Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich begrüße Sie herzlich zu unserer 234 . Plenarsitzung .
Ich möchte zu Beginn unsere Gäste auf den Besuchertribünen, aber auch die Kolleginnen und Kollegen, die
auf den Beginn dieser Sitzung gewartet haben, um Entschuldigung und Verständnis für die Verspätung bitten .
Sie hängt nicht damit zusammen, dass ein beachtlicher
Teil der Mitglieder des Hauses nicht rechtzeitig aus den
Betten gekommen wäre, sondern damit, dass noch vor
Beginn der Plenarsitzung Sondersitzungen der beiden
Koalitionsfraktionen stattgefunden haben, um die abschließende zweite und dritte Lesung eines der wichtigsten Gesetzgebungsvorhaben dieser Legislaturperiode in
der nächsten Sitzungswoche vorzubereiten . Dafür haben
Sie hoffentlich Verständnis .
Seit der letzten Sitzungswoche gab es einige besonders zu erwähnende Geburtstage . So haben die Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks und die Kollegin
Bärbel Höhn jeweils ihren 65 . Geburtstag begangen .
({0})
Ihren 60 . Geburtstag begingen die Kollegin Gabriele
Fograscher und der Kollege Heinrich Zertik.
({1})
Der Kollege Wolfgang Gunkel hat seinen 70 . und der
Kollege Gernot Erler seinen 73 . Geburtstag gefeiert . Ihnen allen noch einmal die geballten guten Wünsche des
Hauses für das neue Lebensjahr!
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen noch
eine Schriftführerwahl durchführen . Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schlägt vor, für den Kollegen Matthias
Gastel die Kollegin Katharina Dröge als Schriftführerin zu wählen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
offenkundig so .
({3})
Noch schöner ist, dass die Betroffene damit einverstanden ist . Das erleichtert die Umsetzung des bevorstehenden Beschlusses . Damit ist die Kollegin Dröge als
Schriftführerin gewählt .
Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:
Aufklärung möglicher rechtsextremer Strukturen in der Bundeswehr
({4})
ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({5}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn
({6}), Kerstin Andreae, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gemeinsam für bezahlbares Wohnen - Lebenswert und klimafreundlich
Drucksachen 18/10027, 18/11020
ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({7})
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Katja Keul, Luise Amtsberg, Renate Künast,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Asylgesetzes zur Beschleunigung von Verfahren
Drucksache 18/12360
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({8})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Kooperationsmodelle im Nachtzugverkehr
stärken
Drucksache 18/12363
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Maisch, Luise Amtsberg, Volker Beck ({9}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kontogebühren - Transparenz und Verbraucherschutz erhöhen
Drucksache 18/12367
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({10})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
({11})
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr . Harald Terpe, Katja Dörner, Volker
Beck ({12}), weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zur
Gleichstellung verheirateter, verpartnerter
und auf Dauer in einer Lebensgemeinschaft
lebender Paare bei der Kostenübernahme der
gesetzlichen Krankenversicherung für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung
Drucksache 18/3279
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({13})
Drucksache 18/7517
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({14}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Ulle Schauws, Katja Keul, Kai Gehring, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Provenienzforschung stärken - Bessere Rah-
menbedingungen für einen angemessenen und
fairen Umgang mit Kulturgutverlust schaffen
Drucksachen 18/3046, 18/7532
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({15})
zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz,
Steffi Lemke, Peter Meiwald, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Verbindliche Umwelt- und Sozialstandards in
der internationalen Palmölproduktion veran-
kern
Drucksachen 18/8398, 18/10611
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe ({16}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr . Franziska Brantner, Omid
Nouripour, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kein Frieden und keine Stabilität ohne Men-
schenrechte und Rechtsstaatlichkeit - Für
eine weitsichtige europäische Nachbarschafts-
politik gegenüber den Staaten Nordafrikas
Drucksachen 18/6551, 18/10848
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({17})
zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz,
Kerstin Andreae, Sven-Christian Kindler, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine transparente und geschlechterge-
rechte Haushaltspolitik - Gender Budgeting
als Instrument von Good Governance
Drucksachen 18/9042, 18/11433
f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({18})
zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz,
Ulle Schauws, Anja Hajduk, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Initiative „She Decides“ unterstützen - Die
sexuellen und reproduktiven Rechte und die
Selbstbestimmung und Gesundheit von Frau-
en und Mädchen in Ländern des globalen Sü-
dens stärken
Drucksachen 18/11177, 18/11649
g) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({19})
zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-
Uhl, Oliver Krischer, Kai Gehring, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kein Atommüll-Export aus dem Reaktor AVR
Jülich in die USA
Drucksachen 18/2624, 18/12408
h) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({20}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kordula
Schulz-Asche, Uwe Kekeritz, Ulle Schauws,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Präsident Dr. Norbert Lammert
Die Aids-Epidemie in Deutschland und weltweit bis 2030 beenden
Drucksachen 18/6775, 18/12424
ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Haltung der Bundesregierung zu den Vorschlägen von Präsident Macron im Bereich
der EU-Wirtschafts- und Finanzpolitik, insbesondere zu gemeinsamen europäischen Investitionen
ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE
Sofortiger Abzug der Bundeswehr aus Incirlik
Drucksache 18/12372
ZP 7 Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker
Beck ({21}), Ulle Schauws, Monika Lazar, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Anerkennung der selbst
bestimmten Geschlechtsidentität und zur Änderung anderer Gesetze ({22})
Drucksache 18/12179
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({23})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate
Walter-Rosenheimer, Katja Dörner, Dr . Franziska
Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Stark ins eigene Leben - Wirksame Hilfen für
junge Menschen
Drucksache 18/12374
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({24})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
ZP 9 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis
der Abstammung bei heterologer Verwendung
von Samen
Drucksache 18/11291
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({25})
Drucksache 18/12422
ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({26}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Katja Keul, Katja Dörner, Luise
Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Elternschaftsvereinbarung bei Samenspende
und das Recht auf Kenntnis eigener Abstammung
Drucksachen 18/7655, 18/11785
ZP 11 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({27})
- zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Rates über die Durchsetzung der Richtlinie
2006/123/EG über Dienstleistungen im
Binnenmarkt, zur Festlegung eines Notifizierungsverfahrens für dienstleistungsbezogene Genehmigungsregelungen und
Anforderungen sowie zur Änderung der
Richtlinie 2006/123/EG und der Verordnung ({28}) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des
Binnenmarkt-Informationssystems
KOM({29})821 endg.; Ratsdok. 5278/17
- zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Rates
über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor
Erlass neuer Berufsreglementierungen
KOM({30})822 endg.; Ratsdok. 5281/17
- zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Rates
über den rechtlichen und operativen Rahmen für die durch die Verordnung ... [ESC
Regulation] eingeführte Elektronische
Europäische Dienstleistungskarte
KOM({31})823 endg.; Ratsdok. 5283/17
- zu dem Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates
zur Einführung einer Elektronischen Europäischen Dienstleistungskarte und entsprechender Verwaltungserleichterungen
KOM({32})824 endg.; Ratsdok. 5284/17
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3
des Grundgesetzes
Drucksachen 18/11229 A.8 bis A.11, 18/12426
ZP 12 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines
… Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Wohnungseinbruchdiebstahl
Drucksache 18/12359
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({33})
Innenausschuss
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, wie üblich in solchen Fällen abgewichen werden .
Anstelle von TOP 19 - das ist der Antrag zur Jemen-Politik - soll der Antrag auf der Drucksache 18/12372 mit
dem Titel „Sofortiger Abzug der Bundeswehr aus Incirlik“ unter Beibehaltung der vorgesehenen Beratungszeit
Präsident Dr. Norbert Lammert
von 25 Minuten aufgerufen werden . Der Tagesordnungspunkt 19 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen rückt entsprechend nach hinten .
Nach dem Tagesordnungspunkt 36 soll die Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/12422 zum Entwurf
eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis
der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen in Verbindung mit der Beschlussempfehlung auf
der Drucksache 18/11785 zu dem Antrag mit dem Titel
„Elternschaftsvereinbarung bei Samenspende und das
Recht auf Kenntnis eigener Abstammung“ mit einer Debattenzeit von 25 Minuten beraten werden . Im Anschluss
daran soll die Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/12426 - hier geht es um die Stellungnahme der
Bundesregierung zu mehreren Vorlagen für Richtlinien
und Verordnungen des Europäischen Parlaments zum
Thema „Dienstleistungen im Binnenmarkt“ - ebenfalls
mit einer Debattenzeit von 25 Minuten aufgerufen werden .
Der Tagesordnungspunkt 37 - das ist der Zusammenhang zur Verspätung der heutigen Sitzung -, nämlich
„Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs“,
wird für diese Woche abgesetzt . Stattdessen soll mit einer
Debattenzeit von 60 Minuten der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - hier geht es
insbesondere um Wohnungseinbruchdiebstahl - auf der
Drucksache 18/12359 beraten werden .
Schließlich mache ich noch auf drei nachträgliche
Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam:
Der am 23 . März 2017 ({34}) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({35}) zur
Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der Umweltverträglichkeitsprüfung
Drucksache 18/11499
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({36})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Der am 27 . April 2017 ({37}) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({38}) sowie
dem Ausschuss für Kultur und Medien ({39})
zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes
Drucksache 18/11939
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({40})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Der am 7 . Juli 2016 ({41}) überwiesene
nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für
Wirtschaft und Energie ({42}) zur Mitberatung
überwiesen werden:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Die Nachtzüge retten - Klimaverträglichen
Fernreiseverkehr auch in Zukunft ermöglichen
Drucksache 18/7904
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({43})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Ich frage Sie, ob Sie mit diesem Paket von Veränderungen einverstanden sind? - Ich sehe jedenfalls keinen
Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
15. Entwicklungspolitischer Bericht der Bundesregierung
Drucksache 18/12300
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({44})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss
Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Also können wir so verfahren .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister Dr . Gerd Müller .
({45})
Präsident Dr. Norbert Lammert
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schön,
dass wir beginnen können . Ich glaube, wir bekommen
für die Wartezeit einen Zuschlag von 30 Minuten .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Föderalismus ist
wichtig, aber jetzt geht es um die Zukunftsaufgaben und
Herausforderungen dieses Planeten . Alle vier Jahre legt
die Bundesregierung ihren Bericht zur Entwicklungspolitik vor . Ich kann Ihnen und auch denen, die draußen
zuschauen, sagen: Es ist eines der spannendsten Dokumente . Es lohnt sich, diesen zu lesen .
Die Welt hat sich in diesen vier Jahren dramatisch entwickelt: Kriege in der Ukraine, in Syrien, im Jemen, die
Hungerkrise - bis heute aktuell am Horn von Afrika -,
die Bevölkerungsentwicklung . Jede Woche kommt eine
Stadt wie Berlin, jedes Jahr ein Land wie Deutschland
mit 80 Millionen zusätzlich auf den Planeten . Zwischenzeitlich gibt es 65 Millionen Flüchtlinge, davon rund
90 Prozent in den Entwicklungsländern .
Die Digitalisierung ist auch in Afrika angekommen .
Wir sind vernetzt . Die Globalisierung, Handelswege und
Wertschöpfungsketten machen die Welt zum globalen
Dorf .
Die Politik - nicht nur die Entwicklungspolitik - muss
sich ändern und hat sich geändert . Das ist zentral: Wir
haben reagiert und uns neu aufgestellt .
({1})
Entwicklungspolitik ist heute nicht mehr Randthema .
Das mögen Sie auf den Tribünen vielleicht noch anders
sehen, weil der Entwicklungsminister auf der Regierungsbank ganz hinten im Eck „drangeklebt“ ist .
({2})
Aber das werden wir in der neuen Legislaturperiode ändern, lieber Volker Kauder . Die Entwicklungspolitik gehört in die Mitte, ins Zentrum - auch im Kabinett .
({3})
Sie fragen natürlich zu Recht: Was passiert? Gibt
es Erfolge? - Ja, ich kann Ihnen sagen: Wir haben mit
dem Klimavertrag von Paris im Jahre 2015 weltweit den
Durchbruch erzielt . Mit der Agenda 2030 haben wir einen Zukunftsvertrag, mit dem wir die globale Entwicklung in den Grenzen unseres Planeten gestalten können .
Es gibt kein Erkenntnisproblem, sondern es gibt jetzt ein
Umsetzungsproblem . Es geht darum, diese Vorgaben in
nationale Politik umzusetzen .
({4})
Diesen Paradigmenwechsel hin zu einer gemeinsamen
Zukunftspolitik gestaltet Deutschland . Federführend
gehen wir voraus . Zwischenzeitlich sind wir unter den
195 Nationen weltweit der zweitgrößte Geber nach den
USA .
({5})
Daran sehen Sie: Die Bundesregierung hat den Stellenwert der Entwicklungspolitik neu definiert und sie
entscheidend aufgewertet . Dafür gilt mein ganz besonderer Dank unserer Bundeskanzlerin und Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen - und zwar aller Fraktionen . Die
einen wollen noch viel mehr - dazu gehöre ich auch -,
die anderen bremsen ein Stück weit . Aber auch hier werden wir in der neuen Legislaturperiode zusätzliche Akzente setzen müssen .
In dieser Legislaturperiode ist der Etat des BMZ um
35 Prozent gestiegen . Während der Kanzlerschaft von
Angela Merkel hat sich der absolute Ansatz verdoppelt .
Das 0,7-Prozent-Ziel ist erstmals erreicht . Es gilt natürlich, das auch für die Zukunft zu halten, auch wenn die
Aufwendungen für Flüchtlinge einmal weniger werden .
Aber ich sage auch: Für Europa - die Europäische
Union, unsere Freunde -, aber auch für die USA sollte
klar sein: Wer das 2,0-Prozent-Ziel bei den Militärausgaben anstrebt, muss erst einmal das 0,7-Prozent-Ziel bei
der Entwicklungshilfe umsetzen .
({6})
Mehr Panzer schaffen nicht mehr Frieden .
({7})
Dafür müssen sich auch einbringen: die Chinesen, die
Russen, die arabische Welt und alle anderen . Es ist nicht
hinnehmbar, dass acht Länder auf der Welt 90 Prozent
des Hilfsvolumens zur Verfügung stellen und die anderen
wegsehen .
Wir können stolz darauf sein, was wir alle gemeinsam
in dieser Legislaturperiode geleistet haben . Dabei freue
ich mich besonders, dass der Stellenwert unserer Aufgabe heute ein anderer ist .
Das zeigt sich nicht nur am Aufwuchs im Haushalt .
Unsere Themen sind auch Schwerpunkt der internationalen Agenda . Denken Sie an den G-7- und an den
G-20-Gipfel . Mein Dank gilt hier besonders unserer
Kanzlerin . Sie handelt national und gestaltet global .
({8})
Ihr Herz schlägt auch für Afrika .
Ebenso erhalte ich große Unterstützung vom Finanzminister . Wolfgang Schäuble setzt jetzt gemeinsam mit
dem BMZ mit der Initiative „Compact with Africa“ einen
ganz neuen Akzent. Unser Marshallplan-Konzept findet
nicht nur hier Unterstützung, sondern auch bei der Afrikanischen Union, im Europäischen Parlament in Brüssel,
wo es in dieser Woche Thema ist, und in den einzelnen
Ressorts . Wichtig ist mir: Wir beschreiben nicht nur Probleme und Herausforderungen, wir haben Lösungen .
({9})
Ich möchte Ihnen das kurz andeuten:
Wir bekämpfen das Kriegs- und Flüchtlingselend . In
den vergangenen vier Jahren haben wir 12 Milliarden
Euro in den Krisengebieten der Welt - vor Ort - investiert . Damit haben wir Überleben gesichert und Kindern - allein in und um Syrien herum waren es 1 Million
Kinder - Schulbesuch und Ausbildung ermöglicht . In
der Türkei wurden 8 000 Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet, um in den Flüchtlingscamps zu unterrichten . Wir
haben Beschäftigung geschaffen . Das Programm „Cash
for Work“ erleichtert eine Rückkehr . Auch den Wiederaufbau haben wir eingeleitet, meine Damen und Herren .
Eine Welt ohne Hunger ist möglich . Das ist keine Vision . Hunger ist Mord, weil wir eine Welt ohne Hunger
schaffen können .
({10})
Wir zeigen, wie es geht . Wir reden nicht nur . Die 14 Innovationszentren in Afrika und Indien zeigen, wie wir die
Nahrungsmittelproduktion steigern können .
Wir investieren in nachhaltige Klima- und Umweltkonzepte . Ich habe vergangene Woche in China mit dem
chinesischen Handelsminister ein gemeinsames Zentrum
für nachhaltige Entwicklung auf den Weg gebracht . Mit
Indien werden wir demnächst hier in Deutschland Verträge unterzeichnen, um die Solarpartnerschaft weiter
voranzubringen .
Mit Projekten in Höhe von 1,5 Millionen Euro liegt
unser Schwerpunkt in Afrika . Der Marshallplan zeigt die
Herausforderung, aber auch die Lösungswege . Wir stärken Frauen . Wir stärken die Bildung und sind bei der Bildung größter bilateraler Geber . Mein Ziel ist, 25 Prozent
des Etats für Bildung bereitzustellen . Bildung, Bildung,
Bildung ist die Voraussetzung für Entwicklung .
({11})
Wir sind erfolgreich im wichtigen Feld der Gesundheit . Ebola ist in diesen Tagen wieder aufgetreten . Wir
bauen Strukturen zur Hilfe in Westafrika . Unser Beitrag - den Kolleginnen und Kollegen dafür vielen Dank bei GAVI und GFATM wurde wesentlich erhöht .
Wir schaffen neue Strukturen, was mir ganz besonders
wichtig ist . Mit öffentlicher Entwicklungszusammenarbeit lösen wir die Probleme und die Herausforderungen
der Welt nicht . Wir brauchen dazu mehr Privatinvestitionen . Dazu brauchen wir aber auch ein neues Instrumentarium zur Risikoabsicherung für Privatinvestitionen in
Afrika und in Indien, insbesondere für mittelständische
Betriebe .
Wir brauchen aber auch fairen Handel . Meine Damen
und Herren, nur mit der Verankerung von ökologisch-sozialen Standards in weltweiten Lieferketten, wie wir
dies mit unserem Textilbündnis zeigen, einer Blaupause,
schaffen wir langfristig Gerechtigkeit und Chancenausgleich .
({12})
Standards müssen Standard werden . Die Widerstände
sind noch enorm, auch national . Aber ich sage klar: Die
weltweiten Märkte brauchen Regeln . Ein Markt ohne Regeln führt zu Ausbeutung von Mensch und Natur .
({13})
Globalisierung schafft Chancen, aber auch Verlierer .
Wenn heute 10 Prozent der Weltbevölkerung 90 Prozent
des Einkommens und Vermögens besitzen - 10 Prozent,
das sind Sie und wir alle - und 20 Prozent der Weltbevölkerung - das sind wir in den Industrieländern - 80 Prozent der Ressourcen für unser Leben, für unseren Konsum und für unseren Wohlstand verbrauchen, dann haben
wir ein weltweites Gerechtigkeits- und Verteilungsproblem . Glauben Sie nicht, dass wir unseren Wohlstand auf
Dauer auf dem Rücken Afrikas und der Entwicklungsländer aufrechterhalten können, ohne dass die Menschen
aus diesen Ländern zu uns kommen und sich dann das
holen, was ihnen zusteht .
({14})
Jeder von Ihnen muss und kann mitwirken . Wenn Sie
sich heute früh die Haare gewaschen haben, dann ist in
dem Shampoo Palmöl aus Indonesien enthalten . Sie haben sich Kleidung angezogen, die Näherinnen in Bangladesch für einen Hungerlohn angefertigt haben . Sie haben Kaffee getrunken, für den Kinder in Westafrika die
Kaffeebohnen für einen Hungerlohn, einen Sklavenlohn
geerntet haben . Wir erfreuen uns unseres Wohlstands auf
dem Rücken dieser Länder .
Ein afrikanischer Bischof sagte mir vor kurzem: Afrika ist nicht arm . Ihr habt es arm gelassen . - Das müssen
wir ändern .
({15})
Globalisierung gerecht gestalten, das ist möglich . Es bedarf nur des Willens, des Mutes und der Verantwortung
zur Umsetzung . Ein Weiter-so bei Konsum, Wachstum
und Ressourcenverbrauch weltweit hätte verheerende
Folgen .
Herr Präsident, ich bin sofort am Ende . Ich möchte
Ihnen aber die Folgen aufzeigen .
({16})
Herr Minister, können wir das nicht privat erledigen?
({0})
Die Klimaveränderung hätte verheerende Folgen: Klimaveränderung und Erderwärmung sind in Ostafrika angekommen . Hunger, Katastrophen, Elend, Not und Kriege lösen schon jetzt gewaltige Wanderungsbewegungen
auch in Richtung Europa aus. Deshalb sind wir verpflichtet, auf ein Leben in Würde für alle hinzuarbeiten . Wir
sind verpflichtet, den Planeten Erde, die Schöpfung, für
die kommenden Generationen zu erhalten . Das ist eine
große Aufgabe, eine lohnende Aufgabe für uns alle .
Herzlichen Dank .
({0})
Heike Hänsel erhält nun das Wort für die Fraktion Die
Linke .
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Müller, Sie haben hier wahrscheinlich schon
für den Evangelischen Kirchentag nächste Woche geübt .
({0})
Sie sind ein Minister mit guten Losungen und Sprüchen .
Da können viele klatschen .
({1})
Aber leider füllen Sie diese Sprüche nicht mit Leben . Sie
haben sich in diesen vier Jahren in Tausenden Projekten
und vielen Sonderinitiativen verloren . Sie sind aber die
ungerechten Strukturen, die Sie hier kritisieren, nicht angegangen . Das ist überfällig .
({2})
Erstens: die Handelspolitik der Europäischen Union .
Jetzt, am Ende Ihrer Amtszeit, sprechen Sie von fairem
Handel . Was haben Sie denn vier Jahre lang gemacht?
Die EU hat die Freihandelsabkommen mit Afrika vorangetrieben . Ein Veto von Ihnen, und wir hätten diese
Freihandelspolitik stoppen und wirklich fairen Handel
ausgestalten können .
({3})
Sie haben da nichts gemacht . Die Bilanz ist gleich null .
({4})
Sie sprechen davon . Aber statt zu handeln, haben Sie
einen Marshallplan für Afrika mit millionenschweren
Sonderinitiativen aufgelegt . Das ist kein Ersatz für die
Erneuerung, für die Veränderung und Ausgestaltung gerechter Handelsstrukturen . Wenn wir endlich eine gerechte Handelspolitik hätten, dann bräuchten wir keine
Millionen für Entwicklungsprojekte . Hier ist auch die
SPD, muss ich sagen, mitverantwortlich . Denn auch
Sigmar Gabriel hat den Freihandel - CETA, TTIP - massiv vorangetrieben . Da gab es keine Richtungsänderung .
Deswegen: Wer Fluchtursachen und Armut in den afrikanischen Ländern bekämpfen will, muss diesen tödlichen
Freihandel stoppen .
({5})
Zweitens . Sie fordern menschenwürdige Arbeitsbedingungen in den Unternehmen und gerechte Entlohnung
unter dem Eindruck der Katastrophen in der Textilindustrie in Südostasien . Richtig so! Aber was ist am Ende dabei herausgekommen?
({6})
Wir haben ein unverbindliches Textilbündnis, einen unverbindlichen nationalen Aktionsplan für die Wirtschaft
und ein freiwilliges Mitmachprogramm für die Unternehmen . Ja, wo leben Sie denn eigentlich? Wir brauchen
gesetzliche Regelungen, damit Unternehmen soziale und
ökologische Standards einhalten .
({7})
Das ist kein freiwilliges Mitmachprogramm .
({8})
Es gibt auch gute Initiativen bei den Vereinten Nationen . Eine ganz wichtige Initiative ist die sogenannte
Treaty Initiative, die sich darum bemüht, ein weltweites
Unternehmensstrafrecht durchzusetzen, um globale Konzerne sanktionieren zu können .
Aber was macht die Bundesregierung? Sie boykottiert
diese Initiative . Das ist ein Armutszeugnis für Sie, Herr
Müller . Wir fordern, dass endlich solche Initiativen bei
den Vereinten Nationen unterstützt werden .
({9})
Drittens: eine Welt ohne Hunger . Sie haben es erwähnt: die größte humanitäre Katastrophe seit Bestehen
der Vereinten Nationen in Ostafrika . Die Welthungerhilfe
hat gestern wieder kritisiert, dass die Hilfe viel zu spät
kam, und zwar auch von der Bundesregierung .
Wir haben schon vor einem Jahr davor gewarnt, dass
sich solche Katastrophen abzeichnen . Auch die Kriege
tragen dazu bei . Im Jemen hungern 7 Millionen Menschen, weil es einen brutalen Krieg Saudi-Arabiens gegen den Jemen und eine brutale Seeblockade gibt, die
seit zwei Jahren die Hilfslieferungen blockiert . Das ist
kriminell, was dort passiert .
({10})
Und was macht die Bundesregierung? Sie hat die
Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien erhöht, und die
Bundeskanzlerin verspricht auch noch der saudi-arabischen Armee Fortbildungsmaßnahmen und Training hier
bei uns . Das ist eine zynische Politik, und Sie sind mitverantwortlich, wenn dort Menschen sterben, wenn Sie
nichts gegen die Seeblockade Saudi-Arabiens machen
und stattdessen noch Waffen dorthin liefern . Wir wollen,
dass diese Waffenlieferungen gestoppt werden .
({11})
Ich habe es bereits erwähnt: Auf dem Kirchentag in
der nächsten Woche wird es wieder viele wohlfeile Reden
geben: für Entwicklung, die Bekämpfung von Fluchtursachen, den Stopp von Rüstungsexporten und fairen
Handel . Aber hier, wo Sie die Entscheidungen treffen,
machen Sie nichts . Das reicht vielen Entwicklungsorganisationen und Friedensorganisationen . Deswegen rufen
sie auf, nächste Woche, am 27 . Mai, zum Brandenburger Tor zu kommen . Um 15 Uhr wird es dort eine Friedenskundgebung gegen Armut, Ausgrenzung und Krieg
geben . Diese Organisationen fordern endlich die Politik
ein, die Sie hier immer nur versprechen . Ich kann nur alle
einladen, nächste Woche dort hinzukommen . - Sie sind
mit Ihrer Politik gescheitert, Herr Müller!
Vielen Dank .
({12})
Das Wort hat nun der Kollege Stefan Rebmann für die
SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
will zu Beginn meiner Rede den zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den Kolleginnen und Kollegen
im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, für die geleistete Arbeit - auch für
die Erstellung dieses Berichtes - danken .
Wir debattieren ja über die Frage: Was hat uns in den
vergangenen Jahren hier bewegt? Der Herr Minister hat
ja schon auf das eine oder andere hingewiesen . Ich erinnere an die Ebolakrise und in dem Zusammenhang auch
an das Stichwort „Gesundheit“ . Das wird ja auf dem G-7und dem G-20-Gipfel eine große Rolle spielen . Mir ist
schon wichtig, noch einmal zu sagen, dass wir hier im
Parlament über alle Fraktionen hinweg vehement dafür
gekämpft haben, dass mehr finanzielle Mittel in den Gesundheitsbereich gesteckt werden bzw . dass der GFATM
deutlich aufgestockt wird .
Ich will auch noch einmal an das Unglück in Bangladesch - Stichwort „Rana Plaza“ - erinnern . Danach ist
dann das Textilbündnis entstanden . Und es folgte auch
eine öffentliche Debatte in Deutschland über die Fragen:
Wer zahlt denn eigentlich für unseren Konsum? Und
was bedeutet das denn eigentlich? Des Weiteren erinnere
ich an den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte, bei dem es um menschenrechtliche Sorgfaltspflichten in Unternehmen geht, sowie an den Streit,
den wir insbesondere mit dem Finanzministerium bzw .
mit Herrn Fuchtel hatten . Außerdem erinnere ich an die
Debatte um die Handelsverträge .
Ja, wir haben hier im Parlament zentral über die
Flucht- und Wanderungsbewegungen debattiert . Wir alle
haben - das ist auch ein Punkt, bei dem ich auf das Parlament stolz bin - dafür gesorgt, dass der Entwicklungsetat
deutlich angestiegen ist . Herr Minister, Sie haben mit der
Art und Weise, wie Sie Projekte angehen und diese auch
öffentlich ansprechen, mit dafür gesorgt, dass Entwicklungspolitik in der Öffentlichkeit einen ganz anderen Fokus bekommen hat .
({0})
Ich finde, das ist positiv. Man darf das auch nicht kritisieren .
Ich sage aber auch: Entwicklungspolitik ist weit
mehr als nur Öffentlichkeitsarbeit . Entwicklungspolitik
darf sich nicht darauf reduzieren lassen, nur Flucht- und
Wanderungsbewegungen zu bekämpfen. Ich finde, Entwicklungspolitik ist - neben all den Aufgaben, die wir
haben - auch Friedenspolitik, Zukunftspolitik und globale Strukturpolitik . Entwicklungspolitik braucht nachhaltige Strategien . Wir brauchen Zeit . Entwicklungspolitik
braucht vor allen Dingen auch eine verlässliche Finanzierung .
Damit bin ich mitten drin im Thema Sonderinitiativen .
Mit den Sonderinitiativen - das kritisiere ich auch nicht wurde ja viel erreicht . Aber: Mit dem stetigen Anwachsen der Sonderinitiativen haben wir in vielen anderen
Bereichen - insbesondere bei den Durchführungsorganisationen - für erhebliche Schwierigkeiten gesorgt . Das
ging so weit, dass eine ganze Reihe von Projekten nicht
mehr durchgeführt werden konnte. Ich finde, das war ein
großer Fehler . Das müssen wir ändern . Wir müssen die
Sonderinitiativen auf ein erträgliches Maß zurückführen, damit wir wieder mehr Geld für unsere eigentlichen
Kernaufgaben geben können .
({1})
Noch einen weiteren Punkt will ich ansprechen .
Ich finde es gut, wenn bei jeder Gelegenheit - Sie haben es hier ja wieder gemacht, Herr Minister - soziale,
menschenrechtliche und ökologische Standards bzw .
Mindeststandards in den globalen Lieferketten eingefordert werden . Es gibt mir dann aber zu denken, dass
Sie Handelsabkommen mit Afrika unterzeichnet haben,
die keinerlei wirksame Fördermaßnahmen bzw . entwicklungspolitische Maßnahmen beinhalten, und dass Sie
gleichzeitig bei der Vorstellung des Marshallplans diese
Entwicklungspartnerschaften mit Afrika wieder kritisieren . Das gibt in Gänze keinen Sinn .
({2})
Abschließend - weil meine Zeit abläuft - möchte ich
sagen: Dieser entwicklungspolitische Bericht enthält
eine gute Analyse und eine gute Beschreibung, ist mir
aber in den Maßnahmen viel zu unkonkret .
({3})
Als Fußballer sage ich: Eine ordentliche Mannschaftleistung, aber der Kapitän rennt leider viel zu oft ins Abseits
und erzielt mehr Lattentreffer als Tore . Ein weiteres Problem ist, dass er einen Mitspieler aus dem Schwarzwald
hat, der gerne Messi wäre, aber leider nur über die technischen Möglichkeiten eines Berti Vogts verfügt .
Herzlichen Dank .
({4})
Na ja, gut . - Uwe Kekeritz ist der nächste Redner für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister Müller, Sie haben Ihren Bericht zuerst der
Presse und einen Tag später dem Parlament vorgelegt .
Jetzt könnte man sagen: Was kommt er da mit solchen
Lappalien? Was soll denn das Ganze? - Aber, Herr Minister, Regieren und der Umgang mit dem Parlament
haben sehr viel mit Stilfragen zu tun . Ihr Prinzip „Das
Parlament kann sich ja über die Presse rechtzeitig informieren“ ist völlig daneben .
({0})
Mit solchen Kapriolen, Herr Müller, belegen Sie, dass
Sie das Prinzip „Good Governance“ nicht wirklich ernst
nehmen . Während Sie in der ganzen Welt von Land zu
Land fahren und gute Regierungsführung einfordern,
ignorieren Sie zu Hause die Rechte des Parlaments . Ich
halte das für unglaubwürdig .
({1})
Sie haben Entwicklungspolitik immer in erster Linie
als PR-Arbeit verstanden; der Kollege Rebmann hat bereits darauf hingewiesen . Das belegt auch Ihr Bericht .
Was Sie in diesem Bericht präsentieren, hat oftmals
märchenhafte Züge . Anstatt eine ehrliche Bilanz nach
professionellen Standards vorzulegen, schreiben Sie im
Plauderton über einzelne Projekte, garnieren dies mit
unwichtigen geografischen Fakten und erklären den Leserinnen und Lesern, dass alles wunderbar ist und dass
vor allen Dingen alles völlig neu ist . Sie haben sich auf
den rund 200 Seiten des Berichts gerade einmal auf einer
halben Seite des DAC Peer Reviews angenommen . Sie
wissen, welche Bedeutung dieser Review hat . Er ist für
uns die entwicklungspolitische Richtlinie . Sie sollten ihn
einmal lesen; denn dort steht viel Interessantes für Ihre
Arbeit .
Dieser Bericht fordert zum Beispiel eine verstärkte internationale Arbeitsteilung und eine Reduzierung
auf wenige Partnerländer . Auch Sie sagen ständig: Das
Gießkannenprinzip muss weg . - Tatsächlich hat sich die
Anzahl der Partnerländer erhöht, genauso wie die Anzahl
der Themen, die Sie in den einzelnen Ländern aufgreifen .
Der Bericht fordert das Erstellen eines ressortübergreifenden Konzepts für Politikkohärenz . Wir müssen jedoch
heute feststellen, dass wir uns von der Kohärenz immer
weiter entfernen, anstatt dass wir uns ihr annähern .
({2})
Der Bericht fordert mehr Transparenz, eine Beendigung
der Lieferbindung und eine stärkere Konzentration der
ODA-Mittel auf die ärmsten Länder, auf fragile Staaten .
Aber Sie haben zugunsten der Middle Income Countries
umgeschichtet . Das ist kein Erfolg .
Des Weiteren wollten Sie den Welthunger mit grünen
Zentren bekämpfen . Sie behaupten, die textile Lieferkette
durch Ihr Textilbündnis auf ein nie dagewesenes Niveau
zu verbessern . Es geht aber noch toller: Die deutsche
Entwicklungszusammenarbeit wollen Sie durch Ihren
Marshallplan vom Kopf auf die Füße stellen . Herr Minister, als guter Katholik sollten Sie bitte schön die Kirche
im Dorf lassen . Ihre Ansätze sind weder neu noch innovativ . Ihr Marshallplan hat nichts mit Marshall zu tun .
Sie sollten ihn eher Washington Consensus II nennen .
Das würde aber keiner verstehen . Deshalb nennen wir
ihn besser Müller-Plan . Dieser wird aber von der DIHK,
dem Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft, der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft rundweg abgelehnt . Um
nur einen Kritikpunkt dieses Plans zu nennen: Der Plan
erweckt falsche Vorstellungen . Das musste die Kanzlerin
schmerzhaft erfahren, als sie im Niger den Präsidenten
besuchte, der von Ihrem Marshallplan gehört hatte . Der
Präsident sagte tatsächlich: Wie wäre es denn mit 1 Milliarde? Die könne er gut gebrauchen . - Die Kanzlerin hat
dann 17 Millionen Euro zugesagt .
({3})
Die Förderung der Privatwirtschaft ist nun wirklich
nicht Ihre Erfindung, sondern ist schon immer Bestandteil der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gewesen .
({4})
Das sollten auch Sie von der SPD sich einmal zu Herzen
nehmen . Ihre damalige Ministerin hat in diese Richtung
schon längst gearbeitet . Sie sollten sich nicht vorgaukeln
lassen, dass das eine neue Erfindung ist.
Private Investitionen werden natürlich auch von uns
gefordert . Sie müssen allerdings bestimmte Kriterien
erfüllen, die in Deutschland selbstverständlich sind . Die
Rahmenbedingungen für die Investitionen werden von
den SDGs definiert. Lesen Sie doch einfach einmal den
Grünenantrag zum Thema „Globale Investitionen gestalten“ . Darin steht viel, wie man es richtig macht .
Ihre Konzepte, von der Afrika-Strategie über die Zukunftscharta bis zum Marshallplan - das ist eine Kritik,
die Sie sich wirklich zu Herzen nehmen sollten -, wurden nicht im Kabinett abgestimmt . Aber das macht einem PR-Strategen natürlich nichts aus . Hauptsache, man
kommt groß in die Medien . Herr Müller, Sie sind nicht
teamfähig .
({5})
Ihre Einmannshow hat inzwischen weitreichende Folgen; denn die Gelder - Kollege Rebmann hat darauf hingewiesen -, die Sie medial wirksam in Ihre Sonderinitiativen pumpen, fehlen an anderer Stelle schmerzhaft .
({6})
Die GIZ, aber auch viele NGOs leiden unter der Umlenkung dieser Mittel . Gut funktionierende Projekte müssen eingestampft werden . Sie opfern gute Projekte Ihren
medialen Zielen . Sorry, Herr Müller, da haben Sie etwas
in der Entwicklungspolitik völlig falsch verstanden . Die
geht nämlich anders .
