Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Einen schönen guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die Sitzung .
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich Ihnen noch
einige Mitteilungen zu machen: Interfraktionell ist vereinbart worden, die Fragestunde zu verkürzen - ich
hoffe, das ist in Ihrem Sinn - und den Tagesordnungspunkt 3 - das ist der Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus - in verbundener Beratung
mit dem Antrag „Antisemitismus entschlossen bekämpfen“ und unter Beibehaltung der Debattenzeit von 60 Minuten um 14 .35 Uhr aufzurufen . Danach soll die von der
Fraktion Die Linke verlangte Aktuelle Stunde mit dem
Titel „Kindern das Schwimmenlernen ermöglichen Auswirkungen von Privatisierungen und Schwimmbadschließungen“ folgen . Nach der Antisemitismusdebatte
kommt also die Aktuelle Stunde .
Der Antrag mit dem Titel „Verlegung des Bundeswehrkontingents von Incirlik nach Al Azraq zügig durchführen“ soll unter Beibehaltung der Debattenzeit von
25 Minuten zusammen mit dem Tagesordnungspunkt 4
beraten werden . Sie wissen, dass wir dazu namentliche
Abstimmungen haben .
Des Weiteren soll der Entwurf eines Gesetzes zur
Durchführung der Verordnung ({0}) Nr . 910/2014 des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 23 . Juli
2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt
und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG auf der
Drucksache 18/12494 dem Innenausschuss zur Mitberatung überwiesen werden .
Ebenso soll die Unterrichtung der Bundesregierung
über die Stellungnahme des Bundesrates auf der Drucksache 18/12716 zu dem bereits überwiesenen Entwurf
eines Gesetzes zu der am 19 . Juni 1997 beschlossenen
Urkunde zur Abänderung der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation dem federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen werden .
Schließlich soll die Unterrichtung der Bundesregierung über die Stellungnahme des Bundesrates auf der
Drucksache 18/12717 zu dem bereits überwiesenen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens
über den internationalen Eisenbahnverkehr vom 9 . Mai
1980 dem federführenden Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur überwiesen werden .
Ich gehe davon aus, dass Sie mit diesen Vorschlägen
einverstanden sind, weil ich keinen Widerspruch sehe
und höre . Dann ist das so beschlossen . - Vielen Dank,
liebe Kolleginnen und Kollegen .
Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen
Kabinettssitzung mitgeteilt: Stellungnahme der Bundesregierung zum Gutachten der Sachverständigenkommission zum Zweiten Gleichstellungsbericht „Erwerbs- und Sorgearbeit gemeinsam neu gestalten“.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend, Frau Dr . Katarina Barley, die ich in dieser
Funktion zum ersten Mal begrüßen darf, und das tue ich
mit großer Freude . - Sie haben das Wort, liebe Kollegin .
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin . - Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute sind der Zweite
Gleichstellungsbericht und die Stellungnahme der Bundesregierung zum entsprechenden Gutachten im Bundeskabinett beschlossen und dem Deutschen Bundestag
zugeleitet worden .
Die Sachverständigen beschreiben die Leitidee ihres
Gutachtens so:
Wir streben eine Gesellschaft mit gleichen Verwirklichungschancen von Frauen und Männern an,
in der die Chancen und Risiken im Lebensverlauf
gleich verteilt sind .
Es geht also nicht darum, Vorgaben für ein gelingendes Leben zu machen, sondern es geht darum, dass jeder
und jede die Chance hat, die eigenen Vorstellungen zu
verwirklichen . Die Sachverständigen sagen gleich am
Anfang ihres Gutachtens ganz deutlich: Wir leben derzeit nicht in einer Gesellschaft, in der Frauen und Männer
die gleichen Chancen haben . - In den letzten dreieinhalb
Jahren hat sich viel verbessert; aber die Gleichstellung
der Geschlechter ist noch nicht erreicht . Der Gleichstellungsbericht gibt konkrete Handlungsempfehlungen, wie
wir das ändern können . Dafür gilt den Sachverständigen
mein ausdrücklicher Dank .
Der Erste Gleichstellungsbericht war mit seinen Empfehlungen Grundlage der Gleichstellungspolitik dieser
Bundesregierung, und die Ergebnisse können sich tatsächlich sehen lassen . Das zeigt die Bilanz des Ersten
Gleichstellungsberichts, die wir der Stellungnahme zum
Zweiten Gleichstellungsbericht hinzugefügt haben . Wir
haben eine Mindestquote von 30 Prozent Frauen in den
Aufsichtsräten großer Unternehmen, wir haben ein Entgelttransparenzgesetz, das das Prinzip „Gleicher Lohn
für gleiche Arbeit“ besser zur Geltung bringt, wir bauen
kontinuierlich die Kinderbetreuung aus und haben das
Elterngeld Plus eingeführt, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern - das nur beispielhaft .
Der Zweite Gleichstellungsbericht erkennt diese Verbesserungen an . Gleichzeitig sagt er: Wir müssen mehr
tun . - Das betrifft natürlich vor allem das Schließen der
Lohnlücke zwischen Männern und Frauen von immer
noch 21 Prozent, den sogenannten Gender Pay Gap . Der
Zweite Gleichstellungsbericht hat aber einen weiteren
Unterschied ausgemacht . Die Sachverständigen haben
nämlich gefragt: Wie viel Zeit verbringen Frauen und
Männer mit unbezahlten Tätigkeiten für andere, mit der
Erziehung von Kindern, mit der Pflege von Angehörigen,
mit Ehrenämtern und auch mit der Arbeit im Haushalt?
Die Fachleute haben dies als Gender Care Gap bezeichnet . Die Antwort: Männer verwenden täglich 2 Stunden
46 Minuten für unbezahlte Sorgearbeit, Frauen 4 Stunden 13 Minuten, das heißt anderthalb Stunden täglich
mehr . Frauen sind damit täglich 52,4 Prozent länger mit
solchen Arbeiten beschäftigt als Männer .
Eine Konsequenz daraus ist: Wir müssen diese unbezahlte Arbeit gerechter teilen . Das wollen nicht nur viele Frauen, das wollen auch viele Männer . Viele Männer,
vor allen Dingen junge, wollen mehr Zeit für ihre Kinder
haben und sie nicht erst sehen, wenn sie schon schlafen .
Viele Männer wünschen sich insgesamt mehr Zeit für die
Familie, und Geschlechterrollen ändern sich .
({0})
Aber warum sieht die Lebenswirklichkeit oft doch wieder so aus, dass die Frau die Arbeitszeit reduziert, wenn
ein Kind kommt, und der Mann ganz normal weiterarbeitet? Der Zweite Gleichstellungsbericht sagt: auch weil
strukturelle Rahmenbedingungen sie daran hindern - zu
wenig Kinderbetreuung, zu starre Arbeitszeitmodelle,
niedrigere Bezahlung und ein Steuersystem, das falsche
Anreize setzt . - Das müssen wir ändern .
Eine zweite Konsequenz aus dem Gender Care Gap
ist: Wir werten die bezahlte Sorgearbeit auf . Auch Erzieherinnen und Erzieher, Altenpflegerinnen und Altenpfleger kümmern sich um andere Menschen. In den sozialen Berufen sind überwiegend Frauen beschäftigt . Sie
arbeiten nicht unbezahlt; aber die Entlohnung in diesen
frauendominierten Berufen ist meist schlechter als in den
klassischen Männerberufen . Ehrlich gesagt: Mir hat nie
eingeleuchtet, warum ich jemandem, dem ich mein Kind
oder meinen pflegebedürftigen Angehörigen anvertraue,
weniger Geld zahlen sollte als jemandem, dem ich mein
Auto oder meine Waschmaschine anvertraue .
({1})
Morgen wird im Deutschen Bundestag ein Gesetz
beraten, mit dem wir die Pflegeberufe aufwerten. Wir
sorgen für eine moderne Ausbildung . Es muss auch kein
Schulgeld mehr bezahlt werden; es ist, glaube ich, nur in
typischen Frauenberufen so, dass man für die Ausbildung
noch Geld mitbringen muss. Wir sorgen für flexiblere
Einsatzmöglichkeiten und stellen eine angemessene Ausbildungsvergütung sicher .
Das ist der Weg, den wir in den sozialen Berufen insgesamt gehen müssen . Der Zweite Gleichstellungsbericht sagt: Das ist der richtige Weg, auch für die Gleichstellung . Gehen wir diesen Weg gemeinsam weiter! Die
Vorschläge dafür liegen auf dem Tisch .
Vielen Dank .
Vielen Dank, Frau Dr . Barley . - Sie kennen die Regeln: Es werden zunächst Fragen zu dem Themenbereich
gestellt, über den die Ministerin berichtet hat . Sieben
Kolleginnen haben sich gemeldet . Die erste Fragestellerin ist Ulle Schauws für Bündnis 90/Die Grünen .
Vielen Dank . - Frau Ministerin, auch von uns an dieser Stelle noch einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrem
neuen Amt . Es passt gut, dass die erste Regierungsbefragung ein frauenpolitisches Thema zum Inhalt hat .
Das Gutachten liegt seit dem 8 . März vor . Warum hat
es vier Monate gedauert, bis Sie vonseiten der Bundesregierung Ihre Stellungnahme zu diesem Gutachten abgegeben haben? Sie haben sich dahin gehend geäußert,
dass es im Gleichstellungsbericht noch etliche Punkte
gibt, die man dringend angehen muss . Deswegen meine zweite Frage: Welche der Punkte werden Sie in den
verbleibenden Monaten Ihrer Amtszeit noch in Angriff
nehmen bzw . umsetzen?
Vielen Dank für die Frage und auch für die Glückwünsche . - Der Gleichstellungsbericht wurde im Mai 2015
in Auftrag gegeben, im Januar fertiggestellt, vorgestellt
und dann an die Ressorts zur Abstimmung weitergeleitet .
In der Zielsetzung ist sich die Bundesregierung in vielen Punkten einig, nämlich dass die Erwerbstätigenquote
von Frauen erhöht und die Vereinbarkeit von Beruf und
Familie verbessert werden muss . Es gibt weitere PunkBundesministerin Dr. Katarina Barley
te, bei denen wir durchaus einer Meinung sind . Wir sind
nicht immer einer Meinung gewesen, und das wird, was
die konkreten Maßnahmen betrifft, wahrscheinlich auch
in Zukunft so sein. Aber ich finde, die Beratungszeit war
angemessen, um eine gemeinsame Stellungnahme der
Bundesregierung zu diesem Thema zu erarbeiten .
Vielen Dank .
Ich möchte noch etwas zum zweiten Teil der Frage sagen . Ich glaube, ich hatte noch zehn Sekunden .
Es hat sich so angehört, als wären Sie mit der Antwort
fertig .
Ja, mit dem ersten Teil . - Zum zweiten Teil der Frage: In dieser Legislaturperiode können natürlich keine
Gesetzesvorhaben mehr verabschiedet werden; mit der
morgigen Verabschiedung des Pflegeberufereformgesetzes bringen wir ein wichtiges Projekt zum Abschluss . In
der verbleibenden Zeit geht es darum, die Linie weiterzuführen und Bewusstsein dafür zu bilden, dass weniger
Erwerbstätigkeit und weniger Erwerbseinkommen gerade in Zeiten, in denen jede dritte Ehe geschieden wird,
nicht zu einer gesicherten Rente führen und auch nicht
zu einem sicheren ökonomischen Standbein im Erwerbsleben . Die Bereiche Bewusstseinsbildung, Dialog und
Netzwerken können wir sehr wohl weiterführen . Und ich
hoffe, es bleibt nicht bei den vier Monaten; es können ja
noch weitere vier Jahre werden .
({0})
Nächste Fragestellerin: Pia Zimmermann für die Linke .
Vielen Dank . - Eigentlich hätten der Bundesregierung
angesichts der Diskussion über diesen Bericht doch die
Ohren klingen müssen. Insbesondere im Pflegebereich ist
es doch so, dass fast alle Reformen der letzten Jahre ein
Ungenügend bekommen haben . Meine Frage lautet: Inwiefern folgt die Bundesregierung der Position der Sachverständigenkommission, grundlegend umzudenken,
zum Beispiel eine ressortübergreifende Politik für die
sozialen Berufe zu entwickeln, Sorgearbeit als Arbeitsbereich der Zukunft zu fördern oder den Pflegebereich
nach skandinavischem Vorbild umzubauen: weg vom familienbasierten, hin zum servicebasierten Pflegesystem?
Ich kann Ihre Kritik an der Bundesregierung gerade
in Bezug auf den Pflegebereich nicht nachvollziehen. In
dieser Legislaturperiode ist im Pflegebereich so viel geschehen wie lange nicht . Das betrifft sowohl die Familienpflege, zum Beispiel mit der zehntägigen Freistellung
von Angehörigen, wenn der Pflegefall eintritt, als auch
die Möglichkeit, danach eine Pflegeauszeit zu nehmen.
Insgesamt ist viel auf den Weg gebracht worden: die
Pflegereform, die Anerkennung einer Pflegestufe bei Demenz. Was die bezahlte Pflegearbeit angeht, bringen wir
morgen das Pflegeberufereformgesetz auf den Weg. Es
ist ein Quantensprung, dass der Gesetzgeber mit eigenen
Maßnahmen unterstützend tätig wird, damit die Bezahlung und die Arbeitsbedingungen von Pflegekräften deutlich verbessert werden .
Die ressortübergreifende Zusammenarbeit mit dem
Bundesgesundheitsministerium hat im Übrigen ausgesprochen gut geklappt . Dafür an dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank .
Die nächste Fragestellerin ist die Kollegin Petra Crone
für die SPD-Fraktion .
Ich schließe mich den Glückwünschen an, obwohl ich
sie natürlich schon persönlich übermittelt habe . Ich wünsche für die restliche Zeit eine glückliche Hand .
In dem Gutachten stehen sehr viele Empfehlungen .
Ich möchte gerne wissen, welche Ihnen ganz besonders
wichtig sind .
Es ist schwer, welche herauszugreifen . Das Gutachten
insgesamt ist ausgesprochen ergiebig .
({0})
Ich kann nur allen empfehlen, das Gutachten zu lesen .
Einen Schwerpunkt habe ich schon herausgestellt: die
Sorgearbeit, also die sozialen Berufe insgesamt . Das hat
auch viel mit Wertschätzung zu tun . Menschen, die Dienst
am Menschen leisten, fühlen sich oft nicht nur aufgrund
der schlechteren Bezahlung zurückgesetzt, sondern auch
dadurch, dass sie schlechtere Arbeitsbedingungen haben,
häufig sehr unter Druck stehen und während der Ausbildung zum Teil Schulgeld zahlen müssen . Deswegen ist
der Bereich der sozialen Berufe für mich ganz wichtig .
Ein weiteres Thema, das mir ganz wichtig ist, ist die
wirtschaftliche Eigenständigkeit von Frauen; ich habe
das eingangs schon angedeutet . Immer noch verlassen
sich zu viele Frauen darauf, mitversorgt zu werden . Das
war schon immer eine nicht unheikle Kalkulation . In
heutiger Zeit ist das aber noch schwerwiegender, insbesondere seit sich die Rechtsprechung zur Wiederaufnahme der Berufstätigkeit im Falle einer Trennung geändert
hat . Daher muss Vätern und Müttern die Möglichkeit geBundesministerin Dr. Katarina Barley
geben werden, berufstätig zu sein und auf eigenen Füßen
zu stehen . Dabei hilft zum Beispiel der Ausbau der Kinderbetreuung . Auf diesem Gebiet hat der Bund in dieser
Legislaturperiode große Anstrengungen unternommen,
und das wird er auch weiterhin tun .
Vielen Dank . - Die nächste Fragestellerin ist die Kollegin Katja Dörner für Bündnis 90/Die Grünen .
Vielen Dank, Frau Ministerin, für den Bericht . Natürlich auch von meiner Seite herzlichen Glückwunsch zum
neuen Amt! Ich wünsche Ihnen ein glückliches Händchen
bei den Themen, die uns allen sehr am Herzen liegen .
Das Gutachten hat den Begriff „Gender Care Gap“
in die Diskussion eingebracht bzw . prominent gemacht;
Sie haben sich dazu geäußert . Ihre Vorgängerin im Ministerinnenamt hat häufig medial einen Gesetzentwurf
zur Familienarbeitszeit angekündigt . Sie haben gerade
gesagt, dass wir in dieser Legislaturperiode nicht mehr
mit Gesetzentwürfen rechnen können . Das ist wohl so .
Ich will aber doch fragen, welche gesetzgeberischen Notwendigkeiten aus Ihrer Sicht ganz konkret bestehen, um
dem Gender Care Gap entgegenwirken zu können .
Vielen Dank . - In dieser Legislaturperiode haben
wir diesbezüglich mit dem Elterngeld und dem Elterngeld Plus Fortschritte gemacht . Dadurch haben wir der
Partnerschaftlichkeit im Rahmen der Erwerbs- und Sorgearbeit mehr Nachdruck verliehen . Die Mehrheit der
Sachverständigen für den Zweiten Gleichstellungsbericht empfiehlt die Familienarbeitszeit. Das ist auch die
Position meines Hauses; das ist ja bekannt . Wir sind nicht
der Auffassung, dass es besser ist, wenn der besserverdienende Elternteil - meistens ist das der Mann - Vollzeit arbeitet und der andere Elternteil in Teilzeit, sondern
wir sind der Auffassung, dass sich beide Elternteile bei
der beruflichen und familiären Arbeitszeitverteilung annähern sollten und der Staat dies unterstützen muss . In
dieser Legislaturperiode haben wir uns nicht darauf verständigen können . Insofern nehme ich die Stellungnahme
der Sachverständigen als Auftrag mit in die nächste Legislaturperiode . Damit werden sich die neuen Mehrheiten befassen müssen .
Vielen Dank . - Nächste Fragestellerin: Cornelia
Möhring für die Linke .
Vielen Dank . - Ich will vorausschicken, dass auch
ich es befremdlich finde, dass die Ressortabstimmung so
viele Monate in Anspruch genommen hat und die Stellungnahme hier erst in der vorletzten Sitzungswoche präsentiert wird .
Aber zu meiner Frage . Das Gutachten der Sachverständigenkommission bestätigt die Kritik der Opposition am Entgelttransparenzgesetz, indem festgestellt wird,
dass für tatsächliche Transparenz und Offenlegung der
Entgeltstrukturen eigentlich verbindliche Prüfverfahren
nötig sind . Im Gesetz sind nur „Bitte-bitte-Regelungen“
enthalten, also Aufforderungen an die Betriebe, diese
Prüfverfahren freiwillig einzusetzen . Ein Vertrösten auf
die nächste Wahlperiode würde mir da, ehrlich gesagt,
nicht reichen . Ich frage Sie daher, ob die Bundesregierung nach diesem Sachverständigenbericht mehr Handlungsbedarf sieht, Prüfverfahren einzuführen und regierungsseitig Maßnahmen einzuleiten, die die Verankerung
von Prüfverfahren verbindlicher regeln .
Sie wissen es so gut wie ich: Gleichstellungspolitik
ist kein Sprint, das ist ein Marathon, und manchmal sind
die Schritte, die man macht, größer, manchmal sind sie
kleiner. Ich finde, der Schritt Entgeltgleichheitsgesetz ist
ein großer Schritt; denn zum ersten Mal überhaupt bricht
man mit dem Tabu, über Gehalt zu reden, und entwickelt
einen Auskunftsanspruch . Das ist ein großer Schritt, dem
natürlich weitere folgen sollten .
Sie wissen, dass es in der Regierung unterschiedliche
Auffassungen zu diesem Thema gegeben hat und dass
das, was wir dazu verabschiedet haben, ein Kompromiss
ist . So ist es meistens in Regierungen . Nächste Schritte
machen wir, indem wir evaluieren, wie sich dieser Fortschritt in der Praxis auswirkt . Ich kenne persönlich einige Frauen, die darauf gewartet haben, dass dieses Gesetz
endlich in Kraft tritt, um sich erkundigen zu können, wie
die Jungs um sie herum an ihnen vorbeigezogen sind,
während sie sich nach der Elternzeit mühsam in Teilzeit
wieder in den Hierarchien nach oben arbeiten mussten .
Es wird jetzt der erste Schritt sein, zu sehen, wie sich
dieses Gesetz in der Praxis ausgewirkt hat .
Danke schön . - Angelika Glöckner wäre die Nächste .
Wo ist sie?
({0})
- Dann ist uns das falsch gemeldet worden . Sorry, das
kann schon einmal vorkommen .
Dann folgt jetzt Daniela De Ridder .
Herzlichen Dank, liebe Frau Ministerin . Auch meinerseits herzlichen Glückwunsch zu Ihrem neuen Amt!
Auch ich wünsche Ihnen eine gute Hand, vor allem aber
weise Beschlüsse .
Ich bin Angehörige der Generation der Babyboomerinnen, und wir haben vielfach die Erfahrung gemacht,
dass wir Frauen aus der Fürsorge für die Kinder unmittelbar in die Fürsorge für Mütter, Väter, Schwiegermütter,
Schwiegerväter geraten . Mich würde interessieren, Frau
Ministerin, ob Sie in der Ihnen verbleibenden Zeit, aber
auch gern in der nächsten Legislaturperiode noch ChanBundesministerin Dr. Katarina Barley
cen sehen, auch die Väter und die Männer mehr zu adressieren, diese Aufgaben zu übernehmen . Ihre Vorgängerin
hatte ja das Elterngeld Plus sehr stark gemacht . Welche
Chancen sehen Sie, das noch einmal stärker und deutlicher zu unterstützen, und welche Expertise werden Sie
möglicherweise dazu heranziehen?
Vielen Dank . - Wie gesagt, wird es in dieser Legislaturperiode keine Einleitung eines neuen Gesetzgebungsverfahrens mehr geben können; aber zum Beispiel die
Implementierung von neuen Formen der Vereinbarkeit
von Beruf und Familie in der Praxis kann man sehr wohl
noch fördern. Ich war gerade gestern bei der Zertifikatsverleihung der Hertie-Stiftung zum audit berufundfamilie; denn wir brauchen die Unternehmer und die Unternehmerinnen, die Arbeitgeber und die Arbeitgeberinnen
mit an Bord .
Wir haben jetzt mit dem Elterngeld Plus einen großen
Schritt gemacht . Die Familienarbeitszeit sieht das Sachverständigengutachten als guten nächsten Schritt vor . Ob
es dazu kommt oder nicht, das müssen wir nach der Bundestagswahl sehen . Ich will jetzt nicht spekulieren, ob ich
im nächsten Kabinett die Möglichkeit haben werde, das
umzusetzen . Ich hätte nichts dagegen .
Die Nächste ist jetzt die Kollegin Dr . Dorothee
Schlegel .
Herzlichen Dank . - Frau Ministerin, auch ich wünsche Ihnen für den Marathon, den wir Frauen insgesamt
vor uns haben, natürlich ein glückliches Händchen und
vor allem Durchhaltevermögen .
Zu meiner Frage . Sie haben den Gender Care Gap in
Höhe von 52 Prozent erwähnt . Es gibt ja auch den Gender Pension Gap, der ungefähr 53 Prozent beträgt, bei
uns in Baden-Württemberg sogar weit über 60 Prozent .
Gibt es aus Ihrer Sicht einen Zusammenhang zwischen
dem Sorge- und dem Renten-Gap und, wenn ja, welchen?
Ich glaube, in der Gleichstellungspolitik gilt vielleicht
noch mehr als in anderen Politikbereichen, dass alles
mit allem zusammenhängt . Wenn man sich den Ersten
Gleichstellungsbericht vornimmt, stellt man fest: Er beschäftigt sich sehr ausführlich mit den Knackpunkten
in Lebensverläufen und damit, an welchen Stellen sich
entscheidet, ob Ungleichheiten entstehen . Da gibt es im
Leben von Männern und Frauen eine ganze Reihe . Dazu
gehören die Berufswahl, der Umstand, dass Kinder auf
die Welt kommen, und der Bereich der Weiterbildung; es
sind ganz viele einzelne Punkte .
Wenn man aufgrund von Sorgearbeit - ich bin mit diesem Begriff nur bedingt glücklich, weil er etwas von „Ich
mache mir Sorgen“ hat -, also durch die Fürsorge für
andere, zeitlich sehr gebunden ist, dann bleibt einem natürlich weniger Zeit, um erwerbstätig zu sein . Wenn man
beides partnerschaftlicher aufteilen könnte, wäre beiden
geholfen . Es geht also tatsächlich um die Zeit, die man
investiert . Aber wir müssen auch bei den Lohnhöhen ansetzen . Solange frauendominierte Berufe so viel schlechter bezahlt werden als andere, werden wir das Problem
des Gender Pension Gap nicht vollständig lösen können .
Birgit Kömpel ist die Nächste .
Frau Ministerin, auch von mir herzlichen Glückwunsch, alles, alles Gute und Durchhaltekraft für die
nächsten Monate und, wie ich natürlich hoffe, auch darüber hinaus .
Als Berichterstatterinnen für die Frauenquote merken
wir - das habe ich und das haben sicherlich auch Sie verfolgt -, wie sie wirkt . Wir stellen fest: Die Frauenquote
wirkt tatsächlich . Trotzdem würde ich gerne von Ihnen
erfahren: Welche weiteren Maßnahmen würden Sie uns
Parlamentariern für die nächste Legislaturperiode und
darüber hinaus empfehlen, und was würden Sie uns im
Hinblick auf die Quote nicht nur bei Führungskräften,
sondern auch bei Frauen und Männern empfehlen? Oder
glauben Sie, dass das, was wir bisher gemacht haben, erst
einmal ausreicht?
Da muss ich gar keine Empfehlungen aussprechen .
Das tut die Sachverständigenkommission, die ganz klar
feststellt, dass die Quote wirkt . Wir hatten eine lange
Phase der freiwilligen Selbstverpflichtung, in der sich
gar nichts bewegt hat . Wir haben gesehen, dass in allen
Unternehmen, in denen die 30-prozentige Quote jetzt zur
Anwendung kam, die Besetzung mit einer Frau gelungen ist . Wenn ich es etwas ketzerisch sagen darf: Danach
ist, glaube ich, in keinem Unternehmen ein dramatischer Kurseinbruch festzustellen gewesen; aber das nur
am Rande . Die Sanktion eines leeren Stuhls, wenn man
keine geeignete Frau findet, musste nirgendwo greifen,
weil es natürlich genug qualifizierte Frauen gibt. Es ging,
glaube ich, um eine Größenordnung von etwa 170 Personen, die in ganz Deutschland gefunden werden mussten .
Dazu, wie mit diesem Thema weiter umzugehen ist,
gibt es in der Bundesregierung keine einheitliche Meinung; ich stehe ja hier als Vertreterin der Bundesregierung . Insofern gibt es dazu auch in der Stellungnahme
keine ausdrückliche Empfehlung . Ich kann nur noch
einmal sagen: Der Sachverständigenrat empfiehlt, diese
Regelung durchaus auszuweiten .
Ich muss ein bisschen auf die Zeit achten . Es gibt noch
vier Kolleginnen, die eine zweite Frage zu diesem Bericht stellen wollen . Weil es auch noch Fragen zu weiteren Themen der Kabinettssitzung gibt, lasse ich diese
vier Fragen noch zu, aber dann keine weiteren mehr .
Die Erste ist Ulle Schauws .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Zentrale Punkte,
die die Gleichstellung behindern - das ist nicht neu und
kommt nicht nur im Zweiten Gleichstellungsbericht, sondern auch im Ersten Gleichstellungsbericht und in vielen
weiteren Erkenntnissen, die wir haben, zum Ausdruck -,
sind das Ehegattensplitting, die kostenlose Mitversicherung, aber vor allen Dingen auch die Minijobs . Wie wir
gerade gehört haben, wurde Ihnen von Ihren Kolleginnen
für Ihre Arbeit in den nächsten Monaten alles Gute gewünscht . Insofern noch einmal die Frage an Sie - auch
wenn Sie keinen Gesetzentwurf mehr auf den Weg bringen werden -: Was wollen Sie im Hinblick auf diese
wirklich großen Themenblöcke in Ihrem Ministerium
noch voranbringen? Was muss sich hier ändern? Was
muss sich zeitnah und insbesondere mit dem Fokus auf
Minijobs ändern? Wie lautet Ihr Vorschlag dazu?
Die Aussage der Sachverständigenkommission dazu
ist recht klar: dass nämlich die Anreize im Steuersystem,
die Frauen an einer Erwerbstätigkeit hindern, möglichst
aufzugeben sind . Hier gibt es sehr unterschiedliche Ansatzpunkte .
Im Koalitionsvertrag gab es eine Vereinbarung darüber, dass Maßnahmen dafür ergriffen werden sollten, Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu überführen . Darüber konnte im Laufe
dieser Legislaturperiode keine Einigung erzielt werden .
Insofern haben wir hier keine Maßnahmen vorzuweisen .
Auf dieses ganze komplexe Themenfeld muss sich
tatsächlich die nächste Regierung verständigen . Die Aussagen der Sachverständigenkommission sind hier aber
absolut klar .
Vielen Dank . - Pia Zimmermann .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Frau Ministerin
Barley, im Gutachten wird zum Fachkräftemangel in
der Pflege deutlich gemacht, dass die normalen Marktmechanismen von Angebot und Nachfrage einfach nicht
funktionieren . Meine Frage ist, welche strukturellen
Veränderungen Sie sich vorstellen können und welche
Maßnahmen Ihrer Meinung nach nötig sind, um diesem
Fachkräftemangel wirklich wirksam entgegenzutreten .
Im Gesamtkomplex Arbeitswelt gibt es auf der einen
Seite natürlich die Maßnahmen, die der Gesetzgeber treffen kann, und auf der anderen Seite die Maßnahmen im
tariflichen Bereich. Sie wissen, dass unser Ressort bei
den Pflegeberufen schon einen großen Schritt gegangen
ist . Bei den anderen sozialen Berufen sind wir noch nicht
so weit .
Wenn Sie mich jetzt persönlich fragen, dann sage ich:
Ich glaube, dass ein Tarifvertrag für die sozialen Berufe
notwendig ist . Das hat ja auch schon die Bundesarbeitsministerin erwähnt . Das ist aber eben kein Vorhaben, das
im Rahmen dieser Bundesregierung umzusetzen gewesen wäre .
Vielen Dank . - Katja Dörner, bitte .
Vielen Dank . - Ich würde gerne zum Komplex „Alterssicherung und Altersarmut von Frauen“ fragen .
Uns ist hinlänglich bekannt - das Gutachten belegt das
ja auch erneut -, dass der Gender Pay Gap quasi automatisch in den Gender Pension Gap führt, und es ist uns,
glaube ich, auch allen klar, dass die Rentenversicherung
das nicht ausgleichen kann . Deshalb würde ich von Ihnen
gerne wissen, Frau Ministerin: Was sind nach Ihrer Analyse die zentralen Elemente, die man angehen müsste,
um der Altersarmut von Frauen zukünftig wirksam entgegentreten zu können?
Man muss hier zwischen den Generationen differenzieren:
Die Frauen, die noch am Beginn ihres Erwerbslebens
stehen, haben natürlich deutlich mehr Möglichkeiten,
ihr Leben so zu gestalten, dass Altersarmut sie nicht betreffen wird . Das beginnt bei der Berufswahl . Ich denke,
dass die Beratung darüber, welche Berufe man anstreben
kann, mit der Beratung darüber einhergehen muss, was
man dabei verdient und was für eine Rentenerwartung
man dadurch haben wird . Es muss also ein frühzeitiges
Bewusstsein geschaffen werden .
Für diejenigen, die mitten im Berufsleben stehen,
kommt es darauf an, dass wir vor allen Dingen die Möglichkeit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiter
verbessern . Hier sind wir auf einem guten Weg - insbesondere hinsichtlich der Kinderbetreuung .
Bei denjenigen, die jetzt schon kurz vor dem Renteneintritt stehen, greifen diese Maßnahmen natürlich nicht
mehr . Für sie müssen Maßnahmen im rentenpolitischen
Bereich ergriffen werden .
Vielen Dank . - Die letzte Fragestellerin zu diesem
Thema ist Cornelia Möhring .
Vielen Dank . - Ich will versuchen, eine Abschlussfrage zu stellen .
Das Gutachten listet, wie wir eben schon gehört haben, eine ganze Reihe von Handlungsempfehlungen auf .
Mich würde interessieren, welche Schwerpunktsetzung
beim Abarbeiten Sie vorschlagen würden, wenn Sie jetzt
priorisieren müssten .
Vizepräsidentin Claudia Roth
Wie gesagt, ich glaube, dass die Höherbewertung
von frauendominierten Berufen und die Maßnahmen zur
Erleichterung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie
ganz oben stehen müssen . Diese beiden Bereiche sind für
mich absolut prioritär .
Was den Ausbau der Kinderbetreuung betrifft, kann
ich sagen: Zwischen 2007 und 2020 werden es über
14 Milliarden Euro sein, die der Bund für diesen Bereich
zur Verfügung stellt . Dieser Bereich liegt normalerweise hauptsächlich in der Verantwortung der Länder und
Kommunen . Der Bund tut da bereits viel . Aber wir müssen da auch viel tun, vor allen Dingen in der Qualität . Wie
Sie wissen, gibt es ein Eckpunktepapier der Jugend- und
Familienministerkonferenz zur Qualitätsentwicklung in
der Kinderbetreuung . Auch diesen Punkt muss man weiter vorantreiben, sowohl was die personelle Ausstattung
als auch was die Randzeitenbetreuung betrifft . Das sind
aus meiner Sicht wichtige Projekte .
Vielen Dank, Frau Ministerin . - Dann kommen wir
jetzt zum zweiten Teil: Themen der heutigen Kabinettssitzung außerhalb dessen, was Sie gerade ausgeführt haben . Dazu hat sich Harald Petzold gemeldet .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Auch ich möchte
mich den Glückwünschen an die Ministerin für die neue
Aufgabe und das neue Amt anschließen .
Ich möchte Sie zum Komplex „Öffnung der Ehe für
alle“ fragen . Bedauerlicherweise hat das Bundesverfassungsgericht den Eilantrag von Bündnis 90/Die Grünen
abgelehnt, den Rechtsausschuss damit zu beauftragen,
noch in dieser Wahlperiode eine Beschlussempfehlung
abzugeben, weil dazu im Ausschuss drei Gesetzentwürfe
zur Beratung vorliegen . Heute ist von der SPD-Fraktion
erneut die Vertagung mit der Begründung beantragt worden, dass die Bundesregierung und die Große Koalition
noch in Verhandlungen seien .
Deswegen möchte ich gerne von Ihnen wissen, welchen Stand diese Verhandlungen inzwischen erreicht haben und ob dies Thema der heutigen Sitzung war und,
wenn ja, welche Inhalte dazu verhandelt worden sind,
zumal im Koalitionsvertrag steht, dass bis zum Ende der
Wahlperiode alle rechtlichen Ungleichbehandlungen von
eingetragenen Lebenspartnerschaften abgebaut werden
sollen .
Das Thema war heute nicht auf der Tagesordnung der
Kabinettssitzung und ist auch nicht behandelt worden .
Ich muss ergänzen: Es gibt zwar diesen Satz im Koalitionsvertrag, wonach alle rechtlichen Ungleichbehandlungen beseitigt werden sollen, aber leider gibt es zwei
Ausnahmen: Das sind die Volladoption und die Öffnung
der Ehe .
Sie kennen dazu meine persönliche Meinung . Aber
Koalitionsverträge sind, wie sie sind . Daran sind wir
gebunden . Pacta sunt servanda, sagen die Juristen . Ich
hoffe, dass es bald eine Möglichkeit geben wird, diesen
Zustand zu ändern .
Vielen Dank . - Dann kommen wir zu den sonstigen
Fragen an die Bundesregierung . Dazu haben sich zwei
Kollegen und Kolleginnen gemeldet . Der Erste war
Özcan Mutlu .
Frau Präsidentin, danke sehr . - Ich habe eine Frage
an die Bundesregierung . Das Bundessportministerium
hat mit dem Deutschen Olympischen Sportbund über
zwei Jahre lang hinter verschlossenen Türen die größte
Reform des deutschen Spitzensports beschlossen und hat
sich in diesem Zusammenhang, was Transparenz und
Ähnliches anbetrifft, nicht gerade mit Ruhm bekleckert .
Weil sich der Präsident des Deutschen Olympischen
Sportbunds nun über die Presse äußert und vom Scheitern dieser Reform redet und davor warnt, dass ein gesamter Olympiazyklus verloren gehen könnte, möchte
ich von der Bundesregierung wissen, wie sie diesen neuen Zustand bewertet und wie sie diesen Missstand beheben möchte .
Das war heute nicht Thema . Deswegen möchte ich an
den zuständigen Kollegen verweisen, wenn das geht .
An den uns wohlbekannten Staatssekretär . Bitte, Herr
Dr . Schröder .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Ich beantworte diese Frage sehr gerne . Wir haben diese Spitzensportreform
zusammen mit dem Deutschen Olympischen Sportbund
auf den Weg gebracht . Dazu haben wir eine Arbeitsstruktur etabliert, in der wir dieses Konzept in Arbeitsgruppen
gemeinsam entwickelt haben . Das heißt: Nicht das Bundesministerium des Innern hat dieses Konzept erarbeitet,
sondern wir haben das zusammen mit dem DOSB gemacht . Die Mitglieder des DOSB haben dieses Konzept
in einer Mitgliederversammlung - soweit ich mich erinnern kann, war das Ergebnis einstimmig - unterstützt .
Dieses Konzept wird dazu führen, dass wir - anders
als in der Vergangenheit, wo es ja darum ging, welche
Medaillen in der Vergangenheit gewonnen worden sind,
und danach wurde dann die Förderung mehr oder weniger
nach dem Gießkannenprinzip auf die unterschiedlichen
Verbände verteilt - die Potenziale der Sportler optimal
nutzen . Das ist ein gemeinsames Anliegen von DOSB,
Innenministerium und auch der gesamten Bundesregierung . Denn diese Konzeption ist im Kabinett behandelt
worden, und wir werden auch im Deutschen Bundestag
noch einmal darüber sprechen .
Von daher sind wir sehr froh darüber, dass wir dieses
Konzept gemeinsam auf den Weg gebracht haben . Es ist
ein großartiger Erfolg, dass wir das zusammen mit dem
DOSB geschafft haben . Selbstverständlich ist nachvollziehbar, dass der DOSB sich noch mehr Geld aus dem
Haushalt wünscht, der demnächst im Deutschen Bundestag zumindest noch beraten wird . Wir hätten uns das
als Innenministerium auch vorstellen können, aber das
gemeinsame Kabinett hat gemäß der Haushaltsordnung
entschieden, dass nur die Summe in den Haushalt gestellt
werden kann, die etatreif ist . Gerade dafür haben wir jetzt
diese Potenzialanalyse, die die unterschiedlichen Verbände analysieren soll . Dann soll entschieden werden, ob
noch mehr Geld notwendig ist, und dann wird selbstverständlich auch mehr Geld fließen.
({0})
Vielen Dank, Herr Dr . Schröder . - Dann gibt es jetzt
weitere Fragen an die Frau Ministerin . Es gibt noch eine
Kollegin und einen Kollegen, die in dieser Befragung
eine Frage an die Bundesregierung haben . Das ist als
Erste Sevim Dağdelen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Frau Ministerin,
aus Eilmeldungen der Deutschen Presse-Agentur, dpa, auch die Dortmunder Ruhr Nachrichten schreiben das geht hervor, dass es eine Veranstaltungsanfrage für die
Dortmunder Westfalenhallen gibt, wo der türkische
Staatspräsident Erdogan im Anschluss an den G-20-Gipfel am 9 . Juli einen Auftritt vor 13 000 Menschen absolvieren soll . Laut OVG Münster, bestätigt durch das
Bundesverfassungsgericht im Sommer 2016 und dann
nochmals durch Rechtsprechung in diesem Frühjahr,
sind Auftritte von ausländischen Staatsoberhäuptern im
öffentlichen Raum im Bundesgebiet Sache der Außenpolitik und damit der Bundesregierung . Deshalb möchte ich
die Bundesregierung hiermit fragen: Ist die Bundesregierung gewillt, diesen geplanten öffentlichen Auftritt des
türkischen Staatspräsidenten Erdogan in Deutschland zu
untersagen, was sie rechtlich kann und was auch in politischer Hinsicht am besten wäre?
Auch das war heute nicht Thema im Kabinett . Auch da
würde ich darum bitten, dass das zuständige Ministerium
antwortet .
Das ist aber die Regel bei der Befragung der Bundesregierung . Es gibt erst einmal Fragen zu Ihrem Tagesordnungspunkt, Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:
Ich weiß das .
- und dann gibt es eben auch weitere Fragen an die
Bundesregierung, auch wenn es nicht im Kabinett behandelt wurde .
Gut . - Dann kann ich dazu nur sagen, dass mir davon
nichts bekannt ist und dass wir das prüfen werden .
Dann hat als Letzter der Kollege Christian Ströbele
eine Frage an Sie, Frau Barley .
Danke, Frau Präsidentin . - Ich bin in Sorge und habe
deshalb eine Frage an die Bundesregierung . War heute
im Bundeskabinett Thema, dass die Vereinigten Staaten
in Syrien ein syrisches Regierungsflugzeug abgeschossen haben und dass anschließend Russland erklärt hat,
in Zukunft sei jeder Flugkörper, der sich in dieser Zone
bewegt, wo dieses Flugzeug abgeschossen worden ist,
ein Ziel für die russische Luftwaffe und Flugabwehr? Ist
darüber gesprochen worden und, wenn ja, in welchem
Sinne? Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus? Und zieht die Bundesregierung daraus
insbesondere den Schluss, mit Herrn Trump Tacheles zu
reden und ihm zu sagen, dass, wenn er dort einen Krieg
anfängt, die NATO und wir nicht dabei sind?
Die Lage im Nahen Osten insgesamt war heute Thema in der Kabinettsbefassung . Der Außenminister hat
sehr ausführlich über die Lage und seine Kenntnisse
informiert . Er hat auch darüber informiert, dass er mit
dem US-amerikanischen Außenminister dazu in Kontakt steht . Aber konkrete Maßnahmen sind dort nicht beschlossen worden .
Ich beende die Befragung und bedanke mich bei
Katarina Barley .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksache 18/12749
Dieser Tagesordnungspunkt ist heute kürzer als sonst .
Ich rufe die Fragen in der üblichen Reihenfolge auf .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz . Ich begrüße Herrn Staatssekretär Christian Lange zur Beantwortung der Fragen .
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Gehring auf:
Inwiefern strebt die Bundesregierung weiterhin an, dass
das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz ({0})
nach abschließender Beratung durch den Bundestag in der
26 . Kalenderwoche in Kraft tritt?
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Lieber Kollege Gehring, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Das
Bundeskabinett hat am 12 . April dieses Jahres den Regierungsentwurf für ein Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz beschlossen . Die Bundesregierung würde
es begrüßen, wenn der Deutsche Bundestag und der Bundesrat dieses Reformvorhaben noch in dieser Wahlperiode abschließen würden .
Kai Gehring, bitte .
Vielen Dank, Herr Staatssekretär . - Diesem Begrüßen
kann ich mich nur anschließen . Zur Einordnung in die
Debatte ist es, glaube ich, wichtig, zu erwähnen, dass
ein wissenschaftsfreundliches Urheberrecht seit vielen
Jahren diskutiert wird . Wir Grüne haben im Bundestag
eine umfassende Wissenschaftsschranke im Urheberrecht mehrfach beantragt . Im Regierungsentwurf wird
jetzt mit sieben Schrankenregelungen gearbeitet . Das ist
sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung .
Dieses Bemühen darf aber nicht weiter verwässert
werden . Die Kabinettsmitglieder Maas und Wanka sind
offenkundig dafür, die Wissenschaftspolitiker sind alle
dafür, und die Allianz der Wissenschaftsorganisationen
ist dafür . Plötzlich sind aber Herr Kauder als Fraktionsvorsitzender der Union und einige Rechtspolitiker der
Unionsfraktion dagegen .
Deshalb möchte ich Sie fragen: Wie sieht jetzt der weitere Verhandlungsprozess auf Spitzenebene der Koalition
aus, damit der Gesetzentwurf tatsächlich noch kommt?
Mit welchem Ergebnis rechnen Sie? Bis wann kommen
Sie zu einem Abschluss? Kommen Sie in dieser Wahlperiode noch zu Potte und damit zu einem Zwischenschritt
nach einer jahrelangen Diskussion?
Zunächst, Herr Kollege Gehring, freue ich mich darüber, dass Bündnis 90/Die Grünen den Entwurf der Bundesregierung unterstützt, und will mich dafür herzlich
bedanken . Im Übrigen obliegt es im Augenblick den Koalitionsfraktionen und damit dem Deutschen Bundestag,
das weitere Verfahren voranzutreiben . Dabei unterstützen wir alle Fraktionen sehr . Wir hoffen darauf, dass dies
in nächster Zeit - Sie wissen alle, dass sich die Wahlperiode dem Ende zuneigt - zu einem erfolgreichen Ergebnis
führen wird .
Zweite Frage: Kai Gehring .
Ich hoffe, dass Ihre Hoffnung eintritt und Teile der
Unionsfraktion ihre Blockade aufgeben . Ich möchte folgende Frage anschließen: Warum dürfen für Zwecke der
wissenschaftlichen Forschung laut Regierungsentwurf
nur noch 15 Prozent statt 25 Prozent eines Werks, wie
im ursprünglichen Referentenentwurf vorgesehen war,
genehmigungsfrei genutzt werden? Für uns ist das nicht
nachvollziehbar . Für die Wissenschaftscommunity ist
das eine Verschlechterung . Wieso ist die erfolgt? Gibt es
Chancen auf eine Rückänderung?
Herr Kollege Gehring, all dies ist Gegenstand der Gespräche, die die Koalitionsfraktionen führen . Dem wollen wir nicht vorgreifen .
Vielen Dank . - Wir kommen zur Frage 2 des Kollegen
Gehring:
Welche konkreten Auswirkungen hätte nach Auffassung
der Bundesregierung eine Nichtverabschiedung des Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetzes ({0}) auf Lehrende, Studierende, Schülerinnen und Schüler?
Die Frage 2 beantworte ich wie folgt: Das geltende
Urheberrechtsgesetz enthält bereits gesetzliche Erlaubnisse für Bildung und Wissenschaft, die allerdings wegen der komplexen Regelungstechnik und unbestimmter
Rechtsbegriffe teilweise mit Unsicherheiten behaftet
sind . Die genannten Beteiligten müssten weiterhin mit
diesen Bestimmungen arbeiten .
Kai Gehring, bitte .
Vielen Dank . - Mich würde interessieren, wie sich
die Bundesregierung insgesamt hinsichtlich der Kritik
am Vorrang der Pauschalvergütung im Gesetzentwurf
gegenüber der Individualvergütung positioniert . Da hört
man doch unterschiedliche Stimmen .
Herr Kollege, sprechen Sie damit die Kritik der Presseverleger an?
Ja, unter anderem .
Dann will ich Ihnen etwas ausführlicher antworten .
Die Bundesregierung ist sich der konstitutiven Bedeutung der Presse und der journalistischen Vielfalt für den
Vizepräsidentin Claudia Roth
demokratischen Willensbildungsprozess und für die Information der Bürgerinnen und Bürger bewusst . Eine
Anpassung des bisherigen Gesellschaftsmodells der
Presseverlage an die Herausforderungen von Digitalisierung und Vernetzung ist unabhängig davon geboten .
Elektronische Zeitungs- und Zeitschriftenarchive können
eine Chance bieten, Einnahmerückgänge im Printbereich
zu kompensieren . Die Bundesregierung versteht daher
die Sorge um die Tragfähigkeit dieser Dienstleistung .
Der Regierungsentwurf des Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetzes stellt elektronische Archive aber
weder infrage, noch erlaubt er der Deutschen Nationalbibliothek, ein per Internet zugängliches Zeitungs- und
Zeitschriftenarchiv aufzubauen . Die Nutzung einzelner
Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträge ist im Übrigen bereits nach geltendem Recht auf gesetzlicher Grundlage
zulässig .
Herr Gehring .
