Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bedauerlicherweise haben wir heute weder Geburtstage
nachzufeiern noch, woran wir uns schon fast gewöhnt
hatten, Wahlen zu Gremien durchzuführen, sodass uns
nichts anderes übrig bleibt, als unverzüglich in die Tagesordnung einzusteigen, falls nicht irgendjemand überraschend einen Geschäftsordnungsantrag einbringt.
({0})
- Heute nicht?
({1})
- Gut.
Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle
Pfeiffer, Sabine Weiss ({2}), Katrin Albsteiger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Bärbel
Kofler, Axel Schäfer ({3}), Klaus Barthel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
EU-Afrika-Gipfel - Neue Impulse für die ent-
wicklungspolitische Partnerschaft
Drucksache 18/844
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Niema
Movassat, Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
EU-Afrika-Gipfel - Partnerschaft an Gerechtigkeit und Frieden ausrichten
Drucksachen 18/503, 18/871
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Gesamtzeit von 96 Minuten vorgesehen; das ist uns inzwischen vertraut. - Dazu gibt es offenkundig keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister Gerd Müller.
({5})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht
heute früh um ein spannendes Thema: Es geht um
Afrika. Ich danke den Fraktionen von CDU/CSU und
SPD, dass wir dieses Thema heute in der Kernzeit der
Bundestagsdebatte behandeln und damit in den Mittelpunkt der Debatte stellen.
„Mut ist, zu geben, wenn alle nehmen.“ Woran denken wir alle denn, wenn wir an Afrika denken? Ich
denke beispielsweise an einen großen Helden in Bangui
- ich glaube, das gilt auch für Dagmar Wöhrl; denn wir
waren in der vergangenen Woche zusammen in der Zentralafrikanischen Republik -: Ich denke an den Pfarrer
von Bangui, den wir besucht haben. Er hat einfach seine
Kirche geöffnet und hilft 20 000 Menschen, die gekommen sind, Flüchtlingen in größter Not. Wir haben Elend
gesehen. Wir haben Not gesehen, die zum Himmel
schreit. Meine Damen und Herren, wir können helfen.
Wir müssen angesichts solcher Situationen helfen.
Deshalb haben wir, die Bundesregierung, unser
Ministerium, entschieden, dass wir mit Soforthilfen in
der Zentralafrikanischen Republik helfen, dass wir Medizin in Krankenhäuser bringen. Es gibt sechs offene
Krankenhäuser. Dort wird aber auf dem Niveau von
1948 oder 1950 in Deutschland operiert. Wir können den
Menschen sofort helfen. Deshalb leisten wir Soforthilfe.
Wir haben auch entschieden, die Zentralafrikanische
Republik als Zielland neu in unsere Entwicklungszusammenarbeit aufzunehmen;
({0})
denn wir müssen dahin gehen, wo die Not am größten
ist. Ich freue mich deshalb ganz besonders, einen neuen
Ansatz in der Entwicklungszusammenarbeit mit Frankreich umzusetzen. Zusammen mit dem französischen
Entwicklungsminister werden wir Strukturen in den Bereichen Verwaltung, Gesundheit, Schule und Ernährung
entwickeln. Frankreich und die Afrikanische Union haben die Sicherheitslage in der Zentralafrikanischen Republik stabilisiert. Dies wird auch in den nächsten Wochen hier eine Rolle spielen bei der Beantwortung der
Frage, ob wir ein Mandat für die Bundeswehr beschließen und in welcher Größenordnung wir Soldaten entsenden.
Ich wurde nicht nach Soldaten gefragt. Ich wurde
nach Entwicklungshelfern, nach Ärzten und nach Hilfe
im zivilen Bereich gefragt. Aber ich danke den französischen Freunden, die hier großartige Arbeit leisten. Die
Entwicklungszusammenarbeit kommt nicht zuletzt, sie
kommt immer zuerst. Deshalb brauchen wir neue Strukturen der Krisenprävention und der Konfliktbewältigung. Vor diesem Hintergrund haben wir in dieser Woche einen strukturell neuen Beschluss gefasst: Wir
werden die Afrikanische Union mit Blick auf den EUAfrika-Gipfel zusätzlich unterstützen und die Hilfe für
die African Peace Facility auf 900 Millionen Euro erhöhen. Afrikaner wollen und können ihre Probleme selber
lösen;
({1})
aber wir stehen natürlich an ihrer Seite.
Wenn Sie versuchen, ein Bild von Afrika in Ihrem
Kopf aufzurufen, dann müssen Sie bedenken: Afrika ist
ein Kontinent mit 54 verschiedenen Ländern. Das ist
nicht nur der K-Kontinent - Krisen, Katastrophen,
Kriege -; das ist nur ein Teil. Sie können auch andere
Bilder von Afrika lebendig werden lassen, denn Afrika
ist ein faszinierender Kontinent: Wüsten und Regenwald, 2 000 Sprachen und Kulturen, eine pulsierende Jugend, fruchtbarste Böden - nicht nur Wüsten und Trockenheit -, Vielfalt der Arten, die Einzigartigkeit der
Natur, das Ökosystem der Tierwelt. Afrika ist ein Kontinent der Schätze, Möglichkeiten und Chancen; unser
Nachbarkontinent, ein Chancenkontinent.
Wir, das BMZ, sind das Afrika-Ministerium und in
32 Ländern Afrikas mit mehr als 2 000 Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern engagiert. Ich möchte den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, insbesondere der GIZ, hier
auch einmal herzlich danken. Sie leisten Großartiges in
schwieriger Umgebung.
({2})
Deutschland ist ein angesehener Partner. Wir haben
viel zu bieten. Wir bauen auf: Verwaltungsstrukturen,
politische Strukturen, zivile Strukturen, Demokratie,
Rechtsstaat. Wir haben das Modell der dezentralen Lösungen, das vielen hilft. Wir sind Ratgeber, Finanzier
und Projektpartner der Wirtschaft. Wir entwickeln Infrastrukturen, großartige Projekte; wir bauen Schulen, Berufsbildungszentren, Krankenhäuser, wie man vor Ort
sehen kann. Wir investieren insbesondere in Bildung.
Bildung verändert alles. Bildung ist auch in Afrika der
Schlüssel für Zukunft. Wir investieren in Gesundheit.
Dies alles beinhaltet das neue Afrika-Konzept, das ich
gemeinsam mit den Fraktionen, mit Ihnen im Parlament
weiterentwickeln möchte. Deshalb bin ich sehr dankbar
für den interessanten und guten Vorschlag Ihres Antrages. Wir werden diese Punkte natürlich aufnehmen. Mit
dem neuen Afrika-Konzept des Bundesministeriums
verstärken wir unsere Arbeit und setzen neue Schwerpunkte.
Ich kann hier nur ein paar Ansätze nennen. Wir setzen
neue Schwerpunkte mit einer Sonderinitiative für eine
Welt ohne Hunger. Das Hungern in der Welt ist sicherlich
der größte Skandal. 1 Milliarde Menschen sind übergewichtig. In der Fastenzeit und bei Diäten beschäftigen
wir uns mit Verzicht und Abnehmen. Aber 1 Milliarde
Menschen sind unterernährt und hungern. 25 000 Kinder
sterben täglich. Das ist deshalb ein Skandal, weil es nicht
sein muss. Diese Welt, dieser Planet kann 10 Milliarden
Menschen ernähren. Dazu müssen wir unseren Beitrag
leisten. Deshalb habe ich zusammen mit den Fraktionen
eine Sonderinitiative für eine Welt ohne Hunger gestartet.
({3})
Wir werden unser Wissen, unser Können, unsere technologischen Fähigkeiten transferieren und in verschiedenen Ländern Afrikas zehn grüne Innovationszentren aufbauen, um die gesamte Kette der landwirtschaftlichen
Wertschöpfung vom Acker bis zum Teller zu stärken. Im
Rahmen dieser Leuchtturmprojekte werden wir zeigen,
wie sich in Afrika eine nachhaltige Landwirtschaft entwickeln lässt.
Wir schließen daran Berufsbildungszentren für ländliche Entwicklung an. Meine Damen und Herren, wir starten eine Zukunftsoffensive für Afrikas Jugend: hundert
neue deutsch-afrikanische Partnerschaften - machen
auch Sie mit! - mit afrikanischen Schulen, Hochschulen,
Kommunen, Kirchen. Wir wollen Tausende afrikanische
Studenten an deutsche Universitäten holen. Neue Ausbildungs- und Kammerpartnerschaften wurden und werden mit der deutschen Wirtschaft besprochen. Wir brauchen mehr Hermesbürgschaften für mehr Investitionen
für Afrika. Wir planen ein deutsch-afrikanisches Jugendwerk, die Aktion „Sportler für Afrika“ und vieles mehr.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich
richten wir unseren Blick auch auf das Flüchtlingselend.
Deshalb werde ich in den nächsten Tagen dorthin gehen,
wo die Not am größten ist - in den Südsudan -, und vor
Ort die internationalen Organisationen unterstützen.
Denn es kommt darauf an, dass wir den Menschen helfen. Es geht nicht darum, korrupte Systeme zu stabilisieren, aber die Menschen brauchen unsere Hilfe.
({4})
Wir in Deutschland stehen für Menschenrechte, für die
Gleichberechtigung der Frau, für Demokratie. Ich danke
den Fraktionen, allen Kolleginnen und Kollegen, die engagiert und mit viel Idealismus bei der Arbeit sind und
mich unterstützen. Ich danke aber auch unserer Bundeskanzlerin, die Afrika trotz aller aktuellen Probleme auf
die Tagesordnung gesetzt hat und auch - ich weiß es im Herzen trägt und deshalb beim EU-Afrika-Gipfel einen Schwerpunkt setzt. Unsere Bundeskanzlerin genießt
nicht nur in Europa, sondern auch in Afrika hohes Ansehen.
({5})
Nun blicke ich nach vorne: Wie wird Afrika morgen
aussehen, was für Bilder gehen einem da durch den Kopf?
Afrika ist und wird ein Kontinent der Jugend sein - nicht
wie das Parlament hier, sage ich.
({6})
- Ich nehme das zurück.
({7})
Mit 50 und besser - in der Generation, der ich angehöre - ist man ja auch noch jung,
({8})
und wir haben große Verantwortung für die Jugend.
({9})
Auf dem afrikanischen Kontinent sind 50 Prozent der
Menschen - jeder zweite; das ist eine unglaubliche
Zahl - jünger als 18 Jahre. Diese Dynamik, diese sprühende Kraft der afrikanischen Länder wollen wir weiterentwickeln. Afrika morgen, das wird ein Kontinent sein,
der wächst, mit einer Bevölkerung, die sich bis zum Jahr
2050 verdoppelt. Die Weltbevölkerung wächst jeden Tag
um 250 000 Menschen; besonders viele davon kommen
in Afrika zur Welt. Afrika ist ein Kontinent des Aufschwungs; das möchte ich ganz besonders in Richtung
der deutschen Wirtschaft sagen, die sich dort mehr engagieren muss. Sechs von zehn der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt sind in Afrika. Hier
gibt es große Chancen für Investitionen und Partnerschaften. Ich stimme Horst Köhler zu, der sagt: Sprechen
wir nicht über, sondern mit Afrika.
({10})
Hören wir auf mit Lektionen und Urteilen, mit Besserwisserei! Wir müssen mehr zuhören, afrikanische Geschichte, Literatur, Kunst, Kultur verstehen, afrikanische
Eigenverantwortung stärken, afrikanische Lösungen ernst
nehmen.
Vielen herzlichen Dank.
({11})
Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Niema
Movassat für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niemand
hier wird bestreiten, dass wir endlich Beziehungen auf
Augenhöhe zu Afrika brauchen. Der EU-Afrika-Gipfel,
der im April stattfinden wird und über den wir hier reden, müsste also eigentlich ein echter Schritt hin zu fairen Beziehungen sein. Die Botschaft müsste sein: Wir
machen Schluss mit westlicher Besserwisserei und Arroganz.
({0})
Die Realität wird aber leider wohl anders aussehen.
Das lässt die Themenwahl für den Gipfel schon befürchten; denn die afrikanischen Länder wollen gerne über
Handelsfragen reden, die EU aber nicht. Auch die Koalition betont in ihrem Antrag in zentralen Punkten die
Themenvorgaben der EU. Einmal mehr diktieren die
Europäer den afrikanischen Staaten die Agenda. Das hat
mit Augenhöhe nichts zu tun.
({1})
Für viele afrikanische Länder sind die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit der EU, die sogenannten
EPAs, derzeit ein zentrales Thema. Diese stehen in der
Tradition einer jahrzehntelangen fatalen Freihandelspolitik.
„Freihandelspolitik“ klingt ja ganz nett; dahinter
steckt aber ein neoliberales Konzept, das den meisten
Afrikanern keinen Wohlstand gebracht hat. Ganz im Gegenteil! Die Länder Afrikas mussten ihre Märkte für
westliche Produkte öffnen und Schutzzölle abbauen. Das
hatte verheerende Auswirkungen auf die Ernährungssituation der Bevölkerung.
Noch in den 80er-Jahren wiesen die ärmsten Länder
der Welt bei Lebensmittelexporten einen Überschuss
von 1 Milliarde Dollar auf. Heute weisen sie dagegen ein
Defizit von 25 Milliarden Dollar auf.
Europa überschwemmt Länder wie Ghana, Burkina
Faso und die Elfenbeinküste mit Milchpulver, Tomatenpaste, Geflügel- und Schweinefleisch zu Dumpingpreisen. Die EU fördert das bis heute mit Subventionen. Lokale Märkte in Afrika wurden zerstört, Kleinbauern und
lokale Händler wurden arbeitslos und verarmten. Heute
sind die Länder stark abhängig von Nahrungsmittelimporten. Die eigenen Bauern können die Nahrungsversorgung nicht mehr gewährleisten.
Diese Freihandelspolitik will die EU fortsetzen und
verschärfen. Das ist Irrsinn. Es darf so nicht weitergehen.
({2})
Die Freihandels- und Strukturanpassungspolitik
zwingt Staaten auch, ihre öffentlichen Betriebe zu privatisieren, angeblich, weil es das Beste für die Menschen
vor Ort ist. Aber das Gegenteil ist der Fall! Nehmen wir
nur den lebenswichtigen Bereich Wasser: Südafrika hat
hier fleißig privatisiert. 2007 wurde in Südafrika 10 Millionen Menschen das Wasser abgestellt. Rund 2 Millionen
Südafrikaner wurden aus ihren Häusern geworfen, nachdem sie sich wegen der horrenden Wasserrechnungen verschuldet hatten. Teilweise stiegen die Wasserpreise um bis
zu 600 Prozent. Von diesen Privatisierungen profitieren
Konzerne wie Nestlé, nicht die Menschen. Damit muss
endlich Schluss sein.
({3})
Sinnvoller wäre es, die EU würde sich, beispielsweise
im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit, für starke
öffentliche Einrichtungen in den Ländern des Südens
einsetzen, die die Grundversorgung mit Lebensmitteln,
Wasser und Energie sowie im Hinblick auf Bildung und
Gesundheit sicherstellen. Das wäre eine Politik für die
Menschen.
({4})
Ich muss sagen, mir wird richtig unheimlich, wenn
unser Herr Bundespräsident sogar noch behauptet, dass
sich Freihandel auf Frieden und Warenaustausch auf
Wohlstand reime. Das gäbe sprachlich im Deutschunterricht eine glatte Sechs und ist inhaltlich total daneben.
({5})
Freihandel und Warenaustausch finden seit vielen
Jahrzehnten statt, und zwar meist in der Form, dass sie
den wirtschaftlichen Interessen der Industrieländer und
nicht den Menschen in den Ländern des Südens dienen.
Da wir den afrikanischen Ländern schon so lange den
wunderbaren Segen des Freihandels bringen, frage ich
mich: Woher kommen eigentlich die ganzen Flüchtlinge? Sie fliehen aus Not und Elend. Der Freihandel
schafft eben meist nicht Frieden und Wohlstand.
({6})
Wenn man schon das Thema Sicherheit in Bezug auf
Afrika aufmacht, wie Sie dies im Koalitionsantrag getan
haben, dann muss man auch darüber reden, dass die europäische Politik einen Beitrag zur Unsicherheit in
Afrika leistet, und zwar durch die aufgedrückte neoliberale Politik, die Hunger und Armut schafft, und durch
Waffenexporte, die zur Gewaltanwendung in Konflikten
führen. Deutschland ist übrigens drittgrößter Waffenexporteur. Man sollte sich manchmal auch an die eigene
Nase fassen.
({7})
Nach dem Schiffsunglück vor Lampedusa im letzten
Oktober, bei dem etwa 350 Menschen starben, war der
Aufschrei groß, aber nichts hat sich seitdem verändert.
Vielmehr erleben wir eine immer weitere Aufrüstung der
europäischen Grenzschutzsysteme. Das ist nicht nur ein
Armutszeugnis, das ist menschenverachtend.
({8})
Beim Lesen des Koalitionsantrags frage ich mich zudem: Wer ist eigentlich für den Klimawandel hauptverantwortlich? Auch das ist eine der Fluchtursachen. Im
Koalitionsantrag ist einseitig die Rede davon, dass man
verhindern müsse, dass in Afrika der CO2-Ausstoß mit
steigendem Energiebedarf ansteigt. Welchen Beitrag die
EU auf diesem Gebiet leisten muss, benennen Sie aber
nicht.
({9})
Wir Industrieländer produzieren bis heute den mit Abstand höchsten CO2-Ausstoß. Deutschland will für Neuwagen bis heute noch nicht einmal Abgasgrenzen einführen, nur um BMW, Audi und Mercedes zu schützen.
({10})
Wenn wir von Augenhöhe reden, dann gehören auch solche selbstkritischen Worte in einen EU-Afrika-Antrag.
({11})
Dann weisen Sie in Ihrem Antrag auf das starke Bevölkerungswachstum in Afrika hin. Sie verschweigen
dabei aber völlig die Ursachen, wie mangelnde soziale
Sicherungssysteme. In den Industrieländern ist das Bevölkerungswachstum auch erst durch wirtschaftliche
Entwicklung und durch die Einführung sozialer Sicherungssysteme zurückgegangen. Das ist der richtige Weg,
um die Ursachen der Probleme zu bekämpfen.
Wir als Linke sagen: Alles, aber auch alles, was die
Beziehungen zwischen Europa und Afrika angeht, muss
kohärent auf ihre Entwicklungsförderlichkeit ausgerichtet werden. Dazu sind einige grundlegende Veränderungen notwendig:
Erstens. Die Handelspolitik und die EPAs müssen auf
die Agenda des Gipfels. Eigentlich gehören diese Abkommen gänzlich gestoppt.
({12})
Zweitens. Das A und O einer jeden Entwicklung ist,
dass die Menschen sich aus eigener Kraft ernähren können. Deshalb brauchen wir endlich umfassende Konzepte der Ernährungssouveränität, die Schluss machen
mit Landraub und Nahrungsmittelspekulationen.
Drittens. Wir brauchen ein Unternehmensstrafrecht,
damit es Sanktionen gegen europäische Konzerne gibt,
die Menschenrechtsverletzungen in Afrika und anderswo begehen.
Viertens. Wir brauchen eine menschenwürdige
Flüchtlings- und Asylpolitik.
({13})
Fünftens. Wir brauchen eine Klimapolitik, die sicherstellt, dass zunächst die Hausaufgaben im eigenen Land
gemacht werden, bevor man anderen Ländern schlaue
Ratschläge gibt.
Sechstens. Mit der Militarisierung der deutschen und
europäischen Afrika-Politik muss Schluss sein. Es geht
dabei immer wieder um Rohstoffinteressen und geostrategische Ziele, die in den Deckmantel von Menschenrechten gehüllt werden. Es gibt keine außenpolitische
Verantwortung für mehr Auslandseinsätze der Bundeswehr. Afrika braucht nicht mehr Soldaten und Waffen.
Deshalb müssen auch Rüstungsexporte sofort gestoppt
werden.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({14})
Bärbel Kofler ist die nächste Rednerin für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst einmal möchte auch ich betonen, dass ich froh
bin, dass wir das Thema der Beziehungen zwischen
Europa und Afrika hier einmal zu einer prominenten Debattenzeit miteinander besprechen. Ich halte das für dringend nötig und geboten.
({0})
Es ist im Übrigen genauso nötig und geboten, dass
wir auf allen Gipfeln und bei allen Kontakten mit Afrika
damit anfangen, auf höchster politischer Ebene miteinander zu sprechen. Das wünsche ich mir für den EUAfrika-Gipfel; das wünsche ich mir aber auch für zukünftige Treffen und Kontakte mit afrikanischen Staaten
und ihren Staatschefs.
Einen Satz, Herr Movassat, kann ich mir nicht verkneifen. Ich habe den Eindruck, Sie haben unseren Antrag einfach nicht gelesen.
({1})
Es tut mir leid, aber unser Antrag enthält eine ganze
Menge Themen. Ich werde sie noch ausführen, zum Beispiel das Thema Wirtschaftspartnerschaftsabkommen
und wie wir das ausgestalten wollen. Auch zum Thema
Klimawandel findet sich in unserem Antrag eine Menge,
gerade auch dazu, wie wir dieses Thema angehen wollen.
Sie haben von „Augenhöhe“ gesprochen. Dazu
möchte ich einen schönen Satz aus Ihrem eigenen Antrag zitieren, wonach Sie Afrika als „Opfer der kapitalistischen Industrialisierung des Nordens“ bezeichnen.
({2})
Ich glaube nicht, dass das etwas mit Augenhöhe zwischen Europa und Afrika zu tun hat.
({3})
Ich bin froh, dass wir den vierten EU-Afrika-Gipfel
auf der Tagesordnung haben und über dieses Thema reden. Ich glaube, dass es wichtig ist, ehrlich Bilanz zu
ziehen: Was ist in den letzten Jahren passiert? Haben wir
wirklich Fortschritte erreicht? Sind wir zwischen Europa
und Afrika zu konkreten Vereinbarungen gekommen?
Da haben wir großen Nachholbedarf, gerade auch auf
den drei Feldern, die auf dem Gipfel angesprochen werden und die wir auch in unserem Antrag thematisieren:
Frieden und Entwicklung, Klima und Energie sowie
nachhaltiges Wirtschaftswachstum und nachhaltiger
Handel; ich unterstreiche das Wort „nachhaltig“. In diesem Bereich haben wir noch sehr viel Konkretisierungsarbeit zu leisten. Einen Beitrag dazu soll unser Antrag
leisten.
({4})
Frieden ist selbstverständlich eine Voraussetzung für
Entwicklung. Der Weltentwicklungsbericht der Weltbank stellt ganz klar fest, dass all die Länder, in denen
Staatlichkeit zusammengebrochen ist, in denen Krieg
und Krisen herrschen und innere Willkür und Korruption
staatliches Leben nicht möglich machen, die Millenniumsentwicklungsziele nicht erreicht haben. Frieden
und Sicherheit sind zwingende Voraussetzungen für Entwicklung, und in diesem Sinne müssen wir Entwicklungspolitik als vorausschauende Friedenspolitik begreifen; genau an dieser Stelle müssen wir ansetzen.
({5})
Ich bin überzeugt, dass wir gerade auch mit Instrumenten, die wir in Deutschland entwickelt haben, ein
breites Angebot machen können. Ich nenne in diesem
Zusammenhang explizit den Zivilen Friedensdienst, weil
er eine hervorragende Möglichkeit ist, um in Postkonflikten, aber manchmal auch schon, bevor Konflikte
ausbrechen, unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zusammenzubringen und Ausgleichsstrukturen und Ausgleichsmöglichkeiten zu schaffen.
Es geht aber manchmal auch um den Aufbau von
Staatlichkeit und den Aufbau von staatlichen Sicherheitsstrukturen. Natürlich braucht man zum Beispiel
eine korruptionsfreie Polizei und Justiz, um die für die
weitere Entwicklung notwendigen Strukturen aufbauen
zu können. Auch dazu kann Deutschland Beiträge leisten.
({6})
Natürlich müssen wir die Zivilgesellschaft einbeziehen, wenn es um Frieden und Entwicklung geht. Wir haben in unserem Antrag - ich bin sehr dankbar, dass wir
das gemeinsam beschlossen haben - explizit auf die UNResolution 1325 Bezug genommen. Darin geht es darum, Frauen bei der Beilegung von Konflikten und Auseinandersetzungen mit Waffengewalt gleichberechtigt
mit einzubeziehen und das Potenzial von Frauen für eine
friedliche Entwicklung zu nutzen und zu stärken. Das
darf nicht nur auf dem Papier stehen, sondern das muss
unsere Aufgabe im Regierungshandeln, aber auch innerhalb der Parlamente sein.
({7})
Was das Thema Klima und Energie angeht, ist es,
glaube ich, selbstverständlich und seit der Rio-Deklaration vor über 20 Jahren unumstößlich anerkannt: Frieden, Entwicklung und Umweltschutz bedingen einander
und gehören zusammen. Selbstverständlich - das betone
ich ausdrücklich - stehen meine Fraktion und ich wie
auch, glaube ich, wir alle gemeinsam für das Prinzip der
gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung,
wenn es um das Thema Klimawandel und Klimaschutz
geht.
Wir haben historische Verantwortung. Afrika ist nicht
der Kontinent, der den CO2-Ausstoß und den Klimawandel vorangetrieben hat, leidet aber wie kein anderer Kontinent unter den Folgen des Klimawandels. Wüstenbildung, Wassermangel und künftige Konflikte um Wasser,
Konflikte um fruchtbare Böden und Nahrungsgrundlagen sind Folgen des Klimawandels, für den wir Verantwortung tragen. Deshalb haben wir auch eine finanzielle
Verantwortung, und wir müssen unserer Verantwortung
gerecht werden, was den Know-how-Transfer und die
Möglichkeiten zur Vermeidung von CO2-Ausstoß bei
uns selbst angeht.
({8})
Das gilt im Übrigen auch für alle Verhandlungen über
Klimaabkommen, die wir voranbringen müssen. Wir
müssen das ambitionierte Klimaschutzziel, die Erderwärmung auf weniger als 2 Grad zu begrenzen, erreichen. Ich weiß, wie schwierig das ist. Aber es muss gelingen. Und wir müssen als Entwicklungspolitiker das
Thema Anpassungsmaßnahmen wesentlich stärker in
den Fokus rücken und finanziell entsprechend ausgestalten, um den Menschen in anderen Ländern eine Chance
zu geben.
Dazu gehört aber auch - wenn man den Antrag genau
liest, dann wird das auch deutlich, Herr Kollege
Movassat -, dass wir mit Afrika gemeinsam Verantwortung haben, was Afrikas Energiebedarf angeht, um seine
eigene Entwicklung vorantreiben zu können und seiner
eigenen Bevölkerung die Chance auf Energiezugang zu
geben. Wir müssen das gemeinsam vorantreiben. Dazu
haben wir zwei Punkte in unseren Antrag aufgenommen.
Erstens sind die Zusagen der Europäischen Union einzuhalten, die in der afrikanisch-europäischen Energiepartnerschaft vereinbart wurden. Dabei geht es darum, dass
100 Millionen Afrikaner in den nächsten sieben Jahren
Zugang zu Energie erhalten. Dazu müssen wir stehen.
Das hat auch finanzielle Auswirkungen, und dazu muss
man stehen. Ich freue mich darüber, dass in unserem Antrag steht, dass wir uns bei den eigenen Exportkrediten
an Energieeffizienz und dem Einsatz erneuerbarer Energien orientieren müssen, wenn es insbesondere um
Afrika geht.
({9})
Damit haben wir eine gemeinsame Verantwortung mit
den Partnerländern; denn eine solche Ausrichtung können wir den Ländern nicht vorschreiben, sondern das
müssen wir im Dialog mit ihnen gemeinsam entwickeln.
Das muss der Wunsch der Länder auf beiden Kontinenten sein.
Zweitens, zum Thema nachhaltige Wirtschaftsentwicklung und nachhaltiges Handeln. Die EPAs stellen
zwar nicht das einzige Instrument dar, spielen aber eine
wichtige Rolle. Der Antrag der Linken nimmt nicht den
durchaus vorhandenen Wunsch Afrikas auf, Handel mit
Europa zu treiben und seriöse, gute Investitionen in ihren Ländern zu erhalten.
({10})
Es wäre schön, wenn Sie nicht nur über die eigene Ideologie, sondern über das redeten, was die Menschen auf
anderen Kontinenten wirklich wünschen.
({11})
In einem Punkt haben Sie recht: Die europäischen
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen müssen entwicklungsfördernd sein und dürfen nicht das Gegenteil von
dem bewirken, was wir alle mit Entwicklungszusammenarbeit erreichen wollen. Genau das steht in unserem
Antrag:
Die Verhandlungen der Europäischen Union mit
den afrikanischen Staaten über den Abschluss von
Wirtschaftspartnerschafts- und Handelsabkommen
müssen dem Ziel der ökonomisch, ökologisch und
sozial nachhaltigen Entwicklung sowie der Menschenrechte verpflichtet sein.
({12})
Nur dann erachte ich solche Abkommen für entwicklungsfördernd. Nur dann macht es auch Sinn und ist es
im Interesse der afrikanischen Partnerländer. Natürlich
entspricht es meinem Selbstverständnis als Parlamentarierin, die Regierung aufzufordern, alles zu tun, dass die
EU-Kommission, die diese Verhandlungen führt, mehr
Flexibilität zeigt und auf die Wünsche der afrikanischen
Länder stärker eingeht. Die Regierung ist hier also gefordert.
({13})
Selbstverständlich finde ich es richtig, dem Wunsch der
afrikanischen Länder zu entsprechen, dieses wichtige
Thema auch auf dem 4. EU-Afrika-Gipfel zu behandeln.
({14})
Warum das Ganze? Weil klar ist, dass Wachstum allein Armut nicht beseitigen kann. Das besagt der letzte
Bericht der United Nations Conference on Trade and
Development. Er macht ganz deutlich: In den am wenigsten entwickelten Ländern - darunter sind 34 afrikanische - sind 80 Prozent der Menschen in schlecht
bezahlten, prekären und unsicheren Jobs in der Landwirtschaft oder im Kleinhandel beschäftigt. Es muss uns
darum gehen, Perspektiven für menschenwürdige Arbeit
und ein menschenwürdiges Leben auch in Afrika zu eröffnen.
({15})
Dazu gehören gerechte Handelsregeln, die Wertschöpfungsketten in afrikanischen Ländern ermöglichen;
ich sage das ausdrücklich. Dazu gehört des Weiteren,
Exportdumping zu verhindern und afrikanischen Ländern faire Absatzchancen in Europa zu eröffnen; auch
das steht in unserem Antrag. Wir brauchen Transparenzregeln, die klarmachen, welche Auswirkungen Finanzströme und Rohstoffeinnahmen auf Finanzen und wirtschaftliches Handeln haben, welche Staaten Einnahmen
generieren und welche nicht und wohin die Mittel fließen. Die afrikanischen Länder müssen mit einer Finanzbasis ausgestattet werden. Sie müssen Steuern erheben
können, um mit den Einnahmen ein Sozialwesen zu
finanzieren.
({16})
Frau Kollegin, Sie denken bitte an die Zeit.
Herr Präsident, ich komme zum Ende. Man könnte sicher noch eine ganze Reihe von Maßnahmen anführen,
die wichtig sind. Ich glaube, wir haben in den nächsten
Jahren mit vielen internationalen Konferenzen Gelegenheit, zu einer Partnerschaft auf Augenhöhe zu kommen.
Wir haben die EU-Afrika-Gipfel, wir haben den ganzen
Prozess der Weiterentwicklung der Armutsbekämpfung
bzw. der Millenniumsziele, wir haben den Klimagipfel
in Paris. All das - wie auch die G-8-Präsidentschaft muss genutzt werden, um die entwicklungsfördernde
Zusammenarbeit mit Afrika voranzutreiben.
Danke.
({0})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun
der Kollege Uwe Kekeritz das Wort.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es
wurde schon gesagt: Der kommende 4. EU-Afrika-Gipfel bietet eine große Chance, deutlich zu machen, dass
Afrika ein Kontinent mit großem Potenzial ist, und auch,
dass Afrika dieses Potenzial bereits sehr aktiv nutzt.
Afrika hat Zukunft. Zur Wahrheit gehört allerdings auch,
dass die Probleme in Afrika noch immens sind. Deshalb
müssen die Themen „gute Regierungsführung“, „soziale
und ökologische Gerechtigkeit“ und das unendlich große
Thema der Menschenrechte auf die Gipfelagenda gesetzt
werden.
({0})
Die EU muss sich eindeutig gegen die Kriminalisierung von Homosexuellen stellen, die in vielen Ländern
Afrikas pogromartige Ausmaße angenommen hat. Der
Hass auf Homosexuelle wird inzwischen staatlicherseits
gefördert und auch instrumentalisiert. Die EU muss sich
hierzu klar positionieren und ihre Politik entsprechend
anpassen.
({1})
Auf dem Gipfel muss die EU auch erklären, welchen
Beitrag sie denn in Bezug auf jene Menschen leistet, die
aus Verzweiflung und Perspektivlosigkeit die Risiken einer Flucht auf sich nehmen. Anstatt die Festung Europa
weiter auszubauen, brauchen wir endlich einen humanitären Umgang mit Flüchtlingen.
({2})
Statt Frontex, Eurosur und Abschiebehaft müssen Armutsbekämpfung in den Herkunftsländern und menschenwürdige Aufnahmeverfahren hier in Europa die
Richtschnur unserer Politik sein.