({7})
Auch mit Ihren Äußerungen zur Handelspolitik haben Sie landauf, landab richtig Furore gemacht . Aber
wo waren Sie denn, als diese Handelsverträge in Brüssel
unterschrieben wurden? Ich habe es ganz vergessen: Sie
waren am Verhandlungstisch . Da hat die Kollegin Hänsel
völlig recht .
({8})
Wie wollen Sie den Menschen im Land erklären, warum Sie sich in Ihren Hochglanzbroschüren seitenweise
über fairen Handel auslassen, um dann in Ihrem eigenen
Verantwortungsbereich nichts zu machen? Auch Ihrem
Haus ist schon längst klar, dass diese Verträge für Afrika
schädlich sind . Ich meine nicht nur, aber auch Milchpulver, Hähnchenteile, eingedoste Tomaten und, und, und .
Das alles sind Produkte, die die afrikanischen Länder
selbst herstellen können, es sei denn, sie werden durch
Handelsverträge, die Sie mitverantworten, genötigt, ihre
Grenzen für diese Produkte zu öffnen . Dann haben die
afrikanischen Länder keine Chance mehr . Damit zerstören Sie den größten und wichtigsten Sektor in diesen
Ländern, nämlich die Landwirtschaft .
({9})
Damit fördern Sie - das müssen Sie wissen, Herr Minister - wissentlich den Fluchtdruck von Millionen von
Menschen . Ein Stopp der EPAs wäre effektive Fluchtursachenbekämpfung, die Ihnen angeblich so wichtig ist .
Wenn Ihnen aber wirklich daran gelegen ist, hätten Sie
als deutscher federführender Minister in Brüssel Verbesserungen einbringen müssen und können .
({10})
Wie haben Sie sich überhaupt im Kabinett oder im
Bundessicherheitsrat eingebracht? Sie hätten zum Beispiel eindeutig gegen Rüstungsexporte Stellung nehmen
müssen . Wann haben Sie jemals gegen Waffenlieferungen, zum Beispiel nach Saudi-Arabien, gestimmt?
({11})
Sie hätten den Umwelt- und Menschenrechtsschutz
bei Investitionen entlang der Lieferkette gesetzlich verankern müssen . Sie haben das nicht einmal versucht .
Über Strukturpolitik reden, aber nichts machen, ist Ihre
Stärke . Damit zeigen Sie auch, dass Ihre vermeintlichen
Fluchtursachenbekämpfungsmaßnahmen nur ein Lippenbekenntnis sind . Deutschland und die EU verlagern
lieber die europäischen Grenzen nach Afrika, auch wenn
dafür skandalöse Verträge mit Diktatoren notwendig
werden .
Wir diskutieren heute einen wirklich mageren Bericht,
eine magere Bilanz . Wie mager diese Bilanz ist, können
Sie unserem Entschließungsantrag entnehmen . Dort haben wir allerdings nur die wichtigsten Kritikpunkte aufgeführt .
({12})
Mein Blick geht jetzt zur Regierungsbank . Herr Minister, das erinnert mich irgendwie an Jim Knopf und
Lukas den Lokomotivführer . Sie wissen, beide haben
lange gebraucht, bis sie das Problem mit dem Scheinriesen erfasst haben . Ihre Zeit ist abgelaufen . Wir haben den
Scheinriesen Müller entdeckt, und wir wissen auch, was
dahintersteckt . Nach fast vier Jahren ist Ihr Zauber vorbei . - Herr Präsident, ich komme zum Schluss . - Sie haben sehr hoffnungsvoll mit viel grüner Rhetorik begonnen . Sie hatten am Anfang auch die grüne Unterstützung .
Am wenigsten wurden Sie von Ihrer Fraktion unterstützt .
({13})
Jetzt stellen wir fest, dass die letzten vier Jahre entwicklungspolitisch leider verloren sind . Man muss sagen:
Diese Zeit haben wir nicht mehr .
({14})
Herr Kollege!
Wir haben keine Zeit mehr, um sie einfach zu verspielen .
({0})
Es gilt, zu handeln, nicht nur zu reden .
Danke .
({1})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin
Dagmar Wöhrl das Wort .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
weiß nicht, lieber Uwe Kekeritz, wer dir das aufgeschrieben hat .
({0})
Vielleicht solltest du dein Redemanuskript in der Zukunft
vorher richtig durchlesen . Das bist nicht du; so redest du
normalerweise auch nicht .
({1})
Bleib identisch, wenn du hier sprichst . Ich habe dich jetzt
zwei Legislaturperioden im Ausschuss erlebt und muss
feststellen: Der andere Uwe Kekeritz ist mir viel lieber .
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine erste entwicklungspolitische Rede im Bundestag hielt ich 2010
in einer Haushaltsdebatte . Thema damals waren die
Auswirkungen der internationalen Finanzkrise auf die
Entwicklungsländer . Die Weltbank hatte gerade veröffentlicht, dass die Zahl der ärmsten Menschen der Welt
bei 64 Millionen liegt, dass es 43,7 Millionen Flüchtlinge
gibt und 49 000 Opfer von gewaltsamen Konflikten. Damals wurden die Entwicklungspolitiker noch als eine Art
Exoten mit der Ethik von Gutmenschen betrachtet . Heute ist es so, dass die Entwicklungspolitik die Tagesordnungspunkte internationaler Zusammenkünfte bestimmt,
etwa bei Treffen der G 20 . Die Entwicklungspolitik steht
im Mittelpunkt des Geschehens bei internationalen Verhandlungen .
Wir haben gelernt, dass die Herausforderungen leider
nicht kleiner geworden sind, sondern viel größer . Man
hat das Gefühl, im Modus einer Dauerkrise zu sein: Die
Flüchtlingszahlen sind von damals 43,7 Millionen auf
65 Millionen gestiegen . Ein El Niño hat in Äthiopien
die stärkste Dürrekatastrophe seit 50 Jahren hervorgerufen. Die Hungerkrise als Folge von Konflikt und Gewalt
steigt so an, dass 50 Millionen Menschen allein im Osten
und im Süden von Afrika auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind . Uns droht, dass allein durch den Klimawandel bis 2050 über 200 Millionen Menschen auf der Flucht
sein werden .
Diese Zuspitzung der Krisen in einer ganz neuen Dimension hat uns gezwungen, schnelle Reaktionen zu
zeigen, zum Beispiel mit der Versorgung der Flüchtlinge
rund um Syrien und mit der Stabilisierung der Gemeinden in den Nachbarländern rund um Syrien . Wir haben
durch unsere Politik, durch unser Engagement vor Ort
verhindert, dass ganze Regionen dort in Brand geraten
sind, und haben hier langfristig die richtigen Prioritäten gesetzt . Es war richtig, dass der Minister gleich am
Anfang dieser Legislaturperiode das Thema „Flucht und
Vertreibung“ in den Mittelpunkt seiner Arbeit gestellt
hat . Andere waren noch weit davon entfernt . Wir haben
hier von Anfang an den richtigen Akzent gesetzt .
({3})
Wir haben innovative Instrumente wie Cash for Work
genutzt . Wir haben Sonderinitiativen wie „EINEWELT
ohne Hunger“ gestartet, die sehr erfolgreich sind . Es
gibt inzwischen über 14 Innovationszentren auf der
Welt, Tendenz steigend . Wir haben auch erkannt, dass
die Zusammenarbeit zwischen Entwicklungspolitik und
Sicherheitspolitik im Rahmen eines vernetzten Ansatzes
wichtig ist und die Trennung, die über viele Jahre hinweg
aus ideologischen Gründen vollzogen worden ist, aufgehoben werden musste .
Wir sind den richtigen Weg gegangen . Das wird vor allem daran deutlich, dass inzwischen 1,5 Milliarden Menschen in fragilen Staaten leben . Diese Menschen haben
fast keine Gesundheitsversorgung . Die Kinder können
nicht zur Schule gehen; sie sind von Bildung weitgehend
abgeschnitten . Diese Menschen haben keine Perspektive für sich und auch keine Perspektive für ihre Kinder .
Sie haben täglich Angst vor Übergriffen . Sie fragen nicht
nach Ideologien . Sie wollen Hilfe von der internationalen
Gemeinschaft, und sie wollen auch Hilfe von uns .
Als ich angefangen habe, mich im Deutschen Bundestag mit der Entwicklungspolitik zu beschäftigen - ich
war vorher im Bereich der Wirtschaftspolitik tätig -,
habe ich gemerkt, dass starke rote Linien gezogen worden sind, wenn es um die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft ging . Ich bin froh, dass wir erkannt haben,
dass wir allein mit öffentlichen Mitteln unsere Ziele nicht
erreichen können . Wir können die Ziele der Agenda 2030
nicht nur mit Steuermitteln erreichen; wir brauchen dazu
die Privatwirtschaft . Deswegen ist es richtig, dass sich
der Minister dieser Sache mit seinem Marshallplan mit
Afrika angenommen hat und die Privatwirtschaft mit ins
Boot geholt hat .
({4})
Er hat die Privatwirtschaft aber nicht nur mit ins Boot
geholt, er nimmt sie in der Zukunft auch mit in die Verantwortung .
Wir konzentrieren uns auf viele neue Felder .
({5})
Wir haben erkannt: Mit dem Gießkannenprinzip, das die
Entwicklungspolitik über viele Jahrzehnte hinweg geprägt hat, hat man nicht die Ergebnisse erzielt, die man
erzielen wollte . Wir müssen uns auf wichtige Themen
konzentrieren . Eines dieser wichtigen Themen ist Bildung; das hat der Minister vorhin zu Recht angesprochen . Deswegen ist es wichtig, dass wir Deutsche versuchen, unsere Kompetenzen, die wir haben, in anderen
Ländern zu implementieren,
({6})
wie die duale Ausbildung . In diesem Bereich sind wir gut,
da sind wir Weltmeister . Deswegen fördern wir Berufsbildungszentren überall auf der Welt, wo es möglich ist,
um jungen Menschen, die in ihren Ländern hoffnungslos
sind und keine Perspektiven haben, die Möglichkeit zu
geben, dort einen Job zu finden.
Ich bin froh, dass wir es in den letzten vier Jahren
geschafft haben, von dem Gedanken wegzukommen,
dass die Entwicklungsländer Nehmerländer sind . Das ist
wichtig . Wir können nicht sagen: Ihr, die Entwicklungsländer, seid die Nehmerländer, und wir sind die Besserwisser . - Das ist falsch . Ich bin froh, dass das erkannt
worden ist .
({7})
Wir sprechen von Partnerschaft auf Augenhöhe, aber
wir fordern auch ein . Wir geben den Entwicklungsländern nicht nur Geld, sondern sagen ihnen auch, dass sie
Eigeninitiativen entwickeln müssen, dass sie auch Eigenverantwortung zeigen müssen, dass sie ihre Aufgaben
machen müssen; ansonsten können sie von uns in der
Zukunft keine Hilfe mehr erwarten .
Frau Kollegin .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde ermahnt .
Deswegen höre ich jetzt auch auf . Ich war ja immer anständig und brav .
Viele von Ihnen wissen, dass ich nicht mehr für den
Deutschen Bundestag kandidieren werde . Ich nehme an,
dass dies nach 23 Jahren meine letzte Rede sein wird .
Ich habe nicht gezählt, wie viele Reden ich im Deutschen
Bundestag gehalten habe, nicht in Bonn und auch nicht
hier in Berlin . Aber ich habe eines erlebt: Wir hatten immer eine sehr faire Streitkultur . Dafür möchte ich mich
ganz herzlich bedanken . Wir haben uns gekabbelt, aber
hatten immer auch Respekt vor der Meinung des anderen
und haben das immer auch ausgedrückt . Ich möchte mich
bei meinen Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich für
die Zusammenarbeit bedanken . Diese Streitkultur wird
mir fehlen; das ist ganz klar . Ich bin damals vor 23 Jahren
als Quereinsteigerin in die Politik gekommen . Das war
zu einer Zeit, als viele Kollegen noch gedacht haben, die
Frauen wären am besten im Familienausschuss und im
Gesundheitsausschuss aufgehoben . Ich war damals als
erste Frau im Wirtschaftsausschuss ein Exot .
Frau Kollegin .
Ich bin meinen Weg gegangen .
Vielleicht noch ein Satz zum Schluss: Der Gerichtshof
meiner politischen Verantwortung war immer mein persönliches Gewissen, wie es auch das Grundgesetz vorschreibt . Ich sage immer: Eine Partei mag Orientierung
sein - das ist vielleicht mein letzter Satz -, aber sie kann
das eigene Gewissen nicht ersetzen . Das möchte ich hier
noch einmal sagen . Ich hatte immer Freude daran, zu gestalten . Das werde ich auch weiterhin tun, in der einen
oder anderen Funktion . Der Entwicklungszusammenarbeit werde ich auf jeden Fall erhalten bleiben .
Ein Dank geht zum Schluss an die vielen fleißigen
Helfer . Das darf ich zum Schluss, Herr Präsident, vielleicht noch sagen .
({0})
- Das muss ich noch sagen .
Sie hatten vor geraumer Zeit einen letzten Satz angekündigt, Frau Kollegin .
Ja, aber das gestehen Sie mir heute zu . - Ich möchte
Dank sagen an die vielen Saaldiener, die uns immer sehr,
sehr nett und freundlich betreuen, an die Stenografen und
an die Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Dienstes, also
an die vielen Fleißigen, die hinter den Kulissen tätig sind
und die man im Fernsehen oft nicht sieht .
({0})
- Das stimmt, aber leider nicht hier . - Ein Dankeschön
auch an meine Wählerinnen und Wähler, dass ich hier
sein durfte!
({1})
Vielen Dank .
({2})
Ich gebe diesen Dank gerne zurück, Frau Kollegin
Wöhrl, verbunden mit allen guten Wünschen für die
weitere Zukunft . Ich bitte nur um Berücksichtigung des
folgenden Zusammenhangs: Wir werden in den wenigen
verbleibenden Plenardebatten häufiger vergleichbare
Konstellationen haben, dass Kolleginnen und Kollegen
zum letzten Mal in diesem Hohen Hause das Wort ergreifen . Das verfolgen wir alle mit ganz besonderem Respekt . Es wäre zu schön, wenn die bei dieser Gelegenheit
vorgesehenen persönlichen Worte in der Nähe der Redezeit untergebracht werden könnten .
({0})
Ansonsten bringt das den jeweils amtierenden Präsidenten in die Schwierigkeit, zwischen der Gewissensfreiheit
der Abgeordneten und der vom Plenum des Bundestages
beschlossenen Gesamtredezeit zum jeweiligen Tagesordnungspunkt einen vertretbaren Mittelweg zu finden.
Der nächste Redner ist der Kollege Movassat, bei dem
dieses Problem hoffentlich nicht auftritt .
({1})
Ich mache weiter . - Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Die Abschiedsworte dauerten fast so lange
wie meine vier Minuten Redezeit . Ihnen alles Gute, Frau
Wöhrl!
Herr Müller, eines muss ich Ihnen tatsächlich lassen:
Sie haben wirklich einen sehr guten Redenschreiber . Er
hat dafür gesorgt, dass Sie in dieser Legislaturperiode oft
den richtigen Ton getroffen haben . Da sagten Sie dann
Dinge, die wir Linken auch sagen, zum Beispiel, dass der
reiche Teil der Welt nicht auf Kosten der Armen leben
darf .
({0})
Aber das Problem ist: Sie haben in den letzten vier Jahren
eine komplett gegenteilige Politik betrieben .
({1})
Ihre Entwicklungspolitik war eben nicht nachhaltig .
Statt schöner Worte hätten wir Linke uns gute Taten gewünscht .
({2})
Schauen wir uns die realen Ergebnisse Ihrer Politik
an .
Erstens . Sie bekämpfen Flüchtlinge, nicht die Fluchtursachen . Die GIZ, die Durchführungsorganisation der
deutschen Entwicklungspolitik, arbeitet im Sicherheitsbereich in Ihrem Auftrag mit Diktaturen wie dem Sudan
und Äthiopien zusammen . Ihr Motto lautet: Hauptsache,
es flüchtet niemand mehr nach Deutschland. Hätten Sie
doch nur wirklich etwas gegen die Fluchtursachen getan,
zum Beispiel, indem Sie in der Bundesregierung laut und
klar Ihre Stimme gegen die neoliberalen und entwicklungsfeindlichen EU-Freihandelsabkommen mit Afrika
erhoben hätten oder indem Sie endlich die Steuerflucht
deutscher Konzerne aus den Ländern des Südens eingedämmt hätten!
({3})
Gerade Letzteres ist wichtig, weil man im Kampf gegen Fluchtursachen natürlich auch Geldmittel braucht .
Das internationale Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit auszugeben, haben Sie nun offiziell erreicht. Aber wir alle
wissen, dass diese 0,7 Prozent auf einem Trick beruhen:
Sie haben die Kosten für die Unterbringung der Flüchtlinge hier in Deutschland mit eingerechnet . Davon haben
die Menschen im globalen Süden genau 0 Prozent . Diese
Zahlenspiele sind peinlich .
({4})
Zum zweiten Punkt Ihrer praktischen Politik . Sie haben einen sogenannten Marshallplan vorgestellt . Er ist
aber eine reine Mogelpackung . Der historische Marshallplan brachte nach heutigen Verhältnissen umgerechnet
die Summe von 130 Milliarden Dollar auf . Ihr Marshallplan umfasst 0 Dollar . Beim Thema Geld verweisen Sie in Ihrem Plan nur schwammig auf die deutsche
Wirtschaft . Aber eigentlich passt dieser Verweis; denn
Ihr Plan zielt auf die Interessen der deutschen Exportwirtschaft . So sprechen Sie vordergründig davon, dass
die Investitionsbedingungen in den Ländern des Südens
verbessert werden sollen . Aber was bedeutet das? Das
bedeutet am Ende doch wieder, dass die Entwicklungsländer, die eine solide Umwelt- und Sozialgesetzgebung
haben, die also ihre Umwelt schützen und die Rechte der
Arbeiter verankert haben, diese Regeln abbauen sollen .
In dieser Logik bekommt das Land Investitionen, das
die niedrigsten Standards hat, und ein Wettbewerb nach
unten entsteht . So bekämpft man keine Armut . So kann
Entwicklungspolitik nicht funktionieren .
({5})
Zum dritten Punkt Ihrer praktischen Politik . Sie sagen,
Sie wollten eine Welt ohne Hunger . Gleichzeitig fördern
Sie aber mit Entwicklungsgeldern die Verbreitung von
Monokulturen, Pestiziden, chemischen Düngemitteln
und patentiertem Saatgut . Ihre Entwicklungspolitik,
Herr Müller, spielt den Türöffner für Unternehmen wie
Bayer-Monsanto und BASF . Damit zerstören Sie die
Existenz von Kleinbauern und machen sie abhängig von
Agrar konzernen . Sie schaffen damit Hunger . Wir brauchen eine Entwicklungspolitik, die Kleinbauern unterstützt und nicht die Profite der Agrarkonzerne vermehrt.
({6})
Viertes Beispiel für „große Worte und nichts dahinter“
ist das Textilbündnis . Wo ist denn am Ende Ihrer Amtszeit der versprochene „Grüne Knopf“ für fair und nachhaltig produzierte Textilien?
({7})
Sie sind vor der Textillobby eingeknickt . Jedes Unternehmen darf jetzt machen, was es freiwillig machen möchte .
Das ist ein schlechter Witz . Herr Müller, Ihre Bilanz haben Sie mit dem wohlklingenden Titel „Entwicklungspolitik als Zukunfts- und Friedenspolitik“ versehen - mal
wieder schöne Worte . Der passende Titel für die Bilanz
wäre aber „Entwicklungspolitik als Phrasendrescherei
und Außenwirtschaftsförderung“ .
Danke für die Aufmerksamkeit .
({8})
Die Kollegin Weber erhält nun für die SPD-Fraktion
das Wort .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Für alle, die ihn noch nicht gesehen
haben: Das ist der entwicklungspolitische Bericht . Für
alle diejenigen, die auf den Tribünen sitzen: Den kann
man sich auch beschaffen .
({0})
- Na ja .
Die Bundesregierung legt mit diesem Bericht Rechenschaft über die Arbeit der letzten vier Jahre ab . Diese Zeit
war von der Gleichzeitigkeit großer Krisen geprägt Kriege, Flucht, Ebola und Hunger -, und alle haben Auswirkungen auf unsere Entwicklungsarbeit . Es geht jetzt
darum, mit welcher Politik wir die 2015 beschlossenen
17 Ziele für nachhaltige Entwicklung erreichen wollen,
in der Welt, aber auch bei uns zu Hause .
In meiner nun bald vierjährigen Doppelrolle als Entwicklungs- und Verteidigungspolitikerin stand für mich
das Thema Sicherheit oft im Fokus . Dabei ist Sicherheit
aber mehr als nur militärisch-polizeiliche Sicherheit . Soziale Sicherheit, gerechte Verteilung von Ressourcen, Ernährungssicherheit und die vor- und nachsorgende Friedensarbeit sind die zweite Seite derselben Medaille .
({1})
Unser Ziel ist eine umfassende menschliche Sicherheit,
die die Grundlage für ein menschenwürdiges Leben bildet und damit zugleich Konflikten vorbeugt.
„Entwicklungschancen fördern, Fluchtursachen mindern und Frieden sichern“, so stellt der Bericht klar, dass
Entwicklungspolitik gerade die strukturellen Ursachen
von Fragilität und Flucht wie das Versagen staatlicher Institutionen, Armut, Ungleichheit, Perspektivlosigkeit und
Klimawandel nur mittel- und langfristig mindern kann .
Das ist das Kerngeschäft von Entwicklungspolitik und
nicht überhastete Feuerwehreinsätze und Sonderinitiativen .
({2})
Es freut mich, dass die Rolle von Frauen bei der Friedenssicherung und der Entwicklung in dem Bericht gewürdigt wird . Frauen sind starke Akteure, aber leider oft
auch Opfer . Beides muss berücksichtigt werden . Die Umsetzung der UN-Resolution 1325 durch unseren zweiten
Nationalen Aktionsplan ist damit auf einem guten Weg .
({3})
Eine friedensorientierte Politik schließt auch eine
zurückhaltende und verantwortungsvolle Rüstungspolitik mit ein .
Diesen Satz in dem Bericht kann jeder von uns, denke
ich, voll unterschreiben . Ihn umzusetzen, Herr Müller,
heißt dann aber auch, dass das BMZ und alle beteiligten
Ressorts sich diesen bei ihren Entscheidungen zu eigen
machen müssen .
({4})
Frieden, Sicherheit und nachhaltige Entwicklung sind
nur in einem vernetzten Ansatz erreichbar . Die neuen
Leitlinien der Bundesregierung zu Krisenvorbeugung
und Friedensförderung wie auch das Weißbuch tragen
dem Rechnung . Nur, Herr Minister: Der Marshallplan
für oder mit Afrika folgt dem Gebot dieser engen Abstimmung nicht . Sie haben ihn alleine gemacht und dann
im Kabinett vorgelegt . Das ist keine Abstimmung im
Sinne vernetzter, vernünftiger Arbeit, die wir dringend
brauchen .
({5})
Noch etwas, weil ich gerade beim Thema Afrika bin .
Im Bericht wird verkündet:
Der Einsatz auf EU-Ebene für eine entwicklungsfreundliche Ausgestaltung aller EU-Handels- und
Investitionsabkommen mit Entwicklungs- und gegenüber Drittländern im Sinne der Agenda 2030 ist
ein zentrales deutsches Anliegen .
Ja, aber wenn es Ihnen damit ernst ist, Herr Minister, so
wie Sie es im Januar im Ausschuss vorgetragen haben,
dann sollten Sie die jetzt vorliegenden EPAs nicht mitbeschließen, sondern Hand in Hand mit uns ablehnen .
({6})
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass wir uns bei
der ODA-Quote nichts vormachen sollten . Die 0,7 Prozent erreichen wir nur dadurch, dass die Kosten für
die Geflüchteten bei uns angerechnet werden. Das ist
OECD-konform . Wenn man das aber abzieht, dann sind
wir bei 0,52 Prozent . Ja, das ist eine gewaltige Steigerung in den letzten drei Jahren; aber wir müssen aufpassen, dass wir das Ziel von 0,7 Prozent im Blick behalten . Noch ein Hinweis: Die multilateralen ODA-Mittel
sind zugunsten der bilateralen Zusammenarbeit massiv
verringert worden . Das bringt uns aber nicht weiter . Wir
müssen mit starken Partnern weltweit multilateral zusammenarbeiten . Das muss unser Ziel sein, um die Agenda 2030 mit Leben zu erfüllen .
Danke .
({7})
Das Wort erhält nun die Kollegin Sibylle Pfeiffer für
die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
meinem Wahlkampfflyer aus dem Jahr 2002 stand sinngemäß: Ich möchte gerne Entwicklungspolitik machen,
weil ich helfen möchte, die Lebensumstände der Menschen vor Ort zu verbessern, damit sie ihre Heimat nicht
verlassen müssen . - Man kann sagen: „Das war weitGabi Weber
sichtig, vorausschauend“, vielleicht auch: „Warst du eine
Hexe? Was hast du damals gesehen?“ . Keine Ahnung,
aber seit 2002 habe ich drei Entwicklungsminister erlebt - eine Entwicklungsministerin, zwei Entwicklungsminister -, und wenn ich den entwicklungspolitischen
Bericht, den wir heute hier diskutieren, betrachte, dann
ist das, was wir jetzt nach vier Jahren Minister Müller
vorlegen, das, was ich mir unter nachhaltiger, weitsichtiger, vorausschauender und effizienter Entwicklungspolitik vorstelle .
({0})
- Das ist keine Kunst?
({1})
Ich möchte gar nicht daran denken, was vorher geleistet
worden ist, also bitte .
Es ist offensichtlich doch eine Kunst, weil es wegweisend war, wie weise, klug und weitsichtig als Erstes
die Sonderinitiativen in Gang gesetzt worden sind „ EINEWELT ohne Hunger“, „Stabilität und Entwicklung in Nordafrika und Nahost“, „Fluchtursachen bekämpfen“ -, lange bevor sich die Probleme überhaupt
erst stellten . Es ist auch weitsichtig, klug und weise, ein
Textilbündnis mit Empathie und Engagement voranzubringen . Das hat unser Minister in den Medien, in der
Öffentlichkeit, in der Gesellschaft vorgestellt, und das
war es, was uns fehlte .
Jawohl, wir gehören in die Mitte der Politik . Wir sind
ein Teil der guten Außenpolitik, die Deutschland an sich
macht . Aber machen wir uns nichts vor, liebe Freunde:
Ich habe das Gefühl, dass wir immer suggerieren, wenn
wir erst einmal genug Geld hätten, wäre alles in Ordnung . Für uns sind 0,7 Prozent das Mantra .
({2})
Haben wir erst einmal 0,7 Prozent erreicht, dann ist die
ganze Welt in Ordnung . Wir suggerieren auch, Deutschland könne die Welt retten .
({3})
Liebe Freunde, wir sind ein ganz, ganz kleiner Teil in
dem großen Rad der internationalen Gemeinschaft . Da
müssen wir uns effektiv einbringen und effizient arbeiten . Da werden wir dringend gebraucht, unsere Ideen und
Strategien, unsere Kenntnisse von den Strukturen vor
Ort, den Gesundheitssystemen, den Bildungssystemen
und Ähnlichem . Da sind wir gefragt . Wenn wir es schaffen, da unsere Arbeit sinnvoll zu machen, dann haben wir
schon sehr viel geleistet .
({4})
Gestatten Sie mir einen kurzen Ausblick auf die Herausforderungen der Zukunft . Was sind die großen Themen? Ein großes Thema ist das Wachstum der Weltbevölkerung . Wie können wir dem begegnen? Der Minister
hat es schon gesagt: hauptsächlich mit Bildung und Ausbildung der jungen Frauen und Mädchen . Wir brauchen
die Frauen in Arbeit . Dieser Prozess ist langwierig, und
dafür brauchen wir Geduld . Das ist es auch, was wir in
der Entwicklungspolitik überhaupt brauchen: einen langen Atem, viel Geduld und viel Mut .
Wir werden als Nächstes vor der großen Herausforderung der Energieversorgung in den sich entwickelnden
Ländern stehen . Das wird eines der Hauptprobleme sein:
Wie bekommen wir die industrielle Entwicklung in den
Ländern, vor Ort, hin, ohne dass wir Industrialisierungsmechanismen in Gang setzen, wie wir sie hatten, aber
heute zum Glück nicht mehr haben? Wir brauchen dort
andere Mechanismen, um eine Entwicklung mit einer anderen Form der Energieversorgung hinzukriegen .
Das Thema Klima . Der Klimawandel ist in den Ländern, in denen wir tätig sind, eigentlich das große Thema
überhaupt . Es geht hier um eine weltweite, internationale Aufgabe, eine Aufgabe der internationalen Gemeinschaft . Dem müssen wir uns stellen, da müssen wir mitmachen, und wir werden es auch hinkriegen, wenn wir
uns ordentlich einsetzen .
Ich glaube, es ist richtig und gut, dass wir die Entwicklungspolitik aus der Ecke herausgeholt haben, in der
das Weltverbesserertum und auch der Altruismus überhandnahmen . Wir sind in der Realität angekommen . Entwicklungspolitik muss realitätsnah sein, muss gewissen
Anforderungen genügen, muss sich daran orientieren,
welche Notwendigkeiten bestehen und wie man die Aufgaben vor Ort mit unseren Partnern erledigen kann . Das
ist das, was wir in Zukunft viel mehr brauchen: nicht sagen, wie es besser geht, sondern die Länder mitnehmen,
vor allen Dingen nicht nur an ihre Eigenverantwortung
appellieren, sondern sie auch massiv einfordern - auch
mit Druck -, Unterstützung nur unter gewissen Voraussetzungen leisten, zum Beispiel unter der Voraussetzung,
dass die Länder auch ihre eigenen Gelder, ihre eigenen
Ressourcen, ihre eigenen materiellen Fähigkeiten, ihre
eigenen geistigen Fähigkeiten einsetzen . Wir brauchen
dabei den Einsatz der Länder, sonst können wir nicht gemeinsam reüssieren .
Was der Entwicklungspolitiker der Zukunft braucht,
sind immer noch ein langer Atem und Geduld, aber vor
allen Dingen Frohsinn, Mut und Zuversicht . Das wünsche ich, liebe Kollegen, all jenen, die sich auch in Zukunft mit Entwicklungspolitik befassen .
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Christoph Strässer .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
mache meine persönliche Erklärung zu Beginn, damit sie
in die Redezeit passt: Es ist voraussichtlich meine letzte
Rede hier, und ich freue mich darüber und bin dankbar
dafür, dass meine Fraktion mir die Gelegenheit gibt, hier
ein bisschen ausführlicher Stellung zu nehmen .
Frau Pfeiffer, ich wollte hier eigentlich eine altersmilde, versöhnliche Rede halten; aber bei zwei Punkten
muss ich den Ton wechseln:
Erstens . Sie haben völlig recht: Der Entwicklungspolitische Bericht ist dick;
({0})
er enthält viele Festlegungen . Aber es ist schon sehr häufig kritisiert worden, dass die Umsetzung an vielen Punkten zu wünschen übrig lässt . Was ich nur sagen wollte:
Einen Quantensprung in der Entwicklungspolitik sehe
ich in der Tat im Vergleich zu dem, was in der letzten
Legislaturperiode hier abgeliefert worden ist . Denn eines haben Sie, Herr Müller, ganz deutlich hingekriegt:
Das, was damals viele - auch von außerhalb, aus der
Zivilgesellschaft - empfunden haben, nämlich dass Entwicklungspolitik zu einer anderen Form von Wirtschaftsförderung geworden ist, ist in Ihrer Politik, auch in dem
Bericht, nicht mehr vorhanden . Ich glaube, das ist ein
Schritt nach vorne .
({1})
Aber ich sage mal: Nach der damaligen Darbietung war
das auch nicht so ganz schwer . Nichtsdestotrotz ist es ein
Schritt nach vorne .
Zweitens, Frau Pfeiffer, möchte auch ich die
ODA-Quote ansprechen . Ja, Sie haben recht: Sie ist in
der Tat ein Symbol für den Zustand der Entwicklungspolitik, und ich bin ganz froh darüber, dass wir eine solche
Benchmark haben . Ich habe es bei meiner letzten Rede
hier schon gesagt: Ich persönlich mache unabhängig von
Parteien schon seit mehr als 40 Jahren in diesem Bereich
Politik, und schon damals wurde das 0,7-Prozent-Ziel
politisch gefordert . Ich will gar nicht thematisieren - es
ist hier alles angesprochen worden -, wieso wir jetzt auf
eine Quote von 0,7 Prozent kommen . Ich habe mal ein
Zitat zu dem Haushalt gelesen, den Sie vorgelegt haben,
insbesondere zur ODA-Quote von 0,7 Prozent, die wir
jetzt erreicht haben . Frau Weber hat es gesagt: Es ist
völlig korrekt, die Quote so zu berechnen, wie es hier
getan wurde . Ich zitiere mal jemanden aus der Zivilgesellschaft, die heute in dieser Debatte - aus meiner Sicht
zu Unrecht - noch gar keine große Rolle gespielt hat,
({2})
nämlich den Vorstandsvorsitzenden von VENRO, einem der größten Partner der Bundesregierung auch bei
der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit . Er hat am
11 . April zu diesem Thema Folgendes gesagt - ich zitiere -:
Damit rechnet sich Deutschland die Ausgaben für
Entwicklungszusammenarbeit schön und bleibt
größter Empfänger seiner eigenen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit .
({3})
Das ist richtig . Er hat es auf den Punkt gebracht . Man
muss sich das nicht zu eigen machen, aber wir alle haben
die Botschaft verstanden und vereinbart, dass wir auch in
Zukunft bei dem 0,7-Prozent-Ziel bleiben wollen .
Lassen Sie mich auf einen weiteren Punkt hinweisen .
Wir und die internationale Gemeinschaft insgesamt haben in den letzten zwei Jahren gute Rahmenbedingungen für die internationale Entwicklungszusammenarbeit
geschaffen . Auf dem Nachhaltigkeitsgipfel im September 2015 wurde mit der Verabschiedung der Nachhaltigkeitsagenda 2030 und der SDGs ein aus meiner Sicht
ganz wichtiger Paradigmenwechsel in der internationalen
Außenpolitik und in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit herbeigeführt . In diesem Zusammenhang
wurde ein Begriff geprägt, den ich sehr treffend finde.
Es wurde gesagt: Ziel ist nicht weniger und nicht mehr
als die „Transformation“ unserer Welt . Ich glaube, das ist
der eigentliche Kern der Agenda 2030; denn mit ihr werden die Ziele und die Möglichkeiten von Entwicklungszusammenarbeit vom Kopf auf die Füße gestellt . Dieser
Paradigmenwechsel ist an der einen oder anderen Stelle
angesprochen worden . Man hat sich darauf verständigt:
Wir müssen weg von der Mentalität, dass die Menschen
in Afrika und Südostasien von uns Almosen erhalten,
und deshalb sind wir die Guten . Nein, liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Nachhaltigkeitsagenda 2030 ist eine
Verpflichtung für alle Staaten und für alle Gesellschaften
auf dieser Erde. Sie ist auch die Verpflichtung uns selbst
gegenüber, unsere Hausaufgaben zu machen . Auf dieser Grundlage werden dann die Angebote an Partner, an
Partnerländer und Partnergesellschaften gemacht . Darauf
müssen wir uns vorbereiten . Aber trotz der Nachhaltigkeitsstrategie, die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, sind wir noch weit von diesem Ziel entfernt .
({4})
Eine kurze Anmerkung zur Mittelverwendung; das
Thema ist hier schon angesprochen worden . Ich will meine Ausführungen anhand eines konkreten Beispiels deutlich machen . Frau Pfeiffer, Sie haben die Sonderinitiativen gelobt . Ja, es ist wichtig und richtig, dass man eine
Reserve hat, um in Notsituationen eingreifen zu können;
ich kenne das speziell aus dem Bereich der humanitären
Hilfe . Nur: Bei der Entwicklungszusammenarbeit geht
es eben nicht um das kurzfristige Stopfen von Löchern,
sondern es geht um eine nachhaltige, zukunftsträchtige
Perspektive, die Standards braucht und auf deren Grundlage man eine langfristige Strategie entwickeln muss .
Das ist durch die Sonderinitiativen aus meiner Sicht nicht
geschehen . Im Gegenteil: Nachhaltigkeit ist im Grunde
genommen verhindert worden .
({5})
Ich will das an einem Beispiel deutlich machen . Wir
haben im Rahmen der Haushaltsberatungen für 2017
Kontakte mit Mitarbeitern des Zivilen Friedensdienstes
gehabt . Der Zivile Friedensdienst betreut Projekte im
Nahen Osten, in der Westbank, in Palästina, die unter
anderem aus Mitteln einer Sonderinitiative des BMZ gefördert worden sind . Auf dem Höhepunkt der Arbeit und
der Mediation ist diese Sonderinitiative ausgelaufen . Die
jungen Mitarbeiter haben uns gesagt: Wir müssen unser
Projekt stoppen; denn eine nachhaltige Finanzierung ist
nicht mehr gewährleistet . - Wenn man Kohärenz und
Prävention will, wenn man militärische Auseinandersetzungen wirklich verhindern will: Wie kann es dann sein,
dass solche wunderbaren Initiativen wie die des Zivilen
Friedensdienstes so wenig gefördert werden, dass man
die Projekte auf dem Höhepunkt ihrer Arbeit einstellen
muss? Das ist der falsche Weg, liebe Kolleginnen und
Kollegen .
