Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/31/2017

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich . Ich könnte Sie alle jetzt auch namentlich begrüßen, ohne dass das eine unvertretbar lange Zeit in Anspruch nehmen würde . ({0}) Ich möchte Sie zu Beginn davon in Kenntnis setzen, dass es eine interfraktionelle Vereinbarung gibt, dass der Tagesordnungspunkt 5 - das ist der Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2017 - und der Tagesordnungspunkt 8 - da geht es um den Menschenrechtspolitikbericht der Bundesregierung - unter Beibehaltung ihrer Debattenzeiten ihre Plätze tauschen . Sie bleiben also auf der Tagesordnung und werden nur in umgekehrter Reihenfolge behandelt . Außerdem sollen die Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/10625 - hier geht es um zivilgesellschaftliches Engagement - und der Antrag mit dem Titel „Für den Menschenrechtsschutz in Deutschland - Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter reformieren und stärken“ zusammen mit dem Tagesordnungspunkt 8 beraten werden . Des Weiteren soll in Verbindung mit dem Tagesordnungspunkt 6 der Antrag mit dem Titel „,UN Binding Treaty‘ ambitioniert unterstützen“ aufgerufen werden . Dann soll der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften auf der Drucksache 18/12041 dem Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, dem Innenausschuss, dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie, dem Finanzausschuss sowie dem Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft zur Mitberatung überwiesen werden . Schließlich sollen die Unterrichtungen der Bundesregierung zu den Stellungnahmen des Bundesrates auf den Drucksachen 18/12478, 18/12479, 18/12480, 18/12481 und 18/12497 zu den bereits überwiesenen Gesetzentwürfen auf den Drucksachen 18/12049, 18/12037, 18/12048, 18/12041 und 18/12051 an die entsprechenden federführenden und mitberatenden Ausschüsse überwiesen werden . Das leuchtet Ihnen allesamt sicher sofort ein, sodass mit größeren Einwänden nicht zu rechnen ist . - Es gibt sogar demonstrative Zustimmung, für die ich mich besonders bedanke . Damit ist das jedenfalls so beschlossen . Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 1: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen Drucksache 18/12377 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Eine Aussprache ist dazu heute nicht vorgesehen, aber wir müssen die Überweisung dieses Gesetzentwurfs beschließen . Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 18/12377 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Anderweitige Vorschläge sehe ich nicht . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des § 103 des Strafgesetzbuches ‒ Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten ‒ Drucksache 18/10980 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({2}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Kultur und Medien Auch zu diesem Tagesordnungspunkt ist eine Aussprache heute nicht vorgesehen . Der Gesetzentwurf auf der Drucksache 18/10980 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden . - Einwände sind nicht erkennbar . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 3: Befragung der Bundesregierung Die Regierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Bericht der Bundesregierung zum Stickstoffeintrag in die Biosphäre. Dazu wird, unserer ständigen Übung folgend, nun die zuständige Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit einen einleitenden Bericht geben, zu dem auch schon Fragen bei mir angemeldet werden können, so es sie denn gibt . - Frau Ministerin, bitte schön .

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hohe Emissionen reaktiver Stickstoffverbindungen in der Umwelt stellen nach wie vor ein bedeutendes Umweltproblem dar . Das gilt zum Beispiel für Nitrate im Grundwasser oder Stickstoffoxide und Ammoniak in der Luft . Seit Mitte des 19 . Jahrhunderts hat sich die jährliche Freisetzung reaktiven Stickstoffs durch menschliche Tätigkeit verzehnfacht . Die höchsten Zuwächse gab es dabei in den industrialisierten Ländern und auch in den Transformationsstaaten . Mir ist selbstverständlich bewusst, dass zum Beispiel der Einsatz organischer und mineralischer Stickstoffdünger zur Steigerung von Erträgen dazu geführt hat, die wachsende Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln zu versorgen . Leider hat dies jedoch - das gehört zur Wahrheit eben auch dazu - nicht nur Nutzen gebracht, sondern auch zu erheblichen negativen Folgen für Menschen, Umwelt und Wirtschaft geführt . Vorliegende Schätzungen für die Europäische Union besagen, dass sich die Folgekosten der Stickstoffemissionen zu knapp zwei Dritteln auf gesundheitliche Schäden beziehen und zu etwa einem Drittel auf Schäden an den Ökosystemen . Trotz der erzielten Minderungserfolge werden verschiedene stickstoffbezogene Umweltqualitätsziele nicht eingehalten . Der Handlungsbedarf ist somit evident . Die Bürgerinnen und Bürger sind sich der Tragweite des Problems und der eigenen Betroffenheit häufig gar nicht bewusst . Es herrscht also nicht nur Handlungs-, sondern auch Aufklärungsbedarf . Der jetzt vorgelegte Bericht dient ebendiesem Zweck . Er informiert die Bürgerinnen und Bürger sowie alle beteiligten Akteure, zum Beispiel aus den Bereichen Mobilität, Landwirtschaft, Industrie und Energiewirtschaft, über den Sachstand, die Ursachen und die Folgen sowie über die Lösungsansätze . Er verdeutlicht zudem die Notwendigkeit ressortübergreifenden Handelns, um die Einträge in Luft, Boden, Wasser und die Ökosysteme zu reduzieren . Da es sich um ein systemisches Umweltproblem handelt, setzen wir auf einen integrierten Ansatz zur Stickstoffminderung, bei dem alle Verursacherbereiche in den Blick genommen werden . Unser Ziel ist es, die Emissionen reaktiven Stickstoffs in allen Umweltmedien auf ein verträgliches Maß zu reduzieren . Wir wollen weiteren Schaden abwenden, übrigens auch in Form von Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission . Mit der Vorlage des Stickstoffberichts möchte ich Ihnen allen die Dringlichkeit dieses Themas vor Augen führen und darf mich ausdrücklich bei allen mitwirkenden Ressorts für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich bedanke mich für den knappen, prägnanten Bericht . - Die erste Nachfrage hat der Kollege Lenkert .

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, vielen Dank für die Kurzeinführung in den Bericht . - Mich würde interessieren: Wie hoch konkret sieht die Bundesregierung das Minderungspotenzial in den einzelnen Bereichen in der Bundesrepublik, und wie möchte die Bundesregierung dieses Potenzial zukünftig erschließen? Wie möchte sie vor allen Dingen dabei sicherstellen, dass die Verursacher, die Urverursacher wie zum Beispiel die Autoindustrie, von den Maßnahmen der Bundesregierung betroffen sind und nicht eventuell Geschädigte?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Ja, es gibt Abschätzungen, wie viel welche Sektoren zum Stickstoffeintrag tatsächlich beitragen. Selbstverständlich sind hier diejenigen, die uns bekannt sind, etwa die Bereiche Mobilität oder auch Landwirtschaft, diejenigen, die am meisten verursachen; selbstverständlich gehört dazu auch die Industrie . Wir als Bundesregierung haben uns jetzt darauf verständigt, dass wir gemeinsam feststellen, welchen Handlungsbedarf es gibt . Das ist insofern neu . Das haben frühere Bundesregierungen bisher nicht geschafft. Allerdings wird es diese Bundesregierung nicht mehr schaffen, tatsächlich noch einen Stickstoffminderungsplan aufzulegen . Das bleibt der nächsten Bundesregierung vorbehalten .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Meiwald .

Peter Meiwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004351, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Ministerin . Vielen Dank, Herr Präsident . - Zunächst einmal stellt sich uns die Frage, warum wir uns heute mit der Problembeschreibung befassen müssen . Sie haben dargestellt, dass das Kabinett heute eine wichtige Entscheidung getroffen hat, indem es sich darauf geeinigt hat, dieses Problem zu beschreiben; aber der SRU hat uns ein Gutachten zu diesem Thema eigentlich schon 2015 vorgelegt . Uns stellt sich die Frage: Müssen wir dankbar dafür sein, dass das Kabinett nach zwei Jahren feststellt, dass der SRU recht hat, oder gibt es weiter gehende Erkenntnisse? Präsident Dr. Norbert Lammert Die entscheidendere Frage ist: Was leitet sich daraus ab? Der SRU hat eindeutig eine nationale Stickstoffstrategie gefordert . Sie haben gerade gesagt: Die wird es in dieser Legislaturperiode nicht mehr geben . - Aber die Frage ist: Wie wollen wir die Ziele erreichen, die definiert sind und die auch die Bundesregierung offensichtlich jetzt für sich anerkennt? Wie wollen wir auch die Biodiversitätsziele bis 2020 aus unserer Nachhaltigkeitsstrategie noch erreichen, wenn wir eine gemeinsame Stickstoffstrategie nicht haben?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

In der Tat dient dieser Bericht der Vorbereitung einer ressortübergreifenden integrierten Strategie zur Stickstoffminderung - mit konkreten Maßnahmen auch zur Minderung der Stickstoffbelastung in der kommenden Legislaturperiode . Handlungsbedarf gibt es in mehreren Bereichen . Wir haben in der Zwischenzeit durchaus Fortschritte erzielt; ich muss das jetzt nicht im Einzelnen ausführen . Wir haben zum Beispiel die Novelle der Düngeverordnung und des Düngegesetzes erst vor wenigen Monaten in diesem Haus verabschiedet . Natürlich trägt dies dazu bei, die Stickstoffeinträge zu vermindern. Es gibt noch andere Bereiche, in denen wir tätig werden müssen . Zum Beispiel müssen wir die Pilotanfrage der Europäischen Kommission zur Wasserrahmenrichtlinie sachgerecht beantworten, indem wir auch in dem Bereich vorankommen . Wir haben ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission zur Nitratrichtlinie . Auch dies liegt natürlich an übermäßigem Stickstoffeintrag. Bei der sogenannten NEC-Richtlinie, also der Richtlinie zu nationalen Emissionshöchstmengen, wie auch bei der Richtlinie zu nationalen Emissionsminderungsverpflichtungen sind wir letztlich säumig . Dies alles muss zügig angepackt werden . Der Widerstreit der Interessen in der Koalition ist da nicht von der Hand zu weisen - das ist eigentlich auch normal -, aber gut ist, dass wir jetzt anerkannt haben, dass wir alle jeweils in unserem Verantwortungsbereich etwas tun müssen .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Tackmann .

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank . - Frau Ministerin, es ist anerkannt - das haben Sie auch erwähnt -, dass die Landwirtschaft in diesem Kontext eine besondere Verantwortung hat, dass es einerseits um Nahrungssicherung geht und andererseits um die Frage der Emissionen und der Reduzierung der Emissionen . Gerade in der Tierhaltung ist das ein zentraler Punkt . Sie wissen, dass die Bundesregierung nach wie vor eine Exportstrategie hat, das heißt, dass die Tierhaltung sich nicht an dem orientiert, was zur Nahrungssicherung hier vor Ort gebraucht wird, sondern dass man exportieren will . Irgendwie hat das miteinander zu tun, die Produktionsmenge oder die Menge der gehaltenen Tiere und die Emissionen . Welche Strategie verfolgen Sie da? Welche Ideen haben Sie, wie wir einerseits der Tierhaltung eine Zukunft geben können, andererseits aber Ihre Ziele, die ich teile, erreichen können?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Die Agrarpolitik hat in der Tat die Zielrichtung der Exportstrategie, aber nicht die Bundesregierung hat die Zielrichtung der Exportstrategie . Das Umweltministerium sieht das anders . Es gibt also keine Bundesregierungsstrategie zum Export landwirtschaftlicher Güter . Ich kann verstehen, dass man das in der Agrarpolitik so vorantreiben will; unter Umweltgesichtspunkten gibt es einen Widerstreit . Ich persönlich glaube - ich denke auch, dass es wissenschaftlich abgesichert ist -, dass wir wieder zu einer stärkeren Flächenbezogenheit bei der Tierhaltung kommen müssen . Die Frage, wie viele Großvieheinheiten pro Hektar zulässig sind, ist eine Grundsatzfrage .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Krischer .

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Präsident . - Frau Ministerin, zunächst einmal: Es ist natürlich ein Problem, Fragen zu einem Bericht der Bundesregierung zu stellen, wenn man den Bericht nicht kennt . Wir haben gestern in Ihrem Haus nachgefragt, hätten gern diesen Bericht bekommen, damit man ihn vorher lesen kann . Das war nicht möglich . Insofern ist es ein bisschen lächerlich, das hier zum Thema einer Regierungsbefragung zu machen . Aber es scheint ja so zu sein, dass in dem Bericht nichts Neues steht . Es scheint für Sie schon ein Phänomen zu sein, dass die Bundesregierung sich überhaupt auf einen Bericht verständigen kann . Sie haben im Sommer 2016 - darüber gibt es eine Reihe von Presseberichterstattungen - eine umfassende Stickstoffminimierungsstrategie für diese Wahlperiode angekündigt . Gerade haben Sie gesagt: Die wird es nicht mehr geben; das muss die nächste Bundesregierung machen . - Sie haben nun einen Bericht vorgelegt, in dem nichts Neues ist . Mich würde interessieren: Woran liegt es, dass eine solche Stickstoffminimierungsstrategie in dieser Wahlperiode nicht vorgelegt worden ist? Wer oder was ist die Ursache dafür?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Mit diesem Bericht ist tatsächlich erstmals eine ressortübergreifende Verständigung erreicht worden, sowohl zum Problemverständnis als auch zum politischen Handlungsbedarf und der Notwendigkeit weiterer Minderungsbemühungen . Das ist ein Erfolg . Das ist richtig: Das ist nicht das, was ich angekündigt habe . Gleichwohl ist dieser Schritt ein Erfolg . Der Bericht ersetzt nicht die von mir angekündigte Stickstoffstrategie; das ist so . Unsere strategischen Arbeiten zur Stickstoffminderung setzen sich aus vielen Einzelschritten zusammen . Der vorliegende Bericht ist ein Baustein dieser Arbeiten . Die ressortübergreifende Befassung soll über dieses wichtige Thema informieren und den politischen Diskurs vorantreiben, sodass Maßnahmen zur Minderung der Stickstoffbelastung in der kommenden Legislaturperiode konkretisiert werden können . - Ja, in dieser Legislaturperiode ist dieser Schritt noch nicht gelungen . Aber der Schritt, den wir bis jetzt gegangen sind, ist erstmalig für eine Bundesregierung .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Bulling-Schröter .

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön . - Sehr verehrte Ministerin, mich würde interessieren: Stickstoffemissionen kommen nicht nur aus der Landwirtschaft, sondern auch aus dem Verkehr . Ich denke, darüber wird aus bekannten Gründen wenig diskutiert . Mich würde interessieren: Gibt es für den Verkehrsbereich vonseiten der Bundesregierung eine Minderungsstrategie? Wie könnte sie aussehen, und welche Zeitspanne wird noch benötigt, bis sie beginnen kann?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Ja, der Verkehr ist natürlich ein Hauptverursacher von Stickstoffeinträgen. Das ist vollkommen klar. In den Städten ist es der Verkehr, der für zu hohe Stickstoffbelastungen sorgt, auf dem Land ist es im Wesentlichen die Landwirtschaft, um es vereinfacht zu sagen . Aber es ist nicht ganz falsch, wenn ich es so vereinfacht sage . Wir brauchen natürlich auch eine neue Mobilitätsstrategie unter dem Gesichtspunkt von Klima und Luftverträglichkeit . Ich denke, dass dies auch eine Aufgabe der nächsten Legislaturperiode sein muss . Ich bin absolut sicher, dass wir bei den Automobilen zu Nachrüstungen kommen müssen, im Wesentlichen natürlich bei den Dieselfahrzeugen, die Hauptverursacher der Stickstoffeinträge sind . Aber das kann natürlich zunächst einmal nur unter Berücksichtigung der technischen Möglichkeiten der Automobilindustrie geschehen . Das gilt zum einen für die neu zugelassenen Automobile . Hier haben wir neue europäische Regeln, die schon beschlossen sind und ab September wirksam werden . An anderen Regeln wird auf europäischer Ebene gearbeitet . Ganz wichtig ist aber zum anderen auch, dass wir den jetzigen Bestand ins Auge fassen .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Lemke .

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie hatten heute eine Pressekonferenz, auf der Sie die Rote Liste gefährdeter Biotoptypen und damit der Öffentlichkeit sozusagen eine relativ vernichtende Bilanz Ihrer eigenen Arbeit vorgestellt haben . Sie sagen, dass knapp zwei Drittel der 863 Biotoptypen in Deutschland in Gefahr sind . Besonders dramatisch sei die Entwicklung bei Wiesen und Weiden, während sich nach Ihren eigenen Aussagen an einzelnen Biotopen, Flüssen und Seen, positive Entwicklungen abzeichnen, die primär auf die Verbesserung von Klärstufen in den Kläranlagen zurückgehen . In einer Regierungsanfrage von mir haben Sie vor wenigen Wochen geantwortet, dass ein Großteil der Feldvögel in Deutschland vom Aussterben bedroht und ein relevanter Teil schon verschwunden ist . Das heißt, das Ziel der Bundesregierung, das Artensterben bis 2020 zu stoppen, das vor mehreren Jahren festgelegt worden ist, wird weit verfehlt . Was sind die konkreten Maßnahmen? Sie sagen: Das alles kann erst die nächste Bundesregierung machen. Das habe ich noch nicht geschafft abzuarbeiten. Das muss meine Nachfolgerin bzw . mein Nachfolger machen . - Sie hinterlassen dem nächsten Bundesumweltminister also Ihre eigene Negativbilanz .

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin, dies weise ich zurück, und zwar entschieden . Ich habe heute nicht eine Negativbilanz meiner eigenen Arbeit vorgelegt . Vielmehr ist das die dritte Auflage des Berichts zur Roten Liste gefährdeter Biotoptypen. Die erste Auflage gab es im Jahr 1994, die zweite im Jahr 2006 . Das, was seit 2006 passiert ist, umfasst natürlich deutlich mehr als meine Zeit in der Ressortverantwortung . Wir haben in der Tat Verschlechterungen festzustellen, insbesondere im Bereich der Biodiversität bei Weiden und Wiesen . Darauf haben Sie richtig hingewiesen . Auf der anderen Seite haben wir aber auch Verbesserungen festzustellen, insbesondere bei Fließgewässern, Wäldern und Waldrändern . Wir haben selber, zum Beispiel durch die Beschlussfassung über das Blaue Band - das ist neu -, positiv darauf eingewirkt, dass es in der Zukunft besser wird . Wir haben die Situation bei den Auenwäldern verbessert - auch sie ist in den letzten Jahren besser geworden . Ja, es gibt auch noch viel zu tun - das ist nicht zu bestreiten -, und es hat insbesondere mit der Wirtschaftsweise in der Landwirtschaft zu tun .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Lenkert .

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung seit der Veröffentlichung des Gutachtens des Sachverständigenrats für Umweltfragen in Angriff genommen, um die zu hohen Stickstoffeinträge zu reduzieren? Welche Handlungsempfehlungen und Lösungsansätze des Sachverständigenrats für Umweltfragen haben Sie als Bundesregierung verfolgt, und was halten Sie von dem Vorschlag, eine Stickoxidabgabe einzuführen?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Ganz wesentlich ist - darauf habe ich ja eben schon hingewiesen -, dass wir uns nach wirklich langen Vorarbeiten und kräftigen Auseinandersetzungen auch innerhalb der Bundesregierung und in diesem Parlament auf ein neues Düngegesetz und eine neue Düngeverordnung verständigen konnten . Das ist ein wesentlicher Schritt in Richtung der Minderung der Stickstoffeinträge. Es ist der wichtigste Schritt, den wir seit der Veröffentlichung des Sachverständigenrats für Umweltfragen gegangen sind . Man sollte es nicht negieren . Es hat mehr als fünf Jahre gedauert, bis wir das haben durchsetzen können - immerhin einvernehmlich . Es ist eben manchmal nicht so einfach . Aber ist es der wichtigste Schritt, den wir seither gegangen sind . Wir haben keine Position zur Erhebung einer Stickstoffabgabe. Ich halte dies zurzeit nicht für nötig, sondern halte es für sinnvoller, in Zusammenarbeit mit denjenigen, die Verursacher von Stickstoffeinträgen sind - man muss auch mal sagen, dass diese Einträge nicht vollständig vermeidbar sind; die Verursacher sind ja nicht böswillig -, die Arbeitsweisen unter vernünftigen Konditionen zu ändern .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Ebner .

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön . - Frau Ministerin, Sie haben gerade von Ihrer Erfolgsbilanz - Düngegesetz und Düngeverordnung - gesprochen. Da möchte ich die Stoffstrombilanz - oder, wie wir es gerne nennen, Hoftorbilanz - ansprechen, die ein Mittel sein sollte und aus unserer Sicht auch ein geeignetes Instrument sein könnte, um Stickstoffeinträge zu regeln, zu regulieren und zu reduzieren. Allein, es fehlt ja eine Regelung . Die Düngeverordnung regelt die Frage der Stoffstrombilanz leider nicht; das wurde in die entsprechende Stoffstrombilanzverordnung ausgelagert . Da - wurde uns heute im Ausschuss berichtet - weiß man nichts Genaues, da gibt es keine konkreten Ergebnisse von Gesprächen, und niemand weiß, in welche Richtung die Gespräche gehen . Vielleicht können Sie uns etwas dazu sagen, was denn hier eigentlich erreicht werden soll, mit welchen konkreten Festlegungen Sie jetzt die Reduzierung von Stickstoffeinträgen an der Stelle erreichen wollen .

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Ebner, wir als Bundesregierung haben ja gemeinsam mit den Ländern ein sogenanntes Düngepaket auf den Weg gebracht, das sich durchaus sehen lassen kann und ganz sicher zu einer Verbesserung der Situation bezüglich der zu hohen Stickstoffeinträge aus der Landwirtschaft führen wird . Im Rahmen des Pakets haben wir auch beschlossen - wie Sie richtig sagen -, eine Stoffstrombilanz zunächst für größere Betriebe einzuführen. Damit sollen alle Nährstoffzuströme und Nährstoffabflüsse eines Betriebes genau erfasst werden, und die entsprechende Verordnung ist in Arbeit . Ich gehe davon aus, dass wir das parlamentarische Verfahren jetzt rasch einleiten und noch abschließen können .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Meiwald .

Peter Meiwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004351, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank . - Da muss ich einfach direkt nachfragen: Heißt das, dass Sie hoffen, das parlamentarische Verfahren noch innerhalb der beiden uns nach dieser Sitzungswoche verbleibenden Sitzungswochen „abschließen zu können“? Ich würde gerne konkret hören, ob wir dann mit der Vorlage der Stoffstrombilanzverordnung rechnen dürfen . Meine andere Frage geht auf das Gutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen zurück . Er hat vorgeschlagen, die Anforderungen an Tierhaltungsanlagen zu verschärfen und in der TA Luft dazu klare Vorgaben zu machen . Gibt es seitens des Ministeriums Bestrebungen, in der Richtung tätig zu werden und die TA Luft entsprechend nachzuschärfen?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Ich gehe zunächst auf Ihre zweite Frage ein . - Was die TA Luft anbelangt: Ja, wir haben einen Entwurf in Arbeit, der aber nicht mehr fertig wird; das werden wir in dieser Legislaturperiode nicht mehr schaffen. Wir müssen das Thema fachlich noch genauer durchdringen, als wir das bisher tun, und zwar in gemeinsamer Verantwortung von Landwirtschaftsseite und Umweltseite . Wir müssen Tierwohl und Emissionsrecht in Einklang bringen; denn es kann nicht sein - um es einmal überspitzt zu formulieren -, dass wir alle Tiere in verschlossenen Kästen halten . Ich will gerne ein entsprechendes Gesetz auf den Weg bringen, aber es bedarf noch wissenschaftlicher Arbeit und auch der Zusammenarbeit der verschiedenen Institute, zum Beispiel zwischen dem Thünen-Institut und UBA . Was die Stoffstrombilanz und den augenblicklichen Stand der Beratungen angeht, würde ich - wenn Sie einverstanden sind, Herr Präsident - den Kollegen Bleser bitten, das Wort zu ergreifen; denn die Federführung liegt beim BMEL . Wir sind zwar in Verhandlungen, aber Herr Bleser weiß aktuell mehr als ich .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wenn es nicht nur eine aktuelle, sondern auch eine konkrete Auskunft gibt, ist uns diese Ergänzung sehr willkommen . - Bitte schön, Herr Kollege Bleser . ({0})

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Vielen Dank . ({0}) Wir befinden uns zurzeit in der Tat in den Beratungen. Es geht letztlich um die technische Umsetzung der Düngeverordnung, darum, wie das im Detail geregelt wird . ({1}) Uns liegt daran, das Vorhaben praxistauglich zu gestalten, insbesondere ohne unnötigen Bürokratieaufwuchs, was letztlich aber nicht ganz zu vermeiden sein wird .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Darauf wäre fast keiner gekommen . ({0}) Die nächste Frage stellt Frau Bulling-Schröter .

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Stickstoffverbindungen sind klimarelevant . Wir stehen vor der dringenden Aufgabe - ich sage einmal: bei Strafe des Untergangs -, die Pariser Beschlüsse einzuhalten . Meine Frage lautet: Können Sie sich vorstellen, gerade auch die Problematik der Stickstoffverbindungen in einem zukünftigen Klimaschutzgesetz zu regeln? Wir halten es für sinnvoll, ein Klimaschutzgesetz mit entsprechenden Untergesetzen und Verordnungen zu machen; denn das hätte sicher eine gute Wirkung . Allerdings muss man sagen: Gesetze sind immer nur so gut, wie sie überwacht werden .

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin, in der Tat: Andere klimaschädliche Gase wie Ammoniak oder Methan sollten sinnvollerweise Gegenstand eines Klimaschutzgesetzes sein .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kotting-Uhl .

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, ich habe Sie vorhin so verstanden, dass, was jetzt von der Bundesregierung aufgrund der Empfehlungen des SRU geleistet wurde, immerhin die Gemeinsamkeit war, festzustellen, dass Handlungsbedarf besteht; das muss angesichts der Ausrichtung des Landwirtschaftsministeriums wahrscheinlich tatsächlich als Erfolg bezeichnet werden . Sie haben auf die Frage von Herrn Lenkert - er hat zum Vorschlag des SRU hinsichtlich einer Stickstoffüberschussabgabe gefragt - geantwortet, dass man in der Bundesregierung nichts davon hält . Ich würde Sie gerne zu anderen Vorschlägen des SRU fragen, zum Beispiel, wenn es darum geht, die Anforderungen an Tierhaltungsanlagen zu verschärfen, in der TA Luft klare und anspruchsvolle Vorgaben für Tierhaltungsanlagen zu schaffen oder auch Reduktionsziele für den Gesamteintrag von reaktiven Stickstoffverbindungen aufzustellen oder die Hintergrundbelastung reaktiver Stickstoffverbindungen zu reduzieren . Das sind einige der relevanten Vorschläge des SRU . Wie bewerten Sie diese, und haben Sie vor, neben dem Bericht, den Sie jetzt vorgelegt haben, vielleicht auch eine Empfehlung für ganz bestimmte Maßnahmen - wem auch immer: im Umweltministerium und in der zukünftigen Bundesregierung - zu hinterlassen?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Kotting-Uhl, ich hatte schon ausgeführt, dass wir in meinem Haus gerade an der Umsetzung der TA Luft im Zusammenhang mit Tierhaltungsanlagen arbeiten . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Krischer .

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Präsident . - Frau Ministerin, Sie haben eben wieder folgendes Spiel gespielt - diesmal mit Herrn Bleser -: Frau Hendricks kündigt etwas an, und die anderen Häuser bzw . der Rest der Bundesregierung setzt es nicht um oder blockiert . Ich möchte deshalb eine Frage zu Ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich stellen: Anfang Mai hat die EU-Kommission unter anderem für Stickoxide aus Kohlekraftwerken, die eine wesentliche Ursache für Stickstoffeinträge in die Umwelt sind, Grenzwerte auf Basis der besten verfügbaren Technik festgelegt . Medienberichten war zu entnehmen, dass Deutschland versucht hat, zusammen mit Polen, Tschechien und anderen, diese Verschärfung der Grenzwerte zu verhindern . Dieser deutsche Bremsversuch ist Gott sei Dank nicht gelungen . Können Sie mir erklären, warum Sie als Umweltministerin bei einer schärferen Gesetzgebung, die durchaus im Sinne Ihres formulierten Zieles Reduzierung des Stickstoffeintrags - wäre, auf EU-Ebene gebremst haben?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Erstens habe ich an der Stelle nicht auf EU-Ebene gebremst . Damit hat sich ein anderes Gremium befasst, nämlich, soweit ich weiß, der AStV . Zweitens . Wir waren zunächst in guten Gesprächen mit Vertretern der Europäischen Kommission und waren an einer Stelle der Auffassung, dass das, was von der Kommission vorgeschlagen wurde, technisch nicht regelungsfähig ist . Die Kommission hatte angedeutet, dass man darüber noch einmal reden wolle . Wir wurden dann davon überrascht, dass die Beschlussfassung schon am 28 . April 2017 herbeigeführt worden ist; denn am 27 . April sind wir noch davon ausgegangen, dass die Beschlussfassung verschoben würde . Insofern hat uns die Beschlussfassung überrascht . Da wir fachlich andeParl. Staatssekretär Peter Bleser rer Auffassung waren, haben wir tatsächlich nicht zugestimmt. Unsere Auffassung wurde übrigens durch das UBA bestätigt, welches bei Ihnen normalerweise nicht im Verdacht steht .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Lenkert stellt jetzt die letzte Frage zu diesem Themenkomplex .

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, ich möchte das Thema Lebensmittelverschwendung ansprechen . Auch das Wegwerfen von Lebensmitteln hat Einfluss auf die Stickstoffbilanz. Nun hat der Handel natürlich kein Interesse daran, weniger Lebensmittel zu verkaufen . Dann würde ja auch der Umsatz sinken . Vor diesem Hintergrund frage ich: Welche Maßnahmen wollen Sie seitens der Bundesregierung in den Bereichen Handel und Produktion ergreifen, um die Verschwendung von Lebensmitteln zu bekämpfen und die damit verbundenen Stickstoffeinträge zu reduzieren? Ich möchte die Zahl noch einmal nennen - Sie kennen sie sicher -: 11 Millionen Tonnen Lebensmittel werden in Deutschland pro Jahr als Abfall entsorgt .

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Kollege Lenkert, diese Zahl muss uns alle erschrecken . Dem wollen wir sicherlich gemeinsam entgegentreten . Allerdings ist es schwierig, auf das individuelle Konsumentenverhalten einzuwirken . Wir als Bundesregierung haben eine Strategie zum nachhaltigen Konsum aufgelegt, die auch den Bereich Lebensmittel umfasst selbstverständlich nicht nur diesen Bereich, aber auch diesen -; letztlich führen aber Konsumentenentscheidungen dazu, dass Lebensmittel verschwendet werden . Ich würde es für sinnvoll halten - darauf hat ja auch der Ernährungsminister schon einmal hingewiesen -, dass man auf den Verpackungen nicht nur das Mindesthaltbarkeitsdatum angibt, sondern auch das Datum, bis zu dem der Verzehr unbedenklich ist . Das würde sicherlich helfen, weil viele Menschen sich von den Mindesthaltbarkeitsdaten beeinflussen lassen, im Sinne von: Das werfe ich jetzt mal weg . - Faktisch weiß man, dass das nicht nötig ist . Ich zum Beispiel trinke kleine Mengen Vollmilch in meinem Kaffee. Ich nutze die Milch immer noch nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums, weil ich ja gar nicht so viel davon verbrauche . Da passiert nichts . Ich glaube, es wäre vernünftig, beide Daten anzugeben . Über diesen Punkt sollte man mit der Lebensmittelindustrie verhandeln, oder man müsste eine entsprechende Vorschrift erlassen .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Vielen Dank . - Wir schließen jetzt diesen Teil der Regierungsbefragung ab . Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Das ist nicht der Fall . Sonstige Fragen an die Bundesregierung gibt es aber reichlich . Zunächst erteile ich dem Kollegen Beck das Wort .

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank . - Meine Frage berührt den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern . Herr Lothar de Maizière war letztes Jahr in Kairo und hat dort den Großscheich Ahmad al-Tayyib besucht . Diesen hat er jetzt auf dem Kirchentag erneut getroffen. Er wurde dort als großer Friedensvisionär und moderater Muslim gefeiert . Ich möchte wissen, ob der Bundesregierung bekannt ist und wenn ja, warum es nicht Gesprächsthema wurde, dass Herr al-Tayyib hinsichtlich Israel fragt: „Wenn man die religiöse Decke abnimmt, welche Berechtigung hätte denn Israel in dieser Region?“, und damit die Existenz dieses Staates infrage stellt . In 2002 soll er gesagt haben, dass Selbstmordattentate in Israel zu 100 Prozent islamisch seien . Warum geht man bei einer öffentlichen Veranstaltung nicht kritisch damit um? Ich finde, ein Dialog mit dem Islam ist richtig, aber Dialog heißt auch, dass man solche Äußerungen benennt und zurückweist . Durch das Verschweigen solcher Probleme schafft man schließlich nur falsche Vorbilder; denn er hat jetzt nach diesem Auftritt sozusagen das Prüfsiegel des Bundesinnenministeriums und der Bundesregierung . Ich möchte wissen, wie Sie das wieder geraderücken wollen .

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Darf ich?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ja, klar . Bitte schön . Es besteht sogar eine gewisse Erwartung, dass eine Antwort auf die Frage erteilt wird .

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Die Erwartung enttäusche ich ungern, insbesondere nicht diejenige des Bundestagspräsidenten .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das wollen wir einmal festhalten . ({0})

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Herr Kollege Beck, ich gehe davon aus, dass Sie nicht Lothar de Maizière meinten, den letzten Ministerpräsidenten der DDR, auch wenn Sie ihn eben genannt haben . Sie meinten bestimmt Thomas de Maizière . Aufgrund dieses Versprechers hatte ich gezögert und mich gefragt, ob mein Haus wirklich zuständig ist, diese Frage zu beantworten . Aber das setze ich jetzt einfach voraus . In der Tat hat Thomas de Maizière auf dem Kirchentag an einer Diskussionsrunde, die ich selbst leider nicht besuchen konnte, teilgenommen . Sie war Teil des Dialogs, der dort - ich finde, vollkommen zu Recht; da sind wir uns wahrscheinlich einig - zwischen Christen und Muslimen, zwischen dem deutschen Staat und muslimischen Vertretern gepflegt worden ist. Allerdings kann ich mitnichten sehen, dass man hierdurch einer Person, auch wenn sie in der islamischen Lehre noch so hochgestellt ist und vielleicht eine der höchsten islamischen Lehrautoritäten ist, ein Gütesiegel oder Ähnliches erteilt . Auf dem Kirchentag gab es viele Diskussionsrunden, bei denen Vertreter unterschiedlicher Parteien, auch Ihrer Partei, mit anderen diskutiert haben . Wenn man dies jedes Mal als eine Art Gütesiegel interpretieren würde, dann könnte man wahrscheinlich viele Diskussionen nicht mehr führen oder müsste sich gut überlegen, ob man teilnimmt . ({0}) Der Dialog ist wichtig, und er hat stattgefunden . Das Zitat, das Sie genannt haben und das offenbar aus dem Jahr 2002 ist, bezieht sich, soweit mir bekannt ist, auf einen Artikel in der New York Times, den dann das AJC übernommen hat . Wie belastbar dieses Zitat ist, kann ich Ihnen hier wirklich nicht sagen . ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Leidig .

