem Gespräch einbestellt worden; in dem Moment, in
dem das Aufsichtsratsmitglied Ministerpräsident Weil
immer noch auf seinem Sofa zu Hause saß .
({9})
Wir haben das KBA gestärkt . Wir haben das KBA mit
finanziellen Ressourcen ausgestattet,
({10})
damit eigene Untersuchungsgeräte angeschafft werden
konnten und auch Untersuchungen im Feld durchgeführt
werden können . Wir haben die Standards WLTP und
Real Driving Emissions gestärkt und für eine beschleunigte Einführung gesorgt . Wir haben es hinbekommen das ist mir ganz wichtig; das war ein Diskussionspunkt
in der ersten Aktuellen Stunde zu diesem Thema, die am
25 September 2015 stattfand -, dass das Thema „Hinterlegung und Offenlegung der Motorsteuerungssoftware“
aufs Tapet gebracht wurde . Das war eine Forderung aus
dem Parlament . Die Regierung hat sie sofort aufgenommen und umgesetzt .
Auf europäischer Ebene streiten wir dafür, dass bestehende Regelungslücken geschlossen werden . Da müssen
wir noch am Ball bleiben . Es muss da noch nachgeschärft
werden .
Des Weiteren dürfen wir, meine Damen und Herren,
den Fahrzeugeignern nicht Steine, sondern wir müssen
ihnen Brot geben . Auch das macht die Bundesregierung .
Ich finde es außerordentlich lobenswert und vernünftig,
dass es zu Nachrüstungsüberlegungen bei Euro-5-Fahrzeugen kommt .
({11})
Auch finde ich es lobenswert und vernünftig, dass man
darüber Gespräche führt . Man ist da in Bayern vorangegangen . Ich zolle der Leistung Ihres Bundeslandes Respekt .
({12})
Insofern sind wir auf einem guten Weg .
({13})
- Mensch, Herr Gastel!
({14})
- Herr Gastel, ehrlich gesagt: Wenn einer in diesem Saale - es ist schön, dass Sie jetzt da sind - heute am besten
nichts sagen sollte, dann sind Sie das . Denn wir alle sind
davon ausgegangen, dass Ihnen Ihr grüner Ministerpräsident den Sachverhalt erklärt hat .
({15})
Da bin ich aber enttäuscht worden; denn es hat leider
nicht gefruchtet .
Trotzdem vielen Dank für die spannenden Diskussionen .
({16})
Als nächster Redner in dieser Aussprache hat Arno
Klare für die SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Carsten Müller ({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herrn! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt in
Deutschland über 500 Messstationen, die Luftschadstoffe
messen . 152 haben im letzten Jahr das Limit von 40 Mikrogramm leider gerissen . Insofern haben wir da in der Tat
ein Luftschadstoffproblem . Herr Krischer, wenn Sie jetzt
aber hingehen und sagen, wir hätten das nicht oder falsch
thematisiert, dann bitte ich Sie, zumindest zur Kenntnis
zu nehmen, dass es zwischen Epidemiologie und Toxikologie wissenschaftstheoretische Unterschiede gibt .
({0})
Sie sollten sich, bitte, einmal damit befassen, was
„Prävalenz“ und „Inzidenz“ heißt . Das sind klassische
Begriffe der Epidemiologie . Von daher reden wir nicht
über Kausalitäten, sondern über Korrelationen .
({1})
Und genau das steht in dem Bericht . Sie nehmen das
nicht zur Kenntnis . Ich werfe Ihnen vor, dass Sie das aus
Unkenntnis der Sache heraus skandalisieren . Oder es ist
so, dass Sie es selber besser wissen . Dann heißt das, was
Sie da tun, „Demagogie“ .
({2})
Das haben Sie gerade schon einmal bei einem anderen
Tagesordnungspunkt bewiesen . Da habe ich Sie darauf hingewiesen, dass es einen Unterschied zwischen
THG-Neutralität und Schadstofffreiheit der Fahrzeuge
gibt . Das war - wohlgemerkt - ein ähnlicher Lapsus .
Meine Damen und Herren, wir haben 5,9 Millionen
Euro-5-Dieselfahrzeuge auf der Straße . Und wir haben
6,3 Millionen weitere Altfahrzeuge, die in die Klassen
Euro 1 und Euro 4 eingestuft sind . Des Weiteren gibt es
noch 1,3 Millionen Euro-6-Fahrzeuge, also eine ganze
Menge . Wir müssen diesen Menschen etwas anbieten,
damit ihre Fahrzeuge - vor allen Dingen die Euro-5-Fahrzeuge - sauber werden können .
({3})
Ich darf das Präsentationsobjekt leider nicht hier vorne aufstellen . Bei Kirsten Lühmann steht so ein Gerät .
Das Ding heißt BNOx .
({4})
Es ist von einer deutschen Firma gebaut worden . Dabei
handelt es sich nicht um ein „Rocket Science“ . Dieses Gerät wird mit einem SCR-Katalysator zusammengeschaltet . Bei NOx erzielt es Reinigungswerte von 97 Prozent .
Damit ist ein Euro-5-Fahrzeug auf Euro-6-Qualität - und
sogar noch auf eine bessere Qualität - umrüstbar .
Herr Dr . Kolke, der gerade schon einmal zitierte Gutachter des ADAC aus Landsberg am Lech, hat das getestet . Er gilt in dem gesamten Bereich als „untouchable“ .
Auch Dr . Axel Friedrich hat das Fahrzeug getestet . Er
sagte, das sei das sauberste Fahrzeug, das er je gefahren
hat .
({5})
Das Ding funktioniert also . Dass das auf meinem Platz
steht und nicht auf Ihrem und auch nicht auf dem des
Ministers, zeigt, dass Sie sich um die Probleme nicht
gekümmert haben . Bei Ihnen ist das ein Abzug bei der
B-Note . Bei Ihnen ist das Parteiversagen und nicht
Staatsversagen .
({6})
Sie haben sich um das Ganze nicht gekümmert . Sie
waren immer nur an demagogischer Sprechweise interessiert . Und sobald Sie hier vorne stehen, habe ich immer
das Gefühl, dass in Ihrem Namen nur noch ein „e“ fehlt .
Dann wären Sie treffend beschrieben .
({7})
Dieses Gerät kostet ungefähr 1 500 Euro, mit Einbau
ungefähr 2 000 Euro . Die Frage ist, wer das den Bürgerinnen und Bürgern bezahlt . Die Bürgerinnen und Bürger
sollen das nicht selber bezahlen müssen .
({8})
Denn die haben ihr Euro-5-Fahrzeug im besten Glauben
gekauft, eines der technisch saubersten Fahrzeuge überhaupt erworben zu haben . Insofern geht es darum, dass
die Hersteller - Barbara Hendricks hat das bereits vorgeschlagen - dort doch erheblich in die Tasche greifen müssen . Damit sie vielleicht auch einen betriebswirtschaftlichen Anreiz verspüren: Das, was sie dafür bezahlen
müssten, ist ein lächerlicher Betrag gegenüber dem, was
sie zahlen müssen, wenn sie ihre Wahnsinnsinvestitionen
in die Dieseltechnologie abschreiben und durch Bilanzberichtigungen aus den Büchern tilgen müssen .
Insofern bitte ich, darüber nachzudenken, dass die Unternehmen das Gerät einbauen und nachrüsten müssen .
Damit sind die Fahrzeuge dann sauber, und damit haben
wir dann das Problem für die Bestandsflotte Diesel in der
Tat gelöst; denn das Gerät funktioniert .
({9})
- Ich habe es gerade schon gesagt; Sie haben nicht zugehört, Kollege Donth . Ich habe gerade sogar auch schon
gesagt, wer das eventuell bezahlen soll . Das kostet pro
Fahrzeug ungefähr 2 000 Euro .
Ich habe noch einen weiteren Punkt anzusprechen: Ich
glaube, wir müssen lernen, dass wir falsch messen . Diese
von mir gerade schon bestimmten 500 Messstationen, die
es in Deutschland gibt, messen das Hintergrundrauschen .
Peter Mock, der auch von Ihnen wahrscheinlich nicht anzugreifen ist, hat uns darauf hingewiesen, dass wir ein
anderes Messsystem wählen müssen, das es im Kanton
Zürich schon seit 1997 gibt . Die Schweizer haben es in
diesem Fall wirklich erfunden . In Großbritannien und
in anderen Staaten gibt es das auch, und in Kalifornien
kommt es jetzt ebenfalls zur Anwendung . Das System
heißt Remote Sensing Device .
Das ausgestoßene NOx und die Abgaswerte der Fahrzeuge werden dabei auf der Straße gemessen, und zwar
im Abgasstrahl von vorbeifahrenden Fahrzeugen . Der
riesige Vorteil ist, dass die Fahrzeuge auch fotografiert
werden, sodass man dann die Fahrzeugtypen zuordnen
kann .
Auf der Corneliusstraße in Düsseldorf - wenn Andreas
Rimkus hier wäre, dann würde er das jetzt sofort bestätigen - hat man das Verfahren angewendet und festgestellt, dass 17 Prozent der NOx-Überschreitungswerte,
die dort vorkommen, aus den Bussen resultieren, die von
der Rheinbahn dort vorbeigeschickt werden . Sie werden
jetzt gezielt entdieselt, und dann hat man eine deutliche
Absenkung der Werte erreicht . Das ist ein Beweis .
({10})
Oder man baut dort das entsprechende Gerät ein - das
kann man übrigens auch in Busse einbauen -, aber das ist
ein bisschen größer, sodass ich das nicht hier in den Saal
hätte tragen können . Das funktioniert also alles . Das ist
sehr wichtig .
Ein Letztes, was ich sagen will - das ist eine persönliche Bemerkung -: Ich bedanke mich sehr bei dem, der
den Ausschuss geleitet hat, bei Herbert Behrens .
({11})
Herbert, ich habe in der ganzen Zeit des Ausschusses immer das Gefühl gehabt, deine Sitzungsleitung war fair,
ausgleichend und nicht auf Konfrontation aus . Manchmal hast du mir ein bisschen viel Fragen gestellt, aber das
war dann in deiner Rolle als Abgeordneter der Linken .
({12})
Das war zu ertragen; wir haben es ja überlebt . Das war
aus meiner Sicht verdammt gute Arbeit, die da abgeliefert worden ist .
({13})
Meine letzte persönliche Bemerkung - dann wird das
von der Zeit her auch eine Punktlandung -: Ich weiß,
dass du dem nächsten Deutschen Bundestag nicht mehr
angehören wirst, und ich kann persönlich nur sagen: Ich
bedauere das .
({14})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich
diese Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des 5 . Untersuchungsausschusses auf
Drucksache 18/12900. Der Ausschuss empfiehlt, den
Bericht zur Kenntnis zu nehmen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gibt es jemanden, der dagegen-
stimmt - oder sich enthält? - Dann ist das einstimmig
so beschlossen worden, und die Beschlussempfehlung ist
angenommen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 c auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({0}) zu
dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD
Reformbestrebungen weiter mit Leben fül-
len - Leistung, Transparenz, Fairness und
Sauberkeit in den Mittelpunkt der künftigen
Spitzensportförderung stellen
Drucksachen 18/12362, 18/12683
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Sportausschusses ({1})
zu dem Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu,
Monika Lazar, Anja Hajduk, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Konzept zur Spitzensportreform grundlegend
überarbeiten - Beteiligungsrechte für Athle-
tinnen und Athleten verankern
Drucksachen 18/10981, 18/12684
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Sportausschusses ({2})
zu dem Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu,
Monika Lazar, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für verbindliche politische Regeln im internationalen Sport - Menschenrechte achten, Umwelt schützen, Korruption bekämpfen
Drucksachen 18/3556, 18/12171
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen bitten, die
Plätze zügig einzunehmen, damit wir in der Debatte fortfahren können .
Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Redner
in dieser Debatte Herrn Parlamentarischen Staatssekretär
Dr . Ole Schröder das Wort für die Bundesregierung .
({3})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es freut mich, dass wir heute am Ende der Wahlperiode noch einmal über die wichtigsten Punkte im Bereich der Sportpolitik sprechen und damit Bilanz ziehen
können .
Die Fördermittel für den Sport sind in dieser Wahlperiode um 36 Millionen Euro erhöht worden, also ein
Plus von 30 Prozent, und damit so stark gestiegen wie
in keiner Wahlperiode zuvor, meine Damen und Herren .
({0})
Ich möchte es ganz klar sagen: Wir verschließen uns
selbstverständlich keinen weiteren finanziellen Forderungen des Sports . Aber natürlich muss das Ganze etatreif
sein, genauso wie in allen anderen Bereichen auch . Mehr
Geld per Gießkanne bringt gar nichts . Das ist ja auch der
Grund, weshalb wir zusammen mit dem organisierten
Sport eine einschneidende Reform der Spitzensportförderung auf den Weg gebracht haben . Darin besteht eine
enorme Chance für den Sport, mehr Forderungen zu begründen . Die bestehenden Potenziale sollen optimal gefördert werden . Sportler und Trainer stehen zukünftig im
Mittelpunkt der Förderung . Bisher war hauptsächlich die
Zahl der gewonnenen Medaillen Maßstab für die Förderung . Entscheidend ist zukünftig der Bedarf des Sports,
um die vorhandenen Potenziale optimal fördern zu können .
Es geht jetzt um die Umsetzung der Reform . Die Mitglieder der PotAS-Kommission, die für die Evaluierung
zuständig sind, haben ihre Arbeit zügig aufgenommen,
sie sind sehr engagiert am Werk . Gemeinsam mit den
Vertretern des DOSB hat man sich jetzt die Attributenliste, also die Liste der Kriterien, genau angeschaut . Dabei
geht es gerade um Kriterien wie Qualität der Trainingssteuerung, Talentsichtung, aber natürlich auch Kampf
gegen Doping . Mit der Einrichtung von PotAS wird der
Forderung nach Objektivität und Transparenz endlich
Rechnung getragen . Das ist ein ganz entscheidender
Punkt, der sich auch im Antrag der Grünen findet.
Ich komme damit zu weiteren Punkten, die in den
Anträgen der Grünen aufgeführt sind . In der Tat: Der
internationale Sport steckt in einer tiefen Glaubwürdigkeitskrise . Korruption und Doping sind die Hauptprobleme . Ich bin davon überzeugt - das hat insbesondere die
beeindruckende Sitzung im Sportausschuss mit Sonderermittler McLaren gezeigt -, dass der Sport schwerlich
in der Lage sein wird, aus dieser schweren Krise alleine
herauszukommen .
({1})
Wir brauchen einen gesellschaftlichen Diskurs . Es ist
meines Erachtens unbedingt erforderlich, dass der Staat
die notwendigen Rahmenbedingungen setzt . Dass der
Staat die Integrität des Sports schützt und dass wir in dieser Wahlperiode das Anti-Doping-Gesetz und das Gesetz
zur Bekämpfung von Spielmanipulationen auf den Weg
gebracht haben, war daher von großer Bedeutung .
({2})
Das Referendum in Hamburg über Olympia sollte eigentlich ein Weckruf sein . Um wieder mehr Akzeptanz
für Sportgroßveranstaltungen zu bekommen, müssen die
Vergaben endlich nach klaren und vor allem transparenten Kriterien erfolgen .
({3})
Was bringen Kriterien, die auf Hunderten von Seiten in
Bewerbungen aufgelistet werden, wenn sie am Ende gar
nicht berücksichtigt werden?
Wir als Bundesregierung sind vor allen Dingen international sehr stark engagiert . Wir tun dies auch auf Ebene
der G 20 oder im Rahmen der Weltsportministerkonferenz im Juli dieses Jahres . Ich bin davon überzeugt, dass
Europa hier eine viel stärkere Rolle spielen muss . Wir
müssen hier viel mehr mit einer Stimme sprechen . Nur so
werden wir erreichen, dass sich der internationale Sport
wirklich ändert .
({4})
Meine Damen und Herren, ich habe mich entschieden,
nicht wieder für den Deutschen Bundestag zu kandidieren . Ich danke allen für die Zusammenarbeit . Ich denke,
dass wir durch einen intensiven Diskurs im Sportausschuss, aber auch mit engagierten Vertretern von außerhalb einiges auf den Weg gebracht haben . Ich denke da
insbesondere an den Austausch mit dem Doping opferHilfe-Verein und die Neuauflage des Dopingopfer-Hilfegesetzes . Das ist aus dem Parlament heraus mit entwickelt worden . Ich wünsche mir, dass Sie sich das in der
neuen Wahlperiode noch einmal anschauen . Sie sollten
sich überlegen, ob das Ganze nicht entfristet werden sollte . Ich glaube, wir sollten uns auch noch einmal damit befassen, ob es bei den geschädigten Hinterbliebenen nicht
unter Umständen eine Regelungslücke gibt .
