Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Frau Bundeskanzlerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Exzellenzen! Verehrte Gäste! Deutschland trauert um Helmut
Kohl. Am vergangenen Freitag ist unser langjähriger
Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner pfälzischen Heimat im Alter von 87 Jahren verstorben.
Dass wir seiner an diesem Ort, im Reichstagsgebäude in der Mitte Berlins, der Hauptstadt des vereinten
Deutschlands, gedenken, wäre undenkbar ohne die weltgeschichtlichen Veränderungen, die sich untrennbar mit
seinem Namen verbinden. „Welches Haus wurde tiefer
gezeichnet von den Spuren der Geschichte?“, fragte
Helmut Kohl selbst an dieser Stelle, als neu gewählter
Bundeskanzler bei einer Veranstaltung im Januar 1983
hier im Reichstagsgebäude, als unmittelbar dahinter
Mauer und Stacheldraht Berlin noch teilten und damit
Deutschland und Europa. „Kein Haus“, so der Kanzler damals, „verkörpert mehr als der Reichstag die Geschichte der Deutschen und ihre Hoffnung, in einem
freien Europa in Frieden zu leben.“ Die Geschichte der
Deutschen und ihre Hoffnung, in einem freien Europa in
Frieden zu leben - Helmut Kohl hat diese Hoffnung nie
aufgegeben, und wir verdanken es wesentlich ihm, dass
sie heute Realität ist: die friedliche Einheit unseres Landes in einem freien und befriedeten Europa.
Als sich 1989 die von manchen längst abgeschriebene Chance ergab, ergriff Helmut Kohl mit dem sicheren
Instinkt, der den großen Staatsmann auszeichnet, die Initiative: Mit seinem am 28. November 1989 vor dem Bundestag im Bonner Wasserwerk verkündeten Zehn-Punkte-Programm gab er der friedlichen Revolution in der
DDR ihre ehrgeizige politische Richtung: hin zur deutschen Einheit. Es war eine Sternstunde unserer Parlamentsgeschichte und seine politische „Glanzleistung“,
wie sein Amtsvorgänger Helmut Schmidt anerkennend
befand. Dessen Standfestigkeit als Bundeskanzler beim
für die weitere politische Entwicklung bedeutsamen und
zugleich hochumstrittenen NATO-Doppelbeschluss hatte
Helmut Kohl schon als Oppositionsführer voll mitgetragen und später ausdrücklich bekräftigt, auch als er sich nun selbst im Amt - heftigen Protesten Hunderttausender
Demonstranten im Bonner Hofgarten ausgesetzt sah.
„Ein Politiker, der nicht ein Stück Utopie in seinen Zielen hat, ist ein armer Mann“, vertraute der junge Helmut
Kohl 1968 dem Spiegel an; damals ging das noch.
({0})
Dass die Einheit Deutschlands und Europas keine Utopie
blieb, ist maßgeblich seiner Hartnäckigkeit in Grundsatzfragen und seinem entschlossenen Zugriff in der konkreten historischen Situation zu verdanken.
Kohl bewies 1989 eine Weitsicht, die im Westen des
geteilten Landes vielen längst abhandengekommen war.
Die Anerkennung einer eigenen DDR-Staatsangehörigkeit zum Beispiel, für die es auch in Teilen seiner eigenen
Partei zeitweise durchaus Sympathien gab, hat es mit ihm
nie gegeben. Was folgte, war die beispiellose Erfolgsgeschichte einer ebenso besonnenen wie zielgerichteten Diplomatie, ihr Ergebnis die deutsche Einheit im Staatenund Werteverbund des Westens, im Einvernehmen mit
allen unseren Nachbarn und mit Unterstützung wichtiger
Partner in der Welt.
Kohl wusste, dass dieses große nationale Ziel nur über
die Einigung Europas zu erringen war. Die Union der
europäischen Staaten war ihm dabei aber nie allein ein
Mittel, sondern immer ihr eigener Zweck: das große Friedensprojekt auf dem ehemals verfeindeten Kontinent,
das er am Ende seiner Amtszeit auch über die gemeinsame Währung unumkehrbar zu machen suchte.
Die große Anteilnahme in unseren Nachbarstaaten
und die weltweiten Reaktionen auf seinen Tod unterstreichen die herausragende Leistung Kohls als Ehrenbürger
Europas. Ihm wird deswegen am Samstag der nächsten
Woche in Straßburg ein bislang einzigartiger Akt der
Würdigung zuteilwerden. Aber es versteht sich beinahe
von selbst, dass Art und Ort der Würdigung einer herausragenden politischen Lebensleistung in und für Deutschland bei allem Respekt nicht nur eine Familienangelegenheit sind. Und der Deutsche Bundestag ist dafür wohl
der bestmögliche Ort: in Anwesenheit des Bundespräsidenten und seiner Amtsvorgänger, der Kanzlerin und der
Mitglieder der Bundesregierung, zahlreicher Botschafter
und Vertreter des Diplomatischen Korps unter Führung
seines Doyens, des Nuntius.
Meine Damen und Herren, Helmut Kohl wurde 1930
genau an dem Tag geboren, als hier im Reichstagsgebäude ein Misstrauensantrag gegen die damals neu gebildete Regierung unter Heinrich Brüning eingebracht wurde
und scheiterte - die erste der Präsidialregierungen, die,
wie wir heute wissen, das Ende der Weimarer Republik
einläuteten und den Weg in die Diktatur wiesen. An deren Ende standen der vollständige moralische Zusammenbruch und ein Krieg, der sich schicksalhaft in die
Familienbiografien von Generationen einschrieb, auch in
die Helmut Kohls. 1989 vor der Dresdner Frauenkirche,
als der Wille der Menschen zur Einheit für alle spürbar
war, erinnerte Kohl an seine Jugend im Krieg mit dem
nie ganz verwundenen Tod des älteren Bruders an der
Front, und vor der Kirche, die damals noch Ruine war,
erneuerte er das Versprechen, das sich seine Generation
gegeben hatte: Nie wieder Krieg!
Von deutschem Boden muß in Zukunft immer Frieden ausgehen - das ist das Ziel unserer Gemeinsamkeit!
Ausdruck dieses bleibenden Auftrags und Symbol
der Aussöhnung zwischen Deutschen und Franzosen ist
der unvergessene Händedruck mit François Mitterrand
über den Gräbern von Verdun 1984. Zehn Jahre später
markierte der feierlich begangene, friedliche Abzug der
letzten russischen Soldaten aus Berlin den, wie Helmut
Kohl es damals nannte, „Schlusspunkt der Nachkriegsgeschichte Europas“, und alle, die damals dabei waren,
haben es ganz genau so empfunden.
Eine Sowjetunion, in die die einst Rote Armee hätte
zurückkehren können, gab es schon nicht mehr, dafür
aber die allgemeine Erwartung auf einen dauerhaften
Frieden. Undenkbar schien damals jedenfalls, dass die
von Boris Jelzin ausgerufene „Periode der Freundschaft
und Zusammenarbeit“ zwanzig Jahre später von der heutigen russischen Führung mutwillig aufs Spiel gesetzt
werden könnte - mit der völkerrechtswidrigen Annexion
der Krim und den andauernden militärischen Auseinandersetzungen im Osten der Ukraine.
Helmut Kohl dachte in historischen Perspektiven;
denn er wusste um die identitätsstiftende Kraft der Geschichte. Zitat:
Politik ohne Geschichte ist wurzellos, bleibt ziellos,
ohne Grund und Perspektive. Wer die Zukunft politisch gestaltet, muß aus der geschichtlichen Erfahrung leben, ohne bei ihr stehen zu bleiben.
Die politischen Akzente, die er mit dieser Begründung
in seiner Amtszeit - auch gegen Widerstand - zu setzen
wusste, werden bleiben; sie prägen unser Geschichtsbewusstsein und unsere Erinnerungskultur: das Deutsche
Historische Museum in Berlin etwa und das Haus der
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn,
die unsere nationale Geschichte immer auch europäisch
einbetten, aber auch die Neue Wache Unter den Linden,
die uns als Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft an die entsetzlichen Verirrungen der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert erinnert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Gäste, in
den vielen Nachrufen der vergangenen Tage dominieren
fast zwangsläufig die immer wieder gezeigten Bilder seiner Kanzlerschaft, die mit 16 Jahren länger währte als alle
anderen, und zudem die viele Menschen berührende Tragik seiner letzten Lebensjahre. Dahinter tritt aber auch die
Persönlichkeit Helmut Kohls wieder stärker hervor, die
fast niemanden gleichgültig lässt. Legendär sind seine integrierende Kraft wie seine polarisierende Wirkung - im
Übrigen zwischen den Parteien ebenso wie innerhalb der
Union. Ich denke an den leidenschaftlichen Parlamentarier, an den in vielerlei Hinsicht wuchtigen Debattenredner und Oppositionsführer im Bundestag, der in Zeiten
Herbert Wehners und Helmut Schmidts hart austeilte und
ebenso heftig einstecken musste - ein Mann, der zuvor
in seiner rheinland-pfälzischen Heimat der jüngste Parlamentarier im Landtag gewesen war, jüngster Fraktionsvorsitzender und jüngster Regierungschef, ein kraftvoller
Modernisierer und mutiger Reformer, freilich zu einer
Zeit, als Studenten eher die Revolution erwarteten und
einforderten, und über den gleichwohl der Spiegel - ausgerechnet der Spiegel - 1969 schrieb - Zitat -:
Wann immer … alte Zöpfe abgeschnitten wurden Kohl … führte die Schere ...
Den Menschen zugewandt interessierte er sich auch
später, im Bundestag, sehr für neue, junge Abgeordnete, und ich weiß aus eigener Erfahrung: Er beobachtete
intensiver, als diese es sich oft hatten vorstellen können,
ob sie sich auch so entwickelten, wie er das von ihnen
erwartete. Sein Gedächtnis, in politischen wie privaten
Dingen, war dabei phänomenal. Und nicht selten verblüffte er seine Gesprächspartner mit Nachfragen oder
Beschreibungen aus ihrem Verantwortungsbereich zu
Vorgängen, die sie noch gar nicht kannten, er aber wohl.
Die Christlich Demokratische Union, in der er fest
verwurzelt war, verstand er immer als seine Familie, ihre
Fraktion im Bundestag, die er 2012 noch einmal besuchte - wer dabei gewesen ist, wird sich daran immer erinnern -, bezeichnete er als „seine Heimat“, sie war sein
Zuhause. Bodenständig war er und blieb er, was die, die
ihn notorisch unterschätzten, als provinziell missverstanden. Ausgestattet mit einem deftigen Charme und einem
ausgeprägten, mitunter spöttischen Humor verbanden
sich in ihm Gestaltungsanspruch und Machtbewusstsein,
ein unbedingter Wille und die bemerkenswerte Begabung, breite Bevölkerungskreise anzusprechen - dank
eines ganz besonderen Gespürs für Menschen.
Dabei gelang ihm, auch in den internationalen Beziehungen politisch enge und persönlich freundschaftliche
Beziehungen zu den wichtigen Staatschefs in aller Welt
aufzubauen, in Frankreich genauso wie in den USA und
in Russland. Er war die „personifizierte vertrauensbildende Maßnahme der Weltpolitik“, wie er dieser Tage in
manchen Medien treffend gewürdigt wurde.
Typisch dafür, und im Gedächtnis der Polen vermutlich stärker verankert als bei uns, sind die Umstände seines Staatsbesuchs in Warschau am 9. November
1989 - ein Besuch, den Kohl zwar unterbrach, um im
welthistorischen Moment in Berlin zu sein, aber eben
nicht abbrach, sondern zur Überraschung seiner Gastgeber am 11. November fortsetzte.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in seinen Weltgeschichtlichen Betrachtungen schreibt der bedeutende
Schweizer Historiker Jacob Burckhardt:
Sprichwörtlich heißt es: „Kein Mensch ist unersetzlich.“ - Aber die wenigen, die es eben doch sind,
sind groß ... Der große Mann ist ein solcher, ohne
welchen die Welt uns unvollständig schiene, weil
bestimmte große Leistungen nur durch ihn innerhalb seiner Zeit und Umgebung möglich waren und
sonst undenkbar sind; er ist wesentlich verflochten
in den großen Hauptstrom der Ursachen und Wirkungen.
„Undenkbar“? Helmut Kohl hat ebenso wenig alleine die
deutsche Einheit ermöglicht wie Otto von Bismarck den
deutschen Nationalstaat. Aber beide fundamentalen Veränderungen der deutschen Geschichte lassen sich ohne
deren beider Namen schwerlich vorstellen.
Die Bonner Republik begann mit Konrad Adenauer;
und sie endete in der Kanzlerschaft Helmut Kohls, der
zugleich dazu beitrug, dass ihre Grundpfeiler auch die
Berliner Republik trugen. In bedeutenden Persönlichkeiten spiegeln sich regelmäßig ihre Epochen. Helmut Kohls
historische Größe wird darin deutlich, dass er nicht nur
eine Ära mitprägte, sondern das Verbindungsglied zweier Epochen geworden ist: Die eine half er glücklich zu
überwinden, für die andere - unsere in einem vereinten
Europa - legte er die bleibenden Grundlagen. So war
für ihn auch geradezu selbstverständlich, was für viele auch für mich - damals durchaus diskussionsbedürftig
war: dass ein in Frieden wiedervereinigtes Deutschland
nicht länger von Bonn, sondern wieder von Berlin regiert
und parlamentarisch kontrolliert werden müsse.
Das viele Licht um große Persönlichkeiten wirft
Schatten. Das gilt auch für Helmut Kohl, der selbst sein
Leben als einen Weg von großen Erfolgen und schweren
Niederlagen beschrieben hat. 1976 hatte Kohl als Kanzlerkandidat die Union mit 48,6 Prozent der abgegebenen
Stimmen bei hoher Wahlbeteiligung zum zweitbesten Ergebnis aller bisherigen und, wie wir inzwischen wissen,
auch künftigen Bundestagswahlen geführt
({1})
- bis heute stattgefundenen Bundestagswahlen ({2})
und wurde Oppositionsführer, weil es zu den ungeschriebenen Regeln einer parlamentarischen Demokratie gehört, dass ein Land auch gegen die mit Abstand stärkste
Partei regiert werden kann, wenn es entsprechende parlamentarische Mehrheiten gibt.
Kohls Weg säumten nicht zuletzt Verletzungen, die er
selbst erlitt und die er anderen zufügte. Manche Fehler
räumte Kohl selbst ein. Dass sein Abschied nach dem
Verlust der Regierungsverantwortung auch aus der aktiven Politik so wurde, wie es - in der Formulierung seines Biografen Hans-Peter Schwarz - die Umstände der
„kreativen Verschleierung von Parteispenden“ am Ende
erzwangen, hängt wieder mit der außergewöhnlichen,
bisweilen auch außergewöhnlich sturen Persönlichkeit
Kohls zusammen.
Sein Tod bedeutet einen tiefen Einschnitt. Mit der Generation Schumacher, Heuss und Adenauer verschwanden einst die Biografien, die weit vor die NS-Zeit ins
Kaiserreich zurückreichten. Mit den verstorbenen Willy
Brandt, Walter Scheel, Helmut Schmidt, Richard von
Weizsäcker, Roman Herzog, Hans-Dietrich Genscher
und nun auch Helmut Kohl werden uns die Generationen
fehlen, für die die Epoche der Weltkriege keine Erzählung, sondern eine Erfahrung war - und Europa deshalb
immer auch eine Frage von Krieg und Frieden. Sich dieses Erbes zu vergewissern, ist offensichtlich notwendiger
denn je.
Helmut Kohl hat Konrad Adenauer, dessen Erbe er
sich maßgeblich verpflichtet fühlte, als einen - Zitat „Glücksfall für Deutschland“ bezeichnet. Er selbst war
es auch: ein Glücksfall für Deutschland und für Europa.
Wir Deutschen können uns glücklich schätzen angesichts
von Persönlichkeiten seines Formats, um die uns manche
Nachbarn beneiden.
Wir verneigen uns in Respekt und Dankbarkeit vor
dem Lebenswerk Helmut Kohls, dem Kanzler der Einheit und Ehrenbürger Europas. Unser Mitgefühl gilt seinen Angehörigen. Wir wünschen ihnen in ihrer Trauer
Kraft und Trost.
Ich möchte Sie bitten, sich als Zeichen des Respekts,
unserer Dankbarkeit und unserer Trauer im Gedenken an
Helmut Kohl von den Plätzen zu erheben.
({3})
- Ich danke Ihnen.
({4})
Wir unterbrechen nun diese Sitzung und setzen sie
in wenigen Minuten mit der vereinbarten Tagesordnung
fort.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, nach der
die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte erweitert werden soll:
ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck ({0}), Monika Lazar, Luise Amtsberg,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Antisemitismus entschlossen bekämpfen
Drucksache 18/12784
ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:
Kindern das Schwimmenlernen ermöglichen - Auswirkungen von Privatisierungen
und Schwimmbadschließungen
ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Präsident Dr. Norbert Lammert
Verlegung des Bundeswehrkontingents von
Incirlik nach Al Azraq zügig durchführen
Drucksache 18/12779
({1})
ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({2})
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker
Beck ({3}), Luise Amtsberg, Katja Keul, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Fremdrentengesetzes ({4})
Drucksache 18/12718
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({5})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der
Abgabenordnung zwecks Anerkennung der
Gemeinnützigkeit von Freifunk
Drucksache 18/12105
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({6})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss Digitale Agenda
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Meiwald, Nicole Maisch, Steffi Lemke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Umweltverschmutzung durch Mikroplastik-
freisetzung aus Kosmetika und Waschmitteln
beenden
Drucksache 18/10875
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lisa
Paus, Kordula Schulz-Asche, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rechtssicherheit für bürgerschaftliches Engagement - Gemeinnützigkeit braucht klare
Regeln
Drucksache 18/12559
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({7})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Petzold ({8}), Sigrid Hupach, Matthias W.
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Geschlechtliche und sexuelle Menschenrechte
gewährleisten
Drucksache 18/12783
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({9})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kordula
Schulz-Asche, Dr. Konstantin von Notz, Maria
Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Freiwilligendienste ausbauen und weiterentwickeln, Engagement anerkennen und attraktiver machen
Drucksache 18/12804
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({10})
Ausschuss für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kordula
Schulz-Asche, Irene Mihalic, Maria KleinSchmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Das freiwillige und ehrenamtliche Engagement im Bevölkerungsschutz und in der Katastrophenhilfe stärken
Drucksache 18/12802
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({11})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({12})
Ausschuss für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung
Federführung strittig
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin
Andreae, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Gesellschaftliche Teilhabe und gute Bildung
für alle Kinder und Jugendlichen sicherstellen
Drucksache 18/12795
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({13})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
ZP 5 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
({14})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Marieluise Beck ({15}), Volker Beck ({16}),
Claudia Roth ({17}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Präsident Dr. Norbert Lammert
Schnelle Hilfe für die in Russland verfolgten
Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transpersonen und Intersexuellen ({18})
Drucksache 18/12801
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe ({19}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Harald Petzold ({20}),
Stefan Liebich, Jan Korte, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transpersonen und Intersexuellen
({21}) in Tschetschenien entgegentreten
Drucksachen 18/12091, 18/12824
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({22})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert
Müller ({23}), Katrin Kunert, Wolfgang
Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Rekrutierung von Minderjährigen für die
Bundeswehr sofort beenden und keine
Ausbildung von Jugendlichen an Waffen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Tom
Koenigs, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka
Brugger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Rekrutierung Minderjähriger in die
Bundeswehr
Drucksachen 18/10241, 18/981, 18/10543
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur ({24}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Matthias Gastel, Tabea Rößner,
Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Fahrverbot für laute Güterwagen
Drucksachen 18/10033, 18/11144
ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Europapolitik der Bundesregierung zwischen
Griechenland-Krise, Brexit und Europäischem Rat
ZP 7 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens
Drucksache 18/11277
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der
Strafprozessordnung und weiterer Gesetze
Drucksache 18/11272
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({25})
Drucksache 18/12785
ZP 8 a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen
verurteilten Personen und zur Änderung
des Einkommensteuergesetzes
Drucksachen 18/12038, 18/1237, 18/12641
Nr. 1.1
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Volker Beck ({26}),
Renate Künast, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Aufhebung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten gemäß den §§ 175, 175a
Nummer 3 und 4 des Strafgesetzbuches
und gemäß § 151 des Strafgesetzbuches der
DDR ergangenen Unrechtsurteile
Drucksache 18/10117
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz
({27})
Drucksache 18/12786
- Bericht des Haushaltsausschusses ({28}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/12828
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({29}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Volker Beck ({30}), Katja Keul,
Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Individuelle und kollektive Entschädigung
für die antihomosexuelle Strafverfolgung
nach 1945 in beiden deutschen Staaten
Drucksachen 18/10118, 18/12786
ZP 9 Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen
Portugal: Vorzeitige teilweise Rückzahlung
der IWF-Finanzhilfe; Einholung eines zustim-
menden Beschlusses des Deutschen Bundesta-
ges nach § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisie-
rungsmechanismusgesetzes
Drucksache 18/12733
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Tabea
Rößner, Ulle Schauws, Katja Dörner, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Präsident Dr. Norbert Lammert
Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen
zum Schutz von Journalistinnen und Journa-
listen ermöglichen
Drucksache 18/12803
ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Kerstin Andreae, Ulle Schauws, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Rückkehrrecht auf Vollzeit einführen
Drucksache 18/12794
Dabei soll wie immer von der Frist für den Beginn der
Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Nach dem Tagesordnungspunkt 37 - hier geht es
um die abschließenden Beratungen ohne Debatte - soll
die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangte
Aktuelle Stunde mit dem Titel „Europapolitik der Bun-
desregierung zwischen Griechenland-Krise, Brexit und
Europäischem Rat“ aufgerufen werden. Der Tagesord-
nungspunkt 13 - Spitzensportförderung - soll abgesetzt
werden. Die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b - hier
geht es um Pestizidreduktion in der Landwirtschaft - sol-
len nunmehr in Verbindung mit dem bisher ohne Debatte
vorgesehenen Tagesordnungspunkt 37 f aufgerufen wer-
den. Die Tagesordnungspunkte 14 c und 14 d - hier geht
es um den Einsatz von Glyphosat - werden abgesetzt.
An der Stelle des nach hinten rückenden Tagesord-
nungspunktes 15 a - Bundesnaturschutzgesetz - soll
mit einer Debattenzeit von 38 Minuten der Entwurf ei-
nes Gesetzes zur strafrechtlichen Rehabilitierung der
nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homo-
sexueller Handlungen verurteilten Personen und zur
Änderung des Einkommensteuergesetzes auf der Druck-
sache 18/12786 in Verbindung mit dem Gesetzentwurf
auf der Drucksache 18/10117 und dem Antrag auf der
Drucksache 18/10118 abschließend beraten werden. Der
Tagesordnungspunkt 15 b soll abgesetzt werden. Der
Tagesordnungspunkt 22 - Bekämpfung von Diskrimi-
nierung - soll nunmehr in Verbindung mit dem Tages-
ordnungspunkt 37 ohne Debatte aufgerufen werden. Da-
rüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkteliste
dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs.
Sind Sie mit diesen Veränderungen der Tagesordnung,
die Ihnen vermutlich sofort einleuchten, in genau dieser
Reihenfolge einverstanden? - Das ist doch gut so. Dann
ist die neue Tagesordnung so beschlossen.
Bevor ich den ersten Tagesordnungspunkt aufrufe,
müssen wir noch einen Geschäftsordnungsantrag be-
handeln. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
haben fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung
um die zweite und dritte Beratung der von der Bundes-
regierung eingebrachten Gesetzentwürfe zur effektiveren
und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfah-
rens auf den Drucksachen 18/11277 und 18/12785 und
zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichts-
gesetzes und der Strafprozessordnung auf den Druck-
sachen 18/11272 und 18/12785 zu erweitern und im
Anschluss an Tagesordnungspunkt 12 mit einer Debat-
tenzeit von 38 Minuten zu beraten.
Über diesen Geschäftsordnungsantrag stimmen wir
jetzt ab. Wer stimmt für diesen Aufsetzungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist jeden-
falls bei einer erkennbaren hinreichenden Mehrheit der
Aufsetzungsantrag gegen die Stimmen der Opposition
angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Reform der Pflegeberufe ({31})
Drucksache 18/7823
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({32})
Drucksache 18/12847
- Bericht des Haushaltsausschusses ({33}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/12848
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({34}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche,
Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Eine Lobby für die Pflege - Arbeitsbedingungen und Mitspracherechte von Pflegekräften
verbessern
Drucksachen 18/11414, 18/12841
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Auch das ist
offenkundig einvernehmlich. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Georg Nüßlein für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({35})
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die
Reform der Pflegeausbildung ist der Schlussstein in einer
Reihe von Pflegegesetzen, mit denen wir die Pflege reformiert haben. Sie ist der Schlussstein, der am schwierigsten zu setzen war. Wir hatten im Mai des letzten Jahres
eine Anhörung zu dem Thema und haben erleben müssen, dass die Fachwelt tief gespalten bei der Frage ist, ob
wir in Zukunft die Ausbildung spezialisiert machen oder
generalistisch und breit halten wollen.
Wir haben in der Tat in der sich anschließenden Diskussion innerhalb der Fraktionen auf die Bedenken, die
uns vorgetragen wurden, reagiert. Ich sage an dieser Stelle ausdrücklich, weil es Forderungen gab, noch einmal
eine Anhörung durchzuführen: Dieses Anliegen ist dadurch obsolet, dass wir auf das eingegangen sind, was
uns damals vorgetragen wurde.
Ich möchte am Anfang meiner Rede ganz herzlich
meinem Kollegen Lauterbach für eine verlässliche ZuPräsident Dr. Norbert Lammert
sammenarbeit - nicht nur in diesem Punkt - danken. Ich
weiß nicht, ob ich Ihnen, Herr Lauterbach, damit schade.
({0})
Das kann ich nicht beurteilen. Nehmen Sie es als unvermeidbaren Kollateralschaden und nicht als bedingten
Vorsatz. Wir haben gemeinsam eine ganze Menge in der
Gesundheitspolitik bewirkt.
Wenn ich davon spreche, dass die Reform der Pflegeausbildung der Schlussstein ist, dann muss ich etwas ausholen, um auf das Gewölbe insgesamt einzugehen; denn
Pflege war das Topthema dieser Legislatur. Ich danke an
dieser Stelle ganz herzlich dem Gesundheitsminister dafür, dass er die Akzente so gesetzt hat. Ich danke ihm
auch für seine Kompromissbereitschaft in diesem heute
zu beratenden speziellen Punkt. Ich möchte in den Dank
die Kollegin Schön einschließen, die Berichterstatterin
ist, sowie die Kollegen Irlstorfer, Rüddel und Riebsamen,
die ihren Beitrag dazu geleistet haben, dass wir heute an
diesen Punkt kommen. Vielen herzlichen Dank!
({1})
- Natürlich gilt das ganz genauso, Frau Crone, mit der
gleichen Herzlichkeit für die Arbeitsgruppe der SPD.
({2})
Aber ich gehe jetzt einmal davon aus, dass der Kollege
Lauterbach, der dafür zuständig ist, in seiner Rede noch
entsprechend darauf eingehen wird.
({3})
Ich gehe jetzt auf die Verbesserungen ein, weil sie eine
Rolle spielen, also entscheidend sind. Wir haben die Rahmenbedingungen für die Pflege, insbesondere für diejenigen, die täglich einen harten Job auf diesem Gebiet machen, deutlich und erkennbar verbessert. Wir haben dafür
gesorgt, dass im Krankenhausbereich ein Pflegepersonalzuschlag von insgesamt 500 Millionen Euro bereitgestellt wird, um sicherzustellen, dass die Personalkosten in
Zukunft kein Steinbruch mehr sind, um Geld zu sparen.
Wir haben ein Pflegestellen-Förderprogramm mit einem
Umfang von 660 Millionen Euro aufgelegt. Wir haben
zur Tariflohnschere gesagt: Die Tariferhöhungen werden
zur Hälfte refinanziert. Wir werden gemeinsam mit der
Selbstverwaltung eine Personaluntergrenze definieren,
damit in pflegeintensiven Bereichen keine Unterbesetzungen vorkommen. Wir haben dafür gesorgt, dass die
Tarifbezahlung in der Altenpflege nicht mehr als unwirtschaftlich hingestellt wird.
({4})
Wir haben dafür gesorgt, dass vorsätzliche personelle
Unterdeckungen sanktioniert werden. Da wir das gemeinsam mit der SPD gemacht haben, wundere ich mich
über die Zwischenrufe an dieser Stelle.
({5})
Wir haben dafür gesorgt, dass die unterstellten Personalkosten von den Einrichtungen nicht nur angemessen
nachgewiesen, sondern auch tatsächlich gezahlt werden.
Außerdem haben wir dank dem Pflegebeauftragten auch
dafür gesorgt, dass es zu einer Entbürokratisierung in der
Pflegedokumentation kommt.
Warum erzähle ich das einleitend, bevor ich auf den
Gesetzentwurf als solchen eingehe? Mich hat in der Diskussion vieles geärgert - das sage ich ganz ehrlich -,
insbesondere dass die, die ganz besonders für die Generalistik waren, eigentlich nur berufspolitische Argumente vorgetragen haben, obwohl es doch viele gute andere
Argumente dafür gibt, eine Ausbildung, die sich in weiten Teilen überschneidet, stärker zu verzahnen. Es gibt
auch gute Argumente dafür, übergeordnet auszubilden;
schließlich leben wir in einer Zeit, in der es immer mehr
Multimorbidität gibt, in der wir mehr Kenntnisse über
den Umgang mit Alten in Krankenhäusern brauchen. Für
all das gibt es Argumente.
Aber am meisten geärgert hat mich, dass man all jenen,
die kritisch mit dieser Thematik umgegangen sind, in die
Schuhe schieben wollte, sie wollten den Beruf nicht aufwerten und nicht dafür Sorge tragen, dass die Löhne steigen. Wenn das so wäre, dann hätten wir all die Dinge, die
ich gerade beschrieben habe, so nicht gemacht. Dass man
uns das so in die Schuhe schieben wollte, war unlauter.
({6})
Es gibt immer noch ein paar, die mit dem Kompromiss, der aus meiner Sicht das Thema „generalistische
Ausbildung“ schwerpunktmäßig im Bereich der klassischen Krankenpflege intelligent verzahnt, und mit dem
Erhalt des Berufsbildes der Altenpflege und der Kinderkrankenpflege kritisch umgehen. Ich sage Ihnen ganz
ehrlich: Diese Kritik, die die Opposition nachher in allen
Farben vortragen wird, kann eigentlich noch gar nicht
vorgetragen werden, weil man noch gar nicht wissen
kann, was am Ende kommt. Denn das Entscheidende ist
doch, meine Damen und Herren, dass wir hier nur einen
Rahmen vorgeben. Dieser Rahmen muss in der nächsten
Legislatur - so ist es halt - gefüllt werden mit der Verordnung zu den Lerninhalten, die der nächste Deutsche Bundestag festlegen wird. Wir haben dafür gesorgt, dass das
mit Zustimmung des Deutschen Bundestags stattfinden
wird, dass das also nicht alleiniges Regierungshandeln
bleibt, sondern dass der Bundestag bei dieser wichtigen
Frage auch im Boot bleibt. Es ist äußerst wichtig - so
glaube ich -, dass das so kommt.
Weiter haben wir dafür gesorgt, dass Hauptschüler
und Quereinsteiger mit an Bord bleiben. Das muss und
wird sich bei den Lerninhalten niederschlagen. In meinem Bundesland arbeiten bis zu 40 Prozent Hauptschüler
in der Altenpflege. Es macht überhaupt keinen Sinn - wie
es uns der Deutsche Pflegerat nahegelegt hat -, die ganze
Ausbildung so hoch zu hängen, dass wir diese wichtigen Leute, die mit Fachkenntnis, aber auch mit Empathie pflegen, am Schluss verlieren. Das war das eigentliche Anliegen, warum wir diese Reform, Herr Kollege
Lauterbach, so gestrickt haben, wie wir sie gestrickt haDr. Georg Nüßlein
ben. Ich glaube, das ist etwas, was man gar nicht massiv
und lange genug hervorheben kann.
({7})
Nun wird es in den Grundzügen so sein, wie ich es
schon beschrieben habe: Die Krankenpflege wird durch
eine generalistische, breite Ausbildung ersetzt, sodass
derjenige, der eine Krankenpflegeausbildung gemacht
hat, am Ende beispielsweise auch in der Altenpflege tätig
werden kann. Die Alten- und die Kinderkrankenpflege
bleiben erhalten, es gibt aber zwei gemeinsame Jahre.
Nach diesen zwei gemeinsamen Jahren wählt der bzw.
die Auszubildende den weiteren Weg. Im dritten Jahr
kann man sich für eine Spezialisierung, etwa als Altenpfleger oder Kinderkrankenschwester, entscheiden oder
sich anders orientieren und eine generalistische Ausbildung anstreben.
Diese Wahlfreiheit ist eigentlich der Kern dieses Kompromisses. Nicht die Politik entscheidet, sondern es entscheidet der Arbeitsmarkt, es entscheiden insbesondere
diejenigen, die die Ausbildungen absolvieren. Ich glaube,
es liegt sehr nahe, das so auszugestalten, und es ist auch
richtig, das so zu machen.
Nun weiß niemand, wie diese Entscheidungen ausgehen, aber es gibt schon erste Vorwürfe. Deshalb sage
ich Ihnen: Es gibt keinen Automatismus im Gesetz, wie
immer behauptet wird. 2020 wird das Gesetz in Kraft treten, und das Ergebnis wird im Jahr 2026 evaluiert. Sechs
Jahre später wird also evaluiert, und dann entscheidet der
Deutsche Bundestag frei, wie er immer frei entscheidet,
in welche Richtung das Ganze gehen wird. Er entscheidet
ganz unabhängig, ob er das eine oder das andere fortsetzen wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das
gegen den Arbeitsmarkt oder gar gegen die Auszubildenden entscheiden wird. Insofern ist mir gar nicht bange,
dass das, was in diesem Gesetz angelegt ist, tatsächlich
gelingt.
Die große, wichtige Botschaft in dem Zusammenhang
ist: Wir schaffen über den Ausbildungsfonds das Schulgeld ab. Es ist unsäglich, dass es noch Bundesländer gibt,
die Schulgeld verlangen.
({8})
Jetzt kann man sagen: Das dauert ja noch, bis das Ganze
in Kraft tritt. - Ich lege denjenigen, die es bisher noch
nicht abgeschafft haben - Nordrhein-Westfalen beispielsweise unter der alten SPD-Regierung -, nahe, das
Thema entsprechend zu bearbeiten.
({9})
- Das Schuldgeld gibt es nicht mehr?
({10})
- Ja, dann sind wir ja froh - ich traue Ihnen das zu, dass
das stimmt -, wenn es abgeschafft worden ist. Wenn der
Herr Laumann das schon gemacht hat,
({11})
dann ist das wunderbar. Dann nehme ich alles zurück.
Trotzdem bleibt der Hinweis an die Länder, die es noch
nicht getan haben
({12})
- ich bin ja nun nicht für die Länder zuständig -, es rechtzeitig zu tun.
Herr Kollege.
Ich bin der Meinung, wir sind hier einen richtigen
Weg gegangen. Wir sorgen für eine neue Finanzierungsgrundlage, und wir sorgen für eine inhaltliche Reform.
Das wird letztlich von den Auszubildenden - nicht von
der Politik - sinnvoll entschieden. Und wenn ich mir das
Geschreie hier anhöre, ist es gut, dass das nicht die Politik macht.
Vielen herzlichen Dank.
({0})
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Pia
Zimmermann das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen
Koalition! Mit dem Pflegeberufereformgesetz haben Sie
große Erwartungen geweckt. Sie haben eine Reform der
Pflegeberufe versprochen. Tatsächlich haben Sie jetzt
ein großes Durcheinander vorgelegt, und Sie nennen das
auch noch „Kompromiss“. Ja, und tatsächlich ist es ein
Kompromiss, aber auf rein politischer Ebene. Mit Fachlichkeit hat diese Gesetzesvorlage jedenfalls nicht viel zu
tun, und eine Reform ist es schon gar nicht.
({0})
Vor über einem Jahr haben Sie uns einen Gesetzentwurf vorgelegt. Monatelang haben Sie nicht nur uns,
sondern vor allen Dingen auch die Betroffenen, also die
Schulen, die Auszubildenden, am Ende auch die Menschen mit Pflegebedarf und deren Angehörige, im Regen
stehen lassen. Kein Bild, kein Ton - meine Damen und
Herren, so geht das nicht.
({1})
Was Sie jetzt im Eilverfahren vorgelegt haben, verbessert gar nichts. Das wissen Sie offenbar selbst; denn Sie
haben eine bereits terminierte Anhörung mit den Stimmen der SPD abgesagt.
({2})
Zwölf Stunden vor den Beratungen haben Sie uns 46 Änderungsanträge auf 81 Seiten vorgelegt, die bereits
14 Tage vorhanden waren. Nennen Sie das einen demokratischen Prozess? Ich nicht!
({3})
Inzwischen haben Sie Ihr eigenes Gesetz so sehr verändert, dass nicht einmal mehr Ihre einstigen Unterstützerinnen und Unterstützer sich damit noch identifizieren
können. Ich habe Ihnen einige Zitate von Verbänden mitgebracht, die normalerweise Ihre Positionen vertreten:
Dieser Alternativvorschlag ist berufspolitisch rückständig und pädagogisch unsinnig.
Das sagt der Bundesverband Lehrende Gesundheits- und
Sozialberufe.
Bereits jetzt ist absehbar,
dass die Kapazitäten für bestimmte Ausbildungsabschnitte nicht flächendeckend zur Verfügung stehen.
({4})
Das birgt die Gefahr, dass sich die Ausbildungszeit
verlängert und der Fachkräftemangel eher verstärkt
wird.
Das sagt der Verband der Krankenhausdirektoren
Deutschlands.
({5})
Nach einem unvorstellbaren Gewürge gibt es jetzt
einen Kompromiss von Union und SPD.
({6})
Unsere Befürchtung bleibt: Dank dieses bürokratischen Kuddelmuddels werden Unternehmen weniger ausbilden. ... Die alten Menschen und die Altenpflege werden zum Opfer dieser Reform.
Das sagt der Arbeitgeberverband Pflege.
({7})
Ich sage, meine Damen und Herren: Deutlicher geht es
nicht mehr.
Dieses Gesetz macht die Pflegeausbildung nicht attraktiver. Im Gegenteil: Durch die Unübersichtlichkeit
der verschiedenen Ausbildungsgänge und -abschlüsse
wird kaum noch jemand wissen, wofür sie oder er sich
entscheiden soll. Angesichts der schlechten Arbeitsbedingungen, der geringen Bezahlung und der katastrophalen
Personalsituation gibt es dann nicht mehr viele Gründe,
sich überhaupt noch für den Pflegeberuf zu entscheiden.
Meine Damen und Herren, dieses Gesetz wertet den
Pflegeberuf auch nicht auf. Im Gegenteil: Es wird dazu
führen, dass die Altenpflege weiter abgehängt wird, statt
dass sie gefördert wird. Es wird im schlimmsten Fall sogar zu einer Deprofessionalisierung der Pflegekräfte in
allen Bereichen führen,
({8})
weil die fachlichen Kompetenzen der verschiedenen
Pflegeberufe nicht gestärkt werden.
Dieses Gesetz verbessert die Ausbildungsbedingungen nicht. Im Gegenteil: Die praktische Ausbildung wird
noch unübersichtlicher, als sie ohnehin schon ist. Bis
heute liegt keine Ausbildungs- und Prüfungsverordnung
vor - trotz Ihrer Zusicherung, diese Verordnung zur Gesetzesverabschiedung im Entwurf vorzulegen.
Die Finanzierung der Ausbildung ist bis heute nicht
vollständig geklärt. Nach seriösen Berechnungen wird
Ihr Finanzplan nicht aufgehen. Außerdem werden mit
Ihrem Entwurf die Ausbildungskosten auf Menschen mit
Pflegebedarf in stationären Einrichtungen umgelegt. Das
darf nicht sein. Was wollen Sie den Menschen denn eigentlich noch zumuten?
({9})
Meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist keine
gute Entscheidung für die Pflege. Keine Entscheidung
wäre besser als das, was uns hier vorliegt. Mit diesem
faulen Kompromiss mit dem trügerischen Namen „Pflegeberufereformgesetz“ haben Sie einen Koalitionsstreit
auf dem Rücken der Pflegekräfte und der zu pflegenden
Menschen ausgetragen. Das ist unglaublich.
({10})
Um den Pflegeberuf attraktiver zu machen, braucht es
nicht nur eine viel bessere Ausbildungsreform; man muss
vor allem die Rahmenbedingungen verbessern, und zwar
sofort. Die Pflege braucht eine feste Personalbemessung - nicht erst nach 2020 in der Altenpflege und nicht
nur für ausgewählte Bereiche im Krankenhaus.
({11})
Die Pflege braucht eine allgemein verbindliche tarifliche Bezahlung in allen Bereichen, die von den Kassen
finanziert werden, und die Pflege braucht mehr Mitbestimmung aller Beteiligten: der Pflegekräfte, der Angehörigen und der Menschen mit Pflegebedarf.
({12})
Meine Damen und Herren, nur so kann eine gute Pflege gelingen, und dafür setzen wir Linke uns ein.
Herzlichen Dank.
({13})
Für die Bundesregierung hat nun die zuständige Bundesministerin Frau Dr. Barley das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gerade gestern habe ich an dieser Stelle den
Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung
vorgestellt. Ein wichtiges Element darin war die Aufwertung sozialer Berufe. Genau mit diesem Vorhaben machen wir Ernst.
({0})
Das Gesetz zur Reform der Pflegeberufe ist ein großer
Schritt in Richtung einer Aufwertung der sozialen Berufe.
Sehr geehrte Frau Zimmermann, wenn die Linke jetzt
anfängt, den Arbeitgeberverband Pflege und den Verband
der Krankenhausdirektoren Deutschlands zu zitieren,
dann sollten Sie sich einmal Gedanken darüber machen,
ob Sie da vielleicht nicht auf einer etwas schiefen Ebene
sind.
({1})
Heute hat sich Annelie Buntenbach vom Deutschen
Gewerkschaftsbund dahin gehend geäußert, dass diese
Reform längst überfällig sei und insbesondere im Bereich
Mitbestimmung ganz große Fortschritte bringen werde.
Wer einmal Angehörige selbst gepflegt hat, der weiß, was
das für eine Herausforderung ist - emotional, körperlich,
mental -, aber auch wie bereichernd diese Tätigkeit sein
kann. Wer diese Tätigkeit als Beruf wählt, der wählt den
Dienst am Menschen mit all den Herausforderungen, und
das verdient erst einmal unseren allerhöchsten Respekt.
({2})
Eine neue Struktur der Pflegeausbildung ist deswegen
vor allem eine Sache von Wertschätzung, von Gerechtigkeit und von Weitsicht ({3})
Wertschätzung dafür, was diese Männer und Frauen jeden Tag leisten, Gerechtigkeit, weil wir vor allen Dingen die Altenpflege deutlich aufwerten, und Weitsicht,
weil wir die Pflege attraktiver machen müssen. Denn wir
wissen: Nachwuchs wird schon heute dringend gesucht,
und wir müssen sicherstellen, dass die pflegebedürftigen
Menschen auch in Zukunft alle Unterstützung bekommen, die sie brauchen.
({4})
Wir brauchen eine generalistische Pflegeausbildung,
weil immer mehr ältere Menschen im Krankenhaus
liegen, die mehr pflegerische Zuwendung brauchen als
jüngere, weil in den Pflegeheimen eine steigende Anzahl
von Menschen lebt, die auch Krankenpflege brauchen,
und weil in der wichtigen ambulanten Pflege Akutpflege und Langzeitpflege beherrscht werden müssen, weswegen diese Bereiche nicht getrennt werden können.
Was ist hieran nun das Neue? Wir reagieren darauf, indem wir Krankenpflege und Altenpflege einander annähern, indem Pflegekräfte eine moderne, generalistische
Ausbildung erhalten, die EU-weit anerkannt ist. Deren
Abschluss eröffnet sogar noch die Möglichkeit zum
Pflegestudium, das heißt, wir schaffen auch mehr Aufstiegschancen in der Pflege.
({5})
Außerdem wird es eine Differenzierung im dritten Ausbildungsjahr geben. Ich gebe zu: Das ist nicht die von
mir favorisierte Lösung gewesen. Wir haben aber gehört,
dass es nach sechs Jahren eine Evaluierung geben wird,
und wir werden sehen, ob sich dann Änderungsbedarf
zeigt.
Einen Punkt, der mir besonders wichtig ist, möchte ich
noch ansprechen: Es gibt nur wenige Berufe, in denen
man zur Ausbildung noch Geld mitbringen muss und keine Ausbildungsvergütung erhält. Interessanterweise sind
das meistens Berufe, in denen überwiegend Frauen tätig
sind.
({6})
Ich halte es für einen riesigen Erfolg, dass wir die Ausbildungsfinanzierung neu regeln, das Schulgeld abschaffen
und einen Ausbildungsfonds einrichten, der eine sichere Finanzierungsgrundlage bietet. Alle Auszubildenden
werden eine angemessene Vergütung erhalten. Der Fonds
ist nicht gedeckelt, das heißt, es wird jeder Bedarf gedeckt werden, es wird keine Platzbegrenzung geben.
Eine solche moderne Pflegeausbildung, sehr geehrte
Damen und Herren, ist eine Frage von Wertschätzung,
von Gerechtigkeit und von Weitsicht. Wir brauchen gut
ausgebildete, motivierte, engagierte Menschen in den sozialen Berufen, die sich um andere Menschen kümmern,
die das - gerade in der Pflege - auch ein Stück weit als
Berufung empfinden, damit unser Land für alle lebensund liebenswert bleibt.
({7})
Ich bedanke mich sehr, insbesondere - das vielleicht
zuletzt, da ich noch ein paar Sekunden Redezeit habe für die ausgesprochen gute Zusammenarbeit mit dem
Bundesministerium für Gesundheit. Das kann ich zwar
jetzt nicht aus eigener Anschauung sagen, weil der Großteil des Prozesses unter meiner Vorgängerin Manuela
Schwesig abgelaufen ist, aber das gesamte Haus hat mir
versichert, dass es ein ausgesprochen produktives Zusammenwirken gab. An dieser Stelle dafür herzlichen
Dank!
({8})
Die zuletzt vorgetragene Vermutung kann der gleich
folgende Bundesminister für Gesundheit ja möglicherweise bestätigen. Vorher hat aber die Kollegin
Scharfenberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach etwa einem Jahr Stillstand stolpert diese Koalition heute auf den
letzten Metern in die Reform der Pflegeausbildung,
({0})
über die mit äußerst harten Bandagen gestritten wurde
und eigentlich auch immer noch wird. Es geht nicht um
irgendetwas, es geht um die grundlegende Veränderung
dreier Berufsbilder. Sie betrifft Millionen von Menschen:
Pflegebedürftige, Patientinnen und Patienten zu Hause,
in Pflegeheimen, in Krankenhäusern. Sie betrifft natürlich auch die Pflegekräfte von morgen, nämlich die zukünftigen Auszubildenden. Ich frage Sie: Hält dieser Gesetzentwurf insgesamt das, wofür er angetreten ist,
({1})
was Sie uns versprechen? Wird er die Pflegeberufe attraktiver machen, und wird er die Pflegeberufe aufwerten?
({2})
Wird dieser Gesetzentwurf mehr Menschen für die professionelle Pflege gewinnen?
({3})
Wir Grünen sagen dazu ganz klar Nein.
({4})
Um die Ziele - Attraktivität und Aufwertung - zu erreichen, muss die Reform ein klares Berufsbild vermitteln und ein verlässliches Umsetzungskonzept liefern.
Von beidem sind wir ganz weit entfernt.
({5})
Wir haben viel Unsicherheit sowie viele Fragen, die uns
von der Koalition und der Bundesregierung niemand eindeutig und schlüssig beantworten konnte und auch nicht
kann. An drei Beispielen möchte ich das gerne deutlich
machen.
Erstens. Wir brauchen eine neue Ausbildungs- und
Prüfungsverordnung. Diese Verordnung ist quasi der
Ausbildungslehrplan. Darin steht, was die Schulen den
Pflegeazubis beibringen sollen. Diese Verordnung liegt
uns noch nicht vor. Wir beschließen also heute ein Gesetz, dessen Inhalt wir eigentlich nicht kennen. Bei so einer umstrittenen Reform sollten jedoch alle von Anfang
an ganz genau wissen, was auf sie zukommt.
({6})
Zweitens. Herr Nüßlein, Sie haben die Wahlfreiheit
angesprochen. Dieses Gesetz wirbt mit einer Wahlfreiheit. Konkret bietet es aber nur eine Scheinwahl. Azubis, die sich für einen Abschluss in der Alten- oder in
der Kinderkrankenpflege entscheiden, können nach zwei
Jahren in die generalistische Ausbildung wechseln. Diese Wahlfreiheit funktioniert. Azubis aber, die sich für die
Generalistik entschieden haben, haben keine Wahl. Sie
können nach zwei Jahren nicht in die Alten- oder Kinderkrankenpflege wechseln.
({7})
Ich frage Sie: Was ist das für eine Wahlfreiheit, die nicht
allen Azubis zusteht?
({8})
Es kann doch gut möglich sein, dass jemand nach zwei
Jahren lieber in die Alten- oder in die Kinderkrankenpflege wechseln möchte. Fehlanzeige, für diejenigen lässt
das Gesetz im Moment nichts anderes zu.
Es ist richtig und wichtig, dass wir Ende 2025 eine
Evaluierung vorsehen und schauen, wie viel Prozent der
Azubis sich für die spezialisierte Ausbildung der Altenund Kinderkrankenpflege entschieden haben. Meine Damen und Herren, aber diese blanken Zahlen dürfen nicht
das Entscheidungskriterium für oder gegen die Zukunft
eines Berufsbildes sein. Es muss die Qualität eine Rolle
spielen, und es muss geschaut werden, welche Qualitäten
die zukünftigen Pflegekräfte mitbringen. Es kann sein,
dass die Mehrheit der Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen im Jahr 2025 zurückmeldet, dass die generalistisch ausgebildeten Kräfte nicht qualifiziert genug sind
und die spezialisierten Kräfte viel besser sind. Hier brauchen wir eine ehrliche Analyse.
({9})
Drittens. Bei der praktischen Umsetzung ist noch ganz
vieles offen. Im Rahmen der zweijährigen generalistischen Grundausbildung müssen alle Azubis praktische
Einsätze in allen Bereichen absolvieren. Das ist sehr ambitioniert. Grundsätzlich wird es schwierig, ausreichend
Praxisplätze in der Pädiatrie zu finden. Es steht immer
noch im Raum, dass auch Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen geeignete Praxisorte sein sollen. Das ist und
bleibt für die Pflegeausbildung einfach absurd.
({10})
So schön Sie das auch reden, es drohen einige Schwierigkeiten in der Umsetzung.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, angesichts dieser Probleme wäre es notwendig gewesen, zu
diesem Kompromiss die Fachleute aus der Wissenschaft
und von den Fachverbänden noch einmal anzuhören.
Aber dem haben Sie sich kategorisch verweigert. Die
Probleme bleiben trotzdem ungeklärt. Das ist unverantwortlich.
({11})
Die Auswirkungen dieser Reform werden uns noch sehr
lange beschäftigen. Sie produzieren hier die eierlegende
Wollmilchsau, ein Fabelwesen, das alles können soll, und
das auf einen Schlag. Alles, woran es in der Pflege hakt,
soll auf einmal vom Tisch sein. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Eine Reform der Pflegeausbildung ist nicht das Allheilmittel gegen den Fachkräftemangel, gegen schlechte
Bezahlung, gegen den Pflegekräftefrust.
({12})
- So wurde das immer kolportiert. - Eine Pflegeberufereform macht noch keine Attraktivitätssteigerung des
Berufes aus. Gerade der Fachkräftemangel ist doch der
Dreh- und Angelpunkt, und hier brauchen wir eigene
Maßnahmen. Das haben Sie in dieser Wahlperiode nicht
wirklich und ehrlich angepackt.
({13})
In unserem Antrag „Eine Lobby für die Pflege“, über
den heute ebenfalls hier abgestimmt wird, haben wir einige notwendige Maßnahmen genannt. Da geht es um
die schnellstmögliche Einführung eines Personalbemessungsinstruments in der Altenpflege und im Krankenhaus.
({14})
Da geht es um die Unterstützung familienfreundlicher,
mitarbeiterorientierter Arbeitsbedingungen. Da geht
es um die Unterstützung angemessener Gehälter in der
Pflege, zum Beispiel durch einen allgemein verbindlichen Tarifvertrag „Soziales“. Es geht um die Stärkung
der professionellen Pflege in den Gremien und in der
Selbstverwaltung. Es geht um eine nachhaltige und eine
gerechte Finanzierung der Pflege durch eine Bürgerversicherung. - All das sind unerledigte Aufgaben.
So bleibt am Ende die bittere Erkenntnis: Die Pflegekräfte warten noch immer auf Hilfe, und es bleibt sehr
viel zu tun - für Sie. Denn das hier ist heute meine letzte
Rede im Deutschen Bundestag. Ich habe mich entschieden, nicht ein weiteres Mal zu kandidieren.
({15})
Ich war hier zwölf Jahre Mitglied - drei Legislaturen, in
denen sehr viel passiert ist, und das meine ich nicht nur
politisch. Diese zwölf Jahre waren auch für mich persönlich sehr wichtige Jahre, und ich habe in dieser Zeit sehr
viel gelernt - über Politik, über Strategie, über menschliche Abgründe, über persönliche Grenzen und auch über
Grenzüberschreitungen,
({16})
aber auch viel über Toleranz, über Verständnis und auch
über Empathie. Ich habe selbst manchmal umparken
müssen im Kopf, und dafür bin ich sehr dankbar.
({17})
Ich muss sagen - auch das gehört zu meinem Umparken im Kopf -: Es gibt in allen Fraktionen wunderbare
Kolleginnen und Kollegen. Ich bedanke mich ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit. Wir alle treten für unsere Parteien und für unsere Fraktionen an, und jeder und
jede mit vollster Überzeugung.
Es gab viele harte politische Auseinandersetzungen,
und wir haben in dieser Legislatur eine Mehrheit, die für
mich persönlich und, wie ich glaube, für viele in der Opposition eine echte Herausforderung war und auch noch
ist.
({18})
Aber ich akzeptiere das; denn jeder und jede von uns ist
demokratisch gewählt und hat hier seinen Platz. Auch dafür bin ich dankbar.
Ich bin dankbar dafür, Teil einer funktionierenden
Demokratie zu sein. Ich bin dankbar dafür, dass ich hier
morgens im Parlament beispielsweise den Gesundheitsminister Gröhe sehr scharf kritisieren kann und trotzdem
sicher bin, dass ich mich abends deshalb nicht in irgendeinem Gefängnis wiederfinde.
({19})
- Ja. Es gibt jedoch viele Länder, die gar nicht weit von
uns entfernt sind und in denen das der Alltag und die Realität ist. Wir nehmen das als viel zu selbstverständlich
hin.
({20})
Ich bin dankbar dafür. Das muss uns bewusst sein, und
dafür müssen wir kämpfen.
In den zwölf Jahren war die Pflege mein zentrales politisches Arbeitsfeld. Für mich ist und bleibt die Pflege
eine der wichtigsten politischen und gesellschaftlichen
Herausforderungen. Ich würde mir wünschen, dass Pflege noch viel, viel stärker in den Fokus rücken würde. Das
sehen meine pflegepolitischen Kolleginnen und Kollegen
Pia Zimmermann, Mechthild Rawert, Erwin Rüddel und
auch Erich Irlstorfer sicherlich genauso. Es war und es ist
schön, mit euch zu arbeiten, und wir haben alle gemeinsam für eine gute Pflege gekämpft. Danke dafür!
Oben auf der Tribüne sitzt auch mein ehemaliger Kollege Willi Zylajew. Ich freue mich, dass wir immer noch
über gute Pflege streiten. Wir haben das hier acht Jahre
lang gemacht, wir tun das immer noch. Und das zeigt
mir: einmal Pflege, immer Pflege. Das Thema lässt uns
einfach nicht los.
Ich möchte mich bei allen Akteuren bedanken, die
mich hier in Gesprächen, in Diskussionen, in Auseinandersetzungen und insbesondere auch mit ihrer Kritik weitergebracht haben. Stellvertretend nenne ich hier
natürlich an allererster Stelle die Pflegekräfte und die
pflegenden Angehörigen selbst. Da sind die Leistungserbringer in all ihren unterschiedlichen Verbänden: die
Berufsverbände, die Gewerkschaften, das Bündnis für
gute Pflege und auch die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege. Und ganz besonders - das darf natürlich nicht fehlen; das wissen Sie alle
selbst - sind da meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
die ich erwähnen muss; denn ohne unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wären wir alle nichts. Mein wunderbares Büro hat immer für meine Arbeitsfähigkeit gesorgt,
und es hat mich jahrelang unermüdlich mit enormem
Fachwissen und mit unglaublicher Loyalität unterstützt
und begleitet.
Ganz zum Schluss möchte ich einen ganz großen
Dank - wahrscheinlich im Namen von uns allen - den
Plenarassistenten und -assistentinnen aussprechen, die
für einen reibungslosen Ablauf sorgen. Ich glaube, sie
haben den meisten Applaus verdient.
({21})
Ich gehe heute mit einem lachenden und mit einem
weinenden Auge. Trotzdem ist es eine gute Entscheidung, auch mal loszulassen. Für mich ist es der richtige
Zeitpunkt.
Vielen Dank und allen eine gute weitere Zeit.
({22})
Liebe Frau Scharfenberg, den Dank für die gute Zusammenarbeit und die guten Wünsche gebe ich im Namen des Hauses und auch persönlich gerne zurück. Wenn
jetzt noch der Bundesgesundheitsminister anschließend
feierlich versichert, dass er gelegentliche Kritik an der
Bundesregierung im Allgemeinen und womöglich an seiner Amtsführung nie zum Gegenstand von Strafanzeigen
machen oder den Versuch unternehmen würde, Abgeordnete ins Gefängnis zu bringen,
({0})
dann würde diese Debatte einen zusätzlichen Höhepunkt
erreichen.
({1})
Hermann Gröhe hat das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Unser Präsident hat in gewohnt heiterer Weise einen sehr
ernsten Hinweis, nämlich dass wir dankbar dafür sein
können, uns in Freiheit zu streiten, aufgenommen.
({0})
Ich finde, es sollte immer wieder daran erinnert werden:
Wir streiten uns - manches eint uns -, aber das tun wir
immer mit der Kraft des Arguments und aufgrund der
Mehrheit, mit der uns die Wählerinnen und Wähler ausgestattet haben, und wir brauchen keine Sorge vor Repressalien haben, die in anderen Ländern der Welt notwendige Debatten erst gar nicht möglich machen.
({1})
Im Beitrag der Kollegin Scharfenberg ist eines deutlich geworden: Das Fundament, auf dem wir streiten, ist,
dass wir gemeinsam den Pflegebedürftigen, ihren Angehörigen und den Pflegekräften den Rücken stärken wollen. Es ist Aufgabe der Opposition, zu mahnen und zu
drängen. Unsere Aufgabe ist es, zu handeln. Ich sage sehr
selbstbewusst: In dieser Legislaturperiode ist so viel wie
in keiner zuvor für die Pflege getan worden.
({2})
Ab 1. Januar dieses Jahres wurde der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff umgesetzt. Endlich gibt es gleichberechtigten Zugang zu allen Leistungen der Pflegeversicherung auch für demenziell Erkrankte. Zehn Jahre lang
wurde darüber gestritten. Noch in dieser Legislaturperiode hat die Opposition im Zusammenhang mit dem
Pflegestärkungsgesetz I behauptet: Das Pflegestärkungsgesetz II wird nie kommen. - Am 1. Januar 2017 ist es
Realität geworden.
Auch über die Pflegeberufereform diskutieren wir
seit zehn Jahren. Deswegen ist es originell, dass mancher pendelt zwischen den Argumenten „zu viel Zeit
gelassen“ und „übers Knie gebrochen“. Seit zehn Jahren
diskutieren wir über die Frage, ob es nicht angemessen
ist - und ich bejahe dies eindeutig -, die Pflegeberufe in
einem einheitlichen Berufsbild - bei Vertiefung in speziellen Bereichen in konkreten Tätigkeitsfeldern - zusammenzuführen, weil es die Berufe aufwertet und weil es
die Einsatz- und Aufstiegsmöglichkeiten unserer Pflegekräfte erhöht. Darin weiß ich mich von vielen aus der
Pflegebranche unterstützt.
({3})
Die Kollegin von der Linken spricht von einem Koalitionsstreit. Sie fordern eine zweite Anhörung. Mit Verlaub: Hätten Sie doch bei der ersten schon zugehört,
({4})
dann wüssten Sie, dass es nicht um ein Hakeln in der
Koalition geht, sondern dass diese umfassende Ausbildungsreform mit ganz vielen Hoffnungen und auch mit
Sorgen verbunden ist, Sorgen zum Beispiel der privaten
Arbeitgeber - das haben Sie eindrucksvoll unterstrichen - und Hoffnungen zum Beispiel der Wohlfahrtsverbände, des Pflegetags und des Pflegerats. Jeder artikuliert
hier die Sorgen und zitiert die Verbände, denen er sich
besonders nahe fühlt. Ich habe beim Pflegetag einen großen Rückenwind,
({5})
übrigens nicht nur in Bezug auf die Generalistik, sondern
ausdrücklich auch für den Kompromiss erfahren.
({6})
Ich will mit Dank an die Kollegen Nüßlein und
Lauterbach auch sagen, dass ich es für richtig halte, dass
in dieser Weise nach einem Kompromiss gesucht, ja gerungen wurde, der das Ziel hat, die Hoffnungen wie die
Sorgen ernst zu nehmen. Wir wollten nicht rechthaberisch fragen, wer denn nun mit seinen Hoffnungen recht
hat, sondern haben gesagt: Die jungen Leute, die eine
Ausbildung beginnen, sind Expertinnen und Experten für
ihren eigenen Lebensweg. Sie werden - da bitte ich Sie,
sich die Regelungen zum Wahlrecht noch einmal anzusehen - beginnen mit einer gemeinsamen Ausbildung und
werden dann nach einer Vertiefung in Alten- und Kinderkrankenpflege nach zwei Jahren die Möglichkeit haben,
selbst zu entscheiden, ob sie den Abschluss in der Kinderkranken- und Altenpflege oder den generalistischen
Abschluss mit einem Vertiefungsschwerpunkt wählen.
Wir legen dies in die Hand der jungen Leute. Wir werden
uns nach einigen Jahren ansehen, wie die Erfahrungen
damit sind, dann wird der Bundestag erneut entscheiden.
Ich glaube, das ist eine gute Lösung, eine Lösung, die
Vertrauen zu denjenigen aufbaut, die wir für einen Pflegeberuf gewinnen wollen.
({7})
Meine Damen, meine Herren, ich bin in der Tat davon
überzeugt, dass wir die Attraktivität der Berufe umfassend stärken, und zwar nicht nur durch die Generalistik,
den erweiterten Einsatz und die Aufstiegsmöglichkeiten.
Ich nenne beispielhaft, weil gerade von Wertschätzung
für die Pflege die Rede war, § 4, in dem es um vorbehaltene Tätigkeiten geht. Erstmalig entsprechen wir mit
diesem Gesetz dem klaren Grundsatz: Pflegen kann nicht
jeder.
({8})
Es wird klar, dass bestimmte Tätigkeiten nur ausgebildeten Fachkräften vorbehalten sind. Das ist ein deutliches
Zeichen der Wertschätzung und steht in dieser Klarheit
erstmalig in diesem Gesetz.
({9})
Ein weiterer Punkt. Wir wollen die praktische Ausbildung stärken. Deswegen gibt es erstmalig eine klare Regelung zur Praxisanleitung. Das heißt, der Auszubildende wird eben nicht allein in der Arbeit eingesetzt und soll
sich dort bewähren, sondern er erhält durch Fachkräfte
eine Praxisanleitung. Das ist ein großer Fortschritt hin zu
einer besseren Berufsausbildung.
({10})
Es ist ein Aberwitz - das ist schon angesprochen worden -, dass wir uns angesichts des Mangels von Arbeitskräften in der Altenpflege in einigen Bundesländern noch
Schulgeld leisten. Das gehört dann endlich der Vergangenheit an. Das ist ein wichtiger Schritt.
({11})
Ich sage sehr deutlich: Die Debatte muss weitergehen.
Wir haben im Gesundheitswesen auch andere Mangelberufe; ich denke an Physiotherapeuten, Ergotherapeuten,
Logopäden.
({12})
Wir haben gestern im Rahmen der Gesundheitsministerkonferenz mit den Ländern darüber gesprochen. Es bleibt
wahrlich genug Arbeit zu tun. Wie gesagt: In Mangelberufen des Gesundheitswesens sollte Schulgeld endlich
der Vergangenheit angehören.
({13})
Schließlich ergänzen wir die starke Berufsausbildung,
die wir mit diesem Gesetz schaffen, um eine aus der Pilotphase in den Regelbetrieb überführte hochschulische
Pflegeausbildung, die an die Seite der Berufsausbildung
tritt und deren Ziel es ist, die Erkenntnisse der Pflegewissenschaften in den Pflegealltag hineinzutragen und so zu
einer guten Verbindung nicht zuletzt für hochkomplexe
Pflegebedarfe, für Leitungsaufgaben etc. zu kommen.
Auch das ist ein starkes Signal, dass wir in der Pflege die
Berufs- und Betätigungsfelder deutlich ausweiten.
Meine Damen, meine Herren, wir haben natürlich nie
behauptet - Kollegin Scharfenberg, da muss ich Ihnen
widersprechen -: Das ist der eine Weg, der den Fachkräftemangel behebt. - Aber - erstens - haben wir heute einen Ausbildungsrekord in der Alten- und Krankenpflege.
Das ist eine gute Nachricht. Das zeigt, wie viel Solidarität in dieser Gesellschaft steckt, wie viele Menschen in
diesem Bereich tätig werden wollen. Zweitens ist diese
Ausbildungsreform eingebettet in eine umfassende Politik: Wir haben in dieser Legislaturperiode die Zahlung
von Tariflöhnen gestärkt; zusätzliche Betreuungskräfte
werden eingesetzt; am 1. Januar dieses Jahres wurden in
elf Bundesländern bessere Personalschlüssel eingeführt;
wir bringen Personalbemessungsverfahren in Krankenund Altenpflege und Mindestpersonalvorgaben auf den
Weg. Im nächsten Jahr soll die Einigung in der Krankenpflege erfolgt sein. Die Schlüsselverbesserungen in
der Altenpflege sind zum Jahresbeginn in Kraft getreten.
Also: Dieses Konzept ist ein Baustein, eingebettet in eine
Politik, die sich fest dem Ziel verschrieben hat, die Arbeitsbedingungen für die Pflegekräfte in unserem Land
nachdrücklich zu stärken.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und bitte
um Zustimmung zu diesem guten Gesetz.
({14})
Harald Weinberg erhält nun für die Fraktion Die Linke
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Jetzt ist wieder ein Redner
der Opposition am Zuge, insofern wird es natürlich wieder etwas kritischer; das ist logisch.
Mehr als zehn Jahre Diskussion um eine notwendige Reform der Pflegeausbildung liegen hinter uns. Im
Mai 2016 wurde ein Gesetzentwurf vorgelegt. In der Anhörung, die dann folgte, gab es massive Kritik an diesem
Gesetzentwurf; es wurde im Prinzip kein gutes Haar daran gelassen.
Die Koalition - das hat man während der Anhörung
deutlich gemerkt - hat sich an dieser Stelle auch beharkt.
Es gab sehr unterschiedliche, fast unvereinbare Positionen, und kurz vor Ende der Wahlperiode haben wir jetzt
einen Kompromiss, der uns im Ausschuss in Form von
sage und schreibe 46 Änderungsanträgen auf 80 Seiten
vorgelegt wurde,
({0})
die wir einmal kurz durchgezogen bekommen haben.
Gestern ist der Ausschussvorsitzende, der leider heute nicht da ist, wegen seiner Art und Weise, wie er den
Ausschuss geführt hat, sehr gelobt worden. Diesem Lob
möchte ich mich erst einmal ausdrücklich anschließen.
Es war wirklich eine sehr gute Arbeit, die Edgar Franke
da im Ausschuss gemacht hat. Aber an dieser Stelle, so
muss man sagen, war es keine Sternstunde des Ausschusses, an dieser Stelle überhaupt nicht,
({1})
diese 46 Änderungsanträge auf diese Art und Weise
durchzuziehen und uns dann auch noch zu sagen, es habe
sich substanziell nichts geändert und deswegen gebe es
keine zweite Anhörung. Das war nicht in Ordnung, muss
ich ehrlich sagen.
({2})
Es ist klar: In der Politik muss es Kompromisse geben. Öfter wird dann gesagt, wenn alle unzufrieden seien,
dann sei der Kompromiss am besten gelungen. Nun, das
mag ja zwischen Herrn Irlstorfer und Bettina Müller, die
heute leider auch nicht da ist, zwischen Herrn Lauterbach
und Herrn Nüßlein stimmen. Aber das Problem hier ist
ein ganz anderes: Es lässt die vom Gesetz Betroffenen
ratlos und entsetzt zurück. Da gibt es eine gehörige und
auch nachvollziehbare Angst, dass diese Verschlimmbesserung, die wir jetzt in Gestalt dieses Kompromisses haben, in der Umsetzung enorme Probleme bereiten wird.
({3})
Etliche Einrichtungen der Pflegeausbildung fürchten
zu Recht, dass sie dabei auf der Strecke bleiben könnten.
Alleine die Organisation der Praxisphasen überfordert
vor allen Dingen kleinere Ausbildungseinrichtungen in
einer ganz besonderen Art und Weise,
({4})
und das ist nicht in Ordnung.
Nahezu unvereinbare Ausgangspositionen sind zu
einem schlechten Kompromiss zusammengeschustert
worden; das muss man sagen. Dabei hätte mit unserem
Antrag ein Konzept einer integrierten Ausbildung vorgelegen, deren nähere Betrachtung und Einbeziehung wirklich sinnvoll gewesen wären. Das haben Sie allerdings
leider nicht gemacht.
({5})
Ich will allerdings noch deutlich sagen: Es gibt natürlich auch ein paar Punkte, die ich für positiv halte und
herausstellen möchte: Das Wegfallen des Schulgeldes ist
schon genannt worden. Die Möglichkeit der Interessensvertretung, über die Mitbestimmung auf die Ausbildung
Einfluss zu nehmen, ist ein weiterer positiver Punkt.
Auch die Ausbildungsumlage und den Fonds will ich als
positiven Punkt benennen.
Aber: Manchmal ist ein Kompromiss schlechter als
der bestehende schlechte Zustand. Das ist hier eindeutig
der Fall. Viele Verbände - damit meine ich jetzt nicht in
erster Linie die Arbeitgeberverbände, vielmehr andere sagen: Lieber kein Gesetz in dieser Wahlperiode als ein
solches Gesetz. - Das ist die Aussage einiger betroffener Verbände. Sie werden leider nicht gehört werden. Sie
werden das jetzt durchziehen, Sie werden das jetzt mit
Ihrer Mehrheit verabschieden. Unsere Stimmen werden
Sie dazu auf jeden Fall nicht bekommen.
Vielen Dank.
({6})
Karl Lauterbach ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich noch einmal auf die Probleme
zu sprechen kommen, die dieses Gesetz lösen wird, wenn
sie auch nicht komplett gelöst werden; aber wichtige Beiträge zu einer Lösung werden geliefert.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Deutschland
zu den letzten Ländern in Europa gehört, in denen es die
geteilte Ausbildung noch gibt. Sie ist medizinisch nicht
mehr sinnvoll, weil wir mittlerweile in der Krankenhausund der Krankenversorgung zunehmend geriatrische und
palliativ zu versorgende Patienten haben, die auch pflegerisch betreut werden müssen. Wir haben in den Pflegeeinrichtungen zahlreiche Patienten, die auch akut krank
sind, die an Diabetes leiden, die psychiatrische Erkrankungen haben, die dement sind; auch die Demenz ist eine
Erkrankung. Das heißt, hier werden medizinische Kenntnisse in der Zukunft viel wichtiger werden.
Ferner haben wir schon bei Kindern Pflegebedürftigkeit, so bei Kindern, die mit Stoffwechselstörungen
geboren werden und dann nach vier oder fünf Jahren
pflegebedürftig werden. Zusätzlich haben sie auch die
Krankheiten, die Erwachsene entwickeln. Der Altersdiabetes bei Kindern ist zum Beispiel keine Seltenheit mehr,
und auch Suchterkrankungen, die wir in der Vergangenheit nur bei Erwachsenen gesehen haben, bekommen
schon Kinder. Damit ist klar: Die Bedarfe überschneiden
sich immer mehr. Die Ausbildung muss daher ganzheitlich sein.
Ich gebe zu, dass es richtig gewesen wäre, wenn wir
die Verordnung für die Lehrinhalte schon fertig gehabt
hätten; das ist ganz klar. Aber wir müssen hier auf die
Fachverbände vertrauen, die das vorbereiten. Ich stehe
mit einigen dieser Verbände in engem Kontakt. Ich bin
mir sicher, dass das Wichtigste die gemeinsame Ausbildung ist. Auf dem Weg zur gemeinsamen Ausbildung
wird heute der wichtigste Schritt seit zehn Jahren unternommen.
({0})
Heute ist es die Ausnahme, dass jemand, der eine Ausbildung beginnt, weiß, was er in den nächsten 30, 40 Jahren in einem Beruf machen will. Bei einer Ausbildung im
Bereich Pflege ist das derzeit aber notwendig: Wenn ich
eine Ausbildung im Bereich Kinderpflege absolviere, bin
ich festgelegt auf die Kinderpflege, und wenn ich eine
Ausbildung im Bereich Altenpflege absolviere, kann ich
nicht in der Krankenpflege arbeiten. Das ist nicht zeitgemäß. Durch diese Regelung verlieren wir Zahlreiche, die
eigentlich weiter in dem Beruf arbeiten wollen, aber nicht
in der Sparte, in der sie ausgebildet wurden. Mit diesem
Gesetz haben sie die Möglichkeit, in jedem Bereich der
Pflege zu arbeiten. Das ist erstens eine Erweiterung des
Spektrums und bietet zweitens bessere Möglichkeiten,
eine neue Arbeit zu finden, wenn man sich räumlich verändert, wenn man einfach eine andere Tätigkeit ausüben
oder das Gelernte in einem anderen Bereich anwenden
möchte. Das ist eine wesentliche Flexibilisierung der Berufsausbildung.
({1})
In den nächsten Jahren haben wir jedes Jahr mit mindestens 50 000 zusätzlichen Pflegebedürftigen zu rechnen, netto. Das entspricht einer halben Million in zehn
Jahren, und das ist eine ganz konservative Berechnung.
Daher muss der Beruf attraktiver werden. Der Beruf wird
aber nur attraktiver werden, wenn er auch besser bezahlt
wird.
({2})
Der Beruf des Altenpflegers zählt zu den zehn Berufen,
die am schlechtesten bezahlt werden.
({3})
- Das ist eine Schande. - Das ist ein hochqualifizierter
Beruf, der zu schlecht bezahlt wird. Die Angleichung der
Ausbildung wird langfristig auch zu einer Angleichung
der Tarife führen.
Frau Zimmermann, es hat mich überrascht, dass Sie
sich hier ausgerechnet auf den Arbeitgeberverband Pflege beziehen. Er hat doch über Jahre hinweg diese Reform
nur bekämpft, damit die Altenpflege nicht zu teuer wird.
Das war doch der Grund.
({4})
Es ist richtig, dass wir die Personalbemessung eingeführt haben. Wir haben sie im Bereich der Krankenpflege eingeführt, für alle personalintensiven Bereiche. Wir
haben das nicht, wie Sie gesagt haben, ab dem Jahr 2020
vorgesehen, sondern ab dem Jahr 2018. Wir haben das
ebenfalls für den Bereich der Altenpflege vorgesehen.
Somit haben wir dann die entsprechenden Tarife und Personalbemessungen in fast allen bedeutsamen Bereichen
der Pflege, einschließlich der Intensivpflege. Das sind
doch wichtige Schritte nach vorne.
({5})
Wir haben den Pflegebedürftigkeitsbegriff geändert.
({6})
Dadurch wird in den Vordergrund gerückt, was der Einzelne noch kann. Auch daran haben wir zehn Jahre gearbeitet.
({7})
Es kann doch nicht abgestritten werden, dass dies, in
der Summe betrachtet - mit Mehrausgaben für die Pflege von insgesamt 6 Milliarden Euro pro Jahr; das sind
25 Prozent Mehrausgaben in einem Bereich der sozialen
Sicherung in einer Legislaturperiode -, eine sehr gute
Legislaturperiode für die Pflege - damit meine ich insbesondere die Pflegebedürftigen - gewesen ist.
({8})
Ich komme zum Abschluss. Auch ich will danken. Ich
möchte mich bei Herrn Gröhe bedanken für die sehr gute
Zusammenarbeit. Herr Kollege Nüßlein, ich mache das
kürzer, um Ihnen nicht zu schaden, um uns beiden nicht
zu schaden.
({9})
Ich möchte mich aber auch ausdrücklich bei unserer
Arbeitsgruppe bedanken. Wir haben einige Drehungen
und Wendungen vornehmen müssen. Der Prozess war
zum Teil, ich sage mal: spitzenlastig. Aber jetzt haben
alle mitgezogen, und wir haben alle gemeinsam ein gutes
Ergebnis gefunden. Auch dafür möchte ich ausdrücklich
danken.
({10})
Ich wünsche uns eine gute Umsetzung dieser wichtigen
Reform.
({11})
Da die Redezeit abgelaufen ist, kann ich jetzt keine
Zwischenfrage mehr zulassen.
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Nadine Schön
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! 133 000 Menschen beginnen pro Jahr derzeit
eine Ausbildung im Bereich der Krankenpflege, der Altenpflege oder der Kinderkrankenpflege - 133 000 Menschen, die für uns, für unsere Gesundheit bzw. für die
Pflege im Alter verantwortlich sind, die uns in schwierigen Phasen des Lebens helfen, die betreuen, pflegen, den
Heilungsprozess unterstützen.
Wir alle sind darauf angewiesen, dass Menschen sich
mit Herz, mit Verstand, mit Sachkenntnis und mit Empathie dieser anspruchsvollen Aufgabe widmen. Wir
sind darauf angewiesen, dass sich genügend Menschen
für diese Berufe entscheiden. Ja, wir wollen, dass mehr
Menschen diese Berufe ergreifen, damit die Situation in
den Heimen, bei den Pflegediensten und in den Krankenhäusern besser wird, im Sinne der Beschäftigten und natürlich auch im Sinne der zu Pflegenden. Wir sind darauf
angewiesen, dass die Menschen, die in der Pflege arbeiten, eine gute, ja eine optimale Ausbildung erhalten. Dem
dient dieser Gesetzentwurf zur Reform der Pflegeberufe,
den wir heute verabschieden werden.
Der Gesetzentwurf hat mehrere Ziele:
Wir wollen die Ausbildung modernisieren. Alle, die in
der Pflege arbeiten, brauchen eine gute Ausbildung, und
zwar eine Ausbildung, die sich auf die geänderten Anforderungen einstellt. Mein Vorredner hat es gesagt: Viele Bewohner in Pflegeheimen sind mehrfach krank und
chronisch krank. Das ändert die Anforderungen an unsere Pflegekräfte. Sie brauchen mehr Krankenpflegekompetenz, mehr medizinische Kompetenz. Umgekehrt ist es
so, dass in den Krankenhäusern sehr viele alte und an Demenz erkrankte Menschen sind. In den Krankenhäusern
gibt es also einen höheren Pflegebedarf. Die Krankenpfleger müssen daher mehr Fähigkeiten im Bereich der
Altenpflege erhalten. Deshalb legen wir heute eine Reform vor, die in den ersten zwei Jahren eine gemeinsame
Ausbildung vorsieht und auch eine komplett generalistische Ausbildung ermöglicht. Es gab hierzu viele Modellprojekte in unserem Land. Auch in meinem Heimatland,
im Saarland, hat man die Generalistik erprobt, und zwar
mit sehr, sehr guten Ergebnissen, die teilweise auch sehr
überraschend waren.
Wir wollen die Ausbildung attraktiver machen. Das
gelingt uns durch mehr Durchlässigkeit in den verschiedenen Bereichen. Es ist gesagt worden: Nicht jeder will
an dem Arbeitsplatz, an dem er sein Berufsleben begonnen hat, 40, 50 Jahre lang arbeiten. Wir erhöhen durch
die generalistische Ausbildung die Durchlässigkeit.
({0})
Wir wollen mehr Möglichkeiten schaffen, in verschiedenen Bereichen zu arbeiten, und wir schaffen das Schulgeld ab. Es ist wirklich verrückt, dass es das in einigen
Bundesländern noch gibt.
Wir machen die Ausbildung attraktiver und wollen so
für mehr Nachwuchs sorgen, wodurch auch der Pflegemangel in den Einrichtungen beseitigt werden soll.
Wir wollen die Finanzierung der Ausbildung auf sichere Beine stellen und sie vor allem zukunftsfest machen.
Was uns besonders wichtig ist: Wir wollen die Wahlfreiheit erhalten. In den Verhandlungen war immer ein großes Thema - auch das ist zur Sprache gekommen -, wie
wir das schaffen können. Wie ist es mit denjenigen, die
eigentlich nur in der Kinderkrankenpflege arbeiten wollen, und wie ist es mit denen, die in der Altenpflege arbeiten und gerne nur in diesem Bereich arbeiten wollen?
Mit dem Gesetz, den Reformen und dem Kompromiss,
den wir heute vorlegen, gewährleisten wir, dass alle interessierten jungen Menschen eine generalistische Ausbildung machen können, dass sie aber auch die Möglichkeit
haben, nur Kinderkrankenpfleger oder nur Altenpfleger
zu werden. Damit geben wir die Entscheidungsfreiheit in
die Hände der jungen Menschen. Sie entscheiden selbst,
wohin ihr Weg geht. Nach sechs Jahren werden wir eine
Evaluation vornehmen. Das, finde ich, ist eine sehr praxistaugliche Lösung und ein guter Kompromiss, den wir
gemeinsam gefunden haben.
({1})
Als Unionsfraktion war uns wichtig, dass wir möglichst vielen Menschen die Möglichkeit geben, im Bereich der Pflege zu arbeiten. Deshalb halte ich es für
wichtig, dass wir die Möglichkeit schaffen, nach zwei
Jahren mit einem Abschluss, nämlich dem Pflegeassistenzabschluss, die Ausbildung zu beenden.
({2})
Dafür brauchen wir die Länder; das ist völlig klar. Wir
wollen, dass auch diejenigen, die vielleicht keine generalistische Ausbildung machen wollen, die Möglichkeit
haben, einen Abschluss zu erlangen. Deshalb schaffen
wir eine möglichst große Wahlfreiheit.
({3})
Wir geben allen jungen Menschen, die in der Pflege
arbeiten wollen, die Chance, dies zu tun; dafür haben wir
viel verhandelt und sind viele Kompromisse eingegangen. Wir wollen die Ausbildung zukunftsfest machen. Es
ist schon gesagt worden: Wir werden mit diesem Gesetzentwurf nicht alle Probleme lösen. Aber mit ihm und den
vielen anderen Gesetzentwürfen, die wir in dieser Legislaturperiode verabschiedet haben, haben wir in der Pflege
Meilensteine gesetzt. Es liegt noch Arbeit vor uns, und
wir haben noch viel zu tun. Aber dieser Gesetzentwurf
ist ein wichtiger Baustein. Deshalb danke ich allen, die
dazu beigetragen haben, dass wir zu einem Ergebnis gekommen sind. Ich bin mir sicher, dass wir die Situation
an vielen Stellen verbessern werden.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort erhält nun Mechthild Rawert für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Ich
möchte als Erstes diejenigen begrüßen, die die Pflege
sind, die Vertreterinnen und Vertreter von Berufsverbänden, Gewerkschaften und Pflegekammern. Seien Sie
willkommen! Nehmen Sie teil! Gestalten Sie mit!
({0})
Ich stehe hier stellvertretend für meine Kollegin
Bettina Müller, die heute nicht da sein kann. Ich möchte
ihr ganz herzlich für ihren Einsatz danken, den sie zur
Durchsetzung unserer Vorstellungen und während der
nicht ganz komplikationslosen Debatten in diesem Kontext geleistet hat.
({1})
Ich danke an dieser Stelle auch Petra Crone ganz besonders; aber sie spricht ja gleich noch.
Frau Schön, wir wollen die Generalistik, damit niemand mehr sagen kann, es gehe nur um die Kolleginnen
und Kollegen in der Altenpflege oder nur um diejenigen,
die in der Kinderkrankenpflege tätig sind.
({2})
Wir wollen das abschaffen. Dieses „nur“ ist genau das,
was Pflegefachkräfte nicht brauchen.
({3})
Sie brauchen eine Aufwertung ihrer Berufe und keine
Dequalifizierung, wie Sie es vorhin mit diesem „nur“ in
Ihren Ausführungen dargestellt haben. Lesen Sie das im
Protokoll nach!
({4})
Richtigstellen möchte ich auch - der Begriff „Zwischenprüfung“ ist irritierend; es erfolgt eine Wissensabfrage -: Durch dieses Bundesgesetz wird es keinen Ausbildungsabschluss nach zwei Jahren geben. Wir halten
daran fest: Fachkraft ist mensch in Deutschland nach einer dreijährigen Ausbildung. Daran wird nicht gerüttelt,
schon gar nicht in der Pflege.
({5})
Wir wollen die Generalistik aus verschiedenen Gründen; einige sind schon erwähnt worden. Wir wollen sie
aufgrund der zusammenwachsenden Pflegesettings, mit
anderen Worten: für eine bessere Versorgungssicherheit.
Wir wollen sie auch, damit wissenschaftlich fundierte
Qualitäts- und Kompetenzzuwächse, die ja in der Wissenschaft Pflege zu verzeichnen sind, tatsächlich in der
Pflege ankommen.
Uns geht es aber auch um die professionell Pflegenden
selbst. Es geht um ihre Höherstellung, um Wertschätzung
und um eine andere Rolle in einem häufig hierarchischen
Gefüge im Bereich der Gesundheit und Pflege. Wir wollen in der Pflege Augenhöhe für die Pflegenden erreichen; das haben sie und auch wir, die Patientinnen und
Patienten und Pflegebedürftigen, verdient.
({6})
Deswegen haben wir die Vorbehaltsaufgaben klar benannt und die hochschulische Pflegeausbildung etabliert.
Wir wollen die Generalistik auch, damit die Pflegefachkräfte berufliche Chancen für einen breiteren Einsatz
ihrer Kompetenzen haben, und zwar von der Prävention
bis hin zur Palliative Care. Dafür brauchen wir eine generalistische Ausbildung.
({7})
Und ja - ich liebe es, auf den schnöden Mammon zu
sprechen zu kommen -, auch Frauen bezahlen ihre Wohnungen nicht allein von Luft und Liebe.
({8})
Wir müssen in diesen Bereich investieren. Wir sind die
Einzigen, die hier investieren und wirklich eine Gleichstellung dieser Berufe erreichen wollen. Katarina Barley
hat schon darauf hingewiesen - und der Zweite Gleichstellungsbericht der Bundesregierung macht es auch -:
Wir brauchen mehr öffentliche Investitionen in diesem
Sektor. Wir brauchen eine Aufwertung der Berufe, und
wir brauchen mehr Geld für diejenigen, die für uns und
unsere Gesundheit arbeiten. Danke an die Pflegenden!
Nadine Schön ({9})
Wir diskutieren diese Fragen mit Sicherheit weiter.
Lassen Sie uns nicht im Stich! Ich freue mich schon auf
die kritischen Auseinandersetzungen und darauf, wie es
weitergeht. Hauptsache, Sie sprechen mit einer Stimme
und bleiben an unserer Seite!
Danke.
({10})
Erich Irlstorfer hat nun das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben debattiert, diskutiert, gestritten und uns wieder
versöhnt. Heute bringen wir ein Gesetz auf den Weg, das
richtig, gut und ordentlich ist.
Selten prallten die Überzeugungen in der gesundheitsund pflegepolitischen Debatte so stark aufeinander wie in
diesem Gesetzgebungsverfahren. Aber es ist mir wichtig,
zu unterstreichen, dass diese Diskussion in jeder Phase
immer mit hoher Fachlichkeit geführt wurde. Sowohl die
Befürworter einer spezialisierten Ausbildung als auch die
Verfechter der vollständigen Generalistik hatten gute Argumente für ihre jeweilige Position.
Was sich zu Anfang als klarer Weg angebahnt hatte,
stellte sich im Verlauf der Debatte, vor allem im Austausch mit den Betroffenen, den Akteuren der Szene, als
schwieriger und komplexer dar, als ursprünglich angenommen. Spätestens nach der öffentlichen Anhörung im
vergangenen Frühjahr war uns Abgeordneten der Union
klar, dass wir noch einen deutlichen Änderungsbedarf an
dem Gesetz hatten. Klar war allerdings für alle Akteure, dass die Pflege in Deutschland eine neue Ausrichtung
benötigt. Wir dürfen niemanden, keine einzige helfende
Hand, egal mit welchem Schulabschluss und mit welcher
schulischen Ausbildung, abweisen. Das war uns wichtig.
({0})
Eine gute Pflegepolitik ist und wird auch künftig eine tragende Säule der Sozialpolitik in unserem Land sein.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, umso erfreulicher ist es, dass die Koalitionsfraktionen aus CDU/CSU
und SPD nun den Kompromissvorschlag, den die Union
eingebracht hat, umsetzen. Bundesminister Gröhe, Karl
Lauterbach, Georg Nüßlein und alle meine Vorredner
haben die neuen Regelungen für die Pflegeausbildung
bereits erläutert. Die abgeänderte Fassung des Gesetzes
berücksichtigt auch die kritischen Stimmen. Es ist mir
wichtig, das festzuhalten.
Ich möchte an dieser Stelle auch erwähnen, was wir
in unseren pflegepolitischen Debatten stets betont haben
und uns als Union besonders am Herzen liegt: Der Zugang für Haupt- und Mittelschüler zur Pflegeausbildung
wird erhalten bleiben.
({1})
Das ist ein Signal für den Ausbildungsmarkt und die Jugendlichen in unserem Land. Die duale Ausbildung hat
Zukunft. Akademisierung und duale Ausbildung sind auf
Augenhöhe. Das ist die Basis für die Wertschätzung in
der Pflege, die wir benötigen.
({2})
Schulabschlüsse allein sind nicht ausschlaggebend.
In diesem Zusammenhang haben wir erreicht, dass
die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung dem nächsten
Deutschen Bundestag zur Beschlussfassung zugeführt
wird. Das ist nicht selbstverständlich gewesen, wenn
wir auf andere Gesetzgebungsverfahren schauen. Damit
haben wir dem Parlament die Chance eingeräumt, ganz
genau zu schauen, ob alle Schülerinnen und Schüler die
neuen Prüfungsanforderungen bewältigen können. Wir
wollen mit diesem Gesetz keinen Bahnhof der Enttäuschten erzeugen. Deshalb gehen wir ins Detail. Deshalb
braucht das Haus Zeit, und diese Zeit nehmen wir uns.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns ist klar, dass wir
auch den Einrichtungen, den Trägern und den Schulen
Zeit zur Vorbereitung geben müssen. Die neuen Anforderungen in der Praxis umzusetzen, wird nicht einfach.
Deswegen hilft es zu diesem Zeitpunkt wenig, wenn die
Opposition versucht, ein Gefahrenszenario für die Pflegeschulen heraufzubeschwören. Wir müssen als Politik
der betroffenen Szene die Möglichkeit geben, die neue
Pflegeausbildung zu etablieren. Sollten wir hier wider
Erwarten Schwierigkeiten feststellen oder sollten Komplikationen auftreten, steht es doch dem Gesetzgeber
frei - das haben wir selbst in der Hand -, nachzusteuern.
Wenn es Schwierigkeiten gibt, werden wir das machen;
da bin ich mir sicher.
({4})
In der ganzen Diskussion ist das Thema Bezahlung
immer wieder aufgepoppt. Ich kann nur sagen: Für das
Thema Bezahlung sind in erster Linie die Tarifpartner
zuständig und nicht die Politik. Das ist richtig so, und
das ist gut so.
({5})
Zum Schluss möchte ich mich für die Zusammenarbeit
bedanken. Wir haben in dieser Legislatur für die Pflege und somit für die Menschen in Deutschland - viel erreicht. Wir haben sie weiterentwickelt und zukunftsfest
gemacht. Dafür bedanke ich mich.
Herzlichen Dank.
({6})
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist
die Kollegin Petra Crone für die SPD.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Endlich, endlich, nach langem
Ringen beschließen wir heute das Gesetz zur Reform der
Pflegeausbildung. Nein, es ist nicht die reine Lehre, die
ich mir gewünscht hätte. Aber ich freue mich trotzdem,
dass wir heute gemeinsam einen ganz großen Schritt gehen.
Lange schon haben wir an diesem Gesetzentwurf gearbeitet. Ich erinnere mich, dass schon darüber gesprochen
wurde, als die Gesundheitsministerin noch Ulla Schmidt
hieß. Eine überwiegend generalistische Ausbildung war
und ist unser Ziel, und das haben wir endlich erreicht.
Die Verhandlungen waren nicht leicht - das möchte ich
nicht verhehlen -, aber ich bin davon überzeugt, dass wir
am Ende überzeugen werden und sicherlich die meisten
die generalistische Ausbildung wählen werden.
Deutschland braucht einen Pflegeberuf, der auf die
wahren Bedürfnisse in der Pflege kranker Menschen jeden Alters eingeht.
({0})
Klar, wir wollen alle mit 100 Jahren kerngesund sterben.
Aber das Leben ist leider nicht so. Wer ältere Angehörige oder Freunde mit altersbedingten Handicaps wie etwa
Demenz in den Krankenhäusern begleitet hat, weiß von
großen Problemen zu sprechen. Diese Menschen werden
in Zukunft auf Pflegekräfte treffen, die auch in der Altenpflege ausgebildet sind. Wenn sie dann, früh entlassen, in die stationären Senioreneinrichtungen oder in die
ambulante Betreuung zurückkehren, treffen sie dort auf
Pflegekräfte, die sich auch in der Krankenpflege bestens
auskennen.
({1})
Andererseits sind wir es den Pflegerinnen und Pflegern unbedingt schuldig, bessere Bedingungen für sie zu
schaffen. Das machen wir mit diesem Gesetz. Das Schulgeld wird im ganzen Land abgeschafft; stattdessen gibt
es für alle eine Ausbildungsvergütung.
({2})
Der Pflegeberuf wird attraktiver, weil es nun viele Einsatz-, Wechsel- und Aufstiegsmöglichkeiten gibt. Alle,
die die generalistische Ausbildung durchlaufen haben,
egal mit welchem Schwerpunkt, werden gleich bezahlt.
Das kommt besonders denjenigen zugute, die in der Altenpflege arbeiten.
({3})
Zudem werden die Pflegeaufgaben in der Zukunft ausschließlich Pflegekräften vorbehalten sein.
({4})
Ich verhehle nicht: Das Gesetz gefällt nicht allen. Besonders die privaten Pflegeanbieter haben sich immer
lautstark gegen eine Ausbildungsreform gewandt. An deren Ende stehen nämlich besser und breiter ausgebildete
Pflegerinnen und Pfleger, und die müssen auch besser
bezahlt werden.
({5})
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Ich wundere mich
ein bisschen darüber, dass sich gerade die Linken und
auch die Grünen auf diese Seite schlagen.
({6})
Aber die Gruppe der Befürworter ist wesentlich größer - ich schaue an dieser Stelle hoch zur Besuchertribüne -: der Deutsche Pflegerat - der Deutsche Pflegetag hat das deutlich gezeigt -, die Wohlfahrtsverbände,
vorneweg die Caritas, die Diakonie, die AWO und viele
mehr. Ja, viele haben sogar sehnlichst auf dieses Gesetz
gewartet, wie die hervorragende und innovative Fortbildungsakademie für Gesundheitshilfe in Olpe, in meinem
Wahlkreis.
({7})
Sie alle haben erkannt: Wir werden die demografische
Entwicklung nicht aufhalten. Jeder und jede weiß um
den Mangel an Arbeitskräften in der Pflege, und es brennt
besonders in der Altenpflege. Darum, liebe Kolleginnen
und Kollegen, brauchen wir gut ausgebildete Pflegerinnen und Pfleger, und wir brauchen auch Pflegeassistenten
und akademisch ausgebildete Pflegekräfte.
Lassen Sie uns alles dafür tun, die jungen Leute zu unterstützen, die mit Begeisterung den Pflegeberuf wählen,
und dazu beitragen, dass es immer mehr werden. Lassen
Sie uns alle Register ziehen, dass sie diesen Beruf lieben
und dafür brennen, ohne auszubrennen.
({8})
Deshalb bin ich auch begeistert von der Initiative unserer
Arbeitsministerin Andrea Nahles für eine bessere Bezahlung in der Pflege.
({9})
Lassen Sie uns zusammen mit den Gewerkschaften dafür
kämpfen! Richten Sie in den Ländern Pflegekammern
ein!
({10})
Rheinland-Pfalz ist schon mit gutem Beispiel vorangegangen.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, auch wenn es über
zwei Legislaturperioden hinweg Diskussionen, Gespräche, Verhandlungen und leider auch Stillstand gegeben
hat, bin ich alles in allem doch zufrieden. Es ist gut, dass
wir heute, kurz vor Ende meiner Zeit als Abgeordnete,
ein Gesetz verabschieden, das die Pflege in Deutschland
ein ganzes Stück zukunftsfester macht. Ich danke allen
Beteiligten, die beharrlich und mit großer Geduld daran
gearbeitet haben. Ich danke dem Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem Ministerium
für Gesundheit, übrigens auch den Staatssekretärinnen
Frau Ferner und Frau Widmann-Mauz für ihre Beharrlichkeit. Ich danke auch den Ländern, die alle mit eingebunden waren, und den Kolleginnen und Kollegen.
Letztendlich bedanke ich mich bei dem Präsidenten,
dass er mir noch eine Minute für meine letzte Rede geschenkt hat, und ich danke allen dafür, dass sie meiner
letzten Rede gelauscht haben.
({11})
Es waren genau anderthalb Minuten, Frau Kollegin
Crone, aber es hätten auch noch 10 oder 15 Sekunden
mehr sein können bei Ihrer letzten Rede hier im Deutschen Bundestag.
({0})
Das ist eine gute Gelegenheit, Ihnen herzlich zu danken
für Ihre Arbeit hier im Hause und Ihnen alles Gute für die
nächsten Jahre zu wünschen.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Reform der Pflegeberufe. Hierzu liegt mir eine Erklärung
zur Abstimmung der Kollegin Emmi Zeulner vor, die wir
wie üblich dem Protokoll beifügen.1)
Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf der Drucksache 18/12847, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksa-
che 18/7823 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzent-
wurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen
zu erheben. - Wer möchte dagegenstimmen? - Wer ent-
hält sich? - Damit ist mit dem gleichen Stimmenverhält-
nis, mit der Mehrheit der Koalition gegen die Stimmen
der Opposition, dieser Gesetzentwurf angenommen.
1) Anlage 2
Unter dem Tagesordnungspunkt 7 b geht es um die
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit
zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Eine Lobby für die Pflege - Arbeitsbedingun-
gen und Mitspracherechte von Pflegekräften verbessern“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf der Drucksache 18/12841, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/11414
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Die Antragsteller. Wer
enthält sich? - Die Fraktion Die Linke. Damit ist die Be-
schlussempfehlung wiederum mit den Koalitionsstim-
men mehrheitlich angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 e auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht zur Umsetzung der Hightech-Strategie - Fortschritt durch Forschung und Innovation
Stellungnahme der Bundesregierung zum
Gutachten zu Forschung, Innovation und
technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2017
Drucksache 18/11810
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({2})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss Digitale Agenda
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Gutachten zu Forschung, Innovation und
technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2017
Drucksache 18/11270
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss Digitale Agenda
c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Aktionsplan Nanotechnologie 2020 der Bundesregierung
Drucksache 18/9670
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({4})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss Digitale Agenda
d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über die Programme zur Innovationsund Technologieförderung im Mittelstand in
der laufenden Legislaturperiode, insbesondere über die Entwicklung des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand ({5}) für das
Jahr 2016
Drucksache 18/12442
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({6})
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss Digitale Agenda
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({7})
zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring,
Oliver Krischer, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Innovationspolitik neu ausrichten - Forschen
für den Wandel befördern
Drucksachen 18/8711, 18/12776
Nach dem dafür üblichen Schichtwechsel der Beteiligten und Interessierten möchte ich Ihr Einvernehmen zu
der Vereinbarung feststellen, dass auch diese Aussprache
60 Minuten dauern soll. - Das ist ganz offenkundig so.
Dann verfahren wir auch so.
Ich eröffne die Aussprache. Der Kollege Kretschmer
erhält als Erster das Wort.
({8})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer
Leistungsfähigkeit Deutschlands ist alle Jahre wieder
eine gute Gelegenheit, um zu schauen, wie die Forschungspolitik und die technologische Leistungsfähigkeit sich in unserem Land entwickelt haben. Wenn man
diesen Prozess über Jahre verfolgt, dann weiß man, dass
es Zeiten gibt, in denen in diesem Bericht kritisch und
mahnend aufgezeigt worden ist, wo die Defizite in der
Bundesrepublik Deutschland sind, wo wir zurückfallen
und wo andere besser und schneller sind als wir. Dann ist
es richtig, hier kritisch darüber zu diskutieren, Veränderungen anzumahnen und diese dann auch zu vollziehen.
Der EFI-Bericht des Jahres 2017 ist ein anderes Dokument, ein Dokument, in dem deutlich beschrieben wird,
wie sich die Bundesrepublik Deutschland in den letzten
zehn Jahren im internationalen Wettbewerb zurückgemeldet hat, wie wir in Forschung und Entwicklung investiert haben und wie wir am Ende eine große Leistungsfähigkeit für unsere Wirtschaftsnation Deutschland
zurückgewonnen haben. Das ist ein gutes Signal.
({0})
Wir sind eben nicht durch Zufall Innovations- und
Exportweltmeister geworden, sondern durch eine kluge
Politik. Zu Beginn der 2000er-Jahre gab die Bundesrepublik Deutschland, die Wirtschaft und der Staat, ungefähr
50 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus.
Wir haben es geschafft, diesen Betrag innerhalb von zehn
Jahren zu verdoppeln. Wir sind jetzt bei ungefähr 90 Milliarden Euro.
({1})
Diese 90 Milliarden Euro sind das Resultat einer gemeinsamen Kraftanstrengung; sie beruhen auf unserer
gemeinsamen Politik, die die Wirtschaft animiert und
Möglichkeiten geschaffen hat. Zum einen wurden wirtschaftliche Möglichkeiten durch Steuerpolitik und andere Maßnahmen sowie durch eine gute Exportpolitik eröffnet, zum anderen waren es Möglichkeiten durch eine
Forschungsförderung, die es Unternehmen erleichtert,
sich in diesem Bereich zu betätigen und damit etwas Gutes für sich selbst und für die eigenen Mitarbeiter zu tun.
({2})
Diesen Weg gilt es fortzusetzen; denn das Wichtigste
in der Forschungspolitik ist, dass sie nachhaltig ist, kein
Strohfeuer, das in einem Jahr auflodert und schon im
nächsten Jahr wieder erlischt. Es hat nur Wert, wenn es
wirklich über Jahre und Jahrzehnte betrieben wird.
({3})
Das werden wir in den nächsten Jahren fortsetzen; zumindest ist das unser fester Wille.
Man darf Forschungs- und Entwicklungspolitik nicht
als Aufgabe eines einzigen Ressorts begreifen; das ist
eine Aufgabe der gesamten Bundesrepublik und der gesamten Gesellschaft. Das beginnt schon in den Schulen
und mit dem gesellschaftlichen Klima, das wir haben und
das entweder offen oder nicht offen für Innovationen ist.
Dieses Klima muss sich dann im Wirtschaftsministerium
und im Forschungsministerium sowie in anderen Ressorts wiederfinden. Es ist der große Erfolg dieser Bundesregierung, dass sie es geschafft hat, über Ressortgrenzen
hinweg Forschung und Entwicklung sowie Innovation zu
einem gemeinsamen Schwerpunkt zu machen.
({4})
Die Aufgaben in der Zukunft sind klar. Die Projektförderung, die im Bundesministerium für Bildung und
Forschung angesiedelt ist, die aber auch im ZIM und bei
der Industriellen Gemeinschaftsforschung wichtige Ankerpunkte hat, muss als stabiles Fundament weiterentwickelt werden. Zusätzlich setzen wir uns für die steuerliche Forschungsförderung ein. Wir sind alle miteinander
der Meinung, dass dieses Projekt auch in der nächsten
Legislaturperiode gelingen wird. Ich halte das für einen
Präsident Dr. Norbert Lammert
ganz wichtigen Beitrag, um international wettbewerbsfähig zu sein. Wir kämpfen für die steuerliche Forschungsförderung.
({5})
Darüber hinaus gilt es, die wichtigen Instrumente,
die wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben, wie
den Hochschulpakt, auch in den kommenden Jahren zu
sichern. Sicherlich bedarf es einer neuen Ausrichtung.
Man kann nicht einfach alles weitermachen wie bisher.
Die CDU/CSU ist der Meinung, dass wir darüber sprechen müssen, ob im Bereich der dualen Bildung mehr
geschehen muss. Ich bin entschieden der Meinung, dass
wir die duale Berufsausbildung stärken und das Konzept
der „Höheren Beruflichen Bildung“ durchsetzen müssen.
({6})
- Wenn die SPD Konsens andeutet, dann ist das schon
einmal die halbe Miete.
({7})
Trotzdem muss man auch im Bereich der akademischen Bildung gemeinsam mit der Hochschulrektorenkonferenz und dem Wissenschaftsrat darüber sprechen,
dass auch dort Veränderungen notwendig sind. Der Bologna-Prozess ist ein Erfolg, aber er ist in die Jahre gekommen, und es ist Zeit, darüber nachzudenken, ob man ihn
neu ausrichten muss. Das muss passieren, wenn wir über
die Frage sprechen, wie es mit dem Geld weitergehen
soll, wenn der Hochschulpakt ausgelaufen ist.
Wesentliche Träger unserer Forschung in Deutschland
sind die außeruniversitären Forschungseinrichtungen.
Wir waren es, die gemeinsam mit den Ländern zunächst
eine Steigerung um 3 Prozent vereinbart haben und dann
um 5 Prozent, und wir als Bund haben uns in dieser Legislaturperiode bereit erklärt, den Aufwuchs von 3 Prozent alleine zu tragen, weil wir für Verlässlichkeit stehen.
Unser gemeinsames Anliegen muss sein, dass bei dem
Pakt für Forschung und Innovation in der kommenden
Legislaturperiode wieder eine gemeinsame Finanzierung
mit den Ländern erreicht wird, und zwar über das Niveau
von 3 Prozent hinaus.
({8})
Der Vorschlag, mit den Bundesländern einen Digitalpakt zu schließen, ist aus meiner Sicht richtig.
({9})
Wir müssen in die digitale Bildung investieren. Es ist
ein gutes Ergebnis, dass es dem Bundesministerium für
Bildung und Forschung gelungen ist, mit den Ländern
gemeinsame Eckpunkte zu erarbeiten. Das ist die Voraussetzung dafür, dass es in diesem Punkt nach der Bundestagswahl schnell losgehen kann. Der Digitalpakt ist eine
wichtige Angelegenheit.
({10})
Wir haben heute Morgen an Helmut Kohl erinnert.
Ich bin als ehemaliger Ostdeutscher tief beeindruckt von
dieser Persönlichkeit und tief bewegt durch das, was
seit 1990 in den neuen Bundesländern passiert ist. Die
90er-Jahre waren davon geprägt, dass man investiert hat:
in die Infrastruktur, in Krankenhäuser, in Schulen, in
Straßen, in das, was in 40 Jahren DDR kaputtgegangen
ist. Aber spätestens seit den 2000er-Jahren ist das eigentliche Aufbau-Ost-Ministerium das Bundesministerium
für Bildung und Forschung, und zwar deswegen, weil
es mit einem ganz intelligenten Forschungs- und Förderkonzept unter dem Namen „Unternehmen Region“ es
geschafft hat, Potenziale zu entwickeln und dazu beizutragen, dass wir im Wettbewerb um Exzellenz bestehen
können. Wir haben mittlerweile eine solche Exzellenz erreicht, dass beispielsweise beim Digital-Gipfel der Bundesregierung in der vergangenen Woche ICCAS als das
Referenzprojekt für den digitalen Operationsraum verwendet wurde. Das zeigt, dass wir in den neuen Ländern
erfolgreich gewesen sind. Ich wünsche mir sehr, dass wir
in der kommenden Legislaturperiode mit dem Programm
„Innovation und Strukturwandel“ diesen Forschungsansatz auf Gesamtdeutschland ausweiten, damit wir auch
in Regionen in den alten Bundesländern, die Probleme
haben und mit Strukturwandel konfrontiert sind, wie bei
der Braunkohle, mit diesen erfolgreichen Konzepten helfen können.
({11})
Ich komme zum Schluss. Uns hat in den letzten Wochen die Reform des Urheberrechts sehr bewegt. Ich
will es an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, die Wissenschaftsschranke
einzuführen. Die Gespräche darüber sind schwierig, die
Interessenlage ist sehr unterschiedlich. Wir wollen diese
Wissenschaftsschranke.
({12})
Wir arbeiten daran, und wir wollen sie noch in dieser Legislaturperiode beschließen.