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank . - Ich möchte die Gelegenheit nutzen, noch eine Frage an Frau Ministerin Hendricks zu richten . Hierbei geht es um das Luftverkehrskonzept, das wir heute im Verkehrsausschuss andiskutiert haben . Die Zuständigen der Bundesregierung haben deutlich formuliert, dass das Ziel dieses Konzeptes ist, den Luftverkehr zu steigern, also mehr Flugverkehr in Deutschland zu organisieren, auch um im internationalen Wettbewerb mehr Anteile zu gewinnen . Das ist eine Strategie, die den Klimaschutzzielen deutlich im Wege steht . Sie entspricht auch nicht den Zielen und Verabredungen, über die in den Ländern diskutiert worden ist, und auch nicht den Vorstellungen der Posch-Kommission, die angeregt hat, sich auch mit Fragen des Lärmschutzes usw . intensiver zu beschäftigen . Mich würde interessieren, ob Sie bei der Erstellung dieses Konzeptes involviert sind, ob Sie eine Meinung dazu haben und wie Sie Ihre Position einbringen werden .

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Das Luftverkehrskonzept dient nach der Aussage des Bundesverkehrsministeriums der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Luftverkehrs . Das Luftverkehrskonzept des Bundesverkehrsministeriums ist nicht mit uns abgestimmt worden . Dies habe ich bereits bedauert . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Ebner .

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich wollte Frau Ministerin Hendricks noch etwas fragen . Frau Ministerin, Sie haben sich ja in Sachen Glyphosat engagiert und gesagt, dass man diesen Stoff nicht zulassen kann . Gestern war in einem BR-Beitrag zu hören, dass Sie einer Zulassung wohl mit strengen Anwendungsbestimmungen zustimmen . Professor Christopher Portier, ehemaliger Direktor des National Institute of Environmental Health Sciences der USA, hat aber die ganzen Rohdaten und Originalstudienberichte analysiert und dabei festgestellt, dass nur 20 Prozent aller Krebseffekte in Betracht gezogen wurden, dass bei der Bewertung durch die EFSA und ECHA acht signifikante Krebseffekte komplett übersehen wurden und dass sich wesentliche Hinweise auf die krebserregende Wirkung von Glyphosat in den offiziellen europäischen Bewertungen in keiner Weise widerspiegeln . Deshalb meine Frage an Sie: Welche Konsequenzen ziehen Sie, zieht die Bundesregierung aus diesen neuen Erkenntnissen? Wie werden Sie die Analyse von Professor Portier bei der Abstimmung über die Wiederzulassung berücksichtigen, oder bleiben Sie bei den lediglich strengen Anwendungsbestimmungen?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege, ich habe meine Entscheidung noch nicht endgültig gefällt . Die Berichterstattung darüber ist insofern nicht zutreffend.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Movassat .

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Präsident . - Meine Frage richtet sich an das Auswärtige Amt . Es gab ja heute in Afghanistan einen schrecklichen Anschlag, bei dem mindestens 80 Menschen gestorben sind, und es gab über 350 Verletzte . Die Bundesregierung hat richtigerweise von einer niederträchtigen Tat gesprochen . Meine Frage zielt darauf, welche Konsequenz das für die Bewertung der Sicherheitslage in Afghanistan hat . Die Bundesregierung hat ja immer die Auffassung vertreten, dass es in Afghanistan sichere Gebiete gibt . Dazu wurden auch Teile Kabuls gezählt . Der Anschlag fand in Kabul statt . Von daher meine Frage an das Auswärtige Amt, ob dieser Anschlag, der ja nun zeigt, dass selbst bestens gesicherte Viertel in Afghanistan Ziel von Anschlägen werden können, für Sie Anlass sein wird, die Einstufung der Sicherheitslage zu überprüfen .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Staatsminister .

Not found (Gast)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Herr Kollege Movassat, das sind bestürzende Nachrichten, die wir heute aus Kabul übermittelt bekommen haben . Wir sind angesichts dieses furchtbaren Anschlages fassungslos, bei dem in der Tat ungefähr 80 Menschen ums Leben gekommen sind und es etwa 300 Verletzte gegeben hat . Ich muss Ihnen aber in einem Punkt widersprechen: Die Bundesregierung und auch das Auswärtige Amt haben die Sicherheitslage in Afghanistan niemals als generell sicher eingestuft, ganz im Gegenteil . Die Gefährdungslage bleibt in hohem Maße volatil und hat sich natürlich durch diesen verheerenden Terroranschlag mitnichten verbessert . Das Gegenteil ist der Fall . Wir werden natürlich im Lichte von solch furchtbaren barbarischen Ereignissen die Sicherheitslage immer wieder überprüfen . Einen konkreten Hinweis möchte ich im Rahmen dieser Regierungsbefragung noch mitgeben: Der Bundesinnenminister hat heute Morgen vor dem Hintergrund des Anschlages entschieden, die zentrale Rückführung nach Kabul, die heute erfolgen sollte, auszusetzen .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Ströbele .

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Frage betrifft das gleiche Thema. Das drängt sich ja auf . Ich gehe davon aus, dass sich die Bundesregierung in der heutigen Sitzung mit diesem grauenhaften Anschlag beschäftigt hat . Kabul ist der Ort, der immer wieder als relativ sicher bezeichnet worden ist . Ich war selber mehrfach in Kabul und kenne die Gegend in der Nähe der deutschen Botschaft, wo jetzt der Anschlag stattgefunden hat . Die deutsche Botschaft soll ja auch erheblich betroffen sein. Sie ist durch meterdicke Betonmauern gesichert . Trotzdem sind dort Scheiben kaputtgegangen und offenbar auch Menschen zu Schaden gekommen; es gab wahrscheinlich einen Toten und mehrere Verletzte . Will die Bundesregierung nach diesem Ereignis nachdem es im eigentlich sichersten Bereich in Kabul, in dem Bereich, in dem sich auch die Abgeordneten aufhalten sollen, weil es dort relativ sicher ist, zu einem Anschlag gekommen ist - nicht doch ihre Auffassung im Hinblick auf sichere Bereiche in Afghanistan überprüfen und sagen: „In Afghanistan ist es nirgendwo mehr sicher, schon gar nicht in Kabul“? Ich bin dankbar, dass Sie, Herr Staatsminister, angesprochen haben, dass die für heute geplante Abschiebung nach Kabul gestoppt worden ist und dass es sich hierbei nicht um einen einmaligen Stopp handelt, sondern dass zunächst einmal alle Abschiebungen nach Afghanistan gestoppt werden und die Lage dort völlig neu beurteilt werden muss .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Ströbele, ich bitte darum, jetzt das Fragezeichen zu setzen .

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, nur noch diesen Satz . - Mir stellt sich die Frage: Was muss in Afghanistan noch passieren, damit die Bundesregierung zu einer realistischen Gefährdungseinschätzung kommt?

Not found (Gast)

Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter, der Anschlag ist in unmittelbarer Nähe der deutschen Botschaft in Kabul verübt worden . Ich habe noch keine detaillierten Informationen . Deswegen bitte ich um Verständnis dafür, dass die Zahlen, die ich nenne, und die Aussagen, die ich treffe, unter einem gewissen Vorbehalt stehen . Ich habe ja eben auch Zahlen genannt: 80 Tote, circa 300 Verletzte . Das Botschaftsgebäude selbst ist sehr schwer beschädigt worden . Unsere Kolleginnen und Kollegen, die in Kabul im Einsatz sind, und auch die Kräfte vor Ort sind in Sicherheit . Es gibt aber eine Verletzte, die zum Team der deutschen Botschaft gehört . Entgegen anderslautenden Diskussionen in der Öffentlichkeit gibt es keine pauschal als sicher zu bewertenden Regionen in Afghanistan . Bei jeder Rückführung wird jeweils die individuelle Situation der betreffenden Person überprüft . In der Tat ist es so, Herr Kollege Ströbele, dass die Lage in Kabul bislang als relativ sicher eingestuft wurde . Aber auch dies muss immer in Anbetracht der individuellen Situation geschehen . Lassen Sie mich das an einem Beispiel belegen . Wenn jemand als Paschtune nach Kabul zurückkehrt, galt und gilt das bislang als relativ sicher . Wenn aber jemand als zum Christentum konvertierter Afghane nach Kabul kommt, ist die Lage differenzierter zu bewerten. Das macht deutlich, dass ich hier keine pauschalen Antworten zu geben vermag, sondern nur im Hinblick auf den jeweils individuellen Fall eine Bewertung vornehmen kann .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich lasse die zwei noch angemeldeten Fragen zu, bitte aber die Fragesteller und die Antwortenden, sich kurzzufassen . Die Kollegin Haßelmann hat das Wort .

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Auch ich möchte auf die Sicherheitslage und die Sicherheitseinschätzung in Afghanistan zu sprechen kommen . Herr Roth, erst einmal danke für Ihre Ausführungen . Sie können einen aber nicht zufriedenstellen; denn die Bundesregierung hat uns monatelang erklärt, dass es in Afghanistan sichere und nicht sichere Regionen gibt und dass man deshalb nach Afghanistan abschieben kann . Wir können gerne herausarbeiten, was für Antworten die Bundesregierung uns dazu gegeben hat . Zu der Aussage, dass man sich jeden Fall einzeln ansieht und dabei die spezifische Herkunftssituation berücksichtigt, muss ich sagen: So ist es doch nicht . Das weiß jeder, der sich damit befasst . Meine Frage ist: Wie lange wollen Sie uns eigentlich noch mit der Aussage hinhalten, dass Sie die Sicherheitslage neu einschätzen und überprüfen? Das hören wir als Parlament seit dem Anschlag auf Masar-i-Scharif vor über drei Wochen . Die Dramatik potenziert sich durch den aktuellen Anschlag natürlich .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Staatsminister .

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Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Frau Kollegin Haßelmann, die Sicherheitslage wird natürlich generell im Lichte aktueller Entwicklungen überprüft; dazu sind wir schlicht verpflichtet. Aber die Lage ändert sich. Sie ist in Afghanistan - darauf habe ich bereits hingewiesen - als in höchstem Maße volatil einzustufen . Ich verwahre mich aber gegen den Vorwurf, dass es in den vergangenen Monaten oder auch Jahren zu pauschalen Rückführungen gekommen ist . Die relativ geringe Zahl von Rückführungen macht deutlich, dass es jeweils zu einer individuellen Überprüfung der Situation der Menschen, die keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus in Deutschland haben und in ihr Heimatland zurückgeführt werden, kommt . Das macht ja nicht die Bundesregierung im Auftrag der Bundesländer . Vielmehr sind für die einzelnen Überprüfungen in Deutschland die Bundesländer zuständig, und sie müssen ihrer Verantwortung auch gerecht werden . ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Beck .

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gleiches Thema, anderes Ressort: In der letzten Woche gab es im Auswärtigen Amt eine Konferenz zur Friedensverantwortung der Religionen. Ich finde, das ist ein wichtiger Ansatz . Dort waren auch äußerst problematische Gäste zugegen. Auch das finde ich grundsätzlich erst einmal richtig, weil in den Dialog auch die mit einbezogen werden müssen, bei denen wir noch Überzeugungsarbeit leisten müssen . Trotzdem möchte ich gerne wissen, warum weder beim Einführungsvortrag von Herrn Gabriel noch beim Einführungspanel diese Problematik thematisiert wurde und in welcher Form die Positionen dieser Leute in der Veranstaltung klar und deutlich benannt und zurückgewiesen wurden . Ich beziehe mich hier zum einen auf den Vertreter des IZH, das vom Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet wird, Herrn Hamid Reza Torabi, der in der Vergangenheit zu den Teilnehmern und Organisatoren der Berliner Al-Quds-Demonstrationen gehörte, einer antiisraelischen und auf die Vernichtung Israels ausgerichteten Veranstaltung, und zum anderen auf Herrn Seyed Abdolhassan aus Ghom, der dort an einer islamistischen Kaderschmiede lehrt . Ich könnte Ihnen jetzt die Äußerungen dieser Akademie und dieser Person zur Homosexualität, zur Außenpolitik usw . vortragen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das wird jetzt nicht mehr gelingen .

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das will ich nicht tun . Ich möchte aber wissen, wie deutlich gemacht wurde, dass wir zwar einen Dialog mit ihnen führen, dass unser Standpunkt aber die Zurückweisung ihrer Positionen ist. Im öffentlichen Panel war das nämlich nicht vernehmbar .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Staatsminister .

Not found (Gast)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Herr Kollege Beck, zunächst einmal freue ich mich sehr darüber, dass Sie die Bemühungen des Auswärtigen Amtes, einen Beitrag zum interreligiösen Dialog zu leisten, anerkennen . Genau das war das Ziel dieser Konferenz . Ich selbst habe das Abschlusspanel geleitet . Wir haben den dort Anwesenden zugehört und dann einen entsprechenden Auftrag für die Zukunft erarbeitet . Ich bin sehr froh darüber, dass es uns gelungen ist, über 100 Repräsentantinnen und Repräsentanten der unterschiedlichen Religionsgemeinschaften und Kirchen zusammenzubringen . Es handelte sich hierbei insbesondere um Repräsentantinnen und Repräsentanten des Islams, des Judentums und des Christentums, aber auch anderer Religionen . Wir haben uns dort weniger als Richter aufgespielt, sondern vor allem den interreligiösen Dialog befördern wollen . Dabei ging es um die ganz zentrale Frage: Welchen Beitrag können und müssen Religionsgemeinschaften leisten, um dem Frieden in der Welt zu dienen? Dieser Dialog ist von den Teilnehmenden in hohem Maße begrüßt worden . Sie haben von Herrn Torabi gesprochen . Er ist in der Tat als einer von 1 000 Gästen eingeladen worden, hat aber an der Konferenz nicht teilgenommen . Wir haben Herrn Torabi deshalb eingeladen, weil wir nicht nur sunnitische Vertreterinnen und Vertreter des Islams in Deutschland einladen wollten . Herr Torabi ist einer der wichtigen - durchaus auch umstrittenen - Repräsentanten des schiitischen Teils des Islams in Deutschland . Herr Kollege Beck, ich darf Ihnen noch einmal versichern, dass wir uns als Bundesregierung und erst recht als Auswärtiges Amt nicht irgendwelche antisemitischen oder dem Frieden nicht dienlichen Aussagen von einzelnen Teilnehmenden zu eigen machen, ganz im Gegenteil . Es war eine Einladung zum Dialog, und dieser Einladung zum Dialog haben viele Folge geleistet, aber nicht Herr Torabi .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatsminister . - Ich beende die Regierungsbefragung . Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 4: Fragestunde Drucksache 18/12501 Die Parlamentarischen Geschäftsführer haben sich darauf verständigt, dass der folgende TagesordnungsBritta Haßelmann punkt 8 um 14 .30 Uhr aufgerufen werden soll . Die Fragestunde verkürzt sich entsprechend . Ich rufe nun die mündlichen Fragen auf Drucksache 18/12501 in der üblichen Reihenfolge auf . Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung . Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel zur Verfügung . Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Movassat auf: Inwiefern sind die Bundesregierung und die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH ({0}) darüber informiert, dass bereits 2015 ein Plantagenarbeiter des kongolesischen Unternehmens Feronia an den Folgen der Folter durch Sicherheitskräfte von Feronia ums Leben gekommen sein soll, seine Frau wenig später bei Protesten gegen dieses Vorgehen von der kongolesischen Polizei erschossen worden sein soll sowie insgesamt in den Plantagengebieten von Feronia sowohl durch die kongolesische Polizei als auch die Sicherheitskräfte von Feronia ein repressives Verhalten gegenüber der Bevölkerung und den Plantagenarbeiterinnen und Plantagenarbeitern an den Tag gelegt wird, wie ein Kommuniqué der kongolesischen NGO-Informationsplattform RIAO vom 3 . Mai 2017 ({1}), das mir vorliegt, berichtet, und welche Konsequenzen ziehen Bundesregierung und DEG aus diesen Berichten für die weitere Finanzierung von Feronia bzw . dessen Tochterunternehmen Plantations et Huileries du Congo ({2})? Bitte, Herr Staatssekretär . Hans-Joachim Fuchtel, Parl . Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Der Bundesregierung und dem Finanzierungskonsortium, dem auch die DEG angehört, ist durch die angesprochene Berichterstattung im Kommuniqué das Folgende bekannt: Im Jahr 2015 kam ein Ehepaar aus Boteka ums Leben . Dabei handelt es sich um einen Vorgang zwischen der lokalen Polizei und dem Ehepaar aufgrund eines Konflikts zwischen den Ehepartnern. Das Unternehmen Feronia war daran nicht beteiligt . Der Mann war als Gärtner bei dem Unternehmen unter Vertrag . Die Bundesregierung und die DEG bedauern diesen Vorgang sehr . Dem darüber hinausgehenden Vorwurf eines repressiven Verhaltens ist die DEG nach Kenntnis der Bundesregierung nachgegangen . Belege oder konkrete Ansatzpunkte liegen uns nicht vor .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke . - Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Frau Präsidentin . - Herr Staatssekretär, hierzu gibt es unterschiedliche Informationen . Sie haben offenbar eine andere Information als die, die mir vorliegt . Die mir vorliegende Information ist, dass der Plantagenarbeiter durch Folterung der Sicherheitskräfte des Unternehmens Feronia umgebracht wurde und seine Frau durch kongolesische Sicherheitskräfte erschossen worden ist, nachdem sie gegen die Ermordung ihres Mannes protestiert hatte . Das sind zwei sehr unterschiedliche Sichtweisen . Ich würde mir schon wünschen, dass die Bundesregierung diesem Fall intensiver nachgeht; denn das ist schon ein sehr schwerwiegender Vorwurf . Wenn Ihre DEG die Firma Feronia im Kongo finanziert und diese Plantagenarbeiter umbringt, dann ist das, wenn das stimmen sollte, ein handfester Skandal . Deshalb ist meine Frage: Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um das aufzuklären? Werden Sie es bei dem belassen, was Ihnen jetzt bekannt ist, oder werden Sie weitere Maßnahmen ergreifen, zum Beispiel den kongolesischen Staat unterstützen oder auffordern, die Sache juristisch intensiv zu verfolgen? Hans-Joachim Fuchtel, Parl . Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Ich darf hier noch einmal betonen, dass wir allen konkreten Hinweisen und Ansatzpunkten über die DEG bzw . die anderen Finanziers des Konsortiums nachgehen, und zwar schon aus Reputationsgründen . Wir legen Wert darauf, dass solche Dinge aufgeklärt werden, auch wenn in diesem Fall der Vorwurf, der hier vorgetragen wurde, möglicherweise nicht zutrifft. Es geht auch darum, dass deutsche Firmen, die am Konsortium beteiligt sind, oder hier die DEG daran interessiert sind, in solche Dinge nicht hineingezogen zu werden . Ich darf Ihnen sagen: Die DEG steht im engen Austausch mit Feronia . Das Unternehmen zeigt sich sehr kooperativ bei der Aufklärung. Aus dem Kommuniqué geht kein Fehlverhalten eines Feronia-Mitarbeiters hervor . Vielmehr wird deutlich, dass die Sicherheitskräfte von Feronia nicht an Folterung oder Erschießung beteiligt gewesen sind . Das ist bereits sehr gründlich untersucht worden . Ich bitte darum, das zur Kenntnis zu nehmen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage .

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, wir werden das selbstverständlich überprüfen . Ich nehme Ihre Worte mit . Wir werden sehen, was am Ende stimmt . Unabhängig von dieser Fragestellung gibt es zum Thema Feronia noch andere Kritikpunkte, zum Beispiel, dass Feronia das geltende Recht der Demokratischen Republik Kongo verletzt . Nach kongolesischem Recht ist die Verpachtung großer Flächen an ausländische Unternehmen untersagt . Feronia schreibt in seinem Finanzbericht ganz offen, dass es dieses Gesetz ignoriert. Daher frage ich Sie: Wie können Sie über die DEG ein Unternehmen finanzieren, das offenbar geltendes Recht der Demokratischen Republik Kongo verletzt? Zweitens . Wir wollten als Abgeordnete mit Vertretern der DEG, der Bundesregierung und von NGOs ein Fachgespräch zu diesem Thema durchführen, finanziert von der DEG . Das hatten Sie auch zugesagt, Herr Fuchtel; es hat aber nicht stattgefunden . Mich würde interessieren, woran es gescheitert ist; denn damit könnten wir auch solche Fragen wesentlich besser klären . Vizepräsidentin Petra Pau Hans-Joachim Fuchtel, Parl . Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Das ist zunächst einmal an der Zeit gescheitert . Wir sind bis jetzt noch nicht dazu gekommen . Was das Zweite angeht, das hier im Raum steht, müssen die Zuhörerinnen und Zuhörer Folgendes wissen: Die DEG ist der private Zweig der KfW. Sie finanziert Firmen im Ausland und trägt dazu bei, Arbeitsplätze zu schaffen. Hier ging es darum, dass im Jahr 2015 9 000 Arbeitsplätze zur Disposition standen . Die DEG ist gemeinsam mit anderen bzw . mit einem Konsortium in die Finanzierung hineingegangen, um diese Arbeitsplätze zu erhalten . Wir haben heute Diskussionen der Qualität, wie sie gerade vorgetragen wurde, was wir als Demokraten natürlich akzeptieren . Aber wir möchten auch darauf hinweisen, dass es für manche politischen Kräfte, die in solchen Diskussionen mitwirken, offensichtlich erst dann interessant wurde, als sich die DEG aus Deutschland an der Finanzierung beteiligt hat . Wir haben das nicht gemacht, um Ärger zu haben, ({0}) sondern wir haben es gemacht, um die Arbeitsplätze von 9 000 Menschen zu sichern . ({1}) Wenn wir darüber reden, dass wir nicht noch mehr Flüchtlinge und andere aufnehmen möchten, dann ist es auch eine große Aufgabe, darauf hinzuwirken, dass es Arbeitsplätze vor Ort gibt . Wir mussten dieses Signal setzen, um einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Menschen vor Ort Arbeit und Perspektiven haben . Die anderen Fragen können wir gerne in anderen Dialogen noch einmal erörtern . ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir sind aber im Moment tatsächlich in der Fragestunde und treten nicht in den Dialog . Ich weiß, das ist manchmal schwer abgrenzbar . Die Frage 2 des Kollegen Uwe Kekeritz soll schriftlich beantwortet werden . - Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär . Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts . Zur Beantwortung der Fragen steht der Staatsminister Michael Roth zur Verfügung . Die Frage 3 der Kollegin Inge Höger soll schriftlich beantwortet werden . Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Dr . Franziska Brantner auf: Welche konkreten Bemühungen hat die Bundesregierung bisher „in bilateralen Gesprächen sowie im Rahmen multilateraler Foren“ unternommen, um - wie in ihrer Antwort auf meine schriftliche Frage 5 auf Bundestagsdrucksache 18/12441 angekündigt - den VN-Beweissicherungsmechanismus IIIM auf eine breite finanzielle und politische Basis zu stellen ({0}), und bis wann sollen diese Bemühungen erfolgreich abgeschlossen sein ({1})? Herr Staatsminister .

Not found (Gast)

Frau Präsidentin, vielen Dank . Ich danke Ihnen auch, dass Sie diesen komplizierten Namen einer wichtigen Institution schon vorgetragen haben . Dann erspare ich mir das . Wir haben uns im internationalen Rahmen darauf verständigt, von IIIM zu sprechen . Da die Abgeordnete Brantner zwei Fragen zu demselben Sachverhalt gestellt hat - die zweite Frage bezieht sich auf die finanzielle Dimension -, würde ich jetzt in der Beantwortung der ersten Frage konkrete finanzielle Aspekte außen vor lassen . Ich will das nur deshalb jetzt an den Anfang stellen, damit die Kolleginnen und Kollegen nicht irritiert sind, dass ich mich noch nicht zu konkreten Summen äußere . Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat diesen Mechanismus am 21 . Dezember 2016 eingerichtet . Der IIIM soll Beweise für schwerste Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die in Syrien seit März 2011 begangen worden sind, sammeln, konsolidieren, aufbereiten und analysieren, und es sollen erste Ermittlungsakten vorbereitet werden, die eine unabhängige Strafverfolgung durch nationale und internationale Tribunale oder Gerichtshöfe unterstützen sollen . Die Bundesregierung hat die Bemühungen, den internationalen IIIM auf eine breite finanzielle, aber auch politische Basis zu stellen, auf ganz verschiedenen Ebenen unterstützt . Insbesondere nutzt die Bundesregierung die multilateralen Gremien und Sitzungen, um andere Staaten zu ermuntern, sich ebenso zu engagieren . Ich will nur einige wenige Beispiele nennen, Frau Kollegin Brantner . Am 15 . Mai dieses Jahres hat Deutschland in New York in der offenen Debatte des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zum Thema „Sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten“ verstärkte Bemühungen zur Abkehr von einer Kultur der Straflosigkeit gefordert und in diesem Zusammenhang auf unsere politische und finanzielle Unterstützung des IIIM hingewiesen . Des Weiteren weise ich noch einmal auf das Jahrestreffen der sogenannten Focal Points hin, bei dem es um die Schutzverantwortung geht: „Responsibility to protect“, Sie alle kennen dieses Prinzip. Dieses Treffen fand am 24. und 25 . April 2017 in Doha, Katar, statt . Auch dort haben wir die vertretenen Staaten aufgefordert, einen substanziellen, finanziellen und politischen Beitrag zur Unterstützung des IIIM zu leisten . Natürlich haben wir uns auch auf der EU-Ebene in den entsprechenden Ratsarbeitsgruppen dafür eingesetzt, dass möglichst viele Staaten freiwillige Beiträge zusagen . Wir werden dazu am 1 . Juni in der Ratsarbeitsgruppe „Völkerrecht“ einen weiteren Meinungsaustausch haben. Die Frage der Rechenschaftspflicht bezüglich Syrien ist in politischen Gesprächen immer wieder Gegenstand . Hierbei spielt natürlich auch die Einrichtung und die Unterstützung des IIIM eine ganz wichtige Rolle . Auch auf nationaler Ebene werben wir bei nationalen Akteuren, zum Beispiel bei der Strafjustiz und bei Nichtregierungsorganisationen, für eine aktive Unterstützung des neuen Mechanismus, gerade auch im Rahmen der Zusammenarbeit und des Wissensaustauschs . Darüber hinaus steht die Bundesregierung in einem regelmäßigen Dialog mit dem Hochkommissar für Menschenrechte. Auch hier drängen wir darauf, die finanzielle und politische Unterstützung des IIIM auf eine breitere Basis zu stellen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatsminister . - Ich mache uns alle darauf aufmerksam, dass wir für dieses Format die Verabredung haben, dass die erste Antwort auf zwei Minuten und die folgenden Fragen und Antworten dann jeweils auf eine Minute beschränkt sein sollen . Ich sage das auch im Interesse der nachfolgenden Kolleginnen und Kollegen, damit wir bis 14 .30 Uhr noch möglichst viele der eingereichten Fragen beantworten können . Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin . - Ich habe natürlich noch eine Nachfrage . Sie haben in Ihrer ursprünglichen Antwort an mich geschrieben, Sie hätten auch bilaterale Versuche zur Unterstützung gestartet . Jetzt haben Sie lauter multilaterale Versuche erwähnt . Können Sie bitte auch präzise einzelne bilaterale Gespräche nennen, mit welchen Ländern Sie in welchen Momenten Gespräche geführt haben, um finanzielle und politische Unterstützung zu gewinnen?

Not found (Gast)

Ich habe natürlich insbesondere die multilateralen Bemühungen hervorgehoben, gleichzeitig aber auch auf die Ratsarbeitsgruppe des Ministerrates der Europäischen Union hingewiesen. In diesen Zusammenhängen finden natürlich immer auch noch einmal bilaterale Gespräche statt . Da muss noch Überzeugungsarbeit geleistet werden . Ich kann gerne im Nachgang konkret die Staaten benennen, mit denen wir am Rande auch informelle Gespräche geführt haben . Es ist aber, glaube ich, auch wichtig, auf multilateraler Ebene die Akzeptanz für diesen wichtigen Mechanismus zu erhöhen . Deswegen fokussieren wir uns ganz stark darauf .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage .

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber am Ende kommt das Geld natürlich jeweils von den individuellen Mitgliedsländern . Von daher macht es schon Sinn, da auch bilateral nachzuhaken . Sie werden uns die Liste schriftlich zur Verfügung stellen . Das ist gut . Sie haben ja in Bezug auf die politische Unterstützung gesagt, dass Sie darauf warten, dass noch mehr Länder mitmachen . Von daher meine Frage: Ist es für Sie politisch wichtiger, dass vielleicht noch ein weiteres Land hinzukommt oder dass mit dem Beweissammlungsmechanismus begonnen werden kann, wohl wissend, dass Beweise verloren gehen können und es zur Straffreiheit kommen kann, wenn die Beweissammlung nicht rechtzeitig stattfindet? Also noch einmal: Ist es für Sie wichtiger, dass ein Land mit dazukommt oder dass endlich mit dem Sammeln von Beweisen angefangen wird?

Not found (Gast)

Für uns spielt dieser Mechanismus eine ganz herausgehobene Rolle . Ich würde ungerne das eine gegen das andere ausspielen wollen . Beides ist wichtig . Ich kann Ihnen nur - das insinuiert ja Ihre Frage - zustimmen: Die Arbeit muss losgehen . Wir sollten da auch nicht weiter zuwarten . Gleichzeitig macht es aber auch nur dann politisch Sinn, wenn möglichst viele Staaten diesem Mechanismus beitreten und ihn auch unterstützen . Nur das erhöht die Glaubwürdigkeit dieses Mechanismus . Nur das erhöht auch die Durchsetzungsfähigkeit dieses Mechanismus . Deswegen würde ich das gerne parallel verstanden wissen wollen und keine Priorisierung vornehmen wollen, ob neue Staaten, die beitreten, wichtiger sind, als sofort mit der Arbeit zu beginnen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke . - Dann kommen wir zu Frage 5 der Kollegin Dr . Franziska Brantner: Ist die Bundesregierung bereit, im Falle eines ausbleibenden Erfolgs ihrer Bemühungen den VN-Beweissicherungsmechanismus IIIM auf eine breite finanzielle und politische Basis zu stellen bzw . die noch ausstehenden Mittel doch selber beizusteuern, oder stellt sie sich auf den Standpunkt, dass das „notwendige hohe Maß an Legitimität und Akzeptanz“ für den IIIM nur erreicht werden kann, wenn möglichst viele weitere Staaten, insbesondere aus der Region, zur Errichtung des IIIM beitragen ({0})? Bitte, Herr Staatsminister .

Not found (Gast)

Danke, Frau Präsidentin . - Jetzt geht es ans Eingemachte, Frau Kollegin Brantner . Ich habe das eben etwas abstrakter dargestellt . Nun muss ich mich aber beeilen, um in zwei Minuten fertig zu werden . Deutschland gehört gemeinsam mit den Niederlanden und Finnland, die jeweils 1 Million Euro zur Verfügung stellen, zu den drei größten Gebern . Die Bundesregierung ist der Ansicht, dass dieser Mechanismus nur dann als unabhängig, neutral und objektiv bestehen kann - ich hatte das schon kurz erwähnt -, wenn seine Finanzierung nicht nur von wenigen Staaten gewährleistet wird . Deswegen bemühen wir uns, weitere Staaten insbesondere aus der betroffenen Region zu finanzieller und politischer Unterstützung zu bewegen . So wollen wir diesen Mechanismus auf eine noch breitere Basis stellen . DieStaatsminister Michael Roth ses Anliegen teilt im Übrigen das Hochkommissariat der Vereinten Nationen in Genf, das zusätzlich intensiv nach weiteren Geldgebern sucht . Uns wurden bislang von 25 Staaten freiwillige Beiträge in Höhe von 6,5 Millionen US-Dollar zugesichert . Darüber hinaus gibt es eine Reihe mündlicher Zusagen . Dann wären wir bei insgesamt 9 Millionen US-Dollar . Für das Jahr 2017 sind erst einmal rund 4,5 Millionen US-Dollar für die Arbeit veranschlagt worden . Das heißt, die Basisfinanzierung ist gesichert. Bislang läuft das Ganze auf der Basis von freiwilligen Beiträgen . Unser Ziel ist, dass das Ganze irgendwann einmal in den UN-Haushalt überführt wird .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, Sie haben gesagt, dass die politische Unterstützung von allen garantiert werden muss . Aber diese ist eigentlich gegeben; denn der Mechanismus entstand durch die Verabschiedung einer Resolution durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen . Mehr politische Unterstützung, als dass alle Mitgliedsländer in der Generalversammlung zustimmen, kann man weltweit gar nicht bekommen . Sie haben des Weiteren gesagt, dass wir Akteure aus der Region brauchen . Die Türkei und Katar sind dabei . Katar hat nun eine zweite Unterstützungstranche angekündigt und legt somit noch einmal drauf . Will Deutschland nicht nachziehen und genauso wie Katar noch etwas drauflegen?

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Frau Kollegin, an uns ist dezidiert nicht der Wunsch herangetragen worden, die Mittel noch einmal zu erhöhen . Unter den Niederlanden, Finnland und Deutschland herrscht große Zufriedenheit . Ich will meine Anregung verstärken . Politische Unterstützung, die abstrakt geäußert wird, ist sicherlich wichtig . Aber noch wichtiger ist, dass sich Staaten durch freiwillige Geldleistungen konkret dazu bekennen, diesen so wichtigen Mechanismus mit Leben zu füllen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dass für Sie nur Geld Ausdruck von Unterstützung ist, ist etwas verwunderlich; denn viele Staaten dieser Welt sind in wirtschaftlicher Hinsicht nicht so stark wie wir . Die Europäische Union spricht ständig davon, dass es in Syrien keine Straffreiheit geben darf, egal wer welche Kriegsverbrechen begangen hat . Deswegen lautet meine eindringliche Frage an Sie: Glauben Sie nicht, dass es notwendig wäre, hier Gelder draufzulegen? Wir reden nicht über große Millionenbeträge . Die infrage stehenden Beträge bereiten Herrn Finanzminister Schäuble sicherlich keine schlaflosen Nächte. Aber das Geld wäre gut investiert . Wir haben schließlich eine gewisse Verantwortung, wenn wir den Krieg schon nicht beenden können . Warum sind Sie nicht bereit, eine halbe Million draufzulegen?