Ich habe eine weitere Frage, die sich aus der sehr guten Anhörung des Rechtsausschusses zum Regierungsentwurf ergibt . Unter anderem dort ist der Vorschlag
gemacht worden, die Nutzungserlaubnisse um eine Öffnungsklausel zu ergänzen, und zwar zur Lösung solcher
Fälle, die im Grunde mit den gesetzlich geregelten Fällen vergleichbar sind, die aber knapp an den geltenden
Schrankenregelungen, den sehr strikten Voraussetzungen der Einzeltatbestände, entlangschrammen . Wollen
Sie eine solche Öffnungsklausel in Ihren Entwurf noch
aufnehmen? Wie stehen Sie zu der in der Anhörung des
Rechtsausschusses geforderten Öffnungsklausel?
Die Beantwortung dieser Frage obliegt im Augenblick der Diskussion der Koalitionsfraktionen . Wir sind
einigermaßen zuversichtlich, dass wir zu einem Ergebnis
kommen . Allerdings kann ich diesen Beratungen nicht
vorweggreifen .
Vielen Dank, Christian Lange .
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie . Ich begrüße
den Staatssekretär Uwe Beckmeyer .
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Hubertus Zdebel
auf:
Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die
Bundesregierung aus Medienberichten ({0}), wonach die der
zivilen Atomenergienutzung verpflichtete Urenco mit dem
US-amerikanischen AKW-Betreiber Tennessee Valley Authority ({1}) einen Vertrag abgeschlossen hat, in dem es um
die Lieferungen von angereichertem Uran zur Herstellung
und zum Einsatz von Brennelementen in vier Atomreaktoren
({2}) geht, welche
für das US-Atomwaffenprogramm Tritium zur Sprengkraftverstärkung von Atomsprengköpfen produzieren sollen, und
in welcher Weise wird die Bundesregierung, zum Beispiel im
Rahmen ihrer Mitgliedschaft des im Vertrag von Almelo als
Kontrollorgan eingerichteten Joint Committee, darauf hinwirken, dass diese Verträge zwischen Urenco und TVA umgehend
beendet werden und damit Deutschland nicht direkt oder indirekt Unterstützerin des US-Atomwaffenprogramms wird?
Herr Staatssekretär Beckmeyer, ich bitte Sie, diese
Frage zu beantworten .
Frau Präsidentin, ich beantworte die Frage von Herrn
Zdebel wie folgt: Auf der Grundlage des Vertrages über
die Nichtverbreitung von Nuklearwaffen, des Vertrages
von Almelo und des Vertrages von Washington stellt die
Bundesregierung sicher, dass seitens der Urenco-Gruppe für den US-Markt angereichertes Uran ausschließlich
zivilen Zwecken zugeführt wird . Dazu werden die Kernkraftwerke der Tennessee Valley Authority als mögliche
Empfänger von Urenco-Material der Kontrolle und der
Verifikation der Internationalen Atomenergieorganisation
unterworfen. Die Überwachung und die Berichtspflicht
der IAEO stellt sicher, dass von ihr kontrollierte Anlagen
nur für zivile, friedliche Zwecke eingesetzt werden . Für
die Kündigung kommerzieller Verträge von Urenco in
den USA sieht die Bundesregierung keinen Anlass .
Vielen Dank, Herr Beckmeyer . - Hubertus Zdebel,
eine Nachfrage .
Danke, Frau Präsidentin . - Herr Beckmeyer, um den
Vorgang für diejenigen, die nicht so tief in der Thematik
drinstecken, ein bisschen zu präzisieren: Die USA stellen
das für Atomwaffen erforderliche Tritium in kommerziellen Atomreaktoren des Betreibers Tennessee Valley
Authority her . Dafür soll künftig in vier Reaktoren angereichertes Uran der auf die friedliche Atomenergienutzung festgelegten Firma Urenco eingesetzt werden .
Entsprechende Verträge im Wert von rund 600 Millionen Dollar hat der Betreiber mit Urenco abgeschlossen .
Urenco würde damit - zumindest nach meiner Auffassung - direkt das US-Atomwaffenprogramm unterstützen, allein aufgrund der Tatsache, dass Tritium hergestellt wird . Urenco kann derartige Verträge nach meinem
Verständnis nur mit Zustimmung des Gemeinsamen Ausschusses - das ist das Kontrollgremium für die Aktivitäten von Urenco - im Rahmen des Vertrags von Almelo
abschließen . Dort hat die Bundesregierung ein Vetorecht .
Vor diesem Hintergrund stellt sich für mich die Frage, ob die Genehmigung des Einstiegs von Urenco, das
nun Uran für eine Firma liefert, die am Atomwaffenprogramm der USA beteiligt ist, mit Zustimmung des Gemeinsamen Ausschusses erteilt wurde oder nicht . Meine
klare Frage lautet: Hat die Bundesregierung im Gemeinsamen Ausschuss im Rahmen des Vertrags von Almelo
oder anderer Urenco-Kontrollverträge der Lieferung von
angereichertem Uran für den Einsatz in Atomkraftwerken zur Tritiumerzeugung für die US-Atomwaffen zugestimmt, ja oder nein?
http://www.tagesschau.de/wirtschaft/uran-usa-deutschland-103.html
http://www.tagesschau.de/wirtschaft/uran-usa-deutschland-103.html
Herr Beckmeyer .
Herr Zdebel, Sie haben soeben eine Frage wiederholt,
die wir Ihnen aufgrund der Sitzungen des letzten Deutschen Bundestages bereits schriftlich beantwortet haben .
({0})
Ich sage für die Bundesregierung noch einmal eindeutig: Es ist ständige Politik der Bundesregierung, entsprechend den Buchstaben und dem Geist des Atomwaffensperrvertrages die Verbreitung und den Missbrauch
nuklearen Materials zu verhindern . Die entsprechende
Aufsichtsbehörde ist die Internationale Atomenergie-Organisation in Wien, die ebenfalls regelmäßig berichtet .
Sie wird gerade in den USA anlagenbezogen tätig . Insofern sind Anfragen bzw . in Medien zitierte Informationen
aus unserer Sicht nicht nachzuvollziehen .
Der IAEO-Generaldirektor berichtet regelmäßig dem
Gouverneursrat in Wien . Deutschland ist dort mit ständigem Sitz vertreten . Das Bundeswirtschaftsministerium
befindet sich in enger Abstimmung mit dem Außenministerium . Wir nehmen an der Erfüllung dieser Kontrollaufgaben weltweit teil . Ich kann Ihnen zusichern, dass
dem Gouverneursrat irgendwelche Auffälligkeiten oder
Rechtsverstöße nicht gemeldet worden sind .
Zweite Zusatzfrage, Herr Zdebel? - Bitte schön .
Danke, Frau Präsidentin . - Herr Beckmeyer, meines
Erachtens weichen Sie hier klipp und klar aus . Wir haben
ganz klar dargelegt - darüber gibt es entsprechende Presseberichterstattungen; es gibt sogar Berichte der amerikanischen Regierung darüber, und es gibt auch öffentlich
gewordene, nachlesbare Stellungnahmen des UN-Energieministeriums, wo darauf hingewiesen wird -, dass
Tritium in diesen Anlagen hergestellt wird und dass es
Lieferverträge zwischen der Tennessee Valley Authority
und der Urenco-Tochtergesellschaft in den USA gibt .
Vor diesem Hintergrund ist es doch klar: Wenn dort
Tritium hergestellt wird, dann muss dieses Thema die
Bundesregierung doch alarmieren . Denn eine Firma, die
die Bundesrepublik Deutschland gemeinsam mit Großbritannien und den Niederlanden kontrolliert, stellt offensichtlich angereichertes Uran her, das in amerikanischen
Atomkraftwerken zum Einsatz gebracht wird, um damit
quasi ein Produkt zu erzeugen, das dem US-Atomwaffenprogramm zugutekommt . Deswegen noch einmal die
Frage an Sie: Sind die Berichte über diese Zusammenhänge - insbesondere des US-Energieministeriums -, die
der Bundesregierung bekannt sind, Ihrer Meinung nach
zutreffend, ja oder nein?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat keine
Anhaltspunkte, dass in den USA oder in anderen Staaten
von Urenco angereichertes Uran zweckwidrig für nicht
friedliche Zwecke eingesetzt wurde oder wird . Dies gilt
auch für die vom Fragesteller erwogene Verwendung des
bei der Nutzung des Urans anfallenden Tritiums .
Vielen Dank . - Dann hat sich Frau Kotting-Uhl zu einer Zusatzfrage gemeldet .
Herr Beckmeyer, die Frage stellt sich andersherum .
Die Frage ist nicht, ob Sie keine Anhaltspunkte haben,
sondern ob Sie ausschließen können, dass es Anhaltspunkte gibt . Deutschland ist Mitglied des Kontrollorgans
auf der Grundlage des Vertrags von Almelo und hat damit die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass eine missbräuchliche Verwendung ausgeschlossen wird . Können
Sie also ausschließen, dass von Urenco angereichertes
Uran in die besagten vier Atomkraftwerke in den USA
geliefert wird, um dort mithilfe dieses Urans Tritium für
Atomsprengköpfe zu produzieren?
Werte Abgeordnete, ich sage einmal in einer klaren
Sprache noch ein zweites Mal: Die Anlagen in den USA
werden von der Internationalen Atomenergie-Organisation in Wien kontrolliert - anlagenbezogen . Das ist die Instanz, die dort tätig ist - nicht die Bundesregierung . Dort
werden auch entsprechende Berichte für den Gouverneursrat erstellt . Diese Berichte haben uns in gar keiner
Weise Anlass gegeben, und sie geben auch aktuell keinen
Anlass, zu glauben, dass es dort in irgendeiner Weise zu
einer anderen - rechtswidrigen - Verwendung des von
Urenco dorthin gelieferten Urans gekommen ist .
Bitte schön, Herr Wunderlich . Sie haben das Wort zu
einer Zusatzfrage .
Also können Sie es ausschließen?
Ich sage es Ihnen noch einmal: Wir haben keinen Anlass - ({0})
Herr Beckmeyer ist jetzt dran zur Beantwortung .
({0})
- Herr Beckmeyer hat eine Frage gestellt bekommen,
und jetzt will er sie gern beantworten .
Genau . - Ich werde das noch einmal sagen, Herr Abgeordneter: Wir haben dafür in Europa und in der Welt
klare Spielregeln, und es gibt eine Institution, die anlagenbezogen prüft . Das ist die Internationale Atomenergie-Organisation in Wien . Diese hat dort anlagenbezogen
geprüft und hätte, wenn Auffälligkeiten erkennbar gewesen wären, diese ebenfalls dem Gouverneursrat mitzuteilen gehabt . Das ist nicht geschehen . Darum gibt es auch
keine Erkenntnisse unsererseits, dass dort vertragswidrig
etwas anderes gemacht worden ist, als uns zugesichert
worden ist .
Vielen Dank, Herr Beckmeyer . - Dann kommen wir
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales . Das hat aber frei; denn die Frage 4 der
Kollegin Höger wird schriftlich beantwortet werden .
Dann kommt der Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft . Dazu begrüße ich Peter Bleser . Er antwortet allerdings nicht auf die
Frage 5 des Kollegen Krischer, weil auch hierzu die Antwort schriftlich erfolgen wird .
Wir kommen jetzt zur Frage 6 des Kollegen Ebner:
Teilt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft die Meinung des Bundesinstituts für Risikobewertung
({0}), wonach die jüngste Analyse von Professor Christopher
Portier zu übersehenen Tumorbefunden in den Glyphosat-Studien den Herstellern schon lange bekannt sei und nichts Neues
enthalte ({1})?
Herr Bleser, bitte .
Frau Präsidentin! Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft nimmt keinen Einfluss auf die
fachliche Risikobewertung des Bundesinstituts für Risikobewertung, BfR . Das Institut arbeitet herausragend
und ist auch international hochgradig anerkannt .
Darüber hinaus wird die Risikobewertung des BfR zu
Glyphosat sowohl durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, als auch durch die Europäische Chemikalienagentur, ECHA, bestätigt . Die ECHA
kommt auch unter Berücksichtigung der auf den Anhörungen von Herrn Christopher Portier vorgetragenen Ergebnisse sowie aller anderen Hinweise zur Abschätzung
des kanzerogenen Potenzials zu dem Ergebnis, dass es
keine Anhaltspunkte für eine krebsauslösende Wirkung
von Glyphosat gibt .
Herr Ebner, bitte .
Danke, Frau Präsidentin . - Herr Staatssekretär, ich
hatte Sie auch gar nicht danach gefragt - zumindest nicht
in dieser Frage -, ob Sie dem BfR irgendwelche Weisungen erteilen, sondern ob das BMEL die Meinung des BfR
teilt, wonach die jüngste Analyse von Professor Portier
zu den übersehenen Tumorbefunden schon lange bekannt
sei und nichts Neues enthalte . Ich entnehme jetzt Ihrer
Antwort, dass Sie dazu offenbar nichts zu sagen haben
und dass Sie insofern auch der Position des BfR zustimmen .
Deshalb frage ich Sie, wie es denn sein kann, dass das
BfR sagt, man wisse ja schon lange, was der Professor
Portier da sagt . Denn derselbige hat die Daten erst im
Dezember 2016 bei der EFSA einsehen können . Wie bewertet denn dann das BMEL, dass die in der BfR-Mitteilung 08/2017 gemachte Aussage, dass die Daten bekannt
seien, ganz offensichtlich falsch ist? Herr Portier hatte
die Daten ja vorher nicht zur Verfügung . Somit kann man
sich auch nicht auf Vorträge aus dem Sommer 2016 beziehen .
Herr Bleser, bitte .
Herr Ebner, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen:
Das BfR hat am 30 . Mai dieses Jahres in einer Pressemitteilung zu den Vorwürfen Stellung bezogen und kommt
zu folgenden Schlussfolgerungen:
Die statistischen Berechnungen von Herrn Portier
waren dem BfR und der ECHA bereits in verschiedenen
Vorträgen aus dem Jahr 2016 bekannt .
Die statistischen Berechnungen von Herrn Portier
wurden von den Experten der ECHA diskutiert und bei
deren Entscheidung, Glyphosat nicht als krebserregend
einzustufen, berücksichtigt .
Alle von Herrn Portier zitierten Originalstudien wurden entsprechend ihrer Verlässlichkeit und Relevanz in
den Bewertungen der europäischen Behörden berücksichtigt .
Die von Herrn Portier berichtete statistische Signifikanz ist nach dem technischen Leitfaden der OECD
nicht mit einer biologischen Relevanz gleichzusetzen .
Vielmehr ist es erforderlich, die vorliegenden Studien in
ihrer Gesamtheit und unter Berücksichtigung der harmonisierten Leitlinien zu bewerten .
Die statistischen Berechnungen von Herrn Portier
sind für die Öffentlichkeit nicht zugänglich und weder
Peer-reviewed noch in einer Fachzeitschrift veröffentlicht .
Das BfR kommt zu dem Schluss, dass Herr Portier
keine neuen Erkenntnisse für die Risikobewertung von
Glyphosat vorgelegt hat .
Eine Rückfrage von Herrn Ebner .
Vizepräsidentin Claudia Roth
http://www.bfr.bund.de/cm/343/keine-neuen-erkenntnisse-bei-der-risikobewertung-von-glyphosat.pdf
http://www.bfr.bund.de/cm/343/keine-neuen-erkenntnisse-bei-der-risikobewertung-von-glyphosat.pdf
Es ist nicht immer ganz einfach, den Staatssekretär zu
verstehen, wenn er Begriffe nicht richtig vorliest . Nichtsdestotrotz: Herr Staatssekretär, Sie beziehen sich jetzt darauf, dass das BfR sagt, dass das, was Portier analysiert
hat, schon aus diversen Vorträgen von ihm bekannt war .
Diese diversen Vorträge fanden im Sommer 2016 statt .
Portier hat aber - ich sage es noch einmal - Einsicht
in die Daten erst im Dezember 2016 bekommen . Also
kann dem BfR doch gar nicht bekannt gewesen sein, was
Portier da analysiert und welche Schlussfolgerungen er
zieht . Insoweit ist es schon seltsam .
Ich finde es auch seltsam, dass das BfR flapsige Statements von sich gibt wie:
Das BfR empfiehlt, die Berechnungen von Herrn
Professor Portier wissenschaftlich zu veröffentlichen, um diese dem wissenschaftlichen Diskurs zuzuführen .
Dabei hat doch Portier schon in seinem offenen Brief
es so dargestellt, dass das BfR das verstehen muss, weil
es selber die Daten zur Verfügung hat . Nur die Öffentlichkeit hat sie nicht, weil ihm untersagt worden ist, die
Daten, in die er Einsicht bekommen hat, zu veröffentlichen, weil sie Betriebsgeheimnis seien . Trotzdem hat er
jetzt über seine Analyse eine Peer-reviewed-Veröffentlichung - hier gebe ich Ihnen noch einmal eine Aussprechhilfe - auf den Weg gebracht, die Mitte Juni veröffentlicht wurde .
Deshalb ist tatsächlich die Frage: Springt das BfR
jetzt? Prüft es diese Analyse noch einmal? Denn jetzt ist
sie veröffentlicht .
Herr Bleser, bitte .
Es ändert sich nichts an der Feststellung, die ich getroffen habe: Das BfR bewertet im Auftrag der Bundesregierung die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln. Seine
Ergebnisse sind von uns nicht nur akzeptiert, sondern sie
sind wissenschaftlich verlässlich .
Zu den Aussagen, die ich hier vorgetragen habe, gibt
es keine weiteren Erläuterungsnotwendigkeiten .
Vielen Dank, Herr Bleser .
Dann kommen wir zur Frage 7 des Kollegen Ebner:
Welches Bundesministerium oder welches Bundesorgan
hat die Dienstaufsicht über das BfR, wenn nicht das BMEL
({0})?
Jetzt kommen wir noch einmal zu dem Thema: Die
Dienstaufsicht über die Beamtinnen und Beamten des
Bundesinstituts für Risikobewertung, BfR, wird - unter
Ausnahme des Präsidenten - durch den Präsidenten des
BfR ausgeübt . Die Dienstaufsicht über den Präsidenten
hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft .
Herr Ebner .
Herr Staatssekretär, an der Stelle möchte ich schon
noch einmal nachfragen. Es gibt also auch eine Verpflichtung des BMEL, zu schauen, was das BfR, zumindest
stellvertretend sein Chef, so macht .
Jetzt komme ich zurück zu den Tumorauffälligkeiten,
die nach Professor Portier in den Studien von den Behörden übersehen wurden . Wir lesen auch von spannenden
Praktiken von Monsanto im Umgang mit Studien zur Risikobewertung . Wir haben 1 Million Unterschriften aus
ganz Europa für die Europäische Bürgerinitiative gegen
die Neuzulassung von Glyphosat .
Halten Sie es in dieser Situation, in der sozusagen
zivilgesellschaftlich - allen Hindernissen zum Trotz neue Erkenntnisse gewonnen werden, immer noch für
vernünftig und angebracht, keine Überprüfung dieser
Daten von Professor Portier zu veranlassen und auch keine Konsequenzen aus den ganz offensichtlichen Falschaussagen des BfR in der auch von Ihnen zitierten Mitteilung zu ziehen? Da steht wirklich definitiv, dass das
BfR alles, was Herr Portier in seinem offenen Brief benannt hat, schon in Vorträgen im Sommer 2016 bekannt
gegeben habe. Das ist definitiv falsch. Sie müssen doch
Konsequenzen ziehen, wenn eine Bundesbehörde solche
falschen Aussagen veröffentlicht .
Herr Bleser, bitte .
Herr Kollege Ebner, ich kann mich nur wiederholen .
Ich habe vorhin schon berichtet, dass das BfR, aber auch
andere Institutionen wie EFSA und ECHA eine Bewertung auf wissenschaftlicher Basis vorgenommen haben .
Sie werden verstehen, dass sich die Bundesregierung
bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln nicht auf
Umfragen oder sonstige öffentliche Meinungsäußerungen verlässt .
Zweite Frage .
Dem entnehme ich, dass Sie sich den wissenschaftlichen Bewertungen, auf die Sie sich beziehen, vollumfänglich und komplett anschließen . Deshalb die Frage:
Wie steht das BMEL vor diesem Hintergrund jetzt dazu,
Glyphosat tatsächlich noch in diesem Jahr neu zuzulassen? Im Raum stehen 10 statt wie geplant 15 Jahre .
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/glyphosat-gefaehrliche-verbindungen-1.3537185
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/glyphosat-gefaehrliche-verbindungen-1.3537185
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/glyphosat-gefaehrliche-verbindungen-1.3537185
Werden Sie also einer Wiederzulassung zustimmen, sich
enthalten oder sie ablehnen? Von welchen Kriterien bzw .
konkreten Punkten machen Sie Ihre Positionierung dazu
abhängig?
Herr Bleser, bitte .
Ich verweise noch einmal auf die wissenschaftliche
Grundlage .
({0})
Auf europäischer Ebene steht in diesen Tagen eine Entscheidung des SCoPAFF an; bisher haben wir noch keine
Ergebnisse . Dort wird entschieden, ob auf dieser wissenschaftlichen Grundlage und aufgrund entsprechender Berichte der zuständigen Einrichtungen eine Verlängerung
der Zulassung ausgesprochen werden kann .
Vielen Dank . - Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung . Ich begrüße Dr . Brauksiepe, der die Fragen beantworten wird .
Zuerst kommen wir zur Frage 8 der Kollegin Katja
Keul:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zwischenzeitlich über die Luftangriffe der gemeinsamen Koalition am
26 . Mai 2017 auf die syrische Stadt al-Majadin, bei denen mindestens 80 Zivilisten, darunter über 30 Kinder, getötet wurden
({0}), in Erfahrung bringen können, und welche möglichen Konsequenzen zieht sie angesichts der im Rahmen der Operation Inherent
Resolve immer weiter steigenden Zahl getöteter Zivilisten
({1})?
Herr Brauksiepe, bitte .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Frau Kollegin Keul,
der Bundesregierung liegen keine eigenen Erkenntnisse
zu den Details des Luftangriffs mit möglichen zivilen
Opfern in der Nacht vom 25 . auf den 26 . Mai 2017 in
Majadin vor . Für Einsätze von Operation Inherent Resolve, OIR, gilt, dass grundsätzlich alle Vorfälle, bei denen Zivilisten mutmaßlich zu Schaden gekommen sind,
durch das für OIR zuständige Hauptquartier Combined
Joint Task Force, CJTF OIR, untersucht und die Ergebnisse monatlich auf der Webseite der OIR veröffentlicht
werden .
Die Bundesregierung setzt als Mitglied der Anti-IS-Koalition die ihr zur Verfügung stehenden Mittel
ein, um zivile Opfer zu vermeiden . Angesichts der zynischen und menschenverachtenden Taktik der Terrororganisation IS, Zivilisten als menschliche Schutzschilde
zu missbrauchen und sogar zivile Opfer zu provozieren,
ist dies für die Koalition mit besonderen Anstrengungen
verbunden .
Vielen Dank, Dr . Brauksiepe . - Frau Keul, bitte .
Vielen Dank . - Herr Staatssekretär, es ist leider nicht
das erste Mal, dass ich hier nach schweren zivilen Opfern
unserer Koalition der Willigen fragen muss . Ich frage
mich, warum Sie jetzt sagen, dass die Bundesregierung
keine Erkenntnisse hat . Bei der Frage musste ich die
Quellen extra noch mitschicken; es handelt sich ja nicht
um ominöse Quellen . Sie selbst haben auf die Homepage
verwiesen, auf der ich nach Ihrer letzten Antwort selbstverständlich nachgeguckt habe . Ich jedenfalls konnte
keine Aufklärungsergebnisse für die zivilen Opfer seit
März dieses Jahres finden. Das ist aber der Zeitpunkt,
seit dem die Zahl ziviler Opfer extrem angestiegen ist .
Es geht nicht nur um den Vorfall vom 26 . Mai 2017, es
gab danach auch weitere . Ich erinnere nur an den 6 . Juni
2017, an dem 21 Zivilisten, die vor dem IS in einem Boot
über den Euphrat flüchten wollten, getötet wurden.
Deswegen frage ich jetzt noch einmal: Haben Sie als
Bundesregierung irgendetwas gegenüber dem Bündnispartner getan oder wenigstens einmal nachgefragt,
wie es zu diesem massiven Anstieg ziviler Opfer gekommen ist?
Herr Brauksiepe .
Frau Kollegin, ich wiederhole meinen Hinweis: Ich
kann nicht für andere Kräfte, die dort im Einsatz sind,
sprechen . Ich bin nicht sicher, ob alle ihr Vorgehen so
transparent darlegen wie die Koalition im Rahmen der
Operation Inherent Resolve .
Ich kann nur noch einmal darauf hinweisen, dass es
nach jedem möglichen Vorfall mit zivilen Opfern eine
entsprechende Untersuchung gibt und dass die Untersuchungsergebnisse veröffentlicht werden, beispielsweise
die Zahl von ums Leben gekommenen Zivilisten . Der
neueste Stand, der dort nach meiner Kenntnis veröffentlicht wurde, ist vom 2 . Juni .
Frau Keul, eine Rückfrage?
Nach dem neusten Stand sprechen die USA selbst von
500 zivilen Toten seit 2014 . Ich weiß aber nicht, ab welchem Zeitpunkt sie aufgehört haben, zu zählen; denn seit
März kommen wir schon auf über 300 Tote . Allein vom
23 . April bis zum 23 . Mai gab es 225 zivile Tote .
http://www.rp-online.de/politik/ausland/syrien-anti-terror-koalition-toetet-80-angehoerige-von-is-kaempfern-in-majadin-aid-1.6844773
http://www.rp-online.de/politik/ausland/syrien-anti-terror-koalition-toetet-80-angehoerige-von-is-kaempfern-in-majadin-aid-1.6844773
http://www.rp-online.de/politik/ausland/syrien-anti-terror-koalition-toetet-80-angehoerige-von-is-kaempfern-in-majadin-aid-1.6844773
http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-03/us-armee-irak-syrien-kriegsfolgen-todesopfer-zivilisten
http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-03/us-armee-irak-syrien-kriegsfolgen-todesopfer-zivilisten
http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-03/us-armee-irak-syrien-kriegsfolgen-todesopfer-zivilisten
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-05/syrien-us-luftangriff-islamischer-staat
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-05/syrien-us-luftangriff-islamischer-staat
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-05/syrien-us-luftangriff-islamischer-staat
Ich frage die Bundesregierung: Hält sie es eigentlich
für angemessen, dass sie von einem Bündnispartner hinsichtlich der Folgen des multilateralen Einsatzes auf eine
Website verwiesen wird, auf der sie dann nachgucken
kann? Ist das der angemessene Umgang zwischen Bündnispartnern?
Ja .
({0})
Kollege Ströbele hat zu Frage 8 eine Rückfrage . Herr Ströbele, bitte .
({0})
- Entschuldigung . Was ist los? Ich habe es nicht mitbekommen .
({1})
Bevor alle sprechen: Jetzt hat Christian Ströbele eine
Frage an Herrn Dr . Brauksiepe .
Herr Staatssekretär, ich habe zu diesem Thema eine
ganze Reihe von Fragen gestellt, die ähnlich wie die
letzte Frage beantwortet wurden . Ich frage Sie noch einmal: Es handelt sich ja hier um ein Bündnis, von dem
gemeinsam - die einen leisten dies, die anderen leisten
das - Operationen durchgeführt werden . Die Bundeswehr leistet Hilfe durch Fotoaufnahmen, Filmaufnahmen
und Ähnliches . Will die Bundesregierung nicht endlich
einmal gegenüber den Partnern, insbesondere gegenüber
den USA, klarmachen, dass eine Unterstützung ohne
vollständige Information, was aus dieser Unterstützung
wird, insbesondere, wie viele Zivilisten getötet werden,
eingestellt werden muss? Das können Sie doch gegenüber dem deutschen Parlament nicht länger rechtfertigen .
Und das müssen Sie den US-Streitkräften auch einmal in
der nötigen Konsequenz klarmachen .
({0})
Herr Brauksiepe .
Zunächst einmal, Kolleginnen und Kollegen - ich
beziehe das nicht ausschließlich auf Sie, Herr Kollege
Ströbele -, müssen Sie als Abgeordnete generell damit
rechnen, wenn Sie der Bundesregierung eine Ja-NeinFrage stellen, dass Sie ein Ja oder ein Nein als Antwort
bekommen . Im Zusammenhang mit einer vorher gestellten Frage gab es Zwischenrufe - diese sind sicherlich
im Protokoll nachzulesen -, in denen gefordert wurde,
mit Ja oder Nein zu antworten . Ich bitte um Verständnis,
wenn ich solchen Forderungen dann für die Bundesregierung auch einmal nachkomme .
({0})
Es gibt in diesem Zusammenhang, Herr Kollege
Ströbele - das wissen Sie -, ein etabliertes Verfahren .
Und es ist - ich sage das noch einmal - ganz selbstverständlich, dass alle Mitglieder der Koalition das ihnen Mögliche tun, um zivile Opfer zu vermeiden . Wir
haben es jedoch - ich sage auch das noch einmal - mit
einer zynischen, menschenverachtenden Taktik des IS zu
tun, die genau das Gegenteil zu erreichen versucht . Den
Berichten über die Kämpfe in Mosul, in Rakka können
Sie entnehmen, dass Zivilisten versuchen, diese Kampfgebiete zu verlassen, dass aber jeder, der das versucht,
damit rechnen muss, wenn der IS es bemerkt, vom IS
umgebracht zu werden . In Mosul werden noch ungefähr
4 Quadratkilometer von den IS-Terroristen gehalten . Die
irakischen Streitkräfte kämpfen unter großen Opfern und
Risiken um die Befreiung von Mosul, weil sie versuchen,
zivile Opfer zu vermeiden, während der IS sie zu provozieren sucht . Ich verwahre mich hier gegen Unterstellungen, als wäre es andersherum . Die gesamte Koalition,
alle dort beteiligten 65 Staaten, die Europäische Union,
die NATO, die Arabische Liga tun das ihnen Mögliche,
um zivile Opfer zu vermeiden . Jede anderslautende Unterstellung weise ich namens der Bundesregierung mit
Entschiedenheit zurück .
({1})
Ich rufe Frage 9 der Abgeordneten Katja Keul auf:
Inwiefern finden nach dem Beschluss über den NATO-Eintritt in die Anti-IS-Koalition ({0})
die Targeting-Richtlinien der NATO Anwendung, und sollten
sie keine Anwendung finden, welche anderen Wirkungen und
Konsequenzen für die Operation Inherent Resolve folgen aus
diesem Beschluss?
Herr Brauksiepe .
Frau Kollegin Keul, die Staats- und Regierungschefs
der NATO haben bei ihrem Treffen am 25 . Mai 2017 in
Brüssel den Beschluss des Nordatlantikrats vom 24 . Mai
2017 zum formellen Beitritt der Allianz zur internationalen Anti-IS-Koalition indossiert . Die Mitgliedschaft
ermöglicht der Allianz die aktive Teilnahme an den politischen Beratungen im Rahmen der internationalen
Anti-IS-Koalition . Auch nach dem formellen Beitritt
der NATO zur internationalen Anti-IS-Koalition findet
die NATO-Targeting-Richtlinie im Rahmen des Beitrags
der Allianz zur Anti-IS-Koalition keine Anwendung, da
die NATO-Unterstützung mit AWACS-Flugzeugen ausKatja Keul
http://www.n-tv.de/politik/Stoltenberg-begruesst-klares-Signal-article19859553.html
http://www.n-tv.de/politik/Stoltenberg-begruesst-klares-Signal-article19859553.html
drücklich keine Beteiligung an der Zielzuweisung oder
an einer Feuerleitfunktion beinhaltet .
Frau Keul .
Bevor ich meine Nachfrage stelle, möchte ich klarstellen, dass ich unverdächtig bin, NATO-Einsätze für generell gutzuheißen, aber immerhin gibt es im Rahmen eines
NATO-Einsatzes die entsprechenden Targeting-Richtlinien, die untereinander die Verantwortung im Rahmen
eines Battle Damage Assessments aufklären und zuordnen .
Jetzt müssen wir feststellen: Es sind alle NATO-Partner beteiligt . Es gibt einen politischen Beschluss, der
besagt: „Wir treten formell bei“ - was auch immer das
heißt . Aber bei der Verantwortung für die Auswirkungen des militärischen Handelns am Boden schleicht man
sich im Kern heraus und lässt genau an dieser Stelle die
NATO-Targeting-Richtlinien nicht zur Anwendung kommen . Das soll mir mal einer erklären!
Warum hält die Bundesregierung das für angemessen? Werden Sie sich dafür einsetzen, dass die Targeting-Richtlinien künftig auch im Rahmen dieses sehr
großen und sehr auswirkungsreichen Einsatzes beachtet
werden?
Herr Brauksiepe .
Frau Kollegin Keul, ich betone noch einmal, dass sich
die NATO-Beteiligung insbesondere auf die Unterstützung der Koalition mit AWACS-Flugzeugen bezieht, die
sich an der Zielzuweisung nicht beteiligen; diese Unterstützung beinhaltet auch keine Feuerleitfunktion . Das
heißt ja nicht, dass es für die Staaten, die in dem Gebiet
gegen den IS operieren, keine Regeln, keine Richtlinien
für den Einsatz gibt . Die Richtlinien, die für die OIR-Mitgliedstaaten, für die an dieser Koalition Beteiligten gelten, unterscheiden sich materiell nicht besonders von den
Richtlinien der NATO oder den Verpflichtungen, die sich
jeder einzelne Mitgliedstaat auferlegt hat .
Alle Koalitionäre der Anti-IS-Koalition sind ja in diese Koalition gegangen, um das barbarische, menschenrechtswidrige Verhalten des IS zu stoppen und ausdrücklich das Völkerrecht einzuhalten . Das ist das klare Ziel
jedes Koalitionsmitglieds, das ist das klare Ziel der Koalition als Ganze, und das ist natürlich auch das klare Ziel
der NATO und der Europäischen Union, soweit sie als
Bündnisse auch Teil dieser Koalition sind .
Noch einmal: Die NATO-Targeting-Richtlinien brauchen hier keine Anwendung zu finden, weil sich die eigentliche Unterstützung der NATO auf den Einsatz der
AWACS-Flugzeuge bezieht . Sie haben in Ihrer Frage
nicht zu Unrecht deutlich gemacht: Es ist nicht zuletzt
eine politische Entscheidung, dass sich die NATO hier
als solche beteiligt . Es hat jedoch keine unmittelbaren
militärischen Konsequenzen .
Vielen Dank . - Rückfrage? - Gut . Frau Keul, bitte .
Ich finde es immerhin beruhigend, zu hören, dass es
bei OIR überhaupt Targeting-Richtlinien gibt . Ich weiß
nicht, inwieweit sie uns Parlamentariern zur Verfügung
gestellt werden können, gegebenenfalls vielleicht in
der Geheimschutzstelle . Dass sie sich nicht so sehr unterscheiden sollen, wundert mich jedoch ein bisschen;
denn ich habe noch nie erlebt, dass im Rahmen eines
NATO-Einsatzes jeder Bündnispartner für sich sagt: Ich
habe keine Ahnung, was die anderen machen; damit habe
ich nichts zu tun . - Dass jeder hier sich sozusagen selbst
der Nächste ist, das scheint mir doch ein ganz gravierender Unterschied zu einem NATO-Einsatz zu sein .
Bei meiner zweiten Frage möchte ich auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes Bezug nehmen,
das wir zur Frage der Verantwortung Deutschlands im
Hinblick auf das humanitäre Völkerrecht beim Einsatz
in Syrien angefragt hatten . Da heißt es in der Schlussfolgerung, bei den Empfehlungen und Vorschlägen auch für
die Bundesregierung:
In der Praxis könnte sich Deutschland etwa mittels
einer Beobachterrolle in den targeting-Prozess
einschalten, um sich etwa über die Verwendung
der Aufnahmen beim targeting zu informieren
und sich dabei von der Einhaltung der Vorsichtsmaßnahmen nach Art. 57 ZP 1 GK
- in diesem Artikel des Zusatzprotokolls zu der Genfer
Konvention geht es bekanntermaßen um die Vermeidung
ziviler Opfer zu überzeugen. Letztlich könnte Deutschland
rechtlich gehalten sein, die weitere Aufklärungsunterstützung für die Operation „Inherent Resolve“
unter einen entsprechenden Vorbehalt zu stellen.
Meine Frage wäre jetzt: Wie viele weitere Eskalationen wollen wir noch abwarten, bevor wir hier über einen
solchen Vorbehalt diskutieren?
Herr Dr . Brauksiepe, bitte .
Frau Kollegin, ich weise die Unterstellung, es gäbe
hier weitere Eskalationen, deutlich zurück . Ich sage noch
einmal in Bezug auf die Targeting-Richtlinien: Dies ist
eben kein NATO-Einsatz, sondern der Einsatz der Anti-IS-Koalition. Ein NATO-Einsatz findet zum Beispiel
in Afghanistan oder im Kosovo statt . Dies ist aber kein
NATO-Einsatz, sondern die NATO ist dieser Koalition beigetreten . - Das zur Relevanz von NATO-Targeting-Richtlinien .
Zu dem Gutachten will ich deutlich feststellen: Das
Gutachten unterstellt der Bundesregierung keinesfalls
eine Rechtsverletzung . Im Ergebnis geht es darum: Wenn
die Bundesregierung davon ausgehen müsste, dass sich
ihre Partner hier völkerrechtswidrig verhielten, dann
wäre sie natürlich auch in der Verantwortung, das ihr
Mögliche zu tun, um völkerrechtswidriges Verhalten zu
unterbinden . Aber ich sage noch einmal in aller Deutlichkeit: Wir haben nicht den geringsten Anhaltspunkt,
zu vermuten, dass sich einer unserer Partner in völkerrechtswidriger Weise verhält .
Da ich aufgrund Ihrer öffentlichen Äußerungen mit
dieser Nachfrage rechnen konnte, darf auch ich aus dem
Gutachten zitieren . Es wird auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes verwiesen - ich zitiere -,
in welchem er eine Zurechnung völkerrechtswidriger unerlaubter Handlungen eines anderen
Bündnispartners grundsätzlich verneinte und
eine deutsche Amtshaftung für Kriegsschäden aus
eben diesem Grund ablehnte .
An späterer Stelle heißt es im Zusammenhang mit notwendigen Maßnahmen, die ein Bündnispartner zu leisten
hat - in diesem Fall die Bundesrepublik Deutschland -:
Ein abstraktes Wissen um das allgemeine Risiko,
dass bei Militäreinsätzen auch „etwas schiefgehen“
und dabei Zivilisten ums Leben kommen können,
vermag eine Mitverantwortung des Unterstützerstaats gegenüber den Folgen der Militäroperation
nicht zu begründen.
Also noch einmal: Die Bundesregierung trifft hier keinerlei Versäumnis in formaler Weise, und es gibt überhaupt keinen Grund zu der Annahme, dass sich hier irgendein Koalitionspartner völkerrechtswidrig verhält .
Die Bundesregierung und die gesamte Anti-IS-Koalition
bedauern jedes zivile Opfer . Ich sage noch einmal: Es ist
die Terrororganisation IS, die durch ihr Verhalten zivile
Opfer provoziert .
Ich darf die Kollegen auf allen Bänken bitten, sich an
die Regeln zu halten, und die Regel lautet: eine Minute .
Jetzt hat sich noch Kollege Kekeritz zu einer Zusatzfrage gemeldet, und dann kommen noch zwei Kollegen
von der Linken .
Herr Staatssekretär, ich bin etwas erschrocken ob Ihrer
diversen Aussagen . Ich möchte Sie insbesondere fragen:
Was verstehen Sie unter „Eskalation“? Wenn wir heute
hören, dass bereits bis zu 500 Tote zu verzeichnen sind,
Sie aber sagen: „Das ist noch keine Stufe der Eskalation,
die ein entsprechendes Verhalten der Bundesregierung
nach sich ziehen müsste“, dann frage ich mich: Wann
ist eigentlich die Schwelle erreicht, dass Sie tatsächlich
nachfragen?
Außerdem halte ich es schon irgendwie für zynisch,
dass Sie das Verhalten des IS verwenden, um von der eigentlichen Problematik abzulenken, die von meinen Kolleginnen und Kollegen vorgetragen wurde . Sie können
doch das eine nicht mit dem anderen aufrechnen .
({0})
Wir sind sehr wohl der Meinung, dass der IS sich menschenunwürdig verhält und dass das absolut zu kritisieren ist; aber daraus die Legitimation abzuleiten, nichts
hinsichtlich der 500 zivilen Toten, die durch die Luftbombardements zu verzeichnen sind, zu unternehmen,
das halte ich für absolut daneben .
Mich würde im Übrigen interessieren, inwieweit Sie
tatsächlich glauben, dass die Bombardements zu einer
Stabilisierung in diesem Gebiet beitragen .
Herr Brauksiepe .
Herr Kollege, nach den mir vorliegenden Informationen sind, wie auf der Internetseite der Operation Inherent
Resolve mit Stand 2 . Juni nachzulesen ist, mindestens
484 tote Zivilisten zu beklagen . Mein Zweifel, das als
Eskalation zu bezeichnen, hat etwas damit zu tun, dass
ich nicht bestätigen kann - dann könnte man mit Recht
von Eskalation sprechen -, dass es beispielsweise jahrelang überhaupt keine Toten gegeben hat und nun auf
einmal sehr viele zivile Opfer gibt .
Ich wiederhole noch einmal: Es gibt das Battle Damage Assessment, das die Koalition durchführt, um festzustellen, ob es zivile Opfer gegeben hat . Das wird untersucht in jedem Fall, bei dem diese Gefahr besteht . Die
Untersuchungen sind in vielen Fällen eben noch nicht
abgeschlossen . Sie dauern meines Wissens rund 30 Tage .
So ist beispielsweise die Untersuchung zu dem in der
vorherigen Frage angesprochenen Vorfall nach meiner
Kenntnis noch nicht abgeschlossen .
Von daher kann ich das, was hier als Eskalation bezeichnet worden ist, so nicht bestätigen . Ich sage noch
einmal: Wir bedauern jedes zivile Opfer, wir bedauern
unter anderem aber auch alle zivilen Opfer, die es durch
das barbarische Verhalten des IS gegeben hat, bevor sich
die Koalition gebildet hat .
Eine Minute! Das gilt auch bitte für Sie, Herr
Dr . Brauksiepe, außer bei der Beantwortung der schriftlich gestellten Frage; da stehen Ihnen zwei Minuten zur
Verfügung .
Ich rufe die Frage 10 der Kollegin Christine Buchholz
auf:
Wie erklärt die Bundesregierung den Widerspruch, dass
das Bundesverteidigungsministerium in der Antwort vom
17 . Mai 2017 auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke über „Luftangriffe der US-geführten Koalition in Syrien
und im Irak“ ({0}) erklärt, es lägen „keine eigenen Erkenntnisse zur Anzahl durch
Luftangriffe der internationalen Anti-IS-Koalition ums Leben
gekommenen Kämpfer der Terrororganisation Islamischer
Staat vor“, das Auswärtige Amt hingegen in der Antwort vom
18 . Mai 2017 auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke über „Hintergründe zum Einsatz von Minen und Sprengfallen im Krieg im Irak und in Syrien“ ({1}) eine exakte Angabe in vierstelliger
Höhe über die Zahl der „im Rahmen der Bombardierung und
Erstürmung der irakischen Stadt Mossul im Jahr 2017“ getöteten Kombattanten in der Geheimschutzstelle den Abgeordneten zur Einsicht vorlegen kann?
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Frau Kollegin, nach
Auffassung der Bundesregierung liegt hier kein Widerspruch vor . Die beiden Fragestellungen unterscheiden
sich erheblich, sowohl in ihrem Zeithorizont als auch in
ihrem geografischen Schwerpunkt. Frage 14 der Kleinen
Anfrage zu den Hintergründen zum Einsatz von Minen- und Sprengfallen im Irak und in Syrien behandelt
die Anzahl der - ich zitiere - „im Rahmen der Bombardierung und Erstürmung der irakischen Stadt Mossul im
Jahr 2017“ ums Leben gekommenen Kombattanten . In
Frage 16 der Kleinen Anfrage zu den Luftangriffen der
US-geführten Koalition wird die Anzahl der infolge von
Luftangriffen der US-geführten Koalition in Syrien und
im Irak bis zum 1 . April 2017 getöteten Kämpfer des „Islamischen Staates“, IS, erfragt .
Lediglich zur ersten, deutlich enger gefassten Frage,
der Frage 14, lagen der Bundesregierung entsprechende
nachrichtendienstliche Informationen vor . Diese Informationen wurden aus Gründen des Staatswohls als Geheim eingestuft und für die Abgeordneten in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages hinterlegt .
Vielen Dank, Herr Brauksiepe . - Frau Buchholz .
Ich möchte noch einmal nachfragen . Der Kern der
Frage ist ja, dass es offensichtlich unterschiedliche Einschätzungen im BMVg und im Auswärtigen Amt darüber
gibt, wie viele Kombattanten im Rahmen dieses Krieges,
dieser Operation getötet werden . Das ist ja wichtig für
die politische Einschätzung, auch bezogen auf die Wirkung der Operation . Die USA sind 2014 von 3 000 bis
5 000 IS-Kämpfern ausgegangen . In seiner Abschiedsrede sprach Obama aber von Zehntausenden . Man muss
sich doch die Frage stellen, wie viele Kombattanten bei
der Operation, an der auch die Bundeswehr beteiligt ist,
getötet wurden und wie sich die Zahl entwickelt . Auf diesen Widerspruch zielt diese Frage . Ich frage Sie hier: Wie
erklären Sie sich, dass die Zahl nach mehreren Jahren
dieser Operation offensichtlich erheblich ist, und welche
Konsequenzen hat das für die Beteiligung Deutschlands
an der Operation Inherent Resolve?
Herr Brauksiepe, bitte .
Frau Kollegin, ich kann mich nur wiederholen: Die
Bundesregierung sieht diesen Widerspruch nicht . Es gibt
hier keinen Widerspruch zwischen Auswärtigem Amt
und Bundesministerium der Verteidigung .
Ich darf zum besseren Verständnis die beiden Fragen,
um die es hier geht, vorlesen . Die eine Frage lautete:
Wie viele Kombattanten sind im Rahmen der Bombardierung und Erstürmung der irakischen Stadt
Mossul im Jahr 2017 nach Kenntnissen der Bundesregierung ums Leben gekommen?
Die andere Frage lautete:
Wie viele Kämpfer des „Islamischen Staats“ ({0})
sind nach Kenntnis der Bundesregierung infolge
von Luftangriffen der US-geführten Koalition bis
zum 1 . April 2017 getötet worden ({1})?
Da gibt es also beispielsweise keine regionale Konzentration auf Mossul wie in der anderen Frage .
Nur insoweit die Bundesregierung über nachrichtendienstliche Erkenntnisse verfügt, haben wir geantwortet .
Die Antwort haben wir in der Geheimschutzstelle hinterlegt . Sie werden Verständnis dafür haben, dass ich zu
dem, was dort als Geheim eingestuft hinterlegt ist, hier
nicht öffentlich Stellung nehme .
Frau Buchholz, haben Sie eine Rückfrage?
Ja . - Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie auf meine Frage, wie es zu unterschiedlichen Einschätzungen in den
beiden Ministerien kommt, nicht antworten wollen .
Ich will noch eine aktuelle Frage hinzufügen, die
für die Einschätzung insgesamt wichtig ist: Die russische Regierung hat kürzlich erklärt, dass alle Flüge der
US-geführten Koalition westlich des Euphrats - dazu
gehört auch das Mandatsgebiet der Operation Counter
Daesh - als feindliche Flugbewegung eingestuft werden .
Die australische Luftwaffe hat ihren Einsatz daraufhin
eingestellt . Wird diese Entwicklung auch Konsequenzen
für die Aufklärungs- und Betankungsflüge der deutschen
Luftwaffe haben?
Herr Brauksiepe .
Frau Kollegin, ich wiederhole es noch einmal: Ich
kann zu Meinungsunterschieden, die es nicht gibt, keine
Stellung nehmen . Deswegen weise ich die Unterstellung,
ich hätte Ihre Frage nicht beantwortet, zurück . Es gibt
diese Meinungsunterschiede nicht .