({5})
Es kann meines Erachtens nicht darauf ankommen, ob
ein Dopingmittel vor oder während der Schwangerschaft
eingenommen wurde . Es lohnt sich sicherlich, noch einmal den Blick darauf zu richten .
Als Parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium durfte ich mich in den letzten acht Jahren mit den
Themen beschäftigen und daran mitarbeiten, was für die
Zukunft unseres Landes von ganz entscheidender Bedeutung ist: Zusammenhalt der Gesellschaft, Migration und
Integration, innere Sicherheit und Digitalisierung . Der
Diskurs hierüber wird im Bundestag weitergehen . Neue
Abgeordnete werden neue Akzente setzen und neue Erfahrungen einbringen .
Politik war für mich von Anfang an ein Mandat auf
Zeit . Sich daran zu erinnern, ist am Ende die einzige
Möglichkeit, offen für neue Herausforderungen zu bleiben .
Vielen Dank .
({6})
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, auch ich möchte Ihnen im Namen des gesamten Bundestages ganz herzlich
danken . Sie waren vier Legislaturperioden - seit 2002 Mitglied des Deutschen Bundestages und haben sich immer um innenpolitische Themen nicht nur besonders bemüht, sondern in diesem Bereich auch sehr viel bewirkt .
Sie haben besonders als Parlamentarischer Staatssekretär - die Funktion als Mittler zwischen Ministerium und
Parlament ist ja eine sehr wichtige - die Innenpolitik der
Bundesrepublik Deutschland sehr stark beeinflusst. Ich
wünsche Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute .
Es ist auch schön, dass Sie noch einmal daran erinnert
haben, dass Mandate immer Mandate auf Zeit sind . Ich
glaube, das ist uns allen immer bewusst, wenn auch vielleicht nicht in jeder Minute . Es ist von daher auch wichtig, dass wir an die Zukunft denken . Für diese wünsche
ich Ihnen alles Gute .
({0})
Als nächster Redner hat Dr . André Hahn für die Fraktion Die Linke das Wort .
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn
die Umsetzung der Spitzensportreform genauso läuft wie
die derzeitige Zusammenarbeit von Bundestag, Bundesregierung, Bundesländern und dem organisierten Sport,
dann ist der Abstieg in die Regionalliga vorprogrammiert .
Am 28 . September 2016 stellten Innenminister de
Maizière und DOSB-Präsident Hörmann dem Sportausschuss nach monatelangen Geheimverhandlungen ohne
vorherige gesellschaftliche Debatte ihr Konzept zur Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung vor . Anfang Dezember stimmte der DOSB auf
seiner Mitgliederversammlung diesem Konzept bei nur
einer Gegenstimme zu, obwohl das Papier zuvor massiv
in der Kritik stand
({0})
und auch unvollständig war . Das Grummeln vieler Verbände war unüberhörbar, und manche haben wohl allein
deshalb zugestimmt, weil ihnen von der Bundesregierung mehr Geld in Aussicht gestellt worden ist .
Genau dieses Geld fließt nun erst einmal nicht. Die
DOSB-Spitze hat sich über den Tisch ziehen lassen .
Aufgrund der anstehenden Neuwahlen und der folgenden Koalitionsverhandlungen wird über den Haushalt für
2018 erst im kommenden Jahr entschieden .
({1})
Das ist nicht nur mit Blick auf die Olympischen Winterspiele im nächsten Februar problematisch, sondern
beeinträchtigt auch die Vorbereitungen auf Tokio 2020 .
Trotz Forderungen von ursprünglich allen Fraktionen,
den Sportausschuss aktiv in den Diskussionsprozess einzubeziehen, bekommen wir von der Bundesregierung bis
heute nur häppchenweise Informationen und erfahren alles Weitere aus den Medien .
Die vorliegenden Anträge sollten am 18 . Mai eigentlich ohne Debatte in den Sportausschuss überwiesen werden . Nur weil die Linke dem widersprach,
({2})
gab es eine erste Lesung im Plenum, wenn auch nur
durch nach Mitternacht zu Protokoll gegebene Diskussionsbeiträge . Dann nahm sich der Sportausschuss nicht
einmal 15 Minuten Zeit, um die beiden Anträge in seiner
Sitzung am 31 . Mai zu beraten . Die Spitzenverbände des
DOSB tagten schließlich mit dem Bundesinnenministerium und den Innenministerien der Länder zur weiteren
Umsetzung der Reform am 21 . und 22 . Juni .
Am Abend gab es ein Wahlhearing und einen Parlamentarischen Abend des DOSB, auf dem Präsident
Hörmann und Minister de Maizière die anwesenden
Abgeordneten über einige Ergebnisse der Beratungen
informierten, insbesondere über die sich abzeichnenden,
womöglich jahrelangen Verzögerungen bei der Einführung des einst als Wundermittel gepriesenen Potenzialanalysesystems, PotAS, mit dem künftige Olympiasieger
durch Computerprogramme herausgefiltert werden sollen .
Der vorerst letzte Akt in diesem Schauspiel war die
Sitzung des Sportausschusses am 28 . Juni . Der Antrag der
Linken, die Tagesordnung um den Punkt Spitzensportreform mit einem Bericht des Bundesinnenministeriums
zu den jüngsten Entwicklungen zu erweitern, wurde von
der Koalition abgelehnt . Dabei soll dieses Konzept für
viele Jahre die Grundlage für den Spitzensport und dessen Förderung durch Bund und Länder sein . So kann man
mit dem Parlament nicht umgehen .
({3})
Ganz ehrlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/
CSU und SPD: Dass Sie dieses Spiel mitmachen oder
sich gefallen lassen, enttäuscht mich zutiefst .
({4})
Auch wenn für die Linke der Breiten-, Schul- und
Gesundheitssport im Mittelpunkt der Sportpolitik steht,
stellen wir den Leistungs- und Spitzensport nicht zur
Disposition . Wir begrüßen auch das grundsätzliche Ansinnen, die Spitzensportförderung neu zu strukturieren .
Das vorgelegte Konzept halten wir aber nach wie vor in
mehrfacher Hinsicht für äußerst problematisch . Es fehlen
wichtige Bestandteile wie beispielsweise die finanzielle
Untersetzung . Nicht akzeptabel sind auch die prekäre
Personalsituation sowie die Bezahlung der Trainerinnen
und Trainer . Weiterhin völlig unzureichend sind die Möglichkeiten für eine duale Karriere von Spitzensportlern .
Was die Trainer angeht: Wer Weltspitze hervorbringen und betreuen soll, der muss auch ordentlich bezahlt
werden: ein Bundestrainer mindestens wie ein Gymnasiallehrer, ein Cheftrainer mindestens wie ein Schulleiter .
Davon sind wir in einigen Sportarten leider meilenweit
entfernt .
({5})
Schließlich muss auch die aus Sicht der Linken nicht
akzeptable Fixierung auf Medaillen bei Paralympics und
Olympischen Spielen korrigiert werden . Sie darf aus unserer Sicht nicht vorrangiger Maßstab für die Sportförderung von Bund, DOSB und Deutscher Sporthilfe sein .
({6})
Letzte Bemerkung: Es bleibt die Hoffnung, dass nach
der Bundestagswahl mit anderen Mehrheiten und deutlich mehr Druck aus den Reihen des organisierten Sports,
vor allem vonseiten der Athletinnen und Athleten, ein
wirklich zukunftsfähiges Spitzensportförderkonzept entsteht .
Herzlichen Dank .
({7})
Als nächste Rednerin spricht Michaela Engelmeier für
die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Nachdem
wir jetzt gerade die Selbstbefassungsrede von André
Hahn über die Spitzensportförderreform gehört haben,
kann ich nur an dieser Stelle sagen: André, auch ich habe
es mir anders vorgestellt . Kollegiale Zusammenarbeit ist
dann und wann vielleicht eher angebracht; das ist leider
nicht immer der Fall gewesen .
({0})
Ich bin ja froh, dass die Linke hier quasi als Rächer
des DOSB auftritt, aber eines müssen wir uns auch einmal klarmachen: Der Sport in Deutschland hat eine herausgehobene Stellung in der Gesellschaft . Ich muss Ihnen nicht erzählen, was der Sport alles für dieses Land
leistet, nicht nur die Ehrenamtlichen, sondern auch die
Athletinnen und Athleten . Deswegen ist es gut, dass wir
heute quasi am letzten Sitzungstag in dieser Legislaturperiode über den Sport diskutieren .
Wir waren und sind eine erfolgreiche Sportnation . Wir
wissen aber auch, dass wir nicht mehr so erfolgreich sind
wie früher . Seit Barcelona hat sich die Zahl unserer bei
Olympischen Spielen gewonnenen Medaillen quasi halbiert . Deshalb muss man wirklich darüber nachdenken,
eine Reform anzustoßen . Das ist passiert . André, in dem
Fall gebe ich dir tatsächlich ein bisschen recht: Ich hätte
mir gewünscht, dass wir eine öffentliche Diskussion unter Einbeziehung der Sportpolitik geführt hätten . - Aber
jetzt liegt diese Reform vor . Diese Reform ist auch sinnvoll, damit alte Strukturen aufgebrochen werden und wir
neue Wege im deutschen Spitzensport gehen .
Den Kerngedanken der Reform - Unterstützung von
zukünftigen Potenzialen; Athletinnen und Athleten stehen im Mittelpunkt - teilen wir . Da sind wir dabei . Den
finden wir besonders gut. Für uns, die SPD-Fraktion, ist
es aber auch ganz wichtig, dass die Karte an Sportzentren
in Deutschland nicht plötzlich ausgedünnt wird, weil bisher erfolgreiche Sportarten weniger Medaillen holen ich erwähne jetzt einmal die letzten Olympischen Spiele,
bei denen die Schwimmer oder die Fechter nicht eine
Medaille gewonnen haben -, deshalb keine Förderung
mehr bekommen und im Nichts versinken . Das wollen
wir nicht . Deswegen haben wir gemeinsam mit unserem
Koalitionspartner einen wunderbaren Antrag auf den
Weg gebracht, mit dem wir eine gewisse Basisförderung
für eher weniger erfolgreiche Sportarten fordern .
({1})
Ganz wichtig finden wir auch, dass die Rahmenbedingungen für die Athletinnen und Athleten verbessert werden . Möglichkeiten zur dualen Karriere, Arbeitszeiten
und -bedingungen von Trainern und Trainerinnen, faire
Löhne, sichere Arbeitsplätze, mehr Vollzeitstellen sowie
mehr Aus- und Fortbildungen, die Entwicklung einer Alterssicherung für Athletinnen und Athleten gemeinsam
mit der Sporthilfe - eine ganz wichtige Geschichte -, all
das liegt uns am Herzen . Das würden wir gerne verwirklicht sehen .
({2})
Zum Thema Olympia- und Bundesstützpunkte . Diese
Stützpunkte können wir nicht einfach willkürlich schließen . Sie wissen, ich komme aus einer Kampfsportart,
aus dem Judo . Ich sage Ihnen: Wenn es keine Trainingspartner mehr gibt, dann hat Judo in Deutschland keine
Zukunft; dann werden wir keine erfolgreiche Judonation
mehr sein . Insofern sollte man das Ganze hinterfragen .
Ganz wichtig für mich ist, dass es endlich eine Gleichstellung zwischen paralympischen und olympischen Athleten gibt .
({3})
Die paralympischen Athleten haben Anerkennung mindestens genauso verdient . Warum auch nicht? Es ist einfach eine wichtige Angelegenheit .
Der deutsche Sport war etwas unmütig darüber, dass
wir die geforderten 63 Millionen Euro nicht in den Haushalt eingestellt haben .
({4})
Das konnten wir nicht . Ich habe letzte Woche versucht,
es zu erklären . Aufgrund der Haushaltsgesetzgebung
können wir nicht jetzt schon 63 Millionen Euro in irgendeinen Haushalt einstellen,
({5})
der so wahrscheinlich gar nicht beschlossen wird . Wir
müssen abwarten, was die Sportpolitikerinnen und Sportpolitiker des nächsten Bundestages dazu sagen .
({6})
Aber ich kann dem deutschen Sport eins versichern: Die
SPD will dem Sport nicht das Wasser abgraben . Im Gegenteil: Wir werden die Rahmenbedingungen für den
Spitzensport nachhaltig verbessern .
Erlauben Sie mir eine kleine Bemerkung, Herr Staatssekretär Schröder: Ich möchte mich bei Ihnen für die
sehr vertrauensvolle Arbeit ganz herzlich bedanken . Wir
beide gehören einer Koalition an . Wir haben gemeinsam
mit Eberhard Gienger oft zusammengesessen . Ich denke,
viele Dinge, die wir gemeinsam auf den Weg gebracht
haben, waren einfach gut . Ich wünsche Ihnen alles Gute .
Vielleicht sieht man sich bei der einen oder anderen Gelegenheit im Sport . Ich glaube, wir sehen uns am Sonntag
in Haifa .
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine wunderbare
Sommerpause . Es geht weiter . Christian Sachs auf der
Tribüne rufe ich zu: Der deutsche Sport - wir sind auf
seiner Seite .
({7})
Özcan Mutlu hat als nächster Redner das Wort für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vier
Jahre Sportpolitik im Bundestag gehen mit der heutigen
Sitzung zu Ende . Ihre Große Koalition verhinderte vier
Jahre lang, dass der Sportausschuss öffentlich tagt - als
wären wir in einer geheimen Mission . Hier reichen wohlmeinende Worte nicht aus, liebe Michaela Engelmeier .
({0})
Nach zwei Jahren Verhandlungen mit dem DOSB hinter verschlossenen Türen haben Sie uns kurz vor Ende
der Legislaturperiode ein Konzept für eine Reform vorgelegt . Ziel Ihrer Reform sind deutlich mehr Medaillen .
Sie wollen einen besseren Return of Investment - als
wäre der Sport Teil der Marktwirtschaft, der Staat der
Investor, die Athletinnen und Athleten die Medaillenproduzenten . Wir sagen: Das ist der falsche Ansatz .
({1})
BMI und DOSB loben sich ja sehr gern immer gegenseitig dafür, wie stark die Zustimmung des Sports zum
neuen Konzept ausfällt . Was sie dabei allerdings unterschlagen, ist, dass das BMI für die Zustimmung offenbar
am Bundestag vorbei Geld in Aussicht gestellt hat, und
zwar in Höhe von 39 Millionen Euro . Diese Information
habe ich nicht vom Sportausschuss des Bundestages oder
vom Bundestag, das wissen wir nur über die gegenseitigen Vorwürfe aus der Presse . Intransparenz lässt grüßen!
Aber mit Intransparenz macht man keine Politik .
({2})
Eine öffentliche Debatte über den Spitzensport in
Deutschland hat es bisher leider nicht gegeben . Das bestehende Spitzensportsystem wird mit Ihrer Reform nicht
hinterfragt, nicht kritisiert oder gar verändert, sondern
nur zementiert . PotAS-Kommission hin, Attribute her,
ich frage mich, wie unsere Athletinnen und Athleten im
Wettkampf mit Ländern wie Russland und China, deren
Haltung zum Doping mehr als fragwürdig ist - ich sage
nur: Staatsdoping in Russland -, sauber bleiben sollen,
aber dennoch ein Drittel mehr Medaillen als diese Länder
erreichen sollen .
({3})
Darin liegt die Krux Ihrer Reform . Deutschland muss einen anderen Weg gehen und Vorbild sein .
Wir müssen uns um bessere Perspektiven für Athletinnen und Athleten kümmern; es reicht nicht, liebe
Michaela, das einfach nach vier Jahren hier im Bundestag zu sagen . Vielmehr müssen wir uns kümmern und etwas tun . Handeln ist die oberste Prämisse .
({4})
Wir brauchen bessere Arbeitsbedingungen und eine
bessere Bezahlung der Trainerinnen und Trainer . Sie
müssen mit den Athletinnen und Athleten im Mittelpunkt
stehen .
Wir sagen: Spitzensport und Breitensport gehören
zusammen . Ihre Priorität sind lediglich mehr Medaillen,
und das ist falsch .
