Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich . Ich könnte Sie alle jetzt auch namentlich begrüßen, ohne dass das eine unvertretbar lange Zeit in Anspruch nehmen würde .
({0})
Ich möchte Sie zu Beginn davon in Kenntnis setzen,
dass es eine interfraktionelle Vereinbarung gibt, dass
der Tagesordnungspunkt 5 - das ist der Bundesbericht
Wissenschaftlicher Nachwuchs 2017 - und der Tagesordnungspunkt 8 - da geht es um den Menschenrechtspolitikbericht der Bundesregierung - unter Beibehaltung
ihrer Debattenzeiten ihre Plätze tauschen . Sie bleiben
also auf der Tagesordnung und werden nur in umgekehrter Reihenfolge behandelt .
Außerdem sollen die Beschlussempfehlung auf der
Drucksache 18/10625 - hier geht es um zivilgesellschaftliches Engagement - und der Antrag mit dem Titel „Für
den Menschenrechtsschutz in Deutschland - Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter reformieren und
stärken“ zusammen mit dem Tagesordnungspunkt 8 beraten werden .
Des Weiteren soll in Verbindung mit dem Tagesordnungspunkt 6 der Antrag mit dem Titel „,UN Binding
Treaty‘ ambitioniert unterstützen“ aufgerufen werden .
Dann soll der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften auf der Drucksache 18/12041 dem Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz, dem Innenausschuss, dem
Ausschuss für Wirtschaft und Energie, dem Finanzausschuss sowie dem Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft zur Mitberatung überwiesen werden .
Schließlich sollen die Unterrichtungen der Bundesregierung zu den Stellungnahmen des Bundesrates auf den
Drucksachen 18/12478, 18/12479, 18/12480, 18/12481
und 18/12497 zu den bereits überwiesenen Gesetzentwürfen auf den Drucksachen 18/12049, 18/12037,
18/12048, 18/12041 und 18/12051 an die entsprechenden
federführenden und mitberatenden Ausschüsse überwiesen werden .
Das leuchtet Ihnen allesamt sicher sofort ein, sodass
mit größeren Einwänden nicht zu rechnen ist . - Es gibt
sogar demonstrative Zustimmung, für die ich mich besonders bedanke . Damit ist das jedenfalls so beschlossen .
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 1:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen
Drucksache 18/12377
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Eine Aussprache ist dazu heute nicht vorgesehen, aber
wir müssen die Überweisung dieses Gesetzentwurfs beschließen .
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf der Drucksache 18/12377 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Anderweitige
Vorschläge sehe ich nicht . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des § 103 des Strafgesetzbuches
‒ Beleidigung von Organen und Vertretern
ausländischer Staaten ‒
Drucksache 18/10980
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({2})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
Auch zu diesem Tagesordnungspunkt ist eine Aussprache heute nicht vorgesehen .
Der Gesetzentwurf auf der Drucksache 18/10980 soll
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
überwiesen werden . - Einwände sind nicht erkennbar .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 3:
Befragung der Bundesregierung
Die Regierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Bericht der Bundesregierung zum
Stickstoffeintrag in die Biosphäre.
Dazu wird, unserer ständigen Übung folgend, nun die
zuständige Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit einen einleitenden Bericht
geben, zu dem auch schon Fragen bei mir angemeldet
werden können, so es sie denn gibt . - Frau Ministerin,
bitte schön .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Hohe Emissionen reaktiver Stickstoffverbindungen in
der Umwelt stellen nach wie vor ein bedeutendes Umweltproblem dar . Das gilt zum Beispiel für Nitrate im
Grundwasser oder Stickstoffoxide und Ammoniak in der
Luft . Seit Mitte des 19 . Jahrhunderts hat sich die jährliche Freisetzung reaktiven Stickstoffs durch menschliche
Tätigkeit verzehnfacht . Die höchsten Zuwächse gab es
dabei in den industrialisierten Ländern und auch in den
Transformationsstaaten .
Mir ist selbstverständlich bewusst, dass zum Beispiel
der Einsatz organischer und mineralischer Stickstoffdünger zur Steigerung von Erträgen dazu geführt hat,
die wachsende Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln
zu versorgen . Leider hat dies jedoch - das gehört zur
Wahrheit eben auch dazu - nicht nur Nutzen gebracht,
sondern auch zu erheblichen negativen Folgen für Menschen, Umwelt und Wirtschaft geführt . Vorliegende
Schätzungen für die Europäische Union besagen, dass
sich die Folgekosten der Stickstoffemissionen zu knapp
zwei Dritteln auf gesundheitliche Schäden beziehen und
zu etwa einem Drittel auf Schäden an den Ökosystemen .
Trotz der erzielten Minderungserfolge werden verschiedene stickstoffbezogene Umweltqualitätsziele nicht eingehalten . Der Handlungsbedarf ist somit evident .
Die Bürgerinnen und Bürger sind sich der Tragweite
des Problems und der eigenen Betroffenheit häufig gar
nicht bewusst . Es herrscht also nicht nur Handlungs-,
sondern auch Aufklärungsbedarf . Der jetzt vorgelegte
Bericht dient ebendiesem Zweck . Er informiert die Bürgerinnen und Bürger sowie alle beteiligten Akteure, zum
Beispiel aus den Bereichen Mobilität, Landwirtschaft,
Industrie und Energiewirtschaft, über den Sachstand, die
Ursachen und die Folgen sowie über die Lösungsansätze .
Er verdeutlicht zudem die Notwendigkeit ressortübergreifenden Handelns, um die Einträge in Luft, Boden,
Wasser und die Ökosysteme zu reduzieren .
Da es sich um ein systemisches Umweltproblem handelt, setzen wir auf einen integrierten Ansatz zur Stickstoffminderung, bei dem alle Verursacherbereiche in den
Blick genommen werden . Unser Ziel ist es, die Emissionen reaktiven Stickstoffs in allen Umweltmedien auf ein
verträgliches Maß zu reduzieren . Wir wollen weiteren
Schaden abwenden, übrigens auch in Form von Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission .
Mit der Vorlage des Stickstoffberichts möchte ich
Ihnen allen die Dringlichkeit dieses Themas vor Augen
führen und darf mich ausdrücklich bei allen mitwirkenden Ressorts für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken .
Ich bedanke mich für den knappen, prägnanten Bericht . - Die erste Nachfrage hat der Kollege Lenkert .
Frau Ministerin, vielen Dank für die Kurzeinführung
in den Bericht . - Mich würde interessieren: Wie hoch
konkret sieht die Bundesregierung das Minderungspotenzial in den einzelnen Bereichen in der Bundesrepublik, und wie möchte die Bundesregierung dieses Potenzial zukünftig erschließen? Wie möchte sie vor allen
Dingen dabei sicherstellen, dass die Verursacher, die
Urverursacher wie zum Beispiel die Autoindustrie, von
den Maßnahmen der Bundesregierung betroffen sind und
nicht eventuell Geschädigte?
Ja, es gibt Abschätzungen, wie viel welche Sektoren
zum Stickstoffeintrag tatsächlich beitragen. Selbstverständlich sind hier diejenigen, die uns bekannt sind, etwa
die Bereiche Mobilität oder auch Landwirtschaft, diejenigen, die am meisten verursachen; selbstverständlich
gehört dazu auch die Industrie .
Wir als Bundesregierung haben uns jetzt darauf verständigt, dass wir gemeinsam feststellen, welchen Handlungsbedarf es gibt . Das ist insofern neu . Das haben
frühere Bundesregierungen bisher nicht geschafft. Allerdings wird es diese Bundesregierung nicht mehr schaffen, tatsächlich noch einen Stickstoffminderungsplan
aufzulegen . Das bleibt der nächsten Bundesregierung
vorbehalten .
Kollege Meiwald .
Vielen Dank, Frau Ministerin . Vielen Dank, Herr
Präsident . - Zunächst einmal stellt sich uns die Frage,
warum wir uns heute mit der Problembeschreibung befassen müssen . Sie haben dargestellt, dass das Kabinett
heute eine wichtige Entscheidung getroffen hat, indem es
sich darauf geeinigt hat, dieses Problem zu beschreiben;
aber der SRU hat uns ein Gutachten zu diesem Thema eigentlich schon 2015 vorgelegt . Uns stellt sich die Frage:
Müssen wir dankbar dafür sein, dass das Kabinett nach
zwei Jahren feststellt, dass der SRU recht hat, oder gibt
es weiter gehende Erkenntnisse?
Präsident Dr. Norbert Lammert
Die entscheidendere Frage ist: Was leitet sich daraus
ab? Der SRU hat eindeutig eine nationale Stickstoffstrategie gefordert . Sie haben gerade gesagt: Die wird
es in dieser Legislaturperiode nicht mehr geben . - Aber
die Frage ist: Wie wollen wir die Ziele erreichen, die
definiert sind und die auch die Bundesregierung offensichtlich jetzt für sich anerkennt? Wie wollen wir auch
die Biodiversitätsziele bis 2020 aus unserer Nachhaltigkeitsstrategie noch erreichen, wenn wir eine gemeinsame
Stickstoffstrategie nicht haben?
In der Tat dient dieser Bericht der Vorbereitung einer
ressortübergreifenden integrierten Strategie zur Stickstoffminderung - mit konkreten Maßnahmen auch zur
Minderung der Stickstoffbelastung in der kommenden
Legislaturperiode . Handlungsbedarf gibt es in mehreren Bereichen . Wir haben in der Zwischenzeit durchaus
Fortschritte erzielt; ich muss das jetzt nicht im Einzelnen
ausführen . Wir haben zum Beispiel die Novelle der Düngeverordnung und des Düngegesetzes erst vor wenigen
Monaten in diesem Haus verabschiedet . Natürlich trägt
dies dazu bei, die Stickstoffeinträge zu vermindern.
Es gibt noch andere Bereiche, in denen wir tätig werden müssen . Zum Beispiel müssen wir die Pilotanfrage
der Europäischen Kommission zur Wasserrahmenrichtlinie sachgerecht beantworten, indem wir auch in dem Bereich vorankommen . Wir haben ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission zur Nitratrichtlinie . Auch
dies liegt natürlich an übermäßigem Stickstoffeintrag.
Bei der sogenannten NEC-Richtlinie, also der Richtlinie
zu nationalen Emissionshöchstmengen, wie auch bei der
Richtlinie zu nationalen Emissionsminderungsverpflichtungen sind wir letztlich säumig .
Dies alles muss zügig angepackt werden . Der Widerstreit der Interessen in der Koalition ist da nicht von der
Hand zu weisen - das ist eigentlich auch normal -, aber
gut ist, dass wir jetzt anerkannt haben, dass wir alle jeweils in unserem Verantwortungsbereich etwas tun müssen .
Frau Tackmann .
Vielen Dank . - Frau Ministerin, es ist anerkannt - das
haben Sie auch erwähnt -, dass die Landwirtschaft in diesem Kontext eine besondere Verantwortung hat, dass es
einerseits um Nahrungssicherung geht und andererseits
um die Frage der Emissionen und der Reduzierung der
Emissionen . Gerade in der Tierhaltung ist das ein zentraler Punkt . Sie wissen, dass die Bundesregierung nach wie
vor eine Exportstrategie hat, das heißt, dass die Tierhaltung sich nicht an dem orientiert, was zur Nahrungssicherung hier vor Ort gebraucht wird, sondern dass man exportieren will . Irgendwie hat das miteinander zu tun, die
Produktionsmenge oder die Menge der gehaltenen Tiere
und die Emissionen . Welche Strategie verfolgen Sie da?
Welche Ideen haben Sie, wie wir einerseits der Tierhaltung eine Zukunft geben können, andererseits aber Ihre
Ziele, die ich teile, erreichen können?
Die Agrarpolitik hat in der Tat die Zielrichtung der
Exportstrategie, aber nicht die Bundesregierung hat die
Zielrichtung der Exportstrategie . Das Umweltministerium sieht das anders . Es gibt also keine Bundesregierungsstrategie zum Export landwirtschaftlicher Güter .
Ich kann verstehen, dass man das in der Agrarpolitik so
vorantreiben will; unter Umweltgesichtspunkten gibt
es einen Widerstreit . Ich persönlich glaube - ich denke
auch, dass es wissenschaftlich abgesichert ist -, dass wir
wieder zu einer stärkeren Flächenbezogenheit bei der
Tierhaltung kommen müssen . Die Frage, wie viele Großvieheinheiten pro Hektar zulässig sind, ist eine Grundsatzfrage .
Kollege Krischer .
Herzlichen Dank, Herr Präsident . - Frau Ministerin,
zunächst einmal: Es ist natürlich ein Problem, Fragen
zu einem Bericht der Bundesregierung zu stellen, wenn
man den Bericht nicht kennt . Wir haben gestern in Ihrem
Haus nachgefragt, hätten gern diesen Bericht bekommen,
damit man ihn vorher lesen kann . Das war nicht möglich . Insofern ist es ein bisschen lächerlich, das hier zum
Thema einer Regierungsbefragung zu machen . Aber es
scheint ja so zu sein, dass in dem Bericht nichts Neues steht . Es scheint für Sie schon ein Phänomen zu sein,
dass die Bundesregierung sich überhaupt auf einen Bericht verständigen kann .
Sie haben im Sommer 2016 - darüber gibt es eine
Reihe von Presseberichterstattungen - eine umfassende
Stickstoffminimierungsstrategie für diese Wahlperiode
angekündigt . Gerade haben Sie gesagt: Die wird es nicht
mehr geben; das muss die nächste Bundesregierung machen . - Sie haben nun einen Bericht vorgelegt, in dem
nichts Neues ist . Mich würde interessieren: Woran liegt
es, dass eine solche Stickstoffminimierungsstrategie in
dieser Wahlperiode nicht vorgelegt worden ist? Wer oder
was ist die Ursache dafür?
Mit diesem Bericht ist tatsächlich erstmals eine ressortübergreifende Verständigung erreicht worden, sowohl zum Problemverständnis als auch zum politischen
Handlungsbedarf und der Notwendigkeit weiterer Minderungsbemühungen . Das ist ein Erfolg . Das ist richtig:
Das ist nicht das, was ich angekündigt habe .
Gleichwohl ist dieser Schritt ein Erfolg . Der Bericht
ersetzt nicht die von mir angekündigte Stickstoffstrategie; das ist so . Unsere strategischen Arbeiten zur Stickstoffminderung setzen sich aus vielen Einzelschritten zusammen . Der vorliegende Bericht ist ein Baustein dieser
Arbeiten . Die ressortübergreifende Befassung soll über
dieses wichtige Thema informieren und den politischen
Diskurs vorantreiben, sodass Maßnahmen zur Minderung der Stickstoffbelastung in der kommenden Legislaturperiode konkretisiert werden können . - Ja, in dieser
Legislaturperiode ist dieser Schritt noch nicht gelungen .
Aber der Schritt, den wir bis jetzt gegangen sind, ist erstmalig für eine Bundesregierung .
Frau Bulling-Schröter .
Danke schön . - Sehr verehrte Ministerin, mich würde interessieren: Stickstoffemissionen kommen nicht nur
aus der Landwirtschaft, sondern auch aus dem Verkehr .
Ich denke, darüber wird aus bekannten Gründen wenig
diskutiert . Mich würde interessieren: Gibt es für den Verkehrsbereich vonseiten der Bundesregierung eine Minderungsstrategie? Wie könnte sie aussehen, und welche
Zeitspanne wird noch benötigt, bis sie beginnen kann?
Ja, der Verkehr ist natürlich ein Hauptverursacher
von Stickstoffeinträgen. Das ist vollkommen klar. In den
Städten ist es der Verkehr, der für zu hohe Stickstoffbelastungen sorgt, auf dem Land ist es im Wesentlichen die
Landwirtschaft, um es vereinfacht zu sagen . Aber es ist
nicht ganz falsch, wenn ich es so vereinfacht sage . Wir
brauchen natürlich auch eine neue Mobilitätsstrategie
unter dem Gesichtspunkt von Klima und Luftverträglichkeit . Ich denke, dass dies auch eine Aufgabe der nächsten Legislaturperiode sein muss . Ich bin absolut sicher,
dass wir bei den Automobilen zu Nachrüstungen kommen müssen, im Wesentlichen natürlich bei den Dieselfahrzeugen, die Hauptverursacher der Stickstoffeinträge
sind . Aber das kann natürlich zunächst einmal nur unter
Berücksichtigung der technischen Möglichkeiten der Automobilindustrie geschehen .
Das gilt zum einen für die neu zugelassenen Automobile . Hier haben wir neue europäische Regeln, die schon
beschlossen sind und ab September wirksam werden . An
anderen Regeln wird auf europäischer Ebene gearbeitet .
Ganz wichtig ist aber zum anderen auch, dass wir den
jetzigen Bestand ins Auge fassen .
Frau Lemke .
Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie hatten heute eine
Pressekonferenz, auf der Sie die Rote Liste gefährdeter Biotoptypen und damit der Öffentlichkeit sozusagen
eine relativ vernichtende Bilanz Ihrer eigenen Arbeit
vorgestellt haben . Sie sagen, dass knapp zwei Drittel
der 863 Biotoptypen in Deutschland in Gefahr sind . Besonders dramatisch sei die Entwicklung bei Wiesen und
Weiden, während sich nach Ihren eigenen Aussagen an
einzelnen Biotopen, Flüssen und Seen, positive Entwicklungen abzeichnen, die primär auf die Verbesserung von
Klärstufen in den Kläranlagen zurückgehen .
In einer Regierungsanfrage von mir haben Sie vor wenigen Wochen geantwortet, dass ein Großteil der Feldvögel in Deutschland vom Aussterben bedroht und ein relevanter Teil schon verschwunden ist . Das heißt, das Ziel
der Bundesregierung, das Artensterben bis 2020 zu stoppen, das vor mehreren Jahren festgelegt worden ist, wird
weit verfehlt . Was sind die konkreten Maßnahmen? Sie
sagen: Das alles kann erst die nächste Bundesregierung
machen. Das habe ich noch nicht geschafft abzuarbeiten.
Das muss meine Nachfolgerin bzw . mein Nachfolger machen . - Sie hinterlassen dem nächsten Bundesumweltminister also Ihre eigene Negativbilanz .
Frau Kollegin, dies weise ich zurück, und zwar entschieden . Ich habe heute nicht eine Negativbilanz meiner
eigenen Arbeit vorgelegt . Vielmehr ist das die dritte Auflage des Berichts zur Roten Liste gefährdeter Biotoptypen. Die erste Auflage gab es im Jahr 1994, die zweite
im Jahr 2006 . Das, was seit 2006 passiert ist, umfasst
natürlich deutlich mehr als meine Zeit in der Ressortverantwortung . Wir haben in der Tat Verschlechterungen
festzustellen, insbesondere im Bereich der Biodiversität
bei Weiden und Wiesen . Darauf haben Sie richtig hingewiesen . Auf der anderen Seite haben wir aber auch
Verbesserungen festzustellen, insbesondere bei Fließgewässern, Wäldern und Waldrändern . Wir haben selber,
zum Beispiel durch die Beschlussfassung über das Blaue
Band - das ist neu -, positiv darauf eingewirkt, dass es
in der Zukunft besser wird . Wir haben die Situation bei
den Auenwäldern verbessert - auch sie ist in den letzten Jahren besser geworden . Ja, es gibt auch noch viel zu
tun - das ist nicht zu bestreiten -, und es hat insbesondere
mit der Wirtschaftsweise in der Landwirtschaft zu tun .
Herr Lenkert .
Frau Ministerin, welche konkreten Maßnahmen hat
die Bundesregierung seit der Veröffentlichung des Gutachtens des Sachverständigenrats für Umweltfragen in
Angriff genommen, um die zu hohen Stickstoffeinträge
zu reduzieren? Welche Handlungsempfehlungen und
Lösungsansätze des Sachverständigenrats für Umweltfragen haben Sie als Bundesregierung verfolgt, und was
halten Sie von dem Vorschlag, eine Stickoxidabgabe einzuführen?
Ganz wesentlich ist - darauf habe ich ja eben schon
hingewiesen -, dass wir uns nach wirklich langen Vorarbeiten und kräftigen Auseinandersetzungen auch innerhalb der Bundesregierung und in diesem Parlament auf
ein neues Düngegesetz und eine neue Düngeverordnung
verständigen konnten . Das ist ein wesentlicher Schritt in
Richtung der Minderung der Stickstoffeinträge. Es ist der
wichtigste Schritt, den wir seit der Veröffentlichung des
Sachverständigenrats für Umweltfragen gegangen sind .
Man sollte es nicht negieren . Es hat mehr als fünf Jahre
gedauert, bis wir das haben durchsetzen können - immerhin einvernehmlich . Es ist eben manchmal nicht so
einfach . Aber ist es der wichtigste Schritt, den wir seither
gegangen sind .
Wir haben keine Position zur Erhebung einer Stickstoffabgabe. Ich halte dies zurzeit nicht für nötig, sondern
halte es für sinnvoller, in Zusammenarbeit mit denjenigen, die Verursacher von Stickstoffeinträgen sind - man
muss auch mal sagen, dass diese Einträge nicht vollständig vermeidbar sind; die Verursacher sind ja nicht böswillig -, die Arbeitsweisen unter vernünftigen Konditionen zu ändern .
Kollege Ebner .
Danke schön . - Frau Ministerin, Sie haben gerade
von Ihrer Erfolgsbilanz - Düngegesetz und Düngeverordnung - gesprochen. Da möchte ich die Stoffstrombilanz - oder, wie wir es gerne nennen, Hoftorbilanz - ansprechen, die ein Mittel sein sollte und aus unserer Sicht
auch ein geeignetes Instrument sein könnte, um Stickstoffeinträge zu regeln, zu regulieren und zu reduzieren.
Allein, es fehlt ja eine Regelung . Die Düngeverordnung
regelt die Frage der Stoffstrombilanz leider nicht; das
wurde in die entsprechende Stoffstrombilanzverordnung
ausgelagert . Da - wurde uns heute im Ausschuss berichtet - weiß man nichts Genaues, da gibt es keine konkreten Ergebnisse von Gesprächen, und niemand weiß, in
welche Richtung die Gespräche gehen . Vielleicht können
Sie uns etwas dazu sagen, was denn hier eigentlich erreicht werden soll, mit welchen konkreten Festlegungen
Sie jetzt die Reduzierung von Stickstoffeinträgen an der
Stelle erreichen wollen .
Herr Kollege Ebner, wir als Bundesregierung haben
ja gemeinsam mit den Ländern ein sogenanntes Düngepaket auf den Weg gebracht, das sich durchaus sehen
lassen kann und ganz sicher zu einer Verbesserung der
Situation bezüglich der zu hohen Stickstoffeinträge aus
der Landwirtschaft führen wird . Im Rahmen des Pakets
haben wir auch beschlossen - wie Sie richtig sagen -,
eine Stoffstrombilanz zunächst für größere Betriebe
einzuführen. Damit sollen alle Nährstoffzuströme und
Nährstoffabflüsse eines Betriebes genau erfasst werden,
und die entsprechende Verordnung ist in Arbeit . Ich gehe
davon aus, dass wir das parlamentarische Verfahren jetzt
rasch einleiten und noch abschließen können .
Kollege Meiwald .
Vielen Dank . - Da muss ich einfach direkt nachfragen:
Heißt das, dass Sie hoffen, das parlamentarische Verfahren noch innerhalb der beiden uns nach dieser Sitzungswoche verbleibenden Sitzungswochen „abschließen zu
können“? Ich würde gerne konkret hören, ob wir dann
mit der Vorlage der Stoffstrombilanzverordnung rechnen
dürfen .
Meine andere Frage geht auf das Gutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen zurück . Er hat vorgeschlagen, die Anforderungen an Tierhaltungsanlagen zu
verschärfen und in der TA Luft dazu klare Vorgaben zu
machen . Gibt es seitens des Ministeriums Bestrebungen,
in der Richtung tätig zu werden und die TA Luft entsprechend nachzuschärfen?
Ich gehe zunächst auf Ihre zweite Frage ein . - Was die
TA Luft anbelangt: Ja, wir haben einen Entwurf in Arbeit,
der aber nicht mehr fertig wird; das werden wir in dieser Legislaturperiode nicht mehr schaffen. Wir müssen
das Thema fachlich noch genauer durchdringen, als wir
das bisher tun, und zwar in gemeinsamer Verantwortung
von Landwirtschaftsseite und Umweltseite . Wir müssen
Tierwohl und Emissionsrecht in Einklang bringen; denn
es kann nicht sein - um es einmal überspitzt zu formulieren -, dass wir alle Tiere in verschlossenen Kästen
halten . Ich will gerne ein entsprechendes Gesetz auf den
Weg bringen, aber es bedarf noch wissenschaftlicher Arbeit und auch der Zusammenarbeit der verschiedenen Institute, zum Beispiel zwischen dem Thünen-Institut und
UBA .
Was die Stoffstrombilanz und den augenblicklichen
Stand der Beratungen angeht, würde ich - wenn Sie einverstanden sind, Herr Präsident - den Kollegen Bleser
bitten, das Wort zu ergreifen; denn die Federführung liegt
beim BMEL . Wir sind zwar in Verhandlungen, aber Herr
Bleser weiß aktuell mehr als ich .
Wenn es nicht nur eine aktuelle, sondern auch eine
konkrete Auskunft gibt, ist uns diese Ergänzung sehr
willkommen . - Bitte schön, Herr Kollege Bleser .
({0})
Vielen Dank .
({0})
Wir befinden uns zurzeit in der Tat in den Beratungen.
Es geht letztlich um die technische Umsetzung der Düngeverordnung, darum, wie das im Detail geregelt wird .
({1})
Uns liegt daran, das Vorhaben praxistauglich zu gestalten, insbesondere ohne unnötigen Bürokratieaufwuchs,
was letztlich aber nicht ganz zu vermeiden sein wird .
Darauf wäre fast keiner gekommen .
({0})
Die nächste Frage stellt Frau Bulling-Schröter .
Danke schön. - Stickstoffverbindungen sind klimarelevant . Wir stehen vor der dringenden Aufgabe - ich sage
einmal: bei Strafe des Untergangs -, die Pariser Beschlüsse einzuhalten . Meine Frage lautet: Können Sie sich vorstellen, gerade auch die Problematik der Stickstoffverbindungen in einem zukünftigen Klimaschutzgesetz zu
regeln? Wir halten es für sinnvoll, ein Klimaschutzgesetz
mit entsprechenden Untergesetzen und Verordnungen zu
machen; denn das hätte sicher eine gute Wirkung . Allerdings muss man sagen: Gesetze sind immer nur so gut,
wie sie überwacht werden .
Frau Kollegin, in der Tat: Andere klimaschädliche
Gase wie Ammoniak oder Methan sollten sinnvollerweise Gegenstand eines Klimaschutzgesetzes sein .
Frau Kotting-Uhl .
Frau Ministerin, ich habe Sie vorhin so verstanden,
dass, was jetzt von der Bundesregierung aufgrund der
Empfehlungen des SRU geleistet wurde, immerhin die
Gemeinsamkeit war, festzustellen, dass Handlungsbedarf
besteht; das muss angesichts der Ausrichtung des Landwirtschaftsministeriums wahrscheinlich tatsächlich als
Erfolg bezeichnet werden .
Sie haben auf die Frage von Herrn Lenkert - er hat
zum Vorschlag des SRU hinsichtlich einer Stickstoffüberschussabgabe gefragt - geantwortet, dass man in der
Bundesregierung nichts davon hält . Ich würde Sie gerne
zu anderen Vorschlägen des SRU fragen, zum Beispiel,
wenn es darum geht, die Anforderungen an Tierhaltungsanlagen zu verschärfen, in der TA Luft klare und
anspruchsvolle Vorgaben für Tierhaltungsanlagen zu
schaffen oder auch Reduktionsziele für den Gesamteintrag von reaktiven Stickstoffverbindungen aufzustellen
oder die Hintergrundbelastung reaktiver Stickstoffverbindungen zu reduzieren . Das sind einige der relevanten
Vorschläge des SRU . Wie bewerten Sie diese, und haben
Sie vor, neben dem Bericht, den Sie jetzt vorgelegt haben, vielleicht auch eine Empfehlung für ganz bestimmte
Maßnahmen - wem auch immer: im Umweltministerium
und in der zukünftigen Bundesregierung - zu hinterlassen?
Frau Kollegin Kotting-Uhl, ich hatte schon ausgeführt, dass wir in meinem Haus gerade an der Umsetzung
der TA Luft im Zusammenhang mit Tierhaltungsanlagen
arbeiten .
({0})
Kollege Krischer .
Herzlichen Dank, Herr Präsident . - Frau Ministerin,
Sie haben eben wieder folgendes Spiel gespielt - diesmal mit Herrn Bleser -: Frau Hendricks kündigt etwas
an, und die anderen Häuser bzw . der Rest der Bundesregierung setzt es nicht um oder blockiert . Ich möchte
deshalb eine Frage zu Ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich stellen: Anfang Mai hat die EU-Kommission unter
anderem für Stickoxide aus Kohlekraftwerken, die eine
wesentliche Ursache für Stickstoffeinträge in die Umwelt
sind, Grenzwerte auf Basis der besten verfügbaren Technik festgelegt . Medienberichten war zu entnehmen, dass
Deutschland versucht hat, zusammen mit Polen, Tschechien und anderen, diese Verschärfung der Grenzwerte
zu verhindern . Dieser deutsche Bremsversuch ist Gott sei
Dank nicht gelungen . Können Sie mir erklären, warum
Sie als Umweltministerin bei einer schärferen Gesetzgebung, die durchaus im Sinne Ihres formulierten Zieles Reduzierung des Stickstoffeintrags - wäre, auf EU-Ebene gebremst haben?
Erstens habe ich an der Stelle nicht auf EU-Ebene
gebremst . Damit hat sich ein anderes Gremium befasst,
nämlich, soweit ich weiß, der AStV .
Zweitens . Wir waren zunächst in guten Gesprächen
mit Vertretern der Europäischen Kommission und waren an einer Stelle der Auffassung, dass das, was von
der Kommission vorgeschlagen wurde, technisch nicht
regelungsfähig ist . Die Kommission hatte angedeutet,
dass man darüber noch einmal reden wolle . Wir wurden dann davon überrascht, dass die Beschlussfassung
schon am 28 . April 2017 herbeigeführt worden ist; denn
am 27 . April sind wir noch davon ausgegangen, dass die
Beschlussfassung verschoben würde . Insofern hat uns
die Beschlussfassung überrascht . Da wir fachlich andeParl. Staatssekretär Peter Bleser
rer Auffassung waren, haben wir tatsächlich nicht zugestimmt. Unsere Auffassung wurde übrigens durch das
UBA bestätigt, welches bei Ihnen normalerweise nicht
im Verdacht steht .
Herr Lenkert stellt jetzt die letzte Frage zu diesem
Themenkomplex .
Frau Ministerin, ich möchte das Thema Lebensmittelverschwendung ansprechen . Auch das Wegwerfen von
Lebensmitteln hat Einfluss auf die Stickstoffbilanz. Nun
hat der Handel natürlich kein Interesse daran, weniger
Lebensmittel zu verkaufen . Dann würde ja auch der Umsatz sinken . Vor diesem Hintergrund frage ich: Welche
Maßnahmen wollen Sie seitens der Bundesregierung in
den Bereichen Handel und Produktion ergreifen, um die
Verschwendung von Lebensmitteln zu bekämpfen und
die damit verbundenen Stickstoffeinträge zu reduzieren?
Ich möchte die Zahl noch einmal nennen - Sie kennen
sie sicher -: 11 Millionen Tonnen Lebensmittel werden
in Deutschland pro Jahr als Abfall entsorgt .
Kollege Lenkert, diese Zahl muss uns alle erschrecken . Dem wollen wir sicherlich gemeinsam entgegentreten . Allerdings ist es schwierig, auf das individuelle
Konsumentenverhalten einzuwirken . Wir als Bundesregierung haben eine Strategie zum nachhaltigen Konsum
aufgelegt, die auch den Bereich Lebensmittel umfasst selbstverständlich nicht nur diesen Bereich, aber auch
diesen -; letztlich führen aber Konsumentenentscheidungen dazu, dass Lebensmittel verschwendet werden .
Ich würde es für sinnvoll halten - darauf hat ja auch
der Ernährungsminister schon einmal hingewiesen -,
dass man auf den Verpackungen nicht nur das Mindesthaltbarkeitsdatum angibt, sondern auch das Datum, bis
zu dem der Verzehr unbedenklich ist . Das würde sicherlich helfen, weil viele Menschen sich von den Mindesthaltbarkeitsdaten beeinflussen lassen, im Sinne von: Das
werfe ich jetzt mal weg . - Faktisch weiß man, dass das
nicht nötig ist . Ich zum Beispiel trinke kleine Mengen
Vollmilch in meinem Kaffee. Ich nutze die Milch immer
noch nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums, weil
ich ja gar nicht so viel davon verbrauche . Da passiert
nichts . Ich glaube, es wäre vernünftig, beide Daten anzugeben . Über diesen Punkt sollte man mit der Lebensmittelindustrie verhandeln, oder man müsste eine entsprechende Vorschrift erlassen .
Vielen Dank . - Wir schließen jetzt diesen Teil der Regierungsbefragung ab .
Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Das ist nicht der Fall . Sonstige Fragen
an die Bundesregierung gibt es aber reichlich . Zunächst
erteile ich dem Kollegen Beck das Wort .
Vielen Dank . - Meine Frage berührt den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern . Herr Lothar
de Maizière war letztes Jahr in Kairo und hat dort den
Großscheich Ahmad al-Tayyib besucht . Diesen hat er
jetzt auf dem Kirchentag erneut getroffen. Er wurde dort
als großer Friedensvisionär und moderater Muslim gefeiert . Ich möchte wissen, ob der Bundesregierung bekannt
ist und wenn ja, warum es nicht Gesprächsthema wurde,
dass Herr al-Tayyib hinsichtlich Israel fragt: „Wenn man
die religiöse Decke abnimmt, welche Berechtigung hätte
denn Israel in dieser Region?“, und damit die Existenz
dieses Staates infrage stellt . In 2002 soll er gesagt haben,
dass Selbstmordattentate in Israel zu 100 Prozent islamisch seien .
Warum geht man bei einer öffentlichen Veranstaltung
nicht kritisch damit um? Ich finde, ein Dialog mit dem
Islam ist richtig, aber Dialog heißt auch, dass man solche
Äußerungen benennt und zurückweist . Durch das Verschweigen solcher Probleme schafft man schließlich nur
falsche Vorbilder; denn er hat jetzt nach diesem Auftritt
sozusagen das Prüfsiegel des Bundesinnenministeriums
und der Bundesregierung . Ich möchte wissen, wie Sie
das wieder geraderücken wollen .
Darf ich?
Ja, klar . Bitte schön . Es besteht sogar eine gewisse
Erwartung, dass eine Antwort auf die Frage erteilt wird .
Die Erwartung enttäusche ich ungern, insbesondere
nicht diejenige des Bundestagspräsidenten .
Das wollen wir einmal festhalten .
({0})
Herr Kollege Beck, ich gehe davon aus, dass Sie nicht
Lothar de Maizière meinten, den letzten Ministerpräsidenten der DDR, auch wenn Sie ihn eben genannt haben .
Sie meinten bestimmt Thomas de Maizière . Aufgrund
dieses Versprechers hatte ich gezögert und mich gefragt,
ob mein Haus wirklich zuständig ist, diese Frage zu beantworten . Aber das setze ich jetzt einfach voraus .
In der Tat hat Thomas de Maizière auf dem Kirchentag an einer Diskussionsrunde, die ich selbst leider nicht
besuchen konnte, teilgenommen . Sie war Teil des Dialogs, der dort - ich finde, vollkommen zu Recht; da sind
wir uns wahrscheinlich einig - zwischen Christen und
Muslimen, zwischen dem deutschen Staat und muslimischen Vertretern gepflegt worden ist. Allerdings kann ich
mitnichten sehen, dass man hierdurch einer Person, auch
wenn sie in der islamischen Lehre noch so hochgestellt
ist und vielleicht eine der höchsten islamischen Lehrautoritäten ist, ein Gütesiegel oder Ähnliches erteilt . Auf dem
Kirchentag gab es viele Diskussionsrunden, bei denen
Vertreter unterschiedlicher Parteien, auch Ihrer Partei,
mit anderen diskutiert haben . Wenn man dies jedes Mal
als eine Art Gütesiegel interpretieren würde, dann könnte
man wahrscheinlich viele Diskussionen nicht mehr führen oder müsste sich gut überlegen, ob man teilnimmt .