Was die von Ihnen angesprochene aktuelle Entwicklung angeht, sage ich: Die Bundesregierung ist sehr daran
Vizepräsidentin Claudia Roth
interessiert, dass ein Deconflicting weiterhin stattfindet.
Die Bundesregierung ist fest davon überzeugt, dass dies
nicht nur im gemeinsamen Interesse der Anti-IS-Koalition ist, sondern auch im Interesse Russlands .
Zum jetzigen Zeitpunkt ist mir von Konsequenzen
für das Verhalten der mandatierten deutschen Soldaten
nichts bekannt .
Die letzte Frage in dieser Fragestunde stellt Frau Keul
zu der Frage von Frau Buchholz .
Ich habe nur eine ganz kurze Nachfrage: Fliegen die
Tornados auch östlich des Euphrat?
Herr Brauksiepe .
Frau Kollegin, die Tornados fliegen über dem IS-Gebiet . Das ist das mandatierte Gebiet . Ich bitte um Entschuldigung, dass ich jetzt die Lage verschiedener Flüsse
im Verhältnis dazu nicht im Kopf habe, aber das kann ich
gerne nachreichen . Ich habe jetzt die Karten nicht hier .
Damit schließe ich die Fragestunde . Alle weiteren Fragen werden schriftlich beantwortet . Ich bedanke mich bei
Ihnen und übergebe mit großer Freude an unseren Präsidenten .
Meine Damen und Herren, ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 sowie den Zusatzpunkt 1 auf:
3 . Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht des Unabhängigen Expertenkreises
Antisemitismus
Drucksache 18/11970
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik folgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck ({1}), Monika Lazar, Luise Amtsberg,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Antisemitismus entschlossen bekämpfen
Drucksache 18/12784
Ich möchte auf der Ehrentribüne zu diesem Tagesordnungspunkt im Namen des ganzen Hauses sehr herzlich
die Mitglieder des Unabhängigen Expertenkreises begrüßen . Ich freue mich, dass Sie dieser Aussprache beiwohnen .
({2})
Insbesondere danke ich Ihnen natürlich für Ihre Mitwirkung am Zustandekommen dieses Berichts .
Mit der Einladung an Sie möchten wir auch deutlich
machen: Das ist in der Abfolge der vielen Tagesordnungspunkte der zweitletzten Sitzungswoche des Bundestages
in der laufenden Legislaturperiode auf den ersten Blick
natürlich einer von vielen Beratungspunkten; aber es ist
nicht irgendeiner . Diesem Parlament ist das Thema Antisemitismus aus nicht weiter erläuterungsbedürftigen
Gründen ein dauerndes und besonders ernsthaftes Anliegen . Wir haben gerade in dieser Legislaturperiode mehrfach - nicht nur durch die Beschäftigung dieser Kommission, sondern auch durch die Organisation internationaler
Konferenzen hier in Berlin und anderswo - deutlich gemacht, welchen Stellenwert diese Frage für uns hat . Deswegen danke ich an dieser Stelle - ich möchte das nicht
im Laufe der Debatte jeweils einzeln tun - den Kolleginnen und Kollegen ganz besonders herzlich, die sich diesem Thema mit einer bewundernswürdigen Konsequenz
nun über viele Jahre widmen .
({3})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Das ist offensichtlich einvernehmlich . Dann können wir so verfahren .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst für die Bundesregierung dem Parlamentarischen
Staatssekretär Günter Krings .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Auch ich begrüße die anwesenden Mitglieder des Expertengremiums sehr herzlich .
Die Bekämpfung des Antisemitismus in all seinen Facetten ist unstreitig Konsens unter allen demokratischen
Kräften in Deutschland, und es ist gut, wenn dies im Übrigen für alle Formen des Extremismus gilt . Der gemeinsame Kampf gegen Antisemitismus und Extremismus
ist eine Selbstverständlichkeit und sollte es auch immer
sein . Ja, ich würde sogar so weit gehen, zu sagen: Gerade
der Kampf gegen Antisemitismus gehört zur Staatsräson
der Bundesrepublik Deutschland .
({0})
Der aktuelle Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus, den wir heute diskutieren, weist
uns darauf hin, wie vielfältig und leider auch wie verbreitet das Phänomen Antisemitismus nach wie vor ist .
Antisemitismus findet sich quer durch alle Gesellschaftsschichten und ist ein zentrales Merkmal des rechtsextremistischen Spektrums, aber eben nicht nur . Prävention
und Interventionsmaßnahmen müssen sich darauf noch
stärker einstellen .
Eine wichtige Grundlage für solche Maßnahmen bildet der Expertenkreis Antisemitismus mit seinem nunmehr vorgelegten umfangreichen Bericht . Eingerichtet
wurde er durch den Bundesminister des Innern aufgrund
eines fraktionsübergreifenden Bundestagsbeschlusses in
Abstimmung mit allen im Bundestag vertretenen Fraktionen . Die Konstituierung des Expertenkreises erfolgte
im Januar 2015 mit logistischer und finanzieller Unterstützung des Bundesinnenministeriums . Der Großteil der
eingesetzten finanziellen Mittel ist dabei in die Erstellung
empirischer Expertisen geflossen, und genau da ist das
Geld, wie ich meine, auch gut und richtig investiert . Für
ihre Arbeit möchte ich den Expertinnen und Experten an
dieser Stelle im Namen der Bundesregierung ausdrücklich danken .
({1})
Von besonderer Bedeutung sind für mich die Ausführungen des Berichts zu den Wahrnehmungen und Perspektiven der jüdischen Bevölkerung im Umgang mit
Antisemitismus . Diese Erfahrungen mit Antisemitismus
sind bitter und einer offenen Gesellschaft unwürdig ganz besonders unwürdig einer deutschen offenen Gesellschaft . Daher halte ich unter anderem die Handlungsempfehlung für wichtig, zukünftig jüdische Perspektiven
und Expertisen in die verschiedenen Förderprogramme
der Antisemitismusprävention und der politischen Bildung noch stärker einzubeziehen .
Für das Bundesinnenministerium ist politische Bildung ohnehin ein ganz wesentliches Element der Prävention auch in diesem Bereich . Politische Bildung muss
daher bereits dort ansetzen, wo es nicht um manifeste antisemitische Weltbilder, Handlungen oder gar Straftaten
geht, sondern zunächst um Unwissenheit, Verunsicherung oder unreflektiertes Übernehmen von schlimmen
Vorurteilen . Politische Bildung kann dann im besten Falle
Einstellungsänderungen erzielen und Wertorientierungen
vermitteln . Ihre Stärke liegt aber vor allem im Bereich
der Vermittlung von Wissen und in der argumentativen
Auseinandersetzung mit antisemitischen Denkmustern .
Darin besteht ein wichtiger Teil von Prävention .
Es gilt beständig: Antisemitismus geht uns alle an,
die sogenannte Mehrheitsgesellschaft - oder wie immer
man das umschreiben will - ebenso wie Zuwanderer
und Flüchtlinge; er ist eben kein Thema nur für die Betroffenen . Überall dort, wo er auftritt, darf er nicht unwidersprochen bleiben; auch das ist ein wichtiger Punkt
politischer Bildung . Politische Bildung als solche kann
Zivilcourage nicht ersetzen - Zivilcourage ist nötig,
wenn es um das Widersprechen geht -, aber politische
Bildung kann das Rüstzeug dafür geben, dass man die
Argumente hat, um mit Zivilcourage gegen antisemitische Thesen und Beleidigungen vorzugehen .
Ein weiterer Punkt im Bericht des Expertenkreises
ist die Forderung nach konsequenter Erfassung und
Ahndung antisemitischer Straftaten . Antisemitismus
ist immer auch ein Angriff auf die Grundwerte unserer
demokratischen Ordnung und unserer offenen, pluralistischen Gesellschaft . Deshalb sind die Bekämpfung des
Antisemitismus und die konsequente Verfolgung antisemitischer Straf- und Gewalttaten für den demokratischen
Rechtsstaat Verpflichtung aus eigenem Anspruch. Dabei
werden wir alle zur Verfügung stehenden Mittel ausschöpfen .
Auch wenn die Rechtsextremisten öffentlich heute hauptsächlich gegen Flüchtlinge agitieren, bleibt der
Antisemitismus leider fester Bestandteil ihrer rechtsextremistischen Hetze . Aber es gibt auch einen islamistischen Antisemitismus, der das Existenzrecht Israels bestreitet und die Vernichtung Israels, je nach Ausrichtung
und Radikalität, sogar offen fordert . Schließlich kommen
auch in Kampagnen von Linksextremisten antisemitische Einstellungen vor, häufig unter der Überschrift „Israel-Kritik“, die berechtigt sein kann, teilweise aber nur
als Deckmantel dient .
Die Zahl der antisemitischen Straftaten ist nach einem
Rückgang im Jahre 2015 im Jahre 2016 wieder angestiegen . Nach wie vor wird die weit überwiegende Zahl der
antisemitischen Straftaten der politisch motivierten Kriminalität, PMK-rechts, zugeordnet .
Wenn wir uns überlegen, was wir mit den empirischen
Erkenntnissen, die wir, was die Daten und den Bericht anbelangt, zum Teil schon vorher hatten, machen, dann ist
natürlich klar: Am Ende der Legislaturperiode ist dieser
Bericht vor allem ein Hausaufgabenheft für den neuen,
den 19 . Deutschen Bundestag und für die neue Bundesregierung . Zu Forderungen und Empfehlungen, die auf
neue staatliche Funktionen und Strukturen abzielen, wird
nach den Bundestagswahlen die neue Bundesregierung
unter Berücksichtigung der Ergebnisse der parlamentarischen Debatte die notwendigen Entscheidungen treffen .
So viel aber können wir schon jetzt sagen: Wir haben
aufgrund unserer Geschichte in Deutschland eine ganz
besondere Verantwortung gegenüber unserer jüdischen
Bevölkerung . Die politischen Gefahren des Antisemitismus gehen nicht nur die jüdischen Menschen als unmittelbar Betroffene an, sondern auch die demokratische,
freiheitliche Gesellschaft im Ganzen, meine Damen und
Herren . Deshalb zielen unsere Präventionsmaßnahmen
auch auf die gesamte Gesellschaft, und sie beziehen die
Gesellschaft und die Zivilgesellschaft als wichtige Akteure mit ein . Der Bericht des unabhängigen Expertenkreises weist in diesem Sinne den richtigen Weg . Deshalb will ich zum Schluss nochmals seinen Autoren Dank
sagen . Ich will aber auch den Berichterstattern aus allen
Bundestagsfraktionen, die die Arbeit der Expertenkommission parlamentarisch begleitet haben, Dank sagen .
Vielen Dank .
({2})
Petra Pau ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die
Linke .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Expertinnen und Experten! Ein Satz vorab: Wir reden über Artikel 1 Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar .“
Wohlgemerkt: aller Menschen, unabhängig von ihrer
Herkunft, ihrer Kultur oder ihrer Religion .
({0})
So weit das Gebot. Im Alltag sieht es häufig anders
aus - viel zu häufig. Angriffe gegen Jüdinnen und Juden,
verbal und tätlich, gehören dazu . Umso wichtiger ist diese Plenardebatte, und umso weniger darf sie folgenlos
bleiben .
({1})
Antisemitismus ist eine menschenverachtende Ideologie . Sie erniedrigt Menschen nur, weil sie Jüdinnen
und Juden sind . Die Nazis trieben sie zum Exzess, zum
Völkermord, zum Holocaust . Ein Mahnmal unweit von
unserem Parlament erinnert an diese deutsche Schande zu Recht, zumal der Antisemitismus nicht aus der Welt
ist, auch hierzulande nicht . Es gibt ihn am rechten Rand,
aber auch inmitten der Gesellschaft . Das wollen und dürfen wir nicht hinnehmen .
Ich habe mich auch an die Vorgeschichte unserer heutigen Debatte erinnert . Im Jahr 2008 begingen wir den
70 . Jahrestag der Reichspogromnacht, und es hatte sich
eine interfraktionelle Arbeitsgruppe mit Vertretern aller Fraktionen zusammengefunden, weil wir von dem
schlimmen Befund alarmiert waren, dass in der Bundesrepublik wöchentlich ein jüdischer Friedhof geschändet
wurde .
Wir waren uns einig, dass der Kampf gegen Antisemitismus keine parteipolitischen Scharmützel verträgt . Damals gab es sie dennoch . Sie haben niemandem genutzt .
Umso mehr freue ich mich - und dafür plädiere ich heute
auch noch einmal - über die jetzige Weitsicht, Vernunft
und Gemeinsamkeit in dieser Frage .
Ein Ergebnis der damaligen Debatten war, dass der
erste Bericht zu diesem Thema bei einer Expertenkommission in Auftrag gegeben wurde . Heute reden wir über
den zweiten Bericht . Nach ihm folgen 24 bis 40 Prozent
aller Bürgerinnen und Bürger - je nachdem, ob man die
klassischen Klischees oder den Antisemitismus anlegt,
der sich auf Israel bezieht - antisemitischen Positionen .
Deshalb möchte ich hier noch einmal betonen: Unter
dem Strich ist es egal, ob Jüdinnen und Juden als Weltverderber denunziert oder für die Politik Israels in Haft
genommen werden . Beides ist nicht hinnehmbar .
({2})
Es gibt aber beides .
Übrigens: Kein anderes Volk, keine andere Kultur und
keine andere Religion unterliegt einer solchen Pauschalnegation wie die Jüdinnen und Juden durch den Antisemitismus . Das ist irrational, und die Folgen sind fatal .
Gleichwohl muss ich einfügen: Dieser furchtbaren
Pauschalablehnung droht aktuell eine ebenso schlimme
Kopie, nämlich die Ablehnung gegenüber den Musliminnen und Muslimen, deren Herkunft, Kultur und Religion . Insofern reden wir heute umso drängender darüber,
ob und wie Artikel 1 des Grundgesetzes Bestand haben
kann .
({3})
Heute wird natürlich jede Fraktion den Bericht loben .
So weit, so gut . Ob das bei den Forderungen, die Sie erheben, ebenso ist, wird sich zeigen . Ich möchte hier auf
fünf Vorschläge eingehen .
Erstens . Der Expertenkreis plädiert für einen Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung . Er soll
im und aus dem Bundeskanzleramt ein Gesamtkonzept
gegen Antisemitismus befördern, die nötigen Initiativen
zwischen den verschiedenen Ministerien und die Aktivitäten zwischen dem Bund und den Ländern koordinieren .
Die Linke stimmt diesem Vorschlag zu . Allerdings
füge ich an: Meine Vorstellungen gehen weiter . Spätestens aus der NSU-Nazimordserie und dem dazugehörigen Versagen nicht nur des Staates wissen wir: Wir haben
in der Bundesrepublik ein grundsätzliches Problem mit
Rechtsextremismus, mit Rassismus und Antisemitismus .
Deshalb plädiere ich seit längerem für eine Beauftragte
des Bundestages für Demokratie und Bürgerrechte,
({4})
zumal es schwer einsehbar ist, dass wir einen Beauftragten für Menschenrechte haben, der weltweit unterwegs
ist, aber zu Hause, wo die Probleme zunehmen, eine gefährliche Leerstelle lassen .
Zweitens . Es wird eine ehrliche und transparente Erfassung aller antisemitischen Vorfälle und deren juristischer Ahndung, soweit das strafrechtlich geboten ist, gefordert . Was so selbstverständlich klingt, beschreibt ein
anhaltendes Problem: Die offiziellen Statistiken stapeln
noch immer tief, sowohl bei rechtsextremen und rassistischen als auch bei antisemitischen Straf- und Gewalttaten .
Drittens . Es gibt zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich vor Ort und in ihrer Region für Demokratie und Toleranz und gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus engagieren; das wird auch
vom Expertenkreis gewürdigt . Zugleich machen sie auf
ein bekanntes Problem aufmerksam: Die Fördermittel
wurden zwar finanziell aufgestockt, aber sie gelten eben
immer noch in Jahresscheiben . Das ist kurzsichtig; denn
im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus braucht
es einen langen Atem .
Viertens . Es wird eine ständige Bund-Länder-Kommission vorgeschlagen, die sich mit diesem Problem
befasst . Ich höre es schon wieder: Wenn du nicht mehr
weiterweißt, bilde einen Arbeitskreis . - Aber ich glaube,
das ist zu kurz gedacht . Noch immer werden Rechtsextremismus und Rassismus offiziell kleingeschwiegen. Zu
allen möglichen Problemen gibt es ad hoc Kanzlergipfel,
Krisentreffen und anderes . Aber in dieser Frage stehen
Menschen- und Bürgerrechte auf dem Prüfstand . Das ist
wichtiger .
Fünftens. Ich finde, die Expertenkommission sollte
ermutigt werden und sie sollte verstetigt werden, zumal
sich neue Probleme zeigen . Ich will nur eins andeuten:
Etliche Geflüchtete kommen aus Ländern, in denen Judenhass Staatsdoktrin ist . Sie wurden zu Antisemiten
erzogen und haben vom Holocaust oft noch nie etwas gehört . Überhaupt rückt die Nazizeit für die nachwachsenden Generationen in weite Ferne . Dazu bedarf es nicht
nur wissenschaftlicher Untersuchungen, sondern auch
Empfehlungen .
({5})
Wir diskutieren - der Präsident hat darauf aufmerksam gemacht - diesen Bericht, wohl wissend, dass sich
die Legislaturperiode dem Ende zuneigt. Aber ich finde,
niemand hindert die Bundesregierung daran, die drängenden Empfehlungen der Kommission schon jetzt umzusetzen . Das gilt übrigens auch für Landesregierungen;
denn eines bleibt: Wird eine Gruppe ihrer Würde beraubt,
dann kann das alle treffen, und dann ist alles Gerede von
unseren Werten hohl . Das will ich nicht . Ich denke, das
wollen wir alle nicht . Deshalb sollten wir uns wehren .
({6})
Gestatten Sie mir noch einen Satz zum Schluss . Wir
sprechen hier im Bundestag über Jüdinnen und Juden oft
nur dann, wenn es um Handlungen gegen sie geht, wie
das heute beim Thema Antisemitismus der Fall ist . Aber
trotz Holocaust und trotz aktueller Probleme: Wir haben
ein vielfältiges jüdisches Leben . Das bereichert uns alle .
Das sage ich aus aktuellem Anlass . Volker Beck und ich
durften am letzten Sonntag erleben, wie hier in Berlin
eine deutsche Jüdin zur „konservativen“, wie sie sich
selbst nennt, Rabbinerin ordiniert wurde . Ein wunderbares Ereignis - nicht nur für die jüdische Gemeinschaft in
Deutschland, sondern, wie ich denke, für uns alle .
Danke .
({7})
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Edelgard
Bulmahn das Wort .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Eine breite Mehrheit der Bürgerinnen
und Bürger in unserem Land lehnt Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus ab . Sie treten ein für
Achtung und Toleranz gegenüber Menschen unterschiedlicher Überzeugung, unterschiedlicher Religion, unterschiedlicher kultureller Traditionen und unterschiedlicher Herkunft .
Und welch ein Glück: Jüdisches Leben blüht wieder
in Deutschland .
({0})
Synagogen werden eröffnet . Jüdische Kindergärten und
jüdische Schulen werden eröffnet . Für viele ist Deutschland inzwischen wieder ein Magnet geworden . In Berlin
leben Tausende von jungen Israelis . Sie kommen zum
Studieren, zum Arbeiten, zum Leben in diese Stadt . Und
welche Bereicherung ist das für uns alle!
({1})
Dennoch, liebe Kolleginnen und Kollegen: Antisemitismus, antisemitische Einstellungen und Überzeugungen sind in unserem Land, im Land der Täter, im Land
der planmäßigen Auslöschung jeglichen jüdischen Lebens, noch immer verbreitet . Das hat der aktuelle Bericht
des Expertenkreises Antisemitismus noch einmal ganz
eindringlich vor Augen geführt . Ich möchte den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den Sachverständigen
ganz ausdrücklich für diesen wirklich hervorragenden
Bericht danken .
({2})
Er zeigt, dass auch heute, 72 Jahre nach der Zerschlagung der NS-Diktatur, der Antisemitismus in Deutschland noch nicht überwunden ist . Die meisten von uns
spüren das kaum, da sie persönlich nicht betroffen sind .
Sie sind nicht Zeuge eines offenkundigen Antisemitismus
oder versteckter Andeutungen, vermeintlicher Scherze .
Der Antisemitismus liegt oft außerhalb unserer eigenen
Erfahrungswelt, und doch ist er allgegenwärtig für Menschen jüdischen Glaubens .
In unserem Land jüdisch zu sein, bedeutet, damit
rechnen zu müssen, angepöbelt zu werden, beleidigt, geschmäht zu werden; es bedeutet, schon aufgrund seines
Namens damit rechnen zu müssen, unflätige Telefonanrufe und Hass-E-Mails zu erhalten . Und jüdisch zu sein,
kann in Deutschland auch bedeuten, in der Schule und
unter Jugendlichen ausgegrenzt zu werden, gedemütigt
zu werden oder sogar körperlich bedroht zu werden .
Das alles erfährt man nicht nur aus den Gesprächen mit
Betroffenen, sondern das bestätigen und unterstreichen
sämtliche empirische Studien der letzten Jahre .
61 Prozent der Befragten, so eine Studie, geben an,
dass der Antisemitismus für sie ein großes, ja sogar ein
ziemlich großes Problem sei . Kein Zweifel: Der Antisemitismus in Deutschland ist für die jüdischen Deutschen
ein Problem . Er ist aber kein Problem der jüdischen Bevölkerung .
({3})
Er ist das Problem unserer Gesellschaft und damit unser
aller Problem .
Wenn mit antisemitischen Ressentiments politische
Stimmung gemacht wird, so wie das in einigen Parteien, zum Beispiel der AfD, geschieht, wenn Menschen
beleidigt oder sogar angegriffen werden, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann darf niemand wegschauen, dann
darf niemand schweigen, und dann darf niemand so tun,
als wenn Antisemitismus in unserem Land überwunden
wäre .
({4})
Jede einzelne Tat und jeden einzelnen Vorfall sollten
wir als das begreifen, was es ist: Sie sind ein Angriff auf
unsere Demokratie, auf elementare Menschenrechte, auf
unsere freiheitliche Gesellschaft und damit auch auf unsere Art, zu leben .
({5})
Wie wir damit umgehen, wie wir unsere Minderheiten,
wie wir unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger
schützen, das ist ein Gradmesser, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wie ernst wir es mit der Verteidigung unserer
werteorientierten Demokratie meinen und wie wichtig
uns diese ist .
({6})
Es darf auch keine Entschuldigung geben mit dem
Verweis darauf, dass in vielen Fällen Flüchtlinge, Menschen mit Migrationshintergrund oder Menschen, die
zum Antisemitismus erzogen worden sind, verantwortlich seien . Unsere Verfassung gebietet es, die Würde aller
Menschen in unserem Land zu schützen, gleich von wem
oder wie sie bedroht wird .
Vor allen Dingen dürfen wir mit dem Verweis auf
diese Tätergruppen nicht über den erstarkenden Rechtspopulismus oder auch den Rechtsextremismus hinwegschauen, der vom gesellschaftlichen Rand in die Mitte
der bürgerlichen Schichten hineinzusickern droht . Forderungen nach einer - Zitat - „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ oder Aussagen, dass man die politische
Korrektheit auf den Müllhaufen der Geschichte werfen
sollte, sollten uns alle wachrütteln .
({7})
Sicherlich ist die Öffentlichkeit jedes Mal entrüstet,
wenn Übergriffe bekannt werden, genauso wie wir jedes
Mal eine Welle der Empörung über solche unsäglichen
Beiträge der Höckes, Gedeons oder Weidels erleben .
Aber ich frage mich immer wieder: Reicht das? Ich glaube, nicht; denn allzu oft erleben wir leider auch, dass das
öffentliche Interesse nach kurzer Zeit wieder erlahmt .
Das ist ein Problem . Diese Zyklen medialer Aufmerksamkeit gilt es zu durchbrechen; denn Antisemitismus ist
kein historisches, kein punktuelles, sondern ein anhaltendes und ein aktuelles Problem .
({8})
Dabei geht es nicht nur um den traditionellen Antisemitismus - ich nenne ihn einmal so -, den Antisemitismus, den wir alle kennen, der religiös, rassistisch oder
auch mit Verschwörungstheorien arbeitet . Der Antisemitismus ist heute vielschichtiger geworden . Er ist vielfach
eng verknüpft mit anderen Diskriminierungsformen,
auch mit gruppenspezifischem Rassismus, zum Beispiel
dem, der sich gegen Muslime wendet . Er wird zudem
stark durch den Konflikt Israels mit der arabischen Welt
beeinflusst. Das erschwert auch die politische Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus der Gegenwart .
Umso wichtiger ist heute diese Auseinandersetzung .
Sicher, ich bestreite überhaupt nicht, dass Kritik an
der Politik einer Regierung, sei es einer israelischen, einer palästinensischen oder einer deutschen, in einer Demokratie immer gerechtfertigt ist . Die ist nicht nur zulässig, die ist sogar notwendig . Aber wenn diese Kritik mit
Diffamierung, mit Ausgrenzung und Angriffen auf einen
ganzen Staat, eine ganze Bevölkerungsgruppe oder eine
Bevölkerung einhergeht, dann ist das nicht mehr zulässig .
({9})
Antisemitische Einstellungen lassen sich allerdings
nicht - das macht es so schwer - per Gesetz verbieten .
Sie sind in den Köpfen der Menschen . Wenn wir den Antisemitismus nachhaltig bekämpfen wollen, dann müssen
wir wissen, was Menschen für die dumpfen Parolen des
Antisemitismus empfänglich macht . Wir müssen verstehen, wie der Boden für diese Einstellungsmuster bereitet wird, emotional, semantisch, symbolisch und mental .
Wir müssen die Erscheinungsformen, die Strukturen, die
Mechanismen und die Wirkungsweisen antisemitischer
Einstellungen besser verstehen lernen, um sie besser bekämpfen zu können .
Deshalb danke ich dem Expertenkreis ganz ausdrücklich, dass er uns den Handlungsauftrag gibt, mehr zu tun,
mehr Forschung zu leisten, aber auch mehr in der Umsetzung zu erproben .
({10})
Wir brauchen ausreichendes Wissen über diese Zusammenhänge, wir brauchen aber auch eine kontinuierliche
Berichterstattung, eine kontinuierliche Beobachtung, die
systematisch ist . Auch das ist eine wichtige Empfehlung .
Es zeichnet im Übrigen diesen Bericht aus, dass er
nicht nur eine wissenschaftliche Analyse darstellt, sondern dass er ganz konkrete Handlungsempfehlungen an
die Politik und an die Gesellschaft gibt . Ich kann für die
SPD-Fraktion sagen, dass wir diese Handlungsempfehlungen ausdrücklich unterstreichen . Wir wollen, dass
diese Handlungsempfehlungen zügig und sehr konkret
umgesetzt werden .
({11})
Das ist nämlich ein Handlungsauftrag nicht nur für diese
Legislaturperiode, sondern auch für die nächste .
Erlauben Sie mir, dass ich auf einen Punkt noch ganz
kurz eingehe, der sich quer durch die Empfehlungen
zieht . Der Expertenkreis weist zu Recht auf ein Grundproblem unserer Aktivitäten zur Bekämpfung des Antisemitismus hin, nämlich auf die mangelnde Kontinuität
unserer Anstrengungen . Die Bekämpfung des Antisemitismus ist eine dauerhafte Aufgabe . Dem tragen die
bestehenden Strukturen nicht ausreichend Rechnung .
Wir müssen deshalb endlich eine dauerhafte Grundlage
für eine zuverlässige und sichere Finanzierung dieser so
wichtigen Arbeit erreichen, zum Beispiel mithilfe eines
Demokratiefördergesetzes oder der Einrichtung einer Organisation, wie wir sie beispielsweise im Zusammenhang
mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft geschaffen
haben . Wir brauchen einen Weg, der die Zuverlässigkeit
sicherstellt . Das ist zwingend geboten .
({12})
Als ich vor mehr als 30 Jahren, im Jahr 1987 - so lange ist das her -, zum ersten Mal in den Deutschen Bundestag gewählt wurde, da war es gerade einmal zwei Jahre her, dass der damalige Bundespräsident Richard von
Weizsäcker den 8 . Mai 1945 als Tag der Befreiung vom
menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft würdigte . In dieser Rede wies er
zugleich auf die historische Verantwortung der heute und
künftig in Deutschland Lebenden hin, damit nie wieder
geschieht, was niemals hätte geschehen dürfen .
Den heutigen Feinden der Demokratie, der Freiheit,
des Rechtes und des Gesetzes entschlossen und wirksam
und vor allem rechtzeitig entgegenzutreten, das sind wir
den Millionen Opfern des nationalsozialistischen Regimes und der Gewaltherrschaft schuldig . Das sind wir
aber auch uns und den künftigen Generationen schuldig .
({13})
Als Demokraten in einer demokratischen Gesellschaft
tragen wir heute die Verantwortung dafür, dass unsere
Demokratie blüht, dass sie sich fortentwickelt . Wir müssen sie gegen Angriffe verteidigen . Der Antisemitismus
ist eine Kampfansage an uns alle, an unsere Werte, an
unsere Demokratie und an unsere Freiheit . Es ist unsere Verantwortung, dafür zu sorgen, dass Deutschland ein
weltoffenes Land bleibt, in dem Menschen unterschiedlicher Herkunft sowie unterschiedlicher religiöser und
politischer Überzeugungen friedlich zusammenleben
können . Deshalb, liebe Experten, ist dieser Bericht auch
ein Handlungsauftrag für uns alle .
Vielen Dank .
({14})
Liebe Kollegin Bulmahn, das könnte Ihre letzte Rede
im Deutschen Bundestag gewesen sein, was auch deswegen besondere Erwähnung verdient, weil Sie am Ende
dieser Legislaturperiode stolze 30 Jahre diesem Haus
angehören . Das ist eine gute Gelegenheit, Ihnen für die
vielfältige und vielseitige Arbeit zu danken, die Sie in
ganz unterschiedlichen Funktionen über einen so langen
Zeitraum wahrgenommen haben: in der Fraktion, im Parlament, als Vorsitzende und stellvertretende Vorsitzende
von Fachausschüssen, als Ministerin in der Bundesregierung und zuletzt im Präsidium des Deutschen Bundestages .
Ich möchte mich im Namen des Hauses, aber auch persönlich herzlich für die gute Zusammenarbeit bedanken
und Ihnen alles Gute für die nächsten Jahre wünschen .
({0})
Volker Beck ist der nächste Redner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Der Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden“, sagt Theodor
Adorno . Dieses Gerücht ist weiter verbreitet, als viele
wahrhaben wollen . Julius Schoeps schreibt: „Der Antisemitismus ist integraler Bestandteil der deutschen Kultur .“
Weiter sagt er: „Das Problem ist, dass in bestimmten Situationen antijüdische Bildvorstellungen aufbrechen und
manifest werden .“
Das christliche Abendland hat seine antijüdischen
Wurzeln in der christlichen Überwindungstheologie, die
letztlich auf den Schultern des Apostels Paulus steht . Die
Judensau an den mittelalterlichen Kirchen, so am Kölner
Dom, die blinde Synagoge mit zerbrochenem Speer neben der Ecclesia triumphans am Straßburger Münster das Mittelalter ist voller kunsthistorischer Dokumente
der Judenfeindschaft und der Substitutionstheologie,
eine Abwertung des jüdischen Glaubens und Volkes .
Und: Die deutsche Geistes- und Kulturgeschichte kennt viele antisemitische Größen: Luther, Kant,
Wagner, Heidegger bis hin zum Hof- und Domprediger
Adolf Stoecker am Berliner Dom und am Hofe des Kaisers . Deshalb hat Schoeps recht, und wir beginnen am
besten damit, uns einzugestehen: Antisemitismus gehört
zu unserem kulturellen Gepäck . - Wir werden den Dämon nur bändigen, wenn wir mit Reflexion, Aufklärung
und Kritik aktiv gegen antisemitisches Denken, Reden
und Handeln vorgehen .
({0})
Alle Bundestagsparteien haben dieses Problem mehr
oder minder erkannt . Allein die AfD hat sich auf Anfragen der Expertenkommission nicht zurückgemeldet, und
das bei einer Partei, die wie 1933 das Schächtverbot wiedereinführen will, einen Höcke in ihren Reihen hat, der
eine 180-Grad-Wende in der Erinnerungskultur fordert,
und einen Landtagsabgeordneten und Parteitagsdelegierten in ihren Reihen hat, der das auf Fälschungen beruhende antisemitische Pamphlet der Protokolle der Weisen
von Zion für ein historisches Dokument hält .
Meine Damen und Herren, nun zum Bericht . Der klassische Antisemitismus stagniert zwar in den letzten Jahren - das ist erst einmal ein beruhigender Befund -, doch
der sekundäre und antiisraelische Antisemitismus ist auf
erschreckend hohem Niveau . 26 Prozent der Menschen
in unserem Land stimmen der Aussage zu: „Viele Juden
versuchen, aus der Vergangenheit des Dritten Reiches
heute ihren Vorteil zu ziehen .“ „Bei der Politik, die Israel
macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat“, sagen 40 Prozent . Insofern sind die Mehrheiten
gegen den Antisemitismus nicht ganz so breit, wie es gerade in der Debatte geklungen hat .
Von dem französischen Historiker Léon Poliakov
stammt der Satz: „Israel ist der Jude unter den Staaten .“
Über das Existenzrecht keines anderen Staates debattiert
man auf dieser Welt, nur beim jüdischen und demokratischen Staat findet man das diskutierbar. Antizionismus
ist der Antisemitismus 2 .0 . Er ist der Brandbeschleuniger der Judenfeindschaft . Er gilt bei Teilen der Linken
wie der Rechten wie in der Mitte der Gesellschaft als
respektable politische Ideologie . Deshalb ist es wichtig,
dass die Working Definition der International Holocaust
Remembrance Alliance benennt - ich zitiere -: Das Absprechen des Rechts auf Selbstbestimmung des jüdischen
Volkes und das Anwenden von Doppelstandards sind als
Antisemitismus zu konstatieren .
Ich will gestehen: Kürzlich sprach ich mit jemandem,
den ich sehr schätze, der diese Sätze las und sagte: Wenn
man das ernst nimmt, dann kritisieren wir auch die EU als
antisemitisch . Das geht ja nicht . Das geht zu weit . - So
sehr haben wir uns daran gewöhnt, Israel anders zu beurteilen und andere Maßstäbe an Israel anzulegen als an
andere Staaten . Ich glaube, wir brauchen da eine vertiefte
Diskussion, um mehr Sensibilität an den Tag zu legen .
({1})
Der Bericht hat drei wertvolle neue Bearbeitungsfelder, für die ich den Expertinnen und Experten auf der
Zuschauertribüne ausdrücklich danken will . Er exploriert
die jüdische Perspektive auf Antisemitismus . Die subjektive Wahrnehmung von Antisemitismus in unserer Gesellschaft durch Jüdinnen und Juden ist erschreckend . Ich
kann das als Minderheitsangehöriger ein wenig nachvollziehen . Wenn viele von uns einmal einen antisemitischen
Vorfall sehen, dann ist das eben nur einer . Für die Jüdin
oder den Juden ist es vielleicht schon der dritte am Tag
oder zumindest einer von mehreren in der Woche . Ein
blöder Satz, eine dumme Bemerkung, ein Vorurteil - gar
nicht böse gemeint -, aber es prägt die eigene Wahrnehmung der Umwelt .
Der andere wichtige Ansatz dieses Berichts - an dem
Ansatz müssen wir weiterarbeiten - exploriert das hohe
Maß des Antisemitismus bei Flüchtlingen und liefert eine
qualitative Studie bei Imamen . Er zeigt vor allem: Wir
müssen genau hinschauen . Wir sehen: Der Antisemitismus ist je nach Herkunftsland ganz unterschiedlich ausgeprägt, er ist, anders als die Publizistik glauben machen
will, oft gar nicht mit der Religion des Islam verbunden,
sondern eher mit der Politik der Herkunftsländer . Wir
brauchen hier mehr Forschung und Verständnis, damit
wir darauf mit Aufklärung reagieren können statt mit
Stigmatisierung und Ausgrenzung .
Wir haben es in der Hand, diese Fragen demokratisch
zu lösen, und wir haben auch die Verantwortung, dass
über den Nahostkonflikt auch mit den Menschen, die zu
uns gekommen sind, geredet werden muss, wenn wir
wollen, dass aus antisemitischen Haltungen nicht antisemitische Handlungen werden . Hier sind politische Bildung und klare Haltung von unserer Seite gefragt .
({2})
Meine Damen und Herren, wenn wir diese Problematik ernst nehmen, dann ist es entscheidend, dass wir die
fünf Forderungen, die die Antisemitismuskommission
dem Bundestag und der Bundesregierung vorschlägt, unverzüglich anpacken . Die fünf Hauptforderungen sind:
Berufung eines Antisemitismusbeauftragten und Verstetigung einer unabhängigen Kommission, die konsequente Erfassung antisemitischer Straftaten, die dauerhafte
Förderung von Antisemitismusprävention und die dauerhafte Forschungsförderung sowie die Schaffung einer
ständigen Bund-Länder-Kommission .
Ich halte dies für absolut dringlich, wenn man sich
das Umgehen der Bundesregierung, der Bundesländer
und des Bundestages mit dem ersten Bericht der Expertenkommission anschaut . Wir haben es als Fraktion am
Anfang und am Ende der Wahlperiode bei der Bundesregierung abgefragt . An manche zuständigen Stellen wurde der Bericht noch nicht einmal übersandt, geschweige
denn, dass die Bundesregierung irgendwie weiß, was
aus den Empfehlungen in den Ländern und in einzelnen
Bereichen geworden ist . Meine Damen und Herren, dies
kann nicht sein .
({3})
Deshalb brauchen wir jemanden, der sich zuständig fühlt .
Und das ist eben nicht der Fall . Ich war immer gegen einen weiteren Beauftragten - jetzt auch noch zum Thema
Antisemitismus . Aber wenn niemand die Arbeit macht,
brauchen wir das offensichtlich .
({4})
Das Europäische Parlament hat das mit Ihren Parteifreunden beantragt und alle Mitgliedstaaten aufgefordert,
hier dem Vorbild der EU-Kommission nachzufolgen und
Antisemitismusbeauftragte in den Nationalstaaten einzurichten . Auch Ihre Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus hat das gefordert . Ich meine, wir sollten hier unser
Herz über die Hürde werfen .
Meine Damen und Herren, zum Schluss: Wie schwer
sich unsere Gesellschaft damit tut, Antisemitismus zu benennen, zeigen die Auseinandersetzung um die ARD-Dokumentation Auserwählt und ausgegrenzt: Der Hass auf
Volker Beck ({5})
Juden in Europa und auch die etwas sonderbare Besetzungsliste bei Maischberger mit leichter Schlagseite .
Herr Kollege .
Vielleicht kann es ja helfen, wenn man sich seines kulturellen Gepäcks bewusst wird, statt antisemitische Haltungen und Gedanken zu leugnen und kleinzureden . Wir
dürfen bei der Bekämpfung des Antisemitismus nicht
noch einmal versagen . Das sind wir der Verantwortung
vor unserer Geschichte, das sind wir den Jüdinnen und
Juden in Deutschland und in der Welt und unserer eigenen demokratischen Identität schuldig .
({0})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Stephan
Mayer das Wort .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich darf zu Beginn auch
namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Mitgliedern des Unabhängigen Expertenkreises von ganzem
Herzen für die Erarbeitung und die Vorlage dieses äußerst interessanten, einblickgebenden und instruktiven
Berichts danken . Dieser Bericht ist eine umfassende und
detaillierte Bestandsaufnahme auf über 300 Seiten . Ich
darf für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zusagen, dass
dieser Bericht für uns über die heutige Debatte hinaus in
die nächste Legislaturperiode hinein ein wichtiger Ratund Hinweisgeber sein wird .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
denke, wir können mit Selbstbewusstsein feststellen,
dass Deutschland ein modernes, freies, weltoffenes und
plurales Land ist . Auch wenn ich der festen Überzeugung
bin, dass es falsch wäre, zu behaupten, dass in der Breite
der deutschen Gesellschaft Antisemitismus verbreitet ist,
müssen wir doch konstatieren, dass sich Antisemitismus
in allen gesellschaftlichen Schichten wiederfindet, insbesondere aber am rechtsextremen und, sehr verehrte Frau
Kollegin Pau, auch am linksextremen Rand . Die Bekämpfung und die Zurückdrängung des Antisemitismus
sind eine Daueraufgabe für unsere Gesellschaft . Ich bin
auch der festen Überzeugung, dass jeder von uns, egal
wo er Verantwortung trägt, es den rund 200 000 Mitbürgerinnen und Mitbürgern jüdischen Glaubens, aber auch
unserem Land insgesamt schuldig ist, an jeder Stelle gegen rassistische Ressentiments, gegen Vorurteile gegenüber Juden einzutreten .
({0})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der
Bericht, über den wir heute debattieren, zeigt positive
wie negative Aspekte auf . Ein durchaus erfreulicher Aspekt ist, dass der Antisemitismus in den letzten 15 Jahren
in Deutschland insgesamt rückläufig ist. Der sogenannte
klassische Antisemitismus findet sich im Jahr 2016 bei
6 Prozent der Bevölkerung; im Jahr 2002 war er noch bei
9 Prozent der deutschen Bevölkerung vorhanden .
Erfreulich ist auch, dass es durchaus rückläufige Tendenzen beim sogenannten sekundären Antisemitismus
gibt . Ich möchte aber doch ausdrücklich betonen, dass es
uns keinesfalls zufriedenstellen kann, dass nach wie vor
26 Prozent der deutschen Bürgerinnen und Bürger der
Aussage zustimmen, dass die Juden - ich zitiere - ihre
Position als Verfolgte ausnutzen würden .
Am stärksten ausgeprägt ist der sogenannte israelbezogene Antisemitismus . Bei 40 Prozent unserer Bevölkerung ist er vorhanden . Ich möchte ausdrücklich betonen,
meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dass es
natürlich legitim ist und auch legitim sein muss, Kritik
an der israelischen Regierung zu üben . Aber wenn diese
Kritik als Deckmantel fungiert, um einen antisemitischen
Bezug herzustellen, darf dies nicht akzeptiert werden und
ist dies nicht hinnehmbar .
({1})
Es ist durchaus erfreulich, dass wir einen Rückgang
des Antisemitismus in der älteren Bevölkerung feststellen . Es sollte uns aber mit Sorge erfüllen, dass der Antisemitismus in der jüngeren Bevölkerung nach wie vor
stagniert .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
komme zu antisemitischen Straf- und Gewalttaten . Deren Zahl ist nach wie vor - das möchte ich in aller Deutlichkeit betonen - viel zu hoch. Es gab nach offizieller
Statistik im Jahr 2016 1 468 antisemitische Straftaten .
Das ist zwar unter dem Durchschnitt der Straftaten seit
dem Jahr 2001, aber - das sollte uns mit Sorge erfüllen über dem Durchschnitt der antisemitischen Straftaten
seit 2010 . Es gibt zwar einen Rückgang bei den antisemitischen Gewalttaten - im vergangenen Jahr waren es
34, und nur in den Jahren 2001 und 2011 waren es in
Deutschland weniger -; wir dürfen uns aber, meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen, nicht blenden lassen . Im Durchschnitt vier antisemitische Straftaten am
Tag und im Durchschnitt drei antisemitische Gewalttaten im Monat sind deutlich zu viel . Ich sage das auch
vor dem Hintergrund, dass dies nur die offiziellen Zahlen
sind und zu befürchten ist, dass das Dunkelfeld weitaus
größer ist, weil nicht jede Straftat in diesem Bereich angezeigt wird .
Eine besondere Zuwendung muss aus meiner Sicht
der Antisemitismus unter Migranten erfahren . Um es
hier deutlich zu sagen: Wir sollten uns vor jedweder
Pauschalierung und Generalisierung hüten . Aber es ist
auch im Lichte dieses Berichts als besorgniserregend
festzustellen, dass überdurchschnittlich viele Migranten
mit arabischem Hintergrund und aus nordafrikanischen
Ländern zu Antisemitismus neigen . Wir dürfen es, meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, nicht zulassen,
dass antisemitische Stereotypen und Verschwörungstheorien massenhaft nach Deutschland importiert werden .
Hier muss die Prävention ansetzen . Ich sehe dies auch
Volker Beck ({2})
ausdrücklich als eine Aufgabe der Islamverbände und
der Muslimvereine . Aus meiner Sicht muss es ferner ein
zentraler Bestandteil der Integrationskurse für die nach
Deutschland kommenden Migranten sein, dem Thema
Kampf gegen den Antisemitismus einen großen Stellenwert beizumessen .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, besonders besorgniserregend empfinde ich im Lichte dieses
aktuellen Berichts die Gemütslage unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens . 83 Prozent der
Befragten befürchten, dass der Antisemitismus in den
nächsten Jahren etwas oder stark zunehmen wird . Über
die Hälfte unserer jüdischen Mitbürger hat die Sorge, in
den kommenden zwölf Monaten Opfer versteckter Andeutungen oder direkter verbaler Beleidigung zu werden .
Sage und schreibe 37 Prozent unserer jüdischen Mitbürger befürchten, Opfer eines körperlichen Angriffs zu werden . Wir müssen diese Sorgen sehr ernst nehmen . Dieses
Klima der Verunsicherung dürfen wir nicht hinnehmen .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der
Kampf gegen den Antisemitismus ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe aller Regierungen - des Bundes und
auch der Länder -, der Politik insgesamt, der Medien,
der Schulen, der Universitäten, anderer Berufsbildungsträger, aber natürlich auch der Vereine und der Parteien .
Ich nehme es sehr ernst, dass der Unabhängige Expertenkreis in seinem Bericht unter der Überschrift „Handlungsempfehlungen“ insbesondere an die AfD, aber auch
an die Linke adressiert, in ihren Kreisen antisemitische
Ressentiments zu bekämpfen und darauf hinzuwirken,
dass sich diese nicht weiter ausbreiten .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es
gibt viel zu tun . Ich möchte noch einmal ausdrücklich
betonen, dass der Bericht, den wir heute debattieren, sowohl Licht als auch Schatten aufweist . Ich bin der festen
Überzeugung, dass wir in unseren Anstrengungen, Antisemitismus in Deutschland deutlich zurückzudrängen,
nicht nachlassen dürfen . Dies wird auch in der nächsten
Legislaturperiode einen hohen Stellenwert in der CDU/
CSU-Fraktion haben .
Ich glaube, dass insbesondere den Themen Aufklärung und Wissensvermittlung in den Schulen, Vereinen
und Integrationskursen eine Schlüsselfunktion zukommt .
Wir sehen - das sage ich abschließend - in diesem Bericht durchaus Fortschritte und positive Entwicklungen,
die es aus meiner Sicht zu würdigen gilt, die aber auch
als Ansporn für einen weiteren Einsatz gegen nach wie
vor bestehenden Antisemitismus und drohende negative
Entwicklungen gelten müssen .
Ich danke herzlich für die Aufmerksamkeit .
({3})
Ich erteile das Wort nun der Kollegin Gabriele
Fograscher für die SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Gäste auf der Besuchertribüne! Es war richtig,
und es war notwendig, aber es war nicht selbstverständlich, dass wir in dieser Legislaturperiode einen zweiten
Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus eingesetzt
haben . Abgeordnete aller Fraktionen haben sich dafür
eingesetzt - im Übrigen auch dafür, dass diese Debatte
heute Nachmittag stattfindet.
Die Ergebnisse des ersten Berichts sollten aktualisiert,
die jüdische Perspektive einbezogen, Antisemitismus bei
Zuwanderern untersucht und die Entwicklungen im Internet und in sozialen Medien in den Blick genommen
werden . Nach zweijähriger Arbeit hat der Expertenkreis
fünf zentrale Forderungen formuliert, zu denen ich aus
Sicht der SPD jetzt Stellung nehmen will .