({5})
Wir brauchen mehr Prävention, bessere internationale
Zusammenarbeit, Good Governance, klare Konsequenzen und eine unabhängige Anti-Doping-Arbeit . Die Stärkung der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA sowie der
verschiedenen nationalen NADAs gehört dazu .
Wir brauchen zudem ein wirksames Whistle blowerSystem gegen Doping, aber auch gegen Spielmanipulation .
Wir meinen: Die Sportverbände müssen sich endlich
von ihren eingerosteten Strukturen und ihren korrupten
Funktionären verabschieden .
({6})
Auch der WM-Skandal von 2006 ist immer noch
nicht vollständig aufgeklärt . Dass hier parlamentarisch
überhaupt darüber diskutiert worden ist, mussten wir
als Opposition hart erkämpfen . Auch hierbei hat sich die
GroKo, obwohl alles öffentlich diskutiert worden ist, vor
der Öffentlichkeit gedrückt und den Sportausschuss in
dieser Frage immer wieder nichtöffentlich tagen lassen .
Ich frage mich, warum .
Herr Schröder, Sie haben das Stichwort „Sportgroßveranstaltungen“ bemüht . Dazu sage ich am Ende meiner
Ausführungen ganz kurz: Die Bürgerinnen und Bürger
in München und Hamburg haben Olympia eine Absage
erteilt . Welche Schlüsse ziehen wir daraus? Was machen
Sie damit? Dabei ist doch klar: Eine Reform ist auch
hierbei bitter notwendig . Es braucht Naturschutz-, Bürger- und Menschenrechtsstandards als Voraussetzung für
die Vergabe von Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften . Wir fordern: Bürgerbeteiligung von Anfang an,
keine Knebelverträge und keine exorbitanten Kosten!
Unseren Antrag dazu haben Sie drei Jahre im Ausschuss
schmoren lassen und dann abgelehnt .
Summa summarum: Vier Jahre sind vergangen, und
fast nichts hat sich bewegt . Man kann mit anderen Worten sagen: Außer Placebo nichts gewesen . - Und das verdient Sportdeutschland nicht .
({7})
Als nächste Rednerin hat Gudrun Zollner für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Das letzte Jahr war geprägt von der Diskussion über die Reform des Leistungssports und der Spitzensportförderung . Zahlreiche Gremien und Experten
haben an diesem Konzept mitgearbeitet mit dem Ziel,
Ressourcen zu konzentrieren, um Deutschland wieder zu
einer erfolgreichen Sportnation zu machen . Im Schulterschluss haben uns Sportminister Dr . Thomas de Maizière
und DOSB-Präsident Alfons Hörmann im letzten Jahr
ihre Vorstellungen im Sportausschuss, dem wir ja alle angehören, präsentiert - im Sportausschuss, der, wie jeder
andere Ausschuss auch, nichtöffentlich tagt .
({0})
Mit der Neustrukturierung des Leistungssports wird
die Autonomie des Sports gewährleistet und explizit die
Gleichstellung des olympischen und des paralympischen
Sports verfolgt . Wir wollen sicherstellen, dass Athletinnen und Athleten mit und ohne Behinderung gleichberechtigt betrachtet und ihre spezifischen Anforderungen
berücksichtigt werden .
Uns allen ist klar, dass es erheblicher finanzieller Mittel bedarf, um die neue Spitzensportförderung umzusetzen . Wir in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion werden
uns für notwendige Mittelaufstockungen einsetzen .
({1})
Im Fokus des Leistungssportkonzepts stehen die Athletinnen und Athleten . Sie verdienen eine hohe Wertschätzung nicht nur für ihre sportlichen Leistungen und
die Medaillen, sondern für ihr gesamtes Engagement .
Das Potenzial der Sportlerinnen und Sportler früh zu
erkennen und dann gezielt zu fördern, ist ein zentraler
Punkt der Leistungssportreform . Der Blick richtet sich
auf die zukünftigen Chancen und nicht auf die Medaillen
der Vergangenheit .
({2})
In Abstimmung mit den Bundesländern soll die Nachwuchsförderung deshalb weiterhin und, falls möglich,
wohnortnah in den jeweiligen Sportarten angeboten werden können . Dem Schutz der Gesundheit von Kindern
und Jugendlichen vor zu hohen Belastungen ist dabei ein
besonders hoher Stellenwert beizumessen .
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der Spagat
zwischen dem zeitaufwendigen Training mit dem Ziel,
auf den Punkt sportliche Höchstleistungen zu erbringen,
und der alltäglichen Existenzsicherung ist eine Herausforderung für jeden Einzelnen. Um die berufliche und
finanzielle Zukunft der Spitzensportlerinnen und Sportler ausreichend abzusichern, bedarf es entsprechender
Maßnahmen .
An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen
und der Stiftung Deutsche Sporthilfe ganz herzlich zum
50-jährigen Bestehen gratulieren . Die Deutsche Sporthilfe hat viele Spitzensportlerinnen und -sportler aus den
unterschiedlichsten Disziplinen finanziell unterstützt und
damit zu ihren Erfolgen und ihrer Existenzsicherung beigetragen .
({3})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir wollen
eine bessere Vereinbarkeit von Schule, Studium und Beruf mit der Spitzensportkarriere erreichen . Für die duale
Karriere sind starke Partner bei den Hochschulen und in
der Wirtschaft, bei den Handwerkskammern und den Bildungsträgern notwendig .
({4})
Die individuellen sportlichen Bedürfnisse durch Training
und Wettkämpfe müssen mit den schulischen und beruflichen Anforderungen in Einklang gebracht werden . Hier
hat die Bundeswehr, neben Bundespolizei und Zoll einer
der größten Förderer des olympischen Sports, reagiert .
Sportsoldatinnen und -soldaten bekommen als Sportlehrer und Ausbilder neue berufliche Perspektiven. Auch ein
sportwissenschaftliches Studium mit den Schwerpunkten
Gesundheitsförderung, Prävention und Rehabilitierung
soll ab 2018 an der Hochschule der Bundeswehr in München möglich sein .
Für das Gelingen des Reformprozesses halten wir eine
unabhängige sowie hauptamtlich geführte Athletenvertretung für unverzichtbar. Dies wollen wir auch finanziell
unterstützen .
({5})
Für den sportlichen Erfolg sind die Trainerinnen und
Trainer die wichtigsten Bezugspersonen . Für sie und andere gilt es, ein attraktives Berufsbild „Trainer/Trainerin“ zu entwickeln . Zudem gehören gute Aus- und Weiterbildungsstrukturen, faire Arbeitsbedingungen, eine
angemessene Vergütung sowie längerfristige Verträge
und Arbeitsstellen dazu .
Nicht nur die körperliche Gesundheit, sondern auch
die persönliche Sicherheit der Athletinnen und Athleten ist uns wichtig . Deshalb wäre es richtig, dass die
PotAS-Kommission bei der Einteilung der Disziplinen
in Förderkategorien vorhandene Schutzkonzepte gegen
sexualisierte Gewalt mitbewertet . Nach der Studie „Safe
Sport“ hat rund ein Drittel der 1 800 befragten Kaderathletinnen und -athleten sexualisierte Gewalt im Sport
erfahren müssen . Damit alles nur Erdenkliche gegen derartige Vorkommnisse und Gefahren unternommen wird,
sollte die Bundesregierung staatliche Zuwendungen
künftig von wirksamen Präventionskonzepten abhängig
machen .
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, aufgedeckte Dopingfälle fallen nicht nur auf die Sportlerinnen und
Sportler, sondern auch auf die jeweilige Nation zurück .
Wir sehen das gerade mehr als deutlich bei Russland,
sei es bei der Leichtathletik oder zuletzt im Fußball . Auf
nationaler wie auf internationaler Ebene müssen wir deshalb den Kampf gegen Doping weiter vorantreiben und
die Welt-Anti-Doping-Agentur stärken . Die Athleten und
der Schutz ihrer Gesundheit stehen für uns an erster Stelle .
({6})
Deshalb gilt für uns: Null Toleranz gegenüber Doping
und anderen Formen der Manipulation!
Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({7})
Als letzter Redner in dieser Aussprache hat Matthias
Schmidt für die SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren
auf den Zuschauertribünen! Wir reden heute über die
Spitzensportreform . Ich freue mich, dass wir nun quasi in
der letzten Sitzung des Deutschen Bundestages in dieser
Legislaturperiode noch einmal die Gelegenheit haben,
uns über den Sport auszutauschen .
Das, was der Sportausschuss in dieser Legislaturperiode geleistet hat, kann sich wirklich sehen lassen . Ich
finde auch, unsere parteiübergreifende Zusammenarbeit
war ausgesprochen gut, weil alle Kolleginnen und Kollegen im Sportausschuss ein Herz für den Sport hatten und
weiterhin haben .
({0})
Zur Spitzensportreform . „Spiel, Satz und Sieg“, sagt
man beim Tennis am Ende . Herr Staatssekretär, ich habe
ein bisschen den Eindruck, das Innenministerium habe
geglaubt, dass, sobald der Entwurf einer Spitzensportreform vorliegt, der Ruf „Spiel, Satz und Sieg“ erschallt
und alles erledigt ist . Aber das ist nicht passiert . Sie sind
bewusst nur mit einem zweiten Spieler, dem DOSB, auf
den Platz gegangen . Wir hatten gefordert, dass auch der
Sportausschuss beteiligt wird; aber Sie wollten das nicht .
Sie sind mit diesem zweiten Spieler auf den Platz gegangen und wundern sich nun nach Ihrem ersten Aufschlag,
dass ein Return gekommen ist .
({1})
Und der Return war knallhart . Ob er tatsächlich fair war
oder unfair, kann ich gar nicht beurteilen; denn diesen
Return können wir nur in der Presse beobachten, und in
der Presse ist zu lesen, der Sportabteilungsleiter habe
zusätzlich 39 Millionen Euro zugesagt . Anstatt es zu
bestreiten, wird gesagt, die Vorlage des DOSB sei nicht
etatreif gewesen . Wer erinnert denn den DOSB einmal
daran, wer nach dem Grundgesetz für die Verteilung der
Gelder zuständig ist?
({2})
Das sind wir hier im Deutschen Bundestag, und da müssen wir auch ein bisschen selbstbewusster auftreten, meine sehr geehrten Damen und Herren .
Ich habe gesagt: Die Spitzensportreform war ein guter Aufschlag; das war schon nicht schlecht . Der Blick
nach vorn ist sehr gut . Es war bisher nicht in Ordnung,
dass wir nur auf das zurückgeschaut haben, was in der
Vergangenheit geleistet worden ist . Auf das Potenzial abzustellen, ist schon prima . Aber wir müssen an der Spitzensportreform noch ein bisschen feilen, und dazu hat die
Große Koalition einen sehr guten Antrag vorgelegt
({3})
mit vielen Punkten, über die man reden kann . Darin
findet sicherlich auch die Opposition, wenn sie kritisch
draufschaut, das eine oder andere Gute .
Ich will noch eine Sache hervorheben, über die sich
der nächste Deutsche Bundestag unbedingt Gedanken
machen muss: Das ist die Altersvorsorge von Sportlerinnen und Sportlern . Die Spitzensportlerinnen und Spitzensportler verzichten teilweise zehn Jahre auf den Einstieg
in ihr Berufsleben, und sie schauen heute auch danach:
Was passiert später mit meiner Rente? Wir müssen eine
Antwort darauf finden; wir müssen eine Lösung finden.
Der einfache Ruf nach einem Rentenpunkt reicht nicht
aus . Er ist auch nicht zielführend; er wird das Problem
nicht lösen . Ich bin sicher, dass wir, wenn wir mit der
Sporthilfe diskutieren, einen Weg finden, der besser ist.
({4})
Hinzu kommt ein zweiter Punkt: IAT und FES, die
beiden Institute . Wir werden weltweit um diese beiden
Institute beneidet . Wir sollten sie weiter stärken, so wie
wir das in der Vergangenheit getan haben .
Dritter und letzter Punkt, der mir sehr wichtig ist: die
Förderung des Sports von Menschen mit Behinderung .
Warum ist mir das so wichtig? Wir haben dafür schon
viel getan . Wir sind auf dem richtigen Weg . Aber wir
sollten noch mehr tun; denn diese Sportlerinnen und
Sportler sind nicht nur sportliche Vorbilder, sondern auch
menschliche Vorbilder, und dafür gebührt ihnen allergrößte Anerkennung .
({5})
Frau Präsidentin, ich spüre schon Ihren Blick in meinem Nacken; ich komme jetzt tatsächlich zum Schluss .
({6})
Ich habe am Anfang schon gesagt: Ich danke den Kolleginnen und Kollegen im Sportausschuss; das meine ich
wirklich ehrlich . Alle hatten ein Herz für den Sport . Das
ist auch gut so . Lassen Sie uns so weitermachen!
Vielen herzlichen Dank .
({7})
Lieber Kollege, seien Sie froh, dass es nur der Blick
ist .
({0})
Liebe Kollegen, damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Sportausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD mit dem Titel „Reformbestrebungen weiter mit Leben füllen - Leistung, Transparenz, Fairness
und Sauberkeit in den Mittelpunkt der künftigen Spitzensportförderung stellen“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12683,
den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 18/12362 anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist diese Beschlussempfehlung mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 32 b . Beschlussempfehlung des
Sportausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Konzept zur Spitzensportreform grundlegend überarbeiten - Beteiligungsrechte für Athletinnen und Athleten verankern“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12684, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10981 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist
diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen
worden .
Tagesordnungspunkt 32 c . Beschlussempfehlung des
Sportausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Für verbindliche politische Regeln im internationalen Sport - Menschenrechte
achten, Umwelt schützen, Korruption bekämpfen“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12171, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3556 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese
Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen
worden .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({1})
zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay,
Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Förderung des sozialen Wohnungsbaus durch
den Bund auch nach 2019 ermöglichen
Drucksachen 18/11169, 18/12901
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner hat
Michael Groß für die SPD-Fraktion das Wort .
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich war gestern - wie einige andere Kolleginnen und Kollegen - bei
einer Veranstaltung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe . Auf dieser Veranstaltung wurde noch
einmal deutlich, wie insbesondere in 55 Großstädten viele Menschen, die mit geringem oder mittlerem Einkommen leben müssen - Rentnerinnen und Rentner, Studenten, aber auch Langzeitarbeitslose -, im Wohnungsmarkt
um bezahlbaren Wohnraum kämpfen müssen .
Die Veranstaltung hat deutlich gezeigt, dass wir seit
etwa fünf Jahren in diesen 55 wachsenden Städten ein
Riesenproblem haben . Aber nicht nur dort; denn es gibt
auch mittelgroße Städte und größere Landgemeinden,
die im Umfeld der Großstädte wachsen und letztendlich
mit dazu beitragen, dass Wohnraum knapp wird . Seit
etwa fünf Jahren ist statistisch unterlegt, dass die Mieten schneller steigen als die Einkommen . Das wurde sehr
lange, insbesondere von Lobbyisten der Wohnungsunternehmen, bezweifelt .
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal allen danken,
die sich um die Menschen gekümmert haben, die nur
Matthias Schmidt ({0})
schwer Wohnraum finden, weil ihr Einkommen so niedrig ist: Kleinvermieter,
({1})
ebenso Haus & Grund - auch da gibt es Menschen, die
mit dem Thema sehr sozialverantwortlich umgehen -,
Wohnungsunternehmen und -genossenschaften sowie
kommunale Wohnungsunternehmen .
Eines haben die letzten vier Jahre gezeigt: Der Markt
alleine wird es nicht richten, sehr geehrte Damen und
Herren .
({2})
Wir dürfen es nicht alleine Dritten überlassen, bezahlbaren Wohnraum herzustellen und für die Menschen insbesondere ein Zuhause - dazu gehört auch das Wohnumfeld - zu schaffen .
({3})
Was haben wir in den vier Jahren gemacht? Wir haben
unter anderem die Mittel für die soziale Wohnraumförderung verdreifacht . Ich glaube, das ist ein Erfolg . Dem
Bericht der Bundesregierung, dem Bericht von Frau
Hendricks, können Sie entnehmen, dass 25 000 Wohnungen mit einer Sozialbindung im Jahr 2016 neu gebaut
worden sind; das ist eine Steigerung um etwa 68 Prozent .
Wir wissen aber seit vielen Jahren, dass vermehrt Wohnungen aus der Sozialbindung fallen .