({0})
Der Dialog ist wichtig, und er hat stattgefunden . Das
Zitat, das Sie genannt haben und das offenbar aus dem
Jahr 2002 ist, bezieht sich, soweit mir bekannt ist, auf
einen Artikel in der New York Times, den dann das AJC
übernommen hat . Wie belastbar dieses Zitat ist, kann ich
Ihnen hier wirklich nicht sagen .
({1})
Frau Leidig .
Vielen Dank . - Ich möchte die Gelegenheit nutzen,
noch eine Frage an Frau Ministerin Hendricks zu richten . Hierbei geht es um das Luftverkehrskonzept, das
wir heute im Verkehrsausschuss andiskutiert haben . Die
Zuständigen der Bundesregierung haben deutlich formuliert, dass das Ziel dieses Konzeptes ist, den Luftverkehr
zu steigern, also mehr Flugverkehr in Deutschland zu
organisieren, auch um im internationalen Wettbewerb
mehr Anteile zu gewinnen . Das ist eine Strategie, die den
Klimaschutzzielen deutlich im Wege steht . Sie entspricht
auch nicht den Zielen und Verabredungen, über die in
den Ländern diskutiert worden ist, und auch nicht den
Vorstellungen der Posch-Kommission, die angeregt hat,
sich auch mit Fragen des Lärmschutzes usw . intensiver
zu beschäftigen . Mich würde interessieren, ob Sie bei der
Erstellung dieses Konzeptes involviert sind, ob Sie eine
Meinung dazu haben und wie Sie Ihre Position einbringen werden .
Das Luftverkehrskonzept dient nach der Aussage des
Bundesverkehrsministeriums der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Luftverkehrs . Das Luftverkehrskonzept des Bundesverkehrsministeriums ist nicht mit uns
abgestimmt worden . Dies habe ich bereits bedauert .
({0})
Kollege Ebner .
Ich wollte Frau Ministerin Hendricks noch etwas fragen . Frau Ministerin, Sie haben sich ja in Sachen Glyphosat engagiert und gesagt, dass man diesen Stoff nicht
zulassen kann . Gestern war in einem BR-Beitrag zu hören, dass Sie einer Zulassung wohl mit strengen Anwendungsbestimmungen zustimmen .
Professor Christopher Portier, ehemaliger Direktor
des National Institute of Environmental Health Sciences
der USA, hat aber die ganzen Rohdaten und Originalstudienberichte analysiert und dabei festgestellt, dass nur
20 Prozent aller Krebseffekte in Betracht gezogen wurden, dass bei der Bewertung durch die EFSA und ECHA
acht signifikante Krebseffekte komplett übersehen wurden und dass sich wesentliche Hinweise auf die krebserregende Wirkung von Glyphosat in den offiziellen europäischen Bewertungen in keiner Weise widerspiegeln .
Deshalb meine Frage an Sie: Welche Konsequenzen ziehen Sie, zieht die Bundesregierung aus diesen neuen Erkenntnissen? Wie werden Sie die Analyse von Professor
Portier bei der Abstimmung über die Wiederzulassung
berücksichtigen, oder bleiben Sie bei den lediglich strengen Anwendungsbestimmungen?
Herr Kollege, ich habe meine Entscheidung noch
nicht endgültig gefällt . Die Berichterstattung darüber ist
insofern nicht zutreffend.
Kollege Movassat .
Danke, Herr Präsident . - Meine Frage richtet sich
an das Auswärtige Amt . Es gab ja heute in Afghanistan einen schrecklichen Anschlag, bei dem mindestens
80 Menschen gestorben sind, und es gab über 350 Verletzte . Die Bundesregierung hat richtigerweise von einer niederträchtigen Tat gesprochen . Meine Frage zielt
darauf, welche Konsequenz das für die Bewertung der
Sicherheitslage in Afghanistan hat . Die Bundesregierung
hat ja immer die Auffassung vertreten, dass es in Afghanistan sichere Gebiete gibt . Dazu wurden auch Teile Kabuls gezählt . Der Anschlag fand in Kabul statt . Von daher
meine Frage an das Auswärtige Amt, ob dieser Anschlag,
der ja nun zeigt, dass selbst bestens gesicherte Viertel in
Afghanistan Ziel von Anschlägen werden können, für Sie
Anlass sein wird, die Einstufung der Sicherheitslage zu
überprüfen .
Herr Staatsminister .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Herr Kollege Movassat,
das sind bestürzende Nachrichten, die wir heute aus Kabul übermittelt bekommen haben . Wir sind angesichts
dieses furchtbaren Anschlages fassungslos, bei dem in
der Tat ungefähr 80 Menschen ums Leben gekommen
sind und es etwa 300 Verletzte gegeben hat . Ich muss
Ihnen aber in einem Punkt widersprechen: Die Bundesregierung und auch das Auswärtige Amt haben die Sicherheitslage in Afghanistan niemals als generell sicher
eingestuft, ganz im Gegenteil . Die Gefährdungslage
bleibt in hohem Maße volatil und hat sich natürlich durch
diesen verheerenden Terroranschlag mitnichten verbessert . Das Gegenteil ist der Fall . Wir werden natürlich im
Lichte von solch furchtbaren barbarischen Ereignissen
die Sicherheitslage immer wieder überprüfen .
Einen konkreten Hinweis möchte ich im Rahmen dieser Regierungsbefragung noch mitgeben: Der Bundesinnenminister hat heute Morgen vor dem Hintergrund des
Anschlages entschieden, die zentrale Rückführung nach
Kabul, die heute erfolgen sollte, auszusetzen .
Kollege Ströbele .
Meine Frage betrifft das gleiche Thema. Das drängt
sich ja auf . Ich gehe davon aus, dass sich die Bundesregierung in der heutigen Sitzung mit diesem grauenhaften Anschlag beschäftigt hat . Kabul ist der Ort, der
immer wieder als relativ sicher bezeichnet worden ist .
Ich war selber mehrfach in Kabul und kenne die Gegend
in der Nähe der deutschen Botschaft, wo jetzt der Anschlag stattgefunden hat . Die deutsche Botschaft soll ja
auch erheblich betroffen sein. Sie ist durch meterdicke
Betonmauern gesichert . Trotzdem sind dort Scheiben kaputtgegangen und offenbar auch Menschen zu Schaden
gekommen; es gab wahrscheinlich einen Toten und mehrere Verletzte .
Will die Bundesregierung nach diesem Ereignis nachdem es im eigentlich sichersten Bereich in Kabul,
in dem Bereich, in dem sich auch die Abgeordneten
aufhalten sollen, weil es dort relativ sicher ist, zu einem
Anschlag gekommen ist - nicht doch ihre Auffassung im
Hinblick auf sichere Bereiche in Afghanistan überprüfen
und sagen: „In Afghanistan ist es nirgendwo mehr sicher,
schon gar nicht in Kabul“?
Ich bin dankbar, dass Sie, Herr Staatsminister, angesprochen haben, dass die für heute geplante Abschiebung
nach Kabul gestoppt worden ist und dass es sich hierbei
nicht um einen einmaligen Stopp handelt, sondern dass
zunächst einmal alle Abschiebungen nach Afghanistan
gestoppt werden und die Lage dort völlig neu beurteilt
werden muss .
Kollege Ströbele, ich bitte darum, jetzt das Fragezeichen zu setzen .
Ja, nur noch diesen Satz . - Mir stellt sich die Frage: Was muss in Afghanistan noch passieren, damit die
Bundesregierung zu einer realistischen Gefährdungseinschätzung kommt?
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter, der Anschlag ist
in unmittelbarer Nähe der deutschen Botschaft in Kabul
verübt worden . Ich habe noch keine detaillierten Informationen . Deswegen bitte ich um Verständnis dafür, dass
die Zahlen, die ich nenne, und die Aussagen, die ich treffe, unter einem gewissen Vorbehalt stehen . Ich habe ja
eben auch Zahlen genannt: 80 Tote, circa 300 Verletzte .
Das Botschaftsgebäude selbst ist sehr schwer beschädigt
worden . Unsere Kolleginnen und Kollegen, die in Kabul
im Einsatz sind, und auch die Kräfte vor Ort sind in Sicherheit . Es gibt aber eine Verletzte, die zum Team der
deutschen Botschaft gehört .
Entgegen anderslautenden Diskussionen in der Öffentlichkeit gibt es keine pauschal als sicher zu bewertenden
Regionen in Afghanistan . Bei jeder Rückführung wird
jeweils die individuelle Situation der betreffenden Person überprüft . In der Tat ist es so, Herr Kollege Ströbele,
dass die Lage in Kabul bislang als relativ sicher eingestuft wurde . Aber auch dies muss immer in Anbetracht
der individuellen Situation geschehen .
Lassen Sie mich das an einem Beispiel belegen . Wenn
jemand als Paschtune nach Kabul zurückkehrt, galt und
gilt das bislang als relativ sicher . Wenn aber jemand als
zum Christentum konvertierter Afghane nach Kabul
kommt, ist die Lage differenzierter zu bewerten. Das
macht deutlich, dass ich hier keine pauschalen Antworten zu geben vermag, sondern nur im Hinblick auf den
jeweils individuellen Fall eine Bewertung vornehmen
kann .
Ich lasse die zwei noch angemeldeten Fragen zu, bitte
aber die Fragesteller und die Antwortenden, sich kurzzufassen .
Die Kollegin Haßelmann hat das Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Auch ich möchte auf
die Sicherheitslage und die Sicherheitseinschätzung in
Afghanistan zu sprechen kommen . Herr Roth, erst einmal danke für Ihre Ausführungen . Sie können einen aber
nicht zufriedenstellen; denn die Bundesregierung hat uns
monatelang erklärt, dass es in Afghanistan sichere und
nicht sichere Regionen gibt und dass man deshalb nach
Afghanistan abschieben kann . Wir können gerne herausarbeiten, was für Antworten die Bundesregierung uns
dazu gegeben hat .
Zu der Aussage, dass man sich jeden Fall einzeln ansieht und dabei die spezifische Herkunftssituation berücksichtigt, muss ich sagen: So ist es doch nicht . Das
weiß jeder, der sich damit befasst . Meine Frage ist: Wie
lange wollen Sie uns eigentlich noch mit der Aussage
hinhalten, dass Sie die Sicherheitslage neu einschätzen
und überprüfen? Das hören wir als Parlament seit dem
Anschlag auf Masar-i-Scharif vor über drei Wochen . Die
Dramatik potenziert sich durch den aktuellen Anschlag
natürlich .
Bitte, Herr Staatsminister .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Frau Kollegin
Haßelmann, die Sicherheitslage wird natürlich generell im Lichte aktueller Entwicklungen überprüft; dazu
sind wir schlicht verpflichtet. Aber die Lage ändert sich.
Sie ist in Afghanistan - darauf habe ich bereits hingewiesen - als in höchstem Maße volatil einzustufen . Ich
verwahre mich aber gegen den Vorwurf, dass es in den
vergangenen Monaten oder auch Jahren zu pauschalen
Rückführungen gekommen ist . Die relativ geringe Zahl
von Rückführungen macht deutlich, dass es jeweils
zu einer individuellen Überprüfung der Situation der
Menschen, die keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus in
Deutschland haben und in ihr Heimatland zurückgeführt
werden, kommt . Das macht ja nicht die Bundesregierung
im Auftrag der Bundesländer . Vielmehr sind für die einzelnen Überprüfungen in Deutschland die Bundesländer
zuständig, und sie müssen ihrer Verantwortung auch gerecht werden .
({0})
Die nächste Frage stellt der Kollege Beck .
Gleiches Thema, anderes Ressort: In der letzten Woche gab es im Auswärtigen Amt eine Konferenz zur Friedensverantwortung der Religionen. Ich finde, das ist ein
wichtiger Ansatz . Dort waren auch äußerst problematische Gäste zugegen. Auch das finde ich grundsätzlich
erst einmal richtig, weil in den Dialog auch die mit einbezogen werden müssen, bei denen wir noch Überzeugungsarbeit leisten müssen . Trotzdem möchte ich gerne wissen, warum weder beim Einführungsvortrag von
Herrn Gabriel noch beim Einführungspanel diese Problematik thematisiert wurde und in welcher Form die Positionen dieser Leute in der Veranstaltung klar und deutlich
benannt und zurückgewiesen wurden .
Ich beziehe mich hier zum einen auf den Vertreter des
IZH, das vom Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet wird, Herrn Hamid Reza Torabi, der in der Vergangenheit zu den Teilnehmern und Organisatoren der
Berliner Al-Quds-Demonstrationen gehörte, einer antiisraelischen und auf die Vernichtung Israels ausgerichteten Veranstaltung, und zum anderen auf Herrn Seyed
Abdolhassan aus Ghom, der dort an einer islamistischen
Kaderschmiede lehrt . Ich könnte Ihnen jetzt die Äußerungen dieser Akademie und dieser Person zur Homosexualität, zur Außenpolitik usw . vortragen .
Das wird jetzt nicht mehr gelingen .
Das will ich nicht tun . Ich möchte aber wissen, wie
deutlich gemacht wurde, dass wir zwar einen Dialog mit
ihnen führen, dass unser Standpunkt aber die Zurückweisung ihrer Positionen ist. Im öffentlichen Panel war das
nämlich nicht vernehmbar .
Bitte, Herr Staatsminister .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Herr Kollege Beck,
zunächst einmal freue ich mich sehr darüber, dass Sie die
Bemühungen des Auswärtigen Amtes, einen Beitrag zum
interreligiösen Dialog zu leisten, anerkennen . Genau das
war das Ziel dieser Konferenz . Ich selbst habe das Abschlusspanel geleitet . Wir haben den dort Anwesenden
zugehört und dann einen entsprechenden Auftrag für die
Zukunft erarbeitet .
Ich bin sehr froh darüber, dass es uns gelungen ist,
über 100 Repräsentantinnen und Repräsentanten der unterschiedlichen Religionsgemeinschaften und Kirchen
zusammenzubringen . Es handelte sich hierbei insbesondere um Repräsentantinnen und Repräsentanten des Islams, des Judentums und des Christentums, aber auch anderer Religionen . Wir haben uns dort weniger als Richter
aufgespielt, sondern vor allem den interreligiösen Dialog
befördern wollen . Dabei ging es um die ganz zentrale
Frage: Welchen Beitrag können und müssen Religionsgemeinschaften leisten, um dem Frieden in der Welt zu
dienen? Dieser Dialog ist von den Teilnehmenden in hohem Maße begrüßt worden .
Sie haben von Herrn Torabi gesprochen . Er ist in der
Tat als einer von 1 000 Gästen eingeladen worden, hat
aber an der Konferenz nicht teilgenommen . Wir haben
Herrn Torabi deshalb eingeladen, weil wir nicht nur
sunnitische Vertreterinnen und Vertreter des Islams in
Deutschland einladen wollten . Herr Torabi ist einer der
wichtigen - durchaus auch umstrittenen - Repräsentanten des schiitischen Teils des Islams in Deutschland . Herr
Kollege Beck, ich darf Ihnen noch einmal versichern,
dass wir uns als Bundesregierung und erst recht als Auswärtiges Amt nicht irgendwelche antisemitischen oder
dem Frieden nicht dienlichen Aussagen von einzelnen
Teilnehmenden zu eigen machen, ganz im Gegenteil . Es
war eine Einladung zum Dialog, und dieser Einladung
zum Dialog haben viele Folge geleistet, aber nicht Herr
Torabi .
Danke, Herr Staatsminister . - Ich beende die Regierungsbefragung .
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 4:
Fragestunde
Drucksache 18/12501
Die Parlamentarischen Geschäftsführer haben sich
darauf verständigt, dass der folgende TagesordnungsBritta Haßelmann
punkt 8 um 14 .30 Uhr aufgerufen werden soll . Die Fragestunde verkürzt sich entsprechend .
Ich rufe nun die mündlichen Fragen auf Drucksache 18/12501 in der üblichen Reihenfolge auf .
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung . Zur Beantwortung der Fragen steht der
Parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel
zur Verfügung .
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Movassat auf:
Inwiefern sind die Bundesregierung und die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH ({0}) darüber
informiert, dass bereits 2015 ein Plantagenarbeiter des kongolesischen Unternehmens Feronia an den Folgen der Folter
durch Sicherheitskräfte von Feronia ums Leben gekommen
sein soll, seine Frau wenig später bei Protesten gegen dieses
Vorgehen von der kongolesischen Polizei erschossen worden sein soll sowie insgesamt in den Plantagengebieten von
Feronia sowohl durch die kongolesische Polizei als auch die
Sicherheitskräfte von Feronia ein repressives Verhalten gegenüber der Bevölkerung und den Plantagenarbeiterinnen und
Plantagenarbeitern an den Tag gelegt wird, wie ein Kommuniqué der kongolesischen NGO-Informationsplattform RIAO
vom 3 . Mai 2017 ({1}), das mir
vorliegt, berichtet, und welche Konsequenzen ziehen Bundesregierung und DEG aus diesen Berichten für die weitere
Finanzierung von Feronia bzw . dessen Tochterunternehmen
Plantations et Huileries du Congo ({2})?
Bitte, Herr Staatssekretär .
Hans-Joachim Fuchtel, Parl . Staatssekretär beim
Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung:
Der Bundesregierung und dem Finanzierungskonsortium, dem auch die DEG angehört, ist durch die angesprochene Berichterstattung im Kommuniqué das Folgende
bekannt: Im Jahr 2015 kam ein Ehepaar aus Boteka ums
Leben . Dabei handelt es sich um einen Vorgang zwischen
der lokalen Polizei und dem Ehepaar aufgrund eines
Konflikts zwischen den Ehepartnern. Das Unternehmen
Feronia war daran nicht beteiligt . Der Mann war als Gärtner bei dem Unternehmen unter Vertrag .
Die Bundesregierung und die DEG bedauern diesen
Vorgang sehr . Dem darüber hinausgehenden Vorwurf
eines repressiven Verhaltens ist die DEG nach Kenntnis
der Bundesregierung nachgegangen . Belege oder konkrete Ansatzpunkte liegen uns nicht vor .
Danke . - Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Danke schön, Frau Präsidentin . - Herr Staatssekretär, hierzu gibt es unterschiedliche Informationen . Sie
haben offenbar eine andere Information als die, die mir
vorliegt . Die mir vorliegende Information ist, dass der
Plantagenarbeiter durch Folterung der Sicherheitskräfte
des Unternehmens Feronia umgebracht wurde und seine Frau durch kongolesische Sicherheitskräfte erschossen worden ist, nachdem sie gegen die Ermordung ihres
Mannes protestiert hatte .
Das sind zwei sehr unterschiedliche Sichtweisen . Ich
würde mir schon wünschen, dass die Bundesregierung
diesem Fall intensiver nachgeht; denn das ist schon ein
sehr schwerwiegender Vorwurf . Wenn Ihre DEG die Firma Feronia im Kongo finanziert und diese Plantagenarbeiter umbringt, dann ist das, wenn das stimmen sollte,
ein handfester Skandal . Deshalb ist meine Frage: Welche
Maßnahmen werden Sie ergreifen, um das aufzuklären?
Werden Sie es bei dem belassen, was Ihnen jetzt bekannt
ist, oder werden Sie weitere Maßnahmen ergreifen, zum
Beispiel den kongolesischen Staat unterstützen oder auffordern, die Sache juristisch intensiv zu verfolgen?
Hans-Joachim Fuchtel, Parl . Staatssekretär beim
Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung:
Ich darf hier noch einmal betonen, dass wir allen konkreten Hinweisen und Ansatzpunkten über die DEG bzw .
die anderen Finanziers des Konsortiums nachgehen, und
zwar schon aus Reputationsgründen . Wir legen Wert darauf, dass solche Dinge aufgeklärt werden, auch wenn
in diesem Fall der Vorwurf, der hier vorgetragen wurde,
möglicherweise nicht zutrifft. Es geht auch darum, dass
deutsche Firmen, die am Konsortium beteiligt sind, oder
hier die DEG daran interessiert sind, in solche Dinge
nicht hineingezogen zu werden .
Ich darf Ihnen sagen: Die DEG steht im engen Austausch mit Feronia . Das Unternehmen zeigt sich sehr kooperativ bei der Aufklärung. Aus dem Kommuniqué geht
kein Fehlverhalten eines Feronia-Mitarbeiters hervor .
Vielmehr wird deutlich, dass die Sicherheitskräfte von
Feronia nicht an Folterung oder Erschießung beteiligt
gewesen sind . Das ist bereits sehr gründlich untersucht
worden . Ich bitte darum, das zur Kenntnis zu nehmen .
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage .
Herr Staatssekretär, wir werden das selbstverständlich
überprüfen . Ich nehme Ihre Worte mit . Wir werden sehen, was am Ende stimmt .
Unabhängig von dieser Fragestellung gibt es zum Thema Feronia noch andere Kritikpunkte, zum Beispiel, dass
Feronia das geltende Recht der Demokratischen Republik Kongo verletzt . Nach kongolesischem Recht ist die
Verpachtung großer Flächen an ausländische Unternehmen untersagt . Feronia schreibt in seinem Finanzbericht
ganz offen, dass es dieses Gesetz ignoriert. Daher frage
ich Sie: Wie können Sie über die DEG ein Unternehmen
finanzieren, das offenbar geltendes Recht der Demokratischen Republik Kongo verletzt?
Zweitens . Wir wollten als Abgeordnete mit Vertretern
der DEG, der Bundesregierung und von NGOs ein Fachgespräch zu diesem Thema durchführen, finanziert von
der DEG . Das hatten Sie auch zugesagt, Herr Fuchtel; es
hat aber nicht stattgefunden . Mich würde interessieren,
woran es gescheitert ist; denn damit könnten wir auch
solche Fragen wesentlich besser klären .
Vizepräsidentin Petra Pau
Hans-Joachim Fuchtel, Parl . Staatssekretär beim
Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung:
Das ist zunächst einmal an der Zeit gescheitert . Wir
sind bis jetzt noch nicht dazu gekommen .
Was das Zweite angeht, das hier im Raum steht, müssen die Zuhörerinnen und Zuhörer Folgendes wissen: Die
DEG ist der private Zweig der KfW. Sie finanziert Firmen
im Ausland und trägt dazu bei, Arbeitsplätze zu schaffen.
Hier ging es darum, dass im Jahr 2015 9 000 Arbeitsplätze zur Disposition standen . Die DEG ist gemeinsam mit
anderen bzw . mit einem Konsortium in die Finanzierung
hineingegangen, um diese Arbeitsplätze zu erhalten .
Wir haben heute Diskussionen der Qualität, wie sie
gerade vorgetragen wurde, was wir als Demokraten natürlich akzeptieren . Aber wir möchten auch darauf hinweisen, dass es für manche politischen Kräfte, die in solchen Diskussionen mitwirken, offensichtlich erst dann
interessant wurde, als sich die DEG aus Deutschland an
der Finanzierung beteiligt hat . Wir haben das nicht gemacht, um Ärger zu haben,
({0})
sondern wir haben es gemacht, um die Arbeitsplätze von
9 000 Menschen zu sichern .
({1})
Wenn wir darüber reden, dass wir nicht noch mehr
Flüchtlinge und andere aufnehmen möchten, dann ist es
auch eine große Aufgabe, darauf hinzuwirken, dass es
Arbeitsplätze vor Ort gibt . Wir mussten dieses Signal setzen, um einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Menschen
vor Ort Arbeit und Perspektiven haben .
Die anderen Fragen können wir gerne in anderen Dialogen noch einmal erörtern .
({2})
Wir sind aber im Moment tatsächlich in der Fragestunde und treten nicht in den Dialog . Ich weiß, das ist
manchmal schwer abgrenzbar .
Die Frage 2 des Kollegen Uwe Kekeritz soll schriftlich beantwortet werden . - Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär .
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts . Zur Beantwortung der Fragen steht der
Staatsminister Michael Roth zur Verfügung . Die Frage 3
der Kollegin Inge Höger soll schriftlich beantwortet werden .
Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Dr . Franziska
Brantner auf:
Welche konkreten Bemühungen hat die Bundesregierung
bisher „in bilateralen Gesprächen sowie im Rahmen multilateraler Foren“ unternommen, um - wie in ihrer Antwort auf meine schriftliche Frage 5 auf Bundestagsdrucksache 18/12441
angekündigt - den VN-Beweissicherungsmechanismus IIIM
auf eine breite finanzielle und politische Basis zu stellen ({0}), und bis wann sollen diese Bemühungen
erfolgreich abgeschlossen sein ({1})?
Herr Staatsminister .
Frau Präsidentin, vielen Dank . Ich danke Ihnen auch,
dass Sie diesen komplizierten Namen einer wichtigen Institution schon vorgetragen haben . Dann erspare ich mir
das . Wir haben uns im internationalen Rahmen darauf
verständigt, von IIIM zu sprechen .
Da die Abgeordnete Brantner zwei Fragen zu demselben Sachverhalt gestellt hat - die zweite Frage bezieht
sich auf die finanzielle Dimension -, würde ich jetzt in
der Beantwortung der ersten Frage konkrete finanzielle
Aspekte außen vor lassen . Ich will das nur deshalb jetzt
an den Anfang stellen, damit die Kolleginnen und Kollegen nicht irritiert sind, dass ich mich noch nicht zu konkreten Summen äußere .
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat
diesen Mechanismus am 21 . Dezember 2016 eingerichtet . Der IIIM soll Beweise für schwerste Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die in
Syrien seit März 2011 begangen worden sind, sammeln,
konsolidieren, aufbereiten und analysieren, und es sollen
erste Ermittlungsakten vorbereitet werden, die eine unabhängige Strafverfolgung durch nationale und internationale Tribunale oder Gerichtshöfe unterstützen sollen .
Die Bundesregierung hat die Bemühungen, den internationalen IIIM auf eine breite finanzielle, aber auch politische Basis zu stellen, auf ganz verschiedenen Ebenen
unterstützt . Insbesondere nutzt die Bundesregierung die
multilateralen Gremien und Sitzungen, um andere Staaten zu ermuntern, sich ebenso zu engagieren .
Ich will nur einige wenige Beispiele nennen, Frau Kollegin Brantner . Am 15 . Mai dieses Jahres hat Deutschland
in New York in der offenen Debatte des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen zum Thema „Sexuelle Gewalt
in bewaffneten Konflikten“ verstärkte Bemühungen zur
Abkehr von einer Kultur der Straflosigkeit gefordert und
in diesem Zusammenhang auf unsere politische und finanzielle Unterstützung des IIIM hingewiesen . Des Weiteren weise ich noch einmal auf das Jahrestreffen der
sogenannten Focal Points hin, bei dem es um die Schutzverantwortung geht: „Responsibility to protect“, Sie alle
kennen dieses Prinzip. Dieses Treffen fand am 24. und
25 . April 2017 in Doha, Katar, statt . Auch dort haben wir
die vertretenen Staaten aufgefordert, einen substanziellen, finanziellen und politischen Beitrag zur Unterstützung des IIIM zu leisten .
Natürlich haben wir uns auch auf der EU-Ebene in
den entsprechenden Ratsarbeitsgruppen dafür eingesetzt,
dass möglichst viele Staaten freiwillige Beiträge zusagen . Wir werden dazu am 1 . Juni in der Ratsarbeitsgruppe „Völkerrecht“ einen weiteren Meinungsaustausch
haben. Die Frage der Rechenschaftspflicht bezüglich
Syrien ist in politischen Gesprächen immer wieder Gegenstand . Hierbei spielt natürlich auch die Einrichtung
und die Unterstützung des IIIM eine ganz wichtige Rolle .
Auch auf nationaler Ebene werben wir bei nationalen
Akteuren, zum Beispiel bei der Strafjustiz und bei Nichtregierungsorganisationen, für eine aktive Unterstützung
des neuen Mechanismus, gerade auch im Rahmen der
Zusammenarbeit und des Wissensaustauschs .
Darüber hinaus steht die Bundesregierung in einem
regelmäßigen Dialog mit dem Hochkommissar für Menschenrechte. Auch hier drängen wir darauf, die finanzielle und politische Unterstützung des IIIM auf eine breitere
Basis zu stellen .
Danke, Herr Staatsminister . - Ich mache uns alle darauf aufmerksam, dass wir für dieses Format die Verabredung haben, dass die erste Antwort auf zwei Minuten
und die folgenden Fragen und Antworten dann jeweils
auf eine Minute beschränkt sein sollen . Ich sage das auch
im Interesse der nachfolgenden Kolleginnen und Kollegen, damit wir bis 14 .30 Uhr noch möglichst viele der
eingereichten Fragen beantworten können .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Danke, Frau Präsidentin . - Ich habe natürlich noch
eine Nachfrage . Sie haben in Ihrer ursprünglichen Antwort an mich geschrieben, Sie hätten auch bilaterale Versuche zur Unterstützung gestartet . Jetzt haben Sie lauter
multilaterale Versuche erwähnt . Können Sie bitte auch
präzise einzelne bilaterale Gespräche nennen, mit welchen Ländern Sie in welchen Momenten Gespräche geführt haben, um finanzielle und politische Unterstützung
zu gewinnen?
Ich habe natürlich insbesondere die multilateralen Bemühungen hervorgehoben, gleichzeitig aber auch auf die
Ratsarbeitsgruppe des Ministerrates der Europäischen
Union hingewiesen. In diesen Zusammenhängen finden
natürlich immer auch noch einmal bilaterale Gespräche
statt . Da muss noch Überzeugungsarbeit geleistet werden . Ich kann gerne im Nachgang konkret die Staaten
benennen, mit denen wir am Rande auch informelle Gespräche geführt haben .
Es ist aber, glaube ich, auch wichtig, auf multilateraler
Ebene die Akzeptanz für diesen wichtigen Mechanismus
zu erhöhen . Deswegen fokussieren wir uns ganz stark darauf .
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage .
Aber am Ende kommt das Geld natürlich jeweils von
den individuellen Mitgliedsländern . Von daher macht es
schon Sinn, da auch bilateral nachzuhaken . Sie werden
uns die Liste schriftlich zur Verfügung stellen . Das ist
gut .
Sie haben ja in Bezug auf die politische Unterstützung
gesagt, dass Sie darauf warten, dass noch mehr Länder
mitmachen . Von daher meine Frage: Ist es für Sie politisch wichtiger, dass vielleicht noch ein weiteres Land
hinzukommt oder dass mit dem Beweissammlungsmechanismus begonnen werden kann, wohl wissend, dass
Beweise verloren gehen können und es zur Straffreiheit
kommen kann, wenn die Beweissammlung nicht rechtzeitig stattfindet? Also noch einmal: Ist es für Sie wichtiger, dass ein Land mit dazukommt oder dass endlich mit
dem Sammeln von Beweisen angefangen wird?
Für uns spielt dieser Mechanismus eine ganz herausgehobene Rolle . Ich würde ungerne das eine gegen das
andere ausspielen wollen . Beides ist wichtig . Ich kann
Ihnen nur - das insinuiert ja Ihre Frage - zustimmen:
Die Arbeit muss losgehen . Wir sollten da auch nicht weiter zuwarten . Gleichzeitig macht es aber auch nur dann
politisch Sinn, wenn möglichst viele Staaten diesem
Mechanismus beitreten und ihn auch unterstützen . Nur
das erhöht die Glaubwürdigkeit dieses Mechanismus .
Nur das erhöht auch die Durchsetzungsfähigkeit dieses
Mechanismus . Deswegen würde ich das gerne parallel
verstanden wissen wollen und keine Priorisierung vornehmen wollen, ob neue Staaten, die beitreten, wichtiger
sind, als sofort mit der Arbeit zu beginnen .
Danke . - Dann kommen wir zu Frage 5 der Kollegin
Dr . Franziska Brantner:
Ist die Bundesregierung bereit, im Falle eines ausbleibenden Erfolgs ihrer Bemühungen den VN-Beweissicherungsmechanismus IIIM auf eine breite finanzielle und politische
Basis zu stellen bzw . die noch ausstehenden Mittel doch selber
beizusteuern, oder stellt sie sich auf den Standpunkt, dass das
„notwendige hohe Maß an Legitimität und Akzeptanz“ für den
IIIM nur erreicht werden kann, wenn möglichst viele weitere
Staaten, insbesondere aus der Region, zur Errichtung des IIIM
beitragen ({0})?
Bitte, Herr Staatsminister .
Danke, Frau Präsidentin . - Jetzt geht es ans Eingemachte, Frau Kollegin Brantner . Ich habe das eben etwas
abstrakter dargestellt . Nun muss ich mich aber beeilen,
um in zwei Minuten fertig zu werden .
Deutschland gehört gemeinsam mit den Niederlanden
und Finnland, die jeweils 1 Million Euro zur Verfügung
stellen, zu den drei größten Gebern . Die Bundesregierung ist der Ansicht, dass dieser Mechanismus nur dann
als unabhängig, neutral und objektiv bestehen kann - ich
hatte das schon kurz erwähnt -, wenn seine Finanzierung
nicht nur von wenigen Staaten gewährleistet wird . Deswegen bemühen wir uns, weitere Staaten insbesondere
aus der betroffenen Region zu finanzieller und politischer Unterstützung zu bewegen . So wollen wir diesen
Mechanismus auf eine noch breitere Basis stellen . DieStaatsminister Michael Roth
ses Anliegen teilt im Übrigen das Hochkommissariat der
Vereinten Nationen in Genf, das zusätzlich intensiv nach
weiteren Geldgebern sucht .
Uns wurden bislang von 25 Staaten freiwillige Beiträge in Höhe von 6,5 Millionen US-Dollar zugesichert .
Darüber hinaus gibt es eine Reihe mündlicher Zusagen .
Dann wären wir bei insgesamt 9 Millionen US-Dollar .
Für das Jahr 2017 sind erst einmal rund 4,5 Millionen
US-Dollar für die Arbeit veranschlagt worden . Das
heißt, die Basisfinanzierung ist gesichert. Bislang läuft
das Ganze auf der Basis von freiwilligen Beiträgen . Unser Ziel ist, dass das Ganze irgendwann einmal in den
UN-Haushalt überführt wird .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Herr Staatsminister, Sie haben gesagt, dass die politische Unterstützung von allen garantiert werden muss .
Aber diese ist eigentlich gegeben; denn der Mechanismus entstand durch die Verabschiedung einer Resolution
durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen .
Mehr politische Unterstützung, als dass alle Mitgliedsländer in der Generalversammlung zustimmen, kann man
weltweit gar nicht bekommen . Sie haben des Weiteren
gesagt, dass wir Akteure aus der Region brauchen . Die
Türkei und Katar sind dabei . Katar hat nun eine zweite
Unterstützungstranche angekündigt und legt somit noch
einmal drauf . Will Deutschland nicht nachziehen und genauso wie Katar noch etwas drauflegen?
Frau Kollegin, an uns ist dezidiert nicht der Wunsch
herangetragen worden, die Mittel noch einmal zu erhöhen . Unter den Niederlanden, Finnland und Deutschland
herrscht große Zufriedenheit . Ich will meine Anregung
verstärken . Politische Unterstützung, die abstrakt geäußert wird, ist sicherlich wichtig . Aber noch wichtiger ist,
dass sich Staaten durch freiwillige Geldleistungen konkret dazu bekennen, diesen so wichtigen Mechanismus
mit Leben zu füllen .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Dass für Sie nur Geld Ausdruck von Unterstützung ist,
ist etwas verwunderlich; denn viele Staaten dieser Welt
sind in wirtschaftlicher Hinsicht nicht so stark wie wir .
Die Europäische Union spricht ständig davon, dass es in
Syrien keine Straffreiheit geben darf, egal wer welche
Kriegsverbrechen begangen hat . Deswegen lautet meine
eindringliche Frage an Sie: Glauben Sie nicht, dass es
notwendig wäre, hier Gelder draufzulegen? Wir reden
nicht über große Millionenbeträge . Die infrage stehenden Beträge bereiten Herrn Finanzminister Schäuble sicherlich keine schlaflosen Nächte. Aber das Geld wäre
gut investiert . Wir haben schließlich eine gewisse Verantwortung, wenn wir den Krieg schon nicht beenden
können . Warum sind Sie nicht bereit, eine halbe Million
draufzulegen?