({3})
Ein weiterer wesentlicher Punkt der Verhandlungen
muss natürlich auch die internationale Unternehmensverantwortung sein. Werte Kolleginnen und Kollegen
von der CDU/CSU, sicherlich erinnern Sie sich noch
daran, wie wir in der letzten Legislaturperiode mit sauguten Argumenten, von der SPD und den Grünen zusammengestellt, die Politik der Bundesregierung diesbezüglich kritisiert haben.
({4})
Die Bundesregierung setzt auf Freiwilligkeit und nicht
auf verbindliche Regelungen. Da ist es doch sehr verwunderlich, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von
der SPD, dass ausgerechnet SPD-geführte Ministerien
die Minimierung von Verantwortung von Unternehmen
unterstützen, die in Krisengebieten tätig sind. Ich spreche von den Ministern Gabriel, Nahles und Maas. Sie
unterstützen nach wie vor die EU-Kommission darin,
dass dort tätige Unternehmen, also Unternehmen, die in
Krisengebieten tätig sind, weniges veröffentlichen und
weniges transparent machen müssen. Alles soll nur freiwillig geschehen.
({5})
- Ja, ja. Die Unternehmen sollen das freiwillig machen,
Frau Kollegin Pfeiffer. - Das halte ich für absurd. Das
kann noch nicht einmal Welke toppen.
({6})
Das Leitmotiv des Gipfels lautet: Investitionen in
Menschen, Wohlstand und Frieden. Ich bin überhaupt
kein Freund dieses Titels. Menschlichkeit, Wohlstand
und Frieden sind nicht nur eine Frage von Investments.
Allerdings ist es schon merkwürdig, dass trotz dieser
Überschrift das Wirtschaftsabkommen EPA nicht auf die
Tagesordnung des Gipfels kommen soll. Worum geht es
bei diesem EPA? Es geht um den afrikanischen Markt,
der für die europäische Industrie inzwischen hochinteressant geworden ist. Ein weitgehender zollfreier Zugang wäre natürlich auch für die europäische Industrie
sehr profitabel. Aber genau diese Zolleinnahmen brauchen die Entwicklungsländer für ihre Entwicklung.
Das weiß auch die EU. Die Steuereinnahmen für die
ECOWAS werden sich jährlich um circa 1,5 Milliarden
Euro reduzieren. Die EU bietet deshalb eine Gegenleistung an. Sie sagt: Ihr bekommt als Ausgleich dafür
6,5 Milliarden Euro, zahlbar innerhalb von fünf Jahren. Es geht aber nicht nur um Zolleinnahmen; es geht um
Arbeitsplätze, die ganze Familien ernähren, die Nachfrage auf dem lokalen Markt schaffen; es geht um kleine
Industrien, die den Zellkern weiterer Entwicklung in
Afrika in sich tragen.
({7})
Endlich wächst eine kleine Industrie in Afrika. Diese
Entwicklung darf nicht grob fahrlässig durch Freihandelsabkommen gefährdet werden.
({8})
Es muss uns doch allen klar sein, dass die afrikanischen Staaten jeden Konkurrenzkampf mit der europäischen Industrie auf dem afrikanischen Markt verlieren
müssen. Die EU hat offensichtlich immer noch nicht begriffen, dass soziale Stabilität in allen Ländern der Erde
auch in unserem Interesse liegt.
Herr Minister Müller, Ihre Forderung, Wertschöpfungsketten in den Ländern zu belassen, ist richtig, wichtig und zentral für die Entwicklung. Die Durchsetzung
der EPAs wird aber genau das Gegenteil bewirken und
bereits entwickelte Wertschöpfungsketten bedrohen und
vernichten. Herr Müller, hier erwarten wir von Ihnen ein
klares Veto gegen diese EPA-Verhandlungen.
({9})
Die 6,5 Milliarden Euro sind trügerische Silberlinge, die
der europäischen Industrie noch nicht einmal wehtun;
denn dieses Geld wird von den Steuerzahlerinnen und
Steuerzahlern gezahlt.
Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, sich in
Brüssel umgehend für ein Moratorium der EPAs einzusetzen. Sie sind nicht notwendig. Sie zerstören die langsam wachsende industrielle Produktion, und sie stehen
unseren entwicklungspolitischen Zielen diametral entgegen. Wir warten hier auf einen allgäuerischen Donnerschlag, Herr Minister.
Danke schön.
({10})
Der Kollege Jürgen Klimke hat nun für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Im Jahre 2000 hieß es in einer langen Geschichte der Wochenzeitung Die Zeit zum
Thema Afrika:
Seit vier Jahrzehnten flackert Afrika als Kontinent
der Apokalypse über die Bildschirme: eine unendliche Geschichte von Dürre und Hungersnot, Krankheit und Korruption, Terror und Tyrannei, Schulden
und Schuld.
Meine Damen und Herren, 14 Jahre später gibt es andere, konstruktivere Sichtweisen mit viel Perspektive,
was Afrika betrifft. Die GIZ bezeichnet Afrika heute als
Kontinent der Zukunft. Die Redewendung vom „Kontinent der Chancen“ ist fast sprichwörtlich geworden. Warum nun dieser Wandel? Hat man nur beschlossen, das
vorher halbleere Glas einfach als halbvoll anzusehen?
Folgende Punkte scheinen mir wesentlich zu sein:
Afrika hat sich selbst auf den Weg gemacht, sich zu entwickeln, und es entwickelt sich. Deutliche Fortschritte
sind erkennbar: bei der Armutsbekämpfung, bei der Bildung, bei der Wirtschaftsentwicklung, bei der Stärkung
der Staatlichkeit und bei der Kooperation innerhalb Afrikas. Auf die darauf beruhenden Chancen geht unser Antrag ein.
Zum Antrag der Linken mit dem schönen Titel „EUAfrika-Gipfel - Partnerschaft an Gerechtigkeit und Frieden ausrichten“. Befremdlich an diesem Antrag ist, dass
man so tut, als würde die auf Frieden und Gerechtigkeit
ausgerichtete EU-Politik heute nicht verfolgt, als müsste
man die EU daran erinnern, dies in den Fokus zu stellen.
Meine Damen und Herren, die Stärkung der Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika, die verstärkten Investitionen in Bildung, die Leuchtturmprojekte im Bereich
der Berufsbildung - ja, dient das alles etwa nicht der Gerechtigkeit? Die Initiativen in der Entwicklungszusammenarbeit für die Herstellung von Transparenz, zum
Beispiel bei Rohstoffeinnahmen, sind ebenso gerecht
wie unser Einsatz, Kollege Kekeritz, für die Stärkung
der Unternehmensverantwortung, CSR; um hier nur einige Beispiele zu nennen.
({0})
Ich will damit zeigen: Wir müssen uns mit unserer Politik nicht verstecken. Wir sind auf einem guten und richtigen Weg, gerade in der Entwicklungszusammenarbeit.
Deutschland hat viel geleistet; auch das muss man
einmal sagen. Ich verweise zum Beispiel auf den ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler, der Afrika ganz
oben in Deutschland eine Stimme verliehen hat und sich
auch heute noch in Afrika engagiert.
Herr Minister Müller, ich möchte Ihnen besonders
ausdrücklich danken und Sie dafür loben, dass Sie
Afrika zum Schwerpunkt Ihrer Politik gemacht haben,
aber auch solche Fragen aufgreifen wie Corporate Social
Responsibility, soziale Unternehmensverantwortung, die
Afrika interessieren. Das ist etwas, was für Afrika wichtig ist.
Aber lassen Sie mich noch einige Worte als Außenpolitiker sagen, meine Damen und Herren. Wir bekennen
uns ganz klar zu einer interessengeleiteten deutschen
Außenpolitik. Ich möchte das im Folgenden kurz darlegen. Welche Interessen hat Deutschland, welche Interessen haben die EU-Staaten in Afrika? Ich sehe vor allen
Dingen vier Bereiche: geostrategische, wirtschaftspolitische, sicherheitspolitische und innenpolitische Interessen.
({1})
Lassen Sie mich mit dem Letzten, den innenpolitischen Interessen, anfangen. Da geht es darum, unregulierte Zuwanderung nach Europa zu verhindern, weil unsere Gesellschaft nicht in unbegrenztem Maße
aufnahmefähig ist. Das ist eine Tatsache. Das ist auch
der Grund dafür, dass es Frontex gibt. Wir werden Frontex auch nicht abschaffen, wie es die Linke fordert; ganz
abgesehen davon, dass Frontex zum Beispiel Tausende
von Menschen aus Seenot rettet.
({2})
Wir wollen aber verstärkt daran arbeiten, dass die Menschen in ihren Herkunftsländern bleiben können, bleiben
wollen,
({3})
aber nicht müssen und dort Perspektiven haben.
Sicherheitspolitisch ist Afrika früher nicht hinreichend ernst genommen worden. Die afrikanischen Verhältnisse waren für uns verwirrend, und die Probleme
waren weit weg. Das hat sich nun geändert. Ein Grund
dafür ist der globale Terrorismus, der Rückzugsräume
auch in Libyen, in Mali und in Mauretanien hat. Gründe
dafür sind aber auch die Piratenangriffe am Horn von
Afrika und die Bedrohung des Seehandels. Ich komme
aus Hamburg und weiß sehr viel darüber, zumal wir auch
den Internationalen Seegerichtshof bei uns in der Stadt
haben.
Wenn wir heute ein Konzept dafür entwickeln, wie
fragile Staaten stabilisiert werden können, dann geschieht das auch deshalb, weil die Globalisierung und
Vernetzung der Welt voranschreitet. In diesem Zusammenhang begrüße ich es sehr, dass Europa und Deutschland zunehmend bereit sind, sich auch sicherheitspolitisch in Afrika zu engagieren. Wir wissen, dass
Sicherheit eine Grundvoraussetzung für Entwicklung ist.
Meine Damen und Herren, natürlich hat Deutschland
auch wirtschaftliche Interessen in Afrika; ganz klar. Wie
kann ein Kontinent mit 1 Milliarde Menschen, dessen
Fläche zu 80 Prozent noch nicht intensiv nach Bodenschätzen untersucht worden ist, uninteressant für unsere
Wirtschaft sein? Unsere Wirtschaft ist im Zusammenhang mit Afrika auf zweierlei angewiesen: auf den Zugang zu diesen Rohstoffen und auf den Export dieser
Rohstoffe in andere Märkte - zusammen mit den afrikanischen Partnern. Afrika ist für deutsche Unternehmen
als Handelspartner wichtig und als Investitionsstandort
interessant. Es bietet große Chancen. Wenn eine Region
den Sprung aus der Armut geschafft hat, dann war es fast
immer die freie Wirtschaft, die dazu den Löwenanteil
beigetragen hat. Das Beispiel Ost- und Südostasien zeigt
das.
Wir müssen erreichen, dass sich Unternehmen aus
Europa sicher fühlen, damit sie in Afrika investieren.
Wenn bei diesen Investitionen auch soziale und ökologische Mindeststandards eingehalten werden, dann spricht
nichts dagegen. Beiderseitige Marktöffnung gehört jedoch dazu.
Herr Kollege.
Herr Präsident?
Ich hatte den begründeten Verdacht, dass Ihnen nicht
aufgefallen ist, dass die Redezeit zu Ende ist.
({0})
Gut. Ich darf dann zum Schluss noch eine Bemerkung
machen, Herr Präsident, eine Bemerkung vor allem als
Vater von vier Kindern und als Entwicklungspolitiker.
Unabhängig von den Interessen, die wir haben, müssen wir feststellen, dass in Afrika, zum Beispiel im Niger, noch 114 von 1 000 Kindern im ersten Lebensjahr
sterben, während es in Deutschland „nur“ 4 Kinder sind.
Das darf uns nicht unberührt lassen. Ich danke deswegen
allen, die sich gerade in diesen Fragen durch Spenden
oder durch freiwillige Aktionen engagieren und einen
Beitrag für Afrika und die Welt leisten.
Danke sehr.
({0})
Heike Hänsel ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Klimke, Sie sagten, es gehe für die Europäische Union um geostrategische und sicherheitspolitische
Interessen. Nichts anderes haben wir in unserem Antrag
ganz klar kritisiert. Die soziale und ökonomische Entwicklung steht nicht im Mittelpunkt, sondern die Interessen der Europäischen Union. Genau deswegen lehnen
wir diese Politik ab.
({0})
Herr Müller, ich begrüße es, dass Sie jetzt die Entwicklungszusammenarbeit mit der Zentralafrikanischen
Republik aufnehmen wollen, dass viel Geld dafür zur
Verfügung gestellt wird. Aber wenn sich die Auswahl
der Länder jetzt danach richtet, wohin deutsche Soldaten
entsendet werden, wird damit in unseren Augen der völlig falsche Weg eingeschlagen. Es geht nämlich darum,
zunächst einmal zu fokussieren, wo die Bedürfnisse der
Bevölkerung liegen und wo wir Entwicklung fördern
müssen. Es darf nicht ausschließlich danach gehen, in
welchen Ländern wir militärisch präsent sind.
({1})
Frau Kofler, Sie hatten sich ja über das Wort „Kapitalismus“ in unserem Antrag echauffiert.
({2})
- Ja, darüber, dass die Länder des Südens Opfer des Kapitalismus sind. - Ich frage mich: Wie bezeichnen Sie
denn diese Wirtschaftsordnung, wenn nicht als kapitalistisch?
({3})
Profit, Marktöffnung, Zugang zu Rohstoffen - all das
steht vor dem Recht auf Nahrung, vor Ernährungssouveränität. Es geht doch um Profitinteressen. Genau das kritisieren wir. Wir wollen eine andere Weltwirtschaftsordnung, weil nur so Entwicklung ermöglicht werden kann.
({4})
Diese Auseinandersetzung führen wir natürlich jetzt
auch im Rahmen des EU-Afrika-Gipfels mit den afrikanischen Ländern. Es wurde erwähnt: Die EU will nicht
über diese zentrale Frage der Ausrichtung der Handelspolitik diskutieren. Dabei gibt es massive Kritik aus
den Ländern des Südens. Aminata Traoré, die ehemalige Kulturministerin Malis und eine bekannte Globalisierungskritikerin, bezeichnete schon vor Jahren die
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen als die „Massenvernichtungswaffen Europas“, weil sie Millionen von
Existenzen von Kleinbauern, von Kleinhändlern bedrohen und dadurch mehr Arbeitslosigkeit und mehr Armut
entsteht. Das steht ja genau im Gegensatz zu dem, was,
wie behauptet wird, durch die EPAs erreicht werden soll,
nämlich mehr Entwicklung.
Die afrikanischen Länder sollen ihre Märkte weiter
öffnen. Ein zentraler Punkt ist eben auch der Abbau von
Exportzöllen, zum Beispiel für Rohstoffe. Aber genau
diese Exportzölle sind wichtig, um Rohstoffe in den
Ländern zu halten und dort eine eigene ökonomische
Entwicklung in Gang zu setzen und Wertschöpfungsketten aufzubauen. Herr Minister Müller, das war ja ein
zentrales Anliegen Ihrer Antrittsrede.
({5})
Sie sagten, die Wertschöpfung in den Ländern des Südens, in Afrika, muss gestärkt werden. Deswegen müssen Sie sich entscheiden; ich erwarte von Ihnen eine
klare Positionierung: entweder Freihandel oder Entwicklung und Stärkung der Wertschöpfung in Afrika. Beides
zusammen geht nicht.
({6})
So haben Sie es in Ihrem Antrag auch nicht formuliert,
Frau Kofler. Zu den Exportzöllen äußern Sie sich nicht.
Sie bleiben nebulös und sagen, dass Sie eine entwicklungsförderliche Handelspolitik wollen. Was ist denn das
konkret?
Sie müssen dafür sorgen, dass die afrikanischen Staaten ihre Wirtschaft, ihre Ökonomien schützen können.
({7})
Wenn wir aber stärker in diese Märkte hineindrängen,
dann verhindern wir das. Übrigens: Nicht nur wir, die
Linke, kritisieren das seit vielen Jahren, auch viele kirchliche und zivilgesellschaftliche Organisationen tun das.
Diese beschweren sich darüber, dass sie nicht an diesen
Prozessen beteiligt werden. Ähnlich wie bei den Verhandlungen über TTIP mit den USA fehlt der Zugang zu
Informationen. Parlamente werden kaum informiert.
Parlamentarier in afrikanischen Ländern haben sich oft
bei uns beschwert, dass sie nicht informiert sind und
Hunderten von EU-Beamten gegenüberstehen, die sie
ganz leicht über den Tisch ziehen können. Das ist keine
Partnerschaft auf Augenhöhe.
({8})
Deswegen fordern wir auch, dass die EPA-Verhandlungen gestoppt werden. Wir wollen dahin kommen, dass es
neue wirtschaftliche Beziehungen gibt, die gerecht aufgebaut sind.
Jetzt möchte ich noch etwas zu dem ganzen Themenkomplex der Sicherheitspolitik sagen. Der Europäische
Entwicklungsfonds der EU ist milliardenschwer. Über
diesen Entwicklungsfonds werden auch Militäreinsätze
und Polizeieinsätze in Afrika finanziert. Auch das kritisieren wir seit Jahren. Es kann nicht sein, dass Entwicklungsgelder für Militärmissionen missbraucht werden.
Deswegen fordern wir das Ende dieser sogenannten afrikanischen Friedensfazilität.
({9})
Für uns ist ganz klar, dass die zivil-militärische Zusammenarbeit in Afrika jetzt verstärkt werden soll. Das
heißt, Entwicklungszusammenarbeit und Militärmissionen sollen Hand in Hand gehen; sie sind sozusagen zwei
gleichberechtigte Instrumente, um den Zugang zu Rohstoffen unter anderem in den afrikanischen Ländern abzusichern. Auch diese Instrumentalisierung der Entwicklungspolitik lehnen wir ab.
({10})
Zum Schluss. Ich komme aus Stuttgart, und da liegt
es nahe, dass ich die US-Kommandozentrale AFRICOM
erwähnen muss. Von Stuttgart-Möhringen aus werden
die Militäreinsätze und Drohneneinsätze der USA in
Afrika koordiniert. Wenn wir etwas für die Menschen in
Afrika machen wollen, dann müssen wir diese Zentrale
schließen. Dort werden völkerrechtswidrige Angriffe auf
Menschen in Afrika - gezielte Tötungen - organisiert.
Das ist eine unmenschliche Politik. Deswegen: Schließen wir AFRICOM in Stuttgart!
Danke.
({11})
Das Wort hat nun der Kollege Christoph Strässer für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Auch ich bin sehr froh darüber, dass es gelungen ist, nach den vielen afrikapolitischen Debatten, die in dieser Legislaturperiode schon
stattgefunden haben, nunmehr eine zu führen, die sich
nicht in erster Linie mit militärischen Interventionen
auseinandersetzt. Ich glaube, das ist gut. Eine solche
Fokussierung wäre auch falsch. Sie ist - das habe ich in
der Debatte bezüglich Mali bereits gesagt - auch nicht
inkludiert, wenn man über Verantwortung in der Außenpolitik redet. Es wäre ein völlig falscher Ansatz. Verantwortung für diese Länder bedeutet in erster Linie Krisenprävention und Einsatz für Menschenrechte. Damit kann
verhindert werden, dass es zu solchen Interventionen
kommt, meine Damen und Herren.
({0})
Es ist hier schon viel über militärische Intervention
gesagt worden. Wir haben in den letzten Wochen und
Monaten über viele Begrifflichkeiten in der Außenpolitik gesprochen. Der Begriff „Verantwortung“ wurde mit
Attributen wie zynisch und heuchlerisch kommentiert.
Anfang April werden wir hier - es gibt einen entsprechenden Antrag -, aber auch vor Ort des Genozids in
Ruanda gedenken. Das sollten wir uns noch einmal in
Erinnerung rufen.
Sehr viele Menschen nicht nur in diesem Land, sondern auch in anderen Ländern und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen - ich knüpfe an den Aufruf von
Amnesty International an - fordern uns dringend auf,
nicht wieder wie 1994 sehenden Auges einen beginnenden Genozid zuzulassen. Ich frage Sie allen Ernstes: Ist
es heuchlerisch und zynisch, wenn wir sagen, dass die
Zentralafrikanische Republik im Moment eine militärische Intervention braucht, damit ein sich anbahnender
Genozid verhindert wird? Ich finde, es ist verantwortungsvoll, dass wir darüber nachdenken.
Meine ganz persönliche Meinung ist: Die Entsendung
von einem oder zwei Transportflugzeugen ist für mich
zu wenig. Ich unterstütze die Franzosen bei dem, was sie
dort tun, nämlich diesen sich anbahnenden Genozid zu
verhindern, damit wir in 20 Jahren nicht wieder hier stehen und darüber klagen.
({1})
Wir sprechen hier - das ist völlig richtig - über verschiedenste Formen der Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern. Es ist von Herrn Minister Müller angesprochen worden, dass unser Blick auf Afrika der
Situation der Staaten auf dem afrikanischen Kontinent
möglicherweise nicht gerecht wird. Natürlich gibt es unterschiedliche Entwicklungen. Natürlich haben wir unterschiedliche Ansätze in Bezug auf die Staatlichkeit, die
Rechtsstaatlichkeit sowie auf die Bestrafung von schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Meine Damen und Herren, ich finde es zu einfach, zu
sagen, dass die komplette Politik der Bundesrepublik
Deutschland und der EU ausschließlich darauf ausgerichtet ist, eigene Interessen zu formulieren und durchzusetzen, und dass die Menschenrechte - quasi als Deckmantel - nur am Rande eine Rolle spielen. Ich finde, das
ist eine sehr problematische Diskussion. Das will ich
auch an ein, zwei Beispielen deutlich machen.
Wir und insbesondere die Kollegin Groth haben im
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe in
der letzten Legislaturperiode immer sehr deutlich darauf
hingewiesen, dass wir mit der Menschenrechtssituation
in Ägypten, einem nordafrikanischen Land, das sich in
einem schwierigen Transitionsprozess befindet, nicht
einverstanden sind. Das gilt insbesondere für den Sinai,
wo es Menschenhandel und andere Dinge gibt.
Wir haben Gespräche mit dem ägyptischen Botschafter geführt. Ich hatte vor drei Tagen noch einmal - in
Anführungsstrichen - das „Vergnügen“. Ich habe mit
den Kolleginnen und Kollegen aus Ägypten über die Situation in ihrem Land geredet und ihnen gesagt - das sagen wir alle im Übrigen -: Die Situation auf dem Sinai
ist nicht haltbar. Die Situation dort muss verändert werden; denn dort geschehen elementare Menschenrechtsverletzungen. Dabei geht es um Menschenhandel,
Organentnahmen und vieles mehr. - Zeigen wir, wenn
wir das kritisieren, etwa mit dem Finger auf andere Länder und wollen nur eigene Interessen umsetzen? Oder
verzichten wir darauf, auf Menschenrechtsverletzungen
schwerster Art hinzuweisen, wenn sie sich auf dem afrikanischen Kontinent abspielen?
Ich habe vorletzte Woche im Menschenrechtsrat in
Genf schwer für eine gemeinsame Entschließung mehrerer europäischer Länder gearbeitet, um auf die Situation
in Ägypten aufmerksam zu machen. Das ist richtig, und
das ist gut. Ich finde, wir haben, gerade in Anbetracht
unserer Partnerschaft, nicht nur das Recht, sondern auch
die Verpflichtung, über solche Situationen in den afrikanischen Ländern zu reden und natürlich auch darauf hinzuweisen, dass wir den Aufbau von rechtsstaatlichen
Strukturen, von Staatlichkeit unterstützen wollen. Dass
es diese nicht gibt, ist doch Teil der großen Probleme in
vielen afrikanischen Ländern.
Es gibt viele Länder, die sich sehr gut entwickeln. Das
gilt zum Beispiel für Ghana; es gibt noch andere Beispiele. Es gibt aber eben auch Länder, wo es nicht funktioniert. Wir haben aufgrund der sehr intensiven Zusammenarbeit, auch im entwicklungspolitischen Bereich,
das Recht, zu sagen: Wenn es im Osten der Demokratischen Republik Kongo keine Staatlichkeit mehr gibt,
dann ist es die Pflicht der Bundesrepublik Deutschland
und der EU, auf Veränderungen hinzuwirken. Diese Veränderungen zu unterstützen, ist keine Einmischung in
die Angelegenheiten der Demokratischen Republik
Kongo, wo es nach wie vor schwerste Menschenrechtsverletzungen gibt.
({2})
Es ist auch unsere Verpflichtung, etwas zu tun. Es ist
doch eine Verhandlung auf Augenhöhe. Es ist keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Landes
mit Arroganz und westlicher Besserwisserei. Wir mahnen dort die Umsetzung von internationalen Menschenrechtsverträgen an, die all diese Staaten unterschrieben
haben. Sie haben sie nicht unter Druck unterschrieben.
In Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist die Würde des Menschen klar definiert. Darauf
müssen wir diese Länder hinweisen. Im Übrigen kritisieren wir Menschenrechtsverletzungen auch bei uns. Wenn
wir das im eigenen Land tun, dann ist es auch unser
Recht, dies in Bezug auf andere Länder zu tun.
Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen - Herr Kekeritz
hat das Thema LGBTI angesprochen -: Im Moment ist
Alice Nkom in Deutschland zu Besuch. Alice Nkom ist
eine Menschenrechtsverteidigerin aus Kamerun. Sie ist
ungefähr 70 Jahre alt und war im Jahre 1969 die erste
schwarze Frau in Kamerun, die zur Anwaltschaft zugelassen worden ist. Sie hat am Dienstag hier in Berlin den
7. Menschenrechtspreis der deutschen Sektion von Amnesty International erhalten. Thema war der Kampf gegen Homophobie in Kamerun - nur in Kamerun. Frau
Nkom hat gestern Abend im Auswärtigen Amt eine, wie
ich finde, beeindruckende Rede über das, was sich in
Kamerun entwickelt, gehalten. Ich kann nur sagen - ich
weiß, dass die Bundeskanzlerin dieses Thema auf dem
EU-Afrika-Gipfel ansprechen wird -: Es kann, gerade
unter Geltung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, nicht sein, dass wir Homophobie durchgehen lassen.
({3})
Ich bitte Sie, sich intensiv anzuschauen, was sich im
Moment in diesem Zusammenhang in einigen afrikanischen Ländern abspielt. Dies betrifft nicht nur Uganda.
Es gibt diese Tendenzen - darüber haben wir oft gesprochen - auch in der Demokratischen Republik Kongo und
in anderen Ländern. Es gibt dazu - das wusste ich gar
nicht - seit 1962 eine Gesetzgebung in Kamerun.
Eine aus meiner Sicht klare Botschaft ist: Homophobie, die Verfolgung von LGBTI-Menschen ist nicht nur
in Deutschland, wo die Strafbarkeit von homosexuellen
Handlungen noch nicht sehr lange abgeschafft ist, sondern auch in Afrika eine ganz wichtige Angelegenheit.
Hier müssen wir weiter ansetzen. Wir müssen nicht nur
Frau Nkom, die mir gesagt hat, dass sie sich gefährdet
fühlt, sondern allen Betroffenen dieser Menschenrechtsverletzungen im Zweifel Hilfe und Unterstützung anbieten. Das bedeutet auch, denjenigen, die sich damit
befassen, in den Ländern, in denen sie arbeiten, konsularischen und Botschaftsschutz zu gewähren. Sie machen
eine ganz wichtige Arbeit in diesem Feld, auch für uns
und unsere Werte. Ich finde, das sollten wir insgesamt
ganz massiv unterstützen, meine Damen und Herren.
({4})
Was lehren uns die Anträge und all die Erklärungen,
die wir in den letzten Wochen und Monaten hier abgegeben haben? Ich - Sie haben das gemerkt - sehe die Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent insbesondere
unter dem menschenrechtlichen Aspekt. Ich sage: Die
Wahrung der Menschenrechte dort wie auch bei uns ist
die Basis für vernünftige Beziehungen. Die Basis für
vernünftige Beziehungen ergibt sich aber nicht aus Entwicklungen, die wir anderen Nationen, anderen Ländern
aufgeben, sondern aus freiwilligen Vereinbarungen in
den großen menschenrechtlichen Verträgen. Ich finde, es
ist unsere Verpflichtung, auch hier im Parlament darauf
hinzuweisen.
Ich sage - allerdings nicht mit erhobenem Zeigefinder, sondern in dem Bewusstsein, dass die Umsetzung
und Durchsetzung der Menschenrechte in Europa und
Deutschland vom Zeitalter der Aufklärung bis zur Einführung des demokratischen Wahlrechts nach dem Ersten Weltkrieg immerhin 250 Jahre gedauert hat -: Wir
sollten von diesen Nationen und Menschen nicht erwarten, dass sie innerhalb von wenigen Wochen und Monaten das erreichen, wofür wir und unsere Vorfahren jahrzehntelang gekämpft haben. Wir sollten einen Diskurs
führen und durch gemeinsame Anstrengungen dafür sorgen, dass Grundrechte und Menschenrechte weltweit
Geltung haben. Dafür sind sie geschaffen worden. Das
ist der konstruktive Beitrag, den ich meine, wenn ich
sage: Deutsche Interessen gibt es in der ganzen Welt. Ein
Teil der deutschen Interessen besteht darin, dazu beizutragen, dass alle Menschen auf dieser Welt unter den
gleichen Voraussetzungen, nämlich der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, leben und ihre Würde erhalten bzw. bekommen.
Herzlichen Dank.
({5})
Nun hat der Kollege Frithjof Schmidt das Wort für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Drei große Themen werden beim vierten EU-AfrikaGipfel in Brüssel im Zentrum der Gespräche über die
politischen Konflikte stehen - es ist wichtig, dass man
darüber spricht, dass es da richtige Konflikte gibt -:
Viele afrikanische Länder wollen erneut über ihre Kritik
an den Verhandlungen über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen reden. Sie erinnern sich vielleicht:
Der Gipfel 2007 wäre darüber fast geplatzt. Seitdem gibt
es hierzu eine lange Geschichte der Auseinandersetzung;
sie kommt zurück und holt uns ein. Die afrikanischen
Länder wollen keine zu große Marktöffnung, weil sie
dann die Existenz ganzer Wirtschaftszweige und damit
ihre Stabilität gefährdet sehen; mein Kollege Uwe
Kekeritz ist darauf schon ausführlich eingegangen.
Die Europäische Union will eigentlich nicht darüber
sprechen. Sie wird es aber tun müssen. Sie wird begreifen müssen, dass es dabei auch um Stabilität geht. Die
EU will unter anderen Aspekten über Stabilität reden:
zum einen über afrikanische Sicherheitsstrukturen - und
da im Kern über militärische Fragen - und zum anderen
über Migration, das heißt über die große Zuwanderungswelle über das Mittelmeer nach Europa mit ihren vielen
Opfern.
Dass es wieder einmal im Vorfeld diese Konflikte
über die Tagesordnung gegeben hat, zeigt schon vorab,
dass der Dialog mit den afrikanischen Staaten seit 2007
durch die Handelspolitik schwer belastet wird.
({0})
Das belastet natürlich auch die notwendige Debatte über
Frieden und Sicherheit.
Es ist sinnvoll, mit der Afrikanischen Union gemeinsam an einem sicherheitspolitischen Konzept für den
Krisenbogen in Subsahara-Afrika von Mali über Zentralafrika bis nach Somalia und bis zur Region der Großen
Seen und dem Kongo zu arbeiten. Aber eine gemeinsame europäische politische Idee oder Initiative dafür ist
bisher nicht erkennbar. Stattdessen soll anscheinend einfach die African Peace Facility umgebaut werden: zu einem Instrument der verstärkten Militärausbildung und
einer anderen Lastenteilung bei Militäreinsätzen im Auftrag der Afrikanischen Union oder vielleicht auch der
Europäischen Union. Frau Merkel hat das gestern „Ertüchtigungsinitiative“ genannt - ein interessantes Wort.
({1})
Das ist eine politische Sackgasse.
({2})
Das treibt ein jahrelanges Umfunktionieren dieser
ehemaligen Institution zur Friedensförderung zu einer
Art Dachverband der Militärkooperation auf die Spitze.
Die African Peace Facility wird aus dem Europäischen
Entwicklungsfonds finanziert. Ihre Aktivitäten gelten als
Entwicklungshilfeleistung, zertifiziert vom DAC in Paris. Es ist in der Europäischen Union schlicht rechtswidrig, solche Gelder für Militärausbildung zu verwenden.
({3})
Im Antrag der Koalitionsfraktionen kann man dazu
konkret kein Wort lesen. Sie ignorieren diesen zentralen
Streit. Wie stehen Sie zu diesem Umfunktionieren? Unterstützen Sie das? Herr Minister Müller, was ist denn
Ihre Meinung? Wollen Sie das wirklich mitmachen? Das
wäre absurd; denn dann würden wir mit Entwicklungshilfegeldern direkt Soldatinnen und Soldaten finanzieren. Das geht doch nicht.
({4})
Sicherheitspolitik und Entwicklungspolitik dürfen nicht
finanziell vermischt werden, und die Kooperation in beiden Feldern darf auch nicht indirekt mit handelspolitischem Wohlverhalten verbunden werden.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will noch zum
dritten großen Streitthema des Gipfels kommen: zum
Umgang mit der rasch wachsenden Migration zwischen
Afrika und Europa. Dass Sie auf dieses wichtige Thema
in Ihrem Antrag fast gar nicht eingehen, sagt schon etwas aus. Auch diesen Konfliktpunkt des Gipfels ignorieren Sie, wenn es konkret wird. Dabei sterben nach wie
vor täglich Menschen im Mittelmeer. Da gibt es massiven Handlungsbedarf. Die Grenzüberwachung durch
Frontex muss grundlegend verändert werden. Es ist notwendig, dass sich Frontex an die internationale Seenotrettungskonvention hält. Das muss durchgesetzt werden.