Leider ist es so, dass einzelne Bundesländer nicht der
Aufgabe nachkommen, die Bundesmittel für sozialen
Wohnraum zu nutzen. Leider haben wir in der Entflechtungskommission, der Koch/Steinbrück-Kommission,
Anfang der 2000er-Jahre die Entscheidung getroffen,
dass der Bund nach 2020 keine Verantwortung für die
soziale Wohnraumförderung mehr haben soll; ich halte
das für einen großen Fehler .
({4})
Wir brauchen eine gemeinsame Verantwortung von Ländern, Kommunen und dem Bund für die Schaffung von
sozialem Wohnraum .
Einzelne Bundesländer haben das Thema aber sehr
ernst genommen, zum Beispiel Nordrhein-Westfalen .
Nordrhein-Westfalen hat im Jahr 2016 fast 10 000 neue
Wohnungen mit sozialer Bindung geschaffen, aber das
war nur möglich, weil das Land die circa 260 Millionen
Euro auf 1,1 Milliarden Euro gehebelt hat .
({5})
Es wird in den nächsten Wochen und Monaten aufgrund
des Koalitionsvertrages spannend, zu sehen, was daraus
wird, wenn man die Mietpreisbremse abschafft, wenn
man die Kappungsgrenze aushöhlt . Ich kann mit Blick
auf die Situation in NRW, besonders in Köln und in Düsseldorf, nur sagen: Das wird, glaube ich, in den nächsten
vier Jahren eine schwierige Zeit für Studenten, Rentnerinnen und alle, die finanziell Probleme haben.
Ich glaube, dass man nach 2020 dafür sorgen muss,
dass die Länder aktiv werden und dass sie, wenn sie Bundesgelder in Anspruch nehmen, auch Wohnraum schaffen . Wir haben eine Mietpreisbremse, die erst einmal
dafür gesorgt hat, dass Mieter und Mieterinnen geschützt
werden können und dass sie den Weg zum Gericht suchen können . Aber sie funktioniert nicht, weil es keine
Sanktionsmechanismen gibt . Außerdem weiß der Mieter
aufgrund der fehlenden Transparenz oft nicht, wie viel
vom Vormieter verlangt wurde . Das wollen wir korrigieren . Hier wollen wir nachschärfen .
Wir haben das Wohngeld erhöht . Ich glaube, auch die
Städtebauförderung kann sich sehen lassen . Sie ist ein
Erfolgsmodell, ein Erfolgsinstrument, um neben der Aufwertung der Stadtteile diese auch zu gestalten . Wir müssen uns in der nächsten Legislatur um das Thema „Gemeinwohlorientierung, Gemeinnützigkeit“ kümmern .
({6})
Wir brauchen einen Wohnungsbau, der sich an bezahlbaren Mieten orientiert . Ich glaube, dass man in der
nächsten Koalitionsvereinbarung beschreiben muss, was
man darunter versteht . Es ist nicht die Zeit ideologischer
Grabenkämpfe . Wir müssen aber die belohnen, die bezahlbaren Wohnraum schaffen und die sich um das Gemeinwesen im Stadtteil kümmern . Das muss unser erstes
Ziel sein .
({7})
Es gibt drei Punkte, die sich aus der Prognos-Studie,
die im Auftrag des Verbändebündnisses Wohnungsbau
durchgeführt wurde und die in der letzten Woche veröffentlicht wurde, herauskristallisiert haben .
Erstens . Ein großer Kostentreiber ist der Bodenpreis .
Wir müssen der Spekulation den Boden entziehen . Dazu
brauchen wir handlungsfähige Kommunen .
({8})
Zweitens . Wir müssen das BauGB schärfen, damit der
Spekulation der Boden entzogen wird .
({9})
Drittens . Wir müssen insgesamt dafür sorgen, dass es
starke Genossenschaften und starke kommunale Wohnungsunternehmen gibt, die für die entsprechende Zielgruppe Wohnungen bereithalten .
({10})
- Ja, wir wollen das ja dann vielleicht in einer neuen Koalition vereinbaren .
({11})
Das ist deshalb so wichtig, weil von den 40 Millionen
Wohnungen in Deutschland gerade einmal 4,5 Millionen Wohnungen in öffentlicher Hand oder in Genossenschaftshand sind . Das ist ein viel zu kleines Korrektiv .
Diese 4,5 Millionen Wohnungen, die in kommunaler
oder genossenschaftlicher Hand sind, machen 60 Prozent
der preisgebundenen Wohnungen aus . Insofern müssen
diese Akteure unbedingt gestärkt werden .
Herzlichen Dank . Glück auf!
({12})
Caren Lay hat als nächste Rednerin für die Fraktion
Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Eines freut mich ausdrücklich: dass in den letzten Wochen und Monaten, insbesondere bei den letzten
Podiumsdiskussionen, von denen es kurz vor dem Wahlkampf viele gegeben hat, alle Parteien, auch die Union,
betont haben, wie wichtig der soziale Wohnungsbau ist
und wie gut es war, dass der Bund dafür mehr Geld bereitgestellt hat .
({0})
Das ist wirklich ein Lernprozess, den vor allen Dingen
die Union mitgemacht hat . Ich kann mich noch sehr gut
erinnern: Als ich vor fünf Jahren an dieser Stelle zum ersten Mal einen Neustart im sozialen Wohnungsbau gefordert habe, kam von Ihrer Seite nur die Antwort: Das ist ja
Gropiusstadt, das ist DDR, das ist Plattenbau . Das wollen
wir nicht. - Ich finde es gut, dass Sie dazugelernt haben.
({1})
Jetzt aber zur Bilanz, meine verehrten Damen und
Herren . Zu Beginn dieser Legislatur gab es noch 1,5 Millionen Sozialwohnungen . Nach aktuellen Zahlen sind es
noch 1,25 Millionen Sozialwohnungen . Das ist also unter dem Strich ein Minus von 250 000 Sozialwohnungen .
Das ist wirklich kein Anlass für eine Jubelbilanz .
({2})
Das ist ein weiterer Niedergang des sozialen Wohnungsbaus, und das darf einfach nicht sein .
({3})
Deswegen darf man auch nicht von einer Trendwende
sprechen, meine Damen und Herren . Wir haben in der
Tat einen Neubau von 25 000 Sozialwohnungen . Aber
wir wissen, dass unter dem Strich mindestens 25 000 bis
50 000 Sozialwohnungen wegfallen; das ist die traurige
Wahrheit . Dabei brauchen Mieterinnen und Mieter den
sozialen Wohnungsbau so dringend wie nie zuvor . In der
letzten Woche wurde eine Studie veröffentlicht, die belegt, dass inzwischen die Hälfte der Bundesbürger in angespannten Wohnungsmärkten lebt . Das Schlimmste ist,
dass die Mietpreisentwicklung so rasant nach oben geht,
die Löhne aber stagnieren . Diese beiden Werte entkoppeln sich immer weiter . Das heißt, wir haben es wirklich
mit Wohnungsnot zu tun . Das führt zu einer Enteignung
der städtischen Mittelschichten . Deswegen sagen wir als
Linke: Wir brauchen höhere Löhne und niedrigere Mieten .
({4})
Wie sind wir dahin gekommen? In der Tat war die
Entscheidung 2006, die Verantwortung für den sozialen
Wohnungsbau komplett an die Länder zu geben, keine
gute Entscheidung . Nur die Linke hat damals dagegen
protestiert . Heute sehen wir, wie recht wir damals hatten .
({5})
Es gibt einige Länder, zum Beispiel Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, die über
Jahre gar keine Sozialwohnungen mehr gebaut haben .
Die Gelder werden in Haushaltslöcher gesteckt oder in
Eigentumsmaßnahmen investiert . Über 600 Millionen
Euro wurden im letzten Jahr mit den Geldern, die wir
vom Bund für den sozialen Wohnungsbau den Ländern
geben, für Eigentumsmaßnahmen ausgegeben . Das ist
eine falsche Prioritätensetzung, und damit versündigen
sich die Länder an den Mieterinnen und Mietern .
({6})
Ich habe noch keinen Wohnungsexperten gehört, der
bisher gesagt hat, dass es eine gute Idee war, die Verantwortung komplett an die Länder zu geben . Ich glaube
auch, es war ein schwerer Fehler . Es wird höchste Zeit,
das rückgängig zu machen .
({7})
Wenn wir es nicht tun, dann kann ab dem Jahr 2020
kein müder Euro des Bundes mehr für den sozialen
Wohnungsbau oder für die soziale Wohnraumförderung
ausgegeben werden . Das halte ich schlichtweg für eine
soziale Katastrophe . Frau Hendricks hat es auch so gesehen . Schade, dass sie nicht mehr da sein kann . Sie
hat im August letzten Jahres gesagt: Wir brauchen eine
Grundgesetzänderung . - Dann, ein halbes bzw . Dreivierteljahr später, wurde das Grundgesetz an 13 Stellen im
Rahmen des Länderfinanzausgleichs geändert. Es wäre
eine Supergelegenheit gewesen, das in einem Rutsch zu
beschließen .
({8})
Klar, die CDU/CSU wollte es nicht, aber ich habe, ehrlich gesagt, die SPD nicht kämpfen sehen . Ich weiß, dass
Sie sich für diese Forderung jetzt im Wahlkampf starkmachen, auch Herr Schulz . Es früher zu machen, wäre
der richtige Zeitpunkt gewesen . Es nur im Wahlkampf
zu machen, finde ich, ehrlich gesagt, etwas unanständig.
({9})
Ich möchte zu guter Letzt noch auf einige Gegenargumente eingehen, um vielleicht noch einmal um Zustimmung zu unserem Antrag zu werben, insbesondere bei der
SPD und bei den Grünen . Ich habe zum Beispiel in den
Medien in den letzten Wochen gehört: Das wird eh nichts
mehr . Aber es gibt vielleicht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine neue Gemeinnützigkeit . - Die wollen
wir ja auch; aber das eine schließt das andere doch nicht
aus . Und auch gemeinnützige Unternehmen freuen sich
über direkte Zuschüsse vom Bund . Angesichts der hohen
Bau- und Bodenpreise brauchen auch gemeinnützige UnMichael Groß
ternehmen, die wir erst einmal gründen müssen, zukünftig die Unterstützung vom Bund .
({10})
Ich weiß, meine Damen und Herren, es gab Fehler beim alten sozialen Wohnungsbau . Es ist völliger
Quatsch, dass zum Beispiel die Bindungen nach 15 Jahren auslaufen . Aber um diese Fehler zu beheben, muss
der Bund endlich wieder in Verantwortung kommen .
({11})
Ich vermute natürlich, dass die eigentlichen Blockierer, diejenigen, die es nicht wollen, natürlich nicht SPD
und Grüne sind, sondern in der CDU/CSU sitzen .
({12})
- Ja, Sie können mich ja gleich gerne vom Gegenteil
überzeugen . - Mein Verdacht ist, dass es leider kein Zufall war, den sozialen Wohnungsbau an die Wand zu fahren,
({13})
sondern dass es politisch gewollt war . Das ist einfach
nicht in Ordnung .
({14})
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss .
Es ist eigentlich auch egal; denn man braucht Sie nicht
zu zwingen . Wir haben schon heute Morgen gesehen,
wie schön es ist, wenn man hier mit rot-rot-grünen Mehrheiten sinnvolle Dinge beschließt . Ich kann nur sagen:
Weiter so! Warum jetzt nicht auch die Zustimmung geben, sozialen Wohnungsbau nach 2019 auf den Weg zu
bringen?
Liebe Sozialdemokraten, geben Sie sich einen Ruck
für eine positive Entscheidung . Die Wählerinnen und
Wähler werden es Ihnen sicherlich danken .
Vielen Dank .
({15})
Sylvia Jörrißen hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Schon oft haben wir im Hohen Haus über die soziale Wohnraumförderung debattiert .
({0})
- Ja, zuletzt vor sechs Wochen, wegen der Großen Anfrage der Linken .
Ich glaube, das zeigt ein Stück weit, wie wichtig uns
allen gemeinsam dieses Thema ist und wie ernst auch wir
es nehmen . Zweifelsohne ist Wohnen die Basis für ziemlich alles, was unser Leben ausmacht . Wohnen muss jeder von uns . Eine angemessene Wohnung muss für jeden
da sein und für jeden bezahlbar sein, auch für Bezieher
unterer und mittlerer Einkommen .
({1})
Aber, meine Damen und Herren, die Wohnungsmärkte
sind differenziert, und genauso differenziert müssen auch
unsere Antworten sein . Vor allem, liebe Kolleginnen und
Kollegen, sollten wir als Bundespolitiker unseren Fokus
zumindest mit auf die Themen richten, für die der Bund
überhaupt zuständig ist .
({2})
Für den sozialen Wohnungsbau ist der Bund seit der Föderalismusreform 2006 nicht mehr zuständig . Dennoch
haben wir in dieser Legislaturperiode alles darangesetzt,
seine Förderung wiederzubeleben .
({3})
Die Zahl der Sozialwohnungen ist seit 2002 um etwa
1 Million geschrumpft . Jährlich fallen rund 80 000 Wohnungen aus der Belegungsbindung . Nach dem aktuellen
Bericht der Bundesregierung wurden 2016 insgesamt
fast 62 000 Wohnungen gefördert, über 24 000 davon
neu gebaut . Das entspricht einem Plus von 10 000 neuen
Wohnungen im Vergleich zum Vorjahr .
({4})
Festzustellen ist allerdings, dass durch die Verdoppelung der Kompensationsmittel in 2016 keine entsprechende Verdopplung der Zahl der geförderten Sozialwohnungen erzielt wurde,
({5})
vor allem deshalb, weil die Länder ihren Mitteleinsatz
nicht im gleichen Maße wie der Bund erhöht haben .
Meine Damen und Herren, es geht mir hier nicht darum, den Schwarzen Peter der Verantwortung weiterzureichen . Es geht ganz klar um Zuständigkeiten .
({6})
Die föderale Kompetenzordnung für den Bereich der sozialen Wohnraumförderung ist bis 2019 und darüber hinaus klar verfassungsrechtlich geregelt: Hierfür sind die
Bundesländer zuständig .
({7})
Das wollten die Bundesländer so, und das macht auch
Sinn, da sich die Wohnungsteilmärkte regional sehr unterschiedlich entwickeln und die Länder passgenaue
Maßnahmen für die Teilmärkte auf den Weg bringen
können .
({8})
- Ja . - Entscheidend ist eben nur, dass die zur Verfügung
gestellten Mittel auch zweckgebunden eingesetzt werden, nämlich für den Bau von bezahlbaren Wohnungen
und nicht für Investitionen außerhalb der Wohnraumförderung; aber genau dafür wird bis heute noch ein Teil der
Mittel genutzt . Das nenne ich ein verantwortungsloses
Verhalten der Länder .
({9})
Zahlreiche Debatten haben wir hierzu schon geführt .
Fakt ist, dass die Länder sehr unterschiedlich mit den
Geldern umgehen .
Obwohl wir als Bund keine Zuständigkeit mehr haben,
entziehen wir uns hier nicht der Verantwortung . Wir haben die Kompensationsmittel deutlich erhöht . Von 2016
bis 2019 erhalten die Länder insgesamt über 5 Milliarden
Euro für den sozialen Wohnungsbau . Allein in diesem
Jahr sind es 1,5 Milliarden Euro .
Nachdem die Kompensationsmittel 2019 ausgelaufen
sind, stehen den Ländern ab 2020 zusätzliche Umsatzsteuermittel zur Verfügung . Dies war in den Verhandlungen über die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen eine Forderung der Länder . Wegfallende
Kompensationsmittel werden also durch andere Mittel
kompensiert . Die Länder erhalten nicht weniger, sondern
mehr Geld, meine Damen und Herren .
({10})
Eine Grundgesetzänderung, die hier eine gemeinsame Zuständigkeit vorsah, wurde von den Ländern ausdrücklich abgelehnt . Damit bleibt die vollständige Verantwortung bei den Ländern . Darauf haben wir uns am
14 . Oktober 2016 geeinigt, und damit wurde ausdrücklich dem Wunsch der Länder entsprochen . Nun müssen
die Länder in eigener Verantwortung entscheiden, wie
sie ihre Einnahmen zur Erfüllung ihrer Aufgaben nutzen .
Zu diesen Aufgaben gehört selbstverständlich auch die
soziale Wohnraumförderung . Als Bund werden wir dies
weiterhin beobachten und anmahnen .