Frau Kollegin Brantner, ich habe schon darauf hingewiesen, dass bislang nicht der Wunsch an uns herangetragen wurde, die Mittel noch einmal aufzustocken .
Vielmehr werden wir vom Hochkommissariat in Genf
ausdrücklich in unserem Bemühen unterstützt, die Zahl
der Staaten, die sich nicht nur abstrakt, sondern auch
konkret finanziell für diesen Mechanismus einsetzen, zu
erhöhen. Wir wollen uns nicht aus der finanziellen Verantwortung ziehen . Vielmehr geht es darum - das wissen Sie vermutlich genauso gut wie ich -, dass die Neutralität, die Objektivität und die Unabhängigkeit dieses
Mechanismus vor allem dann gewährleistet sind, wenn
sich ganz viele Mitgliedstaaten daran beteiligen . Wenn
wir bei einer relativ kleinen Zahl von derzeit 25 Staaten
bleiben, dann kann die Arbeit zwar begonnen werden .
Aber man darf nicht vergessen, dass dieser Mechanismus zu schwerwiegenden Konsequenzen führen wird. Es
wird nicht jedem gefallen, was dieser Mechanismus an
den Tag bringt; denn das hat auch strafrechtliche Konsequenzen, wenn es in Tribunale und in strafrechtliche
Verfahren überführt wird . Insofern ist es wichtig, dass
dieser Mechanismus von Anfang an eine hohe Legitimität besitzt .
Die Frage 6 des Kollegen Sarrazin soll schriftlich beantwortet werden .
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Andrej Hunko auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung hinsichtlich der Reform des NATO-Programms „Partnerschaft für den
Frieden“, wonach die existierenden Partnerschaften mit insgesamt 41 Ländern nicht mehr im Paket, sondern mit allen teilnehmenden Ländern einzeln vereinbart werden, was von der
Türkei genutzt wird, um Österreich für die Entscheidung zu
bestrafen, kein Kriegsmaterial oder keine Verteidigungsgüter
mehr an die Türkei zu liefern, was zur Folge hat, dass österreichische Soldaten sich nicht mehr an NATO-Trainings beteiligen
können ({0}), und auf welche Weise hat sich die Bundesregierung
im Vorfeld oder auf den jüngsten NATO-Gipfeln hinsichtlich
der Reform positioniert?
Bitte, Herr Staatsminister .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Herr Kollege Hunko,
das wird jetzt ein bisschen komplizierter; ich bitte um
Verständnis . Die „Partnerschaft für den Frieden“ ist der
regionale, 22 euroatlantische Partner umfassende Rahmen der Partnerschaftszusammenarbeit mit der NATO .
Dieses übergreifende Programm besteht seit 1994 . Österreich ist seit 1995 Teil dieser Gruppe . Daneben gibt es
weitere, geografisch anders zusammengesetzte Partnerschaftsformate .
http://www.heute.at
http://www.derStandard.at
Das Partnership Cooporation Menu, PCM, ist ein
allen Partnern im Grundsatz offenstehender Trainingskurskatalog, zu dessen Reform die NATO-Alliierten
vergangene Woche eine Einigung erzielt haben . Die Reform stellt den Trainingskurskatalog auf ein effektive res
Datenbankmanagement um . Darüber hinaus müssen die
NATO-Alliierten die Ablehnung der Teilnahme eines
Partners im Konsens, das heißt einstimmig, beschließen .
Vor der Reform, die jüngst beschlossen wurde, war es
genau andersherum: Die Teilnahme eines jeden Partners
musste im Konsens beschlossen werden . Voraussetzung
für die Teilnahme an Kursen im Rahmen des PCM ist
ein gültiges bilaterales Partnerschaftsprogramm zwischen der NATO und dem jeweiligen Partner . Aus diesem Grund hat die NATO die Verlängerung aller Partnerschaftsprogramme vorgezogen .
Über den Abschluss des Programms mit Österreich
konnte allerdings im Allianzkreis keine Einigung erzielt werden . Die Gespräche hierzu dauern noch an . Die
Bundesregierung setzt sich selbstverständlich dafür ein,
dass für die kommenden Jahre erneut ein solches Partnerschaftsprogramm mit Österreich zustande kommt .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Vielen Dank, Herr Staatsminister Roth . - Das ist ein
ungeheuerlicher Vorgang, über den wir reden . Sie haben
es dargestellt: Es gibt die NATO, und es gibt „Partnership
for Peace“, so heißt das; das ist, wenn man so will, eine
NATO light oder ein weicheres Format um die NATO
herum . Erdogan ist es durch Druck gelungen, dass Österreich aus den „Partnership for Peace“-Programmen
ausgeschlossen wurde . Das ist ein Vorgang, der mir präzedenzlos erscheint .
Wie auch immer man die Programme beurteilt, ich
finde es ein starkes Stück, dass das möglich ist und es
offenbar auch in Zukunft so bleiben wird, dass Österreich ausgeschlossen ist . Ich habe mir gerade noch einmal österreichische Medien angeschaut; dort ist das natürlich ein großes Thema . Ist es tatsächlich so und wird
die Bundesregierung das so hinnehmen, dass auf Druck
von Erdogan Österreich von den PfP-Programmen ausgeschlossen bleibt?
Bitte, Herr Staatsminister .
Herr Kollege Hunko, die NATO arbeitet nach dem
Konsensprinzip, das heißt, alle müssen mit an Bord
sein; es gibt keine Mehrheitsabstimmungen . Das ist leider auch kein präzedenzloser Fall . In der jüngeren Vergangenheit hat es schon zwei Fälle gegeben, bei denen
NATO-Partner zeitweise von Partnerschaftsaktivitäten
ausgeschlossen waren . Das gilt namentlich für Israel und
Ägypten; diese beiden Fälle kann ich konkret benennen .
Selbstverständlich führen wir weiterhin Gespräche .
Wir wollen uns mit diesem unbefriedigenden Zustand,
Herr Kollege, dezidiert nicht abfinden. Wir haben auch
gegenüber der türkischen Regierung klargemacht, dass
bestehende bilaterale Differenzen zwischen der Türkei
und Österreich doch bitte schön im direkten Gespräch
einvernehmlich gelöst werden sollen . Die Aktivitäten der
NATO zur Erreichung gemeinsamer Ziele dürfen durch
solche bilateralen Konflikte nicht belastet werden.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Vielen Dank . - Ich vermute, bei Israel und Ägypten
ging es wahrscheinlich um Menschenrechtsverletzungen
in diesen Ländern . Das ist bei Österreich nun überhaupt
nicht der Fall .
Meines Wissens - das habe ich von österreichischen
Abgeordneten - ist der Grund für diesen Ausschluss aus
PfP faktisch durch die türkische Regierung die einstimmige Entscheidung des Nationalrats vom November letzten Jahres, keine Waffen mehr in die Türkei zu liefern,
eine Entscheidung, die ich für sehr nachvollziehbar halte
und von der ich wünschte, dass sie auch von Deutschland
getroffen würde. Können Sie das aus Gesprächen bestätigen? Man liest in deutschen Medien immer, es gehe um
die EU-Beitrittsverhandlungen . Direkt aus Österreich
habe ich gehört, dass die Isolationsstrategie der türkischen Regierung mit der einstimmigen Entscheidung des
Nationalrats eingesetzt hat, ein Waffenembargo gegen
die Türkei zu verhängen .
Bitte, Herr Staatsminister .
Herr Kollege Hunko, ich kann das so nicht bestätigen .
Ich möchte darüber auch nicht spekulieren . Ich könnte - aber dafür ist jetzt hier nicht die Zeit und nicht der
Raum - eine Reihe von Punkten benennen, die offenkundig zu einem Beschwernis in den bilateralen Beziehungen zwischen der Türkei und Österreich geführt haben .
Wir finden uns aber damit nicht ab - das ist der wichtige
Punkt -, weil die Bundesregierung natürlich auch ihrer
Verantwortung gerecht werden möchte, alles dafür zu
tun, dass bilaterale Konflikte eben nicht in die NATO hineingetragen werden .
Deswegen möchte ich Sie gerne noch darüber informieren, dass wir mit Abschluss der Reform auch einen
Kommentarbrief an den internationalen Stab der NATO
initiiert haben, der von insgesamt 17 Nationen unterzeichnet wurde . Dieser Brief appelliert an die Werte und
an das Solidaritätsprinzip innerhalb der Allianz . Das ist
ein sehr deutliches Zeichen . Zur Erneuerung des bilateralen Programms dauern die Gespräche noch an . Ich bleibe
zuversichtlich, dass wir doch noch eine Lösung finden
werden, um zu dem notwendigen Konsens zurückzukehren, den wir dringend brauchen, damit auch Österreich
wieder Teil dieses Programms wird .
Wir kommen zur Frage 8 des Kollegen Hunko:
Welche Fälle sind der Bundesregierung aus den Jahren 2016 und 2017 bekannt, in denen die libysche Küstenwache gegen das Non-Refoulement-Prinzip verstieß, nachdem
Geflüchtete unter anderem im Rahmen von Einsätzen, in denen europäische Organisationen als „On-Scene-Koordinator“
einen Rettungseinsatz leiteten, zurück in libysche Gewässer
gebracht wurden, und was ist der Bundesregierung aus ihrer
Mitarbeit in der Frontex-Mission Triton, der Militärmission
EUNAVFOR MED oder aus der Aufklärung durch die NATO
und das US-Kommando AFRICOM über die Verantwortlichen für Schüsse auf Geflüchtete während eines Rettungseinsatzes der deutschen Organisation Jugend Rettet e . V . am
23 . Mai 2017 bekannt, die ebenfalls dazu führten, dass Bootsinsassen von unbekannten Uniformierten wieder nach Libyen
verschleppt wurden ({0})?
Bitte, Herr Staatsminister .
Danke, Frau Präsidentin . - Herr Kollege Hunko, das
völkerrechtliche Zurückweisungsverbot, Non-Refoulement-Prinzip, besagt, dass Staaten Flüchtlinge aus anderen Ländern unter ganz bestimmten Bedingungen nicht
zurückweisen dürfen . Das völkerrechtliche Zurückweisungsverbot ist aber nicht anwendbar auf die Situation,
um die es hier geht und die Sie in Ihrer Frage konkret
benannt haben . Wenn Personen auf einem libyschen
Schiff aus Libyen kommen und durch die libysche Küstenwache aus Seenot gerettet und nach Libyen zurückgebracht werden, dann ist das keine Zurückweisung im
völkerrechtlichen Sinne . Zu dem angesprochenen Vorfall am 23 . Mai liegen der Bundesregierung keine über
die Presseberichterstattung hinausgehenden eigenen Erkenntnisse vor . Wir sind im Rahmen von EUNAVFOR
MED Operation Sophia präsent, aber der im Rahmen
dieser Mission eingesetzte deutsche Tender „Rhein“ befand sich zum Zeitpunkt des Vorfalls mehrere Hundert
Kilometer entfernt .
Der Umgang mit Seenotrettungssituationen spielt
eine ganz große Rolle im Rahmen der Ausbildung durch
EUNAVFOR MED. So wurden im März 20 Offiziere
der libyschen Küstenwache als sogenannte Vor-Ort-Koordinatoren darin geschult, Seenotrettungseinsätze mit
mehreren beteiligten Seenotrettern als Verantwortliche
anzuleiten .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Vielen Dank . - Herr Staatsminister, ich will auf meinen letzten Punkt zuerst eingehen . Es geht um die unerträglichen Zustände bei der Überfahrt von Flüchtlingen
von Libyen aus und auch um die unerträglichen Vorgänge, die zum Teil im libyschen Militär stattgefunden haben .
Sie sagen jetzt, dass EUNAVFOR MED, die Militärmission der EU, die auch von der Bundesregierung unterstützt wird, jetzt den libyschen Militärs Menschenrechte,
humanitäres Völkerrecht, internationales Seerecht, professionelle Durchführung von Seerettungsmaßnahmen
beibringen soll . Da würde mich schon interessieren, ob
das tatsächlich der Fall ist; ich habe da meine Zweifel .
Kürzlich wurden drei libysche Schiffsbesatzungen von
EUNAVFOR MED ausgebildet . Dennoch haben Kapitäne und Besatzungsmitglieder vergangene Woche zweimal die Waffe gezogen und Flüchtlinge bedroht, Boote
außerhalb der 24-Meilen-Zone zur Umkehr gezwungen .
Mich würde interessieren, wie die Bundesregierung evaluiert, dass eine solche Ausbildung tatsächlich stattfindet
und funktioniert .
Herr Kollege Hunko, wir sind noch weit von den Verhältnissen entfernt, die wir uns alle wünschen, dass beim
Küstenschutz die völkerrechtlichen Prinzipien strikt eingehalten werden und dass vor allem auch den menschenrechtlichen Aspekten durchgängig Geltung verschafft
wird. Umso wichtiger ist für uns die qualifizierte Ausbildung, die sich vor allem an den rechtsstaatlichen Fragen
bemisst und nicht nur rein technischer Natur ist .
Wir sehen natürlich mit großer Sorge, dass die Schleuser, die kriminellen Banden, ihr gesamtes Geschäftsmodell auf die unmittelbare Seenotrettung durch die verschiedenen Akteure ausrichten . Viel zu viele Menschen
werden einer großen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt, indem sie auf nicht seetaugliche Boote mit völlig
unzureichender Ausstattung verbracht werden . Damit
riskieren die Schleuser auf skrupellose Weise das Leben
von Tausenden von Menschen . Allein durch die Bundeswehr konnten 20 000 Menschenleben gerettet werden .
Die Seenotrettung ist ein Prinzip, dem wir alle verpflichtet sind . Aber genauso sind wir auch dem Prinzip verpflichtet, alles dafür zu tun, dass dieses Geschäftsmodell
endgültig beendet wird . Da ist die Ausbildung im Rahmen des Küstenschutzes für uns ein ganz wichtiger Aspekt . Da stehen wir erst, Herr Kollege Hunko, am Anfang
unserer Bemühungen .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage, Herr
Hunko . - Ich mache darauf aufmerksam, dass wir für
die Fragestunde noch sieben Minuten Zeit zur Verfügung
haben . Ich bitte also um die entsprechende Kürze, damit
wir noch eine Frage aufrufen können .
Vielen Dank . - Herr Roth, es ist ja nun einmal so - das
ist wahrscheinlich auch Ihnen bekannt -, dass sich zumindest Teile der sogenannten Schleuser wiederum aus
den Militär- und Polizeikreisen in Libyen rekrutieren . Es
gibt also nicht eine sozusagen chinesische Mauer dazwischen; das nur als Anmerkung .
Ich wollte noch einmal zum Non-Refoulement-Prinzip nachfragen, das Sie vorhin erwähnt haben . Libyen
ist dem Internationalen Übereinkommen von 1979 über
den Such- und Rettungsdienst auf See 1979 beigetreten,
kommt den Verpflichtungen aus diesem Abkommen aber
nicht nach . Das Land hat weder eine Seenotrettungsleitstelle benannt noch die Grenzen seiner Seenotrettungszone bekannt gegeben; das wissen Sie . Deshalb werden
http://gleft.de/1IR
sämtliche Einsätze außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer von der Seenotrettungsleitstelle in Italien koordiniert . Wenn die libysche Küstenwache von dort zur
Seenotrettung angewiesen wird, weil deren Schiff am
schnellsten zum Unfallort eilen kann, ist das aus meiner Sicht eine europäische Rettungsmission . Wie sehen
Sie das? Sie haben vorhin mit dem Verweis „Das ist
eine libysche Angelegenheit“ gesagt: Das Non-Refoulement-Prinzip greift nicht .
Ich habe deutlich gemacht, dass die Rückführung von
libyschen Staatsbürgern durch libysche Staatsinstitutionen nicht dem Non-Refoulement-Prinzip unterliegt . Ihrer
Bewertung, dass Libyen zwar dem Internationalen Übereinkommen von 1979 über den Such- und Rettungsdienst
auf See beigetreten ist, seinen Verpflichtungen jedoch
überhaupt nicht nachkommt, kann ich nur ausdrücklich
zustimmen .
Danke, Herr Staatsminister . - Die Frage 9 der Kollegin Jelpke soll schriftlich beantwortet werden .
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern . Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Dr . Günter Krings zur
Verfügung .
Die Frage 10 der Kollegin Ulla Jelpke wird schriftlich
beantwortet .
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Volker Beck auf:
In wie vielen Fällen hat das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge in den Jahren 2016 und 2017 das Selbsteintrittsrecht gemäß der Dublin-Verordnung aus welchen Gründen
ausgeübt ({0})?
Bitte, Herr Staatssekretär .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Lieber Herr Kollege
Beck, wenn wir beide uns ganz doll zusammenreißen,
schaffen wir vielleicht auch beide Fragen von Ihnen.
Ich muss eine kurze Vorbemerkung zum Begriff des
Selbsteintrittsrechts machen . Eigentlich besteht - das
wissen Sie - in der übergroßen Mehrzahl aller Fälle
keine originäre deutsche Zuständigkeit im Rahmen des
EU-Asylsystems . Ich spreche nur von einem Selbsteintrittsrecht im engeren Sinne, das heißt von denjenigen
Fällen, in denen die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates nicht nur objektiv begründbar wäre, sondern
in denen unsere Behörden diese auch nachweisen konnten . Dann ergeben sich folgende Zahlen:
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge,
BAMF, hat im Jahr 2016 in 39 741 Fällen und von Januar
bis April 2017 in 2 872 Fällen das Selbsteintrittsrecht,
wie ich es gerade definiert habe, gemäß Dublin-Verordnung ausgeübt .
Sie wollten es auch für die einzelnen Monate wissen .
Das ist im mündlichen Vortrag immer etwas schwierig;
ich sage es Ihnen dennoch ganz schnell: Auf die einzelnen Monate des Jahres 2016 verteilen sich die Fälle
wie folgt: Januar: 2 295, Februar: 4 607, März: 5 483,
April: 4 732, Mai: 3 327, Juni: 3 603, Juli: 3 180, August: 3 502, September: 4 252, Oktober: 2 473, November: 1 527, Dezember: 760 . Im Jahr 2017 hat das BAMF
im Monat Januar 660, im Februar 691, im März 933 und
im April 588 Selbsteintritte erfasst .
Das BAMF erfasst das Selbsteintrittsrecht statistisch
weder nach Gründen noch nach Fallgruppen; daher können insoweit keine Angaben gemacht werden .
Ich habe mein Bestes getan, damit es schnell geht .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Es hätte mir natürlich sehr weitergeholfen, wenn Sie
das auch bezogen auf Fallgruppen gehabt hätten . Ich verstehe: Was Sie nicht haben, das haben Sie nicht . - Aber
ich will erläutern, vor welchem Hintergrund ich frage .
Mir wurde zugetragen, dass das BAMF früher in
manchen Härtefällen das Selbsteintrittsrecht ausgeübt hat, dies aber seit Amtsantritt von Frau Cordt nicht
mehr macht . Insbesondere in Fällen von absoluter Risikoschwangerschaft oder in Fällen der Art „in Italien zur
Prostitution gezwungen“ wurde früher das Selbsteintrittsrecht bejaht . - Jetzt soll das nicht mehr so sein . Wie
bewerten Sie das?
Frau Präsidentin! Herr Kollege, ich kann die Praxis
nicht bewerten, weil ich sie nicht kenne . Ich kann auch
nicht bestätigen, was Sie gesagt haben . Allerdings: Die
Zahlen, die ich genannt habe, sprechen für sich . Sie zeigen, dass wir in sehr vielen Fällen vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen .
({0})
Wenn wir sozusagen noch mehr recherchieren würden,
würden wir noch weitere selbsteintrittsfähige Fälle finden; ich habe dargelegt, dass nur die Fälle in der engen
Definition, die ich genannt habe, zugrunde liegen.
Ihre zweite Nachfrage .
Was ist diesbezüglich die Weisungslage beim BAMF?
Hat sie sich seit Amtsantritt von Frau Cordt - das war am
1 . Februar 2017 - verändert?
Ich kann gern anbieten, Frau Präsidentin, Herr Kollege, dass wir nachschauen, ob es da eine Weisungslage
gibt . Nach dem, was ich über diesen Themenkomplex
weiß, kann ich mir nicht vorstellen, dass es hierzu eine
Weisungslage aus dem BMI gibt .
Gut . Dann nehmen wir das als Verabredung zur
Kenntnis .
Wenn Sie beide sich weiter genauso anstrengen wie
jetzt, kann ich noch die Frage 12 des Kollegen Volker
Beck aufrufen:
Inwiefern hält es die Bundesregierung für zumutbar, die
Einbürgerung von Drittstaatsangehörigen von dem Verzicht
auf die ausländische Staatsangehörigkeit oder ihrem Verlust
abhängig zu machen, wenn die Eltern der Einbürgerungsbewerberinnen und Einbürgerungsbewerber weiterhin im Herkunftsland leben, pflegebedürftig sind oder es möglicherweise
in Zukunft werden, die Einreise deutscher Staatsangehöriger
in das Herkunftsland visumpflichtig ist oder es möglicherweise in Zukunft sein wird und der Nachzug ausländischer Eltern
zu volljährigen deutschen Staatsangehörigen allenfalls in den
engen Grenzen des § 36 des Aufenthaltsgesetzes möglich ist,
und inwiefern setzt sich die Bundesregierung dafür ein, die
Einbürgerung in solchen Fällen attraktiver zu gestalten und
zugleich das Fortbestehen menschenrechtlich geschützter familiärer Beziehungen im internationalen Kontext zu gewährleisten?
Genau; das war unser Ziel, Frau Präsidentin .
Eine Einbürgerung setzt gemäß § 10 Absatz 1 Satz 1
Nummer 4 des Staatsangehörigkeitsgesetzes grundsätzlich die Aufgabe oder den Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit voraus . Ausnahmen davon kommen gemäß
§ 12 Absatz 1 Satz 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes
nur in Betracht, wenn die Aufgabe der anderen Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen
Bedingungen möglich ist . Die mit der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit gegebenenfalls verbundenen Einreise- und/oder Aufenthaltserschwernisse in den
Herkunftsstaaten werden von den Ausnahmeregelungen
des § 12 Absatz 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes, der
Zumutbarkeitserwägungen zum Gegenstand hat, nicht
erfasst . Die Bundesregierung beabsichtigt derzeit auch
keine Änderungen .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Die Rechtslage war mir wohlbekannt . Vor diesem
Hintergrund habe ich gerade gefragt, wie die Tatbestände
im Rahmen dieser Rechtslage zu bewerten sind und ob
das bei Familien, deren Eltern im Herkunftsland leben
und die pflegebedürftig oder hilfsbedürftig sind, zu einer
Abwägung führt . Dann geht es nämlich um die Frage:
Welche Auswirkungen hat die Staatsbürgerschaft bei
Ein- und Ausreisen? Unter Umständen kann eine Versorgung von Eltern zeitnah nicht mehr vorgenommen werden, weil Fristen im Visaverfahren anderer Staaten und
dergleichen zu beachten sind . Dies kommt auf die neuen deutschen Staatsbürger nur deshalb zu, weil sie den
Pass, den sie hatten, aufgrund unseres Verlangens abgeben mussten . Halten Sie eine Abwägung aus humanitären
Gründen zum Schutz von Ehe und Familie - Ihnen als
christlicher Partei immer ein Anliegen - für geboten?
Bitte, Herr Staatssekretär .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Natürlich beantworte
ich die Frage als Vertreter der Bundesregierung und nicht
als Vertreter meiner Partei . Ich will aber auch deutlich
machen, dass ich meinen letzten Satz ausdrücklich gesagt
habe; er ist mehr als eine rechtliche Bewertung: Es sind
derzeit keine Änderungen geplant . Wichtig ist bei den
Fällen, auf die Sie hinweisen, die menschlich schwierig
sind, dass wir auf die Staaten einwirken müssen, damit
sie diese Praxis ändern .
Das ist unsere zentrale Aufgabe . Daran wirken wir
gerne mit . Im Übrigen muss man das Problem schon
perspektivisch im Blick haben . Deutschland ist das
Land, dessen Reisepass weltweit am meisten ohne Visum akzeptiert wird . Es gibt regelmäßig eine Studie von
Henley & Partners . Hier werden regelmäßig von 199 Nationalitäten Reisepässe analysiert . In 176 Länder der Welt
reisen Deutsche visafrei ein . Es gibt kein Land auf der
Welt, dessen Bürger so einfach in fast alle Länder einreisen können .
Wären Sie bereit, der Überlegung näherzutreten,
dass wir für die Länder, bei denen wir keine Visafreiheit
für unsere schönen Pässe durchgesetzt haben, dann die
Abwägungsentscheidung im Staatsangehörigkeitsrecht
einführen, wenn eine besondere familiäre Situation aufgrund pflegebedürftiger Angehöriger im Herkunftsland
vorliegt? Ich glaube, das können Sie auch im Rahmen
des geltenden Rechts mit entsprechenden Auslegungshinweisen durchaus bewirken . Ich frage gar nicht nach
einer Gesetzesänderung .
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort .
Herr Kollege, wenn Sie hier Fälle haben, dann bin ich
gerne bereit, sie mir anzuschauen . Wenn Sie uns diese
Fälle geben - an uns ist dieses Thema noch nicht herangetragen worden -, dann schaue ich mir das gerne noch
einmal an und lasse es durch mein Haus prüfen . Ich sage
dazu aber: Wichtig ist mir, dass wir auch die Staaten, die
solche, ich sage einmal, menschlich schwierigen Regelungen haben, nicht aus der Pflicht lassen, hier etwas zu
ändern . Wir müssen dann zumindest zweigleisig fahren .
Ich bedanke mich ganz ausdrücklich . - Ich beende die
Fragestunde .
Die übrigen Fragen werden entsprechend unseren Regeln schriftlich beantwortet .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 sowie die Zusatzpunkte 1 und 2 auf:
8 . Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Zwölfter Bericht der Bundesregierung über
ihre Menschenrechtspolitik
({1})
Drucksachen 18/10800, 18/10924 Nr. 1.15,
18/12467
ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Annalena Baerbock, Marieluise Beck
({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für den Menschenrechtsschutz in Deutschland - Die Nationale Stelle zur Verhütung von
Folter reformieren und stärken
Drucksache 18/12544
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({3})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe ({4}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Tom Koenigs, Kordula SchulzAsche, Claudia Roth ({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Zivilgesellschaftliches Engagement braucht
Raum - Anti-NGO-Gesetze stoppen, Menschenrechtsverteidiger stärken
Drucksachen 18/7908, 18/10625
Zu dem Zwölften Bericht der Bundesregierung liegt
ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Frank Schwabe für die SPD-Fraktion .
({6})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Damen und Herren! Der zwölfte Menschenrechtsbericht der Bundesregierung gibt die Gelegenheit,
zum Ende der Legislaturperiode noch einmal intensiv zu
diskutieren, ein bisschen Bilanz zu ziehen zur Menschenrechtspolitik in dieser Legislaturperiode und vielleicht
einen Ausblick zu wagen . Da gleich Tom Koenigs redet
und ich auch Christoph Strässer sehe, will ich noch einmal sagen, wie sehr ich die Arbeit schätze - beide scheiden aus dem Parlament aus -, die sie mit immer klugen
Beiträgen und einem überragenden Engagement als Parlamentarier und Mitglied der Bundesregierung gemacht
haben, sozusagen als eine Institution zum Thema Menschenrechte . Vielen herzlichen Dank dafür .
({0})
Die Lage der Menschenrechte weltweit, aber auch in
Deutschland - auch hier ist nicht alles gut, wenn auch
besser als in manchen anderen Ländern der Welt - steht
im Mittelpunkt eines Menschenrechtsberichts und einer
solchen Debatte . Mittlerweile stehen die Menschenrechte weltweit, aber auch in Europa - also ziemlich nah dran
an uns - unter massivem Druck . Wir erleben es in Debatten in der Europäischen Union, aber auch im Rahmen der
47 Länder des Europarats .
Wir haben mittlerweile in vielen Ländern nicht nur eine
Ignoranz gegenüber Menschenrechtsfragen, sondern eine
geradezu aggressive Abwendung von Menschenrechten
und ein aggressives Vorgehen gegen diejenigen, die sich
Menschenrechten besonders verpflichtet fühlen. Es gibt
Agitation und finanzielle Einschränkungen gegenüber
Menschenrechtsorganisationen, aber auch Agitation gegenüber denjenigen, die solche Organisationen unterstützen . In Ungarn haben wir es zum Beispiel gerade am Fall
der Universität erlebt, die von George Soros finanziert
wird . Er gilt für einige bei solchen Fragen als die Ausgeburt des Übels . Man kann über George Soros und sein
Engagement durchaus diskutieren; aber ich frage mich,
wer eigentlich sonst solche Menschenrechtsinstitutionen
unterstützen würde . Wenn es andere geeignete Geldgeber
gäbe, dann könnten wir darüber reden. Ansonsten, finde
ich, sollte man die Agitation einstellen .
Es darf bei Menschenrechten keinen Rabatt geben .
Wir brauchen eine wertebasierte Außen- und Europapolitik, und wir brauchen klare Ansagen . Gerade in solchen
Zeiten, in denen es schwieriger geworden ist, brauchen
wir klare Ansagen gegenüber NATO-Partnern wie der
Türkei, aber auch innerhalb der Europäischen Union . Es
braucht klare Ansagen an Regierungen, dass es eine Einschüchterung der Zivilgesellschaft - das, was international als Shrinking Space bezeichnet wird - nicht geben
darf .
Es ist wichtig, dass auch deutsche Vertreter da, wo sie
es können, klar Position beziehen, wie es zum Beispiel
Sigmar Gabriel als Außenminister in Israel getan hat, als
es darum ging, die Organisationen Betselem und Breaking the Silence zu treffen. Am Ende war das ein Stück
weit ein Lackmustest dafür, ob man solche Organisationen noch treffen kann oder nicht. Insofern war es wichtig,
dort Flagge zu zeigen . Man muss nur wissen, es war nicht
der letzte Test, es werden weitere solcher Tests kommen .
Insofern ist wichtig, dass wir klarmachen - bei aller Kritik und bei aller Auseinandersetzung -: Wir müssen in der
Lage sein, zivilgesellschaftliche Organisationen weltweit
zu treffen. Wenn jemand nach Deutschland kommt, dann
kann er sie entsprechend auch treffen.
Es ist nicht nur die Türkei, es ist nicht nur Israel, es
sind viele Staaten - aktuell Ägypten, China, Russland,
Indien, Ungarn -, mittlerweile an die 100 Staaten weltweit, die versuchen, die Zivilgesellschaft zu drangsalieren . Es wird im Übrigen durch das, was in den USA
vor sich geht, nicht besser, durch die Zeichen, die Herr
Trump setzt oder nicht setzt, etwa wenn er nach Saudi-Arabien fährt und dortige Menschenrechtsverletzungen nicht benennt .
Es darf also keinen Rabatt geben . Ich richte da auch
einen Appell an uns alle . Wir haben manche Länder und
manche Regierungen, die uns vielleicht näher stehen
als andere . Umso wichtiger ist es, dass wir diesen Ländern keinen Rabatt geben . Die Sozialdemokratie muss
und wird Korruption in Rumänien anprangern . Wenn es
dort Regierungen gibt, die sich mit der Aufklärung von
Korruption schwertun, dann muss man das benennen .
Genauso muss die CDU Probleme in Ungarn und Mazedonien klar benennen . Die Linke, die sich in der Regel
durch eine engagierte Menschenrechtsarbeit auszeichnet,
muss auch bei den Ländern, die ihr nahestehen, entsprechend Kritik üben . Ich würde da mal Kuba, Venezuela,
Nordkorea und Russland nennen .
({1})
- Es ist gut, dass das so benannt wird . Aber ich habe ein
paar Debatten im Menschenrechtsausschuss erlebt, in
denen jedenfalls ich den Eindruck hatte, dass es Staaten
gibt, bei denen man schon mal weniger darüber redet als
bei anderen Staaten . Ich habe ja auch sehr selbstkritisch
ein von Sozialdemokraten geführtes Land genannt .
Ich möchte an dieser Stelle ein super Programm loben,
das wir hier beim Deutschen Bundestag haben: das Programm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ . Ich
werde nicht müde, es zu erwähnen . Denn es geht darum,
da, wo wir es können, mitzuhelfen und eine Schutzfunktion für Abgeordnete, aber auch für Menschenrechtsaktivisten aus anderen Ländern zu übernehmen .
Ich habe nur auch da manchmal den Eindruck, dass
es ein bisschen darum geht, sich die Leute entsprechend
politischer Konstellationen auszusuchen, je nachdem,
wer gerade an der Regierung ist und wer nicht . Ich will
an dieser Stelle einen Doppelaufruf starten . Zum einen
rufe ich dazu auf, dass mehr Kolleginnen und Kollegen
bei dem Programm mitmachen, zum anderen dazu, sich
im Rahmen des Programms nicht nur mit den Ländern
zu befassen, mit deren Regierungen man Probleme hat,
sondern gerade auch mit den Ländern, mit deren Regierungen man befreundet ist, und Leute aus diesen Ländern
ins Programm aufzunehmen . Ich glaube, dass das eine
größere Wirkung hat, als wenn wir es andersherum machen . Wir sollten uns alle überlegen, ob wir hier nicht
entsprechend ansetzen können . Es ist ein wunderbares
Programm. Ich will aber darauf hinweisen, dass es finanziell und personell unterausgestattet ist . Wir müssen im
nächsten Deutschen Bundestag das Programm finanziell
besser ausstatten .
({2})
Wir haben das PsP-Programm auf der Habenseite, das
in dieser Legislaturperiode deutlich ausgeweitet wurde .
Auf der Habenseite haben wir auch das Deutsche Institut für Menschenrechte mit dem entsprechenden Gesetz,
das wir nach längerer Debatte verabschiedet haben . An
der Debatte waren viele beteiligt, aber nicht alle haben in
dieselbe Richtung gezogen . Meine Fraktion - das kann
man durchaus selbstbewusst sagen - war immer relativ
klar . Ich will meinen Dank aber auch an diejenigen richten, die mitgeholfen haben, zum Beispiel Dr . Fabritius,
aber auch Michael Brand . Es wäre gut, wenn es uns jetzt
gelingt, ein gemeinsames Verständnis für das zu entwickeln, was das Institut aktuell macht .
({3})
Da sind wir auf einem guten Weg . Durch das Gesetz über
die Rechtsstellung und Aufgaben des Deutschen Instituts
für Menschenrechte haben wir dafür gesorgt, dass das
Institut die Präsidentschaft der Institute für Menschenrechte weltweit übernehmen konnte, also eine hohe Reputation hat .
Selbstverständlich ist es wichtig, den Blick nach außen zu richten - das war immer wieder Debattengegenstand -, aber wir brauchen auch den Blick nach innen,
weil eben nicht alles gut ist in Deutschland . Das gibt
uns die Legitimation, entsprechende Vorkommnisse zu
benennen und anzuprangern . Es ist eine Aufgabe für die
nächste Legislaturperiode, darüber nachzudenken, wie
die Mehraufgaben, die wir gesetzlich festgelegt haben,
am Ende finanziell und organisatorisch abgebildet werden können . Das heißt, das Institut braucht eine bessere
Ausstattung. Ich finde überhaupt, dass wir die nächste
Legislaturperiode dazu nutzen sollten - vielleicht schon
im Koalitionsvertrag -, die Menschenrechtsarchitektur,
die wir am Anfang des letzten Jahrzehnts geschaffen haben, zu bearbeiten, zu renovieren und auf den aktuellen
Stand zu bringen .
({4})
Das gilt für die Funktion der Beauftragten für Menschenrechte und möglicherweise auch für die Rolle des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe .
In den nächsten vier Jahren wird es unsere Aufgabe
sein, zu beobachten, was in den USA passiert . Es werden
von Trump ja nicht nur die falschen Signale ausgesendet, sondern es besteht auch die Befürchtung, dass Menschenrechtsarbeit von den USA weniger finanziert wird.
Das heißt, wir müssen eine Diskussion darüber führen,
wie man die fehlenden Mittel substituieren kann, damit
bestimmte Organisationen und zivilgesellschaftliches
Engagement in vielen Teilen der Welt nicht ausbluten .
Beim Thema bürgerliche Menschenrechte habe ich
den Eindruck, dass wir uns über die Fraktionen hinweg
einigermaßen einig sind . Hohe Uneinigkeit besteht beim
Thema soziale und wirtschaftliche Menschenrechte .