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Frau Kollegin Brantner, ich habe schon darauf hingewiesen, dass bislang nicht der Wunsch an uns herangetragen wurde, die Mittel noch einmal aufzustocken . Vielmehr werden wir vom Hochkommissariat in Genf ausdrücklich in unserem Bemühen unterstützt, die Zahl der Staaten, die sich nicht nur abstrakt, sondern auch konkret finanziell für diesen Mechanismus einsetzen, zu erhöhen. Wir wollen uns nicht aus der finanziellen Verantwortung ziehen . Vielmehr geht es darum - das wissen Sie vermutlich genauso gut wie ich -, dass die Neutralität, die Objektivität und die Unabhängigkeit dieses Mechanismus vor allem dann gewährleistet sind, wenn sich ganz viele Mitgliedstaaten daran beteiligen . Wenn wir bei einer relativ kleinen Zahl von derzeit 25 Staaten bleiben, dann kann die Arbeit zwar begonnen werden . Aber man darf nicht vergessen, dass dieser Mechanismus zu schwerwiegenden Konsequenzen führen wird. Es wird nicht jedem gefallen, was dieser Mechanismus an den Tag bringt; denn das hat auch strafrechtliche Konsequenzen, wenn es in Tribunale und in strafrechtliche Verfahren überführt wird . Insofern ist es wichtig, dass dieser Mechanismus von Anfang an eine hohe Legitimität besitzt .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Frage 6 des Kollegen Sarrazin soll schriftlich beantwortet werden . Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Andrej Hunko auf: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung hinsichtlich der Reform des NATO-Programms „Partnerschaft für den Frieden“, wonach die existierenden Partnerschaften mit insgesamt 41 Ländern nicht mehr im Paket, sondern mit allen teilnehmenden Ländern einzeln vereinbart werden, was von der Türkei genutzt wird, um Österreich für die Entscheidung zu bestrafen, kein Kriegsmaterial oder keine Verteidigungsgüter mehr an die Türkei zu liefern, was zur Folge hat, dass österreichische Soldaten sich nicht mehr an NATO-Trainings beteiligen können ({0}), und auf welche Weise hat sich die Bundesregierung im Vorfeld oder auf den jüngsten NATO-Gipfeln hinsichtlich der Reform positioniert? Bitte, Herr Staatsminister .

Not found (Gast)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Herr Kollege Hunko, das wird jetzt ein bisschen komplizierter; ich bitte um Verständnis . Die „Partnerschaft für den Frieden“ ist der regionale, 22 euroatlantische Partner umfassende Rahmen der Partnerschaftszusammenarbeit mit der NATO . Dieses übergreifende Programm besteht seit 1994 . Österreich ist seit 1995 Teil dieser Gruppe . Daneben gibt es weitere, geografisch anders zusammengesetzte Partnerschaftsformate . http://www.heute.at http://www.derStandard.at Das Partnership Cooporation Menu, PCM, ist ein allen Partnern im Grundsatz offenstehender Trainingskurskatalog, zu dessen Reform die NATO-Alliierten vergangene Woche eine Einigung erzielt haben . Die Reform stellt den Trainingskurskatalog auf ein effektive res Datenbankmanagement um . Darüber hinaus müssen die NATO-Alliierten die Ablehnung der Teilnahme eines Partners im Konsens, das heißt einstimmig, beschließen . Vor der Reform, die jüngst beschlossen wurde, war es genau andersherum: Die Teilnahme eines jeden Partners musste im Konsens beschlossen werden . Voraussetzung für die Teilnahme an Kursen im Rahmen des PCM ist ein gültiges bilaterales Partnerschaftsprogramm zwischen der NATO und dem jeweiligen Partner . Aus diesem Grund hat die NATO die Verlängerung aller Partnerschaftsprogramme vorgezogen . Über den Abschluss des Programms mit Österreich konnte allerdings im Allianzkreis keine Einigung erzielt werden . Die Gespräche hierzu dauern noch an . Die Bundesregierung setzt sich selbstverständlich dafür ein, dass für die kommenden Jahre erneut ein solches Partnerschaftsprogramm mit Österreich zustande kommt .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Staatsminister Roth . - Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang, über den wir reden . Sie haben es dargestellt: Es gibt die NATO, und es gibt „Partnership for Peace“, so heißt das; das ist, wenn man so will, eine NATO light oder ein weicheres Format um die NATO herum . Erdogan ist es durch Druck gelungen, dass Österreich aus den „Partnership for Peace“-Programmen ausgeschlossen wurde . Das ist ein Vorgang, der mir präzedenzlos erscheint . Wie auch immer man die Programme beurteilt, ich finde es ein starkes Stück, dass das möglich ist und es offenbar auch in Zukunft so bleiben wird, dass Österreich ausgeschlossen ist . Ich habe mir gerade noch einmal österreichische Medien angeschaut; dort ist das natürlich ein großes Thema . Ist es tatsächlich so und wird die Bundesregierung das so hinnehmen, dass auf Druck von Erdogan Österreich von den PfP-Programmen ausgeschlossen bleibt?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Staatsminister .

Not found (Gast)

Herr Kollege Hunko, die NATO arbeitet nach dem Konsensprinzip, das heißt, alle müssen mit an Bord sein; es gibt keine Mehrheitsabstimmungen . Das ist leider auch kein präzedenzloser Fall . In der jüngeren Vergangenheit hat es schon zwei Fälle gegeben, bei denen NATO-Partner zeitweise von Partnerschaftsaktivitäten ausgeschlossen waren . Das gilt namentlich für Israel und Ägypten; diese beiden Fälle kann ich konkret benennen . Selbstverständlich führen wir weiterhin Gespräche . Wir wollen uns mit diesem unbefriedigenden Zustand, Herr Kollege, dezidiert nicht abfinden. Wir haben auch gegenüber der türkischen Regierung klargemacht, dass bestehende bilaterale Differenzen zwischen der Türkei und Österreich doch bitte schön im direkten Gespräch einvernehmlich gelöst werden sollen . Die Aktivitäten der NATO zur Erreichung gemeinsamer Ziele dürfen durch solche bilateralen Konflikte nicht belastet werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank . - Ich vermute, bei Israel und Ägypten ging es wahrscheinlich um Menschenrechtsverletzungen in diesen Ländern . Das ist bei Österreich nun überhaupt nicht der Fall . Meines Wissens - das habe ich von österreichischen Abgeordneten - ist der Grund für diesen Ausschluss aus PfP faktisch durch die türkische Regierung die einstimmige Entscheidung des Nationalrats vom November letzten Jahres, keine Waffen mehr in die Türkei zu liefern, eine Entscheidung, die ich für sehr nachvollziehbar halte und von der ich wünschte, dass sie auch von Deutschland getroffen würde. Können Sie das aus Gesprächen bestätigen? Man liest in deutschen Medien immer, es gehe um die EU-Beitrittsverhandlungen . Direkt aus Österreich habe ich gehört, dass die Isolationsstrategie der türkischen Regierung mit der einstimmigen Entscheidung des Nationalrats eingesetzt hat, ein Waffenembargo gegen die Türkei zu verhängen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Staatsminister .

Not found (Gast)

Herr Kollege Hunko, ich kann das so nicht bestätigen . Ich möchte darüber auch nicht spekulieren . Ich könnte - aber dafür ist jetzt hier nicht die Zeit und nicht der Raum - eine Reihe von Punkten benennen, die offenkundig zu einem Beschwernis in den bilateralen Beziehungen zwischen der Türkei und Österreich geführt haben . Wir finden uns aber damit nicht ab - das ist der wichtige Punkt -, weil die Bundesregierung natürlich auch ihrer Verantwortung gerecht werden möchte, alles dafür zu tun, dass bilaterale Konflikte eben nicht in die NATO hineingetragen werden . Deswegen möchte ich Sie gerne noch darüber informieren, dass wir mit Abschluss der Reform auch einen Kommentarbrief an den internationalen Stab der NATO initiiert haben, der von insgesamt 17 Nationen unterzeichnet wurde . Dieser Brief appelliert an die Werte und an das Solidaritätsprinzip innerhalb der Allianz . Das ist ein sehr deutliches Zeichen . Zur Erneuerung des bilateralen Programms dauern die Gespräche noch an . Ich bleibe zuversichtlich, dass wir doch noch eine Lösung finden werden, um zu dem notwendigen Konsens zurückzukehren, den wir dringend brauchen, damit auch Österreich wieder Teil dieses Programms wird .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen zur Frage 8 des Kollegen Hunko: Welche Fälle sind der Bundesregierung aus den Jahren 2016 und 2017 bekannt, in denen die libysche Küstenwache gegen das Non-Refoulement-Prinzip verstieß, nachdem Geflüchtete unter anderem im Rahmen von Einsätzen, in denen europäische Organisationen als „On-Scene-Koordinator“ einen Rettungseinsatz leiteten, zurück in libysche Gewässer gebracht wurden, und was ist der Bundesregierung aus ihrer Mitarbeit in der Frontex-Mission Triton, der Militärmission EUNAVFOR MED oder aus der Aufklärung durch die NATO und das US-Kommando AFRICOM über die Verantwortlichen für Schüsse auf Geflüchtete während eines Rettungseinsatzes der deutschen Organisation Jugend Rettet e . V . am 23 . Mai 2017 bekannt, die ebenfalls dazu führten, dass Bootsinsassen von unbekannten Uniformierten wieder nach Libyen verschleppt wurden ({0})? Bitte, Herr Staatsminister .

Not found (Gast)

Danke, Frau Präsidentin . - Herr Kollege Hunko, das völkerrechtliche Zurückweisungsverbot, Non-Refoulement-Prinzip, besagt, dass Staaten Flüchtlinge aus anderen Ländern unter ganz bestimmten Bedingungen nicht zurückweisen dürfen . Das völkerrechtliche Zurückweisungsverbot ist aber nicht anwendbar auf die Situation, um die es hier geht und die Sie in Ihrer Frage konkret benannt haben . Wenn Personen auf einem libyschen Schiff aus Libyen kommen und durch die libysche Küstenwache aus Seenot gerettet und nach Libyen zurückgebracht werden, dann ist das keine Zurückweisung im völkerrechtlichen Sinne . Zu dem angesprochenen Vorfall am 23 . Mai liegen der Bundesregierung keine über die Presseberichterstattung hinausgehenden eigenen Erkenntnisse vor . Wir sind im Rahmen von EUNAVFOR MED Operation Sophia präsent, aber der im Rahmen dieser Mission eingesetzte deutsche Tender „Rhein“ befand sich zum Zeitpunkt des Vorfalls mehrere Hundert Kilometer entfernt . Der Umgang mit Seenotrettungssituationen spielt eine ganz große Rolle im Rahmen der Ausbildung durch EUNAVFOR MED. So wurden im März 20 Offiziere der libyschen Küstenwache als sogenannte Vor-Ort-Koordinatoren darin geschult, Seenotrettungseinsätze mit mehreren beteiligten Seenotrettern als Verantwortliche anzuleiten .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank . - Herr Staatsminister, ich will auf meinen letzten Punkt zuerst eingehen . Es geht um die unerträglichen Zustände bei der Überfahrt von Flüchtlingen von Libyen aus und auch um die unerträglichen Vorgänge, die zum Teil im libyschen Militär stattgefunden haben . Sie sagen jetzt, dass EUNAVFOR MED, die Militärmission der EU, die auch von der Bundesregierung unterstützt wird, jetzt den libyschen Militärs Menschenrechte, humanitäres Völkerrecht, internationales Seerecht, professionelle Durchführung von Seerettungsmaßnahmen beibringen soll . Da würde mich schon interessieren, ob das tatsächlich der Fall ist; ich habe da meine Zweifel . Kürzlich wurden drei libysche Schiffsbesatzungen von EUNAVFOR MED ausgebildet . Dennoch haben Kapitäne und Besatzungsmitglieder vergangene Woche zweimal die Waffe gezogen und Flüchtlinge bedroht, Boote außerhalb der 24-Meilen-Zone zur Umkehr gezwungen . Mich würde interessieren, wie die Bundesregierung evaluiert, dass eine solche Ausbildung tatsächlich stattfindet und funktioniert .

Not found (Gast)

Herr Kollege Hunko, wir sind noch weit von den Verhältnissen entfernt, die wir uns alle wünschen, dass beim Küstenschutz die völkerrechtlichen Prinzipien strikt eingehalten werden und dass vor allem auch den menschenrechtlichen Aspekten durchgängig Geltung verschafft wird. Umso wichtiger ist für uns die qualifizierte Ausbildung, die sich vor allem an den rechtsstaatlichen Fragen bemisst und nicht nur rein technischer Natur ist . Wir sehen natürlich mit großer Sorge, dass die Schleuser, die kriminellen Banden, ihr gesamtes Geschäftsmodell auf die unmittelbare Seenotrettung durch die verschiedenen Akteure ausrichten . Viel zu viele Menschen werden einer großen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt, indem sie auf nicht seetaugliche Boote mit völlig unzureichender Ausstattung verbracht werden . Damit riskieren die Schleuser auf skrupellose Weise das Leben von Tausenden von Menschen . Allein durch die Bundeswehr konnten 20 000 Menschenleben gerettet werden . Die Seenotrettung ist ein Prinzip, dem wir alle verpflichtet sind . Aber genauso sind wir auch dem Prinzip verpflichtet, alles dafür zu tun, dass dieses Geschäftsmodell endgültig beendet wird . Da ist die Ausbildung im Rahmen des Küstenschutzes für uns ein ganz wichtiger Aspekt . Da stehen wir erst, Herr Kollege Hunko, am Anfang unserer Bemühungen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage, Herr Hunko . - Ich mache darauf aufmerksam, dass wir für die Fragestunde noch sieben Minuten Zeit zur Verfügung haben . Ich bitte also um die entsprechende Kürze, damit wir noch eine Frage aufrufen können .

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank . - Herr Roth, es ist ja nun einmal so - das ist wahrscheinlich auch Ihnen bekannt -, dass sich zumindest Teile der sogenannten Schleuser wiederum aus den Militär- und Polizeikreisen in Libyen rekrutieren . Es gibt also nicht eine sozusagen chinesische Mauer dazwischen; das nur als Anmerkung . Ich wollte noch einmal zum Non-Refoulement-Prinzip nachfragen, das Sie vorhin erwähnt haben . Libyen ist dem Internationalen Übereinkommen von 1979 über den Such- und Rettungsdienst auf See 1979 beigetreten, kommt den Verpflichtungen aus diesem Abkommen aber nicht nach . Das Land hat weder eine Seenotrettungsleitstelle benannt noch die Grenzen seiner Seenotrettungszone bekannt gegeben; das wissen Sie . Deshalb werden http://gleft.de/1IR sämtliche Einsätze außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer von der Seenotrettungsleitstelle in Italien koordiniert . Wenn die libysche Küstenwache von dort zur Seenotrettung angewiesen wird, weil deren Schiff am schnellsten zum Unfallort eilen kann, ist das aus meiner Sicht eine europäische Rettungsmission . Wie sehen Sie das? Sie haben vorhin mit dem Verweis „Das ist eine libysche Angelegenheit“ gesagt: Das Non-Refoulement-Prinzip greift nicht .

Not found (Gast)

Ich habe deutlich gemacht, dass die Rückführung von libyschen Staatsbürgern durch libysche Staatsinstitutionen nicht dem Non-Refoulement-Prinzip unterliegt . Ihrer Bewertung, dass Libyen zwar dem Internationalen Übereinkommen von 1979 über den Such- und Rettungsdienst auf See beigetreten ist, seinen Verpflichtungen jedoch überhaupt nicht nachkommt, kann ich nur ausdrücklich zustimmen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatsminister . - Die Frage 9 der Kollegin Jelpke soll schriftlich beantwortet werden . Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern . Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr . Günter Krings zur Verfügung . Die Frage 10 der Kollegin Ulla Jelpke wird schriftlich beantwortet . Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Volker Beck auf: In wie vielen Fällen hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in den Jahren 2016 und 2017 das Selbsteintrittsrecht gemäß der Dublin-Verordnung aus welchen Gründen ausgeübt ({0})? Bitte, Herr Staatssekretär .

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Lieber Herr Kollege Beck, wenn wir beide uns ganz doll zusammenreißen, schaffen wir vielleicht auch beide Fragen von Ihnen. Ich muss eine kurze Vorbemerkung zum Begriff des Selbsteintrittsrechts machen . Eigentlich besteht - das wissen Sie - in der übergroßen Mehrzahl aller Fälle keine originäre deutsche Zuständigkeit im Rahmen des EU-Asylsystems . Ich spreche nur von einem Selbsteintrittsrecht im engeren Sinne, das heißt von denjenigen Fällen, in denen die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates nicht nur objektiv begründbar wäre, sondern in denen unsere Behörden diese auch nachweisen konnten . Dann ergeben sich folgende Zahlen: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, BAMF, hat im Jahr 2016 in 39 741 Fällen und von Januar bis April 2017 in 2 872 Fällen das Selbsteintrittsrecht, wie ich es gerade definiert habe, gemäß Dublin-Verordnung ausgeübt . Sie wollten es auch für die einzelnen Monate wissen . Das ist im mündlichen Vortrag immer etwas schwierig; ich sage es Ihnen dennoch ganz schnell: Auf die einzelnen Monate des Jahres 2016 verteilen sich die Fälle wie folgt: Januar: 2 295, Februar: 4 607, März: 5 483, April: 4 732, Mai: 3 327, Juni: 3 603, Juli: 3 180, August: 3 502, September: 4 252, Oktober: 2 473, November: 1 527, Dezember: 760 . Im Jahr 2017 hat das BAMF im Monat Januar 660, im Februar 691, im März 933 und im April 588 Selbsteintritte erfasst . Das BAMF erfasst das Selbsteintrittsrecht statistisch weder nach Gründen noch nach Fallgruppen; daher können insoweit keine Angaben gemacht werden . Ich habe mein Bestes getan, damit es schnell geht .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es hätte mir natürlich sehr weitergeholfen, wenn Sie das auch bezogen auf Fallgruppen gehabt hätten . Ich verstehe: Was Sie nicht haben, das haben Sie nicht . - Aber ich will erläutern, vor welchem Hintergrund ich frage . Mir wurde zugetragen, dass das BAMF früher in manchen Härtefällen das Selbsteintrittsrecht ausgeübt hat, dies aber seit Amtsantritt von Frau Cordt nicht mehr macht . Insbesondere in Fällen von absoluter Risikoschwangerschaft oder in Fällen der Art „in Italien zur Prostitution gezwungen“ wurde früher das Selbsteintrittsrecht bejaht . - Jetzt soll das nicht mehr so sein . Wie bewerten Sie das?

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Frau Präsidentin! Herr Kollege, ich kann die Praxis nicht bewerten, weil ich sie nicht kenne . Ich kann auch nicht bestätigen, was Sie gesagt haben . Allerdings: Die Zahlen, die ich genannt habe, sprechen für sich . Sie zeigen, dass wir in sehr vielen Fällen vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen . ({0}) Wenn wir sozusagen noch mehr recherchieren würden, würden wir noch weitere selbsteintrittsfähige Fälle finden; ich habe dargelegt, dass nur die Fälle in der engen Definition, die ich genannt habe, zugrunde liegen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage .

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Was ist diesbezüglich die Weisungslage beim BAMF? Hat sie sich seit Amtsantritt von Frau Cordt - das war am 1 . Februar 2017 - verändert?

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Ich kann gern anbieten, Frau Präsidentin, Herr Kollege, dass wir nachschauen, ob es da eine Weisungslage gibt . Nach dem, was ich über diesen Themenkomplex weiß, kann ich mir nicht vorstellen, dass es hierzu eine Weisungslage aus dem BMI gibt .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gut . Dann nehmen wir das als Verabredung zur Kenntnis . Wenn Sie beide sich weiter genauso anstrengen wie jetzt, kann ich noch die Frage 12 des Kollegen Volker Beck aufrufen: Inwiefern hält es die Bundesregierung für zumutbar, die Einbürgerung von Drittstaatsangehörigen von dem Verzicht auf die ausländische Staatsangehörigkeit oder ihrem Verlust abhängig zu machen, wenn die Eltern der Einbürgerungsbewerberinnen und Einbürgerungsbewerber weiterhin im Herkunftsland leben, pflegebedürftig sind oder es möglicherweise in Zukunft werden, die Einreise deutscher Staatsangehöriger in das Herkunftsland visumpflichtig ist oder es möglicherweise in Zukunft sein wird und der Nachzug ausländischer Eltern zu volljährigen deutschen Staatsangehörigen allenfalls in den engen Grenzen des § 36 des Aufenthaltsgesetzes möglich ist, und inwiefern setzt sich die Bundesregierung dafür ein, die Einbürgerung in solchen Fällen attraktiver zu gestalten und zugleich das Fortbestehen menschenrechtlich geschützter familiärer Beziehungen im internationalen Kontext zu gewährleisten?

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Genau; das war unser Ziel, Frau Präsidentin . Eine Einbürgerung setzt gemäß § 10 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 des Staatsangehörigkeitsgesetzes grundsätzlich die Aufgabe oder den Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit voraus . Ausnahmen davon kommen gemäß § 12 Absatz 1 Satz 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes nur in Betracht, wenn die Aufgabe der anderen Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen möglich ist . Die mit der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit gegebenenfalls verbundenen Einreise- und/oder Aufenthaltserschwernisse in den Herkunftsstaaten werden von den Ausnahmeregelungen des § 12 Absatz 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes, der Zumutbarkeitserwägungen zum Gegenstand hat, nicht erfasst . Die Bundesregierung beabsichtigt derzeit auch keine Änderungen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Rechtslage war mir wohlbekannt . Vor diesem Hintergrund habe ich gerade gefragt, wie die Tatbestände im Rahmen dieser Rechtslage zu bewerten sind und ob das bei Familien, deren Eltern im Herkunftsland leben und die pflegebedürftig oder hilfsbedürftig sind, zu einer Abwägung führt . Dann geht es nämlich um die Frage: Welche Auswirkungen hat die Staatsbürgerschaft bei Ein- und Ausreisen? Unter Umständen kann eine Versorgung von Eltern zeitnah nicht mehr vorgenommen werden, weil Fristen im Visaverfahren anderer Staaten und dergleichen zu beachten sind . Dies kommt auf die neuen deutschen Staatsbürger nur deshalb zu, weil sie den Pass, den sie hatten, aufgrund unseres Verlangens abgeben mussten . Halten Sie eine Abwägung aus humanitären Gründen zum Schutz von Ehe und Familie - Ihnen als christlicher Partei immer ein Anliegen - für geboten?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Staatssekretär .

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Natürlich beantworte ich die Frage als Vertreter der Bundesregierung und nicht als Vertreter meiner Partei . Ich will aber auch deutlich machen, dass ich meinen letzten Satz ausdrücklich gesagt habe; er ist mehr als eine rechtliche Bewertung: Es sind derzeit keine Änderungen geplant . Wichtig ist bei den Fällen, auf die Sie hinweisen, die menschlich schwierig sind, dass wir auf die Staaten einwirken müssen, damit sie diese Praxis ändern . Das ist unsere zentrale Aufgabe . Daran wirken wir gerne mit . Im Übrigen muss man das Problem schon perspektivisch im Blick haben . Deutschland ist das Land, dessen Reisepass weltweit am meisten ohne Visum akzeptiert wird . Es gibt regelmäßig eine Studie von Henley & Partners . Hier werden regelmäßig von 199 Nationalitäten Reisepässe analysiert . In 176 Länder der Welt reisen Deutsche visafrei ein . Es gibt kein Land auf der Welt, dessen Bürger so einfach in fast alle Länder einreisen können .

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wären Sie bereit, der Überlegung näherzutreten, dass wir für die Länder, bei denen wir keine Visafreiheit für unsere schönen Pässe durchgesetzt haben, dann die Abwägungsentscheidung im Staatsangehörigkeitsrecht einführen, wenn eine besondere familiäre Situation aufgrund pflegebedürftiger Angehöriger im Herkunftsland vorliegt? Ich glaube, das können Sie auch im Rahmen des geltenden Rechts mit entsprechenden Auslegungshinweisen durchaus bewirken . Ich frage gar nicht nach einer Gesetzesänderung .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort .

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Herr Kollege, wenn Sie hier Fälle haben, dann bin ich gerne bereit, sie mir anzuschauen . Wenn Sie uns diese Fälle geben - an uns ist dieses Thema noch nicht herangetragen worden -, dann schaue ich mir das gerne noch einmal an und lasse es durch mein Haus prüfen . Ich sage dazu aber: Wichtig ist mir, dass wir auch die Staaten, die solche, ich sage einmal, menschlich schwierigen Regelungen haben, nicht aus der Pflicht lassen, hier etwas zu ändern . Wir müssen dann zumindest zweigleisig fahren .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich bedanke mich ganz ausdrücklich . - Ich beende die Fragestunde . Die übrigen Fragen werden entsprechend unseren Regeln schriftlich beantwortet . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 sowie die Zusatzpunkte 1 und 2 auf: 8 . Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Zwölfter Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik ({1}) Drucksachen 18/10800, 18/10924 Nr. 1.15, 18/12467 ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom Koenigs, Annalena Baerbock, Marieluise Beck ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für den Menschenrechtsschutz in Deutschland - Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter reformieren und stärken Drucksache 18/12544 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({3}) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Kordula SchulzAsche, Claudia Roth ({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zivilgesellschaftliches Engagement braucht Raum - Anti-NGO-Gesetze stoppen, Menschenrechtsverteidiger stärken Drucksachen 18/7908, 18/10625 Zu dem Zwölften Bericht der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Frank Schwabe für die SPD-Fraktion . ({6})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Der zwölfte Menschenrechtsbericht der Bundesregierung gibt die Gelegenheit, zum Ende der Legislaturperiode noch einmal intensiv zu diskutieren, ein bisschen Bilanz zu ziehen zur Menschenrechtspolitik in dieser Legislaturperiode und vielleicht einen Ausblick zu wagen . Da gleich Tom Koenigs redet und ich auch Christoph Strässer sehe, will ich noch einmal sagen, wie sehr ich die Arbeit schätze - beide scheiden aus dem Parlament aus -, die sie mit immer klugen Beiträgen und einem überragenden Engagement als Parlamentarier und Mitglied der Bundesregierung gemacht haben, sozusagen als eine Institution zum Thema Menschenrechte . Vielen herzlichen Dank dafür . ({0}) Die Lage der Menschenrechte weltweit, aber auch in Deutschland - auch hier ist nicht alles gut, wenn auch besser als in manchen anderen Ländern der Welt - steht im Mittelpunkt eines Menschenrechtsberichts und einer solchen Debatte . Mittlerweile stehen die Menschenrechte weltweit, aber auch in Europa - also ziemlich nah dran an uns - unter massivem Druck . Wir erleben es in Debatten in der Europäischen Union, aber auch im Rahmen der 47 Länder des Europarats . Wir haben mittlerweile in vielen Ländern nicht nur eine Ignoranz gegenüber Menschenrechtsfragen, sondern eine geradezu aggressive Abwendung von Menschenrechten und ein aggressives Vorgehen gegen diejenigen, die sich Menschenrechten besonders verpflichtet fühlen. Es gibt Agitation und finanzielle Einschränkungen gegenüber Menschenrechtsorganisationen, aber auch Agitation gegenüber denjenigen, die solche Organisationen unterstützen . In Ungarn haben wir es zum Beispiel gerade am Fall der Universität erlebt, die von George Soros finanziert wird . Er gilt für einige bei solchen Fragen als die Ausgeburt des Übels . Man kann über George Soros und sein Engagement durchaus diskutieren; aber ich frage mich, wer eigentlich sonst solche Menschenrechtsinstitutionen unterstützen würde . Wenn es andere geeignete Geldgeber gäbe, dann könnten wir darüber reden. Ansonsten, finde ich, sollte man die Agitation einstellen . Es darf bei Menschenrechten keinen Rabatt geben . Wir brauchen eine wertebasierte Außen- und Europapolitik, und wir brauchen klare Ansagen . Gerade in solchen Zeiten, in denen es schwieriger geworden ist, brauchen wir klare Ansagen gegenüber NATO-Partnern wie der Türkei, aber auch innerhalb der Europäischen Union . Es braucht klare Ansagen an Regierungen, dass es eine Einschüchterung der Zivilgesellschaft - das, was international als Shrinking Space bezeichnet wird - nicht geben darf . Es ist wichtig, dass auch deutsche Vertreter da, wo sie es können, klar Position beziehen, wie es zum Beispiel Sigmar Gabriel als Außenminister in Israel getan hat, als es darum ging, die Organisationen Betselem und Breaking the Silence zu treffen. Am Ende war das ein Stück weit ein Lackmustest dafür, ob man solche Organisationen noch treffen kann oder nicht. Insofern war es wichtig, dort Flagge zu zeigen . Man muss nur wissen, es war nicht der letzte Test, es werden weitere solcher Tests kommen . Insofern ist wichtig, dass wir klarmachen - bei aller Kritik und bei aller Auseinandersetzung -: Wir müssen in der Lage sein, zivilgesellschaftliche Organisationen weltweit zu treffen. Wenn jemand nach Deutschland kommt, dann kann er sie entsprechend auch treffen. Es ist nicht nur die Türkei, es ist nicht nur Israel, es sind viele Staaten - aktuell Ägypten, China, Russland, Indien, Ungarn -, mittlerweile an die 100 Staaten weltweit, die versuchen, die Zivilgesellschaft zu drangsalieren . Es wird im Übrigen durch das, was in den USA vor sich geht, nicht besser, durch die Zeichen, die Herr Trump setzt oder nicht setzt, etwa wenn er nach Saudi-Arabien fährt und dortige Menschenrechtsverletzungen nicht benennt . Es darf also keinen Rabatt geben . Ich richte da auch einen Appell an uns alle . Wir haben manche Länder und manche Regierungen, die uns vielleicht näher stehen als andere . Umso wichtiger ist es, dass wir diesen Ländern keinen Rabatt geben . Die Sozialdemokratie muss und wird Korruption in Rumänien anprangern . Wenn es dort Regierungen gibt, die sich mit der Aufklärung von Korruption schwertun, dann muss man das benennen . Genauso muss die CDU Probleme in Ungarn und Mazedonien klar benennen . Die Linke, die sich in der Regel durch eine engagierte Menschenrechtsarbeit auszeichnet, muss auch bei den Ländern, die ihr nahestehen, entsprechend Kritik üben . Ich würde da mal Kuba, Venezuela, Nordkorea und Russland nennen . ({1}) - Es ist gut, dass das so benannt wird . Aber ich habe ein paar Debatten im Menschenrechtsausschuss erlebt, in denen jedenfalls ich den Eindruck hatte, dass es Staaten gibt, bei denen man schon mal weniger darüber redet als bei anderen Staaten . Ich habe ja auch sehr selbstkritisch ein von Sozialdemokraten geführtes Land genannt . Ich möchte an dieser Stelle ein super Programm loben, das wir hier beim Deutschen Bundestag haben: das Programm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ . Ich werde nicht müde, es zu erwähnen . Denn es geht darum, da, wo wir es können, mitzuhelfen und eine Schutzfunktion für Abgeordnete, aber auch für Menschenrechtsaktivisten aus anderen Ländern zu übernehmen . Ich habe nur auch da manchmal den Eindruck, dass es ein bisschen darum geht, sich die Leute entsprechend politischer Konstellationen auszusuchen, je nachdem, wer gerade an der Regierung ist und wer nicht . Ich will an dieser Stelle einen Doppelaufruf starten . Zum einen rufe ich dazu auf, dass mehr Kolleginnen und Kollegen bei dem Programm mitmachen, zum anderen dazu, sich im Rahmen des Programms nicht nur mit den Ländern zu befassen, mit deren Regierungen man Probleme hat, sondern gerade auch mit den Ländern, mit deren Regierungen man befreundet ist, und Leute aus diesen Ländern ins Programm aufzunehmen . Ich glaube, dass das eine größere Wirkung hat, als wenn wir es andersherum machen . Wir sollten uns alle überlegen, ob wir hier nicht entsprechend ansetzen können . Es ist ein wunderbares Programm. Ich will aber darauf hinweisen, dass es finanziell und personell unterausgestattet ist . Wir müssen im nächsten Deutschen Bundestag das Programm finanziell besser ausstatten . ({2}) Wir haben das PsP-Programm auf der Habenseite, das in dieser Legislaturperiode deutlich ausgeweitet wurde . Auf der Habenseite haben wir auch das Deutsche Institut für Menschenrechte mit dem entsprechenden Gesetz, das wir nach längerer Debatte verabschiedet haben . An der Debatte waren viele beteiligt, aber nicht alle haben in dieselbe Richtung gezogen . Meine Fraktion - das kann man durchaus selbstbewusst sagen - war immer relativ klar . Ich will meinen Dank aber auch an diejenigen richten, die mitgeholfen haben, zum Beispiel Dr . Fabritius, aber auch Michael Brand . Es wäre gut, wenn es uns jetzt gelingt, ein gemeinsames Verständnis für das zu entwickeln, was das Institut aktuell macht . ({3}) Da sind wir auf einem guten Weg . Durch das Gesetz über die Rechtsstellung und Aufgaben des Deutschen Instituts für Menschenrechte haben wir dafür gesorgt, dass das Institut die Präsidentschaft der Institute für Menschenrechte weltweit übernehmen konnte, also eine hohe Reputation hat . Selbstverständlich ist es wichtig, den Blick nach außen zu richten - das war immer wieder Debattengegenstand -, aber wir brauchen auch den Blick nach innen, weil eben nicht alles gut ist in Deutschland . Das gibt uns die Legitimation, entsprechende Vorkommnisse zu benennen und anzuprangern . Es ist eine Aufgabe für die nächste Legislaturperiode, darüber nachzudenken, wie die Mehraufgaben, die wir gesetzlich festgelegt haben, am Ende finanziell und organisatorisch abgebildet werden können . Das heißt, das Institut braucht eine bessere Ausstattung. Ich finde überhaupt, dass wir die nächste Legislaturperiode dazu nutzen sollten - vielleicht schon im Koalitionsvertrag -, die Menschenrechtsarchitektur, die wir am Anfang des letzten Jahrzehnts geschaffen haben, zu bearbeiten, zu renovieren und auf den aktuellen Stand zu bringen . ({4}) Das gilt für die Funktion der Beauftragten für Menschenrechte und möglicherweise auch für die Rolle des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe . In den nächsten vier Jahren wird es unsere Aufgabe sein, zu beobachten, was in den USA passiert . Es werden von Trump ja nicht nur die falschen Signale ausgesendet, sondern es besteht auch die Befürchtung, dass Menschenrechtsarbeit von den USA weniger finanziert wird. Das heißt, wir müssen eine Diskussion darüber führen, wie man die fehlenden Mittel substituieren kann, damit bestimmte Organisationen und zivilgesellschaftliches Engagement in vielen Teilen der Welt nicht ausbluten . Beim Thema bürgerliche Menschenrechte habe ich den Eindruck, dass wir uns über die Fraktionen hinweg einigermaßen einig sind . Hohe Uneinigkeit besteht beim Thema soziale und wirtschaftliche Menschenrechte . Ich muss an dieser Stelle in Richtung Koalitionspartner blicken; denn ich glaube, hier tun Sie sich besonders schwer . Natürlich geht es um Meinungsfreiheit, um körperliche Unversehrtheit, Pressefreiheit, um all das; aber es geht ebenso um das Recht auf eine Lebensgrundlage, auf Nahrung und auf eine saubere Umwelt . Wir führen weltweit eine Debatte über solche Rechte . Ich glaube, dass wir in Deutschland besser sein könnten, auch in der Umsetzung internationaler Vereinbarungen . Ich wünsche mir wirklich, dass die Blockade aufgehoben wird, die insbesondere von Ihnen ausgeübt wurde, zum Beispiel bei der Ratifizierung des Zusatzprotokolls zum UN-Sozialpakt, aber auch bei der Ratifizierung der ILO 169 für die Rechte der indigenen Bevölkerung . Das wäre mein Wunsch für die nächste Legislaturperiode . ({5}) Wir haben mit dem Nationalen Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“ eine akzeptable, vielleicht auch gute Grundlage für die weitere Arbeit geschaffen; denn deutsche Unternehmen tragen weltweit mittelbar oder unmittelbar zu Menschenrechtsverletzungen bei . Das ist einfach so . Ich will gar nicht unterstellen, dass das irgendjemand bewusst tut, aber es passiert . Deswegen brauchen wir eine vernünftige Regelung in Deutschland, gerne freiwillig, aber wenn es sein muss, auch gesetzlich . Deswegen ist es wichtig, dass die Evaluierung des Nationalen Aktionsplans ordentlich vonstattengeht . Zum Schluss noch ein Appell zum Thema Todesstrafe . Die Todesstrafe ist unmenschlich und barbarisch . In den letzten Jahren und Jahrzehnten gab es eine positive Entwicklung . In vielen Ländern ist die Todesstrafe abgeschafft oder zumindest ausgesetzt worden. Es ist dramatisch, dass in der Türkei eine Debatte über die Wiedereinführung der Todesstrafe geführt wird . Es ist völlig klar: Das ist ein Ausschlusskriterium für die Europäische Union, aber auch für den Europarat . Ich will an dieser Stelle aber auch die USA nennen . In Richtung des Bundesstaates Arkansas möchte ich sagen: Wenn man versucht, in eine wirtschaftlich stärkere Kooperation mit Deutschland einzutreten - das wird versucht, auch durch ein Büro, das dieser Bundesstaat hier in Berlin betreibt -, dann kann man uns nicht gleichzeitig hintergehen - anders kann man das gar nicht nennen und mit Medikamenten, die dazu da sind, Menschenleben zu retten, Menschen hinrichten . Das ist völlig inakzeptabel, und das muss sofort aufhören . ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Inge Höger für die Fraktion Die Linke . ({0})