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns aber auch
über die Bereiche sprechen, für die der Bund zuständig
ist . Denn soziale Verantwortung in der Wohnungspolitik
bedeutet mehr als nur sozialer Wohnungsbau, und wir
übernehmen sie erfolgreich . Neben der Objektförderung
bauen wir auch auf die Subjektförderung . Hier betrachten wir die individuelle Situation der Menschen und fördern über das Wohngeld, das wir in dieser Wahlperiode
deutlich erhöht haben .
({11})
Seit Januar letzten Jahres profitieren 870 000 Haushalte davon, und über ein Drittel der Bezieher sind als
neue Berechtigte dazugekommen . Wir haben bereits im
Gesetz eine regelmäßige Überprüfung - alle zwei Jahre - verankert, so wie es die Bauministerin erst kürzlich
gefordert hat . Die regelmäßige Überprüfung der Höchstbeträge für Mieten, der Mietstufen und der Höhe des
Wohngeldes steht bereits in § 39 des Wohngeldgesetzes .
Meine Damen und Herren, der Schutz der Mieter erfolgt darüber hinaus durch eine ausgewogene mietrechtliche Flankierung, wobei ein soziales Mietrecht immer
die berechtigten Interessen beider Seiten, die des Mieters
auf der einen Seite und die des Vermieters, also des Eigentümers, auf der anderen Seite, im Blick haben muss .
({12})
Wir haben ein sehr ausdifferenziertes Kündigungsschutzsystem, das nur wirklich berechtigte Kündigungen zulässt .
({13})
In dieser Wahlperiode haben wir mit der Mietpreisbremse die Rechte der Mieter weiter ausgebaut . Herr
Groß, jetzt können wir darüber streiten, ob sie funktioniert .
({14})
Der Deutsche Mieterbund jedenfalls bestätigt, dass Mieter in allen Konstellationen, in denen sie sich auf die
Mietpreisbremse berufen haben, in den Urteilen ausnahmslos recht bekommen haben .
({15})
Meine Damen und Herren, die Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum für alle Bevölkerungsgruppen ist
ein oberes Ziel unserer Fraktion . Um den Druck aus den
überhitzten Märkten zu nehmen, ist es vor allem wichtig, neuen Wohnraum zu schaffen . Aber die Fokussierung
allein auf den sozialen Wohnungsbau reicht dabei nicht
aus . Wir müssen auch privates Kapital mobilisieren . Aus
einer Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und
Raumforschung geht hervor, dass private Vermieter mit
etwa 15 Millionen Wohnungen die mit Abstand größte
Anbietergruppe auf dem deutschen Mietwohnungsmarkt
sind . Sieben von zehn Wohnungen privater Vermieter
befinden sich in Mehrfamilienhäusern. Wir müssen auch
diese Gruppe unterstützen; denn sie leistet einen wichtigen Beitrag zur Versorgung unserer Gesellschaft mit
Wohnraum .
({16})
Eine steuerliche Förderung hätte, richtig eingesetzt,
schnell und genau dort wirken können, wo der Druck auf
die Wohnungsmärkte am größten ist .
({17})
Insofern hat es mich sehr enttäuscht, dass dies mit unserem Koalitionspartner nicht möglich war .
({18})
Denn dieses Mittel war nicht nur eine Forderung des
Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen, sondern
auch ein gemeinsamer Vorschlag Ihrer Bauministerin
und des Bundesfinanzministers.
({19})
Zu kurz kommt mir derzeit auch der Blick auf das
selbstgenutzte Wohneigentum . Deutschland liegt mit seiner Eigentumsquote im europäischen Vergleich an vorletzter Stelle . Wir müssen dringend auch diese Form des
Wohnens fördern, vor allem für Familien und Bezieher
mittlerer Einkommen . Selbstgenutztes Wohneigentum
stabilisiert Wohnquartiere, ist eine wichtige Altersvorsorge und macht durch Umzugsketten am Ende immer auch
eine Mietwohnung frei .
Meine Damen und Herren, egal wie: Wir müssen bauen, bauen, bauen . Sinkende Kosten beim Bauen - ich
wäre schon mit nicht ständig weiter steigenden Kosten
zufrieden - wären ein wichtiger Faktor, um Investitionen
anzuregen, und auch eine Voraussetzung, dass die Mieten
bezahlbar bleiben .
Im Rahmen des Bündnisses für bezahlbares Wohnen
und Bauen wurden einige Kostentreiber identifiziert und
Maßnahmen entwickelt, die hier entgegenwirken . Diese
müssen mit noch mehr Nachdruck umgesetzt werden .
Gleichzeitig muss auch die Verwaltung ihren Teil dazu
tun . Prozesse sind zu straffen, Genehmigungsverfahren
zu beschleunigen . Nachverdichtung und Aufstockungen sind ein wichtiges Instrument, jedoch nicht immer
möglich und auch nicht ausreichend . Wir müssen unsere Kommunen dazu bringen, mehr und zügiger Bauland
auszuweisen .
({20})
Zu guter Letzt müssen wir auch mutig sein, beim
Bauen auf Innovation zu setzen . Serielles und modulares
Bauen wird in Zukunft wichtiger werden . Mit hohen Vorfertigungsgraden sind erhebliche Einsparungen möglich,
zeitlich und finanziell. Hier müssen innovative Formen
entwickelt werden, selbstverständlich bei gleichzeitiger
Berücksichtigung der baukulturellen Qualitäten .
({21})
Meine Damen und Herren, wir haben viel geschafft
in dieser Legislaturperiode . Wir sind noch nicht am Ziel,
aber auf einem guten Weg .
Danke schön .
({22})
Christian Kühn hat jetzt für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen als nächster Redner das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Was man nicht alles machen soll, Michael
Groß: Spekulationen unterbinden, sich Bodenpolitik
widmen, sich einer neuen Gemeinnützigkeit stellen . Ich
kann hier nur eines sagen: Wir Grüne haben in dieser Legislaturperiode die Bauministerin nicht gestellt . Wir haben sie nicht gestellt, sondern die SPD . Sie hätten sich all
dieser Fragen annehmen können . Das habt ihr aber nicht
in ausreichendem Maß getan .
({0})
Spätestens 2019 haben wir ein Riesenproblem: Die
Fördermittel für sozialen Wohnraum laufen aus, die
Schuldenbremse greift ab 2020, und der Bund verliert
seine Zuständigkeit . Diese Große Koalition feiert sich
dafür, dass sie die Fördermittel für den sozialen Wohnungsbau in wenigen Jahren um das Dreifache erhöht
hat . Aber Sie haben damit nichts erreicht . Das ist nur ein
Strohfeuer . Das wird keinen nachhaltigen Effekt auf die
Entwicklung des bezahlbaren Wohnens in Deutschland
haben . Sie haben sich der zentralen Frage, wie bezahlbares Wohnen im nächsten Jahrzehnt zu sichern ist, nicht
gestellt . Das ist ein Armutszeugnis für die Große Koalition . Sie hätten hier mehr erreichen können .
({1})
Die Verteilungskämpfe in den Ländern werden ab
2020 zunehmen . Bildung als Infrastrukturaufgabe, Kinderbetreuung, gute Verkehrsinfrastruktur, Ausbau des öffentlichen Verkehrs, Investitionen in Sicherheit - all dem
müssen wir uns in der nächsten Legislaturperiode stellen .
Der Bund muss nachhaltig in bezahlbares Wohnen investieren; denn die Länder werden diese Mammutaufgabe
in den nächsten Jahren nicht stemmen können . Wir Grüne stehen, im Gegensatz zur CDU/CSU, an der Seite der
Bundesländer .
({2})
Die Verteilungskämpfe auf den Wohnungsmärkten
werden immer schlimmer werden: für die Studenten, für
die jungen Familien und für die Geringverdiener, die sich
in den Ballungsräumen nicht mehr mit einer Wohnung
versorgen können, weil sie einen kleinen Geldbeutel haben .
Es geht hier nicht um Zuständigkeiten, Frau Jörrißen .
({3})
Es geht um die Menschen, die aus den Städten verdrängt
werden, weil sie sich die Mieten nicht mehr leisten können .
({4})
Sie können über Zuständigkeiten streiten, wir streiten
für die Menschen und die Mieterinnen und Mieter in
Deutschland .
({5})
Es ist ein Problem mit Ansage . Seit vier Jahren reden
wir darüber: Wie geht es nach 2019 weiter? Die Koalition hat sich dieser Frage nicht gestellt .
({6})
Die Zahlen sprechen doch eine deutliche Sprache: minus 50 000 Sozialwohnungen pro Jahr . Wir bauen gerade
einmal 25 000 neue Wohnungen, dabei haben wir einen
Bedarf von 80 000 Wohnungen . Da kann man doch nicht
von einer Trendwende sprechen . Das ist ein Offenbarungseid . Das ist auch das Ergebnis der Politik von CDU/
CSU; denn Sie stellten immerhin in den letzten zwölf
Jahren die Bundesregierung .
({7})
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Ich lasse gerne eine Zwischenfrage zu .
Herr Kollege Kühn, wir sind uns in der Analyse in
vielen Punkten einig, aber ich möchte Sie bitten, Folgendes zur Kenntnis zu nehmen: Wenn ich mir die Übersicht über die gebauten gebundenen Mietwohnungen im
Jahr 2016 in Baden-Württemberg anschaue, dann muss
ich feststellen - Ihre Partei trägt in Baden-Württemberg
die Regierungsverantwortung, sie stellt den Ministerpräsidenten, den Sie heute noch für seine hervorragende Politik bei der Ehe für alle gelobt haben -, dass Sie
zwischen 2015 und 2016 bei der sozialen Wohnraumförderung 500 Wohnungen weniger geschaffen haben .
Sie haben uns kritisiert und gesagt, unsere Politik ist ein
Armutszeugnis . Aber ich würde sagen: Auch das ist ein
Armutszeugnis .
({0})
Des Weiteren möchte ich Sie darauf hinweisen, dass
wir in dieser Legislatur gerade die Kommunen zusätzlich
entlastet haben, aus meiner Sicht zwar nicht genügend,
aber immerhin haben wir den Kommunen 25 Milliarden
Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt .
({1})
Wir haben 5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, um
für zusätzlichen Spielraum zu sorgen . Das ist ein erster
wichtiger Schritt, um gute Bodenpolitik zu machen, um
für mehr Personal in den Verwaltungen zu sorgen und um
das BauGB vernünftig anwenden zu können .
Danke, Herr Groß, für Ihre Frage .
({0})
Ich beantworte sie auch gerne . Dafür müssten Sie allerdings stehenbleiben; denn sonst läuft meine Redezeit
weiter . Das ist für mich sehr elementar; denn ich würde
Ihnen gerne einiges für diesen Sommer mit auf den Weg
geben .
Das Thema, das Sie angesprochen haben, wurde auch
im Ausschuss von Herrn Pronold und von der Kollegin
Schwarzelühr-Sutter angesprochen . Ich kann es der SPD
nicht ersparen: Die Bauzahlen von 2016 sind die Zahlen, die wir gemeinsam als grün-rote Koalition in Baden-Württemberg zu verantworten haben . Wir beide als
Baupolitiker wissen: Bauprojekte fallen nicht vom Himmel, sondern sie werden geplant, sie werden finanziert
und dann errichtet .
Die Zahlen von 2016 sind Zahlen aus unserer gemeinsamen Zeit .
({1})
Aber diese Zahlen hatte kein grüner Minister, sondern
ein Bauminister der SPD zu verantworten, nämlich Nils
Schmid .
({2})
- Ja, genau . - Das hatte er zu verantworten .
Ich will die von Ihnen genannte Zahl erläutern; so
schlecht sind die Zahlen von Nils Schmid nämlich gar
nicht . Baden-Württemberg hat im Gegensatz zu anderen
Bundesländern ein Sonderprogramm zur Flüchtlingsunterbringung aufgelegt . Das war in einer Zeit, in der wir
in den Städten händeringend Wohnraum gesucht haben,
um die Geflüchteten unterzubringen. In Baden-Württemberg wurde ein Sonderprogramm mit einem 25-prozentigen Bauzuschuss gefahren, und damit haben wir
deutlich mehr Wohnungen errichtet . Die Kommunen
haben in dieser Phase vom sozialen Wohnungsbau zum
Wohnungsbau für Geflüchtete umgeswitcht, um diese
Mammutaufgabe, diese große gesellschaftliche Aufgabe
zu stemmen . Deswegen spiegeln diese Zahlen nicht die
Realität in Baden-Württemberg wider . Sie sind Ausdruck
unserer gemeinsamen Politik . Für diese Politik stehe ich
ein . Wenn die SPD sich davon verabschieden will, kann
sie das tun .
Christian Kühn ({3})
Nun zu der Frage nach den Kommunen . Der zweite
Teil Ihrer Frage ist ja noch nicht beantwortet .
Lieber Kollege, jetzt übertreiben Sie es nicht . Jetzt ist
die Frage beantwortet .
({0})
Gut . - Über dieses Thema haben wir uns ja auch schon
im Unterausschuss Kommunales mit der SPD ausgetauscht .
Wir Grüne kämpfen hier nicht für die Illusion oder die
Fata Morgana, so will ich es einmal sagen, einer Grundgesetzänderung in der nächsten Wahlperiode . In Sachen
Wohnen hätte sie in dieser Wahlperiode auf den Weg gebracht werden müssen . Ich habe nicht genug Fantasie,
um daran zu glauben, dass es uns in der nächsten Legislaturperiode noch einmal gelingt, diese Frage im Verbund mit allen Ländern anzugehen . Wenn wir nun sehen,
dass die Länder nicht klarkommen und es keine Verfassungsänderung geben wird, dann müssen wir als Bund
doch alle Möglichkeiten, die wir haben, ergreifen, um
das Segment des bezahlbaren Wohnraums, des sozial gebundenen Wohnraums, des gemeinnützigen Wohnraums,
wirklich voranzubringen .
({0})
Dafür gibt es im Augenblick nur eine Idee . Diese Idee
haben wir Grüne und die Linken hier mehrfach ins Parlament eingebracht . Es geht um eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit . Dieser Frage müssen sich endlich einmal
CDU, aber auch SPD wirklich offensiv stellen .
({1})
Wir haben das getan . Wir haben unsere Vorschläge hier
eingebracht .
({2})
Beim Thema Wohnungsgemeinnützigkeit geht es um
die Frage, wie wir mit unseren vorhandenen Mitteln,
über das Steuerrecht, ein Investment in den Städten anregen können, wie wir eine wirkliche Stadtrendite erzielen
können, wie wir dafür sorgen können, dass die Menschen
wieder selbst in ihre Stadt investieren . Es geht um die
Frage, wie wir dafür sorgen können, dass sozialer Wohnraum wirklich auf Dauer gebunden ist . Eine Bindung
von 10, 15, 20 Jahren ist in der Infrastrukturpolitik doch
nur ein Wimpernschlag . Das ist nicht nachhaltig . Ehrlich
gesagt, auf Dauer betrachtet ist die Investition in kurzfristige Bindungen sogar eine Verschwendung von Steuergeldern . Es bedarf endlich eines auf Dauer angelegten
Segments . Der Staat muss auf Dauer die Bereitstellung
von bezahlbarem Wohnraum realisieren .
({3})
Im Rahmen einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit ist
das möglich . Ich glaube, Sie von der Union, Frau Dött,
und Sie von der SPD werden nicht umhinkommen, sich
dieser Frage in den nächsten Jahren zu stellen . Ohne eine
neue Wohnungsgemeinnützigkeit wird es nicht möglich
sein, eine dauerhafte Trendwende auf den Wohnungsmärkten zu gewährleisten .
({4})
Wir Grüne kämpfen für eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit . Wir glauben, dass es Unternehmen und Menschen gibt, die sich für diese Idee begeistern können, die
dafür sorgen werden, dass die Menschen sich ihre Stadt
zurückerobern, und auf Dauer bezahlbaren Wohnraum
schaffen . Wir Grüne glauben, dass der gesellschaftliche
Mehrwert die beste Rendite ist, die wir für unsere Städte
erwirtschaften können .
Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit, und danke für
die Zwischenfrage, lieber Kollege Groß .
({5})
Klaus Mindrup hat als nächster Redner für die
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Es ist die Aufgabe der Politik, sich auf allen Ebenen, in den Gemeinden,
den Ländern und im Bund, dafür einzusetzen, dass ausreichend sicherer und bezahlbarer Wohnraum vorhanden
ist .