Ich muss an dieser Stelle in Richtung Koalitionspartner
blicken; denn ich glaube, hier tun Sie sich besonders
schwer . Natürlich geht es um Meinungsfreiheit, um körperliche Unversehrtheit, Pressefreiheit, um all das; aber
es geht ebenso um das Recht auf eine Lebensgrundlage,
auf Nahrung und auf eine saubere Umwelt . Wir führen
weltweit eine Debatte über solche Rechte . Ich glaube,
dass wir in Deutschland besser sein könnten, auch in der
Umsetzung internationaler Vereinbarungen . Ich wünsche
mir wirklich, dass die Blockade aufgehoben wird, die
insbesondere von Ihnen ausgeübt wurde, zum Beispiel
bei der Ratifizierung des Zusatzprotokolls zum UN-Sozialpakt, aber auch bei der Ratifizierung der ILO 169 für
die Rechte der indigenen Bevölkerung . Das wäre mein
Wunsch für die nächste Legislaturperiode .
({5})
Wir haben mit dem Nationalen Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“ eine akzeptable, vielleicht
auch gute Grundlage für die weitere Arbeit geschaffen;
denn deutsche Unternehmen tragen weltweit mittelbar
oder unmittelbar zu Menschenrechtsverletzungen bei .
Das ist einfach so . Ich will gar nicht unterstellen, dass das
irgendjemand bewusst tut, aber es passiert . Deswegen
brauchen wir eine vernünftige Regelung in Deutschland,
gerne freiwillig, aber wenn es sein muss, auch gesetzlich .
Deswegen ist es wichtig, dass die Evaluierung des Nationalen Aktionsplans ordentlich vonstattengeht .
Zum Schluss noch ein Appell zum Thema Todesstrafe . Die Todesstrafe ist unmenschlich und barbarisch . In
den letzten Jahren und Jahrzehnten gab es eine positive
Entwicklung . In vielen Ländern ist die Todesstrafe abgeschafft oder zumindest ausgesetzt worden. Es ist dramatisch, dass in der Türkei eine Debatte über die Wiedereinführung der Todesstrafe geführt wird . Es ist völlig
klar: Das ist ein Ausschlusskriterium für die Europäische
Union, aber auch für den Europarat .
Ich will an dieser Stelle aber auch die USA nennen .
In Richtung des Bundesstaates Arkansas möchte ich sagen: Wenn man versucht, in eine wirtschaftlich stärkere
Kooperation mit Deutschland einzutreten - das wird versucht, auch durch ein Büro, das dieser Bundesstaat hier
in Berlin betreibt -, dann kann man uns nicht gleichzeitig
hintergehen - anders kann man das gar nicht nennen und mit Medikamenten, die dazu da sind, Menschenleben zu retten, Menschen hinrichten . Das ist völlig inakzeptabel, und das muss sofort aufhören .
({6})
Das Wort hat die Kollegin Inge Höger für die Fraktion
Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Der zwölfte Menschenrechtsbericht der Bundesregierung geht an vielen Stellen an der Realität vorbei,
({0})
insbesondere wenn es um die Lage der Menschenrechte
hier in Deutschland geht .
Seit fast 60 Tagen befindet sich der politische Gefangene Yusuf Tas im Hungerstreik für Kommunikation in
seiner Muttersprache . Yusuf Tas war politischer Gefangener in der JVA Heimsheim in Baden-Württemberg und
wurde vor kurzem in das Gefängniskrankenhaus Hohenasperg verlegt .
({1})
Dass ihm das Reden und die Lektüre in seiner Muttersprache von der JVA verwehrt werden, ist Diskriminierung und eine Form struktureller Gewalt, die gegen elementare Menschenrechte verstößt .
({2})
Das ist ein aktuelles Beispiel . Sie können jetzt sagen:
Das ist erst passiert, nachdem der Menschenrechtsbericht
geschrieben worden ist . Dieses Beispiel zeigt aber bestimmte Benachteiligungen, die es in Deutschland gibt,
aber nicht geben sollte .
Ein anderes Beispiel ist, dass die Praxis des Racial
Profilings, also der polizeilichen Kontrolle anhand äußerlicher Merkmale wie Hautfarbe oder ethnischer Zugehörigkeit, keine Erwähnung in dem Bericht findet.
Diesen tief verankerten Rassismus in staatlichen Institutionen und Behörden spart die Bundesregierung einfach
aus, und das, obwohl Deutschland im Berichtszeitraum
wegen Racial Profiling gerügt worden ist, zum Beispiel
vom Menschenrechtskommissar des Europarates, vom
UN-Ausschuss gegen rassistische Diskriminierung und
vom Deutschen Institut für Menschenrechte . Dazu dürfen wir nicht schweigen .
({3})
Leider ist der Bericht weitgehend darauf beschränkt,
Verordnungen, Vorschriften und Einzelaktivitäten aufzuzählen, die die Bundesregierung im Berichtszeitraum
eingeführt oder anerkannt hat. Eine umfassende qualitative Bewertung fehlt .
Im innenpolitischen Teil fehlt insbesondere eine tiefer gehende Untersuchung der sozialen Menschenrechte
in Deutschland . Gerade die neoliberale Spar- und Kürzungspolitik der letzten Jahre führte zu gravierenden
Menschenrechtsverletzungen .
({4})
Deren Auswirkungen sind steigende soziale Ungleichheit, zunehmende Verarmung und erschwerter Zugang zu
gesellschaftlicher Teilhabe . 1,7 Millionen Kinder leben
in Armut; das hat ein heute veröffentlichter Bericht von
Eurostat ergeben . Auch die Wohnungslosigkeit nimmt
zu . Angesichts eines Privatvermögens von 10 Billionen
Euro in Deutschland ist diese zugespitzte Armutssituation untragbar .
({5})
Die Linke fordert, die reale Entwicklung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte in
Deutschland im nächsten Bericht ausführlich zu reflektieren und zielgerichtete Lösungsansätze zu entwickeln,
besonders hinsichtlich der Armutsbekämpfung .
({6})
In dem Bericht wird die Situation von Asylsuchenden und Geflüchteten beschönigt. Insbesondere die
menschenrechtlichen Folgen von Abschiebung werden
nicht untersucht . Heute Vormittag wurden bei einem der
schwersten Anschläge in Kabul mindestens 64 Menschen
getötet und mehr als 300 verletzt . Afghanistan ist kein sicheres Herkunftsland . Stoppen Sie die Abschiebung nach
Afghanistan!
({7})
Im außenpolitischen Teil des Berichts ist die Mitverantwortung der deutschen Außenhandels- und Entwicklungspolitik bei Menschenrechtsverletzungen in
Drittstaaten unzureichend beleuchtet worden . Neoliberale Handels- und Investitionsschutzabkommen, Rohstoffausbeutung oder der Export subventionierter Lebensmittel gefährden die soziale Menschenrechtslage in
Drittstaaten . Auch Menschenrechtsverletzungen, die auf
die deutsche Außen- und Verteidigungspolitik zurückzuführen sind, ignoriert der Bericht . Deutsche Rüstungsexporte und auch die militärische Beteiligung der Bundeswehr an Auslandseinsätzen wirken wie Öl im Feuer
zahlreicher Kriegsgebiete und Krisenherde . Das EUGrenzre gime einschließlich der EU-Militärmission im
Mittelmeer dient der Kontrolle der Fluchtrouten und der
Abwehr von Geflüchteten. Das Sterben im Mittelmeer ist
eine Folge dieser Abschottungspolitik der EU, spielt im
Bericht aber keine Rolle . Das tausendfache Sterben im
Mittelmeer darf uns nicht egal sein .
Die Linke fordert eine objektive Analyse der menschenrechtspolitischen Folgen der deutschen Außenpolitik und vor allem die Beendigung aller Auslandseinsätze,
einen Stopp von Rüstungsexporten und ein Ende der ausbeuterischen Außenhandelspolitik .
({8})
Es geht weiter . In der Beschlussempfehlung des Menschenrechtsausschusses, die gegen die Stimmen der
Oppositionsparteien angenommen wurde, findet sich
die Forderung, in den nächsten Menschenrechtsbericht
„die Menschenrechtslage auch von befreundeten Staaten
künftig in den Länderteil zu integrieren“ . Die Aufnahme
der bisher fehlenden westlichen Industrienationen fordert
die Linke schon lange . Beispielsweise haben die USA
als einziges UN-Mitglied die Kinderrechtskonvention
nicht unterzeichnet . Sie stehen wegen Kinderarbeit, der
Prügelstrafe an Schulen und der Diskriminierung armer
Kinder bei der Essensausgabe in der Kritik . Das sind Zustände, die untragbar sind .
Was bedeutet es, von befreundeten Staaten zu sprechen? Heißt das, dass Länder wie zum Beispiel Brasilien,
Indien, Montenegro oder Kenia verfeindete oder jedenfalls nicht befreundete Staaten sind?
({9})
Die Linke hofft auf eine kritische Analyse der Lage der
Menschenrechte in allen Staaten im nächsten Bericht .
Sehr positiv an dem Bericht ist, dass die äußerst problematische menschenrechtspolitische Situation der palästinensischen Bevölkerung infolge der israelischen
Besatzung angesprochen wird . Kritisiert werden unter
anderem die Administrativhaft, die Lage minderjähriger
Palästinenser in israelischen Haftanstalten, die Zerstörungen von palästinensischen Privathäusern und humanitärer Infrastruktur sowie die unverhältnismäßige und
teils tödliche Gewaltanwendung gegen Zivilisten durch
israelische Sicherheitskräfte . Der israelische Siedlungsbau wird konsequent für völkerrechtswidrig erklärt.
Jedoch wird die humanitäre Katastrophe in Gaza allein der Hamas zugeschoben . Dabei schneidet die seit
zehn Jahren andauernde Blockade dieses dicht bewohnte
Gebiet komplett von der Außenwelt ab . Die israelische
Regierung lässt an Nahrung und Medikamenten nur das
einführen, was sie selbst zum Überleben für absolut notwendig empfindet.
Auch die ägyptische Regierung behindert Hilfslieferungen an der Grenze . Infolgedessen fehlt etwa ein Drittel dringend benötigter Medikamente und Hilfsmittel,
und die gesundheitliche Versorgung jedes dritten Patienten bzw . jeder dritten Patientin ist bedroht . Solche Handlungen sollten im kommenden Bericht mitgedacht und
von der Bundesregierung entsprechend kritisiert werden .
({10})
Ich empfehle, dem Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke zuzustimmen .
({11})
Für die umfassende Verwirklichung der universellen
Menschenrechte sind Frieden und soziale Sicherheit die
wichtigsten Voraussetzungen . Der Einsatz für Frieden
und soziale Gerechtigkeit sollte daher auch oberste Aufgabe einer jeden deutschen Bundesregierung sein .
Vielen Dank .
({12})
Das Wort hat der Kollege Michael Brand für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Evangelische Kirchentag am vergangenen Wochenende stand in diesem Jahr ganz unter dem Eindruck des
500-jährigen Reformationsjubiläums . Viele Tausend
Gläubige haben sich in Berlin und auch in Wittenberg
getroffen, um ein Fest des Glaubens und der Toleranz zu
feiern . Die Religionsfreiheit ist eine zentrale Frage heutiger Menschenrechtspolitik . Der Umgang eines Staates
mit der Religionsfreiheit zeigt im Besonderen, wie es
dort um die Menschenrechte steht .
({0})
Der zwölfte Menschenrechtsbericht zeigt, dass das
Recht auf Religionsfreiheit zunehmend gefährdet ist .
Deshalb fordern wir in unserer heutigen Entschließung
erneut und explizit eine umfangreichere Befassung mit
dem Menschenrecht auf Religionsfreiheit im nächsten
Menschenrechtsbericht der Bundesregierung .
({1})
2016 wurde auf Initiative der CDU/CSU erstmals ein
Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der
Religions- und Weltanschauungsfreiheit vorgelegt und
darüber diskutiert . Kurz vor Ende der Legislaturperiode
möchte ich heute die Gelegenheit nutzen, bei Ihnen allen
für eine Verstetigung und Weiterentwicklung des Religionsfreiheitsberichtes zu werben . Für uns bleibt auch für
die kommende Wahlperiode dieses Thema ein zentrales
Anliegen .
({2})
Bahai, Ahmadiyya, Rohingya, Jesiden, Schabak, Aleviten, Juden, Muslime, Schiiten und Sunniten, Tibeter,
Uiguren sowie Christen aller Konfessionen und Traditionen werden Opfer von gezielter Gewalt und Terrorismus . Die Christen sind die weltweit größte verfolgte
Religionsgruppe . Vor wenigen Tagen starben bei einem
Angriff auf koptische Christen in Ägypten erneut Dutzende Menschen . Die Terrormiliz des sogenannten „Islamischen Staats“ hat die Tat für sich reklamiert . Die mit
Abstand meisten Opfer des IS sind weiterhin Muslime .
Das dürfen wir nicht übersehen, und wir dürfen uns auch
nicht spalten lassen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im aktuellen Menschenrechtsbericht sind Themen hervorgehoben, die uns
im Parlament vielfach beschäftigen: so der Schutz von
Menschenrechtsverteidigern und die Folgen repressiver
NGO-Gesetze, die die Handlungsspielräume der Zivilgesellschaft in immer mehr Ländern massiv einschränken .
Der Brennpunkt „Shrinking Space“ zeigt deutlich, welch
enorm wichtige Rolle eine handlungsfähige Zivilgesellschaft für Menschenrechte und Demokratie hat . Deshalb
ist es von Bedeutung, offenzulegen, wie, manchmal ganz
offen und manchmal sehr subtil, Regime die Daumenschrauben anziehen . Im „Aktionsplan Menschenrechte“
verweist der Bericht auf Zielvorgaben und Strategien in
den kommenden Jahren und benennt konkret 22 Schwerpunkte und Maßnahmenbündel zu deren Umsetzung . Als
Große Koalition formulieren wir im Entschließungsantrag zehn konkrete Forderungen an die Bundesregierung:
vom konkreten Monitoring des Nationalen Aktionsplans
„Wirtschaft und Menschenrechte“ bis hin zu einem
Brennpunktthema, das sich dem weltweiten Problem des
illegalen Organhandels widmen soll .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute ist der chinesische Regierungschef in Berlin zu Gast . Die traurige
Wahrheit ist: Die Menschenrechtslage in China hat sich
seit dem Amtsantritt von Xi Jinping sogar noch weiter
verschlechtert . Es gibt noch brutaleres Vorgehen gegen
Menschenrechtsanwälte und -aktivisten sowie gegen
Blogger, hohe Haftstrafen und Repression, NGOs werden durch neue Sicherheitsgesetze an die Kette gelegt,
die Internetzensur wird weiter verschärft . Wer mehr Freiheit fordert und dies nur öffentlich äußert, wird jahrelang
weggesperrt .
Besonders dramatisch bleibt die Lage für Uiguren
und Tibeter . Die systematische Zerstörung von religiösen
Heiligtümern der Tibeter, aktuell der bedeutenden Lehranstalt Larung Gar, und die brutale Unterdrückung dieser
einzigartigen Kultur des für seine Friedfertigkeit bekannten Volkes ist einer so alten und großen Kultur wie der
chinesischen völlig unangemessen und trägt nicht zur
Verbesserung des Ansehens von China in der Welt bei .
({3})
Die Bundesregierung sollte neue Möglichkeiten
nicht vorbeiziehen lassen und jetzt eine aktivere Rolle
in den Beziehungen zu China spielen - bei den Themen
Freihandel, Klimawandel und auch die Chance nutzen,
ein neues Kapitel im Bereich Menschenrechte aufzuschlagen - ohne zu poltern den Finger in die Wunde legen . Dramatische Berichte über brutale Umerziehungsund Zwangsarbeitslager, das Wissen über die weltweit
meisten Hinrichtungen und der Handel mit Organen
von Strafgefangenen müssen auch von Berlin deutlicher
angesprochen werden . Wir haben uns zum Ziel gesetzt,
noch einen Antrag auf den Weg zu bringen - wir haben
ja nur noch zwei Sitzungswochen -, der genau das, den
illegalen Organhandel, in den Fokus nimmt . Im Übrigen sollten wir die Zeit bis Ende Juni auch nutzen, ein
Zeichen für die Opfer der sogenannten früheren Colonia
Dignidad zu setzen - auch daran arbeiten wir gerade -;
denn Deutschland hat hier eine moralische Mitverantwortung .
({4})
Ich komme zurück zu China . Ende 2016 fand der
14 . Menschenrechtsdialog zwischen China und Deutschland statt . Für die chinesische Seite sind diese Runden
inzwischen sehr bequem geworden: Kritik wird zwar angesprochen, befürchten muss man bislang aber wenig . Dialog - das will ich in aller Deutlichkeit sagen - darf
nicht zum Selbstzweck werden . Dialog ohne echte Konsequenzen ist wirkungslos. Dass Peking dem Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages, übrigens im
Gegensatz zum Wirtschaftsausschuss, weiter keine freie
Einreise erlaubt, ist ein anhaltender Tiefpunkt in unseren diplomatischen Beziehungen, der nun wirklich nicht
länger akzeptiert werden darf . Wir erwarten hier von der
Bundesregierung eine aktivere Rolle .
({5})
Ich sage das auch, weil ich glaube, wenn man bei den
chinesischen Gesprächspartnern nicht völlig das Gesicht
verlieren möchte, dann muss deutsche Diplomatie auch
vorzeigbare Ergebnisse bringen . Wenn die vielbeschworene „stille Diplomatie“ im Falle Chinas angeblich so
zielführend ist, dann muss man sich schon die Frage stellen, warum die Lage der Menschenrechte in China immer
dramatischer wird .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, immer dramatischer
ist auch die Lage in der Türkei geworden: Verhaftungswellen, Abschaffung der Demokratie, Drohungen mit
der Einführung der Todesstrafe, die Axt am Recht von
Meinungs- und Pressefreiheit, Deniz Yücel, dessen Pate
übrigens ich bin . Ich will an Frank Schwabe anknüpfen
und an die Abgeordneten appellieren, eine Patenschaft
im Rahmen des PsP-Programms des Bundestages zu
übernehmen . Deniz Yücel ist sicherlich kein großer Anhänger der CDU/CSU, aber ich finde, genau das, was du
gesagt hast, ist wichtig, nämlich dass man nicht nur nach
seinen Leuten schaut, sondern auch nach Leuten, die einem vielleicht nicht immer passen, von denen man nicht
alles teilt . Aber dafür, dass sie ihren Job machen können,
ihre Meinung sagen dürfen und ihre Freiheit als Journalisten haben, kämpfe ich auch im Falle von Deniz Yücel,
der natürlich freigelassen werden muss . Nennen will ich
auch die deutsche Journalistin Mesale Tolu und die rund
150 weiteren Journalisten und Verlage . Auch hier dürfen
wir nicht nachlassen, deutlich eine Änderung von der
Türkei einzufordern .
({6})
Ich will auch an die Attacken nach der Armenien-Resolution erinnern, von DITIB bis hin zu den unakzeptablen türkischen Geheimdienstaktivitäten in Deutschland
und dem irren Vorgang in Incirlik . Ein solches Verhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat es bislang im
NATO-Bündnis nicht gegeben; das ist einzigartig . Auch
dieser Punkt muss endlich weggeräumt werden . Ich wünsche dem Außenminister bei seinen Gesprächen viel Erfolg . Aber es muss klar sein, dass nur ein grundsätzlicher
Zugang für uns Parlamentarier akzeptabel ist und dass
die Spielchen endlich ein Ende haben müssen .
({7})
Bei grundlegenden Fragen von Menschenrechten
darf man sich nicht wegducken . Das gilt gerade in der
Tagespolitik . Es ist im Übrigen auch nicht die wichtigste Frage, ob wir Menschenrechtsverletzungen anderswo
ertragen . Ich glaube, zuallererst ist die Frage, ob die Unterdrückten und Verfolgten in den jeweiligen Ländern,
ob in der Türkei oder andernorts, dies ertragen können denn sie zahlen doch in Wahrheit den bitteren Preis für
das Wegducken hier, und sie erwarten von uns zu Recht
Haltung und aktive Unterstützung .
Diplomaten bei uns und in der EU müssen sehr aufpassen, dass manches Wegnuscheln nicht als Feigheit
missverstanden wird und die Falschen sogar noch ermuntert werden . „Europa muss ein Akteur sein, der sich auch
einmischt international“, hat unsere Bundeskanzlerin
gestern beim Besuch des indischen Premiers formuliert
und wenige Tage zuvor gefordert, die Europäer müssten
ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen . Ja, die Zeiten,
in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die
sind ein Stück vorbei .
Ich will Sie auch deshalb fragen: Wie ernst soll man
denn eine EU-Kommission nehmen, die sich im Fall
Erdogans nach dem Verfassungsreferendum in Wortakrobatik übt, indem sie von roten Linien in unterschiedlichen Färbungen spricht und die Todesstrafe als die
„röteste aller roten Linien“ bezeichnet? Ich halte das für
zynischen Hohn gegenüber den Mutigen in der Türkei,
die sich noch trauen, den Mund aufzumachen . Auch hier
gilt es, stärker Flagge zu zeigen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will einen letzten Punkt ansprechen . Frank Schwabe hat zu Recht gefordert, beim Thema Menschenrechte auch nach innen
zu schauen . Es braucht diesen Blick nach innen . Unser
Land, unser Grundgesetz, unsere Werte werden immer
wieder bedroht . Stellung beziehen und sich nicht wegducken ist entscheidend, egal woher die Angriffe auf unsere freiheitliche Gesellschaft und unsere Werte kommen .
Dazu gehören Menschen, die den Untergang des Abendlandes beschreien, aber in Wahrheit auf aggressive Ausgrenzung setzen . Dazu gehört links- wie rechtsextreme
Gewalt . Dazu gehören Erdogan-Anhänger in Deutschland, die hierzulande alle Freiheiten genießen und von
hier aus helfen, die Demokratie in der Türkei abzuschaffen . Da gibt es Menschen, die zu uns gekommen sind und
hier gegen Christen, Jesiden oder Juden hetzen und sie
einschüchtern. Dass Konflikte aus anderen Ländern zu
uns getragen werden, darf unser Staat nicht akzeptieren .
({8})
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat
geurteilt, dass die Scharia mit den fundamentalen Prinzipien der Demokratie und der Europäischen Menschenrechtskonvention unvereinbar ist . Die Gleichberechtigung von Frau und Mann ist bei uns nicht verhandelbar .
Und es ist gut, dass der Deutsche Bundestag in dieser
Woche konkrete Regeln auf den Weg bringt, um Kinderehen zu bekämpfen .
Kollege Brand .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Menschenrechte
sind nicht verhandelbar . Oder wie es unser früherer BunMichael Brand
despräsident Joachim Gauck gesagt hat: „Jede Politik ist
auch Menschenrechtspolitik .“
Vielen Dank .
({0})
Das Wort hat der Kollege Tom Koenigs für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben es schon gehört: Die Menschenrechte
stehen unter Druck, innen und außen, im Osten und im
Westen: innen durch rechtspopulistische Strömungen,
die Migranten hassen, außen durch religiöse Fanatiker,
die Staaten bilden wollen, im Osten durch stalinistische
Autokraten - Putin, Erdogan - und im Westen durch Tendenzen, sich aus den Institutionen zurückzuziehen, zum
Beispiel England, das aus dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof austreten will, oder die Vereinigten
Staaten aus dem Menschenrechtsrat oder auch nur Staaten, die ihre Finanzen zurückziehen oder zurückfahren
wollen .
Für uns Grüne sind die Menschenrechte der wichtigste Maßstab für die Entwicklung und den Erfolg von
Gesellschaften . Wir haben da eine eindeutige Position,
nehmen die Menschenrechte ernst und stellen sie an die
erste Stelle, das heißt, wir fordern von den Staaten - von
jedem Staat, von jeder Regierung, auch von jeder Koalition -, dass sie die menschenrechtlichen Staatenpflichten ernst nehmen, nämlich Menschenrechte beachten,
Menschenrechte schützen und Menschenrechte fördern durch Institutionen .
({0})
Dass sie die Menschenrechte an die erste Stelle setzt
oder auch nur ernst nimmt, das kann man von der CDU
wirklich nicht sagen, wenn Sie es zwölf Jahre zugelassen
haben, dass eine AfD-Tante Ihre Menschenrechtspolitik
vertritt .
({1})
Zwölf Jahre! Und dann sehen Sie, wo sie hingekommen
ist . Es sind ja viele von Ihren Vorkämpfern zur AfD gegangen . Aber da sehen Sie es mal!
Oder: Was war das für eine Qual, das Institut für Menschenrechte in den Status zu versetzen, in den es gesetzlich versetzt werden muss! Das ging ja nicht einfach, und
dann haben wir es letzten Endes geschafft, dann stellt
sich der Herr Fabritius hierhin und saut sie wieder runter .
Das ist CSU!
CSU auch so: Menschenrechtlich gibt es keinen Rabatt, hat Herr Brand gerade gesagt . Obergrenze für Asylgewährung: Da sollten Sie mal Ihrem CSU-Vorsitzenden
sagen, dass die Obergrenze verfassungswidrig ist, menschenrechtswidrig ist .
({2})
Es gibt keine Obergrenze . Da war die Kanzlerin sehr viel
eleganter .
Aber wenn man die Menschenrechte runterzieht und
so tut, als gäbe es nichts - auch nur an einem einzigen
Punkt -, dann beschädigt man die ganzen Menschenrechte . Fragen Sie mal bei Herrn Seehofer nach! Und die SPD
hat das in der Koalition dann alles immer mitgemacht .
({3})
Flüchtlingspolitik: Da wird der Familiennachzug für
zwei Jahre ausgesetzt . Sie haben das doch auf dem Kirchentag gehört, was die Bürgerinnen und Bürger - gerade
auch diejenigen, die für die Flüchtlinge etwas machen Ihnen dazu sagen . Dann machen Sie da einfach mit!
Oder Aktionsplan: Das ist ein Passivplan, den Sie da
letzten Endes gemacht haben . Da wird nichts aktiviert .
Die Ruggie-Prinzipien sind einstimmig in der ganzen
Welt verabschiedet worden, und da gibt es eben unternehmerische Achtungspflichten, staatliche Schutzpflichten und den Zugang zur Abhilfe . Und dann kommen Sie
da mit einem Mäuschen von einem Aktionsplan und verteidigen den dann hier noch!
Sie haben darin einen hervorragenden Menschenrechtsbeauftragten verschlissen . Der hat das Handtuch
geworfen . Das ist kein Aktionsplan, das ist ein Reaktionsplan .
Wir wollen die Institution des Menschenrechtsbeauftragten stärken, und wir sagen es auch ganz deutlich: Wir
wollen die Institution des Menschenrechtsbeauftragten
zu einem Kabinettsposten machen, zu einem Staatsminister, der dann auch für die Kohärenz in der ganzen Regierung sorgt,
({4})
sodass dann nicht auf der einen Seite Friedensprojekte
gefördert werden und auf der anderen Seite Rüstungsgüter verkauft werden .
Ich kann es Ihnen nicht ersparen: Wenn die CDU auf
dem rechten Auge blind ist, dann sind Sie auf dem östlichen Auge blind . Die neue Ostpolitik, die Sie wollen übrigens: deutscher Sonderweg mit den Russen -: Haben
Sie sich mal die Innenpolitik in Russland angesehen?
Haben Sie mal gesehen, dass da der Gulag fortgesetzt
wird? Haben Sie mal gelesen, was die von Pussy Riot,
die Nadja Tolokonnikowa, geschrieben hat, die nach ihrem Punk-Gebet zwei Jahre im Gulag gewesen ist? Die
hat das sehr genau beschrieben, und das kommt bei Ihnen
nicht vor .
({5})
Eben haben Sie sich zu Recht über die Verhältnisse
in Gaza beschwert . Aber haben Sie mal was über das
Terrorregime der Hamas gehört? Haben Sie da mal was
kritisiert? Nein, Sie fahren auf der Fregatte da mit und
versuchen, die Blockade zu durchbrechen, die illegal ist .
({6})
Menschenrechte heißt, nicht mit zweierlei Maß zu
messen, heißt, Menschenrechte überall zu vertreten, und
heißt, sich vor allem gegen jede Diskriminierung zu wehren . Diskriminierungen haben immer zu größeren Konflikten geführt, letzten Endes auch zu Krieg. Jeder der
internationalen Konflikte hat einen Diskriminierungstatbestand dahinter . Die Diskriminierungstatbestände
gibt es auch im Innern: Racial Profiling. Es ist die erste
Staatenpflicht, dass man Menschenrechte beachtet. Oder
wenn man zusieht, wie Flüchtlingsheime brennen . Das
ist die zweite Staatenpflicht: der Schutz der Bürger. Das
gilt eben für alle Menschen, nicht nur für die Deutschen .
Schließlich: Auch das Institut der Ehe ist eine Förderung der Nichtdiskriminierung . Ehe für alle: Das hat ja
nicht euer Schulz erfunden .
({7})
Warum haben wir die Verpartnerung und nicht die gleichgeschlechtliche Ehe seit der schönen rot-grünen Zeit?
Weil eben Ihr Kanzler das nicht wollte . Das ist an der
SPD gescheitert . Die CDU hat sowieso dagegengestimmt
und hat gewütet und getobt .
({8})
Aber Ehe für alle gäbe es seit 2001, wenn Sie damals
mitgemacht hätten . Gucken Sie sich das mal an!
({9})
Wir wollen eine menschenrechtsgeleitete Außenpolitik . Das heißt Verantwortung übernehmen, soweit der
Arm des Staates reicht, und zwar auch über die deutschen Unternehmen im Ausland . Wir wollen die Menschenrechtsverteidiger schützen . Unsere Botschaften
sollen Anlaufstellen für Menschenrechtsverteidiger sein .
Und notfalls sollen wir ihnen dann auch ein humanitäres Visum geben, wenn sie das unbedingt benötigen, wie
Edward Snowden .
Wir sollten intensiver in den internationalen Organisationen arbeiten . Da sind wir aber nur glaubwürdig, wenn
wir die internationalen Menschenrechtskonventionen
auch ratifizieren, und zwar alle: das Zusatzprotokoll zum
Sozialpakt, das Abkommen zum Schutz indigener Völker oder auch die Konvention zum Schutz der Wanderarbeiter. Die Chinesen haben das auch nicht ratifiziert. Die
brauchten es aber dringend, und die sagen: Wir ratifizieren nicht, weil das die Deutschen ja auch nicht machen . Das wäre ein Weg, durch eine symbolische Ratifizierung
weiterzukommen .
({10})
Die CDU sagt immer: Deutschland ist nicht Nordkorea . - Richtig! Aber auch bei Ihnen und auch bei Ihrem
Lieblingsthema Religionsfreiheit gibt es Tendenzen von
antimuslimischen Untertönen: „Wir sind nicht Burka .“
Ich bin auch nicht Schlips .
({11})
Was will der Innenminister da eigentlich sagen? Übrigens: Im Deutschkurs fallen ja die meisten durch .
({12})
Also, Deutsch wäre irgendwas anderes . Was will er da
sagen? Das ist ein Ausschluss . Hätte er im nächsten Satz
gesagt: „Der Islam gehört zu Deutschland“ - die einzige
große Leistung eines Ihrer Präsidenten -, dann hätte das
anders geklungen .
({13})
Aber klingt nicht bei dem „Wir sind nicht Burka“ auch
ein antimuslimischer Unterton mit?
({14})
Ich frage . Überlegen Sie mal, wie sich das anhört für jemand, der Muslim ist .
Der Menschenrechtsschutz braucht starke Institutionen . Deshalb wollen wir weiter das Innere stärken . Wir
wollen den Beauftragten für Menschenrechte stärken,
({15})
aber auch die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter .
Immerhin soll diese Stelle 13 000 Institutionen des Freiheitsentzuges überwachen . Wir stehen an der Seite der
Menschenrechtsverteidiger, deren Arbeit immer schwieriger wird, und die müssen das auch wissen .
({16})
Wir müssen auch dieses Stehen an der Seite der Menschenrechtsverteidiger in die Regierungsverhandlungen
einbringen . Das muss ein wesentlicher Faktor bilateraler
Beziehungen sein, und seien es Beziehungen mit der Polizei .
Kollege Koenigs, ich bitte, auf die Redezeit zu achten .
Ein letzter Satz: Mit den Grünen in einer Bundesregierung wird es eine klare Menschenrechtsorientierung
geben: in allen Bereichen und in allen möglichen Konstellationen und Koalitionen . Wir setzen die Menschenrechte an die erste Stelle .
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr . Karamba Diaby für die
SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor
zwei Jahren besuchte ich eine Asylunterkunft in meinem
Wahlkreis in Halle . Dort lernte ich eine iranische Familie kennen . Damals sprachen wir noch Englisch miteinander. Heute spricht die Tochter fließend Deutsch, und
auch mit den Eltern kann ich mich problemlos über meine parlamentarische Arbeit unterhalten . Die Tochter besucht mittlerweile ein Gymnasium in Halle . Der Vater hat
eine Stelle in einem halleschen Unternehmen gefunden .
Derzeit wartet er auf die Anerkennung seiner Berufsabschlüsse, um wieder als IT-Experte arbeiten zu können .
Seit ihrer Ankunft in Deutschland genießt die Familie
Menschenrechte, das Recht auf Bildung, das Recht auf
Arbeit und das Recht auf soziale Sicherheit . Es ist eine
Errungenschaft, dass unser Land auch Menschen, die zu
uns flüchteten, diese Rechte garantiert. Und das ist gut
so .
({0})
In dieser Wahlperiode haben wir nicht zuletzt im Bereich der Arbeitsrechte viel erreicht. Wir haben den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn eingeführt .
Wir haben ein Gesetz beschlossen, um die Lohnlücke
zwischen Frauen und Männern zu verringern . Für Asylbewerber haben wir den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert . Wichtig ist auch: Seit 2012 regelt das Anerkennungsgesetz die Anerkennung der Gleichwertigkeit
ausländischer Berufsqualifikationen. Wir erkennen damit
die vorhandenen Kompetenzen der Menschen an .
Auch im Bereich der sozialen Sicherung haben wir
Verbesserungen erreicht . Wir haben die Rente mit 63
eingeführt . Wir haben die Mütterrente aufgestockt, um
Frauen vor Armut zu schützen, liebe Kollegin . Wir haben
den steuerlichen Freibetrag für Alleinerziehende erhöht,
um das Armutsrisiko zu senken .
({1})
Um zu meinem Beispiel zurückzukommen: Die genannte Familie ist ein Symbol dafür, dass die Rechte der
verschiedenen Menschenrechtspakte eng miteinander
verbunden sind . Das zeigt auch der vorliegende Menschenrechtsbericht der Bundesregierung . Bildung gilt
dabei als Schlüssel, auch für die Umsetzung der übrigen
Menschenrechte .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Menschenrecht auf Bildung ist kein Recht zweiter Klasse .
Auch in diesem Punkt sind wir in dieser Wahlperiode
vorangekommen, zum Beispiel bei den öffentlichen Bildungsausgaben . Der Anteil der Bildungsausgaben am
Bundeshaushalt stieg kontinuierlich . Mittlerweile liegt
er bei sage und schreibe 17 Milliarden Euro . Durch die
Lockerung des Kooperationsverbotes wird der Bund
mit 3,5 Milliarden Euro die Sanierung von Schulen und
Turnhallen fördern .
Allein diese Punkte zeigen, dass wir auf einem guten
Weg sind, das Menschenrecht auf Bildung noch besser
umzusetzen . Aber wir müssen auch klar feststellen: Der
rote Bildungsteppich wird noch lange nicht für jedes
Kind in Deutschland ausgerollt . Faktoren wie die soziale
Herkunft, der Aufenthaltsstatus oder eine Behinderung
spielen noch immer eine entscheidende Rolle beim Zugang zu Bildung . Dabei ist der Migrationshintergrund
nicht das ausschlaggebende Kriterium . Nur in Verbindung mit den genannten drei Faktoren spielt er eine Rolle . Denn alleine das Aussehen lässt keine Rückschlüsse
auf den Zugang zu Bildung oder den Bildungserfolg zu .
Kinder bildungsferner Familien, egal welcher Herkunft, machen seltener Abitur und schreiben schlechtere Noten als der Nachwuchs von Anwälten, Lehrern,
Ärzten oder auch Abgeordneten . An deutschen Schulen
entscheidet bis heute die soziale Herkunft über den Bildungserfolg . Hier müssen wir gegensteuern .