({6})
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der auch
schon Thema gewesen ist . In meiner Arbeit auf zahlreichen Tätigkeitsfeldern habe ich mich mit der Entwicklung
auf dem afrikanischen Kontinent auseinandergesetzt .
Neben den vielen wahrnehmbaren positiven Ansätzen
möchte ich eine ganz fundamentale Kritik üben, die in
dieser Debatte schon ein Stück weit eine Rolle gespielt
hat . Es geht um den Marshallplan . Ich möchte jetzt nicht
über den Begriff philosophieren, aber eines wird in der
Diskussion deutlich: Ich erlebe es immer wieder, dass
viele, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, sagen: Marshallplan für Afrika . Das sind nur drei Buchstaben, aber sie zeigen, welche Mentalität dahintersteht . Ich
glaube, da muss man sehr aufpassen .
An Ihrer Strategie finde ich einiges falsch; da bin ich
übrigens nicht der Einzige . Ich habe vor wenigen Wochen an einer Veranstaltung in Ihrem Haus teilgenommen . Hauptreferent war der frühere Bundespräsident
Horst Köhler . Er hat an der Initiative das gelobt, was lobenswert ist, nämlich die Bereitstellung von Fördermitteln für den Privatsektor .
({7})
Er hat aber auch gesagt: Wir können und dürfen uns nicht
auf eine Strategie verlassen, die die Entwicklung in fragilen Staaten aus den Augen lässt . - Das Konzept, Fördergelder in Staaten zu stecken, in denen es nach unserer
Auffassung eine gute Regierungsführung gibt, ist ja nicht
völlig falsch; aber wir müssen auch die fragilen Staaten - das sagen auch Welthungerhilfe und andere -, in
denen die Armut stark zunimmt, mit unseren Initiativen
bedenken . Wir dürfen da keine Arbeitsteilung vornehmen
und sagen: Wir fördern die guten Staaten, und die armen
Menschen in Staaten mit einer schlechten Regierung und
fragilen Strukturen lassen wir außen vor . Das würde zu
einer noch größeren Ausdehnung von Katastrophen, von
Hunger und Armut führen . Damit werden wir zu tun haben .
({8})
Horst Köhler hat einen weiteren Punkt, der aus meiner Sicht sehr wichtig ist, deutlich angesprochen . Er hat
gesagt - jedenfalls habe ich ihn so verstanden -: Wenn
man sich schon auf eine solche Strategie fokussiert, dann
ist es falsch, durch andere Formen der finanziellen Zuwendung, beispielsweise durch den EU Emergency Trust
Fund, durch Programme im Rahmen des Valletta-Aktionsplans und des Khartoum-Prozesses, Regime zu fördern, mit denen wir keine Entwicklungszusammenarbeit
betreiben, dann ist es falsch, denen Geld zu geben, damit
sie Grenzen ausbauen und Grenzsicherung betreiben . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist keine Form
einer nachhaltigen Vermeidung von Fluchtursachen,
sondern das Gegenteil davon . Damit werden wir unserem Anspruch an Entwicklungszusammenarbeit nicht
gerecht .
({9})
Eine letzte Bemerkung: Wir als Bundestag und auch
die Bundesregierung haben versprochen: Leave no one
behind . Wir wollen niemanden zurücklassen . Das haben
wir versprochen . Daran müssen wir uns messen lassen,
hier in diesem Hause und außerhalb, in der Zivilgesellschaft . Dieses Ziel ist noch nicht erreicht . Es lohnt sich,
wo auch immer in den nächsten Jahren und Jahrzehnten
dafür zu kämpfen .
Herzlichen Dank .
({10})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Jürgen Klimke für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Als letzter Redner zu diesem
Tagesordnungspunkt möchte ich die zentralen Punkte des
15 . Entwicklungspolitischen Berichts zusammenfassen .
Allen kritischen Stimmen zum Trotz kann sich die
entwicklungspolitische Bilanz der Bundesregierung
wirklich sehen lassen . Das ist ein persönlicher Erfolg von
Minister Müller,
({0})
aber auch ein Erfolg der Bundeskanzlerin . Sie trägt einen
großen Anteil an diesem Erfolg, da wir als Entwicklungspolitiker in ihr immer eine große Fürsprecherin hatten .
Das muss, glaube ich, deutlich gemacht werden .
({1})
Noch einmal zu den Zahlen: Seit Beginn der Legislaturperiode ist der Etat für den Bereich Entwicklungszusammenarbeit um ein Viertel gewachsen, von 6,3 Milliarden auf 8,5 Milliarden Euro . Das ist nicht mager, lieber
Uwe Kekeritz .
({2})
Das ist keine Phrasendrescherei, lieber Kollege Movassat .
Das ist ein gewaltiger Sprung nach vorn . Das müssen
wir, glaube ich, einmal deutlich machen .
({3})
Wir haben über die erreichte Zielgröße gesprochen:
0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungsausgaben . Wir verschweigen dabei natürlich nicht,
dass dieser Erfolg durch die Anrechenbarkeit der Ausgaben für Flüchtlinge im Inland erreicht wurde . Unser
Ziel in den kommenden Jahren muss es sein, trotz eines
möglichen Rückgangs der Ausgaben für Flüchtlinge das
derzeitige Niveau von 0,7 Prozent zu halten . Wir sollten nicht darunter bleiben, sondern im Gegenteil über
0,7 Prozent hinausgehen .
Was steht hinter diesen schlichten 0,7 Prozent? An folgenden Beispielen lässt sich das verdeutlichen:
Mehr als 1 Million Kinder aus Syrien, der Türkei, dem
Libanon und dem Irak profitieren von den Bildungsangeboten, die das BMZ finanziert. Dadurch haben sie eine
Chance für ihre Zukunft zu Hause .
In den letzten Jahren wurden hunderttausend Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Textilbranche hinsichtlich der Arbeitnehmerrechte geschult .
Auf der Konferenz zur Wiederauffüllung der globalen
Impfallianz GAVI 2015 in Berlin konnte ein Rekordergebnis erzielt werden . Deutschland wird die Allianz bis
2020 mit 600 Millionen Euro unterstützen . Das ist Gesundheitsförderung .
Ich möchte Sie nicht mit weiteren Aufzählungen ermüden .
({4})
Aber ich glaube, es ist wichtig, zu sagen: Die deutsche
Entwicklungspolitik ist auf einem richtigen Weg . Der
200 Seiten starke Bericht macht das detailliert und mit
vielen Beweisen noch einmal deutlich .
Im Lichte der globalen Entwicklungsagenda 2030
zeigt der Bericht aber auch wichtige und notwendige
Weichenstellungen für die Zukunft unseres Planeten
auf . Es geht darum, eine Welt ohne Armut und Hunger
zu schaffen, den Klimawandel zu bekämpfen, Entwicklungschancen zu fördern, Fluchtursachen zu mindern,
Frieden zu sichern, die Weltwirtschaft gerechter zu gestalten und globale Partnerschaften für die Agenda 2030
auf den Weg zu bringen . Mit diesen Weichenstellungen
liegt uns eine Roadmap vor, die Richtlinie für unser Handeln sein muss .
Dies zeigt sich aktuell im Rahmen der deutschen
G-20-Präsidentschaft unter dem Motto „Eine vernetzte
Welt gestalten“ . Die G-20-Runde ist das zentrale Forum
der internationalen Zusammenarbeit, in der die 20 führenden Industrie- und Schwellenländer, die 80 Prozent
des globalen Handels auf sich vereinen, in Finanz- und
in Wirtschaftsfragen zusammenarbeiten . Höhepunkt ist
im Übrigen der G-20-Gipfel am 7 . und 8 . Juli in Hamburg, in meiner Heimatstadt . Auf der Agenda steht beispielsweise die Ausgestaltung von nachhaltigen globalen
Lieferketten . Das ist ein Thema, das weltweit viele Millionen Näherinnen, Gerber, Spediteure und viele andere Berufsgruppen betrifft . Vor allem geht es darum, die
Einhaltung von Arbeits- und Umweltstandards sowie von
Gesundheitsstandards zu gewährleisten .
Wir ziehen heute auch Bilanz der Entwicklungspolitik
der letzten vier Jahre . Wir stellen fest, dass Entwicklungszusammenarbeit heute viel stärker im Fokus des öffentlichen Interesses steht, und das ist gut so - nicht nur, weil
sie überprüft wird, sondern auch, weil sie gelobt werden
kann . Entwicklungsminister Müller hat dies genutzt und
der deutschen Entwicklungspolitik eine Neuausrichtung
gegeben . Daher kann festgehalten werden: Deutschland
wird die Vorgaben der Agenda 2030 nicht nur erfüllen,
sondern - das ist wichtig - auch aktiv mitgestalten .
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Präsident, zum
Abschluss möchte ich mich, wie inzwischen üblich, im
Rahmen meiner letzten Rede - zumindest zur Entwicklungszusammenarbeit ist es die letzte - für das kollegiale Miteinander in den letzten Jahren, für den demokratischen Wettstreit in der Sache, für Ihre Unterstützung,
aber auch für die Unterstützung der Opposition sehr
herzlich bedanken . Allen von Ihnen, die in der nächsten Wahlperiode hier im Deutschen Bundestag in einem
demokratischen Wettstreit bleiben, möchte ich zum Abschluss meiner Rede ein Zitat von Albert Einstein mit auf
den Weg geben,
({6})
das mir stets ein guter Begleiter war . Es lautet sinngemäß: Nichts wirklich Wertvolles kann erreicht werden
ohne die uneigennützige Zusammenarbeit vieler Einzelpersonen .
Herzlichen Dank .
({7})
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
der Drucksache 18/12300 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall . Dann ist
die Überweisung so beschlossen .
Wir kommen nun zu den Entschließungsanträgen der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen . Interfraktionell ist vereinbart, über die Entschließungsanträge abweichend von der Geschäftsordnung sofort abzustimmen . Sind Sie damit einverstanden? - Das
ist diesmal offensichtlich der Fall . Dann können wir so
verfahren .
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/12385 . Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? - Wer ist dagegen? Wer enthält sich? - Damit ist der Entschließungsantrag
mehrheitlich abgelehnt .
Wir stimmen nun ab über den Entschließungsantrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/12386 . Wer kann sich dafür erwärmen? - Das sind
die Antragsteller und die Fraktion Die Linke . Wer stimmt
dagegen? - Die Koalitionsfraktionen . Damit ist auch dieser Entschließungsantrag mehrheitlich abgelehnt .
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 8 sowie
zum Zusatzpunkt 2:
8 Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Caren Lay,
Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Sozialer Wohnungsbau in Deutschland - Entwicklung, Bestand, Perspektive
Drucksachen 18/8855, 18/11403
ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn
({1}), Kerstin Andreae, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gemeinsam für bezahlbares Wohnen - Lebenswert und klimafreundlich
Drucksachen 18/10027, 18/11020
Zu der Großen Anfrage liegt ein Entschließungsantrag
der Fraktion Die Linke vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Auch dazu
stelle ich Einvernehmen fest . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst der
Kollegin Caren Lay für die Fraktion Die Linke das Wort .
({2})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Jahre 1990 gab es noch 3 Millionen Sozialwohnungen in Deutschland . Heute sind es weniger als die
Hälfte . Gerade mal 1,3 Millionen Sozialwohnungen sind
noch vorhanden, und die Tendenz ist weiter sinkend . Das
ist eines der vielen niederschmetternden Ergebnisse der
Großen Anfrage der Linken zum sozialen Wohnungsbau .
Wir Linke sagen ganz klar: Der Niedergang des sozialen Wohnungsbaus ist dramatisch, und wir müssen ihn
stoppen!
({0})
Denn der soziale Wohnungsbau ist gut für alle Mieterinnen und Mieter, also auch für diejenigen, die ihn nicht
selber nutzen . Sozialwohnungen dämpfen die Mietpreise
für alle und sorgen für bezahlbare Mieten für alle .
In den 80er-Jahren waren noch circa 20 Prozent aller Wohnungen Sozialwohnungen . Heute sind es gerade
einmal 3 Prozent . Dieser erschreckende Trend wird sich
weiter fortsetzen . Die Länder sagen - auch das ein Ergebnis unserer Anfrage - einen weiteren dramatischen
Rückgang der Anzahl der Sozialwohnungen bis 2030 voraus, nämlich auf 50 bis 75 Prozent der jetzt überhaupt
noch zur Verfügung stehenden Bestände . Damit verliert
natürlich auch die Politik an Einflussmöglichkeiten, das
Mietpreisniveau zu dämpfen . Deswegen sagen wir: Der
Rückgang der Anzahl der Sozialwohnungen ist mitverantwortlich für die Mietenexplosion in deutschen Städten, und das ist wirklich beschämend!
({1})
Eines dürfte wirklich unstrittig sein: Der Bedarf an
Sozialwohnungen ist nicht gedeckt . Experten beispielsweise vom Pestel Institut sagen, es fehlen mindestens
4 Millionen Sozialwohnungen in Deutschland . Die Bundesregierung bestreitet zwar diese Zahlen, aber Frau
Hendricks sagte vor einigen Wochen selber im Morgenmagazin, dass 40 Prozent aller Bürgerinnen und Bürger
theoretisch einen Anspruch auf eine Sozialwohnung hätten . Das hieße dann umgerechnet, 25 anspruchsberechtigte Bürgerinnen und Bürger kämen auf eine Sozialwohnung . - Das wird ja nun wirklich ein bisschen eng .
Frau Hendricks scheint das aber alles nicht wirklich
problematisch zu sehen . Vor ein paar Tagen, kurz vor der
NRW-Wahl, sagte sie, es seien im letzten Jahr 25 000
neue Sozialwohnungen gebaut worden . Das sei eine
Trendwende beim sozialen Wohnungsbau . Nun freuen
wir als Linke uns auch über jede neue Sozialwohnung .
Ich begrüße ausdrücklich, dass es mehr geworden sind .
Die Ministerin verschweigt jedoch, dass jährlich weiterhin circa 50 000 Sozialwohnungen aus der Bindung fallen . Das heißt doch faktisch, dass wir immer noch Jahr
für Jahr einen Verlust von etwa 25 000 Sozialwohnungen
haben . Das ist keine Trendwende, Frau Ministerin, das
ist bestenfalls ein ausgebremster Niedergang, und damit
können wir uns nicht zufriedengeben!
({2})
Der Grund dafür ist übrigens, dass Sozialwohnungen
nach 15 oder 20 Jahren aus der sogenannten Bindung fallen . Das bedeutet dann zu oft: Die Mieten steigen enorm,
und die Mieter fliegen über kurz oder lang aus ihren
Wohnungen, während die Besitzer dann erst so richtig
kassieren . - Das ist absurd . Deswegen sagen wir: Einmal Sozialwohnung, immer Sozialwohnung - das muss
in Zukunft gelten!
({3})
Wenn wir hier nicht handeln, dann werden - das kann
man, glaube ich, sagen - in den nächsten Jahren Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende Sozialmieterinnen und Sozialmieter aus ihren Wohnungen fliegen. Das
können wir nicht zulassen . Wir brauchen einen Bestandsschutz für die bisherigen Sozialmieter .
({4})
Wir haben schon mehrfach über dieses Thema diskutiert, und wir waren uns fraktionsübergreifend einig,
Präsident Dr. Norbert Lammert
dass es ein Fehler war, die Verantwortung für den sozialen Wohnungsbau bei der Föderalismusreform im Jahre 2006 an die Länder zu übergeben .
({5})
Denn wann man sich die Bilanz der letzten elf Jahre dazu
ansieht, dann sieht man, dass sich diese alle nicht mit
Ruhm bekleckert haben .
In einigen Ländern wurden die geschenkten Gelder
des Bundes für alles Mögliche verwendet, nicht jedoch
für den Bau von Sozialwohnungen . Einige Bundesländer
bauen bis heute keine Sozialwohnungen . Sachsen, das
Saarland und Mecklenburg-Vorpommern, die übrigens
alle von einer Großen Koalition regiert werden, haben in
den letzten Jahren beispielsweise keine einzige Sozialwohnung gebaut .
({6})
In vielen Ländern gibt man das geschenkte Geld des
Bundes lieber für die Eigenheimförderung aus . Das ist
wirklich rausgeschmissenes Geld .
({7})
Das ist eine Zweckentfremdung von Geldern, und das
können wir nicht zulassen .
({8})
Ich habe einmal im Protokoll der Plenardebatte aus
dem Jahre 2006 nachgelesen, als die Verantwortung für
den sozialen Wohnungsbau an die Bundesländer übergegangen ist . Es gab damals eine einzige Fraktion, die das
problematisiert und kritisiert hat; das war die Linke . Hätten Sie damals mal auf die Linke gehört!
({9})
Ich weiß, dass es berechtigte Kritik am sozialen Wohnungsbau gibt: auslaufende Bindungen, Subventionierung von privaten Bauherren . Auch das Thema „Ghettobildung am Stadtrand“ spielt immer wieder eine Rolle,
wenn es darum geht, den sozialen Wohnungsbau zu kritisieren . Eines muss man aber doch sagen: Wir können
und müssen das zwar besser machen, aber kein sozialer
Wohnungsbau ist wirklich keine Lösung .
({10})
Das Prinzip, dass für Menschen mit geringem Einkommen Wohnungen von öffentlicher Hand gebaut werden und dass sie gewissermaßen für sie reserviert sind,
ist ein wichtiges Prinzip, und daran müssen wir auch in
Zukunft festhalten .
({11})
Wer sich einmal ansehen möchte, wie sozialer Wohnungsbau gut funktioniert und wie attraktiv er sein
kann - auch architektonisch attraktiv -, der muss nach
Wien gehen. Dort befinden sich über 40 Prozent aller
Wohnungen im Sozialwohnungssegment, und zwar mit
guten Ergebnissen . Während die Mieten in Deutschland
unter ähnlichen Bedingungen explodieren, steigen sie
dort nur moderat . Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen .
Dafür muss man aber mehr Geld in die Hand nehmen .
Die Bundesregierung rühmt sich ja, dass sie inzwischen
1,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau bereitstellt . In der Stadt Wien, die gerade einmal so groß ist
wie Hamburg, sind es immerhin 680 Millionen Euro; das
ist also fast die Hälfte . Würde man das Investitionsvolumen von Wien einmal auf die Bundesrepublik hochrechnen, dann kämen wir auf eine Investition in Höhe von
30 Milliarden Euro . Hier muss ich sagen: Die 5 Milliarden Euro, die wir als Linke in den Haushaltsverhandlungen gefordert haben, wären nicht zu viel verlangt . Das
wäre gut angelegtes Geld .
({12})
Angesichts der Dramatik müssen aus unserer Sicht
250 000 neue Sozialwohnungen im Jahr entstehen, natürlich nicht nur durch Neubau - denn das wäre nicht zu
leisten -, sondern auch durch Kauf und durch eine Verlängerung der Belegungsbindung . Das wäre der richtige
Weg .
Ich glaube, man kann sagen, dass der Niedergang des
sozialen Wohnungsbaus kein Zufall war . Er war politisch
gewollt . Bis heute ist in der Wohnungswirtschaft eine Erzählung weiterhin beliebt und präsent . Es wird gesagt,
der soziale Wohnungsbau und die Objektförderung seien
von gestern, Subjektförderung und Wohngeldförderung
würden ausreichen . Das Gegenteil ist richtig . Wenn wir
verhindern wollen, dass wir Reichenviertel im Zentrum
und Armenghettos am Stadtrand haben, müssen wir auch
in Gemeinnützigkeit und in Sozialwohnungen investieren . Wir können es zum Beispiel so machen, wie wir es
jetzt in Berlin unter einer rot-rot-grünen Regierung und
mit einer linken Bausenatorin machen wollen . Bei jedem
Neubauvorhaben müssen dort in Zukunft 30 Prozent der
Fläche für Sozialwohnungen reserviert werden . Das wäre
der richtige Weg, und daran können sich andere Länder
ein Beispiel nehmen .
({13})
Die entscheidende Frage wird aber nicht sein, wie wir
das ausgestalten werden, sondern ob wir hier im Bundestag, im Bund, nach dem Jahre 2019 überhaupt noch beim
sozialen Wohnungsbau mitreden können . Dann laufen
nämlich die sogenannten Kompensationsmittel des Bundes aus, und die Verantwortung liegt dann alleine bei den
Ländern .
Ich würde es schlichtweg für eine Katastrophe halten,
wenn es dazu kommen würde . Deswegen müssen wir an
dieser Stelle das Grundgesetz ändern . Das fand auch Frau
Hendricks . Sie verkündete erst vor ein paar Monaten, im
letzten Sommer - Zitat -:
Wir brauchen die Grundgesetzänderung, um als
Bundesregierung wirksam dort helfen zu können,
wo die Wohnungsnot am größten ist .
Ja, das finde ich auch.
Aber dann begannen die Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich. Da wurden alle möglichen kruden
Sachen diskutiert, wie zum Beispiel heute Morgen das
Thema Autobahnprivatisierung . Aber die Bundeszuständigkeit für den sozialen Wohnungsbau war nicht länger
ein Thema . Das können wir nicht akzeptieren . Wir müssen jetzt dafür sorgen, meine Damen und Herren, dass
der Bund auch nach dem Jahr 2019 den sozialen Wohnungsbau zweckgebunden und zielgerichtet finanzieren
kann . Das wäre der richtige Weg .
({14})
Meine Damen und Herren, der soziale Wohnungsbau
hat dazu beigetragen, dass Wohnen in Deutschland lange
Zeit bezahlbar war . Diese Zeiten sind jetzt leider vorbei .
Deswegen müssen wir wieder in den sozialen Wohnungsbau investieren . Die Verantwortung dafür muss zukünftig in öffentlicher Hand, in gemeinnütziger Hand liegen,
damit er sozial und nachhaltig ausgestaltet werden kann .
Dafür brauchen wir einen neuen Gemeinnützigkeitsbegriff, und wir brauchen einen Neustart im sozialen Wohnungsbau . Anders bekommen wir das Problem steigender Mieten und der Verdrängung in den Städten nicht in
den Griff .
Vielen Dank .
({15})
Vielen Dank, Caren Lay . - Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, von mir . Nächste Rednerin: Sylvia
Jörrißen für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen der Linken, zunächst erst einmal vielen herzlichen Dank für Ihre Anfrage zum sozialen Wohnungsbau, weil sie uns heute die Möglichkeit
gibt, über ein Thema zu reden, das meiner Fraktion und
mir ausgesprochen am Herzen liegt: das Wohnen .
Wohnen ist eines der Grundbedürfnisse eines jeden
Menschen . Unsere Wohnung ist ein persönlicher Schutzraum und Rückzugsraum . Hier fühlen wir uns sicher, hier
fühlen wir uns geborgen . Alle Menschen müssen Zugang
zu angemessenem Wohnraum haben, unabhängig von ihrem Einkommen, auch Menschen mit unteren oder mittleren Einkommen oder Menschen in sozialen Notlagen
ohne Einkommen . Hierfür tragen wir eine soziale Verantwortung .
Grundsätzlich beruht auch die Wohnungspolitik in
Deutschland auf den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft und funktioniert zunächst einmal nach Angebot
und Nachfrage . Staatliche Eingriffe, meine Damen und
Herren, nehmen wir dort vor, wo der Markt entweder
zu langsam oder zu schwach reagiert . Das ist heute in
vielen Ballungsräumen der Fall. Dort finden gerade einkommensschwächere Menschen oft nur sehr schwer eine
Wohnung . Hier greifen wir ein, hier müssen wir eingreifen!
({0})
Frau Lay, Sie erwecken den Eindruck, als ob die soziale Wohnungsbauförderung das einzige Mittel wäre, was
uns ans Ziel führt . Das ist mitnichten der Fall .
({1})
Soziale Verantwortung beim Wohnen beinhaltet mehr als
soziale Wohnraumförderung .
({2})
Sie beinhaltet neben der Objektförderung auch Subjektförderung, und sie beinhaltet einen sozialen Schutz durch
das Mietrecht . Wir müssen, wenn wir uns die Frage stellen, ob wir unserer sozialen Verantwortung gerecht werden, alle drei Wege gleichzeitig im Blick haben, meine
Damen und Herren .
({3})
Die soziale Wohnraumförderung ist sicherlich ein
wichtiges Instrument unserer Fördermaßnahmen . Deshalb haben wir in dieser Legislaturperiode alles darangesetzt, diese Förderung wiederzubeleben, obwohl der
Bund dafür seit der Föderalismusreform 2006 keine Zuständigkeit mehr hat .
({4})
Zuständig hierfür sind die Bundesländer .
({5})
Das macht auch Sinn, weil sich die Wohnungsteilmärkte
regional sehr unterschiedlich entwickelt haben und die
Länder maßgeschneidert Maßnahmen für ihre Regionen
auf den Weg bringen können und müssen .
({6})
Entscheidend ist nur, dass die zur Verfügung gestellten
Mittel zweckgebunden eingesetzt werden, nämlich zum
Bau von bezahlbaren Wohnungen .
({7})
Wir haben hierzu schon mehrere Debatten geführt . Fakt
ist, dass die Länder mit den Geldern sehr unterschiedlich umgehen, teilweise Altlasten finanzieren und ihrer
Pflicht, bezahlbare Wohnungen zu schaffen, in Teilen
nicht nachkommen .
({8})
Sie haben recht: Die Zahl der Sozialwohnungen ist
seit 2002 um rund 1 Million Wohnungen gesunken, und
es fallen nach wie vor mehr Wohnungen aus der Belegungsbindung, als neu gebaut werden . Wir haben in
dieser Legislaturperiode die Kompensationsmittel von
518 Millionen auf 1,5 Milliarden Euro verdreifacht .
Eigentlich hätte auch die Anzahl der Sozialwohnungen
entsprechend gesteigert werden müssen . Nach aktuellen
Zahlen der Bauministerkonferenz wurde dieses Ziel verfehlt . Hier ist mehr notwendig, aber es ist Sache der Länder, hier ihrer Verantwortung nachzukommen .
({9})
Der zweite Weg - neben der Objektförderung -, auf
dem wir soziale Verantwortung tragen, ist die Subjektförderung . Hierzu gehört das Wohngeld, das wir in dieser Legislaturperiode deutlich erhöht haben, indem wir
die Mietstufen der aktuellen Marktentwicklung angepasst haben. Seit Januar des letzten Jahres profitieren
870 000 Haushalte davon . Über ein Drittel sind als neue
Berechtigte hinzugekommen .
({10})
- Das ist ein großer Erfolg .
Dem dritten Weg der sozialen Verantwortung, die
wir als Bund tragen, werden wir durch einen sozialen
Schutz im Mietrecht gerecht . Wir haben umfassende
Mieterschutzbestimmungen . Wir haben einen Schutz vor
willkürlichen Kündigungen . Wir haben einen Schutz vor
übermäßigen Mieterhöhungen . Und wir haben in dieser
Legislaturperiode ein weiteres Instrument der Mieterschutzbestimmungen eingeführt: die Mietpreisbremse .
Auch wenn Sie jetzt gleich erwidern: „Die funktioniert
ja sowieso nicht“, möchte ich dazu einige Sätze sagen .
Uns als Union war es immer wichtig, dass die Mietpreisbremse nicht zur Investitionsbremse wird; denn dann
ist sie kontraproduktiv . Insofern muss es Ausnahmen geben . Damit das Gesetz in der Praxis Geltung bekommt,
ist es wichtig, dass die Mieter die neugeschaffenen Rechte, wie beispielsweise die Rüge oder das Auskunftsrecht,
nun auch in Anspruch nehmen .
({11})
Meine Damen und Herren, wenn wir über soziale Verantwortung in der Wohnungspolitik sprechen, müssen wir
alle drei Wege gemeinsam im Blick haben . Einer allein
wird den komplexen Herausforderungen nicht gerecht .
Was die soziale Verantwortung in der Baupolitik angeht, ist es aber nicht damit getan, dass günstiger Wohnraum entsteht und die Mieten preiswert sind . Es ist noch
weitaus mehr . Wir müssen dafür Sorge tragen, dass sozial benachteiligte und strukturschwache Ortsteile in ihrer
Gesamtheit stabilisiert und aufgewertet werden . Ziel ist
es, Quartiere familienfreundlicher, seniorengerechter zu
gestalten und den dort wohnenden Menschen Chancen
auf Integration und Teilhabe zu bieten . Hierfür haben
wir in dieser Legislaturperiode die Städtebaufördermittel
massiv ausgeweitet . Damit sind sowohl baulich investive
Maßnahmen im Wohnumfeld wie auch in der sozialen
Infrastruktur möglich . Das ist ein ganz wichtiger Beitrag zur Entlastung der Kommunen und zur Schaffung
lebenswerter Wohnviertel .
Meine Damen und Herren, die Kolleginnen und Kollegen der Linken fordern immer wieder eine neue Wohngemeinnützigkeit .
({12})
- Sie auch, ja gut . Wir behandeln heute die Große Anfrage der Linken .
({13})
Sie verkennen aber, dass die Situation heute eine völlig andere ist, als sie es bei Einführung der Wohngemeinnützigkeit in der jungen Bundesrepublik war . Die Wohngemeinnützigkeit hat in den Nachkriegsjahren einen sehr
wichtigen Beitrag geleistet, die große Wohnungsnot zu
bewältigen .
({14})
Aber als es zu einer Stabilisierung der Wohnungssituation kam, hatte sie in der ursprünglichen Form schlicht
keine Berechtigung mehr . Insofern war es richtig, diese
Förderung aufzuheben .
Nachdem die Ausnahmesituation nach den Kriegsjahren überwunden war, konnte die soziale Marktwirtschaft
wieder Verantwortung übernehmen und tat das auch erfolgreich .
({15})
Heute haben wir nach einigen Reformen des Wohnungsbauförderungsrechts eine soziale Wohnraumförderung,
die der aktuellen Situation besser gerecht wird; denn wir
haben keine allgemeine Wohnungsnot mehr .
({16})
Die heutigen Herausforderungen - steigende Baupreise, zu wenig Bauland - hängen doch nicht von der
Rechtsform der Unternehmen ab . Wir haben bauwillige
Akteure . Wir haben heute viele funktionierende Wohnungsunternehmen, die sich zum Teil auch aus den ehemals gemeinnützigen Wohnungsunternehmen weiterentwickelt haben, die ihrem sozialen Auftrag treu geblieben
sind, aber gleichzeitig marktorientiert wirtschaften und
handeln .
({17})
Deren gute Arbeit sehe ich . Auf deren gute Arbeit vertraue ich . Mit unseren Fördermitteln wollen wir dort gezielt den Menschen helfen, die sich auf dem allgemeinen
Markt aus eigener Kraft nicht mit Wohnraum versorgen
können .
({18})
Noch eine Tatsache, liebe Frau Lay, scheinen Sie zu
verkennen . Nicht jeder einkommensschwache Haushalt
benötigt eine Sozialwohnung . Außerhalb der angespannten Märkte werden Haushalte in strukturschwächeren
Regionen auch auf dem freien Wohnungsmarkt mit bezahlbarem Wohnraum versorgt .
({19})
- Kommen Sie einmal in die Region, in der ich lebe . Da
gibt es einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt .
Vor allem wichtig ist, zu bauen . Wir müssen bauen,
bauen, bauen, um Angebot und Nachfrage wieder in Einklang zu bringen .
({20})
Dafür benötigen wir auch den privaten Wohnungsbau .
Das können wir nicht allein mit dem öffentlich geförderten Wohnungsbau erreichen . Die privaten Vermieter sind
die mit Abstand größte Anbietergruppe auf dem deutschen Wohnungsmarkt . Wir müssen auch diese Gruppe
unterstützen; denn sie leistet einen wichtigen Beitrag zur
Versorgung der Gesellschaft mit Wohnraum . An dieser
Stelle werde ich nicht müde, immer wieder eine steuerliche Förderung zu fordern, die wir bedauerlicherweise
mit unserem Koalitionspartner nicht zustande gebracht
haben, obwohl das ein Ergebnis des Bündnisses für bezahlbares Wohnen sowie auch ein Vorschlag Ihrer Bauministerin, abgestimmt mit dem Finanzminister, gewesen ist .
({21})
Zu kurz kommt mir in der Debatte auch das selbstgenutzte Wohneigentum . Deutschland liegt mit einer
Wohneigentumsquote von unter 50 Prozent an vorletzter
Stelle im europäischen Vergleich . Wir müssen dringend
auch diese Form des Wohnens fördern; denn selbstgenutztes Wohneigentum stabilisiert Wohnquartiere, macht
durch Umzugsketten am Ende auch eine Mietwohnung
frei und ist vor allem eine ganz wichtige Form der privaten Altersvorsorge .
Egal über welche Säule: Wir müssen mehr bauen . Im
vergangenen Jahr haben wir die Zahl von 375 000 Baugenehmigungen erreicht . Das ist ein großer Erfolg . Jetzt
müssen wir aber darauf achten, dass aus diesen Baugenehmigungen auch tatsächlich Bauvorhaben werden .
Meine Damen und Herren, wir sind noch nicht am
Ziel, aber wir sind auf einem sehr guten, soliden Weg .
Danke schön .
({22})
Vielen Dank, Sylvia Jörrißen . - Nächster Redner:
Christian Kühn für Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Frau Jörrißen, ich werde jetzt einfach einmal zu der Frage der sozialen Wohnraumförderung und
nicht zur ganzen Breite des Themas Wohnen reden; denn
Sie haben hier vorne ziemlich viele Nebelkerzen gezündet, aber nicht zum eigentlichen Thema geredet .
({0})
Das Jahr 1988 war ein schwarzes Jahr für Mieterinnen
und Mieter, weil die schwarz-gelbe Koalition damals die
Wohnungsgemeinnützigkeit in Deutschland unter dem
Deckmantel des Skandals der „Neuen Heimat“ abgeschafft hat . Damit haben Sie eigentlich den Niedergang
des sozialen Wohnungsbaus in Deutschland eingeleitet .
Dass Sie das bis heute angesichts steigender Mieten in
den Städten verteidigen, ist wirklich ein Skandal und eigentlich nicht zu ertragen .
({1})
Fast 30 Jahre später ist all das, was wir als Grüne und
Sozialdemokraten in der damaligen Debatte vorgebracht
haben, eingetreten . Ich rate Ihnen als Kolleginnen und
Kollegen einmal, in die alten Protokolle hineinzuschauen . Wir haben damals über entfesselte Wohnungsmärkte
und darüber geredet, dass es in den Städten Verdrängung
sowie eine Mietspirale gibt, die immer weiter nach oben
geht . All das ist doch eingetreten . Das zeigt doch ganz
klar, dass wir heute wieder eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit brauchen .
Frau Jörrißen, 50 Prozent der Menschen in Deutschland leben in Gebieten mit Wohnraummangel . Das kann
uns doch nicht kaltlassen . Da müssen wir doch endlich
handeln!
({2})
Diese neoliberale Politik der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit hat dazu geführt, dass bis heute
fast 2 Millionen Sozialwohnungen aus der Bindung herausgefallen sind . Das ist doch ursächlich dafür, dass
wir im Augenblick Probleme auf den Wohnungsmärkten haben . Seitdem gilt eben eine andere Logik . Nicht
mehr der Staat versorgt diejenigen, die sich selbst am
Wohnungsmarkt nicht mit Wohnraum versorgen können .
Vielmehr folgt man heute der Logik, dass die Privaten
einen möglichst großen Reibach machen und dass die
Mieten immer mehr steigen . Diese Logik wollen wir als
Grüne brechen .
({3})
Das Tafelsilber in Deutschland ist verscherbelt worden: Eisenbahnerwohnungen, Postlerwohnungen, Werkswohnungen und kommunale Wohnungsbestände . Heute
stehen wir vor dem Scherbenhaufen einer falschen, einer
neoliberalen, einer auch von der Union betriebenen Wohnungspolitik der letzten 30 Jahre . Deswegen kann ich
überhaupt nicht verstehen, dass Frau Hendricks dieser
Tage ein Interview gibt und sagt: Wir haben die TrendSylvia Jörrißen
wende geschafft . - Die Trendwende haben wir überhaupt
nicht geschafft . Wir verlieren immer noch 50 000 Sozialwohnungen pro Jahr, während wir nur 25 000 neue
bauen . Das heißt, wir verlieren im Saldo weiterhin Sozialwohnungen in Deutschland . Eigentlich müssten wir
jedes Jahr neue bauen, weil wir neue Herausforderungen
zu bewältigen haben, weil wir sehen, dass die soziale
Spaltung in unserer Gesellschaft zunimmt, weil wir die
Integrationsfrage beantworten müssen, weil es Migration
gibt . Ich glaube, deswegen ist diese Bundesregierung mit
Blick auf dieses Thema überhaupt nicht gut aufgestellt .
Die von Frau Hendricks angesprochene Trendwende ist
keine Trendwende, sondern bedeutet nichts anderes, als
dass man eine Nebelkerze zündet, um sein eigenes Versagen zu vernebeln .
({4})
Das Minus bei den Sozialwohnungen ist dramatisch .
Wir brauchen eigentlich 150 000 neue Wohnungen pro
Jahr und endlich eine andere Logik, die besagt: Bauen,
bauen, bauen! Wir müssen sozial bauen . Wir müssen gemeinnützig bauen, und wir müssen noch einmal sozial
bauen . Wir brauchen nicht mehr Luxuswohnungen in
unseren Städten, sondern mehr sozialen Wohnraum für
Rentnerinnen und Rentner, Familien, Studierende und
Geringverdiener . Dazu kann eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit einen großen Beitrag leisten . Deswegen
treten wir Grüne so vehement für eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit ein .