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der zwölfte Menschenrechtsbericht der Bundesregierung geht an vielen Stellen an der Realität vorbei, ({0}) insbesondere wenn es um die Lage der Menschenrechte hier in Deutschland geht . Seit fast 60 Tagen befindet sich der politische Gefangene Yusuf Tas im Hungerstreik für Kommunikation in seiner Muttersprache . Yusuf Tas war politischer Gefangener in der JVA Heimsheim in Baden-Württemberg und wurde vor kurzem in das Gefängniskrankenhaus Hohenasperg verlegt . ({1}) Dass ihm das Reden und die Lektüre in seiner Muttersprache von der JVA verwehrt werden, ist Diskriminierung und eine Form struktureller Gewalt, die gegen elementare Menschenrechte verstößt . ({2}) Das ist ein aktuelles Beispiel . Sie können jetzt sagen: Das ist erst passiert, nachdem der Menschenrechtsbericht geschrieben worden ist . Dieses Beispiel zeigt aber bestimmte Benachteiligungen, die es in Deutschland gibt, aber nicht geben sollte . Ein anderes Beispiel ist, dass die Praxis des Racial Profilings, also der polizeilichen Kontrolle anhand äußerlicher Merkmale wie Hautfarbe oder ethnischer Zugehörigkeit, keine Erwähnung in dem Bericht findet. Diesen tief verankerten Rassismus in staatlichen Institutionen und Behörden spart die Bundesregierung einfach aus, und das, obwohl Deutschland im Berichtszeitraum wegen Racial Profiling gerügt worden ist, zum Beispiel vom Menschenrechtskommissar des Europarates, vom UN-Ausschuss gegen rassistische Diskriminierung und vom Deutschen Institut für Menschenrechte . Dazu dürfen wir nicht schweigen . ({3}) Leider ist der Bericht weitgehend darauf beschränkt, Verordnungen, Vorschriften und Einzelaktivitäten aufzuzählen, die die Bundesregierung im Berichtszeitraum eingeführt oder anerkannt hat. Eine umfassende qualitative Bewertung fehlt . Im innenpolitischen Teil fehlt insbesondere eine tiefer gehende Untersuchung der sozialen Menschenrechte in Deutschland . Gerade die neoliberale Spar- und Kürzungspolitik der letzten Jahre führte zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen . ({4}) Deren Auswirkungen sind steigende soziale Ungleichheit, zunehmende Verarmung und erschwerter Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe . 1,7 Millionen Kinder leben in Armut; das hat ein heute veröffentlichter Bericht von Eurostat ergeben . Auch die Wohnungslosigkeit nimmt zu . Angesichts eines Privatvermögens von 10 Billionen Euro in Deutschland ist diese zugespitzte Armutssituation untragbar . ({5}) Die Linke fordert, die reale Entwicklung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte in Deutschland im nächsten Bericht ausführlich zu reflektieren und zielgerichtete Lösungsansätze zu entwickeln, besonders hinsichtlich der Armutsbekämpfung . ({6}) In dem Bericht wird die Situation von Asylsuchenden und Geflüchteten beschönigt. Insbesondere die menschenrechtlichen Folgen von Abschiebung werden nicht untersucht . Heute Vormittag wurden bei einem der schwersten Anschläge in Kabul mindestens 64 Menschen getötet und mehr als 300 verletzt . Afghanistan ist kein sicheres Herkunftsland . Stoppen Sie die Abschiebung nach Afghanistan! ({7}) Im außenpolitischen Teil des Berichts ist die Mitverantwortung der deutschen Außenhandels- und Entwicklungspolitik bei Menschenrechtsverletzungen in Drittstaaten unzureichend beleuchtet worden . Neoliberale Handels- und Investitionsschutzabkommen, Rohstoffausbeutung oder der Export subventionierter Lebensmittel gefährden die soziale Menschenrechtslage in Drittstaaten . Auch Menschenrechtsverletzungen, die auf die deutsche Außen- und Verteidigungspolitik zurückzuführen sind, ignoriert der Bericht . Deutsche Rüstungsexporte und auch die militärische Beteiligung der Bundeswehr an Auslandseinsätzen wirken wie Öl im Feuer zahlreicher Kriegsgebiete und Krisenherde . Das EUGrenzre gime einschließlich der EU-Militärmission im Mittelmeer dient der Kontrolle der Fluchtrouten und der Abwehr von Geflüchteten. Das Sterben im Mittelmeer ist eine Folge dieser Abschottungspolitik der EU, spielt im Bericht aber keine Rolle . Das tausendfache Sterben im Mittelmeer darf uns nicht egal sein . Die Linke fordert eine objektive Analyse der menschenrechtspolitischen Folgen der deutschen Außenpolitik und vor allem die Beendigung aller Auslandseinsätze, einen Stopp von Rüstungsexporten und ein Ende der ausbeuterischen Außenhandelspolitik . ({8}) Es geht weiter . In der Beschlussempfehlung des Menschenrechtsausschusses, die gegen die Stimmen der Oppositionsparteien angenommen wurde, findet sich die Forderung, in den nächsten Menschenrechtsbericht „die Menschenrechtslage auch von befreundeten Staaten künftig in den Länderteil zu integrieren“ . Die Aufnahme der bisher fehlenden westlichen Industrienationen fordert die Linke schon lange . Beispielsweise haben die USA als einziges UN-Mitglied die Kinderrechtskonvention nicht unterzeichnet . Sie stehen wegen Kinderarbeit, der Prügelstrafe an Schulen und der Diskriminierung armer Kinder bei der Essensausgabe in der Kritik . Das sind Zustände, die untragbar sind . Was bedeutet es, von befreundeten Staaten zu sprechen? Heißt das, dass Länder wie zum Beispiel Brasilien, Indien, Montenegro oder Kenia verfeindete oder jedenfalls nicht befreundete Staaten sind? ({9}) Die Linke hofft auf eine kritische Analyse der Lage der Menschenrechte in allen Staaten im nächsten Bericht . Sehr positiv an dem Bericht ist, dass die äußerst problematische menschenrechtspolitische Situation der palästinensischen Bevölkerung infolge der israelischen Besatzung angesprochen wird . Kritisiert werden unter anderem die Administrativhaft, die Lage minderjähriger Palästinenser in israelischen Haftanstalten, die Zerstörungen von palästinensischen Privathäusern und humanitärer Infrastruktur sowie die unverhältnismäßige und teils tödliche Gewaltanwendung gegen Zivilisten durch israelische Sicherheitskräfte . Der israelische Siedlungsbau wird konsequent für völkerrechtswidrig erklärt. Jedoch wird die humanitäre Katastrophe in Gaza allein der Hamas zugeschoben . Dabei schneidet die seit zehn Jahren andauernde Blockade dieses dicht bewohnte Gebiet komplett von der Außenwelt ab . Die israelische Regierung lässt an Nahrung und Medikamenten nur das einführen, was sie selbst zum Überleben für absolut notwendig empfindet. Auch die ägyptische Regierung behindert Hilfslieferungen an der Grenze . Infolgedessen fehlt etwa ein Drittel dringend benötigter Medikamente und Hilfsmittel, und die gesundheitliche Versorgung jedes dritten Patienten bzw . jeder dritten Patientin ist bedroht . Solche Handlungen sollten im kommenden Bericht mitgedacht und von der Bundesregierung entsprechend kritisiert werden . ({10}) Ich empfehle, dem Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke zuzustimmen . ({11}) Für die umfassende Verwirklichung der universellen Menschenrechte sind Frieden und soziale Sicherheit die wichtigsten Voraussetzungen . Der Einsatz für Frieden und soziale Gerechtigkeit sollte daher auch oberste Aufgabe einer jeden deutschen Bundesregierung sein . Vielen Dank . ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Michael Brand für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Evangelische Kirchentag am vergangenen Wochenende stand in diesem Jahr ganz unter dem Eindruck des 500-jährigen Reformationsjubiläums . Viele Tausend Gläubige haben sich in Berlin und auch in Wittenberg getroffen, um ein Fest des Glaubens und der Toleranz zu feiern . Die Religionsfreiheit ist eine zentrale Frage heutiger Menschenrechtspolitik . Der Umgang eines Staates mit der Religionsfreiheit zeigt im Besonderen, wie es dort um die Menschenrechte steht . ({0}) Der zwölfte Menschenrechtsbericht zeigt, dass das Recht auf Religionsfreiheit zunehmend gefährdet ist . Deshalb fordern wir in unserer heutigen Entschließung erneut und explizit eine umfangreichere Befassung mit dem Menschenrecht auf Religionsfreiheit im nächsten Menschenrechtsbericht der Bundesregierung . ({1}) 2016 wurde auf Initiative der CDU/CSU erstmals ein Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit vorgelegt und darüber diskutiert . Kurz vor Ende der Legislaturperiode möchte ich heute die Gelegenheit nutzen, bei Ihnen allen für eine Verstetigung und Weiterentwicklung des Religionsfreiheitsberichtes zu werben . Für uns bleibt auch für die kommende Wahlperiode dieses Thema ein zentrales Anliegen . ({2}) Bahai, Ahmadiyya, Rohingya, Jesiden, Schabak, Aleviten, Juden, Muslime, Schiiten und Sunniten, Tibeter, Uiguren sowie Christen aller Konfessionen und Traditionen werden Opfer von gezielter Gewalt und Terrorismus . Die Christen sind die weltweit größte verfolgte Religionsgruppe . Vor wenigen Tagen starben bei einem Angriff auf koptische Christen in Ägypten erneut Dutzende Menschen . Die Terrormiliz des sogenannten „Islamischen Staats“ hat die Tat für sich reklamiert . Die mit Abstand meisten Opfer des IS sind weiterhin Muslime . Das dürfen wir nicht übersehen, und wir dürfen uns auch nicht spalten lassen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, im aktuellen Menschenrechtsbericht sind Themen hervorgehoben, die uns im Parlament vielfach beschäftigen: so der Schutz von Menschenrechtsverteidigern und die Folgen repressiver NGO-Gesetze, die die Handlungsspielräume der Zivilgesellschaft in immer mehr Ländern massiv einschränken . Der Brennpunkt „Shrinking Space“ zeigt deutlich, welch enorm wichtige Rolle eine handlungsfähige Zivilgesellschaft für Menschenrechte und Demokratie hat . Deshalb ist es von Bedeutung, offenzulegen, wie, manchmal ganz offen und manchmal sehr subtil, Regime die Daumenschrauben anziehen . Im „Aktionsplan Menschenrechte“ verweist der Bericht auf Zielvorgaben und Strategien in den kommenden Jahren und benennt konkret 22 Schwerpunkte und Maßnahmenbündel zu deren Umsetzung . Als Große Koalition formulieren wir im Entschließungsantrag zehn konkrete Forderungen an die Bundesregierung: vom konkreten Monitoring des Nationalen Aktionsplans „Wirtschaft und Menschenrechte“ bis hin zu einem Brennpunktthema, das sich dem weltweiten Problem des illegalen Organhandels widmen soll . Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute ist der chinesische Regierungschef in Berlin zu Gast . Die traurige Wahrheit ist: Die Menschenrechtslage in China hat sich seit dem Amtsantritt von Xi Jinping sogar noch weiter verschlechtert . Es gibt noch brutaleres Vorgehen gegen Menschenrechtsanwälte und -aktivisten sowie gegen Blogger, hohe Haftstrafen und Repression, NGOs werden durch neue Sicherheitsgesetze an die Kette gelegt, die Internetzensur wird weiter verschärft . Wer mehr Freiheit fordert und dies nur öffentlich äußert, wird jahrelang weggesperrt . Besonders dramatisch bleibt die Lage für Uiguren und Tibeter . Die systematische Zerstörung von religiösen Heiligtümern der Tibeter, aktuell der bedeutenden Lehranstalt Larung Gar, und die brutale Unterdrückung dieser einzigartigen Kultur des für seine Friedfertigkeit bekannten Volkes ist einer so alten und großen Kultur wie der chinesischen völlig unangemessen und trägt nicht zur Verbesserung des Ansehens von China in der Welt bei . ({3}) Die Bundesregierung sollte neue Möglichkeiten nicht vorbeiziehen lassen und jetzt eine aktivere Rolle in den Beziehungen zu China spielen - bei den Themen Freihandel, Klimawandel und auch die Chance nutzen, ein neues Kapitel im Bereich Menschenrechte aufzuschlagen - ohne zu poltern den Finger in die Wunde legen . Dramatische Berichte über brutale Umerziehungsund Zwangsarbeitslager, das Wissen über die weltweit meisten Hinrichtungen und der Handel mit Organen von Strafgefangenen müssen auch von Berlin deutlicher angesprochen werden . Wir haben uns zum Ziel gesetzt, noch einen Antrag auf den Weg zu bringen - wir haben ja nur noch zwei Sitzungswochen -, der genau das, den illegalen Organhandel, in den Fokus nimmt . Im Übrigen sollten wir die Zeit bis Ende Juni auch nutzen, ein Zeichen für die Opfer der sogenannten früheren Colonia Dignidad zu setzen - auch daran arbeiten wir gerade -; denn Deutschland hat hier eine moralische Mitverantwortung . ({4}) Ich komme zurück zu China . Ende 2016 fand der 14 . Menschenrechtsdialog zwischen China und Deutschland statt . Für die chinesische Seite sind diese Runden inzwischen sehr bequem geworden: Kritik wird zwar angesprochen, befürchten muss man bislang aber wenig . Dialog - das will ich in aller Deutlichkeit sagen - darf nicht zum Selbstzweck werden . Dialog ohne echte Konsequenzen ist wirkungslos. Dass Peking dem Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages, übrigens im Gegensatz zum Wirtschaftsausschuss, weiter keine freie Einreise erlaubt, ist ein anhaltender Tiefpunkt in unseren diplomatischen Beziehungen, der nun wirklich nicht länger akzeptiert werden darf . Wir erwarten hier von der Bundesregierung eine aktivere Rolle . ({5}) Ich sage das auch, weil ich glaube, wenn man bei den chinesischen Gesprächspartnern nicht völlig das Gesicht verlieren möchte, dann muss deutsche Diplomatie auch vorzeigbare Ergebnisse bringen . Wenn die vielbeschworene „stille Diplomatie“ im Falle Chinas angeblich so zielführend ist, dann muss man sich schon die Frage stellen, warum die Lage der Menschenrechte in China immer dramatischer wird . Liebe Kolleginnen und Kollegen, immer dramatischer ist auch die Lage in der Türkei geworden: Verhaftungswellen, Abschaffung der Demokratie, Drohungen mit der Einführung der Todesstrafe, die Axt am Recht von Meinungs- und Pressefreiheit, Deniz Yücel, dessen Pate übrigens ich bin . Ich will an Frank Schwabe anknüpfen und an die Abgeordneten appellieren, eine Patenschaft im Rahmen des PsP-Programms des Bundestages zu übernehmen . Deniz Yücel ist sicherlich kein großer Anhänger der CDU/CSU, aber ich finde, genau das, was du gesagt hast, ist wichtig, nämlich dass man nicht nur nach seinen Leuten schaut, sondern auch nach Leuten, die einem vielleicht nicht immer passen, von denen man nicht alles teilt . Aber dafür, dass sie ihren Job machen können, ihre Meinung sagen dürfen und ihre Freiheit als Journalisten haben, kämpfe ich auch im Falle von Deniz Yücel, der natürlich freigelassen werden muss . Nennen will ich auch die deutsche Journalistin Mesale Tolu und die rund 150 weiteren Journalisten und Verlage . Auch hier dürfen wir nicht nachlassen, deutlich eine Änderung von der Türkei einzufordern . ({6}) Ich will auch an die Attacken nach der Armenien-Resolution erinnern, von DITIB bis hin zu den unakzeptablen türkischen Geheimdienstaktivitäten in Deutschland und dem irren Vorgang in Incirlik . Ein solches Verhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat es bislang im NATO-Bündnis nicht gegeben; das ist einzigartig . Auch dieser Punkt muss endlich weggeräumt werden . Ich wünsche dem Außenminister bei seinen Gesprächen viel Erfolg . Aber es muss klar sein, dass nur ein grundsätzlicher Zugang für uns Parlamentarier akzeptabel ist und dass die Spielchen endlich ein Ende haben müssen . ({7}) Bei grundlegenden Fragen von Menschenrechten darf man sich nicht wegducken . Das gilt gerade in der Tagespolitik . Es ist im Übrigen auch nicht die wichtigste Frage, ob wir Menschenrechtsverletzungen anderswo ertragen . Ich glaube, zuallererst ist die Frage, ob die Unterdrückten und Verfolgten in den jeweiligen Ländern, ob in der Türkei oder andernorts, dies ertragen können denn sie zahlen doch in Wahrheit den bitteren Preis für das Wegducken hier, und sie erwarten von uns zu Recht Haltung und aktive Unterstützung . Diplomaten bei uns und in der EU müssen sehr aufpassen, dass manches Wegnuscheln nicht als Feigheit missverstanden wird und die Falschen sogar noch ermuntert werden . „Europa muss ein Akteur sein, der sich auch einmischt international“, hat unsere Bundeskanzlerin gestern beim Besuch des indischen Premiers formuliert und wenige Tage zuvor gefordert, die Europäer müssten ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen . Ja, die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei . Ich will Sie auch deshalb fragen: Wie ernst soll man denn eine EU-Kommission nehmen, die sich im Fall Erdogans nach dem Verfassungsreferendum in Wortakrobatik übt, indem sie von roten Linien in unterschiedlichen Färbungen spricht und die Todesstrafe als die „röteste aller roten Linien“ bezeichnet? Ich halte das für zynischen Hohn gegenüber den Mutigen in der Türkei, die sich noch trauen, den Mund aufzumachen . Auch hier gilt es, stärker Flagge zu zeigen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will einen letzten Punkt ansprechen . Frank Schwabe hat zu Recht gefordert, beim Thema Menschenrechte auch nach innen zu schauen . Es braucht diesen Blick nach innen . Unser Land, unser Grundgesetz, unsere Werte werden immer wieder bedroht . Stellung beziehen und sich nicht wegducken ist entscheidend, egal woher die Angriffe auf unsere freiheitliche Gesellschaft und unsere Werte kommen . Dazu gehören Menschen, die den Untergang des Abendlandes beschreien, aber in Wahrheit auf aggressive Ausgrenzung setzen . Dazu gehört links- wie rechtsextreme Gewalt . Dazu gehören Erdogan-Anhänger in Deutschland, die hierzulande alle Freiheiten genießen und von hier aus helfen, die Demokratie in der Türkei abzuschaffen . Da gibt es Menschen, die zu uns gekommen sind und hier gegen Christen, Jesiden oder Juden hetzen und sie einschüchtern. Dass Konflikte aus anderen Ländern zu uns getragen werden, darf unser Staat nicht akzeptieren . ({8}) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat geurteilt, dass die Scharia mit den fundamentalen Prinzipien der Demokratie und der Europäischen Menschenrechtskonvention unvereinbar ist . Die Gleichberechtigung von Frau und Mann ist bei uns nicht verhandelbar . Und es ist gut, dass der Deutsche Bundestag in dieser Woche konkrete Regeln auf den Weg bringt, um Kinderehen zu bekämpfen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Brand .

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Menschenrechte sind nicht verhandelbar . Oder wie es unser früherer BunMichael Brand despräsident Joachim Gauck gesagt hat: „Jede Politik ist auch Menschenrechtspolitik .“ Vielen Dank . ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Tom Koenigs für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Tom Koenigs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004077, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben es schon gehört: Die Menschenrechte stehen unter Druck, innen und außen, im Osten und im Westen: innen durch rechtspopulistische Strömungen, die Migranten hassen, außen durch religiöse Fanatiker, die Staaten bilden wollen, im Osten durch stalinistische Autokraten - Putin, Erdogan - und im Westen durch Tendenzen, sich aus den Institutionen zurückzuziehen, zum Beispiel England, das aus dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof austreten will, oder die Vereinigten Staaten aus dem Menschenrechtsrat oder auch nur Staaten, die ihre Finanzen zurückziehen oder zurückfahren wollen . Für uns Grüne sind die Menschenrechte der wichtigste Maßstab für die Entwicklung und den Erfolg von Gesellschaften . Wir haben da eine eindeutige Position, nehmen die Menschenrechte ernst und stellen sie an die erste Stelle, das heißt, wir fordern von den Staaten - von jedem Staat, von jeder Regierung, auch von jeder Koalition -, dass sie die menschenrechtlichen Staatenpflichten ernst nehmen, nämlich Menschenrechte beachten, Menschenrechte schützen und Menschenrechte fördern durch Institutionen . ({0}) Dass sie die Menschenrechte an die erste Stelle setzt oder auch nur ernst nimmt, das kann man von der CDU wirklich nicht sagen, wenn Sie es zwölf Jahre zugelassen haben, dass eine AfD-Tante Ihre Menschenrechtspolitik vertritt . ({1}) Zwölf Jahre! Und dann sehen Sie, wo sie hingekommen ist . Es sind ja viele von Ihren Vorkämpfern zur AfD gegangen . Aber da sehen Sie es mal! Oder: Was war das für eine Qual, das Institut für Menschenrechte in den Status zu versetzen, in den es gesetzlich versetzt werden muss! Das ging ja nicht einfach, und dann haben wir es letzten Endes geschafft, dann stellt sich der Herr Fabritius hierhin und saut sie wieder runter . Das ist CSU! CSU auch so: Menschenrechtlich gibt es keinen Rabatt, hat Herr Brand gerade gesagt . Obergrenze für Asylgewährung: Da sollten Sie mal Ihrem CSU-Vorsitzenden sagen, dass die Obergrenze verfassungswidrig ist, menschenrechtswidrig ist . ({2}) Es gibt keine Obergrenze . Da war die Kanzlerin sehr viel eleganter . Aber wenn man die Menschenrechte runterzieht und so tut, als gäbe es nichts - auch nur an einem einzigen Punkt -, dann beschädigt man die ganzen Menschenrechte . Fragen Sie mal bei Herrn Seehofer nach! Und die SPD hat das in der Koalition dann alles immer mitgemacht . ({3}) Flüchtlingspolitik: Da wird der Familiennachzug für zwei Jahre ausgesetzt . Sie haben das doch auf dem Kirchentag gehört, was die Bürgerinnen und Bürger - gerade auch diejenigen, die für die Flüchtlinge etwas machen Ihnen dazu sagen . Dann machen Sie da einfach mit! Oder Aktionsplan: Das ist ein Passivplan, den Sie da letzten Endes gemacht haben . Da wird nichts aktiviert . Die Ruggie-Prinzipien sind einstimmig in der ganzen Welt verabschiedet worden, und da gibt es eben unternehmerische Achtungspflichten, staatliche Schutzpflichten und den Zugang zur Abhilfe . Und dann kommen Sie da mit einem Mäuschen von einem Aktionsplan und verteidigen den dann hier noch! Sie haben darin einen hervorragenden Menschenrechtsbeauftragten verschlissen . Der hat das Handtuch geworfen . Das ist kein Aktionsplan, das ist ein Reaktionsplan . Wir wollen die Institution des Menschenrechtsbeauftragten stärken, und wir sagen es auch ganz deutlich: Wir wollen die Institution des Menschenrechtsbeauftragten zu einem Kabinettsposten machen, zu einem Staatsminister, der dann auch für die Kohärenz in der ganzen Regierung sorgt, ({4}) sodass dann nicht auf der einen Seite Friedensprojekte gefördert werden und auf der anderen Seite Rüstungsgüter verkauft werden . Ich kann es Ihnen nicht ersparen: Wenn die CDU auf dem rechten Auge blind ist, dann sind Sie auf dem östlichen Auge blind . Die neue Ostpolitik, die Sie wollen übrigens: deutscher Sonderweg mit den Russen -: Haben Sie sich mal die Innenpolitik in Russland angesehen? Haben Sie mal gesehen, dass da der Gulag fortgesetzt wird? Haben Sie mal gelesen, was die von Pussy Riot, die Nadja Tolokonnikowa, geschrieben hat, die nach ihrem Punk-Gebet zwei Jahre im Gulag gewesen ist? Die hat das sehr genau beschrieben, und das kommt bei Ihnen nicht vor . ({5}) Eben haben Sie sich zu Recht über die Verhältnisse in Gaza beschwert . Aber haben Sie mal was über das Terrorregime der Hamas gehört? Haben Sie da mal was kritisiert? Nein, Sie fahren auf der Fregatte da mit und versuchen, die Blockade zu durchbrechen, die illegal ist . ({6}) Menschenrechte heißt, nicht mit zweierlei Maß zu messen, heißt, Menschenrechte überall zu vertreten, und heißt, sich vor allem gegen jede Diskriminierung zu wehren . Diskriminierungen haben immer zu größeren Konflikten geführt, letzten Endes auch zu Krieg. Jeder der internationalen Konflikte hat einen Diskriminierungstatbestand dahinter . Die Diskriminierungstatbestände gibt es auch im Innern: Racial Profiling. Es ist die erste Staatenpflicht, dass man Menschenrechte beachtet. Oder wenn man zusieht, wie Flüchtlingsheime brennen . Das ist die zweite Staatenpflicht: der Schutz der Bürger. Das gilt eben für alle Menschen, nicht nur für die Deutschen . Schließlich: Auch das Institut der Ehe ist eine Förderung der Nichtdiskriminierung . Ehe für alle: Das hat ja nicht euer Schulz erfunden . ({7}) Warum haben wir die Verpartnerung und nicht die gleichgeschlechtliche Ehe seit der schönen rot-grünen Zeit? Weil eben Ihr Kanzler das nicht wollte . Das ist an der SPD gescheitert . Die CDU hat sowieso dagegengestimmt und hat gewütet und getobt . ({8}) Aber Ehe für alle gäbe es seit 2001, wenn Sie damals mitgemacht hätten . Gucken Sie sich das mal an! ({9}) Wir wollen eine menschenrechtsgeleitete Außenpolitik . Das heißt Verantwortung übernehmen, soweit der Arm des Staates reicht, und zwar auch über die deutschen Unternehmen im Ausland . Wir wollen die Menschenrechtsverteidiger schützen . Unsere Botschaften sollen Anlaufstellen für Menschenrechtsverteidiger sein . Und notfalls sollen wir ihnen dann auch ein humanitäres Visum geben, wenn sie das unbedingt benötigen, wie Edward Snowden . Wir sollten intensiver in den internationalen Organisationen arbeiten . Da sind wir aber nur glaubwürdig, wenn wir die internationalen Menschenrechtskonventionen auch ratifizieren, und zwar alle: das Zusatzprotokoll zum Sozialpakt, das Abkommen zum Schutz indigener Völker oder auch die Konvention zum Schutz der Wanderarbeiter. Die Chinesen haben das auch nicht ratifiziert. Die brauchten es aber dringend, und die sagen: Wir ratifizieren nicht, weil das die Deutschen ja auch nicht machen . Das wäre ein Weg, durch eine symbolische Ratifizierung weiterzukommen . ({10}) Die CDU sagt immer: Deutschland ist nicht Nordkorea . - Richtig! Aber auch bei Ihnen und auch bei Ihrem Lieblingsthema Religionsfreiheit gibt es Tendenzen von antimuslimischen Untertönen: „Wir sind nicht Burka .“ Ich bin auch nicht Schlips . ({11}) Was will der Innenminister da eigentlich sagen? Übrigens: Im Deutschkurs fallen ja die meisten durch . ({12}) Also, Deutsch wäre irgendwas anderes . Was will er da sagen? Das ist ein Ausschluss . Hätte er im nächsten Satz gesagt: „Der Islam gehört zu Deutschland“ - die einzige große Leistung eines Ihrer Präsidenten -, dann hätte das anders geklungen . ({13}) Aber klingt nicht bei dem „Wir sind nicht Burka“ auch ein antimuslimischer Unterton mit? ({14}) Ich frage . Überlegen Sie mal, wie sich das anhört für jemand, der Muslim ist . Der Menschenrechtsschutz braucht starke Institutionen . Deshalb wollen wir weiter das Innere stärken . Wir wollen den Beauftragten für Menschenrechte stärken, ({15}) aber auch die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter . Immerhin soll diese Stelle 13 000 Institutionen des Freiheitsentzuges überwachen . Wir stehen an der Seite der Menschenrechtsverteidiger, deren Arbeit immer schwieriger wird, und die müssen das auch wissen . ({16}) Wir müssen auch dieses Stehen an der Seite der Menschenrechtsverteidiger in die Regierungsverhandlungen einbringen . Das muss ein wesentlicher Faktor bilateraler Beziehungen sein, und seien es Beziehungen mit der Polizei .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Koenigs, ich bitte, auf die Redezeit zu achten .