Ich komme zunächst zur konsequenten Erfassung
und Ahndung von Straftaten . Bisher gibt es keinen einheitlichen Kriterienkatalog zur Einordnung von antisemitischen Straftaten und Vorfällen . Deshalb schlägt der
Expertenkreis vor, die Definition der Internationalen
Allianz für Holocaust-Gedenken zu übernehmen . Einige
der Mitgliedstaaten der Europäischen Union nutzen diese
Arbeitsdefinition bereits heute - Deutschland bisher offiziell nicht. Die Annahme dieser Arbeitsdefinition würde
es erleichtern, Erkenntnisse bundesweit zu sammeln, die
Dunkelziffer aufzuhellen und gesetzgeberische Maßnahmen sowie Hilfs- und Beratungsangebote zielgerichteter
zu gestalten. Deshalb finden wir: Es ist Zeit, diese Arbeitsdefinition offiziell anzunehmen.
({0})
Weiterhin fordert der Expertenkreis die institutionelle Förderung von Präventionsprojekten . Auch dieses
Anliegen unterstützen wir . In dieser Legislaturperiode
ist es uns dank unserer ehemaligen Familienministerin
Manuela Schwesig gelungen, die Mittel für Projekte der
Zivilgesellschaft auf mehr als 100 Millionen Euro zu verdreifachen . Das Programm „Demokratie leben!“ fördert
in einer eigenständigen Säule Projekte und Initiativen
gegen Antisemitismus . Es läuft allerdings 2019 aus . Wir
brauchen aber eine Verstetigung der Demokratieförderung . Deshalb wollen wir als SPD-Bundestagsfraktion
ein Demokratiefördergesetz des Bundes, um die Strukturen der Präventionsarbeit langfristig und nachhaltig zu
sichern .
({1})
Morgen werden wir den Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der staatlichen Parteienfinanzierung
beschließen . Das bedeutet, dass Steuermittel in Höhe von
mehr als 1,4 Millionen Euro nicht mehr für antisemitische und rassistische Hetze zur Verfügung stehen . Diese
rund 1,4 Millionen Euro können wir zusätzlich in den
Kampf gegen Antisemitismus investieren .
({2})
Stephan Mayer ({3})
Ein Großteil der Präventionsarbeit fällt in die Zuständigkeit der Länder . Dazu gehört die Sensibilisierung von
Erzieherinnen und Erziehern sowie Lehrerinnen und
Lehrern . Auch bei Polizei und Justiz - ebenfalls in der
Zuständigkeit der Länder - braucht es mehr Aufklärung
und Schulungen, um antisemitische Straftaten erkennen
und entsprechend einordnen zu können . Deshalb unterstützen wir die Forderung des Expertenkreises nach der
Schaffung einer Bund-Länder-Kommission, in der ein
regelmäßiger Austausch über erfolgreiche Projekte und
eine bessere Koordinierung der Programme stattfinden
müssen .
Damit Projekte auch zielgerichtet ausgelegt werden
können, brauchen wir mehr Forschung . Damit meine
ich auch die Einbeziehung von Sichtweisen sowohl der
jüdischen als auch der nichtjüdischen Bevölkerung . Forschungsergebnisse, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, können auch dazu beitragen, Vorurteile zu
beseitigen . Ich begrüße es, dass die Bundesbildungsministerin gerade heute angekündigt hat, 35 Millionen Euro
in Forschungsprojekte gegen Extremismus zu investieren . Es wäre gut, wenn ein Teil der Mittel auch in die
Antisemitismusforschung fließen würde.
({4})
Nicht nur der Expertenkreis fordert die Berufung eines
Antisemitismusbeauftragten . Auch das Europäische Parlament hat in einer Entschließung am 1 . Juni dieses Jahres die Einsetzung eines Koordinators in den Mitgliedstaaten beschlossen . Wir müssen darüber diskutieren, wie
und wo man einen Beauftragten oder eine Beauftragte
installiert und welche Aufgaben er bzw . sie wahrnehmen
soll . Es wird dem Thema nicht gerecht, wenn der oder die
Beauftragte dem Bundestag einmal oder zweimal in der
Wahlperiode einen Bericht vorlegt, den dieser zur Kenntnis nimmt . Auf jeden Fall brauchen wir im Parlament
eine Arbeitsgruppe oder einen Unterausschuss, der sich
kontinuierlich mit diesem Thema befasst .
({5})
Hier gibt es allerdings sicherlich noch viel Gesprächsbedarf . Für mich und meine Fraktion steht fest, dass wir
eine Institution, am besten im Parlament, brauchen, die
das Thema Antisemitismus kontinuierlich bearbeitet .
Ich möchte allen Expertinnen und Experten für ihre
kompetente, ausführliche und wichtige Arbeit danken .
Hervorheben möchte ich, dass wir als Berichterstatterinnen und Berichterstatter der Fraktionen in regelmäßigen
Abständen zu Besuch bei den Sitzungen des Expertenkreises waren . Wir wurden über den Sachstand der Arbeit
umfassend informiert . Dafür meinen herzlichen Dank .
({6})
Die Grünen haben einen Antrag vorgelegt und verlangen, sofort darüber abzustimmen. Ich finde, das dient
dieser Sache nicht . Wir werden für eine Überweisung
plädieren . Das entspricht auch der Auffassung des Präsidenten des Zentralrats der Juden, der dies heute Morgen
so formuliert hat .
({7})
Wir wollen das Verfahren nicht mit der Kenntnisnahme
des Berichts abschließen, sondern ihn in die Ausschüsse
zur Befassung geben .
({8})
Alle Fraktionen haben sich heute - so verstehe ich die
Diskussion - darauf verständigt, den Bericht in der
nächsten Wahlperiode wieder aufzurufen und zu beraten,
um Maßnahmen zu beschließen, Antisemitismus effektiv zu bekämpfen . Deshalb werden wir die Überweisung
nachher mehrheitlich beschließen .
Ich danke für die Aufmerksamkeit .
({9})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Barbara Woltmann
für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich war letzte Woche in Israel, und ich war
auch in Yad Vashem . Ich habe mich geschämt, und zwar
darüber, dass unsere Vorfahren im Zweiten Weltkrieg,
unter dem Naziregime, versucht haben, die Juden in
Deutschland und in Europa auszurotten - Menschen wie
du und ich, Nachbarn, Freunde . Viele unserer Großväter
und Großmütter waren Täter oder Mitläufer . Nicht alle
Deutschen waren das, aber viele - viel zu viele .
Noch mehr schäme ich mich dafür, dass sich Antisemitismus in Deutschland nach über 70 Jahren immer
noch breitmacht, in alter oder in neuer Form, zum Beispiel durch die schon angesprochene judenbezogene
Israel-Kritik . All das zeigt der zweite Antisemitismusbericht in erschreckender Weise auf . Insofern ist es eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe aller, dem entschieden
entgegenzutreten . Dieser Verantwortung sind wir uns
bewusst, und wir haben in dieser Legislaturperiode die
Mittel für die Vielzahl vorhandener Förderprogramme
für Extremismusbekämpfung und Demokratieförderung
verdreifacht . An dieser Stelle möchte ich die Arbeit des
Bündnisses für Demokratie und Toleranz und auch die
Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung lobend
erwähnen .
Überrascht und auch erschreckt hat mich die Diskrepanz zwischen den unterschiedlichen Erfahrungswelten
in der Bevölkerung: Die meisten Nichtjuden sehen Judenhass als historisch überwunden an . Sie reagieren mit
Verharmlosungstendenzen und Einfühlungsverweigerung und sind sich dessen oft gar nicht bewusst . Für die
große Mehrheit unserer jüdischen Mitbürger und MitbürGabriele Fograscher
gerinnen ist Antisemitismus hingegen - meine Vorredner
haben es schon erwähnt - eine alltägliche Erfahrung . Das
betrifft nicht nur den Einzelnen, sondern immer auch seine gesamte Familie . Die Geschichte des gemobbten Friedenauer jüdischen Schülers, die wir alle aus den Medien
kennen, ist eben kein Einzelfall .
Ich habe in Oldenburg, meinem Wahlkreis, einen Religionsdialog mit verschiedenen Religionen vor Ort initiiert . Im letzten Dialog haben wir uns ausführlich über
das Thema Antisemitismus ausgetauscht . Ein Vertreter
der jüdischen Gemeinde hat die Aussage des Berichtes
bestätigt, dass sie tagtäglich Antisemitismus ausgesetzt
sind, seien es verbale Attacken oder auch mehr, meist
sehr subtil und unterhalb der Strafbarkeitsschwelle . Diese Entwicklung sehe ich mit wachsender Sorge; denn der
Antisemitismus reicht bis in die Mitte der Gesellschaft
hinein . Aber Judenhass und seine Auswüchse dürfen
kein Normalzustand, keine Alltagserfahrung sein - für
niemanden .
Der sogenannte klassische Antisemitismus scheint
zwar laut Bericht weniger zu werden, aber die Kritik
am Staat Israel dient in Verbindung mit Stereotypen zunehmend als Einfallstor, um „den Juden“ und „den Staat
Israel“ zu diffamieren und zu bekämpfen, wie es schon
die Demonstrationen 2014 in Deutschland anlässlich der
zweiten Intifada gezeigt haben, wo sich offener Judenhass auf deutschen Straßen Bahn brach . So etwas darf
nicht aufgrund irgendwelcher Deeskalationsstrategien
der Polizei toleriert werden, sondern muss sofort unterbunden und geahndet werden .
({0})
Eine der fünf zentralen Forderungen des zweiten
Berichts ist die Übernahme der Working Definition für
Antisemitismus . Auch das Europäische Parlament - es
ist erwähnt worden - hat Anfang des Monats einen Entschließungsantrag zur Bekämpfung von Antisemitismus
angenommen, in dem die Mitgliedstaaten aufgefordert
werden, diese Working Definition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken anzunehmen und umzusetzen . Diese Forderung unterstütze ich . Ich denke, dass
sie schnell umgesetzt werden könnte, ohne das Ende der
Gesamtdiskussion über den kompletten Bericht im Parlament abwarten zu müssen; denn die in der Justiz und
im Sicherheitsapparat angewendete Fassung soll, wie ich
aus dem Justizministerium erfahren habe, mit der geforderten Fassung mehr oder weniger identisch sein .
Auch die Forderung nach einer verbesserten Erfassung antisemitischer Straftaten finde ich persönlich richtig. Aber dafür brauchen wir eine Definition, mit der diese Taten entsprechend erfasst werden können .
Die Bund-Länder-Kommission ist angesprochen worden . Für mich wäre es kein Problem, wenn die Länder
mitmachten; denn die Länder spielen auch eine ganz
wichtige Rolle .
Die Berufung eines Antisemitismusbeauftragten ist die
Hauptforderung der fünf Kernforderungen der Experten
neben den vielen Handlungsempfehlungen . Auch durch
den Entschließungsantrag des Europäischen Parlaments
sind wir aufgefordert, einen nationalen Koordinator zur
Bekämpfung von Antisemitismus zu ernennen . Nun gilt
es, über das Ob, das Wie und das Wann zu diskutieren . Es
wurde von meinen Vorrednern angesprochen: Das kann
man nicht einfach mal eben machen, sondern man muss
diskutieren und sich genau überlegen: Was wollen wir,
und wie wollen wir das umsetzen, um die beste Lösung
zu finden?
({1})
Aufgrund der auslaufenden Wahlperiode ist dies jetzt
leider nicht mehr abschließend möglich . Da der Bericht
aber nicht der Diskontinuität anheimfällt, werden wir
dieses Thema in der neuen Wahlperiode unverzüglich
angehen . Die Union wird darauf drängen, das parlamentarische Verfahren in der neuen Wahlperiode schnell wieder aufzunehmen und weiterzuführen .
Die Experten haben uns eine Vielzahl an Empfehlungen, fachlichen Impulsen und Anregungen gegeben, wie
eine gesamtgesellschaftliche und politische Debatte auf
allen Ebenen geführt werden kann . Wir müssen sie führen, aber auch in den Ländern und Kommunen . Wichtig
ist mir, dass die Umsetzung der Handlungsempfehlungen
und die Forderungen diskutiert werden, um die beste Lösung zu finden.
Der erste Expertenbericht ist nicht ohne Folgen und
ohne Ergebnisse geblieben . Ich denke, man muss beide
Berichte zusammen betrachten . In der Gesamtheit sind
sie eine gute Grundlage für die Fortsetzung der Bekämpfung von Antisemitismus . Das ist uns allen im Parlament
wichtig . Daran werden wir alle gemeinsam arbeiten .
An dieser Stelle möchte ich mich im Namen der Union bei den Experten ganz herzlich bedanken . Ich möchte stellvertretend Frau Dr . Juliane Wetzel vom Zentrum
für Antisemitismusforschung und Herrn Patrick Siegele,
dem Direktor des Anne-Frank-Zentrums, danken; denn
sie beide haben die Arbeit koordiniert . Das war nicht immer ganz einfach, aber sie haben ein sehr gutes Ergebnis
innerhalb der vorgegebenen Zeit vorgelegt . Dafür meinen herzlichen Dank .
Vielen Dank .
({2})
Marian Wendt ist der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Antisemitismus ist ein kryptischer Begriff, der
in seiner Abstraktheit darüber hinwegtäuscht, was ihm
innewohnt, nämlich Hass gegen Juden . Er ist ein Begriff,
der in seiner Abstraktheit gut erfasst, was dem Antisemitismus eigen ist: Er ist oft subtil, aber oft auch eckig und
brachial; ein Begriff, der die Gefahr dessen erahnen lässt,
was in ihm steckt, nämlich Hass, Gewalt und Mord .
Der Unabhängige Expertenkreis Antisemitismus, über
dessen Abschlussbericht wir heute in dieser Legislatur
erstmalig debattieren, hat seine Arbeit 2009 aufgenommen. Ich finde, das ist eine sehr wichtige Arbeit. Das
möchte ich ganz deutlich betonen, und ich möchte den
Mitgliedern des Expertenkreises ganz herzlich für ihre
Arbeit danken .
Es bestehen offensichtlich Probleme bei der öffentlichen Beschäftigung mit dem latenten Antisemitismus in
unserer Gesellschaft . Der öffentliche Umgang mit Antisemitismus ist nicht zufriedenstellend . Es wird möglichst
viel geschwiegen; denn wo aufgeklärt wird, da gibt es
schnell mal einen schlechten Ruf . Das ist vielleicht einer
der Gründe dafür, dass der Antisemitismus, der in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen anzutreffen ist,
so lange ignoriert wurde . Daher bin ich froh, dass es jetzt
eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema hier
im Plenum des Deutschen Bundestages gibt . Damit machen wir über die Parteigrenzen hinweg klar, dass es mit
uns keinen Antisemitismus geben wird und dass wir uns
deutlich gegen jede Form von Antisemitismus aussprechen .
Angriffe auf Juden sind in Deutschland leider keine
Seltenheit . Ein aktueller Fall aus diesem Frühjahr ist mir
besonders in Erinnerung geblieben, nämlich der Fall des
Schöneberger Schülers, der sich Sätze anhören musste,
wie: Du bist ja eigentlich ein cooler Typ, aber ich kann
nicht mit dir befreundet sein; denn Juden sind alle Mörder . - Es geht mir unter die Haut . Solche Sachen sagen
Kinder zu Kindern . Das ist erschreckend . Dass die betreffende Berliner Schule auch schon vorher zum Netzwerk
„Schule ohne Rassismus“ gehörte, zeigt meiner Meinung
nach - und da müssen wir uns ehrlich machen -, wie problematisch solche dauergeförderten Wohlfühlaktionen
gegen Rassismus sind: Ein netter Name, alle fühlen sich
toll, sind froh, etwas Gutes getan zu haben, aber am Ende
hilft es, wie in diesem konkreten Fall, leider doch nichts .
In diesem Zusammenhang sage ich: Ich freue mich
über die ausführlichen Handlungsempfehlungen des
Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus . Auf
wissenschaftlicher Basis schlägt der Expertenkreis eine
Menge meiner Meinung nach sehr wichtiger und guter
Maßnahmen vor, die jetzt geprüft und dann zügig umgesetzt werden . Das gilt zum Beispiel für die genauere Analyse der Fälle von Antisemitismus und ihre Einordnung
durch besser geschulte Polizisten . Das gilt auch für den
Vorschlag, die deutsch-israelische Schulbuchkommission bei unseren Maßnahmen besser einzubeziehen; denn
Bildung ist ein Kernstück der Prävention .
Der Fall des Schöneberger Schülers zeigt einen weiteren wichtigen Punkt auf, den wir nicht übersehen dürfen .
Neben den klassischen Trägern antisemitischer Ideologie, den Rechtsextremisten, gibt es eine zweite, derzeit
stark anwachsende Gruppe von Menschen mit antisemitischem Gedankengut - auch dies wird in dem Bericht
klar angesprochen -: Unter den vordringlich aus muslimischen Staaten nach Deutschland kommenden Flüchtlingen sind leider viele, die oft schon von Kindheit an
antisemitisch sozialisiert wurden . Ihr Antisemitismus, ihr
Hass auf Israel, war und ist Staatsdoktrin in fast allen
Golfstaaten, fast im ganzen Nahen und Mittleren Osten .
In dem Bericht wird richtigerweise eine genaue Untersuchung dieses Phänomens gefordert . Hier herrscht ein
großer Erkenntnisbedarf . Deutschland kann es nicht einfach hinnehmen, dass es Bevölkerungsschichten gibt, die
Antisemitismus für hoffähig halten . Für den, der zu uns
kommt, gelten unsere Regeln . Dazu gehört auch, dass
hier alle Menschen gleiche Rechte genießen, insbesondere auch das Recht auf Religionsfreiheit . Zustände wie
in Frankreich, wo nach einem Artikel in der Welt innerhalb der vergangenen zehn Jahre 40 000 Juden das Land
verlassen haben, sind erschreckend . Ich zitiere:
Viele Juden spüren seit einiger Zeit, dass sie in
Frankreich nicht offen als Juden leben können .
Das sagt ein Sprecher der Jewish Agency . Wenn wir, Sie
und ich, nicht höllisch aufpassen, dann bekommen wir
solche Zustände auch in Deutschland .
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, immer wieder kommt Antisemitismus übertüncht als Kritik an Israel daher . Machen wir uns nichts vor: Auch ein als Kritik
an der Politik Israels getarnter Antisemitismus ist immer
noch schlichter Antisemitismus . Aufrufe zum Boykott
von Produkten aus Israel sind nichts anderes als neue
„Kauft nicht bei Juden“-Schmierereien, nur in neuem
Gewand .
({0})
Antisemitismus bedroht meiner Ansicht nach unsere
Gesellschaft . Das muss man klar aussprechen . Ich freue
mich, dass es einen offener werdenden Umgang mit Antisemitismus gibt; denn die unterschwellige Verbreitung
dieses Phänomens hat leider Nischen gefunden, wie der
Bericht zeigt . Deswegen ist es richtig und wichtig, dass
wir weiterhin wachsam sind, den Bericht intensiv beraten und uns in der nächsten Wahlperiode wieder mit einem entsprechenden Expertengremium hinsetzen und die
Lage analysieren, die dann hoffentlich besser ist .
Vielen Dank .
({1})
Zu einer Klarstellung nach § 30 unserer Geschäftsordnung erhält nun die Kollegin Haßelmann das Wort .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Frau Fograscher, ich
hätte das gar nicht mehr angesprochen, wenn Sie das Fass
nicht aufgemacht hätten, weil ich diese Diskussion sehr
wichtig und richtig fand und hier im Parlament eine große Übereinstimmung sichtbar wurde, was der Sache sehr
angemessen ist . Ich muss Ihnen aber Folgendes sagen:
Warum verweisen Sie in der Form auf unseren Antrag?
Sie waren bis heute Vormittag noch nicht einmal bereit,
diesen Bericht an die Ausschüsse zu überweisen . Gestern
haben mir die beiden Koalitionsfraktionen noch gesagt,
der Bericht solle zur Kenntnis genommen werden, und
das soll es dann gewesen sein, also nur Unterrichtung .
Wir hatten eine Überweisung an die Ausschüsse geplant,
weil sich aus diesem Bericht sehr viel ergibt . Dass Sie
jetzt auf unseren entsprechenden Antrag rekurrieren,
kann ich, ehrlich gesagt, überhaupt nicht verstehen . Ich
habe heute um 11 Uhr von den Koalitionsfraktionen eine
Mail bekommen, in der steht, dass Sie jetzt bereit sind,
den ganzen Bericht und den Antrag an die Ausschüsse zu
überweisen . Hören Sie also bitte damit auf .
({0})
Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
der Drucksache 18/11970 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall . Dann ist
diese Überweisung einmütig so beschlossen .
Beim Zusatzpunkt 1 geht es um den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/12784
mit dem Titel „Antisemitismus entschlossen bekämpfen“ . Hierzu wünscht die antragstellende Fraktion Abstimmung in der Sache . Die Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD wünschen Überweisung, und zwar an
dieselben Ausschüsse wie soeben beim Bericht auf der
Drucksache 18/11970 .
Nach unserer ständigen Übung stimmen wir zunächst
über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Wer
diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das
Handzeichen . - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? Damit ist die beantragte Überweisung mit Mehrheit so
beschlossen .
Ich rufe jetzt unseren Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Kindern das Schwimmenlernen ermöglichen - Auswirkungen von Privatisierungen
und Schwimmbadschließungen
Das Kommando für das Abwickeln dieser Aktuellen
Stunde wird die Kollegin Pau jetzt übernehmen . Ich
wünsche uns viel Erfolg bei den Beratungen dieses bedeutenden Punktes .
({0})
Ich bitte, die notwendigen Umgruppierungen und Gespräche zügig zu veranlassen bzw . zu beenden .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Jan Korte für die Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Einige fragen sich vielleicht: Warum muss der Bundestag über das Schwimmenlernen von Kindern diskutieren? Die Frage, ob die CDU sich dies fragt, ist von mir
natürlich rhetorisch gemeint . Es zeigt das ganze Elend
Ihrer Politik, dass Sie mit dem Alltag der Leute gar nichts
mehr zu tun haben .
({0})
Deswegen haben wir das Thema hier aufgesetzt .
Es gibt einige Punkte, die ich hier einfach einmal vortragen möchte, weil Sie diese offenbar nicht für wichtig erachten: 2016 sind 537 Menschen in Deutschland
ertrunken . Es gibt eine Untersuchung von der DLRG,
die erstens aufzeigt, dass fast 60 Prozent der Zehnjährigen Nichtschwimmer sind . Das sind Schüler, die in der
vierten Klasse sind . Zweitens . Heute 60-Jährige haben in
einer Befragung angegeben, dass sie zu fast 60 Prozent
das Schwimmen in der Schule gelernt haben . Heute sind
dies nur noch 36 Prozent . Und drittens haben 25 Prozent
der Grundschulen - dort sollte das Schwimmen gelernt
werden - gar keinen Zugang mehr zu einem Schwimmbad. All das ist Ergebnis einer falschen Politik. Ich finde,
deswegen gehört dieses Thema in den Bundestag, liebe
Kolleginnen und Kollegen .
({1})
Das zeigt drei Dinge: Erstens . Auch die Frage, ob man
schwimmen lernen kann oder nicht, ist eine soziale Frage . Es gab eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke
in der Hamburger Bürgerschaft, und in der Antwort kam,
was die Schwimmfähigkeit angeht, Folgendes heraus: In
den Schulen, in denen vor allem Kinder aus einkommensschwachen und armen Familien sind, können 80 Prozent
der Kinder fast gar nicht schwimmen, und 42 Prozent
können überhaupt nicht schwimmen . In derselben Stadt,
in den edlen Stadtteilen, in denen die Reichen wohnen,
in denen die wohnen, denen es gut geht, die auf der Sonnenseite sind, ist es fast genau umgekehrt . In den Schulen in den besten Stadtteilen können lediglich 18 Prozent
der Schüler nicht gut schwimmen, und nur 3 Prozent der
Schüler können überhaupt nicht schwimmen .
Daher sage ich: Das ist doch wohl ein Thema für den
Bundestag; denn es kann doch nicht sein, dass im Notfall
nur diejenigen schwimmen können, die aus sozial gesicherten Verhältnissen kommen . Das sind doch kaputte
Zustände, und darüber muss der Bundestag doch einmal
diskutieren, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({2})
Ein zweiter Punkt, der die Wichtigkeit dieses Themas
exemplarisch jenseits von Statistiken und vielem anderen verdeutlicht: Seit 1990 wurden in der Bundesrepublik
1 600 Schwimmbäder geschlossen . Allein 2016 waren es
100 Bäder . Das hat natürlich etwas mit Politik zu tun .
Das ist Staatsversagen auf höchstem Niveau und hat seine Ursache in der katastrophalen finanziellen Lage vieler
Kommunen . Um auch das zu sagen: Das ist der Wahn der
Privatisierung, den die Menschen jeden Tag konkret erleben können . Das sind die Folgen des Verscherbelns von
öffentlichem Eigentum, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({3})
Zum Dritten will ich deutlich sagen: Nach unserer
Auffassung gehören Schwimmbäder wie Bibliotheken
und Museen zur öffentlichen Daseinsvorsorge . Jedes
Kindes muss sie besuchen können, egal wie viel Schotter
die Eltern haben . Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber das gibt es nicht mehr .
({4})
Ich sage - deswegen gehört dieses Thema in den Bundestag -: Wir brauchen, analog zu den 60er-Jahren, einen
sogenannten Goldenen Plan, der möglich macht, dass es
in jeder Kommune ein öffentliches Schwimmbad gibt, in
dem die Kinder schwimmen lernen können und in dem
diejenigen ihren Urlaub verbringen können, die es sich
nicht leisten können, an die Strände des Mittelmeeres
oder sonst wohin zu fahren .
({5})
Es ist ja wohl das Mindeste, dass man sich mit diesem
Thema beschäftigt .
Ich will ganz grundsätzlich sagen, was man an diesem Thema wunderbar zeigen kann: Immer wenn sich
der Staat zurückzieht - die Menschen erleben den Staat
logischerweise in der Kommune; wo denn sonst? -, sind
diejenigen fein raus, denen es gut geht und die ordentlich Kohle haben . Wer einen Privatlehrer hat, kann Unterrichtsausfall natürlich wunderbar kompensieren . Wer
viel Geld hat und viele Bücher kaufen kann, der braucht
natürlich auch keine öffentliche Bibliothek .
({6})
Wer sich mit seiner Familie einen Safariurlaub im Kruger-Nationalpark leisten kann, der braucht natürlich keine Zoos und keine Tierparks .
({7})
Wer ein ganz schickes Haus am See mit eigenem Steg
hat,
({8})
der braucht natürlich, Herr Steffel, kein öffentliches
Schwimmbad . Dass Sie das nicht sehen und darüber
lachen, zeigt wirklich den katastrophalen Zustand Ihrer
Truppenteile, um das klar zu sagen .
({9})
Ich finde, es ist an der Zeit, dass wir mit dieser Politik
umkehren . Es ist Zeit, endlich etwas für die vielen zu tun
und nicht nur für die wenigen, für die Sie hier sitzen .
Was tun? Wir brauchen Investitionsprogramme; da ist
der Bund gefragt . Man kann eine Vermögensteuer wieder einführen . Die Einnahmen kämen den Ländern und
Kommunen zugute . Dazu muss man nur mutig sein und
es wollen .
({10})
Ich will noch sagen: Manchmal kann Politik sehr einfach und klar sein; dann liegen die Entscheidungen klar
auf der Hand. Ich finde, wir brauchen nicht, wie Sie es
wollen und wie Sie es Ihrem Kumpel Trump unterschrieben haben,
({11})
60 Milliarden Euro für Aufrüstung . Wir brauchen diese
Kohle für eine vernünftige Infrastruktur, für Schwimmbäder, Museen und Straßen . Dafür brauchen wir das
Geld, aber nicht für schwachsinnige Rüstung, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({12})
Man kann das wie folgt zusammenfassen: Was wir
nicht brauchen, sind irgendwelche modernisierten Fregatten, die in Krisengebieten herumschwimmen . Was
wir brauchen, sind Kinder, die schwimmen können, die
Freude am Schwimmen haben und nicht aufgrund ihrer
sozialen Herkunft ertrinken . Das ist doch etwas, das sehr
konkret ist und das man entscheiden kann .
({13})
Zum Schluss . Ich will mich ganz besonders bei den
vielen Lebensrettern, die das übrigens alle ehrenamtlich
machen, bedanken, namentlich bei der DLRG und bei
der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger .
Wir als Politik müssen ein gemeinsames Interesse daran
haben, dass diese Organisationen weniger zu tun haben .
Das ist doch wohl elementar . Insbesondere Ihnen, die Sie
so viel von Sicherheit schwatzen, sage ich:
({14})
Hier geht es wirklich konkret um Sicherheit . Es geht
nämlich darum, dass Kinder nicht ertrinken . Das hat etwas mit wirklicher Sicherheit zu tun .
Herr Kollege?
Dazu könnte man jetzt noch sehr viel sagen .
Ich ahnte es .
({0})
Es macht einen wirklich fassungslos, dass Sie vom
wirklichen Leben leider nichts mitbekommen und bei einem solchen Thema Ihre Späße machen .
({0})
Ich finde, es ist das Mindeste, dass der Staat für eine Infrastruktur sorgt, die gewährleistet, dass Kinder schwimmen lernen können, wie es früher selbstverständlich war .
({1})
Herr Kollege Korte, bitte kommen Sie zum Schluss .
Das ist aber nicht mehr selbstverständlich, und das ist
das Resultat Ihrer Politik .
({0})
Dafür sind Sie konkret mitverantwortlich, und zwar
durch Merkels und Schäubles Rotstiftpolitik . So sieht es
aus .
({1})
Das Wort hat die Kollegin Barbara Woltmann für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Korte
({0})
- ja -, um es einmal ganz klar zu sagen: Ihr Auftritt eben
wird diesem Thema gar nicht gerecht .
({1})
Zu sagen, uns sei nicht wichtig, dass jedes Kind schwimmen lernt, ist abstrus .
({2})
Mit den ganzen Thesen, die Sie hier vorgetragen haben,
werden Sie diesem Thema absolut nicht gerecht, ganz
im Gegenteil. Ich finde, die DLRG hat eine gute Studie
durchgeführt,
({3})
und natürlich ist dieses Thema wichtig . Dass es in den
Bundestag gehört, wage ich aber zu bezweifeln .
({4})
Das ist zuerst ein Thema der Kommunen, deshalb müssen wir uns darüber unterhalten, wie die Kommunen
ausgestattet sind . Daneben müssen wir uns auch über die
Bundesländer unterhalten und uns fragen, ob die Bundesländer ihre Kommunen auch ausreichend mit Finanzmitteln ausstatten .
({5})
Wir können ruhig einmal die Bundesländer miteinander
vergleichen . Dann werden wir sehen, wer am meisten für
die Kommunen tut .
({6})
Ich glaube, einige Bundesländer kommen dabei nicht so
gut weg . Das können wir ruhig noch einmal vertiefen .
Ich glaube, es hat bisher kaum eine Bundesregierung
gegeben - ich komme gleich noch einmal darauf zurück -, die so viele Milliarden an die Kommunen weitergegeben hat wie die jetzige . Die Länder geben aber
leider nicht alles weiter; das müssen wir auch einmal
dazusagen .
({7})
Um das hier wirklich einmal ausdrücklich zu sagen:
Das Thema ist außerordentlich wichtig und muss auch
diskutiert werden . Ob hier heute nach der Debatte über
den Antisemitismusbericht der richtige Ort und die richtige Zeit ist, wage ich aber doch einmal zu bezweifeln .
({8})
Ich komme jetzt zu den Einzelheiten . „Schwimmunterricht geht baden“: So lautet heute eine Überschrift in
meiner Tageszeitung zu Hause . In dem Artikel wird über
eine Grundschule in einer Gemeinde in meinem Wahlkreis berichtet . Dort gibt es kein Hallenbad, sondern nur
ein Freibad, und auch die Nachbargemeinden können
nicht genügend Schwimmzeiten zur Verfügung stellen .
In dem Artikel heißt es, dass im Sommer nicht immer
in dem Freibad geschwommen werden kann . Es sei zu
kalt für die Kinder, weil die Außentemperatur nicht reichen würde . Man muss sich also auch noch einmal Gedanken darüber machen, ob ein Grund für die aktuelle
Situation die Tatsache ist, dass bei uns nicht immer eine
Außentemperatur von 25 Grad herrscht . Das muss man
hier also auch noch einmal debattieren .
Die Zahlen aus dem Bericht der DLRG - er liegt auch
bei mir auf dem Platz, und ich habe ihn mir angeschaut sind von Herrn Korte richtig wiedergegeben worden . Sie
sind erschreckend . Es gab im letzten Jahr 537 Todesfälle
durch Ertrinken . Das ist der höchste Wert seit zehn Jahren . Deswegen ist es auch so wichtig, dass alle schwimmen lernen . Am besten fängt man damit natürlich im
Kindesalter an, und es ist außerordentlich wichtig, dass
für Schwimmunterricht, insbesondere an Grundschulen
gesorgt ist .
Vor kurzem ist ein 15-jähriges Mädchen ertrunken,
weil es gemeinsam mit Freundinnen ins Wasser gesprungen ist . Es hatte sich nicht getraut, zu sagen, dass es nicht
schwimmen kann . Das gilt also als Makel, und auch das
darf nicht sein . Die Scham, zuzugeben, Nichtschwimmer
zu sein, ist sehr groß .
Über 10 Prozent der Deutschen stufen sich selber als
schlechte Schwimmer sein . Hier muss also noch sehr viel
mehr getan werden .
Ich will auch noch einmal zu der kommunalen Ebene kommen; denn viele Gemeinden haben durchaus ein
großes strukturelles Problem und müssen natürlich mit
entsprechenden Finanzmitteln ausgestattet werden . Aber
wie gesagt: Das müssen in erster Linie die Länder machen .
Ich glaube, dass wir mit der in der letzten Sitzungswoche beschlossenen Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen sehr viel mehr für die Kommunen über
die Länder tun können . Wir haben zum Beispiel das Kooperationsverbot gelockert, sodass jetzt auch die Schulen - dazu gehören oft ja auch Schulschwimmbäder - saniert werden können .
Nicht alle Kommunen können das von sich aus leisten .
Die Situation ist in den einzelnen Regionen in Deutschland sehr unterschiedlich . Teilweise haben die Kommunen große Schwierigkeiten . Deshalb müssen wir dort
sehr viel mehr tun; das wurde bereits angesprochen . Es
stellt sich aber immer die Frage: Wer muss da etwas tun?
Diese Aufgabe gehört zu den freiwilligen Aufgaben
der Gemeinden . Das ist also eine freiwillige Leistung im
eigenen Wirkungskreis .
Den Kommunen wird oft gesagt, dass sie die freiwilligen Leistungen einschränken müssen . Das ist natürlich
schwierig, wenn es um solche Aufgaben geht . Ich halte es
für den falschen Weg, wenn Kommunen ihre Schwimmbäder schließen, weil sie sie nicht mehr finanzieren können . Ich denke, das Schwimmenlernen ist eine wichtige
Aufgabe - auch für die Volksgesundheit -, damit man in
Zukunft nicht mehr eine solch hohe Anzahl von Todesfällen zu beklagen hat .
Das alles ist sehr teuer . Ich habe in meiner Gemeinde nachgefragt . Die Betriebskosten für das Frei- und das
Hallenbad betragen rund eine halbe Million Euro im Jahr .
Das kann natürlich in keiner Weise durch Eintrittsgelder
aufgefangen werden . Der Gemeinderat muss immer bereit sein, die notwendigen Gelder zur Verfügung zu stellen . Darüber werden immer schwierige Debatten geführt .
Natürlich ist auch die Privatisierung keine Lösung . Wie
soll denn ein Privater, wenn schon die Kommunen ein
Schwimmbad nicht finanzieren können, das machen?
Es gibt eine Handvoll Bäder in Deutschland, die in den
schwarzen Zahlen sind . Das sind sehr wenige .
Da ist also sehr viel zu tun . Ich möchte an alle appellieren, die Bäder zu erhalten, damit vor allen Dingen die
Kinder das Schwimmen lernen können .
Frau Kollegin .
Ich komme zum Schluss . Ich werde jetzt den letzten
Satz oder die letzten zwei Sätze sagen .
({0})
Frau Präsidentin, ich möchte aber auch an die Eltern
appellieren: Es ist nicht nur die öffentliche Hand, die
handeln muss . Auch die Eltern sind gefordert, ihren Kindern das Schwimmen beizubringen, wenn die Schule das
vielleicht nicht ausreichend machen kann .
({1})
Das gilt für alle Menschen bei uns, auch für die mit
Migrationshintergrund . Es kann nicht angehen, dass
Mädchen, deren Familien aus anderen Kulturkreisen
kommen, nicht zum Schwimmunterricht gehen können .
Das darf nicht sein . Alle müssen schwimmen lernen:
auch die Menschen aus anderen Kulturkreisen und vor
allen Dingen die Mädchen .
({2})
Das Wort hat der Kollege Özcan Mutlu für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 91! Ich
beginne meine Rede mit der traurigen Zahl 91 . Im vergangenen Jahr sind nämlich in unserem reichen Land
91 Kinder und Jugendliche im Alter von 0 bis 20 Jahren
ertrunken. Ich finde, jedes einzelne Kind ist eines zu viel
gewesen .
Sie ertranken unter anderem auch deshalb, weil sie
nicht bzw . nicht gut genug schwimmen konnten . Das
sind 75 Prozent mehr als noch im Jahr zuvor und zweieinhalb Mal mehr als 2014 . Kollege Korte hat es gesagt:
2016 ertranken einschließlich dieser 91 Kinder und Jugendlichen insgesamt 537 Menschen in Deutschland .
Das ist seit zehn Jahren ein Höchststand. Ich finde, das
ist beschämend für unser Land . Da müssen wir sehr wohl
etwas tun .
({0})
Der Deutsche Schwimm-Verband und die Deutsche
Lebens-Rettungs-Gesellschaft sind sich einig: Immer
weniger Kinder in unserem Land lernen schwimmen .
Mindestens jeder zweite Grundschüler bzw . jede zweite Grundschülerin in Deutschland kann nicht richtig
schwimmen, so auch die Ergebnisse einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft . Das sind alarmierende Zahlen und alarmierende
Entwicklungen, die wir nicht länger hinnehmen dürfen .
Was sind die Gründe dafür? Immer mehr Schwimmbäder schließen, weil sich klamme Kommunen diese
nicht mehr leisten können . Immer mehr SchwimmunBarbara Woltmann
terricht in den Schulen fällt aus, weil es nicht genügend
Lehrkräfte gibt . Hinzu kommt: Die Hälfte der Bäder in
unserem Land ist inzwischen halb verfallen . Last, but not
least: Immer mehr Schwimmhallen werden privatisiert
und in Spaßbäder umgewandelt . Somit haben Schulen
sowie Schwimm- und Rettungsvereine immer größere
Schwierigkeiten, für den Schwimmunterricht überhaupt
Wasserzeiten zu bekommen .
In ländlichen Regionen führt das sogar zu noch größeren Problemen . Die nächste Schwimmhalle ist so weit
weg, dass die Sportstunde vorbei ist, wenn die Schülerinnen und Schüler dort ankommen . Die Folge davon: Jede
vierte Schule hat keinen Zugang zu einem Schwimmbad . Damit können etliche Schulen in unserem Land
ihrem gesetzlich vorgeschriebenen Auftrag, nämlich
Schwimm unterricht zu geben, nicht nachkommen . Der
Platz zum Schwimmenlernen verschwindet, während
die Eintrittspreise steigen und die Anfahrtswege immer
länger werden . Lehrerinnen und Lehrer, die das Glück
haben, doch eine Wasserzeit in einem nahe gelegenen
Schwimmbad zu ergattern, müssen zumindest in Grundschulen den Sportunterricht oft - leider zu oft - fachfremd halten .
Angesichts dieser Bilanz sollte sich so manche Partei
in diesem Haus sehr gut überlegen, ob und wo sie weiterhin Steuergeschenke verteilen will . Stecken Sie einen
Teil der Steuerüberschüsse lieber in die Schwimmbäder!
Unterstützen Sie die Kommunen, damit unsere Kinder im
Jahre 2017 nicht mehr ertrinken und niemand beschämt
wird, weil er oder sie nicht schwimmen kann!
Für uns Grüne ist klar: Wir brauchen mehr Lehrerinnen und Lehrer mit der Befähigung zur Erteilung von
Schwimmunterricht . Ja, und wir brauchen auch endlich
mehr Geld für Sportstätten, besonders für den Schulsport, aber auch für öffentliche Bäder .
({1})
Wir haben in der vergangenen Sitzungswoche eine
weitreichende Grundgesetzänderung vorgenommen und
greifen damit auch den Kommunen unter die Arme, indem wir ihnen auch für die Bildungsinfrastruktur Mittel
bereitstellen wollen . Auch hier sagen wir: Schwimmunterricht ist Teil der Bildung, und deshalb muss auch an
dieser Stelle in der Bildungsinfrastruktur mehr getan
werden . Das ist überfällig .
Wir haben heute parallel dazu auch im Sportausschuss diese Debatte geführt . 4,5 Milliarden Euro sind
nötig, um unsere Schulen in den Kommunen mit besseren Schwimmhallen für den Schwimmsport auszustatten .
Wir wollen bei dieser Gelegenheit auch etwas für die
Umwelt tun, indem wir die Schwimmhallen energetisch
sanieren .
Hier ist aber nicht nur der Bund zuständig, sondern
hier sind, wie bereits gesagt, auch die Länder und Kommunen in der Pflicht. Nur wenn diese Ebenen zusammenarbeiten, kann der Teufelskreis durchbrochen werden .
Der Gesundheitsminister - er ist heute nicht anwesend hat neulich in der Presse verkündet, dass verstärkte Anstrengungen für den Schwimmunterricht notwendig sind .
Dazu sage ich: Was nottut, Herr Gröhe, sind nicht Worte,
sondern Taten .
Deshalb richten wir noch einmal unseren Appell an
Sie alle, aber auch an die Bundesregierung, gemeinsam
mit den Ländern und Kommunen dieses Dilemma anzugehen, damit im reichen Deutschland niemand sterben
muss, weil er oder sie nicht schwimmen kann .
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .
({2})
Das Wort hat der Kollege Özdemir für die Fraktion
der SPD .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin der Fraktion Die Linke durchaus dankbar, dass
wir angesichts sommerlicher Temperaturen über das
Thema „Schwimmbäder und Schwimmenlernen“ debattieren . Diese Debatte und unsere darauffolgenden gemeinsamen Bemühungen können nämlich dazu führen,
dass wir in der nächsten Jahresbilanz der DLRG deutlich
weniger als die uns bekannten 537 ertrunkenen Menschen zu beklagen haben .
Der Gang zum städtischen Hallenbad, Freibad oder
zum Badesee ist schon lange nicht mehr die Regel, teilweise schlicht deshalb, weil die Einrichtungen wegen
Schließung oder Baufälligkeit nicht mehr zur Verfügung
stehen, aber auch weil der sichere Aufenthalt im Wasser weder gelehrt worden ist noch erlernt werden konnte .
Das mag viele Ursachen haben . Vielleicht liegt es daran,
dass die Familie den Schwimmkurs im Verein nicht aus
eigenen Mitteln schultern kann, sicherlich aber, weil ein
Viertel unserer Grundschulen in Deutschland eben keinen Zugang mehr zu einem Schwimmbad in der Nähe
hat .
Jetzt mag man lange über Zuständigkeiten - Bund,
Länder, Kommunen - oder über Verbotsschilder an Baggerseen diskutieren, Fakt ist: Wir können handeln, und
wir haben auch gehandelt .
Ich kann mich daran erinnern, dass in meiner Heimatstadt bis vor kurzem regelmäßig sogenannte Tränenlisten im Umlauf waren . Das ist eine bildliche Umschreibung für städtischen Luxus, den man nicht braucht . Hier
mache ich besser die Ironie vorher kenntlich . Fast alle
städtischen Badegesellschaften und Badeanstalten waren
nämlich Stammgäste auf dieser Liste . Erst als in meiner
Heimatstadt, im Landtag in Nordrhein-Westfalen und im
Bundestag die Sozialdemokratie Verantwortung übernahm, verschwanden diese Punkte von der Tränenliste in
Duisburg und in der Bundesrepublik .
({0})
Daher möchte ich Ihnen darlegen, warum ich meine, dass
wir den richtigen Weg gegangen sind, und Sie herzlich
einladen, diesen Weg auch fortzusetzen .
Der Begriff „kommunale Entlastungen“ ist in dieser
Wahlperiode zu oft gefallen . Das Wesen dieses Begriffes
müssen wir allerdings zu dauerhafter und planbarer finanzieller Unterstützung unserer Kommunen weiterentwickeln . Wir müssen den Kommunen den notwendigen
Spielraum eröffnen, damit sie sich um Bildung, Kultur
und Sport kümmern können . Mit schrittweisen Entlastungen bei Sozialausgaben haben wir dauerhafte Entlastungen von 5 Milliarden Euro bis und ab 2018 bereits
erreicht .
Wir haben ein Investitionsprogramm für die Kommunen aufgelegt, die durch Bundesgesetze fast in den Ruin
getrieben worden sind . Diese Kommunen konnten wegen
fehlender Eigenmittel nicht einmal mehr an Bundesförderprogrammen teilnehmen . Die Bauministerin hat es
mit der Städtebauförderung und der energetischen Sanierung besser gemacht; ich frage mich, wo der Kollege
Mutlu eigentlich gewesen sein mag .
Bäder werden nämlich auch aus diesen Mitteln auf
den Stand der Technik gebracht und so energetisch saniert, dass die Betriebskosten zukünftig gesenkt werden,
was den städtischen Haushalt entlastet . Das Schulsanierungsprogramm des Bundes nimmt im Übrigen den
Druck von den städtischen Haushalten, sodass auch Geld
für den Schulbus da ist, damit der unsere Kleinsten zum
Schwimmbad, ob nah, ob fern, fahren kann .
Aber neben den Kommunen stellen sich auch die Vereine aus dem Schwimmsport mit ihren Ehrenamtlichen
ihrer Verantwortung und betreiben mit nicht unerheblichen städtischen Betriebskostenzuschüssen diese Einrichtungen . Nur so wird neben dem Schwimmenlernen
auch der wichtige Bereich von gesundheitsfördernden
Kursen für unsere Seniorinnen und Senioren abgedeckt .
Diese Maßnahmen wirken .
Der Investitionsstau in den Städten und Gemeinden
sank in dem Jahr von 2016 auf 2017 um 10 Milliarden
Euro . Oder so formuliert, dass man es auch auf der Straße
versteht: Durch die Übernahme von Kosten durch den
Bund sollen die Kommunen das freiwerdende Geld unter
anderem in den schulischen Schwimmunterricht investieren . Sie sollen die Badelandschaft so ansprechend gestalten, dass die Freibadgrünfläche, der Eiswagen und die
Pommesbude die Jugendlichen von Seen abhalten, in denen Baden verboten ist . Sie sollen mit Vereinen spezielle
Angebote, Zeiten und Tarife für Familien und Senioren
machen .
Das Schwimmbad ist keine Liebhaberei, weil es Verluste einfährt und sich durch Einnahmeentgelte nicht
rechnet . Es ist aus meiner persönlichen Sicht eine kommunale Pflichtaufgabe, die wir steuerlich als Zuschussbetrieb über das Körperschaftsteuergesetz privilegieren,
um allen Bürgerinnen und Bürgern Schwimmerlebnisse
zu ermöglichen und, ja, Herr Kollege Korte, vielleicht
denjenigen am meisten, die es sich eben nicht leisten
können, in ein privates Spaßbad mit allen Schikanen zu
gehen .
Die SPD-Bundestagsfraktion steht für eine Bundespolitik, die in die Kommunen investiert und sie nicht zu
Sparschweinen der Länder oder des Bundes herabwürdigt . Letzteres ist eher das Modell schwarz-gelb, und damit ist nicht der BVB gemeint .
({1})
Ich bedanke mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit
und wünsche all denjenigen, die gerade die Sonne in einem Freibad genießen können, alles Gute . In diesem Sinne ein herzliches Glückauf!
({2})
Der Kollege Dr . Frank Steffel hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Alles, was die Menschen in Deutschland
beschäftigt, ist zu Recht ein Thema hier im Deutschen
Bundestag, aber nicht alles eignet sich für parteipolitische Profilierung.
({0})
Man muss auch nicht alles in den Parteienstreit stellen .