({6})
Es ist hier vorhin gesagt worden: Das machen sie. Aber wir alle wissen: Das machen sie eben nicht konsequent, nicht immer und nicht wirklich. Wenn die Frage
gestellt wird: „Wann ist ein Schiff in Seenot?“, dann sagen die Polizeioffiziere von Frontex: Wir haben eine
Richtlinie; es ist in Seenot, wenn es unter der Wasserlinie ist. - Aber wenn es kurz vorm Sinken ist, dann darf
man es nicht retten? Da läuft etwas ganz grundlegend
schief.
({7})
Wir brauchen zusätzlich eine Agentur, die sich europaweit um die Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten kümmert und sich als deren Anwältin versteht.
Doch bei Migration geht es nicht nur um die Frage
der Flüchtlinge. Den afrikanischen Staaten ist es wichtig,
die positiven Seiten einer legalen Arbeitsmigration nach
Europa in den Vordergrund zu stellen.
({8})
Eine legale, befristete Arbeitsaufnahme in Europa muss
möglich sein. Das ist eine Frage der Ursachenbekämpfung. Wir müssen es deutlich erleichtern, eine begrenzte
Arbeitserlaubnis zum Beispiel für Saisonarbeiter zu erteilen. Der Bedarf ist da, auf beiden Seiten des Mittelmeers. Wir müssen hier dringend neue Wege gehen.
({9})
Davon ist bei der Vorbereitung des Gipfels in Brüssel
leider wenig zu erkennen. Wir hoffen, dass im direkten
Dialog mit den afrikanischen Staaten doch noch Bewegung in diese Richtung aufkommt. Dafür hätten Sie auch
unsere Unterstützung.
Danke.
({10})
Ich erteile das Wort nun der Kollegin Dagmar Wöhrl
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit
Wochen beherrschen die Entwicklungen in der Ukraine
und insbesondere auf der Krim die Nachrichten. Viele
sagen, wir stünden davor, in die alte Politik des Nullsummenspiels zurückzufallen, ganz im Sinne der harten
Realpolitik der 60er-Jahre, wo es nur Gewinner und Verlierer geben konnte. Ich glaube, sagen zu können: Wir
als Deutsche und Europäer werden uns nicht in die Rolle
des Kalten Kriegers zurückdrängen lassen. Viele deuten
das als Zeichen der faktischen Schwäche. Ich würde sagen: Es zeigt, dass Europa diplomatische Stärke hat.
Die tragende Säule unserer Partnerschaften in der
Welt war und ist unsere Werteorientiertheit.
({0})
Auch der jetzt vor uns liegende EU-Afrika-Gipfel gibt
uns die Möglichkeit, zu zeigen, dass wir weiterhin eine
kooperative Weltpolitik praktizieren und so echte Partnerschaften ermöglichen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, 14 Jahre ist es nun
her, seit der erste EU-Afrika-Gipfel im Jahr 2000 stattgefunden hat. Afrika ist ein Kontinent der permanenten
Veränderungen; er ändert sich manchmal schneller als
unser eigenes Bild von ihm. In dieser Zeit gab es viele
Katastrophenmeldungen, es gab aber auch viele Erfolgsmeldungen.
Bei Katastrophenmeldungen denken wir an die große
Dürrekatastrophe in der Sahelzone 2012. Nur fünf Jahre
vorher gab es in dieser Region große Überschwemmungen und dadurch eine hohe Obdachlosigkeit.
In Nordafrika waren wir in den letzten drei Jahren
Zeuge des größten demokratischen Aufbruchs, den man
sich überhaupt vorstellen kann. Der Arabische Frühling
hat auf der ganzen Welt enorme Hoffnungen geweckt.
Tunesien hat sich gerade eine der fortschrittlichsten Verfassungen der arabischen Welt gegeben und so in Bezug
auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau neue
Maßstäbe gesetzt sowie Glaubensfreiheit und Bekenntnisfreiheit verankert. Solche Fortschritte hat man sich
vor ein paar Monaten noch nicht vorstellen können.
Es gibt auch eine andere Seite. In Ägypten beispielsweise scheint sich die Uhr zurückzudrehen. Hier prägt
das Militär die Politik.
Nehmen wir das Beispiel Demokratische Republik
Kongo. 2003 wurde ein Friedensabkommen verabschiedet, 2007 war das schon wieder obsolet, der Dritte Kongokrieg begann.
Nehmen wir als Beispiel die Zentralafrikanische Republik, die ich letzte Woche gemeinsam mit dem Minister besucht habe: 20 Jahre nach dem Genozid in Ruanda
ist vor den Augen der Weltöffentlichkeit einer der größten Konflikte zwischen Muslimen und Christen entbrannt. Ein Versöhnungsprozess liegt in ganz weiter
Ferne, und es ist auch nicht möglich - das kann man sich
nicht vorstellen -, einen Versöhnungsprozess in Gang zu
setzen, weil es keine funktionierende Justiz, keine entsprechenden Strukturen gibt. Der Wiederaufbau dieses
Landes wird Jahrzehnte dauern.
14 Jahre nach dem ersten EU-Afrika-Gipfel und kurz
vor dem vierten Gipfel ist es wichtig, dass wir zurückblicken. Aber wir sollten uns auch fragen: Wo steht Afrika
heute? Wie ist das Afrika von 2014? Wie hat sich der
Kontinent gewandelt? Welches Afrika-Bild haben wir?
Wie soll die Partnerschaft zwischen Europa und Afrika
künftig gestaltet werden?
Wenn wir ein ehrliches Bild von Afrika wollen, dann
müssen wir auch einen ehrlichen Blick zulassen. Das
Bild von Afrika ist weder schwarz noch weiß, sondern
unwahrscheinlich bunt.
Seit dem Jahr 2000 haben sich die Malariafälle um
75 Prozent reduziert. 2002 erhielten nur 50 000 Menschen Arzneimittel gegen HIV und Aids, inzwischen
sind es 7,5 Millionen. Die Kindersterblichkeit ist rapide
zurückgegangen: um 41 Prozent in 20 Jahren. Das ist
immer noch zu hoch, trotzdem ist das eine der spektakulärsten Erfolgsgeschichten unserer weltweiten Entwicklungspolitik.
Afrika ist ein Magnet für ausländische Direktinvestitionen. Sie haben sich seit 2003 verdreifacht. Allein
2012 wurden 46 Milliarden Euro in diesen Kontinent investiert. Der Minister hat es vorhin angesprochen: Von
den zehn am schnellsten wachsenden Ländern sind sechs
aus Afrika. Es wird mit einem durchschnittlichen Wirtschaftswachstum von 6 Prozent gerechnet. Afrika ist
also auch ein Chancenkontinent.
Die Liste der Erfolgsgeschichten und Katastrophenmeldungen könnte nicht vielfältiger sein, ebenso wie der
Kontinent nicht vielfältiger sein könnte: 54 Länder,
885 Millionen Menschen, 3 000 Bevölkerungsgruppen
und 2 000 Sprachen.
Wie sieht unsere Rolle, wie sieht die Rolle der EU in
Afrika künftig aus? Wer, wenn nicht wir in Europa, kann
aufgrund der geografischen Nähe, die wir zu unserem
Nachbarkontinent haben, und aufgrund der eigenen Geschichte ein ernsthafter Partner Afrikas sein?
Was sind die Ursachen für das permanente Auf und
Ab in Afrika? Sind es die Naturkatastrophen, von denen
der Kontinent Afrika immer wieder heimgesucht wird?
Nein, es sind die Menschen, die für Licht und Schatten
Verantwortung tragen.
Alle Erfolge und auch die meisten Misserfolge, die
ich eben erwähnt habe, sind von Menschen gemacht.
Menschen sind es aber auch, die vor Ort lokale Lösungen schaffen für lokale Probleme, die schon seit Jahrzehnten bestehen. Deswegen begrüße ich das Motto des
diesjährigen Gipfels: „Investing in People, Prosperity
and Peace“. Beachtenswert finde ich, dass die Afrikaner
das Wort „People“ auf die Tagesordnung gesetzt haben.
Wir sind immer für Hilfe zur Selbsthilfe, aber das darf
nicht nur ein leerer Slogan sein. Wir wissen, dass 50 Prozent der jungen Menschen in Afrika jünger als 18 Jahre
sind. In sie muss investiert werden. Wenn uns das gelingt, dann sind langfristig auch Prosperity und Peace
möglich.
Wo führt unsere Partnerschaft wirtschaftlich, kulturell
und menschlich hin? Europa ist nach den USA und
China der wichtigste Markt für afrikanische Exporte.
Umgekehrt repräsentiert Afrika nahezu 10 Prozent des
Außenhandels der Europäischen Union.
Neben den vielen Milliarden, die nach Afrika geflossen sind, war es für uns immer wichtig, unser Knowhow, unser technisches Wissen und unsere Erfahrungen
im Bereich der nachhaltigen Entwicklung zu transferieren. All das hilft, den Kontinent mit aufzubauen. Unser
Ziel ist es und wird es immer sein, die Abhängigkeit von
Entwicklungsgeldern, die teilweise immer noch besteht,
abzubauen.
Transparenz, Gleichberechtigung, politische Teilhabe das ist unsere Vision von Partnerschaft. Der Hass gegenüber Homosexuellen in Uganda, die Homophobie, und
die beispiellose Hetzjagd dort - das haben meine Kollegen schon angesprochen - dürfen in unserer Partnerschaft absolut keinen Platz haben.
({2})
Deswegen ist es wichtig und richtig, dass die Auszahlung der nächsten Tranche der EU-Budgethilfe von
20 Millionen Euro für Uganda zurückgestellt worden ist.
Wir haben eine Vision für Afrika. Afrika ist ein Kontinent der Chancen, der Potenziale, der enormen Möglichkeiten. Wir müssen in die Menschen investieren, damit sie fähig sind, die Zukunft ihres Kontinents selbst in
die Hand zu nehmen. Die derzeitige Schulbildung reicht
dafür aber nicht aus. Wir müssen viel mehr auf Qualität
setzen. Es nützt nichts, wenn die Kinder endlich die
Schule besuchen, aber nach fünf Jahren Schulbesuch immer noch nicht rechnen und schreiben können. Wir müssen auf eine bessere Qualität hinarbeiten.
Frau Kollegin.
Nelson Mandela hat gesagt: Bildung ist die mächtigste Waffe, um die Welt zu verändern. - Ich glaube, auf
der Bildung muss zukünftig der Schwerpunkt liegen.
Wir wollen der Bevölkerung Afrikas, insbesondere den
jungen Menschen, gute Gründe geben, zu Hause zu bleiben und ihr Land aufzubauen und nicht Leib und Leben
zu riskieren, indem sie sich auf kleine Flüchtlingsboote
quetschen, um nach Europa zu kommen.
Herr Minister, wir wünschen Ihnen das Beste. Wir
werden Sie beim EU-Afrika-Gipfel unterstützen.
Frau Kollegin, Sie müssen nun aber wirklich zum
Schluss kommen.
Ich wünsche mir nur eines, liebe Kolleginnen und
Kollegen: dass wir es wirklich schaffen, bei diesem EUAfrika-Gipfel hinsichtlich Migration, Post-2015, Klimawandel und ländliche Entwicklung zu konkreten Ergebnissen zu kommen. Ich hoffe auf konkretere Ergebnisse
als die, die der letzte Gipfel hervorgebracht hat.
Vielen Dank.
({0})
Die Kollegin Engelmeier-Heite hat für die SPD-Fraktion als nächste Rednerin das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach
Kairo, Lissabon und Tripolis geht es nun Anfang April
erneut um die weitere Zusammenarbeit zwischen der EU
und den afrikanischen Staaten, und zwar - das möchte
ich in aller Deutlichkeit betonen - um die partnerschaftliche Zusammenarbeit der beiden Nachbarkontinente.
Ich betone das insbesondere mit Blick auf den Antrag
der Fraktion Die Linke. In diesem stellen Sie den bevorstehenden EU-Afrika-Gipfel in eine neokoloniale Ecke.
Ich meine, Sie tun unseren afrikanischen Partnern unrecht, indem Sie sie dadurch implizit als schwächere
Seite erscheinen lassen, die auf eine rein von europäischen Interessen geleitete Seite trifft. Das ist eine ganz
schön arrogante Haltung, meine ich.
({0})
Nein, in Brüssel trifft nicht ein schwaches Afrika auf
ein allmächtiges Europa. Vielmehr treffen sich im kommenden Monat die Vertreterinnen und Vertreter eines
starken und selbstbewussten Kontinents, eben Afrikas,
mit denen Europas, um die zum großen Teil bereits erfolgreiche Zusammenarbeit seit 2007 zu evaluieren und
über die Vertiefung der zukünftigen Zusammenarbeit auf
Augenhöhe zu verhandeln. Ich freue mich, dass kein
schwaches Afrika auf ein überstarkes Europa trifft. Das
zeigt, dass unsere entwicklungspolitischen Bemühungen durchaus erfolgreich waren und sind, zeugen sie
doch von einer sozialdemokratischen Ausrichtung der
deutschen Entwicklungspolitik: weg von der NehmerGeber-Charakterisierung hin zu einer partnerschaftlichen Beziehung.
({1})
Wir legen auch weiterhin großen Wert darauf, die
afrikanischen Staaten als gleichwertige Partner bei der
Festlegung gemeinsamer Aufgaben und gemeinsamer
Ziele zu betrachten. Bei aller ernstgenommenen und
zum Teil auch berechtigten kritischen Betrachtung der
Fehler in der Vergangenheit betrachten wir den kommenden Gipfel der Europäischen Union und Afrikas als
Chance. Das ist eine Chance, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, und das ist eine Chance für neue
Impulse in der entwicklungspolitischen Partnerschaft.
Dabei bauen unsere afrikanischen Partner insbesondere auf Deutschland. Sie erwarten gerade von uns besondere Impulse für eine nachhaltige Entwicklungspolitik auf ihrem Kontinent. Deutschland und Europa stehen
nicht nur in der Pflicht, gemeinsam mit ihren afrikanischen Partnern das gemeinsame Engagement festzulegen
und auszubauen; Deutschland und Europa teilen mit ihren afrikanischen Partnern auch das gemeinsame Interesse, die offenen und neuen Herausforderungen gemeinsam anzupacken. Diese Herausforderungen sind
nicht zu unterschätzen. Daher begrüßen wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten den vereinbarten
Schwerpunkt „Investieren in Menschen, in Wohlstand
und in Frieden“ des kommenden EU-Afrika-Gipfels.
Insbesondere der Punkt Frieden ist von zentraler Bedeutung für die Entwicklung des afrikanischen Kontinents.
Bewaffnete Konflikte zerstören nicht nur unsere gemeinsamen Entwicklungsbemühungen, sondern sie verhindern sie auch auf lange Zeit, nicht nur für die Dauer
des Konflikts, sondern auch in den Folgejahren. Leidtragende dieser Konflikte sind vor allem Frauen und Kinder. Sie sind auch die Leidtragenden in den fragilen
Staaten. Dort sind sie von Unterdrückung, mangelnder
Beachtung ihrer Rechte und mangelnden Partizipationsmöglichkeiten betroffen. Dabei wissen wir doch alle,
dass gerade Frauen eine ganz wichtige Rolle in der Entwicklung der Länder einnehmen und einnehmen können.
({2})
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang einen
kleinen Blick nach Ruanda. Ruanda ist das Land mit
dem höchsten Anteil an Frauen im Parlament - à la
bonne heure! Aus diesem Grund müssen wir unser besonderes Augenmerk auf die Förderung von Frauen und
Kindern legen. Sie sind es, in die wir investieren müssen. Die Punkte 6 und 11 unseres Antrages betonen unsere Forderung, Perspektiven nicht nur für junge Männer, sondern auch für junge Frauen zu schaffen und allen
Kindern und Jugendlichen den Zugang zu Bildung zu ermöglichen.
({3})
Ich brauche nicht hervorzuheben, dass Bildung der
Schlüssel zu einer zukunftsfähigen Entwicklung ist. Jegliche Investition in Frauen und Kinder muss daher immer als eine Investition in eine nachhaltige Entwicklung
und als eine Investition in die Zukunft angesehen werden.
Mit Punkt 11 streben wir die explizite Förderung von
Frauen als wesentliche Motoren für nachhaltige Entwicklung in unseren Partnerländern an. Die Bundesregierung wird hierin aufgefordert, beim anstehenden
Gipfel auf die rechtliche Gleichstellung von Frauen und
Mädchen, auf den Schutz vor jeglicher Form von Gewalt
und auf den Zugang zu Bildung, Eigentum und guten
Arbeitsplätzen hinzuwirken. Frauen sollen darüber hinaus künftig stärker an allen Kooperations- und Entscheidungsprozessen aktiv beteiligt werden. An dieser
Stelle betone ich noch einmal unseren Wunsch und unser
Streben, die Kräfte Afrikas zu mobilisieren und zu stärken, damit wir, Europa und die Welt, unseren afrikanischen Partnern auf Augenhöhe begegnen.
Ich möchte nochmals auf den bereits erwähnten Gipfelschwerpunkt „Investieren in Menschen, in Wohlstand
und in Frieden“ und damit auf aus meiner Sicht wichtige
Aspekte zurückkommen. In Entwicklungsländern sterben täglich etwa 800 Frauen an den Folgen von Schwangerschaft und Geburt. Es bedarf sicherlich keiner weiteren Erläuterung, wenn ich darauf aufmerksam mache,
dass Schwangerschaften, die als Folge sexueller Gewalt,
zum Beispiel in Kriegen und gewaltsamen Konflikten,
entstehen, für Frauen besonders dramatisch sind. Daher
müssen sie unseren besonderen Schutz genießen, aber
auch die Kinder, die in Krisengebieten leben.
In Art. 6 der UN-Kinderrechtskonvention steht, dass
jedes Kind von Geburt an das Recht hat, zu leben. Wir
müssen die Ziele der UN-Kinderrechtskonvention unterstützen, um den Kindern in diesen Ländern das Überleben zu sichern. Dazu gehört auch eine menschenwürdige
Gesundheitsversorgung, insbesondere auf unserem afrikanischen Partnerkontinent. Gemeinsam mit unseren
afrikanischen Partnern müssen wir dafür sorgen, dass
Frauen und Kinder Zugang zu einer menschenwürdigen
Gesundheitsversorgung haben.
Das Ziel, dass nicht mehr vier von fünf Kindern vor
ihrem fünften Geburtstag sterben müssen, müssen wir
erreichen. Nach wie vor sind nämlich Lungenentzündung, Komplikationen infolge einer Frühgeburt oder
während der Geburt, Durchfallerkrankungen und Malaria mit Abstand die häufigsten Todesursachen. Es sind
Fortschritte erreicht worden, aber im Kampf gegen die
Kindersterblichkeit wird das UN-Millenniumsziel 4 klar
verfehlt. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an einen
Antrag meiner Fraktion aus der vergangenen Wahlperiode. Sollten wir das darin formulierte Ziel, 2015 zum
Jahr der ersten HIV/Aids-freien Generation erklären zu
können, erreichen, sind wir einen ganz großen und wichtigen Schritt in die richtige Richtung gegangen.
({4})
Ich möchte aber auch noch auf ein weiteres Problem
besonders hinweisen: die Registrierung von Kindern.
Ebenfalls in der UN-Kinderrechtskonvention ist in den
Art. 7 und 8 das Recht verbrieft, dass jedes Kind ein
Recht auf seine Identität hat, das Recht hat, zu wissen,
wer es ist, zu welchem Staat es gehört und wer seine Eltern sind. Warum ist das so wichtig? Es handelt sich hier
nicht nur um einen rein bürokratischen Akt, den man
vernachlässigen kann, nein. Weltweit sind rund 230 Millionen Kinder unter fünf Jahren in keinem Geburtsregister eingetragen, mit weitreichenden Folgen: Weder können sie ihre Nationalität nachweisen noch wann sie
geboren wurden noch wie sie heißen.
Ja. - In Afrika südlich der Sahara besitzen 56 Prozent
der Kinder Geburtsdokumente. In Somalia und Liberia
werden aber nur 3 respektive 4 Prozent der Kinder registriert. Eines muss klar sein: Kinder ohne Geburtsschein
sind juristisch inexistent und deshalb stärker dem Risiko
von Ausbeutung, Missbrauch und Gewalt ausgesetzt.
Nicht registrierte Kinder sind in erhöhtem Maße gefährdet, Kinderhandel, Kinderarbeit oder einem verfrühten
Einzug in bewaffnete Konflikte ausgesetzt zu sein.
Sie sehen: Es gibt noch viele, vor allem immens wichtige Herausforderungen, denen wir uns auf nationaler
Ebene, aber auch auf europäischer Ebene gemeinsam
mit unseren afrikanischen Partnern stellen müssen.
Das war ein hervorragender Schlusssatz.
Der EU-Afrika-Gipfel wird ein Meilenstein auf diesem Weg sein.
Danke schön.
({0})
Nun erhält der Kollege Johannes Selle das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
unserem Antrag begleiten wir den vierten EU-AfrikaGipfel in Brüssel. Dieser Gipfel hat große Bedeutung,
unser Antrag ebenfalls. Ich begrüße ausdrücklich, dass
wir darüber zu einer Premiumzeit diskutieren können wie oft haben wir das Thema Afrika in den späten
Abendstunden diskutieren müssen!
({0})
Wer Afrika besucht hat, weiß, dass Afrika ein reicher
Kontinent ist. Es ist ein Jammer, dass es nicht gelingen
will, den Reichtum dieses Kontinents für die Menschen
in Afrika nutzbar zu machen.
In diesen Tagen fällt es wieder schwer, die positiven
Aspekte zu sehen - zu erdrückend sind die Berichte von
Gewalt und Instabilität auf dem afrikanischen Kontinent:
chaotische Verhältnisse in Libyen, religiös motivierte
„Säuberungen“ in der Zentralafrikanischen Republik,
anhaltende Kämpfe und eine wachsende humanitäre Katastrophe im Südsudan. Die Folgen sind verheerend und
verstärken den Eindruck von Chaos statt Chancen.
Ich möchte an dieser Stelle
Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, wir
könnten verschont bleiben von den … Konflikten,
wenn wir uns an deren Lösung nicht beteiligen.
Flüchtlingstragödien wie die, die uns vor kurzem besonders mitgenommen hat, gibt es nach wie vor. Afrika ist
der Nachbarkontinent Europas. Wir sollten es mit unserem geistig-kulturellen Erbe schaffen, den Menschen in
Afrika zu würdigen Lebensbedingungen zu verhelfen, in
denen sie auch gerne leben - oder sollten wir dazu Anleitung aus entfernteren Regionen benötigen?
In vielen Gesprächen mit afrikanischen Gesprächspartnern habe ich immer wieder zu hören bekommen,
dass Deutschland gegenüber Afrika nicht so zurückhaltend sein sollte, dass es sich seinem politischen und wirtschaftlichen Gewicht entsprechend mehr engagieren
müsse; besonders eindrücklich hat der Außenminister
von Togo vor kurzem bei uns im Ausschuss darauf hingewiesen. Das ist ein Appell, der sich gleichermaßen an
uns wie an die Wirtschaft richtet. Wir müssen den anstehenden EU-Afrika-Gipfel nutzen, um ein klares Signal
auszusenden: das Signal, dass uns an dem Kontinent
Afrika sehr viel liegt; das Signal, dass Afrika mit Europa
und, bilateral gesehen, Deutschland einen starken Partner an seiner Seite hat. Um die Potenziale des Kontinents im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung ausschöpfen zu können, müssen sich Afrika und Europa
gemeinsam einer ganzen Reihe von Herausforderungen
stellen.
Mit diesem Antrag drücken wir aus, dass wir unser
Engagement ausbauen und neue Akzente setzen wollen.
Es ist klar, dass staatliche Entwicklungspolitik allein
nicht zu den gewünschten Zielen führen wird. Wichtig
ist der Ausbau der euro-afrikanischen Wirtschafts- und
Handelsbeziehungen. Ohne eine Entwicklung der afrikanischen Wirtschaft gibt es keinen Fortschritt.
({0})
Die angestrebten Abkommen für eine Wirtschaftspartnerschaft gehen in die richtige Richtung.
({1})
Es ist eine Stärke dieses Antrages, deutlich zu machen:
Diese Abkommen müssen so ausgestaltet werden, dass
sie unseren afrikanischen Partnern zum Vorteil und nicht
zum Nachteil gereichen.
({2})
Wenn wir von Entwicklung in Afrika sprechen, dann
kommen wir an dem Thema „Frieden und Sicherheit“
nicht vorbei. Frieden herzustellen, ist keine einfache
Aufgabe. Erst gestern haben wir wieder über eine neue
Mission in Somalia gesprochen. Frieden zu erhalten und
zu festigen, ist ebenfalls keine einfache Aufgabe.
Bei der Mehrzahl der Konflikte, die wir heute in
Afrika erleben, handelt es sich um innerstaatliche Auseinandersetzungen, in denen nicht selten ehemalige
Nachbarn aus religiösen oder ethnischen Gründen oder
vielleicht auch nur aufgrund des Ressourcenmangels
aufeinander losgegangen sind. In derartigen Post-Konfliktsituationen werden der beste Friedensvertrag und die
schönsten Entwicklungsprojekte nur wenig Bestand haben, wenn die tiefen Gräben nicht überbrückt werden
können.
Genau dieses erleben wir gerade im Südsudan. In der
Euphorie über die 2011 erzielte Unabhängigkeit wurden
40 Jahre Bürgerkrieg nie aufgearbeitet und Verantwortliche nie zur Rechenschaft gezogen. So war es der politischen Elite im vergangenen Jahr möglich, alte Wunden
in der Bevölkerung für ihren Machtkampf zu instrumentalisieren und eine noch immer andauernde Welle ethnischer Gewalt loszutreten. Vor dieser grundsätzlichen
Problematik stehen wir auch in Mali, in Libyen und in
der Zentralafrikanischen Republik.
Wenn Entwicklungen in diesen Regionen eine Chance
haben sollen, dann müssen umfassende Aussöhnungsprozesse und eine intensive Aufarbeitung der Geschichte
den Boden dafür bereiten. Darauf sollten wir auch in unserer Zusammenarbeit achten.
Aus diesem Grund bin ich dankbar, dass in unserem
Antrag auch die Bereiche Kultur und Medien vorkommen. Kultur und Medien gehören dazu, wenn Gesellschaften auf Augenhöhe miteinander umgehen wollen.
Als leuchtendes Beispiel möchte ich das Rwanda Media
Project nennen, ein Projekt, das die Unterstützung des
BMZ, der GIZ und der Deutschen Welle hat. Ruanda ist
es wichtig, die Bereiche Kultur und Medien für die Entwicklung zu nutzen.
Aussöhnung ist die große Leistung Europas in den
vergangenen Jahrzehnten, eine Leistung, die heute vielen unserer afrikanischen Partner als Vorbild dient.
({3})
Wir können die gewachsene Bedeutung Afrikas für
uns und für die EU am besten dadurch deutlich machen,
dass die Aktivitäten, die sich aus dem Gipfel und aus unserem Antrag ergeben, eine politisch hochrangige Unterstützung in der Arbeitsphase erhalten. Die permanente
hochrangige politische Begleitung ist eine Voraussetzung für das Gelingen und für signifikante Fortschritte.
({4})
Das Wort erhält nun der Kollege Frank Heinrich für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren die Vorbereitung und die erwünschten Inhalte
des EU-Afrika-Gipfels in wenigen Tagen. Es ist hier einiges zu dem Antrag der Linken gesagt worden. Wir sind
nicht nur nicht sehr fröhlich darüber, sondern auch hier
fiel mir das Wort „Augenhöhe“ ein; denn ich glaube, wir
müssen hier ordentlich miteinander arbeiten. Das Bild,
das Sie von Afrika haben, haben wir - auch ich persönlich - nämlich ganz sicher nicht.
({0})
Wir haben in den Reden immer wieder gehört: Partnerschaft und Augenhöhe. Das steht in unserem Antrag.
Sie haben das offensichtlich nicht gelesen. Es geht uns
darum, dass wir gemeinsam etwas entwickeln. Gerade
dieser immer wieder so genannte „Chancenkontinent
Afrika“ bietet hier sehr viele Möglichkeiten.
Erst gestern Nachmittag sprach ich mit einigen Vertretern der Stiftung Partnerschaft mit Afrika, die das von Bundespräsident Köhler geförderte Programm COMENGA
durchführt. Hier treffen sich Deutsche und Afrikaner. Sie
reden und arbeiten miteinander, und das Wesentliche ist:
Sie entwickeln gemeinsam ein Konzept.
Dieser Ansatz, Partner beider Seiten ernst zu nehmen
und mit einzubeziehen, ist meiner Meinung nach konstruktiv und ein ausgezeichneter Ausdruck von Partnerschaft. Das ist ein wunderschönes Beispiel dafür, wie
wir diesen Gipfel angehen.
Dr. Katja Böhler von der Stiftung Partnerschaft mit
Afrika sagte: Augenhöhe zu leben, bedeutet, dass deutsche, europäische und afrikanische Partner von der Konzeption bis zur Umsetzung zusammenarbeiten. - Genau
das passiert unter anderem - wenn auch am anderen
Ende der Skala - für und in Vorbereitung auf diesen EUAfrika-Gipfel. Dieser Gipfel ist einmal mehr die Chance
für einen Austausch und das Finden gemeinsamer PosiFrank Heinrich ({1})
tionen - nicht nur in der übernächsten Woche, sondern
auch jetzt in der Vorbereitung - sowie die Stärkung und
den Ausbau partnerschaftlicher Beziehungen.
Welche Themen im Zusammenhang mit diesem Gipfel - wir haben von dem einen oder anderen gehört, wo
er die Prioritäten setzt und was sich in unserem gemeinsamen Antrag wiederfindet - sind besonders wichtig?
Ein wichtiges Thema - das ist der erste Punkt - ist hier
Bildung; dazu ist schon eine ganze Menge gesagt worden. Die afrikanischen Länder haben das Wort „people“
in den Vordergrund gestellt; wie gesagt: die afrikanischen Partner. Nach Aussage des Europäischen Auswärtigen Dienstes, EAD, könne von afrikanischer Seite im
Rahmen des Gipfels mit einer konkreten Initiative im
Bereich Bildung gerechnet werden. Gemeinsame Impulse werden auch durch das begleitend stattfindende Jugendforum erwartet.
Der zweite Punkt, der mir persönlich sehr wichtig ist,
ist das Thema Migration. Wir können nicht nur unsere
Mittel, sondern auch die Entwicklungszusammenarbeit
insgesamt nutzen, um die Sicherheit und den Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten durch entsprechende Maßnahmen zu verbessern. Ich bin auf die angekündigte separate Gipfelerklärung zu diesem Thema
gespannt. Ich fordere die Bundesregierung zu mutigen
Schritten und Entscheidungen in dieser Hinsicht auf.
Der dritte Punkt, der mir persönlich wichtig ist - damit meine ich beide Kontinente, aber auch und gerade
unsere Seite -, ist, die Rolle des Privatsektors in der Entwicklungszusammenarbeit zu stärken. Wir brauchen
nicht nur kluge Entscheidungen hier in diesem Parlament und von Ihrem Ministerium. Wir brauchen auch
unsere Bevölkerung und die Wirtschaft unseres Landes,
die wir mitnehmen müssen. Das begleitende Wirtschaftsforum zu diesem Gipfel wird dazu hoffentlich einen guten Beitrag leisten.
Insbesondere mit diesen drei Punkten - in unserem
Antrag stehen noch viele weitere Punkte - wollen wir
der Bundesregierung für ihren Auftritt auf diesem Gipfel
Mut machen. Es ist schön, zu sehen, was da an verschiedenen Themen zusammengekommen ist.
Ich möchte noch ein Thema, das mich persönlich
ganz besonders beschäftigt, ansprechen. Wir wissen,
dass das Thema Klima in den nächsten Jahren und in
dieser Legislatur eine große Rolle spielt. Ich selber bin
Sprecher für das Thema Wasser und habe erlebt, wie an
Runden Tischen zum Thema Wasser hier in Berlin die
unterschiedlichsten afrikanischen Botschafter zusammenkamen - es waren bis zu 30 Personen - und diskutiert haben, und zwar erlebbar auf Augenhöhe. Dabei haben alle - vielleicht ein Viertel der Anwesenden kam aus
Deutschland oder anderen Ländern Europas - miteinander diskutiert: Was könnt ihr einbringen? Was könnt ihr
besser machen? In diesen Tagen war das Thema der Nexus, das Zusammenwirken von Ernährung, Wasser und
Energie. Ihre ehemalige Staatssekretärin Frau Eid hat
dort referiert. Das war ein wirklicher Austausch auf Augenhöhe.
Für uns als CDU/CSU und für mich persönlich - das
wurde schon von vielen Rednern angesprochen - gilt:
Bei aller Gleichberechtigung und Partnerschaft ist uns
Deutschen und Europäern die Verknüpfung der Entwicklungszusammenarbeit mit Menschenrechten ganz besonders wichtig. Frau Kofler, Sie haben es erwähnt, und
Herr Strässer, auch Sie haben es gesagt: Wir fühlen uns
der Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet. Sie
nannten - das geht auch mir sehr nahe - in diesem Zusammenhang die Länder Nigeria, Uganda oder, wie
diese Woche mehrfach erwähnt, Kamerun.