Damit kommen wir aber auch schon zum ersten Problem, zum Problem der Zuständigkeiten . Im Jahr 2006
sind Bundesrat und Bundestag im Zuge der Föderalismusreform davon ausgegangen, dass wir in Deutschland
eine schrumpfende Bevölkerungszahl und einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt haben werden . Deswegen
wurden die Kompetenzen für den sozialen Wohnungsbau
auf die Länder übertragen . Das war und das ist aus meiner Sicht eine Fehlentscheidung .
({0})
Wir sind ein Land, das Statistiken für alles Mögliche
hat . Wir haben aber keine Statistik für Obdachlosigkeit in
Deutschland . Dabei ist diese Zahl ein ganz wichtiger Indikator für die Lage auf dem deutschen Wohnungsmarkt .
({1})
Hierzu gibt es nur die Zahlen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe; Kollege Groß hat sie
schon erwähnt . Diese Zahlen sind dramatisch . Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe prognostiziert, dass es von 2015 bis 2018 einen Zuwachs um
200 000 Wohnungslose auf dann 536 000 wohnungslose
Christian Kühn ({2})
Menschen geben wird . 536 000 wohnungslose Menschen
in einem reichen Land wie der Bundesrepublik Deutschland! Ich halte das für einen Skandal .
({3})
Wir haben in der Großen Koalition - das ist ein Erfolg; aber wir haben um jeden Euro hart gekämpft - die
Mittel für den sozialen Wohnungsbau auf 1,5 Milliarden
Euro pro Jahr verdreifacht . Diese Mittel werden aber das ist schon gesagt worden - auslaufen . Ich gehe fest
davon aus, dass diese Summe nicht ausreicht .
Man muss sie in Relation zu einer anderen Zahl setzen: Ich nehme an, dass Bund, Länder und Gemeinden
in diesem Jahr ungefähr 18 Milliarden Euro für Wohngeld, Kosten der Unterkunft und die Unterbringung von
Obdachlosen ausgeben werden . Damit stehen 1,5 Milliarden Euro vom Bund der Summe von 16,5 Milliarden
Euro gegenüber, welche von den Ländern und Gemeinden ausgegeben werden: Das ist kein gutes Verhältnis .
Es gibt eine andere Zahl, die wichtig ist . Im Jahr 2016 Kollege Groß hat das auch schon gesagt - wurden 25 000
sozial gebundene Wohnungen neu gebaut, 10 000 mehr
als im Jahr davor . Wir brauchen aber nach Angaben der
Wohnungswirtschaft und des Mieterbundes 80 000 pro
Jahr. Das heißt, dass das Defizit gewachsen ist. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum hat also zugenommen .
Man sieht das daran, dass die Lage in den betroffenen
Wohnungsmärkten immer dramatischer wird . Gründe dafür sind drei Megatrends:
Erstens ziehen - das ist weltweit der Fall - immer
mehr Menschen in die Städte .
Zweitens ist es so, dass Deutschland aufgrund seiner
wirtschaftlichen Stärke - was eigentlich ein Erfolg ist ein europäisches Einwanderungsland ist .
Der dritte Megatrend ist der demografische Wandel.
Wir alle werden immer älter und brauchen deswegen immer mehr altersgerechte und barrierefreie Wohnungen .
Die Sicherung von bezahlbarem Wohnraum ist daher
eine Gemeinschaftsaufgabe . Das ist eine gesellschaftliche Realität, auch wenn sie sich vielleicht nicht in unserem Grundgesetz widerspiegelt .
({4})
Was müssen wir also tun? Wir brauchen ein neues soziales Mietrecht . Das bisherige Mietrecht schafft falsche
Anreize . Es wird der Vermieter belohnt, der teuer und an
den Bedürfnissen der Mieterinnen und Mieter vorbei modernisiert . Das kann nicht sein!
({5})
Wir müssen gegen den sich ausbreitenden „grauen
Baumarkt“ mit dem Ziel der Entmietung vorgehen . Darüber habe ich hier schon ausführlich gesprochen . Heiko
Maas hat ein gutes Mietrechtspaket II vorgelegt . Leider
hat es dieses Haus aufgrund der Blockade der Union
nicht erreicht, um es zu beschließen. Das ist, finde ich,
wirklich ein Skandal!
({6})
Wir brauchen natürlich auch Wohnungsneubau . Wir
bekommen die notwendige Akzeptanz dafür aber nur
hin, wenn wirklich bezahlbarer Wohnraum entsteht . Dafür müssen drei Voraussetzungen vorliegen: Erstens . Wir
müssen kostengünstig, aber trotzdem gut bauen . Zweitens . Wir brauchen bezahlbaren Grund und Boden . Drittens . Man wird an einer Förderung durch langfristig zu
vergebende zinsgünstige Darlehen und Zuschüsse von
Bund und Ländern nicht vorbeikommen .
Ich möchte, weil die Zeit knapp ist, jetzt nur auf die
Bodenpolitik eingehen . Wir brauchen eine neue Bodenpolitik der öffentlichen Hand .
({7})
Es ist wichtig, zu verstehen, dass unterschiedliche Anbieter auf unterschiedlichen Märkten um das knappe Gut
Boden konkurrieren . Wir lassen aber nicht einen Radrennfahrer, auch wenn es nur um das Hinter-sich-Bringen
einer Strecke geht, gegen ein Formel-1-Auto antreten .
Wenn eine Kita, eine Behinderteneinrichtung oder ein soziales Wohnungsbauprojekt gegen einen Entwickler von
Luxuswohnungen antreten muss und nur der Preis zählt,
ist doch klar, wer gewinnt . Deswegen brauchen wir Festpreise, Konzeptverfahren und klare Garantien, dass die
Konzepte von den Erwerbern auch umgesetzt werden .
({8})
Ähnliche Modelle gibt es in Bayern übrigens mit dem
Einheimischenmodell, was man auf andere Gruppen
übertragen könnte . Dazu müsste es hier doch eigentlich
einen Konsens geben .
({9})
Wir brauchen weiterhin gestärkte Vorkaufsrechte der Gemeinden, und wir müssen entschiedener - auch im Steuerrecht - gegen Spekulationen vorgehen .
Ich bin fest davon überzeugt, dass man in der nächsten
Legislaturperiode nicht länger wegsehen kann . Deswegen habe ich auch eine andere Auffassung als Sie, was
die Gemeinschaftsaufgabe angeht . Ich gehe davon aus,
dass das Grundgesetz in der nächsten Legislaturperiode
geändert wird und dass wir eine Gemeinschaftsaufgabe
„Wohnen für alle“ bekommen . Dafür wird sich die SPD
im Wahlkampf entschieden einsetzen .
({10})
Ich wünsche Ihnen eine schöne Sommerpause . Wir sehen uns im September wieder .
Danke schön .
({11})
Als letzter Redner in dieser Aussprache hat Artur
Auernhammer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Kollege Mindrup, lieber Klaus, Danke
für das Lob in Richtung Bayern . Es kann nicht genug
Lob für Bayern geben; da gibt es keine Obergrenze . Also
immer so weitermachen!
({0})
Ich hoffe, dass es auch in der nächsten Legislaturperiode
so weitergehen wird .
Wir diskutieren heute über den sozialen Wohnungsbau . Es ist bereits des Öfteren gefragt worden: Worin liegen eigentlich die Ursachen für den Wohnungsmangel?
Warum gibt es zu wenige Wohnungen gerade in den Ballungsräumen?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
den Trend, dass alle Menschen in die großen Städte bzw .
in die Ballungsräume ziehen wollen .
({1})
Was ist die Ursache? Wir müssen stärker an der Attraktivität unserer ländlichen Räume arbeiten, damit die
Menschen dort zu Hause und damit in ihren Wohnungen
bleiben .
({2})
Der sozialste Wohnungsbau ist der Wohnungsbau, der
Wohneigentum schafft, weil das auch ein Stück weit Altersvorsorge für die Menschen ist .
({3})
Deshalb ist es wichtig, den sozialen Wohnungsbau in diesem Jahr weiter voranzubringen, aber es ist auch wichtig,
dafür zu sorgen, dass sich die Menschen Wohneigentum
schaffen können .
({4})
In letzter Zeit war die Entwicklung auf den Immobilienmärkten - ich sage es einmal so - alles andere als gesund . Gerade in den Ballungsräumen haben wir Preissteigerungen erlebt, die dazu führen, dass sich ein normal
verdienender Mensch kein Eigentum mehr leisten kann;
das wissen wir . Hier brauchen wir Lösungen und müssen
wir ansetzen .
Meine Sorge ist: Ich habe in letzter Zeit bemerkt, dass
gerade die Bauwirtschaft volle Auftragsbücher und einen
Arbeitskräftemangel hat . Hier müssten wir die Bauwirtschaft eigentlich wieder mehr unterstützen und junge
Menschen stärker mobilisieren . Es muss für den einen
oder anderen jungen Menschen wieder interessanter sein,
Polier am Bau zu lernen, als ein Abitur und ein Studium
zu machen . Wir brauchen wieder mehr Handwerker statt
Mundwerker - auch in der Bauwirtschaft .
Das Thema Bauland ist auch bereits angesprochen
worden . Wie komme ich an Bauland ran? Wie komme
ich an die Flächen ran? - Wir wissen, dass gerade in den
Ballungsräumen die Preise derart gestiegen sind, dass
sie nicht mehr bezahlbar sind . Wir wissen aber auch,
dass wir aufgrund des demografischen Wandels und aufgrund der Einwanderung Maßnahmen getroffen haben,
um Baulanderweiterungen im Rahmen der gesetzlichen
Möglichkeiten vornehmen zu können, und ich glaube,
wir haben hier einen guten Weg eingeschlagen .
Ich teile nicht die Auffassung, dass die von uns beschlossene Mietpreisbremse dazu beiträgt, dass mehr
Wohnraum zur Verfügung gestellt wird . Vielleicht wäre
es sinnvoller, hier auch die wirtschaftlichen Kräfte stärker wirken zu lassen und den Wohnungsbau in der breiten Fläche besser zu nutzen .
Hierbei haben auch unsere Wohnungsgenossenschaften eine Schlüsselfunktion . Sie sind eigentlich ein Idealbild dafür, wie man durch die Beteiligung aller - ich sage
das hier an diesem Rednerpult ausnahmsweise einmal Genossinnen und Genossen Wohnungen bauen und somit
Wohnflächen und Wohneigentum schaffen kann.
({5})
Wir haben heute schon leidenschaftlich über dieses
Bauthema diskutiert . Zum Schluss dieser Legislaturperiode und weil das der letzte Tagesordnungspunkt des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ist, möchte ich noch ein paar Worte verlieren und mich bei allen Kolleginnen und Kollegen für die
leidenschaftlichen, manchmal auch kontroversen, aber
immer zielorientierten Diskussionen herzlich bedanken .
Vielen Dank für die hervorragende Zusammenarbeit . Wir
haben ja bereits in der letzten Ausschusssitzung unsere
Vorsitzende und unsere Kollegen verabschiedet .
Ich möchte hier an dieser Stelle auch den Menschen
noch einmal herzlichen Dank sagen, die dafür sorgen,
dass unsere Arbeit funktioniert . Das ist unser Ausschusssekretariat, das sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
der Bundestagsverwaltung, das ist auch hier im Saal die
Assistenz, das sind auch unsere Stenografen . Einen herzlichen Dank allen Mitarbeitern, die dafür sorgen, dass
wir hier vernünftig arbeiten können .
({6})
Wir gehen jetzt alle in die Sommerpause, wobei das
keine Pause, sondern ein vom Wahlkampf bestimmter
Sommer wird . Ich hoffe und wünsche, dass wir im nächsten Bundestag, im 19 . Bundestag, wieder dazu beitragen,
im Sinne der Umwelt und der Bauwirtschaft leidenschaftlich miteinander diskutieren und die beste Lösung
für unser Land suchen zu können .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Ihnen alles
Gute!
({7})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau
und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Förderung des sozialen Wohnungsbaus durch den Bund auch nach 2019 ermöglichen“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12901, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11169 abzulehnen . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Damit ist diese Beschlussempfehlung
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit kommen wir
zum Tagesordnungspunkt 28:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Zweiter Engagementbericht
Demografischer Wandel und bürgerschaftliches Engagement: Der Beitrag des Engagements zur lokalen Entwicklung
und Stellungnahme der Bundesregierung
Drucksache 18/11800
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin in
der Aussprache hat die Bundesministerin Dr . Katarina
Barley für die Bundesregierung das Wort . - Frau Bundesministerin .
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Vor einer Woche habe ich hier den 15 . Kinderund Jugendbericht und den Siebten Altenbericht vorgestellt . Ich habe dabei gesagt, dass wir gerade bei diesen
Personengruppen vor allen Dingen die Verhältnisse vor
Ort in den Blick nehmen müssen .
Der Zweite Engagementbericht, über den wir heute
sprechen, legt den Fokus ebenfalls auf das Lokale . Herausgekommen ist ein starker Bericht, eine wertvolle
Handreichung für uns hier im Bund, für die Länder und
vor allen Dingen auch für die Kommunalpolitikerinnen
und Kommunalpolitiker . Dass der Zusammenhalt unserer Gesellschaft vor Ort organisiert wird, ist eine zentrale
Erkenntnis und auch ein entscheidender Handlungsauftrag für die Politik .
Deutschland engagiert sich . Fast 31 Millionen Menschen in Deutschland sind in ihrer Freizeit ehrenamtlich
aktiv. 80 Prozent dieses Engagements findet tatsächlich
auf lokaler Ebene statt: in Projekten, Initiativen und Vereinen .
Ich sage das als Bewohnerin des ländlichen Raums:
Dieses Engagement ist in vielen Fällen wirklich entscheidend für die Lebensqualität vor Ort . Mein Heimatort hat
rund 7 500 Einwohner und 40 Vereine . Das geht vom
Heimat- und Verkehrsverein über die Karnevalsvereine,
den Lauftreff bis hin zum Verein „Nachbarn in Not“ . Das
ist ein ganz weitreichendes Engagement . Die Menschen,
die sich da engagieren, machen wirklich den Unterschied .
({0})
Für Kinder und Jugendliche macht es einen Unterschied,
ob es ein Freizeitangebot gibt, ob es Sportvereine, eine
Theatergruppe usw . gibt . Für Ältere macht es einen Unterschied, ob es Begegnungsorte gibt, Mehrgenerationenhäuser und Ehrenamtliche, die ansprechbar sind .
({1})
Es sind diese Strukturen des zivilgesellschaftlichen
Engagements, die so einen Ort lebenswert machen . Nebenbei bemerkt: Ohne die freiwilligen Feuerwehren, die
Rettungsdienste und das THW wäre vieles im ländlichen
Raum überhaupt nicht denkbar .
({2})
Der Engagementbericht macht eben deutlich, dass
das gesellschaftliche Engagement gerade, aber nicht nur
im ländlichen Raum, sondern auch in den Städten, eine
wichtige Ergänzung der Daseinsvorsorge ist . Das Engagement kann auch einen wichtigen Beitrag zur Integration leisten . Wir alle haben noch die Bilder von den
vielen Menschen vor Augen, die sich bei der Integration
von geflüchteten Menschen engagieren. Der Bericht hebt
dieses Engagement hervor und würdigt es genauso wie
wir auch, so wie auch ich es hiermit tun möchte .
Aber in dem Bericht steht ebenfalls: Wir müssen auch
das Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund würdigen .
({3})
Die Sachverständigen fordern, dass wir dieses Engagement noch viel mehr unterstützen und herausheben; denn
es gibt unglaublich viele Menschen mit Migrationshintergrund, die sich in die Gesellschaft einbringen .
({4})
Deshalb werde ich in Zukunft noch stärker mit Migrantenverbänden zusammenarbeiten und den Fokus verstärkt auf die nichtreligiösen Verbände legen, die noch
nicht so stark im Fokus der Öffentlichkeit sind .
Das vielfältige freiwillige Engagement in den Kommunen bildet die Basis für unsere Demokratie . Das müssen wir stärken und fördern . Das verdient unseren Respekt und unsere Anerkennung . Deshalb will ich an dieser
Stelle nicht nur der Sachverständigenkommission für
ihren Bericht danken, sondern vor allen Dingen den fast
31 Millionen Freiwilligen für ihren Einsatz .
Ich möchte mich auch bei Ihnen für die ausgezeichnete Zusammenarbeit in den vergangenen vier Jahren
bedanken . An diesem besonders denkwürdigen Tag
möchte ich mich bei all denen bedanken, die sich für die
LGBTIQ-Community über viele Jahre ehrenamtlich eingesetzt haben und heute einen großartigen Tag erleben .