({2})
In einer 2016 veröffentlichten Studie fordert das Deutsche Institut für Menschenrechte zu Recht die Anpassung
von rechtlichen Regelungen, Bildungsplänen und Unterrichtsmaterialien . Nur so lässt sich unser Schulsystem
inklusiv und diskriminierungsfrei gestalten .
Ungleichheiten herrschen auch beim Zugang zu Berufsbildung . Hier sind besonders oft Jugendliche mit
Migrationshintergrund betroffen, obwohl sie die gleichen
Abschlüsse wie andere Jugendliche ohne Migrationshintergrund vorweisen können . Ich meine, Chancengleichheit sieht anders aus .
({3})
Was müssen wir also tun? Und wo müssen wir umsteuern? Wir müssen die Bildungsinvestitionen erhöhen
und stärker in die Qualität der Bildung investieren . Das
heißt auch: die Bildungsinfrastruktur modernisieren, die
Lehrkräfte qualifizieren und die Schulsozialarbeit fördern. Wir brauchen eine gerechte Bildungsfinanzierung.
Wir brauchen die Gebührenfreiheit von der Kita bis zum
Hochschulabschluss und bei der Weiterbildung .
({4})
Meine Damen und Herren, der Geldbeutel der Eltern
darf nicht über die Bildungslaufbahn eines Kindes entscheiden . Der Ausbau der Ganztagsschulen und die frühe
individuelle Förderung in Kita und Schule sind wichtig,
um den gleichen Zugang zu Bildung für alle zu ermögliTom Koenigs
chen. Die berufliche Bildung muss gestärkt werden. Eine
berufliche Qualifikation ist die wichtigste Voraussetzung
für soziale Teilhabe als Erwachsener .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das iranische Mädchen hatte Glück . Unser Land bietet gute Voraussetzungen, und ihre Eltern kennen die Bedeutung
von Bildung für die Zukunft ihrer Tochter . Ich will aber
nicht, dass die Zukunftschancen unserer Kinder vom Zufall abhängen . Alle Kinder und Jugendlichen in unserem
Land brauchen den gleichen Zugang zu Bildung . Das
darf nicht am Geldbeutel scheitern .
Lassen Sie uns deshalb gemeinsam dafür eintreten,
das Menschenrecht auf Bildung für alle umzusetzen .
Danke schön .
({5})
Das Wort hat der Kollege Dr . Bernd Fabritius für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der zwölfte Menschenrechtsbericht der Bundesregierung
stellt einen fast umfassenden Überblick über die Situation der Menschenrechte sowohl international als auch bei
uns in Deutschland dar . Darüber hinaus legt die Bundesregierung mit dem Bericht Rechenschaft über ihre Menschenrechtspolitik der vergangenen zweieinhalb Jahre
ab - eine Bilanz, die sich durchaus sehen lassen kann,
was ich heute auch der Menschenrechtsbeauftragten der
Bundesregierung sehr gerne gesagt hätte . Ich hätte ihre
Anwesenheit bei dieser Debatte angemessen gefunden .
({0})
Bereits in unserer Debatte zum vorhergehenden elften Menschenrechtsbericht sind zwei wichtige Themen
angeklungen, die uns auch heute noch beschäftigen . Lassen Sie mich mit dem zivilgesellschaftlichen Engagement beginnen, das in vielen Ländern zunehmend eingeschränkt wird . Ich freue mich, dass die Bundesregierung
der Aufforderung des Bundestages nachgekommen ist,
den „Shrinking Space“ als Schwerpunktthema in ihrem
aktuellen Bericht zu behandeln . Denn selbst wenn zu
den Einschränkungen für NGOs, bei der Meinungs- und
Pressefreiheit oder bei der Rechtsstaatlichkeit auch an
dieser Stelle bereits viel gesagt wurde, sind die Probleme
weiterhin aktuell und so gravierend, dass sie in letzter
Konsequenz Demokratie und Menschenrechte weltweit
gefährden . Deshalb ist es ebenso begrüßenswert, dass die
Bundesregierung die Schaffung und Erhaltung von zivilgesellschaftlichen Handlungsspielräumen sowie die Unterstützung der Arbeit von Menschenrechtsverteidigern
in ihren Aktionsplan für den laufenden Berichtszeitraum
aufgenommen hat .
({1})
Wir regen darüber hinaus in unserem Entschließungsantrag an, dass die Bundesregierung auch im kommenden
13 . Bericht umfassend auf diese Entwicklungen eingeht .
Das zweite wichtige Thema der vergangenen Jahre waren die Flucht- und Migrationsbewegungen nach
Europa und Deutschland . Vom zuständigen Bundesamt
über die Kommunen bis hin zu den vielen freiwilligen
Helfern hat Deutschland mit einem Kraftakt eine große
Anzahl Schutzbedürftiger aufgenommen . Mit der Klarstellung, dass wir nur die tatsächlich Verfolgten aufnehmen können, haben wir dafür gesorgt, dass die Zahl der
Ankommenden deutlich gesunken ist . Das war wichtig,
um einerseits eine Überforderung unserer Bevölkerung
zu vermeiden und andererseits den wirklich Schutzbedürftigen eine menschenwürdige Aufnahme gewähren zu
können .
Welche Konsequenzen ziehen wir aus diesen Ereignissen? Drei Erkenntnisse sind aus meiner Sicht besonders wichtig:
Erstens gilt es weiterhin, gegen die Ursachen von
Flucht und Vertreibung weltweit anzugehen . Unsere
diesbezüglichen Möglichkeiten sind insgesamt gesehen
natürlich begrenzt . Die gute Arbeit von Bundesentwicklungsminister Dr . Müller zeigt jedoch auf beeindruckende Art und Weise, dass man mit Beharrlichkeit doch einiges erreichen kann .
({2})
Zweitens müssen wir diejenigen konsequent zurückführen, die nicht verfolgt werden und die deswegen keine Bleibeperspektive in Deutschland haben . Das gebietet
uns nicht nur unsere Gesetzeslage . Es ist auch im Hinblick auf die Akzeptanz in der Bevölkerung, auf die wir
angewiesen sind und auf die die Flüchtlinge angewiesen
sind, unerlässlich .
({3})
Die dritte Erkenntnis ist, dass wir grundsätzlicher
über die künftige Ausgestaltung des Asylsystems nachdenken müssen . Unser Asylrecht und auch die Genfer
Flüchtlingskonvention wurden unter dem Eindruck des
Zweiten Weltkriegs geschaffen. Sie sind unbestritten Teil
unseres humanitären Selbstverständnisses . Gleichzeitig
müssen wir uns aber eingestehen, dass sie nicht für die
Ausmaße der heute stattfindenden dauerhaften Fluchtund Migrationsbewegungen weltweit geschaffen wurden . Wenn wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt in
Deutschland und übrigens auch den innergemeinschaftlichen Zusammenhalt in der Europäischen Union nicht
gefährden wollen, muss es hier spätestens mittelfristig zu
spürbaren Anpassungen kommen .
Es ist begrüßenswert, dass die Bundesregierung in
ihrem Bericht auf das Thema Religionsfreiheit eingeht .
So werden beispielsweise die gravierenden Probleme in
Pakistan genannt . Dort ist der bekannte Fall der Christin Asia Bibi nur die Spitze eines viel größeren Eisbergs .
Erst vor kurzem ereignete sich erneut ein tragischer Anschlag auf koptische Christen in Ägypten . Der Bericht
thematisiert solche Menschenrechtsverletzungen zwar,
aber nur punktuell und weder erschöpfend noch analyDr. Karamba Diaby
sierend . Dabei wäre eine vertiefte Untersuchung dieses
Themas notwendig .
Bemerkenswert ist, dass die Bundesregierung in dieser Sache von den Grünen, Herr Kollege Koenigs, mit
dem Argument in Schutz genommen wird, es liege bereits ein separater Bericht zur Religionsfreiheit vor . Allerdings übersehen Sie dabei, lieber Kollege Koenigs,
dass sich die Bundesregierung bei der Erstellung des
Religionsfreiheitsberichts auf einen typologischen Ansatz beschränkt und sich damit gegen die Variante, einzelne Länder auf die Wahrung der Religionsfreiheit zu
untersuchen, festgelegt hat . Stattdessen beschrieb sie
abstrakt die beobachteten verschiedenen Arten von Menschenrechtsverletzungen . Begründet wurde diese Vorgehensweise damals mit Verweis auf andere Berichte; man
wolle Doppelungen vermeiden . Wenn man nun dieser
Argumentation folgt, dann kommt man zu dem Schluss,
dass der vorliegende Menschenrechtsbericht im Länderteil die ansonsten völlig unberücksichtigten, nicht genannten Fakten dringend eingehender und umfassender
behandeln müsste . Darum bitte ich im nächsten Bericht .
({4})
Wenn man wie wir heute über das Thema Menschenrechte in Deutschland spricht, gehört auch das Deutsche
Institut für Menschenrechte mit seiner unbestritten wichtigen Arbeit dazu . Im Berichtszeitraum haben wir die in
den Pariser Prinzipien geforderten gesetzlichen Grundlagen für das Institut geschaffen. Durch das Gesetz wird
sichergestellt, dass das Institut weiterhin unabhängig arbeiten kann . Außerdem wurde damit die Grundlage dafür
geschaffen, dass sich das Institut breiter aufstellt und in
seiner Mitgliederschaft die gesamte Bandbreite unserer
Gesellschaft gespiegelt wird . Dieses Pluralismusgebot
wird von den Vereinten Nationen in den Pariser Prinzipien gefordert, welche die wichtigsten Grundregeln für alle
Menschenrechtsinstitute weltweit festlegen . Herr Kollege Koenigs, die Vereinten Nationen haben dergleichen
nicht aus einer Laune heraus gefordert . Vielmehr gibt es
viele gute Gründe dafür .
Genauso wie man selbstverständlich die Bundesregierung bei ihrer wichtigen Menschenrechtsarbeit kritisch - möglichst konstruktiv - begleiten muss, sollte man
Verbesserungsbedarf beim Institut nicht einfach ignorieren, sondern sollte ihn klar ansprechen dürfen . Sie, Herr
Koenigs, nennen das „heruntersauen“ und wollen aus dem
Bundestag ein Akklamationsorgan machen . So verstehe
ich unseren parlamentarischen Auftrag nicht . Deutschland gehört zur freien Welt . Wir leben in einer sehr vielschichtigen, bunten Gesellschaft . Genau dies spiegelt sich
etwa hier im Parlament wider, wenn ich in die Reihen des
Hohen Hauses blicke . Genau eine solche pluralistische
Gesellschaft ist Grundlage einer aktiven Demokratie .
Über unsere Menschenrechtsarbeit darf ich sagen lieber Kollege Frank Schwabe, Sie haben darauf zu Recht
hingewiesen -: Trotz verschiedener Sichtweisen haben
wir alle doch das gleiche Ziel . Wir wollen die Menschenrechte in Deutschland und in der Welt wahren und
fördern, so gut und so weit das in unserer Macht steht .
Gleichzeitig ist es legitim - das zeichnet unsere Demokratie aus -, dass wir auf dem Weg dorthin auch einmal
unterschiedliche Prioritäten setzen . Dieser Aspekt fehlte
bisher im Deutschen Institut für Menschenrechte . Deswegen war es wichtig, die rechtlichen Grundlagen des
Instituts zu verändern, und deswegen bleibt es wichtig,
dass unser Institut diesem gesetzlichen Auftrag nun nach
und nach Rechnung trägt .
Im Teil C des Berichts wird unter der Überschrift
„Mens chenrechte weltweit“ die Entwicklung der Menschenrechtslage in 78 ausgewählten Staaten und Gebieten im Berichtszeitraum dargestellt und in einen Kontext
zur deutschen und europäischen Menschenrechtspolitik
gestellt. Die traurige Entwicklung in der Türkei findet
dort die notwendige Thematisierung. Das finde ich gut
und wichtig, gerade weil unser Institut bisher den Fokus
eher auf die Menschenrechtslage in Deutschland richtet .
Eine derartige Perspektivenerweiterung ist wichtig .
Besorgniserregend finde ich in diesem Zusammenhang die Entwicklung der Menschenrechtslage in Tschetschenien, meine Damen und Herren, einem zur Russischen Föderation gehörenden Land, in welchem laut
Human Rights Watch und anderen Menschenrechtsorganisationen systematisch Verhaftungen und Tötungen
von Menschen alleine wegen ihrer vermuteten sexuellen
Orientierung erfolgen . Ich bin der Bundeskanzlerin sehr
dankbar, dass sie diese Entwicklung in Sotschi bei ihrem Gespräch mit dem russischen Präsidenten Putin, in
dessen Verantwortungsbereich das alles passiert, deutlich
angesprochen hat . Sie hat Putin aufgefordert, sich für den
Schutz der Menschenrechte in seinem Land einzusetzen
und auch Minderheitenrechten Geltung zu verschaffen.
({5})
Ich fände es begrüßenswert, wenn der nächste Menschenrechtsbericht der Bundesregierung im internationalen Teil auch diese Situation näher beleuchten und Fortschritte berichten könnte .
Sie sehen: Es gibt leider weiter viel auf dem Gebiet zu
tun . Packen wir es gemeinsam mit einer konstruktiven
Herangehensweise an .
Danke .
({6})
Das Wort hat der Kollege Frank Heinrich von der
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! 2015 sind laut der Organisation IOM
3 771 Kinder, Frauen und Männer auf der Flucht nach
Europa im Mittelmeer gestorben . Ich erinnere mich, wie
schwer mir ums Herz war - das teile ich wahrscheinlich
mit dem einen oder anderen -, als wir am Anfang gewissermaßen nur ohnmächtig vor dieser Situation standen .
Wie erklärt man irgendwann einmal seinen Kindern oder
Enkeln, dass sie jetzt in den Urlaub an einen Ort fahren,
der zu einem Massengrab geworden ist - und wir vielleicht nicht genug unternommen haben?
In meiner Fraktion haben wir damals angefangen, zu
diskutieren . Fluchtursachen, Flüchtlinge, Flüchtlingspolitik: Was wollen wir tun? Dies haben wir zum ersten
Mal über die Disziplinen hinweg getan . Die Aufnahme
von Hunderttausenden Asylsuchenden hat unser Land
finanziell, personell und organisatorisch ziemlich herausgefordert . Aber unser Staat hat bewiesen - der Bericht belegt das auf einigen Seiten im Mittelteil, und das
Deutsche Institut für Menschenrechte hat uns das letzte
Woche in der Anhörung noch einmal deutlich bestätigt -,
dass Deutschland seiner Verantwortung entsprechend gut
reagiert hat, wenn auch nicht an allen Stellen richtig, und
wir diesem Anspruch gerecht werden . Das waren mutige
Entscheidungen, die unser Land, die unsere Kanzlerin
getroffen hat; darauf bin ich ziemlich stolz.
Inzwischen geht es aber nicht mehr nur um Deutschland, sondern auch um ein gemeinsames europäisches
Asylsystem . Die Herausforderungen können nur gemeinsam angegangen werden, zumindest für uns als Europäer .
Das einzig mögliche erfolgreiche Handeln kann nur das
gemeinsame sein .
Wir erleben eine Polarisierung der Gesellschaften - einer meiner Kollegen hat das eben gesagt -, die die Migrationsströme noch verschärft . Die Wahlen in den USA und
in Frankreich scheinen eine Spaltung unserer Völker im
Inneren aufzuzeigen: Es gibt die Weltliberalen auf der einen Seite und die sogenannten Patrioten auf der anderen
Seite . Die Anführer der Letztgenannten stellen uns vor
Gefahren, die uns gut in Erinnerung sind: Fremdenfeindlichkeit, Populismus, Isolationismus . Das ist das Klima Stichwort „Shrinking Space“ -, in dem die Menschenrechte unter Druck geraten und in dem sie sich behaupten
müssen, wie das Kollegen bereits dargestellt haben .
Wenn der US-Präsident in diesem Klima bereit ist ich habe die Wahl in den USA gerade schon angesprochen -, illegale Einwanderer von ihren Kindern zu trennen, wenn er, wie wir seit Beginn der Debatte wissen,
den Klimaschutzkonsens kündigen wird - ich musste
deshalb mein Skript ändern -, was unabsehbare Folgen
wie ausgetrocknete Böden, mangelnde Ernährung und
fehlende Wasserversorgung nach sich zieht, wenn er
während des Wahlkampfes Frauen beleidigt - und wir
könnten noch mehr Punkte aufzählen -, dann sind das
Signale, auf die sich andere Länder gerne berufen . Wir
dürfen mit Blick auf die schon existierenden und auch
auf die bereits angekündigten Menschenrechtsverletzungen nicht schweigen .
Dieses Jahr ist jeder 50 . Flüchtling auf seinem Weg
über das Mittelmeer ertrunken . Fast all diese Menschen
flüchteten aus Nigeria, Eritrea und anderen afrikanischen
Ländern, weil sie dort keine Zukunft sahen .
Ich möchte meine Schwerpunkte auf vier Themen legen . Das erste Thema ist die humanitäre Hilfe . Wir haben
unseren Ausschuss bewusst Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe genannt . Das Ziel Nummer
eins in der Agenda 2030 ist keine Armut .
Das zweite Thema ist Shrinking Space .
Das dritte Thema möchte ich am Beispiel von Afrika
behandeln, einem Kontinent, der unser Nachbarkontinent
ist . Wir müssen - das haben Sie, Herr Koenigs, angesprochen - Kohärenz fordern . Da sehe ich tatsächlich noch
Nachholbedarf .
Als letztes Thema nenne ich die Verantwortung . Das
betrifft Kapitel D in dem Bericht der Bundesregierung,
die ich dazu beglückwünsche . Dieses Kapitel behandelt
die Zukunft .
Wir sollten, wenn wir Afrika betrachten, nicht immer
nur Elend und Krieg wahrnehmen . Wir sollten auch das
Positive in Afrika sehen .
({0})
Die Afrikanische Union hat 54 Mitgliedsländer . Dort gibt
es inzwischen sehr viele kreative und gebildete Jugendliche . Wir haben in vielen Staaten einen Boom . Die digitale Revolution findet dort schneller statt als hier; wir
hinken mittlerweile hinterher . Netzunabhängige Solarenergiesysteme in kleinstem Maßstab werden dort entwickelt . Es sind afrikanische Lösungen für afrikanische
Probleme . Ich nehme Afrika immer weniger als kleine
Schwester wahr, die wir zu betreuen haben, sondern als
großen Bruder, der uns etwas zu bieten hat . Wir müssen
uns auf Augenhöhe begegnen .
Afrika ist unser Nachbarkontinent . Wir brauchen
nachhaltige Beziehungen, die unsere Kontinente stärken .
Aber natürlich gibt es eine Diskrepanz . Letzten Monat
hat Herr Adesina, der Präsident der Afrikanischen Entwicklungsbank, einigen von uns Folgendes erzählt: Da
ist ein junger Mann in Mali, der einen Job sucht und auch
eine gute Ausbildung hat . Er will seinen Lebensunterhalt
bestreiten, ist motiviert, optimistisch und bereit, viel zu
arbeiten . Aber er wird nicht angestellt, weil ein Hindernis
im Weg steht: Er hat noch keine Erfahrung . Zum wiederholten Male bekommt er eine Ablehnung . Dann erfährt
jemand, dass er Arbeit sucht, und sagt ihm: Ich hätte da
etwas . - Der junge Mann freut sich sehr und ist dankbar - bis er hört, welche Arbeit der Mann ihm anbietet .
Der Mann sagt: Sie können Terrorist werden . - Auch das
ist ein Grund für Menschen, aus ihren Heimatländern zu
flüchten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Regierung
macht - das haben schon einige Kollegen gesagt - sehr
viel richtig . Ich nenne als Beispiel den Marshallplan nicht
für, sondern mit Afrika . Es geht in den afrikanischen
Ländern darum, eine höhere Wertschöpfung zu erreichen, durch Ausbildung mehr Beschäftigung zu generieren und Wachstum zu erzielen . Es geht nicht nur darum,
Entwicklungshilfe im engeren Sinne zu leisten . Wenn
aber Entwicklungshilfe geleistet wird, sollte diese an die
Einhaltung der Menschenrechte gekoppelt werden .
Dieses Jahr wird ein Afrika-Jahr werden . Der
G-20-Gipfel in Hamburg wird Afrika eine Priorität einräumen. Im November findet der EU-Afrika-Gipfel in
Abidjan statt . Das BMWi und das Finanzministerium
haben Aktivitäten im Afrika-Jahr entfaltet . Diese Aktivitäten müssen unbedingt fortgeführt werden; denn wir
müssen den Shrinking Space verringern .
Frank Heinrich ({1})
Weiterhin wichtig ist der Gedanke der Kohärenz, die
unbedingt erforderlich ist und in den Leitlinien schon
formuliert ist . Die Kohärenz müssen wir noch umsetzen .
Es geht beispielsweise um die Kohärenz in der Entwicklungs-, Sicherheits- und Handelspolitik . Ich weiß, dass
Sie von den Linken darüber nicht so froh sind . Aber diese Politikfelder müssen stärker miteinander vernetzt werden . Zu diesen Bemühungen kann ich ermutigen .
Aber zur Kohärenz gehört auch, dass es kohärent handelnde Konsumenten in unserem Land gibt . Wir dürfen
nicht immer nur den billigsten Kaffee, die billigste Cola
und die billigste Schokolade kaufen, sodass der Bauer
in der Elfenbeinküste für die Rohstoffe, die er verkauft,
kaum einen Erlös erzielt und er seine Kinder in die Sklaverei verkaufen muss . Es geht nicht, dass wir die Fischgründe vor Westafrika leerfischen und gleichzeitig den
Menschen vorwerfen, dass sie nach Europa kommen
wollen .
({2})
Es geht nicht, dass wir Coltan, das für die Produktion
von Handys gebraucht wird, aus dem Ost-Kongo nutzen
und damit die Kriegsökonomie nähren und das Blutbad
verschlimmern . Wir sollten den Handel mit solchen Rohstoffen in Verhandlungen zum Thema machen. Wir sind
mit dem Nationalen Aktionsplan vielleicht noch nicht so
weit, wie Sie, Herr Kollege, es gerne hätten, aber die ersten Schritte sind gemacht .
Ich komme zu meinem letzten Punkt . In dem Ausblick
zu dem Bericht steht sehr deutlich, dass wir nicht einfach
sagen können, was in Afrika passieren muss . Das ist auch
die Haltung des Entwicklungsausschusses . Wir müssen
mit den Menschen vor Ort zusammenarbeiten . Die politischen Eliten müssen Verantwortung übernehmen . Da
braucht es schmerzhafte Prozesse . Die afrikanischen Probleme müssen auf afrikanische Weise gelöst werden .
Da braucht es noch eine ganze Menge an Arbeit . Das
können wir auch nur unterstützen . Deshalb möchte ich
mit zwei Zitaten von Nelson Mandela, einem meiner
Heroes aus Afrika, zum Ende kommen:
Wenn man einen hohen Berg bestiegen hat, stellt
man fest, dass es noch viele andere Berge gibt .
In dem Wissen um die viele Arbeit, die vor uns liegt der nächste Bericht wird kommen -, müssen wir das
Schicksal jedes Einzelnen vor Augen haben . Dazu sagte
Mandela:
Einem Menschen seine Menschenrechte verweigern
bedeutet, ihn in seiner Menschlichkeit zu missachten .
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .
({3})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe zu dem Zwölften Bericht der Bundesre-
gierung über ihre Menschenrechtspolitik . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12467, in Kenntnis der Unterrichtung auf Druck-
sache 18/10800 eine Entschließung anzunehmen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen .
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/12553 . Wer stimmt für den Entschließungsan-
trag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt .
Zusatzpunkt 1 . Interfraktionell wird die Überweisung
der Vorlage auf Drucksache 18/12544 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann
ist die Überweisung so beschlossen .
Zusatzpunkt 2 . Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Menschenrechte und hu-
manitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen mit dem Titel „Zivilgesellschaftliches En-
gagement braucht Raum - Anti-NGO-Gesetze stoppen,
Menschenrechtsverteidiger stärken“ . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/10625, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/7908 abzulehnen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 f sowie
den Zusatzpunkt 3 auf:
6 . a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Frithjof Schmidt, Uwe Kekeritz, Claudia
Roth ({0}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
G20-Afrikagipfel - Gleichberechtigte Part-
nerschaft für nachhaltige Entwicklung
Drucksache 18/12543
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({1})
zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz,
Dr . Gerhard Schick, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Staaten vor illegitimen Rückzahlungsansprüchen sogenannter Geierfonds wirksam schützen
Drucksachen 18/10639, 18/12343
Frank Heinrich ({2})
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Kekeritz, Kai Gehring, Kordula Schulz-Asche,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Marktversagen beenden, Innovationen för-
dern - Globaler Forschungsfonds für bessere
Gesundheit weltweit
Drucksache 18/12383
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({3}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Niema Movassat,
Katja Kipping, Dr . Gesine Lötzsch, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE
Rechenschaftspflicht und entwicklungspoliti-
sches Mandat der Deutschen Investitions- und
Entwicklungsgesellschaft DEG stärken
Drucksachen 18/8657, 18/10612
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({4})
zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel,
Niema Movassat, Inge Höger, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE
Menschenrechtsverletzungen von Unterneh-
men verbindlich sanktionieren - UN-Trea-
ty-Prozess unterstützen
Drucksachen 18/12366, 18/12567
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike
Hänsel, Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Globalabkommen mit Mexiko aussetzen
Drucksache 18/12548
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Federführung offen
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Kekeritz, Claudia Roth ({5}), Renate
Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
„UN Binding Treaty“ ambitioniert unterstützen
Drucksache 18/12545
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr . Frithjof Schmidt für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die meisten von uns, die sich in der Außen- oder Entwicklungspolitik engagieren, teilen eine Erfahrung: Wir
haben seit vielen Jahren immer und immer wieder auf
die große Bedeutung der Entwicklung in Afrika hingewiesen und mehr entwicklungspolitisches Engagement
der internationalen Gemeinschaft gefordert . Das Ergebnis kennen Sie alle: im positiven Fall schulterklopfende
Zustimmung, im negativen Fall mitleidiges Lächeln über
den Gutmenschen . Aber passiert ist in jedem Fall lange
fast nichts .
Deswegen ist es notwendig und richtig - wir begrüßen das ausdrücklich -, wenn die Partnerschaft mit Afrika ein Schwerpunkt der deutschen G-20-Präsidentschaft
ist . Die Idee von einem großen internationalen Plan, einem Marshallplan für Afrika, wie zum Beispiel Minister
Müller sagt, hört sich erst einmal gut an .
({0})
- Mit Afrika, ja .
Viele Länder Afrikas haben in den letzten 20 Jahren
positive wirtschaftliche und soziale Entwicklungen erreicht, aber Megatrends wie der demografische Wandel
und die Urbanisierung stellen zugleich enorme Herausforderungen dar . Der Kontinent ist in extremem Maße
von der Klimakrise betroffen, die insbesondere in der
Sahelzone als Brandbeschleuniger für die gesellschaftlichen Konflikte in den ärmsten und fragilen Staaten wirkt.
Auch die wachsenden Migrations- und Fluchtbewegungen zeigen all das deutlich an .
Gerade jetzt, wo die G 7 in Taormina bei der Umsetzung der lange versprochenen Hilfsmaßnahmen für die
Hungerregionen so kläglich versagt haben, sind neue Initiativen dringend geboten .
({1})
Dabei muss eines klar sein: Auf die fragilen Regionen
und Staaten müssen sich die internationalen Anstrengungen zur Unterstützung und Zusammenarbeit besonders
konzentrieren . Die OECD fordert dies ganz klar .
Leider vertritt die Bundesregierung diese Schwerpunktsetzung in ihren bisherigen Vorschlägen gerade
nicht . Die Bundesministerien produzieren verschiedenste Konzepte, die bei näherer Betrachtung aber öffentlich
unterfinanziert sind. Ein Marshallplan ohne ausreichend
öffentliches Geld - das klingt schon nicht mehr so wirkungsvoll . Die Förderung und Hebelung privater Investitionen werden quasi als Allzweckwaffe der Finanzierung
präsentiert, und die Konzentration auf einige Länder
mittleren Einkommens wird propagiert .
({2})
Private Investitionen gehen natürlich eher dahin, wo
stabile Marktbedingungen eine sichere Rendite verspreVizepräsidentin Petra Pau
chen, und das ist nun mal gerade nicht in den ärmsten und
fragilen Staaten der Fall .
({3})
Wer faktisch den Marktmechanismen die Entscheidung
über die Schwerpunkte der Entwicklungszusammenarbeit überlässt, der macht einen großen Fehler .
({4})
Die sogenannte „Compact with Africa“-Initiative, die
Herr Schäuble für die G 20 propagiert, hat den gleichen
Konstruktionsfehler . Die ordnungspolitische Leitfunktion öffentlicher Entwicklungshilfe - die Orientierung
an den Standards der Agenda 2030, des Pariser Klimaabkommens, der Kernarbeitsnormen der ILO, der Menschenrechtsabkommen und die Orientierung an der Förderung der Demokratie - tritt in den Hintergrund, und
das ist schlecht .
({5})
Stattdessen werden fantastische Erwartungen an die finanztechnische Hebelung privater Investitionen ins Zentrum gerückt und wird über die Privatisierung öffentlicher
Infrastruktur in Afrika geredet . Der External Investment
Plan der Europäischen Union umfasst 3,5 Milliarden
Euro an öffentlichen Geldern. Über finanztechnische
Operationen wie Kreditausfallbürgschaften und Ähnliches soll das angeblich auf 44 Milliarden Euro wachsen .
Das sind Voodoo-Economics .
({6})
All das wirkt so, als hätte die Bundesregierung aus dem
Desaster der Verhandlungen über die EU-Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Afrika in den letzten Jahren
nichts gelernt .
Meine Damen und Herren von der Koalition, Initiative ist nötig . Aber sorgen Sie dafür, dass mindestens die
Hälfte der Mittel der Entwicklungszusammenarbeit in
den ärmsten und fragilen Staaten eingesetzt wird,
({7})
sorgen Sie für gute entwicklungspolitische Konditionen,
wenn Sie private Investitionen subventionieren, und setzen Sie sich für wirkungsvolle Maßnahmen gegen die
Steuerflucht von multinationalen Unternehmen aus afrikanischen Ländern ein! Das Volumen übersteigt nämlich
nach vielen Expertisen die Höhe der Entwicklungsgelder
inzwischen deutlich . Das gehört deshalb ganz oben auf
die Agenda der G 20 - ebenso übrigens wie die Einlösung der akuten Hilfszusagen der G 7, die sie in Taormina nicht zustande bekommen haben .
Vielen Dank .
({8})
Das Wort hat der Kollege Charles M . Huber für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Meine Mandatszeit geht zu Ende .
Wenn ich alles das Revue passieren lasse, was in der Entwicklungspolitik geschehen ist, muss ich sagen: Es ist
sehr viel geschehen . Ich bin sehr zufrieden, dass sich der
Blick auf Afrika vonseiten der deutschen Politik geändert
hat und dass es die Initiativen für Afrika - Compact with
Africa, Marshallplan mit Afrika - gibt . Auch wenn es
da manchmal einen kleinen Versprecher gegeben hat, so
drückt das nicht aus, denke ich, dass wir den Afrikanern
ein Konzept aufdrängen wollen . Ich glaube, das alles geschieht auf der Ebene eines Angebots .
Es hat sich viel getan . Vor allen Dingen möchte ich
hier ausdrücklich betonen, dass wir es der Kanzlerin zu
verdanken haben, dass durch ihr Engagement auch im
Rahmen des G-7- und G-20-Gipfels - unabhängig davon,
wie der G-7-Gipfel ausgegangen ist - der afrikanische
Kontinent weltweit diese globale Bedeutung erlangt hat,
wie dies im Moment der Fall ist .
({0})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es drängt im Moment jeder nach Afrika, zumindest
finden viele Konferenzen über dieses Thema statt. Auch
Herr Macron, kaum im Amt, redet über eine neue Partnerschaft mit Afrika . Das zeigt, sehr geehrte Damen und
Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie wichtig
Afrika auch für uns sein wird .
Wir haben die Thematik der Flüchtlingskrise, die Thematik der Landflucht und der Armutsflucht aus Afrika in
dramatischen Bildern vom Mittelmeer miterlebt . Afrika
braucht 18 Millionen Arbeitsplätze pro Jahr . Im Moment
sind wir bei 3 Millionen . Ihre Rede, lieber Kollege, und
die Anträge der Grünen sind ein Rückschritt in die klassische Entwicklungspolitik, die wir nicht brauchen . Ich
möchte Ihnen sagen: Als ich meine Arbeit als Parlamentarier begann, war eines meiner ersten Treffen mit afrikanischen Botschaftern in der ägyptischen Botschaft . Sie
kamen auf mich zu und sagten: Herr Huber, Sie verstehen
uns, Sie haben einen afrikanischen Hintergrund . Helfen
Sie uns doch, dass nach Afrika nicht nur Mittel der Entwicklungszusammenarbeit fließen. Wir wissen, Ihr Land
meint es gut und ist einer unserer größten Geber . Aber wo
sind denn Ihre Investoren?
({1})
Ich bin zufrieden, dass wir über die Milchpulver- und
Tomatenproblematik in unserer entwicklungspolitischen
Diskussion hinausgekommen sind und dass wir konkret
über Wirtschaftsentwicklung diskutieren und nicht nur
über Handelspolitik, was aus Ihrer Sicht ja verfehlt ist .
Dazu möchte ich eines sagen, um an das Beispiel Milchpulver anzuschließen: Es muss Finanzierungsmittel als
eine Grundvoraussetzung dafür geben, dass ArbeitsplätDr. Frithjof Schmidt
ze in Afrika - wir reden von 54 Ländern - geschaffen
werden können . Wenn Sie beklagen, dass in diesen Ländern keine Finanzierungsmittel vorhanden sind, weil
nur in die Länder investiert würde, die bereits ein Wirtschaftswachstum haben, dann frage ich: Wie viele Mittel
brauchen Sie denn für alle 54 Länder? Das sollte nicht
unsere Strategie sein .
Sie haben in Ihrer Rede kein einziges Mal über die
Dynamik der Regionalisierung gesprochen - ein wichtiges Thema . Sie haben in Ihrem Antrag über die Finanzmärkte geschrieben und haben versucht, am Beispiel von
Argentinien eine populistische Dynamik in Bezug auf
Geierfonds zu erzeugen . Allein der Name „Geierfonds“
soll schon eine Gier ausdrücken, und dieses Label wollen Sie jedem deutschen Unternehmer, der mit einem
ehrlichen Ansinnen nach Afrika gehen will und Expertise nach Afrika bringen will, als Stempel auf den Kopf
drücken .
({2})
Wenn Sie ein Wirtschaftsexperte sind und über das
Anleihegeschäft so genau Bescheid wissen, dann wissen Sie auch, wie das Anleihegeschäft, dieser Deal der
Argentinier mit den Geierfonds, abgelaufen ist . Eine argentinische Regierung hat - Ihr Vergleich mit der Volkswirtschaft afrikanischer Länder hinkt - eine Ökonomie
gesteuert, die erfolgreich war und auf einer Ebene mit
Deutschland stand . In Bezug auf die Steuerung einer
Volkswirtschaft über Anleihen muss man feststellen,
dass die Crux in Argentinien nicht der Geierfonds war .
Ein Geier kommt da hin, wo er Aas riecht . Dieses Aas
hat er gerochen, als die argentinische Wirtschaft auf einmal ideologisch gesteuert wurde - so wie Ihre Anträge
ideologisch motiviert und populistisch sind, mit Fokus
auf die ganze Peripherie der NGOs .
({3})
Ich muss sagen - es tut mir wahnsinnig leid -: Ein Notenbänker, ein Zentralbänker hätte, wenn er einen Vertrag
nach internationalem Recht unterschreibt, wissen müssen, was passieren könnte . Die Geier haben dann zugeschlagen .
({4})
Meine Damen und Herren, wie sieht es aus, wenn es
darum geht, afrikanische Talente zu finanzieren? Mein
Kollege hat es vorhin angesprochen . Man muss den afrikanischen jungen Leuten in Nigeria, in Kenia nichts
über Digitalisierung erzählen . Man muss einem nigerianischen oder einem kenianischen Bänker, die das Bankengeschäft in Afrika beherrschen, auch nichts über Anleihen erklären .