Ich möchte noch ein anderes Thema nennen - das
klang vorhin kurz an -: Religionsfreiheit, und zwar in
alle Richtungen. Wir dürfen nicht weiter zuschauen und
unkommentiert lassen, dass in der Zentralafrikanischen
Republik christliche Milizen mordend durchs Land ziehen; das muss diskutiert werden, da müssen wir etwas
tun. Umgekehrt haben wir vom Norden Nigerias erfahren, wie die Boko Haram nicht nur ihre eigenen Religionsgenossen massakriert haben, sondern auch Christen
getötet und Kirchen und Moscheen zerstört haben.
Ich habe aber auch erlebt, wie Mittel aus der Entwicklungszusammenarbeit an Christen weitergegeben wurden, die diese wiederum mit anderen geteilt haben, um
damit Kirchen und Moscheen wieder aufzubauen. Man
berichtete mir vor wenigen Wochen, dass ein Pastor einer christlichen Kirche im Norden Nigerias tatsächlich
an einem Freitagabend in einer Moschee eine Rede halten durfte. Das ist für mich ein wunderschönes Zeichen,
dass Entwicklungszusammenarbeit Menschen trotz aller
Unterschiede der Religionen zusammenführen kann.
({2})
Ich bin für die Priorisierung unseres Themas dankbar,
sodass wir, wie Kollege Selle gesagt hat, zur Hauptdebattenzeit unseres Parlaments sprechen können. Ich
wünsche mir, dass wir irgendwann nicht mehr nur auf
Augenhöhe miteinander reden und Afrika als hilfebedürftigen Nachbarkontinent betrachten, sondern dass wir
irgendwann vom großen Bruder Afrika reden.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({3})
Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes erhält der
Kollege Charles Huber das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Sicht der Bürger auf Afrika ist in der Regel von den Bildern in den Medien geprägt - das kennen
wir alle und haben auch schon mehrfach darüber gesprochen -, das heißt von Bürgerkrieg, Hunger, Korruption
und Aids.
So kann man sagen: Den „Chancenkontinent Afrika“
im ökonomischen Sinne haben nicht allzu viele auf dem
Schirm. Das ist mitunter sicher auch der Tatsache geschuldet, dass, wenn man das Wort Wirtschaft im Zusammenhang mit Afrika bloß erwähnt, einem praktisch
postwendend neokoloniale Ambitionen unterstellt werden und einem sofort Begriffe wie Ausbeutung und Vorteilsnahme um die Ohren fliegen.
Meine Damen und Herren, so zu argumentieren, mag
der Profilschärfung einiger Parteien mit Blick auf deren
Wählerschaft dienen. Den Afrikanern hingegen hilft das
nicht.
({0})
Keine wirtschaftliche Entwicklung bringt keine nachhaltige Stabilität, die dieser Kontinent aber dringend
braucht,
({1})
keine Perspektiven für die Jugend, keine Arbeit für
Frauen und Männer, und, perspektivisch gesehen, auch
keinen Frieden. Wie verzerrt die Wahrnehmung zum
Beispiel beim Thema Hungerbekämpfung in Drittländern ist, zeigt eine Studie der Universität Göttingen.
46 Prozent der Befragten meinten danach, dass allein
- wohlgemerkt: allein - eine ökologische Landwirtschaft
die Welternährung verbessern würde. Nur 19 Prozent
denken, dass dies durch eine Ertragssteigerung in der
Landwirtschaft herbeigeführt werden könnte. Wahrlich
eine irrwitzige Logik.
Die Sozialpsychologie spricht hier von einem sogenannten Halo-Effekt, sprich von einem Beurteilungsund Wahrnehmungsfehler, einer Vermengung positiv
besetzter Themen wie hier das Thema Ökologie mit anderen nach dem Motto „Was für die Ökologie gut ist, ist
gut für eine verbesserte Welternährungssituation“.
Man stelle sich vor: Gar 63 Prozent würden gänzlich
dem Umweltschutz Priorität einräumen, wenn es darum
ginge, zwischen welchem der beiden Themen man sich
entscheiden müsste. Das heißt im Klartext: Einigen von
uns erscheint das Liebesleben der Schmetterlinge wichtiger als die Welternährungssituation und die Situation
hungernder Menschen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Effizienzsteigerung im Bereich der Landwirtschaft ist der Schlüssel zur
Armutsbekämpfung in Afrika.
({2})
Deswegen kostet ein Kilo Tomaten in Tunesien 50 Cent
und in Westafrika 3 Euro. Warum? Tunesien hat eine
besser entwickelte Landwirtschaft, sprich: effizientere
Anbaumethoden.
Vorhin wurde das Thema Landwirtschaft schon angeschnitten. Frau Hänsel, wenn Sie Afrika in der Realität
betrachten, wird deutlich: In der traditionellen Landwirtschaft bewirtschaften Menschen den Acker mit einem
Muli statt mit dem Traktor. In der Regel geht es dann
auch um saisonale Landwirtschaft. Das heißt, es wird
nur zur Regenzeit angebaut. Das kann eine Landwirtschaft nicht dynamisieren. Wenn sich daran nichts ändert, dann haben wir ein Problem mit der Ernährungssicherung.
Im Allgemeinen sollten Themenbereiche mit Bezug
auf Afrika mehr der rationalen Betrachtungsweise und
etwas weniger der intellektuellen Folklore unterzogen
werden.
({3})
Denn auf der anderen Seite des Mittelmeers schlummert
eine demografische Bombe. Für 2050 ist für Afrika eine
Verdoppelung der Bevölkerung - ich wiederhole: eine
Verdoppelung - prognostiziert, die Hälfte davon - das
wurde schon angesprochen - unter 18 Jahren. Dazu
kommen Wasserknappheit, Klimaveränderung und chronische Engpässe in der medizinischen Versorgung. Das
sind wahrlich keine erbaulichen Perspektiven.
Mein beschränktes volkswirtschaftliches oder betriebswirtschaftliches Verständnis erlaubt mir, die Feststellung treffen zu können, dass Handel Geld bringt,
nicht nur den Europäern, sondern auch den Afrikanern.
Wer Produkte verkauft, erwirtschaftet Geld. Er kann
dann statt der üblichen 2 Euro pro Tag vielleicht 20 oder
200 Euro pro Tag verdienen und dieses Geld langfristig
in eigene Produktionsstätten und Produktionsentwicklungen investieren. Oft stellt das fehlende Know-how in
der Produktionsentwicklung ein Problem dar. Dieses
Know-how im Sinne der dualen Bildung zu fördern, ist
eines der wichtigsten Elemente der Entwicklungszusammenarbeit.
({4})
Ein anderes Beispiel: der Export von Milchpulver. Ich
kann mich an einen westafrikanischen Frischmilchhersteller erinnern, der nicht dadurch pleitegegangen ist,
dass die bösen Europäer Milchpulver in sein Land exportiert haben, sondern dadurch, dass die meisten Leute
keinen Kühlschrank hatten und es häufig keinen Strom
gab. Das ist echte afrikanische Lebensrealität: wenig bis
gar keinen Strom zu haben.
Zu den Importzöllen. Oft fallen sogar Hilfsgüter darunter. Diese Zölle nutzen in erster Linie den Eliten, auf
die sich einige häufig dann beziehen, wenn man in
Afrika die Korruption anprangert. Im Rahmen des vorliegenden Abkommens mit der EU sind nun auf einmal
die afrikanischen Eliten gut und die Europäer schlecht;
denn der Normalbürger profitiert von niedrigen Preisen
und Wettbewerb. Nebenbei gesagt: Afrikanisch-europäischen Subventionen stehen afrikanische Löhne gegenüber, die in der Regel bei 15 Cent pro Stunde liegen. So
schnell vollzieht sich hier der Wandel vom Saulus zum
Paulus und umgekehrt.
Auch die afrikanischen Verantwortlichen selbst müssen aktiver am Aufbau ihrer Volkswirtschaften arbeiten.
Manchen gelingt das. Aber ein hoher Prozentsatz der wenigen vermögenden Menschen dort investiert zu wenig
im eigenen Land, zu wenig in Produktionskapazitäten
und zu viel in rentable Immobilienprojekte in Hauptstadtzentren. Ein effizientes Steuersystem zu implemenCharles M. Huber
tieren, welches auch gut vernetzte inländische Eliten und
nicht nur Exporteure aus dem Ausland zu Abgaben heranzieht, wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung; denn einer der Gründe für so manchen kritischen
Ansatz einiger afrikanischer Länder in Bezug auf das
Abkommen könnte auch dem Protektionismus einiger
afrikanischer Politiker zugunsten gutsituierter Unternehmer vor Ort geschuldet sein und weniger den neokolonialen Absichten der Europäer.
Ich bin sofort fertig.
Wie schön.
({0})
Das wollte ich nicht hören.
Ich wollte Ihnen gerade anbieten, Sie bei anderer Gelegenheit wieder zur Wort kommen zu lassen, wenn Sie
mir versprechen, im Laufe des Vormittags zu Ende zu
kommen.
({0})
Alles in Ordnung. Auf diesen Vorschlag gehe ich ein.
Europa ist der größte Geber in der Entwicklungszusammenarbeit; das ist richtig. Dass Rohstoffe ohne Konditionierung auf Menschenrechte nach China oder anderswohin gehen, ist falsch.
Vielen Dank.
({0})
Lieber Kollege Huber, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer
ersten Rede im Deutschen Bundestag und wünsche Ihnen für die weitere parlamentarische Arbeit alles Gute.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf Drucksache
18/844 mit dem Titel „EU-Afrika-Gipfel - Neue Impulse für die entwicklungspolitische Partnerschaft“. Wer
stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist der Antrag mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung
der Fraktion der Grünen angenommen.
Unter dem Tagesordnungspunkt 16 b geht es um die
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „EU-Afrika-Gipfel - Partnerschaft
an Gerechtigkeit und Frieden ausrichten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/871, diesen Antrag der Fraktion Die
Linke abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser Antrag mit breiter Mehrheit gegen die
Stimmen der Antragsteller abgelehnt bzw. die Beschlussempfehlung angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta
Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Mindestlohn in Höhe von 10 Euro pro Stunde
einführen
Drucksache 18/590
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Tourismus
Auch für diese Aussprache ist nach einer interfraktionellen Vereinbarung eine Gesamtdebattenzeit von
96 Minuten vorgesehen. Es wäre schön, wenn sich dieses Zeitmaß, zu dem Sie Ihre Zustimmung gegeben haben, in der anschließenden Debatte auch realisieren
ließe, was nicht so einfach ist, wie der Blick auf die Uhr
und die Erfahrung der gerade abgeschlossenen Debatte
zeigen. - Jedenfalls nehme ich Ihre Zustimmung zu dieser Vereinbarung hiermit zur Kenntnis.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Klaus Ernst für die Fraktion Die
Linke.
({2})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Von 2003 bis 2013 sind die Reallöhne in der
Bundesrepublik Deutschland um 0,7 Prozent gesunken;
das bedeutet 0,7 Prozent weniger für die Arbeitnehmer,
obwohl gleichzeitig ein Wirtschaftswachstum von
13,6 Prozent real zu verzeichnen war. Wir haben besonders sinkende Löhne bei denen, die schon niedrige
Löhne haben. Ich sage Ihnen: Eine Ursache dafür ist,
dass bei uns, obwohl wir seit Jahren dieses Thema debattieren, nach wie vor kein gesetzlicher Mindestlohn vorhanden ist. Deshalb freue ich mich, dass die bei diesem
Thema zahlreich anwesende Regierung einen Mindestlohn auf den Weg bringen will. Angesichts der Tatsache,
dass das ein zentrales Thema dieser Regierung sein soll,
steht die Anwesenheit hier im diametralen Gegensatz zur
Bedeutung des Mindestlohns.
({0})
Der Mindestlohn ist überfällig. Immer mehr Menschen sind im Niedriglohnbereich. 2012 waren es im
Vergleich zu 1995 allein 2,5 Millionen Menschen mehr.
Wir haben inzwischen 8,4 Millionen Menschen im Niedriglohnbereich. Da heute Equal Pay Day ist, aber nicht
nur deshalb, möchte ich darauf hinweisen, dass es insbesondere Frauen sind, die von diesen Niedriglöhnen betroffen sind.
Es ist gut, dass ein Gesetz vorgelegt wurde. Ich finde
es auch gut, mit welcher Leidenschaft inzwischen in der
Koalition das Thema diskutiert wird. Was ich allerdings
ein wenig befürchte, ist, dass zumindest ein Teil der Koalition besondere Leidenschaft den Ausnahmeregelungen widmet und nicht dem schnellen Zustandekommen
eines Mindestlohns.
({1})
Das ist sehr bedauerlich. Ich möchte Ihnen noch einmal
ans Herz legen, warum nach unserer Auffassung diese
8,50 Euro wirklich zu wenig sind und warum wir einen
Mindestlohn von 10 Euro dringend sofort bräuchten. Dafür gibt es einige Argumente.
Wir wissen, dass mit einem Mindestlohn von 8,50 Euro
die Leute gerade einmal so über das Existenzminimum
kommen. Wir wissen aber auch, dass nach einer Analyse
der Bundesagentur für Arbeit 740 000 Menschen, 41 Prozent der alleinstehenden Hartz-IV-Empfänger, trotz einer
Vollzeitstelle bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro weiter im Hartz-IV-Bezug wären.
Die neueste Studie des Instituts Arbeit und Qualifikation von 2014 zeigt, dass die Niedriglohnschwelle bei
9,30 Euro liegt. Wenn die Niedriglohnschwelle bei
9,30 Euro liegt, kommt niemand mit einem Mindestlohn
von 8,50 Euro aus dem Niedriglohnsektor heraus. Alle
bleiben darin. Deshalb ist es doch logisch, dass
8,50 Euro zumindest dann, wenn man die Leute aus dem
Niedriglohnsektor herausbringen will, eindeutig zu wenig sind. Deshalb brauchen wir einen Mindestlohn von
10 Euro.
({2})
Ein weiteres Argument. Wir haben nun auch die Aussage der Bundesregierung, dass 10 Euro notwendig wären, um mehr als die Grundsicherung im Alter zu bekommen, wenn man sein ganzes Leben lang für 10 Euro
pro Stunde gearbeitet hat. Wir produzieren also die
Leute, die im Alter wieder bedürftig sind.
Wir wissen weiter, dass Sie bis 2018 keine Erhöhung
des Mindestlohns planen. Die 8,50 Euro Mindestlohn
des Jahres 2010 - damals sind die entsprechenden gewerkschaftlichen Forderungen entstanden - werden im
Jahr 2017 nach Abzug der Preissteigerungen nur noch
7,38 Euro wert sein. Im Jahr 2017 gibt es also bei weitem mehr Bedürftigkeit als jetzt. Die 8,50 Euro müssten
zumindest dynamisiert werden. Daran, dass er nicht dynamisiert wird, übt übrigens auch der DGB heftige Kritik.
Ein weiteres Argument. Wir sind das wirtschaftlich
stärkste Land in Europa; da liegen 8,50 Euro gerade so
im Mittelfeld. Luxemburg, Frankreich, Niederlande,
Belgien, Irland - alle liegen mit ihren Mindestlöhnen
schon heute darüber. Deshalb sagen wir: Wir brauchen
einen Mindestlohn von 10 Euro - sofort. Wir brauchen
nach dieser langen Debatte nicht mehr lange herumzudiskutieren; die Debatten sind doch längst gelaufen.
Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger will - das
sagen alle Umfragen - 10 Euro und sogar ein bisschen
mehr. Nach einer vom Handelsblatt in Auftrag gegebenen Forsa-Umfrage, veröffentlicht am 14. Juli 2013, haben selbst die Manager gesagt, dass 8,50 Euro zu wenig
sind. Selbst die Manager haben sich für 8,88 Euro ausgesprochen - im letzten Jahr. Geben Sie sich doch einmal
einen Ruck, und knausern Sie an dieser Lohnhöhe nicht
so herum! Sie sind eh nicht betroffen; es sind eh die anderen betroffen. Daher könnten Sie an dieser Stelle doch
wenigstens einmal das herbeiführen, was die Leute wirklich brauchen, nämlich ein Einkommen, das über der Armutsschwelle liegt - wenigstens das.
({3})
Auch deshalb schlagen wir in unserem Antrag die Koppelung an den Lohnindex vor.
Ich weiß überhaupt nicht, wie Sie begründen wollen,
dass wir hier im Bundestag beschließen, die Abgeordnetendiäten direkt an den Lohnindex zu koppeln, um damit
zu erreichen, dass die Abgeordneten nicht besser-, aber
auch nicht schlechtergestellt werden, und dass Sie
gleichzeitig diese Ankoppelung an den Lohnindex den
abhängig Beschäftigten verweigern, besonders denen,
die an der untersten Einkommensschwelle in dieser Republik liegen. Das ist mir so was von unverständlich,
und im Übrigen finde ich es auch schofelig. Wie wollen
Sie das draußen in Ihren Wahlkreisen begründen? Ich
habe den Eindruck, Sie kommen mit den Leuten dort
sehr wenig zusammen.
({4})
Meine Damen und Herren, geben Sie sich einen
Ruck! An dieser Stelle ist noch viel zu verändern. Ich
bitte Sie auch, über die von Ihnen geplanten Ausnahmeregelungen nachzudenken. Das Alter 18 Jahre als Untergrenze für den Mindestlohn einzuführen, ist eine Altersdiskriminierung. Ich garantiere Ihnen: Bei Klagen hat
diese Regelung vor keinem Gericht Bestand.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
({5})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Karl Schiewerling, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Das ist nicht die erste Debatte zum Thema Mindestlohn; das wird auch nicht die
letzte Debatte zum Thema Mindestlohn sein. Aber es ist
wie immer eine Debatte, in der der Kollege Ernst mit
blumigen Wörtern ganz viele Nebelbomben so intensiv
wirft, dass er hinterher selbst nicht mehr durchblickt.
({0})
Er hat hier vorgetragen: 747 000 Menschen arbeiten,
können aber von dem dadurch verdienten Geld nicht leben und müssen daher aufstocken. - Das ist die erste
Nebelbombe: Unter diesen 747 000 Menschen sind ungleich viele Alleinerziehende, Menschen, die nicht vollzeittätig sind. Auch bei 8,50 Euro Mindestlohn kann
man mit einer halben Stelle auf Dauer nicht aus der
Grundsicherung herauskommen.
({1})
In Deutschland gibt es etwa 50 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte - diese Zahl stammt vom
IAB -, die vollzeittätig sind, die alleinstehend sind, die
weniger als 8,50 Euro verdienen und damit auf Grundsicherung angewiesen sind. Ich sage Ihnen: Für diese
Menschen lohnt es sich, dass wir einen Mindestlohn einführen.
({2})
Herr Kollege Ernst, Sie haben mit abenteuerlichen
Zahlen beschrieben, wer alles einen Mindestlohn braucht.
Danach leben jetzt 8,5 Millionen Menschen im Elend.
Wenn die Welt so wäre, wie Sie sie beschreiben, hätten
Sie bei der letzten Bundestagswahl so viele Stimmen bekommen müssen, dass die Hälfte der Abgeordneten dieses Hauses Linke wären. Tatsache ist, dass die Menschen
die Welt anders beurteilen als Sie, und deswegen sind
die Wahlergebnisse so, wie wir es erlebt haben.
({3})
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das einmal in Demut
anerkennen würden.
Ich glaube, dass wir in unserer Großen Koalition auf
dem richtigen Weg sind. Das, was wir gemeinsam auf
den Weg bringen, trägt nicht die Hauptüberschrift „Mindestlohn“, sondern „Tarifpaket“. In dem Tarifpaket wird
deutlich, dass für uns die Tarifpartner Priorität haben. Im
Mittelpunkt steht zunächst einmal, dass wir das Entsendegesetz so gestalten wollen, dass in Zukunft mehr
Branchen ins Entsendegesetz aufgenommen werden und
deren dort eingetragene Löhne für allgemeinverbindlich
erklärt werden.
Herr Kollege Schiewerling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst?
Ja, klar.
Herr Schiewerling, danke, dass Sie die Frage zulassen. - Ist Ihnen bekannt, dass die Bundesagentur mit Datum vom 19. März Folgendes veröffentlicht hat? Zitat:
Bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro bleiben nach
Angaben der Bundesagentur für Arbeit auch künftig
740 000 - jetzt kommt es! - Vollzeitarbeitnehmer auf
staatliche Unterstützung angewiesen.
Wenn das so zutreffend ist - ich gehe davon aus, dass
die Bundesagentur das analysiert hat, bevor sie es veröffentlicht -, dann stimmt die Aussage, die ich gerade gemacht habe, dass diese Personen letztendlich auch bei
einem Mindestlohn von 8,50 Euro auf staatliche Unterstützung angewiesen wären.
({0})
Herr Kollege Ernst, die Bundesagentur für Arbeit hat
mit ihren Zahlen völlig recht. Sie müssen aber die weitere Analyse lesen. Unter den 740 000 befinden sich
auch Menschen, die nicht alleinstehend sind, sondern in
einem Familien- oder einem anderen Lebensverbund leben und deren Einkommen nicht ausreicht, um ihre vieroder fünfköpfige Familie zu ernähren, weswegen die Familie oder der Haushalt natürlich auf Grundsicherung
angewiesen ist. Selbst mit einem Lohn von 12 Euro kann
jemand allein eine Familie nicht ernähren.
({0})
Das verbirgt sich hinter den Zahlen. Das ist ein Teil der
Nebelbomben, die Sie werfen.
Das, was wir auf den Weg bringen, ist das Tarifpaket;
ich will an dem Punkt fortfahren. Im Mittelpunkt steht,
dass die Tarifverträge Priorität haben.
({1})
- Sie können jetzt herumbrüllen, wie Sie wollen; dadurch werden Ihre Aussagen nicht wahrer. Sie werden
lauter, aber damit bekommen Sie nicht mehr recht.
({2})
Die Frage, um die es geht, ist: Haben bei uns in der Bundesrepublik Deutschland die Ordnungsprinzipien, die
ihre Wurzeln in der Verfassung, in Art. 9 Abs. 3, haben
- danach sind für die Löhne und Gehälter die Tarifpartner zuständig -,
({3})
Priorität oder nicht? Wir haben das gemeinsam in der
Koalition vereinbart, und so steht es im Koalitionsvertrag. Unter der Überschrift „Gute Arbeit“ geht es gleich
los mit: Aufwertung der Tarifautonomie, Erweiterung
des Entsendegesetzes, Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen. Das ist der
Weg, den wir zuvörderst gehen.
Dann haben wir uns dazu entschlossen, dass es ab
dem 1. Januar 2015 einen Mindestlohn von 8,50 Euro
geben soll. Dieser Mindestlohn soll insbesondere dort
gelten, wo keine Tarifverträge vorhanden sind. Die
Frage, vor der wir jetzt stehen, lautet, wie wir das konkret ausgestalten. Das wird, glaube ich, relativ zügig beantwortet.
Es ist übrigens völlig richtig, dass die Regierungsbank bei der Beratung eines Antrags der Linken nicht
stärker besetzt ist. Die Regierungsbank wird voll besetzt
sein, wenn wir unser Gesetz verabschieden, weil wir auf
das stolz sind, was wir auf den Weg bringen.
({4})
Meine Damen und Herren, der Mindestlohn, so wie er
in der letzten Zeit von den Linken immer propagiert
wird, wird sozusagen als Allheilmittel dargestellt. Der
Mindestlohn ist kein Allheilmittel. In Ihrem Antrag sagen Sie sogar: Der Mindestlohn muss so hoch sein, dass
am Ende nach 45 Beitragsjahren eine Rente dabei herauskommt, die weit oberhalb der Grundsicherung liegt.
({5})
Wenn Sie die Lohnpolitik auch noch für die Rente verantwortlich machen wollen, dann möchte ich gern einmal wissen, was die Tarifpartner überhaupt noch zu sagen haben. Sie wollen denen vorschreiben, wie sie es zu
machen haben.
({6})
Meine Damen und Herren, wir sind insgesamt auf einem guten Weg, was die Lohnentwicklung angeht; keine
Frage. In den letzten Jahren haben wir eine deutliche
Veränderung bei den Tarifverträgen hin zu Löhnen und
Gehältern, die deutlich über dem Mindestlohn liegen. In
den Branchen, wo man immer Probleme hatte, nähert
man sich mehr und mehr der Marke von 8,50 Euro; ich
könnte zahlreiche Beispiele liefern.
Ich bin auch sehr froh darüber, dass Branchen, die bis
dahin keine Möglichkeit gesehen hatten oder kein Interesse daran hatten, Tarifverträge auf Bundesebene abzuschließen, mittlerweile solche Verträge abschließen. Ich
denke an den durchaus schwierigen Bereich der Friseure, aber auch an den in der Öffentlichkeit als ganz
schwierig wahrgenommenen Bereich des Fleischerhandwerks. Ich glaube, dass das, was noch in der letzten Legislaturperiode mit Zustimmung vieler auf den Weg gebracht worden ist, jetzt auch seine Früchte trägt und dass
wir damit insgesamt auf einem richtigen Weg sind.
({7})
Meine Damen und Herren, mit dem Beschluss, dass
die 8,50 Euro am 1. Januar 2015 kommen, wird gleichzeitig - das ergibt sich aus der Tradition der Verantwortung der Tarifpartner - eine Kommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaften kommen, die in Zukunft über
die Höhe des Mindestlohnes entscheidet. Das muss dann
natürlich durch eine Verordnung der Bundesregierung
verbindlich übernommen werden; das ist überhaupt
keine Frage. Es liegt aber in der Systematik, dass die Tarifpartner für die Lohnfindung zuständig sind. Wir haben
in dieser Koalition gemeinsam einen wichtigen Schritt
getan, indem wir ein Paket schnüren, durch das auch klar
wird, wie die ordnungspolitischen Linien in Deutschland
aussehen.
({8})
Die Punkte, meine Damen und Herren, die noch offen
sind und zurzeit diskutiert werden, werden wir vernünftig miteinander beraten. Das ist überhaupt keine Frage.
Man kann unterschiedlicher Auffassung sein. Aus den
Reihen des DGB habe ich gestern gehört, dass eine Altersgrenze von 18 Jahren unanständig sei. Ich frage mich
da allerdings, was denn Eltern machen, die ihrem 14-jährigen Sprössling, der gerne dies oder jenes kaufen oder
ins Ferienlager fahren möchte, sagen: Pass mal auf, verdien dir mal was! Wenn dir dann noch Geld fehlt, geben
wir das dazu. Aber streng dich erst einmal an! - Handelt
es sich da auch schon um ein Arbeitsverhältnis mit dem
14-Jährigen? Wie gehen wir eigentlich mit solchen Dingen um? Manchmal frage ich mich wirklich, ob wir in
der Debatte die Verhältnismäßigkeit der Fragen, die wir
hier angehen, im Blick behalten.
({9})
Ich glaube jedenfalls, dass wir auch die Frage der Altersgrenze gemeinsam angehen und vernünftig miteinander klären werden.
({10})
Dasselbe gilt für das Thema, dass junge Menschen, die
eine Ausbildung beginnen, im Schnitt fast 20 Jahre alt
sind. Auch das müssen wir miteinander bereden; das
müssen wir miteinander klären. Ich bin sicher, dass wir
das tun werden.
Ich danke Ihnen auf jeden Fall herzlich fürs Zuhören.
Gemeinsam werden wir alles dafür tun, dass die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland weiterhin positiv ist. Wir können über Sozialpolitik und Arbeitsmarktpolitik fabulieren, wie wir wollen: Wenn wir keine
wirtschaftliche Prosperität haben, wenn es uns nicht weiterhin wirtschaftlich so gut geht wie jetzt, werden viele
Dinge, die wir uns vorgenommen haben, keinen Bestand
haben. Wir wollen aber, dass sie Bestand haben. Deswegen arbeiten wir gemeinsam daran.
Herzlichen Dank.
({11})
Vielen Dank, Herr Kollege Schiewerling. - Nächste
Rednerin ist die Kollegin Brigitte Pothmer, Bündnis 90/
Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So einfach
ist die Welt wirklich nur noch für die Linken:
({0})
10 Euro Mindestlohn sofort, und alle Probleme sind
gelöst: das Mietpreisproblem, das Rentenproblem, das
Niedriglohnproblem.
({1})
Ich sage Ihnen einmal, was sofort passieren würde, wenn
es Ihren Mindestlohn in Höhe von 10 Euro geben würde:
Der Mindestlöhner in München wird weiterhin Wohnkostenzuschüsse beantragen müssen,
({2})
und der Mindestlöhner in Ostdeutschland wird arbeitslos.
Herr Ernst, Sie müssen einfach einmal verstehen, dass
der Mindestlohn kein sozialpolitischer Tausendsassa ist.
Er ist ein Instrument, um Lohndumping zu bekämpfen,
und er ist ein Instrument, um faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.
({3})
Dabei dürfen Sie natürlich den Zusammenhang von
Lohnhöhe auf der einen Seite und Arbeitskräftenachfrage auf der anderen Seite nicht völlig außer Kraft setzen. Aber wirtschaftspolitischer Sachverstand gehörte ja
noch nie zu den Kernkompetenzen der Grünen.
({4})
- Mist, ich meinte: gehörte noch nie zu den Kernkompetenzen der Linken. Also, ich gebe zu: Das war jetzt wirklich ganz doof für mich. Aber geben Sie mir noch einmal
eine zweite Chance.
({5})
Lassen Sie mich noch etwas wirklich Wichtiges ansprechen, nämlich den Gesetzentwurf des Ministeriums.
Es ist ohne Zweifel ein Etappensieg für die SPD und für
Frau Nahles, dass es ihnen gelungen ist, die überbordenden Ausnahmeregelungen, die gefordert worden sind,
zumindest im Referentenentwurf außen vor zu halten.
({6})
Aber man sollte bekanntermaßen, liebe Kollegen von
der SPD, den Tag nicht vor dem Abend loben. Das Gesetzgebungsverfahren ist noch lang. Wenn Sie die Zeitungen aufschlagen, können Sie nachlesen, dass die Forderungen nach Ausnahmen nicht vom Tisch sind. Ob wir
am Ende einen Mindestlohn haben werden, der tatsächlich alle Beschäftigten vor Lohndumping schützt, oder
ob dieses Gesetz durchlöchert wird und damit eine Niedriglohngrenze unterhalb des Mindestlohns geschaffen
wird, werden wir erst bei der Verabschiedung des Gesetzes sehen.
Was die Ausnahmen im Referentenentwurf angeht, so
will ich Ihnen sagen, dass es für die Ausnahmen für Jugendliche Argumente gibt, die sehr sorgfältig abgewogen werden müssen. Wir Grüne werden dazu ein Fachgespräch führen und das Für und Wider sehr sorgfältig
abwägen. Einig sind wir uns allerdings bei dem Ziel: Wir
wollen natürlich alle nicht, dass durch den Mindestlohn
Anreize geschaffen werden, dass Jugendliche auf Ausbildung verzichten und jobben gehen.
Die Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose ist an
Absurdität kaum noch zu übertreffen.
({7})
Ich prognostiziere Ihnen, dass kein Unternehmen mehr
einen Langzeitarbeitslosen ohne Lohnkostenzuschuss
einstellen wird, und zwar deswegen nicht, weil Sie einen
doppelten Anreiz schaffen: Auf der einen Seite bekommt
dieser Arbeitslose Lohnkostenzuschüsse, und auf der anderen Seite muss der Arbeitgeber noch nicht einmal den
Mindestlohn zahlen. Das ist ein eklatanter Fehlanreiz,
der sofort wieder vom Tisch muss.
({8})
Aber der Gesetzentwurf zum Mindestlohn enthält
auch noch weitere äußerst kritische Punkte, die jetzt
durch die Debatte über die Ausnahmen weniger Beachtung gefunden haben: Es ist ein riesiger Fehler, dass Sie
die Höhe des Mindestlohns bis 2018 einfrieren wollen.
2018 ist der Mindestlohn von 8,50 Euro ungefähr noch
7,50 Euro wert. Wozu setzen Sie eine Mindestlohnkommission ein, wenn Sie sie drei Jahre lang in den Schlafmodus versetzen wollen?
Es wäre die Aufgabe dieser Mindestlohnkommission,
die Höhe des Mindestlohnes unter Berücksichtigung der
gesamtwirtschaftlichen Lage und der Lohn- und Preisentwicklung verantwortlich festzusetzen.
({9})
Was Sie hier machen, ist: Sie treffen eine politische Entscheidung. Gerade die Kolleginnen und Kollegen von
der CDU haben immer gesagt: Der Mindestlohn darf
nicht politisch festgelegt werden. - Mit dieser Entscheidung legen Sie den Mindestlohn bis 2018 politisch fest.
Ferner koppeln Sie die Mindestlöhne von der allgemeinen Lohnentwicklung ab. Damit torpedieren Sie Ihr eigenes Ziel, nämlich dass der Mindestlohn dazu führen
soll, dass so wenig Menschen wie möglich zusätzlich auf
Hartz IV angewiesen sind. Das ist mit den von mir angesprochenen 7,50 Euro natürlich nicht mehr möglich.