Ich habe den Eindruck, dass gerade wir im Sportausschuss uns bemüht haben, das Thema sehr sachlich zu
diskutieren . Ich habe Sie, Herr Korte, übrigens vermisst;
wir hatten eine Anhörung von einer Stunde zu diesem
Thema und haben in der Tat gemeinsam mit den Menschen, die sich zumeist ehrenamtlich mit dem Problem
beschäftigen, festgestellt, dass wir einen Rückgang der
Schwimmfähigkeit in Deutschland feststellen müssen .
Wir haben auch festgestellt, dass Schwimmen kein
normaler Sport ist . Man kann die Frage, ob ein Mensch
in jungen Jahren Schwimmen lernt oder nicht, nicht mit
der Frage vergleichen, ob er Fußball-, Volleyball- oder
Hockeyspielen lernt; denn die Auswirkungen, wenn er
das Schwimmen nicht erlernt, sind ungleich schwerwiegender und oft im wahrsten Sinne des Wortes lebensgefährlich .
Ich will mich jetzt einmal bemühen, diejenigen zu
Wort kommen zu lassen, die davon viel verstehen, weil
sie sich täglich damit beschäftigen . Die DLRG hat uns
eine Studie zum Stand der Schwimmfähigkeit von Kindern und Jugendlichen übergeben . Schauen wir uns ganz
kurz die Zahlen an: Es ist in der Tat beängstigend, dass
41 Prozent der Eltern in Deutschland ihre Kinder als unsichere Schwimmer oder Nichtschwimmer einschätzen .
Das ist eine Zahl, über die man schon einmal in aller
Ernsthaftigkeit nachdenken muss .
Wenn man diese Zahl auf das Alter herunterbricht,
dann stellen wir fest, dass sage und schreibe 58 Prozent
der Eltern von Sechsjährigen ihre eigenen Kinder als unMahmut Özdemir ({1})
sichere Schwimmer oder Nichtschwimmer einschätzen .
Fast 60 Prozent der Kinder - das ist in der Tat beängstigend und kann uns natürlich nicht kaltlassen; denn wir
tragen Verantwortung für diese Kinder, unabhängig vom
Elternhaus und unabhängig von den sozialen Umständen,
in denen sie groß werden .
Wir können auch feststellen, dass die Zahl der Todesfälle ansteigt . Im Übrigen steigt nicht nur die Zahl
der Todesfälle an, sondern insbesondere die Zahl der
vermeidbaren Todesfälle; denn es gibt unterschiedliche
Todesfälle im Wasser . Jetzt hat die DLRG sehr sachlich
herausgearbeitet, was die Ursachen für die Verschlechterung der Schwimmfähigkeit und den Anstieg dieser
schlechten Zahlen sind .
Sie hat erstens festgestellt - dies wurde bereits angesprochen -, dass es um die Umwandlung von Ausbildungsbädern in Spaßbäder geht . Das ist natürlich ein
wirtschaftliches Thema und damit ein Problem . Es geht
um fehlende Ausbildungszeiten und Wasserflächen sowie
Bäderschließungen . Ich erspare mir jetzt den parteipolitischen Diskurs . Ich will Ihnen nur sagen, Herr Korte:
Der rot-rot-grüne Senat in Berlin hat gerade das größte
Bad in meinem Wahlkreis in Reinickendorf geschlossen,
weil eine Einmalinvestition von 1,7 Millionen Euro nicht
zur Verfügung steht . Private wollten das Bad betreiben .
Aber die Wasseraufbereitungsanlagen und einige technische Dinge mussten neu gemacht werden . Gleichzeitig
gibt man Geld für Tempo-30-Zonen und Unisextoiletten
aus . An dieser Stelle sollte man einmal über die politische Schwerpunktsetzung nachdenken . Ob das eine allen
nutzt, weiß ich nicht, das andere wäre sicherlich hilfreich .
({2})
Der zweite Punkt hat etwas mit den Bundesländern zu
tun . Hier geht es um die Schulen . Die DLRG stellt einen
massiven Stundenausfall im Schulschwimmen fest . Wir
stellen fest, dass die Qualität des Schulschwimmens deutlich abnimmt . Das liegt im Wesentlichen daran, dass dort
circa 50 Prozent fachfremdes Personal eingesetzt wird .
Auch hier könnte ich wieder mit Verweis auf Berlin sagen: Kein Wunder! Wenn man die Lehrer nicht verbeamtet, dann gehen die guten Leute in andere Bundesländer,
und man muss auf fachfremdes Personal zurückgreifen .
({3})
Mittlerweile ist ein Drittel der Lehrerinnen und Lehrer in Berlin nicht für das Lehramt ausgebildet; auch
darüber muss man einmal nachdenken . Hier ist der
Schwimmsport nur die Spitze des Eisberges .
Im Übrigen ist Schulschwimmen in vielen Bundesländern im Lehrplan zu spät vorgesehen; auch das entspricht der Wahrheit. In Berlin beispielsweise findet das
Schulschwimmen in der dritten Klasse für die Neun- und
Zehnjährigen statt . Zu diesem Zeitpunkt ist vielen Kindern bereits etwas widerfahren . Hier müsste der Lehrplan
entsprechend verändert werden .
Dritter Punkt . Die DLRG-Analyse zeigt, dass der Anteil der Ausländer, die nicht schwimmen können - insbesondere bei Mädchen -, ein Problem darstellt . Wir können nur dankbar sein, dass das Bundesverfassungsgericht
im Dezember 2016 sehr klar entschieden hat, dass ein
muslimisches Mädchen sich nicht vom Schwimmunterricht befreien lassen darf mit der Begründung, sie wolle
nicht gemeinsam mit Jungen schwimmen und sei auch
nicht bereit, im Burkini am Schwimmen teilzunehmen .
({4})
Hier hat das Verfassungsgericht für Klarheit gesorgt und
deutlich gesagt: Die Teilnahme am Schwimmunterricht
ist zumutbar . Kinder in Deutschland haben unabhängig
von Religion und Geschlecht am Schwimmunterricht
teilzunehmen . - Ich will das hier in der Öffentlichkeit
sehr bewusst sagen .
({5})
Der vierte Punkt - diesen will ich nur anreißen - betrifft eine lange Liste der DLRG, aus der hervorgeht, wen
man ansprechen muss, um die Schwimmfähigkeit zu verbessern: Eltern, Familie, Kita, Schule, Kultusministerkonferenz, Sportministerkonferenz, Wasserrettungsorganisationen und Krankenkassen . Das ist ein Potpourri aus
Helfern und Betroffenen, die mitwirken müssen, damit
es in Deutschland besser wird . Beim Stichwort „Bundestag“ steht schlicht und ergreifend - wir haben das nachgefragt; Kollege Mutlu war zugegen -: Wertekatalog der
Gesellschaft ändern . - Das ist die Zuständigkeit des Bundes aus Sicht der Betroffenen . Aber die Verantwortung
liegt bei Ländern und Kommunen . Wir sollten anmahnen, dass sie dort auch wahrgenommen wird . Wir diskutieren darüber und verweisen gerne auf den Wertekatalog
der Gesellschaft . Aber schuld ist nicht die Bundesregierung, sondern schuld sind - wenn überhaupt - Länder
und Kommunen . Alle gemeinsam sollten wir dafür sorgen, dass kein Kind in Deutschland stirbt, weil es nicht
schwimmen kann .
({6})
Vielen Dank .
({7})
Der Kollege Dr . André Hahn hat für die Fraktion Die
Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Steffel, ich war im Sportausschuss zugegen . Wir
bei den Linken arbeiten arbeitsteilig .
({0})
Insofern sind die Vorwürfe gegen den Kollegen Korte
daneben .
Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, obwohl
sich der Sportausschuss heute mit diesem Thema beschäftigt hat . Die Thematik ist wahrlich nicht neu . Ich
verweise hier auf die Antwort von Staatssekretär Krings
von der CDU/CSU vom 18 . März 2015 auf meine schriftlichen Anfragen, in der er mitteilte - ich zitiere -:
Auch die Bundesregierung nimmt die Untersuchungen zur schwindenden Schwimmkompetenz von
Kindern mit Besorgnis zur Kenntnis .
Weiter heißt es:
Für die Verbesserung der Schwimmkompetenz von
Kindern und die Förderung des Schwimmunterrichts im Allgemeinen gibt es seitens der Bundesregierung keine Zuständigkeit .
2015 war das . Die Besorgnis teile ich, nicht aber den Verweis auf die angebliche Nichtzuständigkeit . Erst recht
akzeptiere ich nicht die Untätigkeit der Bundesregierung
in diesem Bereich .
({1})
Ich hatte bereits vor über zwei Jahren ein Gespräch
zwischen den Akteuren und eine Anhörung im Sportausschuss als Auftakt dazu vorgeschlagen, um die Probleme
ergebnisorientiert gemeinsam anzugehen . Diesen Vorschlag lehnte die Koalition nicht nur einmal ab . Erst jetzt,
kurz vor Ende der Wahlperiode, gab es heute dazu eine
Debatte im Sportausschuss, allerdings wieder hinter verschlossenen Türen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit .
Wir meinen jedoch: Das Problem und somit der Handlungsbedarf sind so gravierend - das ist im Ausschuss
eben nachgewiesen worden -, dass das auch hier im Parlament öffentlich diskutiert werden muss .
({2})
Deutschland war einmal eine Schwimmnation . Das
Land bietet mit seinen Seen und Flüssen, mit der Ost- und
der Nordsee, mit seinen Freibädern und Schwimmhallen
hervorragende Möglichkeiten, sich im Wasser zu erholen
und sportlich zu betätigen . Schwimmen ist ein gesundheitsfördernder Breitensport und macht Spaß . Dazu muss
man aber eben schwimmen können . Wenn die Schwimmkompetenz in Deutschland innerhalb von 25 Jahren von
über 90 Prozent in der Bevölkerung auf unter 50 Prozent
sinkt, dann ist das höchst alarmierend . Ich bin der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft sehr dankbar, dass
sie darauf immer wieder aufmerksam macht .
({3})
„Deutschland wird zum Nichtschwimmerland“, titelte Zeit Online vor wenigen Tagen . Wir haben es schon
gehört: Fast 60 Prozent der zehnjährigen Kinder können
nicht richtig schwimmen; aber Schwimmenkönnen oder
Nichtschwimmenkönnen, das entscheidet im Zweifel
über Leben und Tod . Wer schwimmfähig ist, kann Leben
retten, sein eigenes, aber auch das anderer . Wir haben die
Todeszahlen gehört: 2016 waren es 537 Menschen . Mehr
als 1 000 Menschen konnten gerade noch so gerettet werden . Das sind dramatische Entwicklungen, für die es Ursachen gibt, die auch auf der Bundesebene förmlich zum
Handeln zwingen .
In den 1960er-Jahren hatte fast jede größere Kommune ein eigenes Schwimmbad, auch durch besondere staatliche Förderprogramme . Zuletzt waren aufgrund unzureichender Finanzausstattungen immer weniger Städte in
der Lage, ihre Bäder zu sanieren und zu betreiben . Jedes
Jahr werden etwa 100 Bäder in Deutschland geschlossen .
Der Sanierungsbedarf bei Schwimmbädern wurde eben
im Sportausschuss mit 4,5 Milliarden Euro beziffert . Das
können die Kommunen definitiv nicht allein stemmen.
Hier muss der Bund deutlich unterstützen .
({4})
Das alles hat natürlich auch Folgen für den Schwimmunterricht, der an vielen Schulen gar nicht mehr angeboten werden kann, auch weil die Anfahrtswege für die
Schüler immer länger und kostenintensiver werden . So
offenbart das Ganze auch eine soziale Schieflage; denn
Einkommensschwächere und deren Kinder sind laut Statistik deutlich weniger schwimmfähig als der Landesdurchschnitt . Viele können sich die Eintrittsgelder für
Schwimmhallen oder auch für kommerzielle Schwimmkurse schlichtweg nicht leisten .
Die Linke hat deshalb eine Reihe von Vorschlägen
vorgelegt, die von der Koalition bisher leider immer
abgelehnt wurden . Dazu gehören neben der Wiederaufnahme des Goldenen Plans für Sportstätten Programme
für die Sanierung von Schwimmhallen ebenso wie die
Förderung des Schwimmunterrichts an Schulen, die Stärkung des Vereinssports sowie der Abbau von finanziellen
und kulturellen Barrieren .
Im Übrigen gibt es auch eine Brücke zum Spitzensport, für den der Bund ja tatsächlich originär zuständig
ist . Das Ergebnis im Schwimmen bei Olympia in Rio war
katastrophal . Die Deutsche Meisterschaft am letzten Wochenende brachte ernüchternde Resultate . Die deutschen
Athleten für die anstehende Weltmeisterschaft passen in
einen Kleinbus .
Der Schwimmverband soll 2019 ein Viertel weniger
Bundesförderung bekommen. Die auf Medaillen fixierte Reform der Spitzensportförderung wird, wenn es hier
keine Korrekturen gibt, Kernsportarten wie das Schwimmen oder die Leichtathletik massiv bedrohen . Gerade
beim Schwimmen wird deutlich: Immer weniger Breite
schafft immer weniger Spitze . Auch deshalb muss die
Schwimmfähigkeit deutlich verbessert werden .
({5})
Letzte Bemerkung . Wir haben aktuell hochsommerliches Wetter . Die Urlaubszeit steht bevor, und viele Menschen, junge wie ältere, zieht es ans Meer, an Seen und
in Freibäder . Ich denke, wir alle hoffen, dass es dabei
möglichst wenige Unfälle und gar keine Todesfälle gibt .
Es ist dringend geboten, sich auch in der nächsten Legislaturperiode mit diesem Thema zu befassen und endlich
etwas zu unternehmen .
Herzlichen Dank .
({6})
Das Wort hat die Kollegin Ute Vogt für die SPD-Fraktion .
({0})
Ganz herzlichen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! Als Vizepräsidentin der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft bin ich dankbar
dafür, dass dieses Thema heute im Deutschen Bundestag
behandelt wird . Denn es ist in der Tat eines, das die Gesellschaft beschäftigt . Wenn wir in die Historie schauen,
dann wissen wir, dass Schwimmen eine der Kulturtechniken der Menschheit ist . Schon aus dem vierten bis fünften Jahrtausend vor Christus stammen die ersten Höhlenmalereien, auf denen Schwimmer abgebildet sind . Im
alten Ägypten war es Teil der Ausbildung, dass Menschen schwimmen lernten . Es waren damals allerdings
vor allem die Kinder der Könige und des Adels . Sie hatten sogar persönliche Schwimmmeister zur Verfügung .
Heute ist Schwimmen Gott sei Dank ein Breitensport .
Aber das Schwimmen - es wurde schon vielfach ausgeführt - und das Schwimmenkönnen, das sichere Schwimmenkönnen ist heute leider keine Selbstverständlichkeit
mehr. Die Schwimmfähigkeit ist rückläufig, und auch
wenn sich diejenigen freuen, die ein „Seepferdchen“ besitzen - es sind auch immer wieder viele Kolleginnen und
Kollegen, die gern darüber sprechen -, heißt das noch
nicht, dass sie schwimmen können, sondern das heißt
nur, dass man sich irgendwie eine Viertelstunde über
Wasser halten kann . Aber richtig sicher schwimmen, ist
eben etwas anderes .
Der Ausfall der Schwimmstunden ist zu Recht als
einer der Hintergründe beleuchtet worden, aber es gibt
auch - das hat der Kollege Korte gesagt - den Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft der Kinder und
der Frage, ob sie schwimmen können . Da, lieber Kollege
Steffel, ist es in der Tat bei Kindern aus ausländischen
Familien oft ein größeres Problem, allerdings nicht, weil
sich so ganz viele vom Unterricht abmelden . Es sind
nämlich nur, glaube ich, etwa 3 Prozent der Betroffenen,
die überhaupt versuchen, sich abzumelden . Gott sei Dank
geht das ja nicht mehr . Vielmehr sind vor allem die sozialen Hintergründe zu nennen . Es ist halt ein Unterschied,
ob eine Familie sonntags sagt: „Ja, wir gehen schwimmen, das ist ein Freizeitding, und wir bringen es euch
auch bei“, oder ob das Bewusstsein bei bildungsferneren
Familien oft schon gar nicht mehr da ist, dass das eben
auch eine gute Freizeitbeschäftigung ist und zur persönlichen Entwicklung von Kindern dazugehört .
Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft - erlauben Sie mir diesen Hinweis - leistet pro Jahr über
9 Millionen Stunden ehrenamtlich, also ohne Bezahlung,
Schwimmunterricht am Wasser, an den Binnengewässern, in den Schwimmbädern, aber auch bei der Wasserrettung an der Küste sowie bei der Ausbildung von Wasserretterinnen und Wasserrettern .
Als Dank hat leider der Bundesinnenminister schon
im letzten Jahr
({0})
für den Rettungssport die Spitzensportförderung gestrichen . Das ist ein sehr schlechtes Signal .
({1})
- Nicht mein Minister; sorry . Da bitte ich doch um Korrektheit .
({2})
Ich habe nicht vor, den Kollegen de Maizière zu verteidigen .
Wir hatten aber in dieser Legislaturperiode - jetzt sage
ich einmal: von meiner Ministerin, von Bundesministerin
Barbara Hendricks - aus dem Umwelt- und Bauministerium ein Programm zur Förderung von Sportstätten .
Das umfasste über 100 Millionen Euro, und vorher gab
es schon 140 Millionen Euro . Ich nenne hier das Stichwort „Zukunftsinvestitionsprogramm“ . Daraus gab es
auch Gelder für Schwimmbäder . Aber natürlich ist das
nur ein sehr, sehr kleiner Betrag, der das Problem nicht
lösen hilft .
Fakt ist: Es fehlen uns nicht die Ausbilderinnen
und Ausbilder, sondern es fehlen uns tatsächlich die
Schwimmbäder . Und dort, wo es welche gibt, haben die
ehrenamtlichen Schwimmlehrerinnen und Schwimmlehrer - zum Beispiel unserer Organisation - noch teure
Hallenmieten zu zahlen .
Es gilt - dazu wollen wir heute beitragen -, das Bewusstsein in den Kommunen, in den Ländern und im
Bund dafür zu schärfen, dass Schwimmen eben ein
Teil der Ausbildung ist . Ich fände es gut, wenn es in der
nächsten Legislaturperiode gelingen würde, einen Goldenen Plan „Schwimmbäder“ aufzulegen . Übrigens wäre
das eine gute Anknüpfungsmöglichkeit: Denn einen Goldenen Plan gab es zuletzt unter einem sozialdemokratischen Innenminister, und der hat viel Gutes bewirken
können .
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Ihnen den
Jahresbericht der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft anempfehlen, den wir Ihren Büros in den nächsten
Tagen zukommen lassen werden . Nehmen Sie bitte auch
die Gelegenheit wahr, in den Sommerferien die DLRG
bei Ihnen vor Ort zu besuchen, also nicht nur hier zu loben . Gehen Sie hin, schauen Sie sich das an!
Ich darf Sie erinnern - vielleicht kann das den einen
oder die andere ermutigen -: Im alten Griechenland gab
es eine interessante Devise . Wenn jemand etwas werden
wollte, wurde gefragt: Wird man denn jemandem ein
hohes Staatsamt anvertrauen, der weder schreiben noch
schwimmen kann? - Das heißt: Schon bei den alten Griechen war das richtig gute Schwimmen eine wichtige Voraussetzung für Staatsämter . Alle von Ihnen, die ambitioniert sind, sind also aufgefordert: Gehen Sie zur DLRG!
Machen Sie dort durchaus auch das Rettungsschwimmabzeichen! - In diesem Sinne hoffe ich auf einen guten
Sommer .
({4})
Die Kollegin Britta Haßelmann hat für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Kollegen von den Linken, das Thema,
über das wir heute in der Aktuellen Stunde reden, ist ein
wahnsinnig wichtiges . Das zeigt der Hinweis auf die
Sportausschusssitzung und den Bericht zum Thema „Wie
ist das eigentlich mit der Schwimmfähigkeit?“ . Um das
einmal zu übersetzen: Das bedeutet: Wie viele Menschen
in Deutschland können nicht schwimmen und ertrinken
womöglich, auch weil sie die Gefahren des Wassers - ob
geschlossene oder offene Gewässer oder Schwimmbäder - nicht richtig einschätzen können? Natürlich ist jeder und jede Ertrunkene einer und eine zu viel . Es waren
537 Menschen im Jahr 2016, und das sind ganz erschütternde Nachrichten . Damit muss man sich beschäftigen .
Damit muss man sich unter folgendem Aspekt beschäftigen: Was können eigentlich Bund, Länder und
Gemeinden für die Schwimmfähigkeit und dagegen tun,
dass insbesondere junge Menschen nicht mehr schwimmen lernen und die Gefahren vollkommen falsch einschätzen, dass sie damit überhaupt nicht umgehen können? Was können wir in Bund, Ländern und Kommunen
mit den so unterschiedlichen Zuständigkeiten dafür tun?
Das kann man mit aller Ernsthaftigkeit diskutieren . Aber
mich nervt die platte Art, mit der das hier aufgemacht
worden ist; das muss ich in Richtung der Linken ehrlich
sagen .
({0})
- Das nervt wirklich, Jan Korte; das sage ich ganz ehrlich .
Ich finde, wir sollten darüber sprechen, und da gibt es
für mich zwei Möglichkeiten .
Die eine ist: Wir drängen mit Verve darauf, dass der
Sportminister - das ist der Innenminister - dieses Thema
auf die Tagesordnung der Innenministerkonferenz setzt
und fragt: Was können wir eigentlich gemeinsam in dieser föderalen Struktur dagegen tun, dass das so ist?
({1})
Welchen Beitrag können unsere Bundesländer dazu leisten?
({2})
Da möchte ich die Sportstunden und die Lehrpläne erwähnen; denn darum geht es auch . Was können wir also
mit den verteilten Rollen dazu tun? Das hat die DLRG
im Sportausschuss auch vorgetragen . Wir können darüber nicht einfach nur mal so in einer Aktuellen Stunde
reden . Das Problem ist viel zu dramatisch .
({3})
Deshalb müssen wir uns intensiv damit beschäftigen .
Die Menschen interessiert diese föderale Struktur
nicht,
({4})
sondern sie wollen, dass das Problem gelöst wird . Deshalb kann von uns heute ein Signal ausgehen: Innenministerium, Sportminister, kümmert euch darum! Setzt das
auf die Tagesordnung! - Das Gleiche gilt für die Kultusministerkonferenz . Darüber könnten wir nämlich an die
Lehrpläne heran .
({5})
Das war der erste Punkt, den ich dazu sagen wollte .
Der zweite Punkt . Mein Gefühl ist, dass wir die notwendige Debatte über das Thema Investitionsfähigkeit
und das Thema Investitionsnotwendigkeit - darüber
sind wir uns in den vergangenen drei Jahren einig gewesen - nicht intensiv genug geführt haben . Der Investitionsstau - das zeigt uns das KfW-Kommunalpanel - ist
enorm . Er beträgt über 130 Milliarden Euro . Wir haben in
den letzten dreieinhalb Jahren hier im Bundestag immer
gesagt: Lasst uns in aller Ernsthaftigkeit darüber reden:
Wie kann der Bund hier mehr Verantwortung übernehmen, obwohl wir das Kooperationsverbot haben?
Deshalb waren wir sehr froh, dass das Kommunalinvestitionsförderungsgesetz uns wenigstens den Einstieg
gegeben hat in der Frage: Können wir Investitionen in
Kommunen fördern? Vielen Kommunen geht es nämlich so schlecht, dass sie notwendige Investitionen in die
kommunale Daseinsvorsorge nicht mehr leisten können .
Das muss auch von uns auf Bundesebene erkannt werden; auch wir müssen Ideen haben, wie wir einen Beitrag dazu leisten können . Aber zu sagen: „Für jedes geUte Vogt
schlossene Schwimmbad sind wir hier auf Bundesebene
zuständig“ ({6})
so einfach ist die Welt doch nicht, Jan Korte und André
Hahn .
({7})
Deshalb brauchen wir konkrete Anknüpfungspunkte .
Ein Beispiel ist das Kommunalinvestitionsförderungsgesetz, bei dem wir gemeinsam feststellen könnten: Da
muss mehr Geld rein; die 3,5 Milliarden Euro, die da drin
sind, reichen nicht aus .
({8})
Oder: Der Katalog der Zwecke für diese kommunalen Investitionsförderungen muss erweitert werden .
({9})
Wir haben zum Beispiel vorgeschlagen, das auf den
Schulbereich auszuweiten, weil wir gesehen haben: Da
brauchen Kommunen Unterstützung .
Genauso könnten wir diskutieren, die Gemeinschaftsaufgabe, die 2020 neu aufgelegt werden soll und die jetzt
für Agrarstruktur und Küstenschutz gilt, auf die regionale Daseinsvorsorge zu erweitern . Es ist unsere Aufgabe,
das hier zu tun . Aber ob ein Bad geöffnet bleibt oder geschlossen wird, ob es einem Privatisierungsdruck unterliegt oder wie viele Bäder eine Stadt hat, sind Fragen, die
von ganz vielen verschiedenen Faktoren in der Stadt oder
Gemeinde abhängen .
Liebe Kollegin .
Wir sollten uns auf die Möglichkeiten konzentrieren,
die wir geben können - hier noch mal die Stichworte -:
Kommunalinvestitionsförderungsgesetz, Ausweitung auf
die regionale Daseinsvorsorge bei der Gemeinschaftsaufgabe . Das wären zwei sehr konkrete Anknüpfungspunkte,
zusätzlich zu der Frage: Wie sieht es mit der Schwimmfähigkeit in Deutschland aus? Wenn wir das so machen,
würde es auch für diese Frage eine Lösung geben .
Frau Kollegin .
Das fände ich gut .
({0})
Vielen Dank, Frau Kollegin Haßelmann . - Als Nächster spricht der Kollege Eckhard Pols für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Zuhörer auf den Rängen da oben! Wir sind uns alle einig,
dass jedes Kind schwimmen können muss . Deswegen hat
uns alle die Forsa-Umfrage erschrocken, die ergeben hat,
dass 60 Prozent aller Zehnjährigen nicht sicher schwimmen können und dass nur 40 Prozent der Sechs- bis Zehnjährigen ein Jugendschwimmabzeichen - ob nun Bronze,
Silber oder Gold - haben; das muss uns zu denken geben .
Es muss die Frage erlaubt sein, warum so wenige Kinder in Deutschland noch schwimmen können . Zweifelsohne gibt es verschiedene Gründe, warum heute immer
weniger Kinder schwimmen lernen . Das liegt unter anderem am veränderten Freizeitverhalten der Kinder und Jugendlichen, die ihre Freizeit vermehrt mit elektronischen
Medien verbringen, so wie Sie gerade, Herr Mutlu .
({0})
Das hat natürlich Auswirkungen auf die motorischen Fähigkeiten und somit auch auf die Fertigkeit des Schwimmens . Vielleicht sind jenseits des Bildschirms Klettern
und Spielen, meine Damen und Herren, aus der Mode
gekommen .
Hierbei immer gleich nach Maßnahmen des Staates zu
rufen,
({1})
Herr Korte, ist nicht richtig; denn ich sehe hier in erster
Linie eine Pflicht der Eltern, dafür zu sorgen,
({2})
dass sich ihre Kinder körperlich betätigen - ob es nun
beim Hockey ist, wie der Kollege Steffel gesagt hat, beim
Tanzen, beim Fußball oder eben beim Schwimmen bzw .
beim Schwimmenlernen .
Ich weiß es selber - Herr Korte, ich habe fünf Kinder -: Es ist zeitraubend, den Kindern das Schwimmen
beizubringen, gerade wenn beide Elternteile berufstätig sind, so wie es bei uns der Fall war und immer noch
ist . Dennoch haben all unsere Kinder vor dem Besuch
der Grundschule schwimmen gelernt . Das ist bei uns in
Deutschland alles möglich . Es kann auch keine Entschuldigung dafür geben, Kinder nicht zum Schwimmunterricht zu bringen .
({3})
Es ist auch finanziell machbar; denn bei Sportvereinen
und bei der DLRG ist die Schwimmausbildung nicht nur
exzellent, sondern in der Regel auch bezahlbar .
Mein Appell gerade jetzt zur Sommerzeit, zur Ferienzeit: Liebe Eltern, melden Sie Ihre Kinder beim
Schwimm unterricht an! Gerade in der Urlaubszeit können Sie Ihren Kindern an Ihren Urlaubsorten - hoffentlich in Deutschland und nicht auf Mallorca, Herr Korte das Schwimmen beibringen .
({4})
Auch Bezieher von Leistungen nach SGB II können
bis zur Vollendung des 18 . Lebensjahres des Kindes Vereinsbeiträge in Höhe von 10 Euro pro Monat zurückbekommen, wenn sie es beantragen . Das gewährleistet das
Bildungs- und Teilhabepaket, das wir vor einiger Zeit
verabschiedet haben .
Meine Damen und Herren, ein weiterer Aspekt, warum so viele Kinder nicht schwimmen können, muss hier
diskutiert werden: die Schließung und die vereinzelt vorkommende Privatisierung von Bädern . Es ist richtig: Für
Schwimmkurse sind normale Schwimmbecken nötig .
Davon gibt es immer weniger in Deutschland . Die Privatisierung von Schwimmbädern ist in diesem Kontext
nicht immer förderlich - eher im Gegenteil, da gebe ich
Ihnen recht . Da gehen das Interesse der Kunden und die
Funktionalität vor, und es werden vermehrt Spaßbäder
eröffnet .
In den Städten gibt es das Problem übrigens seltener .
Es sind vor allem die ländlichen und strukturschwachen
Regionen, in denen die Versorgung mit Schwimmbädern
eine besondere Herausforderung darstellt . Das ist meines
Erachtens auch logisch; denn in der ländlichen Region
sind die Wege weiter als in der Stadt . Je weiter Eltern
und Kinder von einem Schwimmbad entfernt leben, desto unattraktiver ist ein Besuch . Das führt zu entsprechend
defizitären Betriebsergebnissen der Schwimmbäder.
Aus diesem Grund schrecken viele ohnehin klamme
Kommunen vor dem Bau von Schwimmbädern zurück,
und immer mehr Schwimmbäder werden geschlossen .
Heute stand in der Lokalzeitung des Wendlandes - die
Kollegin Woltmann hat es in ihrer Zeitung auch gelesen - ein Artikel, dass Schüler für den Erhalt ihres Bades
schon demonstrieren . Die Verantwortung dafür tragen
aber weder die Kommunen noch die Eltern und schon gar
nicht die Kinder . Stattdessen, Herr Korte, liegt sie bei den
Ländern . Die Kommunen sind Gliederungen der Länder,
und die Länder haben folglich für eine angemessene finanzielle Ausstattung der Kommunen zu sorgen . So sieht
es unsere Verfassung vor .
Zudem müssen die Grundschulen - das haben wir
heute auch schon gehört - ihren gesetzlich vorgeschriebenen Erziehungsauftrag erfüllen und wieder häufiger
Schwimmunterricht erteilen . Auch das liegt in der Zuständigkeit der Länder .
Wir als Bund haben uns nicht aus der Verantwortung
gestohlen . Gerade die unionsgeführten Bundesregierungen haben in den vergangenen Jahren mit verschiedenen
Programmen sehr deutlich gezeigt, dass es auch geht .
So hat der Bund unter anderem in dieser Legislaturperiode ein kommunales Investitionsprogramm in Höhe
von 100 Millionen Euro vor allem für Sportstätten und
Schwimmbäder aufgelegt . Dass das klappt, zeigt ein Beispiel meiner Heimatstadt Lüneburg, wo wir gemeinsam
mit einem Sportverein ein neues Lehrschwimmbecken
errichtet haben; für den Schwimmunterricht, aber auch
für Gymnastik . Man kann also vieles miteinander kombinieren .
({5})
Auch das ist möglich . Es gibt auch positive Beispiele .
Ein jüngstes Beispiel dafür, was die unionsgeführte
Bundesregierung auch tut, ist die Aufstockung des Kommunalinvestitionsförderungsfonds um weitere 3,5 Milliarden Euro für finanzschwache Kommunen.
({6})
Ich will zum Schluss noch einmal deutlich machen,
dass alle Kinder schwimmen lernen müssen . Da gibt es
keine Ausnahme . Aber, wie gesagt, es sind vor allem
die Länder, die die Rahmenbedingungen dafür schaffen
müssen. Deswegen finde ich, Herr Korte, diese Aktuelle Stunde heute nicht angemessen . Sorgen Sie in Ihren
Ländern dafür, dass das Geld, das wir vom Bund zur
Verfügung stellen, da ankommt, wofür wir es vorgesehen
haben . Die Länder müssen endlich mal ihre klebrigen
Finger davon lassen und sollten das Geld nicht für andere
Sachen ausgeben .
Vielen Dank .
({7})
Vielen Dank, Herr Kollege Pols . - Als Nächste spricht
die Kollegin Jeannine Pflugradt für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Werte Gäste! Frau Haßelmann, als Erstes
möchte ich Ihnen Dank sagen für Ihren Redebeitrag . Ich
habe zwischendurch schon gedacht: Ich bin im Kindergarten oder in der falschen Debatte . Zwischendurch war
das nicht mehr feierlich . Es ist ein wichtiges Thema, und
es ist auch gut, dass wir darüber sprechen - außer Frage .
Schulschwimmen ist leider Luxus geworden . In den
Lehrplänen vieler Schulen taucht Schwimmunterricht
nur noch sporadisch auf . Gleichzeitig und konsequenterweise können immer weniger Grundschüler schwimmen .
Nur jeder zweite Schüler verlässt die Grundschule mit
dem Jugendschwimmabzeichen in Bronze . Dieser Befund zeigt, wie wichtig das Schulschwimmen ist oder
wäre, wenn es überall stattfinden würde. Die Grundschulen haben den Auftrag, Schülern das Schwimmen beizubringen . Das aber umzusetzen, ist schwieriger geworden,
weil viele Städte und Gemeinden in den vergangenen
Jahren öffentliche Bäder geschlossen haben .
Laut einer Studie der Deutschen Gesellschaft für das
Badewesen und der Bergischen Universität Wuppertal
ist mehr als die Hälfte der 5 300 deutschen Hallen- und
Freibäder sanierungsbedürftig . Das haben wir heute alles
schon gehört . Um sie vor der Schließung zu bewahren,
seien Investitionen in Höhe von 4,5 Milliarden Euro notwendig . Mit dem Programm zur energetischen Gebäudesanierung können Schwimmhallenbetreiber die zur
Verfügung stehenden Mittel nutzen, um die Anlagen zu
modernisieren und somit Betriebskosten zu senken . Hier
kann der Bund besonders finanzschwache Kommunen
dabei unterstützen, die notwendigen Maßnahmen für Sanierungen durchzuführen .
({0})
Ein Schwimmbad zu bauen, ist relativ schnell und einfach organisiert . Doch die Probleme fangen an, wenn die
Fertigstellung erfolgt ist: Wer übernimmt das Risiko der
Betreibung? Wer trägt die Betriebskosten? Das lässt viele Kommunen zurückschrecken, und darum gibt es auch
viele private Betreiber . Nicht immer werden Schwimmbäder geschlossen, weil sie marode sind, sondern auch,
weil nicht genügend Nutzer kommen, weil eine Betreibung nicht kostendeckend erfolgen kann .
Wir können und sollten hier im Haus gern darüber
reden . Aber wie es sich mit der Zuständigkeit des Bundes verhält, dürfte allen hier im Haus bekannt sein: Der
Bund ist weder für kommunale Sanierungen noch für die
Lehrpläne in den Schulen zuständig - leider . Dennoch:
Das Problem besteht weiterhin . Schulschwimmen kostet
viel Zeit und Geld und genießt in der politischen Willensbildung leider keine hohe Priorität . So kommt es, dass
die logistischen Herausforderungen oft kaum zu bewältigen sind . Etliche Schulen liegen gänzlich außerhalb der
Reichweite eines Schwimmbades . Bei einer Anfahrt mit
öffentlichen Verkehrsmitteln würde, wie in meinem Heimatland Mecklenburg-Vorpommern, von einer Doppelstunde nur wenig oder keine reale Unterrichtszeit übrig
bleiben .
Ich nehme einmal ganz konkret meinen Heimatlandkreis, die Mecklenburgische Seenplatte, den größten
Landkreis Deutschlands, größer als das Bundesland
Saarland . Uns kommt das Wasser der Seen sprichwörtlich aus den Ohren . Aber öffentliche Badestellen, Rettungsschwimmer und Baden unter Aufsicht - das ist eher
selten . Die nächste Schwimmhalle liegt 30 Kilometer
entfernt und ist somit für den Schwimmunterricht nicht
nutzbar . Dies war, soweit ich mich zurückerinnern kann,
aber schon immer so . Ich habe das Schwimmen, genauso wie alle anderen Kinder bei uns in der Gegend, im
Sommer gelernt, wenn Luft- und Wassertemperaturen es
zuließen .
Auch der personelle Aufwand ist höher als bei Unterrichtsstunden im Trockenen . Bei Schulklassen mit der
üblichen Klassenstärke müssen in der Regel mindestens
zwei Aufsichtspersonen anwesend sein . Zudem steigen - und das völlig zu Recht - die Anforderungen an die
Schwimmlehrer . Ein Rettungsschwimmschein wird heute im Gegensatz zu früheren Zeiten vorausgesetzt, wenn
jemand Schulschwimmunterricht erteilen will .
Außerdem: Mögen Baden und Schwimmen in der
Freizeit noch Spaß machen, scheiden sich am Schulschwimmen doch die Geister . Mancher Nichtschwimmer
fühlt sich im Schwimmunterricht überfordert, hat massive Ängste vor den Tauchübungen oder vor Beckensprüngen . Schulschwimmen ist vermutlich genauso beliebt
wie Mathe oder Deutsch .
({1})
- Nein, überall . ({2})
Hier müssen Ängste und Hemmungen einfühlsam abgebaut werden .
Viele engagierte Eltern bemühen sich, ihrem Nachwuchs schon vor der Einschulung die Grundzüge des
Schwimmens beizubringen . Wenn die Schule kein Schulschwimmen anbietet und es nicht in den Sportunterricht
integriert ist, müssen wir als Eltern die Verantwortung
dafür übernehmen, dass unsere Kinder die Fertigkeiten,
sich im Wasser zu bewegen, erlernen . Meine Eltern haben mir das Schwimmen beigebracht, und ich habe es
natürlich auch meinem Sohn beigebracht . Ja, es war eine
nervenaufreibende Geschichte, und sicherlich habe ich
auch das eine oder andere graue Haar dabei bekommen,
aber es hat sich für meinen Sohn gelohnt .
({3})
Ich möchte untermauern, dass die Verantwortung der
Eltern hier nicht unterschätzt werden darf . Wir Eltern
bringen unseren Kindern selbstverständlich das Laufen,
das Radfahren, das Daddeln mit dem Handy bei . Genauso selbstverständlich muss es doch auch sein, dass wir
unseren Kindern das Schwimmen beibringen .
({4})
- Nein, dazu reicht auch ein See . - Wer als Kind schon
mit dem „Seepferdchen“ zur Schule kommt, der hat
wahrscheinlich ein viel größeres Selbstbewusstsein, hat
weniger Berührungsängste gegenüber dem nassen Medium als Gleichaltrige, die vielleicht noch keine solchen
Erfahrungen gemacht haben .
Ich möchte an dieser Stelle die Möglichkeit nutzen,
mich bei der DLRG und der Wasserwacht des DRK in
meinem Heimatland zu bedanken, die im Sommer und in
den Ferienzeiten die Rettungskurse und die Schwimmkurse übernehmen . Vielen Dank für eure Arbeit!
Vielen Dank fürs Zuhören .
({5})
Vielen Dank, Frau Kollegin . - Als Nächster spricht
Josef Rief für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Gestatten Sie mir einige Worte zu meinen
Vorrednerinnen. Frau Pflugradt, ich habe ebenfalls das
Schwimmen in einem kleinen Tümpel und in einem kleinen Bach erlernen dürfen, ohne irgendwelche Hilfe, und
ich bin bisher noch nicht ertrunken, obwohl ich schon
sehr viel geschwommen bin . Ich glaube, das sollte man
nicht abtun . Es ist immer noch die beste Lösung, wenn
man sich selber hilft . Das ist vernünftig .
({0})
Frau Haßelmann, was mir nicht gefallen hat: dass Sie
hier letzten Endes die eine finanzielle Geschichte gegen
die andere finanzielle Geschichte ausspielen.
({1})
Ich glaube, wir machen eine gute Finanzpolitik im Bund,
und ich halte es nicht für sinnvoll, dass wir hier Mittel
für den ländlichen Raum abzweigen, sie irgendwelchen
Leuten wegnehmen, um irgendwelche anderen Dinge zu
machen . Ich glaube, der Königsweg ist, dass wir die Einnahmen erhöhen . Das schaffen wir am besten mit Wachstum . Wir werden also in Zukunft Wachstum brauchen,
um auch diese Probleme zu lösen .
Meine Damen und Herren, es besteht Einigkeit in diesem Haus: Möglichst alle Menschen in unserem Land,
vom Bodensee bis zur Ostsee, sollten sicher schwimmen
können . Je früher das Schwimmen erlernt wird, desto
besser . Ausreichend schwimmen zu können, heißt, im
Ernstfall Leben retten zu können .
Wir kommen hier nicht mit Trockenübungen im Bundestag weiter . Es werden schon die entsprechenden Einrichtungen und Gewässer benötigt, um sich diese Fertigkeit anzueignen . Wir haben, was das anbelangt, eine gute
Tradition in der Schwimmausbildung, aber dass das kein
Selbstläufer ist, das sehen wir heutzutage .
Als Haushaltspolitiker freue ich mich, dass die unionsgeführte Koalition aus dem Programm zur Sanierung
kommunaler Einrichtungen allein in den letzten beiden
Jahren - obwohl wir streng genommen nicht zuständig
sind - Mittel in Höhe von 47 Millionen Euro für die Sanierung bzw . den Ersatzneubau von Badeanstalten bzw .
Hallenbädern zur Verfügung gestellt hat . Das ist selbstverständlich keine hohe Summe, aber bei Kommunen,
die in einer Notlage waren, betrug die Fördersumme bis
zu 90 Prozent . Das macht deutlich, dass der Bau von
Schwimmbädern und die Sanierung von Schwimmeinrichtungen auf Bundesebene einen hohen Stellenwert
genießen . Wir von der CDU/CSU werden uns auch in
Zukunft dafür starkmachen, dass diese Programme weitergeführt werden können;
({2})
denn Kinder können am wenigsten dafür, wenn Kommunen eine schlechte Haushaltspolitik betreiben . Ich verkneife es mir, hier parteipolitisch zu werden .
({3})
Ein Hinweis sei mir gestattet: Länder und Kommunen - das haben auch schon einige Vorredner gesagt werden bis 2020 in der aktuellen Finanzplanung des
Bundes um 20 Milliarden Euro entlastet . Ich denke, es
wäre eine gute Idee, Teile dieser Entlastung in den Bau
von Schwimmbädern zu investieren oder die Sanierung
voranzutreiben .
({4})
Dass der Anteil der Nichtschwimmer in unserem Land
zunimmt, gibt tatsächlich Anlass zur Besorgnis . Als Familienpolitiker betrübt mich die hohe Zahl der Kinder,
die nicht sicher schwimmen können, darunter auch Kinder, die in Deutschland geboren sind, und auch die Todesfälle, die durch bessere Schwimmfähigkeit hätten verhindert werden können, rütteln auf . Die Ursachen hierfür
sind vielfältig . Schwimmbadschließungen haben sicher
ihren Anteil daran, sie sind aber keineswegs alleinige Ursache, wie uns die Fraktion Die Linke offenbar mit dem
Titel der heutigen Aktuellen Stunde glauben machen
will . Mehr Schwimmbäder führen nicht automatisch zu
mehr Schwimmkompetenz .
Kinder verlieren offenbar die Lust am Besuch von
normalen Sportbädern, wo Bahnen geschwommen werden, und besuchen lieber Spaßbäder, in denen man zwar
ins Wasser geht, aber oftmals nicht schwimmt . Hier sollten wir neue Begeisterung und Leistungsbereitschaft
ebenso wie das Bewusstsein wecken, dass Technik und
Kondition für den Schwimmerfolg essenziell sind . Dass
dies möglich ist, zeigt zum Beispiel das Meerjungfrauenschwimmen, das seit einiger Zeit - das ist vielerorts zu
beobachten - bei vielen Mädchen sehr beliebt ist .
Auch darf der Schwimmunterricht an Schulen nicht
ausfallen . Hier sind aber die Länder und Kommunen
gefragt . Im Sommer könnte auch im Freien unterrichtet
werden . Aufgrund der verbesserten Gewässerqualität hier ist in den letzten Jahren viel erreicht worden - sollten mehr Seen und Flüsse zum Schwimmen freigegeben
werden .
Mein dringender Appell richtet sich an alle Eltern:
Achten Sie bitte darauf, dass Ihre Kinder unter fachkundiger Anleitung schwimmen lernen . Ebenso sollten sich
alle Erwachsenen fragen, ob ihre Fähigkeiten für den Fall
des Falles ausreichen .
Abschließend sage ich ausdrücklich allen Vereinen
und Ehrenamtlichen, die sich im Schwimmunterricht und
in der Ausbildung der Rettungsschwimmer und -schwimmerinnen wie auch der Schwimmlehrer und -lehrerinnen
engagieren - stellvertretend für viele weitere nenne ich
den Deutschen Schwimm-Verband, die Wasserwacht des
Roten Kreuzes und die DLRG -, für ihren unschätzbaren
Einsatz herzlichen Dank .
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege Rief . - Als letzter Redner
in dieser Aktuellen Stunde spricht jetzt Erich Irlstorfer
für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In diesen Tagen, in denen die Außentemperaturen mehr als 30 Grad erreichen, treibt es Jung und Alt
zur Abkühlung ins kühle Nass . Ob das ein Voralpensee
ist, die Nord- oder Ostsee,
({0})
ein Baggersee, ein Flussarm oder ein kommunal oder privat geführtes Schwimmbad, das ist, glaube ich, egal . An
dieser Aufzählung wird deutlich, dass wir in Deutschland
eine erfreulich große Vielfalt an Schwimmstätten haben .
Ich finde es interessant, dass ein gewisser Handlungsbedarf von allen Fraktionen nicht bestritten wird . Es freut
mich, dass in dieser Diskussion auch der Spitzensport
genannt wurde . Man sieht, dass sich der Spitzensport
durchaus befruchtend auf den Breitensport auswirkt . Die
Bedeutung von Weltmeisterschaften und Olympischen
Spielen sollten wir nicht unterschätzen .
Problematisch ist, dass prozentual gesehen immer weniger Menschen schwimmen können . Erlauben Sie mir
dazu eine Bemerkung - das ist in einigen Reden schon
angeklungen -: Ich glaube, wir können noch so viel in
die Bildung, in Schulen, Kindergärten usw . investieren;
wir dürfen dabei aber nicht das Elternhaus vergessen, das
die Hauptverantwortung trägt .
({1})
Wenn man versucht, private Schwimmbäder dafür
verantwortlich zu machen, dass weniger Kinder schwimmen können, dann springt man zu kurz, Herr Korte . Da
hier versucht wurde, private Schwimmbäder zu verteufeln, möchte ich von meinen Erfahrungen aus meiner
Zeit als Kommunalpolitiker berichten . Ich bin der Meinung, dass private Schwimmbäder unser Angebot an
Schwimmstätten bereichern . Außerdem stellt sich oft gar
nicht die Frage: privat oder kommunal? Die Frage lautet
häufig: privat oder gar nicht, privat oder Schließung? Von
daher bin ich froh, dass wir eine gesunde Mischung an
Schwimmstätten haben .
Wir dürfen auch nicht vergessen, dass sich das Verhalten der Nutzer geändert hat . Thermen, die der Erholung
und dem Relaxen dienen, und auch Spaßbäder haben an
Bedeutung gewonnen . Die tristen, öden Schwimmbahnen werden zwar benötigt, gerade auch mit Blick auf das
Thema Wasserrettung und dergleichen; sie stellen aber
keinen großen Anreiz dar, um ins Schwimmbad zu gehen und das Schwimmen zu erlernen . Insofern kann ein
Überangebot auch kontraproduktiv sein .