Ich möchte etwas zum verwegenen Ansatz Ihres Antrages sagen . Sie haben gesagt, die Engländer seien besorgt gewesen und würden uns vormachen, wie man hier
unter moralischen Gesichtspunkten die Finanzpolitik
gegenüber der gesamtafrikanischen Region gestalte . Ich
kann Ihnen sagen: Die Engländer haben mit Blick auf die
anglofonen Afrikaner ganz andere Interessen . Sie revitalisieren das Commonwealth und schaffen praktisch ein
Empire 2 .0 . Das heißt, die Engländer haben hier - deswegen nenne ich dieses Beispiel - eine eigene Strategie,
nämlich eine Rohstoffstrategie.
Wenn Sie es den Afrikanern nicht ermöglichen wollen,
normale, entwickelte Volkswirtschaften wie die europäischen aufzubauen und zu gestalten und auch Alternativen
bei der Finanzierung über die Kapitalmärkte in Anspruch
zu nehmen, und zwar nicht unter dem Gesichtspunkt
stabiler Fremdwährungen - es gab mal eine Initiative
der Europäischen Union, bei der man die Kapitalmärkte aufbauen wollte und das Anliegen war, die Emission
von Anleihen unter stabilen Nationalwährungen zu ermöglichen -, wenn Sie den afrikanischen Ländern nicht
die Möglichkeit geben wollen, sich zu finanzieren und
Kapital für kleinere oder größere Unternehmungen selbst
zu akquirieren - alternativ zu Rohstoffverträgen mit den
Engländern, die mit Anglo American und Australiern Bodenschätze abbauen und dann die Konditionen diktieren,
sodass es keine Möglichkeit gibt, parallel andere Finanzierungen zu akquirieren -, dann verstehen Sie wenig
von Finanzpolitik, und dann sollten Sie am besten überhaupt nicht darüber reden .
({5})
- Nee, nee, nee . Sie wollen zum UN Treaty reden;
({6})
darauf bezieht sich Ihr Antrag . Sie wollen alle möglichen
Standards für Unternehmen einführen . Ein deutscher Unternehmer muss aber nicht nach Afrika .
({7})
Insofern muss man einen Anreiz setzen, damit ein deutscher Unternehmer nach Afrika geht . Sie wissen doch,
dass die deutschen Exporte zu 60 Prozent in die EU und
zu 40 Prozent in die Euro-Zone gehen . Das vermisse ich
bei all Ihren Anträgen - deswegen werde ich diesen Anträgen nicht zustimmen -: Sie alle setzen keinen Anreiz
für einen deutschen Unternehmer, sich von Deutschland,
aus der EU oder von den Kernmärkten wegzubewegen .
Ich hoffe, dass Sie dieselben verbindlichen Standards
etwa für die Firma RUSAL von Herrn Abramowitsch
vorsehen, die in Guinea tätig ist .
({8})
Sie unterstellen deutschen Unternehmen per se, dass sie
die Menschenrechte nicht einhalten .
Meine Damen und Herren, wenn ich in Afrika bin -
Herr Kollege, das ist sicherlich interessant . Aber denken Sie an Ihre Redezeit?
Ich denke an die Redezeit .
Ich möchte noch sagen: Ich freue mich und Afrika
freut sich - das ist mir in Gesprächen mit meinen afrikanischen Kollegen auf den vielen Dienstreisen klar geworden - auf die 1 200 deutschen kleinen und mittelständischen Unternehmen, die mit ihrem Know-how im
Rahmen von Capacity Building nach Afrika kommen,
um die Partnerschaft mit Afrika auf neue Füße zu stellen .
Ich danke der Kanzlerin für ihre hervorragende Arbeit
und für ihre hervorragende Unterstützung des afrikanischen Kontinents, auch hinsichtlich der Klimafrage .
Herzlichen Dank .
({0})
Vielen Dank, Kollege Huber . - Einen schönen Nachmittag von mir, liebe Kolleginnen und Kollegen . Der
nächste Redner: Niema Movassat für die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In zwei
Wochen findet hier in Berlin der G-20-Afrikagipfel statt.
Bereits vor über 130 Jahren fand in Berlin eine bedeutsame Afrika-Konferenz statt, auf der der Kontinent von
den europäischen Großmächten auf dem Reißbrett aufgeteilt wurde . Was hat das miteinander zu tun? Damals
wie heute ging es nicht um eine eigenständige Entwicklung Afrikas . Damals wie heute wurde nicht im Interesse
der Menschen in Afrika gehandelt . Ganz im Gegenteil:
Diese G-20-Afrikakonferenz dient dazu, die Wirtschaftsinteressen reicher Staaten und ihrer Konzerne mithilfe
afrikanischer Märkte abzusichern . Dabei wäre es endlich
an der Zeit, aufzuhören, Afrikas Staaten und Menschen
auszubeuten .
({0})
Aber die Ausbeutung soll weitergehen . Dafür
spricht die neueste Afrika-Initiative, die Finanzminister
Schäuble vorgelegt hat, der Compact with Africa . Dieses
Afrika-Konzept, der Compact, enthält viele krude Ideen,
viel neoliberale Ideologie, Herr Kollege Huber . Afrikanische Länder sollen die Märkte weiter öffnen, sie sollen
ihre Sozialausgaben kürzen, die öffentliche Daseinsvorsorge, also Wasser, Telekommunikation und Energie, soll
privatisiert werden, und man will auch auf PPPs, also auf
öffentlich-private Partnerschaften setzen.
({1})
Private Schiedsgerichte sollen sicherstellen, dass Investoren ihre Interessen auch gegen politischen Widerstand
nach einem Regierungswechsel durchsetzen können . Der
Compact with Africa soll Konzernen neue Profitmöglichkeiten verschaffen. Menschenrechte wie der Zugang
zu Wasser oder zu Gesundheitsversorgung bleiben dabei
völlig auf der Strecke . Das ist die völlig falsche Politik,
wenn man Armut bekämpfen will .
({2})
Schäubles Afrika-Initiative will privates Kapital auf
den Kontinent locken, und alle politischen Aufgaben sollen diesem Ziel untergeordnet werden .
({3})
So soll die öffentliche Hand zum Beispiel vermehrt private Investitionen absichern . Gibt es Gewinne, sahnt also
der Konzern ab, und gibt es Verluste, zahlt der Steuerzahler . Herr Schäuble hat wahrlich einen neoliberalen
Giftcocktail vorgelegt: gut für die Konzerne in Europa,
schlecht für die Menschen in Afrika . Das ist eine Schande .
Ich mache drei Vorschläge, was Sie als Bundesregierung stattdessen tun sollten .
Erstens . Ergreifen Sie endlich Maßnahmen gegen die
Steuerflucht transnationaler Konzerne. Jedes Jahr verlieren die Länder des Südens circa 100 Milliarden US-Dollar, weil Unternehmen ihrer Steuerpflicht nicht nachkommen .
({4})
Das müssen wir stoppen, damit endlich genug Geld in
Afrika bleibt, um in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur zu investieren .
({5})
Zweitens . Wir brauchen einen menschenrechtsbasierten Ansatz in der Entwicklungspolitik . Beim Compact
with Africa spielt das überhaupt keine Rolle. Die effektive Durchsetzung des Rechts auf Nahrung, Gesundheit
und Bildung muss aber die Grundlage der Entwicklungspolitik sein .
Drittens . Wir benötigen verbindliche Regeln für das
Handeln von Konzernen im Ausland . Herr Schäuble ist
einer derjenigen, die das verhindern . Im Nationalen Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“ hat er jede
Verbindlichkeit streichen lassen . Dank Herrn Schäuble
dürfen deutsche Unternehmen im Ausland Menschenrechte und die Umwelt weiter mit Füßen treten .
Werte Bundesregierung, noch haben Sie die Chance,
sich zu korrigieren . Das hat mit einem Prozess auf Ebene der Vereinten Nationen zu tun . Seit 2014 beschäftigen
sich die UN auf Initiative von Ecuador und Südafrika mit
der Erstellung eines Menschenrechtsabkommens, um
wirtschaftliche Aktivitäten zu regeln; das ist bekannt als
UN-Treaty-Prozess . Das Ziel ist: Opfer von Menschenrechtsverletzungen sollen erstmals verbindlichen Schutz
garantiert bekommen . Unternehmen, die Menschenrechte verletzen, sollen haftbar werden, und zwar nicht nur
deutsche, Herr Huber, sondern das soll auch auf internationaler Ebene funktionieren .
({6})
Das ist eine wirklich gute Initiative; aber die Bundesregierung verweigert sich bisher . Zuerst hat sie gegen die
Einrichtung der Arbeitsgruppe gestimmt, dann blieb sie
der ersten Sitzung fern, und zur zweiten Sitzung hat sie
eine Praktikantin geschickt . Es ist echt ein Skandal, wie
diese Bundesregierung mit dem Thema Menschenrechte
umgeht .
({7})
Der UN-Treaty-Prozess ist eine historische Chance . Deshalb bitte ich Sie, werte Bundesregierung, diese
Chance zu ergreifen, und ich bitte dieses Haus, unserem
Antrag dazu heute zuzustimmen .
Danke .
({8})
Vielen Dank, Kollege Movassat . - Nächster Redner:
Dr . Sascha Raabe für die Sozialdemokraten .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Noch immer leben fast 1 Milliarde Menschen in
Hunger und extremer Armut, 70 Prozent davon im ländlichen Raum . Der G-20-Gipfel will Fluchtursachen bekämpfen und das durch private Investitionen im Rahmen
einer Partnerschaft mit Afrika erreichen . Was bringt das
den Menschen im ländlichen Raum?
2,5 Milliarden Kleinbauern gibt es auf der Welt . Sie
nutzen seit Generationen Land; aber die wenigsten davon
haben Landtitel . Das genau ist das Problem: Wenn private Investoren, wenn ausländische Investoren in diese
Länder kommen und großflächig Land pachten - andere
sagen: rauben -, vertreiben sie dadurch die Kleinbauern .
Allein in den letzten fünf, sechs Jahren sind 10 Millionen Hektar Land von ausländischen Investoren geraubt
worden . Ein Kleinbauer verfügt über etwa 1 bis 2 Hektar Land . Da die Geburtenraten nach wie vor sehr hoch
sind, wird das Land immer knapper, wodurch die Probleme noch weiter verschärft werden . Es ist dokumentiert,
dass 33 Millionen Menschen auf diese Weise ihr Land
verloren haben . Nur in einem Drittel der Fälle wurde eine
geringe Entschädigung gezahlt .
Wir hatten heute den Präsidenten von Madagaskar ein Land, das ein langes Klagelied über Land Grabbing
singen kann - im Ausschuss zu Besuch . Deswegen sage
ich: Wenn auf dem G-20-Gipfel nur das Lied über mehr
private Investitionen gespielt wird, dann bringt das nichts;
denn so wird das Problem verschärft . Dadurch verlieren
die Ärmsten der Armen ihr Land, und das müssen wir
verhindern, meine sehr verehrten Damen und Herren .
({0})
Von der Welternährungsorganisation sind kluge Leitlinien zur verantwortungsvollen Landnutzung auf freiwilliger Basis beschlossen worden . Das Problem ist aber,
dass diese Leitlinien nur freiwillig sind . Deswegen halten
sich leider weder die internationalen Unternehmen noch
die meisten Regierungen der Entwicklungsländer daran .
Nur wenn wir wie bei den Konfliktmineralien verbindliche Leitlinien schaffen - wir haben durchgesetzt, dass
Unternehmen und Regierungen gezwungen werden, sich
daran zu halten, dass Kinder nicht als Sklaven in Minen
arbeiten und keine Kindersoldaten finanziert werden und festlegen, dass nur unter dieser Voraussetzung Handel mit diesen Staaten betrieben werden darf, nur dann
können wir Erfolg haben .
({1})
Damit komme ich zum zweiten Punkt, den die G 20
auf der Agenda haben . Sie wollen den freien Handel
ausweiten, weil sie sagen: Dadurch wird Armut vermindert . - Nein, wir brauchen fairen statt freien Handel!
({2})
Aus Westafrika kommen insgesamt 90 Prozent unserer
Kakaobohnen . Allein aus den Ländern Elfenbeinküste
und Ghana kommen 75 Prozent . Über 2 Millionen Kinder arbeiten alleine in Ghana und der Elfenbeinküste auf
den Kakaoplantagen . Wir dürfen nicht sagen: Es interessiert uns nicht die Bohne, wie die Arbeit auf den Kakaoplantagen aussieht . Ganz im Gegenteil: Wir müssen
uns fragen: Wo kommen die Bohnen her? Wer pflückt
diese Bohnen? Wer macht Gewinne mit diesen Bohnen?
Nur wenn wir endlich erreichen, dass dort keine Kinderarbeit mehr stattfindet, dass die Kinder in die Schule
gehen können, die Menschen menschenwürdig arbeiten
können und genug Geld verdienen, bekämpfen wir auch
die Fluchtursachen . Das muss auf die Agenda der G 20,
meine Damen und Herren .
({3})
Lassen Sie mich an dieser Stelle auch Folgendes sagen:
Ich bin enttäuscht von unserem Entwicklungsminister,
Herr Staatssekretär Fuchtel . Ich habe ihn am 3 . November 2014 in einem Schreiben eindringlich davor gewarnt,
das Freihandelsabkommen mit der Westafrikanischen
Wirtschaftsunion zu unterzeichnen; denn zum Beispiel in
Ghana und der Elfenbeinküste müssen Millionen Kinder
schuften . Am 3 . Dezember 2014 hat der Minister es aber
als verantwortliches Kabinettsmitglied unterzeichnet .
Zum Glück können wir das im Bundestag noch stoppen .
Ich sage Ihnen: Es ist schön, wenn der Herr Minister von
fairem Handel redet, aber er muss auch endlich fair und
gerecht handeln .
({4})
Nur wenn wir faire und gerechte Handelsbedingungen
schaffen, können wir Fluchtursachen bekämpfen, können wir Armut und Hunger beseitigen . Die G-20-Staaten
können die Rahmenbedingungen dafür setzen; sie sind
mitverantwortlich für diese Zustände . Deshalb sage ich:
Es ist Zeit für mehr Gerechtigkeit in Deutschland und in
Afrika . Lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank, Sascha Raabe . - Die letzte Rednerin in
dieser Debatte: Gabriela Heinrich für die sozialdemokratische Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Nichts regt
die Afrodeutschen in meinem Wahlkreis mehr auf, als
wenn wir über Afrika reden, als wäre es eins . Afrika ist
Vielfalt . Deswegen ist es auch so schwer, dieses eine Entwicklungskonzept für Afrika zu finden. Allerdings gibt
es eine Grundbedingung, ohne die Entwicklung nicht vorankommen kann: Die verschiedenen Politikansätze und
Maßnahmen müssen sich ergänzen und bei der Lösung
von Problemen zusammenwirken . - Leider passiert oft
das Gegenteil .
Diese Politikkohärenz ist der entscheidende Faktor,
wenn wir globale Gerechtigkeit voranbringen wollen bei der bilateralen wirtschaftlichen Zusammenarbeit, bei
der Afrika-Politik der EU ebenso wie der G 20 . Gerade
wenn private Unternehmen zum Wohle der Entwicklung
von Partnerländern investieren sollen, dann ist es unabdingbar, dass dabei verbindlich soziale, ökologische und
menschenrechtliche Standards eingehalten werden .
({0})
Zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen
gehört das Ziel fünf: Gleichberechtigung der Geschlechter . Teil des Ziels ist der Zugang zu selbstbestimmter
Familienplanung . Ich greife das deswegen heraus, weil
Donald Trump die sogenannte Global Gag Rule wieder
in Kraft gesetzt hat . Er will allen Organisationen die Entwicklungsgelder streichen, die mit dem Thema Abtreibung zu tun haben oder auch nur das Wort „Abtreibung“
erwähnen. Das betrifft nicht nur Krankenhäuser oder Gesundheitsdienste. Selbst die Beratung ist betroffen, zum
Beispiel die Beratung für Frauen, die vergewaltigt worden sind, oder für schwangere Frauen, die sich mit dem
Aidsvirus infiziert haben. Aus der Vergangenheit wissen
wir, welche Auswirkungen das hat: Die selbstbestimmte
Familienplanung wird insgesamt eingeschränkt, und die
Abgabe von Verhütungsmitteln wird verweigert .
Die Amerikaner sind hier nicht irgendwer. Sie finanzieren den Hauptteil der Hilfen im Bereich Familienplanung in Entwicklungsländern . Es passiert also genau das
Gegenteil von dem, wozu sich die Weltgemeinschaft in
den Nachhaltigkeitszielen verpflichtet hat.
Gag Rule bedeutet: Man spricht nicht darüber . Ich
meine: Doch, gerade über dieses Thema muss beim
G-20-Afrikagipfel und beim nächsten Treffen der Staatsund Regierungschefs gesprochen werden . Selbstbestimmte Familienplanung ist ein Lackmustest dafür, wie
ernst die führenden Industrieländer die Nachhaltigkeitsziele nehmen . Wenn wir es damit nicht so genau nehmen,
was ist dann mit den anderen Nachhaltigkeitszielen?
Frau Bundeskanzlerin, erinnern Sie Donald Trump an
die Verpflichtungen der USA - natürlich beim Klimaschutz, aber eben auch bei der selbstbestimmten Familienplanung .
Vielen Dank .
({1})
Vielen Dank, Gabriela Heinrich . - Damit schließe ich
die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12543 mit dem Titel „G20-Afrikagipfel - Gleichberechtigte Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung“ .
Wer stimmt für den Antrag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Antrag ist abgelehnt . Zugestimmt
hat Bündnis 90/Die Grünen . Dagegen waren die CDU/
CSU und die SPD-Fraktion . Enthalten hat sich die Linke .
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 6 b . Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Staaten vor illegitimen Rückzahlungsansprüchen sogenannter Geierfonds wirksam schützen“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12343, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10639 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/
CSU und SPD . Dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen
und die Linke . Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen .
Tagesordnungspunkt 6 c . Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12383 mit dem Titel „Marktversagen beenden,
Innovationen fördern - Globaler Forschungsfonds für
bessere Gesundheit weltweit“ . Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Antrag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/Die
Grünen und die Linke . Dagegen waren CDU/CSU und
die SPD-Fraktion .
Tagesordnungspunkt 6 d . Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zum Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Rechenschaftspflicht
und entwicklungspolitisches Mandat der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft DEG stärken“ .
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/10612, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/8657 abzulehnen . Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung
ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und die
SPD-Fraktion . Dagegen war die Linke . Enthalten haben
sich die Grünen . Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen .
Tagesordnungspunkt 6 e . Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zum Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Menschenrechtsverletzungen von Unternehmen verbindlich sanktionieren - UN-Treaty-Prozess unterstützen“ . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12567, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/12366 abzulehnen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine . Zugestimmt haben CDU/CSU- und
SPD-Fraktion . Dagegen waren die Linke und Bündnis 90/Die Grünen . Die Beschlussempfehlung ist damit
angenommen .
Tagesordnungspunkt 6 f . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/12548 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie liegen soll . Ich nehme an, Sie sind
damit einverstanden . - Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Zusatzpunkt 3 . Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12545
mit dem Titel „,UN Binding Treaty‘ ambitioniert unterstützen“ . Wer stimmt für den Antrag? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist damit abgelehnt . Für den Antrag haben Bündnis 90/Die Grünen und
die Linke gestimmt . Dagegen waren CDU/CSU und die
SPD . Damit ist der Antrag abgelehnt .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald, Susanna
Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Reichtum gerechter verteilen - Vermögensteuer als Millionärsteuer wieder erheben
Drucksache 18/12549
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Dazu gibt es
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze
einzunehmen, damit ich die Aussprache eröffnen kann. Das tue ich jetzt und gebe Klaus Ernst für die Linke das
Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir alle wissen: Die Vermögensverteilung - nicht
nur hier in der Bundesrepublik, sondern auch in der
Welt - wird zu einem ökonomischen Problem - nicht nur
zu einem moralischen, sondern auch zu einem ökonomischen Problem . Das stellen die Weltbank, der IWF und
auch Thomas Piketty fest . Wir alle, die wir hier sitzen,
stehen mit dieser Feststellung nicht alleine . Laut Oxfam
besitzen acht Männer so viel wie der Rest der Menschheit, über 3,5 Milliarden Menschen . In der Bundesrepublik sieht die Situation so aus: Das reichste Tausendstel
besitzt 17,3 Prozent des Nettovermögens . Die ärmere
Hälfte hat gerade einmal 2,5 Prozent . Ein Drittel des
Nettovermögens gehört dem reichsten 1 Prozent der Bevölkerung .
Was wir auch wissen, ist: Diese Verteilungsrichtung
geht weiter . Die Reichen werden reicher - weniger haben
immer mehr -, und je weiter man in die normale Bevölkerung hineingeht, desto kleiner wird der Anteil der Bürger, die überhaupt noch etwas haben .
Was haben Sie eigentlich in Ihrer Regierungszeit unternommen, das zu ändern? - Ich schaue jetzt auch die
Sozialdemokraten an . Dieser Teil meiner Rede ist sehr
kurz: Nichts! Ich kann keine einzige Initiative von Ihnen
erkennen, diese Vermögensverteilung, die exorbitant von
dem abweicht, was notwendig wäre, überhaupt anzugehen. Ihre Untätigkeit ist gesellschaftlicher Sprengstoff.
Reichtum hat nämlich auch eine andere Seite: die Armut .
Im Bericht zur Armutsentwicklung des Paritätischen
Gesamtverbandes wird anschaulich gezeigt, dass die Armutsquote von 2005 bis 2015 um 6,8 Prozent gestiegen
ist, bei Personen über 65 Jahren sogar um 32,7 Prozent .
Das ist die andere Seite derselben Medaille: Reichtum
auf der einen und Armut auf der anderen Seite .
Sie machen seit Jahren eine Politik zum Schutz der
Vermögenden . Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung stellt fest, dass die Einkommen- und die
Unternehmensteuerreform die Reichen deutlich entlastet haben . Nur noch 2,5 Prozent des Gesamtsteueraufkommens kommen aus vermögensbezogenen Steuern .
Nur noch 2,5 Prozent! Im Vergleich zum BIP waren es
im Jahr 2010 nur 0,8 Prozent . 26 OECD-Länder liegen
deutlich darüber . Teilweise holen sie sich mehr als das
Doppelte von ihren Vermögenden wie wir . Zu diesen
Ländern, meine Damen und Herren, gehören die USA,
Kanada, Großbritannien, Frankreich und Japan, um nur
einige zu nennen . Ich fordere Sie wirklich auf: Beenden
Sie diese Untätigkeit! Sie gefährdet die wirtschaftliche
Stabilität des Landes .
({0})
Wir brauchen eine wirksame Vermögensteuer, um diese himmelschreiende Ungerechtigkeit und diesen ökonomischen Unfug zu beenden .
({1})
Konzepte für die verfassungsgemäße Ausgestaltung einer Vermögensteuer liegen längst vor . Wir schlagen eine
5-prozentige Vermögensteuer ab einem Vermögen von
1 Million Euro und ab 5 Millionen bei Unternehmen vor .
Keinem Einzigen der Betroffenen tut das weh.
Ein Beispiel: Eine Vermögensteuer von 5 Prozent auf
das Vermögen der Superreichen - nur der Superreichen hätte von 2011 bis 2015 umgerechnet über 500 Milliarden Euro in die Staatskasse gebracht . Das ist allerdings
Vizepräsidentin Claudia Roth
deutlich weniger, als deren Zuwächse im selben Zeitraum
gewesen sind . Das heißt, sie hätten trotz dieser Steuer
noch immer deutlich mehr .
Ich kenne Ihre Gegenargumente; Sie gucken ja schon
so skeptisch . Sie sagen, das sei Neid . Der Sonnyboy von
der FDP hat gesagt, das seien kleptokratische Züge des
Staates . Welch ein Unfug! Die Einführung einer Vermögensteuer, meine Damen und Herren, gebietet die Moral,
aber auch die ökonomische Vernunft .
Ich schließe mit einem Satz der Journalistin Ulrike
Herrmann . Sie schreibt über die Datenlage derer, die
überhaupt Geld haben:
Würde man eine Vermögenssteuer einführen, wäre
sofort bekannt, wer die fehlenden Billionen besitzt .
Genau deswegen wird die Vermögenssteuer mit aller Macht verhindert - und stets behauptet, dass sich
„der Verwaltungsaufwand nicht lohnen“ würde .
({2})
Er würde sich lohnen, meine Damen und Herren .
Wissen Sie was? Ich sage es Ihnen ganz einfach: Sie
haben nicht den Mut . Sie haben die Hose voll, wenn es
um die Reichen geht . Sie trauen sich nicht, an die heranzugehen . Das ist Ihr Problem .
({3})
Die einzige Partei, die das macht, ist die Linke . Deshalb
freue ich mich, dass wir bald Bundestagswahl haben . Im
Wahlkampf werden wir genau diese Themen aufgreifen .
Danke für die Aufmerksamkeit .
({4})
Vielen Dank, Klaus Ernst . - Das war das erste Mal,
dass Sie Ihre Redezeit bei weitem nicht ausgeschöpft haben .
Nächster Redner: Olav Gutting für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Jetzt muss ich schon husten . Herr Ernst, das muss am
Staub auf dem Antrag, den Sie hier eingebracht haben,
liegen .
({0})
Denn Sie haben ihn 2010 und 2012 schon einmal vorgelegt . Jetzt haben Sie die Vermögensteuer wiederbelebt und Ihren Antrag aus der Mottenkiste gezogen . Der
einzige Unterschied ist: Heute wollen Sie nicht nur Privatvermögen ab 1 Million Euro, sondern auch noch die
Betriebsvermögen ab 5 Millionen Euro mit einem Steuersatz von 5 Prozent jährlich besteuern .
({1})
Wir haben das in den letzten Wahlperioden abgelehnt,
und wir werden das auch heute wieder tun . Das, was Sie
hier vorschlagen, war falsch, es ist falsch, und es wird
auch falsch bleiben .
({2})
Eine Vermögensteuer, also eine Substanzbesteuerung,
führt zu Kapitalflucht. Vermögen, aber auch Produktionsstätten und Betriebe sind mobil . Das ist leider so . Sie
können einfach ins Ausland verlagert werden . Mit einer
Substanzbesteuerung provozieren Sie ja geradezu Standortverlagerungen .
({3})
- Dann wird es verkauft, und man kauft sich woanders
eines; das ist doch ganz einfach .
({4})
Sie können dem Arbeitnehmer dann zwar erzählen, dass
Sie eine tolle Vermögensteuer eingeführt haben, und Sie
können ihm sagen: „Jetzt können wir endlich einmal den
von uns definierten Reichen ans Portemonnaie gehen“,
dass dabei sein Arbeitsplatz über die Wupper ging, müssen Sie ihm dann aber auch erklären .
Eine Substanzbesteuerung zerstört Wachstum und
kostet Arbeitsplätze . Wenn Sie den Familienunternehmen, die ja Gott sei Dank Ertragsteuern bezahlen, auch
noch an die Substanz gehen, dann entziehen Sie den Unternehmen zusätzliche Liquidität, und am Ende bedrohen
Sie damit ihre Existenz .
({5})
Sie begründen Ihren Antrag ja mit Mehreinnahmen für
die öffentliche Hand. Sie haben vorhin eine Zahl in den
Raum gestellt und von 500 Milliarden Euro gesprochen .
Da bleibt einem tatsächlich die Spucke weg . Sie lassen
aber den bürokratischen Aufwand außer Acht, den Sie
betreiben müssten, um die Vermögensteuer überhaupt
erheben zu können .
Wir haben bereits in den 90er-Jahren die Vermögensteuer gehabt .
({6})
Damals betrugen die Erhebungskosten knapp ein Drittel des Aufkommens . Ich glaube, es gäbe keine teurere
Steuer als die Vermögensteuer, wenn sie so ausgestaltet
würde, wie Sie es beabsichtigen . Die Verwaltungskosten
für die Unternehmen, die Bürger, aber gerade auch die
Finanzverwaltungen wären enorm und stünden in keinem Verhältnis zu den von Ihnen versprochenen Mehreinnahmen .
({7})
Dank guter Rahmenbedingungen sind die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen gegenüber
2015 um insgesamt 28 Milliarden Euro gestiegen . Im
letzten Jahr haben wir 648 Milliarden Euro an Steuern
eingenommen . Das ist ein absolutes Rekordniveau . Hinzu kommt, dass die Einkommensschere seit Jahren nicht
mehr auseinandergeht, sondern konstant bleibt . Das ist
Ergebnis unserer Politik! Herr Ernst, da Sie gefragt haben: Das haben wir für die Bevölkerung gemacht .
({8})
Vernünftige wirtschaftliche und steuerliche Rahmenbedingungen fördern den Konsum und Investitionen,
und das führt zu Steuermehreinnahmen . Steuerlich falsche Rahmenbedingungen, wie Sie sie hier vorschlagen,
führen am Ende zu einer geringeren Steuer und zu einem
geringeren Anspruch des Staates .
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung vom Kollegen Ernst?
Ich führe das jetzt zu Ende und weiß auch schon, was
kommen wird . Sie verschweigen nämlich auch immer,
dass wir 1997, als wir auf die Erhebung der Vermögensteuer verzichtet haben, andere Steuern erhöht haben, um
den Verlust auszugleichen . Wir haben die Erbschaft-, die
Schenkung- und die Grunderwerbsteuer erhöht, um den
Verlust bei der Vermögensteuer wieder auszugleichen .
({0})
Die Steuersätze bei der Erbschaftsteuer - Sie haben
vorhin Millionenvermögen genannt - betragen bis zu
50 Prozent, und Sie wissen selbst, dass eine verfassungsgemäße Vermögensbesteuerung die Neubewertung des
gesamten Grundbesitzes in Deutschland mit sich bringen würde . Das wäre ein riesiger Aufwand für die Verwaltung . Sie müssten die Betriebsvermögen, die starken
Schwankungen innerhalb der Jahre unterliegen, jedes
Jahr mit individuellen Gutachten neu bewerten . Das wäre
eine Mammutaufgabe für die öffentliche Verwaltung,
und diese Mammutaufgabe stünde in keinem vernünftigen Verhältnis zu dem zu erwartenden Ertrag .
Tun Sie bitte auch nicht so, als ob sich die von Ihnen
benannten sogenannten Reichen nicht an der Finanzierung unseres Staates beteiligen würden . Aufgrund der
Progression bei der Einkommensteuer tragen bereits
heute die 10 Prozent, die die höchste Einkommensteuer
zahlen, über 50 Prozent der gesamten Einkommensteuer . Die oberen 50 Prozent der Einkommensteuerzahler
spülen 94 Prozent des Gesamtaufkommens der Einkommensteuer in die Kassen . Das ist Umverteilung, und sie
funktioniert .
Es bleibt also festzuhalten: Mit der Einführung der
Vermögensteuer wären Steuergestaltung und Steuerflucht ins Ausland vorprogrammiert. Diese Art von Vermögensteuer würde die Volkswirtschaft schädigen . Sie
wäre investitionsfeindlich, bürokratisch und teuer . Sie
würde schon mittelfristig zu weniger Investitionen, zu
mehr Arbeitslosigkeit und wegbrechenden Steuereinnahmen führen . Aus den eben genannten Gründen bleibt uns
auch dieses Mal nichts anderes übrig, als Ihren wirklich
staubigen Antrag zurückzuweisen .
({1})
Vielen Dank, Olav Gutting . - Das Wort zu einer Kurzintervention hat Klaus Ernst .
Danke, Frau Präsidentin . - Herr Gutting, Sie haben
mir vorgeworfen, Argumente aus der Mottenkiste zu verwenden . Die Argumente, die Sie vorgebracht haben, sind
noch älter .
Sie sprechen immer dann von einem bürokratischen
Aufwand, wenn es um irgendeine Form von Gerechtigkeit geht . Wir kennen das vom Mindestlohn . Da ist es
nicht möglich, aufzuschreiben, wie lange jemand gearbeitet hat . Jetzt gibt es im Zusammenhang mit der Vermögensteuer keine Lösung, weil man nicht aufschreiben
kann, wie viel Vermögen jemand besitzt .
Herr Gutting, in den USA ist das möglich . Übrigens
gibt es dort sehr viele Reiche . Das einzige Land, in dem
noch mehr Supervermögende als in der Bundesrepublik
leben, sind die USA . In den USA werden aber Menschen
mit Vermögen höher besteuert als hier . Das wird auch
in Großbritannien so gemacht . Sie tun so, als ob nach
der Einführung einer solchen Steuer alle auf gepackten
Rucksätzen sitzen und vielleicht nach Deutschland kommen würden, weil wir weniger Steuern verlangen . Das
ist aber nicht so . Ihre Argumente haben mit der Realität
schlichtweg nichts zu tun .
({0})
Wenn Ihre Argumente zutreffen würden, dürfte es in diesen Ländern gar keine Reichen mehr geben . Sie müssten
dann alle schon weg sein, sie sind aber noch da .
Auch der bürokratische Aufwand scheint in anderen
Ländern nicht so hoch zu sein, als dass ihn die Staaten
nicht bewältigen könnten . Die Vermögensteuer wird auch
in Frankreich und Italien erhoben . Die meisten Länder,
mit denen wir in wirtschaftlichen Beziehungen stehen,
stellen deutlich höhere Forderungen an ihre Reichen, als
wir das tun .
Noch etwas . Sie sind ja nicht aus Bayern, aber ich .
Ich bin es übrigens gerne . Ich möchte einen Satz aus der
bayerischen Verfassung zitieren, weil Sie auch die Erbschaftsteuer angesprochen haben; Herr Graf Lerchenfeld,
wir wissen das .
In der bayerischen Verfassung steht:
Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, die
Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen
einzelner zu verhindern .
Das war jetzt wörtlich . - Das heißt, das Ziel der Menschen, die die bayerische Verfassung geschrieben haben - sie waren damals sehr klug -, war, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen Einzelner zu
verhindern . Deshalb führten sie eine Erbschaftsteuer
ein . - Auch diese ist Ihnen nicht recht .
Aber wissen Sie, was mich am meisten stört? Ich habe
in Ihren Ausführungen nicht einen einzigen Satz dazu gehört, wie Sie das Problem der ungleichen Vermögensverteilung angehen wollen; nicht einen einzigen Satz! Das
heißt, bei Ihnen bleibt alles so, wie es ist: Die Reichen
werden reicher, die Armen werden ärmer . - Wenn das
das Konzept der CDU ist: Klasse! Ich freue mich auf den
Wahlkampf!
({1})
Herr Gutting, Sie haben das Wort zu einer Replik .
Lieber Herr Kollege Ernst, das ist die typische Rosinenpickerei, die Sie bei internationalen Vergleichen immer wieder vornehmen .
({0})
Sie nehmen sich einzelne Steuern heraus . Sie müssen
aber jeweils die Gesamtsteuerbelastung betrachten .
({1})
Jetzt erzählen Sie mir bitte nicht, dass in Großbritannien
oder in den USA die Gesamtsteuerbelastung für die Bürger höher wäre als in unserem Land .
({2})
Schauen Sie sich die OECD-Daten an . Dann werden
Sie erkennen, dass wir in Deutschland nach Belgien weltweit die zweithöchste Belastung haben . Wenn Ihnen das
nicht reicht: Schön! Sagen Sie Ihre Meinung ruhig weiterhin . Dann freuen auch wir uns auf den Wahlkampf .
({3})
So, jetzt sind wir noch im Parlament und im parlamentarischen Rahmen . Deswegen: Danke schön, Herr
Gutting . - Der nächste Redner: Dr . Thomas Gambke für
Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vermögensbesteuerung: Das ist gar keine Frage! Wir Grüne - in
großer Einigkeit ({0})
wollen eine verfassungsfeste, eine umsetzbare und eine
ergiebige Vermögensbesteuerung .
({1})
Lieber Herr Kollege Gutting, ich denke nicht, dass ich
Ihre Worte gegen die Substanzbesteuerung so verstehen
darf, dass die Union im Wahlkampf die Abschaffung der
Grundsteuer fordern wird, einer Substanzbesteuerung
und sehr effektiven Vermögensbesteuerung.