Die Kommission, so wie Sie sie konstruieren, hat mit
dem britischen Vorbild so gut wie gar nichts mehr zu
tun. Sie setzen die Wissenschaftler an den Katzentisch,
Sie entziehen ihnen das Stimmrecht. Das Ergebnis ist,
dass Sie damit den Mindestlohn eben nicht aus der
Kampfarena der Tarifparteien herausholen. Es ist doch
die Aufgabe der Mindestlohnkommission, die Wirkung
des Mindestlohnes zu evaluieren und wissenschaftsbasiert einen Vorschlag zu erarbeiten. Genau dieses Konzept hat in England zu einer großen Akzeptanz geführt:
bei den Arbeitgebern, bei den Gewerkschaften und in
der Bevölkerung. Eines kann ich Ihnen sagen: Nur eine
derart breite Akzeptanz bietet die Voraussetzung dafür,
dass der Mindestlohn auch wirklich durchgesetzt werden
kann.
({10})
Schade, dass Sie sich diesem Erfolgsmodell nicht anschließen wollen. Wir machen aber noch eine Ausschussreise, um noch einmal mit der Mindestlohnkommission in England zu reden. Ich hoffe, dass Sie auf
diese Reise nicht mit einer interessengeleiteten Einsichtsbarriere gehen. Denn dann hätten wir vielleicht
noch Chancen, dass sich etwas ändert.
Ich komme zum Abschluss. Sehr problematisch finde
ich die Ungleichbehandlung zwischen denen, die Tariflöhne bekommen, und denen, die keine Tariflöhne bekommen. Die einen kriegen den Mindestlohn 2015, die
anderen kriegen ihn 2017. Ich frage Sie: Was wollen Sie
den Beschäftigten des Wach- und Sicherheitsgewerbes,
den Wäschereibeschäftigten, den Floristinnen und Floristen, den Gärtnerinnen und Gärtnern und den Tankwarten, die 7,50 Euro in der Stunde bekommen, sagen? Nur
weil ihr Lohn in einem Tarifvertrag festgelegt ist, werden sie benachteiligt. Es handelt sich dabei doch aber um
genau diejenigen, die sich gewerkschaftlich organisiert
und für Tarifverträge gekämpft haben - das wollen Sie
doch. Genau die werden jetzt benachteiligt.
Frau Kollegin Pothmer, Sie haben Ihre Redezeit im
Griff, nehme ich an.
Ich komme gleich zum Schluss. - Das ist sicher kein
Anreizsystem, um das gewerkschaftliche Engagement
zu fördern.
({0})
Sie sehen: Es gibt noch viele Baustellen. Ich habe die
Hoffnung nicht aufgegeben, dass Sie sich im Laufe des
Gesetzgebungsverfahrens unseren guten Argumenten
nicht verschließen. Wir wollen wirklich, dass der Mindestlohn ein Erfolgsmodell für Deutschland wird.
Ich danke Ihnen.
({1})
Vielen Dank. - Als nächstes spricht für die SPD die
Kollegin Kerstin Griese.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Kollegin Pothmer, ich weiß zwar nicht, wie ich
das jetzt toppen kann, aber ich werde es versuchen.
({0})
- Lieber nicht? - Gut.
Ich möchte ein herzliches Dankeschön an die Fraktion Die Linke richten, da sie uns mit ihrem Antrag die
Gelegenheit gibt, dieses wichtige Thema schon so früh
zu diskutieren, und zwar in der Woche, in der von der
Regierungskoalition ein Gesetzentwurf auf den Weg gebracht wird. Deshalb ist das ein guter Anlass.
Es ist ein wichtiges Thema und eine Herzensangelegenheit für die SPD, einen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn durchzusetzen. Dafür haben wir im
Wahlkampf gekämpft. Das haben wir versprochen, und
das haben wir gehalten.
({1})
Wir sind froh, dass wir diesen Mindestlohn gemeinsam mit unserem Koalitionspartner, der CDU/CSU, und
- ich will das ausdrücklich erwähnen; denn das ist ein
großer Erfolg - auch gemeinsam mit den Gewerkschaften umsetzen und so unser Versprechen halten können.
Der Mindestlohn ist ein guter Schritt für viele Menschen
in unserem Land und auch ein Erfolg für unsere Ministerin, die das so konsequent und so zielstrebig durchgesetzt hat. Ein herzliches Dankeschön auch dorthin.
({2})
Wir haben den Mindestlohn versprochen und halten
dieses Versprechen. Wir werden die Details in den
nächsten Wochen natürlich noch ausführlich beraten. Ich
will darauf hinweisen, dass der Mindestlohn ein großer
Fortschritt für die Menschen in unserem Land ist. Ich
habe nachgeschaut: Allein im Kreis Mettmann in Nordrhein-Westfalen, aus dem ich komme - das ist ein im
Durchschnitt wirtschaftsstarker Kreis -, werden etwa
50 000 Menschen positiv von der Entscheidung für einen Mindestlohn betroffen sein. In Nordrhein-Westfalen
werden es 1,3 Millionen Menschen und bundesweit 4 bis
6 Millionen Menschen sein, die jetzt endlich einen anständigen Lohn für ihre Arbeit bekommen, auch wenn
das nur eine Untergrenze ist und gute Tarife, die darüber
liegen, natürlich noch besser sind.
({3})
In erster Linie ist das ein Erfolg für die Menschen und
die Branchen, in denen sie arbeiten. Das gilt auch für
die, die in Minijobs arbeiten; denn dort wird viel Missbrauch betrieben. Gerade heute am Equal Pay Day will
ich sagen: Es ist auch ein Erfolg für die Frauen, die immer noch in schlechter bezahlten Jobs arbeiten. Auch auf
sie wird sich der Mindestlohn positiv auswirken.
({4})
Der Mindestlohn ist auch ein großer Fortschritt für
die Unternehmen, und zwar für die Unternehmen in unserem Land, die anständig zahlen. Denn er bringt mehr
Ordnung und mehr Fairness auf dem Arbeitsmarkt. Der
Mindestlohn bedeutet für die Unternehmen: Endlich gibt
es einen gerechten und fairen Wettbewerb und kein
Lohndumping mehr.
Die Koalition schlägt einen Mindestlohn von 8,50 Euro
vor. Ich wette: Wenn Sie nächstes Jahr mit einem entKerstin Griese
sprechenden Antrag kommen, Herr Ernst, dann schlagen
Sie 12 Euro vor. Das ist ja immer ein Überbietungswettbewerb.
({5})
Wir liegen mit den 8,50 Euro ganz richtig; das ist der
Vorschlag des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Wir liegen im europäischen Vergleich genau zwischen Großbritannien mit 7,63 Euro, Irland mit 8,65 Euro und den Niederlanden mit 9,10 Euro. Ich glaube, das ist ein guter
und vernünftiger Vorschlag. Ein reiner Überbietungswettbewerb hilft weder den Menschen noch dem Arbeitsmarkt.
({6})
Wir schlagen vor, dass künftig - der Kollege
Schiewerling hat es schon gesagt - eine Kommission der
Tarifpartner, die paritätisch besetzt ist, also mit Vertretern des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände,
über die weitere Entwicklung des Mindestlohns beschließt. Das machen wir deshalb, weil wir die Tarifautonomie und die Tarifpartner stärken wollen. Wir wollen nicht weiter im Parlament über den Mindestlohn
entscheiden, sondern wir wollen, dass die Tarifpartner
dies tun.
({7})
Es ist eine gute und kluge Lösung, die wir vorschlagen.
Wir wollen, dass es keine politische Festsetzung gibt,
sondern eine Festsetzung vonseiten der Tarifpartner.
Wie überhaupt das Ziel unseres Gesetzentwurfs ja die
Stärkung der Tarifautonomie ist. Deshalb haben wir eine
Übergangsfrist von zwei Jahren vorgesehen. Ich muss
sagen: Ich kann nicht verstehen, warum Sie sich darüber
so aufregen;
({8})
denn die Übergangsfrist bedeutet doch, dass es endlich
in mehr Branchen eine Tarifgebundenheit geben wird.
({9})
In der Fleischbranche haben wir das doch gesehen.
({10})
Wenn es nicht aufgrund der Mindestlohndebatte Druck
gegeben hätte, hätte die Fleischbranche sich doch gar
nicht bewegt. Jetzt gilt für sie ein Tarifvertrag, und sie
wurde in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen. Der Mindestlohn soll schrittweise auf 8,75 Euro
pro Stunde steigen - immerhin. Mit dieser Übergangsfrist wollen wir auch und gerade die Branchen, in denen
es noch keine Tarifgebundenheit gibt, auffordern und unterstützen, einen Tarifvertrag abzuschließen; denn darin
wird natürlich noch viel mehr geregelt als nur die Lohnhöhe. Deshalb ist das eine gute Sache.
({11})
Ich will ausdrücklich sagen: Wichtig ist, dass wir im
Vorfeld der Erarbeitung unseres Gesetzentwurfes einen
Branchendialog geführt haben. Wir haben im Koalitionsvertrag festgehalten, dass es mit den Branchen, die vom
Mindestlohn betroffen sein werden, einen Dialog geben
wird. Wir alle haben in diesen Gesprächen viel gelernt.
Ich finde, es ist vorbildlich, dass man vorher so intensiv
mit den Branchen berät.
Die Gespräche haben eines gezeigt: Es gibt ganz
unterschiedlich gelagerte Probleme. Manchmal ist die
unterschiedliche Bezahlung ein Ost-West-Problem.
Manchmal gibt es Probleme - etwa im Taxigewerbe -,
die man gar nicht über den Mindestlohn, sondern nur
über Entscheidungen in den Kommunen lösen kann. Oft
geht es auch um ganz konkrete Probleme, die man durch
begleitende Maßnahmen lösen kann. Das Ergebnis ist
- das ist ein großer Erfolg unseres Vorschlags für einen
gesetzlichen Mindestlohn -, dass wir keine einzige
Branche ausnehmen werden.
({12})
Das ist auch deshalb wichtig, weil so kein Missbrauch
betrieben werden kann. Wir werden den Branchen, die
Probleme haben, beim Übergang helfen. Dann wird es
diesen Mindestlohn geben.
Ich bin froh, dass der Mindestlohn zum 1. Januar
2015 kommt, mit einer Übergangsfrist bis zum 1. Januar
2017. Dann wird es den Mindestlohn für alle geben: flächendeckend und gesetzlich, beginnend bei 8,50 Euro
pro Stunde. Danach werden die Tarifpartner über die
weitere Entwicklung entscheiden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir halten, was wir
versprechen. Das ist gut für die Menschen, gut für die
Arbeitsplätze und gut für die Wirtschaft in unserem
Land. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen und
ganz besonders auf die Umsetzung dieses Mindestlohns.
Vielen Dank.
({13})
Vielen Dank, Frau Kollegin Griese, auch für die präzise Einhaltung der Redezeit.
({0})
Ich erteile jetzt der Kollegin Jutta Krellmann, Die
Linke, das Wort.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Wissen Sie: Gerade wir Linke können machen, was wir wollen - es ist immer alles Mist.
({0})
- Ich bin noch nicht fertig. - Wenn ich mit Kolleginnen
und Kollegen in Betrieben rede und ihnen sage: „Die
Linke fordert 10 Euro Mindestlohn“, dann finde ich niemanden, der sagt, dass das nicht in Ordnung ist, sondern
ich bekomme nur Zuspruch. Niemand sagt, dass er einen
Mindestlohn in der Höhe, über die im Moment diskutiert
wird, möchte. 10 Euro ist richtig, und 10 Euro ist gerecht.
({1})
Der Mindestlohn kommt, sehr verehrte Damen und
Herren. Aus unserer Sicht ist er die unterste Haltelinie
für alle, genauso wie die unterste Haltelinie im Bundesurlaubsgesetz ist, dass die Menschen Urlaub bekommen.
Auch da gibt es keine Abweichung: Bundesurlaubsgesetz ist Bundesurlaubsgesetz. Seitdem wir über den Mindestlohn reden, gibt es aber Debatten darüber, wer alles
eine Abweichung braucht und wer alles eine Sonderregelung haben möchte; das ist unglaublich. Das Arbeitgeberlager, die CDU/CSU und das Handwerk fordern seit
Wochen Ausnahmen. Ich habe gestern Frühstücksfernsehen geschaut. Da war zu sehen, dass sogar die Spargelbauern in allen möglichen Regionen Abweichungen verlangen, weil sie die Spargelernte sonst, wenn der
Mindestlohn eingeführt wird, in andere Länder outsourcen müssen. Das ist doch eine verrückte Geschichte; so
etwas geht überhaupt nicht.
({2})
Wir, meine Damen und Herren, sind auch nicht die
Ersten in Europa, die einen gesetzlichen Mindestlohn
einführen; als 22. Land sind wir fast die Letzten. Nirgendwo hat der Mindestlohn zu Massenarbeitslosigkeit
geführt. Dafür gibt es, obwohl alle darüber quatschen,
überhaupt keinen Beleg. Das ist auch völliger Schwachsinn; das sind, wie es so nett gesagt wurde, Nebelkerzen.
Dabei ist der Mindestlohn in den vergleichbaren europäischen Staaten in der Regel höher als der Mindestlohn,
mit dem wir einsteigen werden; das ist eben schon mal
gesagt worden. Ein Land, das den höchsten Mindestlohn
hat, ist dabei aber leider vergessen worden, obwohl es
auch ein Stück weit vergleichbar ist: Luxemburg mit
einem Mindestlohn von 11,10 Euro. Frankreich hat einen Mindestlohn von 9,53 Euro, die Niederlande von
9,11 Euro.
({3})
Selbst England hat einen Mindestlohn, der, gemessen in
Kaufkraftstandards, höher ist als der, den wir in
Deutschland haben werden.
({4})
Noch letzte Woche versprach die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles: Der Mindestlohn kommt ohne Ausnahme. - Jetzt wissen wir: Die SPD ist an dieser Stelle
eingeknickt - nichts anderes - und verkauft die vorgesehene Ausnahmeregelung jetzt als Erfolg.
({5})
Ausgerechnet für junge Menschen unter 18 ohne abgeschlossene Berufsausbildung soll es keinen Mindestlohn
geben. Sie sollen künftig für die gleiche Arbeit schlechter bezahlt werden als über 18-Jährige. Damit machen
Sie diese jungen Menschen zu Arbeitnehmern zweiter
Klasse.
Ich habe in der Tarifpolitik dafür gekämpft, dass solche Regelungen aus den Tarifverträgen genommen wurden. Jeder, der sich einmal mit Tarifverträgen im Handwerk beschäftigt hat, kann sich noch daran erinnern, dass
fast jeder Handwerkstarifvertrag Lohngruppen für über
und unter 18-Jährige hatte. Wir haben lange gebraucht,
um dafür zu sorgen, dass das abgeschafft wird, und jetzt
wird es durch die Hintertür wieder eingeführt. Das, sehr
geehrte Damen und Herren, ist Altersdiskriminierung
und überhaupt nicht zu akzeptieren.
({6})
Angeblich sollen Jugendliche so davon abgehalten werden, lieber einen besser bezahlten Aushilfsjob anzunehmen, statt eine Ausbildung anzufangen. Das ist völliger
Quatsch. Frau Nahles und Co sprechen damit den Jugendlichen die Fähigkeit ab, eigene Entscheidungen für
ihre Zukunft zu treffen. Die Jugend ist klüger, als wir
alle glauben. Ich kenne keinen Jugendlichen, der die
Chance hatte, eine Ausbildung zu machen, und sich dann
entschieden hat, sie nicht aufzunehmen.
Ich denke da an meine Ausbildung: Mein Ausbildungsvertrag sah eine Ausbildungsvergütung von 222 D-Mark
vor; nach der Ausbildung hätte ich 1 350 D-Mark verdient. Wenn ich als Angelernter in den gleichen Betrieb
gegangen wäre, hätte ich nur 900 D-Mark bekommen.
Man muss doch nicht glauben, dass Jugendliche nicht in
der Lage sind, auszurechnen, was es für sie bedeutet,
wenn sie eine Ausbildung machen: Sie holen die Differenz schnell wieder herein, weil sie nach der Ausbildung
mehr verdienen.
({7})
Das Problem ist: Es gibt zu wenige Ausbildungsplätze. 2013 haben nur gut zwei Drittel derjenigen, die
einen Ausbildungsplatz wollten, auch einen Ausbildungsplatz erhalten. Es fehlt nicht an der Ausbildungswilligkeit junger Leute; es fehlt an dem politischen Willen der Großen Koalition, für mehr Ausbildungsplätze
zu sorgen.
({8})
Schaffen Sie einen verbindlichen Rechtsanspruch auf
eine Ausbildung! Nehmen Sie die Betriebe in die
Pflicht! Führen Sie die Ausbildungsplatzumlage ein! Damit würden Sie endlich etwas für die Fachkräftesicherung tun. Stattdessen jammern Sie ständig über den
Fachkräftemangel. Es gibt einige Ausbildungsbetriebe,
die richtig viel und gut ausbilden. Andere machen nichts
außer zu jammern. Bestrafen Sie nicht die Jugendlichen!
Das hat mit einem Mindestlohn überhaupt nichts zu tun.
({9})
Letzter Punkt: Ausnahmeregelungen für Langzeitarbeitslose. Das ist im Grunde - ich habe leider nicht mehr
so viel Zeit; deswegen muss ich mich kurzfassen - eine
Fortsetzung der Agendapolitik der letzten Jahre. Dass
Sie Menschen, die langzeitarbeitslos sind, von dieser Regelung ausschließen, ist nicht erträglich. Frau Pothmer
hat bereits ausgeführt, dass das faktisch eine doppelte
Unterstützung der Arbeitgeber ist. Das wird eher dazu
führen, dass Menschen in Billiglohnjobs gedrängt werden, statt sie aus der Langzeitarbeitslosigkeit herauszuholen. Deswegen sagen wir: Nein, keine Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose! Das ist zum Ersten nicht
gerecht, und zum Zweiten erreicht man damit nicht das,
was erreicht werden sollte.
({10})
Gerade demonstrieren Frauen draußen vor dem
Reichstag für Equal Pay. Das finde ich total klasse. Aber
hier drinnen verwehrt man durch die Ausnahmen beim
Mindestlohn gerade den Menschen Equal Pay, die das
eigentlich bräuchten, nämlich Jugendlichen und Langzeiterwerbslosen.
Vielen Dank.
({11})
Nächster Redner für die CDU/CSU ist der Kollege
Stephan Stracke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Der allgemeine gesetzliche flächendeckende Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro kommt. So
haben wir es im Koalitionsvertrag vereinbart, und so
wird es umgesetzt. Die Ressortabstimmung über den Gesetzentwurf läuft. Wir machen Politik für die Menschen
in unserem Land. Es macht Sinn, die Lebenswirklichkeit
der Menschen in den Blick zu nehmen. Wir sind für praxisgerechte Lösungen. Deshalb sind wir mit den Gewerkschaften und Arbeitgebern in einen Dialog getreten,
den die Bundesministerin angestoßen hat. Auch wir, die
CDU/CSU-Fraktion, stehen mit den betroffenen Branchen im Dialog.
Für uns gilt: Harte Arbeit und Leistungswille müssen
sich lohnen. Wir als CSU haben immer gesagt: Wer Vollzeit beschäftigt ist, sollte von seiner Arbeit angemessen
leben können. Die Menschen in unserem Land sollen
von der derzeit positiven wirtschaftlichen Entwicklung
profitieren.
({0})
Und so ist es auch: In keinem Industrieland ist die Arbeitslosigkeit zwischen 2007 und 2013 so schnell zurückgegangen wie in Deutschland.
({1})
Das ist das Ergebnis unionsgeführter Politik, das ist das
Ergebnis guter Wirtschaftspolitik, und genau die wollen
wir fortsetzen.
({2})
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland profitieren von der guten wirtschaftlichen Entwicklung. Die Gehälter in Deutschland sind in den letzten
beiden Jahren um rund 7 Prozent gestiegen bei einer Inflationsrate von 3,5 Prozent. Das zeigt: Die Teilhabe
funktioniert sehr gut.
Leistung muss fair bezahlt werden. Wir sind entschieden gegen jegliches Lohndumping und Billiglöhne. Aber
es ist und bleibt Aufgabe der Sozialpartner, eine faire
Bezahlung zu gewährleisten. Dass die Sozialpartnerschaft funktioniert, wurde aktuell in Bezug auf die Fleischindustrie deutlich. Wir haben viele Diskussionen politisch begleitet und gesagt: „Es muss hier zu
Veränderungen kommen“, und genau das ist passiert.
Wir werden nun die Fleischindustrie in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufnehmen, in dem ein entsprechender Mindestlohn verankert ist. Das zeigt: Die Sozialpartnerschaft funktioniert. Vielleicht muss man an der einen
oder anderen Stelle politischen Druck ausüben. Das haben wir in der letzten Legislaturperiode getan. Es ist ein
großer Erfolg, dass uns das gelungen ist.
({3})
Die Sozialpartnerschaft entscheidet über Wohlstand
und sozialen Frieden in unserem Land. Sie ist die tragende Säule und darf auch in Zukunft nicht infrage gestellt werden. Deshalb gilt für uns: Einen einheitlichen
flächendeckenden Mindestlohn gibt es nur bei Wahrung
der Tarifautonomie; beides gehört zusammen. Nicht von
ungefähr heißt das Gesetz, das die Ministerin auf den
Weg gebracht hat, Tarifautonomiestärkungs- und nicht
-schwächungsgesetz.
Wir wollen die Tarifbindung und die Ordnung des Arbeitslebens durch Tarifverträge stärken. Deshalb werden
wir die Allgemeinverbindlicherklärung erleichtern. Wir
wollen das Interesse der Tarifpartner möglichst hochhalten und die Voraussetzungen entsprechend erleichtern.
Das ist ein guter Ansatz. Die Branchenmindestlöhne liegen derzeit überwiegend über 8,50 Euro; sie haben sich
bewährt. Deswegen werden wir das Arbeitnehmer-Entsendegesetz entsprechend ändern. Wir werden es für alle
Branchen öffnen. Sie wissen, dass das ArbeitnehmerEntsendegesetz bislang auf einen bestimmten Katalog
begrenzt ist. Diesen Katalog werden wir erweitern. Es ist
gut, dass wir hinsichtlich der Branchenmindestlöhne
eine große Breite vorsehen.
Bei dem Mindestlohn von 8,50 Euro ist entscheidend,
dass die zukünftige Anpassung über eine Mindestlohnkommission stattfinden soll. Sie wird mit Vertretern der
Tarifvertragsparteien paritätisch besetzt werden. Wir
wollen keinen politischen Mindestlohn, sondern einen,
bei dem die Tarifvertragsparteien in der Verantwortung
stehen. Genau das werden wir garantieren. Dabei gilt es,
die nachlaufende Tariflohnentwicklung im Blick zu behalten und die entsprechenden Anpassungen vorzunehmen. Es wird so sein, wie wir es im Koalitionsvertrag
vereinbart haben: Wenn die Mindestlohnkommission ge1920
sprochen hat, wird das eins zu eins umgesetzt. So stellen
wir uns das vor. Darauf haben wir uns verständigt.
Wir brauchen einen Mindestlohn mit Augenmaß.
Deshalb wurde im Koalitionsvertrag vereinbart, dass
mögliche Probleme bei der Umsetzung berücksichtigt
werden; beispielhaft genannt wurde die Saisonarbeit.
Wir wollen Arbeit schaffen, nicht Arbeitslosigkeit. Wir
wollen keine Verwerfungen in den Betrieben, zum Beispiel im Rahmen der Landwirtschaft. Wir müssen immer
darauf achten, dass wir die richtige Balance schaffen und
wahren. Deswegen haben wir uns mit dem Koalitionspartner verständigt. Wir sind uns im Grundsatz einig,
was die Ausnahmen - Auszubildende, Ehrenamtliche
und Praktikanten - angeht.
Wir müssen aber auch darauf achten, dass der Mindestlohn im Ergebnis nicht nach hinten losgeht. Deshalb
gilt es, keine Anreize dafür zu setzen, dass auf eine Berufsausbildung zugunsten einer Beschäftigung mit Mindestlohn verzichtet wird. Wir haben in Deutschland derzeit ein hervorragendes Ausbildungsniveau. Genau das
wollen wir erhalten, gerade vor dem Hintergrund des bestehenden Fachkräftemangels. Über die Altersgrenze
von 18 Jahren müssen wir sicherlich noch einmal diskutieren. Wenn das Durchschnittsalter der Auszubildenden
derzeit bei knapp 20 Jahren liegt, müssen wir darüber reden, ob es sachgerecht ist, die Grenze bei 18 Jahren anzusetzen.
Für Langzeitarbeitslose müssen wir besondere Chancen für einen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt schaffen. Deswegen ist es richtig, dass wir sie zumindest für
eine Beschäftigungszeit von sechs Monaten vom Mindestlohn ausnehmen. Wir müssen darüber diskutieren,
ob und inwieweit weitere Regelungen zielführend wären.
Entscheidend wird auch sein - so haben wir es im
Rahmen des Koalitionsvertrages vereinbart -, dass wir
Branchentarifverträge weiterhin berücksichtigen. Bestehende Tarifverträge sollen nicht verdrängt werden. Das
gilt für die Übergangszeit bis Ende 2016. Darauf lege ich
Wert.
Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren wirtschaftlich hervorragend entwickelt. Kein anderes Land
steht so gut da wie Deutschland. Deswegen ist es verantwortbar, dass wir den Mindestlohn einführen. Ich weiß,
dass damit arbeitsmarktpolitische Unwägbarkeiten verbunden sind, insbesondere in den Regionen, die schwächer aufgestellt sind als die starken Regionen, beispielsweise in Süddeutschland. Aber auch Personengruppen
wie Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose müssen
wir besonders in den Blick nehmen. Wir müssen hier die
richtige Balance schaffen. Das tun wir im Rahmen des
Prozesses, der nun ansteht.
Ich bedanke mich ganz herzlich.
({4})
Nächste Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen ist die
Kollegin Müller-Gemmeke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Linke schreibt am Anfang ihres
Antrags: Ein gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland
ist überfällig. Da haben Sie natürlich recht.
({0})
Die Forderung nach einem Mindestlohn in Höhe von
10 Euro kann ich zum jetzigen Zeitpunkt aber nur kritisieren. Selbst die Linksfraktion müsste doch merken,
wie schwer es ist, in Deutschland überhaupt einen Mindestlohn durchzusetzen. Natürlich wissen auch wir, dass
ein Mindestlohn von 8,50 Euro Altersarmut nicht verhindern kann. Natürlich muss der Mindestlohn deshalb
in den nächsten Jahren zügig steigen.
({1})
Es bedurfte aber einer großen Kraftanstrengung, dass
sich fast alle gesellschaftlichen Kräfte in Deutschland
auf 8,50 Euro einigen konnten. Jetzt geht es darum, dass
dieser Mindestlohn endlich kommt, und zwar für alle. In
dieser Situation ist Ihr Diskussionsbeitrag nicht zielführend.
({2})
Es wäre besser gewesen, Sie hätten sich in Ihrem Antrag beispielsweise einmal mit der Durchsetzung des
Mindestlohns beschäftigt; denn das ist ein äußerst wichtiger Aspekt, auf den auch Arbeitsmarktexperten aufmerksam machen. Studien zeigen nämlich, dass viele
Beschäftigte, die weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdienen, gar nicht nach Stundenlohn, sondern nach Stücklohn bezahlt werden. Viele haben keine fest vereinbarte
Arbeitszeit. Das heißt, für mehr als ein Drittel dieser Beschäftigten fällt unbezahlte Mehrarbeit an. Hier gilt es
also, Regelungen zu finden, die die Beschäftigten vor
Missbrauch schützen. Es muss gewährleistet sein, dass
der bezahlte Lohn auf Stundenbasis ermittelt und umgerechnet werden kann. Wenn eine Mindestlohnstunde zukünftig 90 Minuten dauern würde, dann wäre das katastrophal.
({3})
Grundvoraussetzung dafür ist auch, dass ordentlich
kontrolliert wird. Wie das tatsächlich sichergestellt werden soll, sehe ich noch nicht; denn die Finanzkontrolle
Schwarzarbeit, die ja letztlich die Einhaltung des Mindestlohns kontrollieren soll, hat schon heute nicht genug
Personal. Mehr Personal ist auch nicht geplant. Das hat
die Bundesregierung im Finanzausschuss nochmals bestätigt. Hier ist also die Ministerin gefragt. Sie muss zügig schlüssige Regelungen für den Nachweis der ArBeate Müller-Gemmeke
beitszeit schaffen und für ausreichend Kontrollpersonal
sorgen. Ein Mindestlohn nur auf dem Papier wäre nicht
akzeptabel.
({4})
Eine klare politische Linie wünsche ich mir, wie die
Linke, auch bei der Diskussion um die Ausnahmen. Ich
fand es schon absurd, welche Ausnahmen in letzter Zeit
immer wieder diskutiert wurden, beispielsweise bei Minijobs oder bei Rentnerinnen und Rentnern. Ganz aktuell
sind dem Arbeitgeberpräsidenten Kramer auch noch Ältere ohne Ausbildung eingefallen. Ist ihre Arbeit weniger wert? Sind sie weniger produktiv? Oder sind sie gar
Beschäftigte zweiter Klasse? Minijobs sind doch heute
schon eine Niedriglohnfalle. Rentnerinnen und Rentner
arbeiten doch vor allem, weil ihre Rente nicht zum Leben reicht. All diejenigen, die solche Ideen verbreiten,
kann ich nur fragen: In welcher Welt leben Sie eigentlich?
({5})
Die Ministerin muss jetzt beim Mindestlohn klare
Kante zeigen. Ausnahmen führen zu Fehlanreizen und
Verdrängungseffekten. Warum sollte ein Arbeitgeber einen Mindestlohn zahlen, wenn es billigere Arbeitskräfte
gibt? Ein solcher Billigmindestlohn wäre auch völlig
sinnwidrig; denn ein Mindestlohn ist laut Definition die
niedrigste gesetzlich erlaubte Entlohnung. Darunter gibt
es nichts. Nehmen Sie, die Union, das endlich zur
Kenntnis!
({6})
Es gibt viele, die sich mit dem Mindestlohn noch immer unendlich schwertun. Sie übersehen dabei schlichtweg die positiven Aspekte:
Erstens. Tarifflucht, OT-Mitgliedschaften, Befristungen, Leiharbeit und auch Werkverträge - alles zusammen hat die Gewerkschaften geschwächt. Der Mindestlohn wird die Tarifpartner und somit auch die
Tarifautonomie von unten stärken.
({7})
Zweitens. Notwendig ist der Mindestlohn auch für die
verantwortungsvollen Betriebe, die ihre Beschäftigten
fair und auf Augenhöhe behandeln. Sie wollen beim
Wettbewerb um die niedrigsten Löhne nicht mitspielen.
Sie brauchen Schutz, damit sie nicht vom Markt gedrängt werden. Der Mindestlohn macht also auch wirtschaftspolitisch Sinn.
Drittens. Vor allem aber profitieren die Menschen von
dem Mindestlohn. Damit können sie - zumindest die
meisten Alleinstehenden - von ihrer Arbeit leben. Sie
müssen nicht zum Jobcenter laufen und ihren Lohn, den
sie verdient haben, mit Hartz-IV-Leistungen aufstocken.
Es geht auch um den Wert von Arbeit. Aber dazu
muss der gesetzliche Mindestlohn wirklich flächendeckend eingeführt werden. Der DGB hat das wunderbar
auf den Punkt gebracht: Würde kennt keine Ausnahmen.
Vielen Dank.
({8})
Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen
Markus Paschke, SPD, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Die
Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland ist lange überfällig“, so steht es
in Ihrem Antrag, verehrte Kolleginnen und Kollegen von
den Linken, und bis hierhin kann ich dem auch zustimmen.
({0})
Mindestlöhne sind Kernelemente sozialer Gerechtigkeit, und sie sind eine Grundvoraussetzung für gute Arbeit. Aber, meine Damen und Herren von den Linken,
Sie müssen sich auch einmal entscheiden, welcher Linie
Sie folgen wollen. Vor nicht einmal einem halben Jahr
haben Sie selbst einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem
Sie die Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro
forderten.
({1})
„Einfach mehr fordern“ scheint wieder das Motto zu
sein.
({2})
Leider ist das Leben nicht so einfach. Etwas durchzusetzen, was man für gut und richtig befindet, ist viel Arbeit.
({3})
Man muss Argumente verschiedener Interessengruppen
abwägen, sich eine Meinung bilden und Koalitionspartner finden, mit denen man seine Ziele umsetzen kann.
({4})
Wie gut, dass sich die SPD-Fraktion aufs Arbeiten versteht.
({5})
Nach nicht einmal 100 Tagen im Amt hat Andrea
Nahles diese Woche den Referentenentwurf des Tarifpaketes in die Ressortabstimmung gegeben. Ich zolle der
Ministerin und Ihrem Haus für diese Leistung meinen
ehrlichen Respekt.
({6})
Sie hat damit ein zentrales Anliegen von 5 Millionen
Menschen umgesetzt. Es ist auch nicht das erste Gesetz
aus ihrem Hause - ich erinnere an das Rentenpaket -,
sondern schon das zweite große Vorhaben für mehr Gerechtigkeit in unserem Land.
({7})
Es muss endlich Schluss sein mit der Subventionierung
von Niedriglöhnen!
Wenn ich einkaufen gehe, finde ich im Supermarkt
meines Vertrauens in den Regalen alles, was ich brauche,
und die Ware ist in einem guten Zustand. Mein Friseur
leistet gute Arbeit, wie man sieht.