({13})
Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Ralph
Lenkert nun das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Das Wichtigste für technologische LeisMichael Kretschmer
tungsfähigkeit und Forschungsqualität sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
({0})
Liebe Studenten, Doktorandinnen, Postdocs und Wissenschaftlerinnen und Ingenieure, ohne Sie, ohne Ihre Neugier würde es keine Forschung geben. Regierungen, Politiker, aber eben auch Unternehmen können bestenfalls
den Rahmen liefern. Entscheidend für jede Forschung,
für den Forschungsstandort sind Sie. Sie sind die Haupttriebkraft des wissenschaftlichen Fortschritts, und dafür
sage ich Danke.
({1})
Bei meinen Besuchen in Laboren, Instituten und
Hochschulen verstand ich nicht alles, was mir erklärt
wurde. Aber immer spürte ich die Leidenschaft der Forschenden. Wenn es um ihre Idee geht, überwinden sie
alle Hemmnisse, auch das schlimmste, das kurzgefasst
lautet: Das war schon immer so; das haben wir immer
schon so gemacht. - Ich selbst arbeitete in der Entwicklung und bewundere, wie es viele von ihnen schaffen,
gefühlt rund um die Uhr im Labor zu sein und parallel
dazu zu publizieren. Dabei müssen sie auch häufig neue
Finanzierungsquellen zur Umsetzung ihrer Ideen finden.
Respekt!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle sehen und
fühlen die Einsatzbereitschaft des Forschungspersonals.
Trotzdem macht die Regierung der Wissenschaft das Arbeiten eher schwerer. Warum zwingen Sie Hochschulen
in aufwendige Exzellenzbewerbungen und Drittmittelbeschaffungen?
({2})
Warum läuft so viel über befristete Projektfinanzierung?
Damit schränken Sie offensichtlich die Forschungsfreiheit ein, weil Sie die Forschung in Bahnen zwängen, für
die es extra Gelder gibt.
({3})
Die Linke steht für die Freiheit der Wissenschaft, für
eine Wissenschaft frei von politischen und finanziellen
Zwängen.
({4})
Wir fordern für Studentinnen und Studenten, Doktorandinnen und Doktoranden, Postdocs, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Ingenieurinnen und Ingenieure
stabile, bessere Rahmenbedingungen, damit wir Lösungsvorschläge auf bekannte Probleme wie Klimawandel und die Folgen, Digitalisierung, aber auch wachsende Armut, soziale Ausgrenzung und daraus entstehende
Fluchtbewegungen erhalten, damit wir Fragen gestellt
bekommen, die unbequem sind, aber unausweichlich
auf die Gesellschaft zukommen. Deshalb fordern wir
eine höhere Grundfinanzierung für Hochschulen - ja -,
und dafür sollten wir den 13 Grundgesetzänderungen der
letzten Sitzungswoche eine 14. hinzufügen: Liebe CDUler, ich sage heute einmal nicht „Aufhebung des Kooperationsverbotes“.
({5})
Ich fordere, für ein umfassendes Kooperationsgebot für
Bildung, Lehre und Forschung in Artikel 91 Grundgesetz
Änderungen vorzunehmen.
({6})
Wir fordern längere Vertragslaufzeiten in der Forschung,
mehr Dauerstellen in der Wissenschaft, damit sich unser
forschender Nachwuchs ohne Existenzangst ganz auf die
Forschung konzentrieren kann.
({7})
Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben
ein Recht auf planbare Perspektiven - beruflich und familiär.
({8})
Die Linke sagt, mit mehr Grundfinanzierung braucht
es weniger öffentliche Drittmittelprojekte. Das erspart
unserem wissenschaftlichen Nachwuchs und dem erfahrenen Personal das Schreiben von Projektanträgen,
stupide Projektabrechnungen und das Zittern vor Auswahlkommissionen - Zeit, die heute für die eigentliche
Forschung fehlt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zuletzt noch zwei
Punkte, die den Betroffenen und mir sehr am Herzen liegen. Auch Sie erhielten Post von dem Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Professor
Strohschneider. Bitte folgen Sie der Bitte zum Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz. Wenn Sie den Forderungen der Verlagslobby nachgeben, steigern Sie nur
deren Profite und schaden unserem Forschungsstandort,
den Studierenden und der Wirtschaft außerhalb des Verlagswesens.
({9})
Der zweite Punkt betrifft das Institut für Gemüse- und
Zierpflanzenbau, IGZ, in Erfurt. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, mit überwältigender Mehrheit haben wir vor
wenigen Wochen die Stärkung des Gartenbaus mit seinen
700 000 Beschäftigten hier im Bundestag beschlossen.
Da ging es auch um die Sicherung der Forschung für den
Gartenbau. Der Freistaat Thüringen und das Thüringer
Landwirtschaftsministerium stehen für den Fortbestand
des Standortes in Erfurt. Thüringen hat alle Vorbedingungen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft erfüllt.
Liebe Koalition, woran klemmt es denn noch?
({10})
Den Kolleginnen und Kollegen des IGZ läuft die Zeit davon. Gibt es bis Juli keine belastbare Vereinbarung, müssen die Kündigungen ausgesprochen werden. Selbst wenn
der nächste Bundestag dann mit dem Haushalt 2018 die
Rettung des Standortes Erfurt beschließen sollte: Es wäre
zu spät. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition,
lassen Sie uns das Bundesministerium für Ernährung und
Landwirtschaft zum Handeln treiben, und zwar schnell.
Danke schön.
({11})
Vielen Dank, Ralph Lenkert. - Schönen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, von mir. - Nächster
Redner in der Debatte: René Röspel für die SPD-Fraktion.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schönen
guten Morgen! Lieber Kollege Kretschmer, Sie haben
nichts Falsches gesagt, wenn Sie eingeführt haben, dass
in den letzten zehn Jahren deutlich mehr für Forschung
ausgegeben worden ist. Das ist auch gut so. Aber trotzdem ist es nicht wirklich wissenschaftlich, wenn man
eine Frage immer nur auf ein bestimmtes Intervall reduziert. Also: Wenn ich ein Blatt mit ganz vielen roten
Punkten vor mir liegen habe, und dabei ist ein schwarzer
Punkt, ich den schwarzen Punkt herausschneide und um
die Ecke gehe und sage, ich habe gerade ein Blatt mit
einem schwarzen Punkt gehabt, dann ist das richtig, aber
es ist eben auch nicht ganz richtig, weil dieses Blatt viele
rote Punkte gehabt hat. Deswegen ist es wissenschaftlich
nicht korrekt, nur einen bestimmten Zeitraum oder ein
Intervall herauszunehmen - die Mathematikerin Frau
Professor Wanka wird das ja vielleicht gleich auch noch
ausführen können -, sondern man muss einen breiteren
Zeitraum nehmen.
Ich habe das einmal gemacht, habe die letzten 40 Jahre
betrachtet. Wer das nachvollziehen will: Ich habe gleich
zur Ansicht den Bericht zur Technologischen Leistungsfähigkeit von 1998 für Sie vorliegen - von der damaligen
Kohl-Regierung noch gemacht. Da sieht man über die
Jahre, wie sich das mit den Investitionen in Forschung
und Entwicklung immer als Anteil am Bruttoinlandsprodukt entwickelt. Dabei sieht man ganz gut: In den
80er-Jahren gibt es mehr Investitionen in Forschung und
Innovation. - Jetzt ist Herr Riesenhuber weg. Ich hätte
ihn gelobt.
({0})
- Oh, Pardon! Wie konnte ich Sie, so ruhig sitzend, übersehen? - Herr Riesenhuber hat eine gute Tradition sozialdemokratischer Forschungsminister übernommen und
weiter ausgebaut.
({1})
Dann stellt man fest: 1988 bricht die Kurve ab, also
zwei Jahre vor der Wiedervereinigung - nicht dass das
als Argument kommt! Es geht runter auf das historische
Rekordtief in der Ära Kohl/Rüttgers, nämlich 1996/97,
wo so wenig wie nie in den Jahrzehnten vorher in Forschung und Entwicklung investiert worden ist.
Dann kommt es wirklich mit der Regierungsübernahme von Rot-Grün. Ab 1999 gehen die staatlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung nach vielen Jahrzehnten endlich wieder nach oben.
({2})
Das haben wir in den letzten zwei Jahrzehnten gemeinsam in dieser Koalition bzw. mit den Grünen fortgesetzt.
Das ist die richtige Betrachtung.
({3})
Das hat also weit vor der Zeitrechnung 2005 angefangen.
Die SPD, die in den letzten zwei Jahrzehnten 16 Jahre
mitregiert hat, hat Deutschland wieder zu einem Standort
gemacht, an dem mehr Geld für Forschung und Entwicklung ausgegeben wird.
({4})
Wir freuen uns über jeden, der dabei mitmacht.
Übrigens gab es vier Jahre, in denen wir nicht an der
Regierung beteiligt waren. Sie erinnern sich vielleicht
daran, was da passiert ist. Da hat die FDP die Mövenpick-Hotelsteuer durchgesetzt, und es hat einen katastrophalen Wandel in der Energiepolitik gegeben. Die Laufzeiten der Atomkraftwerke sind verlängert worden.
({5})
Das kostet den Steuerzahler heute 6 Milliarden Euro,
({6})
weil die Brennelementesteuer zurückgezahlt werden
muss. Das zahlt leider nicht die Haftpflichtversicherung
der Kanzlerin; denn die leistet bei grober Fahrlässigkeit
und Vorsatz nicht.
Es geht aber nicht nur darum, mehr Geld zur Verfügung zu stellen, sondern auch darum, Impulse für Forschung und Entwicklung zu setzen. Tatsächlich war es
die SPD, die mindestens zwei wesentliche Impulse gesetzt hat. Noch unter der Forschungsministerin Edelgard
Bulmahn, in rot-grüner Zeit, ist der Pakt für Forschung
und Innovation, den Herr Kretschmer auch gerade erwähnt hat, auf die Gleise gesetzt worden - mit einem
großen Erfolg, weil erstmals seit vielen Jahren und Jahrzehnten sich die Forscherinnen und Forscher in den außeruniversitären Forschungseinrichtungen darauf verlassen konnten, dass sie in jedem Jahr mehr Geld zum
Investieren bekommen: erst 3 Prozent, dann 5 Prozent,
jetzt 3 Prozent. Das war ein großer Anschub. Das hat
Deutschland wieder attraktiv gemacht, weil man wusste:
Hier wird Forschung verlässlich finanziert.
Ein zweiter wichtiger Impuls war die Exzellenzinitiative - sie war sehr umstritten, auch unter einer sozialdeRalph Lenkert
mokratischen Bundesbildungs- und -forschungsministerin auf den Weg gebracht -, die eine ungeheure Dynamik
in die deutsche Forschungs- und Hochschullandschaft
gebracht und Deutschland wieder zu einem sichtbaren
Standort von Wissenschaft und Forschung gemacht hat.
Auch das ist ein sozialdemokratischer Erfolg.
({7})
Darüber, dass es uns 2007 in der Großen Koalition gelungen ist, den Hochschulpakt auf den Weg zu bringen,
weil nämlich die Hochschulen dringend Unterstützung
brauchten, um mehr in Hochschulstudiengänge investieren zu können, freuen wir uns gemeinsam mit den
Kollegen von der Union. Die große Frage wird sein der EFI-Bericht 2017 bescheinigt uns nämlich, dass die
Grundfinanzierung der Hochschulen ein großes Problem
ist -: Wie werden wir diesen Hochschulpakt nach 2020,
wenn er nämlich ausläuft, weiter finanzieren? Wir sind
der Überzeugung, dass wir die Hochschulen weiter unterstützen müssen, damit mehr Studienplätze, vernünftig
ausgestattet, zur Verfügung gestellt werden können.
({8})
Wir haben auch in dieser Legislaturperiode eine Reihe
von Impulsen setzen können - mit den Kollegen von der
Union; ich danke Stefan Kaufmann und einigen anderen,
die das mitgemacht haben -, zum Beispiel für ein Thema, das sehr viele Menschen ihr Leben lang interessieren
wird, nämlich das Thema Arbeit. Das ist nicht nur eine
Frage des Geldverdienens; es geht auch darum, dass man
in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt sich selbst zu erarbeiten. Das ist auch eine Frage des Selbstwertgefühls.
Dabei ist die Frage zu stellen: Wie schaffen wir es
denn, in einer veränderten Arbeitswelt - Stichwort „Digitalisierung der Arbeitswelt“ - Arbeit so zu gestalten,
dass Menschen möglichst lange zufrieden und gesund arbeiten können? Das ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Es gab das Programm „Humanisierung
des Arbeitslebens“ in den 70er-Jahren, sozialdemokratisch initiiert. Herr Riesenhuber, vielen Dank; Sie haben
es weitergeführt und ausgebaut. Aber auch das ist zum
Ende der 90er-Jahre hin reduziert worden. Wie schaffen
wir es also, dass Menschen arbeiten können, ohne dabei
kaputtzugehen? Das ist eine große Herausforderung. Wir
machen jetzt endlich wieder mehr Arbeitsforschung in
diesem Land und bauen ein Projekt auf, damit wir für die
Herausforderungen einer sich wandelnden Arbeitswelt
gewappnet sind.
Damit einher geht etwas, was uns auch im Bericht der
EFI seit Jahren vorgeworfen wird: dass wir zu schlecht
aufgestellt sind im Bereich der wissensintensiven Dienstleistungen. Auch das ist ein Bereich, den wir stärker bearbeiten und erforschen lassen wollen. Wie verändern
sich Dienstleistungen? Welches große Potenzial an Arbeit, Technologie und Wertschöpfung steckt darin?
Ein dritter Bereich ist die Produktionsforschung. Auch
hier gibt es einen großen Wandel. Wie wird künftig produziert? Welche Produkte kommen am Weltmarkt an?
Was bedeutet das für eine Fabrik? Was bedeutet das für
die Arbeitswelt? Auch hier werden wir mehr investieren.
Ich bin sehr froh, dass im Rahmen von ZIM - das ist
auch Bestandteil dieses Tagesordnungspunktes - gerade
für mittelständische Unternehmen ganz viel kleines Geld
zur Verfügung gestellt wird, um neue Produkte zu entwickeln und Material und Werkstoffe zu verbessern.
Am Ende kann man nur sagen: Das ist ein Erfolg, den
wir in den letzten Jahren gemeinsam - übrigens mit allen
Fraktionen hier - hinbekommen haben und der auch fortgesetzt werden muss. Deswegen schaue ich jetzt in die
Zukunft: Wir, die SPD, werden am kommenden Sonntag
unser Wahlprogramm beschließen. Wir haben konkrete
Vorschläge, wie es weitergehen soll. Gute Forschung ist
nur dann möglich, wenn es gut ausgebildete Menschen
in diesem Land gibt, und das fängt im Kindergarten und
in der Schule an. Insofern ist das Konzept, das Martin
Schulz vorgestellt hat, Vorrang für Investitionen in Kitas
und Bildung, der richtige Weg. Wir müssen mehr in
Schulen investieren, und wir sind sehr der Auffassung,
dass die Reichen in diesem Land einen größeren Teil
dazu beitragen können.
Vielen Dank.
({9})
Vielen Dank, René Röspel. - Nächster Redner in der
Debatte: Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Danke an meinen Vorredner, an die Aufwüchse bei Bildung und Forschung seit 1998 zu erinnern. Wichtig ist: Dieses Wachstum muss jetzt auch weitergehen.
({0})
Ich habe mich ja gefragt: Was will uns die Bundesregierung eigentlich mit dieser Debatte kurz vor dem Ende
der Wahlperiode sagen? Aus ökologischer Sicht könnte
man Sie für die Wiederverwendung Ihrer Imagebroschüren loben. Dabei haben Sie jedoch nicht auf deren politisches Verfallsdatum geachtet. So hat uns Wirtschaftsstaatssekretär Machnig kurz vor dieser Debatte Ihre
gestoppten Ideen zur steuerlichen Forschungsförderung
geschickt. Notwendig und überfällig wäre stattdessen ein
abgestimmter Gesetzentwurf des Kabinettstrios Zypries,
Wanka und Schäuble. Unser Innovationsstandort könnte schon so viel weiter sein, wenn Sie sich als Koalition
nicht ständig selbst blockieren würden.
({1})
Ohne steuerliche Forschungsförderung drosseln Sie
die Kreativität und Wettbewerbsfähigkeit der kleinen
und mittleren Unternehmen. Sie hemmen Innovation, wir
wollen Sie entfachen.
({2})
Denn als Grüne im Bundestag waren wir die erste Fraktion, die einen sofort umsetzbaren Gesetzentwurf für einen
KMU-Forschungsbonus vorgelegt hat. Gestern hat der
Bundestag unseren Antrag zur Gründungsförderung deRené Röspel
battiert - ein weiterer grüner Beitrag für mehr Innovation
in diesem Land. Bei Ihnen erleben wir hierbei Fehlanzeige und Leerstellen, und das ist schlecht.
({3})
Dieses Unvermögen steht symptomatisch für Ihre innovationslose Innovationspolitik, Frau Wanka.
Beispiel Hightech-Strategie: Neues wird dort kaum
gewagt, altes Wachstumsdenken dominiert. Sie verharren bei einem engen wirtschafts- und technologiefixierten Innovationsansatz. Wir wollen unsere Republik zum
Pionierland für technische und für sozialökologische Innovation machen. Darin liegen Chancen.
({4})
Nachhaltigkeit und die Ausrichtung auf große globale Herausforderungen müssen endlich Leitschnur für die
Hightech-Strategie werden.
Beispiel Klimaforschung: Wir alle kritisieren, dass
Präsident Trump aus dem globalen Klimaschutz aussteigt. Warum lässt die Koalition aber seit Jahren die
Chance verstreichen, ein Rahmenprogramm zur Klimafolgenforschung auf die Beine zu stellen? Wir haben
ein solches Rahmenprogramm eingefordert. Es wäre
ein ökologisches wie wissenschaftliches internationales
Leuchtturmprojekt. Die UN-Klimaschutzziele und das
Pariser Klimaabkommen machen das dringend notwendig. Der Bedarf liegt auf der Hand. Sie sind auch hier
Tu-nichts-Koalition.
({5})
Beispiel Digitalisierung: Außer Reden wenig gewesen. Wir sagen: Industrie 4.0 braucht Bildung 4.0. Moderne digitale Infrastruktur ist in Schulen und Hochschulen leider weiter Mangelware. Unsere Republik wird seit
zwölf Jahren von CDU-Forschungsministerinnen regiert
und ist in dieser Zeit ein digitales Entwicklungsland geblieben. Frau Wanka, Sie sind versetzungsgefährdet.
({6})
Genauso ist es beim wissenschaftsfreundlichen Urheberrecht. Es wird seit Jahren diskutiert, wurde von der
Enquete-Kommission empfohlen. Die Wissenschaftscommunity braucht endlich Schrankenregelungen und
keine Blockade der CDU/CSU-Rechtspolitiker auf den
allerletzten Metern. Geben Sie sich einen Ruck, anstatt
den Regierungsentwurf zu schreddern. Die Maas-Novelle wäre für Lehrende und Lernende ein Schritt in die
richtige Richtung. Er muss jetzt kommen, und zwar ohne
weitere Verwässerungen der Union.
({7})
Beispiel finanzielle Prioritäten: Statt Klein-Klein muss
Forschungsförderung auf starke, von Neugier getriebene
Grundlagenforschung sowie große Herausforderungen
ausgerichtet sein, zum Beispiel Forschen gegen Klimawandel, gegen Hunger, gegen Fluchtursachen, gegen armutsassoziierte Krankheiten und Ressourcenknappheit.
Hier wären Gelder viel besser angelegt als in Milliardengräbern wie ITER zur Kernfusionsforschung.
({8})
Wir müssen raus aus der Atomforschung und rauf mit
Forschung für erneuerbare Energiesysteme. So würden
Bundesmittel sinnvoll und verantwortungsvoll für die
Zukunft eingesetzt.
({9})
Mich macht in diesen Tagen fassungslos, dass Sie als
Koalition auf den letzten Metern hohe Milliardensummen für Korvetten-Kriegsschiffe und Panzer ausgeben
wollen
({10})
anstatt für Kitas, Schulen und Labore. Das ist ein Unding, meine Damen und Herren.
Das sage ich auch, weil wir als Ausschussmitglieder
alle wissen, dass die Unionsfraktion seit Jahren, seit
zwölf Jahren, eine massive Stärkung der Friedens- und
Konfliktforschung verhindert. Auch das ist ein Unding.
({11})
Wir sagen: Das umstrittene 2-Prozent-Ziel bei Verteidigung darf doch nicht das wichtige 3,5-Prozent-Ziel
für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen in der
Bedeutung überholen. Investieren in unsere Investitionsund Wissensgesellschaft muss klar Priorität haben.
({12})
Was brauchen wir noch, um mehr Innovationen zu
entfachen?
Erstens - das wird vielleicht manche in der Union
verwundern -: mehr Bildungsgerechtigkeit. Bildung und
Teilhabe aller an unserer Wissensökonomie sind unerlässlich. Unser Land wird nicht nur gerechter, sondern
auch kreativer und innovativer, wenn wir niemanden zurücklassen und wenn wir den Fachkräftemangel ernsthaft
bekämpfen, zum Beispiel bei den technischen Berufen.
Das steht jetzt an.
({13})
Zweitens: mehr Pluralität, Vielfalt und Interdisziplinarität in der Forschung. Das erweitert Horizonte. Beispiel:
Die Finanzwissenschaften haben bei der Vorhersage der
globalen Finanzkrise versagt. Deshalb tut mehr Pluralität
not.
Drittens. Wir brauchen mehr Forschung jenseits des
Mainstreams. Ein Beispiel: Wir wollen die Methoden
zum Ersatz von Tierversuchen endlich massiv stärken,
um Tierleid zu reduzieren.
({14})
Wir haben die Ideen, mehr Bürgerwissenschaften, Citizen Science, zu puschen und einen Experimentiertopf
für die „Daniel Düsentriebs“ und Tüftler der Republik zu
schaffen, um auch unkonventionelle Ideen zu generieren.
Auch das wäre etwas Neues.
({15})
Viertens. Es braucht mehr Freiräume und eine garantierte Wissenschaftsfreiheit. Dazu braucht es hierzulande
mehr Planungssicherheit, also eine verlässliche Grundfinanzierung unserer Hochschulen, anstatt sich immer von
Pakt zu Pakt zu hangeln. International müssen wir gegen
jedwede Wissenschaftsfeindlichkeit und -diffamierung
ankämpfen, weil so etwas Kooperation erschwert. Ob
Massenentlassungen von Wissenschaftlern in der Türkei,
verfolgte Forscher in Despotien, Trumpismus, Brexit
oder Ungarn: Gängelungen von Forscherinnen und Forschern dürfen nirgends um sich greifen, zum Grundrechteschutz und aus Innovationsgründen.
({16})
Fünftens. Wir brauchen klare Karriereperspektiven für
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler statt ein weiteres Befristungsunwesen.
({17})
Ihre Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes
({18})
wird alle Ziele verfehlen.
({19})
Schlechte Arbeitsbedingungen im Wissenschaftssystem
und die Frustrierung von Talenten sind aber auch innovationsfeindlich, genauso wie die Unterrepräsentanz
von Frauen in Spitzenpositionen der Wissenschaft. Daher wollen wir einen Aufbruch für mehr Personal an den
Hochschulen und Forschungseinrichtungen, für „mehr
Dauerstellen für Daueraufgaben“ jenseits der Professur
und im Mittelbau sowie mehr Diversity und Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft. Denn Ideen, die unsere Welt verbessern, entstehen in klugen Köpfen, und
die brauchen bessere Bedingungen.
({20})
Zusammengefasst: Unsere Republik muss zum Pionierland für sozial-ökologische Innovationen werden.
Dazu gehören viele neue Impulse wie die genannten,
super Bedingungen für Wissenschaftsfreiheit, gute Forscherkarrieren und Vielfalt sowie eine bessere Finanzierung von Forschung und Entwicklung. Was diese Koalition nicht geschafft hat, müssen wir in der nächsten
Wahlperiode mit einem Modernisierungsschub nachholen. Denn Zukunft wird aus Mut, Neugier und Kreativität
gemacht.
({21})
Vielen Dank, Kai Gehring. - Nächste Rednerin: für
die Bundesregierung Ministerin Dr. Johanna Wanka.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Gehring, warum diskutieren wir das heute hier? Aus
Achtung vor dem Parlament. Sie haben beschlossen, dass
wir einen Bericht dazu zu machen haben. Den machen
wir gerne, und er ist gut.
({0})
Herr Lenkert, ich habe hier ja nur wenige Minuten zum
Reden. Deswegen habe ich eine große Bitte; ich assistiere gerne. Wir hatten vor einiger Zeit hier eine Debatte
zum Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs.
({1})
Da ging es darum, wie viele Dauerstellen wir geschaffen
haben und wie die Karriereverläufe sind. Zu all dem, was
Sie heute angesprochen haben, habe ich da Stellung genommen, habe die Fragen beantwortet. Ich bitte Sie, da
noch einmal nachzuschauen; Sie können auch gerne mit
mir darüber reden.
Herr Röspel, ich bin ja für lange Geschichtszüge. Man
muss aufpassen, ob man Legenden strickt.
({2})
- Lassen Sie mich doch mal reden. - Wenn man jetzt
die Zeit von Rot-Grün betrachtet, dann stellt man fest,
dass ich diesbezüglich nicht nur - wie Sie mir positiv unterstellen - mit den Zahlen rechnen kann, sondern auch
Zeitzeugin bin.
({3})
Ich hatte für unsere Institute zu sorgen - die ehemalige
Finanzministerin kann sich vielleicht noch erinnern -, als
der Bund nicht bereit war, Mittel zur Finanzierung von
Tarifsteigerungen zu zahlen. Wir mussten das dann erwirtschaften, und das im Osten.
Noch ein Fakt, was die Zahlen angeht: Die Steigerung
der Ausgaben für Forschung und Entwicklung war über
die gesamte Zeit von Rot-Grün hinweg in der Summe so
groß wie bei mir in einem Jahr.
({4})
- Das müssen wir jetzt nicht vertiefen. - Ansonsten habe
ich keine Lust, nur über die Vergangenheit zu reden. Dafür ist mir die Zeit zu schade.
({5})
- Herr Röspel, das geht von meiner Zeit ab. Tut mir leid.
So.
({6})
- Ja, das ist Strategie.
Wir haben heute als Thema: Wie sind wir aufgestellt?
Deutschland ist im Hinblick auf Dienstleistungen und
Produktion ein Spitzenstandort, gerade was die Produktion von Hightechgütern anbetrifft. Die Hightech-Strategie, über die wir hier reden, ist ein ganz entscheidendes Instrument, eine Grundlage dafür. Nun ist es immer
schwierig, wenn man sich selber lobt; das kommt nicht so
gut an. Deswegen greife ich mal das auf, was diejenigen
sagen, die uns bewerten: die OECD. Ich mache jetzt fünf
Ausrufezeichen - Sie wissen, wie falsch uns die OECD
sonst an vielen Stellen einschätzt. An dieser Stelle spricht
uns die OECD - nachdem sie das mit der beruflichen Bildung verstanden hat - ein großes Lob aus. Sie verweist
darauf, dass Länder wie Korea und Frankreich Anregungen aus unserer Hightech-Strategie entnehmen, dass sich
Horizon 2020 an diesem Vorbild orientiert.
({7})
Im EFI-Bericht wird darüber hinaus eine Bilanz der ganzen Jahre, also nicht nur der letzten zwei oder drei Jahre,
gezogen, und sie fällt sehr positiv aus.
Sehr geehrter Herr Gehring, dass Sie und Ihre Fraktion uns mit Ihrem Antrag unterstützen und loben, kann
man auch mal erwähnen.
({8})
Denn jeden der Punkte, die Sie im Antrag genannt haben - mehr Forschung für Nachhaltigkeit, Reallabore,
soziale Innovationen -, sind wir angegangen. Da haben
wir viel vorzuweisen. Zu allen Wünschen, die Sie hier
aufgezählt haben - Nachhaltigkeit und anderes -, kann
ich Ihnen Dinge nennen, die wir gemacht haben.
({9})
Solch einen positiven Impuls aus der Opposition kann
man ja auch mal aufnehmen.
Jetzt zu den Ergebnissen: 3 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt, lieber Herr Riesenhuber, für F und E haben wir jetzt in Deutschland als große Industrienation nicht als kleines Land - erreicht. Wir wollen und müssen
weitermachen. Wenn wir sagen, dass wir in Richtung
3,5 Prozent gehen, dann geht es um richtig viele Milliarden, die wir brauchen, die wir wollen und die wir auch
einstellen werden. Aber um die 3 Prozent zu erreichen,
müssen sich Wirtschaft und Wissenschaft gegenseitig
animieren.
Wir haben im Rahmen der Hightech-Strategie neue Instrumente eingeführt, um die Wirtschaft zu Forschungsstärke anzuregen. Eines der Instrumente, gegen das niemand etwas sagen kann, das allenthalben gelobt wird,
ist der Spitzencluster-Wettbewerb. Ohne den Standort
Dresden mit dem Spitzencluster Silicon Saxony, lieber
Michael Kretschmer, gäbe es nicht dieses Zentrum in Europa und eine Investition von Bosch in Arbeitsplätze in
Milliardenhöhe.
({10})
Herr Gehring, Sie sagen, wir haben die Digitalisierung
verschlafen.
({11})
Ich habe vergessen, was Sie gelernt haben. Die Grundlage für Digitalisierung ist die Mikroelektronik. Ohne die
Mikroelektronik sind wir nicht in der Lage, bei der Digitalisierung ganz vorne mitzuspielen.
({12})
Wir haben es gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium geschafft, die Bundesregierung insgesamt, für den
Bereich Mikroelektronik über eine Milliarde Euro zur
Verfügung zu stellen, und zwar so, dass es nicht beihilfeschädlich ist. Wir haben die Chance, in Europa zu
investieren. Es muss nicht immer nur Deutschland sein.
Das ist die Basis unserer Initiative. Die Investition in die
Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland in Höhe
von 350 Millionen Euro ist die größte Investition, die es
in diesem Bereich jemals gab.
({13})
Das Thema KMU haben wir analysiert. Das Motto lautet: Vorfahrt für den Mittelstand! Die Effekte werden wir
im Moment noch nicht messen können. Eines ist klar hier waren wir schon bei den letzten Koalitionsverhandlungen nicht weit auseinander mit der Forschungs- und
Wissenschaftsseite -: Wir brauchen steuerliche FuE-Förderung. Das kommt noch, das ist aus meiner Sicht sicher.
({14})
- Nein. - Aber man kann dabei auch einiges falsch machen. Bei der Anwendung dieses Instrumentes kommt es
entscheidend darauf an, zu prüfen, ob es auf Deutschland
passt, ob es das Fraunhofer-Institut eher stört und ob es
die guten Mechanismen, die wir haben, befördert oder
nicht. Darüber muss man diskutieren,
({15})
und das tun wir. Diese Entscheidung könnte eine Fehlentscheidung sein, wenn man sich jetzt nicht für die richtigen Instrumente entscheidet.
({16})
Soziale Innovationen sind für uns ein besonderes Thema. Das zeigt unser großes Programm „Zukunft der Arbeit“. Ich kann es nicht ertragen, in den Reden immer
dieselben Fragen zu hören; denn wir sind schon bei den
Antworten.
({17})
Wir reden mit Frau Nahles darüber, wie man diese Antwort übersetzen kann. Es geht stark darum, dass man alle
in der Bundesrepublik erreicht.
({18})
Mit unserem Programm „Innovative Hochschule“ gibt es
zum allerersten Mal ein Transferprogramm, das in jeder
Ecke Deutschlands, wenn ein überzeugender Antrag vorliegt, zu langfristigen Transfermechanismen und nicht zu
einseitigen Projekten führt. Damit wollen wir deutschlandweit einen Transfer von Ergebnissen erreichen. Der
Bund zahlt 90 Prozent. Das war unsere Initiative. - So
viel zu diesen Punkten.
({19})
Man kann an dieser Stelle vieles sagen. Es liegen dicke Papiere und viele andere Materialien vor. Sehr zu
empfehlen sind unsere Informationsmaterialien, wobei
wir von unserem ursprünglichen Ziel nicht abgehen und
weitermachen.
Wir haben uns überlegt, dass es nicht nur darauf ankommt, Arbeitsforschung zu betreiben; das wird schon
seit vielen Jahren gemacht, dafür gab es auch immer Mittel in Millionenhöhe. Wenn ich mir so anschaue, was die
Sozial- und Geisteswissenschaftler bei der EU an Mitteln
beantragen, muss ich sagen: Das ist viel zu wenig; dabei
sind die Mittel vorhanden. Laut unserem Programm ist es
nicht genug, ein neues Arbeitsforschungsprogramm, Papers und Artikel zu erstellen. Vielmehr ist das Programm
immer an den Praxisbezug gebunden, zum Beispiel mit
einem kleinen oder größeren Unternehmen.
Wenn Deutschland von außen eingeschätzt wird, dann
wird unsere Forschungsstärke genannt. Als Mangel wird
immer angeführt: Es müsste mehr Gründungen geben.
Für Gründungen ist nicht in erster Linie unser Haus zuständig, aber natürlich interessiert uns dieses Thema.
({20})
Unsere Maßnahmen bezüglich Wagniskapital und anderen Instrumenten haben in der Szene positiv gewirkt.
Trotzdem gibt es Potenziale, die wir nicht heben. Deswegen sind wir dabei, einen Fünfpunkteplan zu erstellen,
um innovative Gründungen zu befördern.
Ich nenne ein Beispiel: Innovative Gründungen sind
sehr von der Branche abhängig. Im IT-Bereich braucht
man ganz andere Möglichkeiten als im Bereich der Lebenswissenschaften. Deswegen sehen wir bei all unseren
Programmen eine Komponente vor, die Gründungen befördern soll.
Validierung ist für uns ein weiteres wichtiges Thema.
Für Validierung gibt es, glaube ich, ausgefeilte Instrumente. Hier geht es aber auch darum, etwas für Sprunginnovationen bereitzustellen. Das betrifft auch die Frage,
wie öffentliche Unterstützung für junge Menschen in
Deutschland aussehen kann, die ein hohes Risiko eingehen, um etwas zu erreichen.
Ich glaube, wir haben eine gute Bilanz vorzuweisen.
Es gibt trotzdem noch viel zu tun.
({21})
Es gibt Stellen, an denen wir deutlich besser werden können. Ich bin aber der Meinung, wir sind gut aufgestellt,
und danke allen, die sich in diesem Bereich engagieren.
({22})
Vielen Dank, Dr. Wanka. - Nächste Rednerin: Karin
Binder für die Fraktion Die Linke.
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf
der Besuchertribüne! Liebe Frau Wanka, ich spreche
hier heute als Verbraucherpolitikerin insbesondere zum
Aktionsplan Nanotechnologie 2020 aus Ihrem Ministerium, zu dem Sie hier leider kein Wort verloren haben.
Aus verbraucherpolitischer Sicht ist Nanotechnologie
aber für mich eines der wesentlichen Themen, weil diese
Technologie nicht nur Chancen bietet, sondern auch eine
Menge an Risiken birgt.
({0})
Seit elf Jahren wird die Forschung im Bereich Nanotechnologie mit rund 5 Milliarden Euro gefördert. Wenn
ich Ihren Aktionsplan aber richtig verstehe, geht es in
erster Linie um ein groß angelegtes Firmensponsoring.
Mittels der neuen Hightech-Strategie soll dafür gesorgt
werden, dass deutsche Firmen auf dem internationalen
Markt in dieser neuen Technologie wettbewerbsfähig
sind. Dabei stellen sich mir aber schon einige Fragen.
Diese Technologie hat eine Bedeutung, die annähernd an
die Bedeutung der Atomtechnologie oder der Gentechnologie herankommt. Es geht bei Nanopartikeln, die auf
künstlichem Wege erzeugt werden, um eine Vielzahl von
Stoffen, von denen jeder für sich eine andere Wirkung
entfaltet.
Das Beispiel Silber kennen Sie wahrscheinlich alle.
Silber ist als Stoff an sich völlig harmlos, wird als
Schmuck getragen. Silber in Nanopartikelgröße wirkt
toxisch.
({1})
Man hat mal gemeint, man könne durch den Einsatz von
Silbernanopartikeln eine Weile hinauszögern, dass Socken zu stinken beginnen, hat dann aber gemerkt, dass
Silber nicht nur antiseptische, sondern auch toxische
Wirkung hat, dass es gefährlich wird. Man musste also
wieder einen Schritt zurückgehen.
So kann auch jeder andere Stoff in Nanopartikelgröße
Risiken bergen, die wir heute noch nicht kennen. Hier
braucht man Langzeitforschung, eine Forschung, die
auch mehrere Generationen in den Blick nimmt. Denn
auf ein Kind wirkt eine Hautcreme, die künstlich erzeugte Nanopartikel enthält, längerfristig möglicherweise
gesundheitsschädlich, während es einem Erwachsenen
nichts ausmacht. Nanopartikel dringen in Zellen ein, und
diese verändern sich dadurch. Das alles haben wir noch
nicht im Blick, weil es noch kaum Messverfahren bzw.
Prüfverfahren gibt, die zumindest bei den Kontrollbehörden zum Einsatz kommen könnten.
All diese Risiken hat man noch nicht wirklich behandelt, hat sie noch nicht wirklich im Fokus, vielmehr geht
es in Ihrem Aktionsplan nur um Wettbewerbsfähigkeit.
Ich bin sehr wohl dafür, dass wir neue Technologien nutzen, gerade wenn es darum geht, Oberflächenbeschaffenheit und Ähnliches zu verbessern und für günstigere Produktionsprozesse zu sorgen. Ich denke aber, trotz allem
haben die Menschen das Recht darauf, zu wissen, welche
Risiken diese Technologie birgt. Da sehe ich noch ein
riesengroßes Problem. Es darf nicht sein, dass die einen
den Nutzen haben in Form von höheren Profiten und die
anderen die Risiken in Form von Gesundheits- und Umweltgefährdung.
({2})
Deshalb müssen wir hier viel mehr investieren, um die
Risiken zu erforschen. Das tun die Firmen nämlich nicht,
das kostet sie nämlich bloß Geld. Aber unsere Gesellschaft kostet ein vorschneller Einsatz Gesundheit und
Leben. Ich denke, hier müssen wir ran. Frau Wanka, da
sehe ich Sie in der Pflicht.
Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich
sage Tschüss. Es waren spannende zwölf Jahre. Ich danke vielen Menschen, auch Menschen, die nicht in diesem
Raum sind, für die angenehme Zusammenarbeit, für die
spannende Zeit. Ich wünsche allen viel Erfolg.
({3})
Vielen Dank, Karin Binder. - Ich glaube, das wünschen wir Ihnen auch. Vielen Dank für die gute Zusammenarbeit, nicht zuletzt in der Mitarbeiter- und Mitarbeiterinnenkommission. Alles Gute! Wir denken an Sie.
Jetzt kommt als nächste Rednerin - sie steht schon
da - Dr. Daniela De Ridder für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Gäste! Wir diskutieren heute über
die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands und
damit auch die Hightech-Strategie der Bundesregierung.
Frau Präsidentin, ich weiß nicht, woran Sie denken, wenn
Sie den Begriff „Hightech“ hören. Ich denke dabei unter
anderem ganz spontan an Haushaltsroboter, saisonal bedingt an Rasenmäherroboter.
({0})
Aber es geht dabei um sehr viel mehr.
Es geht dabei um die digitale Wirtschaft und die entsprechenden gesellschaftlichen Prozesse, die damit einhergehen.
Es geht um nachhaltiges Wirtschaften.
({1})
- Sie wollten mir die Antwort nicht schuldig bleiben.
Wunderbar. - Auch das gehört zum technologischen
Fortschritt. Beispielsweise beeinflusst das, was Sie gerade hochgehalten haben, unsere innovativen Arbeitswelten; denn das trägt ja ebenfalls zum Fortschritt bei.
Es geht auch um gesundes Leben. Insofern hoffe ich,
dass Sie das Handy so benutzen, dass Sie nicht nur das
Ohr daran haben, sondern auch uns lauschen. Auch das
gehört ja mit zu diesen Prozessen.
Es geht aber ebenfalls um intelligente Mobilität.
Und nicht zuletzt geht es um zivile Sicherheit. Im
Zeitalter von Big Data und Fake News ist es unerlässlich,
dass wir uns auch damit befassen.
Letztendlich geht es darum, dass wir große gesellschaftliche Herausforderungen lösen; wir haben es eben
schon einmal gehört. Dies können wir nur, indem wir
innovativ sind, und dazu gehört ganz elementar die Forschung in Zusammenarbeit mit KMUs und mit dem Mittelstand.
Ich bin sehr froh, dass ich die Chance habe, lieber Kai
Gehring, einmal darüber aufzuklären, dass das, was wir
schon entwickelt haben, keineswegs trivial oder unintelligent ist. Ich will das anhand eines Beispiels deutlich
machen. Am Campus Lingen in meinem Heimatwahlkreis gibt es das Projekt „Dorfgemeinschaft 2.0“; es wird
mit 5 Millionen Euro vom BMBF gefördert, im Übrigen
eines von fünf Modellvorhaben. Da geht es um die Beantwortung folgender Frage: Wie entwickelt sich eigentlich der demografische Wandel im ländlichen Raum, was
tut sich da, und was muss zukünftig getan werden, damit
gerade auch ältere Menschen an der Gesellschaft partizipieren können? Da geht es um Mobilität und ÖPNV, da
geht es um Smart Homes und intelligente Systeme, da
geht es aber auch um Pflege und damit ein Stück weit um
Robotik in der Pflege, aber auch um deren Akzeptanz bei
Älteren. Das ist ein Projekt, das an der Fachhochschule
angesiedelt ist.
In der Tat gehören auch die Fachhochschulen zu den
innovativen Forschungseinrichtungen,
({2})
die wir in dieser Legislaturperiode sehr deutlich und sehr
weitgehend unterstützt haben. Ich nenne hier beispielhaft die Initiative FHprofUnt, in deren Rahmen Fachhochschulen und Hochschulen für angewandte Wissenschaften mit Unternehmen kooperieren. Ich nenne die
Förderlinie IngenieurNachwuchs für kooperative Promotionen, ich nenne auch die Initiative FH-Invest, bei der
es um mehr Overhead für die Fachhochschulen geht, und
nicht zuletzt die Fördermaßnahme FH-Impuls, die mit
100 Millionen Euro - man höre und staune! - für acht
Jahre gefördert wird.
({3})
- Vielen Dank. - Genannt sei aber auch das Programm
„Innovative Hochschule“. Das ist zugegebenermaßen
kein reines Fachhochschulprojekt, aber darin stecken
550 Millionen Euro bis 2027.
Ich wäre aber nicht Mitglied der SPD, würde ich mich
mit diesen Erfolgen schon zufriedengeben. Und würde
die SPD sagen, wir hätten schon genug getan, könnte man auch behaupten, morgen würde die Welt stehen
bleiben. Es gilt also die Losung Willy Brandts, der sagte: Wer morgen sicher leben will, muss heute schon für
Reformen sorgen. - Deshalb will ich noch einmal eine
Lanze für die Fachhochschulen und ihre Nachwuchsförderung brechen.
Es geht also darum, dass wir die Akteurinnen und
Akteure unterstützen müssen. Hier habe ich nicht ganz
verstanden, Frau Wanka, warum es uns in dieser Legislaturperiode nicht gelungen ist, ein gesondertes Nachwuchsprogramm für Fachhochschulen aufzulegen. Unsere SPD-Fraktion hat doch mit den Perspektivprofessuren
ein sehr gutes Konzept entwickelt; und wir glauben, dass
es nicht geht, ohne dies noch einmal deutlich zu flankieren und auszubauen und mit 1 Milliarde Euro zu unterstützen. Denn gerade die angewandte Forschung, für
die Sie sich eben deutlich ausgesprochen haben, kommt
nicht ohne mehr Ressourcen, schon gar nicht ohne mehr
Personalressourcen aus.
Die Fachhochschulen haben bei ihrer Forschung oft
erlebt, dass sie durch das Raue gehen müssen. Um es auf
Latein zu sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: per aspera ad astra. Aber diesmal dürfen Sie vielleicht durch
das Smart Home gehen, wenn wir ihnen den Weg ein wenig ebnen. Es geht darum, dass wir deutlich machen: Die
Fachhochschulen und Hochschulen für angewandte Wissenschaften sind wie kaum eine andere Institution Träger
von Innovationen. Stärken und stützen wir sie!
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank, Dr. De Ridder. - Nächste Rednerin:
Patricia Lips für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es
wurde schon vieles dazu gesagt, aber auch ich möchte
es noch einmal betonen: Über Deutschlands Grenzen
hinweg hören wir immer wieder, wie überragend positiv
unser Wirtschafts- und Forschungsstandort eingeschätzt
wird und wie attraktiv sich der Wissenschaftsbereich im
internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe zeigt.
({0})
Man zollt uns in hohem Maße mehr als nur Anerkennung
und Respekt.
({1})
Das EFI-Gutachten wurde bereits erwähnt. Auch ich
zitiere gerne daraus:
... beachtliche Verbesserungen in den Bereichen der
öffentlichen und privaten FuE-Ausgaben, bei der
Positionierung deutscher Forschungseinrichtungen ... hinsichtlich Attraktivität und Exzellenz ...
({2})
Die Autoren zitieren aber auch sehr pointiert unseren früheren Bundespräsidenten Roman Herzog mit den Worten:
Die Welt ist im Aufbruch, sie wartet nicht auf
Deutschland.
Genau hier liegt unsere Aufgabe für die Zukunft. Wir
haben bereits viel erreicht; darauf können wir selbstbewusst verweisen. Deswegen sollten wir uns hier nicht gegenseitig schlechtreden, wie es teilweise geschehen ist.
({3})
Auf unseren Erfolgen dürfen wir uns aber nicht ausruhen.
Wir müssen besser werden, erst recht, weil andere Nationen dieser Welt rasch aufholen. Wir sehen, dass sich die
Welt an anderen Orten in manchen Bereichen sozusagen
etwas schneller dreht als bei uns.
Ich denke zum Beispiel an die Bereiche Gesundheit
und IT-Forschung, an die Chancen, die Telemedizin und
Digitalisierung bieten. Ich denke vor allem an den innovativen Gründergeist in anderen Ländern. Auch an dieser
Stelle haben wir viel getan, wir können aber noch eine
Schippe drauflegen.
({4})
Ich denke auch an die Konkurrenz in Fernost, die ihre
Ausgaben im Bereich Forschung und Entwicklung immer mehr erhöht. Der globale Wettbewerb wird gerade
im digitalen Zeitalter immer schärfer und stellt eine immer größere Herausforderung dar. Wir sehen: Es bleibt
noch einiges zu tun, um Deutschland nicht nur als InnoDr. Daniela De Ridder
vationsmotor innerhalb Europas zu stärken, sondern auch
im globalen Kontext bzw. im globalen Wettbewerb seine
Spitzenposition zu erhalten.
Wir haben das 3-Prozent-Ziel hinsichtlich der Investitionen in Forschung und Entwicklung gemeinsam erfolgreich umgesetzt. Natürlich, Kai Gehring, wollen wir uns
neue, ehrgeizige Ziele stecken. Wir peilen mittelfristig
natürlich ein Ziel jenseits der 3 Prozent an. Alles andere
wäre falsch. Konkret wird es dabei darum gehen, zusätzliche Mittel in zukunftsweisende Schlüsseltechnologien
zu investieren. Dabei geht es um Themen wie Digitalisierung, Mobilität, Gesundheitsforschung, Energie oder
autonome Systeme - Stichworte: Robotik und Stadtentwicklung -, um nur einige zu nennen. Dies sind bereits
wichtige Bausteine der Hightech-Strategie der Bundesregierung.
({5})
Der Bund hat in den letzten Jahren seinen Beitrag zu
einem weiteren Aufwuchs der Forschungsausgaben im
Rahmen dieses Ziels geleistet. Wir dürfen aber, Kolleginnen und Kollegen, eines nicht vergessen: Den größten Teil dieser Ausgaben trägt die Wirtschaft selbst. Ein
Aufwuchs bedeutet somit eine weitere große Herausforderung für unsere Betriebe. Lassen Sie mich Folgendes
sagen: Es gibt rund 3,6 Millionen kleine und mittlere
Unternehmen in Deutschland; das sind rund 99 Prozent
aller Betriebe in unserem Land. Viele von ihnen sind unglaublich innovativ. Das sind diese Daniel Düsentriebs,
von denen heute schon gesprochen wurde. Deren Leistungskraft kann uns gerade deshalb nicht egal sein.
({6})
Die Förderung der Entwicklungsarbeit dieser Unternehmen hat einen historischen Höchststand erreicht.
Dennoch ist die Innovationsquote in der Fläche gesunken. Damit müssen wir uns befassen. Dieser Rückgang
der Innovationsquote mag damit zu tun haben, dass aufgrund der guten Konjunkturlage der eine oder andere Betrieb den Druck, etwas verändern zu müssen, nicht spürt.
Hier müssen wir die Unternehmen ermuntern. Gerade
im Bereich der Digitalisierung tun sich manche Betriebe
noch immer schwer damit, die Dimension der Herausforderungen zu erkennen und entsprechende Maßnahmen umzusetzen. Ich bin dem Ministerium mit Johanna
Wanka an der Spitze dankbar, dass es gemeinsam mit uns
frühzeitig reagiert und gezielt Programme auf den Weg
gebracht hat.
({7})
Auch die bisherige Projektförderung für und in innovative Unternehmen hat sich bewährt. Wir wollen sie
weiterentwickeln. Wir wollen sie als Forschungspolitiker aber um das Element einer steuerlichen Förderung
ergänzen, wo immer es um den Einsatz von innovativen
Entwicklungen geht. In der Tat sehen wir hier ein ganz
wichtiges Element.
Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen vor allem
Unterstützung - nicht nur aus der Politik, sondern auch
aus der Gesellschaft -, wenn wir unser einzigartiges Innovationsmodell erfolgreicher Geschäftszweige in kleinen, mittleren und großen Unternehmen mit tollen neuen
Ideen, aber auch unseren Ruf in Verbindung mit Qualität,
Präzision und Gründlichkeit in Zeiten eines massiven
Wandels erfolgreich weiterentwickeln wollen. Wir haben
in diesem Hause in der vergangenen Legislaturperiode
viel bewegt. Lassen Sie uns in den Bemühungen nicht
nachlassen - als Voraussetzung für den wirtschaftlichen,
sozialen und gesellschaftlichen Wohlstand in diesem
Land.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank, Patricia Lips. - Nächster Redner:
Dr. Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ja, Frau Lips, wir sind auf das, was wir in den letzten vier
Jahren bewegen konnten, genauso stolz wie Sie.
({0})
Ich knüpfe an die letzte Bemerkung von Herrn Kretschmer
an: In der nächsten Woche wollen wir uns wiedersehen,
und dann wollen wir hier einen guten Gesetzentwurf verabschieden, der die Austauschmöglichkeiten in der Wissenschaft fördert. Da sind Sie in der Bringschuld.
({1})
Wenn Sie es schaffen, dann freuen wir uns. Wenn Sie es
nicht schaffen, tragen Sie die Verantwortung.
({2})
Wir wollen gerne mitgehen, wenn es um das 3,5-Prozent-Ziel geht. Wir wollen gerne mitgehen, wenn es
darum geht, die außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die Hochschulen und die Fachhochschulen zu
stärken. Wir gehen selbstverständlich auch mit, wenn es
in der nächsten Legislaturperiode - gerne unter unserer
Führung - darum geht, kleine und mittlere Unternehmen
zu stärken. Wir haben nämlich die Grundauffassung, dass
die Hightech-Strategie ein Element der gesamten Wissenschafts- und Bildungsstrategie ist; beides denken wir
ja in Deutschland zusammen. Diese Wissenschafts- und
Bildungsstrategie hat ein breiteres Spektrum; man darf
sie nicht nur auf Hightech beziehen.
({3})
Zum Abschluss zwei allgemeine Bemerkungen dazu.
Erstens. Hightech ist gut. Aber sind wir nicht immer,
wenn wir an Hightech denken, dazu verpflichtet, genauso
auch im Zuge der Vermittlung an Lowtech zu denken?
Um es anschaulich zu machen: Der afrikanische Kontinent hat bestimmt mehr Hightech-Produkte in Form von
Handys als Toilettenanlagen, die der Gesundheit der afrikanischen Bevölkerung dienen würden.
({4})
Wenn dieses Thema von der Bill-Gates-Stiftung aufgegriffen wird, dann ist das gut. Aber noch besser wäre
es, wir würden unseren Minister Müller und andere unterstützen, in ihrer Afrika-Strategie genau das zu transportieren, was bei uns von höchstem Menschenverstand
erarbeitet wurde und unter einfachsten Bedingungen
umsetzbar ist. Auch dies ist ein Element einer Wissenschaftsstrategie: Hightech und Lowtech.
({5})
Wir werben immens dafür, dass wir dies zusammen denken.
Ich kann es auch konkreter machen: Wenn die wunderbaren Humboldt-Preise, mit 5 Millionen Euro ausgestattet, vergeben werden, dann hört man ganz aufmerksam
zu, wenn es um Proteinforschung geht. Aber die Freude
im Herzen ist erst recht groß, wenn es zum Beispiel um
Immunologie, um Infektionsforschung, um Impfstrategien und Ähnliches geht; denn dies hat für die Menschen
großen Nutzen. Wenn wir es als Konsens betrachten
können, Hightech und Lowtech in Verantwortung für die
großen Gestaltungsaufgaben in der Zukunft zusammen
zu denken, dann haben wir hier ein gutes nationales Signal gesetzt.
({6})
Ein zweiter Gedanke. Hier geht es um eine nationale
Hightech-Strategie. Aber wir als SPD werben dafür wir wissen, dass auch die Regierung versuchte, das zu
erreichen -, dass dies auch auf der europäischen Ebene
als Gemeinschaftsaufgabe stärker in den Vordergrund
gestellt wird. Ich darf polemisch fragen: Weshalb ist die
Europäische Kommission darauf gekommen, die Zukunft Europas in fünf Büchern zu beschreiben, die sich
mit dem Binnenmarkt, der Migration, der Verteidigung,
der Währungsunion und dem EU-Haushalt auseinandersetzen? Warum fehlt das sechste Buch? Weshalb gibt es
kein Buch über Wissenschaft, Forschung und Bildung,
also über das, was gemeinsam in der Lissabon-Strategie im Jahre 2000 als die Zukunftsvision für Europa beschrieben worden ist?
Es geht nicht an, dass es einen bildungs- und forschungsstarken Norden und einen bildungs- und forschungsschwachen Süden gibt. Griechenland zum
Beispiel stellt weniger als 0,5 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Wissenschaft und Forschung zur Verfügung. Wie soll Europa zusammenwachsen, wenn wir
nicht eine europäische Gesamtstrategie entwickeln? Wie
soll es denn in Europa weitergehen, wenn wir das Brexit-Problem nicht so lösen, dass es nach wie vor auch
eine Zusammenarbeit im Bereich Bildung und Forschung
über Europa hinaus - also egal ob Großbritannien in der
EU ist oder nicht - gibt? Wie soll denn die europäische
Idee weitergetragen werden, wenn wir nicht in Europa
eine Zukunftsidee mobilisieren? Das könnten wir doch
tun, indem wir bei den jungen Menschen mit Wissenschafts-, Forschungs- und Bildungsaustausch eine Vision
aufmachen. 9 Millionen Menschen haben von Erasmus
profitiert. Das muss der Europäischen Kommission doch
eine Vision wert sein.
Deshalb sei hier zum Schluss ganz direkt gesagt: Ja,
wir haben eine gute deutsche Hightech- und eine gute
deutsche Wissenschaftsstrategie, aber es muss erst recht
darum gehen, dass wir in Europa zu einer solchen Zukunftsvision finden, die alle Menschen mitreißt, weil sie
darin einen Nutzen für sich und die Zukunft sehen können.
Danke schön.
({7})
Vielen Dank, Dr. Dieter Rossmann. - Jetzt gebe ich
das Wort unserem so jung gebliebenen Alterspräsidenten,
einem Kollegen, der - man glaubt es gar nicht, wenn man
ihn sieht - seit 1976, also seit 41 Jahren, die deutsche
Politik und deren Häuser mitgeprägt hat. Ich könnte jetzt
noch lange reden, aber er ist jetzt dran.
Zu seiner letzten Rede gebe ich Professor Dr. Heinz
Riesenhuber das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich für die herzliche Begrüßung und freue mich,
dass sie nicht von meiner Redezeit abgeht.
({0})
Ich habe mich über diese Debatte gefreut. Es gab hier
durchaus - und das ist auf dem Weg zu den richtigen Zielen notwendig - Dissense, und es wurden verschiedene
Akzente gesetzt. Es gab eine breite Diskussion über das,
was wir noch zu erledigen haben.
({1})
Wenn wir nichts mehr vor uns hätten, dann könnten wir
aufhören und uns zur Ruhe setzen. Einige tun das.
({2})
Für diese Debatte charakteristisch war aber: Viele
sprachen über die Erfolge, und jeder hat sie sich zugeschrieben. Gell, Herr Röspel?
({3})
Das finde ich prima. Wenn jeder von den Erfolgen begeistert ist, dann muss das, was wir gemeinsam hingekriegt haben, eine gute Sache sein.
({4})
Das haben wir jetzt in dieser Debatte in einer wirklich
vorzüglichen Weise gesehen.
Uns liegt eine Reihe von Vorlagen vor, die wir heute zu
diskutieren haben. Die Hightech-Strategie - Frau Wanka
hat darüber gesprochen - ist wirklich eine interessante
Weiterentwicklung dessen, was wir über die Jahre an
Förderung von einzelnen Techniken gehabt haben. Aus
der ungeheuren Fülle von Möglichkeiten, die ständig neu
aus der Grundlagenforschung entstehen, wird das gebündelt und herausgelöst, was hilft, die Probleme auf dieser
Welt zu lösen, und zwar in vielen Bereichen: Gesundheit,
Kommunikation, Umwelt, Mobilität. Daraus entsteht
eine umfassende Strategie, die Neues schafft, ohne dass
der Staat sich anschickt, Einzeltechniken auszuwählen.
Der Staat kann die Forschung nicht erfinden und die
Zukunft nicht bauen. Er kennt die Vergangenheit, die Zukunft aber nur begrenzt. Der Staat hat schon eine große
Leistung vollbracht, wenn er die Leute nicht bei der Arbeit stört.
({5})
Er muss aber flankierend Möglichkeiten aufbauen, sodass jeder eine Nische finden kann, wo seine Arbeit hineinpasst. Das leistet die Hightech-Strategie.
Wir haben die Grundlagenforschung, die Quelle allen
Wissens, stetig weitergeführt. Dafür, dass sie sich in Freiheit entwickeln kann, braucht sie einen verlässlichen und
dauerhaften Rahmen. Diesen haben wir über die Jahre
stetig weiterentwickelt. Und die Grenzen zwischen der
Grundlagenforschung und der angewandten Forschung
werden immer offener. Schauen Sie sich nur die Biotechnologie oder die Materialforschung an.
Das ZIM, das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, ist gepriesen worden. Das ist ein großartiges System, das wir immer weiter ausgebaut haben - finanziell
und übrigens auch intellektuell. Die Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft bleibt natürlich weiterhin eine Aufgabe.
Frau Binder, Sie haben hier über die Nanotechnologie
gesprochen. Wenn Sie den vorzüglichen Aktionsplan der
Bundesregierung durchlesen, dann sehen Sie, dass die
Risiken und der Umgang mit diesen Risiken in einer verantwortlichen Weise Seite um Seite überzeugend dargestellt werden. Es war in den letzten 40 Jahren - und schon
länger - immer unsere Stärke, dass wir zwar neue Techniken wollten, die hilfreich und erfolgreich sind, dass wir
dabei aber Rücksicht auf die Natur genommen haben, die
Gefährdungen und Risiken im Blick hatten und uns bewusst waren, dass wir verantwortlich für die Einhaltung
der ethischen Grundsätze sind, nach denen wir leben.
Das war die große Stärke unserer umfassenden Politik.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die EFI,
die Expertenkommission Forschung und Innovation, begleitet uns nun seit zehn Jahren - ich möchte Professor
Harhoff und seinen Kollegen für diese vorzügliche Arbeit danken -,
({7})
und zwar zielbewusst und mit Entschlossenheit und Sensibilität für das Mögliche. Diese Arbeit führte zu einer
Diskussion über Chancen und über ungehobene Potenziale, aber auch über Defizite. Dies alles gehört dazu. Die
EFI soll nicht das Parlament in seiner Weisheit preisen,
obwohl uns das beglücken würde,
({8})
sondern die EFI soll zeigen, wohin man gehen kann.
Ein Blick auf die Paradigmen für die kommenden Jahre zeigt mir: Es gibt viele einzelne Bereiche, an denen
wir zu arbeiten haben. Die Informationstechnik ist angesprochen worden. Die EFI macht hier konkrete Vorschläge zu einem ZIM-ähnlichen Projekt für die mittelständischen Unternehmen ausschließlich auf dem Gebiet
der Informationstechnik. Aber es scheint mir doch eine
faszinierende Sache zu sein, dass wir bei dem, was wir
für die nächsten Jahre vorgesehen haben, auch mit neuen
Instrumenten arbeiten.
Indem wir bei den Investitionen für Forschung auf einen Anteil von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes
kommen wollen, und zwar spätestens 2025, bieten wir
das Potenzial für eine stetige Weiterentwicklung der Projektförderung. Damit haben wir das Potenzial für neue
Schwerpunkte, insbesondere in der Informationstechnik.
Aber wir haben damit auch das Potenzial, neue steuerliche Instrumente zur Forschungsförderung einzuführen.
({9})
Wir fördern mit unserem großartigen Steuersystem
alles: von der Familie bis zur Schnittblume. Das ist eine
großartige und differenzierte Leistung.
({10})
Aber wenn die Zukunft von einer Wissensgesellschaft,
die wir aufbauen, von einer Innovationsgesellschaft, die
wir brauchen, und von einem zuversichtlichen Unternehmungsgeist geprägt sein soll, dann ist die sehr grundsätzliche Frage: Wie organisieren wir es, dass das, was an
Neuem entsteht, auch im Steuersystem so gefördert wird,
dass die Bereitschaft wächst, Neues zu entwickeln?
({11})
Ich sehe hier voller Respekt unseren innovativen Finanzminister, dessen Dynamik ich immer bewundert
habe. Wir haben kürzlich über die geschätzten 600 Millionen Euro pro Jahr entschieden, die der Finanzminister
im letzten Herbst für den Erhalt der Verlustvorträge im
Falle eines Anteilseignerwechsels bei innovativen Unternehmen bereitgestellt hat. Das ist eine Ermutigung für
Bereiche, in denen wir noch besser werden können: Bei
der Gründung von Wagniskapitalfonds und der Gründung von technikorientierten Unternehmen sind wir weit
unter unserem Potenzial. Auch hinsichtlich des Aufbaus
von Forschung in mittelständischen Unternehmen hat die
Innovationsfreude des Mittelstands in den letzten Jahren
nicht sehr dynamisch zugenommen; das ist eine der höflicheren Aussagen. Das heißt, es gibt eine Fülle von Feldern, in denen wir uns engagieren können. In Deutschland gibt es 5 000 Business Angels, in den USA sind es
300 000. Die Mischung aus Erfahrung, die sie innovativen Start-ups zur Verfügung stellen, und aus dem Geld,
das sie für die Gründung neuer Unternehmen von jungen
Leuten mitbringen, ist eine großartige Kombination, aus
der wir mehr machen können.
({12})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, über mehr
als 40 Jahre hatte ich die Freude und die Ehre, diesem
Hohen Haus in den Bereichen Forschung, Innovation,
Energie und Umwelt zu dienen. Das war immer eine
großartige Zeit. Die Situationen waren verschieden, die
Herausforderungen jeweils anders. Aber ich muss sagen:
Die großartigste Zeit war die Zeit der deutschen Einheit,
als deutsche Beamte, über die man manchmal Kritisches
sagt, wirklich gearbeitet haben, ohne dass man sie darum gebeten hat, und zwar aus der Begeisterung für das,
was wir gemeinsam entwickeln wollten. Das Ganze ist
zu einem großartigen Erfolg geworden, trotz allem, was
noch in den Wissenschaftsgebieten in den neuen Ländern
offen ist.
({13})
Jetzt wollen wir in die Zukunft gehen. Wir haben die
letzten 40 Jahre, die ich näher miterlebt habe, mit Freuden und mit Erfolg bestanden. Es war eine Freude, immer wieder tüchtige Leute in allen Fraktionen zu finden,
die mit Begeisterung, Neugier und Leidenschaft an unseren Themen gearbeitet haben. Und es war immer wieder eine gute Sache, was für tüchtige Regierungen aus
diesem Parlament hervorgegangen sind, die oft sogar mit
Weisheit regiert haben.
({14})
Jetzt wollen wir in die nächsten 40 Jahre aufbrechen.
Da wollen wir mal sehen, was aus Deutschland wird.
Dann setzen wir uns wieder zusammen und reden darüber, was wir hier in Deutschland gemeinsam erreicht
haben
({15})
als unseren Beitrag für eine friedliche Welt mit Lebenschancen für alle Menschen. Dafür arbeiten wir alle, jeder
an seinem Platz.
({16})
Vielen Dank, Professor Dr. Heinz Riesenhuber. Vielen
Dank für 41 Jahre intellektuelle Brillanz. Vielen Dank für
Ihre Lust und Leidenschaft an der klugen Kontroverse,
am klugen Streit. Ich weiß aus der Grünenfraktion, dass
es immer Spaß gemacht hat, sich mit Ihnen auf hoher
Ebene klug zu streiten, und ich möchte mich - ich glaube, im Namen aller - bei einem legendären Gastgeber
bedanken, der die Parlamentarische Gesellschaft in einer
Zeit von Stress, Streitereien und Hektik zu einem Ort der
Ruhe, einem Sehnsuchtsort für manche und einem Ort
der Heimat gemacht hat.
({0})
Auf jeden Fall können Sie heute Abend die nächsten
40 Jahre vorbereiten.
Vielen Dank auch für die große Leidenschaft, mit der
Sie dem Parlament ein ganz besonderes Gesicht gegeben
haben. Ich danke Ihnen von Herzen.
({1})
Ich schließe damit die Aussprache.
Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 d Interfraktionell
wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksa-
chen 18/11810, 18/11270, 18/9670 und 18/12442 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. - Sie sind damit einverstanden. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 8 e. Wir kommen zur Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung zum Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Innovationspoli-
tik neu ausrichten - Forschen für den Wandel befördern“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/12776, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8711 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/
CSU und SPD, dagegen war Bündnis 90/Die Grünen,
und enthalten hat sich die Linke.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 g auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel
Höhn, Annalena Baerbock, Oliver Krischer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Jetzt mit wirksamem Klimaschutz die ökolo-
gische Modernisierung angehen und die Kli-
maschutzlücke schließen
Drucksache 18/12796
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Dr. Valerie
Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
CO2-Bremse einführen - Klimabilanz in Ge-
setzesfolgenabschätzung aufnehmen
Drucksache 18/10640
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({2}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn,
Annalena Baerbock, Peter Meiwald, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Klimaschutzplan 2050 - Echter Klimaschutz
beginnt heute
Drucksachen 18/8876, 18/10387
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und
Energie ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Christian Kühn
({4}), Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Klimaschutz in der Wärmeversorgung sozi-
al gerecht voranbringen - Aktionsplan Faire
Wärme starten
Drucksachen 18/10979, 18/11651
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({5})
zu dem Antrag der Abgeordneten Annalena
Baerbock, Stephan Kühn ({6}), Bärbel
Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Klare CO2-Reduktionen im Flugverkehr
schaffen
Drucksachen 18/9801, 18/11244
f) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und
Energie ({7}) zu dem Antrag der Ab-
geordneten Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer,
Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Klimaschutz stärken - Energiesparen ver-
bindlich machen
Drucksachen 18/12095, 18/12633
g) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Klimaschutzplan 2050 - Klimaschutzpolitische Grundsätze und Ziele der Bundesregierung
Drucksache 18/10370
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({8})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort zunächst Bärbel Höhn - nach der Rede sage ich auch noch
etwas zu ihr - für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
So, wie Professor Riesenhuber das hier gemacht hat,
schaffe ich das nicht. Ganz interessant ist, wie er seine
Reden immer vorträgt. Man könnte sagen: Das ist der,
der mit der Luft oder mit dem Pult tanzt. Insofern: Alles Gute für Professor Riesenhuber. Ich werde mich aber
gern seiner Idee anschließen, in 40 Jahren hier noch einmal vorbeizugucken, um zu sehen, was dann sein wird.
({0})
Ich würde mich auch gern seiner Freizügigkeit bezüglich der Redezeit anschließen wollen. Ansonsten werde
ich meine Rede aber ein bisschen anders halten; jeder ist
eben anders, und das zeigt die Vielfalt des Parlaments.
Ich möchte diese Klimadebatte mit Bezug auf eine
Klimakonferenz beginnen, die am Anfang dieser Legislaturperiode, 2013, in Warschau stattgefunden hat.
Überschattet wurde diese Klimakonferenz durch die
Zerstörung, die der Taifun „Haiyan“ damals auf den Philippinen ausgelöst hat. A. G. Saño hat uns erzählt, wie
er diesen Taifun wirklich nur durch Zufall überlebt hat.
10 000 Menschen sind gestorben, 4 Millionen Menschen
sind obdachlos geworden, sehr viele Millionen Menschen haben ihr Hab und Gut und ihre Arbeit verloren
und leben immer noch in einem Provisorium. Das, meine
Damen und Herren, sind die Folgen der Klimakrise. Deshalb verlangen diese volatilen Staaten, dass wir, die Industrieländer, die Ursachen für diese Klimakrise endlich
angehen und beseitigen.
({1})
Über 90 Prozent der Klimaerwärmung sind bisher
in die Meere gegangen. Das führt dazu, dass die Wasseroberfläche sich erwärmt und dass die Wirbelstürme
durch dieses Mehr an Energie sehr häufig die schlimme
Kategorie von 4 oder 5 erreichen und entsprechende Zerstörungen nach sich ziehen. Neben diesem millionenfachen Leid der betroffenen Menschen hat uns der Ökonom
Nicholas Stern mit seinen Klimastudien sehr deutlich
und klar gemacht: Die Überwindung der Klimakrise ist
billiger, als die Schäden zu bezahlen, die passieren und
immer gravierender werden, wenn wir nichts tun. Das
bedeutet: Wir müssen endlich anfangen, etwas zu tun.
({2})
Vizepräsidentin Claudia Roth
Momentan gibt es in Afrika eine der schlimmsten Dürren, die wir je erlebt haben. 23 Millionen Menschen sind
vom Hungertod bedroht. Das betrifft den Osten Afrikas
und den Tschadsee. Betroffen sind Millionen Menschen,
die auf der Flucht sind und sterben. Laut Berliner Zeitung
hatte - das macht es vielleicht deutlich - der Tschadsee
einmal die Größe Deutschlands; jetzt hat er die Größe
Berlins. Es herrschen Temperaturen von über 55 Grad.
Weil es kein Wasser mehr gibt, können die Menschen
nicht mehr fischen, sie können keine Landwirtschaft
mehr betreiben, sie können kein Einkommen mehr erzielen. Deshalb hungern sie, und deshalb fliehen sie.
Wer die Möglichkeit und das Geld hat, also die Wohlhabenderen unter diesen Menschen, der flieht nach Europa. Die meisten bleiben in Afrika. Wenn wir diese
Klimakrise nicht stoppen, dann haben wir, wie uns der
Bundesentwicklungsminister sehr deutlich gesagt hat, in
Zukunft mit 100 Millionen Klimaflüchtlingen zu rechnen. Da tragen wir eine Verantwortung. Deshalb müssen
wir hier in Deutschland endlich handeln.
({3})
Warum hier in Deutschland? Unser CO2-Ausstoß pro
Kopf ist im Jahr zehnmal höher als der einer Person auf
den Philippinen, und er ist 200-mal höher als der eines
Menschen, der im Tschad lebt. Das heißt, wenn wir allein die letzten 25 Jahre zusammenzählen - und wir haben schon vorher sehr viel CO2 in die Atmosphäre geschickt -, dann haben wir in dieser Zeit pro Person in
Deutschland 5 000-mal mehr CO2 in die Atmosphäre
geschickt als die Menschen in diesen Dürrregionen Afrikas. Dieses CO2 bleibt Hunderte von Jahren in der Atmosphäre. Das heißt, je später wir handeln, desto drastischer
müssen wir den Strukturwandel vollziehen. Das bedeutet
andersherum: Wir haben keine Zeit zu verlieren, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Deshalb macht es mich in einer solchen Situation
fassungslos, wenn Abgeordnete der CDU, der Berliner
Kreis, jetzt Chancen in der Klimaerwärmung sehen.
({5})
Sie stellen eine eisfreie Nordpassage, neue Fischfangmöglichkeiten und Rohstoffabbau in den Vordergrund.
Meine Damen und Herren, das ist zynisch angesichts der
Dürrekatastrophen und Überschwemmungen.
({6})
Das Öl unter dem Nordpol muss im Boden bleiben.
In diesem Monat hat in New York die erste UN-Ozeankonferenz stattgefunden. Die UN-Botschafterin von
Mikronesien sagte: „Stirbt der Ozean, sterben wir.“ Ein
Wirtschaftssystem, das auf kurzfristigen Profit setzt
und die Nachhaltigkeit unserer Lebensgrundlagen nicht
berücksichtigt, ruiniert uns und sich selbst. Die Überfischung, die Vermüllung, die Erwärmung der Meere müssen aufhören.
({7})
Deshalb ist es so wichtig, dass wir hier in Deutschland
handeln. Wir haben international durchaus einen guten
Ruf, weil wir auf Klimakonferenzen eine positive Rolle
spielen. Aber in Deutschland haben wir Stillstand. Wir
haben seit zwei Legislaturperioden, von 2009 bis 2016,
den CO2-Ausstoß nicht mehr reduzieren können. Wir
haben ein Plateau. Seit acht Jahren ist nichts mehr passiert. Das geht nicht so weiter. Da helfen die schönsten
Reden nichts. Es ist blamabel, dass Deutschland seinen
CO2-Ausstoß nicht mehr reduziert.
({8})
Letztes Jahr ist der Klimaschutzplan aufgestellt worden. Das war eine Aufgabe, die aus dem Paris-Beschluss
resultierte. Der Plan war am Ende eine Ansammlung von
„könnte“, „müsste“, „prüfen“ und „verstetigen“. Am Anfang hat die Bundesumweltministerin richtige Forderungen aufgestellt. Sie hat damals sogar den Kohleausstieg
innerhalb von 25 bis 30 Jahren und eine Abgabe für Kohlekraftwerke gefordert. Am Ende aber standen Subventionen von 1,6 Milliarden Euro für Methusalem-Kohlekraftwerke. Das war ein großer Fehler. So können wir
nicht weitermachen.
({9})
Am Ende ist die Politik vor der Demo der IG BCE
und dem Braunkohlefreund Laschet eingeknickt. Das
können wir nicht weiter so betreiben, weil das am Ende
schlimme Folgen für die Menschen in den betroffenen
Regionen hat. Wir reden im Zusammenhang mit Großbritannien vom harten oder weichen Brexit. Wir müssen
das bei dieser Strukturänderung genauso sehen. Je weniger Zeit wir für den Strukturwandel haben, weil wir
am Anfang die Probleme nicht anpacken, desto härter ist
dieser Strukturwandel und desto schlimmer ist er für die
Betroffenen in den Regionen.
({10})
Wir müssen klimaschädliche Subventionen abbauen
und dürfen sie nicht permanent erhöhen. Allein in den
vier Jahren von 2008 bis 2012, im wesentlichen unter
Schwarz-Gelb, sind die umwelt- und klimaschädlichen
Subventionen laut UBA von 48 Milliarden Euro auf
57 Milliarden Euro in Deutschland angestiegen. Das
sind fast 10 Milliarden Euro in vier Jahren. Das muss ein
Ende haben. Wir können nicht auch noch die Klimakrise
subventionieren.
({11})
Die Kohle- und Atomkonzerne können sich momentan wirklich nicht über die Entscheidungen der Bundesregierung beklagen. Eine schlecht gemachte Brennelementesteuer ist gerade von den Gerichten kassiert
worden. Das kostet uns 6,3 Milliarden Euro plus Zinsen
in Höhe von 6 Prozent. - Wo kriegt man eigentlich 6 Prozent Zinsen? Hat der Finanzminister so viel Geld, dass
er 6 Prozent Zinsen zahlen kann? - Das hat die Aktienkurse der Atomkonzerne hochschnellen lassen. Das geht
in eine falsche Richtung, weil es die falschen Strukturen
zementiert. Damit muss wirklich Schluss sein.
({12})
Kanzlerin Merkel hat sich beim Petersberger Dialog
klar zum Klimaschutz bekannt. Sie hat gesagt, nichts
könne und werde sie bei der Durchsetzung aufhalten. Ich
habe mich gefragt, was sie damit eigentlich gemeint hat.
Ich kann mich an eine Kanzlerin erinnern, die persönlich nach Brüssel geeilt ist und dort schon beschlossene
ehrgeizige Grenzwerte für Pkws aufgeweicht und den
Autobauern in Deutschland damit das Zeichen gegeben
hat: Macht weiter so, ihr braucht nichts zu ändern. - Das
war verheerend.
({13})
Seit dieser Zeit wird der Unterschied zwischen Theorie und Praxis beim Spritverbrauch der Autos immer
größer. 2009 betrug der Unterschied noch 10 Prozent,
mittlerweile sind es 40 Prozent. Das heißt, auch wenn sie
es nicht gewollt hat, so war es doch ein Zeichen an die
Automobilhersteller: Ihr könnt jetzt anfangen, zu tricksen und zu schummeln. - Das war ein schwerer Fehler,
weil dadurch die notwendige Umstrukturierung der Automobilindustrie nicht eingeleitet wurde und weil damit
mittelfristig Hunderttausende von Arbeitsplätzen hier
gefährdet werden. Das darf in Zukunft nicht mehr sein.
({14})
Wir brauchen Planungssicherheit, was den Kohleausstieg
angeht, und wir brauchen eine Verkehrswende und keine
vagen Umschreibungen.
Meine Damen und Herren, ich komme an das Ende
meiner letzten Rede hier im Bundestag. Ich möchte nach
27 Jahren, die ich als Parlamentarierin und als Ministerin gearbeitet habe, noch einen ganz wichtigen Punkt ansprechen. Ich habe eben mehrfach von Langfristproblemen gesprochen. Ich glaube, ein Problem unserer Politik
ist, dass wir viel zu häufig viel zu kurzfristig entscheiden.
({15})
Wir befinden uns in Zeiten von vierteljährlich stattfindenden Bilanzpressekonferenzen der Wirtschaft und sozusagen im Dauerwahlkampf, und das gibt den Takt vor.
Das ist ein ganz großer Fehler, weil wir immer wieder
danach handeln: Das Hemd ist uns näher als die Jacke.
Es ist ja noch Zeit. Die Langfristprobleme brauchen wir
nicht anzugehen.
Ich kann einfach nur sagen: Ich sehe das mit großer
Sorge. Ich habe Kinder, und ich habe Enkelkinder. Ich
möchte, dass wir unseren Kindern und Enkelkindern die meisten von Ihnen haben ebenfalls Kinder und Enkelkinder, und wenn Sie keine haben, kennen Sie Leute,
die welche haben - diese Welt so übergeben, wie wir sie
selber vorgefunden haben. Wir können nicht den uns
nachfolgenden Generationen die Konsequenzen aus den
Fehlern, die wir machen, aufbürden. Das geht nicht.
({16})
Was mir Hoffnung gemacht hat: Wir haben auch auf
diesen Feldern durchaus Erfolge gehabt, und zwar immer
dann, wenn wir fraktionsübergreifend, über Legislaturperioden hinweg und unabhängig von Mehrheitsverhältnissen gearbeitet haben. Das war lange Zeit beim EEG
so, das war vor zehn Jahren beim Klimaschutz so, und
das war in dieser Legislaturperiode bei der Suche nach
einem Atommüllendlager der Fall. Insbesondere den Abgeordneten, die dabei mitgemacht haben und die in ihren eigenen Fraktionen - häufig anders als wir Grünen wirklich harte Arbeit leisten mussten, möchte ich meinen
ganz großen Dank aussprechen.
({17})
Ansonsten möchte ich mich dem anschließen, was
Elisabeth Scharfenberg heute Morgen gesagt hat. Sie
hat all den Mitarbeitern gedankt. Mir fehlt dazu jetzt die
Zeit. Darüber hinaus fand ich es gut, dass diejenigen, die
nicht meiner Meinung waren, mir trotzdem zugehört haben. Auch dafür herzlichen Dank! Ich fand es gut, dass
ganz viele der Kollegen meiner Meinung waren und dass
wir gemeinsame Projekte auf den Weg gebracht haben,
die sehr viel Spaß gemacht haben. Dass so etwas auch
möglich war, war gerade für mich als Oppositionsabgeordnete gar nicht so schlecht.
Ich möchte mich natürlich insbesondere bei den Mitgliedern des Umweltausschusses bedanken. Sie haben
mir die Arbeit als Vorsitzende erleichtert. Die Arbeit mit
Ihnen war wirklich sehr angenehm.
Ich möchte mich auch beim Ministerium und bei der
Ministerin bedanken, weil wir gerade auf internationalen Konferenzen wirklich sehr gut zusammengearbeitet
haben und auch erreicht haben, Deutschland dort gut zu
repräsentieren.
Also herzlichen Dank allen, die in diesem Sinne hier
ihre Arbeit geleistet haben. Ich wünsche für die Zukunft
nachhaltige und weise Entscheidungen zum Wohle unserer Bevölkerung.
Ich habe noch eine Info - sie wird viele von Ihnen
interessieren -: Auch wenn ich gehe, werden die Bundestagsbienen, wenn Sie es wollen, hierbleiben können.
Insofern: Machen Sie es weiterhin gut.
Danke schön.
({18})
Vielen Dank, Bärbel Höhn. Wir danken von ganzem
Herzen. Ich danke im Namen des ganzen Hauses einer
streitbaren Kämpferin gegen die Klimakrise, einer leidenschaftlichen Politikerin für Umwelt, für Naturschutz,
für die bäuerliche Landwirtschaft und einer sehr parteiischen Ausschussvorsitzenden - ich weiß, wovon ich
rede -, parteiisch für die Interessen der Mitglieder des
Umweltausschusses in diesem Haus. Vielen herzlichen
Dank! Alles, alles Gute! Wie hat Trude Herr gesungen:
Niemals geht man so ganz
Irgendwas von mir bleibt hier ...
Es bleibt viel hier. Wir werden uns wahrscheinlich in
Bonn bei der großen UN-Klimakonferenz im November
dieses Jahres wiedersehen. Bärbel, vielen Dank und alles
Gute!
({0})
Ganz schön wehmütig heute. Ich muss wohl Taschentücher verteilen.
Nächste Rednerin: Dr. Anja Weisgerber für die CDU/
CSU-Fraktion.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! „Bedauern“ und „Ärger“ sind die Worte,
die beschreiben, was ich fühlte, als Trumps Drohungen,
aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen, Realität
wurden. Diejenigen, die in Paris dabei waren, haben das
sogenannte Momentum von Paris gespürt. Alle waren
mit an Bord. Einer ist jetzt von Bord gegangen.
Mit dieser Entscheidung des zweitgrößten Treibhausgasemittenten schadet Trump nicht nur dem Klima, sondern er schadet auch seinem eigenen Land. Er hat sogar
der US-Wirtschaft damit eigentlich einen Bärendienst
erwiesen.
Ich erinnere mich gut an die Worte des damaligen
US-Außenministers Kerry in Marrakesch bei der Klimakonferenz. Er sagte: Der Markt in den USA will dieses
Abkommen, der Markt will die Entwicklung von Umweltinnovationen, von erneuerbaren Energien.
Schon längst hat die US-Wirtschaft die Chancen einer nachhaltigen Energie- und Industriepolitik erkannt,
und Investitionen werden verstärkt von fossilen Energien in erneuerbare Energien und Umwelttechnologien
gelenkt. Ich bin überzeugt: Viele Menschen, Kommunen, US-Bundesstaaten und die Wirtschaft in den USA
denken anders. Es gibt ja schon einzelne Bundesstaaten,
zum Beispiel Kalifornien und Colorado, die sich distanziert haben. Auch über 82 Bürgermeister haben sich
zusammengeschlossen und trotzen der Antiklimapolitik
Trumps. Sie verfolgen weiterhin den Klimakurs, der unter Obama eingeschlagen wurde, und das 2-Grad-Ziel,
und das ist gut so.
Meine Kolleginnen und Kollegen, warum rede ich
über die USA? Weil die Welt seit dem 1. Juni in Sachen
Klimaschutz noch enger zusammengerückt ist. Es ist
eine noch stärkere Jetzt-erst-recht-Stimmung entstanden.
Unmittelbar nach der Bekanntgabe des Austritts gab es das ist ebenso ein gutes Signal gewesen - eine gemeinsame Klarstellung Deutschlands, Italiens und Frankreichs,
dass es mit ihnen keine Neuverhandlungen des Abkommens geben wird. Das ist aus meiner Sicht nur konsequent.
Klimaschutz wird ohne die politische Spitze der USA
sicherlich schwieriger, aber er wird auch ohne sie gelingen. Das Gute ist, dass wir die wirtschaftlichen Vorteile
haben werden, wenn wir uns bei der Entwicklung von
Umweltinnovationen an die Spitze der Bewegung setzen.
Bei mir im Wahlkreis wurde das weltweit größte Prüfzentrum für Großkugellager eingeweiht. Solche Projekte müssen in Deutschland stattfinden. Das schafft und
sichert Arbeitsplätze, das verbindet Umwelt- und Klimapolitik mit Chancen für die Wirtschaft, meine Damen
und Herren.
({0})
Der Klimaschutz wird gelingen, weil Staaten wie
Deutschland voranschreiten. Wir machen die „German
Energiewende“, wie es auf internationaler Ebene heißt.
Alle Staaten schauen gespannt, wie wir das bewältigen.
Ein Beispiel dafür, wie wir es bewältigen, ist der Klimaschutzplan 2050. Sie waren dabei. Wir haben auf der
internationalen Klimakonferenz in Marrakesch dafür
Lob und Anerkennung geerntet. Wir waren die Ersten,
die einen solchen Langfristplan vorgelegt haben. Das
müssen Sie, werte Kolleginnen und Kollegen, von der
Opposition, auch einmal anerkennen.
({1})
An dieser Stelle möchte ich sagen - das möchte ich
auch im Namen der Union sagen -: Die Berliner Erklärung, werte Kollegin Höhn, ist eine Erklärung von ganz
wenigen Abgeordneten. Ich möchte mich als Klimapolitikerin ganz klar davon distanzieren.
({2})
Ich sage das auch im Namen der meisten Kollegen hier
im Saal, auch der Union.
Meine Damen und Herren, wir wollen Klimaschutzpolitik, die sich ambitionierte Ziele setzt. Diese Ziele müssen aber auch erreichbar sein. Dabei müssen
wir immer die Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft
Deutschlands, unsere Wettbewerbsfähigkeit und die Arbeitsplätze beachten. Wir nehmen damit unsere Verantwortung sowohl gegenüber dem Klima und der Umwelt
als auch gegenüber den Menschen, den Unternehmen
mit ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wahr.
Unsere Schlagworte, die wir auch in den Klimaschutzplan hi neingebracht haben, sind dabei: Technologie- und
Innovationsoffenheit, Europakonformität, Anreiz statt
Zwang, Versorgungssicherheit, Kosten-Nutzen-Analyse.
Denn mit jedem eingesetzten Euro müssen wir schauen,
dass wir so viel CO2 wie möglich einsparen.
Wenn wir Festlegungen für die kommenden Jahrzehnte treffen, dann müssen diese gut überlegt sein. Deswegen ist es gut, dass die Bundesregierung intensiv um den
Plan gerungen hat. Der Klimaschutzplan zeigt den Weg
hin zu einer weitgehenden Treibhausgasneutralität im
Jahr 2050 auf. Dazu gehört auch der schrittweise, sozialverträgliche und durch Strukturmaßnahmen begleitete
Ausstieg aus der Kohlenutzung.
Frau Kollegin Weisgerber, lassen Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Frau Leidig von der Linken
zu?
Ja, bitte.
Frau Kollegin Weisgerber, ich habe gerade vernommen, dass ein zentrales Anliegen Ihrerseits ist, dass mit
jedem investierten Euro möglichst viel Klimaschutz gemacht werden kann. Nun arbeite ich als verkehrspolitische Sprecherin der Linken im Verkehrsausschuss. Dort
haben wir in dieser Legislatur und in diesem Jahr mit
dem Bundesverkehrswegeplan 2030 das größte Investitionsprogramm der Bundesregierung, sozusagen ein aktives Investitionsprogramm, verhandelt, und Sie haben es
mehrheitlich beschlossen. Ich würde gern von Ihnen wissen, wie Sie es einschätzen, dass für 55 Milliarden Euro
neue Autobahnen gebaut werden sollen, dass mit diesem
Plan, den Sie mit Ihrer Mehrheit beschlossen haben, auf
40 Prozent mehr Lkw-Verkehr auf unseren Straßen gezielt wird und wie dort das Verhältnis zum Klimaschutz
ist.
Zum Bundesverkehrswegeplan ist ganz klar zu sagen:
Wir brauchen die Infrastruktur. Wir brauchen die Investitionen in die Straßen. Wir müssen in dem Zusammenhang
auch auf alternative Antriebsarten setzen. Deswegen haben wir im Verkehrssektor mit der Bundesregierung im
letzten Jahr ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Elektromobilität verabschiedet: steuerliche Abschreibungen
für Dienstwagen, 300 Millionen Euro für Ladesäulen, die
Kaufprämie. Die Ladesäuleninfrastruktur wird insgesamt
vorangebracht. Wir brauchen nämlich die alternativen
Antriebsarten. Wir brauchen natürlich den Bahnverkehr,
aber auch die Investitionen in die Straßen sind für den
wirtschaftlichen Aufschwung und für unsere wirtschaftliche Situation in Deutschland wichtig.
({0})
Meine Damen und Herren, ich fahre mit meiner Rede
fort. - Ich habe gerade über den Kohleausstieg gesprochen. Die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und
Regionalentwicklung“ soll in dem Bereich den Strukturwandel letztendlich gestalten. Es ist wichtig, dass die
Kommission schnellstmöglich die Arbeit aufnimmt. Dabei müssen auch die Auswirkungen auf die gesamte Wertschöpfungskette betrachtet werden. Zum Beispiel wird
heute weit über die Hälfte des Gipsbedarfs in Deutschland in Form von REA-Gips aus Rauchgasentschwefelungsanlagen von Kohlekraftwerken gedeckt. Fällt der
REA-Gips als wichtiger Baustoff weg, wird mehr Gips
in der Natur abgebaut. Sie sehen: Die Frage des Kohlebergbaus und des Strukturwandels betrifft nicht nur den
Kohlesektor, sondern hat auch Auswirkungen auf die
verschiedensten Sektoren und Bereiche.
Ein weiteres Novum des Klimaschutzplans ist, dass
er ein neues nationales Klimaziel von 55 Prozent Treibhausgasminderung bis 2030 festlegt. Dazu wird zum
ersten Mal auch ganz konkret festgelegt, wie die Minderungsziele in den einzelnen Sektoren sind: in der Energiewirtschaft, im Gebäudebereich, im Verkehr, in der
Industrie, aber auch in der Land- und Forstwirtschaft.
Zudem skizziert der Klimaschutzplan auch schon erste
Maßnahmen. Im nächsten Jahr werden wir ein umfassendes Maßnahmenpaket bekommen, das letztendlich dann
auch den weiteren Weg beschreibt. Dieses Maßnahmenpaket wird alle fünf Jahre fortgeschrieben.
Wir haben in den einzelnen Sektoren in den letzten
Jahren schon wichtige Maßnahmen auf den Weg gebracht; ich kann jetzt nur einige nennen. Was den Verkehrsbereich betrifft, so habe ich die Maßnahmen zur
Elektromobilität dank der Zwischenfrage bereits erwähnt. Im Gebäudebereich haben wir das Gebäudesanierungsprogramm bis 2018 verstetigt und auf 2 Milliarden
Euro aufgestockt. Außerdem sage ich - das sagen auch
die Grünen in einem ihrer Anträge, die ich umfassend
studiert habe -,
({1})
dass wir dringend die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung brauchen. In dieser Aussage
sind wir uns einig. Zudem gibt es das Marktanreizprogramm für die erneuerbaren Energien im Wärmebereich.
In der Landwirtschaft haben wir die Energieberatung
für landwirtschaftliche Unternehmen eingeführt. Die
Düngeverordnung ist durch Bundestag und Bundesrat
beschlossen worden. In der Industrie setzen wir auf das
europäische Instrument des Emissionshandels, das durch
eine umfassende Reform gerade auf neue Füße gestellt
und gestärkt wird. Insgesamt ist es uns gelungen - das
muss an der Stelle auch einmal gesagt werden -, das
Wirtschaftswachstum vom CO2-Ausstoß zu entkoppeln;
das ist auch eine Leistung. Wir brauchen aber auch die
Akzeptanz der Bürger. Deswegen ist es aus meiner Sicht
gut, dass zum Beispiel eine Forderung wie die Halbierung des Fleischkonsums aus dem Klimaschutzplan gestrichen wurde; denn das wäre eine Bevormundung der
Bürger gewesen.
Meine Damen und Herren, werte Präsidentin, ich
komme zum Schluss. Der Klimaschutzplan ist ambitioniert. Er gibt der Wirtschaft einen klaren Pfad vor, und er
gibt ihr damit auch die notwendige Planungssicherheit.
Lassen Sie uns gemeinsam in den nächsten Jahren an
der Umsetzung des Klimaschutzplans arbeiten. Wenn im
nächsten Jahr das Maßnahmenpaket vorliegt, haben wir
wiederum eine Möglichkeit, die Klimapolitik aktiv mitDr. Anja Weisgerber
zugestalten und der Welt zu zeigen, dass es Deutschland
weiterhin ernst meint mit dem Klimaschutz.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({2})
Vielen Dank, Dr. Weisgerber. - Nächste Rednerin:
Eva Bulling-Schröter für die Linksfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Stellen Sie sich vor, Deutschland hat einen Klimaplan,
und keiner hält sich daran. Genau das ist nämlich der Zustand der deutschen Klimapolitik. Es klafft eine riesige
Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Seit 2009
steht die deutsche Klimapolitik nämlich so gut wie still,
und das ist ein Skandal.
({0})
In all diesen Jahren sitzen Christdemokraten, Sozialdemokraten und Wirtschaftsliberale im Kanzleramt.
Sie sind verantwortlich für das Verfehlen der deutschen
Klimaschutzziele. Trotzdem - und besonders gerne im
Wahljahr - geht Kanzlerin Merkel mit einem Sauberfrauimage hausieren und behauptet, Deutschland sei ein
Vorzeigeland in Sachen Klimaschutz. Beim anstehenden
G-20-Gipfel in Hamburg wird sie sich vor Trump und der
Staatenwelt wieder als große Klimaretterin aufplustern.
Ich sage Ihnen: Das ist Wahlkampfheuchelei auf Kosten
der Umwelt und auf Kosten der Menschen.
({1})
Denn die Wirklichkeit sieht ganz anders aus: Seit acht
Jahren stößt Deutschland fast dieselbe Menge an Klimagasen in die Luft. 2009 waren es 907 Millionen Tonnen
CO2, 2016 waren es 906 Millionen Tonnen CO2. Der
Verkehr verursachte sogar noch mehr Emissionen als
1990. Klimasauerei also seit dem Mauerfall.
Deutschland wird seine Klimaziele verfehlen, und
zwar krachend, obwohl wir seit Jahren vom Abriss der
schmutzigen DDR-Industrien profitieren; denn ein Großteil der deutschen Emissionsminderungen geht auf das
Konto der ostdeutschen Deindustrialisierung. Das sollten
wir nicht vergessen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Und was macht die Regierung? Sie stellt sich ernsthaft
hin und klopft sich auf die Schulterpolster. Sie lobt sich
für eine Klimaschutzpolitik, die ihren Namen wirklich
nicht verdient hat. Ich sage Ihnen: Das ist Verrat am Pariser Klimaschutzabkommen.
({3})
Das ist keine Klimaschutzpolitik nach Plan, das ist
Klimaschmutzpolitik. Wir alle wissen, dass die Zeit, die
Klimaveränderungen aufzuhalten, immer knapper wird.
Ein Jahr mit Hitzerekord jagt das nächste. 2015 und
2016 waren die wärmsten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Schlimme Hitzewellen stehen an, um nur
eine Folge zu nennen. Ein Drittel der Menschheit ist von
lebensbedrohlich ansteigenden Temperaturen betroffen.
Machen wir weiter wie bisher, sind im Jahr 2100 drei
Viertel der Erdbevölkerung an mindestens 20 Tagen im
Jahr lebensgefährlichen Hitzewellen ausgesetzt. Und es
trifft eben nicht nur Menschen in Pakistan oder Nigeria:
In Europa hat die Hitzewelle von 2003 über 70 000 Menschen das Leben gekostet - 70 000 Menschen. Das heißt
also: Die deutsche Klimaschutzlücke kostet Menschenleben. Wer das nicht versteht, der hat seinen Auftrag als
Politikerin oder Politiker eben nicht verstanden, der handelt grob fahrlässig und auch unmenschlich.
({4})
Ihren Beruf verfehlt haben auch die hier im Hause, die
sich gegen eine Klimaschutzgesetzgebung stellen. Das
muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen:
Mitglieder des Bundestages, die gewählt sind, um Gesetzgebung zu betreiben, weigern sich, ein Gesetz zum
Klimaschutz zu erlassen. Der Klimaschutzplan ist ja nur
ein Ersatz für ein Gesetz. Nichts davon, was in dem Papierchen steht, ist verbindlich. Das muss man wissen.
Nichts von diesem weichgespülten Dekarbonisierungsfahrplan hat Gesetzeskraft. Was hören wir aus Nordrhein-Westfalen? CDU und FDP machen den Trump, und
kassieren Deutschlands erstes Landesklimaschutzgesetz.
Da kann ich nur sagen: Pfui!
({5})
Was ist das? Das ist ein Dienst am Kapital, an Privatprofiten von wenigen und ein Angriff auf die Allgemeinheit. Wir aber sind Politikerinnen und Politiker und dem
Grundgesetz verpflichtet. Artikel 20a fordert den Schutz
der natürlichen Lebensgrundlagen, also auch des Klimas, gerade auch für die kommenden Generationen, und
zwar - ich zitiere - „durch die Gesetzgebung“. Daher:
Geben Sie sich endlich einen Ruck, und hören Sie nicht
mehr auf die Lobbys der Autohersteller, der Kohle-Dinosaurier, der Erdölindustrie. Verabschieden Sie endlich
ein Klimaschutzgesetz, das seinen Namen auch verdient.
Steuern Sie um.
({6})
Zum Schluss: Im November findet die Weltklimakonferenz in Bonn statt. Ich denke, es wird viele NGOs,
viele Initiativen geben, die dort ihre Meinung sagen und
demonstrieren. Ich fordere schon heute, dass wir gemeinsam dort demonstrieren und sagen: Wir wollen keine Klimaveränderungen. Wir wollen eine konsequente
Klimapolitik. - Wir sehen uns also spätestens in Bonn
wieder.
({7})
Vielen Dank, Eva Bulling-Schröter. - Nächste Rednerin für die Bundesregierung: Ministerin Dr. Barbara
Hendricks.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst, Frau Kollegin Höhn, herzlichen Dank für alles. Frau Bulling-Schröter, auch Ihnen herzlichen Dank.
Ich will Ihnen aber auch versichern: Ich habe gar keine
Schulterpolster.
({0})
Die letzten vier Jahre waren gute Jahre für den Klimaschutz. Als eines der ersten Länder überhaupt haben wir
eine Langfriststrategie in Richtung Treibhausgasneutralität verabschiedet, mit klaren Zielen für das Jahr 2030
und mit einer klaren Orientierung in Richtung 2050,
nämlich weitgehende Treibhausgasneutralität. Das ist
eines der ambitioniertesten Vorhaben in der Geschichte
unserer Volkswirtschaft. Es ist auch ein wirklich ambitioniertes Vorhaben im Vergleich zu dem, was die anderen
Industrie länder bisher geliefert haben.
Natürlich: Es geht immer noch mehr. Das sage ich
auch mit Blick auf das 2020-Ziel. Aber auch diesem Ziel
sind wir ein großes Stück näher gekommen. Das Aktionsprogramm „Klimaschutz“ hat die Lücke, die uns die
Vorgängerregierung dort überlassen hat, deutlich verringert. Wie gesagt, wir sind noch nicht am Ziel - das ist
richtig -, aber das Ziel ist und bleibt erreichbar. Davon
bin ich nach wie vor überzeugt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben den Einstieg in den Ausstieg aus der Braunkohle gemacht. Wir
haben begonnen, die schmutzigsten Kraftwerke abzuschalten. Wir haben die Mittel für den Energie- und Klimafonds um über 50 Prozent auf über 3 Milliarden Euro
erhöht. Wir geben damit mehr Geld für den Klimaschutz
aus als je zuvor. Wir haben die Untätigkeit bei der Energiewende beendet. Vor allem haben wir etwas wirklich
Großes, etwas Entscheidendes für die Zukunft des Planeten erreicht: das Abkommen von Paris, das erste weltweit
bindende Klimaschutzabkommen. Das ist deutlich mehr,
als wir vor vier Jahren zu hoffen gewagt hätten.
Falls Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen, nicht immer ganz zufrieden sind: Pragmatische
Schritte sind allemal mehr wert als bloße Worte.
({1})
In den Ländern, in denen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, mit der CDU regieren - in Hessen und in Baden-Württemberg -, ist Ihr Eifer durchaus
überschaubar.
({2})
Fakt ist: Unsere Klimapolitik wirkt - national und international. Das habe ich gerade auch in den vergangenen
Wochen wieder erlebt: in New York bei der UN-Konferenz zum Schutz der Meere - dies haben Sie schon angesprochen, Frau Kollegin Höhn -, auch in Kalifornien,
wo wir eine engere Zusammenarbeit beim Klimaschutz
vereinbart haben, und beim G-7-Umweltministertreffen
in Italien.
Die Ankündigung von Präsident Trump, aus dem
Pariser Abkommen auszusteigen, hat uns natürlich enttäuscht. Selten wurde eine politische Entscheidung aufgrund so vieler falscher Annahmen getroffen. Diese Ankündigung übergeht all jene Menschen, die schon heute
unter dem Klimawandel leiden, und all diejenigen, die
nach uns kommen. Sie haben eindrücklich in Ihrer Rede
darauf hingewiesen, Frau Kollegin Höhn.
Fakt ist aber auch: Diese Entscheidung hat die übrigen
Länder enger zusammengebracht - von China über Indien bis hin zu Kanada und auch Russland. Das gibt dann
auch wieder neue Motivation für die Klimakonferenzen
in Bonn und in Polen.
Paris ist kein Selbstläufer - ja, das ist klar, das haben
wir auch nie geglaubt. Aber wir wollen Paris zum Erfolg
führen. Ich habe die Hoffnung, dass die klare Botschaft
der anderen Staaten, die schon vom G-7-Gipfel ausging,
auch vom G-20-Gipfel in Hamburg ausgehen wird. Den
Kampf gegen den Klimawandel werden wir als Weltgemeinschaft gemeinsam führen und auch gemeinsam gewinnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Welt ist doch
auf ihrem Weg in Richtung Treibhausgasneutralität nicht
mehr aufzuhalten. Die Frage für uns ist nur, ob wir dem
Fortschritt auf diesem Weg hinterherlaufen oder ob wir
voranschreiten. Wir brauchen eine langfristig verlässliche Politik, die klare Signale gibt. Das liegt natürlich auch im Interesse der betroffenen Branchen - eine
Selbstverständlichkeit.
Die schlechteste Wirtschaftspolitik ist eine, die Veränderungen aus dem Weg geht, die auf kurzfristigen Gewinn anstelle von nachhaltigem Wohlstand setzt.
({3})
Das hat aber noch nicht jeder verstanden; ich dachte
wirklich, wir wären da weiter. Die Art und Weise, wie
Umweltpolitik von der zukünftigen Koalition in NRW
allem Anschein nach begriffen wird, überrascht mich
schon. Die Kolleginnen und Kollegen in Düsseldorf
scheinen zu glauben, es reiche aus, sich auf die Mindestvorgaben aus Brüssel zu beschränken. Sie hoffen, dass
der Emissionshandel dann schon alles richten wird. Das
ist nicht genug für ein Bundesland, das zu den innovativsten Wirtschaftsräumen ganz Europas gehört.
({4})
Beim Lesen des Koalitionsvertrages hatte ich den Verdacht, dass die Thesen des Berliner Kreises in der Union
doch mehr Beachtung finden, als man annehmen möchte.
Ausgerechnet dem IPCC, also gerade dem Gremium, das
politikwissenschaftlich zu Klimafragen berät, zu unterstellen, es betreibe einen „Weltrettungszirkus“, ist schon
erstaunlich.
({5})
Wenn der Berliner Kreis - Herr Kollege Lengsfeld, vielleicht nehmen Sie das zur Kenntnis - vorschlägt, die wissenschaftliche Beratung auszudünnen und das IPCC nur
noch alle zehn Jahre zu Wort kommen zu lassen, dann
sage ich: Willkommen, Herr Kollege, im postfaktischen
Zeitalter!
({6})
Unsere Antwort auf den Klimawandel kann nicht sein,
die Wissenschaft zu ignorieren. Ich danke Ihnen, Frau
Kollegin Weisgerber, dass Sie hier sehr deutlich eine andere Position der Union vertreten haben. Meine Hochachtung dafür!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist an der Zeit,
dass wir Klimaschutz als eine Komponente unseres politischen Handelns insgesamt begreifen. Der Energiesektor
und der Gebäudesektor sind hier ja in den vergangenen
Jahren in eine beachtliche Vorleistung getreten. Es wird
Zeit, dass der Verkehrssektor und die Landwirtschaft
folgen. Der Umweltschutz ist eben kein Gegner unserer
Automobilkonzerne oder der Landwirte. Im Gegenteil:
Nur wenn sich die deutschen Autobauer von Diesel und
Benzin nach und nach verabschieden, werden sie in Zukunft erfolgreich sein. Nur wenn die Landwirtschaft ihre
Umweltprobleme in den Griff bekommt, ist sie zukunftsfähig. Klimaschutz ist kein Gegner - er ist Partner.
Zugleich gilt: Wir müssen die Akzeptanz beim Klimaschutz im Auge behalten. Die Unterstützung für eine ehrgeizige Klimaschutzpolitik in Deutschland ist hoch. Aber
auch das ist nicht für alle Zeit gesichert. Es wäre Augenwischerei, wenn wir davon ausgingen, der notwendige
Wandel geschähe, ohne dass Interessensgegensätze auftreten. Es kommt insofern darauf an, die Akzeptanz immer wieder aufs Neue durch eine breite Beteiligung zu
fördern. Der Klimaschutzplan 2050 bietet da eine Fülle
von Anknüpfungspunkten. Uns kommt es darauf an, die
Chancen und die Lasten dieses Wandels fair zu verteilen.
Wir brauchen einen gerechten Wandel.
Ich glaube übrigens, das wollen auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Aber man muss
eben auch mit den Menschen reden, die zum Beispiel
Angst haben, ihre Arbeit zu verlieren, und man muss verlässlich sein. Sie beschließen im November auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Münster das Kohleausstiegsjahr 2025, im Januar in der Bundestagsfraktion 2037, und
im Wahlprogramm steht jetzt 2030. Sie haben Klimaschutz und Kohleausstieg zu Ihren wichtigsten Themen
für die nächste Legislatur erklärt. Kann man dann derart
beliebig damit umgehen?
({7})
Frau Ministerin, erlauben Sie eine Zwischenfrage
oder -bemerkung von Annalena Baerbock?
Ja.
Gut.
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Ich habe Ihrer Rede
jetzt sieben Minuten gelauscht. Sie haben in alle Richtungen ausgeteilt und beschrieben, wer alles etwas falsch
macht.
Nun befinden wir uns gerade weltweit in einer dramatischen Situation. Der Klimakollaps schreitet immer weiter voran. Trump tritt aus dem Klimaabkommen aus. Wir
haben uns schon gefragt, wie die Antwort der Bundesregierung darauf lautet, außer Empörung nach dem ersten
Tag. Ich hatte gehofft, dass Sie hier und heute im Deutschen Bundestag kurz vor dem G-20-Gipfel eine klare
Ansage machen, wie die Bundesregierung, vor allem Sie
als Bundesumweltministerin, auf diesen Zustand in der
Welt reagiert.
Wir hatten schon gestern im Ausschuss eine Diskussion darüber geführt, in der ich Sie gefragt habe: Was
ist mit dem Emissionshandel? Sie wollten ihn doch vom
Kopf auf die Füße stellen; das war Ihre Ansage. Jetzt
folgt die Tagung des Europäischen Rates. Von Deutschland kommt nichts, um den Emissionshandel wirklich
anzuschärfen. Man unterstützt manchmal irgendwelche
Länder, aber eigentlich will man die Stahlindustrie sichern.
Eine andere Frage ist: Was ist mit dem Kohleausstieg?
Sie hatten mehrere Jahre angekündigt, dass da etwas
kommen muss. Jetzt soll 2018 eine Kommission ihre Arbeit aufnehmen. Gestern habe ich dazu im Ausschuss die
Frage gestellt: Wenn Trump jetzt aussteigt, müssen wir
Europäer dann nicht sagen: „Jetzt erst recht“?
({0})
Macron hat dazu einen Aufschlag gemacht. Auch hier
stellt sich die Frage: Was sagen eigentlich die Bundesregierung und die deutsche Umweltministerin dazu?
Wollen wir gemeinsam mit Macron das Thema angehen
und die europäischen Klimaziele, den Ausstoß um mindestens 40 Prozent zu mindern, anschärfen? Dazu haben
Sie nichts gesagt.
Jetzt werfen Sie uns auch noch vor, dass wir einen
ganz konkreten Vorschlag machen, wie wir aus der Kohle aussteigen können. Sie haben das in den letzten vier
Jahren nämlich nicht gebacken gekriegt. Ich kann Ihnen
unseren Vorschlag genau erklären. Wir haben es durchgerechnet: Wir müssen ein CO2-Budget für jedes Kraftwerk
erstellen, aus dem hervorgeht, welche Werte es erreichen
muss, damit die Pariser Klimaziele eingehalten werden.
Außerdem müssen 20 Kraftwerke abgeschaltet werden,
damit wir das Klimaziel - das war der Auftrag Ihrer Bundesregierung - für das Jahr 2020 erreichen können, und
zwar gemeinsam mit den Regionen, damit es sozialverträglich abläuft. Sie können unsere Vorschläge gerne kopieren. Dann erreichen Sie auch das deutsche Klimaziel.
In den letzten vier Jahren haben Sie das nicht geschafft.
Herzlichen Dank
({1})
Frau Kollegin Baerbock, nehmen Sie zur Kenntnis,
dass wir auch in den Klimaschutzplan 2050 hineingeschrieben haben, dass wir im Jahr 2018, also im nächsten
Jahr,
({0})
die Kommission einsetzen werden, die einen sozialverträglichen Kohleausstieg vorbereiten wird, der die
Menschen mitnimmt. Selbstverständlich werden wir unsere Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele in Europa umsetzen. Wir wissen auch, dass es „mindestens“
40 Prozent heißt.
Selbstverständlich werden wir spätestens bis zum Jahresende die Erneuerung des europäischen Emissionshandels hinbekommen, verbunden mit einem Burden Sharing zwischen den europäischen Ländern. Natürlich gibt
es unterschiedliche Interessenlagen - das ist klar -, aber
das werden wir hinbekommen und die Menschen mitnehmen; denn - wie ich eben schon ausgeführt habe - die
Akzeptanz für den Klimaschutz wird man nur erhalten,
wenn man die Menschen mitnimmt. Es geht um einen
gerechten Klimaschutz.
Sie versprechen zum Beispiel einen Beteiligungsprozess, verschicken aber das Ausstiegsdatum gleich mit. So
gelingt Beteiligung nicht.
({1})
Sie sagen: Wir können über alles reden, aber 2030 ist
Schluss. Das ist also nur die Illusion einer Beteiligung.
Sie nehmen die Menschen nicht ernst.
({2})
Sie entscheiden auf Parteitagen über die Köpfe der Menschen hinweg.
({3})
Andersherum wird ein Schuh draus: Wir müssen - und
zwar direkt nach der Bildung der neuen Regierung - alle
Akteure an einen Tisch holen: die Gewerkschaften, die
Arbeitnehmervertreter, die Unternehmen, die Regionen,
die Umwelt- und die Wirtschaftsverbände. Wir müssen
gemeinsam einen sozialverträglichen Ausstieg erarbeiten. Wir brauchen jetzt keine Debatten über Jahreszahlen,
sondern eine Debatte über neue Chancen für die Menschen und Regionen, wenn der Braunkohleabbau und die
Kohleverstromung einem Ende zugeführt werden. Die
Akzeptanz unseres Weges zur Treibhausgasneutralität
hängt an der Frage der Gerechtigkeit. Das scheinen Sie
manchmal aus dem Blick verloren zu haben.
({4})
Dieser Prozess ist der Lackmustest für unsere Klimaschutzpolitik.
({5})
Und nur wenn wir den Kohleausstieg sozialverträglich
organisieren, werden wir glaubhaft den Transformationsprozess unserer Volkswirtschaft insgesamt angehen
können.
({6})
Nur wenn wir in Deutschland einen sozial gerechten Weg
in Richtung Treibhausgasneutralität finden, werden andere Länder uns folgen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der britische Philosoph Alfred North Whitehead hat einmal gesagt:
Die Kunst des Fortschritts besteht darin, inmitten
des Wechsels Ordnung zu wahren und inmitten der
Ordnung den Wechsel zu wagen.
Ich denke, das haben wir in den vergangenen vier Jahren
geschafft.
({7})
Daran werden wir anknüpfen können, in welcher Rollenverteilung auch immer.
Herzlichen Dank.
({8})
Vielen Dank, Barbara Hendricks. - Nächster Redner
in der Debatte: Andreas Jung für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst einmal möchte ich mich den guten Wünschen
und dem Dank an die ausscheidende Kollegin anschließen. Liebe Bärbel Höhn, ich sage es mit Respekt vor Ihrer Arbeit: Ich bin mir sicher, dass Sie hier mehr Spuren
hinterlassen werden als den von Ihnen initiierten Bundestagsbienenstock. Alles Gute weiterhin!
({0})
- Der Honig ist exzellent. Wir werden ihn weiterhin genießen.
Ich will ganz bewusst, weil es mehrfach angesprochen
wurde, die fraktionsübergreifenden Gemeinsamkeiten
und den Konsens, den wir in vielen Fragen haben, an den
Beginn meiner Rede stellen. Es ist so, wie schon Anja
Weisgerber betont hat: Ja, wir haben in diesem Haus
einen breiten Konsens darüber, welch große Herausforderung, welch große Bedrohung unserer Zeit der Klimawandel im globalen Maßstab ist. Der Klimawandel
bedroht viele Menschen in ihren Lebensgrundlagen. Es
geht um die Veränderung unserer Welt, es geht um unsere
Lebensgrundlagen. Deshalb haben wir allen Grund, gemeinsam dafür zu ringen, zu mehr Klimaschutz zu kommen. Für uns Christdemokraten geht es dabei auch um
die Bewahrung der Schöpfung. Deshalb halten wir es für
ein ganz wichtiges Ziel, hinter dem wir, CDU, CSU und
unsere gemeinsame Fraktion, in großer Geschlossenheit
stehen.
Uns ist es in besonderer Weise wichtig gewesen,
dass die Unterzeichnung des Klimaabkommens erreicht
wurde. Es gibt auch da, wie ich finde, beim Eintreten
für die Ziele eine große Kontinuität der verschiedenen
Bundesregierungen unterschiedlicher Farben. Es war
wichtig und richtig, dass es gelungen ist, im Jahr 2015
in Paris das Weltklimaabkommen zu erreichen. Das war
ein Durchbruch. Jetzt muss es darum gehen, es in allen
Ländern konsequent umzusetzen, es damit zum Erfolg
zu machen und so den Klimaschutz gemeinsam voranzubringen.
Deshalb eint uns auch die Ablehnung und die Empörung über den amerikanischen Präsidenten Donald
Trump, der quasi mit einem Federstrich aus dem Klimaschutzabkommen aussteigen will, nicht mehr mitmachen
will nach dem Motto „America first - und nach mir die
Sintflut“ und Klimaschutz den anderen überlassen möchte. Das können wir nicht akzeptieren. Deshalb ist es unsere Haltung, die Bundesregierung auch in Vorbereitung
des G-20-Gipfels in Hamburg darin zu unterstützen, all
diejenigen zu überzeugen, zu sammeln und zu bestärken,
die dieses Abkommen unterschrieben haben. Wir brauchen hier ein klares und starkes Signal für den Klimaschutz. Die Bundesregierung arbeitet dafür. Dafür hat sie
die Unterstützung, wie ich glaube, des ganzen Hauses.
({1})
Selbstverständlich stellen wir uns der Diskussion, was
es für Deutschland bedeutet. Ich möchte Ihnen widersprechen, Frau Höhn, wenn Sie sagen, wir müssten endlich beginnen, Klimaschutz zu machen. Das wird, wie ich
finde, unserer Klimapolitik nicht gerecht. Es wird übrigens auch der Politik Ihrer eigenen Regierungszeit nicht
gerecht. Deutschland hat längst begonnen, Deutschland
gehört zu den prägenden Kräften, Deutschland gehört
zu den Vorreiterkräften. Jetzt gilt es, darauf aufzubauen
und das, was wir in dieser Legislaturperiode auf den Weg
gebracht haben, in den nächsten Jahren konsequent umzusetzen.
Ich will ausdrücklich anknüpfen an die Ausführungen der Bundesumweltministerin und auch von Anja
Weisgerber, die beide den Klimaschutzplan 2050 genannt
haben. Dieser Plan ist die Grundlage für unser Bemühen
und Bestreben in den nächsten Jahren. Deshalb müssen
wir bei den Themen Kohle, Verkehr, Landwirtschaft,
Energieeffizienz und Wärme konsequent vorangehen.
Ja, ich halte es für richtig und notwendig, dass wir da
eine Schippe drauflegen, dass wir alles versuchen, diesen
Prozess zu beschleunigen. Wir dürfen nicht warten. Wir
müssen hier engagiert und konsequent vorangehen.
Deshalb halte ich es auch für notwendig, dass wir das
Thema Kohleausstieg angehen und, so wie es verabredet
ist, die Kommission sofort zu Beginn der nächsten Legislaturperiode einsetzen. So können wir mit den Beteiligten zu einem Ergebnis kommen, und so können wir unter
Berücksichtigung der Strukturfragen in den Regionen,
unter Berücksichtigung der Belange der Menschen, die
in diesem Bereich arbeiten, schrittweise aus der Kohle
aussteigen und damit schrittweise den Umbau zu einer
dekarbonisierten Energiewirtschaft schaffen. Das ist notwendig, und ohne das wird es überhaupt gar nicht gehen.
({2})
Ich bin auch der Meinung, dass wir den Verkehrssektor in den Blick nehmen müssen;
({3})
Ich bin da allerdings anderer Meinung als die Kollegin
Leidig. Ich glaube, man sollte das nicht allzu sehr gegeneinander ausspielen. Natürlich brauchen wir den Ausbau
von Schiene. Wir brauchen aber auch den Ausbau der
Straße - und zwar dort, wo wir Stauschwerpunkte haben -, weil Stau kein Beitrag zum Klimaschutz ist.
({4})
Gerade im ländlichen Raum brauchen wir neben dem
Ausbau von Schienen auch den Ausbau von Straßen. Wir
brauchen aber auch umweltfreundliche Autos, die auf
diesen Straßen fahren.
({5})
Deshalb unterstützen wir die Bemühungen, die die
Bundesregierung im Bereich des Nationalen Aktionsplans ja schon angestoßen hat: Elektromobilität, Elektroautos, Ökostrom als Benzin von morgen - das ist unser
Ziel, das müssen wir auf die Straße bringen; in diesem
Bereich muss es auch noch schneller gehen. Aber da ist ja
vieles schon auf den Weg gebracht worden, worauf man
jetzt aufbauen kann.
Unsere Antworten sind nicht die Verbote und Befristungen, die die Grünen jetzt beschlossen haben - das
ist übrigens auch die Meinung des baden-württemberAndreas Jung
gischen Ministerpräsidenten -; vielmehr sind wir der
Überzeugung, dass man auch da mit allen Beteiligten,
gemeinsam mit der Automobilindustrie und mit der Forschung, alles dafür tun muss, damit das Auto der Zukunft, das Ökoauto, made in Germany ist, das wir dann
in alle Welt exportieren. So leisten wir einen Beitrag zur
Reduzierung der Treibhausgase in unserem Land.
({6})
Letzte Bemerkung. Ich bin sehr dankbar, dass die
Bundeskanzlerin in dieser Woche angekündigt hat: Ja,
wir wollen einen neuen Versuch unternehmen, um die
steuerliche Förderung der Gebäudesanierung auf den
Weg zu bringen. - Wir haben es hier im Bundestag ja
schon beschlossen. Es ist an den Ländern und am Bundesrat gescheitert. Jetzt unternehmen wir einen neuen
Anlauf. In NRW, so habe ich gesehen, steht es im Koalitionsvertrag. Sie wollen es jetzt wie viele andere Länder
auch unterstützen. Dann sollte es doch eine Chance geben. Das müssen wir schaffen; anderenfalls werden wir
der Verantwortung, die wir hier für Klimaschutz haben,
und der besonderen Bedeutung, die Energieeffizienz dabei hat, nicht gerecht.
Es gibt also viel zu tun. Ich freue mich darauf, gemeinsam mit Ihnen mit der Leidenschaft, die ja bei allen hier
zum Ausdruck gekommen ist, daran weiter zu arbeiten.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank, Andreas Jung. - Nächste Rednerin:
Heike Hänsel für die Linksfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Von den Folgen der Erderwärmung sind bereits
jetzt diejenigen Länder am härtesten betroffen, die am
wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben: die
Länder des Südens. Ganz aktuell erleben wir in Ostafrika die größte humanitäre Katastrophe seit Gründung der
Vereinten Nationen. Über 25 Millionen Menschen sind
vom Hungertod bedroht. Auch die Klimazerstörung hat
mit der von ihr ausgelösten langanhaltenden Dürre dazu
beigetragen. Es ist die ökologische Schuld des Nordens,
und deswegen braucht es nicht nur mehr Hilfsgelder von
hier, sondern es braucht endlich eine ernsthafte, echte
Klimaschutzpolitik.
({0})
Es wurde auch angesprochen: Die Warnungen vor
dreistelligen Millionenzahlen von Klimaflüchtlingen in
den nächsten Jahrzehnten häufen sich. Diese Klimazerstörung ist auch eine der großen Fluchtursachen, die endlich bekämpft werden muss.
Für uns ist aber auch Folgendes wichtig: Klimaschutz
ist nicht nur eine Frage alternativer Technologien, alternativer Energieträger, sondern wir müssen uns auch mit
diesem herrschenden Wirtschaftssystem und seiner globalen Handelsordnung auseinandersetzen.
({1})
Wenn wir nicht aus dieser neoliberalen Globalisierung
herauskommen, die auf Ausbeutung der Rohstoffe, auf
Profitmaximierung für wenige setzt, können wir die Klimaschutzziele nicht erreichen. Dazu gehört auch der zerstörerische Freihandel, der Land Grabbing vorantreibt,
der kleinbäuerliche Existenzen zerstört und der Monokulturen von Palmöl und Soja fördert, soweit das Auge
reicht. All das muss endlich aufhören. Freihandel ist kein
Beitrag zum Klimaschutz.
({2})
Wir brauchen keinen grünen Kapitalismus, sondern
endlich internationale solidarische Zusammenarbeit. Dafür haben wir Vorschläge unterbreitet, zum Beispiel den
Vorschlag, auf UN-Ebene zugunsten der Länder des globalen Südens einen Fonds zur Kompensation der Folgen
des Klimawandels und des Kolonialismus einzurichten,
der von den Industriestaaten finanziert wird.
Diese Maßnahme muss verbunden sein mit einem solidarischen Wissens- und Technologietransfer, um eine
globale Energiewende zu ermöglichen. Die Energiewende muss als globales Gemeinschaftsgut angesehen werden. Sie darf nicht länger als Handels- und Renditeobjekt oder als neuer finanzieller Exportschlager angesehen
werden.
({3})
Wichtig ist auch, dass wir die sogenannten Klimafinanztransfers für den Süden nicht mit den Mitteln der
Entwicklungsfinanzierung verrechnen. Wir brauchen
eine eigenständige Finanzierung der Anpassungsmaßnahmen. Die soziale und die ökologische Entwicklung
müssen zusammengehen.
Für den G-20-Gipfel werden bereits Zeichen gesetzt.
Angela Merkel rüstet sich für das Treffen mit Donald
Trump. Sie ist extra nach Rom gefahren, um sich den Segen des Papstes dafür zu holen. Ich möchte aber davor
warnen, Angela Merkel in Hamburg als Klimaretterin zu
betrachten; denn sie hat gesagt, sie will, dass in Hamburg
ein Bekenntnis zum Freihandel abgegeben wird. Was für
eine fatale Ankündigung! Genau das wollen wir nicht.
Wir wollen nicht noch mehr Freihandel und noch mehr
Ausbeutung, sondern endlich eine international gerechte
Handelsordnung. Das ist der beste Beitrag zum Klimaschutz.
({4})
Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit.
Frau Roth, da sind Sie ja vielleicht auch dabei.
({0})
- Entschuldigung, der Vorsitz hat gewechselt. - Dafür
werden am 8. Juli dieses Jahres in Hamburg viele auf die
Straße gehen. Es gibt ein breites Bündnis für mehr Klimaschutz und gegen Freihandel. Sie alle sind eingeladen,
hinzukommen.
({1})
Frau Kollegin, man ist vor so mancher Überraschung
nicht gefeit. - Als Nächster hat das Wort: Frank Schwabe
für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Viele Dankesworte
sind schon gesagt worden. Ich will mich anschließen
und mich bedanken bei Bärbel Höhn, aber auch bei Eva
Bulling-Schröter und Josef Göppel, der heute leider nicht
anwesend sein kann. Eure Arbeit ist beeindruckend. Ihr
habt ganz viel getan für den deutschen und den europäischen Klimaschutz. Ihr habt das mit voller Leidenschaft
gemacht. Ich glaube, wir haben das fraktionsübergreifend
gut gemacht. Dafür noch einmal ganz herzlichen Dank!
({0})
Mit dem Klimaschutz ist das so eine Sache, liebe Kolleginnen und Kollegen. In der Tat kommt man sich oft so
vor wie bei der Echternacher Springprozession. Das ist
aber auch bei anderen politischen Themen der Fall. Das,
was Trump an Realitätsverweigerung betreibt, schlägt
dem Fass aber in der Tat den Boden aus. Die entscheidende Frage ist, wie wir damit umgehen, wie wir darauf reagieren. Es ist richtig, sich dagegen zu positionieren; das
stimmt. Noch viel richtiger und wichtiger ist es aber, mit
stärkeren Ambitionen in Europa und in Deutschland darauf zu reagieren. Daher brauchen wir für den G-20-Gipfel in Hamburg eine klare Position. Wir und die anderen
19 Staaten müssen sagen: Wir wollen weitermachen mit
einem ambitionierten Klimaschutz. Ich glaube, das ist
unsere gemeinsame Erwartungshaltung.
Was wurde in den letzten vier Jahren eigentlich erreicht? Man muss sich immer wieder klarmachen - das
vergisst man in der aktuellen Debatte gerne -, dass das
für 2020 angestrebte Klimaschutzziel - bis 2020 minus
40 Prozent gegenüber 1990 - im Jahr 2007 entwickelt
wurde, rund um die Klimakonferenz auf Bali. Dieses
Ziel haben wir seit langem, aber wir haben lange nichts
getan, um dieses Ziel zu erreichen. Zum Teil wussten
wir zwischendurch gar nicht mehr, wo wir auf dem Weg
zur Erreichung dieses Ziels stehen. Es ist das Verdienst
dieser Bundesregierung, insbesondere dieser Bundesumweltministerin, dass wir uns ehrlich gemacht haben, dass
wir uns klargemacht haben, wo wir stehen, dass wir uns
klargemacht haben, dass das, was wir bisher gemacht haben, nicht ausreicht, um unsere Ziele zu erreichen.
Hier im Deutschen Bundestag wurden Programme
dieser Bundesregierung verabschiedet, die aber am Ende
nicht ausgereicht haben. Das muss man ehrlicherweise
sagen. Wir sind zwar einen Schritt weitergekommen auf
dem Weg zur Erreichung des 40-Prozent-Ziels; aber es ist
dringend notwendig, dass die neue Bundesregierung und
die neue Koalition, wie auch immer sie sich zusammensetzen werden, schon in den Koalitionsverhandlungen
neue Maßnahmen beschließen und diese zu Beginn der
Legislaturperiode umsetzen, damit wir dieses 40-Prozent-Ziel noch erreichen können.
Das Thema Kohleausstieg ist angesprochen worden.
Es ist schwierig. Wenn es konkret wird, wird es immer
sehr schwierig. Aber ich glaube, es ist mittlerweile über
alle Fraktionsgrenzen hinweg Konsens, dass es eine Beendigung der Nutzung von Kohle in diesem Land geben
wird. Die Frage ist, in welchen Zeiträumen und wie wir
das so machen - das ist jedenfalls das zentrale Anliegen
meiner Fraktion -, dass, wie es bei uns heißt, die Menschen nicht ins Bergfreie fallen. Das wird zu organisieren sein. Dazu gibt es viele Hinweise, in den Ministerien,
aber auch im Wahlprogramm der SPD. Das wird eine
Aufgabe, vielleicht eine zentrale Aufgabe der nächsten
Legislaturperiode sein.
Bei vielen Zielen, die zu erreichen gewesen wären,
sind wir leider nicht in der Spur - das muss man ehrlicherweise sagen -, weder mit Blick auf 2020 noch mit
Blick auf 2050. Da muss noch vieles dazukommen. Am
Dienstag haben wir in der SPD-Fraktion ein Papier verabschiedet - Klaus Mindrup hat das über alle Arbeitsgruppen hinweg koordiniert -, in dem wir zum Beispiel
deutlich gemacht haben, dass die Ausbauziele im Erneuerbare-Energien-Bereich nicht ambitioniert genug
sind. Wenn wir andere Sektoren im Wärme- und im Verkehrsbereich mit einbeziehen wollen, dann müssen diese
Ziele deutlich angehoben werden.
({1})
Wir machen in unserem Wahlprogramm deutlich, dass
es nicht ausreicht, von einer Senkung der Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent bis 2050 zu reden,
sondern dass wir uns mehr am oberen Ende orientieren
müssen. Wir brauchen ein Klimaschutzgesetz, allerdings
nicht, um die Wirtschaft zu gängeln, sondern - ganz im
Gegenteil - um verlässliche Rahmenbedingungen zu
schaffen. Wir brauchen auch Hilfestellungen für den europäischen Emissionshandel. Wenn der Emissionshandel das zentrale Instrumentarium sein soll, dann muss er
auch beweisen, dass er es kann. Wenn er es eigenständig
nicht kann, dann braucht er Hilfestellungen. Das sind
aus unserer Sicht CO2-Mindestpreise, die möglichst im
EU-Kontext, zumindest aber mit einer Reihe europäischer Staaten zu verabreden sind.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und Glück auf!
({2})
Vielen Dank, Herr Kollege Schwabe. - Als Nächster
hat Dr. Thomas Gebhart für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Es ist gut, dass wir gegen Ende der Wahlperiode
noch einmal Gelegenheit haben, grundsätzlich über die
Frage des Klimaschutzes miteinander zu debattieren und
deutlich zu machen: An welchen Stellen gibt es Gemeinsamkeiten und Schnittmengen, und an welchen Stellen
unterscheiden sich unsere Positionen?
Zunächst: Als Christdemokrat ist mir der Klimaschutz
ein Kernanliegen. Es geht um den Erhalt der natürlichen
Lebensgrundlagen, und es geht um die Bewahrung der
Schöpfung. Das ist eine ethische Frage. Es ist aber auch
eine Frage der Vernunft, auch der ökonomischen Vernunft, dass wir den Klimawandel auf ein verantwortbares
Maß begrenzen.
Meine Damen und Herren, der Klimaschutz ist eine
globale Herausforderung. Deswegen war es so wichtig,
dass es in Paris gelungen ist, diesen internationalen Vertrag abzuschließen. Das war ein riesiger Fortschritt. Aber
wir wissen eben auch: Der Vertrag steht zunächst einmal
nur auf dem Papier. Die 29 Artikel von Paris sind teilweise sehr vage und weich formuliert. Der Vertrag bietet
viele Schlupflöcher. Dahinter steckt schlicht und ergreifend der Umstand, dass wir es mit unterschiedlichen Interessen zu tun haben. Es gibt Länder, die für weitgehenden Umwelt- und Klimaschutz streiten. Aber es gibt eben
auch Länder, die ganz andere Ziele haben, die vor allem
auf mehr Wohlstand und Wachstum setzen. Deswegen
wird die Umsetzung dieses Vertrages alles andere als ein
Selbstläufer werden.
Ich bin zutiefst überzeugt: Wir werden bei der Umsetzung umso besser vorankommen, je besser es uns gelingt,
diese Interessengegensätze zu überwinden, also Umweltund Klimaschutz auf der einen Seite und Wirtschaft und
Wohlstand auf der anderen Seite zusammenzubringen.
Diesen Weg müssen wir gehen. Schaffen werden wir
das nur mit neuen Technologien, mit Innovationen, mit
Forschung und Entwicklung, mit marktwirtschaftlichen
Instrumenten und Anreizen. Da haben wir eine ganze
Menge gemacht.
Ich will nur ein Beispiel nennen. Wir haben hier vor
kurzem ein neues Verpackungsgesetz beschlossen. Dieses Gesetz setzt ganz konkrete Anreize, Verpackungen
mehr als bisher zu recyceln und zu neuen Rohstoffen zu
machen. Das heißt, dass mehr von dem, was die Bürger
in den Gelben Sack sortieren, recycelt wird und weniger
verbrannt wird. Auch das ist ein ganz konkreter Beitrag
zum Klimaschutz. Das ist ein schönes Beispiel, das zeigt,
wie Umweltschutz und Wirtschaft vernünftig zusammengehen können.
In diesem Weg stecken erhebliche wirtschaftliche
Chancen. Es geht um die Märkte der Zukunft. Das ist
sicherlich auch ein wesentlicher Grund dafür, dass der
amerikanische Präsident Donald Trump mit seiner unsäglichen Entscheidung, aus diesem Klimaschutzabkommen auszusteigen, bisher keine wirklichen Nachahmer
gefunden hat. Das war die eigentliche Sensation der
letzten Klimakonferenz in Marrakesch, und bis heute ist
es bemerkenswert, dass er keine wirklichen Nachahmer
gefunden hat.
Damit das so bleibt, ist es entscheidend, dass wir immer wieder unter Beweis stellen: Klimaschutz und eine
starke Wirtschaft sind keine Gegensätze, sondern beides
geht zusammen. Das ist der Weg, den wir weitergehen,
unser Weg zur Umsetzung des Klimaschutzabkommens.
Die Grünen vertreten in dieser Frage zum Teil einen
anderen Weg. Das ist ein eher rückwärtsgewandter Weg,
der vor allem auf Verzichten, auf Einschränken, auf
Deindustrialisieren und auf Verbieten setzt. Sie wollen
zum Beispiel die Kohleverstromung ab einem bestimmten Zeitpunkt verbieten.
({0})
Ministerin Hendricks hat darauf hingewiesen: Dafür
haben Sie ganz unterschiedliche Zeitpunkte genannt.
Zunächst haben Sie 2030 gefordert, im letzten Jahr war
es 2025. Heute liegt ein Antrag der Grünen zur Abstimmung vor, in dem steht, dass dies innerhalb der nächsten
zwei Jahrzehnte erreicht werden soll. Ich frage Sie: Was
gilt denn nun?
({1})
Diese ganze Unentschlossenheit, dieses Hin- und Herschwimmen in Bezug auf das konkrete Datum zeigt eigentlich nur die ganze Misere Ihres Ansatzes.
({2})
Es macht nämlich wenig Sinn, heute politisch ein Ausstiegsdatum festzulegen, ohne zu wissen, wann und wie
dieser Ausstieg zu erreichen ist. Wir wissen heute nicht,
wann genau die Kohle in großem Stil durch saubere Alternativen zuverlässig und zu vertretbaren Preisen ersetzt
werden kann, sodass an jedem Ort in Deutschland zu jedem Zeitpunkt des Jahres ausreichend Strom zur Verfügung steht.
({3})
Wir wissen es nicht, und deswegen macht es nur wenig
Sinn, dieses Datum heute festzulegen.
Viel wichtiger ist es, dass wir die Alternativen voranbringen. Das ist die eigentliche Voraussetzung für den
Ausstieg aus der Kohle.
({4})
Die Voranbringung der Alternativen muss Hand in Hand
gehen mit der Reduzierung der Kohleverstromung.
({5})
Meine Damen und Herren, wir müssen die Alternativen, die erneuerbaren Energien voranbringen und die
Stromnetze ausbauen, bei den Speichertechnologien entscheidend vorankommen
({6})
und auf Forschung und Entwicklung sowie neue Technologien setzen, und vor allem müssen wir für neue Technologien offen sein.
({7})
Das ist der Weg, den wir gehen und auch weiterhin gehen
werden. Dafür werbe ich, weil wir auf diesem Weg dem
weltweiten Klimaschutz mit Sicherheit einen besseren
Dienst erweisen, als wenn wir Ihren Weg gehen würden.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank, Herr Kollege Gebhart. - Als nächster
Redner spricht Andreas Rimkus für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Zuhörende auf den Rängen! Das
Ende einer Legislaturperiode ist für jeden von uns vermutlich immer auch eine Gelegenheit für einen Rückblick
auf das Geschaffte. Für mich bietet heute der Antrag der
Fraktion der Grünen mit dem Titel „Jetzt mit wirksamem
Klimaschutz die ökologische Modernisierung angehen
und die Klimaschutzlücke schließen“ einen guten Anlass
dazu. Sie schreiben nämlich von einem Bekenntnis der
Kanzlerin zum Pariser Abkommen und knüpfen dann mit
den Worten an - ich zitiere -: „Doch den warmen Worten
folgen zu Hause keine Taten.“ Was für eine gute Gelegenheit, gemeinsam mit Ihnen die letzten vier Jahre noch
einmal Revue passieren zu lassen.
Ziemlich zu Beginn der Legislaturperiode beschlossen
wir das Elektromobilitätsgesetz, das erstmals gesetzlich
festlegte, wie wir elektrische Antriebe definieren. Darüber hinaus haben wir - besonders wir als SPD-Fraktion für die Ausfinanzierung des Nationalen Innovationsprogramms Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie
gesorgt und uns auch für seine Weiterführung starkgemacht. Nicht unwesentlich ist dies verbunden mit dem
Vorankommen beim wichtigen Ausbau der Versorgung
mit Wasserstofftankstellen.
In dieser Legislatur haben wir außerdem verschiedene
Förderrichtlinien auf den Weg bringen können, die eins
deutlich machen: Elektrische Antriebe sind auf unseren
Straßen schon längst Realität. Projekte zu innovativen
Ideen, die Umrüstung des ÖPNV und den Ausbau der
Ladeinfrastruktur konnten wir mit diesem Geld voranbringen.
Und es geht weiter: Die Verlängerung der Regelung
im Hinblick auf Steuerbegünstigungen für Elektrofahrzeuge und die Kraftstoffe Erdgas und Autogas sind ebenfalls ein wichtiger Bestandteil einer technologieoffenen
Förderung. Auch weiterhin werden wir unseren Blick für
die unterschiedlichen technologischen Möglichkeiten offenhalten. Nach schwierigen Verhandlungen konnte die
so wichtige Ladesäulenverordnung auf den Weg gebracht
werden. Sie bildet die Grundlage für die Schaffung eines
europäischen Systems. Denn was bringt mir ein Fahrzeug, das ich nach dem Verlassen Deutschlands nicht
mehr laden kann, weil der Stecker nicht passt?
Ein wichtiges Thema beispielsweise für Handwerksbetriebe war die Anpassung der Gewichtsklassifizierung
bei der Fahrerlaubnis. Für Nutzende, die ihr Fahrzeug
gern bei ihrem Arbeitgeber laden, haben wir die Anrechnung als geldwerten Vorteil aufgehoben und die Regelung sogar auf betriebliche Fahrzeuge erweitert. Letztlich
möchte ich die Beschaffungsinitiative des Bundes nicht
unerwähnt lassen. Immerhin haben wir uns gemeinsam
zum Ziel gesetzt, dass endlich 20 Prozent der Fahrzeuge
im Fuhrpark des Bundes mit elektrischen Antrieben ausgestattet sein sollen.
Zum Umweltbonus. Auch wenn der Verkauf von
Elektrofahrzeugen nur schleppend vorangeht, verzeichnen wir doch ein stetiges Wachstum. Es gilt wie so oft
im Leben: Wir müssen so geduldig sein, dass ein Kamel
hysterisch erscheint. - Das ist nicht von mir, sondern von
Rafik Schami. Aber es könnte von mir sein; denn ich
glaube, an diesem Spruch ist etwas dran.
({0})
Ich könnte diese Liste fortführen. Ich möchte aber die
Zeit nutzen, um über das zu sprechen, was vor uns liegt.
Ich habe gerade isoliert die Maßnahmen im Verkehrssektor beschrieben. Aber im Wesentlichen geht es doch darum, die Maßnahmen für die Zukunft zu beschreiben, um
die Sektoren zusammenzubringen: Energie, Verkehr und
Immobilien. Diesen Prozess haben wir als SPD-Fraktion bereits begonnen und gemeinsam mit den Berichterstattern aus den Bereichen Verkehr, Wirtschaft, Umwelt
und Landwirtschaft das Positionspapier „Investieren für
Arbeit, Innovation, Klimaschutz und gutes Leben“ erarbeitet. Ressortübergreifend konnten wir damit den Aufschlag für eine gemeinsame Vision machen.
Um es auf den Punkt zu bringen: In der Sektorenkopplung liegt die Zukunft. Mobilität wird ohne das Stromnetz künftig nicht mehr denkbar sein. Neben der Batterietechnologie wird im Besonderen dem Wasserstoff eine
zentrale Bedeutung zukommen. Daher haben wir uns in
dem Papier speziell dem Thema der Anerkennung und
Förderung des grünen Wasserstoffs gewidmet.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, für meine Fraktion
kann ich also sagen, dass es auch in der nächsten LegislaDr. Thomas Gebhart
tur nicht bei warmen Worten bleiben wird. Ich freue mich
schon darauf, daran mitarbeiten zu dürfen.
({1})
Vielen Dank fürs Zuhören.
({2})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Jetzt hat das Wort die
Kollegin Dr. Herlind Gundelach für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Politik findet nicht nur im Formulieren von Zielen und
Visionen statt - ich denke, darüber haben wir heute sehr
viel gehört, und wir sind uns in vielen Zielen sehr einig -,
sondern Politik findet auch sehr konkret statt.
Deswegen möchte ich heute nach vielen Diskussionen, die ich vor allen Dingen mit den Kollegen und Kolleginnen von den Grünen hier im Plenum des Deutschen
Bundestages, im Wirtschaftsausschuss, aber auch bei
vielen Veranstaltungen geführt habe, Bilanz ziehen und
ein paar Sachen klarstellen.
Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und die Bundesregierung unter Führung unserer Bundeskanzlerin,
haben die Energieeffizienz immer als zweite Säule der
Energiewende verstanden und danach gehandelt. Wir
haben alleine für die Jahre 2016 bis 2020 rund 17 Milliarden Euro für Energieeinspar- und Energieeffizienzprogramme zur Verfügung gestellt. Wir haben in den letzten
Jahren einen riesigen Strauß an Initiativen und Impulsen
auf den Weg gebracht. Dennoch muss ich mir heute anhören, dass wir immer noch nicht genug machen. Man
merkt: Wir sind schon ein bisschen im Wahlkampf.
Ich möchte heute ganz konkret auf den Antrag der
Grünen, der auf der Tagesordnung steht, zum Thema
„Klimaschutz in der Wärmeversorgung“ eingehen. Ich
habe bereits bei der ersten Beratung Ihres Antrags betont, dass ich Ihrem Ziel einer nachhaltigen und sozial
gerechten Wärmeversorgung durchaus zustimme. Aber
es macht mich langsam ein bisschen ärgerlich, dass Sie
beim Klimaschutz und auch bei der Förderung der Energieeffizienz prinzipiell den Ansatz verfolgen: alles oder
nichts, schwarz oder weiß, gut oder böse. In der politischen Umsetzung bedeutet das dann: umfangreiche
Förderung mit Mitnahmeeffekten für die Guten und ein
Verbot für die Bösen. So können Sie auf lange Sicht aus meiner Sicht zumindest - keine Politik machen. Ich
vermisse da jeglichen Realitätssinn.
({0})
Deswegen möchte ich mir einmal einige Ihrer Forderungen ganz konkret anschauen. Sie wollen mehr Geld
für energetische Sanierung. Um genau zu sein: Sie wollen 7 Milliarden Euro und würden damit die jetzigen
Mittel verdoppeln, obwohl diese Gelder schon in den
letzten Jahren gar nicht abgeflossen sind. Warum sollen
wir diese Mittel dann verdoppeln? Das leuchtet mir gar
nicht ein.
Sie wollen den CO2-Ausstoß stärker als Steuerungsgröße verankern. Ich denke, das kann auch ein richtiger
Ansatz sein. Darüber lassen wir auch durchaus mit uns
diskutieren. Wenn der CO2-Ausstoß volkswirtschaftlich
für alle Sektoren einen Preis hätte, hätten wir ein einheitliches marktwirtschaftliches Instrument, durch das sich
die CO2-ärmste Technologie aufgrund ihres Preises auch
durchsetzen könnte. Aber für Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen von den Grünen, gibt es eben Technologien,
die in dieser Marktwirtschaft nicht mitmachen sollen,
wie zum Beispiel auf fossilen Rohstoffen basierende
Heizungsanlagen. Sie wollen eine Erneuerbare-Energien-Pflicht im Gebäudebereich und laufen damit Gefahr,
die negativen Erfahrungen aus Baden-Württemberg auf
das gesamte Bundesgebiet zu übertragen.
Außerdem, denke ich, sollte man seine Vorhaben auch
immer zu Ende denken. Nehmen Sie zum Beispiel das
Thema Batterien, die ja nach Ihren Plänen im großen
Umfang als Speicher in den Heizungskellern benötigt
würden und deren Herstellung noch mit unglaublich
hohen CO2-Emissionen verbunden ist. Hier muss eine
ordentliche Bilanz her, oder es muss - wie Sie immer
fordern - der ökologische Rucksack geschnürt werden.
Was wir aber auf alle Fälle brauchen - ich glaube, da
müssen wir uns einig sein -, ist noch viel Forschung und
Entwicklung auf diesen Feldern.
({1})
Nach all dem, was wir in den letzten Jahren bei der
Energiewende angeregt und initiiert haben, stehen wir
heute offenkundig in manchen Bereichen vor Zielkonflikten. Wo wollen wir hin? Wollen wir vor allem CO2
einsparen oder wollen wir die erneuerbaren Energien nur
um ihrer selbst willen fördern? Und wie können wir das,
was wir wollen, kostengünstig erreichen?
Für mich ist ganz klar, dass wir unsere ambitionierten
Ziele nur dann erreichen, wenn wir als Gesetzgeber Rahmenbedingungen schaffen - und das haben wir in dieser Legislaturperiode gemacht -, die sehr viel Raum für
Innovationen und verschiedene Lösungskonzepte lassen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir aufgrund des
Tempos, in dem neue Technologien entwickelt werden,
keine Entscheidungen treffen dürfen, die Lock-in-Effekte nach sich ziehen. Frühzeitige technologische Festlegungen unterbinden nämlich Innovationen und treiben
die Kosten langfristig in die Höhe.
Wir alle wissen nicht, welche Möglichkeiten uns in
ein paar Jahren zur Verfügung stehen. Ist Gas in ein paar
Jahren vielleicht ausschließlich grün? Das wäre sehr
schön. Dann wäre es aber sehr schade, wenn die jetzt
existierende Infrastruktur bis dahin durch eine falsche
Politik Schaden genommen hätte, nur weil heute noch
ein fossiler Energieträger durch sie hindurchfließt.
Ich bin davon überzeugt, dass wir die Energiewende
als eine Herausforderung für Wissenschaft und Forschung
verstehen müssen. Die Politik muss diese Entwicklung
bestmöglich flankieren, zum Beispiel durch die schon in
der vorigen Debatte erwähnte steuerliche Absetzbarkeit
der Aufwendungen für Forschung auch in Unternehmen,
die hoffentlich in der nächsten Legislaturperiode tatsächlich kommt. Technologieoffenheit ist für uns in der CDU/
CSU-Fraktion ein Muss, und diese Technologieoffenheit
muss auch für fossile Energieträger gelten.
Mit Blick auf die aktuellen Zahlen wird klar: Wir
könnten im Sinne des Klimaschutzes sehr viel auch relativ einfach erreichen. Denn 54 Prozent der Heizungen
in Mehrfamilienhäusern und 50 Prozent der Heizungen
in Einfamilienhäusern sind 18 Jahre alt oder älter und
folglich nicht sehr effizient. Bei neuen Heizungen wären
Einsparungen bis zu 30 Prozent möglich.
Weshalb soll man das jetzt schlagartig verbieten?
Das leuchtet mir nicht ein. Es geht doch darum, dass wir
insgesamt mehr CO2 einsparen. Denn das ist eines der
entscheidenden Treibhausgase, und deswegen sind alle
Maßnahmen sinnfällig, die dazu beitragen, statt Maßnahmen festzulegen, die darauf zielen, dass die Menschen
warten, bis es vielleicht in zwei, drei, vier oder fünf Jahren eine andere Technologie gibt, die als optimal gilt und
deshalb eingesetzt wird.
Deswegen ist es aus meiner Sicht kontraproduktiv, die
Förderung solcher Heizungsumrüstungen - beispielsweise von alten Gas- auf neue Gasheizungen - jetzt einfach
abzuwürgen. Dies richte ich auch ganz bewusst an das
Bundeswirtschaftsministerium mit Blick auf seine jüngst
veröffentlichte neue Förderstrategie. Wir brauchen in Sachen Klimaschutz und Energieeffizienz den größtmöglichen Instrumentenkasten, und wir müssen alle Wege
nutzen, um CO2 einzusparen. Deswegen bitte ich alle
Kollegen ganz herzlich, dass wir in diesem Sinne weitermachen. Lassen Sie uns alle Möglichkeiten nutzen und
vielleicht die etwas weniger vollkommenen jetzt schon
nutzen, statt auf die ganz vollkommenen in der Zukunft
zu warten. Denn das tut, glaube ich, dem Klima auch
nicht gut.
Vielen Dank.
({2})
Herzlichen Dank, Frau Kollegin. - Ich schließe die
Aussprache.
Tagesordnungspunkt 9 a. Wir kommen zur Abstim-
mung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 18/12796 mit dem Titel „Jetzt mit
wirksamem Klimaschutz die ökologische Modernisie-
rung angehen und die Klimaschutzlücke schließen“. Wer
stimmt für den Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es
Enthaltungen? - Nein. Der Antrag ist mit den Stimmen
der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Grünen
und der Linken abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 9 b. Abstimmung über den An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/10640 mit dem Titel „CO2-Bremse einführen -
Klimabilanz in Gesetzesfolgenabschätzung aufnehmen“.
Wer stimmt für den Antrag? - Wer stimmt dagegen? -
Gibt es Enthaltungen? - Der Antrag ist mit dem gleichen
Stimmenverhältnis wie eben abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 9 c. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen mit dem Titel „Klimaschutzplan 2050 - Echter
Klimaschutz beginnt heute“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10387,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/8876 abzulehnen. Wer stimmt für die-
se Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltun-
gen? - Gibt es keine. Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op-
position angenommen.
Tagesordnungspunkt 9 d. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel
„Klimaschutz in der Wärmeversorgung sozial gerecht
voranbringen - Aktionsplan Faire Wärme starten“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11651, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10979 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen-
probe! - Enthaltungen? - Gibt es keine. Die Beschluss-
empfehlung ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie
eben angenommen.
Tagesordnungspunkt 9 e. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
torsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen mit dem Titel „Klare CO2-Reduktionen im
Flugverkehr schaffen“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11244, den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/9801 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? -
Gibt es keine. Die Beschlussempfehlung ist mit dem
gleichen Stimmenverhältnis wie eben angenommen.
Tagesordnungspunkt 9 f. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Kli-
maschutz stärken - Energiesparen verbindlich machen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/12633, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12095 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gibt es wieder keine.
Die Beschlussempfehlung ist erneut mit dem gleichen
Stimmenverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 9 g. Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 18/10370 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen
Widerspruch. Dann ist das der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.
Jetzt kommen wir zu den Überweisungen im verein-
fachten Verfahren.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Ta-
gesordnung um die Beratung des Antrags der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12097 mit
dem Titel „Schutz vor Mobbing am Arbeitsplatz“ zu er-
weitern und sofort als Zusatzpunkt 12 im vereinfachten
Verfahren ohne Debatte zu überweisen. - Ich sehe, Sie
sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 c sowie
Zusatzpunkte 4 a bis 4 f und 4 h auf sowie den soeben
aufgesetzten Zusatzpunkt 12 auf:
36. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in
sozialen Netzwerken ({0})
Drucksache 18/12727
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Mieterstrom und
zur Änderung weiterer Vorschriften des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes
Drucksache 18/12728
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({2})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Haushaltsausschuss
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Wohnungseinbruchdiebstahl
Drucksache 18/12729
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({3})
Innenausschuss
ZP 4 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Volker Beck ({4}), Luise Amtsberg, Katja
Keul, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Fremdrentengesetzes ({5})
Drucksache 18/12718
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({6})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung der Abgabenordnung zwecks
Anerkennung der Gemeinnützigkeit von
Freifunk
Drucksache 18/12105
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({7})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss Digitale Agenda
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Meiwald, Nicole Maisch, Steffi Lemke, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Umweltverschmutzung durch Mikroplas-
tikfreisetzung aus Kosmetika und Wasch-
mitteln beenden
Drucksache 18/10875
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Lisa Paus, Kordula Schulz-Asche, Britta
Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rechtssicherheit für bürgerschaftliches
Engagement - Gemeinnützigkeit braucht
klare Regeln
Drucksache 18/12559
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({8})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Harald Petzold ({9}), Sigrid Hupach,
Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Geschlechtliche und sexuelle Menschenrechte gewährleisten
Drucksache 18/12783
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({10})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Kordula Schulz-Asche, Dr. Konstantin von
Notz, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Freiwilligendienste ausbauen und weiterentwickeln, Engagement anerkennen und
attraktiver machen
Drucksache 18/12804
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({11})
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Vizepräsidentin Michaela Noll
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin
Andreae, Dr. Franziska Brantner, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gesellschaftliche Teilhabe und gute Bildung für alle Kinder und Jugendlichen
sicherstellen
Drucksache 18/12795
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({12})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate
Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae, Katja Keul,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Schutz vor Mobbing am Arbeitsplatz
Drucksache 18/12097
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({13})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 18/12097 - Zusatzpunkt 12 - soll federführend an den Ausschuss für
Arbeit und Soziales sowie mitberatend an den Ausschuss
für Recht und Verbraucherschutz, an den Ausschuss für
Wirtschaft und Energie sowie an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen werden.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zu einer Überweisung, bei der die
Federführung strittig ist.
Zusatzpunkt 4 g:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Kordula
Schulz-Asche, Irene Mihalic, Maria KleinSchmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Das freiwillige und ehrenamtliche Engagement im Bevölkerungsschutz und in der Katastrophenhilfe stärken
Drucksache 18/12802
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({14})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({15})
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Federführung strittig
Interfraktionell wird Überweisung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12802 mit dem Titel „Das freiwillige und ehrenamtliche Engagement im Bevölkerungsschutz und der
Katastrophenhilfe stärken“ an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen
der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim
Innenausschuss, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
wünscht Federführung beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das heißt Federführung
beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der
Regierungskoalition und den Stimmen der Fraktion Die
Linke gegen die Stimmen der Grünen abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, das heißt Federführung beim Innenausschuss, abstimmen. Wer stimmt
für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag
ist mit den Stimmen der Regierungskoalition und den
Stimmen der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der
Grünen angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 a bis e, g bis w
sowie 22 a und b sowie Zusatzpunkte 5 a bis d auf. Es
handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 37 a:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Tabea Rößner, Dr. Konstantin von Notz,
Hans-Christian Ströbele, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum
Auskunftsrecht der Presse gegenüber Bundesbehörden ({16})
Drucksache 18/8246
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({17})
Drucksache 18/12603
Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12603, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8246 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke
abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung
die weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 37 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Vizepräsidentin Michaela Noll
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den
Deutschen Wetterdienst
Drucksache 18/11533
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({18})
Drucksache 18/12836
Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12836, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/11533 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Regierungskoalition und bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmergebnis wie eben
angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({19})
Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 23. Juli 2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für
elektronische Transaktionen im Binnenmarkt
und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG
({20})
Drucksache 18/12494
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({21})
Drucksache 18/12833
Die genannte, in der EU unmittelbar geltende Verordnung soll grenzübergreifende digitale Transaktionen wie
Vertragsabschlüsse und Einkäufe im Internet erleichtern
und zu einer europaweiten Akzeptanz von elektronischen
Signaturen, Siegeln und Zeitstempeln nationaler Vertrauensdienste in allen EU-Mitgliedstaaten führen. Das jetzt
zu beratende Durchführungsgesetz erweitert die Anwendungsmöglichkeiten für elektronische Vertrauensdienste,
insbesondere für das in der Verordnung erstmals geregelte elektronische Siegel. Das Gesetz enthält außerdem
Regelungen zu Zuständigkeiten und Befugnissen der beteiligten Behörden sowie zu Ordnungswidrigkeiten. Die
Bundesregierung wird ermächtigt, Einzelheiten durch
Rechtsverordnung zu regeln.
Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12833, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/12494 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Regierungsfraktionen und der Fraktion Die
Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor
angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 d:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr ({22}) vom 9. Mai 1980
Drucksachen 18/12513, 18/12717
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({23})
Drucksache 18/12815
Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12815, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/12513 und 18/12717 anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 e:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte
von Beschuldigten im Strafverfahren und zur
Änderung des Schöffenrechts
Drucksachen 18/9534, 18/10025, 18/10307
Nr. 4
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({24})
Drucksache 18/12830
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12830, den Gesetzentwurf auf den Drucksachen 18/9534 und 18/10025 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Regierungskoalition und den Stimmen der
Vizepräsidentin Michaela Noll
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor
angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 g:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({25}) zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Bärbel
Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Hofabgabe als Voraussetzung für den Zugang
zur Altersrente für Landwirte abschaffen
Drucksachen 18/2770, 18/3455
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3455, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2770 abzulehnen. Wer ist für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 h:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({26}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij,
Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Kommunen stärken - Kommunalisierung und
Rekommunalisierung unterstützen
Drucksachen 18/10282, 18/11019
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11019, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/10282 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Regierungskoalition und den Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen
der Linken angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 i:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie
({27}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Ralph Lenkert, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Abschaffung der Zeitumstellung
Drucksachen 18/10697, 18/11809
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11809, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/10697 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 j:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({28}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Birgit Menz, Eva
Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Illegalen Elfenbeinhandel stoppen - Afrikanische Elefanten schützen
Drucksachen18/10494, 18/11815
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11815, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/10494 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 k:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({29}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Sigrid
Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Verbrauchertäuschungen beenden - Klare
Lebensmittelkennzeichnung durchsetzen
Drucksachen 18/10861, 18/11823
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11823, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/10861 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 l:
Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({30}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Beate WalterRosenheimer, Dr. Franziska Brantner, Katja
Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kinder- und Jugendhilfe - Beteiligungsrechte
stärken, Beschwerden erleichtern und Ombudschaften einführen
Drucksachen 18/5103, 18/11886 Buchstabe b
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11886, den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf DruckVizepräsidentin Michaela Noll
sache 18/5103 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 m:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({31}) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann ({32}), Matthias W.
Birkwald, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Kreis der Anspruchsberechtigten und die Bezugsdauer in der Arbeitslosenversicherung
erweitern
Drucksachen 18/11419, 18/12167
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12167, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/11419 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Regierungskoalition und den Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 n:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({33}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Renate Künast, Tabea Rößner,
Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Nutzungsrechte digitaler Güter für Verbraucherinnen und Verbraucher verbessern
Drucksachen 18/11416, 18/12629
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12629, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11416 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen
die Stimmen der Opposition angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 o:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({34}) zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Informationsrechte der Verbraucherinnen
und Verbraucher stärken - Hygiene-Smiley
für Lebensmittelbetriebe bundesweit ermöglichen
Drucksachen 18/4214, 18/12636
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12636, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4214 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 p:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({35}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Nicole Maisch, Harald Ebner,
Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rechtssicherheit und Transparenz bei Lebensmittelkontrollen endlich herstellen
Drucksachen 18/9558, 18/12837
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12837, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9558 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltung? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 q:
Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({36}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Beate WalterRosenheimer, Kai Gehring, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Jung, queer, glücklich in die Zukunft - Lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Jugendliche stärken
Drucksachen 18/8874, 18/12849
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12849, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8874 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition
gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 r:
Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({37}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Beate WalterRosenheimer, Katja Dörner, Dr. Franziska
Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Stark ins eigene Leben - Wirksame Hilfen für
junge Menschen
Drucksachen 18/12374, 18/12851
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12851, den Antrag der Fraktion
Vizepräsidentin Michaela Noll
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12374 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen
die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 37 s bis 37 w.
Tagesordnungspunkt 37 s:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({38})
Sammelübersicht 444 zu Petitionen
Drucksache 18/12561
Wer stimmt dafür? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 444 ist einstimmig
angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 t:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({39})
Sammelübersicht 445 zu Petitionen
Drucksache 18/12562
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es
Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 445 ist mit den
Stimmen der Regierungskoalition und den Stimmen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 u:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({40})
Sammelübersicht 446 zu Petitionen
Drucksache 18/12563
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 446 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 v:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({41})
Sammelübersicht 447 zu Petitionen
Drucksache 18/12564
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 447 ist mit den Stimmen
der Regierungsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 w:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({42})
Sammelübersicht 448 zu Petitionen
Drucksache 18/12565
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 448 ist mit den
Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 a:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({43}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Cornelia Möhring, Sigrid Hupach,
Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Diskriminierung bekämpfen - Verbandsklagerecht einführen
Drucksachen 18/10864, 18/11448
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11448, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/10864 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({44}) zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck ({45}), Ulle Schauws,
Beate Müller-Gemmeke, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
10 Jahre nach dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes - Eine Reform ist überfällig
Drucksachen 18/9055, 18/11639
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11639, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9055 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen
gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Zusatzpunkt 5 a:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Marieluise Beck ({46}), Volker Beck ({47}),
Claudia Roth ({48}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Schnelle Hilfe für die in Russland verfolgten
Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transpersonen und Intersexuellen ({49})
Drucksache 18/12801
Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen
der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Vizepräsidentin Michaela Noll
Zusatzpunkt 5 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe ({50}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Harald Petzold ({51}),
Stefan Liebich, Jan Korte, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transpersonen und Intersexuellen
({52}) in Tschetschenien entgegentreten
Drucksachen 18/12091, 18/12824
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12824, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/12091 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Zusatzpunkt 5 c:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({53})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert
Müller ({54}), Katrin Kunert, Wolfgang
Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Rekrutierung von Minderjährigen für die
Bundeswehr sofort beenden und keine
Ausbildung von Jugendlichen an Waffen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Tom
Koenigs, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka
Brugger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Rekrutierung Minderjähriger in die
Bundeswehr
Drucksachen 18/10241, 18/981, 18/10543
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10241 mit dem Titel
„Rekrutierung von Minderjährigen für die Bundeswehr
sofort beenden und keine Ausbildung von Jugendlichen
an Waffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/981 mit dem Titel „Keine Rekrutierung Minderjähriger in die Bundeswehr“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit dem
gleichen Stimmenverhältnis wie bei der vorangegangenen Abstimmung angenommen.
Zusatzpunkt 5 d:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur ({55}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Matthias Gastel, Tabea Rößner,
Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Fahrverbot für laute Güterwagen
Drucksachen 18/10033, 18/11144
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11144, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10033 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen
die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Europapolitik der Bundesregierung zwischen
Griechenland-Krise, Brexit und Europäischem Rat
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat jetzt
Dr. Anton Hofreiter für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist schön, dass wir heute zumindest eine
Aktuelle Stunde zum Thema Europa haben. Eigentlich
hätte Frau Merkel heute hier stehen müssen, um eine Regierungserklärung abzugeben.
({0})
Denn zur anständigen Beteiligung des Parlaments gehört
es, dass die Kanzlerin vor dem Europäischen Rat eine
Regierungserklärung abgibt.
({1})
Das hat sie nicht gemacht. Ich frage mich, warum. Liegt
es daran, dass die Bundesregierung keine Positionen hat,
dass die Bundesregierung nichts sagen kann, dass die
Bundesregierung nichts sagen will?
({2})
Dazu kann man nur sagen: Das ist ziemlich erbärmlich.
Damit werden Sie den Herausforderungen, vor denen die
Europäische Union steht, noch nicht einmal in Ansätzen
gerecht. Da hilft auch Ihr ganzes Geschrei nichts. Ihr GeVizepräsidentin Michaela Noll
schrei bestätigt es, dass Sie erbärmliche Positionen dazu
haben.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Themen und die
Debatten, die anstehen, sind gewaltig. Die begonnenen
Brexit-Verhandlungen, die Überwindung der ökonomischen und sozialen Krise in Teilen Europas, die europäische Migrationspolitik, der Rückzug der USA vom Pariser Klimaabkommen, der Kampf gegen den Terrorismus:
Das alles ist von elementarer Bedeutung für die Zukunft
der EU. Und was tut die Bundesregierung? Sie schweigt,
sie taucht ab, sie ist nicht vorhanden.
Nehmen wir Griechenland. Jeder weiß, dass es einen
Schuldenschnitt für Griechenland braucht, wenn wir die
Leiden der griechischen Bevölkerung und das ökonomische Elend beenden wollen.
({4})
Der IWF, den Sie mit dabei haben wollten, fordert ihn
auch. Und was tun Sie? Sie drücken sich, Sie verweigern
sich. Und warum? Weil die CDU/CSU, weil die Bundesregierung zu feige ist, den Bürgerinnen und Bürgern
vor der Wahl die Wahrheit zu sagen. Damit muss endlich
Schluss sein.
({5})
Nehmen wir den Brexit. Die Bundesregierung sollte
sich für den Zusammenhalt der EU starkmachen, aber
eben nicht nur mit schönen Worten. Wenn Sie den deutschen Beitrag zum EU-Haushalt anteilig um 8 Prozent
erhöhen würden, dann wäre die finanzielle Lücke, die
durch den Brexit entsteht, geschlossen. Aber Ihnen ist
der Zusammenhalt der Europäischen Union noch nicht
einmal 8 Prozent Erhöhung wert.
({6})
Zum Zusammenhalt gehört eben auch finanzielle Solidarität.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, am vergangenen
Freitag ist Altkanzler Helmut Kohl gestorben. Sie alle
wissen: Wir Grünen hatten viel Streit mit Helmut Kohl,
so viel Streit, dass ich mir - das gebe ich ganz offen zu früher nie hätte vorstellen können, einmal Teile seiner
Politik zu loben. Aber in einem entscheidenden Bereich
will ich das heute tun, nämlich Europa. Es war der grüne Außenminister Joschka Fischer, der die Europapolitik
Helmut Kohls fortgesetzt hat, und es ist Helmut Kohls
eigene Partei, die hier sitzt und sein Lebenswerk demontiert. Damit müssen Sie endlich aufhören.
({7})
Statt Kohl’scher Zurückhaltung und Achtung der Interessen der kleineren Länder erleben wir seit Jahren Merkel’sche Ignoranz.
({8})
Was das Einbinden der kleineren Länder angeht, erleben
wir seit Jahren einen Fraktionsvorsitzenden der CDU/
CSU, der triumphierend erklärt, in Europa werde jetzt
wieder Deutsch gesprochen, obwohl in der momentanen Lage die Verhältnisse in der Europäischen Union so
schwierig sind. Hören Sie endlich auf, auftrumpfend aufzutreten. Fangen Sie endlich an, unseren europäischen
Partnerinnen und Partnern auf Augenhöhe zu begegnen.
({9})
Die EU ist in einer Krise. Die Franzosen wählen einen überzeugten Europäer zum Präsidenten. Macron hat
große Visionen und konkrete Ideen für Europa: gemeinsam mehr investieren, um die Jugendarbeitslosigkeit zu
senken, ein europäisches Budget, das diesen Namen auch
verdient, und - um das Ganze zu erreichen - einen europäischen Finanzminister, der es steuert und verwaltet.
Was haben wir von Ihnen, von der Bundesregierung dazu
gehört? Die Kanzlerin blieb mal wieder wolkig, zögernd
und unklar. Jetzt kann man sagen: Das kennt man von
ihr, das ist die Art, wie sie sich ausdrückt. - Aber im Ausland ist das leider mit einigem Recht als Nein verstanden
worden,
({10})
zumal andere Mitglieder der Union in der üblichen peinlichen Art und Weise sofort anfingen, Macron munter zu
kritisieren. Es wurde ihm in den Mund gelegt, dass er für
Euro-Bonds geworben hat. Es gab wieder die schönen
typischen Aussagen, Herr Macron müsse einmal seine
Hausaufgaben machen, als wenn er ein Schuljunge wäre.
So begegnet man seinen Partnerinnen und Partnern auf
europäischer Ebene eben nicht auf Augenhöhe.
({11})
Europa hat durch die Wahl von Macron vielleicht eine
letzte Chance bekommen.
Herr Kollege, achten Sie auf die Zeit.
Macron wirbt vor dem europäischen Gipfel für eine
Allianz des Vertrauens, wie sie Mitterrand und Kohl hatten. Jetzt muss ein europäischer Aufbruch gelingen, um
diesem Kontinent endlich wieder Mut und Zusammenhalt zu geben. Es sind Mut und Vision gefragt und nicht
Ihr weiteres peinliches Draufdreschen auf die europäischen Partnerinnen und Partner. Reißen Sie sich endlich
zusammen. Erinnern Sie sich an Ihr europäisches Erbe,
und sorgen Sie dafür, dass diese Europäische Union zusammenhält.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Hofreiter. - Das Wort
hat nunmehr der Kollege Thorsten Frei für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Hofreiter, ich habe überhaupt nicht verstanden, worüber Sie eigentlich sprechen.
({0})
Ich habe es wirklich nicht verstanden; denn die Themen,
die europapolitisch wichtig sind, diskutieren wir jede
Woche hier im Parlament und in den Ausschüssen.
({1})
Die Positionierungen, die die CDU/CSU-Fraktion vorgenommen hat, sind klar proeuropäisch, weil
({2})
wir glauben, dass wir in Europa gemeinsam bessere Ergebnisse erreichen als alleine.
({3})
Das ist der entscheidende Punkt. Ja, das letzte Jahr
war ein schwieriges Jahr. Wir stehen auch vor Krisen
und Herausforderungen. Sie haben den Brexit angesprochen. Zur Wahrheit gehört dazu, dass es die Bundesregierung durch ihre Arbeit auch ermöglicht hat, dass die
Brexit-Verhandlungen erstens gut angelaufen sind und
dass wir zweitens die Situation 27 : 1 haben, also Geschlossenheit in Europa. Das ist der effektive Beitrag der
Bundesregierung. So zu tun, als würde sich die Union
oder die Regierung in die Büsche schlagen, ist einfach
erbärmlich, um ihre Wortwahl zu wählen, lieber Herr
Kollege Hofreiter.
({4})
Ich glaube umgekehrt: Aufgrund der Geschichte der
Europäischen Union kann man feststellen, dass sie sich
in den Krisen und aus den Krisen heraus entwickelt hat.
Sie hat es üblicherweise geschafft, aus den Krisen besser
herauszukommen, als sie hineingegangen ist. Wenn man
sich die Situation ehrlich anschaut, dann ist es doch ein
Zerrbild, nur von Problemen zu sprechen und die Chancen zu übersehen. Sehen Sie nicht, dass es auch ein positives Momentum gibt? Ich nenne einmal die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Wir haben
Themen, bei denen wir erkennen, dass es einen europäischen Mehrwert gibt.
({5})
Wir haben Themen, bei denen wir erkennen können, dass
es überhaupt keine nationalen Lösungen mehr gibt, sondern dass wir zusammenarbeiten müssen.
({6})
Weil Sie ein ganzes Tableau von Themen aufgetischt
haben, will ich heute nur zu einem sprechen. Es ist ein
Thema, von dem ich glaube, dass wir es nur gemeinsam
angehen können. Das ist die Bewältigung der Migrations- und Fluchtherausforderungen. Ich glaube, wir
brauchen mehr europäische Zusammenarbeit. Wir müssen schauen, wie wir die Dinge hinbekommen; denn sie
laufen derzeit nicht so, wie sie laufen sollen.
Ich will ausdrücklich sagen - ich habe das gestern
auch dem Staatsminister gesagt -: Ich halte es für richtig, dass man vor dem Rat ein Stück weit die Themen
abgrenzt, von denen man weiß, dass man keine schnelle und einvernehmliche Lösung finden wird - wie etwa
den gemeinsamen Verteilmechanismus in Europa -, sie
eher etwas zurückstellt und zunächst die Themen herausgreift, bei denen man tatsächlich Lösungen finden kann.
Denn die Nutzung des Momentums, von dem ich vorhin
gesprochen habe, setzt eben auch voraus, dass wir nicht
einzelne Länder in Europa ausgrenzen, sondern gemeinsam die Herausforderungen der Zukunft angehen und
bewältigen. Ich halte es also für wichtig, hier nicht das
Trennende herauszustellen, sondern, ganz im Gegensatz,
das Gemeinsame.
({7})
Wenn wir die Migrationsherausforderungen bewältigen möchten, dann reicht es nicht, den Blick auf das
Heute und Jetzt zu werfen, auf den Bürgerkrieg in Syrien,
einem relativ kleinen Land mit gut 20 Millionen Einwohnern, oder auf die zweitgrößte Flüchtlingsgruppe, die aus
Afghanistan, einem ebenfalls relativ kleinen Land mit
gut 30 Millionen Einwohnern. Die Herausforderungen
der Zukunft werden auf dem afrikanischen Kontinent liegen. Er hat derzeit 1,2 Milliarden Einwohner, zur Mitte
des Jahrhunderts werden es 2,5 Milliarden, zum Ende des
Jahrhunderts 4 Milliarden sein. Insofern müssen wir uns
darüber im Klaren sein, wie wir diese Herausforderung
bewältigen können.
Wenn wir die Offenheit, denen zu helfen, die unsere Unterstützung wirklich benötigen, erhalten möchten,
dann setzt dies voraus, dass wir unsere Grenzen kontrollieren und sicherstellen, dass diejenigen, die unberechtigt
in Europa sind, tatsächlich in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden;
({8})
es bedeutet, dass wir Fluchtursachen bekämpfen müssen,
dass wir besser werden müssen, als wir es beispielsweise
im Falle der Nigerianer sind. Dazu hat die Europäische
Stabilitätsinitiative aktuelle Zahlen veröffentlicht. Die
Nigerianer bilden eine der größten Gruppen der Flüchtlinge aus Westafrika. Letztes Jahr sind 19 000 Nigerianer
nach Europa gekommen. 520 sind als Flüchtlinge anerkannt worden, 4 200 haben subsidiären Schutz bekommen. Tatsächlich sind von den 14 000, die dann unberechtigt in Europa waren, 120 abgeschoben worden. Das
funktioniert so nicht.
Wir müssen deshalb schauen, dass wir den Außengrenzschutz hinbekommen, wir müssen schauen, dass
wir das gemeinsam und europäisch machen. Wir müssen
aber genauso schauen, dass diejenigen, die nicht bleibeberechtigt sind und keine Bleibeperspektive haben, nach
Möglichkeit gar nicht nach Europa kommen, dass wir
andere Möglichkeiten finden, beispielsweise in Nordafrika, beispielsweise durch eine gemeinsame Anstrengung
an der Grenze zwischen Niger und Libyen. Wir müssen
uns darüber Gedanken machen, wie wir die Probleme an
der Wurzel packen, wenn wir doch konstatieren müssen,
dass wir die Auswirkungen am Ende kaum mehr im Griff
haben.
({9})
Es ist genug zu tun. Ich glaube, die Herausforderungen
sind riesig. Aber gemeinsam werden wir das schaffen.
Herzlichen Dank.
({10})
Herzlichen Dank, Herr Kollege Frei. - Als Nächster
hat der Kollege Alexander Ulrich für die Fraktion Die
Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die EU ist in der tiefsten Krise ihrer Geschichte. Ich
glaube, das kann man nicht mehr verleugnen. Der Brexit
war ein Ausdruck dessen. Wenn auch der neue französische Präsident heute in einem Interview sagt, er verstehe
die Angst, dass Europa zerfällt, ist das ein weiterer Beleg
dafür, in welch schlimmer Situation die EU ist.
Anstatt hier im Parlament eine Debatte darüber zu
führen, mit welcher Position die Bundesregierung in den
nächsten Rat geht, verweigert sich die Bundesregierung
Angela Merkel dieser Diskussion.
({0})
Deshalb ist die Aktuelle Stunde dringend notwendig.
({1})
Es ist schon ein symbolhaftes Zeichen, dass die Bundeskanzlerin sehr wohl vorgestern beim BDI über Europa
geredet hat, aber es hier im Bundestag zwei Tage später
nicht tun will.
({2})
Deutlicher kann man nicht zeigen, dass sich die Bundeskanzlerin als Lobbyistin der Wirtschaft und Industrie
versteht, wenn sie nicht hier dem Parlament Rede und
Antwort stehen will.
({3})
Warum will man es wohl nicht? Man müsste dann hier
vielleicht mal vor der Bundestagswahl die Tatsachen auf
den Tisch legen, zum Beispiel hinsichtlich der Griechenland-Rettung. Was haben Sie denn vor zwei Jahren beschlossen? Sie haben doch beschlossen: Ohne IWF-Beteiligung gibt es nichts. - Und was ist jetzt? Man kann es
doch fast nicht mehr verheimlichen, dass der IWF ausgestiegen ist und sich nicht mehr beteiligt.
({4})
Anstatt zu sagen: „Jawohl, wir haben den Bundestagsbeschluss gebrochen, der IWF macht nicht mehr mit“,
macht man vor der Bundestagswahl gar nichts.
({5})
Die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes werden sehen, dass man nach der Bundestagswahl sehr schnell sagen muss: Der IWF ist nicht mehr dabei. - Wir sagen
ganz deutlich: Sie wollen der deutschen Bevölkerung
nicht die Wahrheit sagen.
({6})
Wir, die Bundestagsfraktion Die Linke, haben immer
gesagt, dass die Griechenland-Rettung ein fatales Signal
ist. Die sogenannte Griechenland-Rettung war ja keine
Rettung der Griechen, sondern eine Rettung des Geldes
der Finanzwirtschaft, auch deutscher und französischer
Banken. Die griechische Bevölkerung hat von diesem
Milliardenregen nichts bekommen. Vielmehr folgte ein
Sozialabbau auf den nächsten, und dort, wo noch etwas
zu verdienen war, hat man die Griechen gezwungen, zu
privatisieren, zum Beispiel auch Flughäfen, Stichwort:
Fraport. Diese Griechenland-Rettung ist gescheitert, und
das müssen Sie auch so benennen. Es braucht unbedingt
einen Schuldenschnitt. Wir brauchen eine Schuldenkonferenz in Europa, um diese Probleme politisch zu lösen.
Wir als Linke fordern Sie auf, dafür europäisch zu werben.
({7})
Zur Frankreich-Wahl. Interessant ist ja, dass die
Kanzlerin und der SPD-Kanzlerkandidat sich fast schon
drängeln, wenn es darum geht: Wer ist der Partner von
Macron? Ich möchte daran erinnern: Ihre Partnerparteien
haben bei der französischen Wahl drastische Niederlagen
eingefahren. Macron gehört weder den Sozialdemokraten noch der Union. Ihre Partnerparteien sind grandios
abgewählt worden.
({8})
Wenn jetzt aus Ihren beiden Parteien der Hinweis kommt,
Macron sollte jetzt mal schnell reformieren, dann sagen
wir als Linke ganz deutlich: Frankreich braucht alles,
aber keine französische Agenda 2010.
({9})
Ein französischer Präsident, der gerade einmal 20 Prozent tatsächliche Zustimmung in der eigenen Bevölkerung hat, sollte sich gut überlegen, was er macht. Wir
als Linke sind eindeutig auf der Seite der französischen
Gewerkschaften und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die deutlich machen: Dann sehen wir uns auf
der Straße wieder. - Widerstand ist angesagt gegen eine
Agenda 2010 in Frankreich.
({10})
Dass die Sozialdemokratie diese Politik auch noch gut
findet, ist nicht nachzuvollziehen. Eigentlich sollte sich
die Sozialdemokratie an der Frage orientieren: Warum
hat Corbyn in England so gut abgeschnitten? Corbyn hat
mit einem progressiven linken Programm 40 Prozent erzielt; davon können Sie mit Ihrer Agenda-2010-Politik in
Deutschland nur träumen.
Wie Sie zu Corbyn und seinen Inhalten stehen, das
kann man heute noch auf der Internetseite der SPD-Bundestagsfraktion nachlesen.
({11})
In einem Interview mit der Welt wird Herr Oppermann
gefragt, wie er zu Corbyn, zur EU, zur Innenpolitik in
Großbritannien und zu Labour steht. Thomas Oppermann
sagt - ich zitiere -:
Jeremy Corbyn hat die einst bedeutende Labour
Party kampfunfähig gemacht. … Nach dem Brexit
ist die Partei zerrissen. Corbyn lehnt ein Plädoyer
für Europa ab. Labour ist deshalb völlig orientierungslos und wird bei der Wahl voraussichtlich eine
katastrophale Niederlage erleiden. Corbyn ist ein
Alt-Linker, der ähnlich wie Wagenknecht Europa
als eine Festung des Kapitalismus betrachtet. Er
ist deshalb unfähig, die positiven Werte Europas Frieden, Demokratie, Wohlstand, Reisefreiheit angemessen zu würdigen. Ich kenne viele wirklich
gute Akteure bei Labour. Aber wenn ich mir Labour
heute ansehe, leide ich wie ein Hund.
Wenn ein SPD-Fraktionsvorsitzender bei 40 Prozent für
Labour leidet wie ein Hund, dann ist klar, für welche Politik die SPD steht.
({12})
Sie sollten sich an Corbyn ein Beispiel nehmen und Ihre
unsoziale Politik beenden.
({13})
Wir in Europa brauchen dringend mehr Investitionen.
Deutschland ist nicht Lösung des Problems, sondern Teil
des Problems. Die riesigen Außenhandelsüberschüsse
sind ein riesiges Problem für die Euro-Zone. Das sagt der
neue französische Präsident, nicht nur Trump und andere.
Deswegen müssen die riesigen Außenhandelsüberschüsse endlich abgebaut werden.
Vielen Dank.
({14})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Als Nächste hat das Wort
die Kollegin Angelika Glöckner für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich begrüße es, dass wir heute hier über Europa reden und wir uns mit diesem aus meiner Sicht so
wichtigen Thema befassen. Wir alle wissen: Noch immer
ist in der EU vieles nicht so, wie wir es uns wünschen.
Ich danke an dieser Stelle Staatsminister Roth, der uns
gestern im Europaausschuss über die Themen, die heute im Europäischen Rat anstehen, informiert hat. Vielen
Dank für die umfassenden und wie immer kompetenten
Informationen.
Ich teile die Auffassung einiger meiner Vorredner und
drücke mein Bedauern darüber aus, dass die Bundeskanzlerin heute nicht hier spricht, um uns ihre Positionen zu verdeutlichen. Ich glaube, das wäre ein wertvoller
Beitrag gewesen, um der oft bemängelten Intransparenz
europäischer Politik ein Stück entgegenzuwirken.
({0})
Europa ist und bleibt ein wichtiges Gebilde; denn
nirgendwo auf der Welt - das möchte ich auch betonen,
Herr Ulrich - leben Menschen so frei, so friedlich und so
demokratisch wie in dieser EU.
({1})
In einer Zeit, in der andere Regionen in der Welt wachsen
und immer mehr an Bedeutung gewinnen, wie etwa in
Asien oder Lateinamerika, ist es wichtig, auch künftig
gehört zu werden. Die Menschen hier in Europa müssen
deswegen künftig geschlossen mit einer starken Stimme
sprechen. Dies wird nur dann gelingen, wenn die EU zusammenhält und sich die Mitgliedstaaten nicht auseinanderdividieren lassen.
Wir wissen aber: Die Wirtschafts- und Finanzkrise, die
europäische Uneinigkeit während der Flüchtlingswelle
und zuletzt der Brexit haben das Vertrauen der Menschen
in die EU erschüttert und gefährden den Zusammenhalt
der EU. In vielen Gesprächen erzählen mir die Menschen
immer wieder, dass sie in erster Linie von der EU erwarten, dass es ihnen wirtschaftlich gut geht und dass sie
hinreichend sozial abgesichert sind. Dafür braucht es auf
jeden Fall eine gute nationale Sozialpolitik der einzelnen
Mitgliedsländer in der EU.
Wir von der SPD-Fraktion, Herr Ulrich, haben in der
laufenden Periode vieles auf den Weg gebracht. Ich würde mir wünschen, dass Sie das einfach einmal realisieren.
({2})
Wir haben beispielsweise den Unterhalt für Alleinerziehende auf den Weg gebracht. Wir haben geholfen,
finanzschwache Kommunen zu stärken. Wir haben die
Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes auf den Weg
gebracht und damit gerade für die unteren Lohnbereiche
das Lohnniveau erheblich angehoben.
({3})
Erkennen Sie das an, und blenden Sie diese Wirklichkeit
nicht immer aus! Diese Errungenschaften wollen wir
auch nach der Bundestagswahl ausbauen, verfestigen
und verbessern.
({4})
Wir wissen aber auch - das dürfen wir nicht ausblenden -: Leider sieht die Realität in anderen Staaten der
EU anders aus. Auch wenn sich Europa insgesamt gesehen langsam erholt, gibt es nach wie vor erhebliche
Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedsländern.
Anstatt dafür zu sorgen, dass sich soziale Standards für
die Menschen spürbar verbessern, werden vor allem in
den ärmeren Mitgliedstaaten weitere Einschnitte vorgenommen. Desolate Haushalte sollen durch konsequente
Sparvorgaben im Rahmen des Fiskalpakts aufgebessert
werden. Das führt zu weiteren sozialen und finanziellen
Einschnitten bei den Menschen. Aber genau das wiederum - das wissen wir auch - bremst den Konsum und verhindert, dass die Konjunktur anspringt. Dies zeigt einmal
mehr: Das Spargebot alleine führt in eine Wachstumsfalle. Ohne eine verstärkte unterstützende und solidarische
Rolle Europas werden die gebeutelten Mitgliedstaaten da
nicht mehr herauskommen. Deswegen muss ganz oben
auf unserer europäischen Agenda mit Blick auf die Zukunft eine sozialere Europapolitik stehen.
Vor allem muss ganz oben auf der Agenda die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit stehen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist nach wie vor mit 40 Prozent in
einigen EU-Ländern erschreckend hoch. Die Jugendgarantie, die hilft, junge Menschen in den Arbeitsmarkt zu
integrieren, muss weiterhin finanziert werden und, wenn
nötig, nachgebessert werden. Vor allem aber muss die
Bildung in staatlicher Hand bleiben. Übertriebene Sparanforderungen anderer europäischer Mitgliedstaaten dürfen nicht dazu führen, dass Bildung vom Geldbeutel der
Eltern abhängig wird. Bildung in der EU muss für alle
zugänglich sein und zugänglich bleiben.
Die Regelungen zur Entsendung von Arbeitnehmern
müssen überarbeitet werden. Die Zahl der entsandten Arbeitnehmer steigt stetig an. Dabei kommt es besonders
in einigen Branchen zu gravierenden Problemen bei der
Einhaltung von Lohn- und Arbeitsstandards. Freizügigkeit darf eben nicht zur Ausbeutung und zu schlechten
Arbeitsbedingungen führen und darf erst recht nicht dazu
genutzt werden, um Sozialdumping zu betreiben. Sozialdumping, liebe Anwesende, ist ein Spaltpilz, deshalb
muss es unterbunden werden. Es bedarf der Umsetzung
des Prinzips: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort.
Was wir aber insgesamt gesehen auf den Weg bringen
müssen, ist, dass wir Anreize schaffen für weitere Investitionen vor allem in arbeitsplatzschaffende Infrastrukturprojekte. Es muss gelingen, dass wieder mehr Menschen
vor allem auch in den wirtschaftlich schwächeren Ländern Europas erwerbstätig werden, dass sie mehr Geld in
der Tasche haben, damit konsumieren können, sodass so
die Konjunktur endlich wieder anspringen kann.
Frau Kollegin.
Wir müssen auch - meine letzte Bemerkung - dafür
sorgen, dass wir insgesamt höhere soziale Standards
haben. Wir müssen wichtige Standortvorteile hier in
Europa schaffen, und deswegen bin ich Andrea Nahles
sehr dankbar dafür, dass sie versucht, eine europäische
Grundsicherung voranzubringen. Ich kann nur sagen:
Das war ein schöner Schlusssatz.
Ich bin sofort fertig. - Der Proeuropäer Macron hat
eine neue Chance erhalten. Diese gilt es zu nutzen, und
ich wünsche mir für Europa, dass wir vieles auf den
Weg bringen werden. Die SPD hat viele gute Vorschläge
gemacht. Wir werden sie am Wochenende bei unserem
Bundesparteitag vertiefen und werden weiterhin Verantwortung für ein sozialeres Europa übernehmen.
Vielen Dank.
({0})
Als Nächster hat das Wort der Kollege Carsten Körber
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Morgen ist es genau ein Jahr her, dass
die Briten für den Brexit gestimmt haben. Mit dem Nein
zu Europa kehrt Großbritannien einem Staatenbündnis
den Rücken, das das erfolgreichste und das friedlichste
der Geschichte ist. Mit der Entscheidung zum Brexit hat
Großbritannien nach meiner festen Überzeugung den falschen Weg eingeschlagen.
Wenn Sie mich Anfang des Jahres gefragt hätten, wie
es wohl 2017 mit der EU weitergeht, dann wäre ich mir
der Antwort nicht so sicher gewesen. Doch dann kamen
Trump, Erdogan und Putin,
({0})
und man hat festgestellt, dass die Idee eines gemeinsamen Europas vielleicht doch nicht so schlecht ist. Ich bin
sehr dankbar, dass auch die Franzosen sich zum richtigen
Zeitpunkt daran erinnert haben.
Die Idee der europäischen Einigung ist so aktuell und
so wichtig wie nie zuvor. Auch deshalb stimmt es mich
zuversichtlich, dass die Zustimmung der Menschen zu
Europa in jüngster Zeit spürbar gestiegen ist. Gestiegen
ist auch die Einsicht in die Notwendigkeit einer engen
und guten Zusammenarbeit der europäischen Staaten.
Gute Politik braucht gute Argumente, einen klaren Kopf
und Besonnenheit, und genau das zeigt, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Europapolitik unserer
Bundesregierung.
Aber was heißt das konkret? Schauen wir einmal nach
Portugal. Die portugiesische Regierung will einen Teil
ihrer IWF-Kredite vorzeitig zurückzahlen.
({1})
Das Land kann sie zurückzahlen, weil es eben die notwendigen Reformen erfolgreich umgesetzt hat, und so
kann Portugal heute auf dem Kapitalmarkt günstigere
Kredite als beim IWF bekommen und somit Hunderte
Millionen Euro sparen.
Auch Griechenland hat nun endlich diesen erfolgreichen Reformkurs eingeschlagen. Es hat seine Hausaufgaben gemacht und sich im letzten Jahr deutlich besser
entwickelt als zuvor noch prognostiziert. Allein von den
140 vereinbarten wirtschaftspolitischen Maßnahmen hat
Griechenland 136 umgesetzt, und die restlichen vier folgen demnächst. Damit sind nun die Vorbedingungen erfüllt, um im Rahmen des ESM-Anpassungsprogramms
die Tranche von 8,5 Milliarden Euro auszuzahlen.
Das dritte Griechenland-Hilfspaket hat ein Gesamtvolumen von 86 Milliarden Euro. Davon sind dann gut
40 Milliarden Euro ausgezahlt; das heißt inklusive der
8,5 Milliarden Euro. Das sind circa 47 Prozent des Gesamtvolumens.
Wir befinden uns aktuell im zweiten von drei Programmjahren. Es ist derzeit nicht zu erwarten, dass zum
Ende der Programmlaufzeit diese 86 Milliarden Euro
vollständig ausgeschöpft werden.
({2})
Diese Gesamtsumme von 86 Milliarden Euro ist aber
bei der Berechnung der Schuldentragfähigkeit Griechenlands in vollem Umfang berücksichtigt. Das bedeutet:
Wenn diese 86 Milliarden Euro eben nicht ausgeschöpft
werden, dann verbessert sich auch die Schuldentragfähigkeit Griechenlands, und das bedeutet wiederum, dass
Griechenland die Chance hat, schneller wieder auf die
Beine zu kommen, als von uns angenommen. Jetzt ist es
an uns, unseren Teil zu tun und zu zeigen, dass wir eben
in Europa der zuverlässige Partner sind.
Europa ist unsere Zukunft. Europa ist unser Schicksal.
Ohne diese feste Überzeugung unseres jüngst verstorbenen Altkanzlers Helmut Kohl würde ich als in der DDR
Geborener heute nicht in diesem Hohen Hause unseres
wiedervereinigten Vaterlandes sprechen können.
({3})
Die deutsche Einheit und die europäische Einigung waren für Kohl immer zwei Seiten derselben Medaille. Die
Worte Kohls sind für mich Mahnung und Auftrag zugleich. Nehmen wir sie als Auftrag und Richtschnur unseres Handelns! Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, sein Werk, die Einheit unseres Vaterlandes, aber vor
allem die Einheit Europas, voranzutreiben und weiter zu
vertiefen, und zwar in seinem Sinne: in Frieden, Freiheit
und Wohlstand.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege Körber. - Als Nächstes
spricht für die Fraktion Die Linke Andrej Hunko.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese
Aktuelle Stunde zur Europapolitik der Bundesregierung
ist notwendig geworden, weil die Kanzlerin sich weigert,
hier vor Beginn des Europäischen Rats zu reden
({0})
- so ist es -, um zu verdecken, dass der IWF bei der Vereinbarung mit Griechenland nicht, wie versprochen, mit
an Bord geholt wurde,
({1})
weil der IWF einen Schuldenschnitt fordert. Den gibt es
nicht. Dieser Schuldenschnitt ist aber notwendig.
({2})
Auch diese Debatte ist notwendig, und es ist ein Skandal,
dass die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung hier
nicht angemessen vertreten sind.
({3})
Wir haben viele ganz wichtige Themen zu besprechen.
Ein ganz wichtiges Thema ist gerade schon von Herrn
Körber angesprochen worden: der Brexit. Wir müssen
darüber reden, wie die Brexit-Verhandlungen laufen und
was der Brexit für die Menschen in Großbritannien und
in Europa bedeutet, die hier bzw. dort leben. Herr Körber,
ich will Ihnen sagen: Großbritannien bleibt Teil Europas.
Diese Insel wird nicht verschwinden, sie wird europäisch
bleiben.
Wir brauchen Verhandlungen, die am Ende zu einem
guten Ergebnis für die Menschen in Großbritannien und
in der EU führen. Dazu gehören auch Regelungen für die
3 Millionen EU-Ausländer in Großbritannien und für die
Briten, die in der EU leben. Ich sage ganz deutlich: Wenn
man mit Drohszenarien arbeitet, wie das im Augenblick
auf beiden Seiten der Fall ist, wird es nicht oder nur sehr
schwer möglich sein, diese Regelungen zu vereinbaren;
denn dann wird das für beide Seiten zum Verhandlungsgegenstand. Auf britischer Seite findet das bereits statt:
Die 3 Millionen EU-Ausländer in Großbritannien werden drangsaliert, bekommen 86-seitige Vorlagen zum
Bleiberecht usw. Das darf nicht sein.
({4})
Wir brauchen faire Verhandlungen. Wir brauchen keine
Drohszenarien. Wir brauchen vor allen Dingen Regelungen für die Menschen hier und dort.
Die Situation in Großbritannien ist nach der Wahl sehr
offen. Es gibt keine feste, klare Regierung. Theresa May
hat die Wahlen verloren, sie hat keine Mehrheit mehr. Sie
versucht jetzt, die sehr fragwürdige nordirische DUP in
die Regierung einzubinden. Wir wissen nicht, wie sich
die Situation in Großbritannien entwickeln wird. Nach
den Wahlen liegt Labour in allen Umfragen vorne. Herr
Ulrich hat eben schon darauf hingewiesen, dass es ein
Phänomen ist, dass die Sozialdemokraten in Großbritannien - also Labour - unter einem linken Vorsitzenden so
stark sind wie nirgendwo sonst in Europa. Herzlichen
Glückwunsch an Jeremy Corbyn zu diesem Ergebnis.
({5})
Die Situation in Großbritannien ist sehr fragil. Wir
brauchen hier keine Drohszenarien und keinen Zeitdruck, sondern faire Verhandlungen über den Brexit, in
denen auch der künftige Status verhandelt wird. Alles
andere fände ich abenteuerlich.
Lassen Sie mich zu den Reaktionen auf den Brexit
und die Trump-Wahl noch ein paar Worte sagen. Es wird
viel darüber geredet, dass man die EU jetzt durch eine
stärkere Militarisierung zusammenhalten müsse. Ein
EU-Hauptquartier wird eingerichtet, in den europäischen
Staaten soll aufgerüstet werden, EU-Entwicklungsgelder
sollen in Gelder zur militärischen Unterstützung umgewidmet werden, zum Beispiel in Afrika.
Wir halten das alles für völlig falsch.
({6})
Das ist nicht der Weg, wie man die EU zusammenhalten
kann.
Was wir brauchen, ist mehr Kooperation. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, das zeigt, wo die Kooperation
fehlt. Ich komme aus Aachen. 50 Kilometer westlich
von Aachen, in Tihange, haben wir einen Schrottreaktor,
ein marodes Atomkraftwerk, und es gibt keine europäischen Instrumente, um damit umzugehen. 30 Kilometer
nordöstlich haben wir den Klimakiller Nummer eins,
einen riesigen Braunkohleabbau von RWE. 50, 60 Kilometer nordwestlich, in den Niederlanden, gibt es hochmoderne Gaskraftwerke, die stillgelegt worden sind, und
das, obwohl Gas noch am ehesten eine Brückentechnologie wäre. Hier gibt es überhaupt keine transnationale Kooperation. Aber hier würde ich sie zum Beispiel für sinnvoll halten. Leider ist die Politik der Bundesregierung
nicht darauf ausgerichtet. Wir brauchen eine europäische
Kooperation - keine Frage -, aber kein militarisiertes Europa als Block gegenüber anderen Regionen in der Welt.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Jetzt hat Carsten
Schneider für die SPD-Fraktion das Wort. Ich bin sehr
zuversichtlich, dass der erfahrene Kollege von der
SPD-Fraktion weiß, dass jeder Redner in einer Aktuellen
Stunde fünf Minuten hat.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin, für den Hinweis; ich
habe das im Blick.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte
über die Europapolitik zeigt durchaus auch Unterschiede
zwischen den Parteien. Zwar geht es im Titel der von der
Fraktion Die Grünen beantragten Aktuellen Stunde um
die Haltung der Bundesregierung. Ich spreche aber für
die SPD-Fraktion und will sagen: Es gibt angesichts der
Herausforderungen, die wir in Europa haben, keine wichtigere Hausaufgabe für die nächste Bundesregierung und
den nächsten Bundestag, als Europa zusammenzuhalten,
es fortschrittlich zu gestalten und es demokratisch und
wirtschaftlich stärker zu machen; das ist gar keine Frage.
({0})
Wir hätten hier und heute auch leicht eine andere Debatte führen können, nämlich dann, wenn die Wahlen in
Österreich, in den Niederlanden und in Frankreich anders ausgegangen wären. In allen drei Ländern wurde
uns prophezeit bzw. bestand die Möglichkeit, dass sehr
rechte und sogar rechtsextremistische Parteien die Mehrheit bekommen oder sogar den Präsidenten stellen. All
das ist an uns vorbeigegangen, aber es war möglich. Das
hätte unsere nationale Politik natürlich in enormem Maße
beeinflusst. Das heißt, Europapolitik ist im Kern Bundestagspolitik, und Bundestagspolitik ist auch das, was wir
in Europa tun.
Ich finde, wir sollten das, was der Kollege Hofreiter
angesprochen hat, sehr ernst nehmen und nicht immer
mit dem Finger auf andere Parlamente und Nationen zeigen. Das sage ich sowohl mit Blick auf die CDU/CSU als
auch mit Blick auf die Linken. Ich fange mit den Linken
an.
Herr Ulrich - ich sehe ihn gerade nicht - hat darauf
hingewiesen, was der Präsident in Frankreich angekündigt hat - die Arbeitsmarktreform etc. -, und gesagt, wie
furchtbar das alles sei und dass er das auf gar keinen Fall
umsetzen dürfe. Ich denke, wir können sehr froh sein,
dass Herr Macron Präsident geworden ist. Als er gewählt
wurde, fiel, glaube ich, uns allen ein Stein vom Herzen,
dass es nicht Marine Le Pen geworden ist. Sie hätte nämlich Frankreich aus der EU geführt.
({1})
Die erste Reaktion namhafter Kollegen vonseiten der
Union war, darauf hinzuweisen, was alles nicht geht, dass
er Euro-Bonds wolle etc. Das alles ist Blödsinn. Das hat
Herr Macron nie gefordert. Im Gegenteil: Im Jahre 2015
hat er in einem Aufsatz mit dem damaligen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sehr deutlich gemacht, dass wir
eine reformierte Europäische Union bzw. Euro-Zone
brauchen, insbesondere im Bereich der Wirtschaftspolitik und der Finanzpolitik, eine gemeinsame Verschuldung aber nicht sinnvoll sei. Das ist nicht das Thema.
Ich finde, das Willkommenssignal, das da vonseiten der
Union gekommen ist, war absolut nicht in Ordnung. Es
entsprach eher dem, was der Kollege Hofreiter - ich will
ihn jetzt nicht zitieren - hier deutlich gemacht hat.
({2})
Zu den Vorwürfen der Linkspartei will ich sagen: Herr
Macron hat vor der Wahl sehr klar gesagt, was er tun will,
und er hat ein sehr, sehr eindeutiges Mandat bekommen.
Man könnte fast meinen, er hat sogar ein zu starkes Mandat, wenn man sich die Sitzverteilung in der Nationalversammlung ansieht. Aber das ist eine urfranzösische
Angelegenheit. Die Franzosen haben gewählt, wir haben
das zu respektieren, und sie werden ihre Probleme lösen.
Was wir tun können, ist, dass wir unseren gemeinsamen
Wirtschafts- und Währungsraum - das ist der Punkt - für
die Zukunft stärken.
Als meine Kollegin Glöckner vorhin den Mindestlohn
angesprochen hat, kam der Zuruf: Was hat das mit Europa zu tun? Ich sage Ihnen: sehr viel. Der Leistungsbilanzüberschuss, den wir in Deutschland haben - der Kollege
von der Linkspartei hat ihn bereits angesprochen -, ist
nämlich in der Tat ein Problem. Es wäre kein Problem,
wenn er einmal auftauchen würde; aber er taucht jetzt
das x-te Mal in Folge auf. Wir haben gegenwärtig einen
Überschuss von 9 Prozent. Es kommt also dazu, dass innerhalb der EU - aber auch weltweit - Schulden aufgebaut werden, während wir Überschüsse haben.
({3})
Wir brauchen eine Abstimmung der Wirtschaftspolitik in den nationalen Parlamenten der einzelnen Länder.
Die Franzosen erwarten, dass die Strukturreformen, die
sie im Inneren machen, mit Investitionen in Deutschland
gepaart werden. Ich glaube, das ist die richtige Antwort.
Sowohl die öffentliche Hand als auch die privaten Unternehmen müssen ermuntert werden, mehr in den Bereich „Forschung und Entwicklung“ zu investieren. Daneben müssen wir die Binnennachfrage stärken, indem
es höhere Löhne gibt und indem wir - das haben wir
Sozialdemokraten vorgeschlagen - die Steuern senken
und den Solidaritätszuschlag halbieren, und zwar nicht
bröck chenweise, sondern in einem Schritt. Das würde die
Kaufkraft sofort stärken.
({4})
Wir dürfen die einmalige Chance nicht verspielen,
das, was viele Staatsmänner in Deutschland, Frankreich
und ganz Europa aufgebaut haben - auch Helmut Kohl;
das sage ich hier ganz ausdrücklich -, weiterzuentwickeln. Dafür sind die nächsten fünf Jahre entscheidend.
Ich finde, die Bevölkerung hat das Recht, zu erfahren,
was welche Partei will. Ich warte noch auf die Vorschläge
der Union, weil ich von ihr heute noch nichts Konkretes
gehört habe.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege. Meine Einschätzung war
richtig. - Als Nächster hat Sven-Christian Kindler für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Nächste Woche soll der Haushaltsausschuss
eine Tranchenzahlung an Griechenland freigeben. Wir
Grüne begrüßen das, wir halten das für notwendig, weil
wir im Gegensatz zur Bundesregierung hier im Bundestag immer deutlich gemacht haben, dass Griechenland im
Euro bleiben soll.
({0})
Die Unionsfraktion hat aber ein großes Problem damit. Wolfgang Schäuble hat ihr hoch und heilig versprochen, dass sich der IWF am dritten Programm beteiligen
wird. Gleichzeitig hat er alles dafür getan, dass sich der
IWF jetzt de facto nicht beteiligen wird. Der IWF hat immer klargemacht, dass es ohne Schuldenerleichterungen
keine finanzielle Beteiligung des IWFs gibt; trotzdem
hat Wolfgang Schäuble alle Schuldenerleichterungen
blockiert. Wir sagen: Das war ein großer Fehler. Griechenland braucht Klarheit in Bezug auf Schuldenerleichterungen.
({1})
Jetzt soll sich der IWF alibimäßig an der Seitenlinie beteiligen. Sie in der Union wissen aber selbst, dass das
nicht das ist, was Sie wollten. Liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Union, an Ihrer Stelle wäre ich jetzt
ganz schön angefressen, weil Ihr Finanzminister Sie bei
dem Thema „IWF und Griechenland“ so hinter die Fichte
geführt hat.
({2}) - Gunther Krichbaum [CDU/CSU]:
Das ist doch Blödsinn!)
Carsten Schneider ({3})
- So ist es doch! Der IWF wird sich de facto nicht beteiligen.
({4})
Dabei hat sich die griechische Regierung an die Absprachen gehalten. Sie hat zum Teil schmerzhafte Reformen durchgeführt. Trotzdem gibt es keine Klarheit in
Bezug auf Schuldenerleichterungen. Warum ist das so?
Das ist so, weil Wolfgang Schäuble jetzt Wahlkampf in
Deutschland macht.
({5})
Diese Schuldenerleichterungen wären extrem notwendig
gewesen für Investoren und für die wirtschaftliche Stabilität in Griechenland, damit die Unsicherheit nicht weiter
steigt. Trotzdem macht Wolfgang Schäuble Wahlkampf
in Deutschland. Er will den Bürgerinnen und Bürgern
vor der Wahl nicht die Wahrheit erzählen. Das ist nicht
nur ein unehrlicher Wahlkampf in Deutschland, sondern
auch ein Wahlkampf auf dem Rücken Griechenlands und
Europas. Ich finde das schäbig und unehrlich.
({6})
Seit fast einem Jahrzehnt ist Europa in einer Wirtschaftsund Finanzkrise und vor allen Dingen in Nord und Süd
gespalten, mit hoher Jugendarbeitslosigkeit und Arbeitslosigkeit und vor allem auch großer Armut im Süden
Europas. Natürlich gibt es auch hausgemachte Probleme innerhalb Europas, in den einzelnen Mitgliedstaaten,
zum Beispiel die schlechte Justiz- und Steuerverwaltung
in Griechenland; wir haben auch gesehen, dass es in
Spanien und in Irland große Probleme im Banken- und
Immobiliensektor gab. Trotzdem muss man feststellen,
dass Angela Merkel und Wolfgang Schäuble seit 2010,
seit Beginn der sogenannten Euro-Krise, den ökonomischen Kurs in Europa maßgeblich mitbestimmt haben.
Dieser harte Sparkurs hat Europa nachweislich nicht aus
der Krise geführt, sondern - im Gegenteil - Europa gespalten und die Krise verschärft. Deswegen muss dieser
Kurs endlich beendet werden.
({7})
Die Bundesregierung kontert auf dieses Argument ja
gern, andere Länder hätten sich nicht an die Regeln gehalten. Nur verschweigen Wolfgang Schäuble und diese
Bundesregierung, dass sie sich selbst nicht an die europäischen Regeln halten. Carsten Schneider hat es gesagt:
Seit vielen Jahren hat Deutschland einen extrem hohen
Leistungsbilanzüberschuss; er ist größer als in allen anderen Ländern der Welt.
({8})
Das verstößt gegen europäische Vereinbarungen und
Regelungen, weil unserer Leistungsbilanz in anderen
Ländern Defizite gegenüberstehen und das zu einem
massiven Ungleichgewicht in Europa führt. Ich finde, es
verbittet sich für Wolfgang Schäuble und diese Bundesregierung, andere Länder in Europa wie ein Schulmeister
zu belehren. Man sollte sich als Unionsfraktion und als
Bundesregierung an die eigene Nase fassen und etwas
mehr Demut und Zurückhaltung üben.
({9})
Sie wissen es selber: Überschüsse wie Defizite gefährden Europa in seinem Kern; denn ohne eine gemeinsame
Finanzpolitik, ohne eine gemeinsame Wirtschaftspolitik
und ohne gemeinsame Sozialstandards wird keine Währungsunion auf Dauer überleben können und der Euro
früher oder später gegen die Wand fahren. Deswegen
brauchen wir eine Weiterentwicklung Europas: einen
stärkeren EU-Haushalt, sozial-ökologische Investitionen und eine Steuerbetrugsbekämpfung. Wir wollen eine
europäische Arbeitslosenversicherung, weil wir ein soziales Europa wollen. All diese Punkte könnte man aufgreifen und umsetzen. Das hieße, den Ball von Macron
aufzunehmen. Was machen Sie? Sie blockieren und sagen Nein. Sie wiegeln ab. Ich finde, das ist keine verantwortliche Haltung gegenüber Europa, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
({10})
Wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass diese Bundesregierung vor allen Dingen auf nationale Interessen
setzt. Doch ich sage Ihnen klar: Germany first kann nicht
die Leitlinie der deutschen Europapolitik sein. Es wird
Zeit, dass ab Herbst eine deutsche Bundesregierung wieder auf Augenhöhe mit ihren europäischen Partnern verhandelt, europäische Interessen in den Vordergrund stellt
und für ein solidarisches Europa und ein europäisches
Deutschland eintritt.
Vielen Dank.
({11})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Nun hat der Kollege
Matern von Marschall für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin, herzlichen Dank. - Damit
es einmal gesagt ist: Die Bundeskanzlerin trifft sich zu
dieser Stunde mit ihren Kollegen beim Europäischen
Rat. Deswegen kann sie nicht hier sein. - So weit zur
Kritik aus dem linken Spektrum des Parlaments.
({0})
Ich finde es bemerkenswert, Herr Kollege Hofreiter,
Herr Kollege Hunko, dass Sie den Mut haben - was die
Grünen angeht, gerade angesichts sinkender Umfragewerte -, transparent zu machen, was Ihr Wahlprogramm
ist, nämlich zulasten Deutschlands an andere europäische
Länder Geld zu zahlen.
({1})
Das verbirgt sich nämlich hinter dem Begriff „Schuldenschnitt“. Es ist sehr bemerkenswert, dass Sie das so deutlich in Ihren Wahlkreisen sagen.
({2})
Ich bin sicher: Das wird die Umfragewerte noch weiter
nach unten treiben. Sagen Sie das nur deutlich genug.
({3})
Ich komme zur europäischen Arbeitslosenversicherung, einem Lieblingsthema auch von Teilen der SPD. Erklären Sie bitte einfachen Arbeitern in Ihrem Wahlkreis,
dass sie anderen Ländern in Europa, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben und nicht wettbewerbsfähig
sind, zusätzlich die Arbeitslosenversicherung bezahlen
sollen. Ich bin ziemlich sicher, dass das ein willkommener Grund ist, die Umfragewerte Ihrer Parteien weiter
nach unten zu drücken.
({4})
Also bitte: Kommunizieren Sie auch das!
({5})
Herr Schneider, Sie haben völlig richtig gesagt, Herr
Macron habe nie die Einführung von Euro-Bonds gefordert. Die Einführung von Euro-Bonds hat Herr Schulz
gefordert. Das sei in Erinnerung behalten!
({6})
Frau Kollegin Glöckner von der SPD, wenn Sie sagen,
das Spargebot führe in die Wachstumsfalle, dann erklären
Sie bitte den Wählerinnen und Wählern, was Sie damit
meinen, im Zweifelsfalle wohl eine Vergemeinschaftung
der Schulden, ebenfalls zulasten Deutschlands. Erklären
Sie bitte auch das Ihren Wählerinnen und Wählern, und
schauen Sie danach bitte erneut auf Ihre Umfragewerte.
({7})
Und jetzt kommen wir zu Helmut Kohl, dem wir heute
Morgen in diesem Hause in großer Würde gedacht haben.
({8})
Herr Kollege Körber, ich finde es sehr bemerkenswert,
dass Sie dankbar an Helmut Kohl erinnert haben.
({9})
Besonders unschön dagegen fand ich den Zwischenton
der schwäbischen Kollegin Hänsel, die das mit einer gewissen Despektierlichkeit kommentiert hat. Das möchte
ich, auch wenn es nicht in Worte zu fassen ist, hier in
Erinnerung rufen. Das war mehr als peinlich. Sie ist aber
nicht mehr anwesend, um diese Anmerkung entgegenzunehmen.
Die Welt hat sich, seit Helmut Kohl uns das Geschenk
gemacht hat, die deutsche Wiedervereinigung untrennbar
mit der europäischen Einheit zu verknüpfen, rasant verändert. Wir müssen die Herausforderungen der Gegenwart,
die von der Digitalisierung gekennzeichnet ist - im Guten wie im Schlechten -, annehmen, und dazu brauchen
wir Stärke, Kraft und Geschlossenheit in Europa. Deswegen ist es für uns von außerordentlicher Bedeutung,
dass insbesondere unsere französischen Nachbarn - wir
erinnerten uns heute Morgen auch an das berühmte Bild
von Helmut Kohl und Mitterrand 1984 in Verdun - wieder an Kraft gewinnen, und das werden sie dank der von
Macron angekündigten Reformen können.
Von linker Seite ist schon kritisch angemerkt worden,
es könnte sich dabei um so etwas wie die Schröder’sche
Reformagenda handeln. Ich wäre ausgesprochen dankbar, wenn es sich um eine derartige Reformagenda handeln würde. Die parlamentarische Mehrheit dafür ist vorhanden. Ob allerdings Macron in der Lage sein wird, den
erwartbaren Protesten auf der Straße kraftvoll zu begegnen und seine Agenda durchzuhalten, bleibt abzuwarten.
Wir wünschen ihm das sehr. Wir würden uns im Übrigen
auch wünschen, dass die Kolleginnen und Kollegen von
SPD das so sehen und sich hinter die Reformen stellen,
weil sie genauso wie die Reformen, die Gerhard Schröder
seinerzeit mit großem Erfolg auf den Weg gebracht hat,
in Frankreich Erfolg bringen könnten.
({10})
Denn nur ein gemeinsames starkes Europa, in dem wir
nicht alleine eine Führungsrolle übernehmen wollen,
sondern in dem wir „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt“ dienen, wie
es in der Präambel des Grundgesetzes heißt, kann uns in
die Zukunft führen. Dafür werbe ich, ich hoffe, in Ihrer
aller Namen.
({11})
Herzlichen Dank, Herr Kollege. - Als Nächster hat der
Kollege Christian Petry für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Marschall, danke für Ihren Redebeitrag,
aber ich habe selten so viel Unsinn gehört wie in den
letzten fünf Minuten.
({0})
Das kann man an ein paar Beispielen festmachen.
Eines vorweg: Wenn Sie in Europa so auftreten, wie
Sie hier gerade aufgetreten sind, dann muss ich Herrn
Hofreiter recht geben. Das geht so nicht. Was Sie hier
vermitteln, ist keine Partnerschaft. Sie legen ein Sendungsbewusstsein an den Tag, die deutschen Interessen,
die wir vertreten wollen, in den Vordergrund zu stellen.
Mit gleicher Augenhöhe und Partnerschaft hat das gar
nichts zu tun.
({1})
Sie haben die Eigenmitteldebatte als „Sozialisierung
der Schulden“ - ich habe dieses konservative Schlagwort
schon ein paar Mal gehört - bezeichnet. Eigenmittel sind
dafür da, Aufgaben der Europäischen Union zu erledigen; das ist damit gemeint. Die Europäische Union soll
neue Aufgaben wahrnehmen. Sie soll die Außengrenzen
sichern. Sie soll die Flüchtlingsproblematik in den Griff
bekommen. Sie soll viele soziale Aufgaben übernehmen.
Dazu ist Geld notwendig, und dafür haben wir zurzeit
ein Umlagesystem. Wenn man wie der französische Präsident darüber nachdenkt - auch Martin Schulz denkt darüber nach -, dafür Eigenmittel einzusetzen, dann geht es
nicht um Schulden, sondern um die Frage der Aufgabenerledigung.
({2})
Wenn Sie Ihre Propaganda fortsetzen wollen, dann halte
ich das nicht für zielführend, sondern eher für schäbig.
Tut mir leid!
Aber zurück zum Thema. Hinter dem Titel der Aktuellen Stunde verbirgt sich ja ein ganzer Bauchladen. Statt
uns über Griechenland, das dritte Paket, die 8,5 Milliarden Euro, zu unterhalten und darüber, dass wir dort auf
einem guten Weg sind, führen wir eine Scheindebatte
über den IWF, und es ist zusehends eine Scheindebatte.
Die Refinanzierung über den IWF ist für viele Länder
teurer als die Refinanzierung am europäischen Kapitalmarkt; das wissen wir. Wir haben gestern gehört, dass
Portugal für 3 Prozent zehnjährige Anleihen bekommt
und beim IWF für 5 Prozent und dass man die Kredite
dort ablösen will. Wir müssen Griechenland in die Lage
versetzen, sich in diesem Sinne selbst zu refinanzieren.
Das ist viel wichtiger, als eine Scheindebatte über den
IWF zu führen. Es ist gut, dass der IWF mit im Boot
bleibt, auch wenn er sich etwas ausgeklinkt hat; aber
langfristig gesehen bin ich persönlich der Auffassung,
dass wir die Probleme europäisch lösen müssen. Das ist
mir ganz klar.
({3})
Dazu gehört, die Volkswirtschaft entsprechend wiederaufzubauen. Nachdem nun beim Staatshaushalt viel
passiert ist und die Sanierung angelaufen ist, müssen Beschäftigung und Wachstum im Mittelpunkt stehen, um
Griechenland voranzubringen. Das bezieht sich aber auf
alle südeuropäischen Länder.
Macron wurde genannt. Ein weiterer Punkt ist die
Weiterentwicklung der Europäischen Union. In der Zeit
vom 17. Mai wird kommentiert:
Für einen europäischen Finanzminister muss die
Eurozone zu einer echten Fiskal- und Transferunion
werden - ähnlich wie sie in Deutschland und Österreich bereits existiert.
Das ist eine Forderung, die zu einer institutionellen Reform führen würde, und das ist letztlich auch das, was
Macron angekündigt hat, nämlich dass man darüber
nachdenkt. Aber das kann nicht nach der Marke von
Merkel und Schäuble sein, nämlich dass wir nur mit intergouvernementalen Vereinbarungen arbeiten und keine
echten Kompetenzen des Parlamentes und keine echte
demokratische Kontrolle haben; denn nur so wird ein
Schuh draus, nicht anders.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte noch auf einen saarländischen Europaabgeordneten,
Josef Leinen, zu sprechen kommen. Josef Leinen hat
den europäischen Vertrag mit ausgearbeitet; 2004 ist er
vorgelegt worden. Leider ist die europäische Verfassung
nicht ratifiziert worden. Dort müssen wir wieder ansetzen. Der Vertrag von Lissabon von 2009 hat das Ganze
weiterentwickelt, aber die Fehler sind immer noch da.
Der Europäische Rat ist mit seinem Einstimmigkeitsprinzip der Bremsklotz in Europa. Die Zusammenarbeit zwischen Kommission, Rat und Parlament funktioniert, aber
letztlich sind die vielen nationalen Interessen im Europäischen Rat - das werden wir jetzt wieder erleben - die
Ursache dafür, dass wir in weiten Teilen Stillstand haben.
Das wiederum können wir jetzt gemeinsam mit unserem
französischen Partner versuchen zu überwinden. Das
sollte unser Ansporn, unsere Aufgabe sein.
({5})
Ein letztes Thema ist der Brexit; er steht ebenfalls im
Titel dieser Aktuellen Stunde. Wir sollten jetzt nicht in
das Spiel verfallen: mein Corbyn, dein Corbyn. Wessen
Corbyn ist er denn nun? Ist er der Corbyn der Linken
oder der der Sozialdemokratie? - Ich bin froh, dass sein
soziales Programm in Großbritannien gut angekommen
ist. Wir als SPD haben auch ein soziales Programm, und
das spornt uns selbstverständlich an.
({6})
Ich habe an der Überreaktion von Herrn Ulrich gemerkt,
dass Sie davor Angst haben, dass wir dies nun übernehmen. Ich habe es gemerkt, weil Sie immer lauter und
lauter argumentiert haben. Letztlich sind wir auf einem
guten Weg.
Ein letzter Satz zu Europa. Ich bin froh, wenn wir gemeinsam an dieser Europäischen Union arbeiten, wenn
wir gemeinsam die Freiheit und die Freizügigkeit verteidigen und ausbauen. Insofern ist das heute eine gute
Debatte, um daran zu erinnern, dass wir gemeinsam EuChristian Petry
ropa stark erhalten und machen müssen. In diesem Sinne:
Glück auf!
({7})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Alexander Radwan für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir führen
heute eine Debatte über Europa, und wir haben schon
viel dazu gehört. Manches davon ist schwer vorstellbar,
zum Beispiel, wie Macron angeblich Deutschland und
Merkel sieht. Ich kann zum Fraktionsvorsitzenden der
Grünen nur sagen: Zum Glück hält Macron die deutsche
Bundeskanzlerin für eine der wichtigsten Verbündeten
für die Weiterentwicklung Europas, und es ist gut so,
dass er das so sieht.
({0})
Letztendlich kam hier - wie auch beim letzten Mal - zum
Ausdruck, dass ein unterschiedliches Europabild existiert. Auch beim letzten Mal - und das war noch vor der
Wahl in Frankreich - wurde Macron massiv kritisiert.
Wir haben einen Gleichklang in Europa. Das eine ist
die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten - das beinhaltet auch Reformen und, für sich selbst verantwortlich
zu sein -, und das andere ist europäische Solidarität.
Macron hat im Wahlkampf erklärt, dass er Reformen
will. Es gab viele hier im Parlament, die das für falsch
halten und die auch in Deutschland die Agenda 2010 zurücknehmen wollen. Ich bin froh, dass Macron die Eigenverantwortung Frankreichs ernst nimmt, sich an die
Reformen macht und sich von der deutschen Opposition
dabei nicht bremsen lässt.
({1})
Zum Thema Solidarität: Wolfgang Schäuble und
Angela Merkel haben immer diesen Konnex hergestellt.
Schauen wir uns heute Griechenland an - vorher war es
ähnlich in Portugal, Spanien und Irland -: Das System
der Eigenverantwortung gepaart mit europäischer Solidarität hat Stück für Stück zum Erfolg geführt. Ihnen
stinkt nur, dass wir in Griechenland diese Fortschritte
gemacht haben.
({2})
Wenn man genau schaut, was Sie möchten, dann stellt
man fest, dass es Ihnen gar nicht darum geht, wie das
Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Union ist. Sie akzeptieren nur ein Europa, das
zentral und links ist. Wenn es nicht zentral und links ist,
dann lehnen Sie Europa ab.
({3})
- Eben. Sie akzeptieren es nur dann. - Das ist der grundsätzliche Unterschied: Europa ist noch ein Zusammenschluss von 28 souveränen Staaten. Es gibt nun einmal
unterschiedliche Meinungen in den Ländern innerhalb
der Europäischen Union. Darum ist es sehr gut, dass wir
Angela Merkel an der Spitze haben, die hier ausgleicht
und im Gegensatz zu Ihnen die Eigenheit der Mitgliedstaaten respektiert.
({4})
Das ist der Unterschied zu Ihnen. Ihr Vorwurf, den Sie
gegen Angela Merkel erheben, richtet sich gegen Sie
selber. Sie wollen Ihre nationale Politik gegenüber den
anderen Staaten durchsetzen, ob sie es wollen oder nicht.
({5})
Wenn Sie eine europäische Arbeitslosenversicherung
oder andere Maßnahmen fordern, dann fordern Sie nicht
nur den Beitrag der Deutschen. Reden Sie doch einmal
mit den Bürgern und den Politikern der baltischen Staaten. Sind die davon begeistert, wenn sie zukünftig in die
entsprechenden Kassen einzahlen müssen? Sie bringen
damit den Spaltpilz in die europäischen Völker hinein.
({6})
Gerade in der Zeit des Brexit bin ich froh, dass unsere
Bundeskanzlerin Angela Merkel sehr souverän reagiert
hat und den Fokus darauf legt, dass es in Europa weitergeht. Ich möchte daran erinnern, wie die nationalen
Parteien in Deutschland darauf reagiert haben. Wie ein
beleidigtes Kind hat man gemeint, die Briten zur Raison
rufen zu müssen, mit allen Folgen. Wir haben zu dem
Zeitpunkt noch nicht gewusst, wie das Verfahren in Europa ist.
({7})
- Nein, das war nicht unsere Regierung. Haben Sie vergessen, was Angela Merkel hierzu gesagt hat? Wenn sie
hier ist, sollten Sie, Frau Kollegin Brantner, auch zuhören. Wenn Sie das getan hätten, hätten Sie diese Frage
nämlich nicht gestellt.
({8})
Angela Merkel hat klipp und klar dazu gesagt, dass
wir auf der einen Seite Großbritannien Brücken bauen
müssen, weil Großbritannien weiterhin ein wichtiger
Partner innerhalb der NATO und ein wirtschaftlicher
Partner sein wird, wir aber auch konkret an der Einheit
Europas weiterarbeiten müssen und keinen Blueprint
für andere Staaten machen dürfen. Das war die Position Angela Merkels, als sie hier im Deutschen Bundestag
geredet hat.
Meine Damen und Herren, Sie haben vorhin kritisiert,
dass sie hier nicht redet; aber wenn sie redet, dann hören
Sie nicht zu oder verstehen es nicht. Das ist natürlich sehr
schade. In der heutigen Phase sollten wir uns daran orientieren, was andere europäische Regierungen und Völker eindeutig zum Ausdruck bringen. Sie sind froh, dass
Angela Merkel Kanzlerin ist, und sie sind froh, dass sie
in der Tradition von Helmut Kohl an der Einheit Europas
weiterarbeitet.
({9})
Sie ist ein verlässlicher Partner, und das sehen die anderen Europäer genauso.
Besten Dank.
({10})
Herzlichen Dank, Herr Kollege Radwan. - Als letzte
Rednerin in der Aktuellen Stunde spricht nunmehr die
Kollegin Ronja Kemmer für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Natürlich haben wir in den letzten Monaten hier im Haus über die Brexit-Verhandlungen und
die anderen Themen diskutiert. Im Europaausschuss tun
wir dies jede Woche. Da Sie die Kanzlerin angesprochen
haben, die hier zahlreiche Regierungserklärungen zum
Europäischen Rat und zu europäischen Themen gegeben
hat, ist Ihre Begründung, dass sie sich dieser Diskussion
nicht stellen würde, geradezu absurd.
({0})
In puncto Brexit schreiten die Verhandlungen voran,
doch die Zeit drängt. Die Frist von zwei Jahren für die
Verhandlungen ist relativ knapp bei der Masse an Themen, die es zu behandeln gilt. Die Neuwahlen in Großbritannien haben dieses Unterfangen nicht gerade erleichtert.
Natürlich stellt die EU keine Zwangsmitgliedschaft
dar, sondern ist in ihren Festen als Friedens- und Wertegemeinschaft begründet. Ihren Kern hat diese Gemeinschaft in der Erkenntnis, dass die Herausforderungen in
einer komplexen und auch globalisierten Welt eben nicht
rein nationalstaatlich zu lösen sind. Die Briten haben
sich leider anders entschieden. Die Brexit-Verhandlungen müssen nun in einem partnerschaftlichen Geiste geführt werden; aber es muss schon klar sein, dass es keine
Rosinenpickerei an verschiedenen Stellen geben darf.
Denn der Grundstein der europäischen Idee ist, dass der
Mensch im Mittelpunkt steht. Dazu gehört insbesondere
die Wahrung der Rechte von EU-Bürgern, die in Großbritannien leben. Deswegen kann es keinen freien Warenverkehr ohne Personenfreizügigkeit geben.
Großbritannien hat als wirtschaftsstarkes Mitglied
stets viele Sonderkonditionen für sich beansprucht.
Manch anderes Land hätte sich sicherlich auch über diese
Vereinbarungen gefreut. Eines ist klar: Die finanziellen
Verpflichtungen, die Großbritannien in der EU eingegangen ist, müssen auch eingelöst werden. Schließlich haben
die europäischen Partner ihren Teil der Vereinbarungen
auch immer eingehalten. Hier geht es um Vertrauen, hier
geht es um Redlichkeit. Deswegen können wir nur gemeinsam an Großbritannien appellieren, der Verantwortung gegenüber den europäischen Nachbarn gerecht zu
werden.
Meine Damen und Herren, das Referendum mit seinen Folgen muss jedoch auch eine Mahnung sein. Die
EU steht vor einer ihrer größten Bewährungsproben. Das
zeigt sich, wenn wir zurückblicken. Dies veranschaulicht
uns auch, dass das europäische Projekt immer wieder
aufs Neue begründet werden muss. In den vergangenen
Tagen rückte durch den Tod von Bundeskanzler Kohl die
europäische Einigung wieder ganz stark in unser öffentliches Bewusstsein. Seine herausragenden Verdienste, die
Einheit unseres Vaterlandes, die Aussöhnung mit Frankreich, aber auch die Sicherung des Friedens in Europa,
stehen für alle Zeiten für sich.
Ich selbst wurde 1989, im Jahr des Mauerfalls, geboren. Ich hatte das Glück, in einem friedlichen und freien
Europa aufwachsen zu dürfen. Stacheldraht und Schlagbäume kenne ich größtenteils nur aus Erzählungen. Ich
gehöre einer Generation an, die niemals einen Krieg erleiden musste. Doch gerade wir Jüngeren dürfen nicht
in eine Stimmung der Selbstverständlichkeit verfallen;
denn es hat sich leider gezeigt, dass dies zu fatalen Ergebnissen führen kann. Die längste Friedensperiode auf
unserem Kontinent seit über 70 Jahren hat keine Ewigkeitsgarantie. Diese Errungenschaften müssen immer
wieder aufs Neue erarbeitet und verteidigt werden. Dies
ist eine permanente Herausforderung, die den Einsatz aller Generationen fordert.
Viele junge Briten waren ja für den Verbleib in der
EU, haben aber kaum an der Abstimmung über den Brexit teilgenommen. Insofern müssen wir selbstkritisch
festhalten: In Reden über Europa haben wir uns vielleicht
zu oft auf Erreichtes von gestern berufen und aktuelle
Herausforderungen ausgeblendet. Aber einfache Lösungen für diese Herausforderungen gibt es eben nicht. Wir
brauchen die Europäische Gemeinschaft mehr denn je,
um die großen Fragen anzugehen. Regulierungen im
Klein-Klein, die zum Teil von Mitgliedstaaten, zum Teil
von Institutionen eingefordert werden, entfernen die
Menschen vom europäischen Projekt und fördern populistische Strömungen.
Der Brexit zeigt also auch, dass nichts so bleibt, wie
es ist, wenn man nichts dafür tut. Insofern leben wir in
einer guten Zeit, in der es sich lohnt, politisch zu werden.
Wir brauchen aktive Menschen aller Generationen, persönliches Engagement und auch ein offenes Bekenntnis
zu unseren Werten und Idealen. Auch diesbezüglich hat
das Wirken von Helmut Kohl ein wunderbares Zeugnis
abgelegt; denn Einigkeit und Recht und Freiheit sind für
das Schicksal unseres Landes und unseres Kontinents
von entscheidender Bedeutung. So löst der Brexit in vielen anderen Ländern eine hoffnungsvolle Gegenbewegung für Europa aus, sei es Pulse of Europe, seien es die
Ergebnisse der Wahlen in unseren Nachbarländern, die
jüngst stattgefunden haben.
Zum Ende möchte ich der Opposition noch eines mit
auf den Weg geben: Ihre ständige Nörgelei an der Europapolitik der Regierung führt auch zu einem Erstarken
der europakritischen Stimmen. Stattdessen sollten Sie
einmal anerkennen, was die Kanzlerin jeden Tag, auch in
diesen Stunden, für diese Wertegemeinschaft und für den
Zusammenhalt in dieser Gemeinschaft leistet. Ich glaube, wir können es nur schaffen, wenn wir gemeinsam für
unsere Überzeugungen und für die kommenden Generationen eintreten und für die kommenden Generationen
ein Europa in Frieden und Freiheit gestalten.
Herzlichen Dank.
({1})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Damit ist die Aktuelle
Stunde beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf.
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Grundgesetzes ({0})
Drucksache 18/12357
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zum Ausschluss
verfassungsfeindlicher Parteien von der
Parteienfinanzierung
Drucksache 18/12358
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Grundgesetzes zum Zweck
des Ausschlusses extremistischer Parteien
von der Parteienfinanzierung
Drucksache 18/12100
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Begleitgesetzes
zum Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes zum Zweck des Ausschlusses extremistischer Parteien von der Parteienfinanzierung
Drucksache 18/12101
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1})
Drucksache 18/12846
Über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Grundgesetzes werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
Dr. Stephan Harbarth für die CDU/CSU-Fraktion.
({2})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren!
Gleis 17, Waggon 1, rein und ab.
Mit diesem Satz antwortete im Jahr 2015 ein Kreisrat der
NPD auf die Frage von Journalisten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, was mit straffälligen Asylsuchenden
geschehen solle.
Das Gleis 17 im Bahnhof Berlin-Grunewald steht
heute symbolisch für die Deportation der Berliner Juden.
Von dort fuhr der erste Transport, mit dem in den Jahren
von 1941 bis 1945 rund 50 000 Berliner Juden vor allem
in das Konzentrationslager Theresienstadt und das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert wurden.
Die widerliche Einlassung des NPD-Funktionärs steht
exemplarisch für das Denken und Handeln seiner Partei. Sie missachtet die Menschenwürde, sie will unsere
freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen.
Ihr biologistischer Rassismus, ihr militanter Antiliberalismus, Antiindividualismus und Antisemitismus begründen eine Wesensverwandtschaft zur NSDAP. Gleichwohl
wird die Arbeit dieser Partei bis heute ganz wesentlich
aus Steuergeldern finanziert. Denn nach dem Parteiengesetz erhalten alle Parteien, die bei Parlamentswahlen einen bestimmten Anteil von Stimmen auf sich vereinigen,
staatliche Mittel zu ihrer Finanzierung. In den letzten
Jahren waren das im Falle der NPD mehr als 1,2 Millionen Euro pro Jahr.
Mit dem Gesetz, das wir heute beschließen, werden
wir die Grundlage dafür legen, um der NPD diese Finanzierung entziehen zu können. Denn jeder Cent für die
NPD ist ein Cent zu viel.
({0})
Lange Zeit ist sehr kontrovers diskutiert worden, ob
ein solcher Ausschluss von der staatlichen Teilfinanzierung zulässig ist, weil er tief in die verfassungsrechtlich
gesicherte Stellung der politischen Parteien eingreift und
ihre Chancengleichheit beeinträchtigt.
Diese Kontroverse hat das Bundesverfassungsgericht
mit seinem Urteil vom 17. Januar 2017 entschieden, als
es darauf aufmerksam machte, dass es dem verfassungsändernden Gesetzgeber sehr wohl freistehe, neben dem
Parteiverbot weitere Sanktionsmöglichkeiten gegenüber
Parteien mit verfassungsfeindlichen Zielen zu schaffen.
Der Bundesrat auf der einen Seite, die Fraktionen von
CDU/CSU und SPD auf der anderen Seite haben diesen
Hinweis mit zwei Gesetzesinitiativen aufgegriffen, die
die gleiche Zielsetzung verfolgen. Unser Gesetzentwurf
erscheint mir insbesondere deshalb vorzugswürdig, weil
er neben dem Wegfall der staatlichen Teilfinanzierung
und der steuerlichen Begünstigungen für Parteien auch
den Wegfall der steuerlichen Begünstigung von Zuwendungen an verfassungswidrige, aber nicht verbotene Parteien regelt.
Klar ist dabei auch: Der Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien kann nur eines von vielen Instrumenten
sein, mit denen sich die wehrhafte Demokratie gegen
jede Form von Extremismus verteidigen muss, und zwar
gleichgültig, ob dieser Extremismus vom linken oder
vom rechten Rand des politischen Spektrums kommt.
Die Möglichkeit des Ausschlusses von der staatlichen
Teilfinanzierung ist ein wichtiges Signal in einer Zeit,
in der das rechtsextremistische Personenpotenzial nach
einem jahrelangen Rückgang wieder Zulauf erhält und
sich sein linksextremistisches Pendant auf einem zu hohen Niveau stabilisiert.
Der Ausschluss einer Partei von der staatlichen Teilfinanzierung greift in gravierender Weise in die verfassungsrechtlich gesicherte Chancengleichheit von Parteien ein. Es bedarf deshalb eines Verfahrens, das so
ausgestaltet sein muss, dass nicht einmal der Anschein
entstehen kann, dass ein solcher Ausschluss von anderen
Parteien instrumentalisiert werden soll, um sich missliebiger Konkurrenz zu entledigen. Es ist deshalb richtig
und wichtig, dass allein das Bundesverfassungsgericht
über den Ausschluss entscheiden wird und andere Ideen,
die zunächst ventiliert worden waren, nicht weiterverfolgt wurden.
In den parlamentarischen Beratungen sind zwei Korrekturen vorgenommen worden. Erstens. Der Gesetzentwurf sah ursprünglich eine Frist von vier Jahren vor, nach
deren Ablauf die sanktionierte Partei eine Überprüfung
verlangen kann. Wir werden diese Überprüfung nun so
ausgestalten, dass es nach einer Frist von sechs Jahren
zu einem automatischen Erlöschen des Ausschlusses von
der staatlichen Teilfinanzierung kommt - verbunden mit
der Möglichkeit für die antragsbefugten Stellen, eine
Verlängerung des Ausschlusses zu beantragen. Auf diese Weise bleiben Bundesrat, Bundesregierung und Bundestag Herren des Verfahrens. Darüber hinaus werden
wir - zweitens - durch den Änderungsantrag, den wir
im Ausschuss vorgelegt haben, den Ausschluss von der
Teilfinanzierung auch auf Ersatzparteien erstrecken, um
Umgehungsversuchen entgegenzutreten.
Ich wünsche dem Gesetzentwurf eine breite Zustimmung und würde mich freuen, wenn auch die beiden
Oppositionsfraktionen diesen Vorschlägen zustimmen
und wir damit gemeinsam die wehrhafte Demokratie in
Deutschland stärken können.
Als Unionsfraktion erwarten wir, dass nach Inkrafttreten des Gesetzes mit einem gründlich vorbereiteten
Antrag zeitnah ein Verfahren zum Ausschluss der NPD
aus der Teilfinanzierung auf den Weg gebracht wird, und
ich persönlich möchte dafür werben, dass dies mit Beteiligung dieses Hohen Hauses geschehen kann.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Neofaschistische Parteien sollen vom Staat nicht länger gefördert werden. Das ist der Kern der Gesetzentwürfe, die
wir heute hier besprechen.
Ich will vorausschicken: Der Entzug der Parteienfinanzierung ist zweifellos ein schwerer Eingriff in die Chancengleichheit der Parteien. Es geht im Fall der NPD - wir
haben es eben schon gehört - darum, dass sie mehr als
1 Million Euro im Jahr bekommt. Deren Verlust wird sie
schwer treffen. Da werden wir alle hier im Saal wahrscheinlich sagen: Recht so. - Aber wir müssen natürlich
die rechtlichen und politischen Fragen ernst nehmen, die
sich ergeben, wenn man eine Partei, die nicht verboten
ist, von der staatlichen Parteienfinanzierung ausschließt.
({0})
Die Linke hat es sich in der Tat nicht leicht gemacht.
Wir haben ausführlich darüber diskutiert, und wir haben
zur Sachverständigenanhörung sogar jemanden eingeladen, der ein expliziter Kritiker dieser Neuregelung ist.
Herr Lichdi hat dabei betont, dass das Grundgesetz keine
„Verfassungstreuepflicht der Parteien“ kennt und demokratiefeindliche Parteien deswegen nicht schlechtergestellt werden dürfen.
Für einen Teil meiner Fraktion ist dieses Argument so
gewichtig, dass sich einige Abgeordnete heute enthalten
werden. Eine Mehrheit in meiner Fraktion nimmt dieses
Argument ebenfalls sehr ernst, möchte ihm aber entgegenhalten: Es gibt auch keine Pflicht der Gesellschaft,
Parteien zu finanzieren, die demokratische Grundrechte
einschränken wollen, die sogar ebendieser Gesellschaft
das Existenzrecht absprechen
({1})
und eine dermaßen faschistische Ideologie verbreiten.
Das Grundgesetz selbst kennt das Verbot einer Partei.
Von daher liegt es auf der Hand, dass man auch eine minderschwere Sanktion wie den Entzug staatlicher Wahlkampfkostenerstattung zulassen kann ({2})
immer vorausgesetzt, dass das Bundesverfassungsgericht
diese Entscheidung trifft, und so steht es auch in der Gesetzesvorlage. Für mich jedenfalls ist Faschismus keine
Meinung im demokratischen Wettbewerb, sondern ein
Verbrechen, und Verbrechen dürfen sich nicht lohnen.
({3})
Deswegen - das ist die mehrheitliche Meinung in meiner
Fraktion - sollen Naziparteien keinen Cent mehr vom
Staat bekommen, und niemand, der Naziparteien Geld
spendet, soll das von der Steuer absetzen dürfen.
({4})
Meine Damen und Herren, ich möchte kritisch anmerken, dass die jetzt vorgesehene Geltungsdauer eines Finanzierungsverbots von sechs Jahren sehr lang ist. Mein
Kollege hat das eben erläutert; das sind die Änderungen,
die vorgenommen wurden. Ich denke, dass nach vier Jahren der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Da ja sowieso
das Bundesverfassungsgericht entscheidet, finden wir es
auch nicht richtig, dass nicht einmal mehr eine mündliche Anhörung stattfinden soll.
({5})
Abschließend möchte ich noch zu einem Punkt etwas
sagen, in dem wir uns in meiner Fraktion sehr einig sind:
Was wir heute beschließen, kann kein Ersatz sein für eine
entschlossene Politik gegen Rechtsextremisten und neofaschistische Parteien.
({6})
Wir müssen allen entgegentreten, die Menschen nach
zweierlei Maß messen und sie auf Grundlage von Religion, Herkunft oder anderen Äußerlichkeiten unterschiedlich behandeln wollen. Wir lehnen jede Form von
Rassismus, jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ab. Wir müssen auch jenen entgegentreten,
die zum Beispiel die Flüchtlingsfrage immer wieder zum
Anlass nehmen, dumpfe Wahlkampfparolen von sich zu
geben. Deswegen sage ich zum Schluss: Unsere heutige
Entscheidung muss Verpflichtung sein, endlich mehr in
dieser Gesellschaft gegen Rassismus und gegen Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit zu tun, sonst werden
wir weder Demokratie noch Frieden haben.
Ich danke Ihnen.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Gabi Fograscher für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die wehrhafte Demokratie bekämpft ihre Feinde
mit rechtsstaatlichen Mitteln, und sie hat das Recht und
auch die Pflicht, diese Mittel auszuschöpfen. Bei der
Parteienfinanzierung ist eine mehr als groteske Situation
entstanden: Wir finanzieren bis heute mit Steuermitteln
eine Partei, die NPD, die vom Bundesverfassungsgericht
als verfassungsfeindlich eingestuft wurde. In dem Urteil
des Bundesverfassungsgerichts vom Januar dieses Jahres
heißt es:
Ihre Ziele und das Verhalten ihrer Anhänger verstoßen gegen die Menschenwürde … und den Kern des
Demokratieprinzips …
Das Material, das für das Verbotsverfahren zusammengestellt wurde, zeigt: Diese Partei hat menschenverachtende und rassistische Ziele. Sie lehnt unsere Demokratie
und unsere Werte ab. Sie wurde vom Bundesverfassungsgericht mit folgender Begründung nicht verboten:
Es fehlt jedoch an konkreten Anhaltspunkten von
Gewicht, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt.
Das Bundesverfassungsgericht hat uns als verfassungsänderndem Gesetzgeber aber in der Urteilsbegründung den Hinweis gegeben, dass man verfassungsfeindliche Parteien von der staatlichen Teilfinanzierung
ausschließen kann. Das werden wir heute tun. Die NPD
erhält mehr als 1 Million Euro jährlich aus der staatlichen Teilfinanzierung - mehr als 1 Million -, um ihr
menschenfeindliches Gedankengut und ihre antisemitische und rassistische Hetze zu verbreiten. Das ist unerträglich. Es ist auch für die Bürgerinnen und Bürger nicht
nachvollziehbar, dass eine Partei, die die staatliche Ordnung bekämpft, mit Steuermitteln finanziert wird. Jede in
Deutschland zugelassene Partei nimmt an der staatlichen
Teilfinanzierung teil. Für eingeworbene Spenden und für
erzielte Stimmen bei Wahlen ab einer bestimmten Grenze erhält jede Partei Geld vom Staat. Zusätzlich sind die
Parteien von der Körperschaftsteuer befreit, und Zuwendungen können Spenderinnen und Spender steuerlich
geltend machen.
Parteien haben Verfassungsstatus. Sie wirken an der
politischen Willensbildung mit. Sie sind unverzichtbare
Elemente in einer Demokratie. Für die vielfältigen Aktivitäten braucht eine Partei Geld. Sie erhält dieses aus
Mitgliedsbeiträgen, aus Spenden, aus Einnahmen aus
wirtschaftlicher Tätigkeit. Das Parteiengesetz regelt, dass
sie Geld vom Staat erhält, um illegitime Einflussnahme
zu verhindern und Chancengleichheit im politischen
Wettbewerb zu ermöglichen. Es ist widersinnig, auf der
einen Seite Parteien, die gegen diesen Staat agieren, mit
Steuergeldern zu fördern und auf der anderen Seite nicht
genug Mittel für den Kampf gegen Extremismus zu haben.
Wir wollen, wie ich bereits gestern an einer anderen
Stelle der Debatte angekündigt habe, die Gelder, die wir
durch diese Gesetzesänderung der Partei entziehen, in
den Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus investieren.
({0})
Über den Änderungsantrag hat Herr Harbarth schon
gesprochen. Wir haben uns darauf geeinigt, dass das
Bundesverfassungsgericht den Ausschluss einer Partei
von der Finanzierung befristet für sechs Jahre feststellen
soll. Dieser Ausschluss kann auf Antrag der ursprünglichen Antragsteller, also Bundestag, Bundesrat oder
Bundesregierung, verlängert werden. Über den Verlängerungsantrag kann auch ohne mündliche Verhandlung
entschieden werden. Ein unbefristeter Ausschluss, so wie
er zunächst vorgesehen war, hätte so auf Antrag der betroffenen Partei alle vier Jahre überprüft werden können.
Durch die jetzt vorgenommene Änderung behalten aber
die Antragsberechtigten das Heft des Handelns in der
Hand. Die Feststellung des Ausschlusses von der staatlichen Finanzierung ist auf Ersatzparteien zu erstrecken.
Zur Begründung dieser Änderung erklärte der Sachverständige Herr Volkmann in der Anhörung:
Man muss eine Regelung für Ersatz- und Nachfolgeorganisationen treffen. Sonst hat man das Problem,
dass sich die NPD auflöst, in PDN umbenennt - so
einen ähnlichen Fall hat es auch schon einmal gegeben -, und die kann dann staatliche Finanzierung
beanspruchen. Beim Parteiverbot erstreckt sich der
Rechtsfolgenausschluss zwingend auch auf etwaige
Ersatz- und Nachfolgeorganisationen. Das ist meiUlla Jelpke
nes Erachtens etwas, was man für den Ausschluss
von der Finanzierung unbedingt aufnehmen müsste.
({1})
Dies haben wir aufgenommen und entsprechend geregelt. Das Bundesverfassungsgericht stellt fest, dass eine
Partei die Bestrebungen einer von der Finanzierung ausgeschlossenen Partei weiter verfolgt oder fortführt. Somit ist sie als Ersatzpartei ebenfalls von der Finanzierung
auszuschließen.
Für uns ist klar: Die heutigen Änderungen sind keine
Lex NPD. Die Änderungen werden für alle Parteien gelten, die sich gegen unsere Verfassung und unsere Werte
stellen. Dieser Ausschluss ist für uns nur ein Baustein
im Kampf gegen Extremismus. Wir lassen nicht nach im
Kampf gegen Extremismus, wir dürfen auch nicht nachlassen. Für uns ist durch diese Gesetzesänderungen das
Problem des Extremismus ganz und gar nicht erledigt.
Im Gegenteil: Diese Koalition hat auf Initiative unserer
Familienministerin hin die Gelder für Prävention auf
über 100 Millionen Euro verdreifacht.
({2})
Wir werden die Forderungen des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus zügig umsetzen. Prävention, politische Bildung, Unterstützung von Projekten
der Zivilgesellschaft, Extremismusforschung sind und
bleiben dauerhafte Aufgaben für die Politik und für die
Gesellschaft.
Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesen Änderungen,
damit die Unterstützung von Verfassungsfeinden mit
Steuermitteln endlich ein Ende hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist meine letzte
Rede in diesem Haus. Ich danke allen aus allen Fraktionen, mit denen ich in den letzten Jahren zusammenarbeiten durfte, und allen, die mich in den letzten Jahren unterstützt haben. Ich wünsche Ihnen allen für die Zukunft
alles Gute.
Herzlichen Dank.
({3})
Wir wünschen natürlich auch Ihnen, Frau Kollegin
Fograscher, für die Zukunft alles Gute bei der Umsetzung Ihrer Pläne.
Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat die Kollegin Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich finde, wenn wir die Hand an das Grundgesetz legen,
dann obliegt es uns, wirklich seriös zu arbeiten, mit kühlem Kopf und klarem Verstand, weil es schließlich um
die Prinzipien der Demokratie geht. Ihre Vorlage entspricht diesen Ansprüchen nicht.
({0})
Wissen Sie, zugegebenermaßen ist die NPD ein Feind
der Verfassung. Sie ist auf der anderen Seite aber auch
ein politischer Zwerg - das wissen Sie. Sie suchen sich
diesen politischen Zwerg isoliert aus dem Gesamtpaket
heraus - als Teil von Rechtsextremismus, Rechtsradikalität und Rechtsterrorismus in dieser Gesellschaft - und
wollen der Partei mal eben per Verfassungsänderung ich sage: mal eben per Verfassungsänderung - das Geld
streichen und suggerieren, damit wäre das Problem gelöst. Es ist damit aber nicht gelöst.
({1})
Ich habe eher den Eindruck, es geht um die Schmach der
Innenminister, die zweimal groß die Notwendigkeit eines
Parteiverbots begründet haben, wozu das Verfassungsgericht am Ende aber zweimal Nein gesagt hat.
Meine Damen und Herren, Sie suggerieren damit,
dass das Problem aus der Welt geschafft wird, wenn diese 1 Million Euro - oder demnächst noch weniger - nicht
an diese Partei gehen. Aber ich sage Ihnen: Wir haben
Pegida, wir haben die Nach-Lucke-AfD. Sie können uns
doch nicht ernsthaft verkaufen, dass damit jetzt ein Problem zu lösen wäre - und dann noch in diesem Tempo.
Ich finde, in so einer Situation braucht man einen wirklich kühlen Kopf und Zeit; sonst kommen Fehlentscheidungen dabei heraus.
({2})
Ich will zitieren, was Herr Voßkuhle in seinen einleitenden Worten gesagt hat; es taucht später noch einmal
im Urteil an ein oder zwei Stellen auf. Er hat am 17. Januar gesagt:
Ob in einer solchen Situation … andere Reaktionsmöglichkeiten sinnvoll sind, wie zum Beispiel der
Entzug der staatlichen Finanzierung, hat … der verfassungsändernde Gesetzgeber zu entscheiden.
Meine Damen und Herren, das Gericht hat aber nicht
gesagt, dass sich daraus ein Zwang ergibt; es hat uns kein
Datum für irgendetwas gesetzt, sondern nur gesagt, dass
es abseits der Frage des Verbots oder Nichtverbots mildere Mittel geben könnte, über die wir entscheiden könnten. Das ist aber keine Aufforderung, dann mal eben zum
Ende der Legislaturperiode das Ganze zu schleifen.
Wir haben in unserer Verfassung, in Artikel 20 Absatz 2, sozusagen als Grundlage unserer Demokratie die
freie und gleiche Willensbildung des Volkes. Dazu gehört Artikel 21, der besagt: „Die Parteien“ - in Mehrzahl,
als Antwort auf das, was in diesem Haus, im Reichstag,
unter Herrschaft der NSDAP einmal stattfand, nämlich
die Ausgrenzung und Verhaftung - „wirken bei der …
Willensbildung … mit.“ Bei allem Ärger über die NPD:
An dieser Stelle machen Sie eine Lex NPD. Ein Einzelfallgesetz sollte es bei der Verfassung nicht geben. Wir
sollten uns stattdessen überlegen, was so eine Änderung
eigentlich im historischen Kontext bedeutet. Man kann
ihr nicht zustimmen,
({3})
weil Artikel 21 tatsächlich Teil unserer Demokratie ist; er
ist wirklich die Basis. Auf dieser Grundlage organisieren
sich die Bürger.
Sie haben gesagt, die NPD erfülle verfassungsfeindliche Kriterien. Das Verfassungsgericht hat aber übrigens
auch gesagt, es brauche den präventiven Schutz durch ein
Verbot nicht, sondern die Kraft der freien Auseinandersetzung. Da kann ich Ihnen sagen: Für die Demokratie
in diesem Land haben zum Beispiel - neben vielen anderen - die Bürgerinnen und Bürger in Leipzig im Kampf
gegen Legida mehr getan, als Sie es heute mit dieser Regelung tun;
({4})
denn sie haben sich immer wieder aufgemacht und gekämpft. Das ist die Kraft der freien Auseinandersetzung.
Diesen Rechtsextremismus lassen wir uns nicht gefallen,
meine Damen und Herren.
Sie setzen meines Erachtens ein fatales Zeichen mit
Blick auf die Demokratie. Sie wollen mal einfach ein
Grundprinzip abschaffen? Wir haben Hate Speech, wir
haben neue Parteien, neue Bewegungen. Die Frage lautet
doch: Wie können wir in der Demokratie mit diesen Dingen umgehen, wie können wir sie bekämpfen? Nicht mit
einer Lex NPD.
Ich finde, wir bräuchten in der nächsten Legislaturperiode eine Kommission, die sich ausführlich mit dieser
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes befasst,
die sich mit dem Internet und dem Rechtsextremismus
dort befasst, die sich mit den Grenzen und dem Umfang
des Parteienverbots befasst, die sich bei allem Verdruss,
den die Menschen über Parteiendemokratie äußern manche behaupten, die Parteien würden sich den Staat
zur Beute machen -, mit der Frage befasst, wie man im
21. Jahrhundert Demokratie gestaltet, auch über das Internet. Wer hier wählen darf, wenn er seinen Lebensmittelpunkt hier hat, ob Jüngere als 18-Jährige wählen dürfen - das alles müssten wir diskutieren, Sie tun es aber
nicht. Das würde Sinn machen und wäre angemessen.
Lassen Sie mich einen letzten Satz sagen. Schauen Sie
einmal: So sieht der Artikel 21 Grundgesetz heute aus.
({5})
Im Absatz 1 - „Die Parteien wirken … mit“; hier in grüner Schrift - steht das Positive, Absatz 2 - hier in roter
Schrift - enthält die Verbotsregelung. 38 Wörter hat der
erste Absatz. Man sieht: Das Grüne steht in einem gewissen Verhältnis zum Roten, dem Verbot. Wenn Ihre Änderungen durchkommen, bleibt das Grüne, das Positive,
zur Parteiendemokratie bestehen, aber aus 38 Wörtern
im zweiten Absatz werden bei einem Verbot 109 Wörter.
38 Wörter für die Demokratie, 109 Wörter dagegen. Das
sieht dann so aus.
({6})
Das hat eine Schieflage.
({7})
Ich kann Ihnen das auch auf das digitale Zeitalter bezogen erläutern: 275 Zeichen für die Demokratie, 855 Zeichen für Verbotsregeln.
({8})
Kollegin Künast.
Mein letzter Satz. - Es braucht einen aufrechten Gang
unsererseits, einen breiten Kampf gegen Rechtsextremismus, eine gute Finanzierung.
Zu der 1 Million Euro, die Sie meinen der NPD entziehen zu können:
({0})
Darüber müsste das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Schauen wir einmal, ob Sie entsprechend handeln
würden.
Kollegin Künast.
Machen Sie sich aber nichts vor: Diese Million geht
doch nicht in die Projekte, sondern die geht an eine andere Partei, deren Namen Sie kennen. Sie müssen sich
schon dazu bekennen, Demokratie durchzuhalten und
neues Geld lockerzumachen.
({0})
Das Wort hat der Kollege Helmut Brandt für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich hoffe, ich kann mit meinem Beitrag wieder etwas
Sachlichkeit und Ruhe in diese Debatte bringen, sie hat
es auch nötig.
({0})
Mit der Verabschiedung der hier vorliegenden Gesetzentwürfe hat das bislang geltende „Alles oder
Nichts“-Prinzip in Sachen staatlicher Parteienfinanzierung auch für verfassungsfeindliche Parteien ein Ende.
Das ist gut so, Frau Künast. Es ist ein Widerspruch, einer
Partei, die unsere Demokratie abschaffen will, Steuermittel zu geben und sie damit noch in diesem Ziel zu unterstützen, während wir gleichzeitig Steuermittel für die Bekämpfung ebenjenes radikalen Gedankenguts ausgeben.
({1})
Das ist ein Widerspruch, den wir hiermit auflösen wollen.
Kritiker der hier vorliegenden Gesetzentwürfe sehen
in dem Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von
der staatlichen Finanzierung einen unzulässigen Eingriff
in den Grundsatz der Chancengleichheit. Richtig ist, dass
unser Grundgesetz politischen Parteien eine besondere Rolle einräumt. Als verfassungsrechtlich garantierte
Institutionen tragen sie zur politischen Willensbildung
maßgeblich bei, indem sie unterschiedliche Lösungsansätze für gesellschaftliche Probleme anbieten. Die damit
verbundenen Auseinandersetzungen muss eine Demokratie aushalten, um so einer möglichst großen Anzahl
von Menschen ein politisches Recht auf Teilhabe zu garantieren. Das ist die eine Seite. Aber - und das ist für
mich das Entscheidende -: Es ist auch Aufgabe der Politik, die Demokratie vor Bestrebungen, diese zu zerstören,
zu schützen.
Das Parteiverbot wurde von den Müttern und Vätern des
Grundgesetzes vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus
dem Dritten Reich als Instrument zur Bekämpfung verfassungsfeindlicher Parteien eingeführt. Zu Recht stellen
Grundgesetz und Rechtsprechung hohe Anforderungen
an ein Parteiverbot. Im Zuge der Weiterentwicklung der
Rechtsprechung sowohl durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wie auch durch das Bundesverfassungsgericht ist im Verlauf der letzten Jahre
noch das Erfordernis einer konkreten Gefahr hinzugekommen. Damit sind die Anforderungen an ein Parteiverbot noch weiter gestiegen; denn die Frage, welche Gefahr von einer verfassungsfeindlichen Partei tatsächlich
ausgeht, ist nur schwer zu beantworten. Deshalb müssen
wir, muss die Politik zumindest unterhalb der Schwelle
eines Parteiverbots Sanktionsmöglichkeiten für extremistische Parteien haben. Nur so sind wir in der Lage,
Instrumente der wehrhaften Demokratie zu erhalten.
Dieses Spannungsfeld, das unbestreitbar besteht, haben wir nach meiner Meinung mit dem Gesetzentwurf
gut aufgelöst. Wir haben Parteiprivilegien wie Versammlungsrecht oder Werbung eben nicht angetastet, sondern
lediglich die staatliche Parteienfinanzierung. Damit bleiben wir weit hinter den Auswirkungen eines Parteiverbotes zurück.
Eben weil aber das Recht auf politische Teilhabe hoch
ist und Parteien auch einem Wandel unterliegen, ist es nötig, den Ausschluss von der Parteienfinanzierung zeitlich
zu begrenzen; dazu ist eben schon vorgetragen worden.
Die Regelungen hierzu haben wir mit Änderungsanträgen angepasst. Mit der Regelung - diese wurde auch von
den Sachverständigen in der Anhörung vorgeschlagen -,
dass nach Ablauf einer Frist von sechs Jahren Bundestag,
Bundesrat oder Bundesregierung - diesen drei kommt
Antragsrecht zu - einen Antrag auf Verlängerung des
Ausschlusses von der Finanzierung stellen können, sind
wir nach meiner festen Überzeugung einen verfassungsfesten Weg gegangen.
Lassen Sie mich festhalten: Ich denke doch, dass alle
demokratischen Parteien ein Grundkonsens verbindet,
dem das Wertesystem des Grundgesetzes und das Bekenntnis zu unserem demokratischen Rechtsstaat zugrunde liegen. Dies unterscheidet extremistische Parteien von
demokratischen Parteien. Und genau dieser Unterschied
rechtfertigt in meinen Augen auch - das haben die Sachverständigen eindeutig bestätigt - die jetzt von uns vorgenommene Durchbrechung des Gleichheitsgebots und
stellt einen hinreichenden Grund für eine Differenzierung in Sachen Parteienfinanzierung zwischen demokratischen und extremistischen Parteien dar.
Lassen Sie mich abschließend noch eins klarstellen:
Keiner von uns, Frau Künast, ist so naiv, zu glauben, dass
sich extremistische Grundeinstellungen mit dem Entzug
der Teilfinanzierung für verfassungsfeindliche Parteien
erledigen würden. Längst schon stehen andere extremistische Gruppierungen wie Kameradschaften, wie Antifa-Gruppen bereit. Gerade auf kommunaler Ebene ist die
NPD in einigen Regionen stark verwurzelt. Politik und
Gesellschaft stehen deshalb auch weiterhin in der Verantwortung.
Die öffentliche Auseinandersetzung mit extremistischen Gruppierungen ist nicht nur ein wichtiges, sondern
mit Sicherheit das wichtigste Mittel überhaupt bei deren
Bekämpfung. Dafür geben wir - Frau Fograscher, Sie
haben das eben erwähnt - sehr viel Geld aus, allein in
2017 für die Initiative „Demokratie leben!“ vom Bundesfamilienministerium 104,5 Millionen Euro - ein stolzer Betrag. Da kann man doch nicht sagen, Frau Künast,
wie Sie das heute in der FAZ getan haben, wir würden zu
wenig gegen Extremismus tun. Nein, wir haben in den
letzten Jahren die Gelder verdreifacht.
({2})
Das beweist, dass wir die Probleme richtig erkannt haben
und bekämpfen.
Auch Ihren Vorwurf einer übereilten Verfassungsänderung muss ich entschieden zurückweisen.
({3})
Die Grundgesetzänderung wurde gründlich vorbereitet
und durch die Änderungsanträge im Anschluss an die
Sachverständigenanhörung noch einmal optimiert. Ein
wirklich gutes Zeichen der gemeinsamen Bekämpfung
von Extremismus wäre es, wenn alle Fraktionen diesem
Gesetz ihre Zustimmung geben würden. Darum werbe
ich.
Danke schön.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir einen Hinweis. Wir befinden uns noch in der Debatte und
werden noch zwei Redner hören. Ich bitte also die Kolleginnen und Kollegen, die jetzt hereingekommen sind,
sich in den Reihen ihrer Fraktionen zu platzieren und
dafür zu sorgen, dass wir die Debatte geordnet zu Ende
führen können.
Dazu hat nun der Kollege Matthias Schmidt für die
SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Es ist mir eine Freude,
vor vollem Haus reden zu können. Da kann es auch ruhig
ein bisschen unruhig und lebhaft werden. Das empfinde
ich jetzt gar nicht als so schlimm.
Meine sehr geehrten Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn der Debatte eine Sache feststellen, die mir wirklich sehr wichtig ist: Das Gesetz, das
wir heute beschließen wollen, ist ausdrücklich keine Lex
NPD. Aber im Fall der NPD haben wir nun einmal ein
Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar
dieses Jahres. Ich war sowohl bei der mündlichen Verhandlung als auch bei der Urteilsverkündung dabei. Ich
hätte mir sehr ein anderes Urteil gewünscht - wie möglicherweise viele hier im Haus.
({0})
Gleichwohl: Dieses Urteil ist ein wegweisendes Urteil. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich festgestellt: Die NPD verfolgt verfassungsfeindliche Ziele,
nämlich die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, aber die NPD besitzt keine Wirkmächtigkeit. - Salopp gesagt: Die wollen die Demokratie
abschaffen, aber sie schaffen es nicht einmal ansatzweise.
Zugleich hat das Bundesverfassungsgericht einen
Weg eröffnet - Frau Künast hat schon zitiert, was es uns
mit auf den Weg gegeben hat -: Wenn wir einer verfassungsfeindlichen Partei den Geldhahn zudrehen wollen,
dann ist das Parteienverbotsverfahren nicht die einzige
Möglichkeit dazu. Vielmehr hat der Verfassungsgesetzgeber die Möglichkeit, hier eine Änderung herbeizuführen. Genau dies plant die Große Koalition heute durchzuführen, und das ist gut überlegt. Es stärkt im Übrigen die
wehrhafte Demokratie, die an vielen Stellen in unserem
Grundgesetz durchscheint, in Artikel 9 Absatz 2, in Artikel 18 und in Artikel 20 Absatz 4 und selbstverständlich auch in Artikel 21 Absatz 2. Genau an dieser Stelle
werden wir heute ein wenig nachschärfen. Frau Künast,
Sie haben gesagt - ich habe mitgeschrieben -, wir würden einfach mal ein Grundrecht abschaffen. Das ist kein
Grundrecht, was wir da abschaffen. Das ist es nicht.
({1})
Die SPD-Fraktion hat sich das, was sie hier macht, sehr
gut überlegt; denn zufällig heute jährt sich zum 84. Mal
das Verbot der SPD durch die Nationalsozialisten.
({2})
Am 22. Juni 1933 ist meine Partei verboten worden. Und
wir gehen hier ganz sauber, sachlich, ruhig und kühl vor.
Aber eine Partei, der das Bundesverfassungsgericht bescheinigt, die freiheitliche demokratische Grundordnung
beseitigen zu wollen, hat keine Unterstützung durch die
Demokratie verdient.
({3})
Mir ist das unter anderem deshalb so wichtig, weil
bei mir im Wahlkreis die Bundeszentrale der NPD ist.
Ich habe mit den Kollegen von der NPD, mit den damaligen Bundesvorsitzenden Udo Voigt zusammen in
der Bezirksverordnetenversammlung gesessen, und wir
mussten uns da parlamentarisch auseinandersetzen. Das
war auch in Ordnung. Aber die NPD hat eben mehr gemacht. Sie hat das Geld genutzt, um Kiezfeste zu organisieren, um Demonstrationszüge durchzuführen, um
CDs vor Schulhöfen zu verteilen oder gar Kinderfeste zu
veranstalten. Genau dem wollen wir heute einen Riegel
vorschieben.
({4})
Mit uns, mit den Demokraten, hat immer die Zivilgesellschaft mit auf der Straße gestanden und hat mit uns
gegen die NPD und gegen deren Aktionen demonstriert.
Diese Zivilgesellschaft braucht unsere Unterstützung.
Sie muss wissen: Wir als Gesetzgeber stehen an ihrer
Seite, und wir tun alles, um rechtsextreme Bestrebungen
zu bekämpfen.
({5})
Dies wollen wir heute tun. Wir fügen dem Grundgesetz
einen weiteren Mosaikstein hinzu: für eine starke, streitbare Demokratie.
Vielen herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Dr. Volker Ullrich für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir beschließen heute aus guten Gründen eine
Änderung unseres Grundgesetzes. Zukünftig werden
verfassungsfeindliche, aber nicht oder noch nicht verbotene Parteien von der staatlichen Parteienfinanzierung
und der steuerlichen Begünstigung ausgeschlossen sein.
Dies folgt einem einfachen Motto: Der Staat muss nicht
diejenigen finanzieren, die ihn beseitigen wollen.
({0})
Das Ganze wird in Artikel 21 des Grundgesetzes verankert. Artikel 21 ist mehr, Frau Kollegin Künast, als nur
ein Sammelsurium von Buchstaben. Es ist die zentrale
Norm der politischen Teilhabe in unserem Land.
Unsere Demokratie hält auch extreme und radikale
Parteien aus, mit denen wir uns im politischen Wettbewerb messen müssen. Aber unser Grundgesetz hat aus
historischen Erfahrungen heraus und aufgrund bitterer
Stunden ein Schutzschild um sich selbst gezogen: Das
Machbare wird nicht allein durch die Mehrheit bestimmt,
sondern auch durch den Kern unserer Verfassung: durch
Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
({1})
Wer Demokratie, Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit angeht und sie nicht zur Grundlage seines Handelns
macht, der hat in unserer wehrhaften Demokratie keinen
Platz und darf auch nicht finanziert werden.
({2})
In diesem Zusammenhang möchte ich die wichtigste
Erkenntnis des Urteils vom 17. Januar 2017 in Erinnerung rufen: Nach ihrer Programmatik und Zielsetzung ist
die NPD eine verfassungsfeindliche Partei, welche unsere Ordnung beseitigen möchte. Ein Parteiverbot wurde
nicht ausgesprochen, weil sie nicht das Programm dazu
habe, sondern weil sie - ich möchte sagen: glücklicherweise - derzeit nicht in der Lage ist, Einfluss zu nehmen.
Damit hat das Bundesverfassungsgericht eine weitere
Kategorie definiert, nämlich die Kategorie der verfassungsfeindlichen, aber derzeit nicht relevanten Partei.
Es ist uns, dem Gesetzgeber, unbenommen, auf diese
neue Kategorie zu reagieren und zu handeln. Ich meine,
wir müssen auch darauf reagieren, weil es niemandem
erklärbar ist, dass zukünftig Wahlwerbung in Form von
rassistischen, fremdenfeindlichen, antisemitischen Sprüchen und Plakaten, die den Wesenskern unseres Grundgesetzes verletzen, durch den Staat finanziert wird. Das
ist niemandem zu vermitteln.
({3})
Ja, es geht auch um die Chancengleichheit der Parteien; das ist ein wichtiger Verfassungsgrundsatz. Aber
die Chancengleichheit findet dort ihre Grenzen, wo es
Ansatzpunkte für eine verfassungsrechtlich zulässige
Ungleichbehandlung gibt. Diese verfassungsrechtliche
Ungleichbehandlung hat ihren Kern in der Feststellung,
dass eine Partei verfassungsfeindlich ist. Wenn eine Partei verfassungsfeindlich ist, muss niemand mehr ihre Finanzierung dulden. Das gilt für die NPD; das wird nach
dieser Grundgesetzänderung und weiteren Gesetzesänderungen aber auch für zukünftige extremistische Parteien gelten, egal ob im linken oder im rechten Spektrum.
({4})
Meine Damen und Herren, wir haben in der letzten
Sitzungswoche in diesem Hohen Hause viele notwendige und gute Grundgesetzänderungen beschlossen, von
denen einige im Detail vielleicht etwas technisch sind,
durch die aber viele Milliarden Euro bewegt werden und
durch die sicherlich das Zusammenwirken von Bund und
Ländern besser gestaltet wird. Heute geht es um eine
weitere, eine andere Grundgesetzänderung, bei der es
auf den ersten Blick nicht um viel Geld geht, die aber
wichtige Signale gibt, nämlich dass wir den Feinden unserer Verfassung keinen Meter Platz lassen, dass wir ein
wichtiges Symbol für unsere wehrhafte Demokratie setzen und dass verfassungsfeindliche Parteien, auch wenn
sie wenig Relevanz haben, nicht durch diesen Staat gefördert werden.
Deswegen bitte ich Sie, und zwar die Abgeordneten
von allen Parteien in diesem Hause um Zustimmung zu
dieser notwendigen und guten Grundgesetzänderung.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wiederhole meine Bitte: Nehmen Sie bitte Platz. Wir sind noch nicht
ganz am Ende der Debatte.
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Rolf
Mützenich das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Am Ende der Aussprache muss ich persönlich, aber auch für meine Fraktion auf die grundsätzlichen Bemerkungen der Kollegin
Künast eingehen. Sie hat in ihrer Rede einen Zusammenhang zu dem zur namentlichen Abstimmung anstehenden
Gesetzentwurf konstruiert, den ich im Namen meiner
Fraktion eindeutig zurückweisen will.
({0})
Sie haben behauptet, dass sich diejenigen, die diesen Gesetzentwurf heute unterstützen, der notwendigen
Auseinandersetzung mit dem Faschismus, mit der NPD
und mit anderen Extremisten entziehen. Sie haben hier
behauptet, dass diejenigen, die in Leipzig oder Dresden
demonstrieren, mehr für den Kampf dagegen tun als wir
heute als Parlamentarier. Ich weise das zurück, insbesondere weil ich in meinen Reihen, in den Reihen der
Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, viele Kolleginnen und Kollegen weiß, die von Mitgliedern der NPD
angegriffen worden sind.
Wir gehen auf dem Weg zu unserem Fraktionssaal
an den Namen derjenigen vorbei, die sich gegen das Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten gestemmt haben. In dieser Tradition stehen wir.
({1})
Ich sage Ihnen sehr eindeutig, liebe Kollegin: Wir lassen uns nicht absprechen, dass wir auch unabhängig von
diesem Gesetzentwurf weiterhin gegen die NPD arbeiten
werden.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Renate Künast.
({0})
Herr Kollege Mützenich! Liebe Sozialdemokraten!
Ich habe vorhin gesagt, hier in diesem Saal sind Entscheidungen getroffen worden, und in Erinnerung daran
sollten wir auch jetzt agieren. Ich habe schon gar nicht
der Sozialdemokratie abgesprochen, dass sie etwas erlitten hat und dass sie weiß, was Rechtsextremismus heißt.
Aber an einem ändert das nichts: Ich bin nach wie vor
der Meinung, dass diese isolierte Grundgesetzänderung
weniger ist, als immer wieder und jede Woche mutig auf
die Straße zu gehen und sich der Debatte auszusetzen,
wie es zum Beispiel in Leipzig geschieht.
({0})
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, habe ich niemandem von Ihnen abgesprochen,
({1})
auch bei diesen Demonstrationen dabei zu sein. Das weiß
ich von diversen bzw. sogar vielen Kollegen aus diesem
Haus; das habe ich gar nicht infrage gestellt.
({2})
Herr Lischka, ich mache mir am heutigen Tag Sorgen.
({3})
- Er ruft gerade, er mache sich Sorgen um die Grünen.
Tun Sie das, fahren Sie dabei aber nicht mit einem Zug.
({4})
Herr Lischka, wir haben an dieser Stelle einen Kampf
zu führen, der mehr beinhaltet als nur die NPD-Finanzierung. Sie wissen, dass viele dieser Menschen am Ende
woanders hingehen werden. Angesichts geringerer Parteibindungen, eines Verdrusses über demokratische Prinzipien mit der Folge, dass Menschen nicht wählen gehen,
in Anbetracht von Hate Speech und vielem anderen müssen wir uns vor Augen halten, dass wir einen Beitrag zur
Demokratie leisten müssen. Die Menschen fragen sich:
Welche Spenden fließen an Parteien? Deshalb sage ich
noch einmal: Ich fände es richtiger, wenn dieses Haus
eine Kommission einsetzen würde, die sich grundsätzlich mit der Demokratie beschäftigt und dann auch diese
Frage klärt.
({5})
Ich hielte das für einen echten Gewinn, meine Damen
und Herren.
Was ich nicht erleben will, ist, dass diese Regelung
gegen uns gewandt wird. Es hat Politiker gegeben, die
aufgrund von Hate Speech Menschen als „Mob“ und
„Pack“ bezeichnet haben. Am Ende standen diese Menschen mit dem Schild „Wir sind das Pack“ da und haben
sich noch mehr zusammengeschlossen.
({6})
- Ja, zum Beispiel mit einem Galgen. - Auch ich habe
viel Hate Speech abbekommen. Aber auch der Hass gegen die Ungerechtigkeit - so hat es Bert Brecht gesagt verzerrt die Züge. Wir müssen denen zeigen, dass wir zur
Demokratie, zu demokratischen Inhalten und demokratischen Verfahren stehen. Diese Aufgabe ist größer als
dieser eine Satz des Bundesverfassungsgerichts.
({7})
- Ja, klar! Das müssen Sie ja jetzt rufen.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({0}).
Mir liegen zu dieser Abstimmung zahlreiche Erklärun-
gen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1) Entspre-
chend unseren Regeln nehmen wir diese zu Protokoll.
Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12846, den
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
auf Drucksache 18/12357 anzunehmen. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung,
soweit wir das hier vorne feststellen können, mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und
der Mehrheit der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung eini-
ger Abgeordneter der Linken angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass zur
Annahme des Gesetzentwurfes die Mehrheit von zwei
Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages er-
forderlich ist; das sind mindestens 420 Stimmen.
Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf namentlich
ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ist das an allen Ab-
stimmungsplätzen der Fall? - Das ist so. Ich eröffne die
Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf.
1) Anlagen 3 und 4
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgeben konnte? - Das ist offensichtlich
nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
({1})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz zu nehmen, weil wir, wenn ich jetzt gleich das Abstimmungsergebnis mitgeteilt habe, zu weiteren Abstimmungen
kommen.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 579. Mit Ja haben 502 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein
57 Kolleginnen und Kollegen, und 20 Kolleginnen und
Kollegen haben sich der Stimme enthalten. Der Gesetzentwurf hat die erforderliche Mehrheit erreicht
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 579;
davon
ja: 502
nein: 57
enthalten: 20
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Ingrid Fischbach
Axel E. Fischer ({1})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich
({2})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Rainer Hajek
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({3})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr. Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann ({4})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr. Mathias Edwin Höschel
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Silke Launert
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Wilfried Lorenz
Vizepräsidentin Petra Pau
Dr. Claudia Lücking-Michel
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({5})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller ({6})
Stefan Müller ({7})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Helmut Nowak
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({8})
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({9})
Gabriele Schmidt ({10})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({11})
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder ({12})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Armin Schuster ({13})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({14})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
HonD Albert Weiler
Marcus Weinberg ({15})
Peter Weiß ({16})
Sabine Weiss ({17})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({18})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({19})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Jürgen Coße
Bernhard Daldrup
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({20})
Gabriela Heinrich
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({21})
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller ({22})
Michelle Müntefering
Andrea Nahles
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({23})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({24})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({25})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({26})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({27})
Matthias Schmidt ({28})
Dagmar Schmidt ({29})
Carsten Schneider ({30})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({31})
Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff ({32})
Gülistan Yüksel
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Matthias W. Birkwald
Eva Bulling-Schröter
Klaus Ernst
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Andrej Hunko
Kerstin Kassner
Jutta Krellmann
Ralph Lenkert
Dr. Gesine Lötzsch
Niema Movassat
Thomas Nord
Harald Petzold ({33})
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Azize Tank
Kathrin Vogler
Katrin Werner
Pia Zimmermann
Nein
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({34})
Volker Beck ({35})
Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Markus Kurth
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({36})
Corinna Rüffer
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr. Valerie Wilms
Enthalten
DIE LINKE
Christine Buchholz
Roland Claus
Nicole Gohlke
Annette Groth
Inge Höger
Sigrid Hupach
Susanna Karawanskij
Katrin Kunert
Stefan Liebich
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Dr. Alexander S. Neu
Martina Renner
Frank Tempel
Hubertus Zdebel
Dann kommen wir nun zur Abstimmung über den
von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zum Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der Parteienfinanzierung. Der
Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12846, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 18/12358 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
und großer Teile der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion,
der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die
Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 18/12846
fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner
Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 18/12100 zur Änderung des Grundgesetzes zum Zweck des Ausschlusses extremistischer
Parteien von der Parteienfinanzierung für erledigt zu
erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuss, auch das
Begleitgesetz auf Drucksache 18/12101 zu dem eben
genannten Gesetzentwurf des Bundesrates für erledigt
zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses
({37}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der deutschen Beteiligung an
der internationalen Sicherheitspräsenz
in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 ({38}) des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und
des Militärisch-Technischen Abkommens
zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz ({39}) und den Regierungen der
Bundesrepublik Jugoslawien ({40}) und der Republik Serbien
vom 9. Juni 1999
Drucksachen 18/12298, 18/12694
- Bericht des Haushaltsausschusses ({41}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/12695
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Gernot Erler für die SPD-Fraktion.
({42})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eigentlich muss man eine Debatte über die Verlängerung
des deutschen Anteils an der Kosovo Force einleiten mit
den Worten: Alle Jahre wieder. Tatsächlich reden wir hier
seit 18 Jahren - immer fast genau am gleichen Tag im
Juni - über diesen Dauereinsatz.
Das Einzige, was sich dabei wirklich ändert, sind die
Obergrenzen der Einsatzkräfte. Beim ersten Bundestagsmandat lag diese noch bei 8 500 Mann. Im vergangenen
Jahr ging dann die Obergrenze runter auf 1 350 Soldatinnen und Soldaten. Damit belegt Deutschland Platz drei
bei den Truppenstellern für KFOR, die gegenwärtig eine
Gesamtstärke von 4 400 Kräften aufweist. Jetzt soll für
das bevorstehende Jahr die Obergrenze für die Bundeswehrsoldaten erneut herabgesetzt werden, nämlich auf
800, also gerade noch ein Zehntel der Startgröße von
8 500 Kräften.
Auch der Text von Antrag und Begründung der Bundesregierung zur KFOR-Verlängerung ist übrigens jedes
Jahr fast derselbe. Wir finden dort vertraute Formeln:
Die Lage im Kosovo sei überwiegend ruhig und stabil,
aber es gebe immer noch ein Konflikt- und Eskalationspotenzial, und es könne zu unerwarteten Zwischenfällen
kommen. Ich füge hinzu: wie etwa zuletzt im Januar, als
plötzlich die Serben einen Zug nach Mitrovica schickten,
auf dem geschrieben stand: Kosovo ist Serbien.
Ja, es gibt die einheimischen Polizeikräfte der Kosovo
Security Force und auch die Einsatzkräfte der Kosovo
Armed Forces, aber es besteht eben ein Restbedarf an der
internationalen Streitmacht von KFOR, auch wenn sich
das Aufgabenspektrum immer mehr verschiebt: weg von
Eingreiffällen hin zu Aufklärungs- und Beratungsaufgaben.
Wer die Lage im Kosovo ein wenig kennt und dann
noch den Blick auf die Gesamtsituation in der Westbalkanregion richtet, der wird nicht der Aussage widersprechen, dass KFOR tatsächlich immer noch gebraucht wird,
auch im 18. Jahr nach dem Kosovo-Krieg. Und weil das
so ist, wird die SPD-Fraktion dem Antrag der Bundesregierung zustimmen, wie alle Jahre wieder, und es ist
schon richtig: Das anerkennenswerte Engagement unserer Soldatinnen und Soldaten im Kosovo liegt in unserem
ureigenen Sicherheitsinteresse, und es entspricht unserer
Verantwortung als Beteiligte an dem Kosovo-Krieg von
Vizepräsidentin Petra Pau
1999. Dieser Verantwortung müssen wir gerecht werden,
auch noch nach 18 Jahren.
({0})
Also alles gut? - Nein, es ist nicht alles gut. Die Lage
im Kosovo bereitet uns Sorgen, und zwar erhebliche.
Am 11. Juni fanden vorgezogene Neuwahlen statt, nach
einem Misstrauensvotum der Opposition, das auch von
einer der Regierungsparteien unterstützt wurde. Als
stärkste Kraft ging aus den Wahlen die sogenannte Koalition der Kommandanten hervor, eine Dreierkoalition
ehemaliger UCK-Kriegsherren. Ihr Kandidat für den
Regierungschef ist Ramush Haradinaj, ein mutmaßlicher
Kriegsverbrecher, der nur deswegen nicht hinter Gittern
sitzt, weil Zeugen ihre Aussage zurückzogen oder unter
ungeklärten Umständen ums Leben kamen.
Zweitstärkste Kraft wurde die linksnationalistische
Gruppierung Vetevendosje, auf Deutsch Selbstbestimmung, mit Albin Kurti als Premierministerkandidat. Dieser fordert öffentlich eine Vereinigung des Kosovo mit
Albanien und den Abbruch der Verhandlungen mit Serbien, solange Belgrad nicht die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt hat. Einer dieser beiden Wahlgewinner ist
auf jeden Fall an der nächsten Regierung beteiligt. Da
bleibt es rätselhaft, wie die Hauptaufgaben des Kosovo
gelöst werden sollen, und die heißen: Bekämpfung von
organisierter Kriminalität und Korruption sowie Aufarbeitung der Kriegsverbrechen.
Es ist deprimierend, dass trotz KFOR und der größten
Rechtsstaatsmission, die je von der EU entsandt worden
ist, nämlich EULEX Kosovo, der zwischenzeitlich bis
zu 2 000 Polizisten, Richter, Gefängnis- und Zollbeamte
angehörten, und trotz aller Anstrengungen der Fortschritt
so gering ist. Die Neue Zürcher Zeitung hat die Lage im
Kosovo kürzlich mit einem Satz auf den Punkt gebracht.
Dieser lautet - ich zitiere -: „Arbeitslosigkeit, Korruption und Auswanderung lähmen die Gesellschaft …“
Die Arbeitslosigkeit liegt bei 30 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit bei annähernd 70 Prozent. Die korrupten
Eliten plündern weiter das Land aus. Kritiker sagen: Sie
lassen sich ihr Stabilitätsversprechen teuer bezahlen,
auch aus den umfangreichen Hilfszahlungen, die aus
dem Ausland kommen. Wer soll sich da wundern, dass
vor allem junge Leute die Flucht ergreifen? Wir haben
in Deutschland nicht vergessen, wie viele Menschen im
Jahr 2015 aus dem Kosovo und anderen Westbalkanstaaten nach Deutschland flohen, weil sie einfach in ihrem
eigenen Land keine lebenswerte Perspektive für sich erkennen konnten.
Man kann nicht über KFOR reden und beschließen,
ohne die Frage zu stellen, wie es eigentlich politisch im
Kosovo und in der ganzen Westbalkanregion weitergehen soll und welchen Herausforderungen wir uns dort
stellen müssen. Seit 2014 gibt es den sogenannten Berlin-Prozess, aber Beobachter vermissen da konkrete Fortschrittsprojekte. Eine neue Südosteuropastrategie der EU
wird immer dringlicher, nachdem die 2003 gegebene
EU-Beitrittsperspektive mit ihren quälend langsamen
Umsetzungsschritten längst nicht mehr die erhofften positiven Wirkungen erzielt.
Vor diesem Hintergrund hat der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel am 31. Mai bei der Aspen-Südosteuropa-Außenministerkonferenz einige sehr konkrete Vorschläge gemacht, die aus meiner Sicht die Unterstützung
dieses Hauses verdienen. Er hat dafür geworben, dem
Erweiterungsprozess mit den Westbalkanländern einen
neuen Push zu geben. Er fordert, mehr Mittel konkret zur
Linderung sozialer Notlagen einzusetzen. Es gehe darum,
in einem Berlin-Prozess reloaded die regionale Kooperation zu stärken und dabei sichtbare Verbesserungen für
die Menschen zu erreichen. Große Infrastrukturprojekte
wie etwa die Autobahn, die Serbien, Kosovo und Albanien verbinden soll, müssten beschleunigt werden, aber
auch die IT-Infrastruktur müsse verbessert werden, zum
Beispiel über einen regionalen IT-Gipfel. Schließlich
sollte ein Fonds aufgelegt werden, um die duale Ausbildung, mit der Deutschland so gute Erfahrungen gemacht
hat, vor Ort zu etablieren.
({1})
Aus solchen Bausteinen sollte eine neue EU-Strategie für Südosteuropa errichtet werden. Europa konnte die
vier blutigen Balkankriege der 90er-Jahre nicht verhindern. Die EU hat daraus aber gelernt und hat der ganzen
Region ab 1999 mit dem Stabilitätspakt für Südosteuropa und 2003 mit der EU-Beitrittsperspektive das Tor zu
einer positiven Europazukunft aufgestoßen. Jetzt muss
eine Erosion dieser positiven Europavision in einer Region verhindert werden, in der sich längst andere Player an
einer offensiven Einflusspolitik alter Schule versuchen,
ohne dabei das Wohlergehen der Menschen in dieser
Region im Auge zu haben. Es ist jetzt Zeit, politisch zu
handeln - jenseits der Sicherungsaufgaben, für die wir
KFOR weiter brauchen. Aber das ist bereits eine Aufgabe
für den nächsten Bundestag.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dieser Rede verabschiede ich mich nach mehr als 30 Jahren und nach
acht Wahlperioden aus dem Deutschen Bundestag. Ich
habe mich in dieser ganzen Zeit vor allem mit der internationalen Politik beschäftigt, mit dem Schwerpunkt auf
Russland, Osteuropa, Zentralasien und Südosteuropa.
Wir haben in Deutschland eine parlamentarische politische Kultur mit bemerkenswerten Rechten des Bundestages bei internationalen Fragen entwickelt. Dabei
sprechen wir nur über einen Ausschnitt, wenn wir auf die
strikte Genehmigungspflicht jedes auch noch so begrenzten Auslandseinsatzes der Bundeswehr verweisen. In
Wirklichkeit hat sich der Bundestag erhebliche Mitwirkungs- und Kontrollrechte auf allen Feldern der Außen-,
Sicherheits- und internationalen Politik unseres Landes
gesichert, und er hat bisher alle Versuche abgeschmettert, diese Rechte einzuschränken. Solche Versuche hat
es durchaus gegeben.
Gerade die heutige 19. Debatte um den Einsatz im
Kosovo ist ein guter Hintergrund, um auf dieses Alleinstellungsmerkmal unserer parlamentarischen politischen
Kultur hinzuweisen. Wer einmal einen Blick darauf
wirft, welche Rechte zum Beispiel unsere französischen
Kolleginnen und Kollegen bei der Pariser Außen- und
Sicherheitspolitik haben, weiß, wovon hier die Rede ist.
Ich plädiere nachdrücklich dafür, an diesem Alleinstellungsmerkmal festzuhalten, so unbequem es für das Regierungshandeln manchmal auch sein mag.
({2})
Noch nie waren parlamentarische Mitwirkung und
Kontrolle bei der Bewältigung internationaler Herausforderungen so nötig und wichtig wie heute. Wir sind konfrontiert mit den Folgen von politischen Entscheidungen,
die sich über Regeln und Prinzipien einschließlich des
Völkerrechts hinweggesetzt haben. Der Kosovokrieg, so
hat es Kofi Annan einmal gesagt, bewegte sich in einer
Grauzone des Völkerrechts. Die Folgen beschäftigen uns
bis heute. Der Irakkrieg, an dem Deutschland zum Glück
nicht teilgenommen hat, war völkerrechtswidrig und hinterließ eine ganze Failing-State-Landschaft, die sich als
Biotop für den islamistischen Terror erwiesen hat. Der
Missbrauch der Bengasi-Resolution des UN-Sicherheitsrats vom März 2011 hat uns letztlich vor schier unlösbare Probleme in Libyen gestellt, hat internationales
Vertrauen zerstört und nebenbei wahrscheinlich noch das
Prinzip der Schutzverantwortung auf Dauer diskreditiert.
Wer heute die russische Seite auf ihre Regelverletzungen
im Ukraine-Konflikt anspricht, bekommt immer dieselbe
Antwort: Und was habt ihr im Kosovo, im Irak und in
Libyen gemacht?
({3})
In dieser Falle stecken wir. Da herauszukommen und
neues Vertrauen zu schaffen, wird sehr viel Kraft kosten.
Eine Anstrengung, die ohne den konstruktiven und kreativen Einsatz von Parlamentariern und Parlamenten nicht
gelingen wird. Eine Weltpolitik als Reparaturbetrieb hat
keine Zukunft. Unser Ziel muss die globale Verantwortungspartnerschaft bleiben, in die wir alle relevanten
Staaten mit einbeziehen müssen. Dass es sich lohnt, sich
dafür einzusetzen, soll meine letzte Botschaft von diesem
Pult aus gewesen sein.
({4})
Anfügen möchte ich nur ein kurzes Wort des Dankes:
an meine Mitarbeiter, die ich sehr vermissen werde, an
die Beschäftigten dieses Hohen Hauses, die ihre Arbeit
ebenso lautlos wie effizient und freundlich verrichten,
und an alle Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich zusammenarbeiten durfte, immer mit Respekt und immer
fair.
Ich danke Ihnen.
({5})
„... immer mit Respekt und immer fair“: Kolleginnen
und Kollegen des gesamten Hauses haben Ihnen eben mit
ihrem Beifall hier zugestimmt. Ich denke, ich spreche
im Namen aller Abgeordneten und auch der von Ihnen
angesprochenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
Verwaltung, wenn wir Ihnen für Ihre weiteren Unternehmungen - ich bin fest davon überzeugt, wir werden von
Ihnen hören - alles Gute wünschen.
({0})
Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat die Kollegin Sevim Dağdelen für die Fraktion Die Linke.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Kollege Erler, auch ich bedanke
mich - auch im Namen meiner Fraktion - für die Zusammenarbeit und wünsche Ihnen vor allen Dingen für die
Zukunft alles Gute.
({0})
Aber eines erlauben Sie mir dann doch:
({1})
Bei der Beurteilung des Jugoslawien-Kriegs war Ihr ehemaliger Bundeskanzler Gerhard Schröder etwas eindeutiger. Er sagte: Ich habe als Kanzler damals mit dem Jugoslawien-Krieg gegen das Völkerrecht verstoßen. Das
sagte selbst Bundeskanzler Gerhard Schröder.
({2})
Ich finde, das gehört bei der eindeutigen Einordnung der
Geschichte zur ehrlichen Debatte dazu.
Im Mandatstext für Ihren KFOR-Einsatz sagen Sie:
Der Auftrag und das Ziel sind die „Unterstützung zur
Entwicklung eines stabilen, demokratischen, multiethnischen und friedlichen Kosovo“. Dann schauen wir uns
das einmal an. Seit 18 Jahren steht die Bundeswehr mittlerweile im Kosovo. Milliarden wurden für diesen Einsatz ausgegeben, Milliarden versickerten als Wirtschaftshilfe im Land. Das Ergebnis ist eine Katastrophe. War
die Lage im Kosovo schon immer politisch heikel, haben
jetzt die Extremisten im Kosovo endgültig Oberwasser
bekommen. „Radikale Parteien gewinnen Parlamentswahl im Kosovo“, so die Schlagzeile auf tagesschau.de.
({3})
- Hören Sie mal lieber zu, Herr Kauder! - In der Tat
könnte die Bilanz des Engagements der Bundesregierung
nicht negativer sein.
({4})
http://www.tagesschau.de/
So wird mit dem ehemaligen UCK-Kommandanten und
mutmaßlichen Kriegsverbrecher - Ihr Verbündeter, Herr
Kauder - Ramush Haradinaj,
({5})
unterstützt von einem völkisch-nationalistischem Parteienbündnis, mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Antidemokrat erster Klasse künftig an der Spitze des Kosovo stehen. Mit deutschen Truppen wird sozusagen ein Gebilde
geschützt, an dessen Spitze ein Mann - ja, man muss das
sagen - mit NPD-Ideologie steht, dessen Ziel es ist, den
gesamten Balkan in Brand zu setzen.
Diese Bundesregierung treibt gleichzeitig unverdrossen den EU-Beitritt dieses Kosovo voran. Gemeinsam
mit der Europäischen Union werden die eigenen Kriterien einfach so in den Staub getreten.
Blicken wir zurück: Haradinaj und seine Gruppe waren wegen gewaltsamer Verschleppung von Zivilisten,
Entführung, Freiheitsberaubung, Folter, Mord, Vergewaltigung angeklagt worden. Haradinaj wurde vom
Haager Gericht freigesprochen aus dem ganz einfachen
Grund, weil kein Zeuge mehr gegen ihn aussagen konnte
oder auch wollte.
({6})
Von den ursprünglich zehn Zeugen gegen ihn überlebte
nur ein einziger Zeuge. Dieser zog seine Aussage zurück,
nachdem er knapp einen Anschlag überlebt hatte.
Ich möchte an die anderen neun Zeugen erinnern, die
alle ums Leben gekommen sind oder ermordet wurden.
Einer wurde von einem Jeep überfahren, ein anderer mit
einem Messer erstochen, zwei wurden erschossen, die
anderen bei professionell organisierten Attentaten getötet. Eine eindrucksvolle Bilanz Ihres Verbündeten auf
dem Weg zum Rechtsstaat im Kosovo, würde ich sagen.
Das Schweigen der Bundesregierung zu diesen Vorgängen spricht Bände. Es untergräbt aber auch die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union insgesamt in Sachen
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
({7})
Haradinaj fordert ein Großalbanien. Mit Gewalt soll
bis zu einem Drittel des serbischen Territoriums annektiert werden. Die Stadt Nis soll selbst dazugehören zu
diesem völkischen Albtraum. Ich finde, es ist wirklich
beschämend, dass diese Leute die Garanten der Bundesregierung für eine demokratische Entwicklung im Kosovo sein sollen.
({8})
Diese Bundesregierung unterstützt nämlich im Rahmen der KFOR-Soldaten solche Leute. Ich würde sagen,
jeder vernünftige Mensch würde die Unterstützung dieses Kosovo endlich einstellen.
({9})
Zu dieser Schreckensbilanz kommt ja noch eines hinzu: dass sich unter den Augen deutscher Truppen das
Kosovo zu einem islamistischen Terrorzentrum entwickelt hat. So sagte die Bundesregierung in ihrer Antwort
auf meine Anfrage, dass durch saudische Gelder die Förderung des Islamismus extremst vorangetrieben wird.
Die Konsequenzen sind wirklich verheerend. Auf die
Bevölkerung hochgerechnet, hat keine Region, keine
einzige Region in Europa so viele Leute zu den islamistischen Mörderbanden nach Syrien gesandt wie der Kosovo. Wie gesagt: Ich finde, das ist eine Schreckensbilanz.
({10})
Es verwundert mich auch nicht, dass dies bei den Beratungen zu KFOR nicht einmal Gegenstand im Kabinett
gewesen ist, wie mir die Bundesregierung mitteilte. Sie
agieren nach dem Prinzip der drei Affen: nichts hören,
nichts sehen, nichts sagen. Ich finde, damit muss Schluss
sein. Diese verheerende deutsche Politik auf dem Balkan
muss beendet werden.
({11})
Es kommt noch hinzu: Serbien wollen Sie auch noch
zu einer völkerrechtswidrigen Anerkennung der einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo zwingen,
indem Sie mit dafür sorgen, dass dies unter Bruch des
europäischen Rechts zu einem Kriterium der Beitrittsverhandlungen wird. Den Extremisten, den Nationalisten im
Kosovo rollen Sie im Gegenzug den roten Teppich aus.
Ich finde, die Förderung dieser großalbanischen Nationalisten auf dem Balkan muss aufhören.
({12})
Wir brauchen eine Umkehr in der deutschen Außenpolitik: zurück zum Völkerrecht, zurück zur Rechtsstaatlichkeit, zurück zur Demokratie. Deshalb sagen wir: Stellen
Sie Ihre Unterstützung ein, und ziehen Sie endlich die
Bundeswehr aus dem Balkan ab!
({13})
Das Wort hat der Kollege Dr. Franz Josef Jung für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Kollegin Dağdelen, wenn man Ihre Ausführungen hier hört, dann muss man schon deutlich sagen,
dass erstens die Angriffe auf die Bundesregierung mit
Nachdruck zurückgewiesen werden müssen
({0})
und zweitens Sie offensichtlich völlig vergessen haben,
dass auf dem Balkan durch Massenvergewaltigungen
und Massenhinrichtungen eine Situation von kriegerischer Auseinandersetzung entstanden ist, die ohne das
Eingreifen der NATO und damit auch unserer Bundeswehr nicht wieder in Stabilität und Frieden übergegangen
wäre.
({1})
Wir reden heute über die Verlängerung des KFOR-Mandats, um weiterhin eine Stabilisierung und eine friedliche
Entwicklung auf dem Balkan und konkret im Kosovo zu
ermöglichen.
({2})
Meine Damen und Herren, es liegt auch in unserem
Sicherheitsinteresse, dass sich die Region weiter stabilisiert, dass die Länder auf ihrem Weg zur Europäischen
Union von uns unterstützt werden, dass wir vermeiden,
dass Konflikte neu ausbrechen.
({3})
Da kann ich nur das unterstreichen, was Herr Erler gesagt
hat. Eine Provokation wie beispielsweise der Zug mit der
Aufschrift „Kosovo ist Serbien“ muss in Zukunft unterbleiben, weil dies nur zusätzliche Konflikte schürt und
nicht zu einer friedlichen und stabilen Entwicklung im
Kosovo beiträgt.
({4})
Meine Damen und Herren, es ist zutreffend: Seit
18 Jahren ist KFOR auch mit unseren Soldatinnen und
Soldaten im Kosovo engagiert. Mittlerweile sind die
kosovarischen Sicherheitskräfte in der Lage, Sicherheit
herzustellen, beispielsweise bei Großdemonstrationen
oder gewaltsamen Ausschreitungen. KFOR stellt heute
eine Rückversicherung dar, falls die Lage wieder instabil
werden sollte. Hier denke ich insbesondere an das Nordkosovo.
Wir müssen auch sehen, dass die Stabilisierungserfolge dazu geführt haben, dass die 50 000 Soldatinnen und
Soldaten, die ursprünglich im Kosovo waren - davon immerhin 6 440 Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten -,
auf insgesamt 4 400, davon 550 Bundeswehrsoldaten,
reduziert wurden. Deswegen können wir jetzt das Mandat von 1 350 Soldatinnen und Soldaten auf 800 zurückführen.
Aber ich denke, es bleibt unser Ziel, dass wir alle Anstrengungen unternehmen, um auch dieses Mandat zu
einem guten Abschluss zu führen. Dazu gehört, dass weiterhin die Normalisierung der Beziehungen mit Serbien
unterstützt wird, sodass alle Bürger des Kosovo in Frieden und in sicheren Grenzen leben können.
({5})
Kosovo muss ein stabiler multiethnischer Staat sein, in
dem alle Minderheiten, auch die Serben, in Frieden und
Freiheit gleichberechtigt leben können.
({6})
Meine Damen und Herren, es braucht dazu auch wieder einen neuen Impuls. Es ist wahr, dass die illegalen
serbischen Doppelstrukturen im Bereich Justiz und Sicherheit abgebaut worden sind, dass beispielsweise die
Brücke in Mitrovica wieder geöffnet wurde, aber es bedarf noch des serbischen Gemeindeverbandes - das muss
jetzt von kosovarischer Seite ermöglicht werden -, um
eine weitere stabile und friedliche Entwicklung im Kosovo zu bewirken.
({7})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach den
Wahlen ist noch nicht klar, wie die neue Regierung aussehen wird. Aber eines muss klar sein: dass der Normalisierungsprozess weiter intensiviert wird, dass die
Rechtsstaatlichkeit vorangebracht wird, dass organisierte
Kriminalität und Korruption bekämpft werden und dass
auch der Kampf gegen den IS im Kosovo entsprechend
intensiviert wird, weil das die Voraussetzung für eine zukünftig auch in wirtschaftlicher Hinsicht positive, stabile
und friedliche Entwicklung in dieser Region ist. Daher
wollen wir mit KFOR und mit unseren Soldatinnen und
Soldaten diesen Prozess intensiv unterstützen.
({8})
Im Wahlkampf - es wurde angesprochen - sind verschiedene Dinge artikuliert worden. Ich glaube, eines muss man sehr deutlich sehen: Eine Forderung zur
Schaffung von Großalbanien ist genau das Gegenteil von
dem, was friedliche Entwicklung und Stabilisierung bedeutet. Deshalb müssen solche Forderungen in Zukunft
unterbleiben und möglichst schnell vom Tisch, weil dies
zu keiner positiven Entwicklung im Kosovo führen wird.
({9})
Das gefährdet eine friedliche und europäische Entwicklung. Deshalb bleibt, glaube ich, der Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten hier notwendig.
Ich denke, man muss auch deutlich machen - ich habe
die Zahlen gerade noch einmal in Erinnerung gerufen -,
welchen Beitrag unsere Soldatinnen und Soldaten dort
geleistet haben. Im Übrigen haben - auch das gehört zu
einer solchen Debatte - Soldatinnen und Soldaten, die
sich dort für eine friedliche Entwicklung eingesetzt haben, ihr Leben gelassen. Deshalb gehört es im Rahmen
dieser Debatte auch dazu, unseren Soldatinnen und Soldaten für diesen Einsatz zu danken, den sie für Frieden
und Stabilität im Kosovo geleistet haben.
({10})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, da dies auch
meine letzte Rede im Deutschen Bundestag sein wird,
will ich noch drei Bemerkungen machen.
Erstens. Ich habe meine Abgeordnetentätigkeit wenn ich die Mandate auf Kreis-, Landes- und Bundesebene zusammenzähle, komme ich auf 45 Jahre - immer
mit großer Freude und Engagement wahrgenommen. Ich
bedanke mich für die gute und freundschaftliche Zusammenarbeit, auch für die Unterstützung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich will hinzufügen: Ich glaube, unser System der repräsentativen parlamentarischen
Demokratie hat sich in Deutschland bewährt und sollte
auch in Zukunft unser Prinzip des Parlamentarismus in
Deutschland bleiben.
({11})
Zweitens. Ich sage auch, dass ich meine Regierungsfunktionen, sowohl in Hessen als auch im Bund, gerne
wahrgenommen habe, am liebsten - das gebe ich zu das Amt des Verteidigungsministers. Mir war es immer
ein Herzensanliegen, mich für unsere Soldatinnen und
Soldaten einzusetzen. Ich habe das im Fall des Kosovo
erlebt. Es gibt keinen Berufsstand, der schwört, dass er
das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer,
das heißt unter Einsatz seines Lebens, verteidigt. Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten hier einen wichtigen
Dienst für unsere Sicherheit, für eine friedliche Entwicklung, und deshalb haben sie auch unsere Unterstützung
und unseren Dank verdient.
({12})
Einen dritten Punkt möchte ich gerne noch ansprechen: Zum Höhepunkt meines politischen Lebens gehört,
dass wir die Einheit unseres Vaterlandes in Frieden und
Freiheit, ohne dass ein Tropfen Blut vergossen wurde,
erreichen konnten. Unter der Verantwortung und Führung unseres damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl,
dem Kanzler der Einheit, haben wir dies geschafft. Ich
bin dankbar, dass ich damals die ersten Kontakte zu Reformkräften der Ost-CDU hatte, dass ich die Allianz für
Deutschland mitgründen durfte und dass ich die erste
Großveranstaltung von Helmut Kohl mit 160 000 Bürgerinnen und Bürgern in Erfurt mitorganisieren durfte.
Meine Damen und Herren, wenn die Allianz für Deutschland am 18. März 1990 nicht erfolgreich gewesen wäre,
wäre der 3. Oktober 1990 so nicht erfolgt. Das ist meine
felsenfeste Überzeugung. Dafür bin ich umso mehr dankbar.
({13})
Gerade am heutigen Tag verneige ich mich deshalb
in Verehrung und Dankbarkeit vor dem großen europäischen und deutschen Staatsmann Helmut Kohl.
Meine Damen und Herren, zum Schluss möchte ich
auch meiner Familie danken. Ohne meine Frau wäre all
das so nicht möglich gewesen. Herzlichen Dank. Und alles Gute dem Deutschen Bundestag.
Besten Dank.
({14})
Alles Gute auf dem weiteren Weg. - Wir fahren in der
Debatte fort. Das Wort hat die Kollegin Marieluise Beck
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Kollege Erler, lieber Kollege Jung,
solche Abschiede gehören zum Wesen der parlamentarischen Demokratie; denn sie bedeuten Wechsel und Rotation. Sie bringen immer etwas Wehmut mit sich. Deswegen möchte auch ich an dieser Stelle Ihnen meinen Dank
dafür aussprechen, dass wir in den vergangenen Jahren
immer, und zwar ausnahmslos, mit Respekt miteinander
umgegangen sind und sehr fruchtbar miteinander arbeiten konnten. Schönen Dank dafür.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben wegen
der Parlamentsgebundenheit von Bundeswehreinsätzen
im jährlichen Rhythmus - das schon seit vielen Jahren immer wieder Debatten um Mandate. Das bringt das
Problem mit sich, dass manchmal die politische Komplexität, die hinter diesen Mandaten steckt, ein wenig
unterzugehen droht. Deswegen möchte ich heute gerne
die Gelegenheit ergreifen, nicht nur über das Kosovo,
sondern über den gesamten Westbalkan zu sprechen.
Mit der Annexion der Krim, dem Krieg in der Ukraine, mit der noch größeren Katastrophe in Syrien, mit dem
Failed State Libyen scheint das Kosovo und der Westbalkan eigentlich eine Region zu sein, die relativ ruhig ist
und auf die wir nicht so stark schauen müssen. Hier, meine ich, sollten wir im Sinne eines vorsorgenden Blicks
etwas genauer hinschauen. Der Westbalkan ist in keiner
guten Verfassung. Leider muss ich sagen, dass ich mehr
Brisanz und mehr Sprengstoff in der Region sehe, als bei
uns öffentlich wahrgenommen wird.
Wenn wir uns noch einmal die Situation in den Folgerepubliken des ehemaligen Jugoslawiens anschauen, so
stellen wir fest: Slowenien ist auf einem guten Weg. Es
ist langjähriges Mitglied der Europäischen Union. Auch
Kroatien ist unter dem Dach der Europäischen Union, obwohl es immer wieder starke innenpolitische Herausforderungen gibt. Serbien stellt sich stabil dar. Darüber gibt
es bei uns eine große Erleichterung. Allerdings sollten
wir ehrlicherweise zugeben, dass diese Stabilität einen
politischen Preis hat; denn es gibt in diesem Land starke autoritäre Tendenzen, die ausgehen von dem jetzigen
Präsidenten und ehemaligen Premier Vucic. Wir sollten
sehr entschieden bleiben und die Augen nicht verschließen, weil wir Angst vor den Konsequenzen der Wahrheit
haben. Die innere Verfasstheit des heutigen Serbiens
passt nicht zum Wertekanon der EU. Es bleibt da also
noch sehr viel zu tun.
({1})
Bosnien und Herzegowina sind in einem dysfunktionalen Staatsaufbau festgefahren, den die internationale
Gemeinschaft mit zu verantworten hat. Das Land findet
aber auch nicht die eigene politische Kraft, sich daraus
zu befreien. Es gibt nationalistische Tendenzen, und die
entsprechenden Kräfte nutzen diese Dysfunktionalität,
um ihre Machtposition zu stabilisieren. Es ist ein Land in
besorgniserregender Agonie. Die Jungen und gut Ausgebildeten verlassen das Land. Ich meine, wir sollten hier
ehrlich genug sein, um festzustellen, dass die Frage, wie
man diesem Land die positiven Impulse, die es eigentlich
bräuchte, von außen geben könnte, bei uns eine gewisse
Ratlosigkeit hinterlässt. Immer mal wieder droht Herr
Dodik mit einer Sezession, vielleicht nur spielerisch wir wissen es nicht so genau. Aber auch das destabilisiert
das Land immer wieder.
Mazedonien befindet sich im Würgegriff einer autoritären Clanstruktur. Der Weg in eine politische Transformation war durch ungeheuerliche Vorgänge im Land lange verstellt, und es droht immer das Wiederaufflammen
der ethnischen Konflikte in diesem albanisch-slawischen
Land. Es bleibt also bei der Fragilität dieses Landes.
Über all dem - das ist eben ausführlich dargelegt worden - schwebt das Damoklesschwert der Fantasie von
einem ethnisch homogenen Großalbanien, und eine solche Entwicklung würde das Land tatsächlich wieder in
Flammen setzen. Dass die Partei von Albin Kurti, einem
Nationalisten und erklärten Großalbaner, bei den Wahlen im Kosovo zur zweitstärksten Kraft geworden ist und
Haradinaj, wie wir alle wissen, dem Haager Gerichtshof
nur aufgrund der Zeugensituation entkommen ist - das
alles ist nicht beruhigend.
Wir haben im Jahre 2014 viel von Christopher Clark
gehört und durch sein Buch Die Schlafwandler gelernt,
wie fragil der Westbalkan ist und wie wichtig er für uns
in Europa immer gewesen ist, welche explosive Kraft der
Balkan gehabt hat. Es kommt jetzt etwas Neues hinzu:
Russland drängt als Player auf den Westbalkan. Wir haben also eigentlich wieder die tektonischen Verhältnisse,
die zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges geführt haben:
eine serbische Orthodoxie, die sich gen Russland orientiert, ein christlich-katholisches Kroatien mit der Verbindung nach Rom und eine muslimische Bevölkerung
mit der Bindung an das Erbe des Osmanischen Reichs.
Wer sich mit diesen Fragen, mit den langen Linien der
Geschichte, nicht auseinandersetzt, wird die Schwierigkeiten, die wir derzeit auf dem Balkan haben, nicht verstehen können.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich bin gleich fertig.
Nur noch eine Frage an Sie, Frau Dağdelen: Ist denn
dann die Konsequenz, zu gehen, was dazu führen würde,
dass die ganze Region wieder in Flammen aufgeht? Ich
meine, dass wir gerade wegen oder trotz der Schwierigkeiten die Verpflichtung haben, zu bleiben.
({0})
Der Kollege Florian Hahn hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mitrovica im Norden des Kosovo ist seit dem Kosovokrieg
eine geteilte Stadt: im Süden die Kosovo-Albaner, im
Norden die Kosovo-Serben. Die Brücke, die beide Seiten verbinden sollte, ist ein Symbol für den Konflikt der
beiden ethnischen Gruppen im jüngsten Staat Europas.
Aus Sicherheitsgründen wird die Brücke von KFOR-Soldaten bewacht; sie ist nicht für den Verkehr freigegeben
und lediglich für Fußgänger geöffnet. Kontakt zwischen
Kosovaren auf beiden Seiten der Brücke gibt es nur eingeschränkt. Die Kosovo-Serben im Norden planen sogar
wieder, eine Mauer zu errichten, die erst Anfang dieses
Jahres eingerissen wurde. Das Beispiel der Stadt Mitrovica zeigt uns: Die Situation im Norden des Kosovo ist
weiter angespannt.
Obwohl man positiv bewerten muss, dass nach Aussage der OSZE die Neuwahlen im Juni dieses Jahres ohne
größere Vorkommnisse durchgeführt wurden, wird das
Ergebnis die Spannungen wohl weiter verschärfen. Aus
der Wahl sind Parteien und Bündnisse hervorgetreten,
die für wenig Kompromissbereitschaft stehen und die als
populistisch, nationalistisch und radikal gelten. Stärkste
Kraft wurde ein Zusammenschluss, der von drei ehemaligen UCK-Kommandeuren angeführt wird, mit dem sehr
umstrittenen Spitzenkandidaten Haradinaj. Das müssen
wir im Blick behalten.
Die Koalitionsverhandlungen werden wahrscheinlich
lange dauern, und das wird Zeit kosten, was dazu führen wird, dass sich wichtige Reformschritte im Kosovo
verzögern. Das ist für eines der ärmsten Länder Europas
fatal. Als Teil Europas, als potenzieller EU-BeitrittskanMarieluise Beck ({0})
didat braucht das Land weiterhin unsere Unterstützung,
zum Beispiel im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit.
Deutschland ist der größte bilaterale Geldgeber in der
Entwicklungszusammenarbeit. Im Zentrum steht die Bekämpfung der massiven Arbeitslosigkeit, insbesondere
von Jugendlichen. Wir stärken zudem kleine und mittlere
Unternehmen und Unternehmen in den Industriesektoren, indem wir den Energienetzausbau und den Ausbau
der Abwasser- und Abfallentsorgung fördern. Darüber
hinaus beteiligt sich Deutschland an der EU-Rechtsstaatlichkeitsmission EULEX aktuell mit 23 Soldaten, die
Kosovo beim Aufbau von Polizei, Justiz und Verwaltung
unterstützen.
Wir leisten auch diplomatische Unterstützung. Für
eine langfristige Stabilität muss sich der Kosovo wieder
mit seinem Nachbarn Serbien verständigen. Deutschland
setzt sich für den Dialog der beiden Länder und für die
Umsetzung des Normalisierungsabkommens aus dem
Jahr 2013 ein, weil der Prozess auch hier von Spannungen geprägt ist.
Aber wir brauchen eben auch militärische Unterstützung. Es besteht im Norden des Kosovo weiterhin Eskalations- und Konfliktpotenzial. Die kosovarische Polizei
verfügt zwar über immer bessere Fähigkeiten, und die
Lage ist im Moment grundsätzlich ruhig. Allerdings ist
sie nur schwer berechenbar. Kosovo braucht weiterhin
die KFOR-Truppen im Land. Das Engagement der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr ist sehr wichtig.
Deutschland ist zusammen mit den USA und Italien der
größte Truppensteller. Durch die verbesserte Sicherheitslage können wir jedoch die Mandatsobergrenze auf jetzt
800 Soldatinnen und Soldaten weiter senken. Wir treiben
auch die Anpassung des deutschen Beitrags in Form von
Eingreifkräften sowie Aufklärungs- und Beratungskräften voran. Meine Damen und Herren, das ist ein vernetzter Ansatz. So gestalten wir verantwortliche Politik.
An dieser Stelle möchte ich unseren Soldatinnen und
Soldaten danken, die wir seit 1999 Jahr für Jahr in den
Kosovo entsenden und die dort ihren Dienst tun.
({1})
Sie verdienen die beste Ausbildung und die beste Ausrüstung. Deshalb geht an dieser Stelle mein herzlicher Dank
an Sie, Frau Ministerin. Sie haben sich genauso wie Ihre
Vorgänger, genauso wie du, lieber Franz Josef Jung, für
eine Verbesserung in diesem Bereich eingesetzt.
({2})
Die KFOR-Mission ist die tragende Säule des umfassenden vernetzten Ansatzes, den wir gemeinsam mit
unseren Partnern im Kosovo verfolgen. Nur in einem sicheren Umfeld sind politische Fortschritte und Entwicklungen möglich.
Meine Damen und Herren, lieber Franz Josef Jung,
sehr geehrter Dr. Erler, sehr geehrte Frau Beck, ich
möchte mich herzlich für Ihre Beiträge nicht nur in dieser
Debatte, sondern in den vielen anderen Debatten, die wir
geführt haben, bedanken. Man muss nicht immer einer
Meinung sein, aber Sie haben zumindest immer wichtige
Beiträge geliefert, um gemeinsam zu überlegen, welche
Lösungen es gibt. Unsere Frau Kollegin Dağdelen kann
sich davon ein Scheibchen abschneiden;
({3})
denn sie hat heute nur dargestellt, was alles schlecht
läuft, und dafür nur die Bundeswehr verantwortlich gemacht. Das ist falsch. Sie haben keine einzige Lösung
präsentiert, Frau Kollegin.
({4})
Meine Damen und Herren, wir brauchen einen langen
Atem, damit in Zukunft Brücken in Mitrovica die Menschen verbinden und nicht trennen. Sie sollen auch nicht
durch Mauern getrennt werden. Daher bitte ich Sie, der
Verlängerung des KFOR-Mandats zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswär-
tigen Ausschusses auf Drucksache 18/12694 zu dem An-
trag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen
Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz
in Kosovo. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 18/12298 anzunehmen. Wir stimmen über
die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen. - Sind alle Plätze an den Urnen be-
setzt? - Ich eröffne die Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung.
Ein kleiner Hinweis für die Kolleginnen und Kolle-
gen, die noch abstimmen wollen: Hier vorn ist das ohne
Probleme möglich.
Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, das seine Stim-
me nicht abgeben konnte? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt
gegeben.1)
Ich bitte diejenigen, die noch im Saale sind, um die
notwendige Aufmerksamkeit, um auch die folgende Ab-
stimmung nicht nur vornehmen zu können, sondern vor
allen Dingen das Ergebnis der Abstimmung zweifelsfrei
feststellen zu können. Dafür wäre es hilfreich, wenn die-
jenigen, die sich hier weiter an der Abstimmung beteili-
gen wollen, einfach ihren Platz einnehmen.
1) Ergebnis Seite 24572 D
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/12819. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Die SPD-Fraktion nimmt an dieser Abstimmung
bis auf eine Kollegin nicht teil. Der Entschließungsan-
trag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der
Fraktion Die Linke und einer Kollegin der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias
W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Inklusive Bildung für alle - Ausbau inklusi-
ver Schulen fördern
- zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias
W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Inklusive Bildung für alle - Ausbau inklu-
siver Bildung in der beruflichen Bildung
umsetzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias
W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Inklusive Bildung für alle - Ausbau inklu-
siver Bildung in der Kindertagesbetreuung
umsetzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole
Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Inklusive Bildung für alle - Ausbau inklusi-
ver Hochschulen fördern
Drucksachen 18/8420, 18/8421, 18/8889,
18/9127, 18/12409
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein,
Diana Golze, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Schulsozialarbeit an allen Schulen sicherstellen
Drucksachen 18/2013, 18/11803
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Xaver Jung für die CDU/CSU-Fraktion.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wie wir alle wissen, beginnt Politik mit dem
Betrachten der Wirklichkeit. Wer sich die gesellschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre anschaut, sieht
erfreuliche Fortschritte hin zu mehr Inklusion. Vielen
Dank an alle, die dabei mithelfen.
Inklusion ist aber inzwischen bei Schülern, Eltern und
Lehrern auch ein sehr emotionsgeladenes Thema; denn
teilweise macht sich im Bildungsbereich ein unseliger
Aktionismus auf Kosten der betroffenen Kinder und Jugendlichen breit. Wie schaut sie denn in der Praxis aus,
die oft übereilte, zwanghafte inklusive Beschulung von
Schülerinnen und Schülern in Regelschulen? Wir erhalten inzwischen jede Menge negativer Erfahrungsberichte
aus den Ländern, und das Schlimme ist: Das alles war
vorhersehbar und vorhergesagt; Warnungen wurden in
den Wind geschlagen.
Kinder mit starken Verhaltensauffälligkeiten haben
keine Rückzugsräume mehr und belasten deshalb mit extremen Verhaltensweisen ihre Mitschüler und Lehrer. Sie
bekommen nicht die notwendige zusätzliche Betreuung,
sondern werden mit 25 weiteren Kindern in einer Klasse
unterrichtet. Kinder, die mit ihren Mitschülern nur begrenzt kommunizieren können, werden ausgeschlossen
und verbringen die Pause allein auf dem Schulhof. Andere lernbehinderte Schüler sind frustriert, weil ihnen die
Klassenkameraden im Leistungsvergleich immer voraus
sind. Lehrerinnen und Lehrer sind schlichtweg überlastet, weil die notwendige permanente Doppelbesetzung
nicht erfolgt. Dafür vorgesehenes Personal wird stattdessen oft für Krankheitsvertretungen eingesetzt, ich sage:
missbraucht.
Kurzum: Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. Hier wird ein ideologischer Ansatz, der in der
Theorie sehr schön erscheint, durch mangelnde Ressourcen in der Praxis zu einem negativen Szenario. Wer so
Inklusion betreibt, muss sich über Akzeptanzprobleme
nicht wundern.
({0})
Wer Förderschulen so wie Sie, Herr Mutlu, schließt,
qualitativ gleichwertige Angebote in Regelschulen aber
nicht bereithält, der betreibt das Gegenteil von Inklusion.
({1})
Wer quantitative Standards statt qualitativer Standards
als Vergleichsmaßstab nimmt, der betreibt schlechte Inklusion, und wer sich wie Sie aus politischer Ideologie
heraus
({2})
Vizepräsidentin Petra Pau
einem realistischen Blick auf diese Herausforderung
verschließt, der betreibt das Gegenteil von gelingender
Inklusion. Was Eltern, Schüler und Lehrer davon halten,
hat sich bei der NRW-Wahl gezeigt: gar nichts. Die Regierung wurde auch deshalb abgewählt.
Wir hingegen wollen eine gelingende Inklusion. Das
schließt ein, dass jedes Kind, welches nicht die gleichen
Chancen auf eine freie geistige Entfaltung wie seine
Mitschüler hat, auf eine Schule gehen darf, die ihm ein
unbeschwertes Leben ermöglicht und keinen täglichen
Kampf bedeutet. Wie die Erfahrung zeigt, ist dies eben
nicht immer die Regelschule mit ihren Klassenverbänden; denn es gibt zum Beispiel Gehörlose, die sich lieber
mit anderen Gehörlosen in Gebärdensprache unterhalten,
statt isoliert auf dem Pausenhof zu stehen. Das müssen
wir respektieren, und dem müssen wir Rechnung tragen.
Für eine gelingende Inklusion braucht es ein System,
in dem es die Wahl zwischen allgemeinen Schulen und
spezialisierten Förderschulen gibt. Diese Förderschulen
garantieren eine liebevolle und individuelle Behandlung
für diejenigen, die nicht zwangsinkludiert werden wollen. So sehen das übrigens auch die Lehrerinnen und
Lehrer. Eine Forsa-Umfrage hat ergeben, dass 97 Prozent fordern, dass Förderschulen erhalten bleiben. Die
Jugendlichen sehen das laut ihrer Erklärung von Lissabon genauso. Es geht darum, jeden Schüler bestmöglich
individuell zu fördern und zu fordern, und zwar am Lernort seiner Wahl. Dafür stehen wir als CDU/CSU.
Wie können wir das verwirklichen? Es braucht mehr
Ressourcen seitens der Länder, und es braucht einen realistischen Blick auf die Chancen und Herausforderungen.
Dazu gehört, die Bildungsziele am einzelnen Schüler zu
orientieren. Das hat übrigens auch die Deutsche Kinderhilfe bei einem von mir organisierten Treffen zum Thema
Dyskalkulie und Legasthenie so gesehen; Frau Dr. Hein,
Sie waren dabei. Es wurde ausdrücklich gewünscht, dass
eine gesonderte Förderung möglich bleibt.
Bei alldem müssen wir behutsam vorgehen. Schritt
für Schritt muss evaluiert werden, ob wir noch auf dem
richtigen Weg sind. Wir haben bereits verschiedene gute
Maßnahmen auf den Weg gebracht. Zahlreiche Forderungen aus dem Antrag haben wir bereits aufgenommen.
Wir sind dabei, diese umzusetzen. Wir fördern als Bund
die schrittweise Umsetzung der Behindertenrechtskonvention im Rahmen des Nationalen Aktionsplans.
({3})
Der Bund betreibt Forschungsförderung und initiiert die
Weitergabe der Erkenntnisse an alle Beteiligten. Der Bund
finanziert und organisiert unter anderem die Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, die sich
ausdrücklich Fragen inklusiver Bildung im Bereich der
frühen Bildung widmet. Seit Beginn dieses Jahres regelt
das neue Bundesteilhabegesetz Fragen der Früh erkennung
und Frühförderung für Kinder mit Behinderungen. Berufsbildungsgesetz und die Handwerksordnung sind schon
lange inklusiv aufgestellt. Davon abgesehen hat der Bund
die Länder im Bildungsbereich mittlerweile erheblich entlastet, damit diese selbst tätig werden.
Wir gehen also schrittweise und mit Augenmaß voran, kontinuierlich, aber mit Bedacht. So werden wir ein
gutes System in ein noch besseres System überführen.
Dafür stehen wir als CDU/CSU.
({4})
Vielen Dank. - Ich möchte Ihnen kurz das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt geben:
abgegebene Stimmen 573. Mit Ja haben gestimmt 513,
mit Nein haben gestimmt 55, Enthaltungen 5. Damit ist
die Beschlussempfehlung über die Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 573;
davon
ja: 513
nein: 55
enthalten: 5
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Ingrid Fischbach
Axel E. Fischer ({0})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich
({1})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Rainer Hajek
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({2})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr. Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann ({3})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr. Mathias Edwin Höschel
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Silke Launert
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({4})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller ({5})
Stefan Müller ({6})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Helmut Nowak
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({7})
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({8})
Gabriele Schmidt ({9})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({10})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Armin Schuster ({11})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({12})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
HonD Albert Weiler
Marcus Weinberg ({13})
Peter Weiß ({14})
Sabine Weiss ({15})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({16})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({17})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Jürgen Coße
Bernhard Daldrup
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({18})
Gabriela Heinrich
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Angelika Krüger-Leißner
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({19})
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller ({20})
Michelle Müntefering
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir ({21})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({22})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({23})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({24})
Matthias Schmidt ({25})
Dagmar Schmidt ({26})
Carsten Schneider ({27})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({28})
Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({29})
Volker Beck ({30})
Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({31})
Christian Kühn ({32})
Markus Kurth
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Irene Mihalic
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Tabea Rößner
Claudia Roth ({33})
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr. Valerie Wilms
Nein
SPD
Klaus Barthel
Waltraud Wolff
({34})
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Christine Buchholz
Roland Claus
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Dr. Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Dr. Alexander S. Neu
Harald Petzold ({35})
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Azize Tank
Frank Tempel
Kathrin Vogler
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Sylvia Kotting-Uhl
Enthalten
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Monika Lazar
Peter Meiwald
Beate Müller-Gemmeke
Lisa Paus
Corinna Rüffer
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Rosemarie
Hein, Fraktion Die Linke. - Bitte schön.
({36})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wussten Sie eigentlich, dass gehörlose Menschen nur in sehr wenigen Schulen in Deutschland Abitur machen können? Ein Wissenschaftler des
Max-Planck-Instituts für Mikrostrukturphysik in Halle
hat das kürzlich in einer Podiumsdiskussion erklärt, und
einige im Auditorium waren darüber sehr verwundert.
Ohne Abitur zu studieren, ist nahezu unmöglich. Wir
wissen alle, dass die allermeisten Förderschulen jeder
Art nur den Hauptschulabschluss, im besten Fall den Realschulabschluss anbieten und die allerwenigsten überhaupt zum Abitur führen.
({0})
Es sind immer die wenigen Ausnahmebeispiele, die zeigen, dass es eigentlich doch geht. Das zeigt auch die engagierte Arbeit der Behindertenbeauftragten der Bundesregierung in unserem Land.
An der Uni Halle hat sich ein Arbeitskreis Inklusion gebildet, der sich auf die Fahnen geschrieben hat,
die großen und kleinen Hürden bei der Inklusion an
der Hochschule aufzuzeigen und um Abhilfe zu ringen.
Dabei betont man: Das Thema Inklusion ist ein Thema
für alle, und es geht um alle. Inklusion heißt nämlich,
alle sind drin: Kinder und Jugendliche, Studierende und
Auszubildende, mit und ohne Handicap, unabhängig von
Herkunft und Geschlecht, mit unterschiedlichen Interessen und mit unterschiedlichem Leistungsvermögen. Niemand ist außen vor.
({1})
Darum muss auch niemand, wie man so häufig hört, inkludiert werden. Es geht darum, gute individuelle Förderung für alle, für jeden Einzelnen, zu schaffen und die
notwendigen Hilfen für jeden bereitzustellen. Das kann
ein Rollstuhl sein, die Unterstützung durch Gebärdensprache, persönliche Assistenz oder ganz einfach die
Zeit, um im eigenen Tempo lernen zu können, langsamer
als andere oder aber auch schneller als andere.
Der Nationale Aktionsplan 2.0 zur Inklusion wirbt mit
dem Slogan „Einfach machen“. Das kann man sehr unterschiedlich auslegen. Na klar, Inklusion fängt im Kopf
an. Aber sie ist nicht voraussetzungslos. Wenn „einfach
machen“ bedeutet, dass die notwendigen Rahmenbedingungen nicht im Ansatz bereitgestellt werden, dann geht
Inklusion schief. Dann werden Regierungen zu Recht abgestraft, wie wir es in NRW gesehen haben. Das Problem
ist nur: Nun wird es wieder mehr Exklusion geben. Das
ist das eigentlich Schlimme an dieser Geschichte.
({2})
Nun kommen Sie mir nicht wieder mit der Ausrede Herr Jung hat das eben nicht getan -, dafür seien die Länder zuständig. Die UN-Behindertenrechtskonvention hat
die Bundesrepublik als Ganzes unterschrieben, nicht nur
die Länder. Darum muss es auch eine gemeinsame Aufgabe sein, Inklusion umzusetzen. Warme Worte in Aktionsplänen reichen da nicht aus.
({3})
Es geht zum Beispiel um die Räume, in denen gelernt
wird. Der Raum ist bekanntlich der dritte Pädagoge. Da
könnten Sie gleich einmal kreativ sein und die Mittel
für die Sanierung von Schulen an finanzschwache Kommunen so vergeben, dass daraus Schulen der Zukunft
werden, mit Raumkonzepten, die inklusives Arbeiten
erleichtern.
({4})
Es geht dabei auch um Schalldämmung und breite Flure,
um flexible Raumkonzepte und bessere Arbeitsbedingungen für Lehrende, für Schulsozialarbeit und Therapieräume, wenn sie denn nötig sind.
Wir haben Ihnen im vergangenen Jahr und in diesem
Jahr insgesamt vier Anträge zur inklusiven Bildung vorgelegt, und zwar zu allen Bildungsbereichen, von der
Kita bis zur Hochschule. Viele Befunde treffen überall
gleichermaßen zu. Manches ist aber auch unterschiedlich. Da ich nur fünf Minuten für alle Anträge habe, will
ich exemplarisch nur drei Dinge nennen:
Erstens. Inklusive Bildung kann nur gelingen, wenn
die Größen der Lerngruppen und Betreuungsgruppen
stimmen. In zu großen Schulklassen mit nur einer Lehrkraft ist Inklusion schwierig; das sehe ich ganz genauso.
Aber auch eine Erzieherin mit zwölf Kindergartenkindern kann sich nicht allen gleichermaßen widmen.
Zweitens. Gute inklusive Arbeit erfordert nicht nur gut
ausgebildete und besser vorbereitete Lehrkräfte, sondern
auch Schulsozialarbeit, schulpsychologische Betreuung,
pädagogische Fachkräfte für die Ganztagsbetreuung, notwendige Assistenz oder Therapieangebote nach Bedarf.
Wir nennen das Multiprofessionalität in der Bildung. Davon sind die meisten Schulen noch weit entfernt.
Drittens. Vollständig verabschieden muss man sich das werden Sie gar nicht gerne hören - von dem Begriff
der Ausbildungsreife als Voraussetzung für die Aufnahme einer beruflichen Ausbildung.
({5})
Jedem jungen Menschen muss die Möglichkeit gegeben
werden, berufliche Bildung zu erwerben. Dafür sind unter Umständen individuelle Hilfen notwendig. Einige Instrumente dafür gibt es bereits, etwa die assistierte Ausbildung. Sie müssen aber verbessert werden.
({6})
Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zur Schulsozialarbeit sagen. Den entsprechenden Antrag legen wir
nun schon zum zweiten Mal vor. Die zentrale Forderung
darin, nämlich die Aufnahme eines eigenständigen Paragrafen im Kinder- und Jugendhilferecht, hat es sogar
schon bis in die Koalitionsvereinbarung in Sachsen geschafft. Deshalb bin ich guter Hoffnung, dass auch bei
Ihnen demnächst der Groschen fallen wird. Schulsozialarbeit leistet nämlich mehr, als zurzeit durch das Gesetz
möglich ist. Sie leistet mehr als Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit, sie ist darüber hinaus direkt auf die Schule
bezogen. Sie kann dort ein dauerhaftes Angebot schaffen.
({7})
Damit sie an allen Schulen bereitgestellt werden kann,
muss sie ins SGB VIII bzw. ins Kinder- und Jugendhilferecht aufgenommen werden.
({8})
Sie werden in der nächsten Woche versuchen, hier
wieder etwas zu ändern, und es ist jetzt schon klar, dass
das unzureichend sein wird. Deshalb muss dieses Thema in der nächsten Wahlperiode wieder angefasst werden. Ich hoffe, Sie sind dann so schlau und machen das
einfach. Das wird helfen, die Schulsozialarbeit an jeder
Schule anzubieten.
Vielen Dank.
({9})
Vielen Dank. - Jetzt hat die Kollegin Elfi SchoAntwerpes für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Danke schön. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Inklusion ist kein beliebiges Thema. Man
kann politisch über vieles streiten, zum Beispiel darüber,
ob wir Steuern senken oder erhöhen, Inklusion lässt sich
aber nicht verhandeln. Inklusion ist so etwas wie die Seele einer Gesellschaft und sollte auch die Seele unserer
Gesellschaft sein.
({0})
Das schließt die inklusive Bildung natürlich ein. Jedes
Kind ist einzigartig und muss die Förderung erhalten, die
es benötigt.
Nun hört man allenthalben großes Klagen darüber,
wie schlecht es um die inklusive Bildung in Deutschland
bestellt sei. Ich sage auch als überzeugte Paritäterin: Wir
sind auf dem Weg - nicht nur bei der Bildung, sondern
insgesamt bei der Teilhabe an der Gesellschaft.
Der Weg hin zur Inklusion ist zugegebenermaßen ein
langer und teilweise anstrengender Weg - das ist eine
Mammutaufgabe -, den wir alle gemeinsam gehen sollten: Kinder, Eltern, pädagogisches Personal.
({1})
Nur so können wir auch Ängste abbauen, damit der Lernort an einer Schule zu einem Lebensort an der Schule
wird.
({2})
Es ist nicht hinnehmbar, dass es bei der inklusiven
Bildung für Kinder und Jugendliche ideologische Grabenkämpfe gibt.
({3})
Wir brauchen eine Haltung zum Kind.
({4})
Ich habe jetzt wahrgenommen, dass die neue Landesregierung in Nordrhein-Westfalen in Sachen inklusiver
Bildung im Gegensatz zu Rot-Grün auf der Bremse steht.
Das ist skandalös.
({5})
Die schwarz-gelben Pläne werden die Anzahl der Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen an Regelschulen weiter verringern; das ist nachzulesen. Dabei brauchen wir hier dringend mehr und nicht weniger sowie gut
ausgebildetes Personal, wie wir eben auch gehört haben.
({6})
Letztendlich ist das Landespolitik, wie übrigens vieles von dem, was Sie in Ihre Anträge geschrieben haben,
Frau Hein, auf Länderebene verhandelt werden müsste.
Richtig ist aber, dass das Personal an den Schulen schon
in der Ausbildung auf die Inklusion vorbereitet und vorhandenes Personal konsequent weitergebildet werden
muss.
({7})
Es ist gut, dass wir im Bundestag weiterhin intensiv
über Inklusion sprechen. Das Tor zu dem beschriebenen
Weg ist das von uns beschlossene Bundesteilhabegesetz,
in dem das Thema Bildung ein eigenes Kapitel bekommen hat.
Es ist nicht so, dass Kinder und Jugendliche mit ihren
Talenten und Ideen ein Problem in unseren Bildungseinrichtungen wären, wenn sie ein Handicap haben. Das
Problem lag immer in einem Bildungssystem, das diesen
Teil der Schüler und Schülerinnen sowie Studierenden
ausgeschlossen hat.
({8})
Die vielleicht größte Leistung des Bundesteilhabegesetzes ist es, die Gesellschaft in die Verantwortung zu
nehmen, allen eine Teilhabe am Leben zu gewährleisten.
Es geht nicht länger darum, dass der einzelne Mensch
seine möglichen Defizite ausgleichen muss. Das ist ein
Paradigmenwechsel. In Bezug auf die inklusive Bildung
hat es hier Verbesserungen gegeben.
Lenken wir unseren Blick auf die Hochschulbildung,
die Sie in Ihrem Antragskonvolut hervorheben:
Voraussetzung zum Studium ist fortan nur noch eine
Hochschulzugangsberechtigung. Das gilt nach dem Bundesteilhabegesetz jetzt auch für Menschen mit Behinderung, die hier endlich gleichgestellt sind. Wir schaffen
Zugänge.
({9})
Außerdem ist klar, dass der Erwerb einer solchen Berechtigung durch den Besuch weiterführender Schulen
förderungsfähig ist.
({10})
Leistungen zur Teilhabe an Bildung dürfen nicht nur
dann gewährt werden, wenn das Teilhabeziel erreicht
werden kann.
({11})
Die Leistungen sind damit erfolgsunabhängig. Auch das
war vor unserem Gesetz nicht der Fall.
({12})
Nehmen Sie als weiteres Beispiel die Eingliederungshilfe an Schulen. Bisher war sie nur vormittags möglich,
jetzt auch ganztags; und das ist gut so.
({13})
Ich möchte es bei diesen Schlaglichtern belassen, um
zu verdeutlichen: Wir sind auf der Reise. Viele Kitas,
Schulen und Hochschulen sind schon lange erfolgreich
unterwegs. Jeden Tag stehen Pädagoginnen und Pädagogen, Erzieherinnen und Erzieher bereit und leisten hervorragende Arbeit. Sie sind die Helden.
({14})
Von der Arbeit der Lehrer und Lehrerinnen und Erzieher hängt der Bildungserfolg in der inklusiven Bildung
erheblich ab.
({15})
Der Bund setzt mit der Qualitätsoffensive Lehrerbildung erhebliche Anreize, Best-Practice-Beispiele zu implementieren und innovativen Unterricht in Deutschland
zu ermöglichen. Das gilt insbesondere für inklusive Bildung bzw. das Lernen und Lehren in heterogenen Gruppen. Entsprechende Projekte sind in der Qualitätsoffensive in einer deutlichen Mehrheit vertreten.
Neben den inhaltlichen Konzepten und der Befähigung des pädagogischen Personals sei die Schulinfrastruktur erwähnt, die der inklusiven Bildung ebenfalls
gerecht werden muss. In einem Wort: Barrierefreiheit!
Der Bund hat mit der Übernahme der BAföG-Kosten in
den Ländern Mittel freigesetzt, um hier zu investieren.
Diese Kosten belaufen sich auf jährlich 1,2 Milliarden
Euro.
({16})
Liebe Linksfraktion, während Sie Anträge schreiben,
sind wir schon längst unterwegs. Weil ich eine große VerElfi Scho-Antwerpes
fechterin der frühkindlichen Bildung bin - wie auch Sie,
Frau Hein; das weiß ich -, möchte ich noch eine Anmerkung machen. Wir haben den Kitaausbau stark forciert.
Manuela Schwesig hat in ihrer Zeit als Familienministerin hier großartige Akzente gesetzt. Erwähnen möchte
ich auch Verena Bentele, die nicht nur unsere Behindertenbeauftragte ist, sondern auch zwölffache Olympiasiegerin.
({17})
Sie ist vierfache Weltmeisterin im Skilanglauf und Biathlon. Sie ist ein Vorbild für die Kinder und Jugendlichen.
Das brauchen sie.
Kinder lernen Akzeptanz und Vielfalt vor allem im
Umgang untereinander. Auch in den Köpfen müssen die
Barrieren weg. Es hilft der Gesellschaft, wenn die Inklusion schon in der Kita gelebt wird.
Frau Kollegin.
Vielfalt ist Normalität.
Ich bedanke mich sehr herzlich fürs Zuhören.
({0})
Danke schön. - Als Nächster hat der Kollege Mutlu
von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Kollege Jung, gerne erinnere ich Sie daran, dass wir seit
acht Jahren zur Inklusion verpflichtet sind. Daher ist es
fehl am Platze, hier von „Aktionismus“ zu reden. Ich
kann Ihnen auch noch sagen: Inklusion ist für ideologische Grabenkämpfe ungeeignet.
({0})
Inklusion ist und bleibt eine echte Chance für jede
Schülerin und jeden Schüler. Inklusion ist ein Menschenrecht, das wir nicht einfach nach Belieben oder nach
parteipolitischer Couleur aushebeln können. Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention 2009
in diesem Hause haben wir uns dazu verpflichtet, alle
Schülerinnen und Schüler gemeinsam zu unterrichten.
Diese Ratifizierung ist keine folgenlose Unterschrift. Sie
war eine Selbstverpflichtung, die wir im Bund und in den
Bundesländern gemeinsam umsetzen müssen.
({1})
Meine Damen und Herren, die aktuelle Studienlage
ist eindeutig. Etliche wissenschaftliche Erhebungen und
Studien zeigen: Kinder, die inklusiv unterrichtet werden,
lernen besser als Kinder an Förderschulen. Sie erreichen
auch mehr als in Förderschulen.
({2})
Viele Eltern sind froh, dass ihre Kinder die Möglichkeit haben, Regelschulen zu besuchen und dort individuelle Förderung zu erhalten. Denn im Jahr 2014 kam
jede zweite Schülerin bzw. Schüler ohne Hauptschulabschluss von einer Förderschule. Viele von ihnen kommen
von Förderschulen, an denen ein Schulabschluss nicht
vorgesehen oder gar nicht erst möglich ist.
Was soll aus diesen jungen Menschen werden? Diese
Frage richte ich insbesondere an die CDU, deren Kollegen aus Niedersachsen in ihrem Wahlprogramm für 2018
erstmals eine Atempause von der Inklusion angekündigt
haben.
({3})
Atempause von einem Menschenrecht? Geht’s noch?
Wo leben Sie?
({4})
Natürlich ist Inklusion eine Herausforderung für die
Schulen und Lehrkräfte - das will auch keiner verhehlen -, und es gibt etliche Fragen, die wir im Prozess beantworten müssen.
({5})
Natürlich müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen, und natürlich kostet das alles auch mehr Geld. Inklusive Bildung gibt es eben nicht zum Nulltarif, und das
sollten Sie von der CDU/CSU endlich lernen.
({6})
Die Bundesregierung hat ihr selbstgestecktes Ziel
vom Dresdener Bildungsgipfel, 10 Prozent des BIP für
Bildung und Forschung auszugeben, immer noch nicht
erreicht. Dieses Versprechen muss eingelöst werden. Wir
brauchen dringend mehr Investitionen in die Bildung
statt in die Rüstung, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU.
({7})
Der Bund muss seinen Teil dazu beitragen, inklusives
Lernen zu ermöglichen, ohne dass die Qualität verloren
geht. Da sind wir, glaube ich, alle - auch die mit den
Scheuklappen - einer Meinung.
Lehrerinnen und Lehrer müssen dabei tatkräftig unterstützt werden. Wir dürfen die Lehrkräfte und die Schulen
nicht weiter im Regen stehen lassen. Inklusion ist nämlich eine von vielen Aufgaben, die sie vor Ort stemmen
müssen.
Deshalb brauchen wir auch eine neue Bildungsphilosophie, eine neue Haltung, die das abbildet, was längst
Realität ist. Verschiedenheit und Pluralität sind nämlich
Normalität, auch wenn es manchen in diesem Hause leider immer noch nicht passt.
Das Abwehrende, der Sonderstatus und die Andersartigkeit befallen Menschen, die am inklusiven Unterricht
teilgenommen haben, viel seltener als andere. Es gibt
auch keinen Qualitätsverlust; denn jeder und jede wird
inklusiv gefördert. Das sollte auch die CDU/CSU endlich
lernen. So gelingt mehr Bildungsgerechtigkeit.
Wir dürfen auch nicht zulassen, dass die Uhr wieder
zurückgedreht und die Spaltung der Gesellschaft durch
eine separierende Bildungspolitik, die die Andersartigkeit manifestiert, weiter verstärkt wird.
Zur Zementierung von Bildungsbenachteiligung trägt
auch das leidige Kooperationsverbot bei,
({8})
auch wenn Sie das nicht hören wollen.
({9})
Sie werden das so lange hören, bis dieses Kooperationsverbot endlich der Geschichte angehört.
({10})
Wir brauchen - das sage ich als Gegensatz zu Ihren
Postulaten - eine gemeinsame Bildungsstrategie, egal ob
es um den Personalschlüssel in Kitaeinrichtungen, bundesweite Qualitätsstandards an Ganztagsschulen, Barrierefreiheit, die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften,
den Einsatz multiprofessioneller Teams oder die Schulsozialarbeit geht. Deshalb sage ich, liebe Kolleginnen
und Kollegen: Die Weiterentwicklung unseres Bildungssystems hin zu einem inklusiven und zukunftsfähigen
Bildungssystem ist eine Mammutaufgabe - da bin ich bei
dir, Elfi -, die aber einer zusätzlichen finanziellen Unterstützung bedarf. Es ist eine Aufgabe, die viele Bundesländer nicht alleine stemmen können. Deshalb brauchen
wir mehr Kooperationen und müssen weg vom Kooperationsverbot.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
legen Sie endlich Ihre ideologischen Scheuklappen ab,
und lassen Sie uns gemeinsam diese Mammutaufgabe
stemmen!
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({11})
Vielen Dank. - Jetzt hat der Kollege Uwe Schummer,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren!
Wenn jeder, der heute gefordert hat, die ideologischen
Scheuklappen abzulegen und keine Schlachten zu führen, das auch wirklich praktizieren würde, egal von welcher Seite, dann gäbe es diese Debatte nicht. Vielleicht
sollten wir unseren eigenen Worten folgen und das nicht
zum Thema von Wahlkämpfen oder zu einem ideologischen Thema machen.
({0})
Wir wissen das.
({1})
- Wissen Sie, Herr Mutlu, Lautstärke hat mit Wahrhaftigkeit wenig zu tun.
({2})
Meine Erfahrung ist: Je lauter der Kehlkopf, umso geringer die Wahrhaftigkeit.
Das möchte ich nun aber beiseitelassen. Mir ist wichtig - und ich hoffe, das gilt über alle Fraktionsgrenzen
hinweg -, dass Bildung der Schlüssel zur Teilhabe ist,
um Inklusion sachlich und fachlich zu bewerkstelligen.
({3})
Deshalb haben wir im Bundesteilhabegesetz der
Teilhabe an Bildung ein eigenes Kapitel gewidmet, um
Teilhabe an allen Schulen zu organisieren, auch an den
Hochschulen. Wir finanzieren erstmals über die Eingliederungshilfe auch Assistenzleistungen, und zwar von
der Grundschule über die weiterführenden Schulen bis
zum Bachelor- und Masterstudium. Wir haben nicht nur
die Instrumente in einem Kapitel formuliert, sondern
wir haben vonseiten des Bundes im Zuge der Reform
der Eingliederungshilfe den Ländern und Kommunen
auch 5 Milliarden Euro an Entlastungen gewährt. Von
den 5 Milliarden Euro, die die Länder und Kommunen
einsetzen sollen, um die Reform der Eingliederungshilfe
umzusetzen, sind 2,5 Milliarden Euro bereits vor zwei
Jahren über Kosten der Unterkunft und Mehrwertsteuerpunkte mobilisiert worden. Weitere 2,5 Milliarden Euro
werden 2018 vom Bund finanziert werden.
Herr Mutlu, ich mache mir große Sorgen um Sie.
Wenn es wirklich einmal kein Kooperationsverbot, wie
auch immer es formuliert sein mag, mehr geben sollte,
dann haben Sie doch gar kein Thema mehr, über das Sie
reden können.
({4})
Seit Jahren haben Sie das eine Thema, das wie das Monster von Loch Ness immer wieder hochkommt. Wenn man
all dies aus Ihren Reden wegnimmt, dann bleibt nicht
mehr allzu viel an Substanz.
({5})
Noch nie hat der Bund mehr Geld, Milliarden Euro,
für die Finanzierung länderspezifischer Aufgaben an die
Länder und an die Kommunen geleitet wie derzeit.
({6})
Dies sind die erwähnten 5 Milliarden Euro im Rahmen
der Reform der Eingliederungshilfe, aber auch weitere
800 Millionen Euro, die im Zuge der Verbesserung der
Eingliederungshilfe beispielsweise für das Budget für
Arbeit, für Ausbildung und andere Themen mobilisiert
werden. Das heißt, es gibt eine permanente Kooperation
zwischen Bund, Ländern und auch Kommunen. Ihr Kooperationsverbot ist eine Fiktion.
({7})
Die brauchen Sie, damit Sie weiter Ideologie verbreiten
können.
({8})
- Ich kenne das Grundgesetz sehr gut, Herr Mutlu, und
ich brauche deshalb auch nicht herumzuschreien.
Das Wichtigste, was Schule angeht, ist, den Menschen
ernst zu nehmen. Und wer Menschen ernst nimmt, der
sagt vor allem: Es muss Wahlfreiheit geben, es muss Differenzierung geben, es muss Optionen und Alternativen
geben.
({9})
Deshalb ist es eben nicht der richtige Standpunkt, zu sagen: Nachts sind alle Katzen grau, es gibt nur noch ein
Modell der Schule,
({10})
sondern: So wie Menschen unterschiedlich sind, so brauchen wir auch differenzierte Schulangebote. Wir wollen
die beste Schule für jeden Einzelnen. Das ist der Ansatz,
den wir miteinander haben.
({11})
Dann können sich Menschen auch für eine Förderschule entscheiden, wenn es ihr freier Wille ist. Dann haben
auch Sie nicht vorzuschreiben: Das Kind geht nicht in die
Förderschule, es muss in der Regelschule aufgenommen
werden. - Nein, die Wahlfreiheit gilt für alle.
({12})
Wir brauchen differenzierte Systeme in den Regelschulen, wir brauchen spezielle Förderschulen und auch die
Kooperation und das Zusammenwirken von Regel- und
Förderschulen.
({13})
Ich kenne Förderschulen in Neubrandenburg, aus
denen Regelschulen entwickelt wurden, und ich kenne
auch entsprechende Kooperationsmodelle von Förderund von Regelschulen unter einem Dach. Wir sollten hier
ideologisch etwas abrüsten
({14})
und den Menschen, den Angehörigen und den Betroffenen, mehr zutrauen und ihnen diese Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Schulformen zugestehen, mit dem
Gedanken, dass sie am besten wissen, was der beste Weg
für ihre Kinder ist.
({15})
Zum nordrhein-westfälischen Koalitionsvertrag. Der
nordrhein-westfälische Koalitionsvertrag ist nicht gegen Inklusion. Das Problem in Nordrhein-Westfalen ich komme zufällig daher - war ein im Vergleich zu
fast allen anderen Bundesländern völlig unterfinanziertes Bildungssystem. In einem völlig unterfinanzierten
Bildungssystem stellt sich natürlich richtigerweise die
Frage, ob die Aufgaben, deren Übertragung notwendig,
sinnvoll und richtig ist, auch übertragen werden können;
denn es braucht Räumlichkeiten, es braucht eine entsprechende Lehrerausbildung, es braucht entsprechendes zusätzliches Personal, und es braucht kleinere Klassen. Das
bedeutet, dass auch die Voraussetzungen für die Inklusion geschaffen werden müssen. Das ist etwas, was Bund,
Länder und Kommunen gemeinsam bewirken müssen.
Zuerst müssen die Voraussetzungen geschaffen werden.
Es darf aber nicht so vorgegangen werden, dass ein paar
Förderschulen geschlossen werden, die Personalstellen
und das Geld auf die Regelschulen übertragen werden
und dann geschaut wird, was passiert. Das war die Art
und Weise, wie in Nordrhein-Westfalen vorgegangen
wurde. Das war ein Verbrechen gegen die Eltern, gegen
die Schüler und gegen die Lehrer.
({16})
Wir sollten hier keine Schaukämpfe gegeneinander
austragen, sondern die Inklusion ernst nehmen. Sie ist
ein Prozess, den wir über das Bundesteilhabegesetz vorantreiben werden.
({17})
Wir, Bund, Länder und Kommen, wollen die UN-Behindertenrechtskonvention gemeinsam umsetzen. Kooperation ist nicht verboten, sie wird vielmehr gelebt. Jeder
handelt nach seinen Kompetenzen.
({18})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Martin Rabanus das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Schummer, das war schon ein
denkwürdiger Beitrag, den Sie hier gerade abgeliefert
haben. Das hätte ich, ehrlich gesagt, von einem Landesvorsitzenden der Lebenshilfe in Nordrhein-Westfalen
so nicht erwartet, zumal das Ganze ein bisschen durcheinanderging.
({0})
Entweder machen wir Inklusion und meinen das tatsächlich ernst, oder wir machen weiter wie bisher und
lassen die Sondereinrichtungen bestehen. Ich weiß nicht,
wie Sie es hinbekommen wollen, Inklusion und Exklusion zusammenzubringen.
({1})
Das finde ich schon erstaunlich.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden hier über
inklusive Bildung, von der Kita über die Schule und die
berufliche Bildung - ich finde es gut, dass es dazu einen
eigenen Antrag gibt - bis hin zur akademischen Bildung.
Die SPD steht seit Jahren für die inklusive Bildung und
für die Inklusion. Ich bin froh, dass sich auch die CDU
heute - das war in dem Beratungsprozess in den letzten
Jahren nicht immer so - uneingeschränkt hinter das Bundesteilhabegesetz stellt. Es ist sehr schön, dass wir das
jedenfalls heute aus der Debatte mitnehmen können.
({3})
Inklusion ist dabei natürlich mehr als Integration. Das
ist nicht nur Semantik. Wir reden über Teilhabe und nicht
nur über das Dabeisein. Wir reden davon, dass alle Menschen - lassen Sie es mich einmal so sagen - auf dem
Platz des Lebens stehen und mitspielen können und nicht
nur auf den Tribünen sitzen müssen.
({4})
Das ist es, worum es tatsächlich geht.
Die UN-Konvention - das ist gesagt worden - ist vor
über zehn Jahren von der Vollversammlung der UN beschlossen worden. Sie ist seit Ende März 2009 geltendes
Recht in Deutschland. Wo stehen wir? Ich bin bei denjenigen, die sagen: Wir sind in den letzten Jahren wesentliche
Schritte vorwärtsgekommen. Das Bundesteilhabegesetz
ist genannt worden. In die Schul- und Hochschulgesetze
der Länder hat die Inklusion im Wesentlichen Eingang
gefunden. Wir haben im Bereich der Wissenschaft vieles
getan. Wir forschen, und wir haben einen Nationalen Aktionsplan dazu. Inklusion ist Bestandteil der Bildungsberichterstattung geworden.
All das, finde ich, darf man nicht verschweigen, soll
man nicht verschweigen; all das ist gut so, darf aber
nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir natürlich nicht
an einem Endpunkt sind und dass auch die Bundesländer
an ganz unterschiedlichen Positionen stehen. In Berlin
ist der Ressourcenvorbehalt bei der Inklusion gefallen.
Sorry, wenn ich das so sagen muss. In meinem Heimatland Hessen, schwarz geführt, grün mitregiert, ist der
Ressourcenvorbehalt im Schulgesetz leider nicht gefallen. Wir haben also unterschiedliche Konstellationen, die
wir zur Kenntnis nehmen müssen.
Ich will auf das Thema der beruflichen Bildung eingehen; denn ich habe gesagt, dass ich es gut finde, dass
es diesen Antrag gibt. Auch hinsichtlich der beruflichen
Bildung haben wir einiges getan. Im Rahmen der Allianz für Aus- und Weiterbildung haben wir die assistierte
Ausbildung eingeführt. Lassen Sie mich dazu sagen: Ich
würde mir wünschen, dass das ein Dauerinstrument wird
und wir über 2018 hinaus diese assistierte Ausbildung
anbieten können.
({5})
Wir haben im Bereich der Weiterbildung für Benachteiligte vieles getan. Wir haben die Dimension Inklusion
sogar beim Meister-BAföG eingeführt. Auch das ist gut
so.
Aber ich glaube, wir müssen uns entscheiden. Inklusion ist etwas, worüber sich irgendwie alle einig sind,
wobei aber die letzte Konsequenz fehlt. Wenn das Recht
auf Inklusion ein Menschenrecht ist, dann muss die Umsetzung auch mit letzter Konsequenz angegangen werden. Wir als SPD wollen das. Wir wollen Verbindlichkeit. Wir wollen Verlässlichkeit und Inklusion für alle im
Bildungssystem und darüber hinaus. Wenn wir das ernst
meinen, dann müssen wir an drei Punkten ansetzen.
Erstens. Das Bildungssystem muss so umgebaut werden, dass sich das System den Menschen anpasst und
nicht umgekehrt.
({6})
Es ist tatsächlich so: Wir stellen Ausbildungsreife fest.
Wir stellen Schulreife fest. Wir stellen Studienreife fest.
Aber was wir genau brauchen, ist ein Paradigmenwechsel: Das System muss sich auf den Menschen einstellen.
Zweitens. Wir brauchen ein Unterstützungssystem,
das stabil ist, das die Institutionen zum einen, zum anderen aber auch die Pädagoginnen und Pädagogen - damit
meine ich nicht nur Lehrkräfte, sondern auch multiprofessionelle Teams - unterstützen kann.
Drittens. Wir brauchen die notwendigen Ressourcen dafür. Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Das, liebe Freunde von der CDU/CSU, liebe Koalitionspartner,
kann ich Ihnen nicht ersparen: Ja, das Kooperationsverbot im Bildungsbereich ist aufgebrochen. Jetzt müssen
wir es abschaffen.
({7})
Dafür werden wir als SPD auch in der nächsten Wahlperiode werben.
Herzlichen Dank.
({8})
Vielen Dank. - Jetzt hat Christina Schwarzer, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort. Bitte schön.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema Inklusion
ist natürlich auch mir als Mitglied des Landesvorstands
der Lebenshilfe Berlin besonders wichtig. Aber über Inklusion, lieber Özcan Mutlu, haben wir uns genügend
ausgetauscht. Ich will meine Rede ausschließlich auf die
Schulsozialarbeit lenken; denn darum geht es nämlich
auch in Ihrem Antrag.
Ich sehe dieses Thema auch durch die Brille einer ehemaligen Kommunalpolitikerin. Ich weiß, viele von Ihnen
sind natürlich auch noch in der Kommunalpolitik tätig.
Dort habe ich 14 Jahre lang Politik im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe gemacht. Das Thema Schulsozialarbeit ist mir natürlich mehr als vertraut.
Sie hat für die Entwicklung unserer Kinder, aber auch
für das Bildungssystem selbst, einen immensen Stellenwert, besonders an sogenannten Brennpunktschulen.
Schulsozialarbeiter sind Schnittstelle zwischen Eltern
und Schülern, Lehrern und den außerschulischen Aktivitäten. Sie unterstützen Kinder und Jugendliche bei gesellschaftlicher Teilhabe und ebnen den Weg für gleiche
Startchancen bei der Bildung, um einen guten Schulabschluss zu ermöglichen. Die Lebens- und Entwicklungsbedingungen der Kinder und Jugendlichen werden
durch die pädagogische Arbeit der Schulsozialarbeiter
nachhaltig verbessert. Sie hilft, eigenverantwortlich ins
Berufsleben zu starten. Ich kenne keine Schule, die auf
die wichtige Arbeit der Schulsozialarbeiter jemals wieder
verzichten möchte, gerade weil die Sozialarbeiter an den
Schulen einen hervorragenden Job machen.
({0})
Ich habe die Qualität der Arbeit der Schulsozialarbeiter als durchweg sehr gut wahrgenommen. Die Schüler
bringen oft vielfältige Probleme mit.
({1})
- Darüber können wir uns gleich unterhalten. Warten Sie
vielleicht erst einmal meine Rede ab, Kollege Mutlu. Regen Sie sich nicht immer so auf, und dann erkennen Sie
irgendwann die Richtigkeit meiner Antwort.
({2})
- Genau, Kollege Schipanski. Sie kennen schon meine
Antwort.
Aber lassen Sie mich noch ausführen: In den Schulen gibt es vielfältige Probleme. Sie fangen bei kleinen
Streitigkeiten an, die man zu Hause hat, und reichen zum
Beispiel bei uns in Berlin, aber auch in anderen Bundesländern bis hin zu kriminellen Karrieren. Von den Themen her ist eben alles dabei.
An allen Schulen habe ich Schulsozialarbeiter erlebt.
Vor allen Dingen habe ich sie immer als Anwälte der Jugendlichen erlebt, die sich mit vollem Einsatz und mit
bestem Wissen und Gewissen um die Kinder und Jugendlichen bemühen und ihnen bei Bedarf auch Grenzen
aufzeigen. Dafür meine große Anerkennung und meinen
Dank.
({3})
Aber unsere Erfahrung aus der Kommunalpolitik sagt
uns: Die Schulsozialarbeit funktioniert nur, wenn sie
möglichst kleinteilig und bedarfsgerecht organisiert ist.
Der Grund liegt auf der Hand. Zum Beispiel hat die Sozialarbeit bei mir in Berlin-Neukölln ganz andere Aufgaben als in ländlichen Gebieten zu bewältigen. Sie steht
vor anderen Herausforderungen und muss andere Hilfe
leisten.
Frau Kollegin Schwarzer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hein?
Nein, ich möchte erst ausführen.
Danke.
Für diese Erkenntnis muss man nicht besonders weit
über den Tellerrand hinausschauen. Diese Unterschiede
gibt es allein schon hier in Berlin. Das heißt für mich,
die Schulsozialarbeit muss auf kleinstmöglicher Ebene
organisiert sein. Damit gilt: Dort, wo organisiert, gelenkt
und entschieden wird, muss die Finanzierung auch angesiedelt sein.
Dennoch: Obwohl wir bei der Schulsozialarbeit von
einer Aufgabe sprechen, die im föderalen System klar
den Ländern und den kommunalen Gebietskörperschaften zugeordnet ist, stellte der Bund in den Jahren 2011
bis 2013 zusätzliche Mittel zur Verfügung, um bei dieser
Aufgabe zu unterstützen.
({0})
In Zahlen: In den Jahren 2011, 2012 und 2013 hat der
Bund jeweils 400 Millionen Euro für Schulsozialarbeit
und Mittagessen in Horten zur Verfügung gestellt.
({1})
Das Stichwort heißt jedoch „Anschubfinanzierung“.
Gemeinsam wurde eben auch vereinbart, dass das Projekt 2013 - die Anschubfinanzierung - aufhört. Eine dauerhafte zweckgebundene Finanzierung der Schulsozialarbeit durch den Bund verbietet das Grundgesetz. Das
hatten wir schon.
({2})
- In der Tat. Herr Mutlu hat aufgepasst.
({3})
Durch die Forderung, die Finanzierung im SGB VIII
zu verankern - Frau Kollegin Hein, wir hatten das ja gestern schon im Ausschuss -, umgehen Sie diesen Fakt.
Aber Tatsache ist doch: Schulsozialarbeiter arbeiten im
schulischen Raum, und ohne Wenn und Aber sind wir
hier im Bereich der Länderkompetenzen und der Kompetenzen der Kommunen. Darum widerspricht eine dauerhafte Finanzierung der Schulsozialarbeit durch den Bund
dem Anspruch der Länder auf ihre Bildungshoheit. Die
Verantwortung der Länder für den Bildungsbereich spielt
auch bei der Finanzierung eine große Rolle.
Dennoch hat der Bund die Länder und die Kommunen in den vergangenen Jahren sehr stark unterstützt.
Die Zahlen habe ich eben schon genannt. Wir sehen,
der Bund nimmt die Aufgabe, die Kommunen und die
Länder bei ihren vielfältigen Aufgaben zu unterstützen,
sehr ernst. Die Schulsozialarbeit ist aber auch aus gutem
Grund ureigene kommunale Aufgabe. Sie ist in den Regionen am besten aufgehoben, weil dort die Bedarfe am
deutlichsten erkennbar sind, weil dort eben die Experten
sitzen.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Die Kollegin Hein hat jetzt um das
Wort für eine Kurzintervention gebeten. Frau Kollegin
Hein, ich betone noch einmal „kurz“. - Ich möchte nur
alle darauf hinweisen: Wir sind schon über eine Stunde
in Verzug.
({0})
Ich bitte alle, sich an die Redezeiten zu halten und auch
einmal zu überlegen, ob jede Intervention nötig ist. Ich
bin wirklich für eine lebendige Debatte.
Frau Hein, Sie dürfen jetzt, aber kurz.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Da ich selten eine
Kurzintervention mache, nehme ich sie heute auch einmal für mich in Anspruch.
Zunächst einmal haben Sie sehr gut beschrieben, was
Schulsozialarbeit alles leisten kann an Schulen. Sie haben nur einen Fehler gemacht: Sie wissen zum einen
nicht, dass es nicht an jeder Schule Schulsozialarbeit
gibt. In Berlin ist das etwas anders, in einigen anderen
Bundesländern auch.
({0})
Aber sie ist bei weitem nicht flächendeckend im Angebot. Gerade weil der Pakt ausgelaufen ist, den die SPD
damals mit dem Bildungs- und Teilhabepaket initiiert
hat, weil das Geld nicht mehr da ist, kann sie auch nicht
mehr so finanziert werden.
Für die Jugendarbeit greift § 11 SGB VIII und für die
Jugendsozialarbeit an Schulen § 13 SGB VIII. Das sind
die beiden Paragrafen, nach denen die Finanzierung der
Schulsozialarbeit durch den Bund zurzeit möglich ist.
Die Maßnahmen sind zum großen Teil projektfinanziert,
also endlich.
Ich wollte Sie gern fragen, ob Sie nicht auch finden,
dass wegen der Eigenständigkeit der Schulsozialarbeit
diese im SGB VIII verankert werden sollte - als eigenständiger Paragraf -, damit gesichert ist
({1})
- ich gebe Ihnen recht, die Kommunen und die Länder
sind zuständig -,
({2})
dass an jeder Schule künftig Schulsozialarbeit angeboten werden kann, die nicht zulasten der Jugendarbeit und
nicht zulasten der Jugendsozialarbeit geht.
({3})
Vielen Dank. - Frau Kollegin Schwarzer, möchten Sie
darauf antworten? - Bitte schön.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Hein, Sie haben sich
eben Ihre Antwort eigentlich selbst gegeben. Ich glaube,
ich habe das auch fünfmal in meiner Rede gesagt. Die
Kommunen und die Länder sind dafür verantwortlich.
({0})
Und wenn die Kommunen und die Länder wollen, dass
Schulsozialarbeit an jeder Schule stattfindet - Berlin gibt
dafür sehr, sehr viel Geld aus;
({1})
im Übrigen auch zu Recht -, sollen sie dafür Geld ausgeben. Eine Änderung im SGB VIII, über die wir ja gerade
verhandeln, wird es nicht geben.
({2})
Jetzt schließe ich diese Aussprache, und wir kommen
zu den Abstimmungen.
Tagesordnungspunkt 12 a. Der Ausschuss empfiehlt
unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8420 mit dem Titel „Inklusive Bildung für alle Ausbau inklusiver Schulen fördern“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Opposition angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8421 mit dem Titel
„Inklusive Bildung für alle - Ausbau inklusiver Bildung
in der beruflichen Bildung umsetzen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8889 mit dem
Titel „Inklusive Bildung für alle - Ausbau inklusiver
Bildung in der Kindertagesbetreuung umsetzen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Opposition angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe
d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9127 mit
dem Titel „Inklusive Bildung für alle - Ausbau inklusiver
Hochschulen fördern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Unter Tagesordnungspunkt 12 b liegt die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Schulsozialarbeit an allen Schulen sicherstellen“ vor. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11803, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2013
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.
Damit kommen wir zu Zusatzpunkt 7:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens
Drucksache 18/11277
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der
Strafprozessordnung und weiterer Gesetze
Drucksache 18/11272
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({0})
Drucksache 18/12785
Zu dem Gesetzentwurf zur Ausgestaltung des Strafverfahrens liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Debatte 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre hier keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. - Ich darf
Sie bitten, Ihre Plätze einzunehmen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Bettina
Bähr-Losse, SPD-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Heute soll der Bundestag
eines der größten Gesetzesreformpakete dieser Legislaturperiode beschließen. Der vorliegende Entwurf sieht
vor, das Gesetz zur effektiveren Ausgestaltung des Strafverfahrens mit den Gesetzen zur Änderung des Strafgesetzbuchs, der Strafprozessordnung, des Jugendgerichtsgesetzes und weiterer Gesetze zu verbinden und um
Regelungen zur Schaffung von Rechtsgrundlagen für die
Onlinedurchsuchung und die Quellen-Telekommunikationsüberwachung zu ergänzen.
Ich gebe zu: Wo viel Licht ist, da ist auch Schatten.
Man sollte vielleicht überdenken, ob es immer sinnvoll
ist, solche großen Gesetzespakete zu schnüren und im
Gesetzgebungsverfahren Einzelpakete als Junktim zu behandeln, oder ob es nicht transparenter wäre, die jeweiligen Gesetzentwürfe einzeln zu behandeln. Nichtsdestotrotz sehe ich in den nun vorliegenden Gesetzentwürfen
eine überwältigende Leistung an parlamentarischer Arbeit. Jeder einzelne Gesetzentwurf nimmt gezielt Verbesserungen vor, sei es im Bereich der Strafprozessordnung
oder sei es im Bereich der Strafverfolgung. Zum Ende
der Legislaturperiode wird damit zum Abschluss gebracht, was sich die Koalition am Anfang vorgenommen
hat.
Das Vorhaben geht auf die Vereinbarung aus dem
Koalitionsvertrag zurück, das allgemeine und auch das
Jugendstrafverfahren effektiver auszugestalten. Der Gesetzentwurf basiert auf der Arbeit einer eigens eingesetzten Expertenkommission.
({0})
Im Anschluss an die ersten Lesungen der Entwürfe gab
es intensive Beratungen, Berichterstattergespräche, Gespräche auf Fraktionsvizeebene und auch Gespräche im
Koalitionsausschuss, und es gab zu allen - ich betone: zu
allen - Aspekten öffentliche Anhörungen:
({1})
zum Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren
Ausgestaltung des Strafverfahrens, zur geplanten Änderung des Strafgesetzbuches, zur geplanten Änderung der
Strafprozessordnung, des Jugendgerichtsgesetzes und
weiterer Gesetze. Auch die sogenannte Quellen-TKÜ
und die Onlinedurchsuchung wurden intensiv erörtert.
Insbesondere die Bedenken kritischer Sachverständiger
sind in unsere Beratungen eingeflossen. Einige stellen
jetzt die Behauptung auf, dieses Gesetz oder Teilaspekte davon seien quasi über Nacht und durch die Hintertür
durchs Parlament gedrückt worden.
({2})
Diejenigen, die das tun, verkennen aber, dass es sich um
einen fast vierjährigen Prozess handelt,
({3})
an dem ich selber leider nur einige Monate teilnehmen
konnte.
({4})
Hierzu eine andere Auffassung zu vertreten, ist selbstverständlich legitim. Ich halte den Umstand, dass bis
kurz vor Ende einer Legislaturperiode um einzelne Positionen gerungen wird, aber für nachvollziehbar und
legitim, wenn es um den schmalen Grat zwischen der
Durchsetzung des Strafanspruchs des Staates einerseits
und der Wahrung und Gewährleistung von Grundrechten
andererseits geht.
({5})
Mit einem Nacht-und-Nebel-Gesetz hat das aber rein gar
nichts zu tun.
({6})
Nun zum Inhalt. Ich möchte nur die wichtigsten Aspekte herausstellen.
Ein Teil des Paketes ist die sogenannte StPO-Reform,
die ein ehrgeiziges und wichtiges Ziel verfolgt, nämlich
die Vereinfachung und Beschleunigung von Strafverfahren in allen Stadien.
({7})
Es geht hier etwa um Ablehnungsverfahren bei Befangenheitsgesuchen, die Möglichkeit einer Fristsetzung für
Beweisanträge und die audiovisuelle Dokumentation von
Beschuldigtenvernehmungen, um nur drei Beispiele zu
nennen. Der Gesetzgeber begegnet ja häufig der Kritik,
dass viel zu viel Zeit zwischen Straftat und Gerichtsverfahren vergeht. Diesem Problem soll im Gesetzentwurf
auf der Ebene der Strafprozessordnung begegnet werden.
Ein zweites Ziel, das mit der Reform der Strafprozessordnung verfolgt wird, ist die Anpassung an die rasante technische Entwicklung der letzten Jahre. Hierzu ein
kurzer Blick in die Geschichte der Spurensicherung und
Strafverfolgung: 1897 überführte Scotland Yard den ersten Täter anhand seiner Fingerabdrücke. Fingerabdrücke
als Beweismittel wurden erstmals 1896 in Argentinien
und 1901 in Großbritannien vor Gerichten zugelassen. In
Großbritannien und den USA ist der genetische Fingerabdruck in Strafprozessen als Beweismittel zur Identifizierung oder zum Ausschluss eines Tatverdächtigen seit
1987 zugelassen. 1997 ist in Deutschland erstmals eine
rechtliche Regelung der Voraussetzungen für den Einsatz
des genetischen Fingerabdrucks in Kraft getreten.
({8})
Das liegt nun aber auch schon wieder 20 Jahre zurück,
und die Möglichkeiten der DNA-Analyse haben sich rasant weiterentwickelt.
Die Forensik hat wesentliche Fortschritte auf dem Gebiet der DNA-Analyse erzielt. Augen-, Haar- und Hautfarbe einer Person lassen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit bestimmen. Denjenigen, die meinen, dass dadurch
eine Stigmatisierung bestimmter Gruppen erfolge, halte
ich entgegen, dass zahlreiche andere Verdächtige demgegenüber entlastet werden,
({9})
die vielleicht vorher unter Generalverdacht gestanden
haben. Ist der Täter oder die Täterin blond und blauäugig, werden nun einmal die Schwarzhaarigen und die
Braunäugigen entlastet. Das hat nichts mit Diskriminierung zu tun. Im Übrigen wäre eine Öffentlichkeitsfahndung ohne klare Benennung von Äußerlichkeiten wenig
erfolgversprechend.
({10})
Drittens wollen wir unseren Strafverfolgungsbehörden mit den Regelungen zur Quellen-TKÜ und zur
Onlinedurchsuchung ermöglichen, darauf reagieren zu
können, dass auch Kriminelle neue technische Möglichkeiten nutzen. Die vorgeschlagenen Regelungen halten
sich streng an die Vorgaben, die auch bei der Wohnraumüberwachung gelten. Traf man sich vor 20 Jahren noch
in einer Wohnung, um kriminelle oder terroristische Aktivitäten zu planen, kann man sich heutzutage in einem
Chatroom treffen. Der Gesetzgeber muss hierauf eine
Antwort finden. Strafverfolger dürfen Kriminellen nicht
hinterherhinken.
({11})
Oft ist zu hören, dass die Polizei schon jetzt in der
Lage sei, die Kommunikation der Bürgerinnen und Bürger zum Zwecke der Verhütung terroristischer Aktivitäten zu überwachen und entsprechend auszuwerten. Das
stimmt aber gar nicht. Besonders schwierig wird es für
die Ermittler, wenn es um Datenmaterial geht, das durch
sogenannte Messengerdienste ausgetauscht wurde. Wenn
Behörden keinen Zugriff auf diese Daten haben, entstehen in der Folge Räume, in denen Strafverfolgung unmöglich ist. Das ergibt sich dann von selbst.
Unser Ziel muss also sein, die Behörden überhaupt
erst in die Lage zu versetzen, ermitteln zu können. Die
technische Entwicklung erlaubt uns dies jetzt erfreulicherweise. Deshalb treten wir mit unserem gemeinsamen Gesetzentwurf dafür ein, dass es künftig eine gesetzliche Regelung gibt, auf deren Grundlage besonders
schwere Straftaten durch den Einsatz der sogenannten
Quellen-TKÜ verfolgt werden können. Dabei möchte
ich einen Aspekt betonen, der uns besonders wichtig ist.
Diese Form der Überwachung, die vor der Verschlüsselung von Daten ansetzt, muss den Vorgaben genügen,
die das Bundesverfassungsgericht in seinem BKA-Urteil
im letzten Jahr aufgestellt hat. Die entworfene Regelung
berücksichtigt also insbesondere den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, ist begrenzt auf den Schutz hinreichend
wichtiger Rechtsgüter und gewährleistet dabei auch den
Schutz Dritter.
({12})
Frau Kollegin, denken Sie an die Zeit und kommen
Sie zum Schluss.
Ich überspringe jetzt einfach einen Teil.
Ja, bitte bis zum letzten Satz.
({0})
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geben wir unserer Justiz Mittel an die Hand, um auf die Herausforderungen der Gegenwart überhaupt reagieren zu können. Ich
bitte deshalb um Unterstützung.
({0})
Vielen Dank. - Jetzt hat der Kollege Jörn Wunderlich
für die Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Führerscheinentzug als Hauptstrafe, Überwachung von
Anbahnungsgesprächen des Verteidigers mit inhaftierten Mandanten, Blutentnahmen ohne richterlichen Vorbehalt, Videoaufzeichnung der ersten Vernehmung eines
Beschuldigten - all das war Gegenstand des Gesetzes in
der ersten Lesung. Daneben gab es noch einige Regelungen zur Veruntreuung von Arbeitsentgelt und zum Naturschutz; Naturschutz haben wir auch positiv gesehen.
Alles in allem Pillepalle im Vergleich zu dem, was uns
heute vorliegt.
Experten halten es für eines der invasivsten Überwachungsgesetze der vergangenen Jahre. Heute soll hier in
diesem Haus dieses Gesetz mit nachträglichen Änderungen verabschiedet werden, Änderungen, welche den Ermittlungsbehörden den Zugriff auf private Geräte, Handys, Laptops und Tablets ermöglichen sollen - heimlich,
zur Strafverfolgung, ohne dass sich die Verdächtigen
wehren können. Die geplanten Maßnahmen sind noch
weitgehender als der große Lauschangriff aus den 90ern.
({0})
- Genauso ist es. - Aber wieso findet sich dazu kaum
Resonanz in der Bevölkerung? Hier wird wieder einmal
mit einem Verfahrenstrick gearbeitet. Diese massiven
Grundrechtseingriffe wurden im Wege eines Änderungsantrages bezogen auf ein Gesetz mit ganz anderen Maßnahmen kurzfristig durchgebracht. Die einzige Schnittmenge ist das Wörtchen „StPO“. Das Thema soll eben
kleingehalten werden.
Was will die Bundesregierung erreichen? Bei der
Quellen-TKÜ wird eine Schadsoftware auf das Gerät eines Verdächtigen aufgespielt, ein sogenannter Staatstrojaner, der die laufende Kommunikation mitliest. Wesentlich eingriffsstärker ist die Onlinedurchsuchung.
Aber auch hier muss eine Software auf dem Gerät des
Verdächtigen installiert werden, allerdings kann dann auf
sämtliche gespeicherte Inhalte zugegriffen werden, also
die gesamte Festplatte ausgelesen werden.
Wie wird die Software durch Ermittler installiert? In
vielen Fällen werden sie bestehende Sicherheitslücken
nutzen müssen, um sich von Ferne Zugriff auf das Gerät zu verschaffen. Doch wenn solche Sicherheitslücken
notwendig sind, werden staatliche Stellen bestimmt wenig Interesse daran haben, sie den Softwareherstellern
zu melden, was wiederum auch Cyberkriminellen die
Nutzung dieser Lücken ermöglicht und diesen somit Vorschub leistet. Die Cyberkriminellen können sich vorab
schon einmal bei der Bundesregierung bedanken.
Aus einer Ausnahmemaßnahme zur Terrorabwehr soll
nun eine Standardmaßnahme der Polizei werden. Wo bislang abgehört wurde, soll nun der Staatstrojaner eingesetzt werden. Das Gesetz sieht nicht nur vor, die laufende
Kommunikation mitzulesen, sondern auch, den Zugriff
auf gespeicherte Kommunikation zu erlauben. Experten
befürchten daher, dass die Quellen-TKÜ so quasi zu einer Onlinedurchsuchung unter viel geringeren Voraussetzungen wird.
Beide Instrumente gibt es im Übrigen schon, sie werden aber kaum angewandt: Die Onlinedurchsuchung darf
etwa nur zur Prävention von äußerst schweren Verbrechen, also beispielsweise zur Terrorabwehr, genutzt werden. Auch die Quellen-TKÜ wurde bislang nur vereinzelt
zum Einsatz gebracht. Doch nun sollen diese Maßnahmen nicht nur präventiv, sondern auch zur Strafverfolgung genutzt werden, in einem Anwendungsfeld, das seinesgleichen sucht. Man hätte die Anwendung zumindest
auf schwerste Straftaten beschränken müssen.
({1})
Schon im Jahr 2008 hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts geurteilt, dass Onlinedurchsuchungen
nur zur Abwehr von Gefahren - ich zitiere jetzt mal - für
„Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen
oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der
Existenz der Menschen berührt“, dienen dürfe.
({2})
Dass Drogenhandel und Verstöße im Asylverfahrensrecht den Bestand des Staates oder die Grundlagen der
Existenz der Menschen bedrohen, das kann mir hier in
diesem Hause keiner erklären.
({3})
Schon heute gibt es bei den Strafverfolgungsbehörden
Begehrlichkeiten - das wissen wir aus der Stellungnahme des Oberstaatsanwalts beim BGH -, die Eingriffsschwelle zu senken. Er sagte: Die Schwere des Eingriffes
kann man eigentlich erst feststellen, wenn man die Beweismittel gesichert hat. - Deswegen: Wenn ich es beantrage, kann ich noch gar nicht die Schwere bejahen.
Daher müsste die Regelung zur Schwere des Eingriffes
eigentlich aus dem Gesetz heraus.
Ich bin gespannt, was das Verfassungsgericht zu diesem Gesetz sagen wird. Es wird mit Sicherheit vor dem
Verfassungsgericht landen; denn es entspricht nicht den
Vorgaben der Entscheidung von 2008. Diese Regierung
wird aus den Watschen, die sie sich permanent vom Verfassungsgericht holt, nicht klüger;
({4})
aber das wundert mich nicht.
Bei der ersten Lesung des Ursprungsgesetzes, Herr
Fechner, hatte ich noch die Hoffnung, in den Beratungen
etwas retten zu können. Was heute hier von der Koalition
im Omnibusverfahren, im Übrigen am Bundesrat vorbei,
ohne Beteiligung der Bundesdatenschutzbeauftragten,
ohne Beteiligung der Verbände, ohne Diskussion in der
Öffentlichkeit, verabschiedet werden soll, ist mit Worten
jenseits der Fäkalsprache nicht mehr zu beschreiben.
({5})
Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt Elisabeth Winkelmeier-Becker.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Strafverfolgung ist ein wesentlicher Teil des rechtsstaatlichen Handelns. Wenn Straftaten begangen werden,
dann ist der Staat den Opfern schuldig, dafür zu sorgen,
dass die Täter ermittelt werden und dass spürbare Sanktionen verhängt werden. Das ergibt sich aus seinen Schutzpflichten, und dafür hat er auch das Gewaltmonopol. Dafür sorgen eine unabhängige Justiz und handlungsfähige
Strafverfolgungsbehörden. Aber in der Praxis ist das
nicht so einfach, sondern es gibt da offenbar auch Defizite.
Die Praxis zeigt, dass wir da teilweise an den Belastungsgrenzen angekommen sind. Taten werden nicht
aufgeklärt. Gestern haben wir in der Anhörung zum
Wohnungseinbruchsdiebstahl gehört, dass die Aufklärungsquote bei diesem Delikt unter 20 Prozent liegt.
Gerichtsverfahren dauern lange. Es kommt vor, dass Beschuldigte aus der Untersuchungshaft entlassen werden
müssen, weil die sechsmonatige Frist nicht eingehalten
werden kann. Es werden viel zu viele Verfahren eingestellt, bei denen es eigentlich gut gewesen wäre, eine
Gerichtsverhandlung durchzuführen - damit sie einen
bleibenden Eindruck bei dem Täter hinterlässt, damit
das Opfer ihm in die Augen blicken kann, damit es einen
Ausgleich geben kann. Auch unter Gesichtspunkten der
Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit wäre es besser,
wenn nicht so viele Verfahren eingestellt würden.
Es wird kritisiert, dass Deals gemacht werden. Oft ist
der Hintergrund, dass die Arbeitsbelastung zu hoch ist,
dass sich abzeichnet, dass ein Verfahren rechtlich und
auch tatsächlich sehr kompliziert wird. All das trägt natürlich nicht dazu bei, dass sich die Akzeptanz gerichtlicher Entscheidungen in der Bevölkerung erhöht. Es trägt
auch nicht zu mehr Gerechtigkeit bei.
Das Problem liegt in einer sehr hohen Arbeitsbelastung der Gerichte, der Ermittler, der Staatsanwälte und
der Justizangestellten. Deshalb haben wir uns in Nordrhein-Westfalen für die neue Koalition vorgenommen,
hier à la longue ganz deutlich aufzurüsten, sowohl, was
die personelle Ausstattung angeht, als auch, was die technische Ausstattung angeht.
({0})
- Das ist schon mal einen Applaus wert; das finde ich
auch.
Dabei zeigt der Vergleich, dass wir mit der Anzahl von
24 Richtern pro 100 000 Einwohner gar nicht so schlecht
dastehen. Wir wissen auch, dass sich diese Zahlen nicht
beliebig steigern lassen. Deshalb müssen wir auf der
einen Seite die Ressourcen verbessern; auf der anderen
Seite wird es darauf ankommen, mit den knappen Ressourcen sorgsam umzugehen, diese Ressourcen sinnvoll
und vor allem effizient einzusetzen. Das ist ein Beitrag
zu mehr Rechtsstaatlichkeit, zu mehr Vertrauen in den
Rechtsstaat und auch zu mehr Gerechtigkeit.
({1})
Es ist durchaus erkennbar, dass bei uns noch Potenzial
vorhanden ist. Ein Vergleich: Das Landgericht Hamburg
hatte einen Fall abzuurteilen, in dem es um Piraten ging,
die am Horn von Afrika ein deutsches Schiff angegriffen hatten. Für das Verfahren waren 106 Hauptverhandlungstage angesetzt, die Kosten: 4,5 Millionen Euro.
Bei einem vergleichbaren Fall in Frankreich dauerte die
Hauptverhandlung drei Wochen.
({2})
Da zeigt sich eine gewissen Unwucht und dass wir in diesem Bereich auf jeden Fall noch Potenzial haben; denn
Frankreich wird man sicherlich nicht nachsagen können,
dass dort der Rechtsstaat nichts gilt; ganz im Gegenteil.
Wir haben deshalb schon im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir in den Strafverfahren, in den Jugendstrafverfahren, unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze
selbstverständlich, die Verfahren praxistauglicher ausgestalten wollen. Das ist der rote Faden, der sich durch die
Regelungen zieht, die wir Ihnen heute zur Abstimmung
vorlegen.
Es beginnt beim Ermittlungsverfahren. Wir schaffen die Kollegin Bähr-Losse hat es schon dargestellt - damit
eine sichere Rechtsgrundlage für Quellen-TKÜ und Onlinedurchsuchungen. Es ist einfach Unsinn, wenn die Ermittlungsbehörden bei ihrer Arbeit nicht die Möglichkeit
haben, sich daran zu orientieren, wie Täter und Banden
heutzutage agieren. Derzeit heißt es zu oft, dass wir dem
Täter nicht auf die Spur kommen können. Mit Telekommunikation herkömmlicher Art bekommen wir eigentlich
nur noch mit, wer gerade welche Pizza bestellt, wir erfahren aber nicht mehr, was die Bandenmitglieder verabreden, um ein Verbrechen oder einen Angriff zu begehen,
möglicherweise sogar einen terroristischen Anschlag zu
planen.
Es ist aus den genannten Gründen notwendig, dass wir
für die Maßnahmen eine klare Rechtsgrundlage schaffen.
Sie beinhalten zugegebenermaßen schon auch Eingriffe
in die Grundrechte, aber sie sind an klare Voraussetzungen gebunden, nämlich dass Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand Täter oder Teilnehmer einer schweren Straftat ist. Ein paar Beispiele dafür, um welche Taten
es gehen kann: Terrorismus, Geldwäsche, Abgeordnetenbestechung, Kinderpornografie, Mord, Bandendiebstahl.
In solchen Fällen können die Maßnahmen wichtige und
unverzichtbare Anhaltspunkte liefern, und dann sind sie
auch verhältnismäßig, und dann sind sie auch gerechtfertigt. Es sind die hohen rechtlichen Hürden und auch die
hohen technischen Hürden, die dafür sorgen, dass eine
Maßnahme nie und nimmer zu einer Standardmaßnahme
werden kann. Vielmehr handelt es sich um sehr gezielte
Maßnahmen, die allenfalls in wenigen Einzelfällen zum
Einsatz kommen.
Ich weiß nicht, woher Sie nehmen, dass eine Maßnahme zu einer Standardmaßnahme werden könnte. Weder
die rechtlichen Voraussetzungen lassen diesen Schluss
zu, noch die Erfahrungen mit diesem Instrument im präventiven Bereich. Mit den Maßnahmen wird sehr restriktiv umgegangen, und genauso wird das - das ist meine
feste Überzeugung - hier im Bereich der Ermittlungen,
im Bereich der Strafverfolgung geschehen.
({3})
Es wird außerdem Vereinfachungen im Ermittlungsverfahren geben. Auf den Richtervorbehalt bei der Blutentnahme im Zusammenhang mit Verkehrsstraftaten
kann guten Gewissens verzichtet werden, weil der telefonisch erreichte Richter im Zweifel ohnehin nur das bestätigen kann, was ihm der Polizeibeamte vor Ort schildert.
Wir schaffen die Pflicht von Zeugen, bei der Polizei
zu erscheinen. Wir regeln die Erfassung von sogenannten
DNA-Beinahetreffern, wo es Sinn macht. Wir hätten gerne auch noch die DNA-Analyse in Bezug auf Merkmale
wie Augenfarbe oder Haarfarbe aufgenommen, aber dazu
sah sich das Justizministerium leider nicht in der Lage.
In einem nächsten Schritt haben wir Beschleunigungen für den Gang des Verfahrens vorgesehen. Es gibt
häufig den Fall, dass Befangenheitsanträge und Beweisanträge eher taktisch gestellt werden. Das Gericht soll
blamiert werden, als hilflos vorgeführt werden, indem
man mal zuerst mit einem Befangenheitsantrag beginnt
und den ganzen Zeitplan durcheinanderbringt.
({4})
Wir haben jetzt geregelt, dass wenigstens bis zur Verlesung der Anklageschrift erst einmal weitergemacht werden kann. Danach wird sich alles Weitere finden. Beides
führt zu mehr Effizienz ohne substanzielle Eingriffe in
die Rechte des Angeklagten oder Nachteile für die Wahrheitsfindung.
Der letzte Schritt. Bei den Sanktionen haben wir in
Zukunft die Möglichkeit, ein Fahrverbot als Nebenstrafe festzusetzen; denn häufig ist es so, dass zum Beispiel
eine Bewährungsstrafe doch nur als Freispruch zweiter
Klasse empfunden wird. Hier brauchen wir eine zusätzliche Sanktion, die auch für den Täter spürbar ist - ohne
die Nachteile einer Haftstrafe.
Jetzt müssen Sie zum Schluss kommen.
So bin ich optimistisch, dass wir mit diesem Paket
schon einiges erreichen, liebe Frau Präsidentin.
({0})
Vielen Dank. - Jetzt hat der Kollege Hans-Christian
Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eigentlich wollten wir hier über die große Strafprozessreform reden, die der Bundesjustizminister schon vor
Jahren angekündigt hat. Dabei ist aber nichts rausgekommen, außer ein paar kleinen Mäuschen, die hier schon
erwähnt worden sind, wie zum Beispiel, dass der Richtervorbehalt bei der Blutentnahme wegfällt.
({0})
- Ja, sensationell; eine wirklich große Leistung. - Oder
dass jetzt bei bestimmten - das gilt nur bei Tötungsdelikten - Vernehmungen von Beschuldigten ein Band mitläuft oder eine Tonaufnahme gemacht wird, das ist auch
nicht revolutionär, das ist auch keine große Veränderung.
Aber ich will mich an diesen einzelnen Punkten gar
nicht mehr aufhalten, weil wir das bereits in der ersten
Lesung getan haben. Übrigens haben wir auch den Aspekt behandelt, der weniger die Strafprozessordnung,
sondern eher das Strafrecht betrifft, dass man Führerscheinentzug oder Fahrverbot jetzt auch für Nichtverkehrsstraftaten anwenden will.
Das alles wäre hier heute fast nichts gewesen. Deshalb haben Sie noch rechtzeitig - oder vielmehr: nicht
mehr rechtzeitig, nämlich nach Dienstschluss am letzten
Freitag - einen Änderungsantrag eingebracht und wollten am Montag eine Sondersitzung für die Telekommunikationsüberwachung, also für Onlinedurchsuchungen
und Quellen-TKÜ, haben, damit das im Rechtsausschuss
noch schnell beschlossen werden kann - das ist nicht gemacht worden. Dann hat man es Dienstag gemacht, wo
es schnell durchgepeitscht wurde.
Ich sage Ihnen: Das ist ein Hauruckverfahren,
({1})
das unzulässig ist, zumindest wenn es darum geht, ein
Gesetz zu machen, das mehr in die Grundrechte der
Bürgerinnen und Bürger eingreift als damals der große
Lausch angriff,
({2})
und zwar nicht nur in die von Verdächtigten und Beschuldigten, sondern möglicherweise auch in die Grundrechte von anderen Personen. Es könnte nämlich sein, dass,
wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass ein Verdächtiger
einen PC oder ein Handy von jemand anderem benutzt
hat, dann auch der fällig ist, dann auch der in der Überwachung ist.
Es geht hier um einen operativen Eingriff in Grundrechte. Das muss ausführlich beraten werden. Deshalb
haben wir gesagt: So kann man das nicht machen.
({3})
Was haben Sie unter der Überschrift „Wir müssen etwas gegen Terrorismus tun“ jetzt gemacht? Da geben wir
Ihnen ja recht - auch mit Blick auf die Strafverfolgung;
denn hier geht es ja nur um die Strafverfolgung -: Wir
müssen etwas gegen Terrorismus tun; das stimmt. Aber
wenn man den Gesetzentwurf nun betrachtet, sieht man:
Es hat Auswirkungen quer durch das Strafgesetzbuch.
Sie wollen es auf insgesamt 70 Paragrafen, glaube ich,
anwenden. Erklären Sie mir, wo die schwere Straftat ist,
({4})
wenn es beispielsweise auf gewerbsmäßige Hehlerei angewendet werden soll. Wird da der Staat aus den Angeln
gehoben, oder warum?
({5})
Daran zeigt sich, dass Sie etwas ganz anderes vorhaben: Sie wollten das Strafgesetzbuch ganz breit erfassen,
nahezu alle Delikte. - Hehlerei ist übrigens nicht einmal
ein Verbrechenstatbestand, sondern ein Vergehenstatbestand.
({6})
So kann man das nicht machen, und so ist das auch mit
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
nicht in Einklang zu bringen.
Das Bundesverfassungsgericht hat insbesondere verlangt: Wenn man solche Onlinedurchsuchungen machen
will, dann muss man garantieren, dass dies technisch
und rechtlich vorher so geprüft wird und überprüfbar
bleibt, dass man feststellen kann, was mit dieser TKÜ
wirklich gemacht wird. Wenn es heißt, sie laufe nach drei
Monaten aus, muss überprüfbar sein, ob sie tatsächlich
ausläuft. Kann das der Richter feststellen? Da reicht der
Richtervorbehalt nicht, sondern da braucht man einen
Vorbehalt von Datenschutzbeauftragten oder meinetwegen auch von Spezialisten vom Chaos Computer Club,
die man da hinzuziehen muss.
({7})
Mit diesem Gesetz greifen Sie substanziell in das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein, und
dies gerade in dem Kernbereich privater Lebensführung.
Dazu haben Sie in das Gesetz hineingeschrieben: Wenn
allein dieser Kernbereich betroffen ist, dann ist das unzulässig. - Das wird ja fast nie der Fall sein. Selbst bei
einem Liebesgeflüster oder selbst beim Gespräch mit
einem Psychologen oder Psychiater wird natürlich auch
einmal über etwas anderes gesprochen. Das heißt, Sie
öffnen selbst diesen Kernbereich der privaten Lebensführung für derartige Onlinedurchsuchungen. Das ist grundgesetzwidrig, das ist mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in keiner Weise zu vereinbaren.
({8})
Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen. Sie
sagen zwar: Rechtsanwälte, Ärzte, Pfarrer sollen davon
ausgenommen sein. - Aber Sie nehmen die Helfer der
Rechtsanwälte nicht aus. Wie stellen Sie sich denn das in
meinem Büro als Rechtsanwalt vor? Bei mir dürfen Sie
es nicht einsetzen, aber bei einem Mitarbeiter, der da bei
mir im Büro sitzt, dürfen Sie es einsetzen. Wie wollen Sie
da noch das Anwaltsgeheimnis wahren,
({9})
wie wollen Sie da noch das Arztgeheimnis wahren, wie
wollen Sie die Vertraulichkeit des Gesprächs mit Geistlichen, mit Pfarrern oder anderen wahren?
Nein, dieses Gesetz darf so nicht durchkommen. Dieses Gesetz muss spätestens in Karlsruhe fallen.
({10})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion hat jetzt
Dr. Johannes Fechner das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich möchte gleich vorab sagen: Das Allerwichtigste - bei Strafgesetzen oder
der Reform der Strafprozessordnung - ist es, wenn wir
die Strafjustiz entlasten wollen, für mehr Personal zu sorgen. Wir brauchen mehr Richterinnen und Richter, wir
brauchen mehr Staatsanwälte. Damit können wir der Justiz den größten Dienst erweisen, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
({0})
Wir können die hohe Arbeitsbelastung gerade in der
Strafrechtspflege aber auch durch eine effektivere Ausgestaltung des Strafverfahrens erreichen, und genau
dem dient dieses Gesetz. So ist es in der Tat - Kollege
Wunderlich hat es angesprochen - zukünftig nicht mehr
erforderlich, dass für eine Blutalkoholprüfung extra ein
Richter seine Anordnung geben muss. Das hat viele
Kräfte gebunden, und es wird von allen Berufsverbänden begrüßt, dass wir die Richter hiervon entlasten. Mit
dieser Maßnahme erreichen wir beispielhaft das Ziel, die
hohe Belastung in der Justiz zu reduzieren.
Wenn sich die biotechnischen Möglichkeiten der
DNA-Analyse weiterentwickelt haben, dann sollten wir
diese Möglichkeiten auch nicht ungenutzt lassen. Wir
wollen deshalb, dass der sogenannte Beinahetreffer auch
von der Strafprozessordnung erfasst wird und dort geregelt ist. Das sind Fälle, in denen der Abgleich von Spuren und DNA-Material ergibt, dass die Spuren zwar nicht
vom Täter, aber von einem nahen Verwandten stammen.
Zukünftig kann also nicht nur auf die völlige Übereinstimmung von Spur und Täter hin untersucht werden,
sondern auch, ob es eine Ähnlichkeit gibt, die auf ein
Verwandtschaftsverhältnis schließen lässt. Auch das ist
ein ganz wesentlicher Vorteil.
Ich persönlich wünsche mir auch, dass wir rasch in
der nächsten Legislaturperiode die Frage der Weitergabe
von Ergebnissen aus DNA-Analysen an die Polizei regeln, was die persönlichen Merkmale angeht, also etwa
Augenfarbe oder Haarfarbe. Dazu hatten wir ein umfangreiches Symposium beim BMJ; herzlichen Dank für
diese gelungene Veranstaltung, die den Handlungsbedarf
gezeigt hat. Um dies einzuarbeiten, hat jetzt zum Ende
der Legislaturperiode die Zeit nicht mehr gereicht. Aber
ich finde: Wenn mit Sicherheit gesagt werden kann, wie
die Haarfarbe oder die Augenfarbe eines Täters ist, dann
sollte die Polizei diese Informationen bekommen, um die
Ermittlungskräfte gezielt einsetzen zu können, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Wir gestalten den Strafprozess an vielen Stellen effektiver. Der Verteidiger erhält bei umfangreichen Verfahren
die Möglichkeit zu einer sogenannten Opening Speech,
und bei Tötungsvorwürfen muss die Beschuldigtenvernehmung zukünftig auf Video aufgenommen werden.
Herr Ströbele, Sie haben recht:
({2})
Wir wären hier viel weiter gegangen. Wir hätten die im
sehr guten Referentenentwurf vorgesehene Formulierung
des § 58a StPO gerne bei allen Straftaten angewandt;
denn wir erhalten aus der Praxis immer wieder Hinweise,
dass gerade die Opfer von Sexualstraftaten ihre Aussagen leider zurückziehen. Mit der Videoaufzeichnung hätten wir die Möglichkeit, im Prozess auf diese Aussagen
zurückzukommen.
({3})
Deswegen geht der Vorwurf an den Koalitionspartner:
Wir könnten mehr Vergewaltiger und mehr Menschenhändler verurteilen, wenn Sie diese Regelung nicht blockiert hätten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Zu der Frage der Verwertung der Ergebnisse von
DNA-Analysen. Wir müssen - das habe ich schon ausgeführt - mit dem technischen Fortschritt gehen. Es kann
nicht sein, dass nur die eine Seite, dass nur Terroristen
und Kriminelle vom technischen Fortschritt profitieren.
Nein, auch die Polizei muss hier Schritt halten und auf
Augenhöhe mit den Terroristen und Kriminellen agieren
können.
Deswegen ist es richtig, dass wir eine klare rechtsstaatliche Grundlage für die TKÜ und die Onlinedurchsuchungen schaffen. Wir orientieren uns dabei an der
Wohnungsüberwachung - mit ganz klaren rechtsstaatlichen Grundsätzen. Es kann nicht einfach ins Blaue hinein angeordnet werden, dass ein Handy von der Polizei
gehackt wird. Nein, ein Richter muss feststellen, dass
Tatsachen vorliegen, die einen Verdacht auf eine ganz
bestimmte Straftat, und zwar eine schwere Straftat, die
im Gesetz abschließend geregelt ist, begründen.
({5})
Man kann darüber diskutieren, ob es auch weniger getan
hätte; keine Frage. Aber wir haben eine klare Regelung:
Nur bei einer schweren Straftat darf dieses Instrument
angeordnet werden. Ich finde, das ist eine rechtsstaatliche
Lösung. Die Polizei muss auf dem neuesten technischen
Stand sein, um mit Terroristen und Kriminellen mithalten
zu können.
Weil Frau Künast direkt danach gefragt hat, will ich
Folgendes nicht unerwähnt lassen: Ja, wir tun mit diesem
Gesetz auch etwas für den Naturschutz. Wir verschärfen
das Bundesnaturschutzgesetz, um den illegalen Wildtierhandel zu bekämpfen. Nach dieser Neuregelung macht
sich strafbar, wer leichtfertig ein geschütztes Tier tötet
oder geschützte Pflanzenarten zerstört. Hierfür erhöhen
wir die Höchststrafe von einem auf drei Jahre. Das ist
nicht ganz unwichtig, wie ich finde. Deswegen will ich es
in dieser Rede zumindest kurz erwähnen. Abschließend
sage ich: Ein gutes Gesetz -
Aber jetzt kommen Sie zum Schluss, ja?
Jetzt haben Sie mich im Schlusssatz unterbrochen,
Frau Präsidentin. Ich muss noch einmal anfangen.
Dann muss man damit früher anfangen.
Abschließend: Das ist ein gutes Gesetz. Stimmen wir
also zu!
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank. - Als Nächster hat jetzt Professor
Dr. Patrick Sensburg für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich kann an die Rede meines Vorredners anknüpfen: Das ist ein gutes Gesetz. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, das Strafprozessrecht effektiver
und praxistauglicher zu gestalten. Das ist ein guter Ansatz gewesen; denn über die Jahre hat sich das Strafprozessrecht aufgrund vieler Gesetzesänderungen auseinanderentwickelt. Das wieder zusammenzuführen, war der
Ansatz.
Das ist uns nur in Teilen gelungen; da stimme ich dem
Kollegen Ströbele zu. Es wäre mehr möglich gewesen.
Der erste Vorschlag der Kommission beim Justizministerium zeigt: Es war größer geplant. Aber wir haben viele
Hürden nehmen müssen. Wir haben über einzelne Regelungen gestritten. An dieser Stelle gilt mein Dank dem
Justizministerium, dem Justizminister Maas und insbesondere Staatssekretär Lange. Wir haben oft zusammengesessen und über viele Formulierungen und einzelne
Wörter diskutiert, debattiert und gestritten. Im Ergebnis
haben wir nach meiner Meinung eine wirklich tragbare
und gute Lösung für die Reform des Strafprozessrechts
gefunden. Dafür ein Dankeschön!
({0})
Die einzelnen Punkte sind erwähnt worden: Mit Befangenheitsanträgen soll nicht mehr erreicht werden
können, dass ein Verfahren endlos in die Länge gezogen
wird; Beweisanträge müssen bis zum Ende einer Frist gestellt werden; die Erscheinungspflicht des Zeugen wird
geregelt - er kann nicht einfach sagen: ach, was interessiert es mich, wenn die Polizei mich zur Befragung
lädt -; und die audiovisuelle Vernehmung ermöglicht es,
später noch einmal zu schauen, was der Zeuge bei seiner
Vernehmung wirklich gesagt hat.
Ob es, wenn das weiter ausgedehnt worden wäre, uns
mehr Klarheit und Transparenz gebracht hätte oder mehr
Revisionsgründe, das kann man unterschiedlich beleuchten. Wir haben ja Expertenanhörungen zu diesen Themen
durchgeführt. Wir haben dreieinhalb Jahre über diese
einzelnen Punkte diskutiert. Von daher freue ich mich,
dass Frau Kollegin Bähr-Losse die Genese, die Entwicklung dieses Gesetzentwurfs dargestellt hat. Ich verstehe
nicht, wie man angesichts dessen als Oppositionspolitiker sagen kann: Dieser Gesetzentwurf ist in wenigen
Tagen entstanden.
Herr Kollege Ströbele, Sie waren doch bei der Expertenanhörung, in der auch über die Quellen-TKÜ diskutiert
worden ist, dabei. Ich habe in dieser Anhörung selbst die
Frage nach der Notwendigkeit der Quellen-TKÜ gestellt.
Vielleicht haben Sie das nicht mitbekommen; dann verDr. Johannes Fechner
stehe ich, dass Sie sagen: Das kommt jetzt spontan. Aber das ist doch nicht spontan.
({1})
Das war im Gesamtpaket der Strafprozessordnungsreform drin.
({2})
Dann ist es herausgenommen und in zwei Teile getrennt
worden, weil wir aus der letzten Legislaturperiode den
§ 81a StPO noch als sogenanntes Leftover, als Überbleibsel, hatten.
({3})
Wir sind froh, dass wir den § 81a StPO in dieser Legislaturperiode durchbekommen haben. Wir beide waren doch
gemeinsam mit dem Kollegen van Essen damals Berichterstatter. Wir wären doch beide froh gewesen, hätten wir
den § 81a StPO schon damals durchbekommen.
({4})
Jetzt ist uns das endlich gelungen, und nun hängen
Sie sich an zwei Punkten auf und blockieren dieses gute
Gesetz, nämlich an der Quellen-TKÜ und an der Onlinedurchsuchung. Beides sind Bereiche, die wir ohnehin
schon haben. Es ist derzeit ohne Weiteres möglich, den
Telefonverkehr von Verbrechern und Menschen, die im
Verdacht stehen, schwere und schwerste Straftaten begangen zu haben, abzuhören. Das kennt jeder, der schon
einmal den Tatort gesehen hat.
Nun ist es so, dass im Tatort nicht alle Leute per Messenger telefonieren. Aber in der Realität machen das die
Menschen inzwischen. Nur noch 15 Prozent der Kommunikation erfolgen unverschlüsselt. Sehen Sie sich einmal an, was die Kids machen; die drücken auf den Hörer
bei WhatsApp.
({5})
Diese Kommunikation von Verbrechern bzw. Menschen,
die im Verdacht stehen, schwere und schwerste Straftaten begangen zu haben, wollen wir genauso erfassen wie
die Kommunikation in normalen Telefonaten. Das ist berechtigt. Diese Möglichkeit eröffnen wir jetzt durch die
Quellen-TKÜ.
({6})
Der zweite Bereich ist die Onlinedurchsuchung. Es
ist heutzutage Alltag, dass ein Handy, das an einem Tatort gefunden wird, ausgelesen wird; das ergibt sich aus
§ 110 der StPO. Wenn man kein Handy findet, aber weiß,
dass schwerste Straftaten im Raum stehen, deren besondere Schwere sogar festgestellt worden ist und werden
muss - das haben Sie eben unterschlagen, Herr Kollege
Ströbele; in § 100b des Gesetzes steht nämlich auch drin,
dass die besondere Schwere der einzelnen Tat festgestellt
werden muss -,
({7})
dann muss es auch möglich sein, ein Handy online zu
durchsuchen, genauso wie es durchsucht werden kann,
wenn es an einem Tatort beschlagnahmt wird. Wir eröffnen damit die Möglichkeit, Straftaten zu verhindern, sie
zu verfolgen und die Täter dingfest zu machen. Das ist
nichts Aufregendes, und das ist nichts, was man skandalisieren muss. Das sind die Dinge, die in der normalen nicht der digitalen - Welt schon bisher möglich waren.
Diese Möglichkeit eröffnen wir jetzt auch im Hinblick
auf die digitale Kommunikation.
({8})
Herr Kollege Wunderlich, wenn Sie im Jahre 1990
stehen bleiben, dann werden Sie halt Straftaten nicht
mehr ermitteln. Täter kommunizieren heute digital. Daher geben wir unserer Polizei und den Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit, auch diese Kommunikation in
ganz besonders schweren Fällen abzurufen.
({9})
Das ist auch richtig so. Deswegen: Unterstützen Sie unseren Gesetzentwurf!
Danke schön.
({10})
Vielen Dank, vor allen Dingen für die perfekte Einhaltung der Zeit. - Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der Kollege Alexander Hoffmann
für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. Er hat den Ehrgeiz,
das genauso zu machen wie der Kollege Sensburg.
Ich tue, was ich kann. - Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Fechner, Ihre Aussage, dass wir mit diesem Gesetz mehr Vergewaltiger
verurteilen könnten, wenn die Union nicht wäre,
({0})
bedarf natürlich der Kommentierung durch mich;
({1})
das wird Sie nicht überraschen. Ich möchte an dieser
Stelle schon darauf hinweisen, dass wir heute vor allem
deswegen mehr Vergewaltiger verurteilen können, weil
wir einen neuen Straftatbestand haben, nämlich den berühmten Grundsatz „Nein heißt Nein“.
({2})
Für diesen Straftatbestand hat die Union gekämpft,
({3})
dafür haben die Frauen in der Union und glücklicherweise auch die Frauen in der SPD gekämpft, aber leider nicht
der SPD-Bundesjustizminister. Diese Bemerkung kann
ich mir nicht verkneifen.
({4})
Aber ich nehme Sie als geläutert wahr. Sollten wir wieder einmal rechtspolitische Koalitionsverhandlungen
führen, können wir gerne über die Versuchsstrafbarkeit
beim Cyber Grooming verhandeln. Das ist uns nämlich
ein großes Anliegen, das aber die ganze Zeit von der SPD
blockiert wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir,
dass ich als letzter Redner zwei Teilaspekte aus dem
Gesetzespaket, das uns vorliegt, herausgreife. Zunächst
noch ein paar Sätze zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens. Der Titel sagt es
schon: Es geht um Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung. Wir alle kennen ja aus dem Studium
den Satz: Die Strafe soll der Tat auf dem Fuße folgen.
Es geht um bestimmte Komponenten, die - ich will
es einmal so sagen - eine Straffung des Befangenheitsrechts darstellen, das - die Praktiker wissen das - in der
Vergangenheit immer wieder gezielt zur Verfahrungsverzögerung missbraucht worden ist - so muss man es schon
fast nennen -, und zwar, wie die Kollegin WinkelmeierBecker eben gesagt hat, zum Beispiel durch die Formulierung des Ablehnungsgesuchs kurz vor Beginn der Hauptverhandlung. Dem wollen wir einen Riegel vorschieben.
Die Hauptverhandlung kann jetzt beginnen und bis zur
Verlesung des Anklagesatzes fortgesetzt werden. Zudem
hat der Vorsitzende nun die Möglichkeit, eine Fristsetzung für die schriftliche Begründung des Ablehnungsgesuchs zu formulieren. Auch das führt letztlich dazu, dass
Verfahren nicht weiter verschleppt werden.
Ich möchte auch noch einige Sätze zur Änderung des
Beweisantragsrechts sagen. Auch das ist mittlerweile
leider ein sehr missbrauchsanfälliger Bereich. Hier wird
neu eingeführt - ich habe das in der ersten Lesung schon
skizziert -, dass der Vorsitzende nach Ende der Beweisaufnahme eine angemessene Frist setzen kann, binnen
der weitere Beweisanträge gestellt werden dürfen; danach ist das eben einfach nicht mehr möglich.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass wir hier einen
praxistauglichen Instrumentenkasten haben, der letztendlich dazu führt, dass wir die Strafverfahren werden
straffen können.
Im zweiten Teil meiner Rede möchte ich noch ein
paar Sätze zum Fahrverbot als Sanktion sagen; das ist
die eigentliche Zielsetzung meiner Berichterstattung.
Sie kennen die Rechtslage. Bisher ist es so, dass es das
Fahrverbot als Sanktion nur dann gibt, wenn die Straftat
im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht. Diese Verbindung wollen wir aufheben, und das aus guten
Gründen.
In einem Rechtsstaat manifestiert sich der staatliche
Strafanspruch in der Verurteilung. Strafe und auch Nebenstrafe sollen das Tatunrecht sühnen, Genugtuung für
das Opfer sein und auf den Täter einwirken. Diese dritte
Komponente, diese Spezialprävention, ist im Jugendstrafrecht noch einmal sehr viel intensiver. Hier steht der
Erziehungsgedanke über allem. Man will auf den Täter,
der im jugendlichen Alter noch formbar ist, einwirken.
Deswegen glaube ich, dass es richtig ist, dass nach dem
vorliegenden Entwurf der Instrumentenkasten an Nebenstrafen erweitert wird und auch ein Fahrverbot zulässt,
wenn die Straftat nicht im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr begangen wird.
Das Fahrverbot bleibt Nebenstrafe. Im Erwachsenenstrafrecht wird die Dauer von maximal drei Monaten auf
maximal sechs Monate erhöht; im Jugendstrafrecht bleibt
es bei drei Monaten, eben wegen des Erziehungsgedankens. Das Fahrverbot soll in Betracht kommen, wenn es
zur Einwirkung auf den Täter erforderlich scheint und das kommt dem Täter ja zugute - zur Vermeidung einer
Freiheitsstrafe zielführend ist. Wir erhoffen uns hiermit
ein Instrument, das effektiv einwirken kann, nämlich
zielgenau, spürbar und der Schuld angemessen. Ich glaube, wir sind hier auf dem richtigen Weg.
Ich will noch ein Missverständnis aus dem Weg räumen, weil das immer wieder proklamiert wird: Die Anhörung hat sehr deutlich ergeben, dass sich vor allem die
Praxis ein solches Instrument wünscht. Das wollen wir
heute beschließen. Deswegen bitte ich um Zustimmung.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank. - Der Kollege Christian Ströbele hat um
das Wort zu einer Kurzintervention gebeten. Bitte, Herr
Ströbele.
Danke, Frau Präsidentin. - Ich will zu dem, was der
Kollege Sensburg gesagt hat, zwei Anmerkungen machen.
Erstens. Wir streiten nicht darüber, dass man bei terroristischen Gefahren für alle Eventualitäten Erkenntnisund Aufklärungsmöglichkeiten schafft. Das habe ich im
Rechtsausschuss auch so gesagt. Das heißt, wir können
bei solchen Tatbeständen durchaus darüber reden. Ärgerlich und in gewisser Weise auch unwahrhaftig ist, dass
Sie mit dieser terroristischen Gefahr geradezu Handel
treiben, indem Sie sagen: „Da muss man doch etwas
machen“ - da stimmt Ihnen fast jeder zu -, aber wollen, dass die Maßnahmen auch auf eine ganze Serie von
Straftatbeständen im Strafgesetzbuch - die Zählungen
gehen auseinander; bei manchen sind es 50, bei anderen
70 - angewandt werden können.
Zweitens. Der Richtervorbehalt hat Sinn und ist auch
hier sinnvoll. Darüber streiten wir ja auch nicht, obwohl
das von Ihnen in der Diskussion im Rechtsausschuss bestritten worden ist. Allerdings ist angesichts der Tatsache,
dass es hier um eine komplizierte und von den technischen Kenntnissen her problematische Angelegenheit
geht, die Frage berechtigt, ob eine Richterin oder ein
Richter einer Strafkammer, also Juristen, tatsächlich die
Expertise haben, um beurteilen zu können, ob dieses Instrument mit den zu erwartenden Folgen wirklich so konzentriert eingesetzt werden kann, wenn der Staatsanwalt
den Antrag stellt. Das Bundesverfassungsgericht hat verlangt, dass eine obligatorische, also verpflichtende, unabhängige Prüfung des jeweiligen Verfahrens durchgeführt
werden muss. Das muss doch jedem einleuchten. Ich bin
nicht so vermessen, und Sie hoffentlich auch nicht, zu sagen: Das kann ich beurteilen. - Das können nur Fachleute beurteilen. Deshalb muss es eine Verpflichtung geben,
Datenschutzbeauftragte oder meinetwegen auch andere
Fachleute einzubeziehen, die den Richtern beratend und
sachkundig zur Seite stehen. Ansonsten ist es eine für die
wirklichen Gefahren unwirksame Kontrolle.
({0})
Vielen Dank. - Herr Kollege Sensburg, möchten Sie
darauf antworten? - Bitte schön.
Herr Kollege Ströbele, ich antworte darauf kurz. Es
ist richtig, dass Sie gesagt haben, wir müssten darüber
reden. Wir reden auch. Sie machen immer ein Redeangebot. Das klingt so versöhnlich, und Herr Kollege
Ströbele, ich mag Sie ja auch. Aber man muss irgendwann vom Reden zum Erarbeiten des Gesetzes übergehen, damit man Straftaten verhindern kann. Sie müssen
also auch einmal schauen, wie wir gemeinsam zu einem
Konsens kommen. Mit unserem Koalitionspartner sind
wir zu einem Konsens gekommen.
Ich will Ihnen jetzt nicht den gesamten Straftatenkatalog vorstellen.
({0})
Aber hier geht es um Straftaten wie die Bildung einer
kriminellen Vereinigung, Straftaten gegen die sexuelle
Selbstbestimmung, um Kinderpornografie, Mord und
Totschlag oder um schweren Raub mit Todesfolge.
({1})
Ich könnte Ihnen alles vorlesen. Sie haben gesagt, es stehe auch etwas zum Asylgesetz drin. Es geht um das Einschleusen mit Todesfolge. Das sind für mich so schwere
Straftaten - das hat nichts mit Terrorismus zu tun -, dass
wir sie in einem Katalog regeln, sodass wir die Möglichkeit haben, der Polizei hier die digitale Kommunikation
zugänglich zu machen.
Es gibt Personen, die im Verdacht stehen, diese Art
von schweren Straftaten zu begehen oder begangen zu
haben. In diesen Fällen möchten wir nicht nur das normale Telefonat, das kaum einer mehr nutzt, mithören
können, sondern auch die Kommunikation über Messenger-Dienste. Sonst macht polizeiliche Ermittlungsarbeit
präventiv, aber auch repressiv keinen Sinn. Wir erlauben
dieses Instrument, damit Strafverfolgung in der digitalen
Welt weiterhin möglich ist, auf richterliche Anordnung
und wenn die besondere Schwere der Straftat festgestellt
wird. Darauf könnten auch Sie sich einlassen.
Danke schön.
({2})
Vielen Dank.
({0})
- Nein, Herr Wunderlich, ich lasse jetzt keine Beiträge
mehr zu. Wir fangen keine Debatte von Tisch zu Tisch
an.
Ich beende die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur effekti-
veren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafver-
fahrens. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/12785, den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf Drucksache 18/11277 in der Ausschuss-
fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Das ist die Koalition. Wer stimmt
dagegen? - Das sind die Opposition und zwei Abgeord-
nete aus der SPD-Fraktion. Wer enthält sich? - Keiner.
Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung ange-
nommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stim-
menverhältnis angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/12834. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Das ist die Opposition. Wer stimmt da-
gegen? - Das ist die Koalition. Wer enthält sich? - Nie-
mand. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucher-
schutz zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur
Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsge-
setzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze.
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp-
fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12785, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 18/11272 für erledigt zu erklä-
ren. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Be-
schlussempfehlung einstimmig angenommen.
Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunk-
tes.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b sowie
37 f auf:
14. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich
Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wege zur Pestizidreduktion in der Landwirtschaft
Drucksache 18/12382
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({1})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Harald Ebner, Friedrich Ostendorff, Nicole
Maisch, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bienengiftige Insektizide vollständig ver-
bieten - Bestäuber, andere Tiere und Um-
welt wirksam schützen
Drucksache 18/12384
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
37. f) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Oliver
Krischer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Marktkonzentration im Agrarmarkt
stoppen - Artenvielfalt und Ernährungssouveränität erhalten
Drucksache 18/12797
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Es gibt keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich bitte die Agrarpolitiker und -politikerinnen, jetzt
zügig die Plätze einzunehmen, und alle anderen, die nötigen Gespräche außerhalb des Plenarsaals zu führen,
damit wir weitermachen können. - Dann eröffne ich die
Aussprache. Das Wort hat Harald Ebner, Bündnis 90/Die
Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Ganz aktuell häufen sich dramatische Berichte
über den beängstigenden Rückgang der Zahl der Vögel,
Bienen und anderen Insekten und von Wildkräutern in
unseren Agrar- und Kulturlandschaften. Eine der maßgeblichen Ursachen ist der flächendeckende Pestizideinsatz: 34 000 Tonnen Wirkstoff jedes Jahr in Deutschland.
Die Gifte gelangen in die Böden, ins Grundwasser, in die
Luft und in unser Essen.
„Wir brauchen eine Kehrtwende in der Agrarpolitik.“
({0})
Das sagt eine Behörde des Bundes, nämlich das Bundesamt für Naturschutz. „Das System ist jetzt an einer Stelle
angekommen, wo es sich nicht weiter selbst korrigieren
kann.“ Das sagt Carl-Albrecht Bartmer, Präsident der
Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft.
Wir müssen vermeiden, dass die Agrarwirtschaft
weiter an dem Ast sägt, auf dem sie selber sitzt, wenn
durch derartige Fehlentwicklungen nicht nur unsere Lebensgrundlagen, sondern auch ihre eigenen Produktionsgrundlagen zerstört werden. Wenn Böden belastet und
verdichtet werden und ihre Fruchtbarkeit und damit ihre
wichtigen Funktionen verlieren, wenn Ökosysteme zerstört werden und Nützlinge und Bestäuber fehlen, dann
lässt sich auch nichts mehr anbauen. Das ist dann das
Gegenteil von Nachhaltigkeit, meine lieben Kolleginnen
und Kollegen.
({1})
Was unternimmt die Bundesregierung, wenn die konventionelle Agrarwirtschaft schon selbst um Hilfe ruft?
Nichts, rein gar nichts außer ein paar Versprechungen und
Ankündigungen hier und ein paar flotten Bauernregeln
da, die dann aber doch lieber schnell wieder einkassiert
werden. Das ist nach vier Jahren ein Armutszeugnis. Da
gibt es bei Minister Schmidt etwas mit dem wohlklingenden Titel „Nationaler Aktionsplan Pflanzenschutz“. Was
ist bis jetzt, zum Ende seiner Amtszeit, dabei herausgekommen? Herr Bleser - der Minister ist nicht anwesend;
Sie vertreten ihn -, Sie haben uns kürzlich in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage mitgeteilt: „Zielquoten für
die Reduzierung der Anwendung sowie erreichte Reduktionen können zurzeit noch nicht angegeben werden.“ Ja
wann denn dann bitte? Wie lange wollen Sie denn noch
herumlaborieren? Das ist eine Bankrotterklärung. Bis Sie
damit fertig sind, sind Vögel und Bienen ausgestorben.
({2})
Sie sind ja nicht einmal bereit, in Brüssel einem Verbot
der schlimmsten bienengiftigen Pestizide, den Neonikotinoiden, zuzustimmen, wie es die EU-Kommission
vorgeschlagen hat. Bei Minister Schmidt und der Großen
Koalition sind jedenfalls Bärbel Höhns Bundestagsbienen nicht in guten Händen.
({3})
Glyphosat, weltweit das Ackergift Nummer eins, auch
in Deutschland, wollen Sie neu zulassen, obwohl nach
wie vor weitere und neue Zweifel an seiner Unbedenklichkeit aufkommen. Das ist verantwortungslos. Dabei
geht es auch ganz anders in der Landwirtschaft. Der Ökolandbau macht es schon seit Jahrzehnten vor; aber auch
die konventionelle Landwirtschaft kann mit wesentlich
weniger Pestiziden auskommen.
({4})
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Die dänischen Bauern behandeln ihre Pflanzen dreimal
seltener mit Pestiziden als deutsche. Französische Forscher haben vorgerechnet, dass 40 bis 60 Prozent der
Pestizide eingespart werden können, und zwar ohne signifikante Ertragseinbrüche. Wer nachhaltige Landwirtschaft, gesunde Ökosysteme, gesunde Lebensmittel ohne
Rückstände will, der muss runter vom hohen Pestizideinsatz. Wie wollen wir denn sonst unseren Planeten unseren Kindern hinterlassen?
({5})
Nachdem der Nationale Aktionsplan komplett gescheitert ist, haben wir unseren Antrag zur Pestizidreduktion vorgelegt. Darin fordern wir ein klares Ordnungsrecht bei der Anwendung und den Zulassungsverfahren,
die Unterstützung pestizidarmer und pestizidfreier Landwirtschaft durch Anreizsysteme und eine deutliche Stärkung der Forschung und Entwicklung für alternativen
Pflanzenschutz. Wir machen hier ein Angebot. Eine andere Landwirtschaft ist möglich. Wir wollen, dass es bei
uns auch in Zukunft in der Landwirtschaft noch Bäuerinnen und Bauern gibt und dass sie davon leben können.
Nachhaltige Landwirtschaft braucht die Agrarwende,
liebe Kolleginnen und Kollegen, und die wird es ganz
offenbar nur mit Grün geben.
Danke schön.
({6})
Vielen Dank. - Für die Bundesregierung spricht jetzt
der Parlamentarische Staatsekretär Peter Bleser. Bitte
schön.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Kollege Ebner, Sie erfüllen in geradezu hervorragender Weise das Klischee, das ich von den
Grünen habe. Sie reden hier immer noch von der Agrarwende. Stattdessen brauchen wir einen Aufbruch in die
Zukunft, um die 10 Milliarden Menschen, die die Vereinten Nationen für 2050 prognostizieren, auch ernähren zu
können. Die werden Sie nicht mit Ökoschrebergärten in
den Vorstädten von Großstädten ernähren können. Dazu
brauchen Sie eine effiziente, leistungsfähige Landwirtschaft.
({0})
Die Urbanisierung wird dazu führen, dass zwei Drittel
der Menschen in Ballungsgebieten leben werden, so
die UN. Daher müssen wir dafür sorgen, dass sie nicht
nur ausreichend Lebensmittel erhalten, sondern dass sie
hochqualitative und sichere Lebensmittel erhalten,
({1})
und dafür stehen wir.
({2})
Meine Damen und Herren, die Grünen haben es sich
in den letzten Jahren zu eigen gemacht, eine ganze Berufsgruppe zu verachten, zu schmähen, zu verunglimpfen
({3})
und sie in ihrer Situation, die wirtschaftlich mit Sicherheit nicht einfach war in den letzten Monaten, zusätzlich
noch öffentlich zu stigmatisieren. Das mit Minderheiten zu tun - das sage ich Ihnen ganz klar -, ist nicht nur
unanständig, sondern einer demokratischen Partei nicht
würdig.
({4})
Wer glaubt, mit Strafsteuern auf bestimmte Lebensmittel
oder Empfehlungen bei der Ernährung und Vorschriften
wie dem Veggieday und ähnlichen Vorschlägen die Menschen gängeln und sie mit Verboten belasten zu müssen,
der erfüllt das Image einer Gängelungs- und Verbotspartei,
({5})
und das tun Sie in hervorragender Weise.
({6})
Sie wollen Strafsteuern auf Pflanzenschutzmittel und
Düngemittel. Das alles führt doch nicht zu dem Ergebnis,
das wir wollen,
({7})
sondern im Grunde genommen nur zu einer Verlagerung
der Produktion. Das hilft den Menschen überhaupt nicht.
({8})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind
diejenigen, die auf wissenschaftlicher Basis Pflanzenschutzmittel oder Düngemittel zulassen oder eben nicht.
({9})
Wir vertrauen unseren Wissenschaftlern in der Europäischen Union, aber auch in unseren Einrichtungen, dem
BfR und dem BVL. - Übrigens, BVL und BfR haben Sie
eingerichtet, Frau Künast. - Diesen vertrauen wir, weil
diese Experten nicht nur bei uns, sondern weltweit anerkannt sind.
({10})
Diese Vorgehensweise unterscheidet uns wesentlich von
Ihnen, die Sie aufgrund ideologischer Vorgaben meinen,
Fakten ignorieren zu können und sich gewissen Verhaltensweisen in Übersee anschließen zu müssen.
Die Wissenschaftler in der Europäischen Chemikalienagentur, ECHA, die Wissenschaftler in der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, und
die Experten aller Mitgliedstaaten kommen einvernehmlich zu dem Ergebnis, dass der Wirkstoff Glyphosat keine gesundheitliche Gefährdung verursacht. Auf dieser
Grundlage müssen wir eine Entscheidung treffen und
nicht auf der Grundlage irgendwelcher Umfrageergebnisse oder Stimmungen, die Sie wahrzunehmen glauben.
Ebenso ist der Antrag der Grünen „Wege zur Pestizidreduktion in der Landwirtschaft“ zu bewerten. Auch da
gilt: Ängste schüren hilft nicht; wir müssen vielmehr die
Fakten betrachten.
Man kann auch hier zu dem Schluss kommen, dass
selbstverständlich alles getan werden muss, dass Bienen
nicht gefährdet werden, aber es muss auch die Möglichkeit geben, zu unterscheiden und diese Mittel dort einzusetzen, wo eine Gefährdung nicht zu erwarten oder ausgeschlossen ist. Deswegen haben wir uns darüber hinaus
in unserem Haus darauf verständigt, die Forschung über
Pflanzenschutzmittel, die schonender sind, wesentlich zu
erhöhen. 14,6 Millionen Euro haben wir seit 2014 dafür
ausgegeben. Ich habe einen Förderbescheid für Maßnahmen erteilt, mit denen ganz gezielt durch Vergrellen
und Anlocken im Obstbau Insektizide vermieden werden
können. Ich hoffe sehr, dass die Forschung, die darüber
betrieben wird, entsprechende Ergebnisse bringt. Dann
brauchen wir andere Mittel nicht mehr einzusetzen,
Stichwort „hormoneller Einsatz“.
Wir haben gerade im Pflanzenschutz durch Digitalisierung eine Menge erreicht. GPS-gesteuert wird eine
Überlappung bei der Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln oder Dünger automatisch verhindert. Dadurch
wird der Einsatz deutlich reduziert.
({11})
- Das werde ich Ihnen gleich noch sagen, Herr Ebner. Darüber hinaus haben wir Forschungsarbeiten gefördert,
in denen untersucht wird, wie die Düngung sehr nah am
Saatkorn ausgebracht werden kann. Wir fördern auch den
ökologischen Landbau; auch das gehört dazu. Wir werden dafür die Mittel erhöhen. Nicht zuletzt sind wir gerade auf europäischer Ebene auch mit Ihren Partei freunden
einer Meinung, wenn es darum geht, eine Ökoverordnung auf den Weg zu bringen, die hilft.
Lieber Herr Kollege Ebner, wir haben noch ein weiteres Thema in dieser Woche im Ausschuss besprochen.
Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Wer den Pflanzenschutzeinsatz auf ökologischen Vorrangflächen bei
großkörnigen Leguminosen verbietet, der muss auch die
Konsequenzen tragen. Dann wird der Proteinimport eben
wieder aus Übersee kommen, um die bei uns nicht erzeugten Mengen zu ersetzen. Das kann nicht in Ihrem
Sinne sein. Wir fördern den Eiweißpflanzenanbau in
Deutschland mit immerhin zusätzlich 6 Millionen Euro.
Insofern ist kontraproduktiv, was in Brüssel mithilfe Ihnen nahestehender Kollegen beschlossen worden ist.
({12})
Wir haben im letzten Jahr über 1 200 Forschungsprojekte gefördert, die die Nachhaltigkeit und die Biodiversität stärken sollen, um damit auch den Zielen des Pariser
Klimaschutzabkommens nachzukommen.
Ich will Ihnen, Herr Ebner, noch etwas sagen. Sie haben völlig recht: Der Pflanzenschutzmitteleinsatz ist in
den letzten Jahren sehr unterschiedlich gewesen. In einigen Jahren ist er gestiegen, in anderen Jahren aber wieder
gesunken. Das bedeutet doch nur eines: Die Landwirte
setzen Pflanzenschutzmittel nur dann ein, wenn sie sie
einsetzen müssen. Gerade im letzten Jahr haben Betriebe
aus dem ökologischen Anbau mehrfach die Forderung
erhoben, weil es eine hohe Feuchtigkeit gab, die Mittel
weit über die vom BfR als zulässig erachteten Höchstmengen zu erhöhen. Das haben wir nicht gemacht, weil
der Gesundheitsschutz für uns vorgeht.
Ich schließe ab mit der Feststellung, dass die Grünen
es immer noch nicht verstanden haben, ihre Ziele in der
Agrarpolitik an die Realitäten anzupassen. Aber in einem
Punkt sind sie auf einem guten Weg: Bei den Umfrageergebnissen nähern sie sich den 5 Prozent, aber von oben.
Herzlichen Dank.
({13})
Vielen Dank. - Jetzt hat die Kollegin Dr. Kirsten
Tackmann für die Fraktion Die Linke das Wort. Bitte
schön.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Ich möchte den zweiten Punkt, der hier heute zur Debatte steht, nämlich die Marktkonzentration im
Agrarmarkt, zum Thema meiner Rede machen. Das ist
aus Sicht der Linken ein besonders wichtiges und ernsthaftes Thema.
Die Megafusion von Bayer und Monsanto ist eben nur
ein Beispiel, wenn auch ein besonders bedrohliches, ehrlich gesagt. Die rasant wachsende Konzernmacht gibt es
unterdessen aber auf allen Stufen der Lebensmittelproduktion. Sie ist eine sehr reale Bedrohung für die ortsansässigen Landwirtschaftsbetriebe. Zuerst verlieren sie
direkt oder indirekt Agrarflächen an Agrarkonzerne, die
in ebenso unsichtigen wie bestens vernetzten Strukturen
bundes- oder auch weltweit agieren. Die inzwischen insolvente Heuschrecke KTG mit ihren über 90 Tochtergesellschaften ist nur ein Beispiel dafür. Dass nach ihrer
Insolvenz die Flächen nicht wieder bei der ortsansässigen
Landwirtschaft gelandet sind, sondern bei der nächsten
Heuschrecke, sagt auch sehr viel über das falsche System. Das können wir doch nicht dulden.
({0})
Aber auch beim Saatgut, bei Düngemitteln, beim
Pflanzenschutz, bei Schlachthöfen oder bei Molkereien
stehen die Landwirtschaftsbetriebe immer öfter einer
Konzernübermacht gegenüber, die zunehmend mehr
als der Gesetzgeber bestimmt, was auf Feldern und in
Ställen passiert, vom Lebensmitteleinzelhandel einmal
ganz zu schweigen. Hier kaschieren nur noch die unterschiedlichen Namen der Supermärkte, dass dahinter nur
vier große Ketten stehen. Das ist doch eine bedenkliche
Entwicklung und aus unserer Sicht, aus Sicht der Linken
nämlich, ein Systemfehler.
({1})
In der sogenannten freien Marktwirtschaft heißt das
Erfolgsprinzip nicht soziale oder ökologische Verantwortung, sondern Maximalprofit um fast jeden Preis.
Der wird unterdessen natürlich am leichtesten mit erpresserischer Marktübermacht durchgesetzt; das ist doch
klar. Die Konzerne sind die Profiteure des Modells des
bedingungslosen „Wachse oder weiche“, und das wird
uns dann auch noch als Erfolg dargestellt. Aber auch ein
Tumor wächst, und man würde nie auf die Idee kommen,
das für gut zu befinden.
({2})
Verliererinnen und Verlierer dieses Systems sind wir
alle; denn diese Konzerne sind doch keine gemeinnützigen Vereine. Deswegen sagt die Linke ganz klar: Ihnen
dürfen wir nicht überlassen, was auf unseren Tellern landet.
({3})
Ihr Geschäftsmodell nimmt die Ausbeutung von Mensch
und Natur billigend in Kauf, und die Zeche dafür zahlen
wir am Ende alle. Deshalb wollen wir Linken gerade bei
der Versorgung mit Lebensmitteln keine erpresserische
Abhängigkeit von Konzernen. Verlierer wäre übrigens
auch die Politik, die erpressbar wäre von Strukturen, die
„too big to fail“ sind, wie bei den Banken. Das wollen
wir Linken verhindern.
({4})
Konzerne sollen nicht darüber bestimmen können, welche Lebensmittel wie produziert werden, was sie kosten
und wer den Zugang zu ihnen hat. Die Konzernübermacht muss beendet werden.
({5})
Vor ihr zu kapitulieren und beim Wachsen nur noch zuzusehen, ist aus unserer Sicht völlig unverantwortlich.
Deswegen ist für uns als Linke hier Widerstand Pflicht.
({6})
Wir brauchen dafür ein breites Bündnis auf den Straßen und den Plätzen, aber auch in den Parlamenten. Die
Megafusion von Bayer und Monsanto kann und muss
verhindert werden.
({7})
Aber es geht eben um mehr als diese Fusion. Wer eine
Landwirtschaft will, die mit Respekt vor Mensch und
Natur wirtschaftet und trotzdem von ihrer Arbeit leben
kann, darf sie nicht von Gewinnen und Aktienständen
von Konzernen abhängig machen. Das gilt ausdrücklich
weltweit; denn die Folgen dieser Konzernübermacht sind
in den ärmeren Regionen der Welt noch viel verheerender
als bei uns. Insofern greift aus unserer Sicht der Antrag
der Grünen zu kurz; denn die Kritik an der Megafusion von Bayer und Monsanto, von Dow und DuPont, von
ChemChina und Syngenta darf sich nicht auf die Folgen
für Umwelt und Ernährungssouveränität beschränken.
Es müssen auch die sozialen Folgen thematisiert werden,
wie etwa die wachsende Armut aufgrund existenzieller
Abhängigkeit von solchen Strukturen. Das gilt nicht nur,
aber eben auch für die Landwirtschaft.
Zum Pflanzenschutz, dem zweiten Thema dieser Debatte. Ja, die besonders bienengefährlichen Wirkstoffgruppen, wie zum Beispiel Neonikotinoide, müssen aus
linker Sicht verboten werden.
({8})
Aber Pflanzenschutzmittel sind nur ein Teil des Problems;
denn die Bestäuber und ihre wildlebenden Verwandten
haben mehr Probleme als Pflanzenschutzmittel. Sie sind
nicht nur besonders wichtig, weil sie die Nutzpflanzen
bestäuben, sondern auch, weil sie eine sehr wichtige ökologische Rolle spielen. Deswegen ist es auch im Interesse
der Landwirtschaft selbst, eine insektenfreundliche Bewirtschaftung der Flächen vorzunehmen.
({9})
Dabei geht es wirklich nicht nur um die Honigbiene,
sondern auch um die wildlebenden Bestäuber. Wir brauchen also eine insektenfreundliche Landwirtschaft. Viele
Betriebe sind da längst auf dem Weg mit Blühstreifen,
mit Randgestaltungen von Feldern, von Wäldern und von
Gewässern - dies übrigens, obwohl auch manche hier in
diesem Saal es immer noch ignorieren, dass wir da ein
Problem haben.
Aber wir müssen die Betriebe bei diesen Maßnahmen
besser unterstützen. Wir müssen ihnen die Maßnahmen
dann auch erleichtern, und zwar aus unserer Sicht auch
durch mehr Forschung. Denn am Ende steht die Aufgabe - das ist eigentlich die spannende Debatte -, dass Insektenfreundlichkeit und Ertragssicherung nicht gegeneinander stehen.
Vielen Dank.
({10})
Als nächste Rednerin hat Rita Hagl-Kehl für die
SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lebensmittelsicherheit ist wohl eine der wichtigsten und dringendsten Aufgaben des Verbraucherschutzes. Es stimmt, dass wir mehr Sicherheit und mehr
Schutz der Umwelt und der Gesundheit durch innovative Landwirtschaft, technologische Entwicklungen und
strenge Regularien in Deutschland erreicht haben. Trotz
dieses Fortschritts müssen die stetig steigenden Ansprüche der Verbraucher berücksichtigt werden. Sie wollen
gesunde und qualitativ hochwertige Lebensmittel. Der
Verbraucher will auch nachhaltige und umweltschonende
Produktionsweisen.
({0})
Eine Studie bestätigt, dass 60 Prozent der Deutschen
durch die Rückstände beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln beunruhigt sind. Es ist also nicht so, wie es der
Herr Staatssekretär vorhin angedeutet hat, dass wir erst
die Menschen verunsichern.
({1})
Diese Ansprüche sind auch ein Schwerpunkt der Arbeit der sozialdemokratischen Agrarpolitik. Wir wollen
die Verbraucherinnen und Verbraucher schützen, wir
wollen aber auch eine nachhaltige Landwirtschaft fördern, und wir wollen gesunde und qualitativ hochwertige Lebensmittel, die in Deutschland wettbewerbsfähig
produziert werden können. Außerdem ist für uns die
Biodiversität natürlich ein wichtiger Faktor, der nicht zu
vernachlässigen ist.
Wie ist jetzt die Situation? Wir haben wirklich einen
intensiven Einsatz von Pestiziden. Wir haben überschrittene Höchstrückstandswerte in Gewässern. Die Kosten
trägt der Verbraucher, der für sein Trinkwasser entsprechend mehr bezahlen muss. Wir haben überschrittene
Höchstrückstandswerte in Lebensmitteln. Auch wenn
die Rückstandsschwellen hochgesetzt werden, ist das
nicht zu vernachlässigen. Wahrscheinlich hätten wir
dann, wenn das nicht passieren würde, noch viel höhere Rückstandswerte. Wir haben Schäden an Bienen und
Wirbeltieren. Wie die Kollegin Frau Dr. Tackmann bereits gesagt hat, ist die Biene eines der wichtigsten Tiere auch in der Landwirtschaft; ich glaube, sie wird in
Deutschland als drittwichtigstes angesehen.
({2})
Deshalb dürfen wir die Gesundheit der Bienen nicht
gefährden. Die Biene ist aber nicht nur durch die Varroamilbe gefährdet, sondern die Tiere, die dann eben schon
geschwächt sind, sterben viel leichter an der Varroamilbe. Ich möchte keine Zustände wie in China, dass wir
dann mit irgendwelchen Stäbchen umherlaufen und die
Bäume besamen müssen.
({3})
- Ja, Blüten bepinseln, okay.
Wir haben eine steigende Abnahme der biologischen
Vielfalt in Deutschland. Das ist wirklich sehr erschreckend.
({4})
Deswegen ist der Pflanzenschutzmitteleinsatz dringend
zu reduzieren.
Wie kann man das tun? Man muss wieder vermehrt
auf ackerbauliche Alternativen setzen,
({5})
und diese Alternativen - auch wenn sie mehr kosten
als der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln - werden
zum Beispiel auch vom JKI, vom Julius-Kühn-Institut,
empfohlen. Die konventionellen Pestizide sollen nach
Möglichkeit - diese Möglichkeiten bestehen oft - durch
biologische Pflanzenschutzmittel ersetzt werden. Wir
brauchen eine konsequente Umsetzung und Weiterentwicklung des bereits vorher genannten Nationalen Aktionsplans zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und den Umgang damit. Bisher sind die
Ergebnisse noch sehr spärlich. Aber daran muss man
konsequent weiterarbeiten. Wir brauchen eine stärkere
und gezielte Förderung von sicheren Alternativen. Dafür
müssen die Fördermittel bereitstehen. Da nehmen wir
den Herrn Staatssekretär gern beim Wort, der gesagt hat:
Es gibt genügend Fördermittel. Wir brauchen auch eine
Ausweitung der ökologisch bewirtschafteten Anbauflächen. Der Herr Minister hat einmal das 20-Prozent-Ziel
in den Raum gestellt. Ich habe noch nicht bemerkt, dass
wir es zum Ende der Legislaturperiode erreicht haben.
Also sind wahrscheinlich die Anstrengungen noch zu gering.
({6})
Hier stimme ich auch nicht mit der Pressemitteilung
vom Chef des Bayer-Konzerns, Herrn Baumann - es geht
auch um Monsanto und Bayer -, überein, der sagt: Durch
die ökologische Produktion können wir die Welt nicht
mehr ernähren. - Das ist für mich - tut mir leid - geringer Schwachsinn;
({7})
denn wir müssen die Welt nicht ernähren, sondern wir
müssen die anderen Länder befähigen, sich selbst zu ernähren. Es kann nicht alles nur von Deutschland ausgehen, sondern wir brauchen auch Produktion in anderen
Ländern.
({8})
Mit einem 20-Prozent-Ziel wird die Welternährung bestimmt nicht gefährdet, aber wir hätten viel für unser
Land erreicht.
Positiv zu bewerten ist auch das Umdenken, das
in der Gesellschaft und in der Wirtschaft sowie in der
Agrarpolitik bereits stattfindet. Die EU-Kommission beabsichtigt, drei der meistverwendeten Neonikotinoide
zu verbieten - ein Schritt in die richtige Richtung. Das
EU-Parlament hat beschlossen, dass Pestizide auf ökologischen Vorrangflächen nicht mehr verwendet werden
dürfen. Da stimme ich auch nicht mit dem Herrn Staatssekretär überein: Für mich ist es ein Widerspruch in sich,
wenn man auf ökologischen Vorrangflächen, für die es
Fördermittel gibt, Pflanzenschutzmittel, Pestizide ausbringt.
({9})
- Die Eiweißproduktion kann bestimmt nicht von den
ökologischen Vorrangflächen abhängig gemacht werden.
Das müsste man auf eine breitere Basis stellen.
({10})
Bei der Glyphosat-Zulassung sprechen wir auf
EU-Ebene mittlerweile nicht mehr von 15 Jahren, sondern nur mehr von 10 Jahren, und es ist eine Einschränkung der Anwendung in der Nähe von Spielplätzen und
Parks geplant. Wir haben dem Herrn Minister schon vor
langer Zeit vorgetragen, dass man dieses Mittel auf kommunaler Ebene verbieten kann. Man kann es für die privaten Anwender verbieten. Es muss wirklich nicht sein,
dass jeder Schrebergärtner mit Glyphosat arbeitet. Das
gilt auch für die Bahn innerorts. Wir haben die Vorschläge gemacht. Vom Ministerium ist auf diese Vorschläge
nicht eingegangen worden, obwohl andere Länder wie
zum Beispiel die Niederlande - die sind bekanntlich auch
in der EU - es bereits so machen.
({11})
Monsanto verkauft neuerdings sein Mittel Roundup,
das eigentlich das Glyphosat-Urmittel war, sogar ohne
Glyphosat. Es geht also anscheinend. Es ist zwar ein sehr
hoher Preis, der jetzt für Essig verlangt wird, aber wenn
man auf dem richtigen Weg ist, ist das nicht verkehrt.
Dem, dass die Wissenschaft bei Glyphosat zu einem
einstimmigen Ergebnis gekommen ist, kann ich nicht zustimmen, weil das Krebsforschungsinstitut der WHO da sind bestimmt renommierte Wissenschaftler - ein anderes Ergebnis erzielt hat. Gleichzeitig muss man sagen:
Wenn Studien nicht veröffentlicht werden, dann schränkt
man die Wissenschaft ein;
({12})
denn ein Wissenschaftler kann nur mit veröffentlichten
Studien arbeiten. Was hier gemacht wird, das ist - das
sage ich, auch wenn ich „nur“ Geisteswissenschaftlerin
bin - eine Einschränkung der Wissenschaft; denn wenn
die Quellen nicht vorliegen, kann man nicht bewerten, ob
das, was hier gemacht wurde, stimmt oder nicht.
({13})
Nun zu einem Punkt, der bei Pflanzenschutzmitteldiskussionen auf keinen Fall fehlen darf, und das ist unsere Kritik auch an dem Antrag der Grünen. Man hat das
Zulassungsproblem, das wir in Deutschland mittlerweile
haben, nicht bedacht. Wenn wir neue Wirkstoffe und Alternativen wollen, dann brauchen wir auch eine gute Zulassungsquote. Die ist bei uns momentan sehr schlecht.
Wir haben ein EU-Audit vom Jahr 2016. Bei uns liegt
die Zahl der benötigten Tage für eine Zulassung bei
757. Vorgegeben von der EU sind eigentlich 120 Tage.
Das schränkt natürlich viel ein.
Die Erklärung war von der Presse und der Wirtschaft
sowie unserem Koalitionspartner schnell gefunden: Das
UBA, also das Umweltbundesamt, ist schuld. - Nur:
Diese Erklärung greift etwas zu kurz; denn erhebliche
Verfristungen entstehen auch in anderen Behörden. Die
Hälfte der Verfristungen entsteht zum Beispiel beim
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Tatsächliche Ursache für die Verzögerung sind
eher die hohen Antragszahlen. Die meisten Firmen versuchen eben, ihre Wirkstoffe in Deutschland zuzulassen,
weil wir hier sehr strenge Kriterien haben. Deswegen ist
eine Zulassung in Deutschland in diesem System die sichere Gewähr dafür, dass ein Wirkstoff auch in anderen
Ländern zugelassen wird.
Wir haben ständig wachsende Anforderungen, die ja
auch irgendwo ihre Berechtigung haben, die aber natürlich die Zulassung verzögern. Oft werden auch die Auflagen von der federführenden Behörde, in diesem Fall dem
BVL, nicht akzeptiert, zum Beispiel wenn sie vom UBA
kommen. Die SPD sieht hier dringenden Handlungsbedarf. Die Zulassungsverfahren müssen auf jeden Fall verbessert werden. Wir brauchen mit Blick auf das UBA die
Beibehaltung der Einvernehmensfunktion. Wir brauchen
aber auch eine Bündelung der Untersuchungen bei den
zuständigen Behörden, und wir brauchen mehr Personal,
nicht nur beim UBA, sondern bei allen Behörden, die mit
diesem Thema befasst sind.
Die Anträge der Grünen enthalten viele Forderungen,
die die SPD-Bundestagsfraktion als richtig und wichtig
einschätzt. Aber wir werden den Anträgen trotzdem nicht
zustimmen.
({14})
Das Problem der Zulassung - es fehlt in dem Antrag habe ich bereits genannt.
({15})
Außerdem können wir bei Glyphosat nicht sofort den
Hebel umlegen. Vielmehr brauchen wir einen Ausstiegsplan. Die Landwirte müssen Verlässlichkeit haben. Im
Vorfeld muss natürlich auch eine bessere Beratung stattfinden. Wir haben gleichzeitig einige der Forderungen,
die hier gestellt wurden, bereits berücksichtigt. Das
betrifft zum Beispiel die Thematik der Neonikotinoide
oder den Nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, der ausgebaut und
weiterentwickelt werden muss. Auf Drängen der SPD
wurden die Haushaltsmittel für die Forschung zum integrierten Pflanzenschutz 2017 bereits erhöht, genauso wie
auf Drängen der SPD auch die Forschungsmittel für den
Ökolandbau im Haushalt erhöht wurden.
Ich sage herzlichen Dank und hoffe, dass wir hier weiterhin auf einem guten Weg sein werden.
({16})
Ingrid Pahlmann hat als nächste Rednerin für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe
Kolleginnen! Ich bin mir sehr sicher, dass wir uns alle in
unserer politischen Arbeit dafür einsetzen, Mensch und
Umwelt zu schützen. Die Frage ist, wie man das tut und
mit welcher Herangehensweise. Eine pauschale Pflanzenschutzmittelreduktion, wie Sie sie in Ihrem Antrag
fordern, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
ist für mich definitiv nicht der richtige Weg. Auch für uns
steht der Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher
an erster Stelle. Die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln in Deutschland unterliegt strengen Kriterien. Sie ist
sicher verbesserungsbedürftig, besonders was die Dauer
der Anerkennungsverfahren betrifft; Frau Hagl-Kehl hat
es schon erwähnt. Bei den Zulassungsbehörden stauen
sich die Anträge. Die Resistenzbildung aufgrund fehlender Alternativen ist das Problem, das wir im Bereich der
Pflanzenschutzmittel haben.
Aber die Intention Ihres Antrags ist eine andere. Der
Antrag dient der Instrumentalisierung grüner agrarpolitischer Ziele. Sie verunsichern wieder einmal Verbraucherinnen und Verbraucher, indem Sie Horrorszenarien an
die Wand malen. Sie reden von Pestiziden, von Ackergiften, der Verunreinigung von Wasser, Böden und Lebensmitteln und bedienen sich dabei äußerst fragwürdiger
Statistiken über den Anstieg des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln. Eine Statistik hat es immerhin schon in die
Rubrik „Unstatistik des Monats“ geschafft. Das ist auch
eine Auszeichnung. Noch einmal: Wir haben die sichersten Lebensmittel weltweit.
({0})
Selbstverständlich müssen Pflanzenschutzmittel ausreichend reguliert werden. Aber das werden sie auch. Wir
haben in Deutschland und in Europa eines der strengsten
Regulierungssysteme der Welt. Diesen hohen Standard
wollen wir von der Union beibehalten. Sicherheit und
Qualität sind für die CDU/CSU grundsätzlich elementare Faktoren, auch in der Nahrungsmittelversorgung.
Das scheint mir bei Ihnen gar kein Thema zu sein. Ohne
chemische Pflanzenschutzmittel sind sowohl die Sicherheit als auch die Qualität unserer Nahrungsmittel, die uns
allen so absolut selbstverständlich erscheinen, definitiv
nicht zu erreichen; das muss jedem klar sein.
Pflanzenschutzmittel werden zum Schutz der Pflanze
angewendet. Sie verweisen in Ihrem Antrag auf die Pestizidaktionspläne in anderen Ländern. Gern möchte ich
Ihnen an dem konkreten Beispiel Dänemark begründen,
warum es so einfach eben nicht ist.
Dänemark hat bereits 1987 ein Reduktionsprogramm
für den chemischen Pflanzenschutz aufgelegt. Die verwendete Menge an Pflanzenschutzmitteln bzw. die Zahl
der Anwendungen sollte danach halbiert werden. Das
ambitionierte Ziel wurde jedoch verfehlt. Der angestrebte Behandlungsindex konnte nicht erreicht werden. Seit
dem Jahr 2000 steigt auch die Behandlungshäufigkeit in
Dänemark wieder kontinuierlich an. Trotzdem gilt der
dänische Aktionsplan bei vielen immer noch als Vorbild
für eine europäische Regelung. Dabei wurde in Dänemark durch die Reduktion von Pflanzenschutz und Düngung nur eines erreicht: Die Dänen müssen nun qualitativ
hochwertigen Brotweizen importieren, weil sie nicht in
der Lage waren, mit diesen Reduktionsvorgaben Qualität
zu produzieren.
({1})
Bei Ihrem Antrag zum Bienenschutz bin ich theoretisch bei Ihnen.
({2})
Auch uns liegt das Thema sehr am Herzen, und wir haben
dasselbe Ziel vor Augen: die Erhaltung dieser so wichtigen Art.
Rund 80 Prozent unserer Pflanzen müssen bestäubt
werden, um Ernten zu erhalten. Deswegen kämpfen
wir schon lange für den Bienenschutz. Bereits im Sommer 2015 wurde von unserem Bundeslandwirtschaftsminister eine Eilverordnung erlassen, die Bienen von
neonikotinoidhaltigem Staub schützen soll. Aus dieser
wurde dann ein dauerhaftes Verbot. Einfuhr und Aussaat
von Saatgut, das mit in Deutschland nicht zugelassenen
Neonikotinoiden behandelt wurde, sind ausnahmslos
verboten. Ich finde, das ist ein Erfolg für den Bienenschutz. Aber auch hier tun Sie so, als ob die Landwirtschaft allein für den Rückgang der Bienen verantwortlich
wäre. Auch das kann man so nicht stehen lassen. In den
vergangenen Jahren sind zum Beispiel die Bienenvölker durch Züchtung - hin zu mehr Ertrag und geringerer
Aggressivität - anfälliger gegenüber Krankheiten, Viren
und Parasiten geworden. Auch der an sich sehr schöne
Anstieg im Bereich der Hobbygärtner, die leider nicht
alle organisiert und beim Veterinäramt gemeldet sind, erschwert bei Krankheitsausbrüchen die gezielte Behandlung der Völker und stellt so ein hohes Risiko für andere
Bienenvölker dar.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, so einfach, wie Sie die Welt darstellen möchten - an allem
Übel sind die Landwirte mit ihren Handlungen Schuld -,
ist die Welt nicht.
({4})
Es gibt eben viele verschiedene Faktoren, die auf Abläufe Einfluss nehmen.
({5})
Wir von der Union stehen für Wissenschaftlichkeit, wenn
es um den größtmöglichen Schutz von Mensch, Tier und
Umwelt geht.
({6})
Unverantwortlich ist allerdings das politisch motivierte Hochpuschen von Risiken, die so nicht vorhanden
sind.
({7})
Die Stärkung von Forschung und Entwicklung zur Produktion zielgenauerer und noch umweltfreundlicherer
Produkte liegt im Interesse von uns allen; da müssen wir
dranbleiben. Den Aufwuchs in diesem Bereich hat Peter
Bleser genannt.
({8})
Allerdings ist angemessener Pflanzenschutz für die Ernährung von über 7 Milliarden Menschen auf dieser Welt
unverzichtbar.
Wir von der CDU/CSU-Fraktion arbeiten weiter an
konkreten Lösungen für konkrete Probleme. An reiner
Stimmungsmache werden wir uns nicht beteiligen und
deshalb Ihren Antrag ablehnen.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie um Verständnis, dass ich keine Zwischenfragen zulassen werde.
Wir hängen schon um 90 Minuten. Das jetzige Debattenende ist um 0.45 Uhr. Realistischerweise wird man noch
einige Minuten hinzurechnen müssen. Deshalb bitte ich
um Verständnis.
({0})
Katharina Dröge hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrte Kollegen von der CDU, die
Mehrheit der Redner und Rednerinnen hier im Raum hat
erkannt, welche Probleme der hohe Pestizideinsatz in der
Landwirtschaft verursacht. Es hat mich nicht überrascht,
dass Sie nicht zu diesen Menschen gehören, die das erkannt haben. Was mich allerdings wirklich überrascht
hat, ist, dass es ein Thema gibt, das Sie und Herr Bleser
in Ihren Reden komplett ignoriert haben. Das ist das,
was auf dem Markt für Agrochemiekonzerne passiert.
Was wir dort erleben, ist eine gigantische Fusionswelle
in einem Ausmaß, das wir bislang noch nicht beobachten konnten. Die größten der Großen - Bayer, Monsanto,
Syngenta, ChemChina, Dow und DuPont - fusionieren
gerade miteinander. Ihnen ist das noch nicht mal eine Erwähnung wert. Das wundert mich schon.
({0})
Das, was im Bereich für Pestizide und Saatgut passiert, ist ein gigantisches Anwachsen von Marktmacht.
Wenn eine Handvoll Unternehmen zwei Drittel des
Marktes für Pestizide und Saatgut dominiert, dann ist das
ein Problem, mit dem Sie sich beschäftigen müssen.
({1})
Was ist die Folge? Bauern werden von den gigantischen Konzernen unter Druck gesetzt: sowohl beim
Angebot als auch bei den Preisen. Beim Angebot setzen
die Konzerne auf Totalherbizide wie Glyphosat. Es gibt
weniger Innovationen im Markt. Das belegen Studien.
Es wird am Ende auf Monokulturen hinauslaufen im Bereich des Saatgutes. Am Ende bedroht die Marktmacht
dieser Agrochemiegiganten sogar die Ernährungssouveränität ganzer Volkswirtschaften.
({2})
Insofern ist es für uns ein Handlungsauftrag, uns die
Fusionskontrolle auf europäischer Ebene ganz genau
anzuschauen, und zwar nicht nur aus den wettbewerbspolitischen Gründen, aus denen wir als grüne Bundestagsfraktion sagen, dass die Fusion sowieso untersagt
werden müsste. Wir haben bei den Fusionen, die jetzt
schon genehmigt wurden, gesehen, dass die Kommission die Fusionen durchwinkt. Deswegen sagen wir: Wenn
eine Fusion in so einem Ausmaß Umweltschutzaspekte
betrifft, wie es im Agrochemiebereich der Fall ist, dann
müssen Aspekte des Umweltschutzes gleichwertig neben
der Fusionskontrolle und den Wettbewerbsaspekten stehen. Dazu haben wir als grüne Bundestagsfraktion ein
Rechtsgutachten vorgelegt. Wir als Bundestagsfraktion
haben Sie zigmal dazu befragt, was Sie dafür tun, ob Sie
nach Brüssel gehen, ob Sie gegebenenfalls klagen wollen. Sie haben kein einziges Mal darauf geantwortet. Sie
haben dieses Problem überhaupt nicht auf dem Schirm.
Deshalb ist es notwendig, dass es heute eine klare Stellungnahme des Deutschen Bundestages gibt. Denn es
geht um nicht weniger als unsere Gesundheit und unsere
Ernährung.
({3})
Als letzter Redner in dieser Aussprache hat Artur
Auernhammer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Diese Debatte zeigt uns einmal mehr: Hier
hat eine Partei nicht Angst vor irgendwelchen Pflanzenschutzmitteln, sondern vor der Fünfprozenthürde.
({0})
In den Anträgen wird wieder ein Weltuntergangsszenario beschrieben, das so nicht zutrifft. Welche Aufgabe
haben wir eigentlich in der Zukunft, meine sehr verehrten
Damen und Herren?
({1})
Wir haben in der Zukunft die Aufgabe, 10 Milliarden
Menschen auf dieser Welt zu ernähren.
({2})
Nach wie vor stirbt alle zehn Sekunden ein Kind den
Hungertod, und wir diskutieren hier darüber, wie wir die
Produktion unserer Landwirtschaft reduzieren, wie wir
sie nach unten fahren.
({3})
So kann es nicht gehen, meine sehr verehrten Damen und
Herren.
({4})
Wir haben hier schon oft über Glyphosat diskutiert.
({5})
Ich will gar nicht groß darauf eingehen; aber ich empfehle jedem, die bekannte Menge von 1 000 Litern Bier
pro Tag zu genießen - erst in dieser Menge ist das darin enthaltene Glyphosat gefährlich - und das drüben im
Biergarten zu machen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, kürzlich gab
es eine Diskussion im Europäischen Parlament, auch getrieben von dieser Angst und der Hysterie darum, keine
Pflanzenschutzmittel mehr auf die ökologischen Vorrangflächen auszubringen. Wir haben mit den entsprechenden
Greeningmaßnahmen erreicht, dass in Europa 1,4 Millionen Hektar Eiweißpflanzen regional angebaut werden,
dass mit diesen 1,4 Millionen Hektar Eiweißpflanzen regionale Eiweißversorgung stattfindet.
({6})
Was ist jetzt die Folge? Die Umweltorganisationen in
Südamerika schlagen Alarm: Jetzt wird noch mehr Regenwald gerodet.
({7})
Diese Regenwaldrodungen haben Sie zu verantworten,
meine sehr verehrten Damen und Herren.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird hier auch
sehr viel über Marktkonzentration gesprochen. Das bewegt mich auch. Gerade heute Mittag wurde eine Molkerei in meinem Wahlkreis von einem französischen
Molkereikonzern übernommen. Da müssen wir fragen:
Warum ist es so weit gekommen? Warum haben wir
hier nicht besser reagiert? Stattdessen wird hier nach
der Übernahme von Monsanto durch Bayer ständig ein
Angstszenario schon fast zelebriert.
({9})
Zur gleichen Zeit, zu der Bayer Monsanto übernommen
hat, wurde ein anderer Chemiekonzern von den Chinesen
übernommen.
({10})
Ich möchte fragen: Wäre es zu dieser Betroffenheit gekommen, wenn Monsanto von den Chinesen übernommen worden wäre?
({11})
Nein, keine Aktuelle Stunde - alles wäre gut gewesen.
({12})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen
in Zukunft - ich bin hier unserem Bundeslandwirtschaftsministerium sehr dankbar - nach wie vor verantwortungsbewusst mit den Möglichkeiten im Pflanzenschutz
umgehen. Gerade unsere deutsche Landwirtschaft, unsere gut ausgebildeten Bäuerinnen und Bauern machen das,
und deshalb müssen wir an dieser Stelle Respekt vor der
Arbeit unserer Bäuerinnen und Bauern haben.
({13})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin
dankbar, dass wir mit einzelnen Forschungsvorhaben
unsere Landwirtschaft weiter modernisieren und damit
auch nachhaltiger gestalten. Eine nachhaltige Landwirtschaft ist auch die Grundlage dafür, dass wir die Megaherausforderung der Welternährung bewerkstelligen.
Wir dürfen auch nicht das Thema Klimawandel aus
dem Blick verlieren. Wir haben heute im Bundestag
schon über Klimawandel diskutiert. Der Klimawandel
wird ganz neue Herausforderungen an unsere landwirtschaftliche Produktion stellen. Deshalb brauchen wir
moderne Produktionsverfahren, und die kann es nur mit
einer modernen, nachhaltigen Landwirtschaft und mit
den mit ihr verbundenen landwirtschaftlichen Organisationen geben.
({14})
Wir sollten weniger darüber diskutieren, was wir alles
zu verbieten haben, und wir sollten weniger darüber diskutieren, was alles schlecht ist auf der Welt.
({15})
Vielmehr sollten wir darüber diskutieren, welche Lösungsansätze wir finden können, um die große Herausforderung der Welternährung anzunehmen und um unsere eigene deutsche Landwirtschaft, die Arbeit unserer
Bäuerinnen und Bauern weiter zu unterstützen. Unser
Bundeslandwirtschaftsministerium macht das, unsere
Fraktion auch, und ich hoffe, auch die Kolleginnen und
Kollegen hier im Hause.
Vielen Dank.
({16})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zunächst zu den Abstimmungen über die
Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 14 a und 14 b.
Interfraktionell wird die Überweisung dieser Vorlagen
auf den Drucksachen 18/12382 und 18/12384 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Wi-
derspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 37 f. Abstimmung über den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/12797 mit dem Titel „Marktkonzentration im
Agrarmarkt stoppen - Artenvielfalt und Ernährungssou-
veränität erhalten“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist der
Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-
men der Opposition abgelehnt worden.
Ich rufe die Zusatzpunkte 8 a und 8 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen
einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen und zur
Änderung des Einkommensteuergesetzes
Drucksachen 18/12038, 18/12379,
18/12641 Nr. 1.1
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Volker Beck ({0}),
Renate Künast, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Aufhebung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten gemäß den §§ 175, 175a
Nummer 3 und 4 des Strafgesetzbuches
und gemäß § 151 des Strafgesetzbuches
der DDR ergangenen Unrechtsurteile
Drucksache 18/10117
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz
({1})
Drucksache 18/12786
- Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/12828
b) Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Ausschusses für Recht
und Verbraucherschutz ({3}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck
({4}), Katja Keul, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Individuelle und kollektive Entschädigung für die antihomosexuelle Strafverfolgung nach 1945 in beiden deutschen
Staaten
Drucksachen 18/10118, 18/12786
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen, und ich kann die Aussprache eröffnen.
Als erster Redner in dieser Aussprache hat Dr. KarlHeinz Brunner für die SPD-Fraktion das Wort.
({5})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Die gestrige Debatte über
Antisemitismus hat mich dazu verleitet, noch einmal
nachzulesen, was am 8. Mai 1985 unser ehemaliger Bundespräsident Richard von Weizsäcker zum 8. Mai 1945
sagte, nämlich dass dies der Tag der Befreiung war: der
Befreiung vom Joch einer gewählten Diktatur, der Befreiung von menschenverachtender Ideologie und der
Befreiung von Naziherrschaft, doch, verehrte Kolleginnen und Kollegen, nicht für alle Menschen in diesem
Land, nicht für Menschen, deren einziges Schicksal es
war und ist, das Normalste, das Beste, das Menschen geschehen kann, zu tun, nämlich Zuneigung zu zeigen, sich
zu lieben.
Ich jedenfalls habe nie verstanden, wie die junge Bundesrepublik Deutschland, gerade wieder aus dem dunklen Tal des Nationalsozialismus in einer freiheitlichen
Gesellschaft angekommen, allen Erkenntnissen zum
Trotz und ohne Scham genau das gleiche schändliche
Treiben fortgesetzt hat, von dem das Land erst kurz zuvor
befreit wurde. Dass dies dann auch noch unter den Augen und mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts,
genau dem Gericht, das eigentlich die höchste Instanz
des Rechtsstaats sein sollte, das den Schutz und die Würde des Menschen, wie es in Artikel 1 des Grundgesetzes
steht, sicherstellen sollte, macht mich auch heute noch
fassungslos; denn das Gegenteil war der Fall. Gerade
das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat es legitimiert, ja hat es ermöglicht, dass ein wütendes Schnüffeln
der Strafverfolgungsbehörden ausgelöst wurde, Razzien
durchgeführt wurden, massenhafte Verhaftungen stattgefunden haben, es zu Verurteilungen gekommen ist,
Menschen ihre Existenz verloren haben, berufliche Existenzen zerstört, Familien vernichtet, Menschen ruiniert
wurden. Unzählige unbescholtene Bürger dieses Landes wurden in Verzweiflung getrieben, einige begingen
Selbstmord. Wie viele dies im Einzelnen sind, wissen wir
heute nicht mehr.
Bei der Replik dessen dachte ich mir: Sollte der ideologisch verseuchte Arm des Jahres 1933, als dieses unsägliche Gesetz geschaffen wurde, wirklich so weit reichen? Und doch sollte es nach von Weizsäckers Rede
noch 32 Jahre dauern, bis dieses himmelschreiende Unrecht in Deutschland aufgehoben wurde. Nicht so - das
sage ich auch, meine Kolleginnen und Kollegen -, wie
ich mir das gewünscht hätte: endlich auch mit der Anerkennung gleicher Rechte für homosexuelle und heterosexuelle Menschen, mit gleicher Schutzaltersgrenze, mit
nichts anderem als der Beendigung der Diskriminierung.
({0})
Doch dies war mit unserem Koalitionspartner auch
62 Jahre nach dem Tag der Befreiung nicht zu machen;
denn offensichtlicher als das, was uns jetzt zur Entscheidung vorliegt, kann Ungleichbehandlung nicht sein.
Ich habe mich persönlich mit vielen anderen - unter
ihnen Christine Lüders von der Antidiskriminierungsstelle, unser Bundesminister Heiko Maas, Johannes Kahrs,
Eva Högl und viele in der Sozialdemokratie und in der
Community - über Jahre hinweg eingesetzt, um dieses
Unrecht endlich anzuerkennen und zu beseitigen. Und
was wird geschaffen? Neues Unrecht, neue Diskriminierung.
({1})
Es wurde nämlich mit der Rehabilitierung von Männern,
deren Partner mindestens 16 Jahre alt waren, eine neue
Diskriminierung geschaffen; denn das Sexualstrafrecht
für Heterosexuelle sieht Straffreiheit bei einvernehmlichem Geschlechtsverkehr mit Jugendlichen ab 14 Jahren vor. Zwei Strafrechte, zwei Gesetzbücher - seltsam.
Mich macht es nur ärgerlich.
({2})
Doch, meine Kolleginnen und Kollegen, den heutigen
Tag lauthals als zynische Rehabilitierung zu bezeichnen, wie manche Gazetten dies machen, von vergifteter Wiedergutmachung zu sprechen, das ist - das sage
ich - der Sache nicht angemessen. Genau die Kompromisslosigkeit, die diese Schreiber an den Tag legen, ist
in Wirklichkeit zynisch; denn sie, die Kompromisslosen,
nehmen in Kauf, dass täglich weitere Opfer sterben, dass
die Betroffenen nicht in Würde und versöhnt mit ihrem
Vaterland sterben können. Und zwar für was? Vielleicht
für politischen Landgewinn, für eine höhere Auflage. Ich
finde das persönlich einfach nur schäbig.
({3})
Ich hätte mir, meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb aber auch gewünscht, dass außer diesem Hohen Hause, dem Deutschen Bundestag, auch die Richter
des Bundesverfassungsgerichts im Laufe der Jahre Größe gezeigt hätten, indem sie nämlich eingestanden hätten, dass auch Richter irren können, dass Fehler möglich
sind, dass Fehler, die man gemacht hat, nicht schlimm
sein müssen, sondern man sich dafür entschuldigen kann.
Doch dazu ist bis heute leider noch nichts gekommen;
aber vielleicht ist die Zeit hierfür noch nicht reif.
Heute danke ich deshalb im Wesentlichen jemandem
aus der Sozialdemokratie, der in der Bundesrepublik
Deutschland begonnen hat, dieses Unrecht aufzuheben,
jemandem, der von vielen schon vergessen wurde, nämlich unserem ehemaligen Justizminister und Bundespräsidenten Gustav Heinemann. Ohne ihn und seine Initiativen wären auch wir, die wir alles darangesetzt haben,
die Diskriminierung immer mehr zu beenden, nicht da,
wo wir jetzt sind.
({4})
Wir sind noch nicht am Ende. Ich nenne die Ehe für
alle, Adoptionsrecht, Finanzierung des Aktionsplans gegen Trans- und Homophobie. Wir haben noch viel zu tun.
Wir packen es an, und wir setzen dies auch um.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Harald Petzold hat für die Fraktion Die Linke als
nächster Redner das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir beschließen
heute das Gesetz zur Rehabilitierung und Entschädigung
von schwulen Männern, die nach dem 8. Mai 1945 nach
dem § 175 des Strafgesetzbuches für einvernehmliche sexuelle Handlungen verurteilt worden sind.
Es ist ein Gesetz, das überfällig ist, weil es Tausenden schwulen Männern, die zu Unrecht verurteilt worden
sind - der Kollege Brunner hat es genannt -, endlich Gerechtigkeit widerfahren lässt, indem die Urteile aufgehoben werden und eine symbolische Entschädigung gezahlt
wird.
Es ist ein Gesetz, dessen Auswirkungen leider Tausende Betroffene schon nicht mehr miterleben können, weil
sie inzwischen verstorben sind, und das trotzdem wichtig
ist, weil es den Lebenden sozusagen deutlich macht, dass
ihr Leiden und ihr Kampf um Gerechtigkeit eben nicht
umsonst gewesen sind und dass wir in der Lage sind, ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
({0})
Es ist ein Gesetz, das vielen in diesem Haus, vielleicht
sogar - so möchte ich es sagen - fast allen, die heute
hier im Saal sitzen und an der Diskussion teilnehmen, ein
Herzensanliegen ist.
Ich habe allen Grund, den Dank, den ich in meinem
Beitrag zur ersten Lesung an alle gerichtet habe, zu wiederholen und insbesondere die Kollegin Zollner noch
einmal persönlich herauszuheben, weil sie in der Fachpresse als Einzige derjenigen, die ganz aktiv mitgewirkt
haben, eben nicht genannt worden ist, was nicht so ganz
in Ordnung ist. Wenn sich alle so verhalten hätten wie die
genannte Kollegin, vor allen Dingen in der CSU, dann
hätten wir ein faireres Verfahren gehabt, und ich hätte
möglicherweise keinen Grund, heute auch eine Kritik
vorzutragen. Zu der muss ich leider später noch kommen; das hat auch die Kollegin Zollner nicht verhindern
können.
Ich will die Danksagung gern auch noch auf diejenigen Kolleginnen und Kollegen aus den vergangenen Legislaturperioden erweitern, die ebenfalls viele Jahre mit
dafür gekämpft haben, dass es heute dieses Gesetz gibt.
Ich denke an Barbara Höll und an Christina oder jetzt
Christian Schenk von der Linken, ich denke an Christine
Scheel, ich denke an Margot von Renesse, ich denke an
Jörg van Essen. All diese Kolleginnen und Kollegen haben ja ebenfalls in den vergangenen Jahren mit dazu beigetragen.
({1})
Aber leider - dieses Wasser in den Wein kann ich Ihnen leider nicht ersparen - ist der vorliegende Gesetzentwurf auch zum Gegenstand eines aus meiner Sicht
sehr unwürdigen Schachers gemacht worden, vor allen
Dingen innerhalb der Koalitionsfraktionen. So ist es
leider passiert, dass durch einen Änderungsantrag - der
Kollege Brunner hat es hier vorgetragen - neues Unrecht
geschaffen worden ist.
Bundesweit gilt die Schutzaltersgrenze von 14 Jahren
für einvernehmliche sexuelle Handlungen, und dies mit
drei Ausnahmen, die in § 182 geregelt sind, nämlich das
Ausnutzen einer Zwangslage, Sex gegen Entgelt und das
Ausnutzen der fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung. Keiner dieser Fälle berührt
unser Gesetzesvorhaben, das wir heute umsetzen wollen.
Trotzdem konnten sich einige Kolleginnen und Kollegen
vor allen Dingen aus der Unionsfraktion offensichtlich
nicht verkneifen, mit Schutzalter 16 eine neue Diskriminierung in den Gesetzentwurf hineinzubringen und damit
denjenigen, die eigentlich entschädigt und rehabilitiert
werden sollen, doch so einen Makel von Jugendgefährdung anzukleben, der schon immer vor allen Dingen
Lesben und Schwulen angehangen wird, und ein bisschen davon bleibt dann doch in der Bevölkerung hängen.
Damit schaffen wir eine neue Diskriminierung, und das
kann nicht sein.
({2})
Ich halte das für unwürdig, und mir fehlen eigentlich die
Worte für so eine miese Kiste.
Mir fehlen auch die Worte dafür, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der SPD, dass ihr euch auch noch mit
auf diesen Änderungsantrag gesetzt habt, dass ihr nicht
zumindest gesagt habt:
({3})
„Macht diesen Scheiß wenigstens alleine!“, dass ihr nicht
einmal das fertigbringt. Ihr plustert euch in der Öffentlichkeit immer so auf, und wenn es um die Abstimmung
geht, habt ihr keine Eier, um das einmal zu verhindern.
({4})
Ich finde es auch sehr schade, dass die Vorschläge und
Anträge, die wir als Linke gestellt haben, um das Gesetz
noch zu verbessern, keine Berücksichtigung und keine
Mehrheit im parlamentarischen Verfahren gefunden haben. Ich nenne hier insbesondere die individuelle Entschädigung. Meine Fraktion hatte vorgeschlagen, dass
hierzu das Strafrechtsentschädigungsgesetz zur Grundlage genommen wird. Dies ist von den Koalitionsfraktionen mit der Begründung abgelehnt worden, dass dieses
Gesetz vor allen Dingen für zu Unrecht Verurteilte geschaffen worden sei. Ja worüber haben wir denn die ganzen Wochen geredet? Über zu Unrecht Verurteilte. Auf
wen, wenn nicht auf diese Verurteilten, ist dieses Gesetz
anzuwenden? Insofern ist es nicht nachvollziehbar, was
Sie da an Begründungen genannt haben,
({5})
Genauso wenig nachvollziehbar ist Ihre Ablehnung
der besonderen Zuwendung an Haftopfer in Höhe von
300 Euro bei Haftstrafen über 30 Tage, Ihr Widerstand
gegen die Übertragung der Ansprüche aus der Individualentschädigung auf Lebens- und Ehepartner, wenn der
Anspruchsberechtigte zwischen dem Beantragen der
Entschädigung und ihrer Bewilligung versterben sollte,
und vor allem Ihre Haltung zur Kollektiventschädigung.
Zur Kollektiventschädigung werden wir in der nächsten Legislaturperiode eine neue Initiative ergreifen, weil
das, wie ich denke, nicht zur heutigen Abstimmung passt.
Wir werden hier dem Gesetzentwurf zustimmen, auch
wenn ich diese Kritik hier vorgetragen habe;
({6})
denn wir wollen, dass das gesamte Haus deutlich macht,
dass dieses Unrecht wiedergutgemacht werden muss.
Das wollen wir nicht mit Kampfabstimmungen überschatten. Insofern hätte ich mir auch gewünscht, dass wir
heute nicht auch über einen Gesetzentwurf der Grünen
abstimmen müssten. Bei der Abstimmung über diesen
Gesetzentwurf werden wir uns - leider - enthalten, aber
dem Gesetzentwurf der Bundesregierung werden wir zustimmen.
Vielen Dank.
({7})
Als nächste Rednerin hat Dr. Sabine Sütterlin-Waack
für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte schon im Rahmen der ersten Lesung meine Freude darüber zum Ausdruck gebracht, dass wir den
Gesetzentwurf zur Rehabilitierung der nach dem 8. Mai
1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen in die parlamentarische Beratung geben konnten. Ungleich größer wird heute meine
Freude sein, wenn wir das Gesetz nachher beschließen.
Dies ist heute meine letzte rechtspolitische Rede und
in gewisser Weise schließt sich der Kreis. Meine erste
Rede in diesem Hohen Haus hat sich mit dem Thema
Gleichstellung in einem weiter gefassten Sinne befasst.
Ohne diesen einzigartigen und vielleicht sogar historischen Gesetzentwurf abwerten zu wollen, sage ich: Wir
befassen uns auch heute mit diesem Thema.
Bis ins Jahr 1969 waren im alten Bundesgebiet einfache homosexuelle Handlungen kriminalisiert und
strafbewehrt. Bis 1994 galten diskriminierende Jugendschutzbestimmungen. Zumindest für die junge Bundesrepublik kann man sagen, dass die durch den nationalsozialistischen Gesetzgeber drastisch verschärften
Strafrechtsparagrafen unverändert in das Strafgesetzbuch
Einzug fanden. Demnach war der Straftatbestand der Unzucht zwischen Männern schon durch eine Umarmung
in wollüstiger Absicht oder gar schon durch Handlungen
erfüllt, bei denen überhaupt keine körperliche Berührung
stattfand.
Gerade im Bereich der Justiz und besonders in den
Fachabteilungen des Bundesjustizministeriums gab es
auch nach Kriegsende eine personelle Kontinuität. Das
stand einer liberaleren Bewertung oder wenigstens einer
Rückbesinnung auf die Gesetze der Weimarer Zeit vehement im Weg.
({0})
Natürlich ist das nicht die ganze Erklärung. Zurückblickend muss man deutlich sagen: Das entsprach auch dem
gesellschaftlichen Mainstream. Besser als mit Ovid kann
man es kaum sagen: Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns in ihnen.
Es ist eine besondere Stärke des Rechtsstaats, sich
selbst zu korrigieren. Nicht weniger, aber auch nicht
mehr machen wir heute. Vor mehr als 15 Jahren hat sich
der Deutsche Bundestag über alle Fraktionsgrenzen
hinweg bei den betroffenen Männern für ihr erlittenes
Unrecht entschuldigt, entschuldigt für Urteile, die aus
heutiger Sicht in höchstem Maße grundrechts- und menschenrechtswidrig erscheinen,
({1})
entschuldigt für die Stigmatisierung und Kriminalisierung homosexueller Handlungen mit allen dramatischen
Folgeerscheinungen; denn mit dem Richterspruch endete für viele der damals verurteilten Männer auch ihr
gesellschaftliches Leben. Er markierte einen Bruch im
Lebenslauf und war eine Zäsur zum Schlechteren. Eine
Verurteilung war nicht nur ein Strafmakel, sondern auch
eine Aburteilung im gesellschaftlichen Gefüge. Wessen
homosexuelle Identität in der Nachkriegszeit durch einen
Prozess oder eine Verurteilung offenbart wurde, der war
mehrfach bestraft.
Wir kennen das, meine Damen und Herren, aus unseren persönlichen Beziehungen: Manchmal ist eine
einfache Entschuldigung zu wenig. Es müssen Taten
folgen. - Deshalb beraten wir hier heute abschließend
einen Gesetzentwurf, mit dem wir die verurteilen Männer rehabilitieren und die Urteile pauschal aufheben. Es
ist unser gemeinsames Ziel, den Betroffenen, nunmehr
oftmals hochbetagten Männern, stellvertretend für unseren Rechtsstaat die Möglichkeit zu geben, sich mit dem
deutschen Staat zu versöhnen. Wir bringen heute einen
einmaligen und beispiellosen rechtspolitischen Vorgang
zu Ende, mit dem wir in gewisser Weise auch verfassungsrechtliches Neuland betreten.
Meine eigenen Erfahrungen zeigen mir: Neues, unbekanntes Terrain betritt man nicht stampfend und
springend, sondern vorsichtig und bedächtig. Vor allem
aufgrund der komplexen und komplizierten verfassungsrechtlichen Folgefragen, die im Zusammenhang mit dem
Harald Petzold ({2})
vorliegenden Rehabilitierungsgesetzentwurf stehen, haben wir der Entschuldigung nicht sofort auch eine Aufhebung und Entschädigung folgen lassen können.
Wir als CDU/CSU-Fraktion haben uns im Vorfeld der
Entstehung des Gesetzentwurfs mit Fragen der Rechtssicherheit und der Gewaltenteilung intensiv beschäftigt.
Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass diese verfassungsrechtlichen Prinzipien einem verfassungskonformen Rehabilitierungsgesetz nicht entgegenstehen. Es ist
die spezifische Aufgabe des Gesetzgebers, abstrakt-generelle Entscheidungen zu treffen. Darüber hinaus handelt
es sich bei der Aufhebung der Urteile um eine begünstigende staatliche Maßnahme. Der Vertrauensschutz ist
daher nicht berührt.
Oft wurde in den vergangenen Jahren die Sorge zum
Ausdruck gebracht: Was machen wir denn mit den aufgrund ebenfalls aufgehobener Straftatbestände Verurteilten? Was machen wir mit den verurteilten Ehebrechern
und den wegen schwerer Kuppelei Verurteilten? - Uns
hören ja auch jüngere Bundesbürger zu; ich sehe da oben
auf der Tribüne viele. Ihnen sage ich: Ja, auch das war
damals in der Bundesrepublik Deutschland einmal strafbewehrt. Hier kann man jedoch ganz deutlich aufzeigen:
Weder beim Ehebruch noch bei der Kuppelei haben
wir es mit einem massiven Eingriff in den Kernbereich
des Persönlichkeitsrechts der privaten Lebensgestaltung
zu tun.
Außerdem haben wir es beim vorliegenden Gesetzentwurf mit einem eng umgrenzten Personenkreis der Betroffenen zu tun.
Opfer, die sich auf die mit dem Urteil verschaffte Genugtuung verlassen dürfen, gibt es auch nicht, da es sich
um einvernehmliche Handlungen handelt.
Auch Gewaltenteilung und richterliche Unabhängigkeit bleiben, wie angedeutet, von der vorliegenden Aufhebungslösung unberührt. Eine Aufhebung im Sinne des
vorliegenden Rehabilitierungsgesetzes ist ja keine direkte
Reaktion auf ein bestimmtes Urteil oder ein spezifisches
Strafverfahren. Uns geht es um die generelle Aufhebung
und eben nicht um den Einzelfall.
Darüber hinaus korrigieren wir durch die Aufhebung
der Gesetze nicht die Justiz, die zur Gesetzesanwendung
verpflichtet war und ist. Deswegen darf man auch nicht
von Fehlurteilen oder Ähnlichem sprechen.
Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 175 StGB - der Kollege hat das schon angesprochen -, die uns heute in so vielen Punkten fremd
erscheint, steht einer Aufhebung nicht entgegen. Das
oberste Gericht stellte damals lediglich fest, dass der Gesetzgeber den umstrittenen Paragrafen so erlassen durfte.
Andersherum kann man daraus nicht den Schluss ziehen,
der Gesetzgeber dürfe die Vorschrift nun nicht ändern,
aufheben oder eben die Betroffenen rehabilitieren. Ich
möchte aber nicht, dass wir den vorliegenden Gesetzentwurf ausschließlich durch die Brille der Verfassungsjuristen sehen. Ein Rehabilitierungsgesetz ist nicht nur
rechtlich möglich, sondern auch menschlich zwingend
notwendig.
({3})
Ich habe bereits auf die Situation der Betroffenen
hingewiesen. Wir gehen von ungefähr 3 000 noch lebenden Betroffenen aus. Diese Zahl ist jedenfalls noch im
Bundeszentralregister verzeichnet. Die Aufhebung ist
für den Betroffenen mit einer Entschädigung wegen des
durch die Verurteilung erlittenen Strafmakels verbunden. Vorgesehen ist ein pauschaliertes Entschädigungsmodell, damit eine möglichst schnelle Bearbeitung der
Entschädigungsansprüche gelingt. Wir haben uns für
eine niedrige Nachweisschwelle entschieden. Das heißt,
die Betroffenen müssen lediglich die Bescheinigung der
Rehabilitierung vorlegen und die Zeiten ihres erlittenen
Freiheitsentzuges wenigstens nachvollziehbar belegen.
Sie müssen sich also nicht noch einmal einem ausführlichen Verfahren stellen.
Hinsichtlich der im Gesetzentwurf vorgesehenen
Summen haben wir im Ausschuss keine Änderungen
mehr beschlossen. Je aufgehobener Verurteilung oder
Unterbringung werden 3 000 Euro gezahlt, je angefangenem Jahr der Freiheitsentziehung 1 500 Euro. Angesichts
der dramatischen Folgen der Verurteilung für die Betroffenen kann diese Entschädigung nur als Symbol dienen.
Sie ist dennoch ein wichtiges Symbol.
In meinen Gesprächen wurde immer wieder deutlich:
Es geht den Betroffenen zuvorderst um die Aufhebung
des Strafmakels. Sehr nachhaltig bleibt mir die Aussage
eines Betroffenen in Erinnerung, der sagte, dass er nicht
als verurteilter Krimineller sterben wolle. Forderungen
nach Entschädigungszahlungen standen nie im Vordergrund. Eine Kollektiventschädigung ist im vorliegenden
Gesetzentwurf zwar nicht direkt verankert, aber bereits
erfolgt. Die Magnus-Hirschfeld-Stiftung erhält im Haushaltsjahr 2017 erstmalig eine institutionelle Förderung in
Höhe von 500 000 Euro aus dem Haushalt des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz.
({4})
Ziel der Förderung ist es, die Arbeit der Stiftung zu stärken, zum Beispiel das Zeitzeugenprojekt „Archiv der anderen Erinnerungen“.
Meiner Fraktion war es besonders wichtig, dass wir
mit dem Rehabilitierungsgesetz keine Wertungswidersprüche schaffen, das heißt, dass keine Rehabilitierung
für Handlungen erfolgt, die nach damaligem Recht auch
im heterosexuellen Bereich strafbar waren oder nach
heutigem Recht strafbar sind. Im Gesetzentwurf gelang
das bis auf eine Ausnahme sehr gut.
Mit dem hier so stark kritisierten Änderungsantrag
der Koalition reagierten wir auf eine potenzielle verfassungsrechtliche Schwachstelle des Rehabilitierungsgesetzes. Ich weiß, das wird nicht von allen so gesehen,
und ich habe auch Verständnis für diese Kritik. Ich weiß
auch, dass wir einigen Männern damit die Hoffnung auf
Rehabilitierung nehmen. Kein Verständnis habe ich allerdings für das Schwingen der Homophobiekeule. Ich
sage es ganz deutlich: Wir mussten eine Antwort auf die
dargestellten Bedenken geben; denn ein Scheitern des
Gesetzes wäre unverzeihlich. Ich denke, wir haben eine
vertretbare Lösung gefunden.
Am Ende möchte ich mich ganz ausdrücklich bei allen
Kolleginnen und Kollegen über jedwede Parteigrenzen
hinweg für die außerordentlich gute und oft freundschaftliche Zusammenarbeit bei diesem Thema und auch bei
vielen anderen Themen bedanken.
Herzlichen Dank.
({5})
Liebe Frau Dr. Sütterlin-Waack, das war voraussichtlich Ihre letzte Rede im Deutschen Bundestag. Ich möchte Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute und viel Glück für
die voraussichtlich neue Aufgabe wünschen.
({0})
Als nächster Redner hat Volker Beck das Wort für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch
von mir, Frau Sütterlin-Waack, alles Gute für Ihr neues
Amt, in dem Sie den Rechtsstaat weiter mitgestalten dürfen, und viel Glück und Erfolg dabei.
({0})
Auch für mich schließt sich heute ein Kreis. 1989
habe ich als Schwulenreferent der grünen Bundestagsfraktion einen Gesetzentwurf zur Streichung des § 175
Strafgesetzbuch für meine Fraktion geschrieben. 1993
hörte der Rechtsausschuss erstmals einen Vertreter der
schwulen Bürgerrechtsbewegung an; ich war damals der
Sprecher des Schwulenverbandes und auf Einladung der
FDP-Fraktion als Sachverständiger geladen. 1994 wurden die letzten Reste des § 175 aus dem Strafgesetzbuch
gestrichen.
Heute ist ein historischer Tag. Der Bundestag erkennt
die Menschenrechtsverletzungen an den homosexuellen
Männern in der Bundesrepublik Deutschland und der
Deutschen Demokratischen Republik ausdrücklich an
und sagt: Dieses Unrecht darf keinen Bestand haben.
({1})
Es ist gut, dass für viele Homosexuelle endlich das Stigma des Kriminellen beseitigt wird. Weniger gut ist, dass
das viele nicht mehr erreicht, weil sie in der Zwischenzeit
verstorben sind.
Meine Damen und Herren, das Urteil war ein Aspekt
von dem, was die Menschen ruiniert hat, aber auch schon
das Ermittlungsverfahren konnte den sozialen Tod bedeuten. Es war mit Schande und Schmach sowie der Vernichtung der bürgerlichen Existenz verbunden. Deshalb
bitte ich Sie, noch einmal zu erwägen, ob Sie unserem
Änderungsantrag hinsichtlich der Entschädigungsleistungen nicht zustimmen wollen. Wir entschädigen jetzt
ja alleine Haftschäden. Für viele Menschen war aber
schon durch ein Ermittlungsverfahren oder auch durch
ein Strafrechtsurteil ihre bürgerliche Existenz und ihre
Berufskarriere vernichtet.
Im Entschädigungsrecht ist es eigentlich üblich, dass
der Staat, wenn er einen Schaden verursacht hat, auch
Berufs- und Rentenschäden zu entschädigen hat. Das
haben wir beim Bundesentschädigungsgesetz und auch
beim Allgemeinen Kriegsfolgengesetz so gemacht. Warum machen wir das bei dieser Gruppe nicht?
({2})
Leute wurden aus dem Beamtenverhältnis entlassen, haben ihre Wohnung verloren, ihren Arbeitsplatz verloren.
Auf all dies gibt die Entschädigungsregelung, die Sie gewählt haben, in vielen Fällen leider keine Antwort. Wir
haben eine flexible Regelung vorgeschlagen. Werfen Sie
Ihr Herz über die Hürde, und treten Sie unserem Antrag
bei!
({3})
Meine Damen und Herren, es ist wichtig, dass diese
Rehabilitierung heute beschlossen wird. Es ist mir völlig
unverständlich, welche Regelungstechnik Sie gewählt
haben. Es gibt ja ein Vorbild. Die Paragrafen, die wir aufheben, haben wir für die Zeit zwischen 1933 und 1945
schon einmal aufgehoben, nämlich mit dem NS-Unrechtsurteileaufhebungsgesetz. So, wie es da gemacht
wurde, schlagen wir es auch in unserem Gesetzentwurf
vor. Wir werden aber Ihrem geänderten Entwurf am Ende
zustimmen, weil es entscheidend ist, dass die Rehabilitierung für die betroffenen Menschen heute beschlossen
wird.
Aber dass Sie mit dieser kleinen Nickeligkeit eine
symbolische Sperre bei der Rehabilitation einziehen, was
für lesbische Frauen und in heterosexuellen Beziehungen
nicht strafbar war, und nicht alle rehabilitieren wollen,
finde ich der Sache nach und auch von der Botschaft her,
die wir senden, einfach nicht angemessen. Das macht die
heutige Entscheidung bitter. Ein bisschen Gift musste offensichtlich noch sein.
({4})
Am Ende des Tages wird Ihre Nickeligkeit keine Rolle
spielen, weil die Urteile, aus denen Sie die Tatbestände,
die Sie hier beschreiben, entnehmen könnten, gar nicht
mehr vorliegen. Wir wissen nur, nach welchen Paragrafen die Menschen verurteilt worden sind. Mehr ist auf
uns in den meisten Fällen nicht überkommen. Also fragt
man sich doch: Warum musste diese Regelung unbedingt
sein?
({5})
Meine Damen und Herren, ich erwähnte es gerade:
Ich gehöre noch zu der Generation, die unter dem § 175
Strafgesetzbuch, zumindest in seiner Jugendschutzform,
groß geworden ist. Weit über die Bedeutung des Strafrechtlichen hinaus hat dies das Leben meiner Generation
geprägt. Es war nicht nur so, dass ich damals bei meinen ersten sexuellen Erfahrungen „Opfer eines Strafrechtsparagrafen“ gewesen war. Ich hatte nicht vor dem
Sexualpartner Angst, aber sehr wohl vor Polizei und Justiz und davor, dass meine Homosexualität dadurch ans
Licht kommen könnte. Das war prägend. Jedoch auch in
anderen Bereichen, die darüber hinausgingen, etwa im
Mietrecht oder bei der Frage von Infoständen, wurde uns
gesagt: Ihr seid jugendgefährdend. Ihr dürft euch am öffentlichen Leben nicht in gleicher Weise beteiligen. - Ich
finde, die Vertreter der Parteien, die dafür gesorgt haben,
dass dieser Paragraf so lange im Gesetzbuch stand, sollten sich dafür bei den betroffenen Menschen entschuldigen.
({6})
Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass das nicht
meine letzte, sondern meine vorletzte Rede im Bundestag ist, weil wir in der nächsten Woche vielleicht den
Gesetzentwurf zur Eheöffnung noch beschließen können.
({7})
Aber manchmal kommt es anders. Deshalb will ich am
Schluss mit Erlaubnis der Präsidentin zum Abschied
noch ein paar Worte an Sie richten.
Ich war 23 Jahre leidenschaftlich gern Abgeordneter für die Grünen. Ich danke meinen Wählerinnen und
Wählern und meiner Partei für das mir entgegengebrachte Vertrauen; ohne die hätte ich nicht das bewirken können, was ich vielleicht bewirkt habe.
Ich bin dankbar für die vielen interessanten und bereichernden Begegnungen hier im Hohen Haus mit Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen. Was außerhalb des Parlaments vielleicht zu wenig bekannt ist, ist
die Tatsache, dass trotz allen Streits und aller Auseinandersetzungen hier im Plenum und in Talkshows die Zusammenarbeit zwischen den demokratischen Fraktionen
über sachliche Themen immer wieder funktioniert hat.
Man hat auch jenseits der Koalition manchmal ein offenes Ohr bei der Bundesregierung gefunden, wenn es
um konkrete Anliegen von Menschen oder Bürgern ging,
die Hilfe brauchten, sowie auch bei kleineren politischen
Aktionen.
Ich glaube, dass wir als Abgeordnete in diesen Zeiten selbstbewusst herausstreichen müssen, welch ein
Gewinn ein demokratisches Parlament ist. Parteien und
Fraktionen haben eine große Bedeutung an integrativer
Kraft für die politische Meinungsbildung. Gleichzeitig
müssen wir als Abgeordnete aber auch sagen: Wir sind
ein selbstbewusstes Parlament - gegenüber der Regierung, aber auch gegenüber denjenigen, die derzeit den
Parlamentarismus denunzieren.
({8})
Wir haben eine große Verantwortung in der Kontrolle
der Regierung. Der einzelne Abgeordnete kann manchmal mehr bewirken, als die Presse glauben mag und auch
manche von uns glauben mögen. Ich will insbesondere den jüngeren und neuen Abgeordneten des nächsten
Deutschen Bundestages sagen: Wir sind nicht Dezernenten für einen Fachbereich.
({9})
Vielmehr sind wir frei gewählte Abgeordnete - in allgemeiner, unmittelbarer und freier Wahl gewählt -, Vertreter des ganzen Volkes und an Aufträge und Weisungen
nicht gebunden, auch nicht an solche der Koalitionsführung, der Fraktionsführung oder der Parteiführung.
Am Ende müssen wir in jeder Frage selber entscheiden, wo unser Herz und wo unser Standpunkt unter Abwägung aller Aspekte ist. Wenn das Parlament seitens
der Medien Neiddebatten unter Druck kommt. - Auf der
Pressetribüne ist keiner mehr anwesend. Sie sind wahrscheinlich gerade am Feiern, aber das Parlament arbeitet
immer noch.
Die Statusrechte und die Ausstattung der Parlamentarier - dafür habe ich viele Jahre gestritten und auch gekämpft - sollen die Sicherheit und die Unabhängigkeit
der Abgeordneten sichern, und sie sind keine Privilegien,
sondern zwingende Voraussetzung, dass man zum Beispiel in presserechtlichen Auseinandersetzungen die nötigen Ressourcen hat, um sich gegen falsche Anwürfe zu
verteidigen, und dass man unabhängig seiner politischen
Arbeit nachgehen kann.
Ich möchte alle ermutigen, diese Frage der Unabhängigkeit sowohl gegenüber Populisten als auch gegenüber
manchmal nickeligen Presseanfragen stolz und selbstbewusst zu verteidigen.
Ein schöner Schlusssatz, Herr Beck.
Ein Satz noch. - Die Demokratie ist nicht unfehlbar in
ihren Ergebnissen. Das Gute an der Demokratie ist, dass
sie ihre Fehler einsehen und korrigieren kann, und ich
glaube, das haben wir am heutigen Tage auch mit diesem
Gesetzgebungsverfahren gezeigt.
Vielen Dank.
({0})
Herr Kollege Beck, das war - wahrscheinlich - auch
Ihre letzte Rede. Sie waren sechs Legislaturperioden im
Bundestag und haben in unterschiedlichen Funktionen
mitgewirkt. Ich will insbesondere auch an Ihre Tätigkeit
Volker Beck ({0})
als Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe erinnern. Ich wünsche auch Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute und viel Glück. Vielen Dank.
({1})
Als nächster Redner hat Johannes Kahrs für die
SPD-Fraktion das Wort.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! 86 Prozent der Deutschen befürworten die Rehabilitierung der 175er. Zwischen 1949 und 1994 wurden etwa 64 000 homosexuelle Männer verurteilt. Das
hat also 64 000 Männer und deren Partner und Freunde
getroffen.
Es hat die getroffen - das ist schon gesagt worden -,
die verfolgt worden sind. Aber es hat auch diejenigen getroffen, die sich nicht getraut haben und die sich versteckt
haben. Homosexuelle Handlungen, um die es hier geht,
waren ein Kuss und Umarmungen; das war das berühmte
Kuscheln und die Nacht zusammen zu verbringen. Das
alles stand unter Strafe.
Wenn man schwul ist, gehört das aber zum Leben. Das
gehört zu einem selber; das macht einen Menschen aus.
Wenn man das nicht darf und wenn man dafür verurteilt
wird, dann ist das schändlich.
Aber viele haben es gar nicht erst so weit kommen lassen: Das waren dann die ewigen Junggesellen; das waren
diejenigen, die sich nicht getraut haben und deren Leben
damit auch von Anfang bis Ende - lassen Sie es mich
unparlamentarisch sagen - versaut worden ist. Ich kenne
viele von ihnen - ich habe mit vielen von ihnen gesprochen -, und es ist für jeden von ihnen eine Tragödie. Jeder hat sich irgendwie arrangiert; aber sie konnten nicht
heiraten, sie konnten nicht zusammen sein, sie konnten
nicht händchenhaltend über die Straße gehen, sie konnten sich nicht einmal küssen. Das war alles rechtswidrig,
und das ging bis 1994. Das ist gar nicht so lange her.
Auch an diese Menschen wollen wir heute denken.
Wir werden diejenigen, die betroffen waren, entschädigen, aber nur diejenigen, die verurteilt worden sind. All
den Menschen mit diesen Biografien, die ihr Leben nicht
so leben konnten, wie sie es eigentlich gewollt hätten,
bieten wir nichts. Ich glaube aber, dass wir als Parlament
sagen müssen, dass es uns leidtut; denn wir gehören alle
zu Parteien, die auch in jener Zeit in den Parlamenten
vertreten waren. Aber auch in einer Demokratie kann
Unrecht geschehen.
Ich persönlich bin wirklich froh und stolz darauf, dass es
uns gelungen ist, diesen Gesetzentwurf in den Deutschen
Bundestag einzubringen. Ich möchte mich zuallererst bei
Heiko Maas bedanken, dass er dieses Gesetzesvorhaben
immer wieder angeschoben hat. Es hat häufig genug gestockt, es war häufig genug in schweren Fahrwassern,
und die Kollegen im Rechtsausschuss haben sich dafür
eingesetzt und gekämpft. Das war nicht ganz einfach.
Die Kollegin Sütterlin-Waack hat die Probleme geschildert. Ich habe mich vor kurzem mit ihr darüber unterhalten, warum es denn schon wieder verdammt noch
mal nicht weitergeht. Sie sagte mir, woran es lag. Dann
sind wir Sozialdemokraten über ein Stöckchen gesprungen, was uns nicht leichtgefallen ist.
({0})
Wir haben noch einen Änderungsantrag gemacht. Das
war sehr schwierig. Dafür haben wir auch Dresche bezogen. Aber die Alternative wäre gewesen, dass die CDU/
CSU dieses Gesetz heute nicht hier hätte beschließen lassen. Dann hätten wir es nicht gehabt, und das wäre nicht
akzeptabel gewesen.
({1})
Deswegen, liebe Frau Sütterlin-Waack, noch einmal
vielen Dank für den Einfluss, den Sie und viele der Kollegen in Ihrer eigenen Fraktion ausgeübt haben. Es ist
immer so: Wenn man redet, dann erwischt man immer
die Falschen, denn diejenigen, die heute hier sitzen, waren meistens Teil der Lösung; diejenigen, die heute hier
nicht sitzen, waren das Problem.
({2})
Deswegen muss man sagen: Es war gut, dass wir es noch
geschafft haben.
Ich möchte mich ganz besonders bei dem Kollegen
Brunner bedanken, den ich immer wieder losgehetzt
habe, der immer wieder ranmusste, damit es vielleicht
doch noch klappt.
Ich persönlich bin stolz darauf. Im Koalitionsvertrag
steht: Rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche
Lebenspartnerschaften schlechterstellen, werden wir beseitigen. In diesem Punkt haben wir das - bis auf diesen
einen Änderungsantrag - geschafft.
Es gibt aber noch andere Punkte, die offen sind, und
auch wenn es nicht jeder hören möchte, muss ich es noch
einmal sagen: Die Öffnung der Ehe für alle wird kommen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union; zur
Not auch ohne Sie, aber sie wird kommen.
({3})
- Volker, bevor du dich aufregst: Wir alle kennen die parlamentarischen Spielregeln. Ihr habt in Baden-Württemberg gegen die Öffnung der Ehe gestimmt.
({4})
Wir als Sozialdemokraten können hier nicht für die Öffnung der Ehe stimmen, weil es einen Koalitionsvertrag
gibt, an den wir uns alle zu halten haben. Wir alle kennen diese Zwänge. Trotzdem wird die Öffnung der Ehe
kommen, ob mit oder ohne die Union; das ist mir langsam auch egal. Dann wird das der Bundeskanzler Martin
Schulz eben regeln müssen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Vielen Dank.
({5})
Als letzte Rednerin in dieser Aussprache hat Gudrun
Zollner für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Als ich im September 2013 den Einzug in
den Deutschen Bundestag geschafft hatte und dem Familienausschuss zugeteilt wurde, habe ich mich für die
Themen Alleinerziehende und LGBTI als Berichterstatterin der Unionsfraktion beworben - aus Überzeugung
und weil ich etwas bewegen wollte.
Zwei Vorhaben lagen mir besonders am Herzen: das
Unterhaltsvorschussgesetz und der § 175. Beides sind
Themen, die schon jahrelang in diesem Hohen Hause
debattiert wurden und bei denen sich bei manchen die
Euphorie in Grenzen hielt, was eine Reformierung bzw.
die Rehabilitierung anbelangt.
Ich wollte meine Zeit hier im Deutschen Bundestag dafür nutzen, um mich für Alleinerziehende und die
LGBTI-Themen einzusetzen. Das hieß teilweise, dicke
Bretter zu bohren, auch mit einem gewissen Quäntchen
an Hartnäckigkeit; vor allem aber hieß es, miteinander zu
reden, aufzuklären und zu überzeugen. Und Aufklärung
tat wirklich not.
({0})
Den § 175 oder zumindest die Bedeutung kannten viele,
({1})
aber die tragischen Schicksale, die dieser Paragraf für
die betroffenen Männer mit sich brachte, kannten die wenigsten. Es war dieser Paragraf, der homosexuelle Männer zu Verbrechern machte, durch den viele ihre Arbeit
und ihr Ansehen verloren, an dem Familien zerbrachen,
der sie in den sozialen Tod trieb.
Überzeugung brachten das Gutachten der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sowie unionsinterne Expertengespräche. Sie zeigten Möglichkeiten zur verfassungsgemäßen Umsetzung. Trotzdem war es für unsere
Juristen eine Herausforderung; wir betraten schließlich
verfassungsrechtliches Neuland. Aber wir haben es geschafft. Wir beschließen heute die Rehabilitierung der
nach § 175 verurteilten Männer. Wer hätte das am Anfang dieser Legislaturperiode gedacht?
({2})
Hier möchte ich Friedrich Hebbel zitieren: „Es gehört
oft mehr Mut dazu, seine Meinung zu ändern, als ihr treu
zu bleiben.“
({3})
Ich freue mich besonders für die betroffenen Männer,
die endlich ein Stück ihres Lebens zurückbekommen.
Wir können mit der heutigen Rehabilitierung das Leid
durch die fortgesetzte Kriminalisierung und Stigmatisierung der Betroffenen nicht mindern, aber wir können ihnen ihre Ehre zurückgeben - endlich.
({4})
Wir setzen aber auch ein Zeichen für unsere Gesellschaft. Deutschland bezieht Position - gegen Diskriminierung und gegen Ausgrenzung. Auch über unsere nationalen Grenzen hinaus wollen wir ein positives Signal
an Länder senden, in denen Homosexualität immer noch
stark geächtet wird. Neben der Individualentschädigung
kommen wir auch der Forderung nach einer Kollektiventschädigung nach, und zwar in Form einer institutionellen Förderung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld
bereits in diesem Haushaltsjahr.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dass ich an
diesem einmaligen Vorgang mitwirken durfte, erfüllt
mich mit Stolz. Schade finde ich nur, dass ich bei der ersten Lesung von einigen Medien als einzige der acht Rednerinnen und Redner nicht einmal namentlich erwähnt
wurde. Vielleicht passt es einigen ideologisch nicht, dass
sich eine CSU-Politikerin für LGBTI-Themen einsetzt.
({5})
Viele meiner Unionskolleginnen und -kollegen treten für
die Rechte Homosexueller ein, und zwar aus Überzeugung, auch wenn uns leider oft etwas anderes unterstellt
wird.
({6})
Wir alle wissen aber auch: Politik besteht aus Kompromissen. Das erleben wir tagtäglich bei unserer Arbeit.
Kein Gesetz verlässt das Plenum ohne Kompromiss. So
auch dieses. Ich würde mir aber auch wünschen, dass wir
oft respektvoller miteinander umgehen. Ich möchte Brücken bauen. Lassen Sie uns aufeinander zugehen, so wie
wir es interfraktionell bei der Rehabilitierung nach § 175
verurteilter Männer geschafft haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich daher heute bei den Kollegen der interfraktionellen Gruppe, bei Harald Petzold und bei Karl-Heinz Brunner, auch
wenn er über uns heute ein bisschen geschimpft hat, für
die gute Zusammenarbeit bedanken, ganz besonders aber
bei meiner Kollegin Dr. Sabine Sütterlin-Waack. Ihr
möchte ich gleichzeitig ganz herzlich zu ihrer bevorstehenden Berufung als Justizministerin des Landes Schleswig-Holstein gratulieren.
({7})
Liebe Sabine, alles Gute und danke für das vertrauensvolle und freundschaftliche Miteinander.
Vielleicht war es auch für mich als Listenkandidatin
heute die letzte Rede zu diesem Thema hier im Hohen
Haus. Danke auch an den Vorstand der Bundesstiftung
Magnus Hirschfeld, Jörg Litwinschuh, für seine Arbeit
am Archiv der Erinnerungen, und danke an alle Männer,
deren Strafmakel wir heute beseitigen konnten, für ihre
Geduld im Glauben an unseren Rechtsstaat. Ab heute
sind sie moralisch, politisch, gesellschaftlich und nun
endlich auch rechtlich rehabilitiert.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich
die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen
einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen und zur Änderung des Einkommensteuergesetzes. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12786, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf den Drucksachen 18/12038 und
18/12379 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/12835 vor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen
Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Damit ist
der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gibt es jemanden, der dagegenstimmt? - Gibt
es jemanden, der sich enthält? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen
worden.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden.
({0})
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Aufhe-
bung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten gemäß
den §§ 175, 175a Nummer 3 und 4 des Strafgesetzbu-
ches und gemäß § 151 des Strafgesetzbuches der DDR
ergangenen Unrechtsurteile. Der Ausschuss für Recht
und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12786,
den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf der Drucksache 18/10117 abzulehnen. Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Ge-
schäftsordnung die weitere Beratung.
Wir setzen die Abstimmung zu den Beschlussemp-
fehlungen des Ausschusses für Recht und Verbraucher-
schutz auf Drucksache 18/12786 fort. Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung
die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/10118 mit dem Titel „Indivi-
duelle und kollektive Entschädigung für die antihomo-
sexuelle Strafverfolgung nach 1945 in beiden deutschen
Staaten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die-
se Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen
worden.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a bis 16 c auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun
Bluhm, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Bundesweiten Aktionsplan für eine gemeinnützige Wohnungswirtschaft auflegen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Christian
Kühn ({2}), Britta Haßelmann, Sven-
Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die neue Wohnungsgemeinnützigkeit -
Fair, gut und günstig wohnen
Drucksachen 18/7415, 18/8081, 18/10928
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({3})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay,
Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Kündigungsschutz für Mieterinnen und
Mieter verbessern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Christian
Kühn ({4}), Renate Künast, Hans-
Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Zusammenhalt stärken - Mietrecht refor-
mieren
Drucksachen 18/11049, 18/10810, 18/12632
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Finanzausschusses ({5})
zu dem Antrag der Abgeordneten Lisa Paus,
Christian Kühn ({6}), Kerstin Andreae,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Spekulation mit Immobilien und Land beenden - Keine Steuerbegünstigung für Übernahmen durch Share Deals
Drucksachen 18/8617, 18/12818
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Sprache
({7})
- nein, natürlich die Aussprache und gebe damit die
Möglichkeit zur Sprache. Als erster Redner in dieser
Aussprache hat der Parlamentarische Staatssekretär
Florian Pronold für die Bundesregierung das Wort. Herr Staatssekretär.
({8})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! „Sprache“ ist ein gutes Stichwort, finde
ich. Wenn wir lesen „Wohnungswirtschaft“ und „Kündigungsschutz“, dann verdeckt das ein bisschen, worum es
geht. Es geht um viele Menschen, die große Sorge haben,
dass sie sich das Leben in ihrer angestammten Wohnung
in Zukunft nicht mehr leisten können, wenn eine Modernisierungsankündigung kommt; es geht um Rentnerinnen
und Rentner, die in einer Wohnung leben, die eigentlich
zu groß ist, die gern wechseln würden, die aber in ihrem
Kiez keine bezahlbare neue Wohnung finden; es geht um
explodierende Mieten in vielen Regionen Deutschlands,
die vielen, vielen Menschen einen ganz großen Teil dessen, was sie hart erarbeiten, aus dem Geldbeutel nehmen.
Darum geht es heute: Wie können wir das verändern?
Diese Große Koalition und vor allem die SPD-geführten Ministerien haben in dieser Legislaturperiode
unheimlich viel nicht nur auf den Weg gebracht, sondern
auch umgesetzt. Wir haben die soziale Wohnraumförderung verdreifacht, wir haben die Städtebauförderung
verdoppelt, wir haben die Regelungen zu den Maklergebühren durchgesetzt, wir haben die Mietpreisbremse eingeführt, wir haben das Wohngeld erhöht. In den letzten
20 Jahren ist auf Bundesebene nie so viel gemacht worden für die soziale Wohnungspolitik wie in dieser Legislaturperiode. Darauf können wir stolz sein.
({0})
Trotzdem lohnt es, in dieser Debatte nicht nur nach
vorn zu blicken und zu schauen, was noch zu tun ist,
sondern auch eine kritische Reflexion zur Wohnungspolitik in den letzten Jahrzehnten vorzunehmen. Bevor
die Große Koalition an die Regierung kam, erfolgten
die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit durch
Schwarz-Gelb, die Föderalismusreform, die die Zuständigkeit der Länder für den sozialen Wohnungsbau
begründet hat, der De-facto-Ausstieg vieler Länder aus
dem sozialen Wohnungsbau, der Rückgang bezahlbaren
Wohnraums und von Sozialwohnungen in ganz Deutschland und der Verkauf öffentlicher Wohnungsunternehmen auf allen Ebenen und übrigens unter Beteiligung
aller hier vertretenen Fraktionen, je nachdem, in welcher
Verantwortung sie vor Ort waren.
Das alles geschah wohl unter der Annahme, dass es irgendwann in Deutschland kein Wohnungsproblem mehr
gibt, weil ja die Bevölkerungszahlen sinken. Aber wie
wir alle sehen, ist diese Prognose nicht eingetreten, sondern wir haben einen enormen Handlungsbedarf, mehr
bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Ich bin der festen Überzeugung: Wohnen ist ein wichtiges soziales Gut, und vor allem Boden darf kein Spekulationsobjekt sein. Deswegen begrüße ich die Initiative
der Länder zur Besteuerung von Share Deals. Es kann
nicht sein, dass Grundstücksgeschäfte grunderwerbsteuerbefreit bleiben, wenn sie von großen Gesellschaften
gemacht werden, und die Familie, die Eigentum erwerben will, darauf bis zu 6,5 Prozent Grunderwerbsteuer
zahlen muss. Das ist ungerecht.
({1})
Und ich freue mich auf die Diskussion über die Gemeinnützigkeit.
({2})
- Wenn Sie eine Zwischenfrage haben, melden Sie sich.
({3})
Wie immer gern. Wir haben ja schon in finanzpolitischen
Zeiten viel gemacht, und wir können gern auch über diese Frage reden; dann gebe ich Ihnen auch die entsprechenden Antworten.
Aber mir geht es jetzt darum: Ist gemeinnützige Wohnungswirtschaft eine Lösung für die Zukunft? Ich persönlich bin der Auffassung - auch mein Ministerium;
wir haben jetzt einige Veranstaltungen dazu gemacht -,
dass wir alles tun müssen, damit nicht profitorientierte
Wohnungsgesellschaften auf dem Wohnungsmarkt wieder stärker werden. Wenn man sich zum Beispiel die
Mieten in München und Wien anschaut, sieht man, dass
diese höchst unterschiedlich sind. Pro Quadratmeter wird
in Wien nur ungefähr die Hälfte von dem bezahlt, was
man in München zahlt. Und warum? Der Unterschied ist,
dass in Wien 70 Prozent des Wohnungsbestands in genossenschaftlicher Hand oder in der Hand kommunaler
Wohnungsbaugesellschaften ist. In München sind es - je
nachdem, wie man rechnet - 10 bis 15 Prozent. Deswegen müssen wir alles tun, damit gemeinwohlorientierte
Unternehmen oder diejenigen Unternehmen, die nicht so
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
stark am Profit orientiert sind, wieder stärker werden und
einen größeren Anteil auf den Wohnungsmärkten bekommen.
({4})
Unser Ziel ist es, dass alle diejenigen gestärkt werden,
die sich als Wohnungsunternehmen besonders engagieren - für Schuldnerberatung, für Begegnungen zwischen
Nachbarn, für Integration, für Gemeinschaftsräume, für
Grünflächen, auch für die Integration von Menschen mit
Handicap -, die eine Sozialrendite erwirtschaften; das
sind insbesondere die Genossenschaften und die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften. Das Wichtigste wäre,
dass sie von allen politischen Ebenen die Grundstücke,
die sie für den Neubau dringend brauchen, endlich preisgünstiger bekommen
({5})
und dass alle dazu beitragen, dass es eine an sozialen Gesichtspunkten orientierte Wohnungspolitik gibt.
({6})
Diejenigen, die meinen, Wohnungsgemeinnützigkeit löse alle Probleme auf dem Wohnungsmarkt, gehen
allerdings fehl in ihrer Annahme. Es wird sehr lange
dauern, bis sich der Anteil erhöht. Wer die Gutachten,
die dazu gemacht werden, genau liest, sieht auch, dass
es da auf alle Fälle noch einige ungelöste Fragen gibt.
Außerdem fehlt es vor allem an Partnern aus der Wohnungswirtschaft, die die neue Gemeinnützigkeit wollen,
wenn diese ähnlich ist wie die, die wir in den 90er-Jahren
hatten. Deswegen, glaube ich, kommt es darauf an, dass
wir überlegen, wie wir diejenigen stärken, die nicht den
Tanz ums goldene Kalb vollführen und nicht den Profiten nachjagen, wie wir die Gemeinnützigkeit wieder in
ein neues Licht bringen und auf dem Wohnungsmarkt zu
neuem Leben verhelfen. Das ist unser Anspruch.
Ich glaube, das ist aber nur ein Teil der Lösung. Wir
haben auch andere Themen in den Beratungen. Ich finde,
dass es genauso wichtig ist, über die anderen Instrumente zu reden. Dazu gehört, dass wir die Mieterinnen und
Mieter endlich wirksam schützen, auch durch rechtliche
Gegebenheiten. Dazu gehört die Nachbesserung bei der
Mietpreisbremse. Einer meiner Nachredner lässt sich auf
der einen Seite hier im Deutschen Bundestag dafür loben,
dass er für die Mietpreisbremse kämpft
({7})
- Herr Luczak -, und auf der anderen Seite vor Ort dafür
loben, dass er hier alles dafür getan hat, dass sie nicht zur
Wirkung kommt.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich
finde es auch schade, dass Worte und Taten dann nicht
zusammenpassen, wenn es ums Regieren geht. Wenn
ich mir den Koalitionsvertrag in Schleswig-Holstein anschaue, dann lese ich dort:
Die Erfahrungen mit ... der ... Mietpreisbremse und
der Kappungsgrenzenverordnung zeigen ..., dass
der angestrebte Effekt ... nicht eingetreten ist. Deswegen werden wir die entsprechenden Verordnungen ... ersetzen.
Hier den Robin Hood für die Mieterinnen und Mieter zu spielen und dort, wo man in Verantwortung geht,
den Sheriff von Nottingham zu geben, das hilft den Menschen nicht, die Angst davor haben, ihre vier Wände zu
verlieren.
({9})
Als nächste Rednerin hat Heidrun Bluhm für die Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wie das bei der SPD immer so ist: Man könnte nach
dieser Rede glauben: Es ist alles in Ordnung, und alle
Bürgerinnen und Bürger in Deutschland haben eine bezahlbare Wohnung.
({0})
Ich will daran erinnern, dass heute Wohnungsbau-Tag
in Berlin ist. Was passt da eigentlich besser, vor allem
vor dem Hintergrund, dass wir am Ende einer Legislaturperiode sind, als mit konkreten Lösungen zu den Fragen, die Herr Pronold hier eben deutlich analysiert hat,
zu kommen? Wir haben heute die zweite Lesung unseres
Antrags zur Einführung einer neuen gemeinwohlorientierten Wohnungswirtschaft. Wir haben eine Lösung vorgelegt, die es möglich macht, genau die Probleme, die
hier besprochen worden sind, anzugehen.
({1})
Die Linke schlägt Ihnen also vor, die Wohnungspolitik
gemeinwohlorientiert zu organisieren.
Auf dem Wohnungsbau-Tag warf die Wohnungswirtschaft der Politik heute Staatsversagen vor, und die Politik warf der Wohnungswirtschaft Marktversagen vor.
Die Menschen haben deshalb trotzdem keine bezahlbare
Wohnung. Dabei verhält sich der Markt - auch der Wohnungsmarkt - genauso, wie er ja nach Ansicht der Wissenschaft auch funktionieren soll: Markt ist Wettbewerb,
Wettbewerb ist Geschäft, und ein gutes Geschäft ist nur
dann ein gutes Geschäft, wenn es auch etwas abwirft,
also Gewinn.
Versagt hat aber der Staat - leider -, weil er erstens
alle Wohnungen komplett zur Ware und damit marktfähig gemacht hat,
({2})
weil er zweitens das öffentliche Wohnungswesen privatisiert hat, weil er sich drittens aus der Wohnraumversorgung komplett verabschiedet hat - wir als Bund
spätestens nach 2020 - und weil er viertens Milliarden
öffentlicher Gelder in private Profite umwandelt. Das gilt
übrigens für alle Parteien, die am Staat irgendwo beteiligt
sind; das will ich hier deutlich sagen.
Von all dem hatten Wohnungssuchende bisher nichts.
Deshalb wollen wir die Wohnungspolitik vom Kopf auf
die Füße stellen und die Wohnung wieder zum Allgemeingut machen.
({3})
Das, was wir wollen, hat sich auch längst und vor allem
schnell herumgesprochen. Umso mehr und umso erbitterter formiert sich auch der Widerstand, vor allem aus
Teilen der Immobilienwirtschaft und selbstverständlich
auch bei unseren politischen Gegnern. Unserem Konzept
und den wissenschaftlichen Gutachten werden mittlerweile nicht nur flächendeckend Gegengutachten und jede
Menge aufgeregte Polemik entgegengestellt. Auch die
Debatte ist zunehmend intensiver geworden und vor allem durch Schärfe und wenig Sachlichkeit geprägt.
Deshalb will ich hier einmal einiges klarstellen: Unser
Antrag, die neue Wohnungsgemeinnützigkeit einzuführen, soll das bisherige System der Wohnungswirtschaft
nicht abschaffen - so weit gehen wir gar nicht -, sondern es um mehr als nur ein Segment erweitern. Die neue
Wohnungsgemeinnützigkeit soll und kann auch nicht per
Dekret erzwungen werden. Das kann niemand verordnen; das ist auch nicht umsetzbar. Sie kann sich nur durch
eigenes, ökonomisch sinnvolles Handeln der Träger dauerhaft etablieren und einen öffentlichen Daseinsvorsorgeauftrag verlässlich und aus eigener Wirtschaftskraft
erfüllen.
Der Staat soll nach unserem Konzept die Wohnungswirtschaft nicht ersetzen, wie das in diversen Debatten
immer behauptet wird, sondern er soll nur die Rahmenbedingungen setzen, die es gemeinnützigen Unternehmen oder Unternehmensteilen ermöglichen, Menschen
mit bezahlbaren Wohnungen zu versorgen, anstatt öffentliches Geld über den Umweg von Wohngeld oder Kosten
der Unterkunft in direkte Unternehmensgewinne umzuwandeln.
({4})
Daran sollen nach unseren Vorstellungen alle, nicht
nur kommunale Wohnungsunternehmen, sondern auch
die privaten und die genossenschaftlichen, partizipieren.
Einzige Voraussetzung ist: Diese wirtschaftlichen Vorteile sollen sie in dauerhafte Sozialwohnungen investieren
und diese vorhalten; denn das ist ja der Sinn der Gemeinnützigkeit, sonst wäre es ja keine. Der Clou ist: Wir haben
mit einem neuen Gutachten nachgewiesen, dass das geht,
und zwar auch mit unter 5 Euro Nettokaltmiete, wenn
alle zusammenarbeiten - Bund, Länder und Gemeinden.
({5})
Das geht einfach, indem erstens der Bund ermöglicht,
dass Wohnungsunternehmen das können, was die Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss auch kann,
nämlich Umsatzsteuer dadurch zu sparen, dass sie gemeinnützigen Zwecken zugeordnet werden. Das können
zweitens die Länder, indem sie in der föderalen Verantwortung auf eigene Steuern verzichten, zum Beispiel auf
die Gewerbesteuer, dafür aber zinslose Kredite und Wohnungszuschüsse geben.
Frau Kollegin, Sie müssen wirklich dringend zum
Schluss kommen.
Das können drittens die Kommunen dadurch, dass sie
geeignete Grundstücke über Erbpacht oder durch verbilligte Konzeptvergabe zur Verfügung stellen. Dann sind
alle in der Verantwortung, und alle haben ihren Teil geleistet. Lassen Sie uns das wenigstens in der nächsten Legislatur angehen. Wir werden sehen, dass dann auch die
Wohnungswirtschaft diese Möglichkeiten nutzen wird.
Herzlichen Dank.
({0})
Dr. Jan-Marco Luczak hat jetzt für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Jedenfalls nicht der Sheriff, Herr Kühn. - Meine Damen und Herren! Wir diskutieren ja unter diesem Tagesordnungspunkt insgesamt vier Anträge. Sie erlauben mir,
dass ich mich auf zwei von diesen konzentriere, bei denen es um das Mietrecht geht.
Das Mietrecht haben wir hier im Hohen Haus schon oft
debattiert. Ich glaube, das zeigt ein Stück weit, dass wir
alle miteinander dieses Thema sehr ernst nehmen, weil
es um Menschen geht, die Angst haben, ihre Wohnung zu
verlieren, und die sich oftmals auch existenziell bedroht
fühlen. Ich glaube, wir sind uns da im Ziel völlig einig.
Wir wollen den Mieterinnen und Mietern in unserem
Land selbstverständlich helfen. Wir wollen gewährleisten, dass sie auch weiterhin bezahlbar wohnen können.
Wir wollen vor allem nicht, dass Menschen, insbesondere junge Familien, aus ihren angestammten Kiezen
verdrängt werden. Der einzige Punkt, bei dem wir uns
unterscheiden, ist der Weg dorthin. Das sehen wir auch
an diesen Anträgen.
Die Wohnungsmärkte sind sehr differenziert; daher
brauchen wir, wie ich immer sage, auch differenzierte
Antworten. Normalerweise werfe ich der SPD und den
Linken vor, dass sie etwas einfache, oftmals ideologische
Antworten geben. Der Antrag der Grünen ist aber sehr
differenziert. Dort sind insgesamt 15 Punkte mit entsprechenden Unterpunkten aufgeführt.
({0})
Das summiert sich dann auf insgesamt 36 Forderungen.
Ich hätte mir an dieser Stelle trotzdem etwas mehr gewünscht, nämlich dass Sie, nachdem Sie sich die Mühe
gemacht haben, Forderungen aufzustellen, einen eigenen
Gesetzentwurf formulieren.
({1})
Das macht es etwas einfacher, diese Dinge zu formulieren.
Für uns ist klar: Wir wollen einen Ausgleich zwischen
den Mietern auf der einen Seite und den Vermietern und
Eigentümern auf der anderen Seite. Ich glaube, wir haben - das hat der Staatssekretär schon dargestellt - in
dieser Legislaturperiode eine ganze Menge auf diesem
Gebiet gemacht. Wir haben das Bestellerprinzip eingeführt. Wir haben das Wohngeld angehoben. Wir haben
die Mittel für die Städtebauförderung verdoppelt und die
Mittel für die soziale Wohnraumförderung sogar verdreifacht. Insgesamt stellen wir den Ländern jedes Jahr
1,5 Milliarden Euro zur Verfügung.
({2})
Hier muss man eine große Klammer machen: Viele
Länder geben es leider immer noch nicht dafür aus, wofür es eigentlich ausgegeben werden soll, nämlich für den
Wohnungsbau. Wir müssen in Zukunft viel stärker darauf
schauen, dass die Gelder, die wir als Bund zur Verfügung
stellen, auch zweckgebunden dahin fließen, wo sie hinsollen, nämlich in den Neubau von Wohnungen, meine
Damen und Herren.
({3})
Natürlich haben wir in dieser Legislaturperiode auch
die Mietpreisbremse beschlossen. Daran entzündet sich
sehr viel Streit: Funktioniert sie, funktioniert sie nicht?
Manche Gutachten sagen: ja, viele sagen auch: nein. Das
gebe ich offen zu. Es ist wie bei Juristen. Man fragt zwei
Juristen und erhält drei Meinungen.
Vielleicht kann man auch einmal den Direktor des
Deutschen Mieterbundes fragen. Er hat gesagt: Wenn
Mieter vor Gericht gehen und sich auf die ihnen eingeräumten Rechte berufen, dann bekommen sie recht. - Ich
kenne kein einziges Urteil - auch der Deutsche Mieterbund kennt kein einziges Urteil -, wo die Mieter nicht
recht bekommen haben. Man muss auch einmal zur
Kenntnis nehmen, dass das, was wir gemacht haben,
tatsächlich nur dann Wirkung entfalten kann, wenn die
Mieter ihre Rechte wahrnehmen. Ich kann alle Mieter nur
auffordern: Tun Sie das. Überprüfen Sie Ihre Mieten. Wir als Gesetzgeber haben natürlich die Erwartung, dass
sich die Vermieter und Eigentümer an das Gesetz halten.
({4})
Selbstverständlich können die Mieter ihre Rechte dann
vor Gericht gerne geltend machen.
Vonseiten der Grünen und der Linken wird vorgeschlagen, dass wir die Ausnahmen bei der Mietpreisbremse
streichen. Es geht um die Ausnahme für den Neubau, um
die Ausnahme für die umfassende Modernisierung, um
die Ausnahme für die Vormiete. All diese Punkte haben
wir hier schon diskutiert.
Ich wundere mich über das, was ich im Antrag der
Grünen zu dem Punkt Modernisierung lese. Dort wird
formuliert, dass unsere Wohnungsmärkte für die Zukunft fit gemacht werden müssen, dass es angesichts der
Klimakrise dringend notwendig sei, auch im Gebäudebestand deutlich mehr Energie einzusparen. Dort steht
mit Blick auf den demografischen Wandel, dass man
vermehrt altersgerechte und barrierefreie Wohnungen
braucht. Ja, Sie haben völlig recht, das ist absolut richtig.
Nur die Frage ist: Wie kommen wir dahin?
Wir bekommen altersgerecht umgebauten Wohnraum
und energetisch sanierten Wohnraum nur dann, wenn in
den Wohnungsbestand investiert wird und neue Wohnungen entsprechend gebaut werden. Das können wir als
Staat nicht alleine leisten. Es ist ganz klar, dass wir auch
privates Kapital, private Investitionen benötigen. Deswegen ist es richtig, dass wir die Ausnahmen von der Mietpreisbremse für die umfassende Modernisierung haben
und dass wir sie auch für den Neubau haben, ansonsten
wäre die Folge, dass niemand mehr in den Wohnungsneubau, niemand mehr in den Umbau des Wohnungsbestandes mit Blick auf altersgerechten Umbau und energetische Sanierung investiert.
Wir haben uns gesamtgesellschaftliche Ziele gesteckt,
nämlich Klimaschutz zu gewährleisten und den Herausforderungen der älterwerdenden Gesellschaft zu begegnen. Deshalb glaube ich, dass das, was Sie hier vorschlagen, also die Ausnahmen für die Mietpreisbremse
abzuschaffen, den Mietern unter dem Strich Steine statt
Brot geben würde. Deswegen werden wir als Union das
nicht mittragen.
({5})
Ich könnte jetzt noch ganz viele Punkte ausführen,
zum Beispiel was die Linken zum Kündigungsschutz
ausführen. Ich kann, auch mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nur sagen: Wir haben ein
sehr ausdifferenziertes Kündigungsschutzsystem; nur
wenn es berechtigte Interessen gibt, kann man einem
Mieter kündigen. Das finde ich auch richtig so.
Herr Kollege, ich möchte auch Sie bitten, zum Schluss
zu kommen.
Denn die Wohnung ist für die Menschen existenziell;
sie ist ihr Lebensmittelpunkt. Man kann sie nicht einfach
kündigen; es ist kein normales Gut.
Wir haben ein wirklich sehr ausdifferenziertes System.
Herr Kollege, die Bitte ist wirklich nachdrücklich.
({0})
Was Sie hier vorschlagen, ist letztlich eine Überbürdung. Sie verlassen den Gedanken des sozialen
Ausgleichs und setzen plötzlich nur noch aufseiten der
Vermieter und Eigentümer an. Das ist für ein soziales
Mietrecht, das die Interessen beider Seiten im Blick haben muss, nicht angemessen. Deswegen werden wir diesen Antrag nicht mittragen, meine Damen und Herren.
Vielen Dank.
({0})
Ich habe vorhin schon einmal darauf hingewiesen,
Herr Kollege Luczak und Frau Kollegin Bluhm, dass
wir wirklich schon eine sehr große zeitliche Verzögerung
haben. Deshalb bitte ich die Kolleginnen und Kollegen,
nicht so stark zu überziehen. Die anderen Kollegen haben
sich daran gehalten, haben es gut gemacht. Ich bitte, das
wirklich zu berücksichtigen. Es ist einfach nicht fair gegenüber den anderen Kollegen, die dann um Mitternacht
und später reden müssen.
({0})
Jetzt hat Herr Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und
Herren! Ich finde es ja gut, dass wir hier zum wiederholten Male über Wohnungsgemeinnützigkeit und die Lage
auf unseren Wohnungsmärkten sprechen. Es ist ein Erfolg der Opposition, dass Sie von der Großen Koalition
sich heute substanziell mit diesen Themen auseinandersetzen müssen.
({0})
Die Menschen erwarten von uns, dass wir Antworten auf
die galoppierenden Mieten in unseren Städten geben. Wir
bieten hier als Opposition Antworten.
Herr Luczak, Sie haben gesagt, der grüne Antrag habe
ziemlich viele Unterpunkte. Wir geben die Antworten
mit Blick auf die Wohnungsgemeinnützigkeit. Aber wo
sind heute die Antworten der Union auf die galoppierenden Mieten in Deutschland? Da ist leider Fehlanzeige; da
kommt von Ihnen leider nichts.
({1})
Wir werden dafür sorgen, dass die Mietpreisbremse
funktioniert, dass es in Zukunft nicht mehr passiert, dass
1 Milliarde Euro zu viel Miete in Deutschland gezahlt
wird. Ich sage Ihnen eines: Sie haben Ihr Versprechen
aus dem letzten Wahlkampf, die Mieten zu deckeln, gebrochen. Daran werden wir Sie in den nächsten 90 Tagen
bis zur Bundestagswahl erinnern.
({2})
Die Situation in den deutschen Städten ist doch dramatisch. Wir haben entfesselte Wohnungsmärkte, wir haben soziale Verdrängung, und der Geldbeutel entscheidet
doch längst darüber, ob jemand die Wohnung bekommt
oder nicht. Ich sage Ihnen: Die deutsche Gesellschaft zerreißt im Augenblick an dieser Frage. Ich will, dass der
Kitt in dieser Gesellschaft nicht weiter an der Mietenfrage zerbröselt. Deswegen haben wir diese Anträge heute
hier gestellt.
({3})
Ursächlich dafür ist doch die Abschaffung der
Wohnungsgemeinnützigkeit durch Schwarz-Gelb im
Jahr 1990. Sie ist ursächlich dafür, dass der soziale Wohnungsbau niedergegangen ist, wir mittlerweile
Spekulation in unseren Städten haben und der Mietendruck zugenommen hat. Deswegen wollen wir eine
neue Wohnungsgemeinnützigkeit einführen. Diese neue
Wohnungsgemeinnützigkeit wird dafür sorgen, dass wir
sukzessive wieder einen Bestand an bezahlbarem Wohnraum aufbauen, der der Spekulation entzogen ist. Den
brauchen wir dringend; denn im Augenblick verlieren
wir jedes Jahr im Schnitt 25 000 Sozialwohnungen. Ich
glaube, diese Entwicklung müssen wir stoppen, und wir
Grüne werden sie mit einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit in Deutschland auch stoppen.
({4})
Ich will eines sagen, Herr Pronold: Ihre Rede war eine
super Begründung für die neue Wohnungsgemeinnützigkeit.
({5})
Ich bin total happy, dass mittlerweile ein Fan der neuen Wohnungsgemeinnützigkeit auf der Regierungsbank
sitzt. Ich bin mir sicher, dass es in der nächsten Wahlperiode Konstellationen gibt, die geeignet sind, dieses
Thema voranzutreiben und gemeinsam entsprechende
Maßnahmen umzusetzen. Wir Grünen werden alles dafür
tun, dass die Stadtrendite endlich in der Stadt bleibt und
nicht auf den Konten der Hedgefonds weltweit landet.
({6})
Herr Pronold, Sie haben gesagt, die Praxis der Share
Deals müsse beendet werden. Ja, wir wollen diese Praxis
beenden.
({7})
Wir Grüne haben das Thema Share Deals hier ins Parlament eingebracht, weil es doch absurd ist, dass jemand,
der eine Immobilie, ein kleines Haus kauft, die volle
Grunderwerbsteuer zahlt und jemand, der große Wohnungsbestände kauft und das Steuerinstrument der Share
Deals nutzt, keinen Cent Grunderwerbsteuer zahlen
muss. Das geht nicht. Das ist sozial ungerecht. Es macht
auch wohnungspolitisch keinen Sinn. Wir Grüne wollen
das beenden.
({8})
Ich bin sehr gespannt, Ulli Nissen und Florian Pronold,
wie sich die SPD zu unserem Antrag verhält. Wenn ihr
es beenden wollt, dann stimmt doch unserem Antrag hier
zu.
({9})
Das Geld, das durch die Praxis der Share Deals verloren geht, ist doch das Geld, das den Ländern und Kommunen fehlt, um in den sozialen Wohnungsbau zu investieren. Deswegen muss sich hier endlich etwas ändern.
Wir Grünen wollen eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit, und wir werden weiter dafür streiten.
Ich sage Ihnen: Bei uns wird es nicht so sein wie bei
der CDU, nämlich dass ein Thema wie die Mietpreisbremse im Wahlkampf zwar auftaucht und im Titel eines
Gesetzes erscheint, dann aber inhaltlich im Gesetz keine
Rolle spielt. Das wird es mit uns nicht geben.
({10})
Wir als Grüne haben in unser Programm hineingeschrieben, was wir wollen: die Wohnungsgemeinnützigkeit
und Änderungen bei der Mietpreisbremse. Wir werden
uns um das Thema „Bezahlbarer Wohnraum in Deutschland“ kümmern.
Danke schön.
({11})
Als letzter Redner in dieser Debatte hat Dr. Hans
Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Dem
Bürger genügend Wohnraum zur Verfügung zu stellen,
ist eine wichtige und dringliche politische Aufgabe. Das
Ziel muss sein, jährlich 350 000 Wohnungen zu bauen.
Lassen Sie mich aber deutlich sagen: Die Anträge der
Linken und der Grünen
({0})
zur Situation auf dem Immobilienmarkt in Deutschland,
die wir heute beraten, bewirken genau das Gegenteil und
sind deshalb grundsätzlich zu kritisieren. Aus vordergründigen politischen Beweggründen wird eine Immobilienblase geradezu herbeigeredet, geradezu erwünscht
und gegen rentierliche Groß-Investitionen etwa von Versicherungen geradezu gehetzt.
({1})
Diese rentierlichen Großinvestitionen sind für den Wohnungsbau dringend notwendig,
({2})
weil die institutionellen Anleger sonst gleich auf den Kapitalmarkt gehen, ohne dass der Wohnungsbau davon
profitiert.
({3})
Lassen Sie Ihre Ideologie zum Wohle der Wohnungssuchenden einfach einmal beiseite. Mit dem Vorwurf der
Profitgier helfen Sie niemandem, schon gar nicht den
Wohnungssuchenden.
({4})
Die Wahrheit ist: Wir müssen Nachfrage und Angebot
zusammenbringen und die Rahmenbedingungen verbessern, damit wieder mehr Wohngebäude errichtet werden.
Um die Situation in einzelnen Gebieten in Deutschland
zu entspannen, müssen wir den Wohnungsbau weiter mit
marktwirtschaftlichen Maßnahmen ankurbeln.
({5})
Um in Städten, in Ballungszentren oder in Universitätsstädten für ausreichenden und vor allem bezahlbaren
Wohnraum zu sorgen, brauchen wir zielgerichtete Fördermaßnahmen, zum Beispiel durch Verbesserungen bei
der steuerlichen Abschreibung, wie wir sie eigentlich in
dieser Legislaturperiode durchsetzen wollten. Aber da
hat sich unser Koalitionspartner leider vom Acker gemacht.
({6})
Entscheidend ist doch, dass die Privatwirtschaft Anreize erhält, um ausreichend Wohnungen zu bauen. Meine Damen und Herren, die Staatswirtschaft schafft es
nicht, die 350 000 Wohnungen für die Wohnungssuchenden zu bauen.
({7})
Die Mobilisierung von privatem Kapital ist unverzichtbar. Das müssen Sie sich einmal hinter die Ohren schreiben. Das ist eine Tatsache. Da besteht Handlungsbedarf.
({8})
Wir brauchen nicht immer neue Vorschriften mit ideologischem Hintergrund. Ich bedaure außerordentlich,
dass unser Koalitionspartner den Gesetzentwurf der eigenen Ministerin zur steuerlichen Förderung des Mietwohnungsbaus zerredet und letzten Endes gestoppt hat.
({9})
Christian Kühn ({10})
Wir haben bis zuletzt gekämpft. Aber Ihre Ideologie hat
auch vor der Ministerin nicht haltgemacht.
({11})
Dies ist ein Schaden für potenzielle Mieter, den wir
schnellstens revidieren werden. Wenn wir hier die entsprechende Mehrheit haben, werden wir die steuerlichen
Anreize für den Wohnungsbau zum Wohle der Wohnungssuchenden beschließen. Das ist die Aufgabe, die
vor uns liegt.
({12})
Eines müssen Sie sich merken: Es geht auch uns
grundsätzlich um die Mietpreisentwicklung. Je höher die
Kosten, desto höher die Mieten. Sie haben immer wieder durch Steuererhöhungen und durch Regulierung die
Baukosten erhöht, und damit erhöhen Sie gleichzeitig die
Mieten. Auch das ist eine Tatsache. Durch Ihre Politik
kam es zu den Mietpreiserhöhungen, die hausgemacht
waren.
({13})
Es ist erstaunlich, dass Sie diesen Widerspruch nicht zur
Kenntnis nehmen, meine Damen und Herren. Mieterfreundlich ist letzten Endes etwas anderes.
Schauen Sie sich insbesondere die Grunderwerbsteuersätze an. Dort, wo die Grunderwerbsteuersätze niedrig
sind - wie beispielsweise in Bayern mit 3,5 Prozent -,
gibt es weniger Share Deals,
({14})
weil es die Leute und letztlich die Investoren aufgrund
eines niedrigen Grunderwerbsteuersatzes nicht nötig haben.
({15})
Bei einem Grunderwerbsteuersatz von 6,5 Prozent wie
in Brandenburg, von 6 Prozent wie in Berlin oder von
5 Prozent wie in Baden-Württemberg wollen die Menschen aus Gründen der Rentierlichkeit Steuern sparen.
Das heißt, Sie beklagen etwas, was Sie durch einen hohen Grunderwerbsteuersatz selbst herbeiführen, meine
Damen und Herren. Das ist die Tatsache, die Sie letzten
Endes mal zur Kenntnis nehmen sollten.
({16})
Sie nehmen als Erstes immer Steuererhöhungen vor.
({17})
Letzten Endes zahlt es der Bürger, letzten Endes zahlt es
der Wohnungssuchende, und letzten Endes zahlt es der
Mieter, meine Damen und Herren.
({18})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich beende diese leidenschaftliche Aussprache, und wir kommen jetzt zu den
Abstimmungen.
Tagesordnungspunkt 16 a. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit auf der Drucksache 18/10928. Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/7415 mit dem Titel „Bundesweiten Aktionsplan für eine gemeinnützige Wohnungswirtschaft
auflegen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8081 mit dem Titel „Die neue
Wohnungsgemeinnützigkeit - Fair, gut und günstig wohnen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Dann ist auch
diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen
worden.
Tagesordnungspunkt 16 b. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz auf Drucksache 18/12632. Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/11049 mit dem Titel „Kündigungsschutz
für Mieterinnen und Mieter verbessern“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthält sich jemand? - Dann ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen worden.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/10810 mit dem Titel „Zusammenhalt
stärken - Mietrecht reformieren“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthält
sich jemand? - Dann ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen
der Opposition angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 16 c. Beschlussempfehlung des
Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Spekulation mit Immobilien und Land beenden - Keine Steuerbegünstigung
für Übernahmen durch Share Deals“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12818, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/8617 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist auch diese
Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden.
Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf:
Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen
Portugal: Vorzeitige teilweise Rückzahlung der IWF-Finanzhilfe;
Einholung eines zustimmenden Beschlusses
des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 2
Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes
Drucksache 18/12733
Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen bitten, die
Plätze einzunehmen, damit wir zügig fortfahren können.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen, und
ich kann die Aussprache eröffnen.
Als erster Redner in dieser Aussprache hat der Parlamentarische Staatssekretär Jens Spahn für die Bundesregierung das Wort. - Herr Staatssekretär.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wer hätte das gedacht? Als Portugal im Jahr 2011 seine europäischen Partner um Finanzhilfen bat, war das
Land von einer schweren Finanz- und Wirtschaftskrise
gezeichnet. Die Arbeitslosigkeit war enorm gestiegen,
portugiesische Zehnjahresanleihen lagen Anfang 2011
bei einem Zinssatz von fast 7 Prozent. Das waren über
4 Prozentpunkte mehr, als etwa Deutschland zu zahlen
hatte. Wann das Land wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen würde, stand in den Sternen. Ohne externe
Hilfe jedenfalls - das war damals klar - würde das kaum
gelingen.
Für die portugiesische Regierung war damals aber
auch klar: Im Gegenzug für die Unterstützung - am Ende
wurden Hilfsgelder im Umfang von fast 77 Milliarden
Euro gewährt, von denen zwei Drittel von den beiden
europäischen Rettungsschirmen EFSF und EFSM und
ein Drittel vom IWF bereitgestellt wurden - würde man
sich zu umfassenden Reformen verpflichten müssen. Das
war ohne Zweifel bittere Medizin, es waren schwierige
Reformen und Veränderungen; es bedeutete auch Einschnitte, die vorzunehmen waren. Aber es war - das ist
eben das, was wir heute feststellen können - am Ende
wirksam: Das portugiesische Staatsdefizit wurde enorm
zurückgeführt. Es liegt nun, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, aktuell deutlich unter 3 Prozent und wird
wahrscheinlich bald sogar unter 2 Prozent liegen. Die
portugiesische Wirtschaft wächst, die defizitäre Leistungsbilanz wurde nachhaltig verbessert.
Die Arbeitslosigkeit, die einmal erheblich höher lag,
ist mittlerweile auf unter 10 Prozent gesunken. Allein
letztes Jahr sind etliche neue Jobs entstanden. Das zeigt
also: Durch das Anpassungsprogramm, durch die Reformen, die im Rahmen dieses Hilfsprogramms miteinander
vereinbart wurden, hat Portugal Erfolg gehabt. Es hat den
Zugang zurück zu den Kapitalmärkten gefunden, kann
sich also selbst wieder refinanzieren, und das Land steht
wirtschaftlich und finanziell wieder auf eigenen Beinen.
Das ist noch kein Grund zur Euphorie; wir sind noch
nicht durch. Aber es ist erst einmal ein Zeichen dafür,
dass Reformen und Veränderungen wirken. Wir haben
keinen Mangel an Schulden in der Euro-Zone. Es sind
auch nicht Schulden, die am Ende über die Probleme hinweghelfen, sondern es geht darum, teilweise auch harte
Reformen durchzubringen, um Wettbewerbsfähigkeit
und wirtschaftliches Wachstum wiederzuerlangen. Dann
lässt es sich vor allem eben auch mittel- und langfristig
wieder auf eigenen Beinen stehen. Das zeigt Portugal,
und das ist Anlass zur Freude, auch heute am Donnerstagabend.
({0})
Das zeigt eben auch - darum geht es in diesem Antrag -, dass Portugal wieder eigene Möglichkeiten hat,
an die Finanzmärkte zu gehen. Portugal will jetzt sogar
vorzeitig einen Teil der IWF-Kredite, der Kredite des Internationalen Währungsfonds, zurückzahlen. Insgesamt
geht es dabei um 9,4 Milliarden Euro, die in den nächsten
30 Monaten in einzelnen Tranchen vorzeitig zurückgezahlt werden sollen.
Um Portugal dies zu ermöglichen, müssen wir als
europäische Geldgeber auf die Anerkennung der sogenannten Parallelitätsklausel verzichten. Es war eigentlich vorgesehen, dass dann, wenn Portugal an den IWF
zurückzahlt, es parallel auch an die europäischen Geldgeber zurückzahlen müsste, es sei denn, wir sagen ausdrücklich, dass das nicht notwendig ist. Wir brauchen
heute die Zustimmung des Deutschen Bundestages, damit wir in den Gremien in Europa in der nächsten Woche
zustimmen können.
Wir befürworten das sehr und ausdrücklich, weil es
Portugal entlastet. Die IWF-Kredite sind relativ teuer,
über 4,5 Prozent Zinsen sind zu zahlen. Das ist deutlich
mehr, als Portugal an den Kapitalmärkten zahlen müsste.
Es entlastet Portugal dann eben beim Zinsdienst und wird
damit den Schuldenstand um ein Drittel Prozentpunkt
des portugiesischen Bruttoinlandsprodukts entsprechend
senken.
Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass Portugal eine
vorzeitige Rückzahlung an den IWF leistet. Es gab schon
vor zwei Jahren eine solche Zahlung in zweistelliger Milliardenhöhe, und auch da können wir in der Rückschau
sagen: Das war eine richtige Entscheidung, weil es eben
die Zinskosten für Portugal gesenkt und entsprechend
Spielraum für Wachstum und Investitionen geschaffen
hat, aber vor allem eben auch Vertrauen auf den Finanzmärkten stärkte.
Schauen wir uns für die Bewertung einmal alle fünf
Programmländer an. Über vier Programmländer diskutieren wir im Moment kaum, weil wir eigentlich nur
über eines diskutieren, über Griechenland. Zu den Programmländern gehören aber auch Portugal, Spanien,
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Zypern und Irland. Auch diese vier Länder waren in der
schweren Finanzkrise darauf angewiesen, dass die europäische Solidarität gilt. Diese Solidarität haben wir mit
den Rettungsschirmen gezeigt. Es war aber immer klar:
Solidarität gibt es nur gegen Solidität, gegen die Bereitschaft zu Reformen, also zu Veränderungen, damit man
das Problem bei den Wurzeln packen kann.
Eines ist dabei wichtig: Es geht nicht um dieses große Wort der Austerität, um das Sparen um des Sparens
willen. Im Übrigen war die Frage der Haushaltsdisziplin immer nur ein kleiner Bestandteil der notwendigen
Reformen. Am Ende geht es darum, dass man durch
Strukturreformen zu wirtschaftlichem Wachstum kommt,
damit die Länder wieder in der Lage sind, auf eigenen
Beinen zu stehen. Heute gehören diese genannten vier
Länder zu den Ländern mit den höchsten Wachstumsraten in der Euro-Zone. Wir sehen, dass die Arbeitslosigkeit in diesen Ländern zurückgeht und sie, wie Portugal,
in der Lage sind, Kredite vorzeitig zurückzuzahlen.
Abschließend sei all denjenigen, die auch in diesen
Monaten, Wochen und Tagen das Heil der Euro-Zone
in mehr Schulden suchen, zugerufen: Wir haben keinen
Mangel an Schulden in der Euro-Zone; wir haben einen
Mangel an Wettbewerbsfähigkeit und einen Mangel an
Strukturreformen. Portugal hat gezeigt, was Reformen
bringen können. Andere Länder wollen über Schuldenschnitte diskutieren. Portugal will vorzeitig zurückzahlen, und das sollten wir honorieren.
({1})
Richard Pitterle hat für die Fraktion Die Linke das
Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Portugal wurde durch die Finanzkrise so schwer getroffen, dass es 2011 einen Kredit in
Höhe von 78 Milliarden Euro aufnehmen musste, und
zwar jeweils zu ungefähr einem Drittel beim Internationalen Währungsfonds und den beiden europäischen Institutionen EFSF und EFSM.
Nun geht es Portugal wieder deutlich besser. Deshalb
will es einen Teil dieser Kredite vorzeitig zurückzahlen,
aber nur an den IWF, weil dadurch die meisten Zinsen
gespart werden. Damit müssen aber alle Gläubiger einverstanden sein. Daher muss heute auch der Bundestag
ein Votum abgeben.
Ich kann Ihnen gleich sagen: Die Linke wird dem
Ansinnen Portugals zustimmen. Die vorzeitige Schuldentilgung ist gleich in doppelter Hinsicht positiv: Zum
einen erhält Portugal wieder mehr finanziellen Spielraum - nach Berechnungen der EU könnte Portugal rund
660 Millionen Euro an Zinsen sparen; Geld, das im eigenen Land deutlich besser genutzt werden kann -, zum
anderen erhält Bundesfinanzminister Schäuble einen
kräftigen Dämpfer. Der Minister ist nämlich hinlänglich
bekannt dafür, dass er seine strenge Austeritätspolitik
auf der europäischen Bühne mit allen Mitteln verteidigt
und auch Portugal weiter aufzwingen wollte. Diese Austeritätspolitik ist jedoch vor allem eine Politik des Kaputtsparens. Darunter haben auch die Portugiesen lange
gelitten.
Bereits Anfang 2015, also vor über zwei Jahren, haben
wir hier eine ähnliche Debatte geführt; das ist erwähnt
worden. Auch damals konnte Portugal einen Teil der
Kredite vorzeitig zurückzahlen. Die Gesamtsituation im
Land war damals jedoch alles andere als gut: Lohnkürzungen und Rentenkürzungen waren die Resultate der ab
2011 amtierenden konservativen Regierung Portugals,
die Schäubles Mantra folgte. Über 2 Millionen Portugiesen, fast ein Viertel der Bevölkerung, lebte in Armut oder
knapp an der Grenze dazu. Das haben wir als Linke immer wieder kritisiert. Daher freut es uns umso mehr, dass
sich Portugal aus diesem Würgegriff befreien konnte.
Dass Portugal nun insgesamt auf dem Weg der Besserung ist, ist nicht das Verdienst des von Schäuble geforderten Sparkurses. Nein, das ist das Verdienst der
inzwischen von den linken Parteien getragenen portugiesischen Regierung.
({0})
Ende 2015 haben die Portugiesen nämlich ihre Mitte-Rechts-Regierung und damit auch den von Schäuble
und Co verordneten strengen Sparkurs abgewählt.
({1})
Die neue Regierung hat vor ungefähr anderthalb Jahren
einen anderen Weg eingeschlagen und damit richtig gelegen. Anstatt das Land weiter kaputtzusparen, wurden
zum Beispiel Löhne und Renten erhöht. Steuererhöhungen, die vor allem die unteren Einkommensschichten
trafen, wurden zurückgenommen. Dadurch wurde der
Binnenkonsum angekurbelt. Die Leute haben schlicht
wieder mehr Geld zum Ausgeben, was der portugiesischen Wirtschaft direkt zugutekommt. Das wiederum
hat Arbeitsplätze geschaffen. Die Steuereinnahmen sind
gestiegen. Den Menschen in Portugal geht es insgesamt
besser, und das ist gut so.
({2})
Der Bundesfinanzminister hingegen hat noch Mitte
letzten Jahres behauptet, dass Portugal wegen der Abkehr
vom strengen Sparkurs schon bald ein neues Rettungsprogramm brauchen würde. Da lag Herr Schäuble völlig
daneben.
({3})
Wir Linken wünschen Portugal deshalb weiterhin
„mais Bloco de Esquerda“ und „mais CDU“, übersetzt:
mehr CDU. Damit sind jedoch keineswegs die Herren
hier zur Rechten gemeint, sondern das Wahlbündnis der
portugiesischen Kommunisten und Grünen, die die portugiesische Regierung mittragen und somit einen großen
Anteil an der guten Entwicklung Portugals haben.
Vielen Dank.
({4})
Nächster Redner ist für die Fraktion der SPD der Kollege Johannes Kahrs.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Über die Flexibilität der Linken wollen wir
heute nicht reden; dazu würde mir allerdings einiges einfallen.
Wir reden heute über Portugal. Portugal ist auf einem
guten Weg; wir haben das eben schon von Staatssekretär
Spahn gehört. Das liegt daran, dass Portugal in Zeiten
der Krise Unterstützung und Kredite bekommen und
am Ende sich selbst geholfen hat. Weder Portugal noch
Spanien noch Griechenland wird von Deutschland oder
vom ESM gerettet. Portugal können nur die Portugiesen
retten, Griechenland nur die Griechen. Wir können dabei
nur helfen.
Portugal ist, wie gesagt, auf einem guten Weg. Das Ergebnis ist, dass das Land Staatsanleihen platzieren kann.
Es ist nicht so, dass Portugal IWF-Kredite vorzeitig aus
eigenem Vermögen zurückzahlt, sondern die Portugiesen
schichten um. Das heißt, sie finanzieren die Rückzahlung
der IWF-Kredite mit Staatsanleihen, die sie jetzt aufnehmen. Sie profitieren davon, dass die Zinsen, die sie für
die Staatsanleihen zahlen, deutlich niedriger sind als die
Zinsen, die sie für den IWF-Kredit zahlen müssten. Das
ist ein richtiger Schritt und zeigt, dass die Märkte Vertrauen haben.
Das heißt aber noch nicht, dass in Portugal alles gut ist.
Deswegen ist es wichtig, dass man Portugal auch weiterhin unterstützt. Man muss dafür sorgen, dass es zu einer
Reindustrialisierung Portugals kommt, sodass Portugal
langfristig auf eigenen Beinen stehen kann. Der IWF hat
hier eine gute Rolle gespielt und sich mit viel Geld beteiligt. Da Staatssekretär Spahn eben in aller Freundschaft
über Griechenland gesprochen hat, könnte man jetzt über
die Frage diskutieren, warum der IWF beim dritten Griechenland-Kredit nicht mitmacht. Ich glaube, diese Diskussion werden wir im Haushaltsausschuss führen. Dort
werden wir dann über die Frage diskutieren, warum uns
2015 eine Teilnahme des IWF versprochen worden ist
und warum es sie bis heute nicht gibt.
Die gute Nachricht ist: Die Euro-Krise ist auf dem
Rückzug. Es geht vielen Ländern deutlich besser. Zur
Wahrheit gehört aber auch, dass Länder wie Deutschland, indem sie Geld bezahlt, die richtigen Diskussion
geführt und die Länder unterstützt haben, solidarisch
waren und ihren Teil dazu beigetragen haben, dass der
europäische Gedanke funktioniert, dass die Menschen in
Portugal eine Perspektive bekommen haben, dass sich
die Arbeitsmarktlage verbessert und Jugendliche wieder
einen Ausbildungsplatz finden. Die Situation ist nicht so
gut, wie wir uns das wünschen würden. Aber sie ist deutlich besser als gedacht.
Vielen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Manuel Sarrazin für
Bündnis 90/Die Grünen.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss ein bisschen Wasser in den Wein gießen,
weil wir an zwei Stellen etwas recht Bemerkenswertes
erleben. Auf der einen Seite gibt es in Portugal eine linke Minderheitenregierung, die sogar von Kommunisten
toleriert wird, die es seit ihrem Amtsantritt geschafft
hat, klar auf Stabilität zu setzen, und die die Stabilität
bzw. das Vertrauen in das Land, in Portugal, zur obersten Priorität gemacht hat. Das ist nicht das, was man von
Kommunisten erwartet; da ist ja sonst eigentlich immer
Revolution angesagt.
Auf der anderen Seite haben wir den Bundesfinanzminister, der im letzten Jahr dermaßen foul gespielt hat,
dass er heute eigentlich hier hätte reden und sich für sein
schlechtes Gerede über Portugal hätte entschuldigen
müssen.
({0})
Er hat an der Stabilität gezündelt.
Wir haben also eine linke Regierung, die dort eine
kluge Politik macht und sagt: Wir schaffen dadurch
Spielräume, dass wir keinen Schmarrn machen. Diese
Spielräume nutzen wir, um sie beispielsweise durch eine
teilweise Rücknahme von Rentensenkungen auch den
Menschen zugutekommen zu lassen. - Anstatt das zu belohnen, wurde von Herrn Schäuble im letzten Jahr ideologische Parteipolitik auf dem Rücken der Anleihekosten
Portugals gemacht. Das musste hier schon noch einmal
gesagt werden.
({1})
Das hat nichts mit Stabilität zu tun, genauso wenig
wie das, was im Fall Griechenland geschieht. Wir beschließen hier durch die Umschichtung, wie Herr Kahrs
das richtig beschrieben hat, eine Schuldenerleichterung
für Portugal in Höhe von ungefähr 300 bis 600 Millionen
Euro. Das bringen wir hier ins Plenum.
Herr Spahn hat gesagt, dass wir die ganze Zeit über
Griechenland, aber nicht über die anderen Länder reden. Genau das ist das Problem. Sie reden die ganze Zeit
schlecht über Griechenland und haben am Ende wegen
der Bundestagswahl nicht einmal den Allerwertesten in
der Hose, heute hier im Bundestag Schuldenerleichterungen für Griechenland zu beschließen. Es weiß jeder,
dass nach der Bundestagswahl Schuldenerleichterungen
anstehen, wenn der IWF an Bord bleiben soll. Sie haben
aber einfach nicht den Mut, das hier zu sagen. Sie tricksen hier bis nach der Wahl.
({2})
Damit sorgen Sie nicht für Stabilität.
Wenn wir im Wahlkampf wieder Griechenland-Debatten führen - die Menschen und die Presse wissen doch,
dass da getrickst wird -, dann sorgen Sie genau dafür,
dass das stabile Umfeld dort, in dem auch linke Regierungen etwas kommunizieren und vernünftig bleiben
können, kaputtgemacht wird. Das heißt, die Bundesregierung sorgt nicht für Stabilität, sondern inzwischen
sorgen dort die Linken gegen die Bundesregierung für
Stabilität. Das ist doch absurd.
({3})
Deswegen finde ich es lobenswert, dass die Linkspartei zustimmt. Wir werden auch zustimmen.
Portugal ist auf einem guten Weg, und ich möchte an
dieser Stelle auch noch sagen: Wir können es uns meiner
Ansicht nach durchaus erlauben, dass wir, wenn die Portugiesen jetzt an den IWF zurückzahlen, von der Gleichzeitigkeit an dieser Stelle Abstand nehmen. Wir haben
sowieso nie strikt gesagt, der IWF sei bei solchen Programmen am wichtigsten.
Wenn Portugal sein Sonderziehungsrecht beim IWF
ausübt, macht das Sinn. Wie gesagt: Je nachdem, ob sie
zehnjährige oder fünfjährige Staatsanleihen ausgeben,
wären das bei dem jetzigen Marktpreis Zinsersparnisse in
Höhe von 300 bis 600 Millionen Euro. Dieses Geld wird
die portugiesische Regierung einsetzen können, um den
Menschen in Portugal zu zeigen, dass auch ein harter und
anstrengender Weg Sinn machen kann und dass die Politik Spielräume zurückgewinnen kann, die dann auch für
politische Entscheidungen der Parteien - abhängig von
ihrem jeweiligen Programm - genutzt werden können.
Deswegen sage ich von meiner Stelle aus: Gut, dass
Portugal hier heute geholfen wird. Gut, dass der Deutsche Bundestag hier im Plenum den Mut hat, das zu tun.
Ich würde mich freuen, wenn Sie endlich auch einmal
eine mutige und auf Stabilität ausgerichtete Griechenland-Politik hinbekommen würden. Vielleicht haben wir
nach der Bundestagswahl ja die Verantwortung dafür,
sodass wir diesen Job dann für Sie übernehmen; darauf
hoffe ich sehr.
({4})
Danke sehr.
({5})
Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege
Alois Karl für die Fraktion der CDU/CSU das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren Kollegen des Deutschen Bundestages! Sehr geehrte Zuhörer im Auditorium! Lieber Herr
Sarrazin, mit Interesse habe ich Ihre Rede verfolgt, insbesondere den Abschluss, dass Sie vielleicht in die Situation kommen werden, regierungsbeteiligt an der Lösung
der Schuldenproblematik Griechenlands mitzuwirken.
Ich glaube, das ist für Sie ein Wunschtraum und für uns
ein Albtraum. Ich meine, dort führen keine großen Wege
hin.
({0})
Ich bin mir auch sicher, dass die Probleme in Griechenland, die Sie geschildert haben und die natürlich da
sind, in gar keiner Weise Geldprobleme sind. Geld hat
Griechenland genug, es fehlt aber am Reformwillen und
an den Reformen, die durchgeführt werden müssen.
Herr Schäuble, den Sie jetzt zweimal zitiert haben, hat
in den letzten Tagen ja gesagt, dass das jetzt möglicherweise das letzte Rettungsprogramm für Griechenland ist,
weil sie sich jetzt auf einen guten Weg gemacht haben.
Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Maßnahmen, die in
den letzten vier, fünf Jahren von Griechenland eingefordert worden sind, so Platz greifen und zu so guten Ergebnissen führen, wie das jetzt in Portugal auch der Fall ist.
Einige der Kollegen sind heute nicht hier, weil sie
wichtige Termine haben, zum Beispiel eine Zusammenkunft in der Parlamentarischen Gesellschaft, wo sie etwas feiern. Auch Portugal kann heute feiern, wenn wir
diesen Beschluss fassen. Alle Fraktionen hier haben erklärt, dass man Portugal helfen wird, sodass es auch dort
eine Gelegenheit zum Feiern gibt.
Uns geht es fast schon wie den Pfadfindern: Jeden
Tag eine gute Tat. Wer heute noch keine gemacht hat:
Heute am späten Abend wäre durch den Beschluss, den
Portugiesen dabei zu helfen, ihre Schulden besser zu verwalten, eine gute Tat möglich. Ich freue mich, dass wir
zustimmen. Das haben wir auch vor zweieinhalb Jahren
schon gemacht - übrigens auf Vorschlag des mit Ihnen
befreundeten Herrn Schäuble -, sodass man seinerzeit in
Portugal über 12 Milliarden Euro hat umschichten können, damit Portugal eine deutlich verbesserte Zinssituation erreichen konnte, so wie das hier der Kollege Spahn
ausgeführt hat.
In der Tat war nach dieser Weltfinanzmarktkrise vor
acht, neun Jahren Portugal genauso wie Griechenland,
Zypern und Irland in einer ganz schwierigen Situation.
Wir haben in Europa immense Rettungsschirme aufgespannt, übrigens auch in Deutschland. An einem einzigen
Tag haben wir Kredite in Höhe von 480 Milliarden Euro
für die deutschen Banken und für die Wirtschaft bereitgestellt. Ich glaube, wir haben alles richtig gemacht.
Auch wenn das ganz schwierige Situationen waren,
haben wir, im Nachhinein betrachtet, die richtigen Entscheidungen getroffen und die Rettungsschirme aufgespannt. Wir haben den EFSF und den EFSM gegründet,
wodurch Portugal Finanzhilfen in Höhe von 26 Milliarden und 24,3 Milliarden Euro bereitgestellt wurden.
Der Internationale Währungsfonds hat den Portugiesen
weitere 26,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Die
Portugiesen haben mit diesem Geld in der Tat etwas gemacht: Sie haben Reformen angestoßen. Sie haben sich
teilweise entschuldet. Das Defizit ist auf unter 3 Prozent
gesunken und geht auf 2 Prozent zu. Wir sind mit der
Situation sehr zufrieden.
Ähnlich wie 2015 glauben wir, dass wir auch dieses
Mal den Beschluss fassen können, ja fassen müssen, die
Parallelitätsklausel nicht anzuwenden. Diese Klausel
bedeutet, dass ein Schuldnerland dann, wenn es einem
der Geldgeber seine Schulden zurückzahlt, auch bei allen anderen seine Schulden tilgen muss. Das schaffen die
Portugiesen natürlich nicht. Aber wenn sie dem IWF das
Geld zurückzahlen, nützt ihnen das am meisten. Ihnen
nützt das, und uns schadet es nicht. Unter Freunden ist
es üblich, dass man sich gegenseitig hilft, insbesondere
dann, wenn es einem nicht schadet.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Zinsgewinne
von fast 700 Millionen Euro sind kein Pappenstiel. Die
Portugiesen können dieses Geld in der Tat gut gebrauchen. Wir gehen aus dieser Sache nicht als Verlierer und
nicht einmal neutral heraus, sondern wir gewinnen, weil
damit die Schuldentragfähigkeit von Portugal gestärkt
wird. Gestärkt werden dadurch auch unsere Kredite, die
wir Portugal gewährt haben, die dadurch risikoärmer
werden. Außerdem haben wir Vertrauen in die Wirtschaft
von Portugal.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind, wie
wir das in unserer Oberpfälzer Heimat sagen, in einer
Win-win-Situation. Daher sollten wir hier zustimmen.
Wir sollten den Portugiesen helfen, wie das unter Freunden üblich ist. Uns bringt das keinen Schaden. Im Gegenteil: Wir werden damit die Freundschaft zu Portugal
weiter festigen. Ich denke, wir alle stimmen zu.
Vielen herzlichen Dank. Ihnen einen schönen Abend.
({1})
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
des Bundesministeriums der Finanzen auf Drucksa-
che 18/12733 mit dem Titel „Portugal: Vorzeitige teilwei-
se Rückzahlung der IWF-Finanzhilfe; Einholung eines
zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages
nach § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmecha-
nismusgesetzes“. Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte
ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Eine
Gegenstimme. - Gibt es Enthaltungen? - Damit ist der
Antrag mit den Stimmen des gesamten Hauses bei einer
Gegenstimme des Kollegen Willsch angenommen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Claudia Roth ({0}), Omid
Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ein Institut für humanitäre Angelegenheiten
schaffen
Drucksache 18/12530
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Menschenrechte
und humanitäre Hilfe ({1}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Omid
Nouripour, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Eine Menschheit, gemeinsame Verantwortung -
Für eine flexible, wirksame und zuverlässige
humanitäre Hilfe
Drucksachen 18/8619, 18/10627
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Widerspruch
erhebt sich keiner dagegen. Dann ist das so beschlossen.
Ich darf mir den Hinweis erlauben, dass die Kollegen,
die den vorausgehenden Tagesordnungspunkt bestritten haben, alle außerordentlich diszipliniert und präzise
die Redezeiten eingehalten und gelegentlich sogar nicht
vollständig ausgeschöpft haben.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kollege Tom Koenigs für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit wir das letzte Mal über humanitäre Hilfe diskutiert haben - vor fast einem Jahr -, hat sich die Situation
nicht gebessert, weder kurzfristig noch langfristig. Im
Augenblick sind mindestens 125 Millionen Menschen
von humanitärer Hilfe abhängig. Das sind doppelt so viele wie vor zehn Jahren.
Auch der finanzielle Bedarf bei der humanitären Hilfe
ist explodiert. Er wird für dieses Jahr auf 23,5 Milliarden
US-Dollar geschätzt. Deutschland ist laut den Vereinten
Nationen mit insgesamt 2,8 Milliarden der drittgrößte
Geber im humanitären Bereich. Das ist ein Haufen Geld.
Rechnete man die 21 Prozent Beitrag an die Europäische
Union noch hinzu, wären es etwa 3,5 Milliarden. Das ist
natürlich weit entfernt vom Gesamtbedarf. Das Weiße
Haus hat dem Kongress vorgeschlagen, die humanitären
Gelder um 30 Prozent zu kürzen. Da die Amerikaner der
größte Geber sind, wäre das ein Betrag von ungefähr
2 Milliarden Dollar, die dann weniger zur Verfügung
stünden. Es ist also überhaupt nicht vorstellbar, wie dieses Problem quantitativ zu lösen ist.
Deshalb diskutieren wir - und so hat auch der World
Humanitarian Summit in Istanbul diskutiert - die Frage
nicht mehr quantitativ, sondern qualitativ. Wir müssen
uns darum kümmern, wie der humanitäre Bedarf erst gar
nicht entsteht oder sich zumindest reduzieren lässt. Da
muss es ein Umdenken auch im Umfeld der humanitären Hilfe, im Umgang mit Konflikten, geben. Viel stärker
muss die Konfliktprävention betont werden.
({0})
Dazu gehört auch ein systematisches Umsetzen der
SDGs. Denn das vermindert die Vulnerabilität der Gesellschaften, die unter Umständen in solche Krisen kommen.
Deutschland hat eine Riesenverantwortung. Das erste
humanitäre Prinzip Menschlichkeit bedeutet auch eine
globale Verantwortung. Man kann das unterschiedlich
formulieren; denn es klingt etwas allgemein. Aber eine
Ausprägung ist zum Beispiel das viel gepriesene „Wir
schaffen das“ der Kanzlerin. Das hat ihr in Istanbul ein
ganz anderes Standing als den anderen gegeben, weil
Deutschland im Humanitären fast beispielhaft ist.
Der humanitäre Bedarf entsteht da, wo Politik versagt.
Es widerspricht auch nicht den humanitären Prinzipien,
wenn man sagt: Hier kommt Politik ins Spiel. Im Gegenteil: 90 Prozent der Opfer von Kriegen sind Zivilisten.
Das humanitäre Völkerrecht wird bewusst und massiv
verletzt.
Es geht nicht nur darum, wie viel wir leisten - die
quantitative Diskussion ist fast ausgeschöpft -, sondern,
wie. Das Thema des Zugangs: welche Leistungen, die
Art der Leistungen. 65 Millionen Menschen sind auf der
Flucht; davon sind zwei Drittel IDPs. Auch darüber muss
man einmal diskutieren. Auch das wäre eines Kongresses
würdig: über den Umgang mit IDPs zu reden.
Beim humanitären Weltgipfel - das habe ich schon
gesagt - waren wir hochrangig vertreten, aber inhaltlich haben wir fast nichts beigetragen. Offensichtlich
fehlt bei uns eine öffentliche Diskussion, aber auch eine
Expertendiskussion um das Wie der humanitären Hilfe.
Der Koordinierungsausschuss Humanitäre Hilfe ist zwar
wichtig, kann aber diese strategische, diese strategiebildende Leistung nicht erbringen. Auch den NGOs kann
man das nicht zuweisen und sagen: „Ihr könnt ja mal vordenken“; denn es ist ja der Staat, der in ungeheurer Weise
da tätig ist.
Die strategischen Entscheidungen werden deshalb gar
nicht erst in Deutschland gefasst, sondern in internationalen Organisationen, und wir sind weder beteiligt, noch
leisten wir einen Beitrag. Ich wünsche mir, dass wir nicht
nur einer der größten Geber, sondern auch einer der innovativsten strategischen Geber würden.
({1})
Deshalb schlagen wir dieses Institut für humanitäre
Angelegenheiten vor. Das ist genau der Weg, wie man
sich aus den immer nur um das Finanzielle und die Quantitäten kreisenden Diskussionen befreit und Ideen entwickelt. Die Flüchtlinge verändern auch die Gesellschaften, das muss man mitbetrachten, und zwar nicht nur in
Jordanien, dem Libanon und der Türkei, sondern auch in
Deutschland. Und IDPs im Lande verändern die politische, aber auch die humanitäre Situation.
Betrachten wir die Krisen im Sudan oder in Venezuela, wo sehr reiche Länder in humanitäre Krisen hineinlaufen.
Herr Kollege Koenigs, Sie denken an die Redezeit.
Ich denke an die Redezeit. Ich kann Ihnen sogar zusichern, dass ich dann, wenn ich dieses hier beende, von
dieser Stelle aus nicht mehr reden werde.
({0})
Die Flüchtlinge verändern auch die Aufnahmegesellschaft. Darauf müssen wir antworten. Das sind neue
Herausforderungen, das sind auch neue intellektuelle
Herausforderungen. Dafür brauchen wir einen Ort der
Diskussion. Die Engländer haben so einen Ort geschaffen durch das ODI, das Overseas Development Institute.
Wir haben in der Außenpolitik die Stiftung Wissenschaft
und Politik. Hier wäre ein Institut für humanitäre Angelegenheiten die richtige institutionelle Antwort.
({1})
Deshalb plädieren wir dafür, und deshalb schlagen wir
das vor. Wir hoffen, dass das wenigstens in der nächsten
Legislaturperiode angegangen wird; denn wir haben im
Bereich der Menschenrechte sehr gute Erfahrungen mit
dem Deutschen Institut für Menschenrechte gemacht.
({2})
So kämen wir auch in die internationale Diskussion positiv hinein.
Ich bedanke mich für die Zusammenarbeit. Guten
Abend.
({3})
Sehr geschätzter Kollege Koenigs, nachdem wir vernommen haben, dass das Ihre letzte Rede im Deutschen
Bundestag war, möchte ich Ihnen an dieser Stelle herzlich danken für Ihr parlamentarisches Wirken über viele
Legislaturperioden. Herzlichen Dank.
({0})
Für die Unionsfraktion hat jetzt der Kollege Frank
Heinrich das Wort.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Zuschauer und Zuhörer! Sehr geehrter
Herr Koenigs! Ebola 2014 in Westafrika: 28 000 Menschen erkranken, etwas weniger als die Hälfte von ihnen
stirbt. 2015, wir erinnern das Erdbeben in Nepal: Die
Welthungerhilfe hat bis heute über 150 000 Menschen mit
Nothilfemaßnahmen versorgt. In den Jahren 2015/2016 Sie haben es gerade genannt - kamen viele Flüchtlinge
nach Deutschland, hauptsächlich aus den Regionen um
Syrien und den Irak. Deutschland hat in den vergangenen
zwei Jahren etwa 1 Million Menschen aufgenommen.
Ganz aktuell ist die Hungerkatastrophe vor allem im Osten Afrikas und im Jemen. 20 Millionen Menschen sind
vom Hungertod bedroht. Allein dafür werden 4,4 Milliarden US-Dollar an Hilfe benötigt.
Die vergangenen vier Jahre haben wohl jedem vor
Augen geführt, warum wir humanitäre Hilfe leisten. Die
Bundesregierung stellt 2017 knapp zehnmal so viel an
finanziellen Mitteln für Krisen zur Verfügung wie noch
vor fünf Jahren, und offensichtlich haben wir als Parlament wie auch als Regierung begriffen, dass wir eine
Verantwortung mittragen.
Trotzdem: Unsere zentralen Herausforderungen sind
erstens, wie gerade genannt, dass die Not zugenommen
hat. Zweitens muss der Zugang zu humanitärer Hilfe je
länger je besser gewährleistet werden. Wir haben das in
Syrien erlebt, und wir wissen, was im Südsudan passiert.
Das World Food Programme und andere Organisationen
leiden darunter, dass sie einfach nicht an die Orte gelassen werden, selbst nicht in die extremsten Gebiete, in denen die Hungersnot groß ist, wo zwei von 10 000 Menschen oder vier von 10 000 Kindern pro Tag sterben.
Drittens müssen die Einhaltung und die Akzeptanz des
humanitären Völkerrechts gewährleistet werden.
Der Blick in die Zukunft zeigt, dass die globale Finanzierung der humanitären Hilfe schwieriger wird. Sie,
Herr Kollege, haben das Stichwort gerade genannt. Keiner weiß, wie stark die Zuwendungen des größten Gebers
tatsächlich reduziert werden. Wir hoffen, dass sich das
Parlament gegen den Präsidenten durchsetzt. Man kann
nur ahnen, was anderenfalls passieren würde. Auch die
Konflikte und die Notlagen werden nicht weniger.
Ich glaube, deshalb ist der Antrag richtig. Ich hoffe,
wir tragen ihn in die nächste Legislaturperiode. Wir müssen uns trauen, humanitäre Hilfe tatsächlich neu zu denken. Ein Beispiel ist das gerade von mir genannte World
Food Programme. Diese Organisation hat im Südsudan,
aber auch in anderen Regionen gemerkt: Wenn man mit
relativ kleinen Luftschiffen, mit kleinen Hubschraubern
in die Regionen fliegt, dann kann man nur wenige Hilfsgüter mitnehmen. Deshalb muss man einen anderen Weg
finden und die Hilfe umstrukturieren. Das World Food
Programme hat auf Air-Drop-Maßnahmen zurückgegriffen und spart damit 45 Millionen US-Dollar pro Jahr.
Ein zweites Beispiel ist die Initiative des Auswärtigen
Amtes #CSRhumanitär. Die Schirmherrschaft haben die
Menschenrechtsbeauftragte Bärbel Kofler und mein Kollege Michael Brand. Das ist eine tolle Initiative, in die
Unternehmen mit ihren Fähigkeiten, Kenntnissen und ihrem Know-how eingebunden werden, um dem wachsenden humanitären Bedarf tatsächlich begegnen zu können.
Dabei arbeiten sie direkt mit den Akteuren, die im
humanitären Bereich engagiert sind, zusammen, so zum
Beispiel bei der sanitären Versorgung, der Bereitstellung
von Notunterkünften sowie im Bereich der Bildung und
Gesundheit. Wir müssen uns trauen, humanitäre Hilfe
neu zu denken. Nicht das Wieviel - wir stimmen sicher
darin überein, dass es mehr sein darf -, sondern das Wie
der humanitären Hilfe muss neu gedacht werden.
Der humanitäre Weltgipfel im letzten Jahr wurde gerade genannt. Das war eine gute Gelegenheit dafür. Wichtige und richtige Perspektivwechsel sind auf den Weg
gebracht worden, zum Beispiel im Bereich von Bildung
mit Blick auf lokale Akteure.
Wir hatten dabei drei klare Prioritäten. In Istanbul
wurden wir anders wahrgenommen, als wir teilweise hier
wahrgenommen wurden. Der erste Punkt ist: Es bedarf
einer soliden finanziellen Grundlage, damit die Hilfsorganisationen nicht ständig befürchten müssen, dass das
Geld im nächsten Vierteljahr oder in einem halben Jahr
weg ist. Diese Organisationen brauchen Planungssicherheit. Deutschland ist in dieser Hinsicht proaktiv, wir gehen mit gutem Beispiel voran.
Der zweite Punkt ist, dass diese Hilfe sofort und
verlässlich verfügbar sein muss; denn wenn eine Krise
kommt - sie kündigt sich meistens nicht vorher an -,
dann bleibt keine Zeit mehr für komplizierte Abstimmungsprozesse.
Der dritte Punkt ist: Wir müssen die Krisenprävention
verstärken und die Stabilisierung und Konsolidierung des
Friedens noch besser Hand in Hand gehen lassen, damit
humanitäres Leid - das ist eine entscheidende Fluchtursache - von vornherein möglichst verhindert wird. Finanzielle Mittel reichen nicht aus, um das Leid der Menschen zu reduzieren. Genau aus diesem Grund hat die
Bundesregierung diese Leitlinien verabschiedet: Krisen
verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern.
Um Frieden zu fördern, hat das Auswärtige Amt die
Initiative „Friedensverantwortung der Religionen“ gegründet. Ende Mai kamen über 100 Vertreterinnen und
Vertreter unterschiedlichster Religionsgemeinschaften
zu der Auftaktveranstaltung. Das war eine illustre Runde: Bischöfe, Ajatollahs, Priester, Rabbiner, Brahmanen,
Imame. Das sind für viele Menschen weltweit die wichtigsten Ansprechpartner vor Ort. Sie spielen eine zentrale
Rolle in der Friedensbildung und in der Krisenprävention.
Ich selber war Heilsarmeeoffizier. Die Heilsarmee arbeitet oft in diesen Krisengebieten, wenn die Katastrophe
ausgebrochen ist. Eine Freundin von mir ist direkt vor
Ort. Sie ist immer eine der Ersten. Sie erzählte, wie wichtig es ist, nicht nur innerhalb der eigenen Organisation
Kontakte zu suchen, sondern eben diese Geistlichen, die
Priester und Imame aufzusuchen und sich relativ schnell
zu verständigen.
({0})
Bei der Ebolakrise waren es genau die Geistlichen, die
die Bewohner in den Dörfern erreichen konnten. Ohne
die hätte es noch viel länger gedauert, die Epidemie einzudämmen, und das hat schon viel zu lange gedauert.
Humanitäre Hilfe neu denken: Jetzt ist die Zeit günstig, weil dieser Gedanke in unserem Volk angekommen
ist, nicht nur in unserem Parlament. Es bietet sich jetzt
eine reale Chance, auch im Bundestag die humanitäre
Frank Heinrich ({1})
Hilfe besser aufzustellen. Die Krisen haben uns gezeigt,
dass neben dem Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, den wir vertreten, das Thema auch andere Ausschüsse betrifft: den Auswärtigen Ausschuss, den
Verteidigungsausschuss, den Bildungsausschuss und den
Innenausschuss. Im Kontext der Ebolakrise war auf einmal der Entwicklungshilfeminister zusammen mit dem
Gesundheitsminister vor Ort. Alle haben auf einmal mit
humanitärer Hilfe zu tun und müssen deshalb auch mehr
einbezogen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
noch einmal danke für den Antrag; denn es ist wichtig,
dass wir uns mit diesen Themen eingehender und tiefer beschäftigen. Ihr Vorschlag lautet, das Institut für
humanitäre Angelegenheiten zu gründen. Unser, mein
Vorschlag ist, nicht gleich alles infrage zu stellen, was
wir schon haben - das tun Sie nicht -, sondern das, was
da ist, tatsächlich zu nutzen. Wir sollten anfangen, auch
außerhalb unseres Ausschusses über humanitäre Hilfe zu
diskutieren und dabei das Wie genauer unter die Lupe zu
nehmen.
Es gibt den von Ihnen genannten Koordinierungsausschuss im Auswärtigen Amt, in dem sich Hilfsorganisationen regelmäßig über humanitäre Hilfe austauschen. Wir
könnten daran sehr oft teilnehmen. Bisher haben wir das
oft wegen fehlender Terminabstimmung nicht geschafft.
Aber ich bin begeistert und ich bin froh über die Konstruktivität, mit der dort gearbeitet wird.
({2})
Ich plädiere dafür, den Dialog zwischen diesem Ausschuss und dem Deutschen Bundestag zu stärken. Wir
sollten schauen, wie wir das in der nächsten Legislatur
besser koordiniert bekommen, um das ganze Wissen erstens sichtbarer zu machen und das Gremium zu stärken
und um es zweitens in unsere aktuelle Arbeit verstärkt
einfließen lassen zu können.
({3})
Wir sollten die Expertise und das Potenzial nutzen.
Herr Koenigs, Sie wissen selbst, dass nicht alle Organisationen diesen Antrag unterstützen; wir haben mit
verschiedenen gesprochen. Nicht alle sehen einen solch
starken Bedarf. Allerdings tragen sie die Hauptmotivation des Antrags mit: dass wir mehr denken, dass wir neu
strukturieren. Das unterstütze ich.
Lassen Sie uns die Strukturen verändern, die Diskussionen in andere Ausschüsse tragen, den Austausch mit
der Zivilgesellschaft stärken. Das können wir mit einem
finanziellen Aufwand leisten, der ein wenig geringer ist,
als wir möglicherweise für die Schaffung eines solchen
Instituts brauchen, und mit Ressourcen, die uns dafür
schon jetzt zur Verfügung stehen. Wir müssen uns trauen,
humanitäre Hilfe neu zu denken. Ich wünsche Ihnen für
die Zusammenarbeit alles Gute.
Ganz herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin
Inge Höger.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zahl
der humanitären Krisen hat weltweit in erschreckendem
Maße zugenommen. UNICEF warnt, dass in diesem Jahr
etwa 2 Millionen Kinder am Horn von Afrika, im Südsudan, in der Tschadsee-Region und im Jemen lebensbedrohlich mangelernährt und vom Hungertod bedroht
sind - 2 Millionen Kinderleben! Das kann und darf uns
nicht egal sein.
Auch immer mehr erwachsene Menschen sind wegen
Mangelernährung so geschwächt, dass sie an heilbaren
Krankheiten sterben und dass Epidemien um sich greifen. Im Jemen sind über 100 000 Menschen an Cholera
erkrankt. 1 100 sind bereits gestorben. Wie viele noch
sterben werden, weiß niemand.
Die saudische Blockade hat die jemenitische Ökonomie weitgehend zerstört, und sie behindert auch die
humanitäre Hilfe. Durch Luftangriffe wurden Dutzende
von Krankenhäusern zerstört und wurde medizinisches
Personal einschließlich Angehöriger internationaler
Hilfsorganisationen getötet. Wie kann es sein, dass an
die verantwortlichen Golfstaaten nach wie vor Waffen
geliefert werden? Die Rüstungsexporte müssen sofort
gestoppt werden.
({0})
Der Klimawandel verursacht immer mehr Extremwetterlagen, Stürme, Dürren und Überschwemmungen.
Diese Katastrophen zerstören Ernten, töten und verletzen
Menschen direkt und indirekt. Den betroffenen Menschen schulden wir unmittelbare Nothilfe, aber auch einen grundlegenden Politikwechsel.
({1})
Deswegen fordert die Linke einen konsequenten sozialökologischen Umbau.
Es ist dringend nötig, die humanitäre Hilfe auszubauen. Es ist unerträglich, dass sie seit vielen Jahren drastisch
unterfinanziert ist. Es darf nicht sein, dass bei Notlagen
nur selektiv geholfen werden kann, weil das Geld nicht
reicht. Es ist gut, Institutionen zu haben und zu stärken,
die es sich zur Aufgabe machen, die humanitäre Hilfe zu
verbessern. Es lohnt sich, die internationale Kooperation zu verbessern und in die Fortbildung der humanitären Akteurinnen und Akteure zu investieren. Vor allem
muss alles dafür getan werden, dass humanitäre Hilfe
neutral und allein an sachlichen Kriterien orientiert arbeiten kann. Eine Instrumentalisierung für Machtpolitik
oder gar für militärische Interessen muss ausgeschlossen
werden.
Eines jedoch ist klar: Alle noch so gut ausgestatteten Beratungsinstitute und Hilfsfonds bleiben machtlos,
wenn bewusst humanitäre Katastrophen ausgelöst oder
diese zumindest in Kauf genommen werden. Ich nenne
Frank Heinrich ({2})
hier nur beispielhaft den Krieg gegen den Irak oder in
Libyen oder die Verweigerung legaler Einreisemöglichkeiten für Menschen, die Schutz in Europa suchen.
Dass immer mehr Menschen im Mittelmeer ertrinken,
ist ein Ergebnis der EU-Abschottungspolitik. Schaffen
Sie endlich legale Einreisemöglichkeiten für Menschen
in Not!
({3})
Wie kann es ein, dass sich Deutschland an einer sogenannten Antiterrorkoalition beteiligt, die durch ihre Bombardements die humanitäre Notlage im Irak und in Syrien noch verschärft? Wie kann es sein, dass Verbündete
Deutschlands weißen Phosphor über zivilen Stadtvierteln
einsetzen - zum Beispiel in Mosul oder Rakka? Weißer
Phosphor frisst sich durch die Haut bis auf die Knochen.
Da diese Verbrennungen meist großflächig sind, sterben
Betroffene langsam, sofern sie nicht vorher schon durch
Inhalation der giftigen Dämpfe, Verbrennung der Atemwege oder Vergiftungen sterben.
Wer so eine vollständig inhumane Waffe einsetzt,
stellt kurzfristige militärische Erfolge über Menschenleben und füttert am Ende doch die Propagandamaschine
des IS. Das ist falsch und unerträglich.
({4})
Wenn wir die humanitäre Lage wirklich weltweit
verbessern wollen, dann muss nicht nur deutlich mehr
Geld zur Verfügung gestellt werden, sondern auch die
deutsche und die europäische Außenpolitik müssen sich
grundlegend ändern. Notwendig sind eine Abkehr von
der militärischen Außenpolitik, eine verantwortungsvollere Klimapolitik und ein Ende der Rüstungsexporte. Angesichts der globalen Situation haben wir hier keine Zeit
zu verlieren.
({5})
Als abschließende Rednerin hat jetzt die Kollegin
Dr. Ute Finckh-Krämer für die Fraktion der SPD das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Wir sind
uns über alle Fraktionen hinweg einig, dass humanitäre
Hilfe ein wichtiges Thema ist und dass wir alles tun wollen und sollen, um die humanitäre Hilfe kompetent, nach
den Prinzipien der humanitären Hilfe und international
abgestimmt zu leisten. Wir sind uns, - glaube ich, - auch
einig über die fünf Punkte, die Tom Koenigs genannt hat
und die in dem von ihm mit formulierten Antrag stehen:
Wir brauchen für die deutschen Nichtregierungsorganisationen, die mit großer Sorgfalt, mit großem Engagement humanitäre Hilfe leisten, Beratungsangebote und
Austauschmöglichkeiten. Humanitäre Hilfe sollte ein
Thema für Forschung sein, und konkrete Projekte oder
auch Länderstrategien sollten evaluiert werden. Die internationale Zusammenarbeit ist ebenso wie der Dialog
und die Reflexion in Deutschland sehr wichtig. Schließlich brauchen diejenigen, die als humanitäre Helferinnen
und Helfer in andere Länder gehen, eine sorgfältige Vorbereitung und Ausbildung.
Die Frage ist: Was sind die besten Mittel und Wege,
um diese fünf Ziele zu erreichen? Wenn wir jetzt nicht
am Ende einer Legislaturperiode wären, dann wäre eigentlich mein Vorschlag, dass wir im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe eine Anhörung machen
und uns genau aus diesen verschiedenen Bereichen - aus
dem Auswärtigen Amt, aus dem neu geschaffenen zuständigen Grundsatzreferat für humanitäre Hilfe, von den
großen Hilfsorganisationen, vielleicht auch von einigen
der kleinen Hilfsorganisationen, die auf bestimmte Themen oder bestimmte Länder spezialisiert sind, von den
Wissenschaftlern und den politischen Stiftungen, die sich
mit dem Thema befassen, und eventuell auch von den
internationalen Organisationen - in einer dreistündigen
Anhörung möglichst viele unterschiedliche Einschätzungen erläutern lassen.
Wir können das in dieser Legislaturperiode nicht mehr
machen. Aber diejenigen von uns, die wieder antreten
und hoffentlich auch wiedergewählt werden, können das
in der nächsten Legislaturperiode machen. Es kann gut
sein, dass der Vorschlag, den einige der deutschen Hilfsorganisationen gemacht haben, nämlich ein solches Institut für humanitäre Angelegenheiten in Deutschland zu
gründen und dafür vielleicht auch deutlich weniger als
1 Prozent der Gelder, die im Bundeshaushalt für humanitäre Hilfe zur Verfügung stehen, bereitzustellen, schließlich als gemeinsamer Vorschlag der verschiedenen Akteure dabei herauskommt.
Ich glaube auch, dass der Vorschlag, den einige der
Hilfsorganisationen erarbeitet haben, eine sorgfältige
Diskussion im Koordinierungsausschuss Humanitäre
Hilfe erfahren wird, der nicht wie wir an Wahlperioden
gebunden ist, sondern der kontinuierlich arbeitet - mit
mehreren Treffen im Jahr und oft auch einem zweitägigen Treffen, bei dem für Grundsatzdiskussionen Zeit ist.
Insofern bin ich froh, dass du, Tom Koenigs, dieses
Thema als dein Abschlussthema gewählt hast. Es ist ein
Thema, das uns allen, glaube ich, am Herzen liegt. Wir
alle sollten und können uns vornehmen, dieses Thema in
der nächsten Legislaturperiode weiterzuverfolgen.
Ich bitte um Verständnis dafür, dass vor allem unser
Koalitionspartner und wir sagen: Da ist zunächst einmal
noch mehr Diskussionsbedarf, bevor wir die Schaffung
eines solchen Instituts beschließen. Ich sehe zwar viele
Parallelen zum Deutschen Institut für Menschenrechte,
aber es gibt auch Unterschiede. Das Deutsche Institut
für Menschenrechte - dafür haben wir gemeinsam gekämpft - beobachtet auch die Menschenrechtssituation
in Deutschland, berichtet dazu, ist als kritisches Pendant
zu Regierung und Parlament tätig. Demgegenüber gibt es
im Bereich der humanitären Hilfe, wenn überhaupt, nur
sehr wenige Aufgaben, die in Deutschland anfallen; die
meisten Aufgaben sind international.
Ich möchte als Letztes auch noch einmal auf das hinweisen, was Frank Heinrich eben schon zu Recht angesprochen hat. Die humanitäre Hilfe hat natürlich auch
ihren Platz in den Leitlinien des Auswärtigen Amtes.
Nachdem wir es in dieser Legislaturperiode geschafft
haben, sie im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe deutlich häufiger und deutlich fundierter
als in der letzten Legislaturperiode zu behandeln, sollten
wir uns für die nächste Legislaturperiode vornehmen, sie
auch in die anderen Ausschüsse einzubringen, die thematisch etwas dazu beitragen können und die mit den Bedingungen zu tun haben, unter denen humanitäre Hilfe in
vielen Krisen- und Konfliktregionen oder dort, wo Naturkatastrophen oder gesundheitliche Krisen sind, arbeitet.
Wenn wir das schaffen, dann haben wir auf jeden Fall
aus der heutigen Diskussion etwas gelernt und können
etwas mitnehmen.
Danke schön.
({0})
Vielen Dank. - Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/12530 mit dem Titel „Ein Institut für humanitäre
Angelegenheiten schaffen“. Wer stimmt für diesen Antrag der Fraktion der Grünen? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Antrag ist damit mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 18 b. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
mit dem Titel „Eine Menschheit, gemeinsame Verantwortung - Für eine flexible, wirksame und zuverlässige
humanitäre Hilfe“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/10627,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der
Drucksache 18/8619 abzulehnen. Wer für die Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um
ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Die Beschlussempfehlung des Ausschusses ist
angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD
gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 15 a auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes
Drucksache 18/11939
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({0})
Drucksache 18/12845
Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Widerspruch
dagegen erhebt sich keiner. Dann sind alle damit einverstanden.
Deshalb kann ich auch sofort die Aussprache eröffnen. Ich erteile als erster Rednerin Bundesministerin
Dr. Barbara Hendricks für die Bundesregierung das Wort.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Seit fast zehn Jahren gibt es die Nationale Strategie zur
biologischen Vielfalt. Sie ist mit ihren konkreten Zielen
bis zum Jahr 2020 nach wie vor ein, wie ich finde, anspruchsvolles Programm. Trotz einiger Erfolge in den
letzten Jahren haben wir jedoch die Trendwende dahin,
den Artenverlust zu stoppen, bisher nicht geschafft. Weil
es absehbar wurde, dass wir die Ziele der Nationalen
Strategie verfehlen könnten, haben wir unsere Anstrengungen verstärkt. Das Bundesumweltministerium hat vor
fast zwei Jahren die Naturschutz-Offensive 2020 gestartet. Wir haben die zehn Handlungsfelder mit dem größten
Bedarf identifiziert. 40 konkrete Maßnahmen sollen bei
der Umsetzung der Nationalen Strategie helfen und eine
neue Dynamik in das Thema „Schutz der biologischen
Vielfalt“ bringen. Eine dieser Maßnahmen - damit sind
wir bei unserem Tagesordnungspunkt von heute Abend ist Gegenstand der Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes. Es handelt sich um die Ermächtigungsgrundlage
zum Erlass von Naturschutzgebieten in der deutschen
Ausschließlichen Wirtschaftszone.
In der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt
haben wir uns verpflichtet, für alle Arten und Lebensräume der Küsten und Meere eine signifikante Verbesserung
des Erhaltungszustandes zu erreichen. Bis dahin ist es
aber noch ein weiter Weg. Derzeit sind rund ein Drittel
der marinen Lebewesen in Nord- und Ostsee in ihrem
Bestand gefährdet. Die Ursachen der Gefährdung liegen
vor allem in schädlichen Fischereipraktiken, in der Überfischung der Meere und in einer Vielzahl von weiteren
Nutzungen. Die kumulativen Auswirkungen dieser Nutzungen auf die Natur bereiten immer größere Probleme.
Denken Sie zum Beispiel an den Meeresmüll, der viele
Ökosysteme und Arten bedroht. Ich bin sehr froh, dass
wir kürzlich auf der G-20-Konferenz in Bremen einen
Aktionsplan gegen Meeresmüll finalisieren konnten, der
auch Teil des G-20-Gipfels der Staats- und Regierungschef in Hamburg sein wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir die Voraussetzungen für
einen besseren Schutz. Er erlaubt es, die Natur der Nordund Ostsee in Zukunft umfassender und zielgenauer zu
schützen. Übrigens haben wir hier durch die Beratungen im Umweltausschuss eine wichtige Verbesserung
des Gesetzentwurfes erreicht. Denn jetzt ist klargestellt,
dass auch in Zukunft die Ausweisung neuer Schutzgebiete allein durch das fachlich zuständige Ministerium
geschieht, nämlich durch das BundesumweltministeriDr. Ute Finckh-Krämer
um. Die fachlich betroffenen Ressorts werden natürlich
wie bisher beteiligt. Ein weiterer Beitrag zu mehr biologischer Vielfalt in Deutschland ist die Erweiterung der
Liste der gesetzlich geschützten Biotope um Höhlen und
naturnahe Stollen. Diese Regelung unterstützt zum Beispiel die Erhaltung des Lebensraums für Fledermäuse
und zahlreiche andere hochspezialisierte Arten.
Auch beim Artenschutz gibt es Verbesserungen. Wir
werden die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in das Gesetz übernehmen. So gewährleisten wir
nicht nur ein hohes Schutzniveau für gefährdete Arten in
Deutschland, sondern erhöhen auch die Rechtssicherheit
für Vorhabenträger und für die Verwaltung. Auch hier hat
die Arbeit des Umweltausschusses zu einer Verbesserung
des Entwurfs beigetragen, namentlich zu einer klareren
und eindeutigeren Formulierung des Gesetzeswortlauts.
Ich will die Gelegenheit nutzen, mich bei den Mitgliedern des Umweltausschusses dafür herzlich zu bedanken.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, all diese Änderungen sind für den Naturschutz in Deutschland wichtig. Ich
würde mich deshalb freuen, wenn der Deutsche Bundestag heute grünes Licht für die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes gibt.
Herzlichen Dank.
({1})
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit
Menz für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Gäste! Mit dem Entwurf zur Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes wurde seitens der
Bundesregierung der Versuch unternommen, unter anderem - ich zitiere - „die Grundlagen für einen umfassenderen Schutz der Natur in Nord- und Ostsee sowie für
die beschleunigte Errichtung eines Biotopverbundes an
Land“ zu legen.
Nun hört sich diese Absicht sehr gut an, und es ist
auch dringend geboten; denn vor allem der ökologische
Zustand von Nord- und Ostsee ist mehr als bedenklich.
Gründe dafür gibt es viele: Überfischung, Umweltverschmutzung, Lebensraumzerstörung durch Schleppnetzfischerei oder Rohstoffabbau. Aber auch Lärmverschmutzung durch zunehmenden Schiffsverkehr und
militärische Übungen gefährden nicht nur den ökologischen Zustand der Gewässer, sondern auch die darin lebenden Arten wie zum Beispiel den Ostseeschweinswal,
von dem es nur noch 450 Exemplare gibt.
Mit der Novellierung hätte die Chance bestanden,
insbesondere beim nationalen Meeresschutz ein paar
Schritte voranzukommen. Aber seit Jahren sind in der
deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone von Nordund Ostsee Meeresschutzgebiete im Rahmen von Natura 2000 ausgewiesen, ohne dass bisher ausreichende
Schutzmaßnahmen ergriffen wurden. Es darf dort munter weiter gefischt sowie Sand- und Kiesabbau betrieben
werden - und das in einem ausgewiesenen Schutzgebiet.
Das aktuelle europäische Vertragsverletzungsverfahren wegen unzureichender Unterschutzstellung von
Natura-2000-Gebieten in der AWZ dauert an und ist nur
ein Beleg für die unzureichende Meeresschutzpolitik,
die die Bundesregierung auf nationaler Ebene in den
letzten Jahren betrieben hat. Die Vermutung liegt nahe,
dass die deutschen Prioritäten bezüglich der Meerespolitik nicht etwa beim Schutz von Meeresumwelt oder der
Artenvielfalt liegen, sondern anders geartet sein müssen.
Wie sonst würde sich die noch im Entwurf enthaltene
Einvernehmensregelung bezüglich der Ausgestaltung
der AWZ-Verordnungen erklären? Diese Regelung hätte einen effektiven Meeresschutz verhindert, da sie den
einzelnen Ministerien die Möglichkeit gegeben hätte, die
für den Meeresschutz dienlichen Verordnungen aufgrund
anderer, meist wirtschaftlicher Interessen zu blockieren.
So etwas darf nicht sein.
({0})
Wir brauchen verbindliche Regelungen, die die Gebiete in Nord- und Ostsee auch effektiv schützen und ihnen
Zeit zur Erholung geben, damit diese auch für folgende
Generationen erhalten bleiben. Solche Regelungen gibt
es derzeit aber nicht.
Doch nicht nur zu Wasser erfolgt der Schutz von Natur
und Tier schleppend, auch an Land kommt die Bundesregierung nicht in Schwung. Exemplarisch steht dabei
die Schaffung - man müsste eigentlich sagen: die Nichtschaffung - eines Biotopverbundes an Land. Ziel eines
solchen Verbundes ist es unter anderem, heimische Arten und Artengemeinschaften sowie deren Lebensräume
nachhaltig zu schützen.
Seit dem Jahr 2002, also seit sage und schreibe 15 Jahren, ist dessen Realisierung vorrangig Aufgabe der Länder, welche bisher jedoch nicht ausreichend umgesetzt
werden konnte, da es bisher weder Fristen noch Anreize
oder andere Mechanismen gibt, die eine Umsetzung beschleunigen würden. Was macht die Bundesregierung?
Sie legt eine Frist für das Jahr 2027 fest, welche überhaupt nicht im Einklang mit den Zieljahren anderer Biodiversitätsziele steht.
Noch schlimmer macht es der Änderungsantrag der
Großen Koalition mit der Forderung, sich, wenn überhaupt, erst in der nächsten Legislaturperiode mit einer
Frist zu beschäftigen.
Bitte führen Sie sich vor Augen: Wir erleben gerade
das größte Artensterben seit dem Zeitalter der Dinosaurier. Die Rote Liste der Weltnaturschutzunion weist derzeit
etwa 24 000 Tier- und Pflanzenarten aus, die vom Aussterben akut bedroht sind. Auch in Deutschland können
wir beobachten, dass immer weniger Tier- und Pflanzenarten Raum zum Leben haben.
Die schnellstmögliche Umsetzung eines Biotopverbundes ist daher dringend notwendig, um dem auch hierBundesministerin Dr. Barbara Hendricks
zulande stattfindenden Artensterben entgegenzuwirken.
Dem vorliegenden Gesetzentwurf können wir nicht zustimmen. Er ist in dieser Form ein Schlag ins Gesicht
engagierter Naturschützer.
Danke.
({1})
Für die Unionsfraktion spricht jetzt der Kollege Josef
Göppel.
({0})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! So unterschiedlich sind die Sichtweisen, Frau Kollegin: Ich sehe dieses
Gesetz als ein schönes Beispiel für selbstbewusstes parlamentarisches Handeln.
Aus meiner Sicht sind zunächst einmal drei Paragrafen
besonders erwähnenswert: der § 57 Bundesnaturschutzgesetz, mit dem es dank des selbstbewussten parlamentarischen Handelns gelungen ist, die Ausweisung von Meeresschutzzonen außerhalb der Zwölfmeilenzone vor der
Küste rechtlich so abzusichern, dass diese Schutzgebiete
in den nächsten Jahren wirklich zum Tragen kommen.
({0})
Das ist eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Regierungsentwurf. Zu Recht, Frau Ministerin, haben Sie
sich in dieser Beziehung beim Ausschuss für Umwelt
bedankt.
Es ist weiter auch der § 44 zu nennen. Darin geht es
um die Verletzung oder den Tod von Arten im Zusammenhang mit Eingriffen in die Natur. Manche sagen ja:
Wenn das jetzt an die Signifikanz einer Maßnahme gebunden wird, heißt dies, dass eine Maßnahme nur dann,
wenn durch sie die Gefahr eine bestimmte Schwelle
überschreitet, nicht zulässig ist. Ich möchte Sie darauf
hinweisen: Die Formulierung ist anders, als die öffentliche Diskussion vielfach glauben macht. Es ist nicht so,
dass es nur um Populationen und deren Erlöschen geht.
Im Gesetzestext heißt es: Wenn für Exemplare der betroffenen Arten ein erhöhtes Verletzungs- oder Todesrisiko
besteht, dann sind die Maßnahmen zu unterlassen, und
vorher sind Schutzmaßnahmen vorzunehmen. Die Regelung bezieht sich also wirklich auch auf eine nennenswerte Zahl einzelner Exemplare und nicht lediglich auf
die Auslöschung der Gesamtpopulation.
Schließlich geht es um den § 21. Das ist in der Tat
kein besonderes Ruhmesblatt für uns im Umweltausschuss; denn wenn eine Frist von zehn Jahren für eine
Maßnahme vorgesehen ist, die eigentlich schon seit dem
Jahr 2002 laufen soll, dann kann man nicht sagen, sie
wäre überstürzt.
({1})
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf eines hinweisen: Der nationale Biotopverbund ist von seinem
Charakter her auf lineare Strukturen angelegt, die die
großräumigen Schutzgebiete verbinden sollen. Deswegen reicht es keinesfalls, auf die europäischen Schutzgebiete auch noch das Etikett „nationales Biotopverbundsystem“ zu kleben. Es ist fachlich schon zu Zeiten von
Wolfgang Haber, dem großen bayerischen Naturschützer
und Landschaftspfleger, so konzipiert worden, dass die
großen Schutz- und Rückzugsräume durch lineare Strukturen verbunden werden müssen, wenn sie wirken sollen
und wenn den Mitgeschöpfen des Menschen in der technisierten Welt noch Lebensraum bleiben soll. Deswegen
dürfen wir denen, die in der nächsten Wahlperiode dem
Deutschen Bundestag angehören, anempfehlen, in den
Koalitionsverhandlungen auf diesen Punkt besonders
Wert zu legen.
({2})
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch darauf
hinweisen, dass der Mensch trotz aller Technik und aller
zivilisatorischen Errungenschaften, die wir heute haben,
auf die natürlichen Grundlagen des Lebens angewiesen
bleibt: auf ackerfähige Böden, auf Weideflächen, auf
Fisch gründe, auf Wälder. Die Grundlagen für die Erzeugung von Lebensmitteln im umfassenden Sinn sind auch
notwendig zur Aufnahme unserer zivilisatorischen Reststoffe.
Ein Kollege hat in diesem Zusammenhang neulich zu
mir gesagt: Aber unsere Kernkompetenz ist doch Wirtschaft.
({3})
Gestatten Sie mir an der Stelle einen Vergleich aus dem
Alltagsleben. Ein kleiner Junge sitzt auf dem Arm seines
Großvaters. Er streckt seine Hände hoch und ruft: Ich bin
größer als du. - So wie diesem kleinen Jungen ist uns oft
nicht bewusst, was uns trägt. Das steckt in diesem Bundesnaturschutzgesetz auch drin.
Man hat gedacht, dass der unserem Wirtschaftssystem
innewohnende Wachstumszwang hin zu den Oligopolen
seine Begrenzung durch die soziale Marktwirtschaft findet. Heute hat der Entwicklungsminister Gerd Müller ein
Buch vorgestellt mit dem Titel Unfair! Für eine gerechte Globalisierung. Es ist unverkennbar, dass die jetzige
Globalisierung am ehesten zu vergleichen ist mit den
wild dahinbrausenden Rössern eines antiken Wagenrennens. Eines Tages wird der Wagen aus der Kurve getragen und ist führungslos. Deswegen brauchen wir eben
keinen Rückzug der sozialen Marktwirtschaft auf internationaler Ebene, sondern gerade wir Deutsche dürfen
mit großer Glaubwürdigkeit dafür eintreten, dass eine
soziale und ökologische Marktwirtschaft die Dinge am
besten ordnet.
({4})
Es gab schon einige - ich erinnere an Ernst Ulrich von
Weizsäcker oder an Franz Josef Radermacher -, die
Schritte dorthin aufgezeichnet haben.
Wie oft schauen wir gleichgültig zu, wenn wieder irgendwo ein Stück dieser atmenden, offenen, fruchtbaren
Erde zugebaut wird.
({5})
Wie gleichgültig beobachten wir zum Beispiel den
landfressenden erdgeschossigen Gewerbebau, der landauf, landab immer noch große Flächen in Anspruch
nimmt, obwohl es andere technische Möglichkeiten gäbe.
({6})
Ich möchte darum bitten und ich fordere uns alle auf:
Unterziehen wir uns der Mühe, auf diese Sachverhalte
immer wieder hinzuweisen und Anstöße zu geben.
Neulich hat einer in einer Diskussion gefragt: Ja, wie
machen wir es denn dann richtig? - Es gibt für die praktische Politik eine klare Richtschnur: Immer dann, wenn
sich eine Maßnahme den Kreisläufen der Natur nähert,
ist sie richtig. Das ist eine gute und kluge Messlatte für
alle, die unser Land und die Heimat lieben.
({7})
Die Kollegin Steffi Lemke spricht jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
beginne mit dem Positiven: Es ist gut, dass mit dieser
Bundesnaturschutzgesetznovelle die Rechtsgrundlage
für die Ausweisung der Meeresschutzgebiete außerhalb
der Zwölfmeilenzone geschaffen wird. Schade ist, dass
das Ganze so lange dauert. Der Hintergrund ist ein Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Deutschland,
weil Deutschland mit der Ausweisung dieser Meeresschutzgebiete säumig ist. Aber es ist gut, dass es jetzt
kommt.
Ich möchte mich in einem Punkt dem Lob für den
Änderungsantrag anschließen. Es ist gut, dass die aus
meiner Sicht komplett absurde Idee, den Nutzerressorts
bei der Ausweisung dieser Schutzgebiete ein Vetorecht
einzuräumen, von den Koalitionsfraktionen gestrichen
worden ist. Das wäre im deutschen Naturschutzrecht ein
einmaliger Vorgang gewesen.
({0})
Ich möchte in den Dank unbedingt die Umweltverbände
mit einschließen; denn nur auf den Druck der Umweltverbände hin hat die Koalition diesbezüglich gehandelt.
Dieser Punkt in der Novelle ist definitiv positiv.
({1})
Dass die SPD dafür die zeitliche Zielvorgabe für den
Biotopverbund im Gesetz aufgeben musste, dass die SPD
das für diesen Erfolg an die CDU geopfert hat, haben der
Kollege Göppel und die Kollegin Menz von der Linksfraktion vor mir bereits ausgeführt; das ist schade. Das ist
der erste schlechte Punkt an der Novelle.
Meine Hauptkritik besteht darin, dass die Novelle an
den real existierenden Problemen des Naturschutzes und
des Artenschutzes komplett vorbeigeht.
({2})
Wir bekommen fast im Wochenrhythmus vom Bundesumweltministerium und seinen nachgeordneten Behörden neue Berichte und Katastrophenmeldungen über
den Zustand der Natur in Deutschland. Das Artensterben
schreitet in einem so rasanten Tempo voran, dass wir fast
nicht hinterherkommen, diese Berichte überhaupt noch
zu lesen und zu analysieren.
Der jüngste Bericht, der „Agrar-Report zur biologischen Vielfalt“, wurde in dieser Woche von einer nachgeordneten Behörde des Bundesumweltministeriums, dem
Bundesamt für Naturschutz, vorgestellt und zieht eine
desaströse Bilanz für den Artenschutz und den Zustand
der Natur vor allem in agrarisch genutzten Gebieten. Es
ist eine Katastrophenbilanz, die dort gezogen wird. Es
ist ein Armutszeugnis für die Naturschutzpolitik dieser
Bundesregierung.
({3})
Das kann ich Ihnen - liebe Frau Hendricks, Sie wissen, dass ich Sie persönlich sehr schätze, und Ihr Ressort
ist auch nicht der Verursacher für diese Problematik trotzdem nicht ersparen: Sie haben in dieser Legislaturperiode nicht genug für den Artenschutz und für den Naturschutz getan.
({4})
Der Rückgang bei den Vögeln ist so dramatisch, dass
zwei Drittel als gefährdet gelten. Unsere Enkel werden
Vogelarten, die wir für vollkommen normal halten, wie
den Kiebitz oder das Rebhuhn, nicht mehr kennen, wenn
die Politik der Großen Koalition fortgesetzt werden sollte. Sie werden sie dann nur noch aus Lehrbüchern kennen. Das Gleiche können wir für Moore und Insekten sagen. Inzwischen sind in einzelnen Regionen 80 Prozent
der Insektenbiomasse verschwunden.
Es ist doch vollkommen klar, dass das Auswirkungen
auf das gesamte Wirtschaftsleben - nicht nur auf die Agrarwirtschaft - in Deutschland haben wird, dass es unser
gesamtes Leben infrage stellt, wenn das Artensterben in
so galoppierender Weise weiter voranschreitet.
({5})
Weil die Novelle all diese Aspekte in keiner Weise
aufgreift - die gesamte Agrarproblematik bleibt dort auJosef Göppel
ßen vor -, geht sie an den real existierenden Problemen
vorbei.
Sie haben mit einer anderen Novelle vor wenigen Wochen hier im Haus, die das Baugesetzbuch betraf, beim
Ziel, den Flächenfraß in Deutschland zu stoppen, noch
eins oben draufgesetzt. Das zeigt, dass die Prioritätensetzung in Ihrem Ministerium sehr stark auf den Bereich
Bauen und nicht auf den Bereich Naturschutz oder Umweltschutz ausgerichtet war.
Von daher ist Ihre Naturschutzbilanz und Ihre Artenschutzbilanz, Frau Hendricks, negativ. Sie ist eine Katastrophe angesichts dessen, was wir jede Woche neu lesen
müssen, angesichts dessen, was wir zu verlieren drohen:
die wunderbare Natur, die Naturlandschaften, die wir alle
noch kennen und in die wir gehen, um uns zu erholen.
Diese würden wir verlieren, wenn Sie mit Ihrer Politik
fortfahren würden. Das ist am 24. September bei der
Bundestagswahl änderbar; daran werden wir arbeiten.
Herr Präsident, wenn ich noch einen Satz sagen darf:
Herr Göppel, ich möchte Ihnen für Ihre Rede und für Ihre
Arbeit im Ausschuss persönlich sehr danken. Sie werden
dem nächsten Hohen Haus sehr fehlen, Sie werden Ihrer
Fraktion sehr fehlen. Aber ich hoffe, dass Sie dem Naturschutz erhalten bleiben, an anderen Stellen, an denen Sie
in Zukunft wirken werden. Ich würde mich freuen, wenn
wir uns in diesem Zusammenhang wiedersähen.
({6})
Herr Kollege Göppel wird noch eine weitere Rede in
der nächsten Sitzungswoche halten. Sonst hätten wir alle
natürlich schon die passenden Worte gefunden. - Vielen
Dank aber.
Zum Ende der Aussprache hat der Kollege Carsten
Träger für die Fraktion der SPD das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Was würden Sie sagen: Wer soll in der Regierung für Naturschutzgebiete zuständig sein?
({0})
Wahrscheinlich sagen Sie jetzt: das Ministerium für
Umwelt und Naturschutz. - Genau. So sehen wir das
auch, und deshalb beschließen wir das heute auch so.
Wahrscheinlich werden Sie jetzt fragen: Ja, und das soll
eine tolle Leistung sein? - Und ich sage Ihnen: Ja, das ist
eine tolle Leistung des Parlaments und in diesem Fall der
SPD-Fraktion;
({1})
denn zwischenzeitlich sah der Regierungsentwurf nämlich vor, dass das Verkehrsministerium, das für Fischerei
zuständige Ministerium, das Wirtschaftsministerium und
das Forschungsministerium ein Quasivetorecht erhalten
sollten, ausgerechnet also diejenigen Ministerien, die in
den Meeresschutzgebieten ganz andere Interessen als
den Schutz von Natur und Arten haben.
Wenn nach einem einstimmigen Kabinettsbeschluss
praktisch jede und jeder vom Gegenteil des Beschlusses überzeugt werden muss, dann ist das eben doch ein
schweres Stück politischer Arbeit, und deshalb ist es jetzt
ein großer Erfolg.
({2})
Namentlich geht es um den § 57 der Novelle, der die
Ausweisung der Meeresschutzgebiete betrifft. Es ist
schon angesprochen worden: Alle Naturschutzverbände
haben völlig zu Recht Alarm geschlagen. Sie befürchteten, dass dringend notwendige Schutzmaßnahmen unmöglich werden, und sie befürchteten, dass wir einen
Präzedenzfall für andere Umweltbelange schaffen, wenn
die Nutzer gleichberechtigt mit den Naturschützern verhandeln - wohlgemerkt in Bezug auf Naturschutzgebiete.
Auch der Bundesrat und die Experten in der Ausschussanhörung haben ganz klar zum Ausdruck gebracht,
was sie von dem Vorschlag des Einvernehmens halten:
nämlich nichts. Denn selbstverständlich werden ja bereits heute die Belange der betroffenen Ressorts berücksichtigt, aber dies eben durch die bestehende Formulierung einer Beteiligung, und sie ist längst gute politische
Praxis.
Deshalb ist es ein Gebot der Vernunft und Ausdruck
der Klugheit des Parlaments, die uns ja gelegentlich abgesprochen wird, dass wir eben nicht abnicken, sondern
dass wir diesen Änderungsvorschlag zurückweisen und
bei der guten alten Regelung bleiben. Ich freue mich
sehr, dass wir und dass du, Josef, unseren Koalitionspartner überzeugt haben. Nach meinem Empfinden haben
wir das ganz gut gemacht.
({3})
Wenn uns sogar Steffi Lemke dafür lobt, dann will das ja
wahrlich etwas heißen.
Ich möchte noch zwei andere Punkte loben.
({4})
- Ja. Das habe ich aber jetzt, weil du vor mir gesprochen
hast, herausgenommen; sonst hätte ich es noch erwähnt.
({5})
Wir sind dem Wunsch der Naturparke nachgekommen. Die Novelle schreibt jetzt den gesetzlichen Auftrag für die Naturparke fest - Bildung für nachhaltige
Entwicklung -, und wir stellen Höhlen und naturnahe
Stollen als Lebensraum für Fledermausarten und andere
schützenswerte Arten unter Schutz. Auch das sind gute
Punkte.
Trotzdem ist es aber richtig: Es gibt noch viel zu tun
im Naturschutz. Ich hoffe sehr, dass wir auch nach der
Wahl eine Mehrheit dafür haben werden.
Wie es nicht kommen darf, zeigt uns der Koalitionsvertrag von NRW. Ich darf einen Satz daraus zitieren, aus
dem Kapitel „Naturschutz“ wohlgemerkt:
Um den weiteren Verlust biologischer Vielfalt zu
stoppen, wollen wir auf eine bessere Ursachenermittlung statt Beschränkungen ... setzen.
({6})
Hinzu kommt eine Rolle rückwärts im Bereich der
erneuerbaren Energien durch überdimensionierte Abstandsregelungen bei der Windkraft. Dieser Koalitionsvertrag sollte uns eine Lehre sein. Er zeigt, warum es eine
Neuauflage von Schwarz-Gelb nicht geben darf; aber lassen wir uns durch NRW nicht die Petersilie verhageln.
Heute ist ein guter Tag für den Meeresschutz. Arbeiten
wir daran, dass es noch viele weitere gute Tage geben
wird.
Vielen Dank.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes. Der Ausschuss
für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12845, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/11939 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/
Die Grünen angenommen.
Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine. Der
Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und von
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge.
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der
Drucksache 18/12852. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke? - Wer stimmt dagegen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der
Fraktionen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt.
Wir kommen jetzt zum Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12853.
Wer für diesen Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine. Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus,
Stefan Liebich, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE
Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz
Drucksachen 18/8130, 18/12620
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. - Da-
gegen erhebt sich keinerlei Widerspruch. Daraus schließe
ich, dass Sie alle damit einverstanden sind.1)
Deshalb kommen wir auch unmittelbar zur Abstim-
mung.
Es liegt mir eine Erklärung nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung vor.2)
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/12620, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/8130 abzulehnen. Wer für diese
Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte
ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Darf
ich noch einmal nachfragen: War das bei der Fraktion
Die Linke ein unterschiedliches Stimmverhalten?
({1})
- Sie haben dafürgestimmt. Gut. - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU
und SPD sowie mit den Stimmen der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke, bei einer Ausnahme.
({2})
Damit können wir diesen Tagesordnungspunkt verlassen.
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 17:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit
in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung
der Kommunikationshilfen für Menschen
mit Sprach- und Hörbehinderungen
({3})
Drucksache 18/10144
1) Anlage 5
2) Anlage 6
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({4})
Drucksache 18/12591
Diese Reden sollen ebenfalls zu Protokoll gegeben
werden. - Ich sehe allgemeines Einverständnis dazu.1)
Deshalb kommen wir sofort zur Abstimmung. Der
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12591,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksache 18/10144 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine.
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen des gesamten Hauses angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch keine.
Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des gesamten Hohen Hauses angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der tarifvertraglichen Sozialkassenverfahren und zur
Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes
Drucksache 18/12510
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({5})
Drucksache 18/12827
Auch diese Reden sollen zu Protokoll gegeben wer-
den. - Ich sehe auch dazu ausschließlich Einverständnis.2)
Deshalb kommen wir unmittelbar zur Abstimmung.
Auch dazu liegen mir zwei Erklärungen nach § 31 un-
serer Geschäftsordnung vor.3)
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/12827,
den Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und
SPD auf der Drucksache 18/12510 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthal-
tungen? - Keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit allen Stimmen des Hohen Hauses ange-
nommen.
Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung
1) Anlage 7
2) Anlage 8
3) Anlage 9
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gibt es Gegenstimmen? - Das ist nicht der Fall. - Enthaltungen gibt es auch nicht. Der Gesetzentwurf ist damit
mit allen Stimmen des Hohen Hauses angenommen.
Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 21, den ich
hiermit aufrufe:
Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern
Drucksache 18/12780
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Widerspruch
dagegen sehe ich keinen. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile ich dem Kollegen Eckhard Pols für die Fraktion der
CDU/CSU das Wort.
({6})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Hilfe für Kinder mit psychisch erkrankten Eltern begleitet mich schon einige Jahre. Durch Gespräche zum Thema Kindergesundheit - auch mit dem
Chefarzt der Kinder- und Jugendabteilung der Psychiatrischen Klinik in Lüneburg, Dr. Naumann - bin ich auf
dieses Thema aufmerksam geworden.
Dass etwas passieren muss, kann bei geschätzt 3 bis
4 Millionen betroffenen Kindern mit einem vorübergehend oder dauerhaft psychisch erkrankten Elternteil niemand bezweifeln. Viele Familien finden geeignete Wege,
mit der Belastung umzugehen und negative Folgen für
ihre Kinder zu vermeiden. Klar ist auch, dass nicht jede
psychische Störung eines Elternteils zwangsläufig zu einer eingeschränkten Erziehungskompetenz führt. Häufig
genug erfahren Kinder und Jugendliche aus betroffenen
Familien jedoch unzureichende Unterstützung und Fürsorge oder leiden unter den Auswirkungen elterlichen
Verhaltens, was sich negativ auf ihre Entwicklung auswirken kann.
Statistiken besagen, dass Kinder und Jugendliche von
psychisch kranken Eltern ein drei- bis vierfaches Risiko haben, selber psychisch zu erkranken. Bei einer Expertenanhörung der Kinderkommission des Deutschen
Bundestages im Jahre 2013 wurde als Ursache für dieses
erhöhte Risiko ein Zusammenspiel aus sozialen Komponenten, besonders schwierigen Lebens- und Entwicklungsbedingungen sowie genetischen Faktoren genannt.
Eine besondere Belastung für Kinder und Jugendliche
entsteht durch die Tabuisierung psychischer Erkrankungen der Eltern durch die Familien, was Isolation und
Ausgrenzung der Kinder zur Folge haben kann. Hinzu
kommen häufig finanzielle Probleme, wenig soziale Unterstützung, Desorientierung, sozialer Rückzug, Ängste
und Schuldgefühle. Es stellt sich also die Frage, was wir
tun können, um Kindern in dieser Situation zu helfen.
Vizepräsident Johannes Singhammer
Wie so häufig sind auch hier Prävention und das frühe Bereitstellen von Hilfen Schlüssel zum Erfolg. Kinder haben weitaus bessere Chancen als Erwachsene, ein
normales Leben zu führen, wenn sie frühzeitig Unterstützung erhalten. Gleichzeitig dürften sich die Kosten
für die Gesellschaft und für unser Gesundheitssystem
verringern. Hierbei spielen kommunale Angebote wie
lokale Initiativen und ehrenamtliches Engagement eine
wichtige Rolle.
Wir als Bund sind aufgefordert, in unserem Aufgabenbereich die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Der Hilfebedarf betroffener Kinder und Jugendlicher umfasst ein breites Spektrum von niederschwelliger
punktueller Unterstützung bis hin zur Intervention im
Falle einer drohenden Kindeswohlgefährdung. Ein frühzeitiges Erreichen der Familien zu Beginn der Behandlung der Eltern und die Identifikation der spezifischen
familiären Belastung sind hier unerlässlich. Hierdurch
kann die Entwicklung der Kinder gezielt gefördert und
ihre psychische Widerstandsfähigkeit gestärkt werden,
und das ist unerlässlich für das Kindeswohl.
({0})
Familien mit psychisch kranken Eltern benötigen
häufig Hilfen, die auf verschiedenen landesrechtlichen
Vorschriften und verschiedenen Sozialgesetzbüchern beruhen. Wie so oft hapert es auch hier an den Schnittstellen der Problematiken und an nicht immer eindeutigen
Zuständigkeiten. Die Kooperation und die Koordination
der unterschiedlichen Hilfsangebote und Leistungserbringer für Kinder und Erwachsene spielen eine zentrale
Rolle. Aufgrund ihrer Krankheitsbilder sind die Betroffenen oft nicht in der Lage, alle verfügbaren Informationen
und Hilfeleistungen selbst anzufordern und für sich in
Anspruch zu nehmen. Aufsuchende Hilfen sind hier die
naheliegende Lösung. Es ist nun endlich Zeit, Ansätze
auszuarbeiten, um eine optimale interdisziplinäre Versorgung der betroffenen Familien zu gewährleisten.
An dieser Stelle möchte ich euch, liebe Ulrike Bahr
und liebe Beate Walter-Rosenheimer, einmal ausdrücklich Danke sagen. Ich finde es großartig, dass wir hier
interfraktionell einen breiten Konsens gefunden haben
und diesen Antrag auf den Weg bringen. Auch dir, lieber Paul Lehrieder, sage ich als Ausschussvorsitzendem
herzlichen Dank, dass du uns dabei unterstützt hast.
({1})
Du hast großen persönlichen Einsatz gezeigt und dich
für dieses Thema starkgemacht, sodass wir endlich etwas
in die Hand bekommen, um den Betroffenen helfen zu
können.
Ziel ist es, diesen Kindern zu helfen und klarzustellen, an welchen Stellen Handlungsbedarf besteht. Wir
wollen deshalb die Einrichtung einer zeitlich befristeten
interdisziplinären Arbeitsgruppe unter Beteiligung der
zuständigen Bundesministerien, des Bundesfamilienministeriums, des Bundessozialministeriums und des Bundesgesundheitsministeriums, beschließen, die genau das
leisten wird. Diese Arbeitsgruppe soll zu fünf Untersuchungsschwerpunkten berichten. Da meine Redezeit abläuft, überlasse ich es Paul, etwas dazu zu sagen.
Ich glaube, dass wir heute einen großen Schritt machen, um die Situation der Betroffenen zu verbessern,
und hoffe, dass der breite Konsens zur Erreichung dieser
Verbesserung über diese Legislaturperiode hinaus auch
in der kommenden Legislaturperiode Bestand hat.
Vielen Dank.
({2})
Die Kollegin Birgit Wöllert spricht jetzt für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste, die Sie es zu dieser späten Stunde hier
noch aushalten!
({0})
Aber das Thema ist ja auch wichtig.
Lange, viel zu lange wurde darüber diskutiert, wie
Kinder psychisch kranker Eltern vor eigenen psychischen
Erkrankungen bewahrt werden können und wie man ihnen gute Entwicklungschancen ermöglicht. Statt der von
der Kinderkommission geforderten Expertenkommission
wird in dem uns nun vorliegenden Antrag eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe gefordert. Dieser Arbeitsgruppe sollen konkrete Arbeitsaufgaben übertragen werden.
Über deren Ergebnisse soll dann im Juli 2018 dem Bundestag berichtet werden. Auch gegen die geforderten
Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen ist natürlich nichts
einzuwenden. Die aufgeführten Professionen sollten unserer Meinung nach allerdings um Fachkräfte der Kinder- und Jugendsozialarbeit ergänzt werden; diese fehlen
bei Ihnen nämlich.
({1})
All dem können wir in der Hoffnung zustimmen, dass
dies wenigstens ein Anfang ist.
In den letzten Jahren ist die Zahl der psychisch Erkrankten laut Statistiken der gesetzlichen Krankenversicherung ständig gestiegen. Gleichzeitig ist unser
vielfach strukturiertes Gesundheits- und Sozialsystem
immer komplizierter geworden. Daraus resultiert, dass es
schwer ist, die richtigen Hilfs- und Unterstützungsangebote zu finden und miteinander zu vernetzen.
In der Antwort auf die Kleine Anfrage meiner Fraktion zu diesem Thema konnte die Bundesregierung zwar
keine genauen Zahlen zu betroffenen Kindern und Jugendlichen nennen. Fallzahlen, die auf Hochrechnungen
beruhen, gehen aber von 3,8 Millionen betroffenen Kindern und Jugendlichen aus; davon sind etwa 15 Prozent
Kinder unter drei Jahren. Ebenfalls in der Antwort auf
unsere Kleine Anfrage wurde uns mitgeteilt - das hatte
der Kollege Pols schon genannt -, dass gesichert ist, dass
Kinder psychisch erkrankter Eltern ein erhöhtes genetisches wie auch ein vor allem aus sozialen Komponenten
abzuleitendes Krankheitsrisiko haben.
Unter diesem Aspekt gesehen, ist der Hinweis im Antrag völlig richtig, dass diese Kinder und Jugendlichen
ein unterstützendes soziales Umfeld brauchen, das von
alltagspraktischer bis zu ärztlicher und psychotherapeutischer Behandlung reicht. Hier ist zu ergänzen, dass
Gesundheitsvorsorge und Prävention noch dazukommen
müssen; denn wenn eine Behandlung notwendig sein
sollte, ist das Kind schon in den Brunnen gefallen. Gerade das soll ja verhindert werden.
Hier bin ich bei dem Punkt, den ich aus gesundheitspolitischer Sicht als zu kurz gekommen betrachte. Auf
unsere Frage nach bundesrechtlich geregelten Leistungen mit Rechtsanspruch verweist die Bundesregierung
auf Leistungen der Kinderrehabilitation, die von der
Deutschen Rentenversicherung erbracht werden. Diese Rehamaßnahmen richten sich aber ausschließlich an
Kinder und Jugendliche, die selbst an einer schweren
chronischen Krankheit leiden. Eine psychosoziale Belastungssituation durch die Erkrankung der Eltern reicht
eben gerade nicht aus, um eine Rehaleistung in Anspruch
zu nehmen. Genau das muss geändert werden.
({2})
Laut der Antwort auf meine schriftliche Frage an die
Bundesregierung sinkt die Zahl der gewährten Rehaleistungen insgesamt seit 2007 konstant. Das heißt also:
Weil auch gesundheitsgefährdete Kinder Anspruch auf
eine Reha haben, müsste es laut Aussagen der Deutschen
Rentenversicherung schon jetzt möglich sein, diese Kinder mit einzubeziehen.
({3})
Auf die Frage, wie die Bundesregierung die Wirksamkeit präventiver Angebote für Kinder psychisch kranker
Eltern einschätzt, wurden wir auf Projekte wie STEEP
und die Entwicklungspsychologische Beratung hingewiesen. Diese Projekte waren aber gerade nicht für die
betroffenen Kinder konzipiert, von denen wir hier reden.
Was noch schlimmer ist: Die Projekte sind ausgelaufen;
sie wurden nicht kontinuierlich fortgeführt. Sie gehörten
zu den Frühen Hilfen - es war also nur der Bereich der
Kinder bis zu drei Jahren abgedeckt -, und jetzt ist davon
zum größten Teil nichts mehr da.
Die angesprochenen Hilfen zur Erziehung sind richtig. Aber auch hier ist ein Antrag durch die Eltern Voraussetzung; denn Hilfen zur Erziehung werden auf Antrag
gewährt.
Wir bedauern sehr, dass das ideologische Dogma der
CDU/CSU-Fraktion verhindert hat, die bisherige gemeinsame sachorientierte Arbeit auch zu einem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen zu führen. Lassen Sie sich
einmal vom Kollegen Irlstorfer berichten, wie peinlich
solche Dogmen werden können.
Frau Kollegin Wöllert, denken Sie an Ihre Redezeit.
Das haben wir in der letzten Gesundheitsausschusssitzung erlebt, als Ihre Kollegen vor Schreck den eigenen
Antrag ablehnten, weil wir ihm zustimmten.
Vielen Dank.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Bahr für die
Fraktion der SPD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und
Kolleginnen! Heute machen wir einen Schritt hin zu Lösungen für eine völlig unterversorgte Personengruppe.
Seit ich im Deutschen Bundestag wirken darf, begleitet
mich dieses Thema, und ich bin sehr froh, dass wir diesen Schritt jetzt endlich gehen, und zwar gemeinsam mit
einem interfraktionellen Antrag.
Ich möchte Ihnen mit einem Beispiel illustrieren, was
es für die ganze Familie bedeutet, wenn ein Elternteil
psychisch erkrankt, und wie schwierig es ist, abgestimmte Hilfen zu bieten, obwohl viele Menschen mitbekommen, dass in der Familie etwas nicht rundläuft. Aber es
hat eben niemand eine Gesamtverantwortung oder auch
bloß die Autorität, eine Gesamtversorgung mit unterschiedlichen Hilfen zu steuern.
Frau Mayer, wie wir sie einmal nennen wollen, lebt in
Augsburg. Sie ist in einem Altenheim in Teilzeit beschäftigt und mit einem Polizisten verheiratet, der im Schichtdienst arbeitet und sich außerdem mit viel Sport fit halten
muss. Schon immer hat die Mutter die Verantwortung für
die Kinder ganz überwiegend übernommen. Die Großeltern wohnen weit entfernt und können nicht einspringen.
Seit zwei Jahren hat Frau Mayer immer mal wieder
psychische Krisen mit akuter Angst und Wahnideen, die
in Schüben verlaufen. Der Sozialpsychiatrische Dienst
hatte sie phasenweise betreut. Die Schwangerschaft mit
ihrem dritten Kind war für Frau Mayer problematisch.
Sie entwickelte starke Ängste, die zwar ihrer Frauenärztin und dem Hausarzt auffielen, die beide aber nicht weiter zum Thema machten. Während akuter Krisen geht
Frau Mayer nicht aus dem Haus, auch nicht zum Einkaufen. Das müssen während dieser Phasen ihr Ehemann
oder die älteste Tochter, elf Jahre alt, erledigen.
Seit der Geburt ihres dritten Kindes vor vier Monaten
schafft sie die Grundversorgung der Familie zunehmend
nicht mehr. Sie verwahrlost nach außen, schämt sich sehr
und ist überzeugt davon, keine gute Mutter mehr zu sein.
Das prägt ihr Verhalten den Kindern gegenüber, das von
hoher Sprunghaftigkeit und emotionaler Instabilität gekennzeichnet ist. Zunehmend werden die Kinder auch
ein Bestandteil ihrer Ängste. Das führt dazu, dass sie die
Kinder möglichst bei sich in der Wohnung haben möchte.
Sie ist aber nicht in der Lage, sich länger mit ihnen zu
beschäftigen.
Die Kinder zeigen alle auf ihre Art, dass sie unter der
Situation leiden. Der Nachbarin ist aufgefallen, dass das
vier Monate alte Baby sehr viel weint. Sie hat aus Sorge
um das Kind das Jugendamt angerufen. Die Mutter hat
die letzte vorgesehene Untersuchung des Babys beim
Kinderarzt versäumt.
Ihr mittleres Kind, ein sechsjähriger Junge, steht kurz
vor dem Übergang vom Kindergarten in die Grundschule. Er hat wieder angefangen, nachts einzunässen, träumt
schlecht und wacht manchmal schreiend auf. In den Kindergarten kommt er oft ohne Frühstücksbrot und fällt den
Erzieherinnen manchmal durch unpassende Kleidung
auf. Er ist ein sehr unauffälliges und ängstliches Kind,
zieht sich immer mehr zurück und hat keine Freunde. Im
Kindergarten bekommt er zusätzliche Sprachförderung.
Die große Schwester besucht die Realschule. Sie ist
eine gute Schülerin, jedoch insgesamt sehr zurückhaltend. Es fällt auf, dass sie sehr umsichtig ist, dabei aber
kaum eigene Bedürfnisse anmeldet oder durchsetzt. Mittags nach der Schule geht sie direkt nach Hause. Manchmal geht sie alleine einkaufen. Der Bruder erzählt, dass
seine Schwester das Essen macht, wenn Mama wieder
komisch ist. Die wenigen Freunde der Familie haben sich
zurückgezogen und machen sich aus der Ferne Sorgen.
Das Beispiel zeigt: Die schwierige Lage der Familie
ist eigentlich vielen bekannt. Der Sozialpsychiatrische
Dienst hatte schon Kontakt. Der Hausarzt und die Frauenärztin haben die Probleme zumindest im Ansatz gesehen; die Hebamme und der Kinderarzt sehen sie auch.
In der Kita, der Schule und auch beim Jugendamt liegen
Informationen vor. Aber niemand handelt; denn es gibt
keine geregelte und vor allem finanzierte Netzwerkarbeit
der jeweiligen Systemvertreter. Die Akteure aus dem Gesundheits- und Jugendhilfebereich, aus den Betreuungsund Bildungseinrichtungen brauchen einen rechtlichen
und finanziellen Rahmen für die Möglichkeit einer anonymisierten Fallbesprechung. Bei Familie Mayer - wie
auch bei vielen anderen ähnlich gelagerten Fällen - sind
zwar zeitgleich mehrere Unterstützersysteme und Fachkräfte aktiv, aber sie wissen nichts voneinander und nehmen nur ihre eigene Fachlichkeit wahr.
Familien mit einem psychisch kranken Elternteil, dessen Erkrankung vielleicht in Schüben verläuft, bedürfen
einer flexiblen Unterstützung, die sich mal an die kranke
Mutter, mal an die Kinder und dann wiederum an alle
richtet. Je nach dem aktuellen Bedarf der jeweiligen Familienmitglieder ist mal das eine Unterstützersystem,
dann wieder ein anderes stärker im Einsatz und damit
federführend.
Mit unserem Antrag wollen wir jetzt eine Grundlage
für eine verbindliche und verpflichtende Kooperation
der verschiedenen Leistungsträger schaffen. Eine Arbeitsgruppe aus Fachleuten, begleitet von den beiden zuständigen Ministerien, wird die Schnittstellen zwischen
den Sozialgesetzbüchern identifizieren, Vorschläge zur
Vernetzung erarbeiten und Regelungslücken ermitteln,
damit es nicht mehr vom Wohnort und von Modellprojekten vor Ort abhängt, ob die Kinder der Familie Mayer
frühzeitig die nötige Hilfe bekommen. Aufgabe für die
nächste Wahlperiode wird es dann sein, auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe ein Rahmenkonzept für die Gestaltung von komplexen, mischfinanzierten Hilfen für Familien mit psychisch kranken Eltern zu
entwickeln.
Diese Probleme - das möchte ich noch einmal betonen - sind keine Nischenprobleme. Psychische Erkrankungen sind nicht selten. Mehr als 3 Millionen Kinder
sind zumindest vorübergehend betroffen. Für sehr sinnvoll halte ich es deshalb auch, über psychische Erkrankungen mehr und breiter aufzuklären. Zu wenig Wissen
über Krankheitsanzeichen und -verläufe auf der einen
Seite, Tabus und Scham auf der anderen schaffen ein Klima, das es den Kindern fast unmöglich macht, sich Erziehern oder Lehrern, Freunden oder Nachbarn zu offenbaren. Für Kinder ist es nicht einfach, wenn die geliebten
Eltern plötzlich seltsam, komisch oder beängstigend wirken. Noch schlimmer ist es aber, wenn daraus ein Familiengeheimnis gemacht werden soll, wenn weitere Vertrauenspersonen mit Unverständnis reagieren, wenn die
Kinder vielleicht wegen ihrer komischen Eltern gemobbt
oder gemieden werden.
Hier hilft nur ein dreistufiges Vorgehen, wie im Antrag
beschrieben, nämlich erstens allgemein der Stigmatisierung psychisch Erkrankter entgegenzuwirken, zweitens
alle Fachleute, die mit Kindern oder Eltern arbeiten, entsprechend fortzubilden und drittens, kindgerechte Materialien für die betroffenen Kinder selbst in die Breite zu
tragen. Der Dachverband Gemeindepsychiatrie zum Beispiel hat dazu schon sehr gute Materialien bereitgestellt.
In der Umsetzung des vorliegenden Antrags freue ich
mich auf eine engagierte Aufklärungsarbeit und auf die
Vorschläge der Arbeitsgruppe zur besseren Kooperation
der Hilfesysteme, die wir dann im nächsten Jahr im neuen Bundestag beraten werden.
Ich möchte es nicht versäumen, besonders dem Bundesverband für Erziehungshilfe, AFET, und dem Dachverband Gemeindepsychiatrie für ihre jahrelange beharrliche Begleitung und Lobbyarbeit ganz herzlich zu
danken; denn wir alle wissen seit Max Weber: Politik ist
das starke und langsame Bohren dicker Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß.
Vielen Dank.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Beate WalterRosenheimer für Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf
den Tribünen! Erlauben Sie mir zunächst eine persönliche Bemerkung: Mir fällt heute Abend wirklich ein Stein
vom Herzen. Endlich haben wir diese wichtige AbstimUlrike Bahr
mung über unseren interfraktionellen Antrag. Wir alle
wissen, was für ein Prozess und was für ein langer Weg
das war und dass es keine ganz einfache Geburt war, den
Antrag noch in dieser Legislatur auf den Weg zu bringen.
Für mich als klinische Psychologin, als Mutter von
fünf Kindern und auch als Politikerin ist dieses Thema
eine Herzensangelegenheit. Ich habe bereits 2013 als
Vorsitzende der Kinderkommission das Thema bearbeitet, und wir haben damals eine Stellungnahme dazu vorgelegt, die sehr klar auf diesen dringenden Handlungsbedarf hingewiesen hat; du wirst dich erinnern, Eckhard.
Sie alle wissen, dass es dann einen Antrag der Grünen
gab, den wir im Dezember 2015 verabschiedet haben,
und dass dann auf unsere Initiative hin Bewegung in die
Sache kam. Ich bin sehr froh, dass wir in dieser Sache
Verbündete gefunden haben und dieser gemeinsame Antrag möglich war. - Sie können gerne klatschen; denn es
ist wirklich toll, dass wir das geschafft haben.
({0})
Mein Dank geht an Sie, Herr Lehrieder, weil Sie ein
wirklich äußerst engagierter und verlässlicher Mitstreiter an meiner Seite waren. Ihre Arbeit war sehr von Ihrem persönlichen Engagement geprägt, das man immer
merken konnte. Mein Dank geht auch an Sie, liebe Frau
Bahr, für die tolle Zusammenarbeit und natürlich an dich,
Eckhard Pols, als Berichterstatter. Wir sind auch Kollegen in der Kinderkommission. Dank auch an meine Kollegin Maria Klein-Schmeink, die uns von der gesundheitlichen Seite her unterstützt hat. Nicht zuletzt bedanke ich
mich bei meiner Mitarbeiterin Julia Frederking, die oben
zuhört und ohne die es nicht geklappt hätte.
({1})
Mein Dank geht an dieser Stelle auch an die Verbände,
die uns sehr unterstützt haben, sehr viel fachlichen Input
geleistet und dazu beigetragen haben, dass sich etwas bewegt und wir einen wirklich fundierten Antrag vorlegen
können.
Ein wichtiges Etappenziel ist damit erreicht. Die Expertenkommission, die eine Kernforderung dieses Antrags ist, wird daran arbeiten und uns in einem Jahr - das
halte ich für eine tolle Sache - ganz klar den politischen
Handlungsbedarf aufzeigen. Wir haben dann also einen
Rahmen, um die Situation der betroffenen Kinder und
deren Familien wirklich grundsätzlich zu verbessern.
Diese Kinder und ihre speziellen Bedürfnisse standen bisher viel zu wenig im Fokus. Frau Bahr, Sie haben ein Beispiel gebracht, anhand dessen man sehr gut
verstanden hat, dass die Kinder Aufgaben übernehmen
müssen, denen sie eigentlich noch gar nicht gewachsen
sind. Sie haben geschildert, wie das normale Kinderleben
aus den Fugen gerät und dass sie eigentlich niemanden
haben, dem sie ihren Kummer und ihre Nöte anvertrauen können. Diese Situation wollen wir verbessern; daran
arbeiten wir. Sie haben auch erwähnt, dass diese Kinder
ein drei- bis vierfach höheres Risiko haben, später selber
psychisch zu erkranken. Es sind 3 bis 4 Millionen Kinder
in Deutschland, über die wir sprechen. Wir sprechen also
über eine ziemlich große Gruppe. Diese Kinder brauchen
unsere Unterstützung ganz besonders. Sie brauchen ein
starkes soziales Umfeld und fachlich qualifizierte Hilfe
und sind auf Versorgung angewiesen. Bisher ist leider
wenig an die Kinder gedacht worden, wenn sich die Eltern in Behandlung begeben haben.
Die Expertenkommission, die wir einsetzen, soll nun
Lösungsansätze aufzeigen, um künftig eine optimale interdisziplinäre Versorgung betroffener Familien zu gewährleisten und diese Kinder flächendeckend zu unterstützen. Die Situation ist sehr komplex. Es sind sehr viele
Probleme zu berücksichtigen, die man nicht so schnell
lösen kann. Einfache Antworten sind hier fehl am Platz.
Deshalb machen wir uns für die Einsetzung dieser Gruppe stark. Ich sage ganz klar: Diese Expertenkommission
ist keine Minimalforderung, wie ich lesen musste, und
auch keine Kompromisslösung. Wer das sagt, hat die Sache nicht verstanden. Sie ist nämlich der Kern dessen,
was auch die Verbände sich gewünscht haben. Wenn sie
gut besetzt ist, wird sie auch sehr kraftvoll sein.
({2})
Ich sage auch ganz klar: Sobald in einem Jahr der Bericht auf dem Tisch liegt, heißt es für uns Politikerinnen
und Politiker, die Ärmel hochzukrempeln und an die Arbeit zu gehen; denn mein Ziel ist es - ich glaube, das
teilen auch Sie -, sobald wie möglich den betroffenen
Kindern wirkliche und wirkungsvolle Unterstützung zu
gewährleisten. Lassen Sie uns das als Ziel für die nächste
Wahlperiode schon jetzt festhalten und auf die Agenda
setzen, damit in Zukunft keines dieser Kinder mit seiner
Überforderung alleingelassen wird.
Danke für die Arbeit.
({3})
Zum Abschluss dieser Aussprache hat für die Unionsfraktion der Kollege Paul Lehrieder das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Damit mir am Ende meiner Redezeit die
Zeit nicht zu knapp wird, will ich gleich mit dem Dank
beginnen. Ich darf mich an dieser Stelle ebenfalls sehr
herzlich bei allen Kolleginnen und Kollegen bedanken,
die wohlmeinend an diesem Antrag mitgeschrieben haben. Ich darf mich auch beim Gesundheitsministerium,
besonders bei Annette Widmann-Mauz, und beim Familienministerium bedanken. Liebe Elke Ferner, dass wir
das noch zum Ende der Amtszeit der Staatssekretärin
Ferner auf den Weg bringen können, finde ich gut. Später
können Sie aus dem Saarland nach Berlin schauen und
sagen: Da haben wir doch etwas Gutes hinbekommen.
Darauf können wir einen Sekt trinken.
Natürlich auch herzlichen Dank an Sie, Frau Kollegin Bahr, und an Sie, Frau Kollegin Walter-Rosenheimer,
und an Eckhard Pols. Wir haben es gemeinsam geschafft.
Das ist kein Erfolg eines Einzelnen, sondern wir haben
das gemeinsam auf den Weg gebracht. Vor dreieinhalb
Jahren haben wir bereits in der Kinderkommission eine
Anhörung dazu gemacht, und wir haben im Ausschuss
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vor fast drei
Jahren eine Anhörung durchgeführt. Ich bin stolz, dass
sich um diese Zeit - es ist immerhin kurz vor 23 Uhr im Plenum zumindest von unserer Truppe die komplette
Arbeitsgruppe „Familie, Senioren, Frauen und Jugend“
diesem Thema stellt. Herzlichen Dank dafür!
({0})
- Das gilt natürlich auch für euch. Ich kann jetzt nicht
beurteilen, ob ihr vollzählig seid.
({1})
Aber ich unterstelle einmal, dass SPD und Grüne hier
vollzählig sind.
Dieses Thema ist wichtig. Ich will zu meiner Schande gestehen: Vor fünf oder sechs Jahren hatte ich dieses
Thema nicht ganz auf dem Schirm. Aber durch die Sachverständigenanhörungen, durch die Ausführungen von
etlichen Sachverständigen, etwa von Andreas Schrappe,
bin ich sensibilisiert worden.
Ich habe extra ein Buch von Schirin Homeier mitgebracht: Sonnige Traurigtage. In diesem Buch wird beschrieben, in welcher Situation diese Kinder leben. Ich
glaube, es ist die einzige Bevölkerungsgruppe in unserer
Gesellschaft, die keine Lobby hat, die niemanden hat, der
für sie kämpft. Wenn wir uns beschweren wollen, finden
wir Gewerkschaften, Anwälte, Beratungsstellen. Man
geht zur Not zu seinem Abgeordneten und beschwert sich
über Sachen, die im Argen liegen. Aber die Kinder haben niemanden, weil die natürlichen Anwälte der Kinder,
ihre Eltern, durch psychische Erkrankungen als Anwälte ausfallen. Dann sind sie in einer Situation, in der sie
für sich selber Verantwortung tragen müssen, zum Teil
auch für Geschwister. Möglicherweise suchen sie in ihrer
Verzweiflung die Schuld für das Fehlverhalten oder das
Nichtfunktionieren von familiären Beziehungen bei sich.
Ja, es ist richtig: Wir hatten vor wenigen Monaten einen
parlamentarischen Abend zu der Situation früher Hilfen.
Wir haben erfahren, dass 44 bis 70 Prozent der Kinder,
die über Jahre hinweg in einer derart belastenden Situation waren, später ebenfalls psychische Unterstützung
brauchen. Ja, Frau Staatssekretärin Widmann-Mauz, es
wäre ganz gut, wenn wir rechtzeitig auf dieses Problem
schauen; denn die Mittel, die wir heute nicht ausgeben,
werden wir um ein Mehrfaches in 10, 20 oder 25 Jahren in die psychische Behandlung von kranken Kindern
stecken müssen. Darum sollten wir uns fraktionsübergreifend bzw. ressortübergreifend - Gesundheitsressort,
Familienressort -, aber natürlich auch zusammen mit den
Kommunen, mit den Jugendämtern diesem Problem stellen. Die Zahlen wurden bereits mehrfach genannt: Zwischen 2,6 und 3,8 Millionen Kinder leben in psychisch
belasteten Familien. Nicht alle von ihnen brauchen Hilfe;
aber wir müssen zumindest hinschauen, um herauszufinden, wo verzweifelte kleine Helden sind.
Ich darf mit der geschätzten Erlaubnis des Herrn Präsidenten einfach ein paar Überschriften aus diesem für
Kinder geschriebenen richtungsweisenden Buch zitieren,
um Ihnen ein paar Denkanstöße zu geben: „Viele Kinder
fragen sich: Was ist los mit Mama oder Papa? Doch die
Antworten bleiben oft aus.“ „Kinder psychisch erkrankter Eltern erleben überdurchschnittlich häufig Trennungen und Beziehungsabbrüche.“ „Viele Kinder sind auf
die Eltern und deren Erkrankung wütend.“ „Viele Kinder
fragen sich, ob auch sie eine psychische Erkrankung entwickeln können.“ „Viele Kinder von psychisch kranken
Eltern finden keinen Anschluss an Gleichaltrige.“ „Oft
sind Kinder der Meinung, dass ihr Verhalten Einfluss auf
die elterliche Erkrankung habe, und übernehmen Verantwortung für Geschwister und Eltern.“ Sie befürchten außerdem, dass sich beispielsweise ungezogenes Benehmen
oder schlechte Schulleistungen negativ auf das Krankheitsbild der Eltern auswirken können. Mangels Wissen
über die Existenz und Erscheinungsformen psychischer
Erkrankungen ohne sichtbare Auslöser der Erkrankung
sowie der Tabuisierung von psychischer Krankheit innerhalb und außerhalb der Familie können insbesondere
jüngere Kinder das elterliche Verhalten überhaupt nicht
als krankhaft einstufen. Stattdessen werten sie es als Erziehungsverhalten und suchen die Schuld bei sich.
In genau dieser Situation sind wir als verantwortliche
Politiker gefordert, zu fragen: Wie können wir diesen
kleinen Helden Hilfe geben, Kindern, die in der Gesellschaft quasi im Verborgenen leben? Von den Eltern können wir diese Hilfe nicht erwarten. Sie leben zum Teil
in Schuld, schämen sich für ihre Erkrankung, gestehen
sich ihre Erkrankung oft genug gar nicht ein. Ich habe
mir einmal die Krankheitsbilder herausgesucht: 25 Prozent sind psychische Störungen und Verhaltensstörungen nach Substanzgebrauch - Drogen, Alkohol etc. -,
25 Prozent sind schizophrene Störungen, 20 Prozent sind
affektive Störungen, Depressionen, bipolare Störungen,
manische Erkrankungen. Von daher ist es eine große Aufgabe, der wir uns stellen. Ich bin allen Wohlmeinenden
dankbar, dass wir diese interdisziplinäre Arbeitsgruppe
auf den Weg bringen, sodass wir hoffentlich im nächsten
Dreivierteljahr ein Ergebnis haben.
Liebe Frau Staatssekretärin, ich bitte darum, dass die
Ministerien auf der Arbeitsebene auftauchende Probleme
lösen und sich auftuende Hürden beseitigen - wir müssen
jetzt Wahlkampf machen -, sodass diese Arbeitsgruppe
möglichst bald starten kann und wir zu Beginn der nächsten Legislaturperiode dieses Vorhaben konkret angehen
können.
Herzlichen Dank.
({2})
Vielen Dank. - Damit hat der Kollege Lehrieder die
Aussprache beendet.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12780 mit dem
Titel „Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern“. Wer
stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist der Antrag einstimmig angenommen.
({0})
- Ich glaube, das ist ein guter Antrag.
Ich rufe dann die Tagesordnungspunkte 23 a und b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur ({1}) zu der Unterrich-
tung durch die Bundesregierung
Gesamtkonzept Elbe
Strategisches Konzept für die Entwicklung
der deutschen Binnenelbe und ihrer Auen
Drucksachen 18/11830, 18/12181 Nr. 1.3,
18/12844
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffi
Lemke, Stephan Kühn ({2}), Dr. Valerie
Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ein ökologisches Gesamtkonzept Elbe auf den
Weg bringen - Sohlerosion stoppen
Drucksache 18/12787
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundesregierung hat der Parlamentarische Staatssekretär Enak
Ferlemann. - Bitte schön, Herr Ferlemann.
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Auch wenn die Uhrzeit schon vorgerückt ist,
so ist es dennoch ein sehr wichtiges Thema, das wir heute
Abend noch behandeln, die Frage des Gesamtkonzeptes
Elbe. Dazu muss man wissen, dass es über Jahre schwere Konflikte um die Fragen gab: Soll man die Elbe besser schiffbar machen, wie kann man die Mittel- und die
Ober elbe ökologisch stärken, wie funktioniert das?
Ökologie und Ökonomie sind die zwei Seiten derselben Medaille. Viele sagen das so.
({0})
- Danke für Ihren Applaus, Frau Kollegin.
({1})
- Also für das Protokoll: Kollegin Lemke hat applaudiert. - Vielen Dank dafür.
Häufig wird das so im Munde von Politikern und Verantwortlichen geführt, aber wenn es um das konkrete
Umsetzen, Handeln geht, sieht es häufig schwieriger aus.
Diese schwierige Aufgabe für eine Wasserstraßen- und
Schifffahrtsverwaltung, die ja nur für die Ertüchtigung,
die Sicherheit und Leichtigkeit eines Schiffsweges, eines
Flusses zuständig ist, dann auch Ökologie zu betreiben,
ist eigentlich so vom Gesetz gar nicht vorgesehen. Auf
der anderen Seite haben wir an der Elbe eine ökologische
Situation, die danach ruft, dass sie verbessert wird. Stichwort „Sohlerosion“.
Die Problematik, dass eine Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung eigentlich diese ökologisch sinnvolle
Maßnahme gar nicht durchführen kann und durchführen
darf, weil sie ja der Ökologie dient, musste überwunden
werden.
Daneben gab es schwere Konflikte vor allem mit der
evangelischen Kirche, die sich sehr um diese Region bemüht, um diesen Fluss bemüht. Das können wir ja auch
absolut begrüßen. Deswegen galt es, alle Beteiligten
zusammenzuführen zu einem Prozess nach dem Motto:
Lasst uns das gemeinsam angucken, dieses unglaublich
schöne Flussareal, dieses Ästuar, um Ökologie und Ökonomie zusammenzubringen, auf der einen Seite den Fluss
schiffbarer zu machen, vor allem auch unser Versprechen
gegenüber den Tschechen einzuhalten, deren Zugang zur
Nordsee dieser Fluss ist, und auf der anderen Seite den
ökologischen Notwendigkeiten Rechnung zu tragen.
Wir haben das in der vergangenen Legislaturperiode vorbereitet, und es hat dazu ziemlich zum Ende der
Legislatur einen Entschließungsantrag gegeben, der uns
diese Aufträge erteilt hat. Wir haben diese vier Jahre
effektiv genutzt mit zahllosen Gesprächen und Besprechungen. Das Ergebnis liegt vor.
Wir haben es geschafft, ein Gesamtkonzept Elbe zu
stricken, mit dem sowohl die Schiffbarkeit der Elbe verbessert wird, die Versprechen den Tschechen gegenüber
eingehalten werden können, aber auch den ökologischen
Notwendigkeiten Rechnung getragen wird, eben Ökologie und Ökonomie im besten Sinne zusammenzubringen.
Das war ein riesiger Prozess, der auch Vertrauen bedurfte, vertrauensbildender Maßnahmen. Unzählige
Gespräche, Kongresse, Besprechungen haben stattgefunden. Aber das Ergebnis kann sich sehen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es ist ein gutes Ergebnis,
weil es diesen Bedenken auf der einen Seite und den Belangen auf der anderen Seite Rechnung getragen hat und
zu einem Ausgleich geführt hat.
Ich bin allen, die daran beteiligt waren, sehr dankbar.
Ich möchte mich insbesondere bei meinem Kollegen
Ulrich Petzold bedanken. Ulrich Petzold war einer, der
immer dann, wenn man mal den Mut verloren hatte und
sich gefragt hatte: „Klappt das noch?“, gesagt hat: Wenn
es einer schafft, dann du; mach so weiter.
({2})
Ich bin dir sehr dankbar, dass ich immer wieder Rückendeckung erhalten habe. Daneben darf ich auch den Kollegen Herzog erwähnen, der eigentlich ein Lobbyist der
Binnenschifffahrt vom Feinsten ist - das ist der ökologische Verkehrsträger überhaupt -, der aber gesagt hat:
Seht zu, dass ihr die Binnenschifffahrt stärkt, aber gleichzeitig auch die Ökologie nicht aus dem Auge lasst! - So
haben wir das hinbekommen.
Wir haben jetzt ein Gesamtkonzept, das beinhaltet,
was wir machen sollen, wie es gehen soll. Nun kommt
die Umsetzungsphase. Auch das wird nicht einfach. Wir
beginnen mit dem, was, glaube ich, am meisten Vertrauen schafft. Wir stoppen die Sohlerosion. Wir beginnen
mit einer ökologischen Maßnahme, realisieren aber auch
viele andere Punkte, die die Schifffahrt verbessern: die
Streichlinie stärker machen, alte Buhnen wieder nutzen.
Das, glaube ich, ist uns gut gelungen. So müssen wir
weitermachen. Wie wir es hinbekommen haben, an einem großen Fluss Ökologie und Ökonomie zusammenzubringen, ist ein Beispiel dafür, wie wir es auch an vielen anderen Gewässern in der Zukunft machen müssen:
den Ausgleich finden, das Gemeinsame finden, um dann
zur Lösung beizutragen.
Wir haben einen spannenden, interessanten Prozess
vor uns. Wir haben festgelegt, wie wir weiter miteinander umgehen wollen. Ich kann nur alle Beteiligten bitten:
Lassen Sie uns gemeinsam so weitermachen! Heute hat
ein Umweltverband wieder ein bisschen Kritik geübt.
Aber vielleicht hat man auch das Konzept nicht ganz
gelesen. Wenn man es getan hätte, hätte man gewusst,
welche Vorschläge wir gemacht haben, um das zu einem
guten Ergebnis zu führen.
In diesem Sinne herzlichen Dank, liebe Kolleginnen
und Kollegen, dass das möglich war! Ich danke sehr für
den Entschließungsantrag, den die Koalitionsfraktionen
im Ausschuss eingebracht haben und der uns in die Lage
versetzen wird, die Maßnahmen, die wir vorgesehen haben, auch umzusetzen. Alles Gute für die Mittel- und die
Oberelbe!
Ihnen einen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt Herbert Behrens,
Fraktion Die Linke. Bitte schön.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Wasserqualität der Elbe ist nicht gut, und auch der
Binnenschifffahrt auf der Elbe geht es nicht gut. Darum
war es ein Fortschritt, als es vor einigen Jahren den Antritt gegeben hat, Ökonomie und Ökologie an dieser Stelle zusammenzubringen, um den Stillstand zu überwinden. Das Verfahren begrüßen wir außerordentlich, und
darum ist es gut, dass es das Gesamtkonzept Elbe gibt
und wir es heute Abend diskutieren können.
({0})
Ich möchte betonen: Wir reden hier über ein Zwischenergebnis. Es ist kein abgeschlossenes Konzept im
eigentlichen Sinne. Das geht auch aus dem Text des Konzepts selber hervor. Es ist die Rede davon, dass noch viele offene Fragen zu diskutieren sind. Von daher können
wir nicht abschließend sagen: Das ist es jetzt, und darauf
bauen die nächsten Maßnahmen auf. - Wir werden weiter
in dem Aushandlungsprozess bleiben. So steht es richtigerweise auch im Konzept auf der Seite 12:
Dabei
- in dem Aushandlungsprozess wurde auch deutlich, dass nicht alle Fragestellungen
im Gesamtkonzept abschließend behandelt werden
können.
Darauf bestehen wir, wenn es dabei bleiben soll, dass wir
der Beschlussempfehlung zustimmen.
Wir haben darüber im Ausschuss diskutiert, am Mittwoch zum ersten Mal, sodass wir eigentlich nicht alle
grundsätzlichen Positionen erörtern konnten. Wir haben
in dieser Debatte aber klargemacht: Wir brauchen einen
stabilen Grundkonsens. Dieser Grundkonsens darf nicht
durch eine Partei oder eine Gruppe der Beteiligten aufgelöst werden. - Darum hat es lange gedauert. Bis heute
sind es vier Jahre gewesen, die gebraucht worden sind,
um das Konzept vorzulegen.
Wenn ich jetzt den Entschließungsantrag der Großen
Koalition sowie die Kritik der Umweltverbände, aber
auch der Kirchen und der Bürgerinitiative „Pro Elbe“
sehe, dann habe ich etwas Zweifel, ob dieser Grundkonsens nicht doch zumindest angekratzt wird.
({1})
Ich habe intensiv mit den Kolleginnen und Kollegen
gesprochen, und sie haben darauf hingewiesen, dass es
nicht ganz so ist, wie es in diesem Entschließungsantrag
steht. Darin heißt es nämlich, dass es eine Zustimmung
der Umweltverbände gibt, dass es Konsens gibt, wo es
um die Zusage an die Tschechische Republik geht, dass
man sozusagen den ungehinderten Zugang von Tschechien zur Nordsee realisieren will. Ich habe die Information
bekommen, dass dem nicht so ist.
({2})
Ich bitte die folgenden Redner der Großen Koalition,
auf diese Fragen einzugehen: Hat es diese Zustimmung
der Umweltverbände gegeben? Wir reden hier nicht nur
über singuläre Meinungen, sondern über einen wesentlichen Teil der Beteiligten, die sich dort zusammengefunParl. Staatssekretär Enak Ferlemann
den haben. Von daher wäre es sicherlich nicht gut, wenn
wir ein tragfähiges Konzept aufbauen und dann feststellen müssen, dass dieser Konsens zumindest brüchig wird.
Ich erwarte von der Bundesregierung eine Antwort
auf die Frage, ob diese Gespräche stattgefunden haben
oder nicht. Ich erwarte auch, dass die Frage beantwortet
wird: Hat man gegenüber Tschechien in der Vorbereitung
bereits eine Zusage gemacht, dass es diesen ungehinderten Zugang geben muss? Wenn diese Fragen nicht beantwortet werden, müssen wir uns vorbehalten, dass wir zu
einem anderen Abstimmungsverhalten kommen, als dies
bei der Beschlussempfehlung im Ausschuss der Fall war.
({3})
Herr Kollege Behrens, darf ich Sie einmal kurz unterbrechen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Petzold?
Ja, gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege Behrens, ich habe heute eine E-Mail
des Leiters des Biosphärenreservats Mittelelbe bekommen, in der er mir ganz herzlich zu genau diesem Antrag
gratuliert hat, den Sie so bezweifeln. Er hat „Juchhu!“
geschrien, als ich ihm über diesen Antrag berichtet habe.
Könnten Sie akzeptieren, dass er als Leiter des Biosphärenreservats wirklich glücklich ist mit einem solchen Antrag?
({0})
Danke für die Frage. - Ich will das gerne in den Kontrast setzen zu der Diskussion, die ich heute Nachmittag
mit den Umweltverbänden hatte. Ja, auch die Umweltverbände stehen zu diesem Gesamtkonzept, weil sie der
Meinung sind, dass alles, was an wichtigen Fragen zu lösen ist, dort niedergelegt ist. Sie warnen aber davor, heute schon aus den Fragen die Antworten abzuleiten, ohne
dass eine Kommunikation darüber stattgefunden hat. Ich
appelliere sehr, dass dieser konsensuale Ansatz, den das
Verfahren insgesamt hat, auch bis zum Ende trägt. Von
daher ist jede positive Stellungnahme sicherlich gern
gesehen. Aber auch die Kritik daran muss genauso ernst
genommen werden wie die Unterstützung, die wir in unserer Arbeit haben.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gesamtkonzept
Elbe ist nötig, um den Stillstand zu überwinden, und es
ist ausdrücklich erforderlich, dass wir dahin kommen,
dass hier Ökologie und Ökonomie zum Ausgleich gebracht werden. Insofern bitte ich Sie sehr darum, dass
Sie sich in Ihren Ausführungen noch einmal mit dieser
Frage auseinandersetzen, damit wir hier einvernehmlich
zu einem guten Ende kommen und in der Lage sind, bei
den kommenden Verhandlungen, die zur Ausgestaltung
und zur Umsetzung des Konzepts gehören, diese Einmütigkeit auch zu erhalten bzw. wiederherzustellen, wo sie
zurzeit aufgelöst scheint.
({1})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion erhält jetzt
Dagmar Ziegler das Wort. Bitte schön.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Elbe ist Teil einer gewachsenen Kulturlandschaft. Seit über 200 Jahren sind Maßnahmen unternommen worden, die Schifffahrtsbedingungen auf dem
Fluss zu verbessern und Gefahren zu beseitigen. Der
Zweite Weltkrieg und die deutsche Teilung führten dazu,
dass notwendige Unterhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen nicht oder nur teilweise umgesetzt werden
konnten oder sollten. Spätestens seit dem Versailler Vertrag, lieber Herr Kollege Behrens, ist über die Elbe für
Tschechien der Zugang zu den Weltmeeren garantiert.
Damals ist unseren Nachbarn eine Schiffbarkeit des Flusses zugesagt worden. Die Erarbeitung des Gesamtkonzepts Elbe hat den Anspruch, die jahrzehntelange Stagnation zu beenden. An dem Prozess waren Umwelt- und
Wirtschaftsverbände, die zuständigen Bundesministerien für Umwelt und Verkehr, die Anrainerbundesländer,
die evangelische Kirche und die Tschechische Republik
beteiligt. Gemeinsam mit den Kollegen von der Union,
lieber Kollege Jürgen Klimke, haben wir diese Entscheidung sehr intensiv begleitet und politisch flankiert. Wir
haben das Gespräch gesucht mit den Mitgliedern des Beratergremiums, aber auch mit den vielen Akteuren und
Verantwortlichen vor Ort. Lassen Sie mich zwei Beispiele herausgreifen, um zu verdeutlichen, was an der Elbe
passieren muss.
Probleme für die Schiffbarkeit auf der Elbe gibt es an
circa 4 Prozent der Strecke in Deutschland. Prominentestes Beispiel ist die sogenannte Reststrecke zwischen
Dömitz und Hitzacker. Es geht dabei nicht um wildes
Ausbaggern. Vielmehr soll sich der Fluss mithilfe von
Strombauwerken selbst regulieren. Dass diese ökologisch verträglich gestaltet werden können und so auch
Lebensräume für Tiere und Pflanzen bieten, belegen Versuche der Wasser- und Schifffahrtsämter. Gleichzeitig
müssen Maßnahmen erforscht und umgesetzt werden, die
zu einem Stopp der Sohlenerosion führen. Nur so können
ein Absinken des Grundwasserspiegels im Einzugsgebiet
und damit das Trockenfallen der wertvollen Auenwälder sowie Probleme für die Landwirtschaft und für das
Weltkulturerbe des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches verhindert werden. Von den angenommenen 300 Millionen
Euro, deren es zur Umsetzung des Gesamtkonzepts Elbe
bedarf, sind nur rund 60 Millionen Euro für die Verbesserung der Schifffahrtsbedingungen vorgesehen. Die übrigen 240 Millionen Euro werden genutzt, um Umweltschutzmaßnahmen umzusetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache aber auch
eines deutlich: Das eine wollen wir nicht ohne das andere. Der Antrag der Grünen spricht leider eine andere
Sprache. Ich habe mich über den Beifall zu den Ausführungen des Staatssekretärs sehr gefreut, aber er widerspricht diametral Ihrem Antrag; denn Sie wollen das Moratorium aufrechterhalten, Sie wollen alles verhindern,
was der Schiffbarkeit dienen kann. Sie sprechen alles ab,
was zur wirtschaftlichen Nutzung der Elbe dient. Das ist
mit uns auf keinen Fall zu machen. Der Haushaltsgesetzgeber wird eine andere Sprache sprechen müssen; denn
wenn dieser Konsens aufgelöst ist, dann sicherlich nicht
von unserer Seite. Wir wollen beides, so wie Sie es auch
dargestellt haben.
Es gehört aber noch viel mehr dazu. Die Digitalisierung nimmt auch dort ihren Lauf. Die Länder Hamburg,
Brandenburg und Sachsen-Anhalt haben eine Vereinbarung abgeschlossen, dass Schiffsbegegnungen auch
intelligent organisiert werden können, indem man sich
die Schiffe nicht auf der gesamten Breite begegnen lässt.
Dazu gehört eine andere Ausbildung der Binnenschiffer
genauso wie neue Schiffe mit weniger Tiefgang. Das alles wissen wir. Das alles sind Aufgaben, die noch zu erledigen sind, die wir auch so schnell wie möglich angehen
müssen. Ich bitte, das zu berücksichtigen und nicht den
Konsens, den wir in grundsätzlicher Art und Weise erreicht haben, aufzugeben.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank. - Steffi Lemke spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte als Erstes feststellen, dass diese Debatte vor
dem Hintergrund stattfindet, dass die Elbepolitik der letzten Jahrzehnte gescheitert ist. Es ist ein Scherbenhaufen,
was an der Elbe gegenwärtig stattfindet und was man
dort sieht. Wir haben einen Fluss, der sich eingetieft hat:
2 Zentimeter pro Jahr seit circa 100 Jahren. In einzelnen
Flussgebietsabschnitten in der Region bei Dessau, in der
ich lebe, genauer bei Barby, sind es fast 2 Meter in den
letzten Jahrzehnten. Können Sie sich vorstellen, wie ein
Fluss aussieht, der sich 2 Meter eingetieft hat?
Die Elbe hat ein Sandbett. Das ist in den letzten Jahren
der Flusspolitik in keiner Weise berücksichtigt worden.
Man hat gebaut und gebaut mit der Folge, dass sich der
Fluss immer weiter eingetieft hat und dort noch weniger Schiffe fahren können als früher. Im Moment haben
wir einen Pegelstand von 70 Zentimetern. Ich weiß nicht,
welche Schiffe Sie noch fahren lassen wollen. Seit dem
Jahr 2015 hatten wir mehrere Monate, in denen gar keine
Schiffe fahren konnten. Der Fluss hat das Wasser für die
Ausbaupläne, die die Regierungen der letzten Jahrzehnte
verfolgt haben, einfach nicht. Das ist das Problem, das
wir an der Elbe haben.
({0})
Deshalb haben wir Grüne den Prozess um das Gesamtkonzept Elbe begrüßt, weil er versucht hat - Herr
Ferlemann hat es dargestellt -, diese Konflikte aufzulösen. Deshalb habe ich geklatscht, als Sie sagten: Wir
wollen Ökologie und Ökonomie in Übereinstimmung
bringen. Denn die Tonnagen, die auf der Elbe transportiert werden, rechtfertigen überhaupt gar keinen Ausbau.
Die Tonnagen, die dort transportiert werden, gehen gegen null. Wir reden prioritär über Kreuzfahrtschiffe, die
für den Tourismus eine wichtige Quelle darstellen, und
die wir durchaus unterstützen wollen. Aber bei 70 Zentimetern ist für manche von ihnen bereits Schluss. Ich habe
geklatscht, Herr Ferlemann, bei der Passage „Ökologie
und Ökonomie in Übereinstimmung bringen“. Sie stehen
jetzt vor der Aufgabe, Ihre Worte und Taten in Übereinstimmung zu bringen.
({1})
- Ja, natürlich. Ich habe damit aber kein Problem, weil
ich in den letzten Jahrzehnten nicht gefordert habe, einen
solchen Fluss auszubauen, obwohl es dort überhaupt keinen Gütertransport gab.
({2})
- Sie reden doch auch gleich, Herr Herzog. Dann schauen Sie doch einmal in Ihren Antrag.
Das ist das Problem an der Diskussion, die wir gegenwärtig führen. Das Gesamtkonzept Elbe ist eine gute
Grundlage, um jetzt voranzukommen. Aber in dem Gesamtkonzept Elbe wird nicht die entscheidende Frage beantwortet, wie die Sohlerosion zu stoppen ist.
({3})
Das positive Ergebnis dieses Prozesses ist, dass endlich
nach Jahrzehnten anerkannt wird, dass die Sohlerosion
für die Ökologie und für die Schifffahrt ein Riesenproblem darstellt und das Ökosystem Fluss zum Kippen
bringen könnte, wenn wir nichts dagegen unternehmen.
Es ist positiv, dass sich diese Erkenntnis jetzt endlich
durchsetzt. Aber es gibt im Gesamtkonzept Elbe keine
Antwort darauf, wie das erreicht werden soll. Es findet
sich keine Ziel-Jahresgröße. Was Sie aber andererseits
als Zielgröße hineingeschrieben haben, ist das Ausbauziel einer Mindestfahrrinnentiefe von 1,40 Meter für die
Schifffahrt. Daran halten Sie fest. Sie geben dankenswerterweise zu, dass dies fast der alten Forderung nach einer
Tiefe von 1,60 Meter entspricht, weil nun die Parameter
ein wenig verändert wurden. Das ist das Problem, und
deshalb stellt sich nun sehr wohl die Frage: Ist das mit
dem Gesamtkonzept ernst gemeint? Geht es jetzt wirklich darum, die Ökologie an diesem Fluss stärker zu berücksichtigen?
Jetzt haben die Koalitionsfraktionen einen Antrag vorgelegt, in dem sie - erstens - den Ausbau der Reststrecke
Dömitz fordern, und zwar prioritär. Deshalb stimmt es
nicht, was Sie eben dazwischengerufen haben, nämlich,
dass Sie keinen Ausbau wollen. Sie wollen die Reststrecke Dömitz ausbauen. Sie brauchen dafür ein Planfeststellungsverfahren - das ist Ausbau.
({4})
Dies jetzt prioritär zu fordern, wiederspricht der Idee des
Gesamtkonzeptes Elbe, weil Sie gar nicht beantworten
können, wie dort Ökologie und Ökonomie in Übereinstimmung zu bringen sind.
({5})
Darauf kann Ihnen bisher keiner eine Antwort geben.
({6})
Sie haben Ihre Redezeit schon überschritten, Frau
Lemke, und deswegen gibt es keine Zwischenfrage mehr.
Ich würde Sie bitten, zum Schluss zu kommen.
Schade. Da Sie keine Zwischenfrage mehr zulassen,
will ich mit einigen Sätzen abschließen.
Der zweite sehr kritische Punkt, den Sie in Ihren Antrag eingebaut haben, ist der geforderte Staatsvertrag mit
Tschechien. Man muss dazu wissen, dass Tschechien
Staustufen bauen will. In einer solchen Situation einen
Staatsvertrag schließen zu wollen, ohne inhaltliche Parameter anzugeben, widerspricht dem Gedanken des Gesamtkonzeptes ebenso. Deshalb möchte ich an Sie appellieren: Reißen Sie mit diesem Antrag nicht ein,
({0})
was besonders die Mitarbeiter Ihres Hauses, Herr
Ferlemann - auch von dieser Stelle herzlichen Dank an
Herrn Klingen -, in jahrelanger mühevoller Arbeit aufgebaut haben. Halten Sie daran fest. Bleiben Sie im Geiste
der Forderungen des Gesamtkonzeptes. Der Antrag der
Koalitionsfraktionen tut das nicht.
Danke schön.
({1})
Das war jetzt ein langer Schluss. - Noch einmal zur
Information: Zwischenfragen oder -bemerkungen sind
nur innerhalb der Redezeit möglich. Nach Ablauf der Redezeit gibt es keine Zwischenfragen mehr.
({0})
- Sie hat die Redezeit überschritten; aber ich wusste ja,
dass sie zu Ende war, Herr Herzog. Außerdem haben Sie
nachher das Wort.
({1})
Dann hat jetzt der Kollege Jürgen Klimke für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({2})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Lemke, Sie
reden über Probleme; wir machen ein Gesamtkonzept,
aus dem hervorgeht, wie wir die Probleme lösen können.
Ich bin richtig stolz darauf, dass wir heute darüber debattieren können. Ich mache das mit großer Freude und
Erleichterung darüber, dass wir ein Gesamtkonzept Elbe
mit Ergänzungen aus unserem Antrag vorlegen können.
Die Verständigung zwischen Bund und Ländern unter
Einbeziehung der maßgeblichen Wirtschafts- und Umweltverbände war keine Selbstverständlichkeit, sondern
harte Arbeit. Aber es ist in diesem Zusammenhang ein
gutes Ergebnis herausgekommen.
Als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Elbe der
CDU/CSU-Fraktion begleite ich die Diskussion über die
Zukunft der Elbe seit mehr als zehn Jahren. Bereits in
der letzten Legislaturperiode hatten wir dazu einen sehr
umfangreichen Antrag eingereicht. Heute liegt nun das
Ergebnis des Gesamtprozesses vor. Daraus können wir
dreierlei Sachen lernen:
Erstens. Prozesse unter Einbeziehung der maßgeblichen Beteiligten, die zudem ergebnisoffen sind, erfordern
Zeit und Kompromissfähigkeit der handelnden Akteure.
Zweitens. Ein Kompromiss, der von allen Beteiligten
mitgetragen werden kann, ist machbar. Dabei können
selbst scheinbar gegensätzlich orientierte Interessensgruppen wie Wirtschafts- und Umweltverbände gemeinsame Lösungen entwickeln.
Drittens. Das Besondere an diesem Prozess ist das
Entstehen einer Vertrauensbasis, die die eigentliche
Grundlage der Lösungsversuche und der Lösungsansätze
ist.
Dieser Erfolg, meine Damen und Herren, ist vor allem
auch den am runden Tisch beteiligten Personen zuzuschreiben. Ich darf dem Kollegen Ferlemann in diesem
Zusammenhang herzlich für die Zusammenarbeit danken, der Kollegin Ziegler dafür, dass wir im Koalitionsrahmen intensiv die Umwelt- und Wirtschaftsverbände
haben hören können und damit zu diesem Ergebnis kommen konnten. Einige Personen darf ich auch namentlich
nennen. Das sind die Abteilungsleiter aus dem Umweltund dem Verkehrsministerium Dr. Helge Wendenburg
und Reinhard Klingen sowie Jochen Kies, der als Fachmann für belastbare Informationen galt und dies auch
unter Beweis stellte. Ich freue mich, auch einen HamSteffi Lemke
burger Kollegen nennen zu dürfen, Henning Finck von
der Handelskammer Hamburg, der sich intensiv ins Zeug
gelegt hat, einen Kompromiss zwischen Wirtschafts- und
Umweltverbänden herbeizuführen.
Noch einige Bemerkungen zu unserem Entschließungsantrag.
Erstens. Wir fordern: Das Gesamtkonzept soll durch
Maßnahmen unterlegt werden, die möglichst rasch umzusetzen sind, Planfeststellungsbeschlüsse sind einzuleiten, und Personal- und Sachmittel müssen über den Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt werden.
Zweitens. Das Gesamtkonzept ist ein Kompromiss
zwischen den vordringlich ökologischen und verkehrlichen Maßnahmen. Wir treten für eine Ausgeglichenheit
bei der Umsetzung ein. So erwarten wir, dass binnen
Jahresfrist eine Voruntersuchung für die Reststrecke
Dömitz-Hitzacker vorgelegt wird, in der die Möglichkeiten der Sanierung der Reststrecke aufgezeigt werden.
Gleichzeitig sollen Maßnahmen zum Stopp der Sohlenerosion eingeleitet werden - dies als kleine Antwort auf
Ihre Fragen.
Drittens. Das Gesamtkonzept soll in einem Anschlussprozess weitergeführt werden, in dem weitere Fragen der
Umsetzung sowie der innovativen Erosionsbekämpfung
debattiert werden.
Viertens. Die Elbe ist ein internationaler Fluss. Deshalb sind tragfähige Vereinbarungen mit der Tschechischen Republik zur Schiffbarkeit der Elbe zu treffen. Ein
Staatsvertrag, der auch andere Komponenten beinhaltet,
kann hier ein langfristiges Ziel sein.
Fünftens. Das Gesamtkonzept Elbe kann nicht nur
Vorbild für andere Flussläufe sein, es kann auch über die
Bereiche Wirtschaft und Ökologie hinaus greifen. Symbolisch dafür möchte ich den Elberadweg nennen - inzwischen einer der bekanntesten Radwege Europas -, der
die Regionen über die Ländergrenzen hinweg verbindet.
Hier wünschen wir uns Unterstützung beim Ausbau sowie beim länderübergreifenden Tourismus und der Vermarktung im Ausland.
Die Kritik einzelner Umweltverbände sowie der Grünen, der Entschließungsantrag würde dem Gesamtkonzept Elbe nicht gerecht werden, weise ich zurück. Die
kritische Haltung einiger Umweltverbände, die teilweise
auch im Widerspruch zu deren Zustimmung zum Gesamtkonzept steht, kann ich schon deshalb nicht akzeptieren, weil wir mit unserem Antrag sicherstellen, dass
für die Umsetzung der Gesamtkonzeption Elbe Mittel
im dreistelligen Millionenbereich zur Verfügung gestellt
werden. Das macht deutlich, dass wir schwerpunktmäßig
ökologische Maßnahmen umsetzen wollen.
Das ist das Gesamtkonzept. Lassen Sie uns gemeinsam an diesem Konzept arbeiten, damit wir es rasch umsetzen können.
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege
Gustav Herzog, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch wenn es 23.30 Uhr ist, bemühe ich Ihre Fantasie:
Wo würden Sie Ihre Liebsten zum Picknick einladen?
({0})
An den Bahndamm? Nein. An den Autobahnzubringer?
Nein. Wo gehen die Menschen hin? Ans Wasser. Wir finden sie an der Mosel in Traben-Trarbach, in Oppenheim
am Rhein
({1})
und vor allen Dingen an der Elbe. Dort kann man sehen: Die Menschen gehen gerne ans Wasser, an unsere
Bundeswasserstraßen, Herr Staatssekretär, und sie freuen
sich, Frau Lemke, wenn Schiffe auf dem Wasser fahren.
Das wollen sie sehen, und sie finden das nicht irgendwie
abwertend.
({2})
Das ist ein guter Zeitpunkt, um Sie zu fragen, Herr
Kollege Herzog: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Behrens?
Gerne.
Bitte schön.
({0})
Bevor das Thema durch ist, möchte ich an dieser Stelle eine Zwischenfrage stellen. Ich will Sie fragen, lieber
Kollege Herzog, ob es wirklich so ist, wie die Umweltverbände behaupten, nämlich dass sie nicht, so wie es
in dem Entschließungsantrag steht, dem Gesamtkonzept
Elbe zugestimmt haben?
({0})
Ich weise darauf hin, dass ich in der Diskussion im Ausschuss auf dieser Grundlage signalisiert habe: Die Linke
kann diesem Konzept zustimmen. Wenn ich an so einer
zentralen Stelle hinter die Fichte geführt werden, dann
werde ich dem nicht zustimmen können. Darum will ich
eine klare Ansage haben: Wann haben die fünf Verbände
diesem Konzept zugestimmt?
({1})
Herr Kollege Behrens, vielen Dank für diese Frage.
Sie gibt mir die Gelegenheit, etwas zu zitieren, ohne dass
meine Redezeit in Anspruch genommen wird, und zwar
aus einer Stellungnahme der Umweltverbände, nach denen Sie gefragt haben, vom 13. Januar 2017. Der erste
Satz lautet:
Mit der Erarbeitung eines Gesamtkonzeptes für die
Elbe … von Bund und Ländern wurde ein wichtiger Prozess in Gang gesetzt, der für alle Beteiligten
einen großen Erkenntnisgewinn gebracht hat. Die
Umweltorganisationen/BI PE
- Bürgerinitiative Pro Elbe begrüßen diesen Prozess der Erstellung eines Gesamtkonzeptes Elbe als eine wichtige Initiative, den
seit über 20 Jahren währenden Konflikt um die Interessen von Ökologie und Binnenschifffahrt aufzulösen.
({0})
- Sie begrüßen es; das ist das Entscheidende.
({1})
Dass, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich Fragen offen sind, hat hier niemand bestritten, sondern es ist
vielleicht auch die besondere Qualität dieses Prozesses,
dass die vorhandenen Konflikte sehr deutlich beschrieben werden. Dem geht niemand aus dem Weg. Die Wasserstraßen sind nun mal nicht nur der umwelt-, sondern
auch der menschenfreundlichste Verkehrsträger.
Herr Kollege Herzog, Sie regen die Abgeordneten so
an, dass Frau Ziegler jetzt gerne eine Zwischenfrage stellen möchte. Ich sage aber gleich dazu: Das ist die letzte,
die jetzt bei Herrn Herzog zugelassen wird. Dass sich
jetzt hier keiner mehr meldet!
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, regen Sie sich mal
nicht so auf. Ich wollte Herrn Behrens noch einen Gefallen tun, weil er noch einmal nachgefragt hat, ob die
Verbände und Initiativen hinter dem abgeschlossenen
Gesamtkonzept stehen. Lieber Herr Kollege, ich wollte
Ihnen nur sagen: Die Unterschriften aller Beteiligten unter dem Gesamtkonzept - ({0})
- Dann müssen Sie Ihre Kommunikationswege überprüfen. Es sind die Unterschriften drunter. Wenn sich andere
Beteiligte da nicht wiederfinden oder nichts davon wissen, dann ist das deren Problem, nicht unseres.
({1})
Ehe wir uns hier künstlich aufregen: In unserer Geschäftsordnung steht, dass der einzelne Abgeordnete
während einer Rede eines Abgeordneten hier vorne am
Rednerpult die Möglichkeit hat, wenn der Redner es zulässt, eine Zwischenfrage oder eine Zwischenbemerkung
zu machen.
({0})
- Das wird dort nicht ausgeführt. Die Geschäftsordnungslage ist aber so. Sie können sich ja nächste Woche
im Ältestenrat beschweren.
({1})
- Bitte schön.
({2})
Jetzt hat der Kollege Herzog das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kollegin
Lemke, wir sollten uns gemeinsam bemühen, nicht Gräben, die durch diesen Prozess zugeschüttet worden sind,
wieder auszuheben. Ich biete an: Wenn wir den Spaten in
die Hand nehmen, um Gräben auszuheben, dann, um die
Elbauen wieder an den Fluss anzuschließen. Das können
wir gerne gemeinsam machen.
({0})
Das ist ein ökologisches Projekt; da bin ich gerne an Ihrer
Seite.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein guter
Abend nicht nur für die Elbe, sondern für alle naturnahen Wasserstraßen, weil der Prozess insgesamt ebenso
wie die entsprechenden Vorschläge, die gemacht worden
sind, Modellcharakter hat.
Wegen der Zweifel, die immer noch vorhanden sind auch bei den Umweltverbänden, bei denen ich den Eindruck habe, dass da nach dem Motto agiert wird: „Wasch
mich, aber mach mich nicht nass!“ -, will ich aus unserer
Entschließung zitieren. Da haben wir sehr klar die Bundesregierung aufgefordert,
… bei der zeitlichen Abfolge der Umsetzung von
Maßnahmen auf eine Ausgeglichenheit von ökologischem und verkehrlichem Nutzen zu achten;
- auf eine ökologische und verkehrliche Ausgeglichenheit! binnen Jahresfrist eine Voruntersuchung für die
Reststrecke … vorzulegen …;
- zur Sanierung, Frau Kollegin Lemke, nicht zum Ausbau; das ist etwas anderes unverzüglich einen Untersuchungsauftrag zur Erarbeitung von Szenarien zum Stopp der Erosion an
unabhängige wissenschaftliche Einrichtungen zu
erteilen …
Ich glaube, es ist ganz im Sinne des Gesamtkonzeptes,
dass wir als Parlament der Regierung sagen, was wir von
den beiden Ministerien erwarten. Und diese haben da ja
ganz hervorragend zusammengearbeitet.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin,
gestatten Sie mir einen persönlichen Satz oder zwei an
die Kollegin Wilms, die heute Abend nicht da sein kann,
die aber ein sehr engagiertes Mitglied der Parlamentarischen Gruppe Binnenschifffahrt war.
({2})
Mit ihr habe ich mich immer gerne und gut gestritten.
Wenn wir uns einig waren, dann waren wir unwiderstehlich. Und eines kann man sagen: Mit Frau Kollegin
Wilms war es niemals langweilig.
({3})
Ich will ihr persönlich danken, weil sie mit ihrer persönlichen Erklärung zum Abstimmungsverhalten bei der
Entscheidung über die Bundesfernstraßengesellschaft,
die sie hier vorn vorgetragen hat, für mich als Parlamentarier etwas ganz Tolles gemacht. Sie hat deutlich
gemacht: Wir sind hier keine Versammlung von Abnickern oder von Helden, sondern wir sind Vertreter des
deutschen Volkes, die sich informieren, die abwägen und
entscheiden. Ich glaube, das ist unsere Aufgabe, der wir
hier auch sehr gut nachkommen.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 23 a zur
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur auf
Drucksache 18/12844 zu der Unterrichtung durch die
Bundesregierung auf Drucksache 18/11830 über das
Gesamtkonzept Elbe/Strategisches Konzept für die Entwicklung der deutschen Binnenelbe und ihrer Auen. Der
Ausschuss empfiehlt in Kenntnis der Unterrichtung,
eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der
Opposition angenommen.
Tagesordnungspunkt 23 b. Abstimmung über den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12787 mit dem Titel „Ein ökologisches Gesamtkonzept Elbe auf den Weg bringen - Sohlerosion
stoppen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten
Drucksachen 18/11240, 18/11617, 18/11822
Nr. 5
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({0})
Drucksache 18/12842
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlos-
sen.1)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/12842, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksa-
chen 18/11240 und 18/11617 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis
angenommen.
1) Anlage 10
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Berufszulassungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler
und Verwalter von Wohnungseigentum
Drucksache 18/10190
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({1})
Drucksache 18/12831
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und
Energie ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn ({3}), Renate
Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wohneigentumsrecht umfassend reformieren
und modernisieren
Drucksachen 18/8084, 18/12831
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dagegen
Widerspruch? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Marcus Held, SPD-Fraktion.
({4})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Heute behandeln wir zu später Stunde abschließend in zweiter und dritter Lesung den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Berufszulassungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und
Verwalter von Wohnungseigentum. Man möchte sagen:
„Endlich beraten wir diesen Gesetzentwurf abschließend“; denn schon am 15. Juli letzten Jahres wurde der
Referentenentwurf dazu vorgelegt, und seit dem 10. November 2016 haben wir hierzu zahlreiche Beratungen im
Ausschuss und mit unserem Koalitionspartner durchgeführt. Das waren leider nicht immer leichte Gespräche.
Dennoch möchte ich mich natürlich für die guten Diskussionen bedanken und auch für das Ergebnis. Dass wir
dieses Gesetz auf den Weg bringen wollten, hatten wir
ja bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Insofern
bin ich froh, dass wir wenigstens einen kleinen Teil aus
dem entsprechenden Absatz unseres Vertrages nun endlich umsetzen können. Ich persönlich nenne das einen
Einstieg in mehr Qualität und einen Einstieg in mehr
Verbraucherschutz.
Uns als SPD ist es vor allem um die Verbesserung
der Situation von Hunderttausenden Eigentümergemeinschaften in Deutschland gegangen. 9 Millionen Eigentumswohnungen existieren in Deutschland, Tendenz
steigend - zum Glück. Unser Ziel war und ist, dass die
Verwaltung von Eigentumswohnungen nicht mehr von
jedermann durchgeführt werden kann. Deshalb haben
wir von Anfang an gefordert, einen Sachkundenachweis
einzuführen, verbunden mit einer Weiterbildungspflicht
für Verwalter und Mitarbeiter, die aktive Verwaltertätigkeiten im Unternehmen ausüben. Leider konnten wir
als SPD in der Koalition nur die Pflicht zu regelmäßigen
Fortbildungen durchsetzen. Am Ende der Verhandlungen
kamen 20 Stunden innerhalb von drei Jahren heraus.
Den Sachkundenachweis fordern wir nach wie vor,
dann eben in der nächsten Legislaturperiode; denn unqualifiziertes Handeln bei der Immobilienverwaltung
kann zu erheblichen Schäden führen. Für Eigentümer
einzelner Wohnungen ist es häufig nur sehr schwer zu
überblicken, ob der jeweilige Verwalter über ausreichende Qualifikationen verfügt, um die Verwaltung durchführen zu können. Wohneigentum - das sagte ich schon in
meiner ersten Rede zu diesem Gesetzentwurf - wird für
viele ältere Menschen hier in Deutschland früher oder
später zur Altersvorsorge und damit immer wichtiger.
Deswegen ist die Einführung von Qualitätsmerkmalen
bei Verwaltern aus unserer Sicht von enormer Wichtigkeit.
Auch die öffentliche Anhörung, die wir im Ausschuss
durchgeführt haben, zeigte konkret auf, dass wir auf diesem Gebiet als Gesetzgeber in Zukunft einiges regeln
sollten. Es herrschte eine ungewohnt große Einigkeit
zwischen den verschiedenen Verbänden. Alle wollten
klare Voraussetzungen und Regeln, nur der Normenkontrollrat hatte hierzu eine andere, für mich nach wie vor
nicht nachvollziehbare Meinung. Schade, dass die Union
nur dem Normenkontrollrat ein offenes Ohr geschenkt
hat und alle anderen Sachverständigenmeinungen ein
bisschen ausgeblendet hat. Ein Blick über den Tellerrand
wäre an dieser Stelle sicherlich wünschenswert gewesen.
({0})
Dass wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten
wollen, zeigt sich auch daran, dass wir eine sogenannte
Alte-Hasen-Regelung vorgeschlagen haben, die erfahrene Verwalter für längere Zeit von der Fortbildungsverpflichtung freigestellt hätte.
WEG und Mietverwaltungen übernehmen heute
schon eine wichtige treuhänderische Aufgabe, nämlich
die Verwaltung eines Vermögenswertes in Höhe von über
2 Billionen Euro in Deutschland. Wir haben laut Statistischem Bundesamt rund 261 000 Rechtsverfahren pro
Jahr. Diese Rechtsverfahren beschäftigen sich in erster
Linie mit Auseinandersetzungen, die vermieden werden
könnten, wenn die Hausverwaltungen qualitativ hochwertig arbeiten würden. Deshalb plädierte sogar die ein
oder andere Anwaltsvereinigung für eine Verschärfung
bei den Berufszulassungsregeln, die wir mit diesem ersten Schritt heute leider noch nicht auf den Weg haben
bringen können.
Als Koalition, meine Damen und Herren, haben wir
aber erreicht - dafür bedanke ich mich -, dass Verwalter von Wohneigentum und vermietetem Wohnraum,
also Wohnimmobilienverwalter und Immobilienmakler,
künftig eine Gewerbeerlaubnis vorlegen müssen und
Wohnimmobilienverwalter darüber hinaus auch eine
Berufshaftpflichtversicherung abschließen müssen. Dies
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
ist sicherlich ein erster Schritt hin zu mehr Verbraucherschutz und hin zu mehr Qualität.
Alles in allem bin ich zufrieden, dass dieses Gesetz
überhaupt noch in dieser Legislaturperiode zur Umsetzung kommt. Das Gesetz ist ein wichtiger Schritt hin zu
mehr Verbraucherschutz bei Wohnimmobilien. Das wird
bei der nächsten Evaluierung gewiss auch der Normenkontrollrat so sehen. Sicherlich muss in der nächsten
Wahlperiode an der einen oder anderen Stelle entsprechend nachjustiert werden, wenn es darum geht, für noch
mehr Qualität und noch mehr Verbraucherschutz zu sorgen. Dies wollen zumindest wir als SPD-Fraktion uns auf
die Fahne schreiben und nach dem 24. September dieses
Jahres angehen.
Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und
proste Ihnen mit einem Glas Wasser zu.
Danke schön.
({1})
Vielen Dank. - Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt
der Kollege Thomas Lutze.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle wissen, dass
der Bereich des Immobilienerwerbs und der Immobilienverwaltung ein wichtiges Thema ist, weil viele
Menschen davon betroffen sind. Es geht allein bei der
Fremdverwaltung von Wohneigentumsgemeinschaften
um einen Immobilienwert von 640 Milliarden Euro.
Daher ist diese Gesetzesinitiative der Bundesregierung
zur - ich zitiere - „Einführung einer Berufszulassungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter
von Wohneigentum“ richtig und notwendig. Denn gerade
Makler und Verwalter sind mit ständig wechselnden Anforderungen und Gesetzeslagen konfrontiert. Wir Linke
begrüßen den Ansatz, eine verbindliche Berufsqualifikation für Makler und Verwalter von Wohneigentum mit
gewerblichem Zweck einzuführen.
({0})
Es ist nicht alltäglich, dass sich Interessens- und Vertreterverbände von Mietern und Wohnungseigentümern
mit Maklerverbänden einig sind und gemeinsam eine
gesetzliche Regelung aufgrund der momentanen Situation einfordern; das ging ja aus der Anhörung hervor. Als
neue Voraussetzung soll es daher eine Erlaubnispflicht
für beide Berufe geben, für Makler darüber hinaus einen
Sachkundenachweis. Für Verwalter von Wohneigentum
soll es zusätzlich eine Versicherungspflicht geben, für
Makler allerdings nicht. Diese Berufshaftpflichtversicherung schützt im Endeffekt Mieterinnen und Mieter vor finanziellen Schäden bei Zahlungsunfähigkeit des Verwalters. Diese Maßnahmen sollen auch zur Verbesserung der
erbrachten Dienstleistungen und somit zu einer Stärkung
des Verbraucherschutzes führen. Ein Sachkundenachweis für Makler soll die Qualität der Arbeit sichern und
bremst die dann wahrscheinlich nur vereinzelt auftretenden schwarzen Schafe endlich aus.
Die Linke sieht in einigen Bereichen aber noch einen
deutlichen Veränderungsbedarf; da schließe ich mich den
Worten meines Kollegen Held von der SPD-Fraktion an.
Denn der Gesetzentwurf bleibt an mehreren Punkten weit
hinter seinen Möglichkeiten zurück:
Erstens. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Mitarbeiter von Wohneigentumsverwaltern keinen Sachkundenachweis vorlegen müssen, obwohl sie meist dieselben
Tätigkeiten ausüben. Bei den Finanzvermittlern ist so
etwas im Übrigen eingeführt worden.
Zweitens. Es ist nicht nachvollziehbar, warum der
obligatorische Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung nicht auch auf Makler ausgedehnt wird.
Drittens. Es ist nicht nachvollziehbar, wie eine Fortbildungspflicht von 20 Stunden in drei Jahren die Qualität der Dienstleistung von Wohneigentumsverwaltern
erhöhen soll. Das bedeutet einen Tag Fortbildung pro
Jahr, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist ein bisschen dünn.
({1})
Auch die Inhalte dieser Fortbildung sind vollkommen
unklar; sie sind nicht geregelt, und Immobilienmakler
sind von dieser Fortbildungspflicht übrigens ausgenommen. Das Qualifikationsniveau in der Verwaltungsbranche kann und wird sich so nicht verbessern, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Zugleich werden die Bürokratiekosten erhöht, wenn
allein aufgrund der Erlaubnis- und der Fortbildungspflicht ein Register aufgebaut und regelmäßig aktualisiert werden muss. Der Nutzen für Wohnungseigentümer
hingegen ist gering. Im Vergleich mit europäischen Standards werden die deutschen Regelungen in diesem Bereich daher auf den hinteren Plätzen bleiben.
Aufgrund dieser Sachlage werden wir der Gesetzesinitiative der Bundesregierung noch nicht zustimmen
können, obwohl einiges in die richtige Richtung führt.
Wir fordern daher eine Korrektur der aufgeführten Defizite spätestens zu Beginn der nächsten Wahlperiode.
Ansonsten können unter anderem Verbraucherschutz und
Bürokratieabbau nicht erreicht werden.
Herzlichen Dank, ein herzliches Glückauf und einen
schönen Feierabend nachher!
({2})
Vielen Dank. - Das mit dem Feierabend dauert noch
etwas. Es ist aber schon einmal gut, dass wir ihn gewünscht bekommen.
Jetzt hat Astrid Grotelüschen für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. Bitte schön.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Kollegen! Bei der Einführung einer Berufszulassungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter
haben wir von Anfang an recht unterschiedliche Diskussionen geführt. Ich denke, das liegt einfach daran, dass es
sich um eine sehr hoch diversifizierte Branche handelt,
die in den vergangenen Jahren ständig gewachsen ist und
der damit natürlich auch eine steigende Bedeutung beim
Verkauf und auch bei der Verwaltung von Immobilien
zukommt.
Es gibt bisher keine bzw. nur geringe Berufszulassungsregelungen, sodass der Ruf nach gesetzlichen Regelungen immer lauter wurde. In diesem Zusammenhang
kam natürlich die Diskussion auf, wie und in welchem
Umfang die Politik hier eingreifen soll. Da schieden sich
dann doch die Geister. Ich finde, das hat man bei der Anhörung sehr deutlich gesehen, und ich habe das auch in
Gesprächen im Wahlkreis feststellen können. In Zeiten
von Deregulierung im Europäischen Binnenmarkt - hinsichtlich der Freien Berufe begleite ich das Ganze ja als
Berichterstatterin - mutet die Forderung der Branche natürlich - so ging es mir jedenfalls - eher anachronistisch
an, weil gleichzeitig Wünsche nach praktikablen und
nicht zu bürokratischen Regelungen formuliert wurden.
Der Erstentwurf des Ministeriums war ohne nennenswerte Erweiterungen der Regelungen für Makler formuliert, Mietverwalter wurden gar nicht erwähnt, und ein
einmaliger Sachkundenachweis von 15 Stunden sollte
als Hürde für den zukünftigen Berufszugang aufgestellt
werden.
Ein zentraler Punkt, der uns in der politischen Diskussion von Anfang an geeint hat, war - das möchte ich
schon zusammenfassen -: Wenn wir ein Gesetz formulieren, dann soll es zu einer zusätzlichen Transparenz
führen, dem Schutz der Verbraucher dienen und vor allen
Dingen durch Einziehen einer Leitplanke zu einer qualitativen Differenzierung bei der Berufsausübung des Maklers und des Verwalters führen.
Diesem Vorhaben haben wir uns als CDU/CSU-Fraktion gestellt, und zwar auf dem Hintergrund - das ist
schon mehrfach angeklungen -, dass der Erwerb von
Wohnungseigentum und natürlich auch dessen Vermietung wichtige Formen der Vermögensbildung hier bei
uns in Deutschland sind. Dem Verbraucherschutz kommt
hier unter dem Aspekt der Altersvorsorge eine ganz besondere Bedeutung zu - natürlich auch aufgrund der
wachsenden Zahl an Fremdverwaltungen.
Ich denke, mit dem vorliegenden Entwurf erreichen
wir unser Gesamtziel, nämlich den Verbraucherschutz zu
stärken, Bürokratie zu vermeiden und die Gewerbefreiheit zu wahren. Wir reden von einer praktikablen Lösung.
({0})
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, mit
diesem Gesetzentwurf und auch mit den nachfolgenden
Verordnungen, die wir zur Präzisierung unseres Vorhabens notwendigerweise brauchen, führen wir aus meiner
Sicht vier wichtige Leitplanken ein, und zwar in großer
Übereinstimmung mit unserem Koalitionspartner. In diesem Zusammenhang danke ich Herrn Held für die - ich
bezeichne das jetzt einmal so - unkomplizierte Zusammenarbeit.
Die vier Leitplanken lauten, und zwar einheitlich für
Makler, für Verwalter und für Mietverwalter, Herr Lutze:
erstens Erlaubnispflicht nach § 34c der Gewerbeordnung,
zweitens als zentraler Punkt Vermittlung von Fachwissen,
das über die IHK oder ein zertifiziertes Institut erbracht
werden kann, drittens Informationspflicht und viertens
Verpflichtung zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung. Aus meiner Sicht ist das eine sehr sinnvolle
Kombination von Maßnahmen, die uns, gemeinsam mit
der Branche umgesetzt, unseren Zielen etwas näher bringen.
Mir ist besonders wichtig - deshalb gehe ich noch einmal auf den zweiten Punkt ein -, dass genau diese Vermittlung von Fachwissen in regelmäßigen Abständen und
kontrolliert stattfindet. Hier hat die Immobilienwirtschaft
zukünftig aus meiner Sicht die Verpflichtung und auch
die Möglichkeit, aktiv ein Lernmodul zu entwickeln,
das bei der ersten fälligen sogenannten Fortbildung dem
Sachkundenachweis entspricht und dann bei jeder jetzt
gesetzlich geforderten Wiederholung, spätestens also
nach drei Jahren, die Schwerpunkte auf die Weiterbildung fokussiert bzw. sich aktueller Fragestellungen annimmt. Das, meine Damen und Herren, ist doch allemal
mehr Wissensvermittlung und Verbraucherschutz als das,
was vorher vorgeschlagen war, nämlich der einmalig in
15 Stunden zu erwerbende Sachkundenachweis. Deshalb
finde ich die vereinzelt hochgezogene Diskussion wirklich unredlich, weil wir mit genau dieser Fortbildungspflicht viel mehr für den Verbraucher erreichen werden.
({1})
Praktisch ist aus meiner Sicht zudem, dass die Alte-Hasen-Regelung entfällt. Ich betone, dass die Fortbildung nachgewiesen werden muss. Es besteht zudem
eine Informationspflicht in Kombination mit der Fortbildungspflicht. Deshalb glaube ich, dass der Verbraucher
nach einem Blick auf das Zertifikat sicherlich besser informiert ist und weiß, wer ihm gegenübersitzt.
Ich denke, das ist ein starkes Signal, zumal eine Nichterfüllung dieser Pflicht eine Ordnungswidrigkeit darstellt, also auch zu ahnden ist.
Mein Ziel und das meiner Fraktion war neben dem
Aspekt der erweiterten Verbraucherinformation immer,
dass übermäßige Bürokratie und ausufernde Kosten vermieden werden. Wir sind davon überzeugt, dass wir mit
diesem Gesetz genau das erreichen. Deshalb werden wir
heute Abend oder heute Morgen - ist es schon so weit?
ich weiß es nicht ({2})
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
zustimmen und im weiteren Verlauf die Rechtsverordnung inhaltlich und konstruktiv begleiten.
({3})
Die Branche - das soll mein letzter Satz sein - steht
nun in der Pflicht und muss dieses Gesetz nutzen, um
sich ab dem kommenden Jahr über Verbraucheraufklärung, über eine gute Informationspolitik und definierte
Lerninhalte selbst zu regulieren. So kann sie sicherstellen, dass auch der Verbraucher von diesen Maßnahmen
profitieren wird. Ich denke, das wird der Fall sein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Vielen Dank. - Für Bündnis 90/Die Grünen spricht
jetzt Christian Kühn.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Nach so einer Rede denkt man: Jetzt ist alles super. - Aber es ist eben nicht alles super. Die Große
Koalition hat bei dem Thema Verbraucherschutz von Eigentümerinnen und Eigentümern wirklich relativ wenig
auf die Reihe gebracht. Das, was Sie heute Abend durch
das Parlament bringen wollen, ist, sage ich einmal, sehr
dürftig.
({0})
Ihnen ist dazu nicht richtig viel eingefallen. Ich finde,
gerade von der Union ist dieses zögerliche Handeln in
diesem ganzen Gesetzgebungsprozess sehr peinlich. Ich
als bau- und wohnungspolitischer Sprecher bekomme
von Ihnen auf jedem Podium das Hohelied zu hören, wie
wichtig Ihnen die Eigentümerinnen und Eigentümer in
Deutschland sind
({1})
und was sie für sie alles tun wollen. Wenn es dann aber
konkret darum geht, den Verbraucherschutz von Eigentümerinnen und Eigentümern voranzubringen, dann knicken Sie ein und machen einen Gesetzentwurf mit sehr
spärlichem Inhalt.
({2})
Ich habe ursprünglich einmal gedacht, dass wir hier
im Parlament, also alle vier Fraktionen gemeinsam, den
Sachkundenachweis für Verwalter und Makler voranbringen. Das wäre dringend notwendig gewesen. Aus
der Idee eines Sachkundenachweises ist nun eine Fortbildungspflicht geworden. Ich finde, das ist angesichts der
Tatsache, dass wir beim Verbraucherschutz von Eigentümerinnen und Eigentümern auf den Immobilienmärkten in Deutschland riesengroße Probleme haben, viel zu
wenig.
({3})
WEG-Verwalter in Deutschland verwalten ein Immobilienvermögen in Höhe von 640 Milliarden Euro. Dass
wir hier nicht einmal ein Mindestmaß an Qualifikation
hinbekommen, was es bei vielen anderen Berufsgruppen
gibt, ist, wie ich finde, ein Skandal. Da geht es um das
Altersvermögen von Menschen. Da geht es darum, dass
deren Vermögen treuhänderisch verwaltet wird, und zwar
auf einem hohen Niveau im Rahmen einer schwierigen
Gesetzgebungsmaterie. Mir ist nicht klar, warum sich die
Union hier so sperrt.
Es ist heute Abend schon zitiert worden, wie die Ergebnisse von Gerichtsverfahren zum WEG-Recht sind.
Ich meine, das WEG-Recht an sich müsste dringend
angepackt werden, damit wir hier endlich mehr Klarheit bekommen. Aber dass Sie bei dem ersten Schritt,
bei der WEG-Verwaltung anzusetzen, nicht vorankommen und dass Sie hier so wenig bringen, kann ich nicht
verstehen. Es gibt über 30 000 Gerichtsverfahren wegen
WEG-Streitfällen. Das ist ein deutlicher Anstieg, und das
zeigt ganz klar, dass hier deutlich mehr notwendig ist.
({4})
Wenn wir die Energiewende im Gebäudebereich schaffen wollen, dann schaffen wir das eben nicht nur durch
technische Regelungen und Förderprogramme, sondern
wir brauchen auch Menschen, die sie umsetzen. Wer sich
mit dem Thema „energetische Gebäudesanierung“ beschäftigt, weiß auch, dass ein Verwalter in einer WEG
dabei eine ganz zentrale Schlüsselrolle spielt. Dass wir es
nicht zum Bestandteil der Ausbildung machen, wie eine
Immobilie heute modernisiert wird, ist für mich völlig
schleierhaft. Hier wäre es dringend notwendig gewesen,
dass Sie vorankommen und einen Sachkundenachweis
auch für den Bereich Modernisierung einführen.
Ich halte das, was Sie heute Abend hier durchbringen,
ehrlich gesagt, ein Stück weit für einen verbraucherpolitischen Skandal.
({5})
- Doch. Denn Sie sind nicht bereit, den Weg für den
Sachkundenachweis frei zu machen und damit den Verbraucherschutz wirklich zu stärken.
Es geht, wie gesagt, um eine treuhänderische Verwaltung. Wir hätten bei dem Sachkundenachweis mitgemacht, auch wenn es nur der Spatz in der Hand gewesen
wäre. Am Ende haben Sie aber aus dem Spatz eine Mücke gemacht, und das ist angesichts der Probleme, die es
auf diesen Märkten gibt, viel zu wenig.
Denken Sie nur daran, wie die Anhörung gelaufen ist.
Da waren sich die Mieterverbände und die Eigentümerverbände einig. Die Makler selber und auch die Verbraucherschützer wollten es. Dass Sie als Union diese Allianz
nicht als Weckruf wahrnehmen, dass man hier wirklich
vorangehen muss, finde ich sehr, sehr schade, und wir bedauern es sehr, dass wir dem Gesetzentwurf heute nicht
zustimmen können. Denn was Sie machen, ist eher Verbrauchertäuschung als etwas, das uns beim Verbraucherschutz bei Eigentum wirklich voranbringt.
Danke schön.
({6})
Vielen Dank. - Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Barbara Lanzinger, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Im Koalitionsvertrag der 18. Legislaturperiode, die jetzt bald zu Ende geht, heißt es - ich zitiere aus
diesen Leitlinien, die die Regierungsfraktionen damals
vorgaben -:
Der Abbau von unnötiger Bürokratie stärkt die
Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen, insbesondere kleiner und mittlerer Unternehmen. … Wir
wollen Wirtschaft und Bürger weiter spürbar von
unnötiger Bürokratie entlasten. … Gesetze müssen
einfach, verständlich und zielgenau ausgestaltet
werden,
- sofern wir sie denn überhaupt brauchen damit Bürokratielasten vermieden und so gering
wie möglich gehalten werden.
Ich füge hinzu: Halte Maß und bedenke das Ende!
Genau das macht unsere Koalition aus, nämlich dass wir
überlegen, ob wir tatsächlich noch mehr Gesetze brauchen. Wir reden jeden Tag darüber, wie viele unnötige
Gesetze wir haben.
({0})
Die ganzen Diskussionen im Bundestag zeigen, dass
es oftmals um Gesetzesvorhaben geht, die unsere Bürger
belasten. Sie verwalten nur, und der Bürger hat gar nicht
mehr die Möglichkeit, selbst entscheiden zu können.
({1})
In diesem Fall wollen wir wieder ein Mehr an Gesetzen. Wir haben uns dann als Koalition mit dem Kollegen
Held von der SPD über diesen Gesetzentwurf verständigt,
({2})
und wir haben als Union den Entwurf ernsthaft geprüft.
Ich sage Ihnen ganz klar: Wir haben ernsthaft überlegt,
diesen Gesetzentwurf gar nicht durchgehen zu lassen.
({3})
- Ich bin immer ehrlich. So weit müssten Sie mich kennen.
Wir haben uns zusammengesetzt und uns gefragt: Was
schaffen wir? Was bekommen wir hin? - Dafür bedanke
ich mich. Das war nicht einfach. Das stimmt; das gebe
ich auch ganz ehrlich zu.
Das Ergebnis dieser langen und auch intensiven Verhandlungen ist jetzt ein ausgewogenes Gesetz. Das haben
Sie und auch Kollegin Grotelüschen richtig gesagt. Wir
haben Maß gehalten und das Ende bedacht.
Die Anhörung war aber nicht so eindeutig, wie Sie es
geschildert haben.
({4})
- Eher das Gegenteil. - Sie war schon zweigeteilt.
Wir sorgen für Verbraucherschutz. Wir schränken die
Gewerbefreiheit nicht unnötig ein. Ich wiederhole es
noch einmal: Die Verwalter brauchen künftig eine Gewerbeerlaubnis. Für Makler gibt es sie bereits; das wurde
schon gesagt. Die Erlaubnisvoraussetzungen sind Zuverlässigkeit und geordnete Vermögensverhältnisse. Die
Verwalter müssen die Berufshaftpflichtversicherung abschließen, damit auch gewährleistet ist, dass Verbraucher
im Schadensfall zu ihrem Geld kommen.
Wir führen die regelmäßige Fortbildungspflicht für
Verwalter und Makler ein. Wer den Nachweis nicht erbringt, kann mit einem Bußgeld belegt werden. Wer eine
solide Aus- und Weiterbildung hat, nämlich zum staatlich
anerkannten Immobilienkaufmann und Immobilienfachwirt, muss erst drei Jahre später mit der Fortbildung beginnen.
Ich halte das für richtig. Wichtig ist uns bei alldem:
Wir setzen auf den mündigen Verbraucher. Das heißt,
Wohnungseigentümer oder Maklerkunden sollten selbst
darauf achten, dass Verwalter oder Makler qualifiziert
sind. Schließlich geht es dabei um ihre Interessen. Aber
nur der, der ausreichend informiert ist, kann tatsächlich
richtig entscheiden. Deshalb setzen wir eine Verbraucherinformationspflicht ein.
({5})
Von vielen Vertretern wurde dieser Sachkundenachweis gefordert. Ein solcher Eingriff muss gerechtfertigt
sein.
({6})
- Da können Sie jetzt lachen.
({7})
Wir haben ganz klar gesagt: wenn Missstände benannt
werden. Diese wurden nicht benannt. Deshalb haben wir
auch darauf verzichtet und das so gelöst, wie wir es gelöst haben. Es hieß, es wäre eine Grundvoraussetzung,
um die Notwendigkeit der Regulierung zu erfüllen, um
auch verfassungsrechtlich die Rechtfertigung zu beurteilen, zumal die geplanten Regelungen insbesondere kleine
und mittelständische Immobilienverwaltungen und -makler belastet hätten. Dass es diese vielen Missstände gibt,
hat sich aus den Stellungnahmen der Experten nicht ergeben. Zumindest wurden uns keine Zahlen dazu genannt.
({8})
Christian Kühn ({9})
Es gab noch weitere Argumente gegen den Sachkundenachweis. Bei der vieldiskutierten Alte-Hasen-Regelung hätten Verwalter und Makler, die schon länger im
Markt sind und von denen behauptet wurde, wir hätten
im Zusammenhang mit ihnen Altlasten, keinen Nachweis
erbringen müssen. Damit hätte sich zwar der Erfüllungsaufwand der Wirtschaft reduziert, aber überzeugt hätte
mich diese Regelung nicht, und zwar deshalb: Wenn die
behaupteten Missstände vom Versagen unqualifizierter
Altverwalter herrühren, ist nicht einzusehen, warum gerade sie dann keinen Sachkundenachweis leisten sollen.
({10})
Es war auch aus diesem Grund sachgerecht, den Sachkundenachweis nicht einzuführen.
Ich denke, bei allen Diskussionen, die geführt wurden,
und bei allen Forderungen, die gestellt wurden, müssten
wir eigentlich insgesamt überlegen - das könnte dann der
neue Bundestag tun -, nicht über einen Sachkundenachweis zu reden, sondern gleich auf die Ausbildung zum
Immobilienkaufmann oder zur Immobilienkauffrau zu
verweisen. Dann können Sie nämlich die ganzen Punkte, die Sie fordern, zum Beispiel Energie, abdecken. Der
Sachkundenachweis, den Sie fordern, ist ein eierlegender Sachkundenachweis. Der bringt Ihnen gar nichts;
denn der einmalige Sachkundenachweis bedeutet keine
beständige Fortbildung. Wählen Sie lieber gleich einen
gescheiten Beruf, dann haben Sie das, was Sie eigentlich
wollen.
Ich fasse zusammen: Mit dem vorliegenden Gesetz
ist dem Verbraucherschutz ausreichend Rechnung getragen. Wir setzen auf den mündigen Verbraucher. Uns ist
es hoffentlich gelungen, nicht ein Zuviel an Bürokratie
zu erzeugen.
Ich bedanke mich fürs Zuhören und danke für die Zusammenarbeit.
({11})
Vielen Dank. - Damit ist die Aussprache beendet.
Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 25 a zur
Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Einführung einer Berufszulassungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler
und Verwalter von Wohnungseigentum. Der Ausschuss
für Wirtschaft und Energie empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12831,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10190 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? - Das
ist die Opposition. Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie
auf Drucksache 18/12831 fort unter Tagesordnungspunkt 25 b. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe
b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8084 mit dem Titel „Wohneigentumsrecht umfassend reformieren und modernisieren“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Das ist die Koalition. Wer
stimmt dagegen? - Das ist die Opposition. Wer enthält
sich? - Niemand. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Schornsteinfeger-Handwerksgesetzes
Drucksache 18/12493
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({0})
Drucksache 18/12832
Wenn Sie damit einverstanden sind, werden die Re-
den zu Protokoll gegeben. - Ich sehe, das ist der Fall.1)
Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/12832, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/12493 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dage-
gen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zwei-
ter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmen-
verhältnis angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu der am 19. Juni 1997
beschlossenen Urkunde zur Abänderung der
Verfassung der Internationalen Arbeitsorga-
nisation
Drucksachen 18/12331, 18/12716
1) Anlage 11
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({1})
Drucksache 18/12820
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das
ist der Fall.1)
Dann kommen wir auch hier zur Abstimmung. Der
Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12820,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
chen 18/12331 und 18/12716 anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Niemand. Wer enthält sich? -
Auch niemand. Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig
angenommen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 28 a und
28 b:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur ({2})
- zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD
Kooperationsmodelle im Nachtzugverkehr
stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine
Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Die Nachtzüge retten - Klimaverträgli-
chen Fernreiseverkehr auch in Zukunft
ermöglichen
Drucksachen 18/12363, 18/7904, 18/12775
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
Gastel, Stephan Kühn ({3}), Markus Tressel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Nachtzugverkehr als Teil moderner und klimafreundlicher Mobilität ausbauen - ZehnPunkte-Plan für ein europäisches Nachtzugnetz
Drucksache 18/12560
Das Thema entspricht auch der jetzigen Zeit.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Da gibt es keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung
hat erneut der Parlamentarische Staatssekretär Enak
Ferlemann das Wort. - Bitte schön, Herr Ferlemann.
({4})
1) Anlage 12
Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Man fragt sich, was man eigentlich falsch
gemacht hat, dass man als Staatssekretär nach Mitternacht noch zu einem Thema hier im Hohen Hause reden
muss.
({0})
Die Frage stellt sich deshalb, weil meine Wenigkeit
heute Morgen um 7.30 Uhr den ersten Termin hatte,
ebenso wie meine geschätzten Kollegen Staatssekretäre,
denen ich für die Solidarität, heute Abend diese Debatte
noch zu begleiten, von Herzen dankbar bin. Wenn man
viel gesprochen hat, merkt man an der Stimme, dass es
langsam grenzwertig wird.
Wir haben diese Debatte unter anderem dem Kollegen
Gastel zu verdanken. Der Kollege Gastel wollte, dass die
Mitglieder des Hohen Hauses einmal spüren, wie man
sich fühlt, wenn man nachts um diese Zeit in einen Zug
steigt, wie man sich fühlt, wenn man mit einem Nachtzug
fahren würde. Deswegen ist die Zeit, wie die Präsidentin
es gesagt hat, durchaus richtig. Herr Gastel, ich komme
gleich noch auf Sie zurück.
Es hat natürlich eine große Diskussion in Deutschland
gegeben, als die DB AG entschieden hat, sich aus dem
Segment Nachtzugverkehr zurückzuziehen. Sie könne
ihn wirtschaftlich nicht mehr betreiben, das Wagenmaterial sei veraltet, die Kosten könnten nicht eingespielt
werden, und die Nachfrage gehe deutlich zurück.
Wir sind sehr froh, dass es durch Vermittlung von Parlamentariern, aber auch unseres Hauses gelungen ist, die
ÖBB, die Österreichischen Bundesbahnen, bewegen zu
können, dieses Segment in Deutschland zu fahren. Die
Österreicher können das, sie verdienen damit auch Geld.
Sie haben die Wagen übernommen und modernisiert. Es
ist nichts schöner, als morgens mit einem Wiener Schmäh
den ersten Kaffee um 5.30 Uhr im Nachtzug genießen zu
können. Es ist ein Segment, über dessen Existenz sich
viele Menschen freuen.
Die DB hat entschieden, als Ausgleich ICs und ICEs
zu späterer Stunde fahren zu lassen, und viele Menschen
fahren heute mit Fernbussen oder fliegen. Deswegen
glauben viele, dass es kein Marktsegment für Nachtzüge
mehr gibt. Aber es gibt eine Klientel in unserem Land,
die gerne einmal Nachtzug fährt, im Liegewagen oder
im Schlafwagen. Ich bevorzuge Letzteres. Es ist wichtig,
dass es dieses Verkehrssegment weiter gibt. Wir sind den
Österreichern sehr dankbar dafür, dass sie Nachtzüge in
Deutschland fahren lassen.
({1})
Sehr geehrter Herr Kollege Gastel, Sie waren gestern - das muss ich jetzt um diese Uhrzeit sagen - ein
sehr berühmter Mann im Netz, und Sie werden es wahrVizepräsidentin Ulla Schmidt
scheinlich auch noch heute sein. Ich hoffe, Sie haben die
Sequenz gesehen,
({2})
in der der Ministerpräsident Ihres Bundeslandes Sie in
einer Weise belehrt, die einfach großartig ist.
({3})
Der Ministerpräsident hat vollkommen recht. Und
auch ich - ich kann es Ihnen nicht ersparen - muss Ihnen
heute noch eine leichte Belehrung erteilen. Denn so gut
der Antrag der Koalitionsfraktionen ist, um das Segment
Nachtzugverkehr zu stärken, so innerlich vollkommen
falsch ist wiederum der von Ihnen gestellte Antrag. Sie
sind jetzt lange genug im Verkehrsausschuss. Sie sind lange genug dabei. Ich habe Ihnen x-mal das Aktienrecht in
Deutschland erklärt und welche Rechte Sie als Parlamentarier und stellvertretend als Eigentümer der Deutschen
Bahn haben. Doch jedes Mal stellen Sie wieder Anträge,
das Aktienrecht nicht zu beachten - vollkommen neben
der Spur, im wahrsten Sinne des Wortes. Vielleicht haben
Sie den Antrag in einem Nachtzug geschrieben.
({4})
Ich weiß es nicht. Jedenfalls ist es sachlich nicht gerechtfertigt.
So wie Sie völlig zu Recht die Belehrung vom Ministerpräsidenten bekommen haben, so müssen Sie sich das
heute hier auch anhören. Was Sie beantragen, ist inhaltlich wiederum völlig falsch. Gewöhnen Sie es sich ab!
Sollte den Wählerinnen und Wählern das Missgeschick
passieren, dass Sie noch einmal Mitglied dieses Hauses
werden,
({5})
gewöhnen Sie sich daran, dass Sie sich wenigstens an
Recht und Gesetz halten; denn es ist Ihnen oft genug erklärt worden.
({6})
Von daher gesehen kann ich nur daran appellieren, den
Antrag der Koalitionsfraktionen zu unterstützen. Er ist
gut. Er hilft uns bei unserer Arbeit. In diesem Sinne freue
ich mich, wenn viele Nachtzüge durch Deutschland rollen und sie vor allem sicher und unfallfrei Menschen an
die Orte bringen, an die sie gelangen wollen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Vielen Dank. - Jetzt hat die Kollegin Sabine Leidig,
Fraktion Die Linke, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einen
schönen guten Abend! Ich bin jetzt wirklich verleitet, auf
Herrn Ferlemann direkt einzugehen. Das werde ich aber
nicht tun, weil ich nur vier Minuten Redezeit habe.
Ich möchte noch einmal deutlich machen, dass ein gutes Nachtzugnetz in Europa eine entspannte Alternative
zum stressigen und umweltschädlichen Fliegen wäre und
dass die Politik dieses Thema viel zu lange verschlafen
hat. Das sage nicht nur ich, sondern das sagt auch der
Journalist und Bahnexperte Thomas Wüpper, der sich
mit dieser Frage sehr intensiv beschäftigt hat, und das
sagen auch Millionen Reisende, die tatsächlich Nachtzüge, und zwar mit Schlaf- und Liegewagen, sehr gerne
benutzen bzw. benutzen würden, wenn es sie denn gäbe.
Im besten Fall macht man sich abends ganz entspannt
im Zug lang. Zu dieser Zeit schläft man schon. Man
spart die Kosten für eine Nacht im Hotel und kommt am
nächsten Morgen ausgeschlafen und pünktlich mitten in
der Stadt an, in der man sein möchte, und nicht irgendwo
jwd in einem Airport. Dazu kommt das berechtigte Gefühl, dass man mit dieser Bahnreise die Umwelt und das
Klima wesentlich weniger belastet hat; beim Fliegen sind
Abgase und Lärm wirklich ein Riesenproblem.
({0})
Nun sieht die Lage aber leider so aus, dass die Deutsche Bahn AG im Dezember 2016 ihren letzten Nachtzug
eingestellt hat. Die Deutsche Bahn AG hat diesen Komfort den Reisenden entzogen, und das, obwohl dieses
Angebot laut Bahn-Vorstand Berthold Huber mit einem
Fahrgastzuwachs von 30 Prozent im Jahr 2015 aufwarten
konnte. Also, das ist schon irgendwie eine kuriose Geschichte.
Sie haben es gerade gesagt: Die Österreichische Bundesbahn, die ÖBB, übernimmt einige Verbindungen und
baut andere aus. Wir können nach Wien, Salzburg, Rom,
Mailand und Venedig fahren, nach Zürich und demnächst
auch nach Kroatien, aber es gibt keine Nachtzugverbindungen nach Warschau, nicht nach Paris, nicht nach Kopenhagen, nicht nach Prag, nicht nach Bratislava, nicht
nach Amsterdam. Überall dort gibt es Initiativen von
Reisenden, von Bahnfreundinnen und -freunden für die
Wiederherstellung dieser Nachtzugverbindungen. Es gibt
auch bei vielen jungen Leuten einen Bedarf, die nämlich
wirklich ein Bewusstsein dafür entwickelt haben, dass
man Alternativen braucht zum klimazerstörerischen Fliegen.
Es hätte natürlich jede Menge Möglichkeiten gegeben
für eine Politik auf der Höhe der Zeit, um dieses Nachtzugsegment zu unterstützen. Da muss man nicht sozusagen dirigistisch dem Bahnvorstand Vorschriften machen,
aber selbstverständlich kann man auf die Bahn einwirken. Das haben Sie ja jetzt auch mit dem Antrag der Großen Koalition quasi als Auftrag an die Bundesregierung
gegeben. Das hätten Sie aber vor drei Jahren machen
müssen, als das Thema auf die Tagesordnung kam.
Ich will noch einmal daran erinnern, dass wir im
März 2015 die Anhörung hatten, in der Sie sich tatsächParl. Staatssekretär Enak Ferlemann
lich von den Sachverständigen darüber haben aufklären
lassen, dass Nachtzüge eben nicht out und von gestern
sind und keiner sie mehr will, sondern dass sie ein wichtiger Teil des Angebots auf der Schiene sind.
In der nachfolgenden Debatte wurde hoch und heilig
versprochen - auch vom Kollegen Donth; ich habe mir
das Zitat noch einmal herausgesucht -, dass es auf keinen
Fall dazu kommen würde, dass sich die Deutsche Bahn
AG komplett aus diesem Segment zurückzieht. Im Gegenteil, man wäre in enger Abstimmung mit der Bahn für
ein neues Konzept.
({1})
Dieses Konzept hat die Bahn sozusagen verkündet, als
sie im Dezember 2016 mit der pressewirksamen Aktion
„Klimazug zum Klimagipfel nach Kopenhagen“ gleichzeitig verkündet hat: Ende, aus! Wir ziehen uns komplett
zurück. ({2})
Sie lassen sich da auf der Nase herumtanzen und unterstützen einen Bahnvorstand, der an dieser Stelle wirklich
fantasielos ist.
Sie hätten zum Beispiel Investitionszuschüsse geben
können. Sie haben das Automobilunternehmen Porsche
mit 360 Millionen Euro darin unterstützt, auf der IAA
einen Elektro-Porsche zu präsentieren. Warum haben Sie
dann nicht 30 Millionen Euro übrig, um die Deutsche
Bahn zu befähigen, neue Nachtzüge anzuschaffen? Das
war ein Argument, warum sich das für Sie nicht lohnen
würde.
Wir haben eine tolle internationale Kampagne erlebt
und erleben sie immer noch. Menschen überall und eben
auch ganz viele in Deutschland - 38 000 - haben die Petition unterschrieben; die Betriebsräte haben sich massiv
eingebracht.
Ich möchte an der Stelle noch einmal sagen: Den
Anstoß dazu, dass dieses Thema überhaupt auf die Tagesordnung gebracht wurde, dass wir uns damit beschäftigen, dass Journalisten, Künstlerinnen und Künstler,
Professoren, alle möglichen Leute sich damit identifizieren und sagen: „Wir wollen diese Reisekultur“, haben die
Betriebsräte aus diesem Bahnsegment gegeben.
Frau Leidig.
Das sind dieselben, die jetzt vom Bahnkonzern wirklich schäbig behandelt werden und immer noch keine ordentliche Alternativbeschäftigung haben. Ich finde, das
ist wirklich auch eine Aufgabe dieses Hauses, sich darum zu kümmern, dass diese Leute nicht auf der Strecke
bleiben.
Frau Kollegin Leidig, jetzt muss ich Sie wirklich bitten, zum Schluss zu kommen.
Danke.
({0})
Danke. - Nächste Rednerin ist Kirsten Lühmann,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!
Vor fast zwei Jahren haben wir uns hier das letzte Mal
getroffen, um über dieses Thema zu reden. Grund war,
dass die Deutsche Bahn AG angekündigt hat, mit dem
Fahrplanwechsel sämtliche Nachtzugverbindungen, die
sie selber betreibt, einzustellen.
Ich erinnere mich sehr gut: Wir standen hier, und
alle Redenden haben von ihren eigenen Erfahrungen in
Nachtzügen berichtet. Wir waren uns einig, das waren
schöne Erfahrungen. Und damit endete unsere Einigkeit.
Die Deutsche Bahn AG hat uns damals gesagt: Wir
können die Nachtzüge nicht mehr selber fahren. - Warum nicht? Zum einen ist es die Konkurrenz von Billigfliegern und sind es die Hotelkosten, die deutlich gesunken sind, die dagegenstehen, zum anderen ist es aber
auch die Tatsache, dass das rollende Material veraltet ist,
auch keine Zulassung mehr hat und für teures Geld hätte
nachgerüstet werden müssen. Zum Schluss wurde auch
noch die Tatsache genannt, dass die Betriebskosten sehr
hoch sind, unter anderem durch erhöhte Trassenpreise
im Ausland. Ich weiß es selber. Meine Lieblingsverbindung Berlin-Brüssel ist schon wesentlich früher eingestellt worden, weil die Trassenpreise in Belgien so hoch
waren, dass es keine Kunden mehr gab, die diesen Preis
bezahlen wollten.
Aus all diesen Gründen hat uns die Bahn gesagt: Unsere Züge haben zwar eine hervorragende Auslastung Herr Gastel, ich kann mich noch erinnern: Sie haben uns
hier von Ihren Erfahrungen berichtet; Sie haben mehrfach
versucht, kurzfristig in einem Nachtzug zu reservieren,
({0})
und haben die Auskunft bekommen, dass er ausgebucht
ist und Sie nicht mehr hineinkommen; die Bahn hat uns
bestätigt, dass es so ist -; aber trotz dieser Auslastung
stehen wir vor der Situation, dass wir Verluste in Höhe
von 30 Millionen Euro pro Jahr einfahren.
Die Frage war: Was ist zu tun? Die Bahn hat uns gesagt: Wir können diese Verluste nicht übernehmen. Wir
kündigen aber an, dass wir ein neues Konzept machen,
dass wir für Reisende die Möglichkeit anbieten, auch
über die Nacht von A nach B zu kommen.
In unserer Diskussion gab es einige, die der Meinung
waren, das müsse man nicht abwarten, sondern man könne da auch mit Steuergeldern hineingehen. Ich bin sehr
froh, dass die Koalition dieses Konzept abgelehnt hat;
denn dieses Geld hätte uns im System Schiene an anderer
Stelle gefehlt, wo es eventuell einen wesentlich höheren
Nutzen hat.
({1})
Wenn ich mir das heute anschaue, komme ich zu dem Ergebnis: Es war gut, dass wir gewartet haben, bis die Bahn
ihr Konzept vorgelegt hat; denn die Situation heute, liebe
Kolleginnen und Kollegen, ist eine sehr komfortable.
Erstens. Wir haben die schnellen ICE. Wir haben als
Koalition und Bundesregierung in dieser Legislatur sehr
viel Geld ausgegeben, um diese schnellen Städteverbindungen zu fördern. Als Letztes wird unter anderem das
Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8.1/Nr. 8.2 im Dezember eröffnet werden. Die Folge ist, dass die Verbindung von München nach Berlin um glatte zwei Stunden
schneller ist. Das heißt, wir werden deutlich mehr Verkehr auf die Schiene bekommen, und das ist auch gut so.
Als Zweites hat die Bahn den Nacht-ICE eingeführt.
Ja, Herr Ferlemann, dort können Sie kein Bett buchen das ist richtig -, aber Sie können diesen Zug nachts nehmen, und er hat Liegesitze, die deutlich komfortabler
sind als das, was man früher in den Nachtzügen als Liegesitz verkauft hat.
Als drittes Segment haben wir tatsächlich die Nachtzüge. Die Bahn hat die Kooperation mit der ÖBB, den
Österreichischen Bundesbahnen, gemacht. Aber es gibt
nicht nur die ÖBB, sondern auch weitere ausländische
Eisenbahnverkehrsunternehmen, die Nachtzugverbindungen anbieten, zum Beispiel die ungarische Bahn, zum
Beispiel die kroatische Bahn und von Moskau über Berlin nach Paris die russische RZD.
Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist
eine sehr gute Lösung. Wir hören auch, dass sie hervorragend angenommen wird. Trotzdem sind wir als Koalition
der Meinung, dass es Optimierungsbedarf gibt.
Das Erste ist: Die Deutsche Bahn hat uns im Verkehrsausschuss erklärt, dass die Tarifeinheit mit der österreichischen Bahn - man hat gemeinsame Tarife, man
erkennt die Tickets gegenseitig an - nur ein Versuch ist.
Wir sind der Meinung: Das darf nicht nur ein Versuch
bleiben, sondern das muss verstetigt werden. Hier fordern wir die Bundesregierung auf, ihren Einfluss geltend
zu machen, um die Deutsche Bahn davon zu überzeugen.
Außerdem muss das natürlich auch auf die anderen Kooperationspartner übertragen werden. Ich hatte ja gesagt:
Es sind mehrere ausländische Eisenbahnverkehrsunternehmen. - Für die muss das auch gelten.
Der zweite Punkt, den wir angesprochen haben, ist die
Tatsache, dass wir im Prinzip ein europäisches Nachtzugkonzept bräuchten; der Beginn ist schon gemacht. Wir
haben - das wurde schon gesagt - sehr viele Verbindungen in den Osten Europas, in den Süden Europas, aber
nur ganz wenige in den Westen Europas. Wir brauchen
ein europäisches Nachtzugkonzept. Dazu müssen wir
technische, administrative und Wettbewerbsschranken
einreißen. Es kann nicht sein, dass Nachtzugverbindungen zum Beispiel durch überhöhte Trassenpreise in anderen Ländern das Wasser abgegraben wird. Das wollen
wir nicht. Ich glaube, dass die Bundesregierung da noch
eine sehr wichtige Aufgabe hat, nämlich zusammen mit
unseren europäischen Nachbarn ein solches Konzept auf
die Beine zu stellen.
Der dritte Punkt, den wir in unserem Antrag angesprochen haben, ist die Frage der Buchungen. Es ist sehr
schön, dass wir solche Nachtzüge haben. Es bringt uns
aber wenig, wenn wir die umständlich auf irgendwelchen
Internetseiten suchen müssen. Das Buchungssystem
muss eingepflegt werden. Es muss einfacher werden. Die
Leute müssen auf diese neuen Möglichkeiten hingewiesen werden. Ich denke, da gibt es auch für die Bahn noch
einiges zu tun.
Der vierte Punkt ist ein ganz wichtiger Punkt. Er wurde heute auch schon angesprochen. Es ist nämlich das
Thema Personal. Die Bahn hat uns vor zwei Jahren zugesichert, dass das Personal, das für ihre Nachtzüge nicht
mehr benötigt wird, innerhalb des Konzerns adäquat
weiter eingesetzt wird. Wir haben von den Personalvertretungen gehört, dass das in vielen Fällen auch passiert.
Aber viele Fälle sind eben noch nicht alle Fälle. Ich glaube, dass wir weiterhin ein Auge darauf werfen sollten,
dass diese Ankündigungen und Versprechungen auch
eingehalten werden.
Der letzte Punkt, den ich hier anspreche, ist die Tatsache, dass wir gerne einmal in der Legislatur einen Bericht von der Bundesregierung hätten, wie es mit diesen
Themen weitergegangen ist. Ich glaube, es ist mit der
wichtigste Punkt, dass wir nicht sagen: „Wir haben jetzt
in dieser Legislatur zwei- oder dreimal über Nachtzüge geredet. Jetzt muss es auch gut sein. Jetzt lasst mal
die Bahn arbeiten“, sondern dass wir sagen: Das ist ein
Thema, das uns wirklich am Herzen liegt. Diese Nachbesserungen, die wir gefordert haben, diese Konzepte,
die wir auflegen, möchten wir als deutsches Parlament
verfolgen. - Das können wir nur, wenn die Bundesregierung uns regelmäßig einen Bericht gibt, damit wir als
Parlament erkennen können, ob es Punkte gibt, wo wir
nachsteuern müssen.
Insofern freue ich mich, wenn wir uns hier alle zu einer nachtschlafenden oder vielleicht zu einer etwas prominenteren Zeit in diesem Parlament wiedersehen, um
auch weiterhin diesem wichtigen Thema unser Augenmerk zu schenken.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Vielen Dank. - Jetzt hat der Kollege Matthias Gastel
für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte schön.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Die Nachtzüge wurden von der Deutschen Bahn über
Jahre hinweg lust- und fantasielos betrieben, und von
Jahr zu Jahr wurden mehr und mehr davon aufs Abstellgleis gestellt. Es ist bedauerlich, dass die Deutsche Bahn
bei den Nachtzügen das Licht ausgeknipst hat. Hingegen
ist es erfreulich, dass die Österreichischen Bundesbahnen
die noch verbliebenen Angebote übernommen haben.
({0})
Es ist schade, dass CDU/CSU- und SPD-Fraktion in
ihrem Antrag letztlich nichts anderes machen, als den
Rückzug der Deutschen Bahn aus diesem Marktsegment
nachträglich noch zu rechtfertigen. Der Sinn dieses Antrages erschließt sich mir und uns jedenfalls nicht.
({1})
Was unter fast vier Jahren Großer Koalition fehlte, waren die notwendigen Weichenstellungen für eine
starke Bahn. Sie haben nämlich genau das Gegenteil
dessen gemacht, was Sie in Ihrem Antrag behaupten
bzw. fordern. Ich nenne das Beispiel Trassenpreise. Sie
stellen fest, dass die Trassenpreise ab Dezember für die
Nachtstunden sinken. Das ist zwar richtig. Was Sie aber
verschweigen, ist, dass sie außerhalb der Zeit zwischen
23 Uhr und 6 Uhr steigen werden. Die Nachtzüge fahren
aber eben nicht nur zwischen 23 Uhr und 6 Uhr, sondern sie starten schon vorher, und sie kommen erst später,
nämlich dann, wenn die Trassenpreise wieder höher sind,
an ihrem Ziel an.
Sie behaupten, Sie hätten mit Ihrem Bundesverkehrswegeplan ein verbessertes Schienennetz in die Wege
geleitet. Da müssen Sie sich mal bitte schön Ihren Bundesverkehrswegeplan anschauen. Seit wann fahren denn
Züge auf Straßen? Straßen sind zuhauf in Ihrem Bundesverkehrswegeplan berücksichtigt, aber mehr als die
Hälfte der Schienenwege ist noch nicht einmal bewertet
worden. Da kommen Sie überhaupt nicht voran, und damit wird auch nichts besser in diesem Bereich.
({2})
Wir haben einen Antrag gestellt. In diesem Antrag
fordern wir bessere Wettbewerbsbedingungen für die
Schiene, beispielsweise gegenüber dem Flugverkehr.
Wir fordern ein europäisches Nachtzugkonzept unter
Einbeziehung der Hochgeschwindigkeitsstrecken, damit
im Nachtsprung auch längere Distanzen zurückgelegt
werden können. Wir fordern den Aufbau eines Deutschland-Taktes im Bundesverkehrswegeplan unter Berücksichtigung der Nachtzüge.
({3})
Damit kommen wir aber leider nicht voran, weil das
Projekt Deutschland-Takt mit Blick auf den Bundesverkehrswegeplan auf die lange Bank geschoben wurde.
Wir fordern Trassenpreise, die niedriger sind als die
heutigen und die auf der Empfehlung der Europäischen
Union basieren. Das heißt, dass das Grenzkostenprinzip
gilt und nicht die Ausnahme, die Sie mit dem höheren
Vollkostenprinzip beschlossen haben. Und wir schlagen
ein Interrailticket für alle jungen Menschen in der EU
vor, um ihnen sowohl Europa als auch die Bahn näherzubringen.
({4})
Das ist jetzt keine Idee von uns, aber wir greifen diese
Idee gerne auf.
Herr Ferlemann, vielleicht können Sie nachher einmal
erklären, was daran bitte schön ein Eingriff in das Aktienrecht ist. Ich kann hier nichts Entsprechendes feststellen.
({5})
Erfreulich ist, meine Damen und Herren, dass die
Österreichischen Bundesbahnen angekündigt haben, ihr
Nachtzugkonzept weiter auszubauen. Wir hoffen natürlich, dass dann zusätzliche Angebote auch in Deutschland entstehen. Wichtig ist - an die Adresse der Deutschen Bahn gerichtet -, dass die Bahn-Card auch nach
Dezember 2017, also auch nach dem Fahrplanwechsel,
für die Nachtzüge der ÖBB anerkannt wird. Das ist eine
ganz wichtige Maßnahme. Wir sind davon überzeugt:
Der Nachtzug hat mit seinen Schlaf- und Liegewagen
Potenzial für die Zukunft, wenn es die richtigen Ideen
gibt, wenn es den unternehmerischen Willen gibt und
wenn es die politische Unterstützung gibt.
({6})
Vielen Dank. - Letzte Rednerin ist die Kollegin
Daniela Ludwig, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es geht nicht ohne Kooperationen. Ein einzelnes Land wird kein nationales Nachtzuggeschäft mit
einer positiven Bilanz betreiben können. Das Nachtzugsegment ist ein komplexes, schwieriges Geschäft, das
nur gemeinsam zu betreiben ist. - Das hat nicht die Deutsche Bahn gesagt, sondern der Vertreter der ÖBB in der
Sachverständigenanhörung des Verkehrsausschusses im
Februar dieses Jahres. Ich glaube, damit ist alles gesagt.
Das ist auch der Hintergrund unseres Antrages. Wir
sind der Meinung, dass die DB mit der ÖBB und mit
Privatbahnen europaweit kooperieren darf und können
muss, um Nachtzugverkehre zur Verfügung zu stellen.
Der Nachtzugbetrieb hat einen hohen Wettbewerbsdruck - das ist heute schon gesagt worden - durch die
Fernbusse, die stark genutzt werden, aber auch durch das
eigene gute Angebot untertags. Wenn Sie sich die Strecke
Berlin-München mit künftig vier Stunden Fahrzeit anschauen, dann wird klar, dass sich die Bahn selber im positiven Sinne Konkurrenz macht, weil sie etwas anbietet,
was für die Leute höchst attraktiv ist und sogar auf dieser
Strecke mitunter das Flugzeug schlagen wird. Dann ist
vielleicht die eine oder andere Strecke im Nachtzugverkehr nicht mehr so attraktiv, wie sie es vielleicht vor 10,
15 oder 20 Jahren war. Das muss man anerkennen.
Wir begrüßen es sehr, dass es an vielen Stellen, auch in
meinem Wahlkreis, die erfolgreichen Kooperationen mit
der ÖBB gibt. Wir begrüßen es aber auch, dass die DeutMatthias Gastel
sche Bahn sich nicht komplett aus dem Nachtzugverkehr
zurückzieht, sondern ein eigenes Segment erschließt,
nämlich - es ist heute schon gesagt worden - ICE und
IC in der Nacht, aber nur mit Sitzplätzen, wohingegen
das klassische Nachtzugsegment an geeigneter Stelle von
den Österreichern oder anderen übernommen wird.
Diese Entwicklungen, die wir gerade in den letzten
zwei bis drei Jahren beobachten konnten, sind nicht Ergebnis eines staatlichen Eingriffs oder einer staatlichen
Order, sondern sie sind Ergebnis einer unternehmerischen Entwicklung, die auf die Marktnachfrage reagiert.
Es ist mir, ehrlich gesagt, wesentlich lieber, wenn sich
die Bahn am Kunden orientiert, als wenn wir ihr etwas
aufoktroyieren, was nachweislich wirtschaftlich in den
letzten Jahren zumindest für die DB nicht funktioniert
hat. Hier bitte ich um Verständnis, dass mir die freiwillige Form lieber ist als andersherum und dass wir keine
staatlichen Aufträge dafür benötigen. Wir wollen schon
gar nicht ein staatlich subventioniertes Nachtzugangebot,
wie es die Linken in ihrem Antrag fordern. Das lehnen
wir in aller Deutlichkeit ab. Es muss alles eigenverantwortlich und eigenwirtschaftlich funktionieren.
({0})
Deswegen sind wir sehr dafür, lieber Herr Gastel,
dass wir die bestehenden Kooperationen weiter ausbauen. Wir werden uns das in der nächsten Legislatur, Frau
Lühmann, intensiv anschauen. Ich bin sehr dafür, dass
wir diesen Bericht konsequent einfordern. Ich bin aber
auch dafür, dass wir darauf drängen, dass die Kundenvorteile wie Rabattaktionen usw. auch Bahnen übergreifend
gelten müssen. Das ist selbstverständlich. Wenn wir einen europäischen, immer stärker einheitlich werdenden Stichwort: viertes Eisenbahnpaket - Schienenverkehr
anstreben, müssen auch solche Dinge irgendwann Usus
werden und ganz selbstverständlich sein und nicht mehr
ständig eingefordert werden. Darauf zielt unser Antrag
ab. Ich denke, dass wir in der nächsten Legislatur daran
weiter arbeiten müssen.
Aber noch einmal: Ich halte nicht viel davon, einer
Aktiengesellschaft vorschreiben zu wollen, wie sie sich
wirtschaftlich zu verhalten hat. Ich halte auch nicht viel
davon, den Kunden vorzuschreiben, dass sie zu Millionen
den Nachtzug nutzen sollen. Liebe Frau Leidig, wenn in
den letzten Jahren Millionen gefahren wären, dann hätte
man den Nachzugsverkehr vermutlich auch nicht reduzieren müssen. Also lassen wir mal die Kirche im Dorf.
({1})
Lassen wir die Bahnen es so gestalten, wie es die
Nachfrage erfordert, auch wenn es für Sie irgendwie
eine romantische Bahnfahrt zu sein scheint, wenn man in
der Nacht durch die Gegend fährt. Ich glaube, der Kunde kann selber entscheiden, was für ihn bequem ist; das
müssen wir ihm nicht vorschreiben.
({2})
Wir unterstützen die Bahnen bei den Kooperationen, die
nachgefragt werden.
Vielen herzlichen Dank.
({3})
Vielen Dank. - Damit ist die Aussprache beendet.
Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 28 a zur
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur auf
Drucksache 18/12775. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme
des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 18/12363 mit dem Titel „Kooperationsmodelle im Nachtzugverkehr stärken“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7904 mit dem Titel „Die Nachtzüge retten Klimaverträglichen Fernreiseverkehr auch in Zukunft
ermöglichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
und bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Unter Tagesordnungspunkt 28 b stimmen wir jetzt
über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/12560 mit dem Titel „Nachtzugverkehr
als Teil moderner und klimafreundlicher Mobilität ausbauen - Zehn-Punkte-Plan für ein europäisches Nachtzugnetz“ ab. Wer stimmt für diesen Antrag? - Das sind
die Grünen. Wer stimmt dagegen? - Das ist die Koalition. Wer enthält sich? - Das ist die Linke. Damit ist der
Antrag abgelehnt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Gegensatz zu
Ihrer Lebhaftigkeit steht auf meinem Zettel, dass die Tagesordnung erschöpft ist.
({0})
Dann schlage ich mal vor, dass wir Schluss machen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf heute, 23. Juni 2017, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Einen guten Nachhauseweg!