({2})
Das heißt, wir haben eine wirksame Vermögensbesteuerung, eine Substanzbesteuerung . Ich gehe davon aus,
dass die Union wie alle anderen diese nicht abschaffen
will . Dazu darf ich sagen: Das waren 2015 immerhin
13 Milliarden Euro, und es sind sogar 2,4 Prozent mehr
gewesen als im Jahr 2014 . Wir haben also eine Vermögensbesteuerung .
Wir Grünen wollen zwar eine verfassungsfeste, ergiebige und umsetzbare Vermögensbesteuerung, aber bei
der Umsetzbarkeit geht es auch um Verwaltungsaufwand
und Rechtssicherheit, und wir wollen, dass dies berücksichtigt wird . Wir wollen auch, dass keine Arbeitsplätze
gefährdet werden . Wir wollen, dass Investitionen, die zu
Innovationen in den Unternehmen führen, nicht eingeschränkt werden .
({3})
Dabei hat uns die sehr quälende Debatte über die
Erbschaftsteuer die Schwierigkeiten überaus deutlich
gemacht . Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt,
dass die Erbschaftsteuer, so wie sie seit 2009 existiert,
nicht verfassungsfest ist . Warum nicht? Weil im statistischen Durchschnitt niedrige Vermögen bei der Schenkung oder Vererbung am höchsten besteuert wurden - so
war es nämlich - und die großen Vermögen am niedrigsten belastet wurden . Warum? Weil man Verschonungsregelungen hatte - die Lohnsummenregelung und die
Unterscheidung zwischen Verwaltungsvermögen und
persönlichem Vermögen - und diese Problematik nicht
so gelöst war, dass das Verfassungsgericht die Regelungen für verfassungsfest erklärt hat .
Die Antwort der Großen Koalition auf das Urteil des
Verfassungsgerichts war kein wirklich großer Wurf .
({4})
Im Gegenteil: Die steuerfreie Übertragung sehr großer
Vermögen wurde zwar eingeschränkt, aber die Gleichmäßigkeit und Angemessenheit ist mit Sicherheit nach
wie vor ein Problem . Ich bin mir - wie viele Experten - relativ sicher, dass diese Regelungen wieder vor
dem Verfassungsgericht landen werden und damit die
zweite wirksame Vermögensbesteuerung, nämlich die
Erbschaftsteuerregelung, eben weil die Problematik so
komplex ist, wieder hier im Hause beraten und entschieden werden muss .
({5})
Bei der Wiederbelebung einer Vermögensteuer müssen wir diese Problematik also in den Blick nehmen und
Lösungen dafür finden. Das ist gar keine Frage.
Bei der Ausgestaltung der Vermögensteuer kommt
eine weitere Schwierigkeit hinzu, die wir bei der ErbKlaus Ernst
schaftsteuer nicht haben, und zwar der Bereich Altersvorsorge und Rückstellungen für das Alter . Das können
Immobilien sein .
({6})
Das kann auch eine Pensionszusage sein . Herr Kollege
Ernst, ich gehe davon aus, dass Sie Millionär sind ({7})
- ja, mehrfacher, genau -, aber allein aufgrund der Pensionszusagen dieses Hauses .
Es gibt aber auch Wertpapiervermögen, die Selbstständige als Altersvorsorge haben, und die müssen dann
fairerweise entsprechend berücksichtigt werden . In Ihrem Antrag findet sich dazu kein Wort. Es findet sich kein
Wort dazu, wie Sie Arbeitsplätze sichern wollen und wie
Sie Innovationen schützen wollen . Ich muss sagen: Sie
stellen hier eine reine Überschriftenforderung auf . Das
ist absolut inakzeptabel .
({8})
Das sind Forderungen, denen wir überhaupt nicht zustimmen können . Sie tun der Vermögensbesteuerung richtig
weh, weil Sie diese auf einen ganz falschen Weg führen .
Die Vermögensteuer müsste bei mehrfachen Millionären ansetzen; das ist gar keine Frage . Sie müsste die
schwierige Frage der Abgrenzung von Privatvermögen
und Betriebsvermögen lösen - das ist ganz schwierig -,
und sie müsste so ausgestaltet werden, dass keine Arbeitsplätze, Innovationen oder Investitionen gefährdet
werden .
({9})
- Ja, aber Sie sagen nichts dazu .
Und Sie müssten zum Ende kommen .
Die Richtung ist also richtig . Wir brauchen eine wirksame Vermögensbesteuerung . Aber wegen der Art und
Weise, die Sie in Ihrem Antrag vorgesehen haben, müsste
man ihn ablehnen . Weil das Thema aber richtig adressiert
ist, werden wir uns enthalten .
({0})
Vielen Dank, Thomas Gambke . - Nächste Rednerin:
Cansel Kiziltepe für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Linke ist die
Vermögensteuer offenkundig ein Heilsbringer. Völlig
klar ist für die Linke auch: Der Steuersatz beträgt für alle
5 Prozent . Das bedeutet: Ein zweifacher Milliardär würde dann den gleichen Steuersatz zahlen wie ein zweifacher Millionär .
Die Vorschläge anderer Institutionen - zum Beispiel
der Vorschlag des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der
es viel klüger und gerechter angeht und dem Vorschlag
von Thomas Piketty folgend einen progressiven Tarif in
der Vermögensteuer fordert - zeigen, liebe Kolleginnen
und Kollegen der Linken: Immer radikaler heißt nicht
gleichzeitig immer besser .
({0})
Nach dem Konzept des Deutschen Gewerkschaftsbundes
ist ein Steuersatz in Höhe von 1 Prozent - er soll für Milliardäre progressiv bis auf 2 Prozent steigen - vorgesehen. Das hat Charme und ist, wie ich finde, ein Novum.
Die hysterische Ablehnung der Kollegen aus der Union und vonseiten der Reichenlobby stellt das andere Extrem in der Debatte dar . Man hört von ihnen auch, eine
Vermögensteuer sei nicht verfassungsfest zu gestalten .
Da muss man sich ja fragen: Warum steht sie im Grundgesetz, wenn sie angeblich verfassungswidrig ist? Herr
Gutting, hätten Sie gestern die Tagung des Instituts Finanzen und Steuern besucht, hätten Sie den erhellenden
Ausführungen des Verfassungsrichters Gaier folgen können, der nämlich gesagt hat, auch eine Substanzbesteuerung in Form der Vermögensteuer sei verfassungskonform .
Zu den Grünen: Die Grünen haben heute ihren ZehnPunkte-Plan für die Bundestagswahl vorgestellt . Aber
leider konnte ich in diesem Zehn-Punkte-Plan eine Priorität im Hinblick auf die Vermögensbesteuerung nicht
feststellen . Die Vermögensbesteuerung hat es nicht unter
die Top Ten geschafft. Auch das bedaure ich sehr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist unstrittig, dass
die Vermögensungleichheit in Deutschland zunimmt .
Dieser Trend beschädigt die Demokratie; denn die soziale Kluft wird immer größer . Diese Entwicklung ist aber
auch ökonomisch unvernünftig . Wenn man die Zahlen
der OECD vergleicht, dann sieht man, dass die Vermögensbesteuerung in Deutschland unter dem Durchschnitt
aller OECD-Länder liegt . Auch das ist nicht haltbar .
Für uns, für die Sozialdemokratie folgt daraus ein klarer Auftrag . Insoweit möchte ich aus unserem Wahlprogramm, das im Entwurf vorliegt, zitieren:
Für mehr soziale Stabilität werden wir die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich verringern . Menschen mit hohem Einkommen und Vermögen sollen
dazu einen angemessenen Beitrag leisten .
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Bemerkung oder Frage vom Kollegen Pitterle von der Linken?
Gerne .
Vielen Dank, Frau Kollegin Kiziltepe, dass Sie die
Frage zulassen . - Sie haben ja gerade den Vorschlag des
DGB als sinnvollere Lösung als die, die wir vorschlagen,
gelobt . Kann ich davon ausgehen, dass die SPD diesen
DGB-Vorschlag für die Vermögensteuer übernimmt und
hier einbringt? Denn dann können Sie auf unsere Zustimmung hoffen.
({0})
Wir sind mitten in der Programmdebatte .
({0})
Vielleicht wissen Sie, dass wir unseren Parteitag Ende
Juni haben . Darüber entscheidet der Parteitag, Herr
Pitterle .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich gibt es
auch Alternativen . Natürlich ist nichts alternativlos . Wer
aber die Vermögensteuer - eine höhere Besteuerung von
Vermögen - will, der kommt auch an höheren Steuern
für Einkommen nicht vorbei . Für eine funktionierende
Besteuerung von großen Erbschaften wäre es natürlich
notwendig, dass wir eine weitere Reform der Erbschaftsteuer erreichen . Das Problem hierbei ist nur, dass in den
letzten Jahren, also seit 2009, 250 Milliarden Euro steuerfrei übertragen wurden - und das, was absurd ist, meist
an minderjährige Enkel und Kinder .
Dieses Instrument ist aber für die kommenden Jahre
bzw . im Hinblick auf die nächste Generation ein stumpfes Schwert . Deshalb plädiere ich, wenn wir die Vermögensungleichheit in Deutschland vermindern und eine
gerechte Besteuerung herbeiführen wollen, dafür, auch
die Vermögensteuer in Erwägung zu ziehen . Von der
Union sind Bemühungen in dieser Hinsicht, denke ich,
nicht zu erwarten . Das ist bedauerlich; aber das sollte die
Bevölkerung wissen .
Danke .
({1})
Vielen Dank, liebe Kollegin . - Nächster Redner:
Dr . Hans Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Woran merkt ein erfahrener Abgeordneter, dass der
Wahlkampf begonnen hat? Er merkt es daran, dass die
Linken - insbesondere linke Kollegen - ganz tief in die
ideologische Mottenkiste greifen . Nun sollen wieder
einmal Milliardäre in Deutschland verboten werden .
Die deutschen Eigentümer, Unternehmer, Sportler und
Künstler sollen noch weiter besteuert werden .
({0})
- Wo das steht? Herr Ernst, Sie müssen nur in der neuesten Ausgabe der Welt lesen, was Ihr Fraktionsvorsitzender gesagt hat: Ich will einen Staat, der Milliardäre
verhindert .
({1})
Sie wissen scheinbar gar nicht, was Ihr Fraktionsvorsitzender fordert . Aber Sie unterscheiden sich in der Gesamtlösung sicherlich nicht . Es ist jedenfalls sehr fraglich, ob Sie dieses Parlament ernst nehmen, wenn Sie
immer wieder die gleichen falschen Forderungen hier
aufstellen . Liebe Kolleginnen und Kollegen von der
SPD, ich habe leider gehört, dass auch die SPD eine Vermögensteuer nicht ausschließt . Das ist sehr bedauerlich .
({2})
Vielleicht können Sie das noch korrigieren .
Nach dem enormen Anstieg der Steuereinnahmen, der
sich für die nächsten Jahre abzeichnet, fällt Ihnen nicht
mehr ein, als immer wieder eine zusätzliche Vermögensteuer zu fordern . Das Bundesverfassungsgericht hat
aber die Vermögensteuer in ihrer Form als nicht verfassungskonform angesehen . Auch das gehört zur Wahrheit .
({3})
Sie ziehen dann irrwitzige Vergleiche mit armen Menschen und von Armut gefährdeten Kindern . Das berührt
uns sicherlich ebenfalls . Aber Millionäre und Milliardäre
leben nicht auf Kosten dieser Kinder . Vielmehr leisten die
Millionäre und Milliardäre aufgrund der Steuerprogression einen großen Beitrag zu der hohen Sozialleistungsquote in Deutschland. Diese ist im Übrigen die höchste in
der ganzen Welt . 53 Prozent des Bundeshaushaltes geben
wir für Soziales aus . In diesem Bereich herrscht keine
Ungerechtigkeit . Das sollte einmal festgestellt werden .
Herr Kollege Michelbach, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung vom Kollegen Schlecht von
der Linken?
Ja, gerne .
Herr Kollege, Sie haben eben gesagt, das Verfassungsgericht habe die Vermögensteuer bzw . eine Wiedereinführung der Vermögensteuer für verfassungswidrig
gehalten . Da sind Sie einem Irrtum aufgesessen . Eine
Zeitlang geisterte in der öffentlichen Debatte der sogenannte Halbteilungsgrundsatz herum . Mit diesem wurde begründet, dass man bei einer Wiedereinführung der
Vermögensteuer schnell an seine Grenzen stoßen werde .
Ich kann Ihnen nur den Hinweis geben - wahrscheinlich
sind Sie da nicht auf der Höhe der Debatte -, dass das
Bundesverfassungsgericht schon vor Jahren - das muss
etwa acht Jahre her sein - entschieden hat, dass der Halbteilungsgrundsatz, wie er ursprünglich festgelegt wurde - bezeichnenderweise von einem Herrn Kirchhof -,
nicht mehr der gängigen Rechtsprechung des Gerichts
entspricht und dass es daher keinerlei juristische Grenzen
gibt, wenn es darum geht, eine Vermögenbesteuerung
durchzuführen, und zwar auch dann nicht, wenn die Vermögenbesteuerung eine Substanzbesteuerung darstellt .
Der Grund, warum wir die Vermögensteuer als Millionärsteuer wieder einführen wollen, ist nicht nur die Gerechtigkeit . Vielmehr können damit jedes Jahr 100 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen erzielt werden . Dies
wäre die finanzielle Basis, um nachhaltig in Infrastruktur
und soziale Dienstleistungen zu investieren, und das in
extremer Größenordnung . Dadurch würden mindestens
50 000 Arbeitsplätze in diesem Land geschaffen. So
viel zu dem Argument, eine Wiedereinführung der Vermögensteuer vernichte Arbeitsplätze . Nein, eine Millionärsteuer, deren Einnahmen der Produktion und den
Dienstleistungen zugeführt werden, würde Arbeitsplätze
schaffen.
Danke schön .
({0})
Herr Michelbach, bitte .
Herr Kollege Schlecht, ich nehme Ihren Beitrag als
Frage .
({0})
Ich darf feststellen, dass Sie zwei völlig unterschiedliche Dinge miteinander vermischen . Sie stellen Ihre Frage
aber einem Kollegen, der schon lange Abgeordneter ist
und daher weiß, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1994 gefällt wurde und dass die Vermögensteuer
nicht durch Beschluss des Deutschen Bundestages abgeschafft wurde, sondern aufgrund dieses Urteils ausgelaufen ist . Die von Ihnen erwähnte spätere Beurteilung
bezieht sich auf eine ganz andere Steuerfrage . Deswegen
kann ich Ihnen nur sagen: Sie sind hier im falschen Film .
Die Vermögensteuer ist aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts ausgelaufen . Das ist Tatsache .
({1})
In Deutschland leisten - das sollte man noch einmal
betonen - heute die 10 Prozent der einkommensstärksten
Steuerzahler über 50 Prozent des Steueraufkommens bei
der Einkommensteuer . Meine Damen und Herren, wir
brauchen keine neuen und höheren Steuern, wenn wir ein
erfolgreiches Land mit Vollbeschäftigung und Wohlstand
für alle bleiben wollen .
({2})
Seit Ludwig Erhard geht es um höchste Beschäftigung,
um Wohlstand für alle; das ist unser Ansatz . Wir brauchen vor allem Steuerentlastungen für alle Arbeitnehmer,
für die hart arbeitende Mittelschicht und natürlich auch
für unsere Betriebe . Diese haben ein Anrecht auf eine
hohe Leistungs- und Wachstumsdividende; denn sie haben dieses Wachstum erarbeitet .
({3})
Mich ärgert immer, wenn Sie von Steuergeschenken
sprechen, meine Damen und Herren . Es ist zunächst einmal das Geld der Leute, die das erarbeitet haben - es sind
keine Geschenke -, und erst dann kommt der Staat .
({4})
Meine Damen und Herren, für eine gerechte Steuerpolitik sind Sie auf dem völlig falschen Dampfer . Deswegen kann ich nur sagen: Wir werden für mehr Netto vom
Brutto sorgen und den Menschen, den Bürgern mehr
Geld in ihr Portemonnaie geben .
Eine Lösung mit einer Abflachung der Tarifkurve,
mit einer Einkommensteuerreform, mit Forschungs- und
Investitionsförderung und mit dem Abbau von bürokratischen Hürden beim Steuerrecht ist wichtig . Das ist soziale Marktwirtschaft, das ist eine stringente Wachstumsund Beschäftigungsförderung in Deutschland . Das ist die
Steuer- und Finanzpolitik, die die CDU/CSU betreiben
wird . Sie wird auch für unseren Wirtschaftsstandort, für
die Arbeitsplätze wesentlichen weiteren Erfolg erbringen . Darum geht es, meine Damen und Herren .
({5})
Sie müssen sich einmal vor Augen führen: Vor 40 Jahren galt man für den Fiskus als Topverdiener, wenn man
das 17-Fache des Durchschnittslohns verdient hat .
({6})
Heute ist der Spitzensteuersatz bereits fällig, wenn man
das 1,3-Fache, also knapp 54 000 Euro im Jahr, verdient;
das ist die Situation . Deswegen müssen wir gerade die
mittleren Einkommen etwas entlasten und einen neuen
Tarifansatz bringen .
({7})
Letzten Endes benötigen wir eine Lösung . Wir brauchen keine Neiddebatte . Was Sie wollen, ist, die Menschen in unserem Land in einer Neiddebatte gegeneinander aufzuhetzen, weil Sie glauben, daraus politisches
Kapital schlagen zu können .
({8})
Aber wir werden das nicht mitmachen, wir werden dagegenhalten . Wir werden den Menschen sagen: Mit uns
bekommen sie mehr Entlastung, mit uns bekommen sie
mehr Netto vom Brutto, meine Damen und Herren .
({9})
Vielen Dank, Kollege Michelbach . - Letzter Redner
dieser sehr lebendigen Debatte: Lothar Binding für die
SPD-Fraktion .
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Hans
Michelbach hat gesagt: Das Wachstum wird erarbeitet . Das stimmt . Beim Vermögen ist es aber so, dass 80 Prozent des Vermögens aus Erbschaften stammen .
Betrachten wir den Fall „Das Wachstum wird erarbeitet“ . Nehmen wir einmal an, man hat ein Unternehmen
mit 3 000 Mitarbeitern . Nur ganz wenige in diesem Unternehmen können sich etwas zurücklegen, wie dieser
prall gefüllte Becher zeigt . Dann gibt es 3 000 Leute in
dem Unternehmen, die sich so gut wie nichts zurücklegen
können . Dazu habe ich den anderen Becher mitgebracht .
Wer sich die Becher einmal genauer anschaut, der
wird sehen, dass hier eine gewisse Ungleichheit herrscht .
Dabei sind diejenigen, die sich nur wenig zurücklegen
können, nicht weniger fleißig als diejenigen, die sich
mehr zurücklegen konnten oder es ererbt haben . Es ist
wichtig, darüber genauer nachzudenken; denn die Ungleichheit - das haben wir gelernt - stört nicht nur den
sozialen Frieden, sondern - noch viel schlimmer - auch
die Wachstumsentwicklung . Das müssen diejenigen, die
immer auf Wachstum setzen, wissen .
Das Allerschlimmste aber ist - dazu frage ich einmal
die Reichen unter uns -, dass es auch das Wohlbefinden
stört . Natürlich kann sich ein Reicher eine tolle Villa und
einen Zaun darum herum bauen . Aber ehrlich gesagt:
Wenn ich einen Zaun um meine Villa habe, muss auch
ich immer durch diesen Zaun raus- und wieder reingehen . Vielleicht wäre eine Situation schöner, in der ich
das nicht brauche. Insofern: Lasst uns zum Wohlbefinden zurückkehren! Es ist besser, wenn man da gerechter
vorgeht .
({0})
Wir haben im Wesentlichen drei Formen: Grundsteuer, Erbschaftsteuer und Vermögensteuer . Ich glaube, alle
Parteien überlegen im Moment, in welcher Kombination
sie hier eine gewisse Gerechtigkeitskomponente schaffen
können .
Es heißt immer, das ist zu viel Bürokratie und man
kann keine Bewertung vornehmen . Dazu sage ich: Wir
haben 20 Jahre lang versäumt, die Bewertungsgesetze
anzupassen . Bei jeder Bilanz, bei jeder Gewinn- und Verlustrechnung und bei jeder Steuererklärung erfolgt eine
jährliche Erklärung . Das ist überhaupt kein Problem . Alles wird jährlich bewertet, nur bei der Vermögensteuer
hat man damit plötzlich ein großes Problem .
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung Ihres Fraktionskollegen?
Von Christian Petry natürlich gerne .
({0})
Herzlichen Dank . - Die Gerechtigkeitskomponente
wurde gerade von dir, Lothar, angesprochen . Ich habe
eine Nachfrage zu dem Verfassungsgerichtsurteil von
1997, als dann die Vermögensteuer ausgelaufen ist . Wie
verhielt es sich damals mit der von dir angesprochenen
Gerechtigkeitskomponente?
Damals wurden verschiedene Grundsätze formuliert .
In Wahrheit gab es ein Bewertungsproblem . Geldvermögen und andere Vermögensarten wurden unterschiedlich
bewertet . Wegen dieser ungleichen Behandlung der Vermögensarten hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt,
dass die Vermögensteuer so nicht erhoben werden darf .
Seitdem wird die Steuer nicht erhoben, aber das Gesetz
gibt es noch . Deshalb müssten wir uns nur überlegen,
wie wir die Bewertung vornehmen und gerechter machen . Die Einheitswerte gehen im Moment in den neuen
Ländern auf die von 1935 zurück, in den alten Ländern
auf die von 1964 . Jeder weiß, dass die Zahlen von 1935
und 1964 nicht aktuell sind . Man könnte da etwas nachschärfen . Wenn man das tun würde, könnte man die Vermögensteuer relativ mühelos wieder einführen, und zwar
zu ähnlichen Bedingungen wie damals . Es muss nur die
Bewertung von Geldvermögen und anderen Vermögen,
zum Beispiel Grundstücksvermögen, korrekt im Sinne
des Verfassungsgerichtsurteils erfolgen .
Ich möchte noch darauf zurückkommen, was heute
von Cansel Kiziltepe schon einmal gesagt worden ist .
Kurz .
Gestern gab es beim BDI eine Podiumsdiskussion . Da
hat Reinhard Gaier, ein Richter, der zwölf Jahre am Bundesverfassungsgericht war, gesagt, dass man dann, wenn
man Ungerechtigkeiten und grobe Missverhältnisse bei
der Substanzverteilung sieht, auch in die Substanz eingreifen kann .
Nehmen wir einmal an, der volle Becher würde Herrn
Dr . Meister und der leere Becher einer anderen Person
gehören . Vorhin wurde von Umverteilung gesprochen .
Es geht aber nicht um Umverteilung; denn Umverteilung
würde bedeuten, dass man den vollen Becher in den leeren Becher schüttet . Das wollen wir nicht . Wir wollen
nur, dass Herr Dr . Meister zwei Schokolinsen abgeben
soll . Möglicherweise käme er dann noch gut zurecht .
Insofern ist klar: Sie, Herr Dr . Meister, geben zwei ab .
Das wäre fair . Derjenige, dem der andere Becher gehört,
muss nichts abgeben . Das ist gerechter . - Wenn Sie wollen, können Sie sich aus dem vollen Becher jetzt etwas
nehmen .
Schönen Dank .
({0})
Vielen Dank, Kollege Binding . - Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/12549 mit dem
Titel „Reichtum gerechter verteilen - Vermögensteuer
als Millionärsteuer wieder erheben“ . Wer stimmt für den
Antrag? - Wer stimmt dagegen? ({0})
Wer enthält sich? - Was macht die SPD?
({1})
Der Antrag ist abgelehnt . Für den Antrag hat die Linke
gestimmt . Dagegengestimmt haben die CDU/CSU und
mehr oder weniger die SPD .
({2})
Enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen . Damit ist der
Antrag abgelehnt .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2017
Drucksache 18/12310
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
16. Bericht des Ausschusses für die Hochschulstatistik für den Zeitraum 1. Juni 2012
bis 31. Mai 2016
Drucksache 18/10851
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Als erster Rednerin gebe ich der Bundesministerin
Dr . Johanna Wanka das Wort für die Bundesregierung .
({4})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir haben seit 2005 große Milliardenpakete in
den Hochschul- und Wissenschaftsbereich investiert .
Ich denke zum Beispiel an die Exzellenzinitiative, an
den Hochschulpakt, an den Qualitätspakt Lehre und an
viele andere Dinge, über die wir hier gesprochen haben .
Diese hinzugekommenen Milliarden Euro haben dazu
geführt, dass sehr viele zusätzliche - neue, die vorher
nicht vorhanden waren - Arbeitsplätze geschaffen werden konnten, dass wir also sehr viel mehr Beschäftigte
haben . Davon sind sehr viele befristet beschäftigt, und
um die Situation dieses wissenschaftlichen Nachwuchses
geht es .
Wenn man sich die Zahl der befristet Beschäftigten
anschaut, stellt man fest: Der größte Teil davon sind diejenigen, die promovieren . Wenn sie promoviert sind und
in die Wirtschaft, in die Verwaltung oder in irgendeine
andere Tätigkeit gehen, dann befinden sie sich - das sagt
dieser Bericht aus - in einer bestimmten Situation: in
Vollbeschäftigung . Das heißt, nach diesem Bericht sind
die allermeisten mit einer Promotion vollbeschäftigt .
Das, glaube ich, ist ein sehr guter Effekt.
Trotzdem muss man sagen: Durch die vielen Gelder
ist das Verhältnis zwischen befristeten und unbefristeten
Stellen etwas aus der Balance geraten . Deswegen bin
ich sehr dafür, dass auch im Mittelbau mehr unbefristete
Stellen geschaffen werden.
Wir haben Artikel 91b des Grundgesetzes verändert;
damit wurden mehr Möglichkeiten für den Bund geschaffen. Das hat aber keine Veränderungen bei den Zuständigkeiten gebracht . Die Grundverantwortung für die
Hochschulen liegt bei den Ländern und nicht beim Bund .
Das heißt, in den Ländern muss entschieden werden .
({0})
Obwohl wir, der Bund, nicht die originär Verantwortlichen sind, haben wir in dieser Legislaturperiode etwas
getan, was ich seit 1990 nie erlebt habe und auch gar
nicht kenne: Wir, die Bundesregierung, haben Gelder für
unbefristete Beschäftigungsverhältnisse zur Verfügung
gestellt .
({1})
Wenn man ganz großzügig rechnet, sind das über 12 000
Stellen; es könnten 15 000 Stellen sein . Es kommt darauf
an, wie man sie honoriert . Das Geld für diese - unbefristeten - Stellen ist über die BAföG-Entlastung zur Verfügung gestellt worden .
Jetzt schauen wir einmal in die Länder, zum Beispiel,
Frau Gohlke, nach Brandenburg oder nach Thüringen,
wo Sie jeweils in der Regierung sind, also die Möglichkeit haben, Ihre Vorhaben entsprechend umzusetzen:
({2})
Lothar Binding ({3})
Das ist nicht erfolgt . Dort sind nicht mehr unbefristete
Stellen für den Mittelbau entstanden, und es sind auch
keine höheren Gehälter gezahlt worden .
Ich will das gar nicht kritisieren,
({4})
weil die Entscheidung, was mit diesen Geldern bzw . Stellen getan wird, in den Ländern getroffen werden muss.
Wenn man in den Ländern andere Prioritäten setzt, meinetwegen in Schulen, Bauvorhaben oder anderes investiert, dann ist das Sache der Länder . Aber dafür sind wir
hier auf Bundesebene nicht verantwortlich; vielmehr haben wir lediglich eine Möglichkeit geschaffen.
Nach einer Promotion nicht in den Arbeitsprozess zu
gehen, sondern im akademischen Bereich Karriere zu
machen, das ist anstrengend; denn es geht dann um die
Spitzenpositionen, es geht um die höchsten Leistungsträger, das heißt um die Professuren .
Ich hatte gesagt: Das Verhältnis zwischen befristeten
und unbefristeten Stellen ist etwas aus der Balance geraten . - Mit dem Tenure-Track-Programm entstehen nicht
nur 1 000 zusätzliche Tenure-Track-Professuren, sondern
auch 1 000 zusätzliche unbefristete Professuren . Wir geben dafür 1 Milliarde Euro in 15 Jahren aus, und dann
müssen die Länder die Finanzierung dieser Professuren
übernehmen . Hinzu kommt, dass die Tenure-Track-Professuren immer wieder neu ausgeschrieben werden . Tenure Track bedeutet Planungssicherheit, Karrieresicherheit, frühzeitig, etwa mit 32, zu wissen: Du bleibst hier
im System und bleibst oder wirst Professor . - Das ist etwas, was ein Mangel war in Deutschland . Das hatten wir
nicht . Das gewährleistet das Tenure-Track-Programm .
Für mich ist eine Weiterentwicklung der Juniorprofessur, die ich sehr begrüßt habe, die ich immer noch gut
finde, zwar sinnvoll, aber Planungssicherheit, Rechtssicherheit waren damit nicht verbunden, und genau das
gibt es jetzt . Das heißt, wir haben etwas angestoßen, was
über die Jahre eine positive Strukturveränderung für den
wissenschaftlichen Nachwuchs bedeutet .
({5})
Jetzt zum Thema der Vereinbarkeit von wissenschaftlicher Tätigkeit von Nachwuchswissenschaftlern und
Familie; das war ein zweiter wichtiger Komplex . Ich
sage allen, die nach mir reden: Wenn Sie aus dem Bericht zitieren, dass Nachwuchswissenschaftler häufiger
kinderlos bleiben als der Durchschnitt aller Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolventen,
({6})
dann müssen Sie zur Kenntnis nehmen: Das sind die
Zahlen von 2006 . Herr Gehring, das war das Ergebnis
am Ende Ihrer Amtszeit - also als Regierung .
({7})
- Das war ein Versprecher; klar .
({8})
- Dazu komme ich jetzt, wenn Sie mich reden lassen und
nicht dazwischenrufen .
({9})
Wir haben in den vergangenen Jahren sehr viel getan,
zum Beispiel beim Wissenschaftszeitvertragsgesetz . Wir
wissen aber noch nicht: Wie hat sich das aufs Kinderhaben ausgewirkt? Wie sind die Größenordnungen? Also
muss man das untersuchen, dringend, und das tun wir
auch .
Was wir im Bericht haben, sind Befragungen derer,
die jetzt in dem Bereich sind, und zwar dazu, wie sie
die Arbeitsbedingungen im wissenschaftlichen Bereich
empfinden. Sie finden sie attraktiv. Was das Thema „Vereinbarkeit mit Familie“ angeht, kann man, jedenfalls
nach dem, was die Wissenschaftler für den Bericht herausbekommen haben, nicht sagen, dass sie das besonders schlecht finden, aber auch nicht, dass sie das besonders günstig finden.
({10})
Das ergibt sich eindeutig aus der Studie . Der einzige
Unterschied ist, dass diejenigen, die Familie haben, die
Kinder haben, die Eltern sind, die Situation viel positiver beurteilen als die anderen . Die haben vielleicht die
Sorge: Wie wird es?
Weil wir nicht genügend Daten haben, ist es so wichtig, dass wir das Hochschulstatistikgesetz novelliert haben .
({11})
In Zukunft, Herr Rossmann, werden wir viel bessere Daten haben, etwa zur Vorqualifikation, zu der Frage: Wer
wird Professor?
({12})
Speziell für den wissenschaftlichen Nachwuchs haben
wir in unserem Haus ein Forschungsförderprogramm
aufgelegt . Es werden die unterschiedlichsten Aspekte
von Karrieremöglichkeiten für junge Wissenschaftler
untersucht . Dazu laufen zurzeit acht große Projekte . Von
daher hoffe ich, dass wir bald wissen: Wie ist das denn
zum Beispiel mit den Kindern?
({13})
Wie hat sich das, was wir gemacht haben, ausgewirkt?
Was müssen wir anders machen? - Deswegen freue ich
mich sehr, und ich freue mich auch auf die Debatte .
({14})
Vielen Dank, Ministerin Wanka . - Nächste Rednerin:
Nicole Gohlke für die Linke .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Kolleginnen und
Kollegen! Arbeit im Dienst der Wissenschaft, akademische Forschung und Lehre als Beruf - für viele klingt
das so attraktiv, dass sie dafür zahlreiche Entbehrungen
auf sich nehmen . Das zeigt der Bundesbericht zum wissenschaftlichen Nachwuchs . Wer sich für den Verbleib
in der Wissenschaft entscheidet, tut dies vor allem aus
Leidenschaft .
({0})
Karriereperspektive oder Arbeitsplatzsicherheit spielen
für den sogenannten wissenschaftlichen Nachwuchs
nur eine untergeordnete Rolle . Glücklicherweise ist das
so - das muss man fast schon sagen -; denn im Wissenschaftsbetrieb sind beide Begriffe bislang regelrecht
Fremdworte, und das muss sich endlich ändern .
({1})
Der Umfang des wissenschaftlichen Personals an
Hochschulen unterhalb der Professur ist in der Zeit von
2000 bis 2014 um 76 Prozent auf 145 000 Beschäftigte
angewachsen - eine gute Entwicklung, so könnte man
meinen, vor allem natürlich angesichts der rasant gestiegenen Studierendenzahlen . Aber im selben Zeitraum
stagnierte die Zahl der unbefristet Beschäftigten . An den
Universitäten ist deren Zahl sogar leicht gesunken . Das
ist der große Skandal: Sage und schreibe 93 Prozent des
sogenannten wissenschaftlichen Nachwuchses an Hochschulen, also fast alle wissenschaftlich Beschäftigten unter 45 Jahren,
({2})
verfügten im Jahr 2014 nur über eine befristete Anstellung . Das ist eine ungeheuerliche Zahl .
({3})
Fakt ist: Die Wissenschaftspolitik der vergangenen Jahrzehnte und insbesondere die Umstellung der Finanzierung auf Drittmittel haben den Wissenschaftsbetrieb regelrecht prekarisiert . Die Beschäftigten müssen jetzt die
Folgen dieser Politik ausbaden . Es ist mittlerweile fast
die Regel, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf mehreren Teilzeitstellen gleichzeitig arbeiten,
dort jeweils mehr Stunden investieren, als sie eigentlich
bezahlt bekommen, und dann auch noch schlecht bezahlte Lehraufträge annehmen, um den Betrieb an den
Hochschulen überhaupt aufrechtzuerhalten . Kein Wunder also, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
an Universitäten im Schnitt doppelt so häufig kinderlos
bleiben - trotz Kinderwunsches - wie der Durchschnitt
aller Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolventen! Ich denke, die herrschende Wissenschaftspolitik ist
familienfeindlich . Das ist ein zentraler Befund dieses Berichts . Nehmen Sie die Auswirkungen Ihrer Politik einmal zur Kenntnis!
({4})
Wenn die Bundesregierung behauptet, dass sie an diesem Problem arbeiten würde, dann mag das stimmen, an
einer Lösung arbeitet sie aber wohl eher nicht; denn ihre
Maßnahmen sind halbherzig, und die Wirkung ist fraglich . Ziel der Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes war angeblich, den Befristungswahnsinn einzudämmen und den befristeten Arbeitsvertrag auf die Zeit
der Qualifizierung, also zum Beispiel auf eine Promotion, zu beschränken .
({5})
- Ja, es ist gut, dass das noch das Ziel ist, aber an dem
Ziel muss man noch arbeiten .
Auf die Kleine Anfrage der Linken vor einigen Wochen antwortete die Regierung - ich zitiere -:
Der Begriff der Qualifizierung ist der Auslegung zugänglich . So kann im Einzelfall auch im Rahmen
einer kurzen Befristungsdauer ein angemessenes
Qualifizierungsziel verfolgt werden.
Im Klartext: Sie weigern sich, zu definieren, was unter
Qualifizierung zu verstehen ist.
({6})
Jetzt kann alles Mögliche dazu gemacht werden . Das
nehmen Sie ganz bewusst in Kauf .
({7})
Zulasten der Beschäftigten geht auch die folgende
Aussage der Bundesregierung aus der gleichen Kleinen
Anfrage - ich zitiere -:
Es können jedoch auch sinnvolle Teilabschnitte gebildet werden, . . .
Damit öffnet die Bundesregierung kleinteiligen Stückelverträgen Tür und Tor . Ist das das, was SPD und Union
unter Bekämpfung des Befristungsunwesens verstehen?
Das kann ja wohl nicht wahr sein .