Ich möchte unterstreichen, dass es meiner Ansicht
nach nicht Hauptaufgabe des Deutschen Bundestages ist,
in Aufgaben der Kommunen und der Länder einzugreifen . Das heißt nicht, dass man darüber in der nächsten
Legislaturperiode nicht noch einmal diskutieren könnte,
vielleicht auch sollte . Ich bin mir sicher, dass die Kollegen im Sportausschuss dieses Thema gerne aufnehmen
und offen dafür sind . Mit Schuldzuweisungen würde ich
aber vorsichtig sein .
Zum Abschluss möchte ich anmerken, dass man den
Kindern keinen Vorwurf machen kann . Ich glaube, dass
auch viele Erwachsene nicht schwimmen können . Man
muss sagen: Das Schwimmen zu erlernen, ist keine
Frage des Alters . Es gibt spezielle Kurse für Erwachsene . - Dass sich in diesem Bereich viele Ehrenamtliche
einbringen und viel für das Schwimmen getan wird, ist
gut . Ich bin froh, dass wir diese Organisationen haben .
Wir sollten aber überlegen - in den Ländern -, ob wir das
Erlernen des Schwimmens in Kindergärten und Grundschulen nicht wieder festigen und unterstützen sollten,
und zwar nicht nur mit schönen Worten, sondern auch
mit finanziellen Mitteln. In Bayern tun wir das. Dass aus
dem bayerischen Haushalt jeder dritte Euro in die Bildung fließt, ist vorbildlich. Herr Korte, ich hoffe, dass das
in den Bundesländern, in denen die Linke Verantwortung
trägt, auch so ist .
Danke schön .
({2})
Vielen Dank, Herr Kollege . - Damit ist die Aktuelle
Stunde beendet .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 sowie den Zusatzpunkt 3 auf:
4 . Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE
Sofortiger Abzug der Bundeswehr aus Incirlik
Drucksachen 18/12372, 18/12817
ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Verlegung des Bundeswehrkontingents von
Incirlik nach Al Azraq zügig durchführen
Drucksache 18/12779
Über die Beschlussempfehlung und den Antrag werden wir später namentlich abstimmen . Wir werden also
zwei namentliche Abstimmungen durchführen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erstem Redner erteile
ich dem Kollegen Niels Annen für die SPD-Fraktion das
Wort .
({1})
Frau Präsidentin, vielen Dank . - Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Die Bundeswehr wird vom Stützpunkt Incirlik abgezogen . Diese Entscheidung ist richtig,
und diese Entscheidung ist überfällig .
({0})
Dass Deutschland die Bundeswehr aus einem laufenden Einsatz aus einem NATO-Mitgliedsland abziehen
muss, weil sich dessen Regierung weigert, uns Abgeordneten den Besuch unserer Soldatinnen und Soldaten
zu gewähren, und dass dieser Einsatz stattdessen in ein
Nicht-NATO-Mitgliedsland verlegt werden muss, ist ein
einmaliger Vorgang .
({1})
Mit dem Abzug aus Incirlik - das muss man vermutlich
so sagen - sind wir an einem vorläufigen Tiefpunkt in
den Beziehungen zur Türkei angekommen .
Aber eines ist mir ganz wichtig: Es gibt keinen Grund,
über die heutige Entscheidung Genugtuung zu empfinden . Dafür sind die Beziehungen zur Türkei zu wichtig .
Deswegen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen,
will ich noch einmal daran erinnern, worum es bei diesem Streit im Kern eigentlich ging: Die Bundeswehr ist
eine Parlamentsarmee . Wir, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, entscheiden, ob wir Soldatinnen und
Soldaten in bewaffnete Einsätze schicken, und wir entscheiden im Zweifel auch, die Soldatinnen und Soldaten,
wenn nötig, zurückzurufen . Es muss eine Selbstverständlichkeit sein und es ist auch an allen anderen Einsatzorten
eine Selbstverständlichkeit, dass wir die Soldatinnen und
Soldaten, die wir in unserer Verantwortung in Einsätze
schicken, an diesen Einsatzorten auch besuchen dürfen .
Ich will daran erinnern: Es war nicht der Deutsche
Bundestag, der diese Besuche politisiert hat; es war Präsident Erdogan . Offensichtlich ging es dem türkischen
Präsidenten dabei nicht nur um diese Frage . Es ging ihm
um Innenpolitik . Es ging ihm darum, zu mobilisieren und
vor einem innenpolitisch hochbrisanten Referendum eine
emotionale Debatte loszutreten . Er hat dafür die Beziehungen zu unserem Land schwer strapaziert und in einigen Punkten sogar aufs Spiel gesetzt . Mit staatsmännischem Verhalten hat das nichts zu tun, meine Damen
und Herren .
({2})
Um die Verfassungsreform durchzusetzen, ließ Erdogan
den Konflikt mit Deutschland eskalieren. Sowohl die
Präsenz der Bundeswehr als auch willkürlich inhaftierte
deutsche Staatsbürger wie Deniz Yücel und andere wurden von Präsident Erdogan genutzt, um sie in politische
Geiselhaft zu nehmen .
Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, Außenminister Gabriel dafür zu danken, dass er nie Zweifel daran
gelassen hat und Forderungen Ankaras, wir sollten Türkinnen und Türken, die in Deutschland Asyl bekommen
haben, nach dem Putschversuch ausliefern, stets mit großer Klarheit zurückgewiesen hat . Hier überhaupt eine
Verknüpfung herzustellen - das hat die türkische Seite
von uns erwartet, nämlich Freilassung von Herrn Yücel
gegen Zugeständnisse, Besuchsrechte der Bundeswehr
gegen politische Zugeständnisse -, ist inakzeptabel .
({3})
Allein die Forderung zeigt, was für ein hanebüchenes
Rechtsverständnis der türkische Präsident hat . Herr
Erdogan, nehmen Sie zur Kenntnis: In Deutschland
entscheiden nicht Präsidenten oder Kanzler, sondern
unabhängige Behörden und Gerichte darüber, wem politisches Asyl gewährt wird . Wenn Sie, Herr Erdogan,
daran etwas ändern wollen, dann sorgen Sie dafür, dass
in Ihrem Land die Menschenrechte wieder respektiert
werden . Dann müssen Ihre Bürgerinnen und Bürger auch
nicht in Deutschland Asyl beantragen .
({4})
Meine Fraktion steht fest an der Seite der Demokratinnen und Demokraten in der Türkei . 50 Prozent der Menschen, möglicherweise sogar mehr, haben ja gegen den
Referendumsentwurf gestimmt . Diese Menschen dürfen
wir bei allem Streit in dieser Situation nicht vergessen .
({5})
Ich glaube, dass zu einer nüchternen Analyse der
deutsch-türkischen Beziehungen auch eine selbstkritische Betrachtung gehört . Wir müssen eingestehen, dass
es auch auf deutscher Seite Fehler gegeben hat . Ich
komme nicht darum herum, darauf hinzuweisen, dass es
Kanzlerin Merkel, die CDU/CSU und ihre europäischen
konservativen Freunde waren, die die Türkei jahrelang
auf Abstand gehalten haben, leider auch in einer Zeit, in
der es in der Türkei noch Reformbemühungen gegeben
hat . Wir haben dieses Momentum verspielt . Das ist ein
Teil unserer Verantwortung .
({6})
Aber natürlich gehört zu dieser Analyse auch, dass die
Eskalation von Ankara ausging . Die Bundesregierung
hat immer und immer wieder versucht, Kompromisse zu
schmieden, im Gespräch zu bleiben und eine gesichtswahrende Lösung zu erzielen . Herr Erdogan hat sich anders entschieden . Wir haben auch von parlamentarischer
Seite den Dialog gesucht . Auch dies ist abgewiesen worden . Frau Roth und ich haben vor wenigen Tagen erlebt,
dass eine Delegation nicht ins Land gelassen wurde . Die
Signale waren eindeutig .
Vizepräsidentin Michaela Noll
Ich weiß, dass jetzt von der Opposition und von vielen Bürgerinnen und Bürgern gesagt wird: Ihr habt euch
hinhalten und vorführen lassen . - Ich sage: Das Gegenteil ist der Fall . Jeder Versuch, im Gespräch zu bleiben,
war es wert . Dafür ist diese Beziehung zu wichtig . Es
handelt sich bei einer Truppenverlegung in einem laufenden Einsatz nicht um eine Banalität . Aber nachdem
das letzte Gespräch gescheitert war und Frau Merkel im
Gespräch mit Herrn Erdogan kein Ergebnis erzielt hat, ist
jetzt Klarheit gefragt, Kolleginnen und Kollegen . Genug
ist genug, die Bundeswehr muss abzogen werden, und
wir sind auf dem richtigen Weg . Ich glaube, das ist die
Botschaft des heutigen Tages .
({7})
Ich will an dieser Stelle der jordanischen Regierung
danken . Wir haben uns den Abzug nicht gewünscht . Wir
haben dafür gearbeitet und gekämpft, dass die Bundeswehr in Incirlik bleiben kann, auch als ein Symbol für
die deutsch-türkischen Beziehungen . Aber jetzt ist anders entschieden worden . Insofern will ich sagen: Es ist
vielleicht eine Koinzidenz, aber keine schlechte, dass
wir in einer schwierigen Lage - Sie alle wissen, dass die
Kämpfe an der jordanischen Grenze an Intensität zunehmen - einem Land, das Hunderttausende von Flüchtlingen aufgenommen und sich in den letzten Jahren als ein
stabiler, verlässlicher Partner erwiesen hat, jetzt diese
symbolische Unterstützung zukommen lassen können .
Ich glaube, das ist die richtige Botschaft .
Lassen Sie uns nach einer auch emotionalen Debatte in diesem Hause und in der Gesellschaft doch eines
festhalten: Das Prinzip der Parlamentsarmee hat sich bewährt . Es hat sich auch in einer Zeit höchster Spannungen und großer Krisen bewährt . Lassen Sie uns nicht an
diesem Prinzip rütteln .
Ich danke für die Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung .
({8})
Vielen Dank, Herr Kollege Annen . - Jetzt hat
Dr . Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Selbstverständlich ist es eine Frechheit, dass der türkische Präsident Erdogan uns Abgeordnete des Bundestages nicht zu unseren Soldaten, die übrigens auch auf seinen Wunsch hin dort sind, in die Türkei lässt . Das kann
man nicht hinnehmen .
({0})
Ich stelle mir aber folgende Frage: Unsere Soldaten
stehen doch bewaffnet in Incirlik, um den Luftraum
über Syrien zu erspähen . Diese Daten gehen dann an ein
Hauptquartier der Mitglieder der Allianz . Mitglieder der
Allianz sind zum Beispiel die USA, aber auch die Türkei .
Das heißt, sowohl die USA als auch die Türkei bekommen Zugriff auf diese Daten . Die USA nutzen die Daten,
um den „Islamischen Staat“ zu bekämpfen und Flugzeuge von Assad zu zerstören . Aber auch die Türkei könnte
die Daten nutzen, zum Beispiel für ihren Kampf gegen
die Kurdinnen und Kurden in Syrien .
Wenn also die Bundeswehr, wenn Deutschland Daten
an das Hauptquartier liefert und die Türkei Zugriff darauf
hat, könnte doch zumindest der Eindruck entstehen - ob
man will oder nicht -, dass wir an der Seite der Türkei
stehen, gegen die Kurdinnen und Kurden agieren und damit indirekt dem „Islamischen Staat“ helfen . Die Türkei
hat nämlich die Kurdinnen und Kurden in Syrien bombardiert . Diese führen aber den Bodenkampf gegen den
„Islamischen Staat“ und werden dadurch geschwächt .
Ich möchte nicht, dass die Bundeswehr eine solche Rolle
übernimmt .
({1})
Gleichzeitig fliegt die Bundeswehr in den Nordirak, bildet dort Kurdinnen und Kurden für den Kampf gegen
den „Islamischen Staat“ aus und bewaffnet sie . Was denn
nun? Steht Deutschland nun an der Seite der Kurdinnen
und Kurden im Kampf gegen den „Islamischen Staat“
oder an der Seite der Türkei im Kampf gegen die Kurdinnen und Kurden, wodurch der „Islamische Staat“ gestärkt wird? Merken Sie nicht, dass diese zwiespältige
Rolle endlich aufhören muss, oder nehmen Sie einfach
beides hin?
({2})
Darf man nicht ein Mindestmaß an Glaubwürdigkeit verlangen?
Meine Haltung ist übrigens eine ganz andere . Ich meine, dass wir im Nahen Osten und in der gesamten Region
militärisch gar nichts zu suchen haben .
({3})
Deshalb ist die Forderung der Grünen und der Linken
berechtigt, die Soldaten und ihre Waffen nach Hause zu
holen und sie nicht nach Jordanien zu verlagern, damit
sie dort ihre zwiespältige Rolle fortsetzen .
({4})
Ich glaube, dass wir im Nahen Osten und darüber hinaus langsam unsere Rolle wechseln müssen . Wir müssen zu einem Vermittler werden, einem Vermittler zwischen Israel und Palästina, im Syrien-Krieg, im Krieg
Saudi-Arabiens gegen den Jemen, im Konflikt zwischen
Russland und der Ukraine und in anderen Krisen . Ich
glaube, dass das unsere Rolle nach dem Zweiten Weltkrieg, nach 1945 sein muss . Sie aber wollen keine VerNiels Annen
mittlerrolle . Sie machen aus Deutschland eine Kriegspartei, und das ist der falsche Weg .
({5})
Sie haben Deutschland daneben auch noch zum drittgrößten Waffenexporteur gemacht . Das ist nun wirklich
nicht die Aufgabe unseres Landes .
({6})
Es wird Zeit, dass der ganze Bundestag begreift - übrigens auch wegen Trump -, dass wir eine andere Rolle spielen müssen . Ich will einmal ein Beispiel nennen:
Trump fordert einfach so, dass wir 2 Prozent unseres
Bruttoinlandsprodukts für Rüstung und Armee ausgeben .
Wir geben schon jetzt 38 Milliarden Euro pro Jahr dafür aus, und er will, dass wir noch einmal 30 Milliarden
Euro obendrauf legen . Frau Merkel und Frau von der
Leyen sagen sofort artig, ja, sie werden das machen . Bevor ich mir zu Hause eine zweite Waschmaschine kaufe,
überlege ich mir, ob ich sie auch brauche, und wenn ich
sie nicht brauche, dann kaufe ich sie auch nicht . Wozu
brauchen wir denn mehr Rüstungsgüter und Soldaten für
30 Milliarden Euro? Fragt sich das keiner in der Regierung? Eine Antwort darauf gibt es auch nicht .
({7})
Ich bitte Sie wirklich: Hören Sie auf, Trump so dackelig
hinterherzulaufen! Lernen Sie, ihm gegenüber auch einmal Nein zu sagen! Wir brauchen nicht mehr Rüstung,
und wir brauchen nicht mehr Armee .
({8})
Also: Zurück mit der Bundeswehr aus der Türkei nach
Hause und nicht nach Jordanien und mehr Mut gegenüber Trump unter Einschluss des Wortes „Nein“!
Danke .
({9})
Vielen Dank, Herr Kollege Gysi . - Als Nächster hat
der Kollege Henning Otte für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Ich glaube, es ist an der Zeit, noch
einmal klarzustellen, Herr Gysi, warum die Bundeswehr
hier mit über 60 Nationen einen Beitrag leistet . Es geht
darum, den furchtbaren IS-Terror zu bekämpfen, einen
IS-Terror, der nicht nur für die Menschen in Syrien und
für die Menschen in Europa, sondern für die ganze Welt
eine Bedrohung ist . Der IS geht rücksichtslos gegen
Frauen, Kinder, Männer, Andersgläubige vor . Diesem
muss Einhalt geboten werden, und deswegen ist unser
Einsatz richtig und vernünftig .
({0})
Die Bundeswehr ist mit Aufklärungstornados und
Tankflugzeugen in Incirlik und hat dort eine herausragende Arbeit geleistet . Der Standort hat gute Rahmenbedingungen geboten, nicht für die Türkei, sondern in der
Türkei . Wir stellen nun mit großer Sorge die Veränderungen in der Türkei fest . Wir sehen die Anschläge, die es
dort gibt, aber eben auch das Vorgehen gegen die Bürgerrechte . Deswegen sagen wir dem NATO-Mitglied Türkei: Die NATO ist nicht nur ein Verteidigungsbündnis,
sondern auch eine Wertegemeinschaft . Wir fordern, dass
diese Werte eingehalten werden .
({1})
Wir haben in Deutschland eine Gewaltenteilung . Es
ist gut, dass die Abgeordneten die Bundeswehr als Parlamentsarmee besuchen können, um zu gucken, ob das
Mandat umgesetzt wird, aber auch aus Gründen der Fürsorge, ob es unseren Soldatinnen und Soldaten gut geht .
Darin unterscheiden wir uns von der Fraktion Die Linke, die auch das Besuchsrecht für sich entdeckt hat, aber
eben nicht, wie gerade deutlich wurde, um den Soldatinnen und Soldaten ihre Anerkennung zu zeigen, sondern
um ihnen ihr Misstrauen auszusprechen, ihnen Dinge zu
unterstellen, die nicht wahr sind . Das ist nicht in Ordnung . Ein Mindestmaß an Glaubwürdigkeit sollten auch
Sie sich erhalten, Herr Gysi .
({2})
Es werden nämlich keine Bilder an nicht festgelegte Kanäle weitergegeben .
Ich sage ganz deutlich, dass es die Unionsfraktion
war, die gesagt hat: Wir helfen den kurdischen Kämpfern, den Peschmerga, damit sie ihre Heimatdörfer verteidigen können, damit sie Leib und Leben ihrer Familienangehörigen verteidigen können . Was wäre denn aus
den Kurden und den Jesiden dort geworden, wenn Sie
Verantwortung gehabt hätten? Gut, dass die Union in einer Großen Koalition die Verantwortung trägt . Wir nehmen Verantwortung wahr, auch für die Menschen dort .
({3})
Zugegebenermaßen ist Politik auch das Bohren dicker
Bretter . In der Politik braucht man Ruhe, vielleicht auch
Gelassenheit, aber vor allem immer einen Kompass . Es
war gut, dass Minister Gabriel in Ankara Gespräche geführt und deutlich gemacht hat: Das Besuchsrecht ist für
uns nicht verhandelbar . Aber, Herr Annen, wie kann es
denn sein, dass Sie, wenn Herr Gabriel am Montag losfliegt, am Dienstag in der Fraktion schon die Entscheidung treffen, die Soldaten aus Incirlik abzuziehen? Sie
haben damit den Außenminister desavouiert . Das ist
doch kein Zeichen von Vertrauen . Dass wir die Soldaten
abziehen müssen, haben Sie mit Ihrem Schlingerkurs mit
zu verantworten .
({4})
Wir werden die Tankflugzeuge und im August die Tornados verlegen . Spätestens im Oktober werden die Soldatinnen und Soldaten wieder voll operationsfähig sein .
Dass das so schnell geht, ist der Innovationskraft und der
Tatkraft unserer Soldatinnen und Soldaten zuzuschreiben . Es ist vor allem aber der Entscheidung der Bundesverteidigungsministerin zuzuschreiben, die gesagt hat:
Wir werden vorbeugend schauen, ob wir in Jordanien
einen neuen Standort finden. Herzlichen Dank, Frau Ministerin, für diese vorsorgende Arbeit .
({5})
Meine Damen und Herren, die Bundeswehr hat viel
zu leisten . Das müssen wir auch durch politische Rückendeckung deutlich machen . Wir haben daher in dieser Legislaturperiode das Attraktivitätssteigerungsgesetz
und das Soldatinnen- und Soldatenbeteiligungsgesetz auf
den Weg gebracht, das Besoldungsänderungsgesetz und
den Auslandsverwendungszuschlag verbessert sowie die
Wahlfreiheit zwischen Trennungsgeld und Umzugskostenvergütung eingeführt . Wir haben die Trendwende eingeleitet, materiell, personell und auch finanziell.
Ich sage Ihnen, Herr Gysi: Die CDU/CSU ist die einzige Fraktion, die bereit ist, den Soldatinnen und Soldaten mehr Geld für die Erfüllung ihrer Aufgaben zu geben,
beispielsweise zur Anschaffung von Nachtsichtbrillen
und abhörsicheren Funkgeräten . Hören Sie auf, hier
Quatsch zu erzählen! Es geht darum, dass die Soldatinnen und Soldaten ihren Auftrag erfüllen für Freiheit und
Frieden in Europa . Sie sind ein Garant für Stabilität . Deswegen unterstützt die Union unsere Bundeswehr .
Herzlichen Dank .
({6})
Herzlichen Dank, Herr Kollege Otte . - Das Wort hat
jetzt der Kollege Cem Özdemir für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Vor ziemlich genau zwei Jahren fand in der Türkei eine
Wahl statt . Erstmals gelang einem Parteienbündnis aus
progressiven und liberalen Kräften der HDP der Sprung
über die 10-Prozent-Hürde . In der türkischen Nationalversammlung saßen kurdischstämmige Abgeordnete
erstmals an der Seite von armenischstämmigen Abgeordneten, von Jesiden und vor allem von sehr vielen Frauen .
Pluralismus war in dieses Parlament eingezogen . Viele
hier im Haus haben gehofft, dass diese Wahl eine Chance
für die Türkei ist, dass die Konflikte dort gelöst werden,
wo sie in einer Demokratie gelöst werden müssen, nicht
in den Bergen, nicht in den Kasernen, sondern in Parlamenten, wo man sich zur Beantwortung der Fragen zivilisiert auseinandersetzt .
({0})
Allerdings müssen wir zwei Jahre später feststellen,
dass die türkische Nationalversammlung anders aussieht . Die AKP-Fraktion ist nach der sogenannten Verfassungsreform vollständig zum Büttel Erdogans geworden . Abgeordnete der HDP-Fraktion sitzen mittlerweile
im Gefängnis, darunter ihre Anführer . Aber auch aus der
größten Oppositionsfraktion, ihrer Schwesterpartei, der
Republikanischen Volkspartei, ist erstmals ein Abgeordneter, Enis Berberoglu, eingesperrt worden .
Ich finde, man kann keine Debatte über die Türkei
führen, ohne dass wir, die wir hier diese Auseinandersetzung zwar kontrovers, aber eben frei führen können, unseren Kolleginnen und Kollegen in der Türkei, die nichts
anderes verbrochen haben, als ihren Job wahrzunehmen,
Solidarität aussprechen .
({1})
Das geht in einem NATO-Mitgliedsland nicht . Das geht
in einem Mitgliedsland des Europarates nicht . Das geht
in einem Land, das Mitglied in der Europäischen Union
werden möchte, nicht . Ich habe über die Parlamentarier gesprochen . Ich will aber die unzähligen Richter, die
Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die Lehrer
und Lehrerinnen, die Polizisten und Journalisten nicht
vergessen, darunter übrigens auch zwei unserer Staatsbürger, die man dort versucht mundtot zu machen, indem
man sie entlässt oder schlicht und ergreifend wegsperrt .
Auch denen gilt unsere Solidarität . Wir dürfen nicht eher
ruhen, bis diese Menschen wieder in Freiheit und die türkischen Gerichte wieder rechtsstaatliche Gerichte statt
Willkürgerichte von Herrn Erdogan sind .
({2})
Ich habe gerade mit Spannung die Auseinandersetzung darüber verfolgt, wem wir es zu verdanken haben,
dass die Soldaten aus Incirlik abgezogen werden . Die
SPD ist sich sicher, dass es die SPD war . Die CDU/CSU
ist sich sicher, dass es die CDU/CSU war . Vielleicht können wir uns einfach darauf einigen, dass es die Menschen
in diesem Land waren, die gesagt haben: Es geht nicht
an, dass ein Parlament Soldaten in ein NATO-Land entsendet und es unseren Abgeordneten verweigert wird, sie
dort besuchen zu können . Es ist gut, dass Sie jetzt reagieren . Aber die Situation hat sich doch nicht verändert .
Wir hatten diese Situation schon vor einem Jahr, und da
waren Sie leider nicht imstande, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen . Das hat Herrn Erdogan ermutigt,
auf seinem falschen Weg weiterzumachen . Herr Erdogan
versteht die Sprache des Kuschelns nicht, meine Damen,
meine Herren . Die einzige Sprache, die er versteht, ist,
ihm deutlich zu machen, dass es Grenzen gibt, und diese Grenze ist schon länger überschritten . Deshalb ist es
notwendig, dass man ihm deutlich macht: Das geht nicht,
das muss Konsequenzen haben .
({3})
An die Adresse der Bundesregierung noch eines: Gelegentlich konnte man den Eindruck gewinnen, dass das
Reiseprogramm der Bundeskanzlerin sich ein bisschen
nach Wahlkampferwägungen von Herrn Erdogan gerichtet hat .
({4})
Ich habe es nicht vergessen - und die Opposition in der
Türkei hat es auch nicht vergessen -, dass sie kurz vor der
Wahl in der Türkei war und keine Zeit hatte, sich mit der
Opposition zu treffen . Wenigstens 15 Minuten am Flughafen mit einem der Oppositionsführer und Vertretern
der Tageszeitung Cumhuriyet kann man schon erwarten .
({5})
Ich will nicht, dass ein Außenminister und eine Kanzlerin dieses Landes die Werte unseres Landes und die
Werte Europas am Check-in-Schalter abgeben und sie
vergessen, wenn sie in der Türkei sind . Auch da sind sie
wichtig . Wir haben vorhin geklatscht, als davon die Rede
war, dass gerade die Menschen, die in besonderer Weise auf die Solidarität von Demokraten angewiesen sind,
wissen, dass wir sie nicht vergessen, meine Damen, meine Herren .
({6})
Ich komme zum Schluss . Ich hätte mir gewünscht,
dass wir bei einem Einsatz, bei dem wir die Soldaten von
einem NATO-Land in ein Land verlegen, das nicht in der
NATO ist, eine wirklich umfassende Debatte in diesem
Haus führen . Ich glaube, es wäre für eine Parlamentsarmee durchaus angemessen, diese Debatte im umfassenden Sinne zu führen . Ich bedaure, dass wir die Zeit dafür
nicht haben . Umso wichtiger ist, dass sich der Bundestag
damit beschäftigt .
({7})
Vielen Dank, Herr Kollege . - Das Wort hat nunmehr
Dr . Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundeswehr zieht aus Incirlik ab, und das ist richtig
so . Die letzte Forderung aus der Türkei, das Besuchsrecht
der Abgeordneten daran zu koppeln, dass türkischen Soldaten und Beamten kein Asyl in Deutschland gewährt
wird, ist eines Rechtsstaats unwürdig .
({0})
Ein Grundrecht kann man nicht gegen ein Besuchsrecht
eintauschen . Dass dieser Handel überhaupt vorgeschlagen worden ist, wirft ein bezeichnendes Licht auf die
aktuelle türkische Regierung und ihr Rechtsstaatsverständnis .
({1})
An einem solchen Punkt muss man auch die Kraft haben, ein Zeichen zu setzen; denn wenn man auf dieser
Basis mit einer Regierung, noch dazu mit einer Regierung eines NATO-Partners und EU-Beitrittskandidaten,
weiter verhandelt, dann nimmt auch die eigene Glaubwürdigkeit und die Glaubwürdigkeit der westlichen Welt
insgesamt ab . Der Schaden, der dadurch entsteht, ist viel
größer als der Nutzen, den man in der Sache erreichen
kann .
Deswegen ist es richtig, dass diese Entscheidung jetzt
so gefallen ist . Es kommt jetzt darauf an, dafür zu sorgen,
dass der Profiteur der Entscheidung nicht ausgerechnet
der „Islamische Staat“ ist; es muss vielmehr möglichst
schnell gelingen, den Ausfall der Bundeswehr zu kompensieren und eine Lösung zu finden. Es kommt auch
darauf an, möglichst schnell eine Lösung mit der Türkei über die anderen Streitpunkte zu finden - Stichwort:
inhaftierte Journalisten; darüber haben wir gerade eben
schon gesprochen .
Eigentlich wäre es nach dieser Entscheidung der Bundesregierung gut gewesen, wenn die Grünen und die
Linken ihren Antrag zurückgezogen hätten . Aber da Sie
ihn nicht zurückgezogen haben, kann ich Ihnen nicht ersparen, dass ich mich mit ihm ein bisschen beschäftige .
Ich habe den Antrag dabei . Alleine dass Grüne und Linke
jetzt gemeinsame Linien in der Außenpolitik formulieren, ist schon einmal ein Zeichen .
({2})
Aber viel bemerkenswerter finde ich, dass sie dafür Textvorlagen der Linken verwenden . Schauen wir uns den
Antrag an . Er besteht aus nur zwei Sätzen, mit denen der
sofortige Abzug der Bundeswehr ohne weitere Begründung gefordert wird . Das sind Formulierungen, die wir
sonst nur von den Anträgen der Linken kennen .
({3})
Aber der Vorteil der kurzen Anträge ist, dass man sie
vorlesen kann:
Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee und die
parlamentarische Kontrolle muss zu jedem Zeitpunkt möglich sein .
({4})
Das unterschreibe ich noch, das ist auch richtig . Aber
es geht weiter:
Die Bundeswehr wird daher mit sofortiger Wirkung
vom Standort Incirlik ({5}) abgezogen .
({6})
Grüne und Linke klatschen jetzt .
({7})
- Ja, aber ich halte diese Schlussfolgerung für fatal, weil
sie uns erpressbar macht . Man kann jetzt zu Ihrer Verteidigung sagen, dass Erdogan auch ohne Grüne und Linke
darauf gekommen ist und genau an diesem Punkt angesetzt hat . Das Besuchsrecht ist doch ein wunderbarer Hebel für so einen Herrscher, mit dem es ihm gelungen ist,
uns über Monate hinweg zu provozieren und mit dem es
ihm zum Schluss auch gelungen ist, den Abzug der Bundeswehr zu erzwingen .
({8})
Es ist doch klar, dass sich jetzt sofort der nächste Herrscher überlegt, ob er diesen Hebel nicht ansetzen kann,
sodass wir uns mit dieser Frage wieder beschäftigen
müssen .
Auch ich bin für den Abzug der Bundeswehr .
({9})
Es ist richtig, dass wir uns zurückziehen, aber ich bin dagegen, dass wir uns selber erpressbar machen . Ein großer
Staatsmann hat den Satz geprägt: Die oberste politische
Tugend ist die Klugheit. - Ich finde diesen Antrag nicht
besonders klug . Ich fände es klug, wenn Sie ihn zurückziehen würden . Sie haben jetzt noch die Chance . Wir
werden ihn auf jeden Fall ablehnen .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({10})
Es besteht noch das Bedürfnis nach einer Kurzintervention . Frau Kollegin Hänsel .
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin . - Ich muss schon
sagen: Herr Brandl, Ihre abenteuerlichen Theorien können Sie vergessen . Was Sie hier vorgebracht haben, ist
wirklich hanebüchen . Es geht um etwas anderes . Ihre Regierung hat sich schon längst durch das Merkel- ErdoganAbkommen erpressbar gemacht .
({0})
Durch diesen schmutzigen Flüchtlingsdeal haben Sie
sich doch schon lange in die Hände Erdogans begeben .
Das ist doch die Wahrheit . Darüber sollten Sie sprechen,
aber Sie sollten nicht uns plötzlich den Abzug vorwerfen .
Wir haben konsequent gemahnt, dass es nicht sein kann,
dass wir unser Besuchsrecht nicht wahrnehmen können .
Wir vertreten die Interessen des Parlaments . Das hätten
Sie viel früher tun müssen . Sie wurden von uns zum Jagen getragen, sodass wir jetzt so weit sind, dass die Bundeswehr abgezogen wird .
({1})
Meine Frage an Sie betrifft das Mandat . Wir sehen hier
eine Umwidmung des Mandats . Wir erleben mittlerweile, dass der NATO-Partner USA syrische Kampfflugzeuge abschießt . Diesbezüglich würde ich von Ihnen gerne
wissen, wie Sie sich das eigentlich vorstellen . Das ist
eine brandgefährliche Situation . Darüber müssen wir
sprechen, aber nicht über Ihre abenteuerlichen Vorwürfe,
die Sie gegen uns erhoben haben .
({2})
Herr Kollege Brandl, möchten Sie darauf antworten? - Bitte .
Frau Kollegin, es ist natürlich die alte Taktik der Linken, einfach ein neues Thema anzusprechen, um vom eigentlichen Thema abzulenken .
({0})
Diese Taktik lassen wir Ihnen nicht durchgehen . Es ist
völlig klar, dass Sie kein Interesse daran haben, dass die
Bundeswehr irgendwo stationiert ist .
({1})
Sie lehnen jeglichen Einsatz der Bundeswehr ab und
wollen mit einem solchen Antrag allen möglichen Ländern einen Hebel in die Hand geben, den Abzug der
Bundeswehr zu erzwingen . Das lassen wir Ihnen nicht
durchgehen .
Zum Mandat: Im Mandat ist der Standort Incirlik nicht
ausdrücklich festgeschrieben . Das Mandat ist allgemein
gehalten . Der Deutsche Bundestag hat beschlossen, dass
der Standort Incirlik im Hinblick auf das Besuchsrecht
überprüft wird . Das hat der Deutsche Bundestag jetzt getan . Die Bundesregierung hat entschieden . Das Mandat
bleibt weiterhin gültig; es ist keine Neubefassung nötig .
Danke .
({2})
Vielen Dank, Herr Kollege . - Ich schließe die Aus-
sprache .
Tagesordnungspunkt 4 . Wir kommen zur Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen
Ausschusses zu dem Antrag der Fraktionen Bündnis 90/
Die Grünen und Die Linke mit dem Titel „Sofortiger
Abzug der Bundeswehr aus Incirlik“ . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12817, den Antrag der Fraktionen Bündnis 90/
Die Grünen und Die Linke auf Drucksache 18/12372 ab-
zulehnen . Wir stimmen nun über die Beschlussempfeh-
lung namentlich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen . -
Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Ich eröffne die
erste namentliche Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung zu dem Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die
Grünen und Die Linke .
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall . Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen .
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt
gegeben .1)
Zusatzpunkt 3 . Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksa-
che 18/12779 mit dem Titel „Verlegung des Bundeswehr-
kontingents von Incirlik nach Al Azraq zügig durchfüh-
ren“ . Wir stimmen auch über diesen Antrag namentlich
ab .
Es liegt eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 un-
serer Geschäftsordnung vor .2)
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen . - Sind die Plätze an
den Urnen besetzt? - Das ist der Fall . Ich eröffne die
zweite namentliche Abstimmung .
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall . Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen .
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt
gegeben .3)
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Cem Özdemir, Dr . Thomas Gambke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine neue Gründungskultur in Deutschland
Drucksache 18/12369
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst
Kerstin Andreae von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
({0})
- Es wäre nett, wenn die Kolleginnen und Kollegen die
Plätze einnehmen würden oder gegebenenfalls die Ge-
spräche draußen fortsetzen würden .
1) Ergebnis Seite 24440 D
2) Anlage 42
3) Ergebnis Seite 24443 C
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Zahlen aus dem KfW-Gründungsmonitor sind ernüchternd: Die Anzahl der Existenzgründerinnen und
Existenzgründer nimmt kontinuierlich ab . Im Jahr 2016
hatten wir 13 Prozent weniger Gründungen als im Jahr
davor . Das liegt zum einen natürlich an der sinkenden
Arbeitslosigkeit - aber eben nicht nur -, es liegt zum anderen auch daran, dass Gründungen in der Bundesrepublik Deutschland inzwischen extrem schwierig werden sei es wegen bürokratischer Hürden, sei es wegen eines
unübersichtlichen Förderdschungels, sei es wegen starrer
Kriterien, sei es wegen der fehlenden sozialen Absicherung oder sei es wegen unzureichender Finanzierungsinstrumente . Besonders bei diesem letzten Punkt besteht
dringender Handlungsbedarf .
({0})
Gründungen sind ja sehr vielseitig und sehr vielschichtig . Da ist der Jungunternehmer mit einem faltbaren Elektromobilroller, der mit der EU-Bürokratie um die
Zulassung kämpft; da ist die alleinerziehende freiberufliche Grafikdesignerin, die versucht, sich eine neue Existenz aufzubauen; und da ist im Übrigen auch der syrische
Flüchtling, der überlegt, eine Lokalität zu eröffnen .
Was Union und SPD nicht sehen wollen bzw . wofür
sie eigentlich in den letzten Jahren nichts getan haben:
Die fehlenden Existenzgründungen von heute sind eben
auch Teil der Arbeitslosigkeit von morgen . Wir wissen,
dass Gründerinnen und Gründer in der Summe in den
letzten Jahren 5 Millionen sozialversicherungspflichtige Jobs geschaffen haben . Das sind im Schnitt drei bis
vier neue Arbeitsplätze pro Gründung . Darin stecken ein
unglaubliches Potenzial und eine unglaubliche Chance .
Und das sollte uns doch gemeinsam zusammenführen,
damit wir hier nun auch wirklich etwas für diese Menschen tun .
({1})
Deswegen haben wir einen umfassenden Antrag zu
Gründungen vorgelegt, in dem eine Reihe von Instrumenten beschrieben werden, von denen ich Ihnen ein
paar vorstellen werde . In den ersten beiden Jahren sollen
Gründerinnen und Gründer von unnötigen Meldepflichten befreit werden . Die Anmeldungen bei den Behörden
sollen vereinfacht werden, E-Goverment-Strategien sollen entwickelt werden, One-Stop-Shops - alles aus einer
Hand; ein großes Bedürfnis der jungen Menschen, die
Gründungen planen -, Entlastungen bei den Sozialversicherungsbeiträgen und eben eine einfache und unbürokratische Finanzierung .
Deswegen schlagen wir Ihnen vor, dass es ein Gründungskapital geben soll: 25 000 Euro als Darlehen für jeden, der sich selbstständig machen will - unbürokratisch
und fast bedingungslos, ohne eine Bank im Rücken, ohne
Eigenkapital und ohne Sicherheit . Denn wir wollen, dass
die Ideen ihren Raum finden und dass man nicht so viel
selber - vielleicht auch von zu Hause aus - mitbringen
Vizepräsidentin Michaela Noll
muss . Wir wollen, dass dieses innovative Potenzial, das
da ist, tatsächlich genutzt wird .
({2})
An die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU: Hessen macht so etwas Ähnliches . Der grüne Wirtschaftsminister in Hessen hat ein Mikrodarlehen-Programm auf
den Weg gebracht, nach dem exakt 25 000 Euro einfach
zu bekommen sind, ohne die Sicherheit im Rücken, für
genau diese jungen Menschen .
Was ist in Hessen passiert? Das Land Hessen ist inzwischen im Gründungsmonitor auf Platz zwei gelandet .
({3})
Hessen hat sich als Flächenland zwischen die Stadtstaaten geschoben . Das ist ein sehr erfolgreiches Modell .
Diese 25 000 Euro entsprechen dem Finanzierungsbedarf von ungefähr drei Viertel aller Existenzgründerinnen und Existenzgründer . Das ist die Summe, um eine
GmbH zu gründen . Im Unterschied zu dem Plan von
Frau Nahles, von dem wir vor einiger Zeit gehört haben,
dass sie sich 20 000 Euro für jeden vorstellen könnte,
ist dies ein Instrument, das auch tatsächlich an eine wirtschaftspolitische Strategie, an eine Gründungsstrategie
anknüpft, wonach das Kapital doppelt und dreifach zurückfließt: durch neue sozialversicherungspflichtige Jobs
und natürlich am Ende auch durch zusätzliche Steuereinnahmen .
Ich möchte, dass von diesem Bundestag, von der Politik das ganz klare Signal an die Gründerinnen und Gründer ausgeht: Wir brauchen euch . Wir wollen euch . Aber
wir unterstützen euch auch . Wir erkennen euer Problem .
({4})
Und deswegen machen wir eine Gründungskultur, die ihren Namen auch verdient .
Danke schön .
({5})
Vielen Dank, Frau Kollegin Andreae . - Als Nächstes
erteile ich das Wort dem Kollegen Jan Metzler für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist mir eine
große Freude, dass ich heute die Möglichkeit habe, die
Thematik, die bereits bei meiner ersten Rede hier im
Zentrum der Debatte stand, erneut aufzugreifen - insofern bin ich für den Antrag sehr dankbar -, und zwar die
Gründerszene in Deutschland . Ganz zentral war für mich
damals ein Satz, nämlich: Wirtschaft braucht Vertrauen .
Das ist insbesondere bei den Gründerinnen und Gründern
in unserem Land so .
Liebe Kollegin Andreae, ich muss ganz freiweg sagen: So problematisch sehe ich die Lage nicht . Wir senden permanent Impulse für eine positive Gründerkultur
in Deutschland .
({0})
Ich muss in diesem Zusammenhang sagen, dass ich, wenn
ich von der Gründerkultur im Allgemeinen spreche, nicht
nur von der IT-Branche spreche, sondern von allen, die
sich am kreativen und innovativen Schaffensprozess in
unserem Land beteiligen . Die Gründer von heute - das
steht, denke ich, für uns alle fest - sind die Mittelständler
von morgen . Erlauben Sie mir deswegen zunächst eine
generelle Feststellung und in diesem Zusammenhang
eine Art kleine Bilanz .
Wir haben eine lebendige Gründerszene in Deutschland, nicht nur in größeren Städten, aber gerade dort .
Die Berliner Gründerszene beispielsweise wird in einem Atemzug mit der in San Francisco und Tel Aviv genannt . Das ist eine positive Sache . Die Szene hat sich in
Deutschland eindrucksvoll entwickelt .
({1})
Das steht im Zusammenhang damit, dass es ihr gelungen
ist, sich mit dem traditionellen Mittelstand und mit Investoren zu vernetzen .
Die zentrale Frage, die sich stellt, ist: Was braucht
eine Gründerszene, um funktionieren zu können? Das
sind erstens die kreativen Köpfe, zweitens zweifelsohne
die Bereitstellung von Kapitalien und drittens die gründungsfreundlichen Rahmenbedingungen . Da muss man
aber noch eines einbeziehen . Gründung allein sagt nichts
darüber, wie nachhaltig die ganze Sache ist . Es braucht
aber eine nachhaltige Gründungsszene in Deutschland .
Was können wir tun, um diese Nachhaltigkeit gemeinsam voranzubringen? Dafür tun wir schon eine ganze
Menge . Ich darf beispielsweise darauf verweisen, dass
Nachholbedarf bei der digitalen Bildung und beim Unternehmertum besteht . Mit einem 5-Milliarden-Invest wollen wir die digitale Infrastruktur von Schulen - das geht
von Grund- bis zu Berufsschulen - bundesweit voranbringen . Es geht um Breitbandanschlüsse, WLAN sowie
Hard- und Software . Im Gegenzug sind die Länder gefordert, in der Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und
Lehrern auch die digitalen Kompetenzen zu vermitteln .
({2})
Zweiter Stichpunkt: Kapitalbedarf . Da knüpfe ich
an einem Punkt an, den wir gern diskutieren können .
Allen Unkenrufen zum Trotz: Hier besteht ein breites
Angebot - und das, obwohl Wagniskapital in Deutschland traditionell nicht so verankert ist wie etwa im angelsächsischen Raum . Aber wir haben beispielsweise
den KfW-Co-Investitionsfonds Coparion auf den Weg
gebracht; er ist 2016 gestartet . Ich nenne weiter den Mikromezzaninfonds und den High-Tech Gründerfonds .
Der Blick auf den Markt zeigt, dass für Unternehmen
unmittelbar zur Gründung oftmals ausreichend Kapitalien bereitstehen . Viel problematischer wird es aber dann,
wenn die Wachstumsphase voranschreitet . Daran müssen
wir zweifelsohne noch mit Nachdruck arbeiten .
({3})
Es gehört grundsätzlich aber noch ein Weiteres dazu,
und zwar das allgemeine Bewusstsein, dass am Ende
des Tages auch ein Scheitern stehen kann; das gilt es in
den Mittelpunkt zu rücken . Hier ist eine Kultur zu entwickeln . Der richtige Umgang damit ist etwas, was wir
in solchen Debatten in den Vordergrund stellen müssen .
({4})
Ich muss im Zusammenhang mit dieser Thematik eines feststellen: Gründungskultur lässt sich nicht einfach
per Antrag verordnen . Gründungskultur braucht permanent positive Impulse . Das haben wir in dieser Legislaturperiode als starke Partner des bisherigen sowie des
neuen Mittelstands getan .
({5})
Dem trägt diese Koalition mit ihrer Arbeit Rechnung .
Das zeigt sich auch perspektivisch beispielsweise an
den Koalitionsverträgen in Nordrhein-Westfalen und in
Schleswig-Holstein .
({6})
Insofern möchte ich sagen: Ich sehe das Bild nicht so
problematisch . Wir haben einen Großteil an Impulsen
gebracht .
({7})
Ich freue mich auf eine weitere intensive Debatte . Ich
sehe das Bild nicht so problematisch . Zukunft braucht
Vertrauen, Wirtschaft braucht Vertrauen,
({8})
und wir vertrauen und sind Partner, wenn es darum geht .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({9})
Vielen Dank . - Meine Kollegen, bevor ich die Debatte
fortsetze, möchte ich Ihnen kurz die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der
namentlichen Abstimmungen bekannt geben .
Zur ersten namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag mit dem Titel „Sofortiger Abzug der Bundeswehr aus Incirlik“, Drucksache 18/12372 und 18/12817: abgegebene Stimmen 569 .
Mit Ja haben gestimmt 460, mit Nein haben gestimmt
109, Enthaltungen gab es keine . Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 566;
davon
ja: 457
nein: 109
enthalten: 0
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr . Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Dr . Bernd Fabritius
Uwe Feiler
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({1})
Axel E . Fischer ({2})
Klaus-Peter Flosbach
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({3})
Michael Frieser
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Dr . Herlind Gundelach
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({4})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann ({5})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Dr . Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h . c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({6})
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Maria Michalk
Dr . h . c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller ({7})
Stefan Müller ({8})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({9})
Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({10})
Gabriele Schmidt ({11})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({12})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder ({13})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({14})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({15})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
HonD Albert Weiler
Marcus Weinberg ({16})
Peter Weiß ({17})
Sabine Weiss ({18})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({19})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding ({20})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h . c . Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h . c . Gernot Erler
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann ({21})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({22})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({23})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Detlef Müller ({24})
Michelle Müntefering
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({25})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({26})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Michael Roth ({27})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({28})
Dr . Nina Scheer
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({29})
Matthias Schmidt ({30})
Dagmar Schmidt ({31})
Carsten Schneider ({32})
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz ({33})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Nein
SPD
Waltraud Wolff ({34})
DIE LINKE
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . Gregor Gysi
Dr . André Hahn
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Birgit Menz
Niema Movassat
Norbert Müller ({35})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({36})
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Harald Weinberg
Birgit Wöllert
Hubertus Zdebel
Sabine Zimmermann
({37})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({38})
Volker Beck ({39})
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katharina Dröge
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({40})
Christian Kühn ({41})
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Beate Müller-Gemmeke
Dr . Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({42})
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms
Fraktionslos
Erika Steinbach
Wir kommen jetzt zum Ergebnis der zweiten namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von
CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Verlegung des Bundeswehrkontingents von Incirlik nach Al Azraq zügig
durchführen“, Drucksache 18/12779: abgegebene Stimmen 569 . Mit Ja haben gestimmt 461, mit Nein haben
gestimmt 85, Enthaltungen 23 . Der Antrag ist angenommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 566;
davon
ja: 458
nein: 85
enthalten: 23
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({43})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr . Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Dr . Bernd Fabritius
Uwe Feiler
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({44})
Axel E . Fischer ({45})
Klaus-Peter Flosbach
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({46})
Michael Frieser
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Dr . Herlind Gundelach
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({47})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann ({48})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Dr . Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h . c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({49})
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Maria Michalk
Dr . h . c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller ({50})
Stefan Müller ({51})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Dr . Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({52})
Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({53})
Gabriele Schmidt ({54})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({55})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder ({56})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({57})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({58})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
HonD Albert Weiler
Marcus Weinberg ({59})
Peter Weiß ({60})
Sabine Weiss ({61})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({62})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding ({63})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h . c . Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h . c . Gernot Erler
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann ({64})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({65})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({66})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Detlef Müller ({67})
Michelle Müntefering
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({68})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({69})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Michael Roth ({70})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({71})
Dr . Nina Scheer
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({72})
Matthias Schmidt ({73})
Dagmar Schmidt ({74})
Carsten Schneider ({75})
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz ({76})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Fraktionslos
Erika Steinbach
Nein
SPD
Waltraud Wolff ({77})
DIE LINKE
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . Gregor Gysi
Dr . André Hahn
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Birgit Menz
Niema Movassat
Norbert Müller ({78})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({79})
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Harald Weinberg
Birgit Wöllert
Hubertus Zdebel
Sabine Zimmermann
({80})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Annalena Baerbock
Agnieszka Brugger
Katharina Dröge
Matthias Gastel
Bärbel Höhn
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Oliver Krischer
Christian Kühn ({81})
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Nicole Maisch
Beate Müller-Gemmeke
Dr . Konstantin von Notz
Lisa Paus
Claudia Roth ({82})
Corinna Rüffer
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Beate Walter-Rosenheimer
Enthalten
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({83})
Volker Beck ({84})
Dr . Franziska Brantner
Ekin Deligöz
Dr . Thomas Gambke
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Dieter Janecek
Stephan Kühn ({85})
Renate Künast
Dr . Tobias Lindner
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Manuel Sarrazin
Kordula Schulz-Asche
Markus Tressel
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms
Jetzt setzen wir die Debatte fort . Als nächstem Redner
erteile ich dem Kollegen Thomas Lutze für die Fraktion
Die Linke das Wort .