({8})
Beim Urlaub auf Borkum ist jeder Krümel Sand, den ich
ins Hotelzimmer schleppe, am nächsten Tag verschwunden. Hinter all dem stehen Menschen, die einen guten
und engagierten Job machen. Die Arbeit all dieser Menschen ist es wert, mit mindestens 8,50 Euro pro Stunde
entlohnt zu werden.
({9})
Um es ganz klar zu sagen: Beim Mindestlohn geht es um
die Würde und den Wert von Arbeit für die Menschen in
unserem Land.
Ist es normal, wenn in einem der reichsten Länder der
Erde Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gesagt
wird, ihre Arbeit sei nicht einmal 8,50 Euro pro Stunde
wert? Da sage ich deutlich: Nein. Ist es normal, wenn jemand, der Vollzeit arbeitet, zum Amt gehen muss, weil
das Geld nicht zum Leben reicht? Da sage ich deutlich:
Nein. Wer sein Geschäftsmodell darauf gründet, Beschäftigte unterirdisch zu entlohnen, und darauf baut,
dass der Steuerzahler, also wir alle, den Rest bezahlt, der
sollte sein Geschäftsmodell noch einmal ernsthaft überdenken.
({10})
Andersherum wird ein Schuh daraus: Die Arbeitgeber,
die anständige Löhne zahlen, werden mit der Einführung
eines gesetzlichen Mindestlohns endlich vom unfairen
Wettbewerb durch Dumpinglöhne befreit,
({11})
flächendeckend von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen und von Aachen bis Frankfurt/Oder. Deshalb ist der
gesetzliche Mindestlohn ein Meilenstein für eine wirklich soziale Marktwirtschaft.
({12})
Gesetze müssen einfach und verständlich sein. Jeder,
Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, muss erkennen können,
welche Rechte und Pflichten er hat. Dieser Aufgabe
- davon bin ich fest überzeugt - kann ein Gesetz jedoch
nur gerecht werden, wenn es ohne große Ausnahmen beschlossen wird. Jedes Wenn-dann, jede Einschränkung
schafft Unsicherheit und bietet denen, die danach suchen, ein willkommenes Schlupfloch. Um es klar zu sagen: Wir reden hier von 8,50 Euro als Lohnuntergrenze;
das ist die gesetzliche rote Linie, die nach 2017 nicht
mehr unterschritten werden darf. Wir reden von Mindestarbeitsbedingungen wie zum Beispiel den vier Wochen Urlaub, die laut Bundesurlaubsgesetz jedem Arbeitnehmer zustehen, oder der Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall. Nach oben sind die Spielräume natürlich
offen. Es steht jedem Arbeitgeber frei, mehr zu zahlen,
wenn er qualifizierte und engagierte Mitarbeiter haben
möchte.
({13})
Und hier liegt auch der Gedankenfehler in Ihrem
heute vorliegenden Antrag, meine Damen und Herren
von der Linken. Natürlich wären höhere Löhne wünschenswert, aber das ist Sache der Tarifvertragsparteien.
({14})
Die wissen am besten, was branchentypisch oder regional möglich ist. Ein Mindestlohn regelt nur das untere
Ende, das Mindeste, was Arbeit in Deutschland wert ist.
Theodor Storm hat einmal festgestellt:
Am Ende pflegen die Idealisten doch recht zu behalten, wenn auch mitunter vielleicht hundert Jahre,
nachdem sie begraben sind.
So lange wollten wir dann doch nicht warten.
({15})
Deswegen haben wir uns auf den Weg gemacht und klargestellt: Eine verlässliche Umsetzung eines gesetzlichen
Mindestlohns, der niemanden überfordert, aber auch den
Wert der Arbeit anerkennt, gibt es nur mit der SPD, mit
niemandem sonst.
Vielen Dank.
({16})
Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin
Christel Voßbeck-Kayser, CDU/CSU, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Kollege Paschke hat gerade Theodor Storm zitiert.
Theodor Storm kam mir auch in den Sinn, als ich den
Antrag der Linken gelesen habe, aber in anderer Form.
Theodor Storm hat die Geschichte vom kleinen Häwelmann geschrieben. Ich weiß nicht, wer von Ihnen diese
Geschichte seinen Kindern vorgelesen hat. Der kleine
Häwelmann konnte nie genug bekommen und hat sich in
seinem Bettchen herumfahren lassen, bis die Sonne aufging und ihn ins Meer warf. Der kleine Häwelmann
sagte immer: Mehr, mehr! Das hat, genau wie Ihr Antrag, Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die
Linke, mit der Lebens- und Arbeitswirklichkeit der
Menschen hier im Land und ihren tatsächlichen Bedürfnissen nur wenig zu tun.
({0})
Wenn ich mir Ihren Antrag durchlese, wird mir vor allem eines klar: Sie denken dabei nicht an die Langzeitarbeitslosen und auch nicht an die Erwerbsgeminderten.
Genau die Gruppen, zu deren Anwalt Sie sich hier ständig berufen, vergessen Sie also.
({1})
Sie missachten mit Ihrer Forderung eines Mindestlohns
von 10 Euro auch sämtliche Erfahrungen, die in anderen
Ländern oder auch Studien gemacht worden sind. Ich
möchte einmal das Beispiel Frankreich anführen. Frankreich ist ein Musterbeispiel dafür, dass Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichten und den Einstieg in den Arbeitsmarkt von vornherein verhindern. Der Mindestlohn in
Frankreich betrug zuletzt 9,43 Euro, und die Arbeitslosigkeit der 15- bis 24-Jährigen lag im letzten Jahr nach
einer OECD-Studie bei fast 24 Prozent. Vor diesem Hintergrund stellen Sie sich hier hin und fordern einen Mindestlohn von 10 Euro! Da ist die Katastrophe für den
deutschen Arbeitsmarkt doch vorprogrammiert.
({2})
Um was geht es Ihnen bei Ihrem Antrag? Ich habe das
Gefühl, es geht Ihnen einzig und allein darum, Ihr politisches Süppchen zu kochen. Seien Sie aber vorsichtig,
Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, dass
Ihnen das, was Sie da anrichten, nicht überkocht; denn in
Ihrem Forderungstopf ist eindeutig zu viel drin.
({3})
Über die Konsequenzen denken Sie anscheinend auch
nur wenig nach. Das ist in meinen Augen nur eines: verantwortungslos.
Eines ist gewiss: Bei der Einführung einer Lohnuntergrenze ist Sensibilität notwendig. Für die Menschen, für
die Wirtschaft und für unser ganzes Land steht zu viel
auf dem Spiel.
Ja, es ist richtig: Der Mensch soll mit seiner Hände
Arbeit wenigstens so viel erwirtschaften, dass er damit
eine einfache Existenz sichern kann. Es ist ein Verdienst
von beiden Parteien in der Koalition, dass wir uns zusammengefunden haben, gerade weil es uns um die Interessen der Menschen geht und auch, um im Interesse der
Menschen zu handeln und zu entscheiden, die nicht die
Kraft haben, sich hier durchzusetzen, auch im Interesse
der Menschen, die keine Lobby für die Dimension dieser
Herausforderung haben.
Auch wenn die Koalitionspartner verschiedene Denkansätze verfolgen, die SPD mit ihrem eher staatlich geprägten Denken, wir, die Unionsfraktion, von marktwirtschaftlichen Prinzipien geleitet ({4})
diese marktwirtschaftlichen Prinzipien ermöglichen erfolgreiches Wirtschaften in Partnerschaft und haben uns
gerade in den Jahren 2008/2009 durch die schwere Finanz- und Wirtschaftskrise geführt -, so eint uns in der
Koalition doch ein gemeinsames Ziel: Wir wollen, dass
es den Menschen gut geht und damit unserem Land.
Was sagen Sie, Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, jungen Menschen ohne Schulabschluss,
Geringqualifizierten, Langzeitarbeitslosen, denen der
Einstieg in die Arbeitswelt durch den von Ihnen geforderten Mindestlohn erschwert wird? Ihr Ansatz bringt
diesen Menschen keine Lösung.
({5})
Gehört nicht auch beim Thema Mindestlohn zur
Wahrheit: „Um einen Mindestlohn zu erhalten, muss
eine Mindestleistung erbracht werden“? Deshalb sagen
wir als Unionsfraktion: Um Langzeitarbeitslosen den
Einstieg in die Erwerbstätigkeit zu erleichtern, werden
sie in den ersten Monaten ihrer Arbeit aus diesem Mindestlohnmodell herausgenommen; denn sozial ist, was
Arbeit schafft. Wichtig ist uns in der Unionsfraktion: Ein
Mindestlohn darf kein politischer Lohn werden, sondern
muss ein von den Tarifpartnern ausgehandelter Lohn
sein. Das hat sich bewährt.
({6})
Daher lehnen wir als Unionsfraktion den vorliegenden Antrag ab; denn bei der Problemlösung hilft keine
Radikalität. Wir werden eine marktwirtschaftliche Lösung realisieren, sorgsam und mit der Vernunft der Großen Koalition.
Vielen Dank.
({7})
Frau Kollegin Voßbeck-Kayser, das war Ihre erste
Rede hier im Deutschen Bundestag. Meinen Glückwunsch! Ich wünsche Ihnen viele weitere Redebeiträge
im Hohen Hause.
({0})
Nächste Rednerin ist für die SPD die Kollegin
Daniela Kolbe, der ich hiermit das Wort erteile.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin wirklich von Herzen froh, dass er jetzt
endlich kommt: ein gesetzlicher einheitlicher Mindestlohn für alle Beschäftigten. Wir wollen ihn einführen. Er
wird in Ost und West gleich hoch sein; und das ist auch
gut so.
({0})
Unsere Regierung wird damit das Leben von mehreren Millionen Menschen und ihren Familien verbessern.
Viele werden nicht mehr vom Staat abhängig sein. Sehr
viele werden weniger vom Staat abhängig sein. Viele
Menschen werden sich etwas mehr leisten können. Vor
allen Dingen werden sie sich sicherer fühlen. Das wird
ihre Lebensqualität in jedem Fall verbessern und unser
Land ein richtig gutes Stück gerechter machen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, Sie
müssen schon verstehen, dass es uns darum geht - darauf sind wir stolz wie Bolle -, das Leben von Menschen
konkret und Stück für Stück zu verbessern, und dass wir
keine Lust darauf haben, ihnen etwas von einem Wolkenkuckucksheim zu erzählen, das wir leider nicht auf
direktem Weg erreichen werden. Deshalb ist unser Ansatz, 8,50 Euro als allerunterste Haltegrenze einzuführen
plus eine Mindestlohnkommission einzusetzen, die diesen Betrag anpassen wird, der goldrichtige Weg.
({2})
Wir wissen schon lange, dass wir ein Problem mit
Niedriglöhnen unter 8,50 Euro haben. Bereits im Jahr
2004 hat die SPD in Sachsen das Thema im Landtagswahlkampf aufgegriffen. Wir haben „Mindestlohn statt
Billiglohn“ plakatiert, und jetzt endlich führt unsere
Bundesministerin Andrea Nahles diesen Mindestlohn für
alle in Deutschland ein.
({3})
Es ist überhaupt nicht verwunderlich, dass diese Forderung in Sachsen aufgekommen ist. Nach Zahlen des
IAQ ist in Deutschland jeder fünfte Arbeitnehmer von
Löhnen unter 8,50 Euro betroffen. In den neuen Bundesländern ist es jeder Dritte. In meinem Heimatland Sachsen sind es mehr als 33 Prozent. Das sind mehr als
600 000 Menschen, für die wir ganz konkret etwas tun
werden.
Frau Kollegin Kolbe, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Krellmann?
Sehr gerne.
Vielen Dank, Frau Kolbe. Sie haben eben davon gesprochen, dass der Mindestlohn für alle eingeführt wird.
Aber es ging vorhin um Ausnahmen. Was sagen Sie
denn zu den Ausnahmen, die von Ihrer so tollen Ministerin Nahles auch vorgeschlagen wurden?
({0})
Mit dem vorliegenden Referentenentwurf bin ich persönlich sehr zufrieden, weil wir keinerlei Ausnahmen
bei Branchen haben.
({0})
Die Ausnahmen sind darin aufgeführt. Das ist ein Riesenpunkt. Wir haben bis auf die Gruppe der U 18, die
Minderjährigen - worüber man diskutieren kann und
wozu ich persönlich auch eine andere Auffassung
habe -, keine Ausnahmen für Personengruppen vorgesehen.
Ich denke, dass wir damit einen sehr guten Kompromiss gefunden haben, der dem überwiegenden Teil der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern helfen und auch
keine Ausweichbewegungen zulassen wird.
({1})
Es war uns ganz besonders wichtig, dass wir das flächendeckend regeln und keinen Flickenteppich schaffen
und dass der überwiegende Teil der Menschen davon
profitieren kann. Dafür kann ich Andrea Nahles - Sie
kennen ja unsere Konstellation hier - ein Riesenkompliment aussprechen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist
super.
({2})
Ich war gerade bei den neuen Bundesländern stehen
geblieben. Jeder Dritte im Osten wird von der neuen Regelung profitieren. Deshalb werden wir damit auch einen
großen Schritt dazu leisten, dass sich die Löhne in Ost
und West und dadurch auch die Rentenwerte angleichen.
Nach den gestern vorgelegten Zahlen gibt es immer
noch einen Unterschied von etwa 8 Prozent zwischen
den Renten in Ost und West. Wenn wir den Mindestlohn
einführen, wird sich das weiter angleichen und auch einen weiteren Politikansatz, den wir uns vorgenommen
haben, wesentlich leichter machen. Wir wollen nämlich
auch die Rentensysteme in Ost und West angleichen, und
wir machen das jetzt ein ganzes Stück leichter.
({3})
Der gesetzliche Mindestlohn wird klug eingeführt.
Ich habe das eben schon erwähnt. Wir machen keine
Branchenausnahmen. Im Gegenteil, mit den Branchen,
bei denen es Probleme geben könnte, hat Frau Bundesministerin gesprochen und kluge Lösungen vereinbart,
ohne jedoch Ausnahmen für Branchen hinzunehmen. Es
gibt Branchen, in denen es Probleme geben kann, zum
Beispiel im Taxigewerbe, weil sie die Preise nicht selber
bestimmen können. Deswegen ist es klug, dass man gemeinsam nach vernünftigen Lösungen sucht und sie
dann auch findet.
({4})
Denn es ist auch für die Unternehmen richtig und
wichtig, den Mindestlohn einzuführen, und zwar ohne
Schlupflöcher. Gerade in Ostdeutschland leiden viele
ehrliche Unternehmer darunter, dass es eine Schmutzkonkurrenz gibt, bei der nur mit Billiglöhnen konkurriert
wird. Dem schieben wir jetzt endlich einen Riegel vor.
Auch dass der Mindestlohn für alle Volljährigen gelten wird, ist sehr richtig. Denn wir wollen keine Ausweichbewegungen. Wir wollen nicht, dass die jungen
Menschen die Billigheimer der Nation werden und Unternehmen ihre Geschäftsmodelle entsprechend stricken
und auf junge Erwachsene ausrichten. Wir wollen, dass
junge Menschen eine Berufsausbildung machen bzw. ein
Studium aufnehmen. Genau das ist auch der Fall: Die
jungen Menschen gehen nach der Schule an die UniDaniela Kolbe
versität oder in die berufliche Ausbildung, obwohl sie in
vielen Bereichen schon jetzt beim Jobben mehr als
8,50 Euro bekommen können. Trotzdem machen sie die
Ausbildung oder studieren, obwohl sie auch als Ungelernte jobben könnten.
Warum machen sie das? Ungelernt will doch in diesem Land nun wirklich niemand sein. Das ist auch gut
so. Das sollten wir unterstützen. Wir wollen das mit Jugendarbeitsagenturen tun, die jungen Menschen dabei
helfen, einen Ausbildungsplatz zu finden und Betreuung
aus einer Hand zu bekommen. Auch da hat die Große
Koalition genau den richtigen Ansatz.
({5})
Zum Schluss. Herzlichen Dank an die Linke, dass wir
heute über dieses wichtige Thema reden können. Ich
freue mich schon auf den Gesetzgebungsprozess. Ich
freue mich, ehrlich gesagt, auch riesig auf Silvester;
denn ab dann wird es für sehr viele Menschen eine Verbesserung geben. Sogar bis dorthin wird es Verbesserungen geben. Wenn man sich die Tarifentwicklung anschaut, dann stellt man fest, dass es schon in vielen
Branchen in die richtige Richtung geht, nämlich nach
oben, in Richtung 8,50 Euro, und das ist auch gut so.
Vielen Dank.
({6})
Nächster Redner für die CDU/CSU ist der Kollege
Kai Whittaker.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem
heute schon so viele Gedichte hier vorgetragen wurden,
möchte ich dem nicht nachstehen:
Wir wandern in der Frühlingszeit
Und tanzen Ringelreihen.
Es blüht die ganze Welt
Und keiner ist alleine.
Das war extra für Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Linksfraktion.
({0})
Zum heutigen UNESCO-Welttag der Poesie schien mir
ein Frühlingsgedicht die passende Antwort auf Ihren lyrischen Antrag zum Mindestlohn zu sein.
({1})
Dieser Antrag reiht sich in Ihre märchenhaften Forderungen zur Mütterrente und zur Rente mit 60 ein. Erst
wollten Sie die Mütterrente gar nicht.
({2})
Dann, nachdem wir sie beschlossen haben, geht sie Ihnen natürlich nicht weit genug. Die Rente mit 63 überbieten Sie durch die Rente mit 60, verschweigen aber die
höheren Kosten. Nun also ein Mindestlohn von 10 Euro.
({3})
Schauen wir uns Ihren Antrag einmal ernsthaft an. Sie
fordern drei Dinge: Erstens wollen Sie einen Mindestlohn von 10 Euro. Zweitens soll dieser Mindestlohn der
Lohnentwicklung angepasst werden. Drittens soll der
Mindestlohn für jedes Arbeitsverhältnis gelten. Die eigentliche Frage heute ist doch: Sind 8,50 Euro genug
oder nicht? Sie sagen immer wieder, dass es außer bei
uns in Deutschland in ganz Europa Mindestlöhne gibt.
Das ist aber nicht die ganze Wahrheit; denn was zählt
- das ist eine kleine VWL-Nachhilfe für die Kollegen
Ernst und Krellmann -,
({4})
ist der effektive Mindestlohn, also das Verhältnis von
Mindestlohn zu den mittleren Einkommen. Dieser liegt
in Luxemburg, wo man den höchsten Mindestlohn zahlt,
bei lediglich 42 Prozent. Mit einem Mindestlohn von
10 Euro läge aber dieser Wert bei uns in Deutschland bei
über 70 Prozent, der höchste weltweit. Damit schaden
Sie der deutschen Wirtschaft.
({5})
Die Unternehmer in Ihren eigenen Reihen können davon schon ein Lied singen. Ihre Bundestagskollegin
Kerstin Kassner betreibt eine kleine Pension auf der Insel Rügen. Bedauerlicherweise musste sie im Wahlkampf einräumen, dass sie einen Mindestlohn von
10 Euro nicht zahlen kann. Gerne würde sie mehr geben.
Aber leider, leider sind die Einnahmen zu gering. So
stand es zumindest im Focus. Wenn Ihnen schon Ihre
Unternehmer suspekt sind, dann hören Sie doch wenigstens auf die Gewerkschaften. In Ihrem Antrag verweisen
Sie aber lediglich auf die NGG, die Saar-Arbeitskammer
und Verdi, die mehr als 8,50 Euro fordern. Schön wäre
es aber, wenn Sie auch darauf hinweisen würden, dass
der DGB, die IG Bergbau und die IG Metall mit
8,50 Euro einverstanden sind.
({6})
Aber offensichtlich sind Ihnen selbst diese Gewerkschaften zu neoliberal. Deshalb wollen Sie diese auch
gleich an die Kandare nehmen. Ich zitiere aus der Märkischen Allgemeinen von letzter Woche: „Die Gewerkschaften sind für höhere Löhne da und basta.“ Es gehe
überhaupt nicht, dass „Gewerkschafter als politische
Lohndrücker unterwegs sind“. Das klingt ja richtig trotzig. Ihr Parteichef Bernd Riexinger macht anscheindend
keinen Hehl daraus, was er von unabhängigen Gewerkschaften hält.
({7})
Im alten Griechenland wusste aber schon Sophokles:
Im Unglück ist der Trotz nicht förderlich. Gleich zweimal befolgen Sie dieses Sprichwort nicht. In Ihrem
Antrag fordern Sie, dass sich der Mindestlohn der Lohnentwicklung anpassen muss. Wenn ich mir aber Ihre Parteitagsbeschlüsse anschaue, komme ich zu einem ganz
anderen Ergebnis.
Mit immer höheren Mindestlohnforderungen kompensieren Sie Ihre schrumpfenden Wahlergebnisse.
({8})
2006 haben Sie 8 Euro gefordert, 2010 haben Sie bereits
10 Euro gefordert, und für 2017 stellen Sie 12 Euro in
Aussicht. Das ist eine Steigerung von 50 Prozent in elf
Jahren. Nennen Sie mir einen einzigen Arbeitnehmer in
diesem Land, der auch nur ansatzweise eine solche
Lohnsteigerung zu verzeichnen hatte.
({9})
In Wahrheit wollen Sie doch einen politischen Mindestlohn. Das ist mit uns nicht zu machen. Der Mindestlohn muss von der wirtschaftlichen Lage abhängig sein.
Da sind wir uns in der Großen Koalition absolut einig.
Deshalb definieren wir Leitplanken für die Entwicklung
des Mindestlohns.
In Ihrer dritten Forderung wollen Sie den Mindestlohn für alle Beschäftigten gelten lassen. Genau da zeigt
sich der fundamentale Unterschied zwischen Ihnen und
uns. Der Mindestlohn ist kein verteilungspolitisches Allheilmittel. Er soll für fairen Wettbewerb und faire Löhne
sorgen. Fair heißt aber nicht gleich. Sie wollen alle Menschen gleichmachen. Für uns aber ist jeder Mensch einzigartig. Daher ist es unsere Pflicht, allen Menschen den
Weg in den Arbeitsmarkt offenzuhalten, auch jungen Erwachsenen und Langzeitarbeitslosen.
({10})
Deshalb halten wir die geplanten Ausnahmen für sinnvoll. Die Bürger verlassen sich darauf, dass wir nicht
stupide Parteiprogramme umsetzen, sondern dass wir für
sie arbeiten und nachdenken. Darum haben sie uns als
Große Koalition in die Regierung gewählt und nicht Sie.
({11})
Zum Schluss, Herr Präsident, möchte ich meinen Kollegen aus der Linksfraktion aber doch noch etwas Hoffnung machen.
({12})
Sie sollen nicht den Eindruck haben, dass wir nicht auch
von Ihnen lernen können.
({13})
Ihr großer Vorsitzender Gregor Gysi
({14})
hat einmal gesagt: Ich bin eh kein Freund des Tolerierens. Entweder man sagt richtig Ja, oder man sagt richtig
Nein. - Wir in der Großen Koalition sagen zu Ihrem Antrag richtig Nein.
Herzlichen Dank.
({15})
Herr Kollege Whittaker, das war Ihre Premiere hier
im Hohen Hause, Ihre erste Rede. Ich gratuliere Ihnen
dazu und wünsche Ihnen viele weitere Möglichkeiten,
Politik und Literaturkenntnisse zu verknüpfen.
({0})
Als Nächster spricht der Kollege Ralf Kapschack von
den Sozialdemokraten.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen herzlichen Gruß auch an die Besucher auf der Zuschauertribüne.
Wer hätte das gedacht? Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass wir uns heute über die Höhe des Mindestlohns streiten, aber nicht mehr über seine Notwendigkeit?
({0})
Wir reden heute über das Wie, aber nicht mehr über das
Ob. Dass die Bundesregierung jetzt einen gesetzlichen
Mindestlohn auf den Weg bringt, ist das Verdienst der
SPD.
({1})
Ohne diese Verabredung hätte es keine Koalition mit der
CDU/CSU gegeben; das ist völlig klar. Ich sage auch
ganz persönlich: Für mich war das ein zentrales Argument, um in meiner Partei für die Zustimmung zum
Koalitionsvertrag zu werben. Also, es ist mittlerweile
weitgehender Konsens in diesem Haus, dass wir einen
gesetzlichen Mindestlohn brauchen. Ich gestehe: Ich
finde das großartig.
({2})
Ich weiß allerdings, dass bei dem einen oder anderen
Mitglied unseres Lebensabschnittspartners die Begeisterung noch, sagen wir einmal, steigerungsfähig ist. Aber
da leisten wir gerne Motivationshilfe, und wir geben
auch gerne Tipps für Entspannungsübungen.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, jetzt
zu Ihnen. Ich habe so ein bisschen den Eindruck, dass
Sie diesen Antrag eingebracht haben, weil Sie Angst haben, dass Ihnen das Thema abhanden kommt, weil wir
jetzt konkret handeln.
({4})
Ich will Ihren Beitrag zu der Debatte überhaupt nicht
kleinreden, aber wir müssen doch sagen, wie es ist. Sie
haben im Oktober die Einführung eines gesetzlichen
Mindestlohns von 8,50 Euro gefordert.
({5})
- Moment! - Sie haben - das ist richtig - gesagt, das sei
eigentlich zu niedrig, aber Sie haben auch gesagt, als
Einstieg, als erster Schritt sei es richtig. Diesen ersten
Schritt machen wir jetzt, nicht mehr und nicht weniger.
({6})
Sie können uns doch nicht ernsthaft erzählen, Herr
Ernst, dass sich die Datenlage seit Oktober grundlegend
geändert habe - Sie sollten in Ihrer eigenen Argumentation schon stringent bleiben -, es sei denn, es handelte
sich im Oktober und auch jetzt um reine Showveranstaltungen. Aber gerade Ihnen, Herr Ernst, will ich das nun
überhaupt nicht unterstellen.
({7})
Wir machen jetzt den ersten Schritt. Dass es in den
nächsten Jahren eine deutliche Anpassung geben muss,
ist doch völlig unbestritten. Wir sagen: Wer Vollzeit arbeitet, muss von dem, was er am Monatsende auf dem
Konto hat, auch leben können. Ich komme aus dem
Ruhrgebiet. Von dort stammt ja die Lebensweisheit:
„Grau ist alle Theorie - entscheidend ist auf’m Platz.“
({8})
Der Platz, das ist die Lebenswirklichkeit der Menschen.
Mehr als 4 Millionen werden vom Mindestlohn, so wie
ihn die Bundesarbeitsministerin auf den Weg gebracht
hat, profitieren. Das ist eine ganz konkrete Verbesserung
der Lebenswirklichkeit vieler Menschen.
Das hat auch etwas mit Würde und Gerechtigkeit zu
tun. Mit dem Mindestlohn stellen wir sicher, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die nötige Anerkennung für ihre Arbeit bekommen. 8,50 Euro sind nicht
das Paradies, das behauptet niemand. Der nordrheinwestfälische Arbeits- und Sozialminister Guntram
Schneider hat einmal gesagt: 8,50 Euro, das ist so etwas
wie Hartz IV de luxe. - Ich glaube, das trifft es ganz gut.
Für meinen Wahlkreis - ich komme aus dem Ruhrgebiet; ich habe es schon gesagt - hat Verdi ermittelt, dass
mehr als 30 000 Beschäftigte einen Stundenverdienst
von unter 8,50 Euro haben. Mehr als 11 000 Beschäftigte haben einen Stundenverdienst, der unter 6,50 Euro
liegt. Sie alle werden von unserem Gesetz profitieren.
({9})
6,50 Euro, das verdienen zum Beispiel die Taxifahrer in
meiner Heimatstadt; um es einmal ganz konkret zu machen.
Ein gesetzlicher Mindestlohn hilft aber nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern - das ist schon angesprochen worden -, er hilft auch, um Unternehmen
vor Wettbewerb mit Lohndumping zu schützen. Ein
Mindestlohn in Deutschland, allgemeinverbindlich und
flächendeckend, stärkt die Tarifverträge; das erleben wir
gerade.
Bei allem Respekt vor der Tarifautonomie: Wenn Tarifpartner dauerhaft nicht in der Lage sind, eine Entlohnung zustande zu bringen, die deutlich über dem Existenzminimum liegt, dann ist der Gesetzgeber gefordert,
das sicherzustellen, und das machen wir jetzt.
({10})
Jede lange Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Der
erste Schritt, den wir mit 8,50 Euro Mindestlohn jetzt
gehen, reicht Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Linken, nicht; das verstehe ich sogar. Aber er ist ein
Riesenschritt. Das zeigt sich, wenn ich mir die Diskussion der letzten Jahre anschaue und wenn ich mir anschaue, wo jetzt an allen Ecken und Enden noch gebohrt
und gedrückt wird, um das Konzept des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns zu durchlöchern.
Der renommierte Arbeitsmarktforscher Gerhard
Bosch hat den vorgesehenen Mindestlohn „eine der
größten Sozialreformen der Nachkriegszeit“ genannt.
Ich will ihm da nicht widersprechen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Vielen Dank, Herr Kollege Kapschack. - Das war
auch Ihre erste Rede. Auch Ihnen ganz herzlichen
Glückwunsch von allen hier im Hause.
({0})
Nächster Redner in der Debatte ist Kollege Mark
Helfrich, CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herzlichen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im November letzten Jahres bin ich als neugewählter Abgeordneter hier schon einmal Ohren- und
Augenzeuge einer taktisch motivierten Debatte zum
Mindestlohn geworden. Damals ging es um den Gesetzentwurf der Linken zur sofortigen Einführung eines
Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde. Damals reichten Ihnen 8,50 Euro, um die SPD als GroKo-Partner hier
in diesem Plenum vorzuführen.
Heute brauchen Sie hingegen 10 Euro, um sich hier
im Haus als die sozialere Alternative profilieren zu können. Ein solches Verhalten zeigt, dass wir als CDU/CSU
zu Recht immer darauf bestanden haben, dass die Lohnfestsetzung nicht durch die Politik zu erfolgen hat. Die
Entlohnung von Menschen taugt schlicht und ergreifend
nicht für polittaktische Spielchen. Genau das ist es, was
Sie uns hier heute liefern und den Menschen in diesem
Land antun.
({0})
Es geht um viel zu viel. Es geht mit Sicherheit nicht
um - wenn ich die Worte der Kritiker des Mindestlohns
zitiere - den Untergang des Abendlandes, aber es geht
um die berechtigten Hoffnungen und Anliegen von Millionen von Menschen und darum, dass wir diese Hoffnungen am Ende des Tages auch erfüllen können.
Wer hart arbeitet, der muss auch ordentlich bezahlt
werden. - Für eine solche Aussage werden Sie auf jeder
CDU- oder CSU-Versammlung in dieser Republik eine
Mehrheit finden; Sie werden ehrlichen Applaus dafür erhalten. Da sind wir alle beieinander. Wir sind aber nicht
beieinander, wenn es darum geht, die Augen vor der
Realität zu verschließen. Ihr Antrag zeugt meines Erachtens von Realitätsverlust.
Fakt ist, dass bereits ein Mindeststundenlohn von
8,50 Euro in bestimmten Branchen und Regionen dieser
Republik zu Verwerfungen am Arbeitsmarkt führen
kann. Die derzeitige konjunkturelle Hochphase und die
günstige Situation am Arbeitsmarkt erlauben es uns
- zusammen mit der Übergangsphase 2015/2016 -, diese
Verwerfungen in den Griff zu bekommen und den Mindestlohn zu einem Erfolg zu machen.
({1})
Was ist jetzt Ihre Antwort auf eine wirklich geschichtsträchtige Sozialreform, den flächendeckenden
gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde? Sie
satteln obendrauf und kommen mit einer Forderung nach
einem Mindeststundenlohn von 10 Euro um die Ecke. Es
ist keine Kunst, sozial zu sein, wenn ein anderer zahlt,
meine sehr geehrten Damen und Herren von der Linksfraktion. Sie verkennen, dass es bei dem Mindestlohn
auch immer eine Finanzierungsseite gibt. Sie brauchen
keine Angst zu haben: Ich werde hier heute nicht singen
- die Karnevalszeit ist vorbei -, aber trotzdem die Frage
stellen: Wer soll das bezahlen?
({2})
Die Menschen in diesem Land haben große Sympathien für gerechte Löhne und auch für den Mindestlohn
- das zeigen alle Umfragen -, aber sie haben am Ende
des Tages auch Verantwortung für ihr persönliches
Haushaltsbudget. Wenn wir bei der Höhe des Mindestlohns übertreiben, dann werden wir massive Ausweichbewegungen erleben: Es werden weniger Blumensträuße
gekauft. Die Haare werden häufiger auf Basis der Nachbarschaftshilfe geschnitten. Zeitungsabos werden schlicht
und ergreifend gekündigt. Unternehmen, die Löhne oberhalb des Mindestlohns zahlen, werden im Lohngefüge
entsprechend stärker unter Druck geraten. Es werden
stärkere Rationalisierungsbemühungen in den Unternehmen entstehen. Auch die Missbrauchsanfälligkeit wird
steigen. Es wird mehr unbezahlte Überstunden geben.
Da muss man dann nachkontrollieren; Sie haben vorhin
skizziert, wie Ihre Vorstellung dazu ist. Ich glaube, wir
hätten dann am Ende des Tages den Beschäftigten in diesen Branchen einen sozialen Bärendienst erwiesen, und
das kann keiner wollen.
Wenn wir den Mindestlohn hingegen richtig - das soll
heißen: moderat - justieren - das kann in diesem Zusammenhang genau übersetzt werden mit: 8,50 Euro -, dann
werden viele profitieren: die Beschäftigten von höheren
Löhnen, die Unternehmen von fairem Wettbewerb - der
Wettbewerb wird dann nicht mehr über Lohndumping
geführt - und nicht zuletzt die öffentlichen Haushalte dadurch, dass es weniger ergänzende Hartz-IV-Leistungen
geben wird.