Tom Koenigs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004077, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ein letzter Satz: Mit den Grünen in einer Bundesregierung wird es eine klare Menschenrechtsorientierung geben: in allen Bereichen und in allen möglichen Konstellationen und Koalitionen . Wir setzen die Menschenrechte an die erste Stelle . ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr . Karamba Diaby für die SPD-Fraktion . ({0})

Dr. Karamba Diaby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004259, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor zwei Jahren besuchte ich eine Asylunterkunft in meinem Wahlkreis in Halle . Dort lernte ich eine iranische Familie kennen . Damals sprachen wir noch Englisch miteinander. Heute spricht die Tochter fließend Deutsch, und auch mit den Eltern kann ich mich problemlos über meine parlamentarische Arbeit unterhalten . Die Tochter besucht mittlerweile ein Gymnasium in Halle . Der Vater hat eine Stelle in einem halleschen Unternehmen gefunden . Derzeit wartet er auf die Anerkennung seiner Berufsabschlüsse, um wieder als IT-Experte arbeiten zu können . Seit ihrer Ankunft in Deutschland genießt die Familie Menschenrechte, das Recht auf Bildung, das Recht auf Arbeit und das Recht auf soziale Sicherheit . Es ist eine Errungenschaft, dass unser Land auch Menschen, die zu uns flüchteten, diese Rechte garantiert. Und das ist gut so . ({0}) In dieser Wahlperiode haben wir nicht zuletzt im Bereich der Arbeitsrechte viel erreicht. Wir haben den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn eingeführt . Wir haben ein Gesetz beschlossen, um die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern zu verringern . Für Asylbewerber haben wir den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert . Wichtig ist auch: Seit 2012 regelt das Anerkennungsgesetz die Anerkennung der Gleichwertigkeit ausländischer Berufsqualifikationen. Wir erkennen damit die vorhandenen Kompetenzen der Menschen an . Auch im Bereich der sozialen Sicherung haben wir Verbesserungen erreicht . Wir haben die Rente mit 63 eingeführt . Wir haben die Mütterrente aufgestockt, um Frauen vor Armut zu schützen, liebe Kollegin . Wir haben den steuerlichen Freibetrag für Alleinerziehende erhöht, um das Armutsrisiko zu senken . ({1}) Um zu meinem Beispiel zurückzukommen: Die genannte Familie ist ein Symbol dafür, dass die Rechte der verschiedenen Menschenrechtspakte eng miteinander verbunden sind . Das zeigt auch der vorliegende Menschenrechtsbericht der Bundesregierung . Bildung gilt dabei als Schlüssel, auch für die Umsetzung der übrigen Menschenrechte . Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Menschenrecht auf Bildung ist kein Recht zweiter Klasse . Auch in diesem Punkt sind wir in dieser Wahlperiode vorangekommen, zum Beispiel bei den öffentlichen Bildungsausgaben . Der Anteil der Bildungsausgaben am Bundeshaushalt stieg kontinuierlich . Mittlerweile liegt er bei sage und schreibe 17 Milliarden Euro . Durch die Lockerung des Kooperationsverbotes wird der Bund mit 3,5 Milliarden Euro die Sanierung von Schulen und Turnhallen fördern . Allein diese Punkte zeigen, dass wir auf einem guten Weg sind, das Menschenrecht auf Bildung noch besser umzusetzen . Aber wir müssen auch klar feststellen: Der rote Bildungsteppich wird noch lange nicht für jedes Kind in Deutschland ausgerollt . Faktoren wie die soziale Herkunft, der Aufenthaltsstatus oder eine Behinderung spielen noch immer eine entscheidende Rolle beim Zugang zu Bildung . Dabei ist der Migrationshintergrund nicht das ausschlaggebende Kriterium . Nur in Verbindung mit den genannten drei Faktoren spielt er eine Rolle . Denn alleine das Aussehen lässt keine Rückschlüsse auf den Zugang zu Bildung oder den Bildungserfolg zu . Kinder bildungsferner Familien, egal welcher Herkunft, machen seltener Abitur und schreiben schlechtere Noten als der Nachwuchs von Anwälten, Lehrern, Ärzten oder auch Abgeordneten . An deutschen Schulen entscheidet bis heute die soziale Herkunft über den Bildungserfolg . Hier müssen wir gegensteuern . ({2}) In einer 2016 veröffentlichten Studie fordert das Deutsche Institut für Menschenrechte zu Recht die Anpassung von rechtlichen Regelungen, Bildungsplänen und Unterrichtsmaterialien . Nur so lässt sich unser Schulsystem inklusiv und diskriminierungsfrei gestalten . Ungleichheiten herrschen auch beim Zugang zu Berufsbildung . Hier sind besonders oft Jugendliche mit Migrationshintergrund betroffen, obwohl sie die gleichen Abschlüsse wie andere Jugendliche ohne Migrationshintergrund vorweisen können . Ich meine, Chancengleichheit sieht anders aus . ({3}) Was müssen wir also tun? Und wo müssen wir umsteuern? Wir müssen die Bildungsinvestitionen erhöhen und stärker in die Qualität der Bildung investieren . Das heißt auch: die Bildungsinfrastruktur modernisieren, die Lehrkräfte qualifizieren und die Schulsozialarbeit fördern. Wir brauchen eine gerechte Bildungsfinanzierung. Wir brauchen die Gebührenfreiheit von der Kita bis zum Hochschulabschluss und bei der Weiterbildung . ({4}) Meine Damen und Herren, der Geldbeutel der Eltern darf nicht über die Bildungslaufbahn eines Kindes entscheiden . Der Ausbau der Ganztagsschulen und die frühe individuelle Förderung in Kita und Schule sind wichtig, um den gleichen Zugang zu Bildung für alle zu ermögliTom Koenigs chen. Die berufliche Bildung muss gestärkt werden. Eine berufliche Qualifikation ist die wichtigste Voraussetzung für soziale Teilhabe als Erwachsener . Meine sehr verehrten Damen und Herren, das iranische Mädchen hatte Glück . Unser Land bietet gute Voraussetzungen, und ihre Eltern kennen die Bedeutung von Bildung für die Zukunft ihrer Tochter . Ich will aber nicht, dass die Zukunftschancen unserer Kinder vom Zufall abhängen . Alle Kinder und Jugendlichen in unserem Land brauchen den gleichen Zugang zu Bildung . Das darf nicht am Geldbeutel scheitern . Lassen Sie uns deshalb gemeinsam dafür eintreten, das Menschenrecht auf Bildung für alle umzusetzen . Danke schön . ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr . Bernd Fabritius für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Dr. h. c. Bernd Fabritius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der zwölfte Menschenrechtsbericht der Bundesregierung stellt einen fast umfassenden Überblick über die Situation der Menschenrechte sowohl international als auch bei uns in Deutschland dar . Darüber hinaus legt die Bundesregierung mit dem Bericht Rechenschaft über ihre Menschenrechtspolitik der vergangenen zweieinhalb Jahre ab - eine Bilanz, die sich durchaus sehen lassen kann, was ich heute auch der Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung sehr gerne gesagt hätte . Ich hätte ihre Anwesenheit bei dieser Debatte angemessen gefunden . ({0}) Bereits in unserer Debatte zum vorhergehenden elften Menschenrechtsbericht sind zwei wichtige Themen angeklungen, die uns auch heute noch beschäftigen . Lassen Sie mich mit dem zivilgesellschaftlichen Engagement beginnen, das in vielen Ländern zunehmend eingeschränkt wird . Ich freue mich, dass die Bundesregierung der Aufforderung des Bundestages nachgekommen ist, den „Shrinking Space“ als Schwerpunktthema in ihrem aktuellen Bericht zu behandeln . Denn selbst wenn zu den Einschränkungen für NGOs, bei der Meinungs- und Pressefreiheit oder bei der Rechtsstaatlichkeit auch an dieser Stelle bereits viel gesagt wurde, sind die Probleme weiterhin aktuell und so gravierend, dass sie in letzter Konsequenz Demokratie und Menschenrechte weltweit gefährden . Deshalb ist es ebenso begrüßenswert, dass die Bundesregierung die Schaffung und Erhaltung von zivilgesellschaftlichen Handlungsspielräumen sowie die Unterstützung der Arbeit von Menschenrechtsverteidigern in ihren Aktionsplan für den laufenden Berichtszeitraum aufgenommen hat . ({1}) Wir regen darüber hinaus in unserem Entschließungsantrag an, dass die Bundesregierung auch im kommenden 13 . Bericht umfassend auf diese Entwicklungen eingeht . Das zweite wichtige Thema der vergangenen Jahre waren die Flucht- und Migrationsbewegungen nach Europa und Deutschland . Vom zuständigen Bundesamt über die Kommunen bis hin zu den vielen freiwilligen Helfern hat Deutschland mit einem Kraftakt eine große Anzahl Schutzbedürftiger aufgenommen . Mit der Klarstellung, dass wir nur die tatsächlich Verfolgten aufnehmen können, haben wir dafür gesorgt, dass die Zahl der Ankommenden deutlich gesunken ist . Das war wichtig, um einerseits eine Überforderung unserer Bevölkerung zu vermeiden und andererseits den wirklich Schutzbedürftigen eine menschenwürdige Aufnahme gewähren zu können . Welche Konsequenzen ziehen wir aus diesen Ereignissen? Drei Erkenntnisse sind aus meiner Sicht besonders wichtig: Erstens gilt es weiterhin, gegen die Ursachen von Flucht und Vertreibung weltweit anzugehen . Unsere diesbezüglichen Möglichkeiten sind insgesamt gesehen natürlich begrenzt . Die gute Arbeit von Bundesentwicklungsminister Dr . Müller zeigt jedoch auf beeindruckende Art und Weise, dass man mit Beharrlichkeit doch einiges erreichen kann . ({2}) Zweitens müssen wir diejenigen konsequent zurückführen, die nicht verfolgt werden und die deswegen keine Bleibeperspektive in Deutschland haben . Das gebietet uns nicht nur unsere Gesetzeslage . Es ist auch im Hinblick auf die Akzeptanz in der Bevölkerung, auf die wir angewiesen sind und auf die die Flüchtlinge angewiesen sind, unerlässlich . ({3}) Die dritte Erkenntnis ist, dass wir grundsätzlicher über die künftige Ausgestaltung des Asylsystems nachdenken müssen . Unser Asylrecht und auch die Genfer Flüchtlingskonvention wurden unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs geschaffen. Sie sind unbestritten Teil unseres humanitären Selbstverständnisses . Gleichzeitig müssen wir uns aber eingestehen, dass sie nicht für die Ausmaße der heute stattfindenden dauerhaften Fluchtund Migrationsbewegungen weltweit geschaffen wurden . Wenn wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland und übrigens auch den innergemeinschaftlichen Zusammenhalt in der Europäischen Union nicht gefährden wollen, muss es hier spätestens mittelfristig zu spürbaren Anpassungen kommen . Es ist begrüßenswert, dass die Bundesregierung in ihrem Bericht auf das Thema Religionsfreiheit eingeht . So werden beispielsweise die gravierenden Probleme in Pakistan genannt . Dort ist der bekannte Fall der Christin Asia Bibi nur die Spitze eines viel größeren Eisbergs . Erst vor kurzem ereignete sich erneut ein tragischer Anschlag auf koptische Christen in Ägypten . Der Bericht thematisiert solche Menschenrechtsverletzungen zwar, aber nur punktuell und weder erschöpfend noch analyDr. Karamba Diaby sierend . Dabei wäre eine vertiefte Untersuchung dieses Themas notwendig . Bemerkenswert ist, dass die Bundesregierung in dieser Sache von den Grünen, Herr Kollege Koenigs, mit dem Argument in Schutz genommen wird, es liege bereits ein separater Bericht zur Religionsfreiheit vor . Allerdings übersehen Sie dabei, lieber Kollege Koenigs, dass sich die Bundesregierung bei der Erstellung des Religionsfreiheitsberichts auf einen typologischen Ansatz beschränkt und sich damit gegen die Variante, einzelne Länder auf die Wahrung der Religionsfreiheit zu untersuchen, festgelegt hat . Stattdessen beschrieb sie abstrakt die beobachteten verschiedenen Arten von Menschenrechtsverletzungen . Begründet wurde diese Vorgehensweise damals mit Verweis auf andere Berichte; man wolle Doppelungen vermeiden . Wenn man nun dieser Argumentation folgt, dann kommt man zu dem Schluss, dass der vorliegende Menschenrechtsbericht im Länderteil die ansonsten völlig unberücksichtigten, nicht genannten Fakten dringend eingehender und umfassender behandeln müsste . Darum bitte ich im nächsten Bericht . ({4}) Wenn man wie wir heute über das Thema Menschenrechte in Deutschland spricht, gehört auch das Deutsche Institut für Menschenrechte mit seiner unbestritten wichtigen Arbeit dazu . Im Berichtszeitraum haben wir die in den Pariser Prinzipien geforderten gesetzlichen Grundlagen für das Institut geschaffen. Durch das Gesetz wird sichergestellt, dass das Institut weiterhin unabhängig arbeiten kann . Außerdem wurde damit die Grundlage dafür geschaffen, dass sich das Institut breiter aufstellt und in seiner Mitgliederschaft die gesamte Bandbreite unserer Gesellschaft gespiegelt wird . Dieses Pluralismusgebot wird von den Vereinten Nationen in den Pariser Prinzipien gefordert, welche die wichtigsten Grundregeln für alle Menschenrechtsinstitute weltweit festlegen . Herr Kollege Koenigs, die Vereinten Nationen haben dergleichen nicht aus einer Laune heraus gefordert . Vielmehr gibt es viele gute Gründe dafür . Genauso wie man selbstverständlich die Bundesregierung bei ihrer wichtigen Menschenrechtsarbeit kritisch - möglichst konstruktiv - begleiten muss, sollte man Verbesserungsbedarf beim Institut nicht einfach ignorieren, sondern sollte ihn klar ansprechen dürfen . Sie, Herr Koenigs, nennen das „heruntersauen“ und wollen aus dem Bundestag ein Akklamationsorgan machen . So verstehe ich unseren parlamentarischen Auftrag nicht . Deutschland gehört zur freien Welt . Wir leben in einer sehr vielschichtigen, bunten Gesellschaft . Genau dies spiegelt sich etwa hier im Parlament wider, wenn ich in die Reihen des Hohen Hauses blicke . Genau eine solche pluralistische Gesellschaft ist Grundlage einer aktiven Demokratie . Über unsere Menschenrechtsarbeit darf ich sagen lieber Kollege Frank Schwabe, Sie haben darauf zu Recht hingewiesen -: Trotz verschiedener Sichtweisen haben wir alle doch das gleiche Ziel . Wir wollen die Menschenrechte in Deutschland und in der Welt wahren und fördern, so gut und so weit das in unserer Macht steht . Gleichzeitig ist es legitim - das zeichnet unsere Demokratie aus -, dass wir auf dem Weg dorthin auch einmal unterschiedliche Prioritäten setzen . Dieser Aspekt fehlte bisher im Deutschen Institut für Menschenrechte . Deswegen war es wichtig, die rechtlichen Grundlagen des Instituts zu verändern, und deswegen bleibt es wichtig, dass unser Institut diesem gesetzlichen Auftrag nun nach und nach Rechnung trägt . Im Teil C des Berichts wird unter der Überschrift „Mens chenrechte weltweit“ die Entwicklung der Menschenrechtslage in 78 ausgewählten Staaten und Gebieten im Berichtszeitraum dargestellt und in einen Kontext zur deutschen und europäischen Menschenrechtspolitik gestellt. Die traurige Entwicklung in der Türkei findet dort die notwendige Thematisierung. Das finde ich gut und wichtig, gerade weil unser Institut bisher den Fokus eher auf die Menschenrechtslage in Deutschland richtet . Eine derartige Perspektivenerweiterung ist wichtig . Besorgniserregend finde ich in diesem Zusammenhang die Entwicklung der Menschenrechtslage in Tschetschenien, meine Damen und Herren, einem zur Russischen Föderation gehörenden Land, in welchem laut Human Rights Watch und anderen Menschenrechtsorganisationen systematisch Verhaftungen und Tötungen von Menschen alleine wegen ihrer vermuteten sexuellen Orientierung erfolgen . Ich bin der Bundeskanzlerin sehr dankbar, dass sie diese Entwicklung in Sotschi bei ihrem Gespräch mit dem russischen Präsidenten Putin, in dessen Verantwortungsbereich das alles passiert, deutlich angesprochen hat . Sie hat Putin aufgefordert, sich für den Schutz der Menschenrechte in seinem Land einzusetzen und auch Minderheitenrechten Geltung zu verschaffen. ({5}) Ich fände es begrüßenswert, wenn der nächste Menschenrechtsbericht der Bundesregierung im internationalen Teil auch diese Situation näher beleuchten und Fortschritte berichten könnte . Sie sehen: Es gibt leider weiter viel auf dem Gebiet zu tun . Packen wir es gemeinsam mit einer konstruktiven Herangehensweise an . Danke . ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Frank Heinrich von der CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Frank Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004054, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2015 sind laut der Organisation IOM 3 771 Kinder, Frauen und Männer auf der Flucht nach Europa im Mittelmeer gestorben . Ich erinnere mich, wie schwer mir ums Herz war - das teile ich wahrscheinlich mit dem einen oder anderen -, als wir am Anfang gewissermaßen nur ohnmächtig vor dieser Situation standen . Wie erklärt man irgendwann einmal seinen Kindern oder Enkeln, dass sie jetzt in den Urlaub an einen Ort fahren, der zu einem Massengrab geworden ist - und wir vielleicht nicht genug unternommen haben? In meiner Fraktion haben wir damals angefangen, zu diskutieren . Fluchtursachen, Flüchtlinge, Flüchtlingspolitik: Was wollen wir tun? Dies haben wir zum ersten Mal über die Disziplinen hinweg getan . Die Aufnahme von Hunderttausenden Asylsuchenden hat unser Land finanziell, personell und organisatorisch ziemlich herausgefordert . Aber unser Staat hat bewiesen - der Bericht belegt das auf einigen Seiten im Mittelteil, und das Deutsche Institut für Menschenrechte hat uns das letzte Woche in der Anhörung noch einmal deutlich bestätigt -, dass Deutschland seiner Verantwortung entsprechend gut reagiert hat, wenn auch nicht an allen Stellen richtig, und wir diesem Anspruch gerecht werden . Das waren mutige Entscheidungen, die unser Land, die unsere Kanzlerin getroffen hat; darauf bin ich ziemlich stolz. Inzwischen geht es aber nicht mehr nur um Deutschland, sondern auch um ein gemeinsames europäisches Asylsystem . Die Herausforderungen können nur gemeinsam angegangen werden, zumindest für uns als Europäer . Das einzig mögliche erfolgreiche Handeln kann nur das gemeinsame sein . Wir erleben eine Polarisierung der Gesellschaften - einer meiner Kollegen hat das eben gesagt -, die die Migrationsströme noch verschärft . Die Wahlen in den USA und in Frankreich scheinen eine Spaltung unserer Völker im Inneren aufzuzeigen: Es gibt die Weltliberalen auf der einen Seite und die sogenannten Patrioten auf der anderen Seite . Die Anführer der Letztgenannten stellen uns vor Gefahren, die uns gut in Erinnerung sind: Fremdenfeindlichkeit, Populismus, Isolationismus . Das ist das Klima Stichwort „Shrinking Space“ -, in dem die Menschenrechte unter Druck geraten und in dem sie sich behaupten müssen, wie das Kollegen bereits dargestellt haben . Wenn der US-Präsident in diesem Klima bereit ist ich habe die Wahl in den USA gerade schon angesprochen -, illegale Einwanderer von ihren Kindern zu trennen, wenn er, wie wir seit Beginn der Debatte wissen, den Klimaschutzkonsens kündigen wird - ich musste deshalb mein Skript ändern -, was unabsehbare Folgen wie ausgetrocknete Böden, mangelnde Ernährung und fehlende Wasserversorgung nach sich zieht, wenn er während des Wahlkampfes Frauen beleidigt - und wir könnten noch mehr Punkte aufzählen -, dann sind das Signale, auf die sich andere Länder gerne berufen . Wir dürfen mit Blick auf die schon existierenden und auch auf die bereits angekündigten Menschenrechtsverletzungen nicht schweigen . Dieses Jahr ist jeder 50 . Flüchtling auf seinem Weg über das Mittelmeer ertrunken . Fast all diese Menschen flüchteten aus Nigeria, Eritrea und anderen afrikanischen Ländern, weil sie dort keine Zukunft sahen . Ich möchte meine Schwerpunkte auf vier Themen legen . Das erste Thema ist die humanitäre Hilfe . Wir haben unseren Ausschuss bewusst Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe genannt . Das Ziel Nummer eins in der Agenda 2030 ist keine Armut . Das zweite Thema ist Shrinking Space . Das dritte Thema möchte ich am Beispiel von Afrika behandeln, einem Kontinent, der unser Nachbarkontinent ist . Wir müssen - das haben Sie, Herr Koenigs, angesprochen - Kohärenz fordern . Da sehe ich tatsächlich noch Nachholbedarf . Als letztes Thema nenne ich die Verantwortung . Das betrifft Kapitel D in dem Bericht der Bundesregierung, die ich dazu beglückwünsche . Dieses Kapitel behandelt die Zukunft . Wir sollten, wenn wir Afrika betrachten, nicht immer nur Elend und Krieg wahrnehmen . Wir sollten auch das Positive in Afrika sehen . ({0}) Die Afrikanische Union hat 54 Mitgliedsländer . Dort gibt es inzwischen sehr viele kreative und gebildete Jugendliche . Wir haben in vielen Staaten einen Boom . Die digitale Revolution findet dort schneller statt als hier; wir hinken mittlerweile hinterher . Netzunabhängige Solarenergiesysteme in kleinstem Maßstab werden dort entwickelt . Es sind afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme . Ich nehme Afrika immer weniger als kleine Schwester wahr, die wir zu betreuen haben, sondern als großen Bruder, der uns etwas zu bieten hat . Wir müssen uns auf Augenhöhe begegnen . Afrika ist unser Nachbarkontinent . Wir brauchen nachhaltige Beziehungen, die unsere Kontinente stärken . Aber natürlich gibt es eine Diskrepanz . Letzten Monat hat Herr Adesina, der Präsident der Afrikanischen Entwicklungsbank, einigen von uns Folgendes erzählt: Da ist ein junger Mann in Mali, der einen Job sucht und auch eine gute Ausbildung hat . Er will seinen Lebensunterhalt bestreiten, ist motiviert, optimistisch und bereit, viel zu arbeiten . Aber er wird nicht angestellt, weil ein Hindernis im Weg steht: Er hat noch keine Erfahrung . Zum wiederholten Male bekommt er eine Ablehnung . Dann erfährt jemand, dass er Arbeit sucht, und sagt ihm: Ich hätte da etwas . - Der junge Mann freut sich sehr und ist dankbar - bis er hört, welche Arbeit der Mann ihm anbietet . Der Mann sagt: Sie können Terrorist werden . - Auch das ist ein Grund für Menschen, aus ihren Heimatländern zu flüchten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Regierung macht - das haben schon einige Kollegen gesagt - sehr viel richtig . Ich nenne als Beispiel den Marshallplan nicht für, sondern mit Afrika . Es geht in den afrikanischen Ländern darum, eine höhere Wertschöpfung zu erreichen, durch Ausbildung mehr Beschäftigung zu generieren und Wachstum zu erzielen . Es geht nicht nur darum, Entwicklungshilfe im engeren Sinne zu leisten . Wenn aber Entwicklungshilfe geleistet wird, sollte diese an die Einhaltung der Menschenrechte gekoppelt werden . Dieses Jahr wird ein Afrika-Jahr werden . Der G-20-Gipfel in Hamburg wird Afrika eine Priorität einräumen. Im November findet der EU-Afrika-Gipfel in Abidjan statt . Das BMWi und das Finanzministerium haben Aktivitäten im Afrika-Jahr entfaltet . Diese Aktivitäten müssen unbedingt fortgeführt werden; denn wir müssen den Shrinking Space verringern . Frank Heinrich ({1}) Weiterhin wichtig ist der Gedanke der Kohärenz, die unbedingt erforderlich ist und in den Leitlinien schon formuliert ist . Die Kohärenz müssen wir noch umsetzen . Es geht beispielsweise um die Kohärenz in der Entwicklungs-, Sicherheits- und Handelspolitik . Ich weiß, dass Sie von den Linken darüber nicht so froh sind . Aber diese Politikfelder müssen stärker miteinander vernetzt werden . Zu diesen Bemühungen kann ich ermutigen . Aber zur Kohärenz gehört auch, dass es kohärent handelnde Konsumenten in unserem Land gibt . Wir dürfen nicht immer nur den billigsten Kaffee, die billigste Cola und die billigste Schokolade kaufen, sodass der Bauer in der Elfenbeinküste für die Rohstoffe, die er verkauft, kaum einen Erlös erzielt und er seine Kinder in die Sklaverei verkaufen muss . Es geht nicht, dass wir die Fischgründe vor Westafrika leerfischen und gleichzeitig den Menschen vorwerfen, dass sie nach Europa kommen wollen . ({2}) Es geht nicht, dass wir Coltan, das für die Produktion von Handys gebraucht wird, aus dem Ost-Kongo nutzen und damit die Kriegsökonomie nähren und das Blutbad verschlimmern . Wir sollten den Handel mit solchen Rohstoffen in Verhandlungen zum Thema machen. Wir sind mit dem Nationalen Aktionsplan vielleicht noch nicht so weit, wie Sie, Herr Kollege, es gerne hätten, aber die ersten Schritte sind gemacht . Ich komme zu meinem letzten Punkt . In dem Ausblick zu dem Bericht steht sehr deutlich, dass wir nicht einfach sagen können, was in Afrika passieren muss . Das ist auch die Haltung des Entwicklungsausschusses . Wir müssen mit den Menschen vor Ort zusammenarbeiten . Die politischen Eliten müssen Verantwortung übernehmen . Da braucht es schmerzhafte Prozesse . Die afrikanischen Probleme müssen auf afrikanische Weise gelöst werden . Da braucht es noch eine ganze Menge an Arbeit . Das können wir auch nur unterstützen . Deshalb möchte ich mit zwei Zitaten von Nelson Mandela, einem meiner Heroes aus Afrika, zum Ende kommen: Wenn man einen hohen Berg bestiegen hat, stellt man fest, dass es noch viele andere Berge gibt . In dem Wissen um die viele Arbeit, die vor uns liegt der nächste Bericht wird kommen -, müssen wir das Schicksal jedes Einzelnen vor Augen haben . Dazu sagte Mandela: Einem Menschen seine Menschenrechte verweigern bedeutet, ihn in seiner Menschlichkeit zu missachten . Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit . ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Zwölften Bericht der Bundesre- gierung über ihre Menschenrechtspolitik . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 18/12467, in Kenntnis der Unterrichtung auf Druck- sache 18/10800 eine Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfeh- lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen . Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa- che 18/12553 . Wer stimmt für den Entschließungsan- trag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/ CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt . Zusatzpunkt 1 . Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/12544 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Zusatzpunkt 2 . Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Ausschusses für Menschenrechte und hu- manitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen mit dem Titel „Zivilgesellschaftliches En- gagement braucht Raum - Anti-NGO-Gesetze stoppen, Menschenrechtsverteidiger stärken“ . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 18/10625, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 18/7908 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfeh- lung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 f sowie den Zusatzpunkt 3 auf: 6 . a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr . Frithjof Schmidt, Uwe Kekeritz, Claudia Roth ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN G20-Afrikagipfel - Gleichberechtigte Part- nerschaft für nachhaltige Entwicklung Drucksache 18/12543 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Dr . Gerhard Schick, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Staaten vor illegitimen Rückzahlungsansprüchen sogenannter Geierfonds wirksam schützen Drucksachen 18/10639, 18/12343 Frank Heinrich ({2}) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Kai Gehring, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Marktversagen beenden, Innovationen för- dern - Globaler Forschungsfonds für bessere Gesundheit weltweit Drucksache 18/12383 d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Katja Kipping, Dr . Gesine Lötzsch, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE Rechenschaftspflicht und entwicklungspoliti- sches Mandat der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft DEG stärken Drucksachen 18/8657, 18/10612 e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Niema Movassat, Inge Höger, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE Menschenrechtsverletzungen von Unterneh- men verbindlich sanktionieren - UN-Trea- ty-Prozess unterstützen Drucksachen 18/12366, 18/12567 f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Globalabkommen mit Mexiko aussetzen Drucksache 18/12548 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Wirtschaft und Energie Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Federführung offen ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Claudia Roth ({5}), Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „UN Binding Treaty“ ambitioniert unterstützen Drucksache 18/12545 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr . Frithjof Schmidt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Dr. Frithjof Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004145, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die meisten von uns, die sich in der Außen- oder Entwicklungspolitik engagieren, teilen eine Erfahrung: Wir haben seit vielen Jahren immer und immer wieder auf die große Bedeutung der Entwicklung in Afrika hingewiesen und mehr entwicklungspolitisches Engagement der internationalen Gemeinschaft gefordert . Das Ergebnis kennen Sie alle: im positiven Fall schulterklopfende Zustimmung, im negativen Fall mitleidiges Lächeln über den Gutmenschen . Aber passiert ist in jedem Fall lange fast nichts . Deswegen ist es notwendig und richtig - wir begrüßen das ausdrücklich -, wenn die Partnerschaft mit Afrika ein Schwerpunkt der deutschen G-20-Präsidentschaft ist . Die Idee von einem großen internationalen Plan, einem Marshallplan für Afrika, wie zum Beispiel Minister Müller sagt, hört sich erst einmal gut an . ({0}) - Mit Afrika, ja . Viele Länder Afrikas haben in den letzten 20 Jahren positive wirtschaftliche und soziale Entwicklungen erreicht, aber Megatrends wie der demografische Wandel und die Urbanisierung stellen zugleich enorme Herausforderungen dar . Der Kontinent ist in extremem Maße von der Klimakrise betroffen, die insbesondere in der Sahelzone als Brandbeschleuniger für die gesellschaftlichen Konflikte in den ärmsten und fragilen Staaten wirkt. Auch die wachsenden Migrations- und Fluchtbewegungen zeigen all das deutlich an . Gerade jetzt, wo die G 7 in Taormina bei der Umsetzung der lange versprochenen Hilfsmaßnahmen für die Hungerregionen so kläglich versagt haben, sind neue Initiativen dringend geboten . ({1}) Dabei muss eines klar sein: Auf die fragilen Regionen und Staaten müssen sich die internationalen Anstrengungen zur Unterstützung und Zusammenarbeit besonders konzentrieren . Die OECD fordert dies ganz klar . Leider vertritt die Bundesregierung diese Schwerpunktsetzung in ihren bisherigen Vorschlägen gerade nicht . Die Bundesministerien produzieren verschiedenste Konzepte, die bei näherer Betrachtung aber öffentlich unterfinanziert sind. Ein Marshallplan ohne ausreichend öffentliches Geld - das klingt schon nicht mehr so wirkungsvoll . Die Förderung und Hebelung privater Investitionen werden quasi als Allzweckwaffe der Finanzierung präsentiert, und die Konzentration auf einige Länder mittleren Einkommens wird propagiert . ({2}) Private Investitionen gehen natürlich eher dahin, wo stabile Marktbedingungen eine sichere Rendite verspreVizepräsidentin Petra Pau chen, und das ist nun mal gerade nicht in den ärmsten und fragilen Staaten der Fall . ({3}) Wer faktisch den Marktmechanismen die Entscheidung über die Schwerpunkte der Entwicklungszusammenarbeit überlässt, der macht einen großen Fehler . ({4}) Die sogenannte „Compact with Africa“-Initiative, die Herr Schäuble für die G 20 propagiert, hat den gleichen Konstruktionsfehler . Die ordnungspolitische Leitfunktion öffentlicher Entwicklungshilfe - die Orientierung an den Standards der Agenda 2030, des Pariser Klimaabkommens, der Kernarbeitsnormen der ILO, der Menschenrechtsabkommen und die Orientierung an der Förderung der Demokratie - tritt in den Hintergrund, und das ist schlecht . ({5}) Stattdessen werden fantastische Erwartungen an die finanztechnische Hebelung privater Investitionen ins Zentrum gerückt und wird über die Privatisierung öffentlicher Infrastruktur in Afrika geredet . Der External Investment Plan der Europäischen Union umfasst 3,5 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern. Über finanztechnische Operationen wie Kreditausfallbürgschaften und Ähnliches soll das angeblich auf 44 Milliarden Euro wachsen . Das sind Voodoo-Economics . ({6}) All das wirkt so, als hätte die Bundesregierung aus dem Desaster der Verhandlungen über die EU-Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Afrika in den letzten Jahren nichts gelernt . Meine Damen und Herren von der Koalition, Initiative ist nötig . Aber sorgen Sie dafür, dass mindestens die Hälfte der Mittel der Entwicklungszusammenarbeit in den ärmsten und fragilen Staaten eingesetzt wird, ({7}) sorgen Sie für gute entwicklungspolitische Konditionen, wenn Sie private Investitionen subventionieren, und setzen Sie sich für wirkungsvolle Maßnahmen gegen die Steuerflucht von multinationalen Unternehmen aus afrikanischen Ländern ein! Das Volumen übersteigt nämlich nach vielen Expertisen die Höhe der Entwicklungsgelder inzwischen deutlich . Das gehört deshalb ganz oben auf die Agenda der G 20 - ebenso übrigens wie die Einlösung der akuten Hilfszusagen der G 7, die sie in Taormina nicht zustande bekommen haben . Vielen Dank . ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Charles M . Huber für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Charles M. Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Meine Mandatszeit geht zu Ende . Wenn ich alles das Revue passieren lasse, was in der Entwicklungspolitik geschehen ist, muss ich sagen: Es ist sehr viel geschehen . Ich bin sehr zufrieden, dass sich der Blick auf Afrika vonseiten der deutschen Politik geändert hat und dass es die Initiativen für Afrika - Compact with Africa, Marshallplan mit Afrika - gibt . Auch wenn es da manchmal einen kleinen Versprecher gegeben hat, so drückt das nicht aus, denke ich, dass wir den Afrikanern ein Konzept aufdrängen wollen . Ich glaube, das alles geschieht auf der Ebene eines Angebots . Es hat sich viel getan . Vor allen Dingen möchte ich hier ausdrücklich betonen, dass wir es der Kanzlerin zu verdanken haben, dass durch ihr Engagement auch im Rahmen des G-7- und G-20-Gipfels - unabhängig davon, wie der G-7-Gipfel ausgegangen ist - der afrikanische Kontinent weltweit diese globale Bedeutung erlangt hat, wie dies im Moment der Fall ist . ({0}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es drängt im Moment jeder nach Afrika, zumindest finden viele Konferenzen über dieses Thema statt. Auch Herr Macron, kaum im Amt, redet über eine neue Partnerschaft mit Afrika . Das zeigt, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie wichtig Afrika auch für uns sein wird . Wir haben die Thematik der Flüchtlingskrise, die Thematik der Landflucht und der Armutsflucht aus Afrika in dramatischen Bildern vom Mittelmeer miterlebt . Afrika braucht 18 Millionen Arbeitsplätze pro Jahr . Im Moment sind wir bei 3 Millionen . Ihre Rede, lieber Kollege, und die Anträge der Grünen sind ein Rückschritt in die klassische Entwicklungspolitik, die wir nicht brauchen . Ich möchte Ihnen sagen: Als ich meine Arbeit als Parlamentarier begann, war eines meiner ersten Treffen mit afrikanischen Botschaftern in der ägyptischen Botschaft . Sie kamen auf mich zu und sagten: Herr Huber, Sie verstehen uns, Sie haben einen afrikanischen Hintergrund . Helfen Sie uns doch, dass nach Afrika nicht nur Mittel der Entwicklungszusammenarbeit fließen. Wir wissen, Ihr Land meint es gut und ist einer unserer größten Geber . Aber wo sind denn Ihre Investoren? ({1}) Ich bin zufrieden, dass wir über die Milchpulver- und Tomatenproblematik in unserer entwicklungspolitischen Diskussion hinausgekommen sind und dass wir konkret über Wirtschaftsentwicklung diskutieren und nicht nur über Handelspolitik, was aus Ihrer Sicht ja verfehlt ist . Dazu möchte ich eines sagen, um an das Beispiel Milchpulver anzuschließen: Es muss Finanzierungsmittel als eine Grundvoraussetzung dafür geben, dass ArbeitsplätDr. Frithjof Schmidt ze in Afrika - wir reden von 54 Ländern - geschaffen werden können . Wenn Sie beklagen, dass in diesen Ländern keine Finanzierungsmittel vorhanden sind, weil nur in die Länder investiert würde, die bereits ein Wirtschaftswachstum haben, dann frage ich: Wie viele Mittel brauchen Sie denn für alle 54 Länder? Das sollte nicht unsere Strategie sein . Sie haben in Ihrer Rede kein einziges Mal über die Dynamik der Regionalisierung gesprochen - ein wichtiges Thema . Sie haben in Ihrem Antrag über die Finanzmärkte geschrieben und haben versucht, am Beispiel von Argentinien eine populistische Dynamik in Bezug auf Geierfonds zu erzeugen . Allein der Name „Geierfonds“ soll schon eine Gier ausdrücken, und dieses Label wollen Sie jedem deutschen Unternehmer, der mit einem ehrlichen Ansinnen nach Afrika gehen will und Expertise nach Afrika bringen will, als Stempel auf den Kopf drücken . ({2}) Wenn Sie ein Wirtschaftsexperte sind und über das Anleihegeschäft so genau Bescheid wissen, dann wissen Sie auch, wie das Anleihegeschäft, dieser Deal der Argentinier mit den Geierfonds, abgelaufen ist . Eine argentinische Regierung hat - Ihr Vergleich mit der Volkswirtschaft afrikanischer Länder hinkt - eine Ökonomie gesteuert, die erfolgreich war und auf einer Ebene mit Deutschland stand . In Bezug auf die Steuerung einer Volkswirtschaft über Anleihen muss man feststellen, dass die Crux in Argentinien nicht der Geierfonds war . Ein Geier kommt da hin, wo er Aas riecht . Dieses Aas hat er gerochen, als die argentinische Wirtschaft auf einmal ideologisch gesteuert wurde - so wie Ihre Anträge ideologisch motiviert und populistisch sind, mit Fokus auf die ganze Peripherie der NGOs . ({3}) Ich muss sagen - es tut mir wahnsinnig leid -: Ein Notenbänker, ein Zentralbänker hätte, wenn er einen Vertrag nach internationalem Recht unterschreibt, wissen müssen, was passieren könnte . Die Geier haben dann zugeschlagen . ({4}) Meine Damen und Herren, wie sieht es aus, wenn es darum geht, afrikanische Talente zu finanzieren? Mein Kollege hat es vorhin angesprochen . Man muss den afrikanischen jungen Leuten in Nigeria, in Kenia nichts über Digitalisierung erzählen . Man muss einem nigerianischen oder einem kenianischen Bänker, die das Bankengeschäft in Afrika beherrschen, auch nichts über Anleihen erklären . Ich möchte etwas zum verwegenen Ansatz Ihres Antrages sagen . Sie haben gesagt, die Engländer seien besorgt gewesen und würden uns vormachen, wie man hier unter moralischen Gesichtspunkten die Finanzpolitik gegenüber der gesamtafrikanischen Region gestalte . Ich kann Ihnen sagen: Die Engländer haben mit Blick auf die anglofonen Afrikaner ganz andere Interessen . Sie revitalisieren das Commonwealth und schaffen praktisch ein Empire 2 .0 . Das heißt, die Engländer haben hier - deswegen nenne ich dieses Beispiel - eine eigene Strategie, nämlich eine Rohstoffstrategie. Wenn Sie es den Afrikanern nicht ermöglichen wollen, normale, entwickelte Volkswirtschaften wie die europäischen aufzubauen und zu gestalten und auch Alternativen bei der Finanzierung über die Kapitalmärkte in Anspruch zu nehmen, und zwar nicht unter dem Gesichtspunkt stabiler Fremdwährungen - es gab mal eine Initiative der Europäischen Union, bei der man die Kapitalmärkte aufbauen wollte und das Anliegen war, die Emission von Anleihen unter stabilen Nationalwährungen zu ermöglichen -, wenn Sie den afrikanischen Ländern nicht die Möglichkeit geben wollen, sich zu finanzieren und Kapital für kleinere oder größere Unternehmungen selbst zu akquirieren - alternativ zu Rohstoffverträgen mit den Engländern, die mit Anglo American und Australiern Bodenschätze abbauen und dann die Konditionen diktieren, sodass es keine Möglichkeit gibt, parallel andere Finanzierungen zu akquirieren -, dann verstehen Sie wenig von Finanzpolitik, und dann sollten Sie am besten überhaupt nicht darüber reden . ({5}) - Nee, nee, nee . Sie wollen zum UN Treaty reden; ({6}) darauf bezieht sich Ihr Antrag . Sie wollen alle möglichen Standards für Unternehmen einführen . Ein deutscher Unternehmer muss aber nicht nach Afrika . ({7}) Insofern muss man einen Anreiz setzen, damit ein deutscher Unternehmer nach Afrika geht . Sie wissen doch, dass die deutschen Exporte zu 60 Prozent in die EU und zu 40 Prozent in die Euro-Zone gehen . Das vermisse ich bei all Ihren Anträgen - deswegen werde ich diesen Anträgen nicht zustimmen -: Sie alle setzen keinen Anreiz für einen deutschen Unternehmer, sich von Deutschland, aus der EU oder von den Kernmärkten wegzubewegen . Ich hoffe, dass Sie dieselben verbindlichen Standards etwa für die Firma RUSAL von Herrn Abramowitsch vorsehen, die in Guinea tätig ist . ({8}) Sie unterstellen deutschen Unternehmen per se, dass sie die Menschenrechte nicht einhalten . Meine Damen und Herren, wenn ich in Afrika bin -

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege, das ist sicherlich interessant . Aber denken Sie an Ihre Redezeit?