({86})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Grünen wollen die Gründungskultur in
Deutschland stärken; das ist vom Grundsatz her erst einmal eine gute Sache .
({0})
Allerdings stellt sich die Frage, ob sich das Umfeld für
Gründerinnen und Gründer wirklich verschlechtert oder
negativ verändert hat . Brauchen wir dringend dieses ganze Bündel an Maßnahmen zur Stärkung der Gründungskultur
({1})
- ich formuliere es als Frage -, wie es die Grünen fordern?
Die Grünen begründen die Notwendigkeit ihres Antrages mit der gesunkenen Anzahl von Unternehmensgründungen in Deutschland in den letzten Jahren .
({2})
Diese Zahlen haben Sie aus dem Gründungsmonitor
der KfW-Bank . Allerdings verliert der Antrag kein Wort
über den direkten Kontext, warum es zu dem Rückgang
der Anzahl der Gründungen gekommen ist . Die Überschrift des KfW-Gründungsmonitors 2016 lautete: „Arbeitsmarkt trübt Gründungslust“ . Die Überschrift des
KfW-Gründungsmonitors 2017: „Beschäftigungsrekord
mit Nebenwirkung: So wenige Gründer wie nie“ .
Schon die Überschriften machen deutlich, dass viele
Menschen den Weg in die Selbstständigkeit nur bedingt
wählen . Für viele Menschen ist die Anmeldung eines Unternehmens nicht mit einer großen Innovation oder einer
revolutionären Geschäftsidee verbunden . Oft ist es ein
Schritt, der aus der Not heraus geboren wird,
({3})
der dann schnell zur Scheinselbstständigkeit führt und
damit schnell dazu führen kann, dass sich die Menschen
selbst ausbeuten . Hier sind wir als Linksfraktion besonders sensibel; denn die blanken Zahlen spiegeln die Realität leider Gottes nicht immer wider .
({4})
Die derzeitig gute Konjunktur und die damit einhergehende Beschäftigungslage hat vielen Menschen den
Schritt in die Selbstständigkeit erspart . Denn: Haben die
Menschen die Wahl, entscheiden sie sich eher für eine
sichere Anstellung mit dazugehöriger sozialer Absicherung .
Sicherlich: Viele Firmengründer geben Impulse für
Innovationen und stärken unseren Wirtschaftsstandort .
Positive Beispiele für innovative Neugründungen kommen hierzulande vor allem aus den Bereichen IT, Biotechnologie, aber auch aus dem Bereich der Computerspiele . Viele Gründungen im Handwerk oder bei den
freien Berufen sind eine absolute Bereicherung . Ihre positive Rolle darf nicht unterschätzt werden . Auch wir, die
Linksfraktion, wollen das überhaupt nicht schlechtreden;
ganz im Gegenteil .
({5})
Andererseits dürfen wir bei der Einordnung der Rolle
von Unternehmungsgründungen für die Beschäftigung
nicht nur auf die bloße Anzahl der Gründungen schauen . Schauen wir auf die Zahlen dahinter, stellen wir fest,
dass der größte Teil der Selbstständigen überhaupt keine
Arbeitnehmer, keine Angestellten hat . Damit sind es im
besten Falle Freiberufler, im ungünstigsten Falle Scheinselbstständige, die in der Statistik auftauchen .
Wie eingangs gesagt, wehrt sich die Linke nicht dagegen, dass die Bedingungen für Gründerinnen und Gründer verbessert werden . Deswegen begrüßen wir auch
einen Teil der Maßnahmen, sogar einen großen Teil der
Maßnahmen, den die Grünen in ihrem Antrag vorschlagen .
({6})
Dazu gehören unter anderem die bessere soziale Absicherung für Selbstständige und der Abbau von bürokratischen Hürden . Einen Teil ihrer Forderungen, wie zum
Beispiel die Forderung nach einem Venture-Capital-Gesetz, lehnen wir ab . Und wir fordern weitere Maßnahmen
zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit .
({7})
Im Übrigen finden wir, der richtig große Wurf für ein
besseres Gründungsklima in Deutschland wäre die ÜberVizepräsidentin Michaela Noll
windung der unsäglichen Hartz-IV-Gesetze und die Einführung einer ordentlichen Mindestrente;
({8})
denn - ich begründe Ihnen das - wer keine Angst haben
muss, bei einem möglichen Scheitern sofort ins absolute
Nichts zu fallen, der wagt vielleicht schneller den Schritt
in die Selbstständigkeit .
Ein herzliches Glückauf! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({9})
Vielen Dank, Herr Kollege . - Das Wort hat nun Herr
Matthias Ilgen für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wenn man der Opposition
im Hause zuhört, dann ist es spannend . Wenn man den
Linken zuhört, dann denkt man: Jeder, der sich in diesem
Lande selbstständig macht, ist deshalb ein Getriebener,
weil die Chancen auf dem Arbeitsmarkt so katastrophal
sind, dass nichts anderes als die Selbstständigkeit bleibt .
Wenn ich Frau Kollegin Andreae zuhöre, dann gewinnt
man den Eindruck, dass man zwar nicht gezwungen ist,
diesen Schritt zu machen, aber für diejenigen, die ihn gehen wollen, es quasi nichts an Unterstützung gäbe, um
diesen Schritt zu gehen . Beides ist, wie ich glaube, eine
verzerrte Darstellung der Realität .
Frau Kollegin Andreae, bei Ihrem Antrag kommt mir
das Bild von zwei fahrenden Zügen in den Sinn: Der eine
Zug, der fährt, stellt die Realität in Deutschland dar, und
der andere ist der grüne Zug, der mit ein bisschen Time
Delay hinterherfährt . Sie haben nämlich, wenn Sie das
jetzt so in einem Antrag auf den letzten Metern zusammenschreiben, in dieser Wahlperiode nicht aufgepasst,
was die Koalition in diesem Bereich alles gemacht hat .
Und das ist eine Menge . Ich will auf einige Punkte eingehen, die auch Sie aufzählen .
Rechtliche Rahmenbedingungen für Investoren in
Form eines Venture-Capital-Gesetzes verbessern - die
Forderung klingt gut . Wir haben in dieser Wahlperiode
kein spezielles Venture-Capital-Gesetz gemacht, aber
wir haben - das habe ich heute einmal gezählt - 26 Verbesserungen, die wir in einem Strategiepapier bezüglich
Venture Capital festgehalten hatten, in gesetzlichen Einzelmaßnahmen verabschiedet . Unter anderem - ich will
nur das nennen - haben wir zuletzt den sogenannten § 8d
Körperschaftsteuergesetz verabschiedet . Wir hatten eine
lange Debatte über die Frage: Wie schaffen wir es, dass
auch kleine und mittlere Unternehmen bei Beteiligungsformen bessergestellt werden, wenn ein Rauskauf oder
Unternehmerwechsel ansteht?
Forschungsbonus für KMU in Form einer Steuerermäßigung . Die Frage der steuerlichen Forschungsförderung
wollen wir gerne mit Ihnen diskutieren .
({0})
Wir glauben aber, dass man steuerliche Forschungsförderung, wenn man sie denn macht, zielgenau und
punktgenau machen muss . Die breite Nummer „Wir machen es für alle“ wäre auch von Mitnahmeeffekten geprägt . Deswegen muss das mit Blick darauf, wie das zielgenau klappen könnte, auf eine kommende Wahlperiode
verschoben werden .
Herr Kollege Ilgen, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Ja, gerne .
Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . - Sie haben vorhin gesagt, der grüne Zug
fährt hinterher . Wir haben hier einen Gesetzesantrag
zur Forschungsförderung vorgelegt, den Sie abgelehnt
haben . Alle Experten - ich war allein heute auf zwei
Veranstaltungen, beim Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften, BVK, und bei der Gesellschaft zum Studium strukturpolitischer Fragen - fordern
vehement die steuerliche Forschungsförderung . Würden
Sie in diesem Zusammenhang Ihren Vorwurf aufrechterhalten, dass die Grünen hinterherfahren, oder könnte es
in diesem Falle sein, dass die Sozialdemokraten und vor
allem auch die Union hinterherfahren?
({0})
Ich habe gesagt: bezogen auf Ihren Antrag . In diesem
Punkt will ich Ihnen gerne einräumen, dass Sie vorangehen und sozusagen den ersten Vorschlag machen .
Noch einmal: Ich glaube, man muss es zielgenauer
machen, als Ihr Antrag es vorsieht . Denn mit der Gießkanne zu fördern, halten wir nicht für vernünftig . Wir
werden uns das in der nächsten Wahlperiode ansehen,
und dann freuen wir uns, wenn wir gemeinsam über Gesetze reden können .
({0})
Ein weiteres Beispiel: in den ersten zwei Jahren die
Unternehmen von unnötigen Melde- und Informationspflichten befreien. Wir haben die Unternehmen über
die Jahre hinweg von all diesen Pflichten befreit. Man
kommt aber nicht darum herum, die Angestellten der Sozialversicherung zu melden und auch als Selbstständiger
spätestens nach zwei Jahren eine vernünftige Steuererklärung abzugeben. Das sind die realen Meldepflichten,
die es für Start-ups gibt .
Natürlich ergeben sich aus dem, was ein Unternehmen
an Umsatz, Gewinn oder Verlust macht, immer Situationen, die mehr Meldepflichten nach sich ziehen. Das hat
aber damit zu tun, dass man Umsatz und andere Grenzen
überschreitet. Das ist aber etwas, was, wie ich finde, positiv ist . So viel Bürokratie, wie auf den normalen Bürger
zukommt, wenn er eine Steuererklärung machen muss,
müssen wir auch einem neugegründeten Unternehmen
zumuten .
Sie schlagen in Ihrem Antrag vor, die gesetzlich versicherten Selbstständigen mit geringen Einkommen bei
der Kranken- und Pflegeversicherung zu entlasten. Auch
das haben wir gemacht . Wir haben den Mindestbeitrag
abgesenkt . Wir Sozialdemokraten - ich sage das offen hätten uns gewünscht, dass es eine exakt einkommensabhängige Anpassung gibt, weil das dem Modell der
Arbeitnehmer in der gesetzlichen Krankenversicherung
entspräche . Da besteht in einer nächsten Wahlperiode sicherlich Nachholbedarf . Aber zu sagen, wir hätten nichts
gemacht, ist falsch .
Insbesondere begrüßen wir die Forderung, nicht anderweitig abgesicherte Selbstständige in die gesetzliche
Rentenversicherung einzubeziehen . Auch das ist einer
der Big Points unseres Wahlprogramms, das wir am
kommenden Sonntag beschließen werden .
({1})
Jetzt komme ich zu dem Argument, das vorhin von
der Linken vorgetragen wurde, also zu der Fragestellung, ob sich jemand zwangsweise selbstständig macht .
Das glaube ich weniger, und das zeigen auch die Zahlen
nicht. Aber was wir haben, ist ein häufigerer Wechsel,
ein stärkeres Gleiten zwischen verschiedenen Berufsund Lebensperspektiven, zwischen der abhängigen Beschäftigung und der Selbstständigkeit . Gerade in der
Kreativwirtschaft - Sie haben sie hier zu Recht herausgestrichen - ist das zunehmend der Fall . Dies hat einfach
damit zu tun: Es gibt Phasen, da ist man selbstständig
oder macht eine Projektarbeit, und es gibt Phasen, da
wechselt man in ein Unternehmen und ist Angestellter .
Da für eine Einheitlichkeit bei der Rentenabsicherung zu
sorgen, halten wir für sehr sinnvoll . Das ist ein Punkt in
Ihrem Antrag, der insgesamt zu loben ist .
Darüber hinaus haben wir am Anfang dieser Wahlperiode - Kollege Metzler hat es angesprochen; dazu habe
ich auch meine erste Rede im Bundestag gehalten - über
die KfW und die Fragestellung geredet, was wir mit dem
ERP-Sondervermögen im Bereich Start-ups machen . Im
Jahr 2018 - das ist jetzt vorgesehen - gründen wir eine
eigenständige Beteiligungsgesellschaft des Bundes, die
für die KfW ein ausgeweitetes Beteiligungsgeschäft betreiben soll . Das ist ein riesiger Schritt nach vorn .
({2})
Der Staat tritt als Koinvestor auf . Ich bin aber immer dafür, dass auch Private etwas tun; denn wir wissen: Ein
Staat kann alleine am Ende bei einem Investment nicht
die Summen erzielen, die wir in dieser Branche brauchen, insbesondere in Wachstumsphasen . - Wir sehen:
Die Länder, die in diesem Bereich eine kluge Mischung
aus staatlicher Angebotspolitik und dem Stärken der privaten Formen, die vernünftig und im Rahmen sind, vornehmen, sind erfolgreich . Das wollen wir in der nächsten
Wahlperiode weiter umsetzen .
Wir haben in dieser Wahlperiode aber auch in vielen
Bereichen - ich will das noch einmal sagen - gemeinsam mit der Union Dinge machen können, die vernünftig
waren . In denke an die Diskussion um Streubesitz und
Veräußerungsgewinne: Da haben wir eine tragfähige
Kompromisslösung gefunden wie auch bei der Frage ich hatte es schon gesagt - von Verlustübertragungen bei
Anteilseignerwechsel .
Insofern kann ich insgesamt sagen: Die Gründerszene
in Deutschland ist gut aufgestellt .
({3})
- Ja, Frau Kollegin Andreae, das ist das Klagelied des
Kaufmanns . Ich bin ja selber einer und weiß, dass man
immer etwas für die Zukunft tun muss, damit es noch
besser wird und es weiterhin Chancen gibt . - Ich kann
uns allen nur empfehlen, die Debatte etwas niedriger zu
hängen, als Sie es in Ihrem Antrag tun .
({4})
Wir haben Schritte gemacht, und wir müssen jetzt sehr
genau schauen - das wird man nicht in den letzten zwei
Sitzungswochen einer Wahlperiode mit einem solchen
Antrag machen können -, was wir in den kommenden
vier Jahren zu tun haben . Ich glaube, es gibt noch eine
Menge zu tun .
({5})
Ich hielt die Ich-AG-Förderung, die wir damals gemacht haben, für eine gute Sache . Wir sollten überlegen,
was man im Bereich der Förderung von Start-ups am
Anfang machen kann, also wie man Geld locker machen
und in die Start-ups hineingeben kann . Das Problem ist:
Auch bei diesem Programm stellte sich die Frage, wie
zielgenau es am Ende ist - über zwei Drittel der Unternehmen waren nämlich in den ersten zwei Jahren wieder
vom Markt gegangen -, also ob es vernünftig ist, sozusagen jedem das Geld zu geben, oder ob wir, wenn wir solche Programme machen, stärker darauf schauen müssen,
wer das Geld bekommt; und das ist die Schwierigkeit .
Sie haben vorgeschlagen, wenn der Businessplan einmal
angeguckt sei, solle man einen Haken dahinter machen,
dann könnte das Geld fließen.
({6})
Das halten wir für falsch .
({7})
Wir müssen schon auch bei Gründungen in diesem Lande
hinschauen . Man kann die Menschen nicht in ihr Elend
treiben, indem man sie nicht gut vorbereitet den Schritt
in die Selbstständigkeit gehen lässt . Es ist ein gewisser
Schritt im Leben, und deshalb sind wir dafür, dass man
solche Programme viel zielgenauer gestaltet, als es in der
Vergangenheit der Fall war . Deswegen wird es mit einem
Wiederauflebenlassen der alten Programme allein nicht
funktionieren .
Wir haben in der nächsten Wahlperiode genug Zeit,
das miteinander zu bereden . Ihren Antrag werden wir
heute ablehnen .
({8})
Der Kollege Dr . Philipp Murmann hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich verstehe den Antrag ein bisschen als einen Freundschaftsantrag der Grünen, die jetzt in der letzten Wahlperiode das Thema Gründer hervorheben . Das ist grundsätzlich unterstützenswert; da sind viele gute Punkte drin .
({0})
- Nein . Im letzten Jahr ist es aufgekommen, dass Sie sich
dem Unternehmertum und den Gründern zuwenden . Das
finde ich im Grundsatz auch gut.
({1})
Es sind auch einige Punkte aus Anträgen aufgetaucht,
die Heinz Riesenhuber und ich vor 2010 formuliert haben . Dass wir vieles davon umgesetzt haben, wurde
schon gesagt . Ich würde hier jetzt gerne auf zwei Punkte
eingehen .
Erstens . Gründer sind Unternehmer . Deswegen geht
es auch darum, zu überlegen: Welche Rahmenbedingungen schaffen wir für Unternehmen in unserem Land, bzw .
welche haben wir? Bei Gründungen ist Wagniskapital ein
Thema . Sie werfen uns vor, dass das entsprechende Gesetz dazu fehlt . Kollege Ilgen hat eben sehr gut beschrieben, dass wir sehr viele Einzelmaßnahmen auf den Weg
gebracht haben, die gut wirken und auch in der Szene
sehr positiv aufgenommen werden .
Man muss auch sagen: Unternehmensgründung ist
unheimlich viel Arbeit. In den Unternehmen finden Sie
Menschen, die Tag und Nacht arbeiten . In diesem Zusammenhang komme ich auf das Thema Regulierung zu
sprechen . Überall herrscht Regulierungswut . Aber es ist
nicht das Arbeitszeitgesetz, das sich Gründer als Erstes
durchlesen; denn sie wollen arbeiten, sie wollen anpacken, sie wollen etwas schaffen . Deswegen ist weniger
Regulierung sicherlich richtig .
Zu einem positiven Umfeld gehört auch das Thema
Infrastruktur . Mit Blick auf die Grünen sage ich: Was
Straßen und Ähnliches angeht, wird nicht immer das vorgehalten, was gebraucht wird .
Sie diskutieren auch immer wieder über die Einführung einer Vermögensteuer . Substanzbesteuerung ist für
jeden Unternehmer, egal ob Gründer oder Dauerunternehmer, eine ganz kritische Sache, gerade in der Startphase .
({2})
- Die Grundsteuer ist auch ein Problem,
({3})
wobei sie für die meisten Unternehmen in der Gründungsphase nicht das größte Problem ist .
Zweiter Punkt . Es gibt ein wunderbares Zitat von
Winston Churchill zum Unternehmer - jeder sollte sich
überlegen, wie er dazu steht -:
Manche halten den Unternehmer für einen räudigen
Wolf, den man totschlagen müsse . Andere sehen in
ihm eine Kuh, die man ununterbrochen melken könne . Nur wenige erkennen in ihm das Pferd, das den
Karren zieht .
({4})
Wenn ich mir die Reden aus der Wahlperiode anschaue,
muss ich schon feststellen: Der Wolf kam ab und zu vor in manchen Reden eher so aus dem linken Bereich; heute
war das deutlich besser -, die Kuh ist aber das Element,
das deutlich bevorzugt wird, leider auch von den Grünen
in vielen Bereichen .
({5})
Wir sollten jedoch das Bild des Pferdes herausstellen und
alles dafür tun, dass die Unternehmen vorankommen .
Ein positives Bild vom Unternehmertum ist ein politisches Signal, das von diesem Hause ausgesendet werden
soll . Daran sollten Sie alle mitarbeiten;
({6})
denn Unternehmer, egal ob sie gründen oder ein Unternehmen fortführen - ich habe ein Unternehmen, das mein
Großvater und mein Vater geführt haben -, sind jeden
Tag damit beschäftigt, Investitionen zu tätigen, Mitarbeiter einzustellen oder Innovationen voranzutreiben .
Innovationen bedeuten auch, wie Schumpeter gesagt
hat, schöpferische Zerstörung . Das heißt, ich muss in
der Lage sein, mein Unternehmen immer wieder umzubauen, immer wieder neue Dinge anzugehen . Auch dazu
braucht es die richtigen Rahmenbedingungen .
({7})
Ein wichtiger Begriff ist Freiheit . Der Unternehmerberuf ist ein Freiheitsberuf . Perikles hat gesagt: Das
Geheimnis der Freiheit ist der Mut . - Wer Unternehmer
werden will und auch, wer Gründer werden will, braucht
unheimlich viel Mut, nicht nur in diesen Zeiten, vielmehr
galt das schon immer . Weil das meine letzte Rede in diesem Hohen Hause ist, möchte ich darum bitten, den Mut
der Unternehmer zu respektieren, der jeden Tag gelebt
wird . Kollege Gambke und ich sind, glaube ich, zwei
der wenigen in diesem Haus, die täglich selber erleben,
was das für ein Kampf ist . Deswegen ist mein Petitum:
Halten Sie das Unternehmertum in diesem Land hoch .
Versuchen Sie dort, wo Barrieren sind, diese einzureißen,
und helfen Sie den Unternehmern in unserem Land jeden
Tag, ihr Unternehmen voranzubringen und neue Gründungen zu ermöglichen; das ist ganz klar .
Abschließend möchte ich allen Danke sagen, die mich
in all den Jahren unterstützt haben, allen voran meiner
Familie . Das gilt für viele, die hier in diesem Hause sitzen und Politik machen: Wir alle könnten das nicht tun,
wenn wir zu Hause nicht eine Familie hätten, die uns den
Rücken freihält . Das gilt auch für die Mitarbeiter in meinem Unternehmen: Wenn ich die nicht hätte, hätte ich
hier nicht acht Jahre Politik machen können . Auch den
Menschen in unseren Wahlkreisen, die uns immer wieder
herausfordern und uns mit Themen nach Berlin schicken
und sagen: „Jetzt müsst ihr das lösen“, gilt mein Dank .
Mein besonderer Dank gilt Ihnen allen, wie Sie hier sitzen, meinen Kollegen aus der Fraktion, aber auch aus
den Ausschüssen . Mit vielen von Ihnen war ich zusammen auf Reisen; da lernt man sich intensiv kennen . Mein
Dank ist verbunden mit großem Respekt - das muss ich
sagen - vor allen, die sich diesem politischen Amt verschreiben, die bereit sind, zu kandidieren und sich dem
Bürger zu stellen .
Meine Bitte an die Jugendlichen, auch an die, die auf
der Tribüne sitzen, lautet: Wenn ihr Freiheit wollt, dann
überlegt euch, vielleicht Unternehmer zu werden, ein
Unternehmen zu gründen und eine gute Idee umzusetzen .
Wenn ihr in der Gesellschaft etwas bewegen wollt, dann
überlegt euch auch, euch politisch zu engagieren . In einer
Partei - so sieht unser Grundgesetz das vor - hat man besonders viele Möglichkeiten dazu . Und wenn es ganz toll
kommt, dann habt ihr vielleicht sogar die Möglichkeit,
als Unternehmer im Parlament zu dienen . Ich hatte dieses
Privileg, wofür ich sehr dankbar bin .
Alles Gute!
({8})
Herzlichen Dank und auch Ihnen alles Gute! - Ich
schließe die Aussprache .
Wir kommen zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/12369 mit dem Titel „Für
eine neue Gründungskultur in Deutschland“ . Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in
der Sache . Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
wünschen Überweisung, und zwar federführend an den
Ausschuss für Wirtschaft und Energie und mitberatend
an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, an
den Finanzausschuss, an den Ausschuss für Arbeit und
Soziales, an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend sowie an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung .
Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den
Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Überweisung so beschlossen . Damit stimmen wir heute über
den Antrag auf Drucksache 18/12369 nicht in der Sache
ab .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über das deutsche Engagement beim
Einsatz von Polizistinnen und Polizisten in internationalen Polizeimissionen 2016
Drucksache 18/12445
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Bundesminister des Innern, Dr . Thomas de Maizière .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn sich deutsche Polizistinnen und Polizisten in internationalen Missionen und zur Stabilisierung in Krisenregionen einsetzen, erfährt das bisher nicht die angemessene Beachtung und Wertschätzung . Das wollen wir
ändern . Deshalb habe ich mich für diesen Bericht über
das deutsche Engagement in internationalen Polizeimissionen starkgemacht . Deswegen freue ich mich über
diese Debatte . Auch Kollege Uhl hat lange an diesem
Thema gearbeitet . Wir diskutieren hier über die erste Unterrichtung dieser Art . Damit ist das eine Premiere .
Als Bundesinnenminister bin ich für die Entsendung
der deutschen Polizeibeamtinnen und -beamten zuständig . Ich trage damit auch die Verantwortung für einen
professionellen Rahmen der Einsätze und für die sichere
Rückkehr der Polizeibeamtinnen und -beamten . Daher
freut es mich, dass internationale Polizeimissionen nun
durch den Bundestag besonders gewürdigt werden und
wir künftig jährlich einmal darüber debattieren werden .
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, unsere Polizisten im Ausland leisten in ihren
Missionen eine großartige Arbeit,
({0})
und das unter Inkaufnahme von manchmal erheblichen,
auch persönlichen Gefährdungen in Krisenregionen, oft
unter extremen Bedingungen, zumindest extremer klimatischer Bedingungen, bei langer Trennung von ihren
Familien und Freunden . Unsere Polizistinnen und Polizisten genießen im Ausland große Anerkennung für ihre
Professionalität, auch für ihr Fingerspitzengefühl im
Umgang mit den lokalen und internationalen Ansprechpartnern . Deshalb danke ich ihnen im Namen der ganzen
Bundesregierung für diese Arbeit .
({1})
Nun ist das Engagement zu würdigen das eine . Noch
wichtiger ist es, sicherzustellen, dass wir in Zukunft in
der Lage sind, mit einer hohen Anzahl gut qualifizierter
Polizistinnen und Polizisten unseren internationalen Verpflichtungen nachzukommen. Gerade heute haben wir
beschlossen, unser Engagement in der Ukraine auszuweiten .
Warum sind wir in Auslandsmissionen unterwegs?
Solche Missionen tragen dazu bei, fragile Staaten und
Krisenregionen vor Ort zu stabilisieren . Nur gut organisierte lokale Sicherheitsbehörden mit ebenso gut ausgebildeten Mitarbeitern können Gefahren vor Ort wirksam
bekämpfen und damit die Ausbreitung von Krisen und
den Export von Terrorismus eindämmen . Dabei unterstützen unsere Polizistinnen und Polizisten mit strategischer Beratung, mit Ausbildung, mit Training . Sie tragen
an entscheidender Stelle zu einem sicheren Umfeld bei
und fördern so auch die Bereitschaft der Menschen, ihre
Heimat nicht zu verlassen oder dorthin zurückzukehren .
Unsere Polizeimissionen dienen damit auch der nachhaltigen Bekämpfung von Fluchtursachen, indem sie Partnerstaaten entlang der Migrationsrouten beim Auf- und
Ausbau ihrer institutionellen und administrativen Fähigkeiten unterstützen .
Nur wenn sich die Sicherheitslage in den Krisenregionen, etwa in Zentralafrika oder am Horn von Afrika,
nachhaltig verbessert, versiegt auch die Quelle des menschenverachtenden Geschäfts der Schleuser . Und nur
wenn Frontex mit der Beteiligung deutscher Polizistinnen und Polizisten gute Arbeit leistet, werden die Außengrenzen der Europäischen Union wirksamer geschützt
als bisher .
Der Bedarf, Polizisten in Krisenregionen zu entsenden, wird weiter steigen; denn Krisenherde breiten sich
zunehmend aus, auch mit gefährlichen Auswirkungen
auf Europa . Die Notwendigkeit, unser Engagement in
Krisenregionen zu steigern, fällt mit erhöhten Anforderungen an unsere Polizisten im Inland zusammen . Das
sind auch, aber eben nicht nur die Migrationslage, die
Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, Großeinsätze wie etwa der bevorstehende G-20-Gipfel, jedes
Wochenende die Einsätze rund um den Fußball, aber
auch das polizeiliche Alltagsgeschäft wie Wohnungseinbrüche, Gewaltdelikte, Cyberkriminalität überall im
Bund und in den Ländern .
Polizeiliche Einsätze im Ausland dürfen nicht in Konkurrenz zu den Einsätzen im Inland stehen, sondern sie
müssen sich ergänzen . Jedes Handeln in Auslandsmissionen ist zugleich ein Beitrag zur inneren Sicherheit
Deutschlands . Der Vorsitzende der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Internationale Polizeimissionen“, der ehemalige Inspekteur der Polizei Nordrhein-Westfalens,
Dieter Wehe, den ich heute zusammen mit Polizistinnen
und Polizisten aus Bund und Ländern begrüße - sie sitzen auf den Tribünen -,
({2})
hat das treffend so formuliert - ich zitiere -:
Für Frieden und Sicherheit bei uns müssen wir auch
dort helfen, wo Unfrieden und Unsicherheit herrschen .
Das ist das, worum es geht .
Um ihre anspruchsvoller werdenden Aufgaben im
In- und Ausland zu erfüllen, werden die Bundespolizisten und das Bundeskriminalamt sowie die anderen
Sicherheitsbehörden in den kommenden Jahren - wie
Sie wissen, bis 2020 - um rund 10 000 zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verstärkt . Dieser deutliche Personalaufwuchs der Polizeien des Bundes ist ein
wichtiger Schritt auch zur Absicherung von Auslandsmissionen; denn natürlich fehlt jede Polizistin, fehlt jeder
Polizist, der auf Auslandsmissionen ist, in der eigenen
Dienststelle . Die Kolleginnen und Kollegen zu Hause
müssen die Arbeit miterledigen, obwohl sie selbst stark
beansprucht sind . Dies gilt erst recht, wenn wir, was ich
vermute, unser Auslandsengagement noch steigern wollen und steigern werden . Hier werden wir weiter an Lösungen arbeiten, wie wir den Dienst im In- und Ausland
beim Bund, aber auch in den Ländern besser miteinander
vereinbaren können .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bericht, den ich
hiermit vorstelle und den wir heute debattieren, beginnt
sein Fazit mit den Worten:
Beteiligung an internationalen Polizeimissionen ist
ein wichtiger Baustein im deutschen Engagement
für den Frieden . Ohne den erheblichen individuellen
Einsatz unserer Polizistinnen und Polizisten wäre
der große Erfolg deutscher Polizeiarbeit in internationalen Polizeimissionen nicht vorstellbar .
Deswegen: Unsere Polizistinnen und Polizisten leisten in ihren Auslandseinsätzen sehr gute Arbeit in unserem Interesse . Sie stärken das Ansehen Deutschlands in
der Welt, und das kann und wird auch so bleiben .
({3})
Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion
Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, ich finde es ja gut, dass wir diesen Bericht endlich haben . Aber ich muss schon sagen, dass dieser Bericht sehr, sehr viele Punkte ausspart, insbesondere was
Schwachstellen und Misserfolge angeht . Er verbreitet
im Grunde genommen so etwas wie einen Zweckoptimismus: Alles ist gut, alles ist schön . - Das kritisiere ich
hier an erster Stelle, weil ich der Meinung bin, dass man
in so einem Bericht auch Informationen darüber erhalten
muss: Was genau ist eigentlich die Mission, und welche
Zielrichtung hat sie?
Ich will gar nicht bezweifeln, dass die eingesetzten
Polizeibeamten wichtige Arbeit leisten, fachkundig und
engagiert sind; das ist überhaupt nicht der Punkt . Dennoch stelle ich die Frage: Was genau tun diese Polizisten
in welchem Kontext, und was findet bei diesen Einsätzen statt? Und da haben wir vor allen Dingen drei Kritikpunkte:
Der erste ist, dass inzwischen etliche Polizeieinsätze
nichts anderes sind als eine Ergänzung von militärischen
Einsätzen. Polizeimissionen finden dort statt, wo Bürgerkriege herrschen oder westliche Militärinterventionen
laufen, zum Beispiel im Kosovo, in Afghanistan, in Mali
und bis vor kurzem auch in Libyen .
Zweitens profitieren auch brutale Diktaturen von Polizeieinsätzen, zum Beispiel Saudi-Arabien .
Drittens sind Polizeieinsätze, wie auch Sie eben erwähnt haben, Teil des Abschottungsregimes - ich wüsste
übrigens nicht, wo Polizisten Fluchtursachen mit bekämpfen; das können Sie später vielleicht noch einmal
erklären -, gerade im Zusammenhang mit Frontex .
Ich sage hier noch einmal ganz klar: Der Auftrag von
Frontex lautet, die europäischen Grenzen dichtzumachen
und Flüchtlingen sichere Fluchtwege in die Europäische
Union zu verwehren . In Griechenland zum Beispiel haben Sie Beamte eingesetzt, die die Ägäis direkt mit überwachen . Dafür stellt die Bundespolizei auch Boote und
Fahrzeuge zur Verfügung . Das heißt, die deutsche Polizei
hilft dort direkt bei der Umsetzung des schäbigen Deals
der EU mit dem türkischen Despoten Erdogan. Das finde
ich auch angesichts der Tatsache, wie er mit Flüchtlingen umgeht, ungeheuerlich . Es darf also nicht sein, dass
diese Beamten Erfüllungsgehilfen einer zynischen und
skrupellosen Politik sind, die Flüchtlingen den Weg abschneidet und damit das Massensterben im Mittelmeer
de facto mit verantworten muss . Deswegen sagen wir:
Solche Einsätze von Bundespolizisten oder Landespolizisten sollten eingestellt werden .
({0})
Insgesamt wird eines ganz deutlich: Polizeieinsätze
im Ausland sind inzwischen zu einem Instrument der
deutschen Außenpolitik geworden, das immer mehr an
Bedeutung gewinnt. So flankieren und ergänzen sie oft
eine verheerende neoliberale Wirtschaftspolitik und eine
Politik der Waffenexporte, die die Gesellschaften des
globalen Südens ausbeuten, destabilisieren und in Bürgerkriege stürzen . Ich will auf einige Punkte näher eingehen .
Im Bericht heißt es dazu zum Beispiel - ich zitiere -:
Deutsche Polizistinnen und Polizisten leisten in fragilen Staaten und Krisenregionen einen Beitrag zum
Aufbau einer funktionsfähigen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handelnden Polizei .
In Afghanistan ist die deutsche Polizei seit 15 Jahren tätig, in Saudi-Arabien seit 8 Jahren . Ich sage Ihnen: Es
gibt dort keine Spur von Rechtsstaatlichkeit, die durch
diese Arbeit erreicht worden ist . Man kann fast sagen:
Ganz im Gegenteil, diese Länder sind nach wie vor
destabilisiert, und diese Einsätze sind vor allen Dingen
nach den geostrategischen und politischen Interessen der
EU und der NATO ausgerichtet .
Was Afghanistan angeht, ist doch ganz klar: Die afghanische Polizei ist eine Bürgerkriegspartei . Sie kämpft
gegen Taliban .
({1})
- Natürlich kämpft sie gegen Taliban, nicht „Ach
Gott!“ . - Menschenrechtsorganisationen berichten im
Übrigen seit Jahren, dass auch und gerade von der afghanischen Polizei schwere Menschenrechtsverletzungen
begangen werden . Misshandlungen, Zwangsrekrutierungen von Kindern, Überlaufen zu den Taliban - Sie können in vielen Berichten darüber nachlesen .
Die afghanische Polizei ist Teil eines korrupten und
verbrecherischen Regimes . Daran haben 15 Jahre Ausbildung durch deutsche Polizisten nichts, aber auch gar
nichts geändert . Ansonsten müssten Sie mir einmal erklären, warum immer wieder Soldaten dorthingeschickt
werden . Deswegen denken wir, dass unsere Polizeibeamten in Afghanistan nichts zu suchen haben .
Auch Saudi-Arabien ist so ein Beispiel . Die Bundespolizei ist dort in einem Einsatz, der im Grunde genommen direkt mit der Rüstungswaffenschmiede EADS
verbunden ist . Der Innenausschuss war dort und konnte
sich davon überzeugen . Dort wird eine Grenzschutzanlage aufgebaut, und deutsche Polizisten bilden saudische
Grenzschützer aus .
Auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion musste
die Bundesregierung zugeben, dass zu dieser Ausbildung - ich zitiere - die sichere Handhabung des Sturmgewehrs G3 gehört . Es ist also kein Wunder, dass wir in
dem Bericht zum Beispiel überhaupt nichts zu diesem
Einsatz in Saudi-Arabien finden. Ich halte es aber für
ausgesprochen wichtig, dass man auch solche Dinge analysiert . Dieser Bericht ist eben sehr unkritisch .
Ein weiteres Beispiel - ich weiß, dass die Mission inzwischen abgebrochen wurde - ist Libyen . Wie konnte
man überhaupt auf die Idee kommen, eine Polizeimission nach Libyen zu schicken? Wir wissen, dass das
Gaddafi-Regime vor sechs Jahren durch NATO-Länder
weggebombt worden ist . Dem weinen wir zwar keine
Träne nach, aber dennoch muss man klar sagen: Seither
herrschen noch mehr Despoten in diesem Land . Al-Qaida
und der sogenannte „Islamische Staat“ sind dort aktiv .
Inzwischen ist die Mission, wie gesagt, abgebrochen
worden, aber man stellt sich natürlich Fragen . Es werden
doch nur Polizeibeamte dorthingeschickt, um möglichst
die Flüchtlinge in Libyen festzuhalten . Ich erinnere noch
einmal daran: Auch von Diplomaten ist gesagt worden,
dass es dort schlimme Flüchtlingslager gibt, die Konzentrationslagern ähneln . Was dort passiert, muss ich Ihnen
hier nicht im Einzelnen beschreiben .
Das Problem der völlig kaputten Gesellschaft in Libyen wird man nicht mit Polizeiarbeit lösen können . Auch
deswegen sind wir der Meinung, dass die Polizeibeamten
hier nichts zu suchen haben .
Zum Schluss will ich kurz zusammenfassen: Wir
brauchen wirklich Berichte, die kritisch analysieren auch selbstkritisch - und nicht nur Schönfärberei betreiben . Wir sagen: Deutsche Polizisten dürfen nicht zur
Unterstützung von Diktaturen eingesetzt werden . Sie
dürfen nicht als angeblich zivile Komponente in einem
Kriegseinsatz oder Bürgerkrieg fungieren . Sie dürfen
auch nicht zur Abschottung gegen Flüchtlinge eingesetzt
werden und schon gar nicht im Rahmen eines Deals mit
der Türkei dazu beitragen, die Flüchtlinge daran zu hindern, nach Europa zu kommen . Die Polizeiarbeit muss
ganz klar zivilen Zwecken dienen .
Ich möchte auch noch einmal daran erinnern: Es gibt
ganz klare Richtlinien für die Trennung von Polizeiarbeit
und militärischer Arbeit . Deswegen lehnen wir gerade
diese Einsätze, die ich eben beschrieben habe, definitiv
ab, zivile aber nicht .
Ich danke Ihnen .
({2})
Die Kollegin Susanne Mittag hat für die SPD-Fraktion
das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr
Bundesminister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Jahr 2016
waren über 300 Polizistinnen und Polizisten in 17 unterschiedlichen Polizeimissionen . Dazu kamen 2016 - die
Zahlen sind jetzt schon wieder anders - rund 800 deutsche Beamte, die bei Frontex im Einsatz waren . Die Erfordernisse steigen; das sehen wir hier alltäglich . In einigen Ländern ist man schon startklar .
Heute hat das Bundeskabinett beschlossen, dass zukünftig bis zu zehn Polizisten für die OSZE-Beobachtermission in die Ukraine entsandt werden . Bisher war
es nur einer . Das ist also eine enorme Steigerung, und
das zeigt, dass die Polizeimissionen immer wichtiger und
eben auch zahlreicher werden .
Im Februar dieses Jahres habe ich zusammen mit der
Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, meiner
Kollegin Edelgard Bulmahn, deutsche Polizisten bei
ihrem Einsatz in Mali besucht . Das waren schon beeindruckende Tage . Bei über 35 Grad - im Sommer ist es
dort bis zu 50 Grad heiß - haben wir einen ganz kleinen
Teil der Herausforderungen kennengelernt, denen die
deutschen Polizisten in Mali ausgesetzt sind . Ich sage bewusst: nur einen ganz kleinen Teil; denn wir waren nur
vier Tage dort . Was mich an diesem Besuch am meisten
beeindruckt hat, waren der Enthusiasmus und die Einsatzbereitschaft, mit denen die deutschen Polizisten und
Polizistinnen dort gearbeitet haben - unter schwierigsten
Bedingungen und in einer vollkommen fremden Kultur .
Wenn ich in meinem Wahlkreis berichte, dass ich deutsche Polizisten bei ihrer Mission in Mali besucht habe,
dann löst das natürlich immer großes Erstaunen aus . Viele wissen zwar, dass die Bundeswehr an Auslandseinsätzen teilnimmt . Aber Polizisten? „Warum denn das?“, ist
dann meist die Frage . „Sollten sie nicht besser hier für
Sicherheit sorgen?“, ist dann die nächste Frage . Darauf
kann ich nur antworten: Das tun sie, auch und gerade bei
internationalen Polizeimissionen .
Sehen wir uns das Beispiel Mali einmal genauer an .
Dort sind deutsche Polizisten gleich in zwei Missionen
für die Ausbildung und das Training von malischen Sicherheitskräften eingesetzt: zum einen in der europäischen Mission EUCAP Sahel Mali und zum anderen im
Rahmen der MINUSMA-Mission der Vereinten Nationen . Dabei geht es wirklich um ganz elementare Dinge der Polizeiarbeit, zum Beispiel dass ein Geständnis
in einem Verhör kein Sachbeweis ist und dass eine Tat
damit noch lange nicht aufgeklärt ist . Dazu gehören Tatortarbeit, Spurensuche und Auswertung . So etwas lehrt
man da .
Gut ausgebildete Polizisten, die nach rechtsstaatlichen
Grundsätzen handeln und sich nicht als instrumentalisierter Arm der Machthaber verstehen, schaffen Vertrauen . Deutsche Polizisten und ihre Ausbildung genießen international einen hervorragenden Ruf . Sie vermitteln ihr
Verständnis von einer bürgernahen Polizei, die im Dienste der Bevölkerung steht, an die lokalen Polizeikräfte
weiter . Zusammen mit einer Entwicklungszusammenarbeit verbessern deutsche Polizisten die Situation vor Ort
und geben den Menschen die Möglichkeit, in ihrer Heimat zu überleben . Das unterstützt auch in Deutschland
die Sicherheitslage .
({0})
Bei dieser riesigen Aufgabe muss allerdings allen klar
sein: Das ist ein sehr langer Weg . In einigen Ländern
sieht man, wie lange das dauert und dass das nicht immer
von Erfolg gekrönt ist . Da ich gerade von Entwicklungszusammenarbeit spreche: Diese ist oft nur möglich, weil
Polizisten und auch die Bundeswehr in Einsatzländern
helfen, die Situation zu stabilisieren . Ohne deren Präsenz
wäre es für die Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft
für Internationale Zusammenarbeit, für die Nichtregierungsorganisationen und für andere Organisationen oftmals zu gefährlich, dort zu arbeiten .
Ausgangspunkt dieser Debatte war aber ein Antrag
vom September vergangenen Jahres, den meine Kollegin Edelgard Bulmahn mit sehr viel Leidenschaft und
Ausdauer zusammen mit anderen Kollegen vorangetrieben hat: „Deutsches Engagement beim Einsatz von
Polizistinnen und Polizisten in internationalen Friedensmissionen stärken und ausbauen“ . Wir haben darin unter
anderem beschlossen, dass wir als Deutscher Bundestag
jährlich über die internationalen Polizeimissionen unterrichtet werden - das war vorher nicht so - und auch darüber debattieren; das machen wir jetzt . Das ist eine Form
der Wertschätzung des Parlaments, die hoffentlich in der
Bevölkerung das Bewusstsein für den wichtigen Einsatz
der Beamtinnen und Beamten stärkt . Nun stehen wir hier
und debattieren genau diesen Bericht der Bundesregierung .
Ein weiterer Punkt dieses Antrages war allerdings die
Einrichtung eines Fachgebietes bei der Deutschen Hochschule der Polizei . Da sind wir auf einem guten Weg .
Wir haben in den Beratungen für den Haushalt 2017
die Mittel für insgesamt sieben Stellen beschlossen . Die
Ausschreibung für die Leitungsstelle - das soll ein erfahrener Polizist oder eine erfahrene Polizistin sein - läuft .
Ich hoffe auf eine baldige Besetzung der Stellen . Dann
kann es dort richtig losgehen .
Die wissenschaftliche Begleitung der Polizeimissionen ist enorm wichtig; denn so können gewonnenes
Wissen und Kompetenzen für zukünftige Einsätze noch
besser ausgewertet und noch professioneller weitergegeben werden . Wir können es uns einfach nicht leisten, die
gemachten Erfahrungen nicht zu nutzen, seien es auch
nicht so gute Erfahrungen .
({1})
Die Einrichtung dieses neuen Fachgebiets bei der
Deutschen Hochschule der Polizei ist ein wirklicher Erfolg des Antrags aus dem vergangenen Jahr - das wäre
sonst nicht passiert - und fördert das Verständnis von
zukünftigen Führungskräften; da ist nämlich noch ein
bisschen Luft nach oben . Bei anderen Forderungen gilt
es wohl noch etwas Arbeit zu investieren . Ich möchte
ein paar Bereiche nennen . Auch da, Herr Minister de
Maizière, ist noch Luft nach oben, und auch da ist Ihr
Einsatz erforderlich .
Wir brauchen eine Bund-Länder-Vereinbarung zur
Verbesserung der rechtlichen, organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen für die internationalen Polizeimissionen . Es geht wieder einmal ums Geld . Ich
weiß, einige Forderungen wurden auch schon in die neuen Leitlinien für die gemeinsame Beteiligung des Bundes und der Länder an internationalen Polizeimissionen
aufgenommen, zum Beispiel die Entsendung auf bis zu
24 Monate auszudehnen . Das ist schon einmal ein Anfang, aber eben nur ein kleiner . Das reicht noch nicht .
Wir Innenpolitiker der SPD können uns zum Beispiel
einen sogenannten virtuellen Stellenpool vorstellen . Was
ist das? Über diesen Stellenpool sollen durch den Bund
Personalreserven für die Bundesländer finanziert werden . Denn der in Mali eingesetzte Polizist fehlt derzeit
auf seiner Heimatdienststelle . Dafür gibt es bisher keinen
Ersatz, weder personell noch finanziell. Es fördert nicht
gerade die Begeisterung innerhalb dieser Dienststelle,
wenn ein Kollege für ein, zwei Jahre nicht vor Ort ist und
die Arbeit auf die restlichen Schultern verteilt wird . Auch
der Dienstvorgesetzte ist, ganz vorsichtig ausgedrückt,
oft eher zurückhaltend begeistert . Auch im Bereich der
Beurteilung wirkt sich das nicht positiv aus . Das zu verbessern, wäre ein Beitrag dazu, die Attraktivität solcher
Einsätze zu steigern, und zwar bei den eingesetzten wie
auch bei den zu Hause gebliebenen Kollegen und Vorgesetzten .
Eine weitere Sache liegt mir wirklich am Herzen: Wir
wissen alle, dass die Bezahlung der Länderpolizeien in
den Händen der Länder liegt und dass es zum Teil erhebliche Unterschiede bei der Bezahlung zwischen den
einzelnen Dienstherren gibt . Das hat seine Gründe; die
müssen wir jetzt nicht diskutieren .