({5})
Bei der Wohnungsgemeinnützigkeit geht es im Kern
darum - ich möchte versuchen, das den Kollegen der
Union noch einmal ernsthaft zu erklären -, dass wir Unternehmen, aber auch Privatleuten, also ganz normalen
Menschen, die eine Anlage tätigen wollen, eine Steuererleichterung dafür geben, dass sie auf Dauer bezahlbaren
Wohnraum schaffen . Das hat nichts mit Staat oder Sozialismus zu tun . Vielmehr ist das die einzige Möglichkeit,
schnell viel Kapital in den Bereich des sozialen und des
sozialgebundenen Wohnraums zu investieren . Diese Idee
müsste eigentlich zu einer Partei der sozialen Marktwirtschaft passen . Sie wurde von Ludwig Erhard und anderen nach dem Krieg entwickelt und war sehr erfolgreich .
Aber Sie haben sie in der neoliberalen Zeit einfach abgewickelt .
({6})
Öffentliches Geld für öffentliche Güter, Steuererleichterungen für bezahlbaren Wohnraum, das ist unser Konzept . Dabei geht es darum, möglichst viele einzubeziehen . Wir glauben, dass wir damit in den nächsten zehn
Jahren 1 Million bezahlbare Wohnungen schaffen werden . Diese gesellschaftliche Rendite ist die beste Rendite, die wir mit einem solchen Konzept erreichen können .
({7})
Es geht dabei um nichts Trivialeres als um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unseren Städten und in unserem ganzen Land . Die Zukunft des Wohnens wird davon abhängen, ob wir die Wohnraumförderung auf neue
Füße stellen oder nicht, ob wir bereit sind, Wohnungspolitik als Politik der Daseinsvorsorge zu begreifen, oder ob
wir sie als Wirtschaftspolitik begreifen, bei der möglichst
hohe Renditen erzielt werden müssen . Um die Beantwortung dieser Fragen ringt das Parlament . Frau Jörrißen, Sie
haben in Ihrer Rede sehr deutlich gemacht, dass Sie im
Kern bei der letztgenannten Art der Politik sind, nämlich
bei den Investoren, und nicht bei den Menschen im Land .
Soziale Wohnungspolitik ist Infrastrukturpolitik .
Diese Infrastrukturpolitik ist im Augenblick Aufgabe der Länder . Für eine Trendwende - diese sieht Frau
Hendricks schon gekommen; tatsächlich ist sie noch
lange nicht eingetreten - müssen die Länder richtig viel
Geld in die Hand nehmen . Ab 2019 müssen sie die Kompensationsmittel des Bundes ersetzen . Diese belaufen
sich im Augenblick auf 1,5 Milliarden Euro . Ehrlich gesagt fehlt mir angesichts der angespannten Haushalte in
fast allen Bundesländern die Fantasie, um mir vorzustellen, dass im Jahr 2020, wo die Schuldenbremse gilt, wo
die Länder Sicherheitsaufgaben, Bildungsaufgaben und
Aufgaben im Rahmen der Beamtenbesoldung stemmen
müssen, Geld für Investitionen in den sozialen Wohnraum vorhanden sein wird .
({8})
Die Länder brauchen hier unsere Unterstützung . Wir als
Wohnungspolitiker im Bund sollten dafür kämpfen, dass
der Bund hier wieder eine eigene Kompetenz hat .
({9})
Ja, Frau Jörrißen, Sie haben auf die Länder geschimpft . Es war fast eine Schimpftirade . Aber schauen
Sie sich einmal die von Ihnen regierten Länder an! Reden
Sie beispielsweise einmal mit Ihren Kollegen in Sachsen!
In Sachsen entsteht keine einzige Sozialwohnung .
({10})
Das ist ein sozialpolitischer Skandal . Auch von Leipzig
oder Dresden, wo Sie wieder eine neue Wohnungsgesellschaft gründen, wissen Sie, dass die Wohnungsmärkte
angespannt sind .
({11})
Die Stadtentwicklung in Deutschland ist in Gefahr .
Schauen Sie nach Frankreich, wo große soziale Spannungen in den Banlieus herrschen . Oder schauen Sie nach
London, eine Metropole, wo sich kein Mensch mit einem normalen Verdienst eine Wohnung leisten kann . Es
ist klar, dass wir das in Deutschland nicht wollen . Wir
wollen nicht, dass die Innenstädte für Reiche sind und
die ärmeren und sozial schwachen Menschen am Rande
der Städte, in den Ghettos leben . Das wollen wir nicht .
({12})
Ich sage Ihnen auch, warum wir das nicht wollen: weil
wir als Grüne davon ausgehen, dass das diese Gesellschaft spalten und diese Gesellschaft am Ende zerreißen
Christian Kühn ({13})
wird . Deswegen müssen wir in eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit investieren . Wir müssen uns dieser großen sozialen Frage - ich glaube, das ist eine der großen
sozialen Fragen unserer Zeit - wirklich annehmen .
({14})
Im Unterschied zur Linken und zu deren Konzept der
neuen Wohnungsgemeinnützigkeit setzen wir nicht auf
Zwang und wollen nicht alles in einem System unterbringen . Wir wollen den Menschen vielmehr neue Möglichkeiten geben . Wir glauben daran, dass es viele Menschen
in Deutschland gibt, die ein ethisches Investment in ihrer
Stadt machen wollen . Wir wollen, dass die Stadtrendite
am Ende nicht bei den Investoren landet, sondern bei den
Menschen in der Stadt . Dafür werden wir in den nächsten Monaten und auch Jahren weiter hier im Parlament
kämpfen; denn die Frage des sozialen Zusammenhalts
lässt meine Partei nicht kalt .
Danke schön .
({15})
Vielen Dank, Chris Kühn . - Nächster Redner in der
Debatte: der Parlamentarische Staatssekretär Florian
Pronold .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin der Linken sehr dankbar, dass sie diese
Anfrage gestellt hat, weil dies eine Chance bietet, über
das Thema des sozialen Wohnungsbaus in den letzten
Jahrzehnten zu sprechen . Wenn wir hier in diesem Hause
eine ehrliche Debatte führen würden, dann müssten viele
Asche auf ihr Haupt streuen; denn die Einschätzungen
in den letzten Jahrzehnten sind bei ganz vielen verkehrt
gewesen . Ich glaube, man kann keine Partei in diesem
Deutschen Bundestag davon ausnehmen, wenn ich mir
anschaue, was kommunal gemacht worden ist, was in
den Ländern gemacht worden ist und was auf Bundesebene gemacht worden ist .
Das wäre ein guter Anlass, nicht nur zurückzublicken,
sondern auch nach vorne zu blicken und zu fragen, was
jetzt getan werden muss, damit wir das hinbekommen,
was für viele Menschen in Deutschland existenziell ist .
Die alleinerziehende Mutter, die Rentnerin, der Rentner
und die ganz normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in angespannten Wohnungsmärkten sind dringend darauf angewiesen, dass sie bezahlbaren Wohnraum finden. Das erfährt man ganz praktisch, wenn man
aus der bisherigen Wohnung heraus muss, aus welchen
Gründen auch immer, sei es ein Umzug oder etwas anderes . Dann ist es in angespannten Wohnungsmärkten
heute fast unmöglich, zu normalen Mieten wieder eine
bezahlbare Alternative zu finden. Deswegen muss man
gegensteuern .
Etwas - das ist schon angesprochen worden - wird
mir zu wenig deutlich in der Debatte, nämlich dass wir
gemeinsam bei der Föderalismusreform die Entscheidung getroffen haben, dass die Zuständigkeit für die soziale Wohnraumförderung bei den Ländern und damit auch
die Verantwortung für bezahlbares Wohnen bei den Ländern liegt . Die Einschätzung damals war, dass wir eine
schrumpfende Gesellschaft sind, dass es keines weiteren
Wohnraums bedarf, weil immer weniger Leute da sind,
und dass es keiner großen Anstrengungen mehr bedarf,
um hier einen Ausgleich zu schaffen .
Aber wie Karl Valentin über Prognosen so treffend
gesagt hat: Das Gefährliche an Prognosen ist, dass sie
auf die Zukunft gerichtet sind . - Diese Prognosen sind
falsch gewesen . Das sehen wir heute . Jetzt ist die Frage:
Was ändert man? Ich kann mich noch daran erinnern, wie
wir vor vier Jahren über die Frage der sozialen Wohnraumförderung hier im Deutschen Bundestag gesprochen
haben und dass die Opposition eine Verdoppelung der
Mittel für die soziale Wohnraumförderung gefordert hat .
Jetzt haben Bundesregierung und Koalition diese Mittel
verdreifacht, und es ist immer noch zu wenig . Wir sind
aber nicht zuständig .
Lieber Chris Kühn, Stichwort „Nebelkerzen“: Sie
sollten sich auch einmal anschauen, wie der Neubau von
Sozialwohnungen in Baden-Württemberg weitergeht .
Sie sollten versuchen, eine Antwort auf die Frage zu bekommen, warum es dort 500 Neubauten weniger als im
Vorjahr gibt, warum dort 33 Prozent weniger Sozialwohnungen gebaut werden . Mich interessiert, warum große
Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg den
Anteil der eigenen Mittel im Haushalt reduzieren, während der Bund das Dreifache an Geld in die Hand nimmt .
({0})
Es gibt doch nicht mehr Wohnraum, wenn so etwas passiert . Das zu berücksichtigen, gehört zu verantwortungsvollem Handeln .
Mich interessiert in diesem Fall die parteipolitische
Farbe der Landesregierung nicht . Auch ich sehe, was in
Sachsen los ist - das wurde zu Recht angesprochen -,
insbesondere was in Leipzig los ist, was in Dresden los
ist . Da keine einzige Sozialwohnung zu bauen, ist ebenfalls etwas, was ein Schlag ins Gesicht der normalverdienenden Menschen ist .
({1})
Das Land, das auf dem Gebiet des Wohnungsneubaus
am aktivsten gewesen ist, ist das Land, aus dem Michael
Groß kommt: NRW hat mittlerweile am stärksten aufgeholt . Doch insgesamt ist das, was wir jetzt über Bundes- und Landesmittel an sozialem Wohnungsbau leisten, noch nicht ausreichend, um das zu kompensieren,
was an Sozialbindungen in der nächsten Zeit insgesamt
wegfällt . Wir brauchen ein deutliches Plus; das ist doch
unbestritten . Aber es ist schon einmal ein Riesenerfolg,
dass wir mit der Verdreifachung der Mittel des Bundes
jetzt bei den Ländern dafür Sorge getragen haben, dass
es insgesamt 70 Prozent mehr bezahlbaren Wohnraum,
Christian Kühn ({2})
70 Prozent mehr Sozialwohnungen gibt . Aber das reicht
noch nicht aus .
Bloß, die Wahrheit ist doch auch, dass die wenigsten
Länder in der Debatte über den Länderfinanzausgleich,
die wir jetzt geführt haben, den Bund bei der Forderung
unterstützt haben, dass es wieder eine Mitzuständigkeit
für den sozialen Wohnungsbau geben soll . Wir können
die Mittel für die soziale Wohnraumförderung nur noch
bis zum Jahr 2019 ausgeben . Danach sind die Länder selber in der Verantwortung .
Da verstehe ich manche wirklich nicht; schließlich
wissen wir doch alle, dass wir in den nächsten zwei, drei
Jahren die Defizite, die es auf dem Wohnungsmarkt gibt,
mit noch so viel Geld nicht ausgleichen können, sondern
dass es noch einige Jahre länger brauchen wird . Daher
muss der Bund, wenn wir an gleichwertigen Lebensverhältnissen in Deutschland Interesse haben, wieder
stärker Verantwortung übernehmen . Dafür haben wir gekämpft; dafür hat Barbara Hendricks gekämpft . Barbara
Hendricks hat nun mit der Verdreifachung der Mittel für
die soziale Wohnraumförderung versucht, den entscheidenden Anstoß zu geben, und er hat ja auch gewirkt .
Aber alle Länder müssen mitziehen, die die eigentliche
Verantwortung haben . Das muss Hauptgegenstand der
Debatte heute sein .
Wir können uns über vieles unterhalten . Ja, Frau
Jörrißen, diejenigen, bei denen die Preisbindung im sozialen Wohnungsbau endet, sind durch das soziale Mietrecht geschützt . Aber dieses Mietrecht hat ein großes
Defizit, und Ihre Fraktion weigert sich, dieses Defizit zu
beheben . Die Gefahr für Mieter von Wohnungen, die aus
der Sozialbindung fallen, ist doch nicht, dass es normale Mieterhöhungen gibt - da gibt es Spielräume; solche
Mieterhöhungen können in den meisten Wohnungsmärkten wahrscheinlich einigermaßen verkraftet werden -,
sondern dass es dort Luxussanierungen geben wird, die
dazu führen, dass die Menschen ihr Dach über dem Kopf
verlieren . Dazu haben wir im Koalitionsvertrag klare
Vereinbarungen getroffen,
({3})
und Sie weigern sich, diese in dieser Legislaturperiode
umzusetzen . Diejenigen, die auf diesen Schutz angewiesen sind, können sich bei Ihnen bedanken, wenn dieser
Schutz nicht funktioniert . Das zu sagen, gehört, glaube
ich, zur Ehrlichkeit in dieser Debatte hinzu .
Mein letzter Punkt ist: Ja, man muss aufgrund der
letzten Jahrzehnte erkennen, dass wir in Deutschland aus
den unterschiedlichsten Gründen insgesamt eine falsche
Richtung eingeschlagen haben . Wenn man einen Vergleich mit Wien zieht, Frau Lay, dann stellt man fest: Der
Anteil der Sozialwohnungen dort liegt nicht bei 40 Prozent; vielmehr sind insgesamt 70 Prozent des Wohnungsmarktes in der Hand von Kommunen oder von Genossenschaften . Diesen Anteil werden wir in Deutschland in
den nächsten Jahrzehnten nicht erreichen .
Aber das, was wir schaffen müssen, ist, durch eine
neue Form von Wohnungsgemeinnützigkeit den Anteil
wieder deutlich zu erhöhen, der nicht nur den Marktkräften und der Profitorientierung ausgesetzt ist. Wir sind den
normalen Rentnerinnen und Rentnern, den normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern schuldig, dass sie
sich ihre Wohnung wieder leisten können . Dafür werden
wir Sorge tragen .
({4})
Vielen Dank, Florian Pronold . - Nächste Rednerin:
Dr . Anja Weisgerber für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Vor ein paar Tagen gab es gute Nachrichten;
denn die Zahl der neuerrichteten Sozialwohnungen in
Deutschland ist im letzten Jahr gestiegen . 2016 wurden
bundesweit insgesamt 24 550 Sozialwohnungen errichtet; das sind etwa 10 000 Wohnungen mehr als im Jahr
zuvor . Das ist ein Fakt . Insofern zeichnet sich schon ein
positiver Trend ab, auch wenn wir mehr Wohnungen
brauchen; das ist klar .
In den letzten Jahren ist in vielen Ballungsgebieten
nicht zuletzt auch aufgrund der Zuwanderung die Nachfrage nach Wohnraum sehr stark gestiegen . Damit ist
auch der Bedarf an Sozialwohnungen für einkommensschwache Haushalte deutlich gewachsen . Entsprechend
hat die Bundesregierung - das wurde schon mehrfach
angesprochen - die sogenannten Kompensationsmittel
für die Bundesländer in dieser Legislaturperiode kräftig
aufgestockt . Von 2016 bis 2019 wurden sie um insgesamt
3 Milliarden Euro erhöht . 2017 und 2018 stehen jährlich
mehr als 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung . Mit dieser
Verdreifachung der Mittel leistet der Bund einen enormen finanziellen Beitrag.
Ich kann es nicht oft genug wiederholen: Diesen wichtigen finanziellen Beitrag des Bundes müssen die Länder
jetzt auch für den sozialen Wohnungsbau verwenden .
({0})
Die Umsetzung liegt seit der Föderalismusreform auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin in der Verantwortung der
Länder . Einige Länder gehen mit positivem Beispiel voran; da möchte ich schon Bayern erwähnen . Wir wissen
aber auch, dass die Gelder nicht von allen Ländern für
den sozialen Wohnungsbau genutzt wurden, sondern in
der Vergangenheit teilweise zum Stopfen von Haushaltslöchern, zum Beispiel auch in Berlin . Die Länder müssen
hier ihrer Verantwortung gerecht werden und die Mittel
zweckgebunden einsetzen . Dazu haben sie sich im Gegenzug zur Erhöhung der Mittel eigentlich auch politisch
verpflichtet. Die Zahlen aus dem letzten Jahr bestätigen
zwar, dass die Länder ihrer Verantwortung endlich mehr
nachkommen und ein Umdenken stattgefunden hat, aber
dieser Trend muss in den kommenden Jahren deutlich
fortgesetzt werden .
({1})
Die soziale Wohnraumförderung ist ein Teil der Wohnungsbaupolitik . Wir richten unsere Politik an der sozialen Marktwirtschaft aus und nicht am Konzept der
Planwirtschaft, wie das vielleicht einige in diesem Hause
gerne hätten .
({2})
Mit staatlicher Wohnraumförderung allein wird es aber
nicht gelingen, dass die 1 Million notwendigen Wohnungen bis 2020 gebaut werden; das muss uns allen klar sein .
Wir haben auch andere wichtige Weichen gestellt . Neben der deutlichen Aufstockung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau haben wir auch das Wohngeld in dieser Wahlperiode deutlich erhöht. Davon profitieren circa
870 000 Haushalte, darunter etwa 90 000 Haushalte, die
vorher auf Grundsicherung angewiesen waren . Das ist
ein wichtiges Signal für die Mieterinnen und Mieter in
unserem Land .
({3})
Auch im Mietrecht haben wir angesetzt . Wir haben
die Mietpreisbremse eingeführt, haben sie aber so ausgestaltet, dass sie nicht zu einer Investitionsbremse wird;
denn wir brauchen die privaten Investitionen in den
Wohnungsmarkt . Deshalb ist es wichtig, die Rahmenbedingungen insgesamt richtig zu setzen . Das beste Mittel
gegen Wohnungsknappheit und hohe Mieten ist doch das haben wir, das habe ich mehrfach erwähnt in diesem
Hohen Hause -: Bauen, bauen, bauen .
({4})
All die Maßnahmen, die ich jetzt aufzählen werde,
sind keine Nebelkerzen, sondern tragen dazu bei, dass
mehr Wohnraum entsteht . Mit der steuerlichen Förderung
des Mietwohnungsneubaus waren wir im letzten Jahr auf
einem guten Weg, um den Bau von weiteren Wohnungen
anzukurbeln . In den ersten drei Jahren war eine Abschreibung von bis zu 35 Prozent der Investitionen vorgesehen .
Das hätte die Investitionen in dem Bereich angekurbelt .
Doch leider ist dieser Gesetzentwurf auf der Zielgeraden
trotz der Absenkung der Kappungsgrenze aufgrund der
Intervention des Koalitionspartners gescheitert . Dabei
wäre die steuerliche Förderung ein starkes Signal für
mehr Wohnungsbau gewesen . Meine Damen und Herren,
wir werden hier nicht lockerlassen und eine steuerliche
Förderung auch weiterhin vehement fordern .
({5})
Wir müssen aber auch an weiteren Stellschrauben drehen; das hat die Baukostensenkungskommission im Rahmen des Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen
herausgearbeitet . Damit mehr investiert wird, müssen
auch die Baukosten gesenkt werden . Ein Beispiel ist die
Energieeffizienz von Gebäuden. Die EnEV ist zur Erreichung der Klimaziele im Gebäudebereich wichtig . Wir
müssen dabei aber immer auch die Wirtschaftlichkeit
im Auge behalten . Die Anforderungen der EnEV 2016
führen zu Kostensteigerungen . Demgegenüber steht eine
geringe Einsparung von Treibhausgasemissionen . Als
Klima- und Baupolitikerin sage ich: Wir brauchen eine
EnEV, die den Belangen des Klimaschutzes effizient und
zielgenau Rechnung trägt, die aber auch die Notwendigkeit, dass Wohnraum bzw . bezahlbarer Wohnraum zu
schaffen ist, im Blick behält . Wir müssen diesen Ausgleich hinbekommen, meine Damen und Herren .
({6})
Zudem müssen wir bei der energetischen Sanierung
von der Fokussierung auf die Gebäudehülle wegkommen . Die Potenziale sind hier weitgehend ausgereizt .
Wir brauchen vielmehr ein Gesamtkonzept, das auch die
Nutzung der erneuerbaren Energien und den Energieverbrauch generell noch mehr einbezieht .
({7})
Das Fehlen von Bauland ist ein weiterer Kostentreiber . Die Bereitstellung von Bauland liegt in der Hand
der Kommunen . Mit der kürzlich verabschiedeten Baurechtsnovelle haben wir den Instrumentenkasten der
Kommunen erweitert, zum Beispiel durch das Urbane
Gebiet, um mehr Wohnraum zu schaffen .
Das alles sind wichtige Maßnahmen und Instrumente, mit denen wir an dieser Stelle vorankommen können .
Aber - auch das habe ich schon oft betont - eine einseitige Konzentration auf Mietwohnungen greift zu kurz .
Deutschland ist, historisch bedingt, ein Land der Mieterinnen und Mieter . Aber 80 Prozent der Deutschen träumen vom eigenen Heim oder von der eigenen Wohnung .
({8})
Zu Recht! Denn Wohneigentum ist die beste Altersvorsorge . Hinzu kommt, dass jede Eigentumswohnung und
jedes Eigenheim die Wohnungsmärkte entlastet . Derzeit
liegt die Eigentumsquote in Deutschland bei etwa 52 Prozent . Ich sage ganz offen: Da ist noch Luft nach oben .
({9})
Deshalb wollen wir die Rahmenbedingungen so anpassen, dass sich auch Familien und Haushalte mit
niedrigem oder mittlerem Einkommen den Traum vom
Eigenheim erfüllen können . Deshalb wollen wir ein Baukindergeld für den Erwerb von selbstgenutztem Wohneigentum schaffen . Wir wollen die Wohnungsbauprämie
endlich wieder an die Einkommensgrenzen anpassen und
die Einkommensgrenzen an dieser Stelle erhöhen . Das
ist dringend notwendig, weil die letzte Anpassung sehr
weit zurückliegt .
({10})
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss .
Ich bin zuversichtlich, dass wir mit diesem Strauß an
Maßnahmen mehr bezahlbaren Wohnraum in Deutschland schaffen werden .
Vielen Dank .
({11})
Vielen Dank, Frau Weisgerber . - Nächster Redner für
die SPD-Fraktion: Michael Groß .
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr
Pronold, ich möchte zu Beginn der Ministerin sehr herzlich danken, dass sie sich erfolgreich dafür eingesetzt hat,
dass wir inzwischen 1,5 Milliarden Euro für den sozialen
Wohnungsbau ausgeben können . Damit werden wir in
den Jahren 2017, 2018 und 2019 Schätzungen zufolge
45 000 Wohnungen bauen können . Dass hier eine Kehrtwende eingeleitet wurde, ist ein großes Verdienst ihres
Hauses und von Ihnen, Herr Pronold . Herzlichen Dank!
({0})
Ich möchte auf Frau Weisgerber eingehen . Wir haben
in Deutschland ein großes Problem, das insbesondere
Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen betrifft . Deutschland ist ein Mieterland . Das bedeutet, dass
etwa 57 Prozent der Haushalte Miete zahlen . Die Miete
bewegt sich dabei zwischen 4 Euro und 16, 17 Euro pro
Quadratmeter in den Großstädten . Darüber reden wir .
Herr Kühn hat schon darauf hingewiesen, dass 50 Prozent der Menschen davon betroffen sind, dass wir zu wenig bzw . knappen Wohnraum haben .
Was sind das für Probleme? Man wird alt und braucht
eine neue Wohnung, weil man sich verkleinern will . Man
hat, wenn man Rente bekommt, Probleme, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Vergrößert sich die Familie,
bekommt man also Kinder, hat man in Großstädten das
Problem, eine Wohnung zu finden, die mit dem eigenen
Einkommen bezahlbar ist . Deswegen sagen auch wir
Sozialdemokraten eindeutig: Wir brauchen wieder eine
neue Gemeinwohlorientierung oder neue Gemeinnützigkeit, um für die Menschen bezahlbaren Wohnraum zu
schaffen, und darum wollen wir uns kümmern .
({1})
Das ist für uns Daseinsvorsorge . Das ist die Schaffung
von gleichen Lebensverhältnissen .
Wir haben schon gehört, dass es immer mehr Baugenehmigungen gibt und dass es auch immer mehr Sozialwohnungen gibt - das findet statt -, aber ein Riesenproblem ist für uns, dass wir als Bund ab 2020 nicht mehr
gemeinsam mit den Kommunen und den Ländern für bezahlbaren Wohnraum sorgen können . Deswegen wollen
wir Sozialdemokraten diese gemeinsame Verantwortung
auch nach 2020 wieder möglich machen, und deswegen
wollen wir eine Grundgesetzänderung anstreben .
({2})
Die Verbesserungen beim Wohngeld sind schon angesprochen worden, die in der Städtebauförderung auch .
Ich will aber noch auf zwei Punkte eingehen .
Die Kolleginnen und Kollegen von der Union haben
das Mietrecht angesprochen . Herr Pronold hat schon
darauf hingewiesen, dass wir uns da viel mehr erhofft
haben . Im Koalitionsvertrag haben wir auch wesentlich
mehr vereinbart . Ich ärgere mich da massiv . Wenn ich einen Ihrer Kollegen zitieren darf, der in Tempelhof-Schöneberg Abgeordneter ist: Im Bundestag habe ich Gesetzesvorschläge des Justizministeriums entschärft, die
Investitionen im Wohnungsbau massiv erschwert hätten . - Er selber sagt, dass er das Mietrecht nicht schärfen
wollte . Er sagt, er wollte die Eigentümer schützen . Das
ist doch eine Ohrfeige für die Mieter und Mieterinnen,
insbesondere hier in Berlin, aber auch in allen anderen
Großstädten .
({3})
Wir wollten sogar ein Mietrechtspaket II, die Modernisierungsumlage von 11 Prozent auf 8 Prozent senken,
eine Kappungsgrenze einführen, eine Härtefallklausel
schaffen - alles mit Ihnen nicht machbar .
({4})
Ich hoffe, dass in der nächsten Legislatur diese Dinge erreicht werden können, weil sie für die Bürgerinnen und
Bürger, für die Mieter in diesem Land wichtig sind .
({5})
- Ja .
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein wichtiges Thema, das auch schon angesprochen wurde, ist das Thema
Bodenpolitik . Ich glaube, dass neben der Gemeinwohlorientierung oder Gemeinnützigkeit ein wichtiges Ziel
sein muss, die Kommunen wieder zu stärken, damit sie
bei der Bodenpolitik wieder handlungsfähig werden, damit sie eine vorausschauende Bodenpolitik machen können .
({7})
All das, was wir mit Gemeinnützigkeit erreichen können, kann man heute in einer kommunalen Wohnungsgesellschaft entscheiden, nämlich: reinvestieren, keine
Ausschüttungen vornehmen, Rendite begrenzen . Deswegen brauchen wir mehr kommunale Wohnungsunternehmen, als wir heute haben .
({8})
600 kommunale Wohnungsunternehmen halten 60 Prozent der Sozialbindungen, und das müssen wir ausbauen .
Herzlichen Dank . Glück auf!
({9})
Vielen Dank, Kollege Groß . - Nächster Redner:
Oliver Grundmann für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die heutige Debatte hat uns wieder eines gezeigt: Der soziale Wohnungsbau ist ein komplexes Thema . Mit Übereifer und Polemik kommen wir hier nicht weiter, lieber
Herr Kollege Kühn .
Grundsätzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Linken, stimmen wir hoffentlich in einem Punkt überein,
nämlich in der Bestandsaufnahme . Es fehlt an günstigem
Wohnraum in den Großstädten, und es ist insofern gut,
dass wir heute über dieses wichtige Thema sprechen .
Fakt ist: Wir brauchen jährlich rund 400 000 neue
Wohnungen . Wir brauchen Wohnraum in allen Bereichen, in allen Segmenten . Ja, wir brauchen auch günstigen Wohnraum . Ich hoffe, auch hier sind wir uns noch
einig: Der soziale Wohnungsbau wird diesen Bedarf alleine nicht decken können . Meine Kollegen haben es in
ihren Reden schon deutlich gemacht: Private Investoren
und der Eigenheimbau - auch das sind zentrale Säulen,
die wir dringend stärken müssen . Dazu brauchen wir die
steuerliche Förderung im Mietwohnungsneubau . Das
sind ganz wichtige Anreize für den Wohnungsmarkt .
Auch mit einem attraktiven Baukindergeld muss jungen
Familien geholfen werden, den Traum vom Eigenheim
zu realisieren . Das Thema Baukindergeld wird in der
nächsten Legislaturperiode ganz oben auf unserer Agenda stehen . Da hoffen wir, deutlich mehr zu bewirken .
({0})
Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir
dürfen einen Fehler nicht machen: Wir dürfen die Wohnungsbaudebatte nicht allein auf die Brennpunkte des
Wohnungsmarkts verengen . Jetzt auf Teufel komm raus
billigen Wohnraum, graue Wohntürme in vielen neuen
Satellitenstädten zu schaffen, das führt in eine völlig verkehrte Richtung . Damit schaffen wir den Sanierungsfall
für die Zukunft und auch Leerstände von morgen . Hier
gibt es genügend Beispiele in der Vergangenheit, beispielsweise in der DDR . Schauen wir auf das europäische Ausland . Die Bilder der Vorortstädte in Frankreich
kennen wir alle . Das brauche ich nicht zu wiederholen .
Deswegen plädiere ich dafür, nicht an den Symptomen
herumzudoktern, sondern das Problem an der Wurzel zu
packen .
Vor diesem Hintergrund erst einmal eine kleine Bestandsaufnahme: Ja, Städte sind Magnete mit einer großen Anziehungskraft . Viele Menschen zieht es dorthin,
aber nicht jede Stadt ist ein pulsierender Jobmotor wie
München, Frankfurt oder Hamburg . Nicht jede Stadt bietet einen sicheren Hafen für Vollbeschäftigung . Beispielsweise sind Bremen oder Bremerhaven oder zahlreiche
Städte in Nordrhein-Westfalen von Vollbeschäftigung
weit entfernt, sie sind teilweise die traurigen Anführer in
den Arbeitslosenstatistiken .
({1})
Meine Botschaft lautet daher: Schaut aufs Land . Es ist
fahrlässig, den ländlichen Raum in der Diskussion über
bezahlbaren Wohnraum zu ignorieren . Ja, viele Menschen zieht es vom Land in die Städte, aber wir müssen
auch eine Ecke weiterdenken . Der ländliche Raum darf
nicht länger Ursache des Problems sein, sondern er muss
Teil der Lösung werden .
({2})
Ich will das gerne mit einem Beispiel verdeutlichen .
Mein Wahlkreis liegt im Elbe-Weser-Dreieck zwischen
der Metropolregion Hamburg und der Großstadt Bremen .
Wir sind eine kraftvolle Region im ländlichen Raum, mit
einem starken Branchenmix aus Industrie, Handel, Handwerk, Landwirtschaft und vor allem einem starken und
gesunden Mittelstand . Ja, wir sind ein Jobmotor . Rund
um Zeven beispielsweise haben wir fast Vollbeschäftigung, eine Arbeitslosenquote von 4 Prozent .
({3})
Aber wir haben noch mehr . Wir haben ein starkes Miteinander, eine lebendige Vereinsstruktur und ganz viel
Grün . Warum Hamburg und Bremen immer weiter verdichten, wenn die schönste Region zum Wohnen genau
zwischen diesen beiden Metropolregionen liegt, dort, wo
Menschen Urlaub machen?
({4})
Bei uns - bei mir in Zeven, Selsingen, Harsefeld, Fredenbeck; ich könnte zahlreiche Gemeinden nennen - sucht
der Mittelstand händeringend Arbeitskräfte . Im Handwerk werden dringend Auszubildende gesucht .
({5})
- Genau, lieber Michael . - Dort pulsiert es . Das sind
Chancen, die wir nutzen können und die wir nutzen
müssen . Die Menschen sehnen sich nach einer Heimat,
einem Zuhause, wo sie sich wohlfühlen, wo sie eingebettet sind in ein gutes Umfeld von Familie, von Freunden,
von Vereinen, wo sie gute Arbeit finden können, wo sie
mit ihren Familien Wurzeln schlagen können . Was sich
niemand wünscht, sind anonyme, kalte, graue Vorstädte
ohne sozialen Rückhalt, ohne gute Lebens- und Arbeitsbedingungen .
Daher müssen wir aufpassen, dass wir keine Ballungszentren schaffen, die am Ende zum Ballungsraum für
Probleme werden . Ich glaube, der ländliche Raum kann
zu einem ganz wichtigen Entlastungsventil für überhitzte
Wohnungsmärkte werden . Aber es stellt sich die Frage:
Was müssen wir tun, damit unsere liebenswerte Heimat,
der ländliche Raum, eine wirkliche Entlastungsfunktion
einnehmen kann? An erster Stelle steht das Thema Verkehrsinfrastruktur . Autobahnen, Straßen, Schienenwege - das sind die Lebensadern einer modernen Volkswirtschaft .
Stade, meine Heimatstadt, ist mittlerweile an das
S-Bahn-Netz der Metropolregion Hamburg angeschlossen . Das gibt uns die Möglichkeit, dass Tausende von
Pendlern auf die S-Bahn umsteigen können . Mit meinem
VW-Bus, mit dem ich unterwegs bin, brauche ich für die
35 Kilometer Luftlinie von der Tür meines Hauses in Stade bis nach Hamburg teilweise über eine Stunde Fahrzeit,
sogar bis zu zwei Stunden . Autobahnen, die wir brauchen, wie die A 26, wurden Jahrzehnte vom politischen
Gegner bekämpft . Man hat allein 40 Jahre gebraucht, um
sie gerade einmal bis zur Hälfte zu realisieren . Wir sind
unglaublich dankbar und stolz auf diese Große Koalition,
dass wir den Bundesverkehrswegeplan im letzten Jahr
auf die Straße gebracht haben - im Übrigen gegen Grüne und Linke beschlossen, sie haben das ja bekämpft -,
damit es endlich weitergehen kann mit unseren dringend
notwendigen Verkehrsachsen A 26, A 20 und den zahlreichen Autobahnen und Bundesstraßen in den Wahlkreisen
meiner Kollegen .
({6})
Natürlich müssen wir die Digitalisierung und den
Breitbandausbau schnellstens voranbringen . Die digitale
Spaltung muss beendet werden. Wir brauchen flächendeckend Funkmasten . Der Schweizer Käse, den wir haben,
muss ein Ende haben . Wenn ich durch meinen Wahlkreis
fahre, habe ich dort permanent Abrisse .
Herr Grundmann, erlauben Sie eine Frage oder Bemerkung von Frau Lay?
Ja .
Vielen Dank, Herr Kollege . Ich freue mich, dass die
Debatte zu unserer Großen Anfrage „Sozialer Wohnungsbau in Deutschland“ zu einer gesamtgesellschaftspolitischen Debatte geworden ist .
Ich möchte es gerne konkret machen . Beispielsweise
finden die Menschen bei uns in der Lausitz keine Arbeit,
es fährt kein Bus vom Dorf in die nächste Stadt . Dank
der Schulschließungspolitik Ihrer Kollegen von der CDU
finden sie auf dem Land auch keine Schulen mehr. Deswegen ziehen sie beispielsweise nach Dresden oder nach
Leipzig, weil sie dort Arbeit, Schule und öffentliche Infrastruktur finden. Dort finden sie aber dann keine bezahlbare Wohnung mehr .
Meine Frage an Sie ist: Was raten Sie eigentlich Ihren
Kolleginnen und Kollegen von der sächsischen CDU?
Sollen sie die fatale Politik der Schulschließungen in
ländlichen Regionen beenden oder endlich auch in Sachsen Sozialwohnungen bauen? Sachsen ist eines der wenigen Bundesländer, in denen in den letzten Jahren keine einzige Sozialwohnung gebaut wurde. Ich finde das
wirklich beschämend .
({0})
Sehr geehrte Frau Kollegin Lay, ich danke Ihnen für
Ihre Frage . Das eine zu tun, bedeutet natürlich nicht,
das andere zu lassen . Wir müssen die privaten Kräfte im
Wohnungsbau stärken, wir müssen durch entsprechende Anreizsysteme Möglichkeiten schaffen, dass private
Bauwillige dort etwas tun, und wir müssen den ländlichen Raum stärken . Ich glaube, da sind die Kolleginnen
und Kollegen insbesondere in den östlichen Bundesländern auf einem sehr guten Wege . Den ländlichen Raum
müssen wir kraftvoll ausbauen .