Ich möchte an dieser Stelle sagen, dass auch ich das
Phänomen des Aufstockens in der Masse bedrückend
finde, dass das aber nicht per se Ausdruck einer sozial
kalten Gesellschaft ist, sondern im Gegenteil eine Errungenschaft dieser Gesellschaft. Das ist etwas, was Sie völlig verkennen.
({3})
Unsere Aufgabe ist jetzt, gemeinsam dafür Sorge zu
tragen, dass es den Menschen in unserem Land konkret
besser geht. Es wird nur besser gehen, wenn Wachstum
und Beschäftigung nicht unter dem leiden, was wir beschließen. Es darf nicht sein, dass durch die Einführung
eines allgemeinen Mindestlohns Menschen ihre Arbeit
verlieren bzw. andere nicht die Gelegenheit haben, aus
der Arbeitslosigkeit auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren.
Sie sehen hier heute eine CDU, die in der Tradition
Ludwig Erhards steht, die für soziale Marktwirtschaft
einsteht, die sich auch ordnungspolitisch sehr weit bewegt hat. Es sollte Ihnen in dieser Stunde etwas wert
sein, dass Sie das hier so erleben. Wir sind als CDU/
CSU nicht bereit, die arbeitsmarktpolitischen Erfolge
der letzten Jahre leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Für sozialpolitische Blütenträume stehen wir nicht zur Verfügung.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Vielen Dank. Auch Ihnen die besten Glückwünsche;
denn es war auch Ihre erste Rede heute. Herzlichen
Glückwunsch im Namen des ganzen Hauses.
({0})
Für die SPD-Fraktion hat jetzt Bernd Rützel das Wort.
({1})
Der Arbeitslohn … muß es dem Arbeiter und seiner
Familie ermöglichen, zu einem wahrhaft menschliBernd Rützel
chen Lebensniveau im materiellen, sozialen, kulturellen und geistigen Bereich Zugang zu erhalten.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieses
Zitat stammt von Papst Johannes Paul II. Des Weiteren
schrieb er am 14. September 1981 in der Sozialenzyklika
„Laborem exercens“:
Durch Arbeit muß sich der Mensch sein tägliches
Brot besorgen, und nur so kann er beständig zum
Fortschritt von Wissenschaft und Technik sowie zur
kulturellen und moralischen Hebung der Gesellschaft beitragen …
Das war vor gut 30 Jahren. Vor über 120 Jahren, nämlich 1891, hat der Arbeiterpapst Leo XIII. in der Mutter
aller Sozialenzykliken, „Rerum novarum“, geschrieben,
„dass der Lohn nicht etwa so niedrig sei, dass er einem
genügsamen, rechtschaffenden Arbeiter den Lebensunterhalt nicht abwirft.“
Ich bin heute aus zweierlei Gründen sehr erfreut und
dankbar dafür, dass nun die Einführung eines gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohnes zum Greifen
nahe ist.
({0})
Einmal, weil es um die Würde und die Wertschätzung
des Menschen geht. Der Mensch muss vom Lohn seiner
Vollzeitarbeit leben können, ohne auf staatliche Fürsorge
angewiesen zu sein. Ein anständiges Einkommen, das
die Existenz sichert, ist auch ein Zeichen des Respekts
für die geleistete Arbeit.
({1})
Zum anderen ist ein Mindestlohn auch ökonomisch
sinnvoll. Ich bin häufig in meinem Wahlkreis bei mittelständischen Firmen und werde dort oft angesprochen,
dass der flächendeckende und einheitliche Mindestlohn
schnell eingeführt werden muss. Diese Unternehmen
fürchten nämlich den Dumpingwettbewerb, der zulasten
anständiger Unternehmen wie dieser geht, die ordentliche Löhne zahlen, aber unter dem Druck stehen, dass die
Konkurrenz das nicht tut und damit Aufträge gewinnt.
Wir verbessern mit dem Mindestlohn auch die Wettbewerbssituation eben der Unternehmen, die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fair behandeln und dies auch in
Zukunft tun möchten. Wir tragen mit diesem Mindestlohn damit zu Ordnung und Fairness im Wettbewerb bei.
({2})
Mit unserem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn stellen wir also einen Mindestschutz bereit, der einerseits Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und andererseits Unternehmen vor unfairer Konkurrenz mit
unangemessen niedrigen Löhnen bewahrt. Und wir geben die finanzielle Verantwortung für existenzsichernde
Löhne dorthin, wohin sie gehört: zu den Unternehmen.
Denn sie profitieren von der Arbeit ihrer Mitarbeiter nicht die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Es ist also
widersinnig, wenn diese dafür bezahlen sollen, dass die
Armutslöhne der Beschäftigten aufgestockt werden. Das
sind versteckte Subventionen, meine Damen und Herren.
({3})
Nach genau dieser Logik sorgte vor fast auf den Tag
genau 100 Jahren der Automobilhersteller Henry Ford
für eine Sensation: Er verdoppelte auf einen Schlag den
Lohn für seine Beschäftigten; zugleich kürzte er die Arbeitszeit von neun auf acht Stunden. Man hat ihn dafür
fast für verrückt erklärt. Damit schuf er aber die Voraussetzung dafür, dass sich nun seine Arbeiter selber die
Autos kaufen konnten, die sie hergestellt und gebaut haben. Viele von uns kennen ja den Satz: Autos kaufen
keine Autos.
({4})
Damit hat er seinen Absatz vervielfacht. Was Henry
Ford wusste und was auch heute noch richtig ist: Anständige Löhne kurbeln die Binnenwirtschaft an. Sie sorgen
für mehr Nachfrage, und Sie wirken sich auch positiv
auf die Konjunktur aus. Wir schaffen mit dem von uns
geplanten Mindestlohn noch etwas - das haben wir heute
bereits gehört -: Wir stoppen die Erosion der Tarifbindung, die in den letzten Jahren zu der raschen Ausbreitung des Niedriglohnsektors beigetragen hat. Wir legen
eine Untergrenze fest, die nicht unterschritten werden
darf, darüber hinaus ist es wieder das Handwerk der Tarifpartner.
Mit dieser Tarifautonomie stärken wir die Höhe des
Mindestlohnes für den jeweiligen Geltungsbereich. Ich
habe heute früh die Zeitung aufgeschlagen und bin froh
darüber, dass die Arbeitgeber und Gewerkschaften schon
vor 2018, nämlich 2017, den Mindestlohn, diesen Einstieg, erhöhen wollen. Das ist ein gutes Zeichen.
({5})
Damit setzen wir die Tarifpartnerschaft in den Vordergrund. Es ist kein politischer Mindestlohn, den wir haben.
Abschließend, meine sehr geehrten Damen und Herren, kann ich mich nur den Worten der Kolleginnen und
Kollegen der Linken anschließen. Wir haben es heute
schon zweimal gehört; ich will es noch einmal sagen,
weil es mir sehr gefällt. Ich habe den Gesetzentwurf vom
23. Oktober 2013 dabei. Das ist fünf Monate her. Dort
heißt es: Wir sind für einen Mindestlohn von 8,50 Euro.
Begründet wird dies damit: Diese untere Grenze hat das
Ziel, vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein ihre Existenz sicherndes Einkommen zu
gewährleisten und eine angemessene Teilhabe am soziokulturellen Leben zu ermöglichen. - Ich habe es mir sogar markiert. Es hat mir sehr gut gefallen.
({6})
Abschließend möchte ich einen Satz zu meiner Vorrednerin von der Union sagen, die gesagt hat: Sozial ist,
was Arbeit schafft. Dieser Satz stimmt nicht. Er gefällt
mir nicht. Sozial ist, was gute Arbeit schafft. Das ist ein
Unterschied, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({7})
Als Letztes: 8,50 Euro. Es wird Zeit, die Zeit ist gekommen: Weniger ist zu wenig.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank. - Wir haben heute nur Premieren. Auch
Ihnen einen ganz herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede, Herr Kollege Rützel.
({0})
Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Albert
Weiler, CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!
Können Sie mal ganz kurz warten?
Ja.
Könnte die Gratulation etwas schneller und leiser
vonstatten gehen? Der Kollege Weiler hält heute auch
seine erste Rede und hätte es gerne, dass Sie die Aufmerksamkeit ihm schenken.
({0})
Danke schön, Frau Präsidentin. - 10 Euro, 12 Euro,
12,50 Euro? Ich frage Sie: Wer bietet mehr?
({0})
- 14, höre ich. Wer bietet mehr?
({1})
Jetzt müssen wir wirklich mal die Kirche im Dorf lassen.
Wir sind doch hier nicht auf einem Jahrmarkt.
({2})
Der hier vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke ist
eine Überbietungsdebatte, die meines Erachtens jeglicher Grundlage entbehrt und ihresgleichen sucht.
({3})
Zwar begrüßen die Linken das Vorhaben der Großen
Koalition vom Grunde her - das ist schon einmal ein
Ansatz -, fordern dann aber total überzogene Mindestlöhne. Wir haben es eben schon gehört. Selbst in Ihren
eigenen Reihen gibt es Abgeordnete, die es beim Mindestlohn gegenüber den eigenen Mitarbeitern nicht ernst
nehmen. Frau Kassner wurde genannt. Sie zahlte ihren
Pensionsmitarbeitern auf der Insel Rügen nicht einmal
die 8,50 Euro. Wasser predigen, Wein trinken: Das
scheint mir Ihre populistische Methode zu sein.
({4})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wird dürfen
das Rückgrat unserer deutschen Wirtschaft, nämlich die
zahlreichen kleinen und mittelständischen Unternehmen,
nicht überfordern. Sie werden es nicht glauben: Lohn
muss erwirtschaftet werden.
({5})
Liegt der Lohn über den Kosten für den jeweiligen
Arbeitsplatz, meine lieben Kollegen von der Linken,
droht dessen Wegfall. Das wollen wir doch wohl alle
nicht haben.
({6})
- Ja, das war betriebswirtschaftlich, aber auch volkswirtschaftlich.
Wenn wir uns nicht in die Tasche lügen wollen, müssen wir festhalten, dass es mit der Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns Branchen geben wird, die
an den 8,50 Euro schwer zu knabbern haben werden.
10 Euro oder gar mehr würden derzeit unüberwindbare
Probleme bedeuten. Es ist naiv, zu glauben, keinerlei negative Effekte zu erleben. Wir müssen hier ehrlich bleiben.
Schaue ich als junger Bundestagsabgeordneter beispielsweise auf das Gastgewerbe in unseren ländlichen
Gebieten, so stelle ich fest, dass wir bei zweistelligen
Mindestlöhnen mit Entlassungen bzw. mit Schließungen
von Gaststätten zu rechnen haben werden. Unser Gastgewerbe setzte 2013 weniger um als im Jahr zuvor. Die
Beschäftigtenzahl sank um 1,3 Prozent. Die Zahl der
Vollzeitbeschäftigten ging im Vergleich zu 2012 um
2,6 Prozent zurück. Das wollen Sie mit Ihren Forderungen nach einem Mindestlohn von 10 Euro jetzt noch
maßlos verschärfen. Ich sage Ihnen: Nicht mit uns!
({7})
Gerade bei den Betrieben in strukturschwachen Gebieten wird es zu Preiserhöhungen und zum Wegfall von
Arbeitsplätzen für Geringqualifizierte kommen. Zudem
wären Saisonarbeiter und Erntehelfer nicht mehr bezahlbar. Aber auch diese werden gebraucht.
({8})
Richtig ist - das will ich hier ganz klar sagen -: Wer
Vollzeit arbeitet, muss auch davon leben können.
({9})
Die Große Koalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag auf einen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von
8,50 Euro verständigt. So werden wir das auch umsetzen. Hierbei dürfen wir die kleinen und mittelständischen Unternehmen aber nicht überfordern. Ein Mindestlohn von 8,50 Euro bedeutet Gehaltssteigerungen im
zwei- bis dreistelligen Bereich. Dies muss unter gleichen
wirtschaftlichen Bedingungen erst einmal erwirtschaftet
werden.
({10})
Als gelernter Elektriker, Lokomotivführer und im
zweiten Bildungsweg studierter Leiter einer Verwaltung
kommt mir persönlich bei der gesamten Mindestlohndebatte folgender Aspekt zu kurz: Wer einen Mindestlohn
ohne Ausnahme will, muss gleichzeitig sagen, was ihm
eine ausgebildete Fachkraft mindestens wert ist.
({11})
Meines Erachtens kann es nicht sein, dass ein ungelernter Hilfsarbeiter den gleichen Mindestlohn erhält wie ein
junger Geselle im Handwerk, der sich jahrelang angestrengt, Leistungswillen bewiesen und gearbeitet hat.
({12})
Jugendliche dürfen durch Mindestlöhne nicht dazu
verleitet werden, auf eine Berufsausbildung zu verzichten. Das ist der falsche Weg. Ausbildung und Leistung
müssen sich lohnen. Ihre falschen Anreize sind auch mit
Blick auf die Sicherung zukünftiger Fachkräfte von
überragender Bedeutung. Diesen negativen Trend wollen Sie mit Ihrer Forderung nach einem Mindestlohn von
10 Euro noch verstärken, meine Damen und Herren von
der Linken. Das ist nicht gut.
({13})
19-Jährige hätten dann beispielsweise die Wahl zwischen einer Aushilfstätigkeit in Vollzeit mit einem Monatsgehalt von circa 1 600 Euro und einer ordentlichen
Berufsausbildung mit einem Monatsgehalt von circa
700 bis 800 Euro. Es gehört wenig Phantasie dazu, sich
vorzustellen, dass viele Jugendliche dieser finanziellen
Versuchung eben nicht widerstehen können und sich für
die zunächst besser bezahlte Aushilfstätigkeit entscheiden. Das würde den Fachkräftemangel ins Uferlose treiben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns einen vernünftigen Mindestlohn einführen, der wirtschaftlich geboten und nicht wie auf einem Jahrmarkt durch den
Höchstbietenden ausgefeilscht ist.
({14})
Ich fasse zusammen: Erstens. Leistung und Ausbildung müssen sich lohnen. Zweitens. Ein Mindestlohn
von 10 Euro überfordert unsere kleinen und mittleren
Betriebe. Drittens. Die Folge Ihres Antrags wäre, dass
Ausbildungs- und Arbeitsplätze verloren gehen. Das
können und wollen wir uns nicht leisten.
({15})
Daher empfehle ich Ihnen an dieser Stelle, den Antrag
der Linken abzulehnen.
Vielen Dank.
({16})
Vielen Dank. - Das war, wie gesagt, Ihre erste Rede.
Herzlichen Glückwunsch! Damit hatten wir sechs Premieren in dieser Debatte.
({0})
Wenn die Glückwünsche ausgesprochen sind, darf der
Kollege Matthäus Strebl von der CDU/CSU diese Debatte beschließen. - Herr Kollege Strebl.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Bei dem Thema Mindestlohn dürften sich
alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien einig
sein: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen von
einer Vollzeitbeschäftigung leben können. Wir alle wissen aber auch, dass das längst nicht überall der Fall ist
und dass hier dringend nachgebessert werden muss. Ein
Schritt auf dem Weg ist die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns. Dieser Mindestlohn
- diese Behauptung kann hier aufgestellt werden - wird
kommen, und er wird bei 8,50 Euro in der Stunde liegen.
Allerdings hat die Fraktion Die Linke nun den Antrag
eingebracht, einen Mindestlohn in Höhe von 10 Euro
einzuführen. Darüber werden wir heute befinden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie dürfen
mir glauben, wenn ich sage: Auch ich gönne den Beschäftigten eine solche Lohnuntergrenze. Allerdings
habe ich bei aller Sympathie für einen Lohn von 10 Euro
in der Stunde als Mindestlohn die Realität nicht aus den
Augen verloren. Das zwingt uns, diesen Antrag der Linken abzulehnen.
({0})
Es heißt immer - wohl auch zu Recht -: Deutschland
ist ein reiches Land; der Wirtschaft geht es gut. Richtig
ist: Es geht uns besser als anderen, und Vergleiche hinken bekanntlich immer. Dennoch möchte ich darauf
hinweisen, dass es in der Europäischen Union Länder
gibt, die ihre Erfahrungen mit dem Mindestlohn bereits
gemacht haben. Dies sind 21 von 28 Ländern mit
höchst unterschiedlichen Mindestlöhnen. Spitzenreiter
ist Luxemburg, das heute schon erwähnt wurde, mit
11,10 Euro, gefolgt von Frankreich mit 9,53 Euro.
Da möchte ich kurz verweilen. Wie es um die französische Wirtschaft und den dortigen Arbeitsmarkt bestellt
ist, muss ich hier nicht unbedingt erläutern.
({1})
Ein hoher Mindestlohn ist also keineswegs Indiz für gesamtwirtschaftliches und persönliches Wohlergehen.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Große
Koalition ist keine Klientelkoalition, sondern muss das
gesamtwirtschaftliche Umfeld im Auge behalten. Wir
sind uns dieser Verantwortung bewusst. Wir wägen ab
und werden dementsprechend richtig entscheiden, wenn
die Diskussion dann so weit gediehen ist. Es gibt genügend seriöse Experten, die uns in Gesprächen immer
wieder gesagt haben: Bereits bei einem Mindestlohn von
8,50 Euro könnten bestimmte Betriebe ins Straucheln
kommen und damit Arbeitsplätze gefährdet werden. Das
gilt umso mehr, meine sehr verehrten Kollegen von der
Linksfraktion, bei einem Mindestlohn von 10 Euro.
Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns darf
nicht dazu führen, dass einige etwas mehr verdienen,
viele aber ihren Arbeitsplatz verlieren. Dabei könnten
wir es uns einfach machen und der Forderung der Linken
folgen.
({3})
Beifall bekämen wir dann von den Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern. Aber Applaus ist bekanntlich nur
das Brot, von dem Schauspieler leben - in einer fiktiven
Welt.
({4})
Die Realität sieht nämlich anders aus. Deshalb verzichten wir in diesem Fall auf den Beifall und orientieren uns
an dem, was unserer Wirtschaft und den Beschäftigten
gleichermaßen guttut.
Machen wir uns nichts vor: Bereits heute gibt es innerhalb der Großen Koalition berechtigterweise Diskussionen, aber vor allen Dingen Einvernehmen darüber,
dass es bei der Einführung eines Mindestlohns eng begrenzte Ausnahmen geben wird, um nicht Arbeitsplätze
zu gefährden. Ausnahmen könnte es beispielsweise bei
Rentnern,
({5})
Auszubildenden oder Langzeitarbeitslosen geben. Darüber diskutieren wir derzeit noch. Wenn wir eine Lösung gefunden haben, werden wir entscheiden und das
Richtige tun.
Die Meinungen über den Mindestlohn in der Gesellschaft reichen von Befürwortung bis hin zu Ablehnung;
das muss man gerechterweise sagen. Die Wirtschaft
sorgt sich, dass bei einem Mindestlohn zu wenig junge
Menschen eine Ausbildung beginnen. Der Bauernverband fürchtet zum Beispiel um die Gurkenproduktion.
Vieles andere wurde heute schon genannt. In München
wurde darauf verwiesen, dass es schließlich auch Abiturienten geben soll, die in Ausbildungsberufe streben. Gegen jegliche Altersbeschränkung spricht sich zum Beispiel auch der Chef der IG Bergbau, Chemie, Energie
aus. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende unseres
geschätzten Koalitionspartners wiederum hält die Altersgrenze von 18 Jahren für „sehr gut begründbar“. Der
Chor derer, die sich in unterschiedlichster Weise äußern,
ist also groß und sehr vielfältig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Mindestlohn kommt. Er ist wichtig. Er darf aber keinesfalls
derart attraktiv sein, dass junge Menschen auf eine Berufsausbildung verzichten. Ein Mindestlohn von 10 Euro,
wie er im Antrag der Linksfraktion gefordert wird,
würde einer solchen Entwicklung aber Vorschub leisten.
({6})
Herr Kollege, denken Sie an die Zeit?
Ich denke an die Zeit, Frau Präsidentin, und komme
langsam zum Ende.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Mindestlohn von 8,50 Euro hilft dem Einzelnen. Er kann
auch als gewaltiges Investitionsprogramm bezeichnet
werden. Wenn es stimmt, was das hannoversche PestelInstitut berechnet hat, kommt es durch den Mindestlohn
zu einem Kaufkraftzuwachs von gut 19 Milliarden Euro
und damit zu einem Investitionsschub, der die Binnennachfrage stärkt.
Machen wir mit einem Mindestlohn von 8,50 Euro einen Anfang. Setzen wir gemeinsam ein Zeichen, dass
wir uns für die Gesamtgesellschaft ebenso verantwortlich wissen wie für jede einzelne Arbeitnehmerin und
jeden Arbeitnehmer. Die 10-Euro-Forderung der Linksfraktion ist keine gute Grundlage für eine verantwortungsvolle Politik. Wir lehnen den Antrag deshalb ab.
Herzlichen Dank.
({1})
Vielen Dank. - Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/590 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate
Müller-Gemmeke, Ulle Schauws, Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Frauen gerecht entlohnen und sicher beschäftigen
Drucksache 18/847
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Wiederspruch. Dann ist so beschlossen.
Die Debatte wird von der Kollegin Beate MüllerGemmeke, Bündnis 90/Die Grünen, eröffnet. Bitte schön.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zum sechsten Mal gibt es - gerade
jetzt parallel am Brandenburger Tor - eine Kundgebung
zum Equal Pay Day. Zum sechsten Mal wird die bestehende Lohnlücke beklagt. Und zum sechsten Mal hören
wir von einer Bundesregierung blumige Ankündigungen. Das kann nicht wirklich Ihr Ernst sein. Es ist doch
keine Bagatelle, dass Frauen noch immer 22 Prozent weniger verdienen als Männer. Betroffene Mienen und
Symbolpolitik bringen uns kein Stück weiter.
({0})
Appelle allein - das haben wir gesehen - sind nicht
geeignet, um die Welt zu verändern … Das Ziel ist,
dass der Equal Pay Day nicht irgendwann Mitte
März, sondern in Zukunft am 1. Januar stattfindet.
Darum geht es.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, jetzt
müssten Sie eigentlich heftig klatschen; denn das sind
nicht meine Worte, sondern die von Frank-Walter
Steinmeier; er hat es vor einem Jahr an dieser Stelle gesagt, bei der Debatte zum Equal Pay Day 2013. Und wir
meinen: Er hat recht.
({2})
Die Forderungen der Regierungsfraktionen beim
Thema Entgeltgleichheit sind aber enttäuschend. Hier
hat die Union ganze Arbeit geleistet. Anders ist der Antrag von letzter Woche nicht zu deuten. Die Ankündigungen sind zwar wortreich, aber die geplanten Maßnahmen sind schwammig und wenig ambitioniert. Es ist also
gut, dass wir diese Debatte zu unserem Antrag auf die
heutige Tagesordnung setzen konnten. So werden wir
übrigens dem Equal Pay Day gerecht.
({3})
Unsere erste Forderung ist eine gerechte Bewertung
von Arbeit und eine gesellschaftliche Aufwertung von
Berufen mit hohem Frauenanteil. Nichts anderes meint
der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, KarlJosef Laumann, wenn er dieser Tage eine deutlich bessere Bezahlung von Pflegekräften fordert: Der Lohn
müsse dem guter Handwerker entsprechen. Der Unterschied ist aber, dass es uns nicht nur um Pflegekräfte
geht. Arbeit darf nicht willkürlich und auch nicht interessengelenkt bewertet werden.
Es reicht auch nicht aus, wenn die Regierungsfraktionen die Bewertung von Arbeit mit den Tarifpartnern voranbringen wollen. Wir brauchen endlich allgemeingültige geschlechtsneutrale Kriterien. Nur so werden wir
dem Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“ gerecht.
({4})
Im zweiten Punkt fordern wir, dass Entgeltregelungen
überprüft werden und insbesondere Entgeltdiskriminierungen verbindlich beseitigt werden. Im Antrag der Regierungsfraktionen steht das zwar auch, aber die Unternehmen werden nur aufgefordert. Ansonsten setzen sie
auf mehr Transparenz bei Unternehmen ab 500 Beschäftigten. Transparenz, Freiwilligkeit, Selbstverpflichtung das alles haben wir schon hundertmal gehört. Das ist einfach zu wenig.
Ohne verbindliche Regelungen ist eines sicher: So
treffen wir uns in den nächsten Jahren wieder hier zum
Equal Pay Day, und zwar nicht im Januar, sondern wieder im März. Wir brauchen ein Entgeltgleichheitsgesetz,
alles andere ist Symbolpolitik.
({5})
In unserem dritten Punkt geht es darum, dass wir die
betroffenen Frauen stärken wollen. Deshalb fordern wir
ein Verbandsklagerecht, damit die Frauen zukünftig
nicht mehr alleine klagen und ihren Job gefährden müssen. Die Regierungsfraktionen planen dazu gerade einmal einen individuellen Auskunftsanspruch. Das hilft
aber nicht wirklich weiter. Außerdem ist Entgeltdiskriminierung kein individuelles Problem, sondern ein gesellschaftliches Problem. Nehmen Sie das endlich zur
Kenntnis!
({6})
Der vierte Punkt liegt mir besonders am Herzen.
Frauen brauchen gerechte Löhne, aber sie brauchen auch
soziale Sicherheit. Sie sind häufig von Befristungen betroffen. Die Folgen sind allseits bekannt: Unsicherheit,
fehlende Lebensplanung, wenig Weiterbildung und Arbeitslosigkeit. Vor allem erhalten befristet Beschäftigte
auch noch deutlich weniger Lohn. Deshalb wollen wir
die sachgrundlose Befristung abschaffen. Im Koalitionsvertrag wird das Thema mit keinem einzigen Wort erwähnt. Ich muss das immer und immer wieder sagen;
denn hier fehlt der Großen Koalition jegliche Empathie,
und das ist nicht akzeptabel.
({7})
Sehr geehrte Regierungsfraktionen, die Zahlen sind
doch allseits bekannt: Abteilungsleiterinnen mit Hochschulabschluss erhalten im Schnitt 3 700 Euro, Männer in
derselben Position 5 200 Euro, das sind satte 1 500 Euro
mehr. Entgeltdiskriminierung ist also kein Nischenproblem der klassischen Frauenberufe. Die Physikerin verdient weniger als ihr männlicher Kollege. Ebenso wird
die frauendominierte Pflege schlechter bezahlt als andere gleichwertige Tätigkeiten. Es ist wirklich an der
Zeit, dass Frauen für das, was sie leisten, gerecht bezahlt
werden.
({8})
Es liegen vielfältige Vorschläge auf dem Tisch. Geben
Sie sich einen Ruck! Notwendig sind gesetzliche Regelungen; denn es muss endlich Schluss damit sein, dass es
Arbeit von Frauen zum Schnäppchenpreis gibt. Schalten
Sie nach den heutigen Beileidsbekundungen also nicht
wieder in den Ruhemodus bis zum siebten Equal Pay
Day.
„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ - so ist übrigens
ein Flugblatt der SPD überschrieben. Unten steht groß
und fett: „Andere reden über Frauenpolitik - die SPD
handelt“. Wir nehmen Sie beim Wort.
({9})
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt Sabine Weiss,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Eingangs eine kleine Anmerkung: Ich bin mir relativ sicher, dass eine ganze Menge
Kolleginnen und Kollegen bei diesem Tagesordnungspunkt gerne hier sitzen und zuhören würden. Ich weiß,
dass ganz viele jetzt draußen am Brandenburger Tor sind
und im Rahmen der Kundgebung ihre Unterstützung für
das Anliegen bekunden.
({0})
Verehrte Kollegin Müller-Gemmeke, ja, es ist tatsächlich unfassbar - das sehen auch wir so -, dass wir im
Jahr 2014 immer noch über eine Lohndifferenz von
22 Prozent zwischen Männern und Frauen sprechen, und
das sechs Jahre nach Einführung des Equal Pay Day.
({1})
- Ganz ruhig, ganz gelassen. Dazu komme ich gleich.
Wir werden etwas tun. - Das ist in Zeiten, in denen
Frauen mindestens so gut ausgebildet sind wie Männer,
einfach nicht zu glauben.
Die Gründe für diese Entgeltungleichheit sind vielfältig und daher schwierig zu bekämpfen: Berufswahl, längere Erwerbsunterbrechungen oder Teilzeitarbeit wegen
der Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen, geringere Entlohnung in frauentypischen Berufen - die Liste der Gründe ist eben lang, und die
Gründe können nicht einfach in Schwarz und Weiß differenziert werden.
({2})
Ganz wichtig: Weniger Erwerbseinkommen führt zu
weniger Rente. So einfach diese Gleichung ist, so gravierend sind die Folgen für die Frauen. Die Rentenlücke
zwischen Männern und Frauen beträgt fast 60 Prozent.
({3})
- Richtig.
Wir haben, Frau Müller-Gemmeke, der Lohndifferenz
zwischen Männern und Frauen den Kampf angesagt:
Ausbau der Betreuung, Aufwertung sozialer Berufe,
({4})
Unterstützung von Unternehmen bei der Betreuung, Heranführen von Mädchen an typische Männerberufe, verbesserte Mütterrente und, und, und; ein ganzes Maßnahmenbündel nehmen wir in die Hand, um die vielfältigen
Gründe zu beseitigen. Das sind eben keine blumigen Ankündigungen, Frau Kollegin Müller-Gemmeke. Wir haben in den Koalitionsverhandlungen stundenlang mit
viel Empathie - auch die wollten Sie uns absprechen darüber diskutiert und sind zu diesen Ergebnissen gekommen. Wir wollen zeitnah einen Anspruch auf Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit schaffen, damit diejenigen,
die familienbedingt zeitweilig weniger arbeiten möchten
oder müssen, nicht in der Teilzeitfalle landen.
Auch einen individuellen Auskunftsanspruch werden
wir festlegen, um mehr Transparenz bei der Entlohnung
zu erreichen.
({5})
Das alles sind nach unserer festen Überzeugung zielführende Maßnahmen, die wir im Kampf um mehr Entgeltgleichheit brauchen.
({6})
Neben den politischen und gesetzlichen Möglichkeiten
ist jedoch auch ein Umdenken in unseren Unternehmen
nötig, um diese Ungerechtigkeit endlich zu beenden.
Das wahre Leben ist aber dies: Jedes Paar trifft individuelle Lebensentscheidungen. „Tritt ein Partner für die
Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen beruflich kürzer oder nicht?“, das ist eine Frage, die in den
meisten Beziehungen irgendwann diskutiert wird. In
diese persönlichen Entscheidungen hat sich der Staat
nicht einzumischen; denn das geht ihn nichts an.
({7})
Ich akzeptiere und befürworte es, wenn Familien zu dem
Schluss kommen, dass ein Partner familienbedingt kurzfristig oder dauerhaft auf ein Erwerbseinkommen verSabine Weiss ({8})
zichtet. Das ist ihr gutes Recht und ihre ureigenste Entscheidung. Ich akzeptiere aber nicht, dass Familien zu
dem Schluss kommen müssen, dass sie keine andere
Wahl haben, weil sie ihre Kinder oder andere Angehörige versorgen müssen.
({9})
Frauen bekommen aber nun einmal die Kinder, und daran wird auch der medizinische und technische Fortschritt in den nächsten Jahrzehnten nichts ändern.
({10})
Frauen werden leider häufig für das Kinderkriegen oder
die Pflege ihrer Angehörigen und die damit in der Regel
verbundene berufliche Auszeit bestraft, und das ist nicht
richtig.
({11})
Sie haben es gerade gesagt, Frau Müller-Gemmeke:
Bei Berufen mit einem deutlich niedrigeren Erwerbseinkommen handelt es sich vielfach, wenn auch nicht nur,
um typische Frauenberufe. Heute stand im Übrigen in
der Zeitung, dass der Unterschied bei Steuerberatern am
größten ist: Die Frauen erzielen im Schnitt nur 56 Prozent des Bruttogehalts der Männer.
Es gibt allerdings eine Ausnahme, die wir heute auch
einmal erwähnen sollten: Bei den Postboten liegen die
Frauen tatsächlich mit rund 100 Euro vorne.
({12})
Es wäre toll, wenn wir das demnächst auch in vielen anderen Bereichen vorweisen könnten.
({13})
Eine Lohndifferenz von 22 Prozent ist nicht hinnehmbar; aber noch weniger ist für mich die Lohndifferenz
von 7 Prozent hinnehmbar, die auch dann bleibt, wenn
man Kriterien wie Arbeitszeit, Berufswahl oder Erwerbsunterbrechungen berücksichtigt. An diese Problematik müssen und werden wir schnell und konsequent
herangehen.
({14})
Ich stimme nicht mit allen Forderungen im Antrag der
Grünen überein. Wir lehnen zum Beispiel, weil Sie, Frau
Müller-Gemmeke, es erwähnt haben, ein Verbandsklagerecht und die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung ab.