({8})
Zum Programm für den wissenschaftlichen Nachwuchs . Der Umfang des Programms reicht nicht aus,
um Relevanzkarriereperspektiven zu schaffen und vor
allem, um endlich einmal die Betreuung der Studierenden zu verbessern . Ganz ehrlich, die Perspektive dieser
1 000 Tenure-Track-Stellen ist auch nicht mehr so sicher;
denn die Fortsetzung des Hochschulpaktes steht in den
Sternen, weil die Union das blockiert . Die Hochschulen
haben überhaupt keine Planungssicherheit . Es stellt sich
die Frage, ob die Tenure-Tracks sicher in eine Professur
münden oder ob die Stellen einer Überarbeitung des Personalplans zum Opfer fallen oder ob im Gegenzug andere Professuren gestrichen werden . Das muss unbedingt
verhindert werden .
Kolleginnen und Kollegen, dass es angesichts dieser
Zustände noch nicht zum regelrechten Aufstand an den
Hochschulen gekommen ist, liegt vor allem am hohen
Enthusiasmus der Betroffenen.
({9})
Aber ich denke, auch dieser Enthusiasmus hat irgendwo
seine Grenzen . Auf den Demonstrationen des March for
Science in Deutschland haben die meisten Redebeiträge
die unsicheren und ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse
in der Wissenschaft thematisiert und angeprangert . Recht
haben sie . Echte Wissenschaftsfreiheit, echte Wissenschaftsautonomie gibt es
({10})
nur mit guter Arbeit und ökonomischer Unabhängigkeit .
Die Bedingungen dafür herzustellen, ist die Aufgabe von
Politik . Die Linke steht dafür bereit .
Vielen Dank .
({11})
Vielen Dank, Nicole Gohlke . - Nächste Rednerin:
Dr . Simone Raatz für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wie viele von Ihnen spreche ich häufig
mit Vertretern von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Häufig geht es dabei um
die Situation unseres wissenschaftlichen Nachwuchses .
Vor einigen Tagen erzählte mir ein Professor von seiner
Hochschulleitung, die alles daransetzt, die jungen Forscher verantwortungsvoll auf ihrem weiteren Weg zu
begleiten. So sollen sich Postdocs weiterqualifizieren.
Sie bekommen Unterstützung beim Beantragen von Fördermitteln, und der Kontakt mit Partnerhochschulen im
Ausland hat höchste Priorität . So können sich die jungen
Wissenschaftler von Beginn an international vernetzen .
Man unternimmt an dieser Hochschule alles, um die
klügsten Köpfe zu fördern und in der Forschung und
im Land zu halten . Aber auch der Kontakt außerhalb
der Wissenschaft wird gesucht, um Berufsperspektiven
in Wirtschaft und Gesellschaft aufzuzeigen . Man muss
sagen: An dieser Hochschule läuft vieles gut . Man kümmert sich um den wissenschaftlichen Nachwuchs . Aber
wir wissen auch alle, dass das kein Normalfall ist . Das ist
leider bis heute eine Ausnahme . Der Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs stellt diesmal einmal mehr
fest: Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
in Deutschland sind - und ich zitiere - „hochgradig unzufrieden mit den Aufstiegsmöglichkeiten, der Arbeitsplatzsicherheit und der Planbarkeit ihrer Karriere“ .
Wir haben in dieser Legislatur wichtige Gesetzesvorhaben verabschiedet; Frau Wanka ist gerade darauf
eingegangen . Mit diesen Maßnahmen wollen wir gegensteuern und haben wir gegengesteuert . Wir haben das
Wissenschaftszeitvertragsgesetz novelliert und damit
reformiert. Frau Gohlke, ich gebe Ihnen recht: Qualifizierung zu definieren, war eigentlich unser Wunsch. Das
hat unser Koalitionspartner so nicht mitgetragen . Auf der
anderen Seite muss ich aber auch sagen: Wir haben an
unseren Universitäten und allgemein an unseren Hochschulen intelligente Menschen; sie wissen doch eigentlich, was eine Qualifizierung bedeutet. Wir sind ja nicht
die Erziehungsberechtigten unserer Professorinnen und
Professoren .
({0})
Eigentlich müssen sie von alleine darauf kommen, was
im Wissenschaftsbetrieb unter Qualifizierung zu verstehen ist .
Wir haben auch den Pakt für den wissenschaftlichen
Nachwuchs verabschiedet und 1 000 zusätzliche Stellen
geschaffen. Ich hoffe, dass es bei dem Wort „zusätzlich“
bleibt; denn man merkt, dass daran schon wieder gedoktert wird .
Eigentlich muss man sagen - das kann man als Quintessenz dieser Legislatur gemeinsam feststellen -: Wir haben wichtige Projekte auf den Weg gebracht, und darauf
können wir stolz sein .
({1})
Insofern ist es für mich enttäuschend, dass die meisten Zahlen im vorliegenden Bericht hoffnungslos veraltet
sind . Wie kann es zum Beispiel sein, dass es seit 2011
keine Erhebung zur Laufzeit von Arbeitsverträgen mehr
gibt? Dafür fehlt mir das Verständnis . Es sind auch viele
Zahlen von 2014 enthalten . Also, es tut mir leid! Gerade
auch vor dem Hintergrund der Projekte, die wir in dieser
Legislatur beigesteuert haben - darüber haben wir geredet -, sollte man das Bundesministerium für Bildung
und Forschung beauftragen, hier nachzuarbeiten . Ich
habe Sie, Frau Professor Wanka, so verstanden, dass hier
etwas passiert . Aber ich muss sagen: Uns hier so einen
Bericht mit Zahlen von 2011 vorzulegen, finde ich schon
ein bisschen dürftig .
Dennoch - das macht der Bericht deutlich -: Es ist
schwer, die Arbeit in der Wissenschaft mit dem Familienleben zu vereinbaren . Ich muss sagen: Wir sprechen
hier eben nicht über junge Doktoranden mit Ende 20 das wird uns ja immer vorgehalten; es wird gesagt: die
jungen Leute qualifizieren sich, sie promovieren noch
usw . -, sondern über bereits promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter 45, von denen immer
noch vier von fünf nur über Zeitverträge beschäftigt sind .
Daher verstehe ich nicht - vielleicht muss man da noch
einmal gemeinsam in den Bericht schauen -, warum unsere Ministerin gerade sagte, dass hier Vollbeschäftigung
herrscht . Vielleicht - aber dann auf der Grundlage befristeter Verträge .
({2})
Der angebliche Nachwuchs steht doch längst mitten im
Leben - ich finde den Begriff „wissenschaftlicher Nachwuchs“ sowieso ein bisschen schwierig -, und gerade,
wenn man mitten im Leben steht, braucht man Planungssicherheit .
({3})
Frau Gohlke ist gerade schon darauf eingegangen:
Ganze 88 Prozent der Wissenschaftler, also so gut wie
alle jungen Wissenschaftler, wünschen sich Kinder . Die
überwiegende Mehrheit schiebt aber dann die Familiengründung auf die lange Bank, und am Ende bleibt fast die
Hälfte aller Wissenschaftlerinnen kinderlos . Es ist doch
traurig, dass man in der heutigen Zeit noch abwägen
muss, ob Arbeit oder Familie im Fokus steht . Ich denke,
da müssen wir dringend etwas ändern .
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es hat mich sehr irritiert, vor einigen Tagen zu erfahren, dass viele Hochschulleitungen nach wie vor wenig Bedarf für Veränderungen sehen . Laut einer aktuellen Umfrage hält die
Mehrheit unserer Rektorinnen und Rektoren eine Befristungsquote von weit über 50 Prozent für absolut angemessen, und es stört sie auch nicht, dass inzwischen jede
vierte Lehrveranstaltung an deutschen Hochschulen von
befristetem Personal gehalten wird . Da fragt man sich
doch - ich frage es mich -: Wozu haben wir eigentlich
die Professoren? Was ist denn eigentlich ihre Aufgabe?
Ich dachte, ihre Aufgabe ist auch, Lehre zu halten .
Ich weiß natürlich - ich habe selbst Vorlesungen gehalten -: Eine gute Lehrveranstaltung zu konzipieren und
durchzuführen, ist keine Routineaufgabe . Es ist fachlich
anspruchsvoll und insbesondere auch zeitlich aufwendig .
Aber was sollte zu guter Lehre motivieren, wenn damit
kein Blumentopf zu gewinnen ist? Es zählt ja eigentlich
nur, wie viele Drittmittel man eingeworben hat, wie viele
Veröffentlichungen man getätigt hat und wie sie geratet
sind usw .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gute Beschäftigungsbedingungen und gute Lehre gehen meines Erachtens Hand in Hand . Daher wollen und brauchen wir
dringend einen grundlegenden Kulturwandel in unserem
Wissenschaftssystem . Unsere Hochschulen müssen sich
auf den Weg machen, die Studienqualität muss steigen
und die Zahl der Studienabbrüche sinken . Ein Schlüssel
dazu ist die Verbesserung der Betreuungsrelation durch
gute, qualifizierte und langfristig beschäftigte Mitarbeiter . Ich habe mich gefreut, eben von Ministerin Wanka zu
hören, dass hier mehr geplant ist . Wir erwarten eigentlich
auch mehr; denn natürlich sind mehr feste Stellen wichtig, ebenso verbindliche Konzepte zur Personalentwicklung .
({5})
Nur so kommen wir zu planbaren Karrierewegen und
transparenten Personalentscheidungen .
Wichtig dafür ist die nachhaltige Verbesserung der
Grundfinanzierung unserer Hochschulen. Ich denke, das
ist uns allen klar . Das ist eine Aufgabe für die nächste Legislatur . Wir, die SPD, wollen dazu beitragen, die befristeten Mittel des Hochschulpaktes endlich zu einer verlässlichen und dauerhaften Kofinanzierung zu machen.
({6})
Zukünftig müssen aber auch Bund und Länder besser zusammenarbeiten und dürfen nicht nur eifersüchtig
Kompetenzen hin und her schieben . Dann erreichen wir
nämlich, was wir wollen: dass sich die Beschäftigungssituation unserer jungen Wissenschaftler in Forschung und
Lehre deutlich verbessert .
({7})
Vielen Dank, Simone Raatz .
({0})
Nächster Redner: Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen .
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute ist der „Tag des wissenschaftlichen Nachwuchses“ . Das hat er mehr als verdient; denn er ist kreativ,
hoch motiviert und hoch engagiert . Allerdings sind die
Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft nach wie vor
nicht attraktiv genug, und das muss sich dringend ändern .
({0})
Bis zu 93 Prozent sind laut Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs befristet beschäftigt, in der
übrigen Arbeitswelt sind es etwas mehr als 8 Prozent .
Selbst wenn man berücksichtigt, dass ein hohes Maß an
Mobilität und Flexibilität in der Wissenschaft üblich ist,
muss man festhalten: Die Beschäftigungsbedingungen
für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind aus
dem Ruder gelaufen . Selbst gestandene Leute müssen
sich noch Jahre nach ihrer Promotion von Halbjahresvertrag zu Halbjahresvertrag hangeln . Lehre wird immer
mehr von prekär Beschäftigten geleistet . Die Situation
von Lehrbeauftragten und Privatdozenten ist skandalös .
Auf der Strecke bleibt die Planbarkeit der wissenschaftlichen Karriere - die Familienfreundlichkeit sowieso . Das
Befristungsunwesen in der Wissenschaft müssen wir mit
Entschlossenheit wirksam bekämpfen .
({1})
Es gibt viele Möglichkeiten, die Bedingungen für den
wissenschaftlichen Nachwuchs zu verbessern . Es ist absolut enttäuschend, dass Union und SPD keine davon
wirklich überzeugend genutzt haben . Nach unendlich
langen Debatten haben Sie eine aus grüner Sicht untaugliche Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes beschlossen . Mindestvertragslaufzeiten? Fehlanzeige! Und
was beispielsweise unter dem Begriff „Qualifizierung“ zu
verstehen ist, was eine sogenannte „angemessene Befristungsdauer“ bei einem Qualifizierungsschritt sein soll,
das bleibt im Gesetz undefiniert. Durch solche Schwammigkeiten und Hintertürchen verfehlen Sie das eigentliche Ziel, einen klaren rechtlichen Rahmen für bessere
Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft zu schaffen.
({2})
Weil die Novelle wohl kaum wirken wird,
({3})
dürfen wir auch nicht bis 2020 mit der Evaluation des
WissZeitVG warten .
({4})
Sie haben in die Novelle sogar hineingeschrieben: Erst
2020 wird evaluiert . Das würde richtig knapp werden,
wenn man in der nächsten Legislatur
({5})
- wenn man denn gründlich sein will - die schlimmsten
Fehlentwicklungen beheben will . 2020 muss die Überarbeitung des vergeigten Gesetzes stehen, nicht erst die
Evaluation .
Wir brauchen mehr Dauerstellen für Daueraufgaben,
klare Mindestvertragslaufzeiten, einen Wegfall der Tarifsperre und eine echte Familienkomponente, damit Kinder und Wissenschaftskarrieren endlich vereinbar sind .
({6})
In den letzten Debatten haben Sie so getan, als wenn Sie
das schon erledigt hätten .
Ein zweites Feld, wo Union und SPD Möglichkeiten
versemmelt haben, ist die Modernisierung der Personalstrukturen . Mit den Wissenschaftspakten, allen voran
der Exzellenzinitiative, haben wir in den letzten Jahren
viele Promovierende angezogen . Nicht alle werden im
Wissenschaftssystem bleiben, aber unser Anspruch muss
doch sein, die besten Köpfe aus dieser Gruppe dauerhaft für die Wissenschaft gewinnen zu können, statt sie
zu vergraulen . Andernfalls wäre das Geld für die ganzen
Wissenschaftspakte nicht nachhaltig genug angelegt;
denn Wissenschaft wird von Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern gemacht .
({7})
Immerhin: Es gibt ein Programm für 1 000 zusätzliche
Tenure-Track-Professuren an Universitäten - das ist nur
ein Bruchteil der Juniorprofessuren, die schon von RotGrün eingeführt wurden -, und ob dieses Ten ure-TrackProgramm funktioniert, das muss sich erst erweisen . Die
Hochschulen sind davon nicht so begeistert . Und so oder
so: Es bleiben unklare Perspektiven und wenig Planbarkeit für viel zu viele andere im Alltag .
Von einem „Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs“ in Gänze kann sowieso keine Rede sein, weil andere Personalkategorien wie insbesondere der Mittelbau
außen vor bleiben . Die Fachhochschulen haben Union
und SPD erst einmal auf den Sankt-Nimmerleins-Tag
vertröstet . Ich denke, das ist viel zu viel Alibi, viel zu viel
Kosmetik und viel zu wenig wirklich beherztes Handeln .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wären schlecht
beraten, wenn Sie sich darauf verlassen, dass sich Nachwuchswissenschaftler aufgrund von Motivation und
Selbstlosigkeit endlos ausbeuten lassen . Wenn es im Wissenschaftssystem jenseits der Promotion immer weniger
verlässliche Perspektiven gibt, ist der Gang ins Ausland
oder in die Wirtschaft die logische Konsequenz. Damit
gefährden wir das deutsche Wissenschaftssystem insgesamt . Das darf nicht sein .
({8})
Neugierde und Lust auf Fragen und Zweifel treiben
die Wissenschaft voran, und dafür braucht es Vielfalt .
Ein wichtiger Aspekt sind daher Gleichstellung und
Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft . Wir
brauchen mehr Frauen in der Spitze der Wissenschaft .
Auch das wollte die Koalition voranbringen; aber auch
auf diesem Feld herrscht auf der ganzen Linie schlichtweg Enttäuschung . Nichts ist geworden aus der Ansage
im Koalitionsvertrag, in den Programmen verstärkt die
Einhaltung von Gleichstellungsstandards zu verankern .
Beim Pakt für Forschung und Innovation, bei der neuen
Exzellenzstrategie und auch im Tenure-Track-Programm
fehlen klare und harte Gleichstellungsziele . Beim Professorinnenprogramm ist, na ja, immerhin eine Absichtserklärung herausgekommen . Die Bilanz der Gleichstellungspolitik ist nach vier Jahren Koalition insgesamt
ernüchternd .
({9})
Ich hoffe und setze auf die nächste Wahlperiode. Ein
vernünftiges WissZeitVG steht an, damit man mit Sicherheit gut forschen kann . Ein Personalprogramm für die
Fachhochschulen steht an. Eine bessere Grundfinanzierung für die Hochschulen steht an . Es geht auch um mehr
Verantwortungsbewusstsein in der Wissenschaft für die
eigene Mitarbeiterschaft in puncto Personalentwicklung
und Karrierewege . Nachwuchswissenschaftlerinnen und
-wissenschaftler benötigen eine Entfristungsoffensive,
klare Karriereperspektiven, mehr Zeit zum Forschen
Und wir benötigen das Ende der Rede .
- deshalb ein letzter Halbsatz -, bessere Arbeitsbedingungen und mehr Familienfreundlichkeit . Wir lassen
nicht locker, dieses Ziel zu erreichen .
({0})
Vielen Dank, Kai Gehring . - Nächste Rednerin:
Alexandra Dinges-Dierig für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Verehrte Gäste auf den Tribünen! Heute ist für
mich ein ganz besonderer Tag; denn ich halte hier und
heute meine Abschiedsrede im Deutschen Bundestag .
Wie sollte es anders sein? Es ist eine Rede zum wissenschaftlichen Nachwuchs . Es ist nicht das erste Mal, dass
wir hier darüber reden und auch streiten . Das haben wir
schon in verschiedenen Sitzungen getan . Es sind sicher
noch viele Verständnisfragen offen, die man in der nächsten Legislatur hoffentlich klären kann.
Warum diskutieren wir immer wieder über den wissenschaftlichen Nachwuchs, und warum hier, in diesem
Hause? Es gibt doch so viele andere Themen . Eigentlich
liegt es auf der Hand: Wir wissen ganz genau, dass die
bestmögliche Forschung und die bestmögliche Lehre in
der Zukunft davon abhängig sind, ob es uns gelingt, dem
heutigen wissenschaftlichen Nachwuchs so gute Rahmenbedingungen zu bieten, dass wir ihn bei uns halten
können oder international anwerben können . Beide Möglichkeiten müssen gegeben sein . Daher ist dieses Thema
für uns existenziell wichtig .
({0})
Auf den Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2017 will ich hier gar nicht intensiv eingehen;
denn die Daten - viele haben es schon gesagt - sind nicht
ganz aktuell . Es gibt welche aus 2014 - Simone Raatz,
das ist richtig -, aber die meisten sind älter; die meisten stammen aus 2008, einige sogar aus 2006 . Daraus
für 2017 Thesen abzuleiten, finde ich schlichtweg falsch.
Wenn wir die Angaben mit anderen Erkenntnissen, die
wir haben, abgleichen, sehen wir sehr wohl Positives,
aber natürlich auch eine ganze Menge Schatten .
Wie kommen wir weiter? Ich bin davon überzeugt,
dass wir endlich mehr Informationen brauchen; das hat
auch die Bundesministerin schon gesagt . Wir müssen
zum Beispiel endlich wissen, warum jemand ein Studium abbricht, ob er es überhaupt abgebrochen hat oder
nur das Studienfach gewechselt hat . Wir müssen wissen,
wie viele promovieren, wo promoviert wird und welches
Promotionsverfahren angewandt wird . Wir müssen gegebenenfalls auch wissen, wann die Promotionen abgebrochen wurden und warum sie abgebrochen wurden . Wir
brauchen Erkenntnisse über die Vereinbarkeit von Familie und akademischer Karriere . Ich möchte an dieser Stelle klar sagen: Jeder, der an einer Universität eine Promotion vorgelegt hat und dann die Universität verlässt, ist
kein Loser oder Abbrecher, sondern er hat für sein Leben
schlichtweg eine andere Entscheidung gefällt, und auch
die haben wir zu respektieren .
({1})
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit dem neuen
Hochschulstatistikgesetz - das hat die Bundesministerin
schon gesagt - wirklich gute neue Erkenntnisse gewinnen, um mit Blick auf den Längsschnitt einer beruflichen
Karriere entsprechende politische Maßnahmen aufsetzen
zu können . Aber nichtsdestotrotz haben wir natürlich
nicht gesagt, dass wir warten, bis wir mehr Zahlen haben, sondern wir haben gehandelt, und zwar da, wo wir
handeln mussten .
Nur ganz kurz - wir alle kennen die Instrumente -:
Über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz wurde eben
sehr viel gesagt . Wir haben damit der Vergabe von
grundlosen und unangemessen kurzen Zeitverträgen
einen Riegel vorgeschoben . Die Umsetzung dauert seine Zeit . Deshalb gibt es 2020 eine Evaluation . Der Bewusstseinswandel an den Hochschulen hat - das merken
Sie, wenn Sie sich heute mit Menschen an den Hochschulen unterhalten - übrigens schon begonnen . Wenn
dazu noch aufgrund der Entlastung der Länder durch die
BAföG-Millionen rund 12 000 unbefristete Stellen an
den Hochschulen geschaffen würden, würden wir hier
keine Diskussionen mehr über befristete Arbeitsverträge
führen .
({2})
Wir haben mithilfe des neuen Tenure-Track-Programms einen Karriereweg zur Universitätsprofessur
planbarer gemacht, und wir haben mit den erweiterten
Kooperationsmöglichkeiten auf der Grundlage des veränderten Artikels 91b des Grundgesetzes eine neue Exzellenzstrategie auf den Weg gebracht . Warum ist das für
den wissenschaftlichen Nachwuchs wichtig? Ganz einfach: Für den Spitzennachwuchs gibt es durch die neue
Exzellenzstrategie fantastische Perspektiven .
Wir als Union sind fest davon überzeugt: Qualitätssteigerung ist das übergeordnete Ziel . Wir werden es aber
nicht so erreichen, wie die Linken es immer wieder fordern: Geld, Geld, Geld in das System, dann wird alles
besser . - So einfach ist das nicht . Wir haben deshalb - das
können Sie sehr gut nachsehen; und deshalb ist die Bilanz auch nicht dürftig, wie Sie, liebe Frau Gohlke, heute Morgen im Ausschuss gesagt haben - bei der Exzellenzstrategie und dem Tenure-Track-Programm folgende
Fördervoraussetzung - wenn diese nicht erfüllt ist, gibt
es kein Geld von den Milliarden, die wir bereitstellen -:
Es müssen ein überzeugendes Personalentwicklungskonzept und eine individuelle Personalberatung vorliegen .
Dabei müssen alle Gleichstellungsfragen berücksichtigt
werden . Nur dann können sich die Hochschulen überhaupt bewerben .
({3})
Das ist ein Qualitätsbaustein . Daran werden wir als Union weiterarbeiten .
({4})
Viele Meilensteine . Wir wollen uns auf diesen Lorbeeren aber nicht ausruhen . Wir als Union werden hier mit
Sicherheit weitermachen . Wir werden das Spitzenfeld
der Wissenschaft weiterhin im Auge behalten .
Ich wünsche meinen Kolleginnen und Kollegen, die
hier bleiben, und denen, die neu hinzukommen, viel Erfolg für unseren wissenschaftlichen Nachwuchs, aber
auch für die anderen sehr wichtigen wissenschaftspolitischen Themen und natürlich neben Kompetenz auch eine
glückliche Hand dabei .
Ich bedanke mich für das tolle Miteinander bei allen
Kolleginnen und Kollegen und sage einfach Tschüss .
({5})
Vielen Dank, Frau Dinges-Dierig . Ich wünsche Ihnen
eine gute Zukunft, eine gute Zeit auch ohne Ihre parlamentarische Familie hier in diesem Haus . Lassen Sie von
sich hören, wo auch immer Sie zukünftig sein werden .
Nächster Redner: Oliver Kaczmarek für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch
der Bericht des Ausschusses für die Hochschulstatistik
steht heute auf der Tagesordnung . Die Ministerin hat zu
Recht auf die wesentlichen Verbesserungen hingewiesen .
Ich möchte meine Rede damit beginnen, dem Ausschuss
für seine Arbeit zu danken; denn durch den Bericht und
die Daten, die uns zur Verfügung gestellt werden, werden wir in der Lage sein, noch besser auf veränderte Bildungsbiografien einzugehen und noch bessere politische
Entscheidungen zu treffen. Herzlichen Dank an den Ausschuss für die Hochschulstatistik für seine Arbeit!
({0})
Es ist hier schon angesprochen worden: Die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses steht in einem
direkten Zusammenhang mit der Finanzausstattung der
Hochschulen . Es gibt eine Kette, die wir durchbrechen
müssen . An ihrem Beginn stehen meistens oder zu oft
befristete Mittelzuweisungen an die Hochschulen . Daran
schließen sich befristete Arbeitsverträge für die Beschäftigten an, an die sich wiederum schlechtere Karrierechancen und schlechtere Planungssicherheit, beispielsweise
wenn man eine Familie gründen will, anschließen; das ist
gerade schon gesagt worden . Diese Diskontinuitäten führen am Ende dazu, dass wir uns Gedanken machen müssen, ob das nicht auch auf die Qualität der Lehre Auswirkungen haben kann . Deswegen, glaube ich, müssen wir
diese Kette durchbrechen . Wir können das mithilfe von
politischen Entscheidungen tun, die wir in der nächsten
Zeit zu treffen haben und bei denen wir klare Positionen
einnehmen .
Ich will einige Beispiele nennen . Wir haben gerade
über Statistik gesprochen . Die Megaherausforderung der
letzten Jahre war die steigende Anzahl von Studienanfängerinnen und Studienanfängern . Ich glaube, wir haben
mit dem Hochschulpakt politisch richtig darauf reagiert;
er ist eine nationale Anstrengung von Bund und Ländern . Ich glaube, dass die Herausforderung bleibt . Oder
andersherum: Die Annahme aus der Hochschulpaktgründungszeit, dass die Studienanfängerzahlen wieder
sinken werden, wird sich nach allen Prognosen, die wir
kennen, nicht bewahrheiten . Deswegen hilft an der Stelle
langfristig gesehen ein befristeter Pakt nicht weiter . Wir
brauchen eine langfristige Sicherheit für die Hochschulen . Deshalb brauchen wir auch eine klare Haltung zu der
in der nächsten Wahlperiode anstehenden Entscheidung,
wie es mit dem Hochschulpakt weitergehen soll .
({1})
Ich will ganz ehrlich sein, Frau Ministerin: Ich hätte
mir anstelle des wiederholten Spielens der BAföG-Leier
gewünscht, von Ihnen zu hören, wie es mit dem Hochschulpakt weitergehen soll, ob Sie beispielsweise die
Haltung, die aus Ihrer Fraktion schon deutlich geworden ist, teilen, dass es nicht mehr um Quantitätsförderung, sondern nur noch um Qualität geht, und was das
eigentlich genau heißt . Wir sind der Meinung, ein Beitrag
des Bundes zur Grundfinanzierung ist unerlässlich. Die
Verstetigung des Hochschulpakts muss in der nächsten
Wahlperiode kommen .
({2})
Wenn man sich einmal ansieht, wie sich die Studierendenschaft zusammensetzt, dann fällt doch auf, dass
sich der Anteil der Studierenden und im Übrigen auch
die Gesamtzahl der Studierenden an Fachhochschulen
und Hochschulen für angewandte Wissenschaften auf
fast 1 Million Menschen deutlich erhöht hat . Das freut
uns; denn die Fachhochschulen leisten einen wichtigen
Beitrag zur Qualifizierung von Fachkräften, zur regionalen Innovationskraft, zum Wissenstransfer . Das alles
sind wichtige Punkte . Deswegen haben wir in dieser
Wahlperiode die Fachhochschulen zu Recht unterstützt,
sowohl bei der Forschungsförderung als auch beim Programm „Innovative Hochschule“, wo wir den Transfer
noch stärker in den Blick genommen haben . An der Stelle
müssen wir zukünftig weitergehen und verstärkt die Ausbildungsleistung von Fachhochschulen angehen . Dazu
gehört auch, was gerade meine Kollegin Simone Raatz
gesagt hat: Wir brauchen zusätzliche Mittel für die Fachhochschulen, um den Karrierewegen, der Personalentwicklung und eben der gestiegenen Bedeutung sowie den
Ansprüchen und Anforderungen, dort eine langfristige
Beschäftigung aufnehmen zu können, gerecht zu werden .
({3})
Ein letzter Punkt: Immer mehr Studierende kommen
aus dem Ausland, um hier in Deutschland zu studieren .
Das freut uns; denn das zeigt, dass der Wissenschaftsstandort Deutschland eine hohe Attraktivität hat . Das hat
viele Gründe; da gibt es nicht nur ein Instrument . Aber
sicherlich hat auch die Exzellenzinitiative dazu beigetragen, die internationale Strahlkraft und die Attraktivität
nicht nur an den Exzellenzstandorten, sondern für das
gesamte Wissenschaftssystem zu beleben .
({4})
Deswegen war es richtig, dass Bund und Länder an der
Stelle gemeinsam und auf Augenhöhe entschieden haben, dass aus der Initiative eine Strategie wird .
({5})
Und es war richtig, dass die Möglichkeiten, die wir im
Grundgesetz neu geschaffen haben, in der Wissenschaft
zwischen Bund und Ländern zu kooperieren, dafür genutzt worden sind, um die Exzellenzstrategie auf eine
dauerhafte Grundlage zu stellen .
({6})
Meine Schlussfolgerung daraus ist, dass wir diese grundgesetzlichen Möglichkeiten auch dazu nutzen müssen,
die Perspektive auf bisher befristete Pakte zu erweitern .
Das muss der nächste Schritt sein . Hochschulpakt und
andere Punkte sind angesprochen worden . Das wird in
der nächsten Wahlperiode auf uns zukommen .
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . - Wir haben in dieser Wahlperiode viel geleistet . Darauf blicken
wir als Koalition und natürlich als Sozialdemokraten mit
Zufriedenheit zurück; BAföG und andere Dinge habe ich
hier noch gar nicht erwähnt . Aber die Wissenschaft will
auch wissen, wie es weitergeht . Insbesondere die großen
Finanzströme sind betroffen. Es ist wichtig, dass sich die
Parteien vor der Bundestagswahl hier klar positionieren .
Wir sind der Meinung, dass der Bund weiterhin gemeinsam mit den Ländern in der Verantwortung für die Breitenförderung ist .
Herzlichen Dank .
({7})
Vielen Dank, Oliver Kaczmarek . - Die letzte Rednerin in der Debatte: Dr . Claudia Lücking-Michel für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Am Schluss der Debatte will ich den Themenbereich aufgreifen, den der Bericht selbst zum Schwerpunkt seiner
dritten Auflage macht, nämlich die Vereinbarkeit von Familie und akademischer Karriere . Zu der Notwendigkeit
und dem Bedarf von aktuellen und aussagekräftigen Zahlen haben wir jetzt genug gehört . Das brauche ich nicht
zu wiederholen, will es aber unterstreichen . Ich möchte
auf einige strukturelle Fragen hinweisen, die mir aufgefallen sind und die wir in Zukunft verstärkt in den Blick
nehmen sollten, wenn wir Veränderungen feststellen und
beobachten .
Für mich ist Folgendes interessant: Wenn es um die
Vereinbarkeitsfrage ging, die vom wissenschaftlichen
Nachwuchs als problematisch eingeschätzt wurde, dann
waren es - das war eklatant - vor allen Dingen junge
Frauen, die selbst noch gar keine Kinder hatten, die diesen Eindruck geäußert haben . Dieser Eindruck führt dann
dazu, dass sie ausscheiden und den Wissenschaftsbetrieb
verlassen, wenn es um die Familienplanung geht . Darauf
sollten wir in Zukunft genau achten . Zu den Gründen,
die genannt werden, gehört nicht etwa einzig und an erster Stelle die Befristung von Verträgen; wenn wir das so
adressieren, springen wir zu kurz . Genannt werden auch
die Verfügbarkeitskultur, hohe Mobilitätsanforderungen und nach wie vor der Bedarf an mehr Betreuungsmöglichkeiten . Auch da müssen wir hinschauen . Mir ist
wichtig, zu sagen: Das alles sollten doch Probleme und
Herausforderungen sein, die sowohl Väter als auch Mütter betreffen. Aber nein, nach wie vor sind praktisch vor
allen Dingen Frauen betroffen.
Da wir gerade bei Zahlen und Phänomenen sind:
Es gibt in dem Bericht von 2016 ein Fundstück, das
ich besonders erwähnen will . Es geht darum, dass sich
eine Vaterschaft positiv auf den Karrierestatus auswirkt,
eine Mutterschaft hingegen negativ . Was genau ist gemeint? Es lässt sich nachweisen, dass zum Beispiel in
den USA, so der Bericht, eine familienbedingte Verlängerung der Tenure-Track-Phase bei Assistant Professors
unterschiedliche Folgen hat . Bei Frauen, die sich ein Jahr
lang vorrangig um ihre Kinder kümmern, sank die Wahrscheinlichkeit, an eine der 50 Topuniversitäten berufen
zu werden . Bei Männern stieg die Wahrscheinlichkeit unter den gleichen Bedingungen . Angesichts der vielen Fragen und der Zahlen, die wir in Zukunft gerne hätten, will
ich anmerken: Auch darauf hätte ich gerne Antworten .
({0})
Ich bin sehr froh, Frau Ministerin, dass Sie angekündigt
haben, schon mehrere Forschungsprojekte auf den Weg
gebracht zu haben, die uns für solche und ähnliche Herausforderungen in Zukunft vielleicht interessante Hinweise geben werden .
Konzentrieren will ich mich in meiner Rede auf die
Maßnahmen und Projekte, bei denen wir in den letzten
Jahren wirklich viel umgesetzt haben, vor allen Dingen wenn auch nicht nur -, wenn es darum ging, die Vereinbarkeit für den wissenschaftlichen Nachwuchs besser zu
regeln .
Genannt wurde schon - da kann ich mich kurzfassen das Tenure-Track-Programm . Natürlich bringt es mehr
Planbarkeit für die Karriere von allen, aber auch und gerade für diejenigen, die Nachwuchs planen .
Außerdem geht es - das ist hier bisher viel zu wenig
vorgekommen; damit möchte ich mich jetzt länger befassen - um das Professorinnenprogramm . Es hat bislang
nicht nur die Berufung von über 500 Professorinnen ermöglicht, sondern auch - das war uns wichtig - an ganz
vielen Stellen systemisch im Sinne struktureller Gleichstellung gewirkt . Wie gut, dass die GWK schon im April
dieses Jahres dafür votiert hat, das Programm fortzuführen, und dass wir auch aus dem BMBF Signale bekommen haben, dass es fortgeführt werden soll .
Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um Verbesserungs- oder Erweiterungsvorschläge zu machen .
({1})
Mir wäre wichtig, dass in Zukunft ganz im Sinne des Positionspapiers unserer Fraktion mit einem Teil der Mittel
Professorinnen auch Nachwuchswissenschaftlerinnen
einstellen können, zum Beispiel für die Leitung von
Nachwuchsgruppen, um insbesondere die Leaky Pipeline direkt nach der Promotion bei den jungen Wissenschaftlerinnen zu stopfen und sie im Betrieb zu halten .
({2})
Wir müssen mit Mitteln und Maßnahmen dafür sorgen - auch das steht in unserem Positionspapier -, dass
es einfacher wird, nach der Promotion, wenn man eine
Familienphase hatte, zurückzukehren und in der wissenschaftlichen Laufbahn in der Postdoc-Phase anzuschließen .
Wir müssen darauf achten - auch das ist sehr wichtig -, dass all die vielen Gleichstellungsmaßnahmen, die
wir systemisch fordern, in den Hochschulen wirklich
nachhaltig verankert sind, diese die Verantwortung dafür übernehmen und die Maßnahmen verbindlich und auf
Dauer gestellt werden . Das heißt - das ist ganz klar -:
Das Professorinnenprogramm braucht in Zukunft deutlich mehr Mittel .
({3})
Meine Damen und Herren, wir haben es schon oft
gehört - ich will es unterstreichen -: Die beste Wissenschaft braucht die besten Männer und die besten Frauen .
({4})
Dass wir daran noch arbeiten müssen, ist deutlich geworden. Aber wir haben auch schon einiges geschafft.
Danke schön .
({5})
Vielen Dank, Claudia Lücking-Michel . - Damit
schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/12310 und 18/10851 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Sie sind damit einverstanden . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 1 . Juni 2017, 9 Uhr,
ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen einen
schönen Restabend .