Charles M. Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich denke an die Redezeit . Ich möchte noch sagen: Ich freue mich und Afrika freut sich - das ist mir in Gesprächen mit meinen afrikanischen Kollegen auf den vielen Dienstreisen klar geworden - auf die 1 200 deutschen kleinen und mittelständischen Unternehmen, die mit ihrem Know-how im Rahmen von Capacity Building nach Afrika kommen, um die Partnerschaft mit Afrika auf neue Füße zu stellen . Ich danke der Kanzlerin für ihre hervorragende Arbeit und für ihre hervorragende Unterstützung des afrikanischen Kontinents, auch hinsichtlich der Klimafrage . Herzlichen Dank . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Huber . - Einen schönen Nachmittag von mir, liebe Kolleginnen und Kollegen . Der nächste Redner: Niema Movassat für die Linke . ({0})

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In zwei Wochen findet hier in Berlin der G-20-Afrikagipfel statt. Bereits vor über 130 Jahren fand in Berlin eine bedeutsame Afrika-Konferenz statt, auf der der Kontinent von den europäischen Großmächten auf dem Reißbrett aufgeteilt wurde . Was hat das miteinander zu tun? Damals wie heute ging es nicht um eine eigenständige Entwicklung Afrikas . Damals wie heute wurde nicht im Interesse der Menschen in Afrika gehandelt . Ganz im Gegenteil: Diese G-20-Afrikakonferenz dient dazu, die Wirtschaftsinteressen reicher Staaten und ihrer Konzerne mithilfe afrikanischer Märkte abzusichern . Dabei wäre es endlich an der Zeit, aufzuhören, Afrikas Staaten und Menschen auszubeuten . ({0}) Aber die Ausbeutung soll weitergehen . Dafür spricht die neueste Afrika-Initiative, die Finanzminister Schäuble vorgelegt hat, der Compact with Africa . Dieses Afrika-Konzept, der Compact, enthält viele krude Ideen, viel neoliberale Ideologie, Herr Kollege Huber . Afrikanische Länder sollen die Märkte weiter öffnen, sie sollen ihre Sozialausgaben kürzen, die öffentliche Daseinsvorsorge, also Wasser, Telekommunikation und Energie, soll privatisiert werden, und man will auch auf PPPs, also auf öffentlich-private Partnerschaften setzen. ({1}) Private Schiedsgerichte sollen sicherstellen, dass Investoren ihre Interessen auch gegen politischen Widerstand nach einem Regierungswechsel durchsetzen können . Der Compact with Africa soll Konzernen neue Profitmöglichkeiten verschaffen. Menschenrechte wie der Zugang zu Wasser oder zu Gesundheitsversorgung bleiben dabei völlig auf der Strecke . Das ist die völlig falsche Politik, wenn man Armut bekämpfen will . ({2}) Schäubles Afrika-Initiative will privates Kapital auf den Kontinent locken, und alle politischen Aufgaben sollen diesem Ziel untergeordnet werden . ({3}) So soll die öffentliche Hand zum Beispiel vermehrt private Investitionen absichern . Gibt es Gewinne, sahnt also der Konzern ab, und gibt es Verluste, zahlt der Steuerzahler . Herr Schäuble hat wahrlich einen neoliberalen Giftcocktail vorgelegt: gut für die Konzerne in Europa, schlecht für die Menschen in Afrika . Das ist eine Schande . Ich mache drei Vorschläge, was Sie als Bundesregierung stattdessen tun sollten . Erstens . Ergreifen Sie endlich Maßnahmen gegen die Steuerflucht transnationaler Konzerne. Jedes Jahr verlieren die Länder des Südens circa 100 Milliarden US-Dollar, weil Unternehmen ihrer Steuerpflicht nicht nachkommen . ({4}) Das müssen wir stoppen, damit endlich genug Geld in Afrika bleibt, um in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur zu investieren . ({5}) Zweitens . Wir brauchen einen menschenrechtsbasierten Ansatz in der Entwicklungspolitik . Beim Compact with Africa spielt das überhaupt keine Rolle. Die effektive Durchsetzung des Rechts auf Nahrung, Gesundheit und Bildung muss aber die Grundlage der Entwicklungspolitik sein . Drittens . Wir benötigen verbindliche Regeln für das Handeln von Konzernen im Ausland . Herr Schäuble ist einer derjenigen, die das verhindern . Im Nationalen Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“ hat er jede Verbindlichkeit streichen lassen . Dank Herrn Schäuble dürfen deutsche Unternehmen im Ausland Menschenrechte und die Umwelt weiter mit Füßen treten . Werte Bundesregierung, noch haben Sie die Chance, sich zu korrigieren . Das hat mit einem Prozess auf Ebene der Vereinten Nationen zu tun . Seit 2014 beschäftigen sich die UN auf Initiative von Ecuador und Südafrika mit der Erstellung eines Menschenrechtsabkommens, um wirtschaftliche Aktivitäten zu regeln; das ist bekannt als UN-Treaty-Prozess . Das Ziel ist: Opfer von Menschenrechtsverletzungen sollen erstmals verbindlichen Schutz garantiert bekommen . Unternehmen, die Menschenrechte verletzen, sollen haftbar werden, und zwar nicht nur deutsche, Herr Huber, sondern das soll auch auf internationaler Ebene funktionieren . ({6}) Das ist eine wirklich gute Initiative; aber die Bundesregierung verweigert sich bisher . Zuerst hat sie gegen die Einrichtung der Arbeitsgruppe gestimmt, dann blieb sie der ersten Sitzung fern, und zur zweiten Sitzung hat sie eine Praktikantin geschickt . Es ist echt ein Skandal, wie diese Bundesregierung mit dem Thema Menschenrechte umgeht . ({7}) Der UN-Treaty-Prozess ist eine historische Chance . Deshalb bitte ich Sie, werte Bundesregierung, diese Chance zu ergreifen, und ich bitte dieses Haus, unserem Antrag dazu heute zuzustimmen . Danke . ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Movassat . - Nächster Redner: Dr . Sascha Raabe für die Sozialdemokraten . ({0})

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Noch immer leben fast 1 Milliarde Menschen in Hunger und extremer Armut, 70 Prozent davon im ländlichen Raum . Der G-20-Gipfel will Fluchtursachen bekämpfen und das durch private Investitionen im Rahmen einer Partnerschaft mit Afrika erreichen . Was bringt das den Menschen im ländlichen Raum? 2,5 Milliarden Kleinbauern gibt es auf der Welt . Sie nutzen seit Generationen Land; aber die wenigsten davon haben Landtitel . Das genau ist das Problem: Wenn private Investoren, wenn ausländische Investoren in diese Länder kommen und großflächig Land pachten - andere sagen: rauben -, vertreiben sie dadurch die Kleinbauern . Allein in den letzten fünf, sechs Jahren sind 10 Millionen Hektar Land von ausländischen Investoren geraubt worden . Ein Kleinbauer verfügt über etwa 1 bis 2 Hektar Land . Da die Geburtenraten nach wie vor sehr hoch sind, wird das Land immer knapper, wodurch die Probleme noch weiter verschärft werden . Es ist dokumentiert, dass 33 Millionen Menschen auf diese Weise ihr Land verloren haben . Nur in einem Drittel der Fälle wurde eine geringe Entschädigung gezahlt . Wir hatten heute den Präsidenten von Madagaskar ein Land, das ein langes Klagelied über Land Grabbing singen kann - im Ausschuss zu Besuch . Deswegen sage ich: Wenn auf dem G-20-Gipfel nur das Lied über mehr private Investitionen gespielt wird, dann bringt das nichts; denn so wird das Problem verschärft . Dadurch verlieren die Ärmsten der Armen ihr Land, und das müssen wir verhindern, meine sehr verehrten Damen und Herren . ({0}) Von der Welternährungsorganisation sind kluge Leitlinien zur verantwortungsvollen Landnutzung auf freiwilliger Basis beschlossen worden . Das Problem ist aber, dass diese Leitlinien nur freiwillig sind . Deswegen halten sich leider weder die internationalen Unternehmen noch die meisten Regierungen der Entwicklungsländer daran . Nur wenn wir wie bei den Konfliktmineralien verbindliche Leitlinien schaffen - wir haben durchgesetzt, dass Unternehmen und Regierungen gezwungen werden, sich daran zu halten, dass Kinder nicht als Sklaven in Minen arbeiten und keine Kindersoldaten finanziert werden und festlegen, dass nur unter dieser Voraussetzung Handel mit diesen Staaten betrieben werden darf, nur dann können wir Erfolg haben . ({1}) Damit komme ich zum zweiten Punkt, den die G 20 auf der Agenda haben . Sie wollen den freien Handel ausweiten, weil sie sagen: Dadurch wird Armut vermindert . - Nein, wir brauchen fairen statt freien Handel! ({2}) Aus Westafrika kommen insgesamt 90 Prozent unserer Kakaobohnen . Allein aus den Ländern Elfenbeinküste und Ghana kommen 75 Prozent . Über 2 Millionen Kinder arbeiten alleine in Ghana und der Elfenbeinküste auf den Kakaoplantagen . Wir dürfen nicht sagen: Es interessiert uns nicht die Bohne, wie die Arbeit auf den Kakaoplantagen aussieht . Ganz im Gegenteil: Wir müssen uns fragen: Wo kommen die Bohnen her? Wer pflückt diese Bohnen? Wer macht Gewinne mit diesen Bohnen? Nur wenn wir endlich erreichen, dass dort keine Kinderarbeit mehr stattfindet, dass die Kinder in die Schule gehen können, die Menschen menschenwürdig arbeiten können und genug Geld verdienen, bekämpfen wir auch die Fluchtursachen . Das muss auf die Agenda der G 20, meine Damen und Herren . ({3}) Lassen Sie mich an dieser Stelle auch Folgendes sagen: Ich bin enttäuscht von unserem Entwicklungsminister, Herr Staatssekretär Fuchtel . Ich habe ihn am 3 . November 2014 in einem Schreiben eindringlich davor gewarnt, das Freihandelsabkommen mit der Westafrikanischen Wirtschaftsunion zu unterzeichnen; denn zum Beispiel in Ghana und der Elfenbeinküste müssen Millionen Kinder schuften . Am 3 . Dezember 2014 hat der Minister es aber als verantwortliches Kabinettsmitglied unterzeichnet . Zum Glück können wir das im Bundestag noch stoppen . Ich sage Ihnen: Es ist schön, wenn der Herr Minister von fairem Handel redet, aber er muss auch endlich fair und gerecht handeln . ({4}) Nur wenn wir faire und gerechte Handelsbedingungen schaffen, können wir Fluchtursachen bekämpfen, können wir Armut und Hunger beseitigen . Die G-20-Staaten können die Rahmenbedingungen dafür setzen; sie sind mitverantwortlich für diese Zustände . Deshalb sage ich: Es ist Zeit für mehr Gerechtigkeit in Deutschland und in Afrika . Lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen . Vielen Dank . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Sascha Raabe . - Die letzte Rednerin in dieser Debatte: Gabriela Heinrich für die sozialdemokratische Fraktion . ({0})

Gabriela Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004296, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Nichts regt die Afrodeutschen in meinem Wahlkreis mehr auf, als wenn wir über Afrika reden, als wäre es eins . Afrika ist Vielfalt . Deswegen ist es auch so schwer, dieses eine Entwicklungskonzept für Afrika zu finden. Allerdings gibt es eine Grundbedingung, ohne die Entwicklung nicht vorankommen kann: Die verschiedenen Politikansätze und Maßnahmen müssen sich ergänzen und bei der Lösung von Problemen zusammenwirken . - Leider passiert oft das Gegenteil . Diese Politikkohärenz ist der entscheidende Faktor, wenn wir globale Gerechtigkeit voranbringen wollen bei der bilateralen wirtschaftlichen Zusammenarbeit, bei der Afrika-Politik der EU ebenso wie der G 20 . Gerade wenn private Unternehmen zum Wohle der Entwicklung von Partnerländern investieren sollen, dann ist es unabdingbar, dass dabei verbindlich soziale, ökologische und menschenrechtliche Standards eingehalten werden . ({0}) Zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen gehört das Ziel fünf: Gleichberechtigung der Geschlechter . Teil des Ziels ist der Zugang zu selbstbestimmter Familienplanung . Ich greife das deswegen heraus, weil Donald Trump die sogenannte Global Gag Rule wieder in Kraft gesetzt hat . Er will allen Organisationen die Entwicklungsgelder streichen, die mit dem Thema Abtreibung zu tun haben oder auch nur das Wort „Abtreibung“ erwähnen. Das betrifft nicht nur Krankenhäuser oder Gesundheitsdienste. Selbst die Beratung ist betroffen, zum Beispiel die Beratung für Frauen, die vergewaltigt worden sind, oder für schwangere Frauen, die sich mit dem Aidsvirus infiziert haben. Aus der Vergangenheit wissen wir, welche Auswirkungen das hat: Die selbstbestimmte Familienplanung wird insgesamt eingeschränkt, und die Abgabe von Verhütungsmitteln wird verweigert . Die Amerikaner sind hier nicht irgendwer. Sie finanzieren den Hauptteil der Hilfen im Bereich Familienplanung in Entwicklungsländern . Es passiert also genau das Gegenteil von dem, wozu sich die Weltgemeinschaft in den Nachhaltigkeitszielen verpflichtet hat. Gag Rule bedeutet: Man spricht nicht darüber . Ich meine: Doch, gerade über dieses Thema muss beim G-20-Afrikagipfel und beim nächsten Treffen der Staatsund Regierungschefs gesprochen werden . Selbstbestimmte Familienplanung ist ein Lackmustest dafür, wie ernst die führenden Industrieländer die Nachhaltigkeitsziele nehmen . Wenn wir es damit nicht so genau nehmen, was ist dann mit den anderen Nachhaltigkeitszielen? Frau Bundeskanzlerin, erinnern Sie Donald Trump an die Verpflichtungen der USA - natürlich beim Klimaschutz, aber eben auch bei der selbstbestimmten Familienplanung . Vielen Dank . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Gabriela Heinrich . - Damit schließe ich die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12543 mit dem Titel „G20-Afrikagipfel - Gleichberechtigte Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung“ . Wer stimmt für den Antrag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Antrag ist abgelehnt . Zugestimmt hat Bündnis 90/Die Grünen . Dagegen waren die CDU/ CSU und die SPD-Fraktion . Enthalten hat sich die Linke . Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 6 b . Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Staaten vor illegitimen Rückzahlungsansprüchen sogenannter Geierfonds wirksam schützen“ . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12343, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10639 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/ CSU und SPD . Dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen . Tagesordnungspunkt 6 c . Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12383 mit dem Titel „Marktversagen beenden, Innovationen fördern - Globaler Forschungsfonds für bessere Gesundheit weltweit“ . Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Dagegen waren CDU/CSU und die SPD-Fraktion . Tagesordnungspunkt 6 d . Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Rechenschaftspflicht und entwicklungspolitisches Mandat der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft DEG stärken“ . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10612, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8657 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und die SPD-Fraktion . Dagegen war die Linke . Enthalten haben sich die Grünen . Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen . Tagesordnungspunkt 6 e . Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Menschenrechtsverletzungen von Unternehmen verbindlich sanktionieren - UN-Treaty-Prozess unterstützen“ . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12567, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/12366 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine . Zugestimmt haben CDU/CSU- und SPD-Fraktion . Dagegen waren die Linke und Bündnis 90/Die Grünen . Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen . Tagesordnungspunkt 6 f . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/12548 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie liegen soll . Ich nehme an, Sie sind damit einverstanden . - Dann ist die Überweisung so beschlossen . Zusatzpunkt 3 . Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12545 mit dem Titel „,UN Binding Treaty‘ ambitioniert unterstützen“ . Wer stimmt für den Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist damit abgelehnt . Für den Antrag haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke gestimmt . Dagegen waren CDU/CSU und die SPD . Damit ist der Antrag abgelehnt . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Reichtum gerechter verteilen - Vermögensteuer als Millionärsteuer wieder erheben Drucksache 18/12549 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Dazu gibt es keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze einzunehmen, damit ich die Aussprache eröffnen kann. Das tue ich jetzt und gebe Klaus Ernst für die Linke das Wort . ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir alle wissen: Die Vermögensverteilung - nicht nur hier in der Bundesrepublik, sondern auch in der Welt - wird zu einem ökonomischen Problem - nicht nur zu einem moralischen, sondern auch zu einem ökonomischen Problem . Das stellen die Weltbank, der IWF und auch Thomas Piketty fest . Wir alle, die wir hier sitzen, stehen mit dieser Feststellung nicht alleine . Laut Oxfam besitzen acht Männer so viel wie der Rest der Menschheit, über 3,5 Milliarden Menschen . In der Bundesrepublik sieht die Situation so aus: Das reichste Tausendstel besitzt 17,3 Prozent des Nettovermögens . Die ärmere Hälfte hat gerade einmal 2,5 Prozent . Ein Drittel des Nettovermögens gehört dem reichsten 1 Prozent der Bevölkerung . Was wir auch wissen, ist: Diese Verteilungsrichtung geht weiter . Die Reichen werden reicher - weniger haben immer mehr -, und je weiter man in die normale Bevölkerung hineingeht, desto kleiner wird der Anteil der Bürger, die überhaupt noch etwas haben . Was haben Sie eigentlich in Ihrer Regierungszeit unternommen, das zu ändern? - Ich schaue jetzt auch die Sozialdemokraten an . Dieser Teil meiner Rede ist sehr kurz: Nichts! Ich kann keine einzige Initiative von Ihnen erkennen, diese Vermögensverteilung, die exorbitant von dem abweicht, was notwendig wäre, überhaupt anzugehen. Ihre Untätigkeit ist gesellschaftlicher Sprengstoff. Reichtum hat nämlich auch eine andere Seite: die Armut . Im Bericht zur Armutsentwicklung des Paritätischen Gesamtverbandes wird anschaulich gezeigt, dass die Armutsquote von 2005 bis 2015 um 6,8 Prozent gestiegen ist, bei Personen über 65 Jahren sogar um 32,7 Prozent . Das ist die andere Seite derselben Medaille: Reichtum auf der einen und Armut auf der anderen Seite . Sie machen seit Jahren eine Politik zum Schutz der Vermögenden . Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung stellt fest, dass die Einkommen- und die Unternehmensteuerreform die Reichen deutlich entlastet haben . Nur noch 2,5 Prozent des Gesamtsteueraufkommens kommen aus vermögensbezogenen Steuern . Nur noch 2,5 Prozent! Im Vergleich zum BIP waren es im Jahr 2010 nur 0,8 Prozent . 26 OECD-Länder liegen deutlich darüber . Teilweise holen sie sich mehr als das Doppelte von ihren Vermögenden wie wir . Zu diesen Ländern, meine Damen und Herren, gehören die USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich und Japan, um nur einige zu nennen . Ich fordere Sie wirklich auf: Beenden Sie diese Untätigkeit! Sie gefährdet die wirtschaftliche Stabilität des Landes . ({0}) Wir brauchen eine wirksame Vermögensteuer, um diese himmelschreiende Ungerechtigkeit und diesen ökonomischen Unfug zu beenden . ({1}) Konzepte für die verfassungsgemäße Ausgestaltung einer Vermögensteuer liegen längst vor . Wir schlagen eine 5-prozentige Vermögensteuer ab einem Vermögen von 1 Million Euro und ab 5 Millionen bei Unternehmen vor . Keinem Einzigen der Betroffenen tut das weh. Ein Beispiel: Eine Vermögensteuer von 5 Prozent auf das Vermögen der Superreichen - nur der Superreichen hätte von 2011 bis 2015 umgerechnet über 500 Milliarden Euro in die Staatskasse gebracht . Das ist allerdings Vizepräsidentin Claudia Roth deutlich weniger, als deren Zuwächse im selben Zeitraum gewesen sind . Das heißt, sie hätten trotz dieser Steuer noch immer deutlich mehr . Ich kenne Ihre Gegenargumente; Sie gucken ja schon so skeptisch . Sie sagen, das sei Neid . Der Sonnyboy von der FDP hat gesagt, das seien kleptokratische Züge des Staates . Welch ein Unfug! Die Einführung einer Vermögensteuer, meine Damen und Herren, gebietet die Moral, aber auch die ökonomische Vernunft . Ich schließe mit einem Satz der Journalistin Ulrike Herrmann . Sie schreibt über die Datenlage derer, die überhaupt Geld haben: Würde man eine Vermögenssteuer einführen, wäre sofort bekannt, wer die fehlenden Billionen besitzt . Genau deswegen wird die Vermögenssteuer mit aller Macht verhindert - und stets behauptet, dass sich „der Verwaltungsaufwand nicht lohnen“ würde . ({2}) Er würde sich lohnen, meine Damen und Herren . Wissen Sie was? Ich sage es Ihnen ganz einfach: Sie haben nicht den Mut . Sie haben die Hose voll, wenn es um die Reichen geht . Sie trauen sich nicht, an die heranzugehen . Das ist Ihr Problem . ({3}) Die einzige Partei, die das macht, ist die Linke . Deshalb freue ich mich, dass wir bald Bundestagswahl haben . Im Wahlkampf werden wir genau diese Themen aufgreifen . Danke für die Aufmerksamkeit . ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Klaus Ernst . - Das war das erste Mal, dass Sie Ihre Redezeit bei weitem nicht ausgeschöpft haben . Nächster Redner: Olav Gutting für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Jetzt muss ich schon husten . Herr Ernst, das muss am Staub auf dem Antrag, den Sie hier eingebracht haben, liegen . ({0}) Denn Sie haben ihn 2010 und 2012 schon einmal vorgelegt . Jetzt haben Sie die Vermögensteuer wiederbelebt und Ihren Antrag aus der Mottenkiste gezogen . Der einzige Unterschied ist: Heute wollen Sie nicht nur Privatvermögen ab 1 Million Euro, sondern auch noch die Betriebsvermögen ab 5 Millionen Euro mit einem Steuersatz von 5 Prozent jährlich besteuern . ({1}) Wir haben das in den letzten Wahlperioden abgelehnt, und wir werden das auch heute wieder tun . Das, was Sie hier vorschlagen, war falsch, es ist falsch, und es wird auch falsch bleiben . ({2}) Eine Vermögensteuer, also eine Substanzbesteuerung, führt zu Kapitalflucht. Vermögen, aber auch Produktionsstätten und Betriebe sind mobil . Das ist leider so . Sie können einfach ins Ausland verlagert werden . Mit einer Substanzbesteuerung provozieren Sie ja geradezu Standortverlagerungen . ({3}) - Dann wird es verkauft, und man kauft sich woanders eines; das ist doch ganz einfach . ({4}) Sie können dem Arbeitnehmer dann zwar erzählen, dass Sie eine tolle Vermögensteuer eingeführt haben, und Sie können ihm sagen: „Jetzt können wir endlich einmal den von uns definierten Reichen ans Portemonnaie gehen“, dass dabei sein Arbeitsplatz über die Wupper ging, müssen Sie ihm dann aber auch erklären . Eine Substanzbesteuerung zerstört Wachstum und kostet Arbeitsplätze . Wenn Sie den Familienunternehmen, die ja Gott sei Dank Ertragsteuern bezahlen, auch noch an die Substanz gehen, dann entziehen Sie den Unternehmen zusätzliche Liquidität, und am Ende bedrohen Sie damit ihre Existenz . ({5}) Sie begründen Ihren Antrag ja mit Mehreinnahmen für die öffentliche Hand. Sie haben vorhin eine Zahl in den Raum gestellt und von 500 Milliarden Euro gesprochen . Da bleibt einem tatsächlich die Spucke weg . Sie lassen aber den bürokratischen Aufwand außer Acht, den Sie betreiben müssten, um die Vermögensteuer überhaupt erheben zu können . Wir haben bereits in den 90er-Jahren die Vermögensteuer gehabt . ({6}) Damals betrugen die Erhebungskosten knapp ein Drittel des Aufkommens . Ich glaube, es gäbe keine teurere Steuer als die Vermögensteuer, wenn sie so ausgestaltet würde, wie Sie es beabsichtigen . Die Verwaltungskosten für die Unternehmen, die Bürger, aber gerade auch die Finanzverwaltungen wären enorm und stünden in keinem Verhältnis zu den von Ihnen versprochenen Mehreinnahmen . ({7}) Dank guter Rahmenbedingungen sind die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen gegenüber 2015 um insgesamt 28 Milliarden Euro gestiegen . Im letzten Jahr haben wir 648 Milliarden Euro an Steuern eingenommen . Das ist ein absolutes Rekordniveau . Hinzu kommt, dass die Einkommensschere seit Jahren nicht mehr auseinandergeht, sondern konstant bleibt . Das ist Ergebnis unserer Politik! Herr Ernst, da Sie gefragt haben: Das haben wir für die Bevölkerung gemacht . ({8}) Vernünftige wirtschaftliche und steuerliche Rahmenbedingungen fördern den Konsum und Investitionen, und das führt zu Steuermehreinnahmen . Steuerlich falsche Rahmenbedingungen, wie Sie sie hier vorschlagen, führen am Ende zu einer geringeren Steuer und zu einem geringeren Anspruch des Staates .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung vom Kollegen Ernst?

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich führe das jetzt zu Ende und weiß auch schon, was kommen wird . Sie verschweigen nämlich auch immer, dass wir 1997, als wir auf die Erhebung der Vermögensteuer verzichtet haben, andere Steuern erhöht haben, um den Verlust auszugleichen . Wir haben die Erbschaft-, die Schenkung- und die Grunderwerbsteuer erhöht, um den Verlust bei der Vermögensteuer wieder auszugleichen . ({0}) Die Steuersätze bei der Erbschaftsteuer - Sie haben vorhin Millionenvermögen genannt - betragen bis zu 50 Prozent, und Sie wissen selbst, dass eine verfassungsgemäße Vermögensbesteuerung die Neubewertung des gesamten Grundbesitzes in Deutschland mit sich bringen würde . Das wäre ein riesiger Aufwand für die Verwaltung . Sie müssten die Betriebsvermögen, die starken Schwankungen innerhalb der Jahre unterliegen, jedes Jahr mit individuellen Gutachten neu bewerten . Das wäre eine Mammutaufgabe für die öffentliche Verwaltung, und diese Mammutaufgabe stünde in keinem vernünftigen Verhältnis zu dem zu erwartenden Ertrag . Tun Sie bitte auch nicht so, als ob sich die von Ihnen benannten sogenannten Reichen nicht an der Finanzierung unseres Staates beteiligen würden . Aufgrund der Progression bei der Einkommensteuer tragen bereits heute die 10 Prozent, die die höchste Einkommensteuer zahlen, über 50 Prozent der gesamten Einkommensteuer . Die oberen 50 Prozent der Einkommensteuerzahler spülen 94 Prozent des Gesamtaufkommens der Einkommensteuer in die Kassen . Das ist Umverteilung, und sie funktioniert . Es bleibt also festzuhalten: Mit der Einführung der Vermögensteuer wären Steuergestaltung und Steuerflucht ins Ausland vorprogrammiert. Diese Art von Vermögensteuer würde die Volkswirtschaft schädigen . Sie wäre investitionsfeindlich, bürokratisch und teuer . Sie würde schon mittelfristig zu weniger Investitionen, zu mehr Arbeitslosigkeit und wegbrechenden Steuereinnahmen führen . Aus den eben genannten Gründen bleibt uns auch dieses Mal nichts anderes übrig, als Ihren wirklich staubigen Antrag zurückzuweisen . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Olav Gutting . - Das Wort zu einer Kurzintervention hat Klaus Ernst .

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin . - Herr Gutting, Sie haben mir vorgeworfen, Argumente aus der Mottenkiste zu verwenden . Die Argumente, die Sie vorgebracht haben, sind noch älter . Sie sprechen immer dann von einem bürokratischen Aufwand, wenn es um irgendeine Form von Gerechtigkeit geht . Wir kennen das vom Mindestlohn . Da ist es nicht möglich, aufzuschreiben, wie lange jemand gearbeitet hat . Jetzt gibt es im Zusammenhang mit der Vermögensteuer keine Lösung, weil man nicht aufschreiben kann, wie viel Vermögen jemand besitzt . Herr Gutting, in den USA ist das möglich . Übrigens gibt es dort sehr viele Reiche . Das einzige Land, in dem noch mehr Supervermögende als in der Bundesrepublik leben, sind die USA . In den USA werden aber Menschen mit Vermögen höher besteuert als hier . Das wird auch in Großbritannien so gemacht . Sie tun so, als ob nach der Einführung einer solchen Steuer alle auf gepackten Rucksätzen sitzen und vielleicht nach Deutschland kommen würden, weil wir weniger Steuern verlangen . Das ist aber nicht so . Ihre Argumente haben mit der Realität schlichtweg nichts zu tun . ({0}) Wenn Ihre Argumente zutreffen würden, dürfte es in diesen Ländern gar keine Reichen mehr geben . Sie müssten dann alle schon weg sein, sie sind aber noch da . Auch der bürokratische Aufwand scheint in anderen Ländern nicht so hoch zu sein, als dass ihn die Staaten nicht bewältigen könnten . Die Vermögensteuer wird auch in Frankreich und Italien erhoben . Die meisten Länder, mit denen wir in wirtschaftlichen Beziehungen stehen, stellen deutlich höhere Forderungen an ihre Reichen, als wir das tun . Noch etwas . Sie sind ja nicht aus Bayern, aber ich . Ich bin es übrigens gerne . Ich möchte einen Satz aus der bayerischen Verfassung zitieren, weil Sie auch die Erbschaftsteuer angesprochen haben; Herr Graf Lerchenfeld, wir wissen das . In der bayerischen Verfassung steht: Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern . Das war jetzt wörtlich . - Das heißt, das Ziel der Menschen, die die bayerische Verfassung geschrieben haben - sie waren damals sehr klug -, war, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen Einzelner zu verhindern . Deshalb führten sie eine Erbschaftsteuer ein . - Auch diese ist Ihnen nicht recht . Aber wissen Sie, was mich am meisten stört? Ich habe in Ihren Ausführungen nicht einen einzigen Satz dazu gehört, wie Sie das Problem der ungleichen Vermögensverteilung angehen wollen; nicht einen einzigen Satz! Das heißt, bei Ihnen bleibt alles so, wie es ist: Die Reichen werden reicher, die Armen werden ärmer . - Wenn das das Konzept der CDU ist: Klasse! Ich freue mich auf den Wahlkampf! ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Gutting, Sie haben das Wort zu einer Replik .

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Ernst, das ist die typische Rosinenpickerei, die Sie bei internationalen Vergleichen immer wieder vornehmen . ({0}) Sie nehmen sich einzelne Steuern heraus . Sie müssen aber jeweils die Gesamtsteuerbelastung betrachten . ({1}) Jetzt erzählen Sie mir bitte nicht, dass in Großbritannien oder in den USA die Gesamtsteuerbelastung für die Bürger höher wäre als in unserem Land . ({2}) Schauen Sie sich die OECD-Daten an . Dann werden Sie erkennen, dass wir in Deutschland nach Belgien weltweit die zweithöchste Belastung haben . Wenn Ihnen das nicht reicht: Schön! Sagen Sie Ihre Meinung ruhig weiterhin . Dann freuen auch wir uns auf den Wahlkampf . ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

So, jetzt sind wir noch im Parlament und im parlamentarischen Rahmen . Deswegen: Danke schön, Herr Gutting . - Der nächste Redner: Dr . Thomas Gambke für Bündnis 90/Die Grünen .