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme
zu einem weiteren Thema, das mir persönlich sehr am
Herzen liegt: die Geruchsimmissions-Richtlinie . Junge
Familien in Niedersachsen, insbesondere bei uns im Elbe-Weser-Raum, dürfen nicht mehr in ihren Heimatdörfern bauen, dürfen nicht dort bauen, wo sie geboren sind,
wo sie aufgewachsen sind, wo sie als Kinder gespielt haben, weil es dort eine Vorschrift gibt: die Geruchsimmissions-Richtlinie, die es ihnen verbietet, selbst in Baulücken auf elterlichen Grundstücken günstige Eigenheime
zu errichten - nur weil es nach Landluft riecht, die sie
seit ihrer Geburt eingeatmet haben, die gesundheitlich
nachweislich absolut unbedenklich ist . Aber der niedersächsische Umweltminister stellt sich quer und denkt
überhaupt nicht daran, die Geruchsimmissions-Richtlinie zu überarbeiten und das Bauen auf dem Lande zu
ermöglichen . Hier hoffe ich auf Unterstützung dabei, das
zukünftig aus dem Wege zu räumen .
({1})
Es kann doch nicht sein, dass der ländliche Raum wegen
solchen Bürokratieirrsinns weiter ausblutet und unsere
Dörfer keine Zukunft haben .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir
es richtig anfassen, dann kann der ländliche Raum einen
wesentlichen Beitrag zur Entspannung der Wohnungsmärkte leisten . Der ländliche Raum und das Umland von
Städten können ein leistungsstarkes Entlastungsventil für
unsere Städte werden . Aber dann müssen wir ihnen eben
auch Chancen geben . Den Blick auf Großstädte zu verengen, ist der falsche Weg .
Deutschland, meine sehr geehrten Damen und Herren,
besteht aus Städten und Dörfern . Deutschland besteht
zu 90 Prozent aus ländlichem Raum, und die Hälfte der
Menschen lebt auf dem Lande . Daher wiederhole ich
meine klare Botschaft: Schaut aufs Land! Wenn die Entwicklungschancen gerecht und gleich verteilt sind und
sich damit auch der Wohnungsmarkt in den Städten entspannt, dann eröffnet uns das sehr gute Chancen, dann
profitieren wir alle davon - die Städte und das Land. In
diesem Sinne: Lassen Sie uns diesen Weg weitergehen .
Vielen herzlichen Dank .
({2})
Vielen Dank, Oliver Grundmann . - Nächster Redner:
Carsten Träger für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Bezahlbares Wohnen ist eine Frage der Gerechtigkeit . Wir sehen in fast allen Großstädten unseres
Landes, dass die Preise so sehr steigen, dass die uralte
Faustregel gebrochen wird: Ein Drittel des Einkommens
für Wohnen aufzuwenden, ist okay . - Wenn es mehr kostet, wird es eng im Geldbeutel, vor allem, wenn der Geldbeutel nicht so groß ist .
Auch in meiner Heimatstadt Fürth ist dieses Problem
sichtbar, aber wir gehen es erfolgreich an . Bereits seit
dem Amtsantritt des Oberbürgermeisters im Jahr 2002
zeigt die Stadt, wie nachhaltige und gute Planung im
Rahmen von engen örtlichen Gegebenheiten funktioniert . Wir sind eine kleine, aber wachsende Großstadt mit
bald 130 000 Einwohnern . In den letzten 15 Jahren zogen pro Jahr im Schnitt 1 000 Einwohner zu; denn Fürth
ist attraktiv . Wir haben im Schnitt 18 Baudenkmäler pro
1 000 Einwohner . Damit gehört Fürth zu den sechs am
besten erhaltenen Großstädten in Deutschland . Das ist
ein Topwert, aber natürlich bedeutet es gleichzeitig eine
riesige Herausforderung hinsichtlich der städtebaulichen
Entwicklung .
Herr Kollege Grundmann, Sie sagen selbst, dass Sie
vom Land kommen . Dann reden Sie besser nicht von
„grauen Wohntürmen“ in irgendwelchen Banlieues .
({0})
Das hat mit sozialem Wohnungsbau heutzutage nichts
mehr zu tun . Bei uns funktioniert es . Und wie funktioniert
es? Über das Programm „Soziale Stadt“ . Der Oberbürgermeister Thomas Jung ruft bereits seit seinem Amtsantritt 2002 die zur Verfügung stehenden Fördermittel konsequent ab . Das ist der Schlüssel für viele erfolgreiche
Projekte; nicht nur im sozialen Wohnungsbau, aber eben
auch im sozialen Wohnungsbau . Es funktioniert, wenn es
Hand in Hand geht .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist das Verdienst
der Bundesbauministerin Barbara Hendricks und von
Ihnen, Herr Staatssekretär Pronold, dass die Erfolgsgeschichte „Soziale Stadt“ weitergeführt und vor allem
stärker gefördert wird .
({1})
Denn das Programm „Soziale Stadt“ erfuhr erst unter Ihrer Regie eine richtige Blüte . Unter der schwarz-gelben
Vorgängerregierung wurden die Mittel zusammengestrichen . Erst in dieser Legislaturperiode haben wir das Programm wieder ordentlich und gut ausgestattet .
({2})
In der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft der
Stadt Fürth schlägt sich nachhaltiges Arbeiten deutlich
nieder . Schritt für Schritt, Gebäude für Gebäude, Straßenzug um Straßenzug werden die alten Bauten saniert .
Die Kosten werden per Mischkalkulation sozialverträglich umgelegt . Das ist auch im Sinne der Bestandsmieter .
Dass bei der Sanierung auch die Ziele der Energie- und
Wärmewende vorangetrieben werden, ist kein Zufall,
sondern ausdrückliche Absicht .
Alle diese Beispiele aus meiner Heimatstadt zeigen:
Wenn die SPD Verantwortung trägt, entsteht nachhaltiger, attraktiver und günstiger Wohnraum, auch in einer
dynamisch wachsenden Stadt . Wir brauchen mehr sozialen Wohnungsbau in Deutschland, damit Wohnen
bezahlbar wird und bleibt . Auch das ist eine Frage der
Gerechtigkeit .
Vielen Dank .
({3})
Vielen Dank, Carsten Träger . - Letzter Redner in der
Debatte: Detlev Pilger für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Gäste! Sehr geehrter Herr Grundmann,
auch ich will keine grauen Trabantenstädte in den Großstädten, das ist ganz klar - aber Carsten Träger hat darauf
hingewiesen: es gibt moderne und innovative Entwicklungen beim sozialen Wohnungsbau -, und auch ich will
keine ländlichen Räume ohne jegliche Infrastruktur haben; denn aus diesem Grund ziehen die Menschen aus
dem ländlichen Raum in die Ballungsgebiete und in die
Städte .
Wir können stolz darauf sein, Herr Staatssekretär
Pronold, dass wir im Haushalt 1,5 Milliarden Euro für
den Wohnungsbau eingestellt haben . Das ist eine gute
Sache . Aber wir dürften uns einig sein: Der soziale Wohnungsbaumarkt wurde dadurch nicht wesentlich belebt .
Die Zahlen wurden genannt: 25 000 Wohnungen werden
jährlich gebaut, circa 50 000 Wohnungen fallen jährlich
aus der sozialen Bindung . Man sieht: Das bisherige System, den sozialen Wohnungsbau zu forcieren, hat nicht
funktioniert .
Ich möchte Ihnen ein paar Beispiele aus meinem
Wahlkreis nennen . Es handelt sich um eine Familie mit
vier Personen, zwei davon im Vollerwerb . Ich komme
aus Koblenz . Koblenz ist eine wachsende Stadt, aber immer noch eine kleine Großstadt; ähnlich wie die Stadt,
aus der Carsten Träger kommt. Dort finden Sie für diese
Familie keinen bezahlbaren Wohnraum .
Ein anderes Beispiel . Ich bin in Obdachloseninitiativen tätig . Dort gibt es Männer und Frauen, die in TheraOliver Grundmann
pie sind, die in Projekten für begleitetes Wohnen leben,
und wieder in der Gesellschaft Fuß fassen wollen . Versuchen Sie einmal, für eine solche Person eine Wohnung in
einer Stadt zu finden.
Ich bin im Beirat der Justizvollzugsanstalt Koblenz .
Wir sprechen sehr oft von Resozialisierung . Versuchen
Sie einmal für jemanden eine Wohnung zu finden, der
eine zweite Chance braucht . Sie haben keinerlei Chance .
Wir sind uns an dieser Stelle hoffentlich alle einig,
dass auch diese Menschen eine würdige Unterkunft verdienen und dass wir den Auftrag haben, für diese Menschen eine Wohnung zu finden. Es kann unmöglich sein,
dass man in Städten ganzen Bevölkerungsgruppen keine
Wohnungen mehr anbieten kann .
({0})
In der letzten Woche kam ein Hartz-IV-Empfänger
zu mir ins Büro - verheiratet, seine Frau frühverrentet,
mehrfach erkrankt -, der seine Wohnung wegen Eigenbedarf räumen soll . Er war zwar langzeitarbeitslos, ist
aber nie auffällig geworden, er hat immer die Energiekosten bezahlt . Jetzt muss er auf dem Wohnungsmarkt
eine Wohnung finden. Ich bin äußerst gut auf dem Wohnungsmarkt vernetzt . Ich bin seit 30 Jahren Mitglied des
Aufsichtsrats einer großen Genossenschaft, davon war
ich 15 Jahre Aufsichtsratsvorsitzender, ich habe also gute
Verbindungen . Suchen Sie einmal für diesen Mann und
seine Frau eine Wohnung . Sie haben keine Chance . Er
hat keine Chance, eine Wohnung zu finden, und er ist
jetzt von der Zwangsräumung bedroht . Das kann nicht
sein, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({1})
Wir müssen den sozialen Wohnungsbau forcieren .
Wie machen wir das? Wir müssen - es wurde mehrfach
angesprochen - die Genossenschaften und die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften unterstützen und
mehr fördern, und auch die Privaten gehören unterstützt .
Das hat den Wohnungsbaumarkt stabilisiert, Arbeitsplätze gesichert, Unternehmen stabilisiert . Das, was wir
gemacht haben, ist gut; aber dadurch wurde der soziale
Wohnungsbau nicht belebt . Das ist eine gesellschaftliche
Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen . Das sollten
wir alle gemeinsam machen, egal welches Parteibuch wir
haben;
({2})
denn das führt zur Zufriedenheit vieler Menschen, und
das ist unser Auftrag .
Vielen Dank .
({3})
Vielen Dank, Kollege Pilger . - Damit schließe ich die
Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/12387 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich
jemand? - Nein . Der Entschließungsantrag ist abgelehnt .
Zugestimmt haben die Linke und Bündnis 90/Die Grünen . Dagegen war die Große Koalition, CDU/CSU und
SPD .
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Gemeinsam für bezahlbares Wohnen - Lebenswert
und klimafreundlich“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11020, den
Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/10027 abzulehnen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine . Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen
waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .
Wir kommen zu einem neuen Tagesordnungspunkt,
und ich bitte Sie, die Plätze zu tauschen .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Verbraucherpolitischer Bericht der Bundesregierung 2016
Drucksache 18/9495
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss Digitale Agenda
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Ich höre und
sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Bundesminister Heiko Maas .
({1})
Vielen Dank . - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Das ist der erste verbraucherpolitische Bericht, der unter Federführung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vorgelegt
wird . Mit dem neuen Zuschnitt des Ressorts haben wir
zu Beginn der Wahlperiode einen richtigen Schritt getan;
denn heute kommt die Stärke des Rechts all denjenigen
zugute, die im Wirtschaftsleben etwas schwächer sind,
und das sind in der Regel die Verbraucherinnen und Verbraucher .
Meine Damen und Herren, ich möchte drei Verbrauchergruppen herausgreifen, denen unsere Arbeit in den
letzten Jahren besonders zugutegekommen ist: Das sind
die Internetnutzer, das sind Bankkunden, und das sind
auch Mieterinnen und Mieter .
Die Digitalisierung hat den Zugang zu Wissen und
Informationen in den letzten Jahren ganz enorm erleichtert . Damit sind allerdings auch große Unsicherheiten
entstanden, zum Beispiel, wenn es um das Kopieren und
die Nutzung von Inhalten aus dem Netz geht - Dinge, die
uns alle tagtäglich betreffen .
Verbraucherschutz im digitalen Zeitalter - das heißt
eben auch: Der Lehrer, der für sein Unterrichtsmaterial
einen Text aus dem Netz kopiert, braucht Rechtssicherheit, und ein Schüler, der für sein Referat ein Foto herunterlädt, soll nicht länger von Abmahnungen und Anwaltskosten bedroht sein .
({0})
Deshalb schaffen wir mit der Reform des Urheberrechts,
die im Laufe des heutigen Tages beschlossen werden
soll, Rechtssicherheit . Wir erlauben solche Nutzungen
per Gesetz, und wir schützen damit die Verbraucherinnen
und Verbraucher vor juristischen Risiken und Nebenwirkungen .
Mehr Verbraucherschutz im Netz - das heißt darüber
hinaus auch:
Wir haben die Störerhaftung für die Anbieter von
WLANs abgeschafft . Das erleichtert die Errichtung von
Hotspots und den Zugang zum Netz für alle Verbraucherinnen und Verbraucher .
Wir konnten in Europa erreichen, dass das Geoblocking eingeschränkt wird . Was der Verbraucher einmal
bezahlt hat, soll er auch überall nutzen können . Auch das
gehört zur Freizügigkeit, nämlich der der Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa .
({1})
Und schon in vier Wochen werden in Europa endlich
die Roaminggebühren fallen . Das heißt, in absehbarer
Zeit wird die Abzocke von Verbraucherinnen und Verbrauchern beim grenzüberschreitenden Telefonieren endlich ein Ende haben .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Verbraucherpolitik im digitalen Zeitalter - das heißt auch Datenpolitik . Mit der neuen Datenschutz-Grundverordnung
haben wir die Datensouveränität, also die Selbstbestimmung der Verbraucherinnen und Verbraucher über ihre
persönlichen Daten, ganz erheblich gestärkt . Noch wichtiger ist dabei: Die Grundverordnung wird für alle Unternehmen gelten, die auf dem europäischen Markt tätig
sind . Kein Unternehmen kann dann Verbraucherrechte
ignorieren, weil es keine Niederlassung in der EU hat
oder seine Server irgendwo in Übersee stehen . Das ist
im digitalen Zeitalter, das immer mehr unser gesamtes
Leben, und zwar beruflich wie privat, bestimmt, ein ganz
erheblicher Fortschritt, den wir in dieser Legislaturperiode zusammen erreichen konnten .
({2})
Meine Damen und Herren, Deutschland ist ein Mieterland . Das wissen wir alle . Deshalb muss Verbraucherpolitik immer auch Mieterpolitik sein . Mit dem Bestellerprinzip bei Maklerkosten haben wir Wohnungssuchende
finanziell ganz erheblich entlastet. Wir haben damit das
Grundprinzip der Marktwirtschaft, nämlich: „Wer bestellt, bezahlt“, auch bei den Maklerkosten eingeführt .
Im Interesse von Mieterinnen und Mietern haben wir
zudem einen weiteren juristischen Schritt getan: Bei
Neuvermietungen liegt es jetzt nicht mehr allein in der
Hand des Vermieters, über die Höhe der Miete zu bestimmen . Wir wissen, dass es in den Ballungszentren Mietsteigerungen von 20, 30 oder 40 Prozent gegeben hat .
Deswegen haben wir die Mietpreisbremse eingeführt . Sie
ist ein völlig neues Instrument; in der Form hat es sie
noch nicht gegeben . Sie hat zum Ziel, die drastischen Erhöhungen von Mieten, welche zu Verdrängungen und zu
Monokultur in begehrten Stadtvierteln führen - das will
ja niemand - erheblich einzuschränken . Deshalb ist und
bleibt die Mietpreisbremse richtig und wichtig .
Wir müssen aber dafür sorgen, dass die Probleme bei
der Anwendung der Mietpreisbremse, die es derzeit noch
gibt, ganz erheblich verringert werden . Das könnte man
ganz einfach erreichen, indem man Vermieter gesetzlich
verpflichtet, die Vormiete offenzulegen. Dadurch würde
offenkundig, ob die Mietpreisbremse beachtet oder verletzt wird . Bewerberinnen und Bewerber für eine Wohnung, die mit 20 Konkurrenten in der Schlange stehen,
müssten sich dann gar nicht erst überlegen, ob sie sich bei
ihrem potenziellen neuen Vermieter möglicherweise unbeliebt machen, wenn sie sich nach der Vormiete erkundigen, und deshalb die Wohnung nicht bekommen . Die
jetzige Situation führt ja dazu, dass die Mietpreisbremse,
die gesetzlich besteht und fixiert ist, bedauerlicherweise
noch nicht überall dort, wo sie gebraucht wird, auch in
Anwendung kommt . Wie gesagt, das könnte man ganz
einfach ändern, indem man den Vermieter verpflichtet,
die Vormiete offenzulegen .
({3})
Meine Damen und Herren, auch bei einem anderen
Thema, nämlich beim Thema Finanzen, haben wir in den
letzten fast vier Jahren viel für die Verbraucherinnen und
Verbraucher erreicht . Auch das ist ein wichtiges Thema
für Verbraucherinnen und Verbraucher .
Mit dem Girokonto für jedermann haben wir endlich
dafür gesorgt, dass jeder am bargeldlosen Leben teilhaben kann .
Wir haben darüber hinaus Verbraucherinnen und Verbraucher vor der Schuldenfalle Dispokredit besser geschützt . Wir haben die Banken zu mehr Transparenz bei
ihren Zinssätzen gezwungen und sie verpflichtet, jedem,
der zu tief in den Dispo gerät, eine Beratung und Umschuldung anzubieten .
Wir haben außerdem mehr Wettbewerb im Bereich
der Konten geschaffen . Verbraucherinnen und Verbraucher können ihr Girokonto heute wesentlich einfacher
wechseln, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen
ist . In Zeiten steigender Kontoführungsgebühren ist das
außerordentlich wichtig .
Schließlich haben wir mit dem Kleinanlegerschutzgesetz den Grauen Kapitalmarkt reguliert und die Menschen vor unseriösen und intransparenten Finanzprodukten besser geschützt . Die BaFin hat deshalb jetzt mehr
Befugnisse bekommen . Sie kann jetzt gegen schwarze
Schafe in der Branche besser vorgehen und notfalls auch
Vertriebsverbote verhängen sowie Sanktionen öffentlich
bekannt machen . Wenn es das schon vorher gegeben
hätte, hätte es einen Fall wie Prokon in Deutschland nie
gegeben .
({4})
Meine Damen und Herren, wir haben in den Jahren
dieser Legislaturperiode auch die Strukturen der Verbraucherpolitik verändert:
Wir haben mit der Verbraucherschlichtung einen Weg
geschaffen, damit Betroffene ihre Rechte gegenüber Unternehmen einfach, schnell und kostengünstig durchsetzen können .
Wir haben als eine Art Frühwarnsystem die Marktwächter geschaffen, um Missstände, die es gegenüber
Verbraucherinnen und Verbrauchern gibt, zu erkennen
und sie den Entscheidungsträgern zuzuführen .
Wir haben den Verbraucherorganisationen mehr Rechte gegeben, zum Beispiel durch die Ausweitung der Verbandsklage .
Wir haben der Verbraucherpolitik auch international
zu einem höheren Stellenwert verholfen . Zum ersten Mal
hat sich in diesem Jahr ein G-20-Gipfel mit dem Verbraucherschutz beschäftigt . Alle Regierungen dieser 20 Staaten fangen endlich an, die Wirtschaft nicht nur aus Sicht
von Staaten, Unternehmen und Managern zu betrachten,
sondern auch aus der Perspektive von Verbraucherinnen
und Verbrauchern . Das ist für uns selbstverständlich,
aber für viele ist es immer noch revolutionär . Deshalb
war es überfällig, dass wir im Rahmen unserer Präsidentschaft dafür gesorgt haben, dass dieser Weg eingeschlagen wird .
({5})
Meine Damen und Herren, eine weitere kleine Revolution für Deutschlands Verbraucherinnen und Verbraucher
würde ich mir auch im Bereich des Prozessrechts wünschen, nämlich in Form der Musterfeststellungsklage .
Eigentlich dürfen wir nicht zulassen, dass Großkonzerne
mit Rechtsverstößen ungeschoren davonkommen, nur
weil sich die Betroffenen verständlicherweise scheuen,
gegen Großunternehmen, multinationale Unternehmen
eine Klage anzustrengen . Verbraucherorganisationen
müssen hier mehr Rechte bekommen . Wo verbraucherrechtliche Streitigkeiten massenhaft auftreten, könnten
sie dann mit nur einer Klage die Sache vor Gericht bringen . Das liegt nicht nur im Interesse von Verbraucherinnen und Verbrauchern, sondern das kann auch im Interesse von Unternehmen liegen; denn Musterklagen können
rasch Rechtssicherheit für beide Seiten schaffen . Das ist
manchmal besser, als wenn jahrelang die Schadensersatzforderungen wie ein Damoklesschwert über einem
Unternehmen hängen .
Viele, die sich mit diesem Thema auseinandergesetzt
haben, haben eigene Vorschläge dazu gemacht . Auch
wenn die Musterfeststellungsklage in dieser Legislaturperiode nicht mehr kommt: Im nächsten verbraucherpolitischen Bericht sollte sie nicht mehr fehlen, meine sehr
verehrten Damen und Herren .
({6})
Auch da geht es wie in der gesamten Verbraucherpolitik vor allen Dingen um eines, nämlich: Recht zu haben,
muss auch bedeuten, Recht zu bekommen . Das muss
für Verbraucherinnen und Verbraucher künftig genauso
zusammenhängen, wie das bei Justiz und Verbraucherschutz heute schon der Fall ist .
Herzlichen Dank .
({7})
Vielen Dank, Heiko Maas . - Nächste Rednerin: Karin
Binder für die Fraktion Die Linke .
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister!
Meine Kolleginnen und Kollegen! Verbraucherpolitik wurde in der 18 . Legislaturperiode aufgeteilt: Wirtschaftlicher Verbraucherschutz ging an das Ministerium
der Justiz und für Verbraucherschutz, gesundheitlicher
Verbraucherschutz blieb beim Bundesministerium für
Ernährung und Landwirtschaft . Wozu führt das? Verbraucherpolitik wird aufgeteilt und damit geschwächt .
Sie wird in zwei Ministerien als Anhängsel betrachtet
und verliert damit ihre Durchschlagskraft . Dafür gibt es
leider zahlreiche Beispiele .
Ich beginne mit dem VW-Skandal . Der Abgasskandal,
der wahrscheinlich auch Ihnen, den Besucherinnen und
Besuchern hier im Bundestag, nicht unbekannt ist, hat
deutlich gemacht, dass Verbraucherschutz ganz dringend
gestärkt werden muss . Statt jedoch die Verbraucher zu
stärken, wird die Automobilbranche vor den berechtigten Ansprüchen von Autokäufern und der geschädigten
Gesamtgesellschaft geschützt . Die VW-Fahrer bleiben
auf den Kosten und die Gesellschaft auf Umwelt- und
Klimaschäden sitzen . Mehrfach wurde im Ausschuss die
Beratung dieses Themas angesetzt - und von den Koalitionsfraktionen wieder abgesetzt . Es war also nicht möglich, auch für uns als Opposition nicht, hier tatsächlich
die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber der Wirtschaft und Finanzwelt zu stärken .
Es gibt heute weder Gruppen- noch Sammelklagen .
Herr Minister, warum gibt es noch keine Möglichkeit zur
Musterfeststellungsklage? Das wäre wünschenswert . Genau in diesem Fall hätten wir sie gebraucht - nicht in vier
Jahren, sondern jetzt .
({0})
In vier Jahren sind nämlich die ganzen Fristen für die
Geschädigten abgelaufen . Und wer klagt dann das Recht
ein? Nein, die Unternehmen behalten dann ihre unrechtmäßig erhaltenen Gewinne . So kann man Verbraucherpolitik auch verstehen .
Auch in anderen Fällen haben wir leider viel zu wenig
Einsatz von Ihnen gesehen, Herr Minister, obwohl von
der EU zahlreiche Vorgaben gemacht wurden . Sie haben
ja einiges genannt . Gut, das kann man so stehen lassen .
Aber statt mit den EU-Richtlinien für einen besseren Verbraucherschutz zu sorgen, haben Sie die Standards zum
Teil sogar abgesenkt .
Gerade im Zusammenhang mit den Wohnimmobilien
wurde das Widerrufsrecht der Bankkunden, der Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer, beschnitten . Nach wie
vor betragen die Dispozinsen zum Teil über 10 Prozent .
Mit welcher Begründung, mit welcher Berechtigung verlangen die Banken so viel Geld und stehlen sich aus ihrer
Verantwortung?
Den Mieterschutz merke ich positiv an; ich freue mich
darüber . Die Linke begrüßt es, dass das Mietrecht inzwischen tatsächlich als Verbraucherschutzrecht anerkannt
wird . Leider - Sie haben es auch angesprochen - ist die
Mietpreisbremse aber nicht wirksam . Zum Teil erleben
die Menschen das Gegenteil: Sie wirkt teilweise sogar
mietsteigernd . Warum gibt es denn noch nicht die Verpflichtung der Vermieter, die Vormiete anzugeben? Das
wäre doch eine Leichtigkeit . - Tun Sie es doch einfach,
Herr Minister!
({1})
Es wurde ein Sachverständigenrat für Verbraucherfragen eingerichtet . Auch das begrüßen wir als Linke . Es
geht um die Digitale Agenda, die die Bundesregierung
inzwischen erlassen hat . Aber eine umfassende Strategie
zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher in
diesem großen neuen Gebiet gibt es leider noch nicht .
Zwölf Empfehlungen hat dieser Sachverständigenrat
bereits Anfang 2016 zum besseren Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher in der digitalen Welt an das
Ministerium übermittelt . Die Bundesregierung hat aber
noch nicht einmal die Hälfte dieser bisherigen Empfehlungen aufgegriffen . Auch hier frage ich mich: Warum
nicht?
Wir haben inzwischen zwei Marktwächter, und zwar
zum Thema „Finanzen“ und zum Thema „Digitale Welt“ .
Wir freuen uns darüber, dass sie eingerichtet wurden . Das
forderten wir als Linke schon lange . Leider haben aber
auch diese Marktwächter bei festgestellten Problemen
keinerlei Durchsetzungskraft gegenüber Unternehmen,
und sie haben auch keine Befugnisse gegenüber Behörden, um diese zum Handeln zu bewegen .
Die Datenschutzbehörden sind finanziell viel zu
schlecht ausgestattet, um Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern durchzusetzen . Die Befunde der
Marktwächter finden bei der Bundesregierung leider kein
Gehör . Produktergänzende Versicherungen gegen Diebstahl, Schäden oder den Ausfall von Handys oder Reisen sind zum Beispiel nicht reguliert worden, obwohl die
Marktwächter hier dringenden Handlungsbedarf sehen .
Die Verbraucherorganisationen - vzbv und Stiftung
Warentest - wurden finanziell gestärkt. Das alles ist prima, und das unterstützen wir auch . Dennoch reichen die
Mittel nicht aus. Gelder aus Kartellstrafen fließen weiterhin in den Bundeshaushalt, anstatt den Verbraucherverbänden zur Verfügung gestellt zu werden, die für ihre
wichtige Arbeit wirklich unser aller Dank verdienen . An
dieser Stelle möchte ich mich wirklich auch einmal dafür
bedanken .
({2})
Ohne diese engagierte Arbeit wäre Verbraucherschutz in
Deutschland wahrscheinlich nicht halb so viel wert .
Um all das zu unterstützen, brauchen wir eine Verbraucherbehörde. Die Linke fordert eine finanziell gut
ausgestattete und unabhängige Verbraucherbehörde, die
tatsächlich auch Befugnisse erhalten muss . Diese Befugnisse sollen dieser Behörde die Möglichkeit geben,
Sanktionen gegenüber Unternehmen auszusprechen und
die Unternehmen letztendlich auch zur Rückzahlung unrechtmäßiger Einnahmen und Gewinne zu verpflichten.
Wir brauchen auch den Schutz von besonderen Verbrauchergruppen . Herr Minister, Sie haben drei Gruppen
angesprochen: Bankkunden, Mieterinnen und Mieter und
Internetnutzer. Ich finde aber, Sie haben dabei eine besondere Gruppe sehr vernachlässigt, nämlich die vielen
Menschen in Deutschland mit geringem oder keinem
Einkommen, die von den Banken nach wie vor abgezockt
werden . Es gibt bei Banken und Sparkassen ein Basiskonto, wofür die Menschen mit wenig Einkommen zum
Teil höhere Gebühren zahlen müssen als andere Kunden,
die genügend Geld zur Verfügung haben . Worin liegt da
der Sinn? Dass man ausgerechnet den Menschen, die
wenig Geld haben, aber ein Konto für den bargeldlosen
Zahlungsverkehr brauchen, höhere Gebühren abverlangt,
hat doch keinen Sinn . Das Gegenteil wäre notwendig .
({3})
Das Thema „Nachhaltigkeit und Verbraucherpolitik“
spielt in dem Bericht leider auch keine große Rolle . Wir
mussten die CSR-Richtlinie in dieser Legislaturperiode
umsetzen, aber das Thema „Informationsrechte der Verbraucherinnen und Verbraucher“, zum Beispiel zu Sozialstandards und Ökostandards, nach denen Unternehmen
produzieren, spielt in dieser Richtlinie keine Rolle . Gerade das Thema „Informationsrecht“ bleibt in dem Bericht
und blieb in dieser Legislaturperiode leider auf der Strecke . Das Wort „Verbraucherinformationsgesetz“ kommt
nicht vor, auch Whistleblowing ist für Sie kein Thema .
Klar, das Thema „Sicherheit von Lebensmitteln und
verbrauchernahen Produkten“ ist beim Landwirtschaftsminister angesiedelt . Aber ich denke, als Justizminister
hätten Sie die Möglichkeit, insbesondere § 40 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches anzugehen .
Gerade die Regelungen in diesem Paragrafen behindern
Länderbehörden dabei, Verstöße öffentlich zu machen,
an denen sich Verbraucherinnen und Verbraucher orientieren könnten - aber eben nur dann, wenn diese Kontrollergebnisse öffentlich gemacht würden . Die LänderKarin Binder
behörden haben schon mehrfach darum gebeten, hier
Abhilfe zu schaffen . Das wäre durchaus ein Thema fürs
Justizministerium .
({4})
Mein Fazit: Die Aufteilung des Verbraucherschutzes
auf zwei Ministerien schwächt den Verbraucherschutz .
Die Linke fordert die Zusammenführung und Stärkung
in einem eigenen Verbraucherministerium, um der Verbraucherpolitik mehr Durchsetzungskraft gegenüber
Wirtschaft und Finanzwelt zu verschaffen . Es betrifft
über 80 Millionen Menschen in Deutschland . Es betrifft
jeden Einzelnen von uns . Deshalb brauchen wir hier eine
starke Verbraucherpolitik . Lassen Sie uns deshalb um ein
eigenes Ministerium kämpfen . Ich hoffe, ich habe hierfür
auch Ihre Unterstützung .
Danke schön .
({5})
Vielen Dank, Karin Binder . - Nächste Rednerin:
Mechthild Heil für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Jeder Mensch hat seine ganz besonderen Fähigkeiten . Wir trauen den Menschen und ihren Fähigkeiten . Diese Erkenntnis ist ganz tief verwurzelt in der CDU
und in der CSU . Deshalb ist unser erstes Ziel in der Verbraucherpolitik auch immer, den Verbraucher zu stärken,
damit er eigenverantwortliche Entscheidungen treffen
kann . Dafür schaffen wir die Grundlagen . Wir stellen natürlich auch klare Rahmenbedingungen und Regelungen
zur Verfügung .
An dieser Prämisse hat die Union in den letzten vier
Jahren ihre Verbraucherpolitik ausgerichtet . Wir unterstützen den Verbraucher dabei, auf Augenhöhe mit den
Unternehmen zu kommen . Verbraucher können besser
beurteilen, was für sie in ihrer ganz speziellen, individuellen Lebenssituation die richtige Entscheidung ist . Das
können sie viel besser, als es die Politik könnte . Verbote sind deshalb für uns in der CDU/CSU das allerletzte
Mittel .
Ihnen allen liegt der Verbraucherpolitische Bericht
der Bundesregierung aus dem Jahr 2016 vor . Auf den gut
48 Seiten: gute Nachrichten für die Verbraucher . Die Liste der umgesetzten Vorhaben zeigt, dass wir in den vier
Jahren wirklich sehr viel für Verbraucher auf den Weg
gebracht haben:
Wir haben die Marktwächter für die Bereiche Finanzen und Digitales geschaffen . Dafür haben wir viel Geld
in die Hand genommen . Auch die Verbraucherzentralen
haben wir mit einer großen Aufgabe betraut und sie vor
eine große Herausforderung gestellt .
Wir haben den Sachverständigenrat für Verbraucherfragen ins Leben gerufen, der auch schon einige Gutachten vorgelegt hat . Mit diesen Sachverständigen haben wir
eine gute Diskussion . Manches wird von uns kritisch begleitet, aber immer mit dem Hinweis: Wir wollen etwas
nach vorne entwickeln, auch beim Sachverständigenrat .
Die Rechtsdurchsetzung für Verbraucher haben wir
deutlich vereinfacht und auch erweitert, beispielsweise
durch das Verbandsklagerecht bei Datenschutzverstößen
im UKlaG, also dem Unterlassungsklagegesetz .
Wir haben die alternative Streitbeilegung, also die
Schlichtungsstellen, weiter ausgebaut .
Auch im Bereich Finanzen haben wir den Fokus ganz
stark auf die Verbraucher gelegt:
Wir haben den kollektiven Verbraucherschutz neu bei
der BaFin verankert, und wir haben das Kleinanlegerschutzgesetz verschärft, das die BaFin als neues, scharfes
Instrument an die Hand bekommen hat .
Wir haben - das hat der Minister schon gesagt - den
Kontowechsel bei den Banken deutlich erleichtert . Die
Dispozinsen sind endlich online einzusehen, sodass man
sie jetzt als Kunde auch vergleichen kann . Das sollte im
digitalen Zeitalter eine Selbstverständlichkeit sein, aber
die Banken mussten in dem Fall wirklich zum Jagen getragen werden .
Wir haben die Informationspflichten und Anforderungen an die Immobilienkreditvergabe für Berater deutlich
erhöht . Neben der provisionsgestützten Beratung haben
wir auch die Honorarberatung gesetzlich geregelt . Am
Ende gilt für jeden Kunden: Es gibt mehr Wahlfreiheit
bei der Finanzberatung .
Ich könnte die Liste noch viel, viel weiter ausführen .
Aber Sie sehen schon an den wenigen Beispielen: Verbraucherpolitik findet heute nicht nur im Ministerium der
Justiz und für Verbraucherschutz statt, sondern betrifft
auch viele andere Bereiche . Sie betrifft den Bereich Finanzen, den Bereich Digitales, den Bereich Gesundheit
oder auch den Ernährungsbereich . Verbraucherpolitik
war und ist immer noch eine Querschnittsaufgabe .
Viele drängende Fragen des Verbraucherschutzes
konnten wir in dieser Wahlperiode beantworten . Das
lässt sich wunderbar auf den 48 Seiten des Berichtes
nachlesen . Ja, wir können auf diesen Bericht stolz sein .
Aber ausruhen werden wir uns darauf nicht .
Wir schauen nach vorne . Was müssen wir heute tun,
damit Verbraucher sich auch morgen noch sicher und
sorglos in den verschiedenen Märkten bewegen können?
Verbraucherinformation und natürlich auch die Rechtsdurchsetzung werden uns ständig weiter beschäftigen;
das ist klar . Aber mit der fortschreitenden Digitalisierung
wollen wir in den Bereichen „rechtlicher Verbraucherschutz“ und „wirtschaftlicher Verbraucherschutz“ auch
neue Akzente setzen .
({0})
Wenn ich den Blick in die Zukunft richte, dann sehe
ich einen Verbraucherschutz, der es Bürgerinnen und
Bürgern noch leichter macht, ihre Interessen selbst zu
vertreten und durchzusetzen, und einen Verbraucherschutz, der nicht nur reagiert, sondern manche Konflikte
erst gar nicht entstehen lässt . Wir wollen, auch wenn die
Welt immer komplizierter wird, dass Verbraucherinnen
und Verbraucher Entscheidungen einfach und in einem
überschaubaren Zeitraum selbst fällen können . Dafür
steht die richtige Aufarbeitung guter Informationen nach
wie vor im Zentrum unserer Bemühungen . Innovative
Ideen dazu gibt es zuhauf . Ich nenne Ihnen einige Beispiele .
Es gibt zum Beispiel die Idee, manche AGB in Zukunft maschinenlesbar zu machen . Dann stünde am Ende
für den Verbraucher vielleicht eine leicht zu verstehende
Zusammenfassung, oder am Ende stünde ein Hinweis auf
die Besonderheiten ebendieses Vertrages, oder es stünde
einfach am Ende, dass diese AGB den Anforderungen des
Kunden nicht gerecht werden . Diese Entscheidungshilfe
wäre wirklich eine Verbesserung . Denn gelesen werden
heute AGBs von den wenigsten Kunden .
Eine ähnliche technische Unterstützung könnte es
auch bei den Datenschutzerklärungen geben, damit der
Kunde leichter nachvollziehen kann, wer, wie und zu
welchem Zweck eigentlich seine Daten nutzt . Das gilt
umso mehr bei so komplexen Fragestellungen wie beispielsweise bei Daten in einer Cloud oder beim automatisierten Fahren . Dabei fragt sich der Fahrer schon: Wem
gehören eigentlich die Daten? Wer nutzt meine Daten,
die dort alle gesammelt werden?