({5})
Wenn Sie mir noch zehn Sekunden geben, Frau Präsidentin - ich habe, glaube ich, noch etwas Redezeit übrig -,
Die haben Sie noch .
- dann möchte ich ganz zum Schluss noch einem
Mann danken, der bald aus dem Bundestag ausscheidet und der sich als Vorsitzender des Unterausschusses
„Bürgerschaftliches Engagement“ besonders für diesen
Bereich verwandt hat, nämlich Willi Brase, der ebenso
wie die wunderbare Petra Crone dem nächsten Bundestag nicht mehr angehörigen wird . Ihr beide habt euch in
dieses Thema besonders hineingehängt . Meine Hochachtung, meinen Respekt und alles Gute und, ebenso wie Ihnen allen, für die Sommerpause nur das Beste!
Vielen Dank .
({0})
Dr . Rosemarie Hein hat als nächste Rednerin für die
Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Frau Ministerin, Sie können nichts dafür - das weiß ich -, aber es ist mir völlig unverständlich,
dass die Bundesregierung fast ein geschlagenes Jahr gebraucht hat, um sich auf eine Stellungnahme zu diesem
Zweiten Engagementbericht zu einigen . Er lag erst Anfang April dem Kabinett vor .
Es ist mir allerdings ebenso unverständlich, dass der
Bundestag noch ein weiteres Vierteljahr gebraucht hat,
um diesen Bericht jetzt zur Aussprache auf die Tagesordnung zu setzen .
({0})
Dabei geht der Bericht auf einen Beschluss des Bundestages zurück, nach dem in jeder Wahlperiode einmal ein
solcher Bericht vorzulegen ist .
Nun haben wir ihn heute als letzten Tagesordnungspunkt in dieser Wahlperiode tatsächlich auf der Tagesordnung, und es besteht ein bisschen die Gefahr, dass
dann kaum noch jemand darüber redet .
({1})
Darum kann ich verstehen, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die diesen Bericht erarbeitet
haben, ob der geringen Wertschätzung ihrer Arbeit sauer
sind . Das haben sie uns auch deutlich gesagt .
Ebenso geht es den fast 31 Millionen engagierten
Menschen, über deren gesellschaftlichen Einsatz hier gesprochen wird . Ich denke, einige von ihnen sind heute
auf den Tribünen anwesend .
Ich will einmal umreißen, um wen es dabei eigentlich
geht - ich glaube, viele wissen das gar nicht -: Es sind
die vielen Engagierten in Vereinen und Verbänden des
Sports, der Kultur, der sozialen Arbeit und in den Freiwilligendiensten ebenso wie die Bürgerinitiativen vor
Ort oder die Menschen, die Nachbarschaftshilfe leisten .
Es sind die Menschen in den sogenannten Blaulichtorganisationen, also in der freiwilligen Feuerwehr, im
Technischen Hilfswerk und in den Rettungsdiensten,
die im Notfall Leben retten und Erste Hilfe leisten . Wie
wichtig das ist, konnte man gestern hier in Berlin sehen .
({2})
Es sind die Betreuerinnen und Betreuer für Menschen,
die nicht mehr selbst über ihr Leben entscheiden können,
und es sind die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter . Und nicht zuletzt sind es die ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister und die kommunalen
Mandatsträgerinnen und Mandatsträger in den Städten,
Kreisen und Gemeinden .
Ich will eine Gruppe herausheben - die Ministerin hat
das eben auch schon gemacht -: Es sind auch die freiwilligen Helferinnen und Helfer in der Flüchtlingshilfe,
ohne die der Staat in den letzten zwei Jahren vollends
versagt hätte . Ihnen allen gebühren unser Dank und unsere Wertschätzung .
({3})
In diesem Bericht wird eine ganze Reihe gravierender
Probleme aufgezeigt, für die wir dringend eine Lösung
brauchen . Wir haben uns in den letzten Monaten und
Jahren einen ziemlich guten Überblick und ziemlich viel
Wissen darüber angeeignet, aber lösen konnten wir nur
ganz wenige dieser Probleme .
({4})
Ich greife nur ein Problem heraus: Seit Jahren zieht
sich der Staat immer mehr aus Aufgaben der öffentlichen
Daseinsvorsorge zurück und überträgt sie Ehrenamtlern,
sei es die Stadtteilbibliothek, für die kein Geld mehr da
ist und die dann durch freiwillig Engagierte ohne Bezahlung oder gegen geringeres Entgelt weitergeführt wird,
oder sei es der Bürgerbus, der Mobilität dort ersetzt, wo
Verkehrsunternehmen glauben nicht mehr genug Gewinn
erzielen zu können . Der Bürgerbus wird dann durch die
Kommune organisiert, und ein rüstiger Rentner fährt ihn
gegen ein kleines Entgelt oder auch völlig ohne Entgelt .
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein falsch
verstandener Umgang mit dem freiwilligen Engagement .
({5})
Denn dieses soll es zusätzlich zu den Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge geben, statt sie zu ersetzen .
Bürgerschaftliches Engagement ist aber nicht nur freiwillig und uneigennützig, sondern es ist in der Regel auch
unentgeltlich . Mit solchen Entgelten für Aufgaben, die
vorher durch sozialversicherungspflichtig Beschäftigte
erledigt wurden, macht man außerdem noch den Niedriglohnsektor stark . Das halte ich für ein großes Problem .
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese und weitere
Probleme betreffen nicht nur soziale Fragen, sondern
ganz unterschiedliche Politikbereiche: die Innenpolitik,
die Verkehrspolitik, die Gesundheitspolitik, die Kulturpolitik usw. Darum finden wir, dass es notwendig ist, in
der nächsten Wahlperiode einen eigenständigen, vollwertigen Ausschuss für bürgerschaftliches Engagement einzurichten, an den dann auch Anträge und Gesetzentwürfe
überwiesen werden - das war nämlich nicht so - und der
auch darüber entscheiden kann .
({7})
Wir haben die uns wichtigen Aufgaben in einem Entschließungsantrag zusammengeführt . Ich hoffe sehr, dass
der nächste Bundestag diesen Engagementbericht aufnehmen und weiter diskutieren wird .
Vielen Dank .
({8})
Sehr geehrte Frau Dr . Hein, das war Ihre letzte Rede .
Ich möchte Ihnen, auch im Namen aller Kolleginnen und
Kollegen, ganz herzlich danken . Sie sind seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages . Sie waren vorher sehr
lange Mitglied des Landtages von Sachsen-Anhalt . Ich
glaube, ich kann sagen, dass wir alle Sie als sehr engagierte Bildungspolitikerin kennengelernt haben . Dass Sie
sich für das Ehrenamt engagieren, haben wir alle gespürt
und gemerkt . Deshalb Ihnen ganz herzlichen Dank für
Ihre wichtige Arbeit . Alles Gute für die Zukunft! Ich bin
sicher, Sie werden sich weiter ehrenamtlich engagieren .
({0})
Als nächste Rednerin hat Ingrid Pahlmann für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich freue mich, dass wir heute nun doch noch
zum Zweiten Engagementbericht sprechen können . Frau
Hein hat erwähnt, dass es deutlich ein Jahr gedauert hat,
bis der Bericht den Weg von der Sachverständigenkommission über das Familienministerium und die Ressortabstimmung zu uns ins Parlament gefunden hat . Frau
Hein, ich bin mir ganz sicher: In der nächsten Periode
wird er Grundlage für Diskussionen sein; der Bericht ist
nicht vergebens .
({0})
Schade finde ich allerdings, dass wir uns nur eine halbe Stunde Zeit nehmen und dies zu einer, wie ich finde,
nicht sehr prominenten Uhrzeit . Im Interesse von 31 Millionen Engagierten in unserem Land hätte ich mich gefreut, wenn die Redebeiträge zu diesem so wichtigen
Thema mehr Aufmerksamkeit bekommen hätten .
({1})
In der Kürze der Zeit möchte ich vor allem - ich hoffe, dass viele Menschen zumindest am Fernsehen oder
im Internet die Reden hier verfolgen - den Engagierten
in unserem Land danken, die sich in einer unglaublichen
Vielfältigkeit mit viel Enthusiasmus und Herzblut für unser Allgemeinwohl eingesetzt haben .
({2})
Ich denke an die vielen Menschen in den Vereinen,
bürgerschaftlichen Initiativen und den Nachbarschaftshilfen, ich denke aber auch an all die Menschen jeden
Alters, die einen Bundesfreiwilligendienst oder einen
anderen Freiwilligendienst absolviert haben oder absolvieren . Ich denke an all die Engagierten in sogenannten
Blaulichtorganisationen und im Katastrophenschutz, beispielsweise in den Feuerwehren, in den Rettungsdiensten
oder auch im THW . Ich denke aber auch an all diejenigen, die in der Hochzeit des Flüchtlingszuzuges nicht erst
nach dem Staat gerufen haben, sondern einfach zur Stelle
waren, unkompliziert angepackt und geholfen haben, wo
sie die Notwendigkeit zur Hilfe und zur Unterstützung
gesehen haben .
({3})
Sie alle und die Engagierten, die ich jetzt in meiner
Aufzählung nicht unterbringen konnte, sind es nämlich,
die unser Land reicher und bunter machen, die unsere
Gemeinschaft so lebenswert machen und den Zusammenhalt fördern . Vielen Dank für Ihrer aller Einsatz .
({4})
Die Engagementquote belegt, dass sich besonders
Jüngere und Ältere immer häufiger engagieren und dass
die Engagementquote im ländlichen Raum höher ist als
die im städtischen Bereich . 80 Prozent des Engagements
findet in den Kommunen bzw. im lokalen Raum statt.
Deshalb war es gut, die Kommunen in den Fokus des Berichts zu nehmen . Als überzeugte Kommunalpolitikerin
kann ich das nur unterstreichen .
Wir auf Bundesebene müssen das Engagement anerkennen und stärken, wo immer es unsere Kompetenzen
und Ressourcen ermöglichen . So haben wir bereits eine
Vielzahl von Maßnahmen in der Engagementinfrastruktur ergriffen . Nennen möchte ich hier zum Beispiel die
Mehrgenerationenhäuser, die in einem besonderen Maße
flexibel auf die regionalen Besonderheiten reagieren
können . Darüber hinaus unterstützen wir aber auch viele
Fachverbände und Netzwerke bei ihrer Arbeit .
Nun könnte man meinen, es sehe doch alles ganz gut
aus . Aber ich muss Ihnen sagen: Wir haben noch viel zu
tun . Auch Frau Dr . Hein hat es schon angemerkt . Wir
können noch viele Impulse geben, um das Engagement
zu stärken:
({5})
Abbau von bürokratischen Hürden und Hemmschwellen,
Herausforderungen rund um Monetarisierung, Arbeitsmarktneutralität und den Wandel im Engagement, Verbesserungen im Bereich der Anerkennung und der Partizipation, Verbesserungen beim Zugang vor allem für
immer noch im Engagement unterrepräsentierte Gruppen wie Menschen mit geringem Bildungshintergrund,
Migrationshintergrund oder auch Menschen mit Behinderung .
Gerade hinsichtlich der letzten Gruppe freue ich mich
aber sehr, dass wir die laufenden Gespräche mit unserem Koalitionspartner, auch wenn dieser zwischenzeitlich einmal fälschlicherweise etwas anderes in die Welt
gesetzt hat, im letzten Moment erfolgreich abschließen
konnten . Wir haben nämlich das Ministerium beauftragt,
gemeinsam mit Experten, Zivilgesellschaft und beteiligten Akteuren ein Konzept zu erarbeiten, um echte Inklusion im Bundesfreiwilligendienst zu ermöglichen . Damit
es nicht nur bei einem Konzept bleibt, werden wir zusätzliche 2 Millionen Euro für die Umsetzung bereitstellen .
Damit wollen wir bürokratiearm und praxisnah notwendige Assistenzleistungen ermöglichen .
Da wir uns nun am Ende der Legislaturperiode befinden, möchte ich mich an dieser Stelle als stellvertretende
Vorsitzende des Unterausschusses „Bürgerschaftliches
Engagement“, die ich in dieser Wahlperiode sein durfte,
ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit bedanken zunächst bei dir, lieber Willi Brase .
({6})
Du hast uns als Vorsitzender hervorragend durch die Sitzungen des Unterausschusses geführt . Mit deiner überparteilichen, fairen und zuverlässigen Art kannst du vielen von uns ein Vorbild sein .
({7})
Ich wünsche dir für die Zukunft alles Gute .
Ich möchte aber auch meinen Dank an das Sekretariat
des Unterausschusses richten . Es leistet hinter den Kulissen wirklich wertvolle Arbeit, die für uns hier alle und für
die Abläufe so ungemein wichtig ist . Vielen Dank an die
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen .
Schließlich gilt mein Dank auch noch den Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten im Unterausschuss .
Stellvertretend möchte ich einmal die Kollegen der Opposition nennen: Frau Schulz-Asche und Frau Dr . Hein .
Sie hatten einen erheblichen Einfluss auf das gute Miteinander . Ich denke, wir haben ein gutes Miteinander
gehabt . Das können sich viele Ausschüsse zum Vorbild
nehmen .
Oftmals waren wir sicherlich unterschiedlich in der
Art und Weise und manchmal auch klar im Wort oder
auch verschieden im Weg, aber immer verlässlich geeint
im Ziel . Wenn wir alle das beherzigen, dann freue ich
mich auf den Wahlkampf . Ich denke, dass wir den Engagierten ein Zeichen geben, die sich tagtäglich für uns
einsetzen, für unsere Gesellschaft und für unser Gemeinwohl da sind .
Ich danke Ihnen fürs Zuhören und wünsche eine gute
Sommerpause .
({8})
Kordula Schulz-Asche hat jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Zweite Engagementbericht ist Gegenstand des letzten
Tagesordnungspunktes am letzten Tag der letzten vollen
Sitzungswoche dieser Legislaturperiode . Er wird an einen Ausschuss überwiesen, der gar nicht mehr tagt . Ich
finde, dieser Engagementbericht hat das nicht verdient.
({0})
Er liegt seit über einem Jahr auf dem Tisch . Es war
diese Große Koalition, die offensichtlich nicht in der
Lage war, zeitnah die Inhalte zu bewerten und uns hier
damit zu befassen . Es ist schade, weil dieser Bericht sehr
viele interessante Vorschläge enthält . Dieses Vorgehen
hat deswegen zu Recht zu Unverständnis sowohl bei den
ehrenamtlichen Verfassern des Berichts als auch bei der
Zivilgesellschaft geführt . Dazu kann ich nur sagen: Mein
Wunsch ist es - das ist auch das Motto der Grünen -, dass
sich alle, die sich engagieren möchten, auch engagieren
können . Wer sich engagiert, verdient den Dank, die Anerkennung und die Unterstützung der Gesellschaft . Das
sollte auch für den Engagementbericht gelten .
({1})
Wir hatten in Ermangelung anderer Beratungsmöglichkeiten vier Anträge vorgelegt, die gestern leider alle
schon abgelehnt wurden .
Erstens haben wir uns mit den Millionen von Engagierten befasst - ich freue mich, dass wir da im Ausschuss gemeinsam unterwegs waren -, die sich um die
Geflüchteten gekümmert haben, die in den Jahren 2015
und 2016 zu uns gekommen sind . Zu den Helfern und
Engagierten in diesem Bereich gehören eben auch sehr
viele geflüchtete Menschen. Ich glaube, es wäre gut
gewesen, wenn wir da zu konkreteren Ergebnissen gekommen wären . Es wäre auch gut, wenn wir es schaffen
würden, von der Willkommenskultur zu einer Integrationsstruktur zu kommen . Doch durch die Große Koalition
gilt hier leider: Fehlanzeige .
({2})
Der zweite Punkt bezieht sich auf die Freiwilligendienste . Wir haben eine große Vielfalt an Freiwilligendiensten . Ich bin dafür, dass wir sie sehr stark machen,
dass wir jedem hier die Möglichkeit geben, sich in einem Freiwilligendienst zu engagieren . Aber die Politik
der Großen Koalition hat dazu beigetragen, dass sich die
Freiwilligendienste zurückentwickelt haben . Ich sage Ihnen: Engagement gehört nicht in die Hände des Staates,
wie es beim Bundesfreiwilligendienst der Fall ist, sondern in die starke Zivilgesellschaft, die wir haben . Das
ist die Zukunft des Freiwilligendienstes und nicht das
staatliche Engagement in diesem Bereich .