Dr. Thomas Gambke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004037, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vermögensbesteuerung: Das ist gar keine Frage! Wir Grüne - in großer Einigkeit ({0}) wollen eine verfassungsfeste, eine umsetzbare und eine ergiebige Vermögensbesteuerung . ({1}) Lieber Herr Kollege Gutting, ich denke nicht, dass ich Ihre Worte gegen die Substanzbesteuerung so verstehen darf, dass die Union im Wahlkampf die Abschaffung der Grundsteuer fordern wird, einer Substanzbesteuerung und sehr effektiven Vermögensbesteuerung. ({2}) Das heißt, wir haben eine wirksame Vermögensbesteuerung, eine Substanzbesteuerung . Ich gehe davon aus, dass die Union wie alle anderen diese nicht abschaffen will . Dazu darf ich sagen: Das waren 2015 immerhin 13 Milliarden Euro, und es sind sogar 2,4 Prozent mehr gewesen als im Jahr 2014 . Wir haben also eine Vermögensbesteuerung . Wir Grünen wollen zwar eine verfassungsfeste, ergiebige und umsetzbare Vermögensbesteuerung, aber bei der Umsetzbarkeit geht es auch um Verwaltungsaufwand und Rechtssicherheit, und wir wollen, dass dies berücksichtigt wird . Wir wollen auch, dass keine Arbeitsplätze gefährdet werden . Wir wollen, dass Investitionen, die zu Innovationen in den Unternehmen führen, nicht eingeschränkt werden . ({3}) Dabei hat uns die sehr quälende Debatte über die Erbschaftsteuer die Schwierigkeiten überaus deutlich gemacht . Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass die Erbschaftsteuer, so wie sie seit 2009 existiert, nicht verfassungsfest ist . Warum nicht? Weil im statistischen Durchschnitt niedrige Vermögen bei der Schenkung oder Vererbung am höchsten besteuert wurden - so war es nämlich - und die großen Vermögen am niedrigsten belastet wurden . Warum? Weil man Verschonungsregelungen hatte - die Lohnsummenregelung und die Unterscheidung zwischen Verwaltungsvermögen und persönlichem Vermögen - und diese Problematik nicht so gelöst war, dass das Verfassungsgericht die Regelungen für verfassungsfest erklärt hat . Die Antwort der Großen Koalition auf das Urteil des Verfassungsgerichts war kein wirklich großer Wurf . ({4}) Im Gegenteil: Die steuerfreie Übertragung sehr großer Vermögen wurde zwar eingeschränkt, aber die Gleichmäßigkeit und Angemessenheit ist mit Sicherheit nach wie vor ein Problem . Ich bin mir - wie viele Experten - relativ sicher, dass diese Regelungen wieder vor dem Verfassungsgericht landen werden und damit die zweite wirksame Vermögensbesteuerung, nämlich die Erbschaftsteuerregelung, eben weil die Problematik so komplex ist, wieder hier im Hause beraten und entschieden werden muss . ({5}) Bei der Wiederbelebung einer Vermögensteuer müssen wir diese Problematik also in den Blick nehmen und Lösungen dafür finden. Das ist gar keine Frage. Bei der Ausgestaltung der Vermögensteuer kommt eine weitere Schwierigkeit hinzu, die wir bei der ErbKlaus Ernst schaftsteuer nicht haben, und zwar der Bereich Altersvorsorge und Rückstellungen für das Alter . Das können Immobilien sein . ({6}) Das kann auch eine Pensionszusage sein . Herr Kollege Ernst, ich gehe davon aus, dass Sie Millionär sind ({7}) - ja, mehrfacher, genau -, aber allein aufgrund der Pensionszusagen dieses Hauses . Es gibt aber auch Wertpapiervermögen, die Selbstständige als Altersvorsorge haben, und die müssen dann fairerweise entsprechend berücksichtigt werden . In Ihrem Antrag findet sich dazu kein Wort. Es findet sich kein Wort dazu, wie Sie Arbeitsplätze sichern wollen und wie Sie Innovationen schützen wollen . Ich muss sagen: Sie stellen hier eine reine Überschriftenforderung auf . Das ist absolut inakzeptabel . ({8}) Das sind Forderungen, denen wir überhaupt nicht zustimmen können . Sie tun der Vermögensbesteuerung richtig weh, weil Sie diese auf einen ganz falschen Weg führen . Die Vermögensteuer müsste bei mehrfachen Millionären ansetzen; das ist gar keine Frage . Sie müsste die schwierige Frage der Abgrenzung von Privatvermögen und Betriebsvermögen lösen - das ist ganz schwierig -, und sie müsste so ausgestaltet werden, dass keine Arbeitsplätze, Innovationen oder Investitionen gefährdet werden . ({9}) - Ja, aber Sie sagen nichts dazu .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Und Sie müssten zum Ende kommen .

Dr. Thomas Gambke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004037, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Richtung ist also richtig . Wir brauchen eine wirksame Vermögensbesteuerung . Aber wegen der Art und Weise, die Sie in Ihrem Antrag vorgesehen haben, müsste man ihn ablehnen . Weil das Thema aber richtig adressiert ist, werden wir uns enthalten . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Thomas Gambke . - Nächste Rednerin: Cansel Kiziltepe für die SPD-Fraktion . ({0})

Cansel Kiziltepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004328, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Linke ist die Vermögensteuer offenkundig ein Heilsbringer. Völlig klar ist für die Linke auch: Der Steuersatz beträgt für alle 5 Prozent . Das bedeutet: Ein zweifacher Milliardär würde dann den gleichen Steuersatz zahlen wie ein zweifacher Millionär . Die Vorschläge anderer Institutionen - zum Beispiel der Vorschlag des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der es viel klüger und gerechter angeht und dem Vorschlag von Thomas Piketty folgend einen progressiven Tarif in der Vermögensteuer fordert - zeigen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken: Immer radikaler heißt nicht gleichzeitig immer besser . ({0}) Nach dem Konzept des Deutschen Gewerkschaftsbundes ist ein Steuersatz in Höhe von 1 Prozent - er soll für Milliardäre progressiv bis auf 2 Prozent steigen - vorgesehen. Das hat Charme und ist, wie ich finde, ein Novum. Die hysterische Ablehnung der Kollegen aus der Union und vonseiten der Reichenlobby stellt das andere Extrem in der Debatte dar . Man hört von ihnen auch, eine Vermögensteuer sei nicht verfassungsfest zu gestalten . Da muss man sich ja fragen: Warum steht sie im Grundgesetz, wenn sie angeblich verfassungswidrig ist? Herr Gutting, hätten Sie gestern die Tagung des Instituts Finanzen und Steuern besucht, hätten Sie den erhellenden Ausführungen des Verfassungsrichters Gaier folgen können, der nämlich gesagt hat, auch eine Substanzbesteuerung in Form der Vermögensteuer sei verfassungskonform . Zu den Grünen: Die Grünen haben heute ihren ZehnPunkte-Plan für die Bundestagswahl vorgestellt . Aber leider konnte ich in diesem Zehn-Punkte-Plan eine Priorität im Hinblick auf die Vermögensbesteuerung nicht feststellen . Die Vermögensbesteuerung hat es nicht unter die Top Ten geschafft. Auch das bedaure ich sehr. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist unstrittig, dass die Vermögensungleichheit in Deutschland zunimmt . Dieser Trend beschädigt die Demokratie; denn die soziale Kluft wird immer größer . Diese Entwicklung ist aber auch ökonomisch unvernünftig . Wenn man die Zahlen der OECD vergleicht, dann sieht man, dass die Vermögensbesteuerung in Deutschland unter dem Durchschnitt aller OECD-Länder liegt . Auch das ist nicht haltbar . Für uns, für die Sozialdemokratie folgt daraus ein klarer Auftrag . Insoweit möchte ich aus unserem Wahlprogramm, das im Entwurf vorliegt, zitieren: Für mehr soziale Stabilität werden wir die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich verringern . Menschen mit hohem Einkommen und Vermögen sollen dazu einen angemessenen Beitrag leisten .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Bemerkung oder Frage vom Kollegen Pitterle von der Linken?

Cansel Kiziltepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004328, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne .

Richard Pitterle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004129, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Kollegin Kiziltepe, dass Sie die Frage zulassen . - Sie haben ja gerade den Vorschlag des DGB als sinnvollere Lösung als die, die wir vorschlagen, gelobt . Kann ich davon ausgehen, dass die SPD diesen DGB-Vorschlag für die Vermögensteuer übernimmt und hier einbringt? Denn dann können Sie auf unsere Zustimmung hoffen. ({0})

Cansel Kiziltepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004328, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir sind mitten in der Programmdebatte . ({0}) Vielleicht wissen Sie, dass wir unseren Parteitag Ende Juni haben . Darüber entscheidet der Parteitag, Herr Pitterle . Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich gibt es auch Alternativen . Natürlich ist nichts alternativlos . Wer aber die Vermögensteuer - eine höhere Besteuerung von Vermögen - will, der kommt auch an höheren Steuern für Einkommen nicht vorbei . Für eine funktionierende Besteuerung von großen Erbschaften wäre es natürlich notwendig, dass wir eine weitere Reform der Erbschaftsteuer erreichen . Das Problem hierbei ist nur, dass in den letzten Jahren, also seit 2009, 250 Milliarden Euro steuerfrei übertragen wurden - und das, was absurd ist, meist an minderjährige Enkel und Kinder . Dieses Instrument ist aber für die kommenden Jahre bzw . im Hinblick auf die nächste Generation ein stumpfes Schwert . Deshalb plädiere ich, wenn wir die Vermögensungleichheit in Deutschland vermindern und eine gerechte Besteuerung herbeiführen wollen, dafür, auch die Vermögensteuer in Erwägung zu ziehen . Von der Union sind Bemühungen in dieser Hinsicht, denke ich, nicht zu erwarten . Das ist bedauerlich; aber das sollte die Bevölkerung wissen . Danke . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, liebe Kollegin . - Nächster Redner: Dr . Hans Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Woran merkt ein erfahrener Abgeordneter, dass der Wahlkampf begonnen hat? Er merkt es daran, dass die Linken - insbesondere linke Kollegen - ganz tief in die ideologische Mottenkiste greifen . Nun sollen wieder einmal Milliardäre in Deutschland verboten werden . Die deutschen Eigentümer, Unternehmer, Sportler und Künstler sollen noch weiter besteuert werden . ({0}) - Wo das steht? Herr Ernst, Sie müssen nur in der neuesten Ausgabe der Welt lesen, was Ihr Fraktionsvorsitzender gesagt hat: Ich will einen Staat, der Milliardäre verhindert . ({1}) Sie wissen scheinbar gar nicht, was Ihr Fraktionsvorsitzender fordert . Aber Sie unterscheiden sich in der Gesamtlösung sicherlich nicht . Es ist jedenfalls sehr fraglich, ob Sie dieses Parlament ernst nehmen, wenn Sie immer wieder die gleichen falschen Forderungen hier aufstellen . Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich habe leider gehört, dass auch die SPD eine Vermögensteuer nicht ausschließt . Das ist sehr bedauerlich . ({2}) Vielleicht können Sie das noch korrigieren . Nach dem enormen Anstieg der Steuereinnahmen, der sich für die nächsten Jahre abzeichnet, fällt Ihnen nicht mehr ein, als immer wieder eine zusätzliche Vermögensteuer zu fordern . Das Bundesverfassungsgericht hat aber die Vermögensteuer in ihrer Form als nicht verfassungskonform angesehen . Auch das gehört zur Wahrheit . ({3}) Sie ziehen dann irrwitzige Vergleiche mit armen Menschen und von Armut gefährdeten Kindern . Das berührt uns sicherlich ebenfalls . Aber Millionäre und Milliardäre leben nicht auf Kosten dieser Kinder . Vielmehr leisten die Millionäre und Milliardäre aufgrund der Steuerprogression einen großen Beitrag zu der hohen Sozialleistungsquote in Deutschland. Diese ist im Übrigen die höchste in der ganzen Welt . 53 Prozent des Bundeshaushaltes geben wir für Soziales aus . In diesem Bereich herrscht keine Ungerechtigkeit . Das sollte einmal festgestellt werden .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege Michelbach, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung vom Kollegen Schlecht von der Linken?

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne .

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege, Sie haben eben gesagt, das Verfassungsgericht habe die Vermögensteuer bzw . eine Wiedereinführung der Vermögensteuer für verfassungswidrig gehalten . Da sind Sie einem Irrtum aufgesessen . Eine Zeitlang geisterte in der öffentlichen Debatte der sogenannte Halbteilungsgrundsatz herum . Mit diesem wurde begründet, dass man bei einer Wiedereinführung der Vermögensteuer schnell an seine Grenzen stoßen werde . Ich kann Ihnen nur den Hinweis geben - wahrscheinlich sind Sie da nicht auf der Höhe der Debatte -, dass das Bundesverfassungsgericht schon vor Jahren - das muss etwa acht Jahre her sein - entschieden hat, dass der Halbteilungsgrundsatz, wie er ursprünglich festgelegt wurde - bezeichnenderweise von einem Herrn Kirchhof -, nicht mehr der gängigen Rechtsprechung des Gerichts entspricht und dass es daher keinerlei juristische Grenzen gibt, wenn es darum geht, eine Vermögenbesteuerung durchzuführen, und zwar auch dann nicht, wenn die Vermögenbesteuerung eine Substanzbesteuerung darstellt . Der Grund, warum wir die Vermögensteuer als Millionärsteuer wieder einführen wollen, ist nicht nur die Gerechtigkeit . Vielmehr können damit jedes Jahr 100 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen erzielt werden . Dies wäre die finanzielle Basis, um nachhaltig in Infrastruktur und soziale Dienstleistungen zu investieren, und das in extremer Größenordnung . Dadurch würden mindestens 50 000 Arbeitsplätze in diesem Land geschaffen. So viel zu dem Argument, eine Wiedereinführung der Vermögensteuer vernichte Arbeitsplätze . Nein, eine Millionärsteuer, deren Einnahmen der Produktion und den Dienstleistungen zugeführt werden, würde Arbeitsplätze schaffen. Danke schön . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Michelbach, bitte .

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schlecht, ich nehme Ihren Beitrag als Frage . ({0}) Ich darf feststellen, dass Sie zwei völlig unterschiedliche Dinge miteinander vermischen . Sie stellen Ihre Frage aber einem Kollegen, der schon lange Abgeordneter ist und daher weiß, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1994 gefällt wurde und dass die Vermögensteuer nicht durch Beschluss des Deutschen Bundestages abgeschafft wurde, sondern aufgrund dieses Urteils ausgelaufen ist . Die von Ihnen erwähnte spätere Beurteilung bezieht sich auf eine ganz andere Steuerfrage . Deswegen kann ich Ihnen nur sagen: Sie sind hier im falschen Film . Die Vermögensteuer ist aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts ausgelaufen . Das ist Tatsache . ({1}) In Deutschland leisten - das sollte man noch einmal betonen - heute die 10 Prozent der einkommensstärksten Steuerzahler über 50 Prozent des Steueraufkommens bei der Einkommensteuer . Meine Damen und Herren, wir brauchen keine neuen und höheren Steuern, wenn wir ein erfolgreiches Land mit Vollbeschäftigung und Wohlstand für alle bleiben wollen . ({2}) Seit Ludwig Erhard geht es um höchste Beschäftigung, um Wohlstand für alle; das ist unser Ansatz . Wir brauchen vor allem Steuerentlastungen für alle Arbeitnehmer, für die hart arbeitende Mittelschicht und natürlich auch für unsere Betriebe . Diese haben ein Anrecht auf eine hohe Leistungs- und Wachstumsdividende; denn sie haben dieses Wachstum erarbeitet . ({3}) Mich ärgert immer, wenn Sie von Steuergeschenken sprechen, meine Damen und Herren . Es ist zunächst einmal das Geld der Leute, die das erarbeitet haben - es sind keine Geschenke -, und erst dann kommt der Staat . ({4}) Meine Damen und Herren, für eine gerechte Steuerpolitik sind Sie auf dem völlig falschen Dampfer . Deswegen kann ich nur sagen: Wir werden für mehr Netto vom Brutto sorgen und den Menschen, den Bürgern mehr Geld in ihr Portemonnaie geben . Eine Lösung mit einer Abflachung der Tarifkurve, mit einer Einkommensteuerreform, mit Forschungs- und Investitionsförderung und mit dem Abbau von bürokratischen Hürden beim Steuerrecht ist wichtig . Das ist soziale Marktwirtschaft, das ist eine stringente Wachstumsund Beschäftigungsförderung in Deutschland . Das ist die Steuer- und Finanzpolitik, die die CDU/CSU betreiben wird . Sie wird auch für unseren Wirtschaftsstandort, für die Arbeitsplätze wesentlichen weiteren Erfolg erbringen . Darum geht es, meine Damen und Herren . ({5}) Sie müssen sich einmal vor Augen führen: Vor 40 Jahren galt man für den Fiskus als Topverdiener, wenn man das 17-Fache des Durchschnittslohns verdient hat . ({6}) Heute ist der Spitzensteuersatz bereits fällig, wenn man das 1,3-Fache, also knapp 54 000 Euro im Jahr, verdient; das ist die Situation . Deswegen müssen wir gerade die mittleren Einkommen etwas entlasten und einen neuen Tarifansatz bringen . ({7}) Letzten Endes benötigen wir eine Lösung . Wir brauchen keine Neiddebatte . Was Sie wollen, ist, die Menschen in unserem Land in einer Neiddebatte gegeneinander aufzuhetzen, weil Sie glauben, daraus politisches Kapital schlagen zu können . ({8}) Aber wir werden das nicht mitmachen, wir werden dagegenhalten . Wir werden den Menschen sagen: Mit uns bekommen sie mehr Entlastung, mit uns bekommen sie mehr Netto vom Brutto, meine Damen und Herren . ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Michelbach . - Letzter Redner dieser sehr lebendigen Debatte: Lothar Binding für die SPD-Fraktion . ({0})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Hans Michelbach hat gesagt: Das Wachstum wird erarbeitet . Das stimmt . Beim Vermögen ist es aber so, dass 80 Prozent des Vermögens aus Erbschaften stammen . Betrachten wir den Fall „Das Wachstum wird erarbeitet“ . Nehmen wir einmal an, man hat ein Unternehmen mit 3 000 Mitarbeitern . Nur ganz wenige in diesem Unternehmen können sich etwas zurücklegen, wie dieser prall gefüllte Becher zeigt . Dann gibt es 3 000 Leute in dem Unternehmen, die sich so gut wie nichts zurücklegen können . Dazu habe ich den anderen Becher mitgebracht . Wer sich die Becher einmal genauer anschaut, der wird sehen, dass hier eine gewisse Ungleichheit herrscht . Dabei sind diejenigen, die sich nur wenig zurücklegen können, nicht weniger fleißig als diejenigen, die sich mehr zurücklegen konnten oder es ererbt haben . Es ist wichtig, darüber genauer nachzudenken; denn die Ungleichheit - das haben wir gelernt - stört nicht nur den sozialen Frieden, sondern - noch viel schlimmer - auch die Wachstumsentwicklung . Das müssen diejenigen, die immer auf Wachstum setzen, wissen . Das Allerschlimmste aber ist - dazu frage ich einmal die Reichen unter uns -, dass es auch das Wohlbefinden stört . Natürlich kann sich ein Reicher eine tolle Villa und einen Zaun darum herum bauen . Aber ehrlich gesagt: Wenn ich einen Zaun um meine Villa habe, muss auch ich immer durch diesen Zaun raus- und wieder reingehen . Vielleicht wäre eine Situation schöner, in der ich das nicht brauche. Insofern: Lasst uns zum Wohlbefinden zurückkehren! Es ist besser, wenn man da gerechter vorgeht . ({0}) Wir haben im Wesentlichen drei Formen: Grundsteuer, Erbschaftsteuer und Vermögensteuer . Ich glaube, alle Parteien überlegen im Moment, in welcher Kombination sie hier eine gewisse Gerechtigkeitskomponente schaffen können . Es heißt immer, das ist zu viel Bürokratie und man kann keine Bewertung vornehmen . Dazu sage ich: Wir haben 20 Jahre lang versäumt, die Bewertungsgesetze anzupassen . Bei jeder Bilanz, bei jeder Gewinn- und Verlustrechnung und bei jeder Steuererklärung erfolgt eine jährliche Erklärung . Das ist überhaupt kein Problem . Alles wird jährlich bewertet, nur bei der Vermögensteuer hat man damit plötzlich ein großes Problem .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung Ihres Fraktionskollegen?

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Von Christian Petry natürlich gerne . ({0})

Christian Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004605, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank . - Die Gerechtigkeitskomponente wurde gerade von dir, Lothar, angesprochen . Ich habe eine Nachfrage zu dem Verfassungsgerichtsurteil von 1997, als dann die Vermögensteuer ausgelaufen ist . Wie verhielt es sich damals mit der von dir angesprochenen Gerechtigkeitskomponente?

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Damals wurden verschiedene Grundsätze formuliert . In Wahrheit gab es ein Bewertungsproblem . Geldvermögen und andere Vermögensarten wurden unterschiedlich bewertet . Wegen dieser ungleichen Behandlung der Vermögensarten hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass die Vermögensteuer so nicht erhoben werden darf . Seitdem wird die Steuer nicht erhoben, aber das Gesetz gibt es noch . Deshalb müssten wir uns nur überlegen, wie wir die Bewertung vornehmen und gerechter machen . Die Einheitswerte gehen im Moment in den neuen Ländern auf die von 1935 zurück, in den alten Ländern auf die von 1964 . Jeder weiß, dass die Zahlen von 1935 und 1964 nicht aktuell sind . Man könnte da etwas nachschärfen . Wenn man das tun würde, könnte man die Vermögensteuer relativ mühelos wieder einführen, und zwar zu ähnlichen Bedingungen wie damals . Es muss nur die Bewertung von Geldvermögen und anderen Vermögen, zum Beispiel Grundstücksvermögen, korrekt im Sinne des Verfassungsgerichtsurteils erfolgen . Ich möchte noch darauf zurückkommen, was heute von Cansel Kiziltepe schon einmal gesagt worden ist .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Kurz .

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gestern gab es beim BDI eine Podiumsdiskussion . Da hat Reinhard Gaier, ein Richter, der zwölf Jahre am Bundesverfassungsgericht war, gesagt, dass man dann, wenn man Ungerechtigkeiten und grobe Missverhältnisse bei der Substanzverteilung sieht, auch in die Substanz eingreifen kann . Nehmen wir einmal an, der volle Becher würde Herrn Dr . Meister und der leere Becher einer anderen Person gehören . Vorhin wurde von Umverteilung gesprochen . Es geht aber nicht um Umverteilung; denn Umverteilung würde bedeuten, dass man den vollen Becher in den leeren Becher schüttet . Das wollen wir nicht . Wir wollen nur, dass Herr Dr . Meister zwei Schokolinsen abgeben soll . Möglicherweise käme er dann noch gut zurecht . Insofern ist klar: Sie, Herr Dr . Meister, geben zwei ab . Das wäre fair . Derjenige, dem der andere Becher gehört, muss nichts abgeben . Das ist gerechter . - Wenn Sie wollen, können Sie sich aus dem vollen Becher jetzt etwas nehmen . Schönen Dank . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Binding . - Ich schließe die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/12549 mit dem Titel „Reichtum gerechter verteilen - Vermögensteuer als Millionärsteuer wieder erheben“ . Wer stimmt für den Antrag? - Wer stimmt dagegen? ({0}) Wer enthält sich? - Was macht die SPD? ({1}) Der Antrag ist abgelehnt . Für den Antrag hat die Linke gestimmt . Dagegengestimmt haben die CDU/CSU und mehr oder weniger die SPD . ({2}) Enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen . Damit ist der Antrag abgelehnt . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2017 Drucksache 18/12310 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung 16. Bericht des Ausschusses für die Hochschulstatistik für den Zeitraum 1. Juni 2012 bis 31. Mai 2016 Drucksache 18/10851 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Als erster Rednerin gebe ich der Bundesministerin Dr . Johanna Wanka das Wort für die Bundesregierung . ({4})

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005317

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben seit 2005 große Milliardenpakete in den Hochschul- und Wissenschaftsbereich investiert . Ich denke zum Beispiel an die Exzellenzinitiative, an den Hochschulpakt, an den Qualitätspakt Lehre und an viele andere Dinge, über die wir hier gesprochen haben . Diese hinzugekommenen Milliarden Euro haben dazu geführt, dass sehr viele zusätzliche - neue, die vorher nicht vorhanden waren - Arbeitsplätze geschaffen werden konnten, dass wir also sehr viel mehr Beschäftigte haben . Davon sind sehr viele befristet beschäftigt, und um die Situation dieses wissenschaftlichen Nachwuchses geht es . Wenn man sich die Zahl der befristet Beschäftigten anschaut, stellt man fest: Der größte Teil davon sind diejenigen, die promovieren . Wenn sie promoviert sind und in die Wirtschaft, in die Verwaltung oder in irgendeine andere Tätigkeit gehen, dann befinden sie sich - das sagt dieser Bericht aus - in einer bestimmten Situation: in Vollbeschäftigung . Das heißt, nach diesem Bericht sind die allermeisten mit einer Promotion vollbeschäftigt . Das, glaube ich, ist ein sehr guter Effekt. Trotzdem muss man sagen: Durch die vielen Gelder ist das Verhältnis zwischen befristeten und unbefristeten Stellen etwas aus der Balance geraten . Deswegen bin ich sehr dafür, dass auch im Mittelbau mehr unbefristete Stellen geschaffen werden. Wir haben Artikel 91b des Grundgesetzes verändert; damit wurden mehr Möglichkeiten für den Bund geschaffen. Das hat aber keine Veränderungen bei den Zuständigkeiten gebracht . Die Grundverantwortung für die Hochschulen liegt bei den Ländern und nicht beim Bund . Das heißt, in den Ländern muss entschieden werden . ({0}) Obwohl wir, der Bund, nicht die originär Verantwortlichen sind, haben wir in dieser Legislaturperiode etwas getan, was ich seit 1990 nie erlebt habe und auch gar nicht kenne: Wir, die Bundesregierung, haben Gelder für unbefristete Beschäftigungsverhältnisse zur Verfügung gestellt . ({1}) Wenn man ganz großzügig rechnet, sind das über 12 000 Stellen; es könnten 15 000 Stellen sein . Es kommt darauf an, wie man sie honoriert . Das Geld für diese - unbefristeten - Stellen ist über die BAföG-Entlastung zur Verfügung gestellt worden . Jetzt schauen wir einmal in die Länder, zum Beispiel, Frau Gohlke, nach Brandenburg oder nach Thüringen, wo Sie jeweils in der Regierung sind, also die Möglichkeit haben, Ihre Vorhaben entsprechend umzusetzen: ({2}) Lothar Binding ({3}) Das ist nicht erfolgt . Dort sind nicht mehr unbefristete Stellen für den Mittelbau entstanden, und es sind auch keine höheren Gehälter gezahlt worden . Ich will das gar nicht kritisieren, ({4}) weil die Entscheidung, was mit diesen Geldern bzw . Stellen getan wird, in den Ländern getroffen werden muss. Wenn man in den Ländern andere Prioritäten setzt, meinetwegen in Schulen, Bauvorhaben oder anderes investiert, dann ist das Sache der Länder . Aber dafür sind wir hier auf Bundesebene nicht verantwortlich; vielmehr haben wir lediglich eine Möglichkeit geschaffen. Nach einer Promotion nicht in den Arbeitsprozess zu gehen, sondern im akademischen Bereich Karriere zu machen, das ist anstrengend; denn es geht dann um die Spitzenpositionen, es geht um die höchsten Leistungsträger, das heißt um die Professuren . Ich hatte gesagt: Das Verhältnis zwischen befristeten und unbefristeten Stellen ist etwas aus der Balance geraten . - Mit dem Tenure-Track-Programm entstehen nicht nur 1 000 zusätzliche Tenure-Track-Professuren, sondern auch 1 000 zusätzliche unbefristete Professuren . Wir geben dafür 1 Milliarde Euro in 15 Jahren aus, und dann müssen die Länder die Finanzierung dieser Professuren übernehmen . Hinzu kommt, dass die Tenure-Track-Professuren immer wieder neu ausgeschrieben werden . Tenure Track bedeutet Planungssicherheit, Karrieresicherheit, frühzeitig, etwa mit 32, zu wissen: Du bleibst hier im System und bleibst oder wirst Professor . - Das ist etwas, was ein Mangel war in Deutschland . Das hatten wir nicht . Das gewährleistet das Tenure-Track-Programm . Für mich ist eine Weiterentwicklung der Juniorprofessur, die ich sehr begrüßt habe, die ich immer noch gut finde, zwar sinnvoll, aber Planungssicherheit, Rechtssicherheit waren damit nicht verbunden, und genau das gibt es jetzt . Das heißt, wir haben etwas angestoßen, was über die Jahre eine positive Strukturveränderung für den wissenschaftlichen Nachwuchs bedeutet . ({5}) Jetzt zum Thema der Vereinbarkeit von wissenschaftlicher Tätigkeit von Nachwuchswissenschaftlern und Familie; das war ein zweiter wichtiger Komplex . Ich sage allen, die nach mir reden: Wenn Sie aus dem Bericht zitieren, dass Nachwuchswissenschaftler häufiger kinderlos bleiben als der Durchschnitt aller Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolventen, ({6}) dann müssen Sie zur Kenntnis nehmen: Das sind die Zahlen von 2006 . Herr Gehring, das war das Ergebnis am Ende Ihrer Amtszeit - also als Regierung . ({7}) - Das war ein Versprecher; klar . ({8}) - Dazu komme ich jetzt, wenn Sie mich reden lassen und nicht dazwischenrufen . ({9}) Wir haben in den vergangenen Jahren sehr viel getan, zum Beispiel beim Wissenschaftszeitvertragsgesetz . Wir wissen aber noch nicht: Wie hat sich das aufs Kinderhaben ausgewirkt? Wie sind die Größenordnungen? Also muss man das untersuchen, dringend, und das tun wir auch . Was wir im Bericht haben, sind Befragungen derer, die jetzt in dem Bereich sind, und zwar dazu, wie sie die Arbeitsbedingungen im wissenschaftlichen Bereich empfinden. Sie finden sie attraktiv. Was das Thema „Vereinbarkeit mit Familie“ angeht, kann man, jedenfalls nach dem, was die Wissenschaftler für den Bericht herausbekommen haben, nicht sagen, dass sie das besonders schlecht finden, aber auch nicht, dass sie das besonders günstig finden. ({10}) Das ergibt sich eindeutig aus der Studie . Der einzige Unterschied ist, dass diejenigen, die Familie haben, die Kinder haben, die Eltern sind, die Situation viel positiver beurteilen als die anderen . Die haben vielleicht die Sorge: Wie wird es? Weil wir nicht genügend Daten haben, ist es so wichtig, dass wir das Hochschulstatistikgesetz novelliert haben . ({11}) In Zukunft, Herr Rossmann, werden wir viel bessere Daten haben, etwa zur Vorqualifikation, zu der Frage: Wer wird Professor? ({12}) Speziell für den wissenschaftlichen Nachwuchs haben wir in unserem Haus ein Forschungsförderprogramm aufgelegt . Es werden die unterschiedlichsten Aspekte von Karrieremöglichkeiten für junge Wissenschaftler untersucht . Dazu laufen zurzeit acht große Projekte . Von daher hoffe ich, dass wir bald wissen: Wie ist das denn zum Beispiel mit den Kindern? ({13}) Wie hat sich das, was wir gemacht haben, ausgewirkt? Was müssen wir anders machen? - Deswegen freue ich mich sehr, und ich freue mich auch auf die Debatte . ({14})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Ministerin Wanka . - Nächste Rednerin: Nicole Gohlke für die Linke . ({0})

Nicole Gohlke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004041, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Arbeit im Dienst der Wissenschaft, akademische Forschung und Lehre als Beruf - für viele klingt das so attraktiv, dass sie dafür zahlreiche Entbehrungen auf sich nehmen . Das zeigt der Bundesbericht zum wissenschaftlichen Nachwuchs . Wer sich für den Verbleib in der Wissenschaft entscheidet, tut dies vor allem aus Leidenschaft . ({0}) Karriereperspektive oder Arbeitsplatzsicherheit spielen für den sogenannten wissenschaftlichen Nachwuchs nur eine untergeordnete Rolle . Glücklicherweise ist das so - das muss man fast schon sagen -; denn im Wissenschaftsbetrieb sind beide Begriffe bislang regelrecht Fremdworte, und das muss sich endlich ändern . ({1}) Der Umfang des wissenschaftlichen Personals an Hochschulen unterhalb der Professur ist in der Zeit von 2000 bis 2014 um 76 Prozent auf 145 000 Beschäftigte angewachsen - eine gute Entwicklung, so könnte man meinen, vor allem natürlich angesichts der rasant gestiegenen Studierendenzahlen . Aber im selben Zeitraum stagnierte die Zahl der unbefristet Beschäftigten . An den Universitäten ist deren Zahl sogar leicht gesunken . Das ist der große Skandal: Sage und schreibe 93 Prozent des sogenannten wissenschaftlichen Nachwuchses an Hochschulen, also fast alle wissenschaftlich Beschäftigten unter 45 Jahren, ({2}) verfügten im Jahr 2014 nur über eine befristete Anstellung . Das ist eine ungeheuerliche Zahl . ({3}) Fakt ist: Die Wissenschaftspolitik der vergangenen Jahrzehnte und insbesondere die Umstellung der Finanzierung auf Drittmittel haben den Wissenschaftsbetrieb regelrecht prekarisiert . Die Beschäftigten müssen jetzt die Folgen dieser Politik ausbaden . Es ist mittlerweile fast die Regel, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf mehreren Teilzeitstellen gleichzeitig arbeiten, dort jeweils mehr Stunden investieren, als sie eigentlich bezahlt bekommen, und dann auch noch schlecht bezahlte Lehraufträge annehmen, um den Betrieb an den Hochschulen überhaupt aufrechtzuerhalten . Kein Wunder also, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Universitäten im Schnitt doppelt so häufig kinderlos bleiben - trotz Kinderwunsches - wie der Durchschnitt aller Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolventen! Ich denke, die herrschende Wissenschaftspolitik ist familienfeindlich . Das ist ein zentraler Befund dieses Berichts . Nehmen Sie die Auswirkungen Ihrer Politik einmal zur Kenntnis! ({4}) Wenn die Bundesregierung behauptet, dass sie an diesem Problem arbeiten würde, dann mag das stimmen, an einer Lösung arbeitet sie aber wohl eher nicht; denn ihre Maßnahmen sind halbherzig, und die Wirkung ist fraglich . Ziel der Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes war angeblich, den Befristungswahnsinn einzudämmen und den befristeten Arbeitsvertrag auf die Zeit der Qualifizierung, also zum Beispiel auf eine Promotion, zu beschränken . ({5}) - Ja, es ist gut, dass das noch das Ziel ist, aber an dem Ziel muss man noch arbeiten . Auf die Kleine Anfrage der Linken vor einigen Wochen antwortete die Regierung - ich zitiere -: Der Begriff der Qualifizierung ist der Auslegung zugänglich . So kann im Einzelfall auch im Rahmen einer kurzen Befristungsdauer ein angemessenes Qualifizierungsziel verfolgt werden. Im Klartext: Sie weigern sich, zu definieren, was unter Qualifizierung zu verstehen ist. ({6}) Jetzt kann alles Mögliche dazu gemacht werden . Das nehmen Sie ganz bewusst in Kauf . ({7}) Zulasten der Beschäftigten geht auch die folgende Aussage der Bundesregierung aus der gleichen Kleinen Anfrage - ich zitiere -: Es können jedoch auch sinnvolle Teilabschnitte gebildet werden, . . . Damit öffnet die Bundesregierung kleinteiligen Stückelverträgen Tür und Tor . Ist das das, was SPD und Union unter Bekämpfung des Befristungsunwesens verstehen? Das kann ja wohl nicht wahr sein . ({8}) Zum Programm für den wissenschaftlichen Nachwuchs . Der Umfang des Programms reicht nicht aus, um Relevanzkarriereperspektiven zu schaffen und vor allem, um endlich einmal die Betreuung der Studierenden zu verbessern . Ganz ehrlich, die Perspektive dieser 1 000 Tenure-Track-Stellen ist auch nicht mehr so sicher; denn die Fortsetzung des Hochschulpaktes steht in den Sternen, weil die Union das blockiert . Die Hochschulen haben überhaupt keine Planungssicherheit . Es stellt sich die Frage, ob die Tenure-Tracks sicher in eine Professur münden oder ob die Stellen einer Überarbeitung des Personalplans zum Opfer fallen oder ob im Gegenzug andere Professuren gestrichen werden . Das muss unbedingt verhindert werden . Kolleginnen und Kollegen, dass es angesichts dieser Zustände noch nicht zum regelrechten Aufstand an den Hochschulen gekommen ist, liegt vor allem am hohen Enthusiasmus der Betroffenen. ({9}) Aber ich denke, auch dieser Enthusiasmus hat irgendwo seine Grenzen . Auf den Demonstrationen des March for Science in Deutschland haben die meisten Redebeiträge die unsicheren und ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft thematisiert und angeprangert . Recht haben sie . Echte Wissenschaftsfreiheit, echte Wissenschaftsautonomie gibt es ({10}) nur mit guter Arbeit und ökonomischer Unabhängigkeit . Die Bedingungen dafür herzustellen, ist die Aufgabe von Politik . Die Linke steht dafür bereit . Vielen Dank . ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Nicole Gohlke . - Nächste Rednerin: Dr . Simone Raatz für die SPD-Fraktion . ({0})