Im digitalen Verbraucherdatenschutz stellt sich auch
die Frage, wie Verbraucher besser Einwilligungen in
die Datenverarbeitung händeln können . Auch dazu
gibt es ein paar spannende Ansätze . Ich mache es ganz
praktisch: Der Nutzer formuliert einmal seine Datenschutzwünsche und hinterlegt diese auf einer Plattform .
Wenn er dann zum Beispiel etwas online bestellt, dürfen die verschiedenen Apps, die er dann nutzt, auf seine
Lieferadresse, auf seine Kontonummer bzw . seine Kontodaten oder was auch immer zugreifen . Nutzt er aber einen anderen Dienst, sind seine Daten natürlich tabu . Das
kann man heute schon teilweise mühsam einstellen . Die
Idee ist aber, dass der jeweilige Wille des Nutzers dem
Dienstleister automatisch angezeigt wird . Das heißt für
uns: Wir werden neue Technologien wie Blockchain oder
intelligente Verträge auch im Verbraucherschutz mitdenken, ausprobieren und fördern .
Ich möchte Ihnen eine weitere Idee vorstellen . Wäre
es nicht gut, wenn der Verbraucher alle Möglichkeiten
der Rechtsdurchsetzung weiterhin hätte, er aber nicht darauf zurückgreifen müsste, weil er seine Ziele schneller,
quasi automatisch erreichen würde? Ein Beispiel: Die
Bahn oder der Flieger hat Verspätung, und dem Kunden
wird automatisch - ganz ohne Anstehen in einer langen
Schlange und ohne kompliziertes Antragsverfahren eine Entschädigung überwiesen . Das könnte ganz einfach deshalb so geschehen, weil der Kunde seine Daten
ja schon bei der Bahn oder der Fluggesellschaft hinterlassen hat und weil der Buchungsvorgang bekannt ist und es
daher keinen Zweifel an dem Ausfall des Fliegers oder
der Verspätung des Zuges gibt . Das wäre unbürokratisch,
und es ginge schnell .
Wir könnten auf diese Weise viele solcher Fälle im Interesse des Verbrauchers einfach lösen . Die Verbraucher
müssten dann nicht mehr gegen hohe Abschläge ihre Forderungen an Dienstleister abtreten oder sogar den langen
Klageweg einschlagen .
Ich sehe die Digitalisierung also als Chance für
Verbraucher: ob sie im Supermarkt eine Verpackung
einscannen - womit sie mehr und bessere Informationen bekämen, als jemals zuvor auf dem kleinen Etikett
zu finden gewesen wären - oder ob sie wissen wollen,
wo und in welchen Produktionsschritten ihr Sakko oder
ihr Pullover hergestellt worden ist . Und wenn wir an die
Informationsportale, ein Klassiker, denken: Diese haben
bei weitem nicht ausgedient . Auch sie könnten weiterentwickelt werden . Mein Vorschlag ist: Wir sollten eine
Altersvorsorgeplattform schaffen, auf der sich jeder über
den Stand seiner Altersvorsorge informieren könnte .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und
von der SPD, Sie schauen immer zurück . Immer und immer wieder drehen Sie an den gleichen Schrauben, glauben an Verbote, Ampeln und Kontrolle . Wir aber schauen
nach vorne und sehen die Chancen der Digitalisierung
für innovative und moderne Verbraucherpolitik .
({1})
Unser Ziel ist es deshalb, den Verbrauchern von Anfang an - und nicht erst dann, wenn der Schaden entstanden ist - zu helfen . Dafür brauchen wir keine neuen Verbote, sondern wir brauchen intelligente Lösungen . Jeder
muss die Chance haben, seine eigenen Entscheidungen
bestmöglich zu treffen . Das ist unsere ganz tiefe Überzeugung . So machen wir Politik für Verbraucherinnen
und Verbraucher .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank, Mechthild Heil, auch für Ihre Punktlandung, was die Zeit angeht . - Nächste Rednerin: Nicole
Maisch für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das war ja eine putzige Ideensammlung, die Frau Heil
uns hier vorgetragen hat . Wenn man das alles so hört,
fragt man sich, wer hier eigentlich in den letzten zwölf
Jahren regiert hat . Wenn Sie so viele tolle Vorschläge
haben, wie man die Verbraucher besser schützen kann,
dann hätten Sie in den letzten Jahren doch einmal zwei
oder drei davon in die Tat umsetzen können .
({0})
Es ist aber klar, dass Sie lieber Ideen spinnen, die nach
vorne gerichtet sind, statt Bilanz zu ziehen; denn Ihre
verbraucherpolitische Bilanz der letzten Jahre sieht
ziemlich trübe aus .
Dabei sind Sie, gerade was den wirtschaftlichen Verbraucherschutz angeht, gar nicht mal so schlecht gestartet . Sachverständigenrat, Marktwächter und Verbraucherschutzmandat für die BaFin - das waren bei aller
Kritik, die man immer im Detail haben kann, strukturell
gute Fortschritte für den Verbraucherschutz . Auch das
Kleinanlegerschutzgesetz war sicher ein guter Anfang,
die Wildwestmethoden auf dem Grauen Kapitalmarkt
einzudämmen . Aber dann wird es schon ziemlich dünn
und düster .
Der Vorschlag, das Kartellamt als Verbraucherbehörde auszubauen, wurde von der CDU ad acta gelegt . Frau
Heil, Sie haben gesagt, dass Sie den Menschen vertrauen . Das ist schön und gut, aber Sie sollten nicht Google, Facebook und Co - den digitalen Giganten, die sich
zu Monopolisten aufschwingen - vertrauen, sondern Sie
hätten das Kartellamt hier mit einem scharfen Schwert
ausstatten sollen .
({1})
Diese Fehlentscheidung bei der Frage, welche Rolle
das Kartellamt spielen soll, war aber im Grunde genommen das, was Ihre Politik ausgezeichnet hat: im Zweifel
gegen die Kunden . Über VW will ich gar nicht reden .
Auch im Finanzbereich haben Sie sich immer wieder gegen die Kunden auf die Seite der Anbieter gestellt .
Besonders deutlich wird das bei der Wohnimmobilienkreditrichtlinie . Hier haben Sie ohne Not rückwirkend in das Widerrufsrecht Tausender Verbraucherinnen
und Verbraucher eingegriffen . Das heißt, Sie haben den
Menschen ihr gutes Recht per Federstreich weggenommen, weil die Sparkassen und die Banken das so wollten .
Das war eine Dreistigkeit; das war unglaublich . Das war
ein riesiger politischer Fehler .
({2})
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie mit der gleichen Geschwindigkeit und Beflissenheit Politik für die Bankkundinnen und Bankkunden gemacht hätten . Das von Ihnen
angesprochene Konto für jedermann ist nur die Folge der
Umsetzung einer europäischen Richtlinie . Sie sprechen
von Wettbewerb beim Girokonto . Wollen wir einmal sehen, ob sich das als Realität herauskristallisiert .
Aber Sie hätten noch viele andere Dinge für die Bankkundinnen und -kunden tun können . Stichwort „Abzocke
bei den Vorfälligkeitsentschädigungen“: Wer heute ein
Häuschen baut und den Kredit vorzeitig ablösen muss,
weil die Ehe in die Brüche gegangen ist oder weil etwas
anderes Schlimmes passiert ist, ist mit dem Klammerbeutel gepudert . Man hat keine Ahnung, welche Strafgebühren man der Bank zahlen muss . Es gibt überhaupt
keine transparente Berechnungsgrundlage . Ich als Kunde
weiß nicht, ob mich die Bank zu Recht um Tausende von
Euro abzockt .
({3})
Hier Transparenz und Sicherheit zu schaffen, sodass die
Kunden wissen, worauf sie sich einlassen, wäre eine Aufgabe für Sie gewesen . Aber da sind Sie gescheitert .
({4})
Ein anderes Thema ist die Restschuldversicherung .
Die meisten Menschen wissen nicht: Wer heute einen
Kredit aufnimmt, bekommt oft eine Restschuldversicherung untergemogelt, die im Grunde genommen nur
die Bank dagegen absichert, dass der Kunde nicht mehr
zahlt . In den allermeisten Fällen handelt es sich dabei um
ein völlig sinnloses, überteuertes Produkt . Zum Teil führen die Prämien für solche Versicherungen zur Verdopplung oder fast Verdreifachung des Zinssatzes . Mit solchen Versicherungsabschlüssen zulasten der Verbraucher
muss Schluss sein . Wenn solche Geschäfte schon getätigt
werden müssen, dann sollten die Kunden einen eigenen
Vertrag haben und dann sollte der Preis für ein solches
oftmals schwachsinniges Produkt in Euro und Cent sowie als Effektivzins ausgewiesen werden .
({5})
Wenn Heiko Maas als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet ist,
({6})
dann muss man sagen, dass Christian Schmidt, der andere Verbraucherschutzminister, gleich liegen geblieben ist .
({7})
Leider ist meine Redezeit fast vorbei . Eigentlich müsste
ich mich über Herrn Schmidt dreimal mehr empören als
über Herrn Maas . Nur so viel: Nicht einmal die dürren
Versprechen des Koalitionsvertrages haben Sie eingelöst .
Restaurantbesucher werden über Gammelbuden noch
immer nicht informiert. Bei der Schulverpflegung und
der Lebensmittelverschwendung befindet er sich in einer Art politischen Winterschlaf und ist nach vier Jahren
noch immer nicht aufgewacht .
({8})
Das ist unglaublich . Dabei wäre es so viel besser gegangen . Diese Koalition hat in ernährungspolitischer
Hinsicht vier Jahre total verschwendet . Das ist traurig .
Aber das wird hoffentlich am Ende dieses Jahres wieder
anders .
Vielen Dank .
({9})
Vielen Dank, Nicole Maisch . - Nächste Rednerin:
Elvira Drobinski-Weiß für die SPD-Fraktion .
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Zuschauer und Zuschauerinnen auf
den Tribünen, wenn Sie den Eindruck haben, dass Sie
heute schon viele Dinge gehört haben, dann ist das richtig .
Aber man kann Dinge, die man erreicht hat, ruhig mehrfach nennen . Tatsächlich freue ich mich, Frau Maisch,
dass Sie unsere Bilanz recht gut finden. Natürlich gibt es
noch Möglichkeiten zur Verbesserung . Schließlich brauchen wir auch für die nächste Legislaturperiode Themen .
Wir sind in die 18 . Legislaturperiode mit dem Ziel
gestartet, die Verbraucherpolitik neu aufzustellen . Das
haben wir auch gemacht . Unser Ziel ist - ich zitiere - ein
„verbraucherfreundlicher, transparenter Markt, auf dem
sichere und gute Produkte unter fairen . . . Bedingungen
hergestellt und angeboten werden“ . So haben wir es im
Koalitionsvertrag formuliert . Tatsächlich sollen Verbraucherinnen und Verbraucher selbstbestimmt entscheiden
und konsumieren können .
Institutionell haben wir zu Beginn der 18 . Wahlperiode die Verbraucherpolitik neu aufgestellt; das wurde bereits gesagt . Wir haben den Bereich der wirtschaftlichen
Verbraucherpolitik in die Zuständigkeit des Bundesjustizministeriums übertragen .
Ausgangspunkt für unsere Verbraucherpolitik ist der
reale Verbraucher . Dieses Leitbild konnten wir im Koalitionsvertrag verankern; denn die Konsumenten unterscheiden sich nach Herkunft, Bildung und Einkommen,
haben je nach Lebenssituation verschiedene Bedürfnisse
und Interessen und zeigen - daraus resultierend - unterschiedliches Verhalten auf dem Markt .
Gestützt werden unsere politischen Aktivitäten unter
anderem durch Ergebnisse der Verbraucherforschung,
die der von uns neu eingerichtete Sachverständigenrat für Verbraucherfragen betreibt . Unterstützt werden
unsere Aktivitäten durch veränderte bzw . neu geschaffene Strukturen . So kann etwa die BaFin als Behörde
jetzt auch die Marktaufsicht im Bereich des kollektiven
Rechtsschutzes wahrnehmen .
Neu ist die Etablierung der Marktwächter - auch darauf ist schon hingewiesen worden -, und zwar für die
Bereiche der Finanzen und für die digitale Welt . Diese
Marktwächter - so denken wir - haben ihr Ohr am Verbraucher und an der Verbraucherin und nehmen Fehlentwicklungen am Markt als Erste wahr . Sie sind in der
Lage, die Vorgänge systematisch zu erfassen und Fehlentwicklungen an die Aufsichtsbehörden und an die Politik weiterzuleiten .
({0})
Nach dem Motto „Wer recht hat, soll auch recht bekommen“ haben wir die Verbraucherorganisationen mit
einem wirkungsvollen Instrument ausgestattet; denn
diese können jetzt mit einer Unterlassungsklage gegen
Unternehmen vorgehen, wenn diese etwa gegen das Datenschutzgesetz verstoßen, indem sie ohne Zustimmung
Daten für Werbung verarbeiten oder mit Adressen oder
anderen persönlichen Daten handeln . Ich halte das für
sehr wichtig .
({1})
Die Rechte der Verbraucher auf dem Finanzmarkt sind
gestärkt worden . Herr Minister Maas und auch meine
Vorrednerinnen haben schon einige Dinge genannt, zum
Beispiel die Einführung eines Basiskontos . Darum haben
wir jahrelang gekämpft . Ich bin froh, dass wir es jetzt
haben und jeder Verbraucher Zugang zu einem Konto mit
grundlegenden Zahlungsfunktionen hat und damit die
Chance hat, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen .
Auch das Kleinanlegerschutzgesetz ist schon genannt
worden . Ich halte es für wichtig, dass gerade im Bereich
des Grauen Kapitalmarkts hier eine ausreichende Transparenz und ein Schutz erreicht worden sind .
Der Wohnimmobilienkredit wurde hier ebenfalls angesprochen . Ich denke, es ist wichtig, dass wir die Darlehensgeber verpflichtet haben, vor der Kreditvergabe
tatsächlich die Kreditwürdigkeit der Kunden zu prüfen .
Dafür haben wir Standards bei der Beratung eingeführt .
Es haben sich Schwachstellen gezeigt . Wir sind so ehrlich und geben das zu . Wir haben im März dieses Jahres
die bestehenden Unklarheiten bei der Kreditvergabe, insbesondere für junge Familien, für befristet Beschäftigte
und Senioren, beseitigt, und damit ist wieder Rechtssicherheit vorhanden .
Thema Mietrechtnovellierung: Auch das ist angesprochen worden . Wir haben das Bestellerprinzip eingeführt:
Wer bestellt, der bezahlt . - Das ist ein großer Erfolg . Dafür, dass auch die Mietpreisbremse zieht und die Kosten
der Modernisierung Mieterinnen und Mieter nicht überfordern, kämpfen wir weiter .
({2})
Wir wollen nicht, dass Gering- und Normalverdiener immer schwerer bezahlbaren Wohnraum finden. Aber hier
blockiert leider unser Koalitionspartner auf dem Rücken
der Mieterinnen und Mieter .
({3})
Die Musterfeststellungsklage ist genannt worden .
Dazu brauche ich jetzt nichts mehr zu sagen .
Ich würde aber gerne auf einen zweiten Teil, den anderen Bereich des Verbraucherschutzes, der in den Bereich des BMEL fällt, zu sprechen kommen. Ich finde es
schade, dass wir auf dem Lebensmittelmarkt noch lange
nicht so viel Transparenz haben, wie wir es mittlerweile
auf dem Kapital- oder Finanzmarkt haben . Wir müssen
nämlich weg von einem Preiswettbewerb hin zu einem
Qualitätswettbewerb kommen. Ich finde es schwierig,
dass, wenn es um Lebensmittelbetrug geht, nach wie vor
die Grundlage fehlt, gegenüber der Öffentlichkeit Ross
und Reiter zu nennen und die Mängel abzustellen, damit
dem Betrug nicht weiter Vorschub geleistet werden kann .
({4})
Wir sind angetreten, die Verbraucherpolitik neu auszurichten . Ich denke, das ist jetzt in großen Teilen gelungen, auch mit der Verlagerung der wirtschaftlichen
Verbraucherpolitik in das Ministerium der Justiz und
für Verbraucherschutz . Wir werden weiter daran arbeiten . Auf die Transparenz und den Schutz, die wir für die
Verbraucherinnen und Verbraucher erzielt haben, können
wir stolz sein . Machen wir also weiter .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank, Elvira Drobinski-Weiß . - Nächste Rednerin: Gitta Connemann für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was haben Sie heute Morgen um 7 Uhr gemacht?
({0})
- Geduscht, ist eine Antwort . - Ich war im Tiergarten .
Da kamen mir Jogger entgegen . Ihre Ausstattung bestand
aus Fitnessarmbändern und Proteinshakes, und sie hatten
Musik im Ohr . Das ist Realität nicht nur in Berlin, sondern inzwischen im ganzen Land . Die Sportler glauben,
ihren Körpern etwas Gutes zu tun . Aber die Frage ist:
Können sie sich wirklich auf die Angaben ihres Activity
Trackers verlassen, und ist der Energydrink, den sie konsumieren, wirklich gesund?
Hier setzt Verbraucherschutz an . Für meine Fraktion,
die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ist das ein Kernanliegen; denn jeder Bürger ist auch immer ein Verbraucher,
und die Belange der Verbraucher sind für uns Lebensthemen, auch und gerade im Bereich von Ernährung und
Gesundheit, der bis dato kaum angesprochen worden ist .
({1})
Der Verbraucherpolitische Bericht der Bundesregierung, über den wir heute sprechen, beweist eines: Der
Verbraucherschutz in Deutschland steht auf höchstem
Niveau, siehe Ernährung . Essen und Trinken sind so sicher wie nie zuvor, und in Deutschland gibt es bezahlbare und hochwertige Lebensmittel im Überfluss. Diesen
Reichtum verdanken wir übrigens unseren Landwirten,
Gartenbauern, Fischern, Bäckern, Fleischern, Verarbeitern und der Ernährungsindustrie . An diese gerichtet sage
ich an dieser Stelle, auch im Namen meiner Fraktion,
Danke schön .
({2})
Diesen Dank spreche ich auch im Namen meiner
Fraktion dem Bundesverband der Verbraucherzentralen
aus . Er gibt den Verbrauchern in Deutschland eine unüberhörbare Stimme, und deswegen stärken und unterstützen wir ihn . Auch die Kollegin Mechthild Heil hat es
dargestellt . Danke sehr .
({3})
Wir haben gemeinsam vieles auf den Weg gebracht;
auch wenn die Kollegin Maisch es in Zweifel gezogen
hat . Da habe ich mir schon überlegt: Wie kann ich diesem
Zweifel begegnen? Wir haben dargestellt, was an Maßnahmen gemacht worden ist; dies negiert Frau Maisch in
Gänze . Da habe ich an einen Satz von Konrad Adenauer
gedacht . Er hat einmal gesagt:
Wir leben alle unter demselben Himmel . Aber wir
haben nicht alle denselben Horizont .
Das hat sich heute für mich hier sehr deutlich bestätigt .
({4})
Wenn man bereit wäre, die Realität zur Kenntnis zu
nehmen, würde man feststellen: Wir haben neuar tige
Produkte bis hin zu Energydrinks geregelt . Jemand, der
heute ein Produkt mit Chia-Samen isst, soll genauso
sicher sein wie der Jogger, was die Höchstmengen an
Koffein in Energydrinks angeht . Wir haben ein elektronisches Früherkennungssystem für die Lebensmittelüberwachung auf den Weg gebracht; denn das beste Gesetz
hilft nicht ohne Kontrolle . Um Lebensmittelbetrügereien
wie Pferdefleischskandale zu verhindern, wurden ein europäisches Netzwerk gegründet und eine nationale Kontaktstelle für Lebensmittelbetrug eingerichtet, übrigens
beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit .
Seit 2016 gibt es das Bundeszentrum für Ernährung .
Dieses neue Zentrum soll die Flut an Informationen zusammenführen, analysieren und auch vermitteln; denn
der Verbraucher benötigt am Ende verständliche Informationen . Es muss draufstehen, was drin ist, und es muss
drin sein, was draufsteht . Informationen sollen aber auch
nicht überfordern . Ein Karottensaft braucht keinen Beipackzettel, eine Kortisonsalbe dagegen schon .
Auch deshalb haben wir uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion stark für eine Reform der Lebensmittelbuch-Kommission eingesetzt . Wir haben diese personell
und finanziell mit unserem Koalitionspartner gestärkt,
damit Angaben zu Lebensmitteln besser auf dem aktuellen Stand gehalten werden können . Bitte nehmen Sie das
zur Kenntnis .
({5})
Wir haben ein Gesetz auf den Weg gebracht, das zum
Beispiel den Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung auf das absolut notwendige Maß beschränkt . Dadurch konnte der Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung
seit 2011 um 53 Prozent gesenkt werden .
({6})
Seit April ist ein neues Allergieportal in Betrieb . Wir
haben uns für diese Einrichtung ganz starkgemacht; denn
wir wissen: 20 Prozent der Erwachsenen und zunehmend
auch Kinder sind von Allergien betroffen, und sie brauchen eines: unabhängige und wissenschaftlich belegbare
Informationen - und, und, und .
Besonders wichtig war und ist meiner Fraktion das
Thema der Kennzeichnung . Wir sind davon überzeugt,
dass der Verbraucher kein Kleinkind ist, das gemaßregelt werden muss . Deswegen lehnen wir Instrumente wie
Veggiedays, Lebensmittelampeln oder auch Strafsteuern
ab .
({7})
Das sei an dieser Stelle noch einmal wiederholt .
Um eigenverantwortlich entscheiden zu können,
braucht der Verbraucher aber eines zwingend: Er braucht
umfassende Informationen, und er braucht verständliche
Informationen . Deshalb haben wir eine europaweit einheitliche Kennzeichnung von Lebensmitteln eingeführt
und umgesetzt . Das geschah übrigens durch das Ministerium von Herrn Bundesminister Schmidt . Der Verbraucher kann sich heute über Inhaltsstoffe, Nährwerte und
14 Allergene informieren . Zusammengefügte Fleischund Fischprodukte müssen speziell gekennzeichnet werden, wie übrigens auch der Einsatz von Lebensmittelimitaten, wie zum Beispiel von Analogkäse in veganen
Produkten . Auch das ist Verbraucherschutz .
Zur Transparenz gehören für uns zwingend verlässliche Herkunftsangaben . Bei Obst, Gemüse, unverarbeitetem und vorverpacktem Fleisch ist das schon heute
Pflicht. Aber wir wollen diese Pflicht auf alle Lebensmittel ausdehnen, insbesondere auf tierische Produkte
in Fertigerzeugnissen . Für uns gilt: Was aus deutschen
Landen kommt, soll auch so gekennzeichnet werden .
Dafür brauchen wir, Frau Binder, die Zustimmung der
Kolleginnen und Kollegen auf europäischer Ebene; denn
tatsächlich dürfen wir nur eingeschränkt alleine kennzeichnen . Das ist ein großes Problem .
Im Großen und Ganzen können wir aber feststellen:
Im Bereich der Lebensmittel ist der Verbraucherschutz
weitgehend reguliert . Die Aufgabe wird zukünftig darin
bestehen, diese Regeln umzusetzen und Vollzugsdefiziten zu begegnen . Dies ist übrigens eine große Aufgabe
für die Länder; denn die Länder sind zuständig für die
Lebensmittelüberwachung . Da wünschte ich mir schon
mehr Engagement des einen oder anderen Landes, was
sowohl die personelle als auch die finanzielle Ausstattung der Lebensmittelüberwachung angeht .
({8})
Für uns als Gesetzgeber auf Bundesebene liegt die Herausforderung der Zukunft auf einem anderen Feld, dem
Bereich der Digitalisierung . iPhone, iWatch, Gesundheits-Apps, synthetische Lebensmittel - täglich kommen neue Produkte und Verfahren auf den Markt . Das
Verbraucherverhalten ändert sich rasant . Darauf müssen
sich nicht nur Verbraucherorganisationen, sondern auch
die Politik einstellen . Wir stehen vor einer wirklichen
Herkulesaufgabe, nämlich den analogen in einen digitalen Verbraucherschutz zu transferieren, und das auch im
Bereich Ernährung und Gesundheit .
Ein Beispiel: das Thema Internethandel . Wir haben
bereits eine Kontrollstelle für den Onlinehandel mit Lebensmitteln eingerichtet . Denn das Internet ist ein immer
größerer virtueller Marktplatz für Lebensmittel, Kosmetika und anderes . Der Internetkauf birgt Gefahren . Nicht
selten werden gesundheitsgefährdende Lebensmittel verkauft oder eben Verbraucher getäuscht . Dafür haben wir
die Kontrollstelle . Aber wir müssen auch sicherstellen,
dass beim Onlinehandel alle anderen lebensmittelrechtlichen Vorschriften zur Anwendung kommen . Angebote,
die nicht den europäischen Vorschriften entsprechen, die
nicht von registrierten Anbietern stammen, die Verbraucher gesundheitlich schädigen oder täuschen, dürfen
nicht beworben werden . Hier brauchen wir klare Regeln - das geht nur europäisch - für die Risikobewertung
und effektive Strukturen für die Einfuhrkontrolle und
Überwachung des Onlinehandels .
Weiteres Beispiel: Informationen über Lebensmittel .
Bereits heute informieren sich mehr als die Hälfte der
Verbraucher im Internet über Lebensmittel . Das ist eines
der Ergebnisse des Ernährungsreports des Ernährungsministeriums aus dem Jahr 2017 . Auch hier ist der Verbraucherschutz gefordert . Es geht darum, Onlineinformationen über Lebensmittel genau denselben Vorgaben
des Lebensmittelrechts zu unterwerfen, wie wir sie schon
für greifbare Produkte haben .
Und als letztes Beispiel: digitale Medizinprodukte .
Auch hier sind wir gefordert . Jeder dritte Verbraucher
nutzt heute schon eine Fitness- oder Gesundheits-App .
Sie zählen die Schritte, messen den Puls, überwachen
den Schlaf, wollen gegen Tinnitus behandeln . Ohne
Frage, diese Produkte werden eine wichtige Rolle gerade auch im Bereich der Prävention einnehmen können,
aber sie halten nicht immer, was sie versprechen . Ihre
Qualität reicht von sehr gut bis zu äußerst fragwürdig .
Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion setzen uns deshalb für verbindliche Mindeststandards bei Datenschutz,
Datennutzung und auch Finanzierung ein . Wir fordern
ein Impressum mit Pflichtangaben zu Urheber und Aktualität . Der Verbraucher muss erkennen können, ob die
Wirksamkeit des Produkts tatsächlich gegeben ist . Denn
Versprechen sind das eine, ein wissenschaftlicher Nachweis ist das andere .
({9})
Für uns ist klar: Bei der Gestaltung des digitalen Wandels wird das Thema Verbraucherschutz eine unverzichtbare Rolle spielen für den Schutz und die Sicherheit der
Verbraucherinnen und Verbraucher . Das betrifft uns alle,
auch den Jogger heute Morgen im Tiergarten .
Herzlichen Dank .
({10})
Vielen Dank, Gitta Connemann . - Nächste Rednerin:
Renate Künast für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn
ich mir den Verbraucherpolitischen Bericht ansehe - gut,
dass es wieder einmal einen gibt, Herr Maas -, bin ich an
der einen oder anderen Stelle schon erstaunt, weil da geschrieben wird: „verbraucherfreundlicher“, „transparenter“, „sicherer“ usw. Ich finde aber, dass hier relativ wenig passiert ist, wobei ich eines zugebe, auch mit Blick in
Richtung der SPD: Es ist auch nicht einfach, nicht wahr?
({0})
- Nein, ich will nicht tauschen; das hatte ich sowieso
nicht vor .
Da ich gerade die Rede von Frau Heil und Frau
Connemann gehört habe, muss ich sagen: Wenn man
Verbraucherpolitik machen will, darf man nicht nur die
langweiligen Kämpfe von vor 20 Jahren austragen: „Was
ist unser Bild?“, „Wir wollen nicht bevormunden“ usw .
Wissen Sie, das hängt einem doch wie Sauerkraut aus
den Ohren .
({1})
- Ja, aber es wird durch Wiederholung nicht besser .
({2})
Wir leben in einer Welt, in der die einen immer größer, stärker und globaler werden, die anderen aber nicht
mitwachsen . Welcher individuelle Verbraucher hat denn
Juristinnen und Juristen oder eine ganze Rechtsabteilung
um sich?
({3})
Welcher individuelle Verbraucher weiß denn, wie ein
weltweit tätiger Lebensmittelkonzern oder ein digitaler
Konzern in allen Facetten funktioniert? Ich muss in Richtung der CDU/CSU sagen: Sie haben gar nicht den Mut,
sich tatsächlich um die Rechte und Interessen der Verbraucher zu kümmern .
({4})
- Nein .
Am Ende scheint es so, als seien Sie der parlamentarische Arm irgendwelcher globalen Großkonzerne .
({5})
- Ja, es muss gesagt werden, auch wenn Sie jetzt laut
rufen . - Was hat denn Ihr Bashing von so etwas wie Lebensmittelampeln damit zu tun, dass der Verbraucher
kein Kleinkind ist? Das sind doch klare Sachen . Man
guckt drauf und weiß, was in 100 Gramm eines Nahrungsmittels enthalten ist . Stattdessen lassen Sie zu, dass
irgendwelche umfangreichen Berechnungen angestellt
werden, und Sie loben sich für Dinge, Frau Connemann,
die nichts anderes als die Umsetzung des europäischen
Rechts sind . Soll ich Sie dafür loben, dass Sie das Recht
einhalten? Das wäre auch eine Idee .
Unser Bild ist, dass es das gute Recht der Verbraucherinnen und Verbraucher ist, zu wissen, was in Lebensmitteln drin ist und wofür sie ihr Geld ausgeben .
({6})
Information und Wissen dürfen nicht nur in Business-to-Business-Beziehungen, also in den langen Produktions- und Lieferketten, möglich sein, sondern auch
der Konsument als Wirtschaftsteilnehmer hat diese Ansprüche . Dieses Recht auf Wissen müssen wir umsetzen,
meine Damen und Herren .
({7})
Sie haben über Horizonte geredet und ein Zitat angeführt. Ich finde es schön, dass Sie sich mit dem Thema
„Hinterm Horizont geht’s weiter“ beschäftigen wollen .
Sehen wir uns doch einmal an, was Globalisierung und
Digitalisierung der Wirtschaft im Alltag bedeuten . Stellen
Sie sich vor, dass Sie etwas kaufen, ob für den schönsten
Tag Ihres Lebens, zum Beispiel ein Hochzeitskleid, ob
für jeden Tag, zum Beispiel etwas zu essen, zu trinken,
Kleidung, oder für den letzten Tag, nämlich einen Grabstein . Als Konsument hat man ungeheuer große Schwierigkeiten, herauszufinden: Sind die internationalen Arbeitnehmerrechte, die Umweltrechte usw . eingehalten
worden? Sind in der internationalen Produktionskette
die Regelungen eingehalten worden, die bei uns Recht
sind und die in anderen Ländern deshalb nicht falsch sein
können? Sie haben damit Probleme, und Sie drücken sich
davor .
({8})
- Der Zuruf „Wir kaufen deutsche Produkte!“ war jetzt
fürs Protokoll . Kauft der Rest der Welt auch deutsch?
Aus welchem Jahrhundert kommen Sie denn? Das ist auf
alle Fälle nicht in der EU verankert, junge Frau .
({9})
Der Minister hat gesagt: Es ist gut, dass wir uns im
Rahmen der G 20 dafür eingesetzt haben, dass der Verbraucherschutz im Wirtschaftsbereich eine Rolle spielen
soll. - Das finde auch ich gut, Herr Maas. Ich sage nur:
Ich hätte mir gewünscht, dass wir auch die Wirtschaft
hierzulande betrachten und unsere Stimme erheben . Auch
bei VW geht es um Massen von Verträgen . Bei 2,9 Millionen Dieselautos, die hier herumfahren, sind - ich sage
es einmal so - die Werte gefälscht, und wir haben es mit
betrogenen Verbrauchern zu tun . Angesichts dessen brauchen wir nicht nur eine Gruppenklage - die Musterklage
scheitert an der rechten Seite dieses Hauses -, sondern
auch Leute, die ihre Stimme erheben und sagen: Die Verbraucher in Deutschland und Europa haben das gleiche
Recht wie die in den USA . - Das habe ich vermisst .
({10})
Ich habe auch vermisst, dass Sie sich stärker in Sachen
Mietpreisbremse engagieren; früher haben Sie sich dafür
gelobt . Ich habe ebenso vermisst, dass Sie beim Thema
Textillieferkette deutlicher gesagt hätten, was wir wollen .
Herr Müller - der Minister ist nicht da - redet zwar gerne
über den grünen Knopf . Er hat sich aber nicht getraut, die
Unternehmen in Deutschland zu verpflichten, nicht an einem Textilgipfel in Bangladesch teilzunehmen, wenn die
Regierung in Bangladesch nicht dafür sorgt, dass all die
Gewerkschafter aus dem Textilbereich, die die Stimme
erhoben haben, aus den Gefängnissen entlassen werden .
Das ist doch ein Armutszeugnis, oder?
({11})
Sie sind doch die Christen, und Ihr CSU-Minister macht
gar nichts, meine Damen und Herren .
Ich hoffe, dass der nächste Verbraucherschutzbericht
tatsächlich umsetzt, was drin ist, und dass nicht nur für
die Produkte und Dienstleistungen, sondern auch für den
Verbraucherschutzbericht demnächst gilt: Es ist drin, was
draufsteht .
({12})
Das Wort hat die Kollegin Petra Rode-Bosse für die
SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen
und Kolleginnen! Liebe Besucher und Besucherinnen!
Jetzt eher das ruhige Kontrastprogramm .
Wir alle sind Verbraucherinnen und Verbraucher, und
das macht den Verbraucherschutz zu einem Thema, das
uns alle betrifft . Einerseits ist es einfacher, weil wir konkrete Vorstellungen haben; andererseits ist es schwieriger, weil, wie schon erwähnt, eine Querschnittsaufgabe
vor uns liegt, die alle Bereiche der politischen Agenda
betrifft . Und: Die Verbraucherinnen und Verbraucher die Verbraucherin, den Verbraucher gibt es nicht -, sie
alle bilden die vielfältige Gesellschaft in Gänze ab . Wir
haben also eine sehr heterogene Zielgruppe .
Meine Vorredner und Vorrednerinnen haben schon
etliche Errungenschaften und größere Ziele des Verbraucherschutzes dargelegt . Ich möchte einige spezielle,
aber sehr wertvolle Maßnahmen für besonders schutzbedürftige Verbraucherinnen und Verbraucher nennen, zum
Beispiel für Menschen in besonderen sozialen Lebenslagen, oft mit niedrigem Einkommen oder mit weniger
Teilhabe am gesellschaftlichen Leben . Für diese Gruppe
gibt es das Projekt „Verbraucherinformation geht in die
Quartiere“ . Das ist aufsuchender Verbraucherschutz für
Menschen, die nicht selbstständig zu einer Verbraucherzentrale gelangen können oder in einem Umfeld wohnen,
wo es keine Verbraucherzentrale gibt .
Des Weiteren können wir die älteren Menschen in den
Fokus nehmen, die Unterstützung benötigen, um sich in
der Flut von immer neuen Regelungen zurechtzufinden.
Mit dieser Gruppe befasst sich eine eigene Arbeitsgruppe
im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend .
Das große und wichtige Thema, nämlich der besondere Schutz für Verbraucherinnen und Verbraucher bei
wachsender Digitalisierung und zunehmendem Onlinehandel, mit dem wir uns im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz dauerhaft aktiv beschäftigen, ist genannt
worden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wir selbst können Verantwortungsbewusstsein von Verbraucherinnen
und Verbrauchern unterstützen, indem wir vorhandene
Angebote der Bundesregierung aufgreifen, zum Beispiel
die Ende Mai/Anfang Juni bereits zum fünften Mal stattfindenden Aktionstage Nachhaltigkeit. Es wird also etwas getan .
({0})
Ich beteilige mich an diesen Aktionstagen mit zwei Aktionen und erläutere Bürgerinnen und Bürgern die Bedeutung von Nachhaltigkeitssiegeln für die Arbeitsbedingungen in der Produktion .
Wenn sich Verbraucher- und Wirtschaftsinteressen im
Einklang befinden, können wir ein hohes Maß an Lebensqualität sichern und wirtschaftliches Wachstum fördern .
Vermeintliche Interessengegensätze zwischen Wirtschaft
und Verbrauchern lösen sich in vielen Fällen bei genauer
Betrachtung auf . Es zeichnet Unternehmen nämlich aus,
wenn sie sich gegenüber den Bedürfnissen, Erwartungen
und Wünschen der Kunden offen zeigen und sich daran
orientieren . Das kann ein Qualitätsmerkmal sein und sich
wirtschaftlich positiv niederschlagen .
Allerdings gibt es in manchen Bereichen noch einen
ziemlich hohen Aufklärungsbedarf . Verbraucherbildung
sollte deshalb nie nur an Konsumenten, sondern immer
auch an Produzenten gerichtet sein .