Wenn allerdings Kollegen aus unterschiedlichen
Bundesländern und von der Bundespolizei in eine internationale Polizeimission gehen, dann müssen die Bedingungen für alle deutschen Polizisten gleich sein: bei
Bezahlung, Urlaub, Gesundheitsversorgung und auch in
einem Schadensfall . Die Polizisten vertreten die Bundesrepublik Deutschland insgesamt im Ausland .
({2})
- Dann sind wir uns ja einig . - Sie sind im Bundesinteresse im Auslandseinsatz - aufgrund von Vereinbarungen, die vom Bund international geschlossen wurden -,
und sie halten alle zusammen im Ernstfall sozusagen ihren Kopf hin . Das ist auch ein Aspekt im Rahmen der
Konnexität . Der Bund hat die Verträge geschlossen .
Es darf einfach nicht sein, dass ein Polizist am Ende
des Monats mehr Geld erhält als sein Kollege oder seine
Kollegin in der identischen Besoldungsstufe oder Eingruppierung . Das ist eine Frage der Fairness, der Anerkennung und auch der Fürsorgepflicht. Ja, die Fürsorgepflicht ist immer noch Aufgabe und Verpflichtung des
Dienstherrn .
Die bestehenden Unterschiede zwischen den Bundesländern müssen bei einer internationalen Polizeimission
durch den Bund zumindest ausgeglichen werden . Dabei
ist nicht der kleinste gemeinsame Nenner die Richtschnur,
sondern das jeweils höhere Niveau . Wir wollen das Ganze ja nicht herunterdotieren .
Alle Beamtinnen und Beamten in internationalen Polizeimissionen haben sich freiwillig gemeldet, um sich
weit weg von zu Hause für die Sicherheit und den Aufbau
von rechtsstaatlichen Strukturen einzusetzen, sei es, wie
gesagt, schon in Mali, Afghanistan oder Kosovo, sei es
unter dem Mandat der Vereinten Nationen, der Europäischen Union oder der OSZE . Daher ist es einerlei, ob
es Polizisten der Bundespolizei oder der Landespolizei
sind .
Herr de Maizière hat schon Herrn Wehe, den langjährigen Vorsitzenden der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Internationale Polizeimissionen“ begrüßt, der zusammen
mit Kollegen die Beratung zu diesem Tagesordnungspunkt verfolgt . Das zeigt, wie wichtig das auch für die
Kollegen ist . Vielen Dank für Ihr Interesse an der Debatte!
Viel mehr möchte ich mich bei Ihnen und all Ihren
Kolleginnen und Kollegen bedanken, die sich freiwillig
zu diesen internationalen Polizeimissionen melden und
den Einsatz auch immer wieder fortführen . Ihr Einsatz
hilft den Menschen direkt vor Ort in den Einsatzgebieten .
Damit bekämpfen Sie Fluchtursachen und verhindern,
dass sich noch mehr Menschen auf den lebensgefährlichen Weg nach Europa begeben . Dass diese Menschen
nicht elendig in der Sahara verdursten oder im Mittelmeer ertrinken, das macht den Einsatz wertvoll .
In diesen Dank schließe ich auch ganz ausdrücklich
Ihre Familien mit ein . Denn viele Polizistinnen und Polizisten im Auslandseinsatz haben - wie überraschend auch Familie . Wenn sich ein Elternteil zu solch einer
Mission meldet, bleibt das andere Elternteil mit allen Verpflichtungen und Belastungen, die eine Familie für einen
bereithält - sie sind zwar schön, aber es sind eben trotzdem Belastungen -, für längere Zeit zurück . Es ist eine
Belastung für Beziehungen, Freundschaften, Eltern und
Kinder. Deshalb finde ich es richtig und wichtig, dass das
Bundesinnenministerium am 16 . Juni dieses Jahres erstmals bei einer Feierstunde für die aus dem Ausland zurückgekehrten Beamtinnen und Beamten des Bundes und
der Länder die Familien in den Mittelpunkt gestellt hat .
Der Filmpark Babelsberg war der richtige Ort für eine
Feierstunde und hat, denke ich, auch gerade den Kindern
der Beamten und Beamtinnen eine tolle Umgebung geboten. So sollten die Feierstunden in Zukunft stattfinden.
({3})
Sie sollten die entsandten Polizisten ehren und die
Leistung von ihnen und ihren Familien anerkennen . Denn
ohne die Unterstützung der Familie könnte Deutschland
seinen internationalen Verpflichtungen überhaupt nicht
nachkommen . Das ist bei der Bundeswehr so, bei der
Polizei und auch bei den Mitarbeitern der Nichtregierungsorganisationen, die immer leicht vergessen werden .
Wir wissen Ihren Einsatz sehr zu schätzen und wollen ihn
weiter unterstützen - mit verbesserten Einsatzbedingungen, öffentlicher und dienstlicher Anerkennung, ohne finanzielle oder beurteilungsbedingte Nachteile und durch
eine öffentliche Debatte über diesen bislang sehr unterschätzten Bereich der inneren Sicherheit, so wie heute .
Herzlichen Dank .
({4})
Die Kollegin Dr . Franziska Brantner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Zuallererst möchte auch ich an dieser Stelle
die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten auf der Tribüne begrüßen und stellvertretend Herrn Wehe hier ganz
herzlich im Namen aller willkommen heißen . Sie leisten
Unglaubliches, und Sie haben unseren Dank .
({0})
Ich möchte an dieser Stelle ganz klar unterscheiden:
Es gibt Sicherheitsabkommen, die die Bundesregierung
mit Ländern wie Saudi-Arabien, Ägypten und anderen
abschließt, und es gibt internationale Polizeimissionen .
Heute stehen die internationalen Polizeimissionen auf
der Tagesordnung, und deshalb sollten wir auch darüber
reden . Es wird den Polizistinnen und Polizisten, die dort
oben sitzen, nicht gerecht, wenn wir jetzt die Sicherheitsabkommen kritisieren . Das tun auch wir Grüne gerne;
aber ich glaube, heute sollten wir beim Thema bleiben .
({1})
Es ist unglaublich wichtig, was in diesen Ländern
geleistet wird . Wir haben vorhin die Debatte über Militäreinsätze geführt . Wir wissen alle, dass wir Stabilität
in diesen Ländern auf Dauer nicht alleine - wenn überhaupt - militärisch hinbekommen können, sondern dass
wir immer auch eine zivile Sicherheitsarchitektur brauchen . Das ist extrem notwendig; sonst kommen diese
Länder nicht zum Frieden . Da geht es nun einmal nicht
ohne Polizei; das würde auch bei uns nicht gehen . Es ist
extrem notwendig, dass wir unseren Beitrag dazu leisten,
diese Polizeistrukturen aufzubauen oder, wenn sie schon
existieren, zu reformieren . Das ist die Aufgabe .
({2})
Auch in diesen Ländern möchten Menschen das Gefühl haben, dass, wenn sie die Polizei anrufen, jemand
kommt und ihnen hilft und nicht jemand kommt und
sie festnimmt oder willkürlich ins Gefängnis bringt . Da
macht es einen großen Unterschied, ob ein deutscher
Polizist in einer Mission ist oder ein Polizist aus einem
Land, das keine demokratische Kultur hat. Häufig stellt
sich die Frage, wie man mit einer Demonstration friedlich umgeht . Diese Ausbildung traue ich unseren Polizistinnen und Polizisten wesentlich mehr zu als anderen . Ich
glaube, da haben wir einen wirklichen Beitrag zu leisten .
({3})
Erlauben Sie mir zu sagen, dass ich mich freue, dass
wir heute den Bericht vorliegen haben, Herr de Maizière .
Es wurde schon gesagt, dass er auch ein Ergebnis unseres gemeinsamen Antrages ist, den wir hier vorgelegt
hatten. Aber er ist leider eher eine Auflistung dessen, was
passiert ist, ohne Bewertung und wirkliche Erkenntnisse .
Ich setze darauf, dass die sieben Personen, die in Zukunft
eingesetzt werden und hoffentlich alle schnell dort sein
werden, den nächsten Bericht durch eine Evaluierung bereichern und Nachteile und Vorteile aufführen, damit wir
gemeinsam weiterkommen . Sonst bleibt der Bericht nur
eine Zusammenstellung von Zahlen ohne eine inhaltliche Bewertung . Wir zählen darauf, dass das in Zukunft
anders wird und wir bei der Arbeit der Polizistinnen und
Polizisten dann inhaltlich wirklich weiterkommen .
Wir wissen, wo überall Lücken sind . Auch da möchte ich an die Ausführungen der Kollegin anknüpfen .
Sie haben die ungleiche Bezahlung, die Risikohaftung,
Schadensfälle und den Karriereknick erwähnt . Das alles
kennen wir . Wir wissen, dass der Unterschied zwischen
Anspruch und Realität häufig groß ist.
Sie, liebe Regierungsfraktionen, hatten sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, eine Bund-Länder-Vereinbarung dazu zu erreichen . Jetzt sind wir am Ende der Legislaturperiode, und es hat nicht geklappt . Es ist wirklich
sehr schade, dass Sie da nicht vorangekommen sind . Wir
hatten im Parlament dazu gemeinsam eine gute VorlaSusanne Mittag
ge erarbeitet . Daraus ist leider nichts geworden . Das ist
aber eine Aufgabe, die in der nächsten Legislaturperiode
dringend angegangen werden muss . Wir müssen unser
Engagement für alle Polizistinnen und Polizisten verbessern .
({4})
Erlauben Sie mir noch ein Wort, Herr de Maizière .
Sie sprechen öffentlich häufig von 245 Personen. Aber
da zählen Sie die Frontex-Mitarbeiter mit . Wenn man
diese herausrechnet, dann kommt man auf 142 Personen .
Das ist für ein großes und reiches Land wie Deutschland
wirklich eine klägliche Zahl . Und schauen wir uns die
Zahlen der Vereinten Nationen an . Über 13 000 Polizistinnen und Polizisten sind weltweit im Rahmen der UN
unterwegs . Wie viele Deutsche sind unter den 13 000?
31 . Das entspricht nicht dem, was wir vorgeben zu tun .
Wir wollen im zivilen Bereich mehr machen . Wir wollen
mehr Kriege verhindern . 31 deutsche Polizistinnen und
Polizisten sind eindeutig zu wenig . Da geht mehr . Der
Anspruch muss größer sein . Das müssen wir schaffen .
Ich hoffe, dass wir das in der nächsten Legislaturperiode
angehen können . Wir dürfen nicht nur über das Zivile reden, sondern wir müssen es auch umsetzen . Das können
wir auch .
Ich danke Ihnen .
({5})
Das Wort hat der Kollege Dr . Hans-Peter Uhl für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Zu Recht hat die Europäische Union 2012 den
Friedensnobelpreis erhalten . Die EU-Mitgliedstaaten tragen wesentlich zu den Friedens- und Stabilisierungsprozessen in verschiedenen Staaten der Welt bei . Auch der
verstorbene Bundeskanzler Helmut Kohl hat immer wieder die Verantwortung des vereinigten Deutschlands für
das friedliche Zusammenleben der Völker und die friedensstiftende Wirkung des europäischen Einigungsprozesses hervorgehoben. In der Tat verlangt die konfliktgeladene Realität von heute eine stärkere Zusammenarbeit
der Mitgliedstaaten der EU. Kriege, Krisen und Konflikte, die heutzutage häufig hybrid sind und durch Cyberangriffe begleitet werden, haben die aktuelle Weltlage komplexer und gefährlicher gemacht als zu Zeiten des Kalten
Krieges . Nicht nur in Syrien tobt ein Bürgerkrieg . Der
ganze Nahe Osten ist ein Pulverfass, Stichwort „Katar“ .
Die amerikanische Administration wird heute von einem irrlichternden Präsidenten geführt, der von der Europäischen Union erkennbar nicht viel hält . Unter dem
russischen Präsidenten Putin erleben wir die Rückkehr
zu einer aggressiven und destabilisierenden Weltmachtpolitik Russlands . Die Maghreb-Staaten sind Transitländer für afrikanische Armutsmigration und befinden sich
selbst in einem labilen Zustand . Schauen Sie auf Libyen, dann wissen Sie, wovon ich rede . In unmittelbarer
Nachbarschaft zur Europäischen Union entwickelt sich
die Türkei unter Erdogan weg vom Prinzip eines demokratischen Rechtsstaates . Das ist die Realität, in der wir
heute leben .
Wie können wir auf diese sicherheitspolitischen Herausforderungen reagieren? Da unterscheiden wir uns,
Frau Jelpke . Mit verstärkten zivilen und militärischen
Mitteln müssen wir Krisenprävention, Krisenbewältigung und Konfliktnachsorge ermöglichen, mit beiden
Mitteln zusammen .
({0})
Zugegeben, mit militärischen Interventionen allein werden wir Konflikte nicht lösen. Sie werden dadurch teilweise eher vergrößert . Das haben wir in Afghanistan,
in Libyen und im Irak erfahren . Daher ist die derzeitige
2-Prozent-Diskussion über den isolierten Anteil von Rüstungsausgaben ausgesprochen töricht .
({1})
- Ich freue mich, dass ich hier die Zustimmung von den
Grünen bekomme . Es hat lange gedauert in meinem politischen Leben, bis ich die Zustimmung von dieser Seite
bekomme .
({2})
Nation-Building, Friedenserhaltung und Konfliktverhütung, Armutsbekämpfung durch Berufsausbildung,
umweltschützende, nachhaltige Entwicklung sind die
wichtigsten Ziele eines umfassenden Ansatzes; um diesen
müssen wir uns kümmern . Seit 25 Jahren dienen deutsche
Polizisten dem Frieden und der Sicherheit im Rahmen
verschiedener internationaler Missionen . Zusammen mit
zivilgesellschaftlichen Akteuren und humanitären Missionen arbeiten sie friedensstiftend gemeinsam dort, wo
Hilfe gebraucht wird, wo die Demokratisierungsprozesse
und die Transformationsprozesse langsam und schmerzhaft und natürlich auch nicht immer erfolgreich verlaufen; das geben wir gerne zu .
({3})
Alle Welt fordert die Bekämpfung von Fluchtursachen . Ich möchte deshalb betonen: Die internationalen
Polizeimissionen sind ein Schlüssel zur Bekämpfung der
Fluchtursachen .
({4})
Diktatorische Regime, Armut, Minderheitenverfolgung,
religiöse Konflikte, Korruption und organisierte Kriminalität treiben Millionen von Menschen aus Afrika weg .
Sie verlassen ihre Heimat und sind auf der Suche nach einem besseren Leben in Europa . Diese Probleme sind der
Grund zur Flucht, und sie können nur vor Ort erfolgreich
bekämpft werden .
({5})
Hilfe zur Selbsthilfe ist also das Gebot der Stunde .
Lassen Sie es mich mit dem chinesischen Philosophen
Konfuzius sagen:
Gib einem Mann einen Fisch, und du ernährst ihn
für einen Tag. Lehre einen Mann, zu fischen, und du
ernährst ihn für das ganze Leben .
Darum geht es .
Das Gewaltmonopol des Staates, ausgeübt durch die
Polizei - durch wen sonst? -, verhindert Selbstjustiz,
garantiert Sicherheit und Ordnung . Im Rechtsstaat unterliegt jeder staatliche Zwang dem Verhältnismäßigkeitsprinzip . Dieses praktizierend gewinnt die Polizei das
Vertrauen der Bürger, und der Polizist wird zum Freund
und Helfer .
In vielen Staaten der Welt - das gebe ich zu - finden
wir ein völlig anderes Polizeibild. Wir finden Polizisten,
die eher Feind als Freund sind . Dort gibt es eine Polizei,
die Teil der organisierten Kriminalität ist . Dort wird die
Staatsgewalt zum eigenen Vorteil missbraucht . Das alles
gibt es auf der Welt . Unser gesamtes Staatsverständnis
wird durch die ersten beiden Sätze unseres Grundgesetzes auf wunderbare Weise postuliert:
Die Würde des Menschen ist unantastbar . Sie zu
achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt .
Besser kann man unser Verständnis vom Gewaltmonopol des Staates, unser Staatsverständnis nicht beschreiben . Dieses Staatsverständnis ist der Exportartikel
Deutschlands . Dieses Staatsverständnis in die ganze Welt
zu tragen, ist die Aufgabe der Polizeimissionen . Dafür
wollen wir Ihnen ganz herzlich danksagen .
({6})
Es ist richtig, dass auch die internationalen Militärmissionen als ein Friedensinstrument hervorgehoben
werden . Ebenso wichtig sind aber auch internationale
Polizeimissionen . Wie zwei Seiten einer Medaille sind
sie Teil eines komplexen, multidimensionalen Ansatzes
zur Sicherung von Frieden und Stabilität in der Welt .
Auch der Deutsche Bundestag sollte sich - ich bin für
die heutige Debatte dankbar - mit diesen Einsätzen viel
häufiger befassen.
({7})
Wir befassen uns mit jedem Militäreinsatz . Auch wenn es
dabei nur um ein Dutzend Soldaten geht, wird namentliche Abstimmung gefordert . Aber für diese Polizeieinsätze, die genauso wichtig sind, haben wir im Parlament
viel zu wenig Zeit .
Mit dem Dank an die Polizisten möchte ich meine
Rede schließen . Es ist meine letzte Rede, die ich im Bundestag halte . Ich wünsche Ihnen allen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Gesundheit . Gehen Sie entspannt
in den bevorstehenden Wahlkampf .
({8})
Zwar sollten wir Politiker möglichst viele Menschen
auf unserem Weg mitnehmen . Andererseits erwarten
diese Menschen von uns politische Lösungen und klare
Standpunkte, zu denen wir stehen, auch wenn wir wissen, dass wir nicht 100 Prozent der Wähler damit hinter
uns bringen . Aber es ist schön, dass man - das ist das
Beruhigende an der Demokratie - keine 100-prozentige
Zustimmung der Wähler braucht; es reicht die einfache
Mehrheit, um eine Regierung bilden zu können . Das
wünsche ich insbesondere meiner Fraktion, weniger den
anderen Kollegen .
({9})
Mir ist es immer wieder, über 40 Jahre lang, gelungen,
die Mehrheit der Wähler zu überzeugen . Dafür möchte
ich zum Schluss meiner Rede meinen Wählern von dieser Stelle ganz herzlich danken .
({10})
Herr Kollege Uhl, gestatten Sie mir an dieser Stelle ein
persönliches Wort . Ich werde das nicht bei allen letzten
Reden, die heute gegebenenfalls noch gehalten werden,
tun . Ich hatte seit 1998 die Gelegenheit - in diesem Fall
natürlich nicht als Präsidentin, sondern als Mitglied des
Innenausschusses -, mit Ihnen in ebendiesem Gremium
zu arbeiten, und insofern wünsche ich Ihnen auch für die
Zukunft alles Gute und darüber hinaus uns allen, egal ob
wir weiter im Bundestag arbeiten oder nicht, einen solchen Umgang, wie wir ihn gepflegt haben. Wir haben uns
in der Sache nie etwas geschenkt; aber es ist immer mit
Respekt vor der Person zugegangen. Ich finde, das ist etwas, was wir entsprechend vorleben sollten . Herzlichen
Dank für die Zusammenarbeit - ich denke, da spreche
ich auch im Namen der Kolleginnen und Kollegen - und
alles Gute!
({0})
Wir fahren fort in der Debatte . Das Wort hat der Kollege Dr . Lars Castellucci für die SPD-Fraktion .
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir sprechen heute über den Einsatz von deutschen Polizistinnen und Polizisten in internationalen Missionen .
Dabei geht es auch um Frontex, und über Frontex möchte
ich sprechen .
Die Linke fordert, Frontex abzuschaffen .
({0})
Ich halte das für eine völlig absurde Idee . - Sie haben an
dieser Stelle geklatscht, Frau Kollegin . Jetzt kriegt der
Sprecher meiner Fraktion wieder eine SMS vom SpreDr. Hans-Peter Uhl
cher der CDU/CSU, in der steht, dass die Linke bei meiner Rede klatscht .
({1})
Das hatte ich jetzt nicht bezweckt .
Worum geht es denn bei Frontex? Wir haben in Europa Schlagbäume und Grenzanlagen niedergerissen . Das
ist eine solch große Errungenschaft auf einem Kontinent,
der Jahrhundert um Jahrhundert in immer neuen Kriegen
versunken ist . Wir genießen Freiheit: ob wir jetzt kurz
über die Grenze fahren - bei mir in der Region für einen
Wochenendausflug -, ob es Unternehmer sind, die just
in time produzieren, oder ob es um den nächsten Sommerurlaub geht . Gestern hatte ich zwei Schulklassen zu
Besuch . Sie kennen gar nichts anderes als diese Freiheit;
sie gehört zu ihrem Lebensstil .
Wenn wir in Freiheit ohne Grenzen im Innern leben
wollen, dann müssen wir unsere Grenzen nach außen
schützen . Daran führt kein Weg vorbei .
({2})
Grenzen schützen, liebe Ulla Jelpke, heißt nicht, Grenzen schließen oder Grenzen dichtmachen, wie das eben
formuliert wurde .
Im Übrigen: Wie kann man denn sagen, dass das Patrouillieren von Booten in der Ägäis gegen die Flüchtlinge gerichtet wäre? Seit die Boote in der Ägäis patrouillieren, ist die Zahl der Toten im östlichen Mittelmeer um
90 Prozent zurückgegangen . Das ist doch nicht gegen
Flüchtlinge gerichtet, sondern es nützt Flüchtlingen und
es schützt Leben. Ich finde, das sollten wir an dieser Stelle auch so sagen können .
({3})
Also: Grenzen schützen, aber nicht schließen .
Wir sind ein reicher Kontinent . Wir haben eine humanitäre Verantwortung . Wir können ihr gerecht werden .
Wir brauchen auch Zuwanderung, und wir wollen für Talente aus aller Welt attraktiv sein, die uns helfen, unseren
Wohlstand zu sichern und auszubauen . Wenn wir das alles erhalten wollen - unser humanitäres Engagement und
auch den Wohlstand -, dann brauchen wir in den Fragen
von Migration bessere Steuerung und mehr Ordnung .
Das ist der Auftrag von Frontex . Deswegen hat Frontex
unsere Unterstützung .
({4})
Ich will an dieser Stelle auch sagen: Wir müssen unsere Grenzen schützen, aber es gibt keinen hundertprozentigen Grenzschutz . Das sagen ja auch schon die Zahlen
der Einsatzkräfte, die hier mehrfach vorgetragen worden
sind . Zum Beispiel gibt es einen Sofort-Einsatz-Pool von
1 500 Beamtinnen und Beamten, die auf die europäischen Außengrenzen verteilt werden .
Es ist also so wie vielleicht auch vor Ort bei unseren Städten und Gemeinden, wo sich Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker um sichere Schulwege bemühen, damit die Sicherheit von Schülerinnen
und Schülern auf dem Weg in die Schule gewährleistet
ist . Trotzdem sagen sie den Schülerinnen und Schülern
weiterhin: Passt auf, wenn ihr auf dem Weg zur Schule
seid! - Wir dürfen nicht so tun, als könnte es hundertprozentige Sicherheit geben . Aber wir müssen uns für den
bestmöglichen Grenzschutz engagieren, den wir erreichen können . Das ist unser Job .
Jetzt sind wir in Europa in einer schwierigen Lage,
und auch bei den letzten Konferenzen hat man gemerkt,
dass sich die Staaten in einer Selbstblockade befinden.
Zu Frontex bekommen wir Listen, die uns im Ausschuss
vorliegen, und darin steht dann: Von den 1 500 Beamtinnen und Beamten für diesen Pool, den ich gerade genannt
habe, sollen 225 aus Deutschland kommen . Von den
700 Beamtinnen und Beamten, die die Ausreise gewährleisten, sollen 76 aus Deutschland kommen . In jedem Bereich, in dem in Europa zusammengearbeitet wird, wird
von jedem Land gefordert, dass es einen Beitrag leistet .
Jetzt spreche ich gegen diese Selbstblockade, indem
ich Folgendes zu bedenken gebe: In keinem Unternehmen wird verlangt, dass alle das Gleiche machen; in keiner Regierung macht jeder das Gleiche, in keiner Familie
ist jede oder jeder für das Gleiche zuständig .
Deswegen rate ich dazu, dass wir überlegen, ob diese
Selbstblockade der Staaten in Europa nicht überwunden
werden kann, indem nicht mehr alle das Gleiche machen,
sondern indem in Zukunft arbeitsteiliger vorgegangen
wird . Wenn wir 1 Million Flüchtlinge aufnehmen, dann
können doch die Visegradstaaten, die sich da davonstehlen, im Grenzschutz mehr tun, als sie heute tun . Arbeitsteilung, das ist das Gebot der Stunde für die Europäische
Union .
({5})
Man kann nicht über Frontex reden, ohne auch über
das Sterben auf dem Mittelmeer zu sprechen . 2014 sind
3 300 Menschen ertrunken - von diesen wissen wir -,
2015 3 800, 2016 über 5 000 und in diesem Jahr bereits
2 000 .
({6})
Frontex ist zuständig für die Seenotrettung und macht
auch Seenotrettung . Aber, ich glaube, die Zahlen sagen
ganz eindeutig, dass dieses Engagement nicht reicht .
Wenn man hinschaut, dann sieht man dafür auch ganz
objektive Gründe . Beispielsweise sind die Schiffe, mit
denen Frontex auf dem Mittelmeer unterwegs ist, gar
nicht in der Lage, von einem Moment auf den anderen
Hunderte von Flüchtlingen, die auf irgendwelchen untauglichen Booten daherkommen, aufzunehmen .
Deswegen sage ich hier: Das müssen wir hinbekommen . Das werden wir am Sonntag auf unserem Parteitag
auch so für unser Regierungsprogramm beschließen . Wir
brauchen ein eigenständiges europäisches Seenotrettungsprogramm . Das Sterben auf dem Mittelmeer muss
endlich ein Ende haben .
({7})
Der guten Ordnung halber zum Schluss: Wer irreguläre Wege verhindern will, der muss legale Möglichkeiten
schaffen; darauf kann ich jetzt nicht mehr eingehen . Wir
brauchen Kontingente für Menschen, insbesondere für
die Schwächsten, und diese Menschen müssen in Europa
vernünftig verteilt werden . Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz; das ist bitter nötig . Wir brauchen ein Gesamtkonzept, um die Situation und die Sicherheit in den
Griff zu bekommen - auch auf dem Mittelmeer und an
unseren Außengrenzen .
An dieser Stelle auch von meiner Seite ein herzlicher
Dank an alle, die sich engagieren, und an die Familien,
die das unterstützen .
Vielen Dank .
({8})
Die Kollegin Irene Mihalic hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Verehrte Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte! Lieber Herr Wehe dort oben auf der Tribüne!
Wenn deutsche Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte
an internationalen Missionen beteiligt sind, erfüllen sie
damit eine wichtige außenpolitische Verpflichtung der
Bundesrepublik Deutschland . Ich glaube, dass an diesem
Grundsatz auch hier im Haus kein Zweifel besteht . Ihr
Beitrag zu Rechtsstaatlichkeit, Stabilität und Sicherheit
ist für die Menschen in der jeweiligen Region enorm
wichtig . Dazu haben in der Debatte hier im Hause auch
schon einige etwas gesagt . Was vor Ort passiert, wirkt
sich auch unmittelbar auf die Sicherheitslage in Deutschland aus . Schon allein deshalb ist die Hilfe bei der Etablierung ziviler staatlicher Strukturen - mir ist die Betonung auf „ziviler“ besonders wichtig - für uns alle hier
von großem Interesse .
Der Aspekt der Ausbildung, die vor Ort geleistet wird,
ist mir in diesem Zusammenhang auch persönlich besonders wichtig; denn um den Aufbau einer funktionierenden Zivilpolizei zu fördern und zu entwickeln, braucht
es eine Ausbildung auf fachlich wirklich sehr hohem Niveau .
({0})
Die Ausbildung der Polizei vor Ort muss deshalb auch
tatsächlich von den dorthin entsandten Polizistinnen und
Polizisten durchgeführt werden . Das klingt erst einmal
selbstverständlich, wenn ich das so sage, ist es aber nicht .
Häufig genug übernimmt die Bundeswehr die Polizeiausbildung vor Ort - einfach weil sie da ist .
Doch militärisches und polizeiliches Handeln unterscheiden sich so grundlegend, dass es nicht hingenommen
werden kann, wenn es so passiert, wie es in der Realität
halt oft passiert . Wie sollen denn Bundeswehrsoldaten
die Ausbildung von Polizisten übernehmen, wenn sie
nicht einmal selbst über die notwendigen polizeilichen
Fachkenntnisse verfügen? Unser Anspruch muss daher
sein, tatsächlich so viele Polizistinnen und Polizisten zu
entsenden, dass diese die anfallenden Aufgaben in jedem
Fall übernehmen können .
({1})
Darauf, dass da durchaus noch Luft nach oben ist, haben
schon genug Kolleginnen und Kollegen hingewiesen .
Am Engagement der einzelnen Beamtinnen und Beamten fehlt es dabei ganz sicher nicht . Dafür verdienen
sie, wie das hier auch schon viele von uns gesagt haben,
unseren Dank, unseren Respekt und unsere Anerkennung .
({2})
Die Einsatzkräfte und ihre Familien nehmen wirklich einiges auf sich und leisten jeden Tag Beachtliches . Das
jetzt auch hier im Deutschen Bundestag im Rahmen einer
solchen Debatte herauszustellen und zu würdigen, ist dabei aber nicht nur eine moralische Frage; es ist auch Teil
der notwendigen Überzeugungsarbeit, die immer noch zu
leisten ist .
Susanne Mittag hat vorhin darauf hingewiesen, dass
die deutsche Polizei ihre Leute nun mal ungern sozusagen in die Ferne schweifen lässt . Diese Haltung mancher
Vorgesetzter wirkt sich auch auf die Vorbereitung aus, hat
Konsequenzen, wenn beispielsweise eine Einsatzverlängerung ansteht, und ist nicht immer mit Vorteilen verbunden, wenn die Einsatzkräfte wieder in ihre Heimatdienststellen zurückkehren . Anspruch und Realität liegen da
manchmal wirklich weit auseinander .
Dabei gibt es sehr gute Gründe, dieses Engagement
umfassend zu fördern . Es ist viel darüber geredet worden, wie wertvoll die Arbeit der eingesetzten Beamten
vor Ort ist . Allerdings werden die Potenziale, die entstehen, wenn die Beamten aus der Auslandsverwendung zurückkommen, noch viel zu wenig genutzt .
({3})
Schon allein deshalb ist die Zurückhaltung, die zum Beispiel bei der Entsendung von Spezialisten an den Tag
gelegt wird, unangebracht; denn die Beamtinnen und
Beamten können ihr Know-how vor Ort einbringen und
wertvolle Erfahrungen wieder mit zurücknehmen .
Es gibt gute Gründe, das Personalkonzept so weiterzuentwickeln, dass eine aufbauende Fort- und Weiterbildung möglich wird, die gegebenenfalls auch mehrere
Missionen miteinander verbindet . Dabei reicht es jedoch
nicht, international Versprechungen zu machen und allein auf das Engagement einzelner Polizisten zu hoffen;
denn das Auswahlverfahren ist sehr komplex, in Teilen
viel zu langwierig und dabei mit vielen Unsicherheiten
verbunden . Deshalb ist in diesem Bereich noch einiges
zu verbessern .
Es braucht mehr Kontinuität im Einsatz statt einer
pauschalen Begrenzung der Mission auf ein Jahr - aber
da geht ja jetzt vielleicht noch was -, es braucht schnelle
und klare Zusagen für die Bewerber, und es braucht ein
verbindliches Vor- und Nachbereitungskonzept, damit
die Auslandsverwendung eben nicht zum Karriereknick
wird . Ich denke, in diesem Bereich sollten wir einiges
verbessern, da ist noch viel möglich . Es lohnt sich, dieses
Engagement der Polizistinnen und Polizisten im Ausland
zu fördern .
Ganz herzlichen Dank .
({4})
Der Kollege Thorsten Frei hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn wir heute den Bericht der Bundesregierung zum
Einsatz deutscher Polizisten in Auslandsmissionen diskutieren, kann man, glaube ich, feststellen, dass sich seit
dem ersten Einsatz im Jahr 1989 unglaublich viel getan
hat .
Wir engagieren uns in diesem Bereich, natürlich zuallererst finanziell. Deutschland ist gerade im Rahmen der
UN-Missionen einer der größten und wichtigsten Geber .
Wir zeigen aber durchaus auch im personellen Bereich
Engagement, wenn ich etwa daran denke, dass der oberste UN-Polizist, der Police Advisor des Generalsekretärs,
ein nordrhein-westfälischer Polizeibeamter ist . Außerdem bringen wir uns inhaltlich ein, beispielsweise im
vergangenen Jahr bei der Erarbeitung des UN-Police-Reviews oder bei der Ausrichtung der 7 . Sitzung der Freundesgruppe der UN-Polizei, an der immerhin 41 Mitgliedstaaten teilgenommen haben .
Liebe Frau Jelpke, ich finde nicht, dass dieser Bericht
der Bundesregierung die kritischen Punkte ausklammert .
Ganz im Gegenteil: Er macht eine Bestandsaufnahme
dessen, was gut funktioniert und in den vergangenen Jahren verbessert werden konnte . Er dokumentiert, was wir
heute schon diskutiert haben und was wir dank vielfältiger Debatten wissen, nämlich dass es sehr wohl Probleme gibt .
Die föderale Struktur unserer Sicherheitsarchitektur bringt insofern Probleme mit sich, als der Bund für
die außenpolitischen Herausforderungen zuständig ist,
aber die Länderpolizeien zu einem ganz großen Teil die
Kompetenzen und Fähigkeiten vorhalten, die in solchen
Auslandsmissionen von Polizeibeamten nachgefragt und
gebraucht werden . Und - auch darauf ist eingegangen
worden -: Natürlich darf für einen Polizeibeamten ein
Auslandseinsatz nicht zum Karriereblocker werden, sondern ganz im Gegenteil: Er muss ein Ausweis für besondere Fähigkeiten und damit auch förderlich für spätere
Verwendungen in der Polizei sein .
({0})
Der Bericht sagt ferner - der Minister ist auch darauf
eingegangen -: Es steht zu erwarten, dass das Thema Polizeieinsätze im internationalen Bereich an Bedeutung
gewinnen wird . Das ist selbstverständlich so . Gott sei
Dank haben Ihnen, Frau Jelpke, einige Vorredner schon
die richtige Antwort auf die Frage gegeben, ob auch
Fluchtursachen bekämpft werden . Natürlich werden
diese bekämpft; denn in allererster Linie geht es darum,
stabile staatliche Strukturen zu schaffen . Es ist auch darauf eingegangen worden, dass wir den gesamten Instrumentenkasten der Außenpolitik benötigen . Aber wir sind
nicht immer einer Meinung, wenn es um den Einsatz von
Militär geht . Dieser Einsatz wird in vielen Fällen notwendig und richtig sein .
Aber es ist mit Sicherheit nicht richtig, wenn Soldaten polizeiliche Aufgaben übernehmen, ausbilden oder
in sonstiger Weise eine Vermischung der Kompetenzen
stattfindet. Ich glaube, es ist vollkommen klar, dass wir
neben Soldaten, neben zivilen Einsatzkräften insbesondere Polizeibeamte benötigen, die in fragilen und auch
gescheiterten Staaten mithelfen, staatliche Strukturen
wieder aufzubauen, um die Voraussetzungen dafür zu
schaffen, dass das durchgesetzt werden kann, was demokratische Regierungen entscheiden und beschließen,
und dass damit ein Rahmen für ein gutes Leben der Menschen gegeben werden kann .
In diesem Sinne ist es ganz entscheidend, zu wissen,
dass diese Herausforderungen, insbesondere auf dem
afrikanischen Kontinent, wachsen werden . Hier muss
man sagen: Wenn man sich die nackten Zahlen anschaut,
dann erkennt man, dass wir noch ein bisschen Luft nach
oben haben . Schaut man sich die Zahlen des vergangenen Jahres an, dann stellt man fest: 302 Beamte in allen
diesen Missionen, speziell 32 Polizeibeamte im Rahmen
von UN-Missionen - das ist angesichts der mehr als
13 000 Polizisten bei der UN kein wirkliches Ruhmesblatt .
Wenn man dann weiter sieht, dass von den 20 UN-Missionen 13 auf dem afrikanischen Kontinent stattfinden,
dann wird deutlich: Hier geht es nicht um Altruismus,
sondern hier geht es tatsächlich um ganz praktische Hilfe
und um das Verfolgen unserer eigenen Interessen, und
zwar nicht nur im Sinne von Fluchtursachenbekämpfung,
sondern auch, was die Dämpfung von Migrationsdruck Stichwort: Flucht durch gefährliche Wüsten, über gefährliche Meere und dergleichen mehr - angeht; das ist
bereits ausgeführt worden . Deshalb ist es ein absolut
richtiger Ansatz .
Ich glaube, wir dürfen uns durchaus an dem orientieren, was der EU-Ratsbeschluss in Santa Maria da Feira
bereits im Jahr 2000 ausgeführt hat . Man hat gesagt: Wir
wollen aus europäischen Staaten 5 500 Polizisten, davon
900 aus Deutschland, für solche Einsätze zur Verfügung
stellen . Ich glaube, es ist richtig, sich daran zu orientieren . Diese Entscheidung war vor 17 Jahren richtig, und
sie ist es auch heute .
Wenn man vorwärtskommen will, dann muss man
bestimmte Muster durchbrechen . Das Erste, worauf es
ankommt, ist - das hat der Innenminister deutlich gemacht -: Wir brauchen mehr Polizeibeamte . Der Bund
stellt bis zum Jahr 2020 7 500 zusätzliche Polizisten ein .
Wenn ich mir gerade in diesem Jahr die KoalitionsverIrene Mihalic
einbarungen in einigen Bundesländern anschaue, dann
wird deutlich, dass diesbezüglich getroffene Entscheidungen in die richtige Richtung gehen und dass es mehr
Polizisten geben wird . Damit muss man nicht mehr die
Befürchtung haben - dies kann man damit ganz klar dokumentieren -, dass Polizeibeamte, die im Innern benötigt werden, im Ausland eingesetzt werden .
Das Zweite ist: Wir brauchen eine klare politische
Entscheidung, die hier am Anfang stehen muss . Ich habe
den Ratsbeschluss aus dem Jahr 2000 genannt . Man kann
durchaus auch erwähnen, dass beispielsweise Schweden entschieden hat, 1 Prozent seiner Polizeibeamten
für Auslandsmissionen zur Verfügung zu stellen . Das
bedeutet im Klartext, dass Schweden, das nicht einmal
10 Millionen Einwohner hat, etwa viermal so viele Polizisten in Auslandseinsätzen hat wie Deutschland . Jetzt
muss es nicht unbedingt 1 Prozent der Polizisten sein . In
Deutschland haben wir etwa 300 000 Polizeibeamte . Das
heißt, der Anteil von im Ausland eingesetzten deutschen
Polizisten beträgt 0,01 Prozent .
({1})
Deswegen gibt es angesichts des schwedischen Ansatzes
und unserer Möglichkeiten sicherlich noch Klärungsbedarf . Es geht weiter darum, dass wir die Standzeiten erhöhen, dass wir deutsche Polizisten dort in Einsatz bringen, wo wir viel erreichen können .
Lassen Sie mich zum Schluss noch ein wichtiges Beispiel nennen . In Somalia haben wir an der Spitze der Polizeimission auch einen Deutschen, der in Somalia die
Erfahrung föderaler Polizeistrukturen umgesetzt hat . Das
ist der richtige und vernünftige Ansatz . Wenn dort anstatt
14, wie von der UN gefordert, 70 Polizeibeamte eingesetzt werden könnten, dann können auch die Ziele noch
besser erreicht werden . Aus meiner Sicht ist es exakt der
richtige Ansatz, den man fahren sollte . Es ist vollkommen klar, dass eine Stabilisierung am Horn von Afrika
auch Auswirkungen auf den Mittleren Osten und die Sahelzone haben wird . Deshalb müssen wir uns dort engagieren und uns vielleicht heute schon darauf vorbereiten,
dass in Libyen der nächste große Polizeieinsatz wartet .
Kollege Frei, Sie können gern weiterreden, aber inzwischen auf Kosten des Kollegen Hoffmann . Das muss
ja nicht sein .
Oh nein, das will ich keinesfalls . - Ich glaube, das
wäre das richtige Engagement, um unsere Chancen bei
der Bewerbung um einen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu
verbessern .
Herzlichen Dank .
({0})
Das Wort hat der Kollege Thorsten Hoffmann für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Vielen Dank . - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Wenn ich jetzt die lieben Kolleginnen und
Kollegen begrüßt habe, dann meine ich nicht nur Sie, die
Abgeordneten, sondern natürlich auch Sie, die Polizistinnen und Polizisten auf der Besuchertribüne; denn ich war
34 Jahre lang dabei und empfinde mit Ihnen.
Ich möchte gerne die ganze Debatte aus einer etwas
anderen Sicht betrachten und entsprechend vortragen .
Erst vor wenigen Wochen bin ich von einer Delegationsreise aus Taiwan zurückgekehrt . Getroffen haben wir
uns dort mit Sicherheitsexperten, um die Erfahrungen im
sicherheitspolitischen Bereich untereinander auszutauschen . Bei dem Treffen mit den taiwanesischen Innenund Außenpolitikern stellte sich schnell heraus, dass
man mit uns in Deutschland im sicherheitstechnischen
Bereich gerne enger zusammenarbeiten würde und von
unseren Erfahrungen beim Aufbau staatlicher Sicherheitsstrukturen profitieren möchte. Taiwan ist da nur ein
Beispiel; denn unsere sicherheitsrelevanten Strukturen
werden weltweit geschätzt . Sie dienen anderen, insbesondere noch nicht so stabilen Staaten als Vorbild .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere deutschen Polizistinnen und Polizisten unterstützen in fragilen Staaten den Auf- und Umbau von staatlichen Organisationen . Sie helfen dabei, Polizistinnen und Polizisten
vor Ort auszubilden, geben Expertise und helfen beim
Aufbau einer modernen Sicherheitsarchitektur mit einer
funktionsfähigen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handelnden Polizei . Unsere Polizistinnen und Polizisten kommen dabei im Gastland oft als Berater, Ausbilder, Mentoren und Trainer zum Einsatz . Dabei begeben
sie sich jeden Tag mit großem persönlichem Einsatz in
die Krisenregionen dieser Welt . Sie sind dort eingesetzt
und haben eine große Aufgabe und ein großes Ziel vor
Augen . Sie fördern den Frieden, um in der Region ein
sicheres Leben für die dort lebenden Menschen zu ermöglichen .
Unsere Polizistinnen und Polizisten verdienen für ihren Einsatz unsere höchste Anerkennung . Ich danke Ihnen an dieser Stelle ausdrücklich und sehr herzlich, und
ich würde mich freuen, wenn Sie den Dank an Ihre, an
meine Kollegen weitergäben .
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Es ist nicht so, dass ich hier über etwas spreche, was
mir fremd ist . Ich weiß, was die eingesetzten Kräfte
denken und fühlen . Ich kenne ihre Ängste, ihre Sorgen
und ihre Nöte . Ich war in meinem früheren Beruf als
Polizeibeamter selbst oft aufgrund spezieller Aufgaben
großen Gefahren ausgesetzt . Auch ich war teilweise wochenlang von meiner Familie, von meiner Ehefrau und
von meinem Kind, getrennt . Manchmal konnte ich mich
nicht melden, und dann machte sich meine Familie große
Sorgen . Sie fragte sich, ob etwas passiert sei, und verfiel in Ungewissheit. Es war auch nicht immer einfach,
wenn meine Ehefrau meinem damals dreijährigen Sohn
Ricardo, der heute 24 ist, erklären musste, dass ich im
Moment nicht zu Hause sei . Ich weiß also nur zu gut, mit
welchen Schwierigkeiten Angehörige in solchen Phasen
konfrontiert sind . Es ist für keinen der Beteiligten einfach, wenn man seine Familie oder Freunde nicht sieht
und oft nicht einmal mit ihnen telefonieren kann .
Durch diese Beispiele wird deutlich, dass nicht nur
die Polizistinnen und Polizisten für die Gesellschaft eine
ganz wichtige Rolle übernehmen, wenn sie sich auf einer Auslandsmission befinden. Auch deren Angehörige
leisten einen ganz wichtigen Beitrag . Sie sind nämlich
der Rückhalt für unsere Polizistinnen und Polizisten im
weltweiten Einsatz . Deswegen gebührt auch den Familien und Freunden mein ausdrücklicher Dank .
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, mandatierte Friedensmissionen sind notwendig . Sie sind ein
nützliches Instrument, um bewaffnete Konflikte zu verhindern und einzudämmen . Sie fördern und festigen den
Frieden . Sie sind wichtig, um später die Beteiligten im
besten Fall an einen Tisch zu bekommen und um für den
Frieden zu werben . Für die CDU/CSU sind sie ein wesentlicher Baustein im deutschen Engagement für den
internationalen Frieden . Die deutsche Beteiligung an den
Friedensmissionen ist nicht mehr wegzudenken . Unsere
Freunde und Partner aus anderen Ländern verlassen sich
auf unsere Erfahrungen, die wir gerne mit ihnen teilen .
Deshalb beteiligt sich Deutschland mit den Polizeien der
Länder und des Bundes und auch mit Teilen der Bundeszollverwaltung an vielen Friedensmissionen auf der
ganzen Welt .
Ich möchte aber auch noch auf Folgendes hinweisen:
Der Austausch ist wirklich ein Austausch . Unsere Polizistinnen und Polizisten unterstützen ihre Kollegen im Gastland nicht nur, sie lernen bei ihren gemeinsamen Einsätzen auch voneinander . Sie lernen bei den gemeinsamen
Übungen zum Beispiel, Sprachbarrieren zu überbrücken .
Sie lernen, ihren Blickwinkel zu ändern, kulturelle Unterschiede zu berücksichtigen und zu überwinden . Die
Erfahrungen, die sie dort im täglichen Miteinander sammeln, kommen uns besonders bei der Bekämpfung des
internationalen Terrorismus und der immer stärkeren Internationalisierung der Kriminalität zugute .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer so stark
im Berufsleben gefordert wird, soll und muss auch entsprechend unterstützt werden . Wir als CDU/CSU werden
uns selbstverständlich weiterhin für eine Verbesserung
der Ausrüstung, eine zielgenaue Aus- und Fortbildung
und eine aufrichtige Wertschätzung unserer Bundes- und
Landesbeamten einsetzen .
Liebe Ulla Jelpke, du weißt ja, dass ich dich mag .
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Aber ich möchte doch einmal Worte benutzen, die du
manchmal auch gerne benutzt, wie zum Beispiel „skandalös“, oftmals bist du „entsetzt“ . Mir als Polizeibeamten
hat das teilweise wirklich wehgetan, was du, Ulla, gesagt
hast, und ich kann auch sagen, warum: Ein Polizeibeamter ist nämlich mit dem Herzen Polizeibeamter . Die
Kollegen, die vorhin auf der Tribüne saßen, haben sicher
ähnlich gedacht .
Ich möchte die Frage stellen: Waren Sie oder die Zuschauer schon einmal bei einer Feierstunde für Rückkehrerinnen und Rückkehrer von Auslandseinsätzen? Wenn
nicht, dann möchte ich darauf hinweisen, dass man sich
das hier in Berlin live anschauen kann . Wenn Sie die
Kolleginnen und Kollegen vor dem Reichstag treffen:
Schauen Sie einmal in ihre Gesichter . Sie sind stolz . Sie
sind stolz darauf, dass sie mitgeholfen haben . Sie tragen
voller Stolz ihre Uniform . Sie teilen diesen Stolz mit ihren Familien . Und sie nehmen erst recht voller Stolz die
Wertschätzung unseres Bundesinnenministers Thomas
de Maizière entgegen .
Ich sage es zum Schluss noch einmal sehr gerne: Vielen Dank für euren Einsatz, und vielen Dank, dass eure
Familien das mitmachen .
Vielen Dank .
({3})
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/12445 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung . Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 22 . Juni 2017,
9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen alles
Gute bis dahin .