Dr. Simone Raatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004380, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie viele von Ihnen spreche ich häufig mit Vertretern von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Häufig geht es dabei um die Situation unseres wissenschaftlichen Nachwuchses . Vor einigen Tagen erzählte mir ein Professor von seiner Hochschulleitung, die alles daransetzt, die jungen Forscher verantwortungsvoll auf ihrem weiteren Weg zu begleiten. So sollen sich Postdocs weiterqualifizieren. Sie bekommen Unterstützung beim Beantragen von Fördermitteln, und der Kontakt mit Partnerhochschulen im Ausland hat höchste Priorität . So können sich die jungen Wissenschaftler von Beginn an international vernetzen . Man unternimmt an dieser Hochschule alles, um die klügsten Köpfe zu fördern und in der Forschung und im Land zu halten . Aber auch der Kontakt außerhalb der Wissenschaft wird gesucht, um Berufsperspektiven in Wirtschaft und Gesellschaft aufzuzeigen . Man muss sagen: An dieser Hochschule läuft vieles gut . Man kümmert sich um den wissenschaftlichen Nachwuchs . Aber wir wissen auch alle, dass das kein Normalfall ist . Das ist leider bis heute eine Ausnahme . Der Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs stellt diesmal einmal mehr fest: Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland sind - und ich zitiere - „hochgradig unzufrieden mit den Aufstiegsmöglichkeiten, der Arbeitsplatzsicherheit und der Planbarkeit ihrer Karriere“ . Wir haben in dieser Legislatur wichtige Gesetzesvorhaben verabschiedet; Frau Wanka ist gerade darauf eingegangen . Mit diesen Maßnahmen wollen wir gegensteuern und haben wir gegengesteuert . Wir haben das Wissenschaftszeitvertragsgesetz novelliert und damit reformiert. Frau Gohlke, ich gebe Ihnen recht: Qualifizierung zu definieren, war eigentlich unser Wunsch. Das hat unser Koalitionspartner so nicht mitgetragen . Auf der anderen Seite muss ich aber auch sagen: Wir haben an unseren Universitäten und allgemein an unseren Hochschulen intelligente Menschen; sie wissen doch eigentlich, was eine Qualifizierung bedeutet. Wir sind ja nicht die Erziehungsberechtigten unserer Professorinnen und Professoren . ({0}) Eigentlich müssen sie von alleine darauf kommen, was im Wissenschaftsbetrieb unter Qualifizierung zu verstehen ist . Wir haben auch den Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs verabschiedet und 1 000 zusätzliche Stellen geschaffen. Ich hoffe, dass es bei dem Wort „zusätzlich“ bleibt; denn man merkt, dass daran schon wieder gedoktert wird . Eigentlich muss man sagen - das kann man als Quintessenz dieser Legislatur gemeinsam feststellen -: Wir haben wichtige Projekte auf den Weg gebracht, und darauf können wir stolz sein . ({1}) Insofern ist es für mich enttäuschend, dass die meisten Zahlen im vorliegenden Bericht hoffnungslos veraltet sind . Wie kann es zum Beispiel sein, dass es seit 2011 keine Erhebung zur Laufzeit von Arbeitsverträgen mehr gibt? Dafür fehlt mir das Verständnis . Es sind auch viele Zahlen von 2014 enthalten . Also, es tut mir leid! Gerade auch vor dem Hintergrund der Projekte, die wir in dieser Legislatur beigesteuert haben - darüber haben wir geredet -, sollte man das Bundesministerium für Bildung und Forschung beauftragen, hier nachzuarbeiten . Ich habe Sie, Frau Professor Wanka, so verstanden, dass hier etwas passiert . Aber ich muss sagen: Uns hier so einen Bericht mit Zahlen von 2011 vorzulegen, finde ich schon ein bisschen dürftig . Dennoch - das macht der Bericht deutlich -: Es ist schwer, die Arbeit in der Wissenschaft mit dem Familienleben zu vereinbaren . Ich muss sagen: Wir sprechen hier eben nicht über junge Doktoranden mit Ende 20 das wird uns ja immer vorgehalten; es wird gesagt: die jungen Leute qualifizieren sich, sie promovieren noch usw . -, sondern über bereits promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter 45, von denen immer noch vier von fünf nur über Zeitverträge beschäftigt sind . Daher verstehe ich nicht - vielleicht muss man da noch einmal gemeinsam in den Bericht schauen -, warum unsere Ministerin gerade sagte, dass hier Vollbeschäftigung herrscht . Vielleicht - aber dann auf der Grundlage befristeter Verträge . ({2}) Der angebliche Nachwuchs steht doch längst mitten im Leben - ich finde den Begriff „wissenschaftlicher Nachwuchs“ sowieso ein bisschen schwierig -, und gerade, wenn man mitten im Leben steht, braucht man Planungssicherheit . ({3}) Frau Gohlke ist gerade schon darauf eingegangen: Ganze 88 Prozent der Wissenschaftler, also so gut wie alle jungen Wissenschaftler, wünschen sich Kinder . Die überwiegende Mehrheit schiebt aber dann die Familiengründung auf die lange Bank, und am Ende bleibt fast die Hälfte aller Wissenschaftlerinnen kinderlos . Es ist doch traurig, dass man in der heutigen Zeit noch abwägen muss, ob Arbeit oder Familie im Fokus steht . Ich denke, da müssen wir dringend etwas ändern . ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es hat mich sehr irritiert, vor einigen Tagen zu erfahren, dass viele Hochschulleitungen nach wie vor wenig Bedarf für Veränderungen sehen . Laut einer aktuellen Umfrage hält die Mehrheit unserer Rektorinnen und Rektoren eine Befristungsquote von weit über 50 Prozent für absolut angemessen, und es stört sie auch nicht, dass inzwischen jede vierte Lehrveranstaltung an deutschen Hochschulen von befristetem Personal gehalten wird . Da fragt man sich doch - ich frage es mich -: Wozu haben wir eigentlich die Professoren? Was ist denn eigentlich ihre Aufgabe? Ich dachte, ihre Aufgabe ist auch, Lehre zu halten . Ich weiß natürlich - ich habe selbst Vorlesungen gehalten -: Eine gute Lehrveranstaltung zu konzipieren und durchzuführen, ist keine Routineaufgabe . Es ist fachlich anspruchsvoll und insbesondere auch zeitlich aufwendig . Aber was sollte zu guter Lehre motivieren, wenn damit kein Blumentopf zu gewinnen ist? Es zählt ja eigentlich nur, wie viele Drittmittel man eingeworben hat, wie viele Veröffentlichungen man getätigt hat und wie sie geratet sind usw . Liebe Kolleginnen und Kollegen, gute Beschäftigungsbedingungen und gute Lehre gehen meines Erachtens Hand in Hand . Daher wollen und brauchen wir dringend einen grundlegenden Kulturwandel in unserem Wissenschaftssystem . Unsere Hochschulen müssen sich auf den Weg machen, die Studienqualität muss steigen und die Zahl der Studienabbrüche sinken . Ein Schlüssel dazu ist die Verbesserung der Betreuungsrelation durch gute, qualifizierte und langfristig beschäftigte Mitarbeiter . Ich habe mich gefreut, eben von Ministerin Wanka zu hören, dass hier mehr geplant ist . Wir erwarten eigentlich auch mehr; denn natürlich sind mehr feste Stellen wichtig, ebenso verbindliche Konzepte zur Personalentwicklung . ({5}) Nur so kommen wir zu planbaren Karrierewegen und transparenten Personalentscheidungen . Wichtig dafür ist die nachhaltige Verbesserung der Grundfinanzierung unserer Hochschulen. Ich denke, das ist uns allen klar . Das ist eine Aufgabe für die nächste Legislatur . Wir, die SPD, wollen dazu beitragen, die befristeten Mittel des Hochschulpaktes endlich zu einer verlässlichen und dauerhaften Kofinanzierung zu machen. ({6}) Zukünftig müssen aber auch Bund und Länder besser zusammenarbeiten und dürfen nicht nur eifersüchtig Kompetenzen hin und her schieben . Dann erreichen wir nämlich, was wir wollen: dass sich die Beschäftigungssituation unserer jungen Wissenschaftler in Forschung und Lehre deutlich verbessert . ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Simone Raatz . ({0}) Nächster Redner: Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen . ({1})

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist der „Tag des wissenschaftlichen Nachwuchses“ . Das hat er mehr als verdient; denn er ist kreativ, hoch motiviert und hoch engagiert . Allerdings sind die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft nach wie vor nicht attraktiv genug, und das muss sich dringend ändern . ({0}) Bis zu 93 Prozent sind laut Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs befristet beschäftigt, in der übrigen Arbeitswelt sind es etwas mehr als 8 Prozent . Selbst wenn man berücksichtigt, dass ein hohes Maß an Mobilität und Flexibilität in der Wissenschaft üblich ist, muss man festhalten: Die Beschäftigungsbedingungen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind aus dem Ruder gelaufen . Selbst gestandene Leute müssen sich noch Jahre nach ihrer Promotion von Halbjahresvertrag zu Halbjahresvertrag hangeln . Lehre wird immer mehr von prekär Beschäftigten geleistet . Die Situation von Lehrbeauftragten und Privatdozenten ist skandalös . Auf der Strecke bleibt die Planbarkeit der wissenschaftlichen Karriere - die Familienfreundlichkeit sowieso . Das Befristungsunwesen in der Wissenschaft müssen wir mit Entschlossenheit wirksam bekämpfen . ({1}) Es gibt viele Möglichkeiten, die Bedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu verbessern . Es ist absolut enttäuschend, dass Union und SPD keine davon wirklich überzeugend genutzt haben . Nach unendlich langen Debatten haben Sie eine aus grüner Sicht untaugliche Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes beschlossen . Mindestvertragslaufzeiten? Fehlanzeige! Und was beispielsweise unter dem Begriff „Qualifizierung“ zu verstehen ist, was eine sogenannte „angemessene Befristungsdauer“ bei einem Qualifizierungsschritt sein soll, das bleibt im Gesetz undefiniert. Durch solche Schwammigkeiten und Hintertürchen verfehlen Sie das eigentliche Ziel, einen klaren rechtlichen Rahmen für bessere Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft zu schaffen. ({2}) Weil die Novelle wohl kaum wirken wird, ({3}) dürfen wir auch nicht bis 2020 mit der Evaluation des WissZeitVG warten . ({4}) Sie haben in die Novelle sogar hineingeschrieben: Erst 2020 wird evaluiert . Das würde richtig knapp werden, wenn man in der nächsten Legislatur ({5}) - wenn man denn gründlich sein will - die schlimmsten Fehlentwicklungen beheben will . 2020 muss die Überarbeitung des vergeigten Gesetzes stehen, nicht erst die Evaluation . Wir brauchen mehr Dauerstellen für Daueraufgaben, klare Mindestvertragslaufzeiten, einen Wegfall der Tarifsperre und eine echte Familienkomponente, damit Kinder und Wissenschaftskarrieren endlich vereinbar sind . ({6}) In den letzten Debatten haben Sie so getan, als wenn Sie das schon erledigt hätten . Ein zweites Feld, wo Union und SPD Möglichkeiten versemmelt haben, ist die Modernisierung der Personalstrukturen . Mit den Wissenschaftspakten, allen voran der Exzellenzinitiative, haben wir in den letzten Jahren viele Promovierende angezogen . Nicht alle werden im Wissenschaftssystem bleiben, aber unser Anspruch muss doch sein, die besten Köpfe aus dieser Gruppe dauerhaft für die Wissenschaft gewinnen zu können, statt sie zu vergraulen . Andernfalls wäre das Geld für die ganzen Wissenschaftspakte nicht nachhaltig genug angelegt; denn Wissenschaft wird von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gemacht . ({7}) Immerhin: Es gibt ein Programm für 1 000 zusätzliche Tenure-Track-Professuren an Universitäten - das ist nur ein Bruchteil der Juniorprofessuren, die schon von RotGrün eingeführt wurden -, und ob dieses Ten ure-TrackProgramm funktioniert, das muss sich erst erweisen . Die Hochschulen sind davon nicht so begeistert . Und so oder so: Es bleiben unklare Perspektiven und wenig Planbarkeit für viel zu viele andere im Alltag . Von einem „Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs“ in Gänze kann sowieso keine Rede sein, weil andere Personalkategorien wie insbesondere der Mittelbau außen vor bleiben . Die Fachhochschulen haben Union und SPD erst einmal auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertröstet . Ich denke, das ist viel zu viel Alibi, viel zu viel Kosmetik und viel zu wenig wirklich beherztes Handeln . Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wären schlecht beraten, wenn Sie sich darauf verlassen, dass sich Nachwuchswissenschaftler aufgrund von Motivation und Selbstlosigkeit endlos ausbeuten lassen . Wenn es im Wissenschaftssystem jenseits der Promotion immer weniger verlässliche Perspektiven gibt, ist der Gang ins Ausland oder in die Wirtschaft die logische Konsequenz. Damit gefährden wir das deutsche Wissenschaftssystem insgesamt . Das darf nicht sein . ({8}) Neugierde und Lust auf Fragen und Zweifel treiben die Wissenschaft voran, und dafür braucht es Vielfalt . Ein wichtiger Aspekt sind daher Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft . Wir brauchen mehr Frauen in der Spitze der Wissenschaft . Auch das wollte die Koalition voranbringen; aber auch auf diesem Feld herrscht auf der ganzen Linie schlichtweg Enttäuschung . Nichts ist geworden aus der Ansage im Koalitionsvertrag, in den Programmen verstärkt die Einhaltung von Gleichstellungsstandards zu verankern . Beim Pakt für Forschung und Innovation, bei der neuen Exzellenzstrategie und auch im Tenure-Track-Programm fehlen klare und harte Gleichstellungsziele . Beim Professorinnenprogramm ist, na ja, immerhin eine Absichtserklärung herausgekommen . Die Bilanz der Gleichstellungspolitik ist nach vier Jahren Koalition insgesamt ernüchternd . ({9}) Ich hoffe und setze auf die nächste Wahlperiode. Ein vernünftiges WissZeitVG steht an, damit man mit Sicherheit gut forschen kann . Ein Personalprogramm für die Fachhochschulen steht an. Eine bessere Grundfinanzierung für die Hochschulen steht an . Es geht auch um mehr Verantwortungsbewusstsein in der Wissenschaft für die eigene Mitarbeiterschaft in puncto Personalentwicklung und Karrierewege . Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler benötigen eine Entfristungsoffensive, klare Karriereperspektiven, mehr Zeit zum Forschen

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Und wir benötigen das Ende der Rede .

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- deshalb ein letzter Halbsatz -, bessere Arbeitsbedingungen und mehr Familienfreundlichkeit . Wir lassen nicht locker, dieses Ziel zu erreichen . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kai Gehring . - Nächste Rednerin: Alexandra Dinges-Dierig für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Alexandra Dinges-Dierig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004260, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste auf den Tribünen! Heute ist für mich ein ganz besonderer Tag; denn ich halte hier und heute meine Abschiedsrede im Deutschen Bundestag . Wie sollte es anders sein? Es ist eine Rede zum wissenschaftlichen Nachwuchs . Es ist nicht das erste Mal, dass wir hier darüber reden und auch streiten . Das haben wir schon in verschiedenen Sitzungen getan . Es sind sicher noch viele Verständnisfragen offen, die man in der nächsten Legislatur hoffentlich klären kann. Warum diskutieren wir immer wieder über den wissenschaftlichen Nachwuchs, und warum hier, in diesem Hause? Es gibt doch so viele andere Themen . Eigentlich liegt es auf der Hand: Wir wissen ganz genau, dass die bestmögliche Forschung und die bestmögliche Lehre in der Zukunft davon abhängig sind, ob es uns gelingt, dem heutigen wissenschaftlichen Nachwuchs so gute Rahmenbedingungen zu bieten, dass wir ihn bei uns halten können oder international anwerben können . Beide Möglichkeiten müssen gegeben sein . Daher ist dieses Thema für uns existenziell wichtig . ({0}) Auf den Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2017 will ich hier gar nicht intensiv eingehen; denn die Daten - viele haben es schon gesagt - sind nicht ganz aktuell . Es gibt welche aus 2014 - Simone Raatz, das ist richtig -, aber die meisten sind älter; die meisten stammen aus 2008, einige sogar aus 2006 . Daraus für 2017 Thesen abzuleiten, finde ich schlichtweg falsch. Wenn wir die Angaben mit anderen Erkenntnissen, die wir haben, abgleichen, sehen wir sehr wohl Positives, aber natürlich auch eine ganze Menge Schatten . Wie kommen wir weiter? Ich bin davon überzeugt, dass wir endlich mehr Informationen brauchen; das hat auch die Bundesministerin schon gesagt . Wir müssen zum Beispiel endlich wissen, warum jemand ein Studium abbricht, ob er es überhaupt abgebrochen hat oder nur das Studienfach gewechselt hat . Wir müssen wissen, wie viele promovieren, wo promoviert wird und welches Promotionsverfahren angewandt wird . Wir müssen gegebenenfalls auch wissen, wann die Promotionen abgebrochen wurden und warum sie abgebrochen wurden . Wir brauchen Erkenntnisse über die Vereinbarkeit von Familie und akademischer Karriere . Ich möchte an dieser Stelle klar sagen: Jeder, der an einer Universität eine Promotion vorgelegt hat und dann die Universität verlässt, ist kein Loser oder Abbrecher, sondern er hat für sein Leben schlichtweg eine andere Entscheidung gefällt, und auch die haben wir zu respektieren . ({1}) Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit dem neuen Hochschulstatistikgesetz - das hat die Bundesministerin schon gesagt - wirklich gute neue Erkenntnisse gewinnen, um mit Blick auf den Längsschnitt einer beruflichen Karriere entsprechende politische Maßnahmen aufsetzen zu können . Aber nichtsdestotrotz haben wir natürlich nicht gesagt, dass wir warten, bis wir mehr Zahlen haben, sondern wir haben gehandelt, und zwar da, wo wir handeln mussten . Nur ganz kurz - wir alle kennen die Instrumente -: Über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz wurde eben sehr viel gesagt . Wir haben damit der Vergabe von grundlosen und unangemessen kurzen Zeitverträgen einen Riegel vorgeschoben . Die Umsetzung dauert seine Zeit . Deshalb gibt es 2020 eine Evaluation . Der Bewusstseinswandel an den Hochschulen hat - das merken Sie, wenn Sie sich heute mit Menschen an den Hochschulen unterhalten - übrigens schon begonnen . Wenn dazu noch aufgrund der Entlastung der Länder durch die BAföG-Millionen rund 12 000 unbefristete Stellen an den Hochschulen geschaffen würden, würden wir hier keine Diskussionen mehr über befristete Arbeitsverträge führen . ({2}) Wir haben mithilfe des neuen Tenure-Track-Programms einen Karriereweg zur Universitätsprofessur planbarer gemacht, und wir haben mit den erweiterten Kooperationsmöglichkeiten auf der Grundlage des veränderten Artikels 91b des Grundgesetzes eine neue Exzellenzstrategie auf den Weg gebracht . Warum ist das für den wissenschaftlichen Nachwuchs wichtig? Ganz einfach: Für den Spitzennachwuchs gibt es durch die neue Exzellenzstrategie fantastische Perspektiven . Wir als Union sind fest davon überzeugt: Qualitätssteigerung ist das übergeordnete Ziel . Wir werden es aber nicht so erreichen, wie die Linken es immer wieder fordern: Geld, Geld, Geld in das System, dann wird alles besser . - So einfach ist das nicht . Wir haben deshalb - das können Sie sehr gut nachsehen; und deshalb ist die Bilanz auch nicht dürftig, wie Sie, liebe Frau Gohlke, heute Morgen im Ausschuss gesagt haben - bei der Exzellenzstrategie und dem Tenure-Track-Programm folgende Fördervoraussetzung - wenn diese nicht erfüllt ist, gibt es kein Geld von den Milliarden, die wir bereitstellen -: Es müssen ein überzeugendes Personalentwicklungskonzept und eine individuelle Personalberatung vorliegen . Dabei müssen alle Gleichstellungsfragen berücksichtigt werden . Nur dann können sich die Hochschulen überhaupt bewerben . ({3}) Das ist ein Qualitätsbaustein . Daran werden wir als Union weiterarbeiten . ({4}) Viele Meilensteine . Wir wollen uns auf diesen Lorbeeren aber nicht ausruhen . Wir als Union werden hier mit Sicherheit weitermachen . Wir werden das Spitzenfeld der Wissenschaft weiterhin im Auge behalten . Ich wünsche meinen Kolleginnen und Kollegen, die hier bleiben, und denen, die neu hinzukommen, viel Erfolg für unseren wissenschaftlichen Nachwuchs, aber auch für die anderen sehr wichtigen wissenschaftspolitischen Themen und natürlich neben Kompetenz auch eine glückliche Hand dabei . Ich bedanke mich für das tolle Miteinander bei allen Kolleginnen und Kollegen und sage einfach Tschüss . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Dinges-Dierig . Ich wünsche Ihnen eine gute Zukunft, eine gute Zeit auch ohne Ihre parlamentarische Familie hier in diesem Haus . Lassen Sie von sich hören, wo auch immer Sie zukünftig sein werden . Nächster Redner: Oliver Kaczmarek für die SPD-Fraktion . ({0})

Oliver Kaczmarek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004063, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch der Bericht des Ausschusses für die Hochschulstatistik steht heute auf der Tagesordnung . Die Ministerin hat zu Recht auf die wesentlichen Verbesserungen hingewiesen . Ich möchte meine Rede damit beginnen, dem Ausschuss für seine Arbeit zu danken; denn durch den Bericht und die Daten, die uns zur Verfügung gestellt werden, werden wir in der Lage sein, noch besser auf veränderte Bildungsbiografien einzugehen und noch bessere politische Entscheidungen zu treffen. Herzlichen Dank an den Ausschuss für die Hochschulstatistik für seine Arbeit! ({0}) Es ist hier schon angesprochen worden: Die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses steht in einem direkten Zusammenhang mit der Finanzausstattung der Hochschulen . Es gibt eine Kette, die wir durchbrechen müssen . An ihrem Beginn stehen meistens oder zu oft befristete Mittelzuweisungen an die Hochschulen . Daran schließen sich befristete Arbeitsverträge für die Beschäftigten an, an die sich wiederum schlechtere Karrierechancen und schlechtere Planungssicherheit, beispielsweise wenn man eine Familie gründen will, anschließen; das ist gerade schon gesagt worden . Diese Diskontinuitäten führen am Ende dazu, dass wir uns Gedanken machen müssen, ob das nicht auch auf die Qualität der Lehre Auswirkungen haben kann . Deswegen, glaube ich, müssen wir diese Kette durchbrechen . Wir können das mithilfe von politischen Entscheidungen tun, die wir in der nächsten Zeit zu treffen haben und bei denen wir klare Positionen einnehmen . Ich will einige Beispiele nennen . Wir haben gerade über Statistik gesprochen . Die Megaherausforderung der letzten Jahre war die steigende Anzahl von Studienanfängerinnen und Studienanfängern . Ich glaube, wir haben mit dem Hochschulpakt politisch richtig darauf reagiert; er ist eine nationale Anstrengung von Bund und Ländern . Ich glaube, dass die Herausforderung bleibt . Oder andersherum: Die Annahme aus der Hochschulpaktgründungszeit, dass die Studienanfängerzahlen wieder sinken werden, wird sich nach allen Prognosen, die wir kennen, nicht bewahrheiten . Deswegen hilft an der Stelle langfristig gesehen ein befristeter Pakt nicht weiter . Wir brauchen eine langfristige Sicherheit für die Hochschulen . Deshalb brauchen wir auch eine klare Haltung zu der in der nächsten Wahlperiode anstehenden Entscheidung, wie es mit dem Hochschulpakt weitergehen soll . ({1}) Ich will ganz ehrlich sein, Frau Ministerin: Ich hätte mir anstelle des wiederholten Spielens der BAföG-Leier gewünscht, von Ihnen zu hören, wie es mit dem Hochschulpakt weitergehen soll, ob Sie beispielsweise die Haltung, die aus Ihrer Fraktion schon deutlich geworden ist, teilen, dass es nicht mehr um Quantitätsförderung, sondern nur noch um Qualität geht, und was das eigentlich genau heißt . Wir sind der Meinung, ein Beitrag des Bundes zur Grundfinanzierung ist unerlässlich. Die Verstetigung des Hochschulpakts muss in der nächsten Wahlperiode kommen . ({2}) Wenn man sich einmal ansieht, wie sich die Studierendenschaft zusammensetzt, dann fällt doch auf, dass sich der Anteil der Studierenden und im Übrigen auch die Gesamtzahl der Studierenden an Fachhochschulen und Hochschulen für angewandte Wissenschaften auf fast 1 Million Menschen deutlich erhöht hat . Das freut uns; denn die Fachhochschulen leisten einen wichtigen Beitrag zur Qualifizierung von Fachkräften, zur regionalen Innovationskraft, zum Wissenstransfer . Das alles sind wichtige Punkte . Deswegen haben wir in dieser Wahlperiode die Fachhochschulen zu Recht unterstützt, sowohl bei der Forschungsförderung als auch beim Programm „Innovative Hochschule“, wo wir den Transfer noch stärker in den Blick genommen haben . An der Stelle müssen wir zukünftig weitergehen und verstärkt die Ausbildungsleistung von Fachhochschulen angehen . Dazu gehört auch, was gerade meine Kollegin Simone Raatz gesagt hat: Wir brauchen zusätzliche Mittel für die Fachhochschulen, um den Karrierewegen, der Personalentwicklung und eben der gestiegenen Bedeutung sowie den Ansprüchen und Anforderungen, dort eine langfristige Beschäftigung aufnehmen zu können, gerecht zu werden . ({3}) Ein letzter Punkt: Immer mehr Studierende kommen aus dem Ausland, um hier in Deutschland zu studieren . Das freut uns; denn das zeigt, dass der Wissenschaftsstandort Deutschland eine hohe Attraktivität hat . Das hat viele Gründe; da gibt es nicht nur ein Instrument . Aber sicherlich hat auch die Exzellenzinitiative dazu beigetragen, die internationale Strahlkraft und die Attraktivität nicht nur an den Exzellenzstandorten, sondern für das gesamte Wissenschaftssystem zu beleben . ({4}) Deswegen war es richtig, dass Bund und Länder an der Stelle gemeinsam und auf Augenhöhe entschieden haben, dass aus der Initiative eine Strategie wird . ({5}) Und es war richtig, dass die Möglichkeiten, die wir im Grundgesetz neu geschaffen haben, in der Wissenschaft zwischen Bund und Ländern zu kooperieren, dafür genutzt worden sind, um die Exzellenzstrategie auf eine dauerhafte Grundlage zu stellen . ({6}) Meine Schlussfolgerung daraus ist, dass wir diese grundgesetzlichen Möglichkeiten auch dazu nutzen müssen, die Perspektive auf bisher befristete Pakte zu erweitern . Das muss der nächste Schritt sein . Hochschulpakt und andere Punkte sind angesprochen worden . Das wird in der nächsten Wahlperiode auf uns zukommen . Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . - Wir haben in dieser Wahlperiode viel geleistet . Darauf blicken wir als Koalition und natürlich als Sozialdemokraten mit Zufriedenheit zurück; BAföG und andere Dinge habe ich hier noch gar nicht erwähnt . Aber die Wissenschaft will auch wissen, wie es weitergeht . Insbesondere die großen Finanzströme sind betroffen. Es ist wichtig, dass sich die Parteien vor der Bundestagswahl hier klar positionieren . Wir sind der Meinung, dass der Bund weiterhin gemeinsam mit den Ländern in der Verantwortung für die Breitenförderung ist . Herzlichen Dank . ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Oliver Kaczmarek . - Die letzte Rednerin in der Debatte: Dr . Claudia Lücking-Michel für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Claudia Lücking-Michel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004345, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Schluss der Debatte will ich den Themenbereich aufgreifen, den der Bericht selbst zum Schwerpunkt seiner dritten Auflage macht, nämlich die Vereinbarkeit von Familie und akademischer Karriere . Zu der Notwendigkeit und dem Bedarf von aktuellen und aussagekräftigen Zahlen haben wir jetzt genug gehört . Das brauche ich nicht zu wiederholen, will es aber unterstreichen . Ich möchte auf einige strukturelle Fragen hinweisen, die mir aufgefallen sind und die wir in Zukunft verstärkt in den Blick nehmen sollten, wenn wir Veränderungen feststellen und beobachten . Für mich ist Folgendes interessant: Wenn es um die Vereinbarkeitsfrage ging, die vom wissenschaftlichen Nachwuchs als problematisch eingeschätzt wurde, dann waren es - das war eklatant - vor allen Dingen junge Frauen, die selbst noch gar keine Kinder hatten, die diesen Eindruck geäußert haben . Dieser Eindruck führt dann dazu, dass sie ausscheiden und den Wissenschaftsbetrieb verlassen, wenn es um die Familienplanung geht . Darauf sollten wir in Zukunft genau achten . Zu den Gründen, die genannt werden, gehört nicht etwa einzig und an erster Stelle die Befristung von Verträgen; wenn wir das so adressieren, springen wir zu kurz . Genannt werden auch die Verfügbarkeitskultur, hohe Mobilitätsanforderungen und nach wie vor der Bedarf an mehr Betreuungsmöglichkeiten . Auch da müssen wir hinschauen . Mir ist wichtig, zu sagen: Das alles sollten doch Probleme und Herausforderungen sein, die sowohl Väter als auch Mütter betreffen. Aber nein, nach wie vor sind praktisch vor allen Dingen Frauen betroffen. Da wir gerade bei Zahlen und Phänomenen sind: Es gibt in dem Bericht von 2016 ein Fundstück, das ich besonders erwähnen will . Es geht darum, dass sich eine Vaterschaft positiv auf den Karrierestatus auswirkt, eine Mutterschaft hingegen negativ . Was genau ist gemeint? Es lässt sich nachweisen, dass zum Beispiel in den USA, so der Bericht, eine familienbedingte Verlängerung der Tenure-Track-Phase bei Assistant Professors unterschiedliche Folgen hat . Bei Frauen, die sich ein Jahr lang vorrangig um ihre Kinder kümmern, sank die Wahrscheinlichkeit, an eine der 50 Topuniversitäten berufen zu werden . Bei Männern stieg die Wahrscheinlichkeit unter den gleichen Bedingungen . Angesichts der vielen Fragen und der Zahlen, die wir in Zukunft gerne hätten, will ich anmerken: Auch darauf hätte ich gerne Antworten . ({0}) Ich bin sehr froh, Frau Ministerin, dass Sie angekündigt haben, schon mehrere Forschungsprojekte auf den Weg gebracht zu haben, die uns für solche und ähnliche Herausforderungen in Zukunft vielleicht interessante Hinweise geben werden . Konzentrieren will ich mich in meiner Rede auf die Maßnahmen und Projekte, bei denen wir in den letzten Jahren wirklich viel umgesetzt haben, vor allen Dingen wenn auch nicht nur -, wenn es darum ging, die Vereinbarkeit für den wissenschaftlichen Nachwuchs besser zu regeln . Genannt wurde schon - da kann ich mich kurzfassen das Tenure-Track-Programm . Natürlich bringt es mehr Planbarkeit für die Karriere von allen, aber auch und gerade für diejenigen, die Nachwuchs planen . Außerdem geht es - das ist hier bisher viel zu wenig vorgekommen; damit möchte ich mich jetzt länger befassen - um das Professorinnenprogramm . Es hat bislang nicht nur die Berufung von über 500 Professorinnen ermöglicht, sondern auch - das war uns wichtig - an ganz vielen Stellen systemisch im Sinne struktureller Gleichstellung gewirkt . Wie gut, dass die GWK schon im April dieses Jahres dafür votiert hat, das Programm fortzuführen, und dass wir auch aus dem BMBF Signale bekommen haben, dass es fortgeführt werden soll . Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um Verbesserungs- oder Erweiterungsvorschläge zu machen . ({1}) Mir wäre wichtig, dass in Zukunft ganz im Sinne des Positionspapiers unserer Fraktion mit einem Teil der Mittel Professorinnen auch Nachwuchswissenschaftlerinnen einstellen können, zum Beispiel für die Leitung von Nachwuchsgruppen, um insbesondere die Leaky Pipeline direkt nach der Promotion bei den jungen Wissenschaftlerinnen zu stopfen und sie im Betrieb zu halten . ({2}) Wir müssen mit Mitteln und Maßnahmen dafür sorgen - auch das steht in unserem Positionspapier -, dass es einfacher wird, nach der Promotion, wenn man eine Familienphase hatte, zurückzukehren und in der wissenschaftlichen Laufbahn in der Postdoc-Phase anzuschließen . Wir müssen darauf achten - auch das ist sehr wichtig -, dass all die vielen Gleichstellungsmaßnahmen, die wir systemisch fordern, in den Hochschulen wirklich nachhaltig verankert sind, diese die Verantwortung dafür übernehmen und die Maßnahmen verbindlich und auf Dauer gestellt werden . Das heißt - das ist ganz klar -: Das Professorinnenprogramm braucht in Zukunft deutlich mehr Mittel . ({3}) Meine Damen und Herren, wir haben es schon oft gehört - ich will es unterstreichen -: Die beste Wissenschaft braucht die besten Männer und die besten Frauen . ({4}) Dass wir daran noch arbeiten müssen, ist deutlich geworden. Aber wir haben auch schon einiges geschafft. Danke schön . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Claudia Lücking-Michel . - Damit schließe ich die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/12310 und 18/10851 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Sie sind damit einverstanden . Dann sind die Überweisungen so beschlossen . Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung . Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 1 . Juni 2017, 9 Uhr, ein . Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen einen schönen Restabend .