({1})
Ein positives Beispiel ist das Modellprojekt „MitVerantwortung - Sozial und ökologisch handeln“, das die Interessen von Unternehmern und Verbrauchern zusammenbringt .
Wir brauchen aktive, aufgeklärte Verbraucherinnen
und Verbraucher mit einem reflektierten, selbstbestimmten Konsumverhalten . Dies gilt es mit uns zur Verfügung
stehenden Mitteln, die im Bericht genannt worden sind,
weiter zu fördern .
Besten Dank .
({2})
Das Wort hat die Kollegin Iris Ripsam für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Verbraucherpolitische Bericht der Bundesregierung 2016 zeigt auf seinen knapp 50 Seiten einmal
mehr, mit welch großem Spektrum von Themen wir es
im Verbraucherschutz zu tun haben . Regelmäßig bekommen wir diesen Bericht vorgelegt, und ich glaube,
in kaum einem anderen Bereich können wir eine solche
Dynamik der Veränderung beobachten . Dadurch ergeben
sich natürlich viele Baustellen . Aus diesem Grund sind
Verbesserungen im Verbraucherschutz auch immer eine
Reaktion auf die derzeitige Istsituation . Vom Ergebnis
her können sich die umgesetzten Vorhaben sehen lassen .
In einer immer komplexer werdenden Welt mit wachsenden Waren- und Dienstleistungsangeboten müssen
jedoch die verbraucherschützenden Maßnahmen immer
wieder neu angepasst werden . Diese Maßnahmen betreffen uns ausnahmslos und unmittelbar . Auch wir alle hier
sind Verbraucher, quer durch die Fraktionen, auch Sie auf
den Tribünen . Wir alle verbrauchen, wir alle konsumieren . Da sollte es doch eine Selbstverständlichkeit sein,
dass wir für die Verbraucherinnen und Verbraucher das
Beste erreichen wollen .
Ein guter Verbraucherschutz muss den Menschen
Schutz bieten, darf keine Entmündigung darstellen und
muss kostenverträglich sein . Ein schwieriger Dreiklang .
Dem wollen wir als CDU/CSU begegnen, indem wir
Verbraucherforschung, Verbraucherbildung, Transparenz
und gute Informationen, klare Rechtsrahmen und wirksame Rechtsdurchsetzung voranbringen .
({0})
Wir haben schon ein breites Spektrum der von der
Regierungskoalition beschlossenen Maßnahmen gehört .
Ich will an dieser Stelle den Blick nach vorne richten
und zwei Themen konkret ansprechen, auf die wir unser besonderes Augenmerk legen sollten . Zum einen ist
dies ein Bereich, der wie kein zweiter einen klassischen
Wirtschaftszweig mit modernen digitalen Elementen
verbindet: das automatisierte und vernetze Fahren . Vielleicht ist der eine oder andere von Ihnen ja schon einmal
in den Genuss dieser neuen Fortbewegungstechnik gekommen - und sei es nur beim Einparken . Diese neue
Fahrzeugtechnik wird uns in Zukunft viel Erleichterung
bringen, aber auch einiges an schwierigen Aufgaben .
Die Digitalisierung wird für den Verbraucherschutz
neue Herausforderungen bereithalten, die zum jetzigen
Zeitpunkt noch gar nicht absehbar sind, beispielsweise
dass die Autos miteinander kommunizieren, mit intelligenten Verkehrssystemen das Vorankommen erleichtern
oder Unfallrisiken verringern können . Die neuen Herausforderungen, die angegangen werden müssen, lauten:
Datenschutz und Datensicherheit, Ausbau digitaler Infrastruktur, Rechtssicherheit bei der Nutzung .
Dazu stellte die Bundesregierung unter anderem im
September 2015 die „Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren“ vor . Wir setzen hier verstärkt auf gesellschaftlichen Dialog . Das geht aber auch Hand in Hand
mit der Elektromobilität .
Hier sind wir beim zweiten wichtigen Themenfeld
im Verbraucherschutz: dem Wohnungseigentumsgesetz .
Haben Sie einmal überlegt, wie wir die E-Mobilität voranbringen können, wenn wir nicht für die Verbraucher
die Möglichkeiten schaffen, in ihren Wohnungseigentumsanlagen Steckdosen zum Aufladen ihrer E-Autos
einzubauen? Die dafür benötigte hundertprozentige Zustimmung durch die Eigentümerversammlung ist nahezu
unmöglich . Eine moderne, nachhaltige Wohnungspolitik
ist so nicht umsetzbar . Hier müssen wir im Sinne der
Verbraucher handeln . In Zeiten eines angespannten Wohnungsmarktes, steigender Mieten und fehlenden Wohnraums ist der Eigentumserwerb einer Immobilie für viele
eine Option .
1957 prägte Karl Arnold, erster Ministerpräsident
Nordrhein-Westfalens und damals stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU, den Satz: „Eigentum für jeden .“ 60 Jahre später gilt für uns als Union noch immer:
Wir wollen Politik für Wohlstand und Eigentumsbildung
gestalten .
({1})
Der Bau oder Kauf einer Immobilie war damals und ist
heute für Verbraucher in aller Regel die weitreichendste
finanzielle Entscheidung ihres Lebens. Die Bereitschaft
zur Schaffung von Wohneigentum ist durch die gegenwärtige Niedrigzinsphase nochmals gestiegen . Viele
sorgen für ihr Alter vor und schaffen zugleich dringend
benötigten Wohnraum . Seit damals ist viel passiert: Der
Wunsch nach Eigentum ist der gleiche, die Umstände
sind andere . Das Wohnungseigentumsgesetz bedarf nach
66 Jahren seines Bestehens einer grundlegenden Reform,
({2})
um Rechtssicherheit beim Wohneigentumserwerb zu
schaffen, um die Energiewende erfolgreich zu gestalten,
um altersgerechtes Wohnen zu fördern . Dazu müssen wir
zum Beispiel das Recht auf Einsicht in das elektronische
Grundbuch, die Umsetzung der erwähnten Modernisierungsmaßnahmen und eine Professionalisierung des Verwalterberufs vorantreiben .
({3})
Über das Wie scheiden sich erwartungsgemäß die
Geister . Natürlich kann es bestimmte Situationen geben, die staatliche Maßnahmen rechtfertigen und erforderlich machen . Wir als Union sind überzeugt, dass die
Verbraucherinnen und Verbraucher zu selbstbestimmten
Entscheidungen fähig sind . Wir wollen die Verbraucher
unterstützen, dass sie ihre Entscheidungen auf selbstbestimmte, mündige Art und Weise treffen . Denn Verbraucher brauchen starke Rechte, aber keine Bevormundung .
Dafür stehen wir weiterhin .
Herzlichen Dank .
({4})
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/9495 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 43 a bis 43 g sowie
die Zusatzpunkte 3 a bis 3 c auf:
43 . a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald, Susanna
Karawanskij, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion DIE LINKE eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung
der sachgrundlosen Befristung
Drucksache 18/12354
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
b) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu der am 19. Juni 1997 beschlossenen
Urkunde zur Abänderung der Verfassung
der Internationalen Arbeitsorganisation
Drucksache 18/12331
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss
des Rates zur Festlegung eines Mehrjahresrahmens für die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte für den
Zeitraum 2018-2022
Drucksache 18/12332
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
d) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über
die Akkreditierungsstelle
Drucksache 18/12333
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Thomas Lutze, Jan Korte, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Unentgeltliche Nutzung der WC-Anlagen
an Bundesautobahnen und Bahnhöfen
Drucksache 18/9223
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({2})
Ausschuss für Tourismus
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij,
Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer weiterentwickeln und kommunale Wirtschaftskreisläufe fördern
Drucksache 18/12365
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({3})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Heike Hänsel, Niema Movassat, Inge Höger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Menschenrechtsverletzungen von Unternehmen verbindlich sanktionieren UN-Treaty-Prozess unterstützen
Drucksache 18/12366
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({4})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
ZP 3 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Katja Keul, Luise Amtsberg, Renate Künast,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Asylgesetzes zur Beschleunigung von Verfahren
Drucksache 18/12360
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({5})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
b) Beratung des Antrags der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD
Kooperationsmodelle im Nachtzugverkehr
stärken
Drucksache 18/12363
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Nicole Maisch, Luise Amtsberg, Volker Beck
({6}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kontogebühren - Transparenz und Verbraucherschutz erhöhen
Drucksache 18/12367
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({7})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 44 a bis 44 p sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 h auf . Es handelt sich um
die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist .
Tagesordnungspunkt 44 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 14. März
2014 über die Ausstellung mehrsprachiger,
codierter Auszüge und Bescheinigungen aus
Personenstandsregistern
Drucksache 18/11510
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({8})
Drucksache 18/12123
Vizepräsidentin Petra Pau
Die genannten Auszüge und Bescheinigungen, die insbesondere zur Verwendung im Ausland bestimmt sind,
werden in den Vertragsstaaten des Übereinkommens
ohne weitere Förmlichkeit anerkannt . Die Anpassung
des Übereinkommens an Rechtsänderungen in den Mitgliedstaaten der Internationalen Kommission für das Zivilstandswesen macht eine Zustimmung des Deutschen
Bundestags zum Beitritt zu dem Abkommen notwendig .
Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12123, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11510 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Ich gehe mal davon aus, dass
die Kollegen, die hier stehen, nicht an der Abstimmung
teilnehmen . - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist
auch in dritter Beratung einstimmig angenommen .
Tagesordnungspunkt 44 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Sachaufklärung in
der Verwaltungsvollstreckung
Drucksache 18/11613
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({9})
Drucksache 18/12125
Mit diesem Gesetz werden den Vollstreckungsbehörden des Bundes weitestgehend die Sachaufklärungsbefugnisse eingeräumt, die Gerichtsvollziehern nach der
Zivilprozessordnung zustehen . Außerdem werden den
Vollstreckungsbehörden des Bundes und der Länder korrespondierende Übermittlungsbefugnisse eingeräumt .
Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12125, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11613 in
der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der
SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Tagesordnungspunkt 44 c:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 14. November 2016 zur Änderung des Abkommens
vom 13. Juli 2006 zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und der mazedonischen Regierung zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
Drucksache 18/11869
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({10})
Drucksache 18/12398
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12398,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
18/11869 anzunehmen .
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Enthaltung der Opposition angenommen .
Tagesordnungspunkt 44 d:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. November
2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Panama zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet
der Steuern vom Einkommen betreffend den
Betrieb von Seeschiffen oder Luftfahrzeugen
im internationalen Verkehr
Drucksache 18/11878
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({11})
Drucksache 18/12398
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12398,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
18/11878 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Vizepräsidentin Petra Pau
Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Tagesordnungspunkt 44 e:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erstellung gesamtwirtschaftlicher
Vorausschätzungen der Bundesregierung ({12})
Drucksache 18/11257
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({13})
Drucksache 18/12425
Das Verfahren zur Erstellung der Prognosen und die
Beteiligung einer unabhängigen Einrichtung werden
gesetzlich geregelt . Eine Verordnung des Europäischen
Parlaments und des Rates sieht vor, dass die gesamtwirtschaftlichen Vorausschätzungen der Bundesregierung
jährlich der Europäischen Kommission vorzulegen sind .
Die Vorausschätzungen müssen zuvor von einer unabhängigen Einrichtung mit dem Ziel der Befürwortung
überprüft werden .
Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12425,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11257 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der
Opposition angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Tagesordnungspunkt 44 f:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Intelligente Verkehrssysteme Gesetzes
Drucksachen 18/11494, 18/11880, 18/12181
Nr. 1.6
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({14})
Drucksache 18/12411
Die Europäische Kommission hat zur Information
über die Situation im Straßenverkehr und für die Bereitstellung von Verkehrsdaten für die Bereiche Echtzeitverkehrsinformationen, sicherheitsrelevante Verkehrsinformationen und sicheres Lastkraftwagenparken
Spezifikationen festgelegt. Mit diesem Gesetz wird die
Bundesanstalt für Straßenwesen als Nationale Stelle benannt, die prüft und bewertet, ob die gestellten Anforderungen durch die Anbieter von Verkehrsinformationen
eingehalten werden .
Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
18/12411, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
den Drucksachen 18/11494 und 18/11880 anzunehmen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Tagesordnungspunkt 44 g:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Abkommen vom 12. Januar 2017 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
der Republik Moldau über Soziale Sicherheit
Drucksache 18/11879
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({15})
Drucksache 18/12394
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12394,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11879 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig
angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen .
Tagesordnungspunkt 44 h:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({16})
zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz,
Katharina Dröge, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Globale Investitionen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung gestalten
Drucksachen 18/11410, 18/12301
Vizepräsidentin Petra Pau
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12301, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11410
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen .
Tagesordnungspunkt 44 i:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({17}) zu
der Verordnung der Bundesregierung
Zweite Verordnung zur Änderung der Sportanlagenlärmschutzverordnung
Drucksachen 18/11945, 18/12181 Nr. 2,
18/12407
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12407, der Verordnung der
Bundesregierung auf Drucksache 18/11945 zuzustimmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen .
Tagesordnungspunkte 44 j bis 44 p . Wir kommen zu
den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses .
Tagesordnungspunkt 44 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18})
Sammelübersicht 433 zu Petitionen
Drucksache 18/12114
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 433 ist einstimmig angenommen .
Tagesordnungspunkt 44 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19})
Sammelübersicht 434 zu Petitionen
Drucksache 18/12115
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 434 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Tagesordnungspunkt 44 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20})
Sammelübersicht 435 zu Petitionen
Drucksache 18/12116
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 435 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen .
Tagesordnungspunkt 44 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21})
Sammelübersicht 436 zu Petitionen
Drucksache 18/12117
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 436 ist einstimmig angenommen .
Tagesordnungspunkt 44 n:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22})
Sammelübersicht 437 zu Petitionen
Drucksache 18/12118
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 437 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke
gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen .
Tagesordnungspunkt 44 o:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({23})
Sammelübersicht 438 zu Petitionen
Drucksache 18/12119
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 438 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke angenommen .
Tagesordnungspunkt 44 p:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({24})
Sammelübersicht 439 zu Petitionen
Drucksache 18/12120
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 439 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .
Zusatzpunkt 4 a:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr . Harald Terpe, Katja Dörner, Volker
Beck ({25}), weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zur
Gleichstellung verheirateter, verpartnerter
und auf Dauer in einer Lebensgemeinschaft
lebender Paare bei der Kostenübernahme der
Vizepräsidentin Petra Pau
gesetzlichen Krankenversicherung für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung
Drucksache 18/3279
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({26})
Drucksache 18/7517
Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7517, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/3279 abzulehnen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt . Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung .
Zusatzpunkt 4 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({27}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Ulle Schauws, Katja Keul, Kai Gehring, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Provenienzforschung stärken - Bessere Rahmenbedingungen für einen angemessenen und
fairen Umgang mit Kulturgutverlust schaffen
Drucksachen 18/3046, 18/7532
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7532, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3046
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen .
Wir kommen zum Zusatzpunkt 4 c:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({28})
zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz,
Steffi Lemke, Peter Meiwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verbindliche Umwelt- und Sozialstandards in
der internationalen Palmölproduktion verankern
Drucksachen 18/8398, 18/10611
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10611, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8398
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen .
Zusatzpunkt 4 d:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe ({29}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr . Franziska Brantner, Omid
Nouripour, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kein Frieden und keine Stabilität ohne Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit - Für
eine weitsichtige europäische Nachbarschaftspolitik gegenüber den Staaten Nordafrikas
Drucksachen 18/6551, 18/10848
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10848, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6551 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Zusatzpunkt 4 e:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({30})
zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz,
Kerstin Andreae, Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine transparente und geschlechtergerechte Haushaltspolitik - Gender Budgeting
als Instrument von Good Governance
Drucksachen 18/9042, 18/11433
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11433, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9042
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Zusatzpunkt 4 f:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({31})
zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz,
Ulle Schauws, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Initiative „She Decides“ unterstützen - Die
sexuellen und reproduktiven Rechte und die
Selbstbestimmung und Gesundheit von Frauen und Mädchen in Ländern des globalen Südens stärken
Drucksachen 18/11177, 18/11649
Vizepräsidentin Petra Pau
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11649, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11177
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen .
Zusatzpunkt 4 g:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({32})
zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia KottingUhl, Oliver Krischer, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kein Atommüll-Export aus dem Reaktor AVR
Jülich in die USA
Drucksachen 18/2624, 18/12408
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12408, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2624
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Zusatzpunkt 4 h:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({33}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kordula
Schulz-Asche, Uwe Kekeritz, Ulle Schauws,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die Aids-Epidemie in Deutschland und weltweit bis 2030 beenden
Drucksachen 18/6775, 18/12424
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12424, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6775
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen .
Ich danke allen Beteiligten für die konzentrierte Arbeit zu diesen Tagesordnungspunkten .
({34})
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zu den Vorschlägen von Präsident Macron im Bereich
der EU-Wirtschafts- und Finanzpolitik, insbesondere zu gemeinsamen europäischen Investitionen
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Cem Özdemir für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als am 7 . Mai 2017 der neue französische Präsident zu
den Klängen der europäischen Hymne durch den Hof
des Louvre schritt, wurde wahrscheinlich nicht nur für
Emmanuel Macron ein Traum wahr . Auch viele unter
uns haben sich die Augen gerieben . Wer hätte nach dem
Katastrophenjahr 2016 für Europa geglaubt, dass bald
ein leidenschaftlicher Europäer im Élysée-Palast sitzen
würde?
Wenn ich mir an der Stelle einen Blick auf die Regierungsbank erlauben darf? Nicht nur dieses Haus, sondern,
ich glaube, ganz Deutschland wartet seit zwölf Jahren darauf, dass die Bundeskanzlerin einmal mit Leidenschaft
für Europa kämpft und eine solche Leidenschaft an den
Tag legt, die wir bei Emmanuel Macron bereits am ersten
Tag seiner Amtszeit gespürt haben .
({0})
Aber der sensationelle Erfolg von Emmanuel Macron
bedeutet nicht, dass man sich als überzeugter Europäer
zurücklehnen kann . Denn zur Wahrheit gehört auch, dass
bis zu 45 Prozent der Wähler in Frankreich im ersten
Wahlgang antieuropäische Populisten gewählt haben .
Wer nach einer Amtszeit von Emmanuel Macron kein
Déjà-vu durch eine Frau Le Pen möchte, der muss jetzt
dringend dafür sorgen, dass es auf die deutsch-französische Agenda kommt, das Vertrauen in Deutschland wiederherzustellen .
({1})
Übrigens: Ich will das keineswegs nur bei der Politik
abladen . Den feinen Unterschied konnte man am Samstag an den Zeitschriften in den Kiosken sehen: auf der einen Seite an der Titelseite des Economist und auf der anderen Seite an der Titelseite eines Nachrichtenmagazins
aus Hamburg . Ich warne davor, dass man das Klischee
vom faulen Griechen, das auch schon falsch, absurd und
europafeindlich war, jetzt durch das Klischee des reformunfreudigen Franzosen ersetzt . Das, meine Damen und
Herren, macht Europa kaputt . Davon müssen wir uns
dringend verabschieden .
({2})
Dazu gehört für mich auch, dass man nicht, bevor man
sich zugehört und bevor man miteinander geredet hat,
Nein zu etwas sagt, was Macron gar nicht gefordert hat,
nämlich die Einführung von Euro-Bonds, wie es StaatsVizepräsidentin Petra Pau
sekretär Spahn machte . Auch so sollten wir in Europa
nicht miteinander kommunizieren .
({3})
Ich rate: Wir müssen nicht und sollten auch gar nicht
jeden Vorschlag von Macron ungeprüft übernehmen .
({4})
Aber wir sollten gemeinsam Überlegungen anstellen, wie
wir mehr in Europas Zukunft investieren können . Dabei
geht es gar nicht nur um die Frage, wie viel Geld wir in
die Hand nehmen, sondern vor allem darum, worin wir
investieren . Das wird die entscheidende Frage . Da sagt
meine Fraktion: Wir brauchen dringend einen Zukunftsfonds für nachhaltige Investitionen, einen Green New
Deal, wie wir ihn nennen . Dieser soll sich nicht nur auf
die Länder der Euro-Region beziehen, sondern auf die
gesamte Europäische Union, abhängig davon, wo Bedarf
ist . Solidarität muss das Gebot der Stunde für jeden überzeugten Europäer und jede überzeugte Europäerin sein,
meine Damen und Herren .
({5})
Die gute Nachricht: Der neue Präsident zeigt Mut .
Mit Nicolas Hulot als Umweltminister öffnet sich die
Tür auch für eine ökologische Transformation Europas .
Präsident Macron hat im Wahlkampf angekündigt - wer
Frankreich kennt, weiß, was das bedeutet -, dass der Anteil der Atomenergie in Frankreich von 75 auf 50 Prozent reduziert werden soll . Auch dabei sollten wir unsere Freunde in Frankreich unterstützen . Das sollten wir
durch einen geordneten Ausstieg aus der Kohleverstromung flankieren. Das wäre eine Ansage: Deutschland
und Frankreich führen wieder beim Klimaschutz und
senden ein Signal nach Europa und über Europa hinaus
in die Welt . Das würde ich mir wünschen, meine lieben
Kolleginnen und Kollegen .
({6})
Aber wir haben noch andere Chancen . Wir haben jetzt
die Chance auf den digitalen Binnenmarkt . Wir haben
jetzt die Chance, dass es zu einer europäischen Ladeinfrastruktur kommt, sodass ich eines Tages - hoffentlich
eines nahen Tages - mit dem Elektromobil von Spanien
bis nach Polen fahren kann . Wir haben die Chance, dass
es zu einem gemeinsamen CO2-Mindestpreis in Europa
kommt, damit sich Investitionen in erneuerbare Energien
und Umwelttechnologien lohnen .
Jeder junge Erwachsene, der in Bologna in Arbeit
kommt, jedes junge Start-up, das in Bratislava die Gründung wagt, geben Europa wieder neuen Boden unter den
Füßen . Wenn wir Europa erhalten wollen, dann müssen
wir jetzt in Europa investieren . Nehmen Sie die ausgestreckte Hand von Präsident Macron an! Warten Sie nicht
bis nach der Bundestagswahl!
({7})
Das Wort hat der Kollege Dr . Hans-Peter Friedrich für
die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren Kollegen! Frankreich hat einen neuen
Präsidenten . Er ist begeistert von Europa . Er ist ein leidenschaftlicher Europäer .
({0})
Er ist ein Deutschfranzose, der die deutsch-französische
Zusammenarbeit als Motor, als Achse, als Zukunft für
Europa sieht .
({1})
Ich glaube, das ist eine gute Nachricht für Europa in
einer vielleicht düsteren Zeit . Aber, meine Damen und
Herren und auch Sie, Herr Özdemir, vielleicht haben Sie
sich in Ihrer Partei schon einmal Gedanken darüber gemacht, warum ein Drittel der Franzosen für eine europafeindliche Politik gestimmt hat . Wir sollten uns ab und zu
die Frage stellen, warum das in vielen Ländern um uns
herum der Fall ist . Aber das ist heute nicht Thema .
Wir freuen uns, dass Macron Präsident geworden ist,
und wir werden ihm zur Seite stehen . Die leidenschaftliche Europäerin Angela Merkel hat ihm bereits in dieser
Woche die Hand gereicht .
({2})
Ich weiß nicht, ob Sie das vielleicht verpasst haben .
Die erste Reise, die Macron gemacht hat, ging nach
Berlin, um mit Angela Merkel über die Zukunft zu sprechen, und ich denke, es sind schon wichtige Punkte vereinbart worden . Man will die Zusammenarbeit in der
Wirtschafts- und Handelspolitik vertiefen und die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich stärken,
bei durchaus unterschiedlichen Wirtschaftssystemen wir wissen, bei uns ist die Wirtschaft mehr mittelständisch geprägt und die französische Wirtschaft kommt aus
der Staatswirtschaft; das ist also kein leichtes Unterfangen -, und man will die bilaterale Zusammenarbeit beim
Thema Digitalisierung - das haben Sie angesprochen -,
beim Thema Bildungspolitik und beim Thema Verteidigungspolitik angehen . Ich glaube, das sind gute Voraussetzungen .
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser deutsch-französische Motor für Europa, zu dem wir
uns alle bekennen, kann nur funktionieren, wenn Frankreich selber wieder ökonomisch stärker wird, die Hürden
und Fesseln überwindet und zu mehr Wettbewerbsfähigkeit kommt . Der Schlüssel dafür liegt in erster Linie in
Frankreich . Der französische Präsident weiß das und hat
es auch zum Ausdruck gebracht . Er weiß, dass Frankreich eine Staatsquote von 57 Prozent hat . Das muss man
sich einmal vorstellen: Alles, was in Frankreich jeden
Tag erwirtschaftet wird, geht zu mehr als die Hälfte - zu
57 Prozent - in den Schlund des Staates und wird dort in
irgendeiner Weise verarbeitet .
({3})
Das ist nicht sehr effizient, wie die Arbeitslosenquote im
zweistelligen Bereich zeigt .
({4})
Es ist eben so: Eine hohe Staatsquote führt zu einer hohen Arbeitslosigkeit, zu einer Jugendarbeitslosigkeit von
25 Prozent, wie in Frankreich . Daran muss er dringend
etwas ändern .
Auch der Marsch in den Schuldenstaat - auch das
wird am Beispiel Frankreich deutlich - ist verhängnisvoll: über 2 Billionen Euro Schulden .
({5})
Das ist die Bürde . Das sind die Voraussetzungen, unter
denen der neue, junge, mutige Präsident jetzt antritt .
Er selbst hat hier in Berlin gesagt, er wisse, dass
Frankreich das einzige große europäische Land ist, dem
es in den letzten 30 Jahren nicht gelungen ist, die Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen . Deswegen wird er das
jetzt anpacken . Er wird die Fesseln auf dem Arbeitsmarkt
beseitigen, er wird die Staatsquote senken . Dazu ist natürlich nicht nur der Reformwille der Politiker bzw . der
Eliten notwendig, sondern auch der Reformwille der Bevölkerung . Das ist wichtig .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Reformwille der französischen Bevölkerung kann nicht
durch Geld von außen ersetzt werden, auch nicht durch
Steuergeld aus Deutschland . Wenn die Grünen jetzt fordern, dass die Deutschen einfach mal ihre Ausgaben für
die Europäische Union um Milliarden aufstocken sollen,
dann kann ich nur sagen: Auch Sie in der Opposition haben eine Verantwortung für deutsche Steuergelder, die
sparsam und zielgerichtet ausgegeben werden müssen .
({6})
Und was den Vorschlag des deutschen Außenministers
angeht, Frau Staatsministerin, der sagt: „Da gibt es doch
irgendwo einen Fonds für Altlasten der Atomenergie; den
könnten wir doch gleich mal nehmen“, fällt mir der Satz
von Franz Josef Strauß ein: Eher legt sich ein Hund einen
Wurstvorrat an, als dass ein Sozi Geld, das irgendwo angelegt ist, nicht noch verbrät .
({7})
Ich glaube, auch das ist nicht der richtige Weg .
Wir schauen nach Frankreich und freuen uns . Frankreich hat einen leidenschaftlichen Europäer zum Präsidenten gewählt . Macron liebt Europa, und Macron liebt
Frankreich . Wir lieben Europa, und wir lieben Deutschland .
({8})
Das ist eine gute Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit von Deutschland und Frankreich in Europa in
den nächsten Jahren .
Vielen Dank .
({9})
Das Wort hat der Kollege Alexander Ulrich für die
Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach einem Antieuropäer zu reden, ist nicht ganz einfach . Herr Friedrich, das war wieder unterste Schublade .
Mit solch einem Deutschland, das Sie hier präsentiert
haben, kann Europa nicht aus der Krise geführt werden .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind, glaube ich,
alle glücklich, dass der Front National mit Frau Le Pen
die Präsidentschaftswahlen nicht gewonnen hat . Das war
ein gutes Signal aus Frankreich . Aber es geht jetzt auch
um die guten oder schlechten Vorschläge, die Macron
aus Europa - insbesondere aus Deutschland - bekommt .
Die Gewerkschaften in Frankreich haben gesagt: Bis zur
Auszählung um 20 Uhr waren wir gegen Le Pen . Jetzt
aber müssen wir die Politik von Macron verhindern . Die französischen Gewerkschaften haben unsere Unterstützung verdient . Wir brauchen keine Agenda 2010 bzw .
kein Hartz IV für Frankreich . Wir brauchen sozialen
Fortschritt in Frankreich . Und dafür steht Macron mit
seiner Sozial- und Wirtschaftspolitik nicht .
({1})
Macron steht für eine Kürzungspolitik und Finanzmarktderegulierung . Er will die Vermögen- und die
Kapitalertragsteuer senken und dafür die Ausgaben für
Gesundheit und Arbeitslosenhilfe kürzen . Bereits als
Wirtschaftsminister unter Hollande wollte er das Arbeitsrecht viel weiter abbauen, als es gegen den breiten
Widerstand der Bevölkerung und mithilfe der Notstandsverordnung möglich war .
Nun will er - daraus macht er kein Geheimnis - einen neuen Anlauf nehmen . Es besteht die Gefahr, dass
viele Millionen Franzosen durch seine Präsidentschaft
in Armut und Perspektivlosigkeit getrieben werden . Ich
will es noch einmal gegenüber all jenen wiederholen, die
sagen, dass Macron erst einmal sein eigenes Land reforDr. Hans-Peter Friedrich ({2})
mieren soll, bevor wir überhaupt mit ihm ein politisches
Geschäft eingehen: Wir brauchen in Frankreich keine
Agenda 2010 .
({3})
Macron fehlt die Zustimmung für seine Politik . Ich
will darauf aufmerksam machen, dass 55 Prozent der
Franzosen eigentlich nicht Macron wählen wollten . Vielmehr wollten sie nicht Le Pen wählen . Deshalb steht er
mit seiner politischen Botschaft noch auf sehr dünnem
Eis . Wir hoffen, dass die Wahlen zur Nationalversammlung so ausgehen, dass er für den Kurs, den ich eben beschrieben habe, keine parlamentarische Mehrheit findet.
Aber einige Vorschläge von Macron sollten bedacht
werden . Die Einrichtung eines Euro-Zonen-Budgets unter demokratischer Kontrolle, mit dem gemeinsame Investitionen getätigt werden könnten, wäre ein sinnvoller
Fortschritt . Allerdings steht zu befürchten, dass eine echte
demokratische Kontrolle mit der Bundesregierung nicht
zu machen sein wird und dass die Mittel aus dem Budget an strikte Reformauflagen gekoppelt werden würden.
Wer Finanzhilfen will, muss dann kürzen, liberalisieren
und privatisieren - wie es diese Bundesregierung vielen
anderen europäischen Partnern jeden Tag immer wieder
ins Stammbuch schreibt, mit verheerenden Auswirkungen auch in Südeuropa .
Ein derartiger deutsch-französischer Deal würde der
Wirtschaft schaden, die soziale Krise vertiefen und die
Demokratie weiter aushöhlen . Wir hätten eine Art auf
Dauer geschaltete Troikapolitik mit all den katastrophalen Folgen, die bereits heute sichtbar sind . Am Ende
würden dann doch Le Pen und andere Rechtspopulisten
profitieren. Wenn die letzten Jahre eines gezeigt haben,
dann das: Die neoliberalen Kürzungsorgien haben vor
allem den Nationalisten in den verschiedenen Ländern in
die Hände gespielt .
Ohnehin wird jeglicher sinnvolle Ansatz auf EU-Ebene konterkariert, solange Deutschland nicht seine antieuropäische Wirtschaftspolitik beendet . Wenn die stärkste Volkswirtschaft der Währungsunion immer größere
Exportüberschüsse anhäuft, haben andere zwangsläufig
immer größere Defizite und damit auch steigende Schuldenberge . Macrons Kritik am deutschen Merkantilismus
ist vollkommen berechtigt . Wenn wir der EU eine Chance geben wollen, müssen wir in Deutschland endlich die
riesige Investitionslücke schließen und durch kräftige
Lohnerhöhungen den Binnenmarkt stärken . Anders wird
es nicht gehen .
({4})
Weiterhin müssen wir über die Vermögen sprechen .
In Ländern wie Frankreich und Deutschland verfügt
das reichste 1 Prozent über Vermögen, die in etwa der
gesamten öffentlichen Verschuldung entsprechen . Die
Schuldenkrise wird sich nicht überwinden lassen, ohne
Teile dieser Vermögen umzuverteilen . Wir brauchen daher eine Vermögensteuer in Deutschland und europaweit .
Nur wenn Deutschland bei diesen zentralen Punkten endlich einen Politikwechsel vollzieht, gibt es die Chance
auf eine deutsch-französische Achse, die die europäische
Integration voranbringt und den Nationalismus zurückdrängt . Nur ein solcher Politikwechsel, ein Neustart für
Europa, würde die EU aus der tiefen Krise herausführen .
({5})
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . Für Ende
Juni ist ein gemeinsamer Ministerrat von Deutschland
und Frankreich geplant . Damit es nicht nur beim Händeschütteln und Kaffeetrinken bleibt, möchte ich Sie bitten,
drei Ergebnisse zu erzielen . Erstens . Beschließen Sie mit
Frankreich: Es gibt keine Aufrüstung in Höhe von 2 Prozent des BIP .
({6})
Das wäre ein Signal für das Friedensprojekt Europa .
Zweitens . Sorgen Sie dafür, dass die Pannenreaktoren
in Cattenom und Fessenheim endlich abgeschaltet werden . Das wäre in umweltpolitischer und klimapolitischer
Hinsicht ein Erfolg .
({7})
Kollege Ulrich, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen .
Drittens wäre es gut, die Menschen besser zu verbinden . Wir brauchen wieder eine Nachtzugverbindung von
Berlin nach Paris . Auch dafür könnten Sie sorgen .
Vielen Dank .
({0})
Ich mache darauf aufmerksam, dass die Ankündigung
des Redeschlusses nicht den Schlusspunkt ersetzt, und
bitte darum, sich an die verabredeten Redezeiten zu halten .
Das Wort hat der Kollege Joachim Poß für die
SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Ulrich, Ihr Freund in Frankreich,
Mélenchon, steht für Europafeindlichkeit und wirklich
untaugliche Wirtschafts- und Finanzvorschläge .
({0})
Eine Partei wie die Ihrige, die bis heute ihr Verhältnis
zu Europa und insbesondere zum Euro nicht geklärt hat,
sollte die Backen nicht so aufblasen, wie Sie das getan
haben . Sie haben das Recht dazu verspielt .
({1})
Die zunehmende Bedrohung von Rechtsstaat, Demokratie, Meinungsfreiheit und Unabhängigkeit der Justiz
in Ländern außerhalb und leider auch innerhalb Europas - Ungarn ist ein Beispiel dafür; soviel ich weiß, ist
ja Herr Friedrich ein Freund Orbans; vielleicht können
Sie einmal Ihren Einfluss geltend machen, damit der Zug
dort in eine andere Richtung fährt ({2})
stellt für uns eine Herausforderung dar . Die Bedeutung
der Wahl Macrons zum französischen Präsidenten sollte zum jetzigen Zeitpunkt, also vor den Parlamentswahlen, nicht überschätzt werden . Gleichwohl hat Macron
den Zögerlichen und Zweifelnden im konservativen Teil
der Bundesregierung und der Koalition - wir haben ja
Herrn Friedrich vorhin gehört - vor Augen geführt, dass
auch mit einem positiven Europabild Wahlen gewonnen
werden können . Man sollte also Europa nicht zum Sündenbock für Fehlentwicklungen machen, die meistens
im eigenen Land verursacht werden, übrigens nicht nur
in Deutschland, sondern zum Beispiel auch in Italien
und Frankreich, um das klarzustellen . Aber einen Missbrauch des Europabildes in Wahlkämpfen gibt es auch
in Deutschland . Das haben wir in den letzten Tagen und
Wochen zum Beispiel in Beiträgen der CDU/CSU oder
der FDP nachlesen können . Deshalb ist es gut, dass Frau
Merkel nach dem Gespräch mit Macron hier in Berlin
eine größere Bereitschaft als bisher gezeigt hat, konkrete Schritte zur Stabilisierung der Euro-Zone ins Auge zu
fassen . Das ist aus ökonomischen wie aus politischen
Gründen unumgänglich für die weitere Perspektive Europas .
({3})
Wenn man sich die kritischen Stimmen aus CDU/CSU
zur Wahl Macrons - Herr Spahn gehört dazu - anschaut
oder die Frage „Was kostet uns Macron?“ in einer Zeitung liest, dann kann man nur fassungslos werden . Herr
Spahn, die entscheidende Frage lautet doch eher: Was
hätten uns Le Pen und der daraus möglicherweise folgende Zusammenbruch der Euro-Zone gekostet - in ganz
Europa und hier in Deutschland?
({4})
Wie viele Hunderttausende Arbeitsplätze wären dann
in Deutschland wohl in Gefahr gewesen? Das gilt insbesondere nach Trump, Protektionismus, Brexit und der
anhaltenden Diskussion über das Euro-Ende in Italien
und anderen Ländern . Wir als Deutsche gehören nun
einmal zu den Gewinnern der bisherigen europäischen
Entwicklung . Daraus erwächst aber Verantwortung . Diese nehmen wir derzeit in Europa nicht ausreichend wahr .
Deswegen müssen wir nachlegen .
({5})
Ich wünsche der Bundeskanzlerin mit Blick auf ihre
eigene Bundestagsfraktion Überzeugungskraft . Auch
Herr Schäuble ist hier besonders gefordert . Es liegt im
Interesse nicht nur der europäischen Südstaaten, sondern
auch Deutschlands, nun zu einer stärkeren politischen
Einbettung der Währungsunion zu kommen . Macron
und Gabriel haben dazu bereits 2015 Vorschläge entwickelt . Wir brauchen einen eigenen Euro-Haushalt, der
Zukunftsinvestitionen ermöglicht, parlamentarisch kontrolliert ist und durch einen Euro-Minister verantwortet
wird . Das bedeutet auch: Wir brauchen eine Wirtschaftsund Sozialunion, die kein Steuerdumping mehr zulässt
und auch soziale Mindeststandards festlegt .
({6})
Wir werden die Menschen hier in Deutschland und
in anderen europäischen Ländern vom Wert unserer demokratischen Errungenschaften nur überzeugen, wenn
sie das Gefühl haben, dass wir uns aktiv mit den Schattenseiten von Globalisierung und Digitalisierung auseinandersetzen . Wachsende Ungleichheit ist bekanntlich
nicht nur ein soziales, sondern zunehmend auch ein wirtschaftliches Problem . Deshalb: Wenn der Kern unserer
gemeinsamen politischen Überzeugung ist, dass das auch
in Jahren und Jahrzehnten Bestand haben soll, dann müssen wir jetzt handeln . Wir alle in diesem Parlament sind
in der Verantwortung . Aber vor allen Dingen brauchen
wir proeuropäische, demokratische und mutige Regierungschefs; auch Chefinnen können dabei sein.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Ursula Groden-Kranich für
die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gestern hat Präsident Macron sein Regierungsteam vorgestellt . Entgegen altbewährten Traditionen hat er den
Mut gehabt, ein Team aus unterschiedlichen Parteien
zu berufen . Er hat damit den ersten Schritt zur Zusammenführung der bürgerlichen Kräfte getan, um zu einer
Überwindung der starken Spaltung, die es in Frankreich
gibt, zu kommen . Machen wir uns nichts vor: Viele haben Macron nicht um seinetwillen gewählt; sie haben ihn
gewählt, weil sie Le Pen verhindern wollten . Herr Ulrich,
die Linke hat nicht den Mut gehabt, wie alle anderen Parteien zu sagen: Wählt Macron, auch wenn es nicht unsere
Überzeugung und er nicht unsere erste politische Wahl
ist .
({0})
Ja, jetzt ist es an uns allen, zu überlegen, wie wir mit
Macron ein gemeinsames Europa schaffen können . Die
Politik der offenen Hände, die sowohl von Macron als
auch von unserer Kanzlerin begonnen wurde, sollten wir
auch bei den Parlamentswahlen unterstützen, die jetzt in
Frankreich anstehen .
({1})
Denn das ist die eigentliche Herausforderung für den
neuen Präsidenten: Wie schafft er es, in seinem eigenen
Land eine Mehrheit zu finden, um in fünf Jahren nicht
eine erstarkte radikale antieuropäische Fraktion gegen
sich zu haben? Wir haben eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, ein niedriges Wirtschaftswachstum und eine hohe
Staatsverschuldung in Frankreich zu verzeichnen . Was
wir jetzt brauchen, ist ein Zusammenhalt aller bürgerlichen Kräfte, nicht nur der Parteien: erst das Land, dann
die Partei und dann man selbst . Ich glaube, diesen ersten
Schritt sind sowohl Macron als auch unsere Kanzlerin
bei ihrer Begegnung hier in Berlin gegangen .
({2})
Es ist ein schönes Signal, dass in Paris wieder ein
wenig deutsch gesprochen wird, und zwar in dem Sinne, dass Ministerinnen und Minister berufen wurden, die
deutsch sprechen . Damit meine ich nicht die deutsche
Sprache und das deutsche Denken, sondern die europäische Ausrichtung in diesem Zusammenhang . Auch wir
hier in Berlin müssten ein Stück mehr französisch sprechen, und das meine ich nicht nur sprachlich, sondern ich sehe, dass viele Mitglieder der Deutsch-Französischen Parlamentariergruppe anwesend sind - im Sinne
eines Miteinanders und gegenseitigen Verstehens . Es ist
nicht immer nur eine Frage der Sprache, sondern auch
eine Frage des Verstehens . Dafür werbe ich sehr .
({3})
Uns muss auch klar sein, dass Europa mehr ist als nur
Deutschland und Frankreich . Aber wenn Deutschland
und Frankreich mit gutem Beispiel vorangehen, haben
wir eine gute Chance, dass wir in Europa gemeinsam weiterkommen . Dass wir unterschiedliche Prioritäten sehen,
Herr Özdemir, liegt in der Natur der Sache . Aber wenn
wir uns im Ziel einig sind, werden wir weiterkommen .
Das können wir hoffentlich nach einer erfolgreichen Parlamentswahl in Frankreich, nach der es wahrscheinlich
eine Cohabitation gibt . Wenn Macron eine starke Parlamentsmehrheit bekommt, dann haben wir eine Chance,
gemeinsam für Europa zu kämpfen und Europa attraktiv
zu machen .
Ich selbst komme aus einer Stadt, die über viele Jahrhunderte mit Frankreich durchaus nicht immer freundschaftlich verbunden war . Aber in meiner Heimatstadt
Mainz gibt es eine lange Verbindung zu Frankreich, Partnerschaften, die auch das wirtschaftliche Interesse im
Auge haben und die auch junge Menschen die Zukunft
eines gemeinsamen Europas lehren .
Meine erste Auslandsreise mit der Schule ging nach
Dijon . Leider gehen Auslandsreisen heute eher in die
weite Welt als nach Europa . Auch da liegt es an uns allen,
die Nähe zu unseren europäischen Partnern wieder zu
stärken, und das liegt nicht nur, aber eben doch ganz besonders an Deutschland und Frankreich . Deswegen müssen wir uns hier im Deutschen Bundestag in den nächsten
Monaten trotz des Wahlkampfes viel stärker und durchaus positiv mit Europa auseinandersetzen . Wir dürfen
dabei nicht vergessen, dass es nicht nur ein gemeinsames
Europa der Nationalstaaten gibt, sondern dass wir auch
für eine gemeinsame europäische Idee kämpfen müssen .
Deswegen sage ich auch hier: Es lebe Europa! Vive l’Europe!
({4})
Das Wort hat der Kollege Dr . Axel Troost für die Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es reicht nicht, sich darüber zu freuen, dass Marine Le
Pen - wohlgemerkt: dieses Mal - verhindert werden
konnte . Vielmehr muss gerade die deutsche Politik, das
heißt die Politik von Angela Merkel und insbesondere
von Finanzminister Schäuble, endlich verstehen, dass sie
ein wesentlicher Grund ist für die massiv gewachsene
Anti-EU- und Anti-Euro-Stimmung der Franzosen .
({0})
Im vergangenen Jahrzehnt wurde die EU im Zeichen von globaler Finanzkrise und der Krise der Europäischen Union auf deutschen Druck zum neoliberalen
Zuchtmeister unserer europäischen Nachbarn . Die EU
steht inzwischen in den meisten Mitgliedstaaten für drei
Dinge: Sparen, Sparen, Sparen . Die EU ist in vielen Mitgliedsländern, und zwar sowohl bei der politischen Elite
als auch bei der breiten Bevölkerung, ein Synonym für
Arbeitslosigkeit und Verarmung, für Sozialabbau, für einen Verlust an Mitbestimmung, für Fremdbestimmung
aus Deutschland . Solange die Bundesregierung das nicht
zur Kenntnis nimmt und ihre Politik nicht ändert, bleibt
sie ein Totengräber der EU, mit oder ohne eine Präsidentin Le Pen . Ich weiß, dass Sie als Bundesregierung das
anders sehen; aber es ist völlig egal, wie ich das sehe oder
wie Sie das sehen -: Solange sich weite Teile der Bevölkerung der EU durch Ihre Politik angegriffen, gedemütigt, ihrer sozialen Rechte und ihrer Mitsprache beraubt
fühlen, müssen Sie erst einmal darüber nachdenken, wie
Sie Ihre Politik ändern können, damit man im Rest Europas wieder auf eine Alternative setzen kann .
({1})
Viele von Ihnen wissen, dass ich zu den Abgeordneten
gehöre, die sich für eine rot-rot-grüne Machtperspektive aussprechen und sie sich wünschen . Dafür braucht es
aber nicht nur rechnerische Mehrheiten; dafür braucht es
inhaltliche Kompromisse und ein paar konkrete politische Projekte, die für einen Wechsel stehen . Eine neue
deutsche Haltung zu Europa muss eines dieser Projekte
sein .
({2})
Ich habe es daher als sehr fruchtbar empfunden, gemeinsam mit Grünen und Sozialdemokraten über die
Zukunft der EU nachzudenken und gemeinsame Alternativvorschläge zu entwickeln . Gesine Schwan, Frank
Bsirske, Klaus Busch, Harald Wolf und ein paar andere
Personen haben zusammen mit mir im Herbst letzten Jahres die Streitschrift „Europa geht auch solidarisch“ herausgegeben . Da haben wir viele Alternativen formuliert,
die jetzt auch Ideen sind, die von Macron in die Debatte
eingebracht und von Deutschland eingefordert werden .
Ich will daraus nur ein paar Beispiele dafür nennen, wie
eine alternative Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik
für Europa aussehen könnte .
Erstens: die Überwindung der Austeritätspolitik und
insbesondere eine europäische Investitionsoffensive .
({3})
Das von Macron ins Spiel gebrachte Budget der Euro-Zone, finanziert über gepoolte Anleihen der Euro-Staaten um nicht das böse Wort Euro-Bonds zu nennen -, könnte
ein Einstieg sein .
Zweitens: eine europäische Ausgleichsunion, die
nicht nur mehr Wettbewerbsfähigkeit von wirtschaftlich
schwächeren Ländern fordert, sondern diesen Ländern
auch dabei hilft, dies zu erreichen . Dazu muss Deutschland endlich seine Leistungsbilanzüberschüsse abbauen .
({4})
Drittens . Das Europäische Parlament muss deutlich
mehr Eigenmittel bekommen und mit demokratisch legitimierten europäischen Institutionen, sei es ein Finanzminister, sei es eine Wirtschaftsregierung, mindestens in
der Euro-Zone ein Mindestmaß an Abstimmung in eine
expansive Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik bringen .
({5})
Viertens . Wir brauchen endlich den Einstieg in eine
europäische Sozialunion .
({6})
All das klingt im Augenblick so, als sei es verdammt
weit weg, verdammt visionär . Das muss es nicht sein .
Wenn wir uns aber nicht schnell in diese Richtung umorientieren - das betrifft insbesondere die Mehrheitsfraktion
der Sozialdemokraten, die in diese Richtung endlich eine
andere Politik betreiben muss;
({7})
wohlgemerkt: viele einzelne Sozialdemokraten fordern
dies ja auch -, dann steigt die Gefahr, dass der Politikertypus Le Pen nicht nur in Frankreich Wahlen gewinnt
und dass sich die Frage der Europäischen Union irgendwann ganz anders oder gar nicht mehr stellt . Wir müssen
handeln .
Danke schön .
({8})
Das Wort hat der Kollege Christian Petry für die
SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Ich weiß nicht, ob es Absicht von Manuel
Sarrazin war, dass er sich auf der Rednerliste hinter mich
hat setzen lassen . Wir haben jetzt die Rednerreihenfolge Petry/Sarrazin; wir sind beide pro Europa . Man sieht,
dass Vornamen durchaus eine Bedeutung haben .
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
mit der Wahl von Emmanuel Macron eine große Chance, was die Weiterentwicklung Europas angeht . Was
haben wir nicht schon alles gehört: Auf der einen Seite
war vom neoliberalen Banker die Rede; auf der anderen
Seite war zu hören, er sei zu sozial, zu sozialistisch . Es
gab die ganze Bandbreite . Nein, ich glaube, es ist eine
große Chance; denn Europa braucht das, was gefordert
wird: Beschäftigung und Wachstum, Abbau der Jugendarbeitslosigkeit . Wir brauchen Unterstützung in Europa .
Die SPD hat dazu ein Papier erarbeitet, in dem tatsächlich alles drinsteht . Axel, wir lassen es dir noch einmal
zukommen . Lies es bitte durch . Wenn du es durchgelesen
hättest, hättest du hier nicht eine solche Rede gehalten .
Das alles ist nämlich Ziel unserer Politik .
({1})
Wir wissen seit Jahren, dass es Konstruktionsmängel
in der Europäischen Union, in der Wirtschafts- und Währungsunion gibt . Wir haben es hier schon öfter betont,
aber ich spreche es nochmals an: Der Währungsverband
funktioniert nicht ohne eine abgestimmte Wirtschaftsund Finanzpolitik .
({2})
Das ist das Problem, und das müssen wir angehen . Es gibt
seit vielen Jahren Vorhaben auf Ebene der Euro-Staaten,
die Architektur unseres europäischen Währungsraumes
zu stärken . Aber hier gibt es Bremser und Verweigerer,
die die Reformen nicht wollen . Dem einen oder anderen
fehlt es vielleicht auch an politischem Mut oder politischer Einsicht . Beides müssen wir ändern, um Europa zu
modernisieren .
Die nun von Macron vorgelegten Ideen, die er 2015 zusammen mit dem damaligen Wirtschaftsminister Sigmar
Gabriel formuliert hatte, sind tatsächlich wegweisend
und progressiv . Kern der Forderung ist die Ausgestaltung
der Euro-Zone mit einem eigenen Haushalt . Das hat, wie
wir im Europaausschuss gehört haben, auch bereits Herr
Oettinger gefordert . Er ist also schon ein bisschen weiter
als Sie, Herr Friedrich; denn auch er fordert eine Eigenmittelausstattung . Ich habe mit Freude vernommen, dass
es Bewegung in dieser Diskussion gibt . Auch die Kanzlerin und Herr Schäuble haben dies ins Auge gefasst .
Herr Staatssekretär Spahn, die Erfindung der Nachricht zu den Euro-Bonds ging nach hinten los . Dafür hat
Sie die FAZ schon kritisiert . Das sollten wir nicht machen; denn das belastet doch unser Verhältnis . Man sollte
auf das rekurrieren, was tatsächlich gemacht wird .
({3})
Herr Fuchs hat Sie dabei noch unterstützt; das war nicht
besonders glorreich .
Ein Etat für die Euro-Zone ist ins Spiel gebracht worden, und Herr Schäuble kann sich sogar vorstellen, dass
es einen Finanzminister der Euro-Zone gibt . Es besteht
die Chance, dass wir eine Angleichung sozialer Standards nach oben hinbekommen, dass wir Beschäftigung
und Wachstum steigern, dass wir die Jugendarbeitslosigkeit senken und dass wir ein gerechtes und angeglichenes
Besteuerungssystem schaffen . Das gilt auch im Hinblick
auf legale Steuervermeidungsstrategien . Die Rahmenbedingungen müssen so gestaltet werden, dass die Einnahmen wieder unserem Staate zugutekommen . Auch
hier gibt es eine große Chance, die wir gemeinsam mit
Macron nutzen sollten . In diesem Sinne werden wir die
Reformen in Europa vorantreiben müssen .
Manchmal ist der Fortschritt, wie wir wissen, eine
Schnecke . Ich habe bei den Konservativen gelegentlich
das Gefühl, dass sie bei Reformen, selbst wenn sie im
Schneckentempo durchgeführt werden, hinterherhinken .
Ihnen da zu helfen, ist aber nicht unsere Aufgabe . Liebe
Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, machen
Sie in diesem Sinne mit! Ziel muss es sein, mehr Integration und eine engere Abstimmung in der Wirtschafts- und
Investitionspolitik herbeizuführen .
({4})
- Herr Kollege Murmann, es ist schön, dass Sie sich auf
die Wahlen kaprizieren . Das ist auch in Ordnung . Ihrer
Freude ist nichts entgegenzusetzen, und auch unserer
Enttäuschung ist nichts entgegenzusetzen . Letztlich geht
es hier aber um das Ziel, Europa weiterzuentwickeln, und
um die Chance, die wir haben, da der französische Präsident als Proeuropäer gewählt worden ist . Diese Chance
müssen wir nutzen .
({5})
Ich appelliere an uns alle: Lassen Sie uns gemeinsam
mit unseren französischen Freunden eine deutsch-französische Initiative für die Zukunft der Euro-Zone auf den
Weg bringen!
({6})
Das große Friedensprojekt Europa, das große Freiheitsprojekt Europa, das große Sozialprojekt Europa
müssen wir in die Herzen der Menschen zurückbringen .
Dabei haben wir mit Präsident Emmanuel Macron einen
Partner an unserer Seite . Diese Chance sollten wir nutzen . Bonne chance, Monsieur le Président!
({7})
Das Wort hat der Kollege Manuel Sarrazin für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Eines kann man schon einmal ganz objektiv
festhalten: Elf Tage Präsident Macron haben - sogar in
diesem Haus - mehr Mut zu Europa ausgelöst als elf Jahre Angela Merkel . Das merkt jeder, der dieser Debatte
gefolgt ist .
({0})
Dass ausgerechnet Sie, Kollege Friedrich, sich immer
noch vom Geist Angela Merkels inspirieren lassen, ist
das Lustigste an der ganzen Sache .
Nehmen Sie doch einmal das Beispiel von Herrn
Macron . Er hat in einer Pressekonferenz etwas ganz
Tolles gesagt, konkret etwas angekündigt und ein wichtiges Signal nach Deutschland gesendet . Wir alle haben
vor drei Jahren parteiübergreifend Briefe geschrieben,
als der Deutschunterricht an französischen Schulen degradiert wurde . Herr Macron hat am Montag in einer
Pressekonferenz einfach angekündigt, dass er das ändern
wird . Das ist es! Wir müssen beim Thema Europa konkret zusammenarbeiten! Aber was sagen Sie dazu? Sie
sagen: Wir finden Sie ganz toll. Sie sind nett. Aber wenn
es Geld kostet - ach nein . Ich rede noch ein bisschen
darum herum . Wenn fünf Minuten vorbei sind, sage ich
Tschüss und hoffe, dass im Wahlkampf nichts mehr dazu
kommt . - So geht das doch nicht! Wir müssen konkret
anpacken, damit etwas passiert!
({1})
Man muss nicht alles, was Herr Macron sagt, toll
oder gut finden. Manches ist vielleicht auch noch nicht
so weit zu Ende konkretisiert, als dass man nicht noch
positiv darauf Einfluss nehmen könnte. Aber das, was die
Bundesregierung macht, ist ein weiterer Beweis für die
Handlungsunfähigkeit der Großen Koalition in der Europapolitik . Herr Macron legte vor ein paar Wochen Vorschläge vor . Es folgte ein Interview von Herrn Schäuble .
Darin sagte er, er wolle eine Art europäischen Superstaat, der intergouvernemental organisiert sein solle, weil
man durch Vertragsänderungen nichts hinbekomme . Am
Samstag letzter Woche legte Herr Gabriel ein Papier vor .
Im Spiegel war davon zumindest die Rede; ich glaube,
zugeleitet wurde uns dieses Papier noch immer nicht . Hat
es überhaupt schon jeder gelesen? Darin schreibt er jedenfalls etwas ganz anderes . Am Montag kam dann Frau
Merkel und sagte, sie wolle Vertragsänderungen . Ja, was
gilt denn nun? Worauf soll sich Frankreich eigentlich einstellen? In der Bundesregierung herrscht reines Chaos .
Sie sollten besser konkret anpacken .
({2})
Ich sage Ihnen eines: 1950 waren es proeuropäische
Franzosen, die den Mut hatten, voranzugehen: mit dem
Schuman-Plan und mit der Monnet-Methode . 1950 hatte
man Mut und Visionen . Sie geben 3 Milliarden Euro im
Jahr für Panzer und Korvetten aus, die im Zweifelsfall
noch nicht einmal fahren . Wenn wir in Deutschland bereit sind, die Lücke, die der Brexit in den EU-Haushalt
reißt, zu schließen - das könnten wir jetzt schon ankündigen -, würde das bestimmt nicht mehr kosten . Wenn jetzt
vorschnell Nein gesagt wird, beendet das die positive
Debatte in Frankreich und sendet eben nicht das Signal
dorthin, dass wir bereit sind, auf Macron zuzugehen .
({3})
Sehen Sie endlich ein, dass Sie mehr machen müssen
als nur, dass es Deutschland in Europa gut geht . Frau
Merkel hat gesagt: Wir brauchen ein Frankreich, dem
es gut geht, damit auch Europa wieder vorankommt . Nehmen Sie diesen Geist auf, und machen Sie konkrete Angebote dafür, anstatt über Roadmaps zu reden und
Papiere in Zeitungen zu veröffentlichen . Die Vorschläge
liegen auf dem Tisch: beim EU-Haushalt anpacken, einen
Zukunftsfonds im EU-Haushalt schaffen, der für Investitionen zur Verfügung steht, finanziert aus dem europäischen Kampf gegen Steuervermeidung, in den bestehenden Europäischen Investitionsfonds einzahlen, was Herr
Gabriel seit 2013 nicht geschafft hat . Das sind konkrete
Vorschläge . Sie müssen jetzt liefern, anstatt immer nur
daherzureden und uns vorzuwerfen, wir würden - das haben Sie ja zitiert - Geld in den Schlund werfen .
({4})
Eines muss man auch sagen, weil das wirklich eine
Gefahr ist, die wir nicht vergessen dürfen: Es ist ganz
normal, dass die französische Tradition stärker auf Intergouvernementalismus setzt; das ist ein anderes Staatsverständnis . Wir brauchten immer diesen Dualismus, um
Europa voranzubringen, diesen Streit zwischen „Wo stärken wir die europäischen Institutionen, und wo machen
wir die Regierungen stärker?“, diesen Streit zwischen
„Wo ist der Kern Europas, wie wichtig ist der Osten, wie
wichtig sind die Großen, wie wichtig sind die Kleinen?“ .
Wir haben im Sommer 2015 erlebt, wie Ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble die Axt an das europäische Projekt gelegt hat, als er Griechenland hinterrücks aus dem
Euro treiben wollte . Wenn ich jetzt lese, wie er Macron
interpretiert, mit seinem noch einmal aufgegossenen Modell vom Kerneuropa, dann muss ich Ihnen ganz deutlich
sagen: Das ist nicht die Tradition deutscher Europapolitik, diesen Kontinent zusammenzuhalten .
({5})
Wir könnten ein weiteres Angebot an Herrn Macron
machen, ein ganz einfaches Angebot . Seit 2012 hat der
Europäische Rat Griechenland Schuldenerleichterungen
versprochen . Springen Sie über Ihren Schatten, und sagen Sie: Die Schuldenerleichterungen, die seitdem auf
dem Tableau stehen, werden wir jetzt gemeinsam mit
Frankreich sofort umsetzen .
({6})
Das wäre ein Signal an den Süden Europas, dass Deutschland zu seiner Verantwortung steht .
({7})
Wir dürfen uns nicht einfach dahinter verstecken, dass
die Proeuropäer in Frankreich gerade die Mehrheit haben . Wir können nicht warten, bis am Ende die Stimmung wieder kippt .
Letzter Satz, Frau Präsidentin . - In Frankreich gibt es
das Sprichwort „Auch gute Intentionen können zur Hölle
führen .“ Wir alle wissen: Wenn wir jetzt nicht gemeinsam daran arbeiten, dass Frankreich wieder so stark wird,
dass es gemeinsam mit uns und anderen Staaten in Europa Führung übernehmen kann, dann werden wir uns
auf dem Weg dahin befinden. Deswegen: Bonne chance!
Anpacken müssen wir!
Danke sehr .
({8})
Das Wort hat der Kollege Uwe Feiler für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Wahl des neuen französischen Präsidenten
Macron ist sicherlich ein Glück für die Europäische UniManuel Sarrazin
on . Gemeinsame französische und deutsche Impulse für
die Europäische Union sind, denke ich, nötiger denn je .
Wenn wir eine gemeinsame europäische Wirtschaftspolitik betreiben wollen, müssen wir uns miteinander
abstimmen, was die wesentlichen Investitionen in den
europäischen Ländern anbetrifft . Eine gemeinsame europäische Investitionspolitik würde die wirtschaftliche Zusammenarbeit zweifelsohne erleichtern . Aber auch hier
gilt: Keine Reform nur der Reform wegen!
Der neue französische Präsident Macron wünscht sich
viel mehr Investitionen als bisher . Ich würde mir viel
mehr bessere Investitionen wünschen . Ich habe bereits in
meiner letzten Rede zum aktuellen Arbeitsprogramm der
Europäischen Union gesagt, dass wir eine europäische
Politik benötigen, die ein Gesamtkonzept darstellt . Der
Haushalt muss eng mit den Prioritäten der europäischen
Politik verbunden sein . Wir brauchen eine zukunftsorientierte, weltweitsichtige Politik . Dabei ist der Dreiklang
von Strukturreformen, gesunden Staatsfinanzen und Investitionen für mich unabdingbar .
({0})
Nichts anderes hat die Bundeskanzlerin im Übrigen am
Montag gesagt .
Präsident Macron möchte bekanntlich das französische Haushaltsdefizit unter die zulässigen 3 Prozent senken . In Bezug auf die Euro-Bonds hat er des Weiteren betont, er wolle keine Politik der Verantwortungslosigkeit .
Das lässt auf eine grundsätzliche gemeinsame Haltung
zur Haushaltsdisziplin schließen . Investitionen bringen
den notwendigen Fortschritt und sichern den Wohlstand .
({1})
Eine neue Investitionspolitik darf jedoch nicht als Abkehr von jeglicher Sparpolitik verstanden werden, meine
Damen und Herren .
({2})
Die Forderung nach einer gemeinsamen europäischen
Investitionspolitik zieht jedoch sofort Fragen zu wichtigen Details nach sich: Wie soll diese Investitionspolitik
finanziert werden? Wer soll die Entscheidungsbefugnisse
tragen?
({3})
Die tatsächliche Ausrichtung dieser Politik wird also
maßgeblich von den weiteren im Raum stehenden Reformen der Währungsunion abhängig sein . Wir dürfen auch
nicht vergessen, dass wir bereits bestehende Programme
für die gesamte EU haben: die Strukturfonds und die Investitionsoffensive EFSI . Hier gilt es unbedingt, jegliche
Doppelung zu vermeiden . Dort, wo wir bereits funktionierende Instrumente haben, benötigen wir keine zusätzlichen Programme .
({4})
Das würde die europäische Politik noch mehr verkomplizieren und noch mehr unnötige Bürokratie schaffen .
Gemeinsame europäische Politik bedeutet für mich,
dass der Fokus auf Politikfelder gerichtet ist, bei denen
gesamteuropäische Interessen im Vordergrund stehen .
Wir müssen uns folgerichtig mit unseren Partnern darüber verständigen, welche Ausgaben einen Mehrwert für
alle Partner und für die gesamte Europäische Union bringen .
({5})
Hier könnte das Europäische Semester mit seinen länderspezifischen Empfehlungen und den Empfehlungen zur
Wirtschaftspolitik des Euro-Raums eine gute Grundlage
bilden .
Die Investitionen sollten nicht losgelöst von den europäischen wirtschaftspolitischen Grundsätzen getätigt
werden; das Stichwort „Better Spending“ darf nicht ins
Leere laufen. Dabei sollten Effizienz und Wirksamkeit
der Investitionen laufend überprüft werden . Auch die
Tatsache, dass manche Länder, die dringend Investitionen benötigen, oft an Problemen wie einer ineffizienten
Verwaltung scheitern, darf nicht außer Acht gelassen
werden . Einfach mehr Geld ist nicht die Lösung des Problems .
({6})
Dabei geht es nicht um eine Politik des erhobenen Zeigefingers, um die Durchsetzung eigener Ideen, sondern um
einen Austausch zwischen gleichberechtigten Partnern
und die Verwirklichung sinnvoller Modelle .
Auch Deutschland hat mit Problemen zu kämpfen, die
die Umsetzung wichtiger Investitionen behindern . Viele
Projekte bei uns scheitern oder verzögern sich beispielsweise aufgrund der enormen Bürokratie
({7})
oder schlicht und einfach wegen fehlender Planungskapazitäten in unseren Bundesländern . Das muss sich bei
uns ändern .
Eine gemeinsame europäische Investitionspolitik
muss ein durchdachtes Instrument werden, wenn sie
nachhaltig positive Wirkung entfalten soll . Ich hoffe hier
auf eine gute Zusammenarbeit mit Frankreich und anderen europäischen Ländern . Dem Präsidenten Macron
wünsche ich viel Erfolg mit seinen Reformplänen und
weiteren politischen Initiativen . Wir stehen an seiner Seite für ein starkes Frankreich, für ein starkes Europa, für
eine starke Europäische Union .
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .
({8})
Der Kollege Bernd Westphal hat für die SPD-Fraktion
das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Wir alle sind erleichtert über den
Ausgang der Wahl unserer Freundinnen und Freunde
in Frankreich . Den Rechtspopulisten ist es nicht gelungen, unser freiheitliches solidarisches Europa mit unseren Werten zu zerstören . Dennoch sind mit den Wahlen
vom 7. Mai die Zweifler, Enttäuschten und vermeintlich
Abgehängten nicht verschwunden . Viele Menschen werden das Gefühl haben, dass sie in der Politik von Trump,
Le Pen, Wilders und Co besser aufgehoben sind . Die
Menschen werden sich nicht von selbst von Protektionismus und Populismus abwenden . Ohne eine Politik des
sozialen Ausgleichs, ohne soziale Programme, ohne bessere Bildung und Jobs werden wir das Vertrauen in die
soziale Marktwirtschaft und eine faire globale Weltwirtschaft nicht zurückgewinnen .
Frankreich befindet sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage . Geringes Wirtschaftswachstum, ein
steigendes Haushaltsdefizit und anhaltend hohe Arbeitslosigkeit haben bei vielen Menschen nicht nur Zweifel an
der amtierenden Regierung ausgelöst, sondern das Vertrauen in die Demokratie insgesamt geschwächt .
Eine EU ohne Frankreich - das wäre für Deutschland politisch, aber auch wirtschaftlich eine Katastrophe . Frankreich ist unser wichtigster Handelspartner, und
wirtschaftliche Kooperation ist mit Wachstum und Wohlstand in beiden Ländern verbunden .
Wenn der bayerische Finanzminister sofort allen französischen Vorschlägen zur Reform der europäischen Finanzpolitik eine Absage erteilt, dann ist das nicht nur politisch kleinkariert, sondern auch wirtschaftlich unsinnig .
({0})
Fast schon skurrile Züge nimmt das Ganze an, wenn sogar Vorschläge abgelehnt werden, die gar nicht auf dem
Tisch lagen .
({1})
Ich denke hier an Euro-Bonds, die Emmanuel Macron in
seinem gesamten Wahlkampf zu keinem Zeitpunkt angesprochen hat .
Wir sind jetzt als wirtschaftlich starkes Land in Europa zum Handeln aufgefordert . Wir können und müssen
jetzt mit dem neuen französischen Präsidenten mehr tun .
Die alten Belehrungen aus den europäischen Spardebatten sind hier sicherlich nicht hilfreich .
Jacques Delors hat einmal gesagt: „Niemand verliebt
sich in einen Binnenmarkt .“ Insofern brauchen wir eine
sozialpolitische Säule für Europa . Das ist jetzt notwendig: gemeinsames Handeln und gemeinsame Politik .
({2})
Sicherlich müssen wir nicht allem zustimmen, was
der französische Präsident zur Diskussion stellt . Er weiß
selbst, dass er Vertrauen zurückgewinnen und vereinbarte Defizitziele einhalten muss. Und er weiß selbst, dass
er die Reformen in Frankreich nicht mit dem Geld der
deutschen Steuerzahler bewältigen kann . Aber klar ist
doch: Die EU braucht dringend Reformen . Wenn dazu
vernünftige Konzepte vorgelegt werden, sollten wir uns
ernsthaft damit auseinandersetzen .
Ein Euro-Zonen-Budget für mehr Investitionen in
soziale Mindeststandards in der EU, wie es Emmanuel
Macron vorgeschlagen hat, ist ein Ziel, über das es sich
nachzudenken lohnt . Bei solch einem Euro-Zonen-Budget gäbe es sicherlich die Perspektive, es durchzusetzen vor allem dann, wenn wir dem europäischen Projekt
wieder Schwung verleihen wollen . Der Vorschlag eines
europäischen Finanzministers mit einem eigenen Budget
eröffnet die längst fällige Debatte über die Reform der
Euro-Zone .
Natürlich wissen wir: Emmanuel Macron wird nicht
immer ein leichter Partner für Deutschland sein . Das
war auch in den besten Tagen der deutsch-französischen Beziehungen nicht anders . Aber wir müssen jetzt
ein Zeichen setzen und die Kritik aus Frankreich ernst
nehmen . Wenn es etwa um Risikokapital oder um den
Ausbau unserer digitalen Infrastruktur geht, haben wir in
unserem Land erheblichen Nachholbedarf . Auch mit den
Forderungen Macrons, den deutschen Leistungsbilanzüberschuss etwa durch höhere Löhne oder Investitionen
in unserem Land abzubauen, müssen wir uns ernsthaft
auseinandersetzen .
({3})
Ich bin zuversichtlich, dass wir mit unseren französischen Freunden gemeinsame Lösungen für eine gemeinsame Zukunft finden und dementsprechend eine
wirtschaftlich und politisch starke EU bauen werden .
Insofern liegt es in unserem eigenen Interesse, dass
Emmanuel Macron als französischer Präsident erfolgreich ist . Inklusives Wachstum mit sozialer Gerechtigkeit
ist die Basis für wirtschaftlichen Erfolg .
Eine enge Zusammenarbeit mit Präsident Macron ist
nach dem Brexit eine große Chance für Europa . Scheiterte Macron, gäbe es für Deutschland nach den nächsten
Wahlen in Frankreich im Jahr 2022 niemanden mehr, mit
dem wir mit erhobenem Zeigefinger belehren könnten.
Insofern freuen wir uns auf die gute Zusammenarbeit mit
den Franzosen und ihrem neuen Präsidenten .
Vielen Dank .
({4})
Das Wort hat der Kollege Volkmar Klein für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Es wurden jetzt schon - ich glaube,
zu Recht - eine ganze Menge guter Erwartungen formuliert . Es ist ja auch in der Tat wohltuend, über Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich zu sprechen .
({0})
Mein Vater wäre begeistert, wenn er das hörte . Er hat
Ende der 30er-Jahre noch etwas ganz anderes in den
Schulbüchern gelesen .
Es ist wohltuend, von der Zusammenarbeit in Europa
zu hören, vom Willen zum Erfolg, im Übrigen auch vom
Willen zum gemeinsamen ökonomischen Erfolg . Denn
wie sollen wir Europäer, die wir prozentual in der Welt
immer weniger werden, unsere Wertvorstellungen, unsere Vorstellungen von Freiheit und Menschenrechten, als
Erfolgsrezept an die Welt weitergeben, wenn wir nicht
einmal selber erfolgreich sind? Für diese Freundschaft,
für diese Zusammenarbeit in Europa und für diesen Willen zum Erfolg stehen Angela Merkel und jetzt auch der
französische Präsident Macron .
({1})
Ich möchte das, was Macron gesagt hat, mit drei
Begriffen zusammenfassen: Er hat von Stabilität, von
Eigenverantwortung und von Wettbewerbsfähigkeit gesprochen .
Stabilität: Er hat selbstkritisch - das ist auch ein Stück
weit berechtigt - angekündigt, das Defizit in Frankreich
zu reduzieren. Das Staatsdefizit ist ziemlich groß. Die
Gesamtverschuldung liegt bei 96 Prozent des Bruttoinlandsprodukts . Gerade nach der Staatsschuldenkrise ist
es die richtige Erkenntnis, dass es nicht nur ethisch geboten ist, die Staatsverschuldung zu begrenzen - denn
das ist gegenüber künftigen Generationen einfach nicht
in Ordnung -, sondern dass die Staatsverschuldung auch
eine Gefahr für die Stabilität darstellt . Pluspunkt für
Macron: Stabilität anstreben .
Eigenverantwortung: Eben wurde schon über Euro-Bonds gesprochen . Es gab unterschiedliche Signale
im Wahlkampf . Hier in Berlin hat der neue französische
Präsident gesagt: Die Vergemeinschaftung von Schulden
führt zu einer „Politik der Verantwortungslosigkeit“ . Nix mit Euro-Bonds!
({2})
Der Einzige, der immer noch Euro-Bonds haben will, ist
Martin Schulz .
({3})
Ich zitiere Macron noch einmal: „Das führt zu einer Politik der Verantwortungslosigkeit .“ Das wollen wir in
Deutschland nicht . Deswegen wollen wir auch keinen
Martin Schulz .
({4})
Kommen wir zum wichtigsten Punkt: der Wettbewerbsfähigkeit . Sie ist entscheidend für unsere Zukunft .
(Zuruf des Abg . Dr . Axel Troost [DIE
LINKE]
Macron hat eine ganze Menge angekündigt: Modernisierung des Staates, Senkung der Steuern usw . Ich glaube,
dass Frankreich selber entscheiden muss, was die richtigen Strukturreformen für Frankreich sind . Wir müssen
das für Deutschland auch selber entscheiden .
({5})
Die Wettbewerbsfähigkeit