({3})
Der dritte Punkt . Die Große Koalition hat sogar noch
Öl ins Feuer gegossen . Das erkennen wir, wenn wir uns
anschauen, wie die Aberkennung der Gemeinnützigkeit
von Attac passiert ist . Statt für Rechtssicherheit zu sorgen, hat Finanzminister Schäuble Einspruch gegen das
Urteil vom Finanzgerichtshof Hessen Ende 2016 eingelegt . Meine Damen und Herren, das führt nicht nur für
Attac, sondern für die gesamte Zivilgesellschaft und die
vielen NGOs in Deutschland zu Rechtsunsicherheit bei
ihrem Engagement . Wir brauchen dringend eine Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts .
({4})
Da ich schon beim Feuer bin: Auch wenn es ums Löschen geht, hat sich nicht viel getan in diesen vier Jahren .
({5})
Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, Rotes Kreuz, DLRG,
um nur einige zu nennen - alle haben Nachwuchsprobleme . Sie brauchen mehr Frauen in ihren Reihen . Sie
müssen sich darum kümmern, auch mehr Menschen mit
Migrationshintergrund zu integrieren . Dafür brauchen sie
auch unsere Unterstützung, zum Beispiel bei einer besseren Vernetzung untereinander .
({6})
Katastrophenschutz und Katastrophenhilfe durch
Ehrenamt ist ein zentraler Baustein des Bevölkerungsschutzes in Deutschland . Diese Organisationen brauchen
bessere Rahmenbedingungen; denn sie leisten einen
wesentlichen Dienst für unsere Gesellschaft, vor allem
wenn Krisen auftreten .
({7})
Meine Damen und Herren, Sie alle können sicher sein,
dass wir uns weiterhin für die Umsetzung des Engagementberichts, für die Stärkung der Zivilgesellschaft, für
mehr Demokratie, für mehr Engagement und für die Zukunft - die wird bekanntlich aus Mut gemacht - einsetzen werden .
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und bedanke
mich ganz herzlich für die Zusammenarbeit im Unterausschuss und bei den beiden Vorsitzenden .
Herzlichen Dank .
({8})
Willi Brase hat jetzt für die SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Schade, dass ich nur
drei Minuten Redezeit habe .
({0})
Ich will als Erstes aus aktuellen Gründen den vielen
Helferinnen und Helfern von THW und Feuerwehr danken, die gestern Abend bis tief in die Nacht hinein in Berlin, in Brandenburg, in Hannover tätig waren .
({1})
Sie sind ein leuchtendes Beispiel dafür, wie bürgerschaftliches Engagement positiv funktioniert und uns hilft .
Zum Zweiten möchte ich doch noch mal darauf hinweisen: Wir leben in einer Zeit, in der die politischen
Parteien und auch manche gesellschaftlichen Großorganisationen - Kirchen, Gewerkschaften etc . - Probleme
haben, Menschen für sich zu gewinnen . Darüber klagen
wir, vergessen dabei aber manchmal, dass sich gerade im
Bereich des bürgerschaftlichen Engagements von Vereinen bis zu Initiativen immer mehr Menschen - junge
Menschen, Menschen mittleren Alters und ältere Menschen - engagieren. Ich finde, auch das ist ein gutes Beispiel für die Entwicklung unserer Demokratie und unserer Gesellschaft .
({2})
Ich will deutlich sagen: Wir dürfen nicht vergessen,
dass bürgerschaftliches Engagement uneigennützig ist .
Es ist gemeinwohlorientiert . Und es ist freiwillig . Diese
Kriterien werden immer wieder Bedeutung und Gültigkeit haben .
({3})
Wenn wir das infrage stellen, kommt es vielleicht dazu,
dass man bürgerschaftliches Engagement nutzt, um gesellschaftliche Fehlleistungen oder fehlende gesellschaftliche Maßnahmen auszugleichen . Das wollen wir nicht .
Wir wollen an diesen Prinzipien festhalten .
({4})
Meine Redezeit rast .
Bürgerschaftlich Engagierte gestalten Gesellschaft .
Das ist Teilhabe und Partizipation . Ich glaube, da haben
wir gesellschaftspolitisch auch im Bundestag noch viel
vor uns . Wie können wir das, was die jungen Menschen,
was die älteren Menschen, was die Frauen, was die Männer dort machen, im Sinne von Teilhabe und Partizipation nach vorne bringen?
Wir haben dem Bericht und der Diskussion entnommen, dass wir die Engagementstrukturen verbessern und
unterstützen müssen . Gerade im Bericht, Frau Ministerin,
wird deutlich, dass mit Blick auf Kommunales noch einiges zu machen ist . Das hat auch etwas damit zu tun, wie
wir Mittel nach Möglichkeit direkt den Kommunen geben, weil dort bürgerschaftliches Engagement geschieht .
Wir brauchen - das haben meine Vorrednerinnen und
Vorredner deutlich gesagt - zukünftig einen ordentlichen
Ausschuss .
({5})
Bürgerschaftliches Engagement und andere bürgerschaftliche Themen sind Querschnittsthemen . Vor dem
Hintergrund der Vielfalt der Engagierten vom Flüchtling bis hin zur Feuerwehr ist es mehr als recht, wenn
der Bundestag in der nächsten Legislaturperiode endlich
diesen Querschnittsausschuss einrichtet .
({6})
Ich stelle fest, dass die Uhr wie verrückt läuft . - Gutes Engagement ist zivil . Gutes Engagement fördert und
erfordert Beteiligung . Gutes Engagement ist eine Säule
vielfältiger Demokratie . Gutes Engagement stärkt Bürgerinnen und Bürger . Gutes Engagement verdient Anerkennung, ist eigensinnig und gelegentlich unbequem . Das ist
auch gut so .
({7})
Gutes Engagement ist inklusiv, erfordert materielle Absicherung, braucht Räume und benötigt Zeit . Das sollten
wir nie vergessen .
Zum Schluss noch ein Wort zu INKA . Das war ein gutes Projekt . Für den Bereich des THW haben wir in dieser
Legislaturperiode viel Geld ausgegeben; das wollen wir
nicht vergessen . Das war gut .
({8})
Es wäre schön, wenn in der nächsten Legislaturperiode
über den Engagementbericht weiterhin gründlich diskutiert wird . Vielleicht kann der Dritte Engagementbericht
dann etwas schneller erscheinen .
Das ist meine letzte Rede . Ich danke den Parlamentsassistenten - sie haben uns immer gut gedient - und allen
anderen, die im Hintergrund dafür gesorgt haben, dass
die Drucksachen rechtzeitig vorliegen und das, worüber
wir hier diskutieren, ein Stück weit vorangebracht wird .
({9})
Ich danke dem Haus . Frau Ministerin, allerherzlichen Dank! Wir haben sehr gut zusammengearbeitet . Ich
danke meinen Kolleginnen und Kollegen im Unterausschuss . - Die Uhr macht mich verrückt . Frau Präsidentin,
das ist meine letzte Rede . Geben Sie mir noch ein paar
Sekunden! - Danke schön .
({10})
Ich gebe Ihnen noch ein paar Sekunden . Wir haben die
Uhr nicht schneller gestellt, keine Sorge .
Dank an das Ausschusssekretariat . Herr Potocki und
andere haben uns wunderbar unterstützt .
({0})
Ich persönlich empfinde Dankbarkeit und Stolz, dass
ich 19 Jahre in diesem Parlament dabei sein durfte . Wir
haben ein gutes Parlament . Wir diskutieren manchmal
sehr hart und kritisch . Aber wir sind immer solidarisch .
Die Rechte, die wir als Parlamentarier des Bundestages
haben, lassen sich nicht in vielen Parlamenten auf der
Erde - auch nicht in Europa - finden. Darauf sollten wir
stolz sein . Ich habe hier gerne gearbeitet . Halten Sie mich
in guter Erinnerung .
Glück auf!
({1})
Mein lieber Kollege Brase, so schnell kommen Sie
jetzt nicht davon . Sie müssen mir kurz zuhören . - Sie
werden - Sie haben das selbst gesagt - dem nächsten
Bundestag nicht mehr angehören . Ich möchte Ihnen im
Namen aller Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich
danken . Wir alle haben Sie als engagierten und leidenschaftlichen Bildungspolitiker sowie - das möchte ich
besonders unterstreichen - auch als engagierten Politiker für berufliche Bildung kennengelernt. Die berufliche
Bildung hat für uns alle eine ungeheuer große Bedeutung; das haben wir heute in vielen Reden gehört . Dass
Sie nicht nur über das Ehrenamt ganz engagiert reden
können, sondern auch selber - wenn ich auf meine Liste
schaue - ehrenamtlich sehr engagiert sind, unterstreicht
das, was Sie zum Schluss gesagt haben, nämlich dass in
diesem Parlament sehr viele Menschen tätig sind, die
sich mit großer Leidenschaft und sehr viel Engagement
einsetzen . Ihnen herzlichen Dank und alles Gute für die
Zukunft! Ich persönlich sage ausdrücklich: Alles Gute,
lieber Willi!
({0})
Als letzter Redner hat Maik Beermann für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bürgerschaftliches Engagement ist eine unverzichtbare Bedingung für
den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Ob Altenpflege
oder Sportverein, ob Beistand für sterbende Menschen,
ob freiwillige Feuerwehr, THW oder Schützenverein ich selbst bin erster Vorsitzender des Schützenvereins in
meinem Heimatort Wendenborstel -, ob Kirchengemeinden, Suppenküchen oder Tafeln - überall engagieren sich
vor allem die Ehrenamtlichen . Somit sind Tag um Tag
Menschen für Menschen da, für ein Deutschland, in dem
wir gut und gerne leben .
80 Prozent des Engagements findet im ländlichen
Raum statt; so besagt es der Bericht . Ihnen werden die
Namen Silke Weibels, Frank Priezel, Markus Schade,
Mareike Schlüter oder Mario Hotze, Tristan Müller und
Andreas Ohling nichts sagen . In meinem Wahlkreis im
Schaumburger Land und im Landkreis Nienburg kümmern sich diese Menschen . Aktuell tragen sie Verantwortung für 3 500 Kinder und Jugendliche . Warum? Weil in
beiden Landkreisen aktuell die Kreiszeltlager der Kreisjugendfeuerwehren stattfinden. Diese Menschen sind
also bereit, für eine große Anzahl von Kindern und Jugendlichen, eben circa 3 500 an der Zahl, Verantwortung
zu übernehmen . Hinzu kommen diejenigen, die sich um
das Drumherum kümmern: die Jugendfeuerwehrwarte,
die Betreuerinnen und Betreuer, aber auch die Ehrenamtlichen aus den Ortschaften, die dafür sorgen, dass die
Essensausgabe funktioniert, die Bratwurst- und Getränkebuden bestückt sind, die Kaffeetafel voll ist . Das ist
ein hervorragendes Engagement, dem Respekt gebührt .
Davor ziehe ich persönlich meinen Hut .
Ich habe im vergangenen Jahr selbst einige Tage in einem solchen Kreiszeltlager in meinem Heimatlandkreis
Nienburg verbracht, um einfach einmal mitzuerleben,
wie dieses Lagerleben funktioniert, nicht nur am Tage,
sondern auch in der Nacht . Die Nächte auf dem 50 Zentimeter breiten Feldbett waren spannend, aber ich habe
sie überlebt . Ich kann Ihnen nur empfehlen: Machen Sie
auch einmal mit! Was dort geleistet wird, verdient unseren höchsten Respekt .
({0})
Mir fallen auch noch Philip und Dennis Thölke,
Josephine Büte, Sebastian Farr, Ute und Andreas Esse,
Thomas Wolf - es gibt noch einige mehr - ein, die in
jedem Jahr den Weg hier nach Berlin finden, nämlich
dann, wenn die Internationale Grüne Woche stattfindet.
Sie kommen nicht hierher, um diese Veranstaltung zu genießen, sondern um als Kreisbereitschaft des Deutschen
Roten Kreuzes aus dem Landkreis Schaumburg Sanitätsdienst zu leisten - ehrenamtlich, freiwillig . Sie nehmen
Erholungsurlaub, um dabei zu sein, um Menschen zu helfen, die einen Unfall haben oder denen es nicht gut geht .
Auch das verdient meinen höchsten Respekt .
So gibt es unzählige Beispiele; wir haben es schon gehört . Alle diese Menschen tragen aus meiner Sicht dazu
bei, unsere Gesellschaft zu einer besseren zu machen .
({1})
Als niedersächsischer Abgeordneter eines ländlich geprägten Raumes sehe ich die Wichtigkeit der ehrenamtlichen Tätigkeit . Bürgerschaftliches Engagement gewinnt
hierbei besondere Bedeutung; denn durch das Ehrenamt
verbinden wir aus meiner Sicht Generationen und schaffen eine gerechtere Gesellschaft, beispielsweise in den
Mehrgenerationenhäusern . Bund und Länder haben sich
in einer Rahmenvereinbarung dazu bekannt, die Zukunft
dieser wichtigen Institution nachhaltig zu sichern . Auch
in meinem Wahlkreis gibt es seit dem Aufwuchs der
Mittel vier Mehrgenerationenhäuser . In Stolzenau, Nienburg, Stadthagen und auch in Rinteln leisten Ehrenamtliche unermüdlichen Einsatz und bieten ein vielfältiges
Angebot: von der Hausaufgabenbetreuung bis zum Demenzkaffee .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen da, wo
es möglich ist, das Ehrenamt so unbürokratisch wie möglich gestalten . Das ist eine Aufgabe für die kommende
Legislaturperiode . Lippenbekenntnisse und Sonntagsreden reichen hier nicht mehr aus, sondern wir müssen
liefern .
Aber auch soziale Unternehmen sollten wir in den
Blick nehmen; denn wenn sich aus ehrenamtlichen Initiativen professionelle Strukturen bilden, dann ist das in
unserem Sinne . Das Sozialunternehmen wellcome, unter
der Schirmherrschaft unserer Bundeskanzlerin Angela
Merkel, ist ein Beispiel dafür; es ist als kleine Initiative
gestartet . Heute unterstützen an über 250 Standorten in
Deutschland vor allem viele ehrenamtlich tätige Frauen
Familien in den anstrengenden Wochen nach der Geburt - insbesondere auch bei Mehrlingsgeburten -, indem sie bei alltäglichen Herausforderungen helfen .
Ich bin vor sechs Wochen Vater von Zwillingen geworden .
({2})
- Vielen Dank . - Wir haben aber das große Glück, dass
wir zu Hause die Unterstützung meiner Eltern und meiner Schwiegereltern haben .
({3})
Aber viele haben eine solche Unterstützung nicht . Initiativen wie wellcome sind dafür da, solche Familien zu
unterstützen und eine helfende Hand zu bieten .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin der
letzte Redner in dieser Debatte in dieser letzten Sitzungswoche in der 18 . Wahlperiode . Ich darf mich den Dankesworten meiner Vorredner anschließen . Frau Dr . Hein,
Herr Kollege Brase, Ihnen beiden auf jeden Fall alles erdenklich Gute für die Zukunft! Bleiben Sie vor allen Dingen gesund! Das ist das Entscheidende, damit Sie sich auf
Ihren Unruhestand, der es vielleicht werden wird, aber
vor allen Dingen auf Ihren Lebensabend freuen können .
({4})
Uns allen eine erfolgreiche und etwas schöpferische
Sommerpause, damit wir nach der Sommerpause gestärkt in einen fairen Wahlkampf starten können und uns
Ende September alle hoffentlich gesund und munter hier
wiedersehen!
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich
die Debatte .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/11800 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Der Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/12968
soll an dieselben Ausschüsse wie der Bericht auf Drucksache 18/11800 überwiesen werden . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen . Ich wünsche mir sehr - das haben
Sie alle unterstrichen -, dass dieser Bericht nicht nur auf
dem Schreibtisch liegen bleibt, sondern eine Grundlage
für die weitere Arbeit ist .
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung .
Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es gibt
in dieser Legislaturperiode noch etwas zu tun . Deshalb
berufe ich die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 5 . September 2017, 9 Uhr, ein .
Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Sitzung
geschlossen . Ich wünsche Ihnen in der Zwischenzeit
eine gute Erholung; ich weiß, dass sie kurz sein wird .
Ich wünsche Ihnen vor allen Dingen viel Erfolg bei Ihrer
Arbeit und einen guten Wahlkampf, der hoffentlich fair,
in der Sache kontrovers, aber durchaus die Gemeinsamkeiten benennend, stattfinden wird.
({0})
Wir sehen uns im September wieder . Alles Gute!