({15})
Dennoch sollten wir den heutigen Tag zum Anlass nehmen, gemeinsam Lösungen zu finden, um diese Ungerechtigkeit endlich zu beenden. Dann können wir den
Equal Pay Day entweder am 1. Januar begehen, oder wir
verzichten darauf, weil wir ihn dann überhaupt nicht
mehr brauchen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({16})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist Cornelia
Möhring, Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es gibt wiederkehrende Ereignisse, die uns Freude machen, Rituale, Gedenktage, die wir gerne begehen. Es
gibt aber auch Tage, deren sich wiederholender Anlass,
ehrlich gesagt, überhaupt kein Grund zur Freude ist, so
auch der Equal Pay Day. Jedes Jahr stellen wir Mitte
März, nämlich am Equal Pay Day, fest, dass der Lohnunterschied, auch Gender Pay Gap genannt, unverändert
bei 22 Prozent liegt. Übrigens übertreffen nur Österreich
und Estland diesen Lohnraub innerhalb Europas. Unverändert sind seit vielen Jahren auch die Analysen. Zu
zwei Dritteln liegen die Gründe für die ungleichen
Löhne in der miesen Bezahlung in den sogenannten
Frauenberufen und in der Tatsache, dass Frauen in mittleren und höheren Führungsebenen seltener als Männer
vertreten sind, sowie darin, dass der Anteil von Frauen
bei den Teilzeitbeschäftigten oder im Niedriglohnbereich immer noch 80 Prozent beträgt. Das letzte Drittel
kommt zustande, weil Frauen auch für gleiche Arbeit
schlechter bezahlt werden. Das ist und bleibt ein riesiger
Skandal.
({0})
Machen wir es doch einmal ganz konkret: Eine Großhandelskauffrau erhält in 40 Jahren Erwerbstätigkeit
271 000 Euro weniger als ein Großhandelskaufmann.
Bei einer Köchin beträgt die Differenz 100 000 Euro. Einer Ärztin entgehen in nur 35 Jahren 441 000 Euro, nur
weil sie eine Frau ist. Der Lohnunterschied zwischen einer Erzieherin und einem Maschinenschlosser beträgt
auf das Berufsleben gerechnet 231 000 Euro. Ich frage
Sie: Warum bekommt eigentlich die Kollegin, die sich
um das Wohl unser aller Nachwuchs kümmert, eigentlich so viel weniger, obwohl sie doch faktisch sogar
mehr Verantwortung übernimmt?
({1})
Das kann so nicht weitergehen. Es muss endlich gleiche Löhne für gleichwertige Arbeit geben.
({2})
Bis zur Rente wird aus dem 22-prozentigen Gender
Pay Gap ein 40,8-prozentiger Gender Pension Gap; das
ist die Rentenungleichheit zwischen Frauen und Männern. Um dieser zunehmenden Altersarmut zu begegnen,
müssen wir bei gerechten und guten Löhnen anfangen.
Ich will jetzt nicht zur vorherigen Debatte zurückkom1936
men; aber ich glaube, wir haben gute Anknüpfungspunkte, um zu begründen, warum es einen deutlich höheren Mindestlohn geben muss.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute ist ein weiterer wichtiger Gedenktag, nämlich der Internationale Tag
zur Überwindung von Rassendiskriminierung. Der erwähnte Gender Pay Gap würde noch viel schlimmer aussehen, wenn wir die illegale Arbeit einbeziehen würden.
Die Forschungslage ist dünn, aber sie ist existent. In
einer Studie der Uni Hamburg wurde die Situation papierloser Menschen in der Hansestadt untersucht. Dort
erfahren wir von Haushaltshilfen, die in einer Sechstagewoche 280 Euro verdienen, und von einem durchschnittlichen Stundenlohn von 4 Euro, der in der Gastronomie
bezahlt wird. Auch dafür - das sage ich ganz deutlich brauchen wir dringend Lösungen, damit papierlose
Frauen nicht weiter dieser doppelten Diskriminierung
ausgesetzt sind.
({4})
Was will nun die Große Koalition gegen diese Ungerechtigkeiten unternehmen? Es soll Lageberichte zur
Frauenförderung und Entgeltgleichheit in Betrieben mit
über 500 Beschäftigten und ein individuelles Auskunftsrecht geben. Da zittert schon der Equal Pay Day vor seiner Auflösung. Diese Vorschläge suggerieren nämlich,
dass der Gender Pay Gap auf eine tragische Ansammlung von Einzelschicksalen zurückgeht. Doch genau das
ist falsch. Es geht um massenhaften Lohnraub, um strukturelle Diskriminierung von Frauen; es geht um politisches Versagen seit Jahren.
({5})
Ich finde es eigentlich nicht erstaunlich, dass das in
dem Antrag der Grünen geforderte wirksame Instrument
gegen diese Vereinzelung und gegen das politische Versagen, nämlich ein Verbandsklagerecht, von der Großen
Koalition abgelehnt wird. Individuell gegen Diskriminierung klagen ist ein Hindernislauf: Es ist aufwendig,
es ist langwierig, es ist teuer, es ist mühsam. Könnten
aber Verbände und Gewerkschaften oder sogar die Antidiskriminierungsstelle Klage führen, müssten Frauen
eben nicht mehr vereinzelt um ihre Rechte kämpfen.
({6})
- Sie würden davon sehr stark profitieren, ja.
Die in dem Antrag der Grünen vorgeschlagenen Kriterien und Bewertungssysteme, um gleichwertige Arbeit
verbindlich vergleichbar zu machen und Berufe aufzuwerten, sind sehr sinnvoll. Wir teilen das. Ich erinnere
bei dieser Gelegenheit daran, dass auch die SPD da
schon einmal weiter war - vor GroKo-Zeiten. Denn was
ist das für ein fragwürdiger Maßstab: Geht es um das
Wohl der Menschen, wird mies bezahlt, geht es um Extraprofite und Wachstumswahn, wird Arbeit höher geschätzt. Das schadet uns allen, und das muss sich ändern.
({7})
Pflegerische und sorgende Arbeit muss dringend aufgewertet und besser bezahlt werden. Sorgen Sie endlich
dafür, dass wir den Equal Pay Day am 1. Januar feiern
können!
({8})
Vielen Dank.
({9})
Danke schön. - Für die SPD spricht jetzt Gabriele
Hiller-Ohm.
({0})
Meine hoch geschätzte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frauen müssen im Schnitt immer noch 80 Tage länger arbeiten, um auf den Jahreslohn von Männern zu
kommen. Das - da sind wir uns alle einig - ist beschämend.
({0})
Wo, so frage ich Sie, bleibt der laute Aufschrei in unserer Bevölkerung bei so hartnäckiger und langanhaltender
Verletzung unseres Grundgesetzes?
Meine Damen und Herren und auch sehr verehrte Damen und Herren auf den Tribünen, ich spreche oft mit
Schülergruppen, und dann spreche ich auch dieses
Thema an. Ich habe festgestellt, dass das Thema Lohndiskriminierung überhaupt nicht so wahrgenommen
wird. Ich habe mich gefragt: Wie kann das sein? Warum
ist keine Empörung zu hören bei den jungen Frauen,
aber auch bei den jungen Männern? Die Mädchen und
jungen Frauen fühlen sich überhaupt nicht benachteiligt
oder diskriminiert. Sie sind erfolgreich in der Schule, in
der Ausbildung und im Studium. Sie haben die jungen
Männer inzwischen in vielen Bereichen überholt. Da
fällt es offensichtlich nicht nur den jungen Frauen
schwer, sich vorzustellen, dass die ganzen Mühen einmal in Altersarmut enden könnten. Das Problem, meine
Damen und Herren, ist in seiner Tragweite in den Köpfen der Menschen überhaupt noch nicht angekommen.
Blicken wir auf die letzten Jahre zurück: Wir haben
uns auf politischer Ebene bei der Beantwortung der
Frage von mehr Gerechtigkeit für Frauen in der Regel
gestritten. Es gab keine breite Übereinstimmung in unserer Gesellschaft, Diskriminierung von Frauen abzuschafGabriele Hiller-Ohm
fen. Jetzt, meine Damen und Herren, haben wir eine gute
Chance, diesen dringend notwendigen Konsens zu erreichen. Wir haben es geschafft, die CDU/CSU zu überzeugen, und werden es dann auch schaffen, Frauen in
Deutschland endlich das zukommen zu lassen, was ihnen zusteht: Gerechtigkeit.
({1})
Wir haben lange Zeit auf Freiwilligkeit gesetzt.
({2})
Die Wirtschaft hat uns dafür nur den Finger gezeigt, und
nichts hat sich verbessert. Wir brauchen also klare gesetzliche Regeln, damit die Benachteiligung von Frauen
auf dem Arbeitsmarkt beseitigt werden kann. Ein Entgeltgleichheitsdurchsetzungsgesetz, wie auch Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen der Grünen, es in Ihrem Antrag fordern, haben wir bereits in unserem Koalitionsvertrag festgeschrieben.
({3})
Wir wollen im ersten Schritt alle Unternehmen ab
500 Beschäftigten dazu verpflichten, einen Bericht über
den Zustand der Entgeltgleichheit in ihrem Betrieb vorzulegen.
Darüber hinaus brauchen wir ein gesetzlich festgelegtes individuelles Auskunftsrecht, und Regelungen zu
verbindlichen Verfahren, wie Unternehmen Entgeltdiskriminierung beseitigen können, müssen ebenfalls festgeschrieben werden. Wichtig ist natürlich auch, über
Sanktionen nachzudenken, damit das Gesetz dann auch
Wirkung entfalten kann. Unsere Familienministerin
Manuela Schwesig wird schon sehr bald Eckpunkte für
dieses wichtige Gesetz vorlegen.
Aber Sie haben recht: Das reicht natürlich noch nicht.
Ein weiterer Hemmschuh sind die Minijobs, die für viele
Frauen - besonders für die, die verheiratet sind und Kinder haben - eine verheerende Teilzeitfalle darstellen.
Minijobs sind für viele Frauen zunächst sehr attraktiv,
um nach einer Familienphase wieder in das Berufsleben
einzusteigen. Man arbeitet Teilzeit, bezahlt keine Steuern, braucht keine Abgaben an die Sozialversicherungen
zu entrichten und kann sich beitragsfrei über den Partner
krankenversichern lassen. Die Zahlen bestätigen das:
84 Prozent der Frauen, die ausschließlich in einem Minijob arbeiten, sind verheiratet.
So verlockend der Einstieg in eine Beschäftigung
durch einen Minijob ist, so verheerend ist der Klebeeffekt: einmal Minijob, immer Minijob!
({4})
Der Weg in die Altersarmut ist oft vorgegeben, vor allem, wenn die Ehe auseinandergeht, und inzwischen
wird fast jede zweite Ehe geschieden.
Wer Vollzeit gearbeitet hat und wegen der Familie auf
Teilzeit gegangen ist, muss deshalb ein Recht auf Rückkehr in den Vollzeitjob haben. Dieses Rückkehrrecht
wird unsere Arbeitsministerin Andrea Nahles jetzt gesetzlich verankern, und das ist gut so;
({5})
denn damit schaffen wir eine Alternative zum Minijob.
Wir helfen damit auch den Vätern; denn genauso, wie
sich viele Frauen wünschen, mehr arbeiten zu können,
wünschen sich immer mehr Männer, weniger zu arbeiten, um mehr Zeit für ihre Kinder zu haben, und auch
das ist gut so. Das müssen wir unterstützen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, leider werden
Frauen trotz guter Bildungsabschlüsse noch immer mit
schlecht bezahlten Jobs abgespeist. Sieben von zehn Beschäftigten im Niedriglohnbereich sind Frauen. Ich freue
mich deshalb, dass Ministerin Nahles jetzt - wahrlich im
Eilzugtempo - ihre Vorschläge für ein Mindestlohngesetz vorgelegt hat. Eins ist sicher: Ein gesetzlicher flächendeckender Mindestlohn wird vielen Frauen zu besseren Löhnen verhelfen, und auch das ist gut so.
({6})
Gut für Frauen ist außerdem, dass wir uns im Koalitionsvertrag auf eine Quote für Frauen in Führungspositionen einigen konnten. Auch an dieser wichtigen Stelle
haben wir den politischen Streit beendet und setzen jetzt
auf Konsens. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür,
dass sich in unserer Gesellschaft endlich ein neues Bewusstsein entfaltet und Frauen genauso selbstverständlich Führungsaufgaben wahrnehmen können wie Männer.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit der Bundestagswahl ist gerade einmal ein halbes Jahr vergangen.
Wie sieht es aus? Wir haben im Koalitionsvertrag viele
Verbesserungen für die Menschen durchgesetzt, und wir
haben eine Regierung, die voll durchstartet. Diesmal ist
mir um die Frauen und Männer in unserem Land nicht
bange.
Danke schön.
({8})
Vielen Dank. - Frau Dr. Freudenstein, Sie haben jetzt
das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Am heutigen Equal Pay Day
schwebt die Zahl 22 als Symbol der Ungerechtigkeit
über allen Debatten und Forderungen. Diese Zahl löst
bei vielen Wut und bei fast allen zumindest Unverständnis aus.
Frauen verdienen im Schnitt etwa 22 Prozent weniger
als Männer. Wir alle hier finden das vermutlich ungerecht, und doch können wir Gerechtigkeit - so viel Ehrlichkeit muss in der Debatte sein - mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln so einfach nicht herstellen.
({0})
Man tut in Debatten, gerade wenn sie durch Wut aufgeladen sind, immer gut daran, sich zunächst die Ursachen für einen solchen Unterschied anzusehen. In
diesem Fall sind das die häufigen und oft langen familienbedingten Erwerbsunterbrechungen von Frauen,
Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Familie und
Beruf, die hohe Teilzeitquote von Frauen, der nach wie
vor geringe Anteil von Frauen in Führungspositionen
und die Wahl des Berufs oder der Branche. Die FAZ
fasste das vor wenigen Tagen in dem prägnanten Titel
zusammen: „Zu lange raus, zu viel Teilzeit, der falsche
Beruf“.
Dort, wo gesellschaftliche Rahmenbedingungen für
die Lohnunterschiede ursächlich sind, haben wir bereits
einiges auf den Weg gebracht und viele Verbesserungen
erreicht. Wir haben die Betreuungsangebote ausgebaut,
das Elterngeld mit Partnermonaten kombiniert und Programme zum beruflichen Wiedereinstieg nach der Familienpause aufgelegt.
({1})
Das Betreuungsgeld macht es Frauen leichter, bei sich
zu Hause eine sehr flexible Kinderbetreuung zu organisieren, und hilft damit beim Wiedereinstieg in den Beruf.
Wir sind also auf einem guten Weg, haben aber noch einiges vor. So haben wir in der Großen Koalition vereinbart, das Teilzeitrecht zu reformieren und damit die
Rückkehr zur Vollzeitstelle nach der Familienphase zu
erleichtern; das wird Frauen helfen.
({2})
Es ist völlig klar: Elternschaft darf natürlich kein Karrierehindernis sein. Ganz im Gegenteil: Wir müssen viel
mehr dahin kommen, dass Arbeitgeber noch mehr als
bisher erkennen, dass gerade Frauen, die Familie und
Beruf unter einen Hut bringen, oft hochmotiviert, unwahrscheinlich schnell und bestens organisiert sind.
({3})
Einer der wesentlichen Faktoren für geschlechtsbedingte Lohnunterschiede ist nach wie vor die Berufswahl
von Frauen. 70 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnsektor sind Frauen. Sie sind besonders häufig von
Niedrigstlöhnen betroffen. 90 Prozent der Friseure sind
Friseurinnen. In der Erziehung und in der Pflege arbeiten
sogar zu mehr als 93 Prozent Frauen zu oft niedrigen
Löhnen. Das sind nur einige Beispiele.
({4})
Dass Frauen aber trotz Girls’ Days und Infotagen nach
wie vor scharenweise in typische sogenannte Frauenberufe gehen, müssen wir hier alle zur Kenntnis nehmen,
auch wenn es uns nicht unbedingt gefällt.
({5})
Nun wäre es einfach, wenn man hier allein mit Aufklärung viel erreichen könnte. Ich weiß aber aus eigener
beruflicher Erfahrung an der Uni gut, dass gerade die
jungen Abiturientinnen sehr gut wissen, was sie tun. Sie
wissen sehr gut, dass sie als Grundschullehrerin nicht
reich werden. Aber sie wissen eben auch sehr gut, dass
dieser Beruf mit nahezu jeder familiären und örtlichen
Lebenslage ausgezeichnet zu vereinbaren ist.
({6})
Die jungen Frauen wissen sehr gut, dass sie ein Germanistikstudium selten in die höchsten Führungsetagen
der deutschen Wirtschaft führt. Sie studieren es trotzdem, weil es ihnen Spaß macht
({7})
und weil sie bekanntlich besser und mehr lesen als die
männlichen Kollegen. Junge Frauen wissen durchaus,
dass soziale Berufe längst nicht so gut bezahlt sind, wie
wir uns das wünschen würden und wie es angemessen
wäre. Sie werden trotzdem Sozialarbeiterin, Erzieherin,
Altenpflegerin. Ich begrüße das.
Der Gender Pay Gap, die Lohnlücke zwischen Frauen
und Männern, über die wir heute diskutieren, ist für
junge Frauen, die einen Beruf wählen, kein sehr großes
Thema, zumindest keines, das sie in ihrer Entscheidung
ganz wesentlich beeinflussen würde. Das ist vielleicht
einer der wesentlichen Gründe für diese 22 Prozent Lohnunterschied.
Wir müssen auch anerkennen, dass die Arbeitgeber,
die in dieser Diskussion gelegentlich als vermeintlich
Schuldige dargestellt werden, mit der jetzigen Situation
häufig selbst nicht sehr glücklich sind. Ich möchte Ihnen
ein Beispiel nennen: Die Maschinenfabrik Reinhausen,
einer der größten Arbeitgeber in meiner Stadt Regensburg, bemüht sich seit Jahren ganz gezielt darum, junge
weibliche Auszubildende und junge Ingenieurinnen zu
bekommen, weil man dort sehr genau weiß, wie gut gemischtgeschlechtliche Teams arbeiten und welche zusätzlichen Kompetenzen durch Frauen in den Betrieb
kommen. Der Erfolg ist mäßig. Das Interesse junger
Frauen an Berufen in der ausgesprochen gut bezahlten
Metall- und Elektroindustrie ist überschaubar, obwohl es
dort sehr flexible Arbeitszeitmodelle und ausgesprochen
sichere Arbeitsplätze gibt.
({8})
Symbolpolitik wird uns also nicht weiterbringen.
Wichtiger ist es, die Folgen pragmatisch und lebensnah
abzufedern. Der Mindestlohn wird, so hoffe ich, gerade
den Frauen nützen.
({9})
Mit der Mütterrente verbessern wir die Lage vieler
Frauen, die Kinder großgezogen und auf Erwerbsarbeit
verzichtet haben und heute mit niedrigen Renten leben
müssen. Die Erziehung von Kindern ist übrigens eine
Lebensleistung, die unsere Mütter ganz und gar unentgeltlich erbracht haben. Mit der Mütterrente würdigen
wir die Erziehungsleistung von Frauen und verkleinern
damit zugleich die größte finanzielle Gerechtigkeitslücke, die es zwischen Frauen und Männern im Rentenalter gibt.
({10})
Hat man alle äußeren Faktoren, die Lohnunterschiede
erklären können, berücksichtigt, so wird aus der verstörenden Zahl von 22 Prozent die Zahl 7. Es bleibt immer
noch eine Lohnlücke von etwa 7 Prozent zwischen
Frauen und Männern, die wir uns nicht wirklich erklären
können.
({11})
Bei gleicher Qualifikation und gleicher Berufserfahrung
werden Männer auf gleichen Positionen oft besser bezahlt. Das wollen wir nicht hinnehmen.
({12})
Daher müssen wir auch weiter an den Ursachen arbeiten.
Denn für gleiche Arbeit muss es selbstverständlich gleiches Geld geben. Niemand von uns wird bestreiten wollen, dass wir nach der Gleichberechtigung die Gleichbezahlung brauchen.
Herzlichen Dank.
({13})
Vielen Dank. - Das Wort zu ihrer ersten Rede im
Deutschen Bundestag hat jetzt die Kollegin Ursula
Schulte von der SPD.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie alle
kennen sicher das Buch „Die unendliche Geschichte“
von Michael Ende. Manchmal denke ich, dass die Beschäftigung mit der rechtlichen Gleichstellung von
Frauen und Männern genau in diese Kategorie passt.
({0})
Denn das Thema steht schon sehr, sehr lange auf der
politischen Agenda.
Sicherlich, wir haben schon viel erreicht. Aber als ich
vor genau 30 Jahren mit meiner kommunalpolitischen
Arbeit anfing, habe ich nicht im Traum daran gedacht,
dass wir im Jahr 2014 von einer wirklichen Gleichstellung von Männern und Frauen noch so weit entfernt sein
würden.
Ein wichtiges Thema für meine Fraktion und mich
sind vor allem die erheblichen Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen. Auch im 21. Jahrhundert
gibt es da bei uns in Deutschland nach wie vor ein deutliches Gefälle. Von einer Entgeltgleichheit kann nicht
die Rede sein. Die Gründe sind sicher vielschichtig.
Aber Frauen verdienen immer noch bis zu 22 Prozent
weniger, einfach deshalb, weil sie Frauen sind. Das ist
beschämend, nicht akzeptabel und muss geändert werden.
({1})
Aber es kommt noch schlimmer. Im Laufe ihrer Erwerbsbiografie und vor allem mit steigendem Alter verändert sich dieser Einkommensunterschied weiter zulasten der Frauen. Für diese Gerechtigkeitslücke gibt es
verschiedene Ursachen. Der Erste Gleichstellungsbericht nennt insbesondere die familienbedingte Erwerbsunterbrechung und vor allem die geringen Verdienstmöglichkeiten in frauentypischen Berufen sowie das
Fehlen von Frauen in bestimmten Berufen und auf höheren Führungsebenen. Deshalb kann ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, nur
beipflichten, wenn Sie in Ihrem Antrag fordern - ich zitiere -:
Der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche und
gleichwertige Arbeit“ muss endlich durchgesetzt
werden, damit Frauen gerecht entlohnt werden.
({2})
Es geht also darum, typische Frauenberufe aufzuwerten, die Teilzeitfalle zu durchbrechen, die prekären Beschäftigungsverhältnisse abzuschaffen sowie ein Verfahren in Gang zu setzen, das Transparenz über die
Entgeltstrukturen in Betrieben und bei den Tarifvertragsparteien sicherstellt. Genau das sieht der Koalitionsvertrag vor.
Die Regierungskoalition hat sich unter anderem darauf verständigt, die direkte Lohndiskriminierung zwischen Männern und Frauen zu beseitigen, indem Unternehmen gesetzlich verpflichtet werden, einen Bericht
zur Entgeltgleichheit vorzulegen, ein individuelles Auskunftsrecht einzuführen und sich verbindlichen Prüfverfahren zu unterziehen. Unsere zuständige Ministerin ist
- da bin ich vollkommen sicher - ein Garant dafür, dass
dies auch umgesetzt wird.
({3})
Was wir in der Tat benötigen - darauf möchte ich
ganz besonders hinweisen -, ist ein aussagekräftiges
Prüf- und Bewertungsverfahren zur Messung von Lohnungleichheit. Wir brauchen effektive Prüfsteine, die
möglichst viele Diskriminierungstatbestände erfassen.
Es soll aber nicht nur bei Transparenz und Prüfung bleiben. Wenn es tatsächlich einen Hinweis auf Entgeltdiskriminierung gibt, benötigen wir auch Mittel und Wege,
damit Betriebe und Tarifvertragsparteien aktiv werden
müssen. Und wir benötigen Maßnahmen zur Durchsetzung sowie entsprechende Sanktionsmöglichkeiten, um
diese Diskriminierung abzubauen. Wir brauchen also
klare gesetzliche Regelungen.
({4})
Wenn wir Entgeltdiskriminierung aufdecken und angehen wollen, müssen wir alle handelnden Akteure ins
Boot holen. Es geht nicht gegeneinander, sondern nur
miteinander. Wenn wir hier und heute klare Signale an
die Unternehmen senden, müssen wir ebenso dafür sorgen, dass das Prinzip der Entgeltgleichheit auch in andere Politikbereiche einbezogen wird. Dazu zähle ich die
Reform der Minijobs, die Einführung des flächendeckenden Mindestlohns, die Diskussion über das Betreuungsgeld und insbesondere ein geschlechtergerechtes
Steuersystem, Stichwort Ehegattensplitting.
({5})
In all diesen Bereichen besteht weiterhin sehr großer
Handlungsbedarf, wenn wir die Entgeltgleichheit und
die Gleichstellung von Männern und Frauen wirklich realisieren wollen.
Lassen Sie mich hier und heute das Thema Entgeltgleichheit noch aus einer ganz anderen Perspektive beleuchten, die mir persönlich sehr am Herzen liegt. Als
Abgeordnete für den Kreis Borken vertrete ich - wie es
so schön heißt - den ländlichen Raum. Hier stellen sich
manchmal Probleme bzw. Fragen doch ein wenig anders
dar. Ein Kernthema im ländlichen Raum, mit dem ich als
langjährige Kommunalpolitikerin häufig zu tun hatte,
sind die Leistungen pflegender Angehöriger. Wenn ich
von pflegenden Familienangehörigen spreche, meine ich
in erster Linie Frauen. Ich nenne sie inzwischen die vergessenen Frauen. Sie pflegen nach der Kindererziehung
in der Mehrheit oft die eigenen Eltern oder Schwiegereltern, gar nicht so selten beide Elternpaare, ohne dass
diese Leistung gesellschaftlich anerkannt wird. Diese
Frauen und auch die wenigen pflegenden Männer sind
für unsere Gesellschaft eine wesentliche Stütze.
({6})
Ohne sie würde das System der Pflege zusammenbrechen, allein weil uns die finanziellen und personellen
Ressourcen fehlen.
Fakt ist, dass mir die Entscheidung, ob ich als pflegender Angehöriger noch berufstätig sein kann oder
nicht, vielfach durch den Grad der Pflegebedürftigkeit
abgenommen wird. Bei schwer demenzerkrankten Menschen mit Weglauftendenz oder bei Menschen mit
schweren körperlichen oder geistigen Behinderungen ist
eine Berufstätigkeit für die Pflegenden kaum denkbar.
Deshalb benötigen wir neben einer neuen Wertschätzungskultur - diese bitte nicht nur in Sonntagsreden eine stärkere Berücksichtigung dieser Leistung bei den
Rentenansprüchen.
({7})
Es kann nicht sein, dass wir diese Frauen am Ende in die
Grundsicherung schicken. Hier tragen wir alle unmittelbar Verantwortung. Auch das gehört für mich zu einer
gerechten Entlohnung von Frauen.
Ich könnte noch viele andere Themen ansprechen.
Aber ich habe meine Redezeit schon überzogen, wie ich
gerade sehe.
({8})
Zum Schluss möchte ich doch noch einen Wunsch äußern. Ich wünsche mir, dass spätestens die Generation
meiner Enkelin Charlotte, die jetzt neun Jahre alt ist,
nach Leistung und Qualifikation bezahlt wird. Sie soll
sich keine Gedanken mehr darüber machen müssen, wie
sie Familie und Beruf miteinander vereinbaren kann.
Kurz: Sie soll ein gleichberechtigtes, vielfältiges Frauenleben führen. Dafür lohnt es sich doch zu kämpfen.
Herzlichen Dank, dass Sie mir zugehört haben.
({9})
Vielen Dank, Frau Kollegin Schulte. Dass ich die
Zeitüberschreitung geduldet habe, war jetzt das Privileg
der ersten Rede. Das darf aber nicht zur Gewohnheit
werden. Trotzdem herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede.
({0})
Wir haben heute noch eine Premiere. Auch für die
Kollegin Antje Lezius ist es die erste Rede. Sie haben
jetzt das Wort, Frau Lezius.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So viel
Zeit muss sein: Ich darf den Landrat und einige Ortsbürgermeister aus meinem Wahlkreis Birkenfeld auf der
Tribüne begrüßen. Herzlich willkommen!
({0})
Ein Aspekt, der zur Ungleichheit führt, ist die Berufswahl junger Frauen. In meiner ehemaligen Funktion als
Vorsitzende des Frauennetzwerkes BPW in Wiesbaden
habe ich festgestellt, dass es oft noch festgefügte Vorstellungen über die klassische Rollenverteilung in den
Köpfen gibt. Hier müssen wir nach wie vor ansetzen und
Förderprogramme wie zum Beispiel den Girls’ Day weiterhin hochhalten.
Ein weiteres Best-Practice-Beispiel ist hier die Fahrzeugbranche, die Ingenieure in die Schulen schickt, um
Mädchen für technische Berufe zu gewinnen, und die
Führungskräfte schult, um Verhaltensmuster und Vorurteile, die in vielen von uns stecken, zu hinterfragen und
Diversity Management zur Selbstverständlichkeit werAntje Lezius
den zu lassen. Das ist eine konstruktive Art, mit diesen
Problemen umzugehen.
({1})
Wir sagen jungen Frauen, dass sie selbstverständlich
für technische Berufe geeignet sind und dass eine Berufstätigkeit als Anlagenmechanikerin oder Tischlerin
genauso sinnstiftend ist und Freude bringen kann wie die
Arbeit als Erzieherin oder Bürokauffrau.
Es gibt aber auch zahlreiche Frauen, die nicht voll arbeiten möchten, zum Beispiel weil sie mehr Zeit für ihre
Familien haben wollen. Ein flexibler Arbeitsmarkt, den
Sie immer gern kritisieren, funktioniert auch in die andere Richtung, nämlich mit maßgeschneiderten Arbeitsangeboten, die moderne Unternehmen heute für und
mit ihren Mitarbeitern gemeinsam gestalten.
Wir trauen den Frauen mehr zu, als Sie es tun.
({2})
An dieser Stelle zeigt sich wieder einmal die grüne Bevormundungspartei.
({3})
Wir wollen Frauen, die ihre eigene Erwerbsbiografie
besser planen, um ein Klebenbleiben in atypischen Arbeitsverhältnissen zu vermeiden. Dies geht freilich mit
einer guten Ausbildung besser. Durch eine verstärkte
Nutzung der dualen Teilzeitausbildung kann zum Beispiel fast 50 Prozent der jungen Mütter zwischen 16 und
25 Jahren ohne Berufsausbildung geholfen werden, sich
eine Zukunft aufzubauen.
Gleichzeitig setzen wir auf ein gesellschaftliches Umdenken. So möchten 60 Prozent der jungen Paare und
Familien Erwerbsarbeit partnerschaftlich umsetzen, aber
nur 14 Prozent schaffen dies. Hier sind wir alle gefordert, die Ursachen von Erwerbsungleichheit im Sinne eines partnerschaftlichen Miteinanders zu beseitigen und
echte Wahlfreiheit im Lebenslauf zu ermöglichen.
({4})
Schließlich wollen wir Frauen, die selbstbewusst ihre
Anliegen vertreten. Dazu setzen wir neben geschlechtergerechter Berufswahl auch auf die individuellen Fähigkeiten der Frauen, ihre Bedürfnisse und Anliegen offensiv gegenüber ihren Arbeitgebern zu vertreten. Frauen
können viel, trauen sich aber oft selbst wenig zu.
Wir werden in punkto Entgeltgleichheit gemeinsam
mit den Tarifpartnern Muster struktureller Ungleichheit
in Tarifverträgen diskutieren und beseitigen. Gleichzeitig werden wir uns konkret an Unternehmen wenden, um
im Einvernehmen mit den Mitarbeitervertretungen
Lohndiskriminierungen aufzuspüren und zu beseitigen.
Wir halten diesen Weg für gangbarer als das von Ihnen
geforderte Verbandsklagerecht. Wir vertrauen darauf,
dass die Beteiligten ihr Unternehmen besser kennen und
gemeinsam im Dialog mit Mitarbeitern und Tarifpartnern bessere Lösungen finden.
({5})
Wir als Große Koalition sagen auch in aller Klarheit:
Wir wollen gemeinsam mit der Wirtschaft etwas gegen
den Fachkräftemangel tun. Dazu müssen wir weibliches
Potenzial finden und fördern; denn die Betriebe können
es sich gar nicht mehr leisten, auf gut ausgebildete Mitarbeiter, weibliche oder männliche, zu verzichten.
({6})
In den Unternehmen kommt diese Erkenntnis mittlerweile verstärkt an. Laut „Unternehmensmonitor Familienfreundlichkeit 2013“ schätzen 80 Prozent der befragten Unternehmen das Thema Familienfreundlichkeit im
Unternehmen als wichtig ein. 2003 waren es lediglich
47 Prozent. Sie sehen: Wir sind auf einem guten Weg.
Allerdings dürfen wir hierbei auch die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit der Unternehmen nicht außer Acht
lassen. Kleine Unternehmen müssen andere Anstrengungen vollziehen, um ihren Mitarbeitern maßgeschneiderte
Lösungen, etwa in Form flexibler Arbeitszeitmodelle, zu
bieten als große.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Ziel ist es,
den Equal Pay Day jedes Jahr am 1. Januar zu begehen.
Das ist ein großes Ziel, aber ein erreichbares. Ich bin der
Meinung, dass das allerdings nicht mit Verboten, sondern nur im ständigen und konsequenten Dialog geht. Da
ist jede Frau gefordert, für sich und andere Frauen einzustehen und sich gegenseitig zu unterstützen.
Liebe Kolleginnen, gerne gebe ich allen Frauen mit
auf den Weg: Die Decke ist gläsern, und ich gebe zu bedenken: Wie leicht bricht Glas.
({7})
Frau Kollegin, herzlichen Glückwunsch! Das war
nicht nur Ihre erste Rede,
({0})
sondern Sie waren auch die letzte Rednerin in dieser Debatte.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/847 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 2. April 2014, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen allen
ein nicht zu arbeitsreiches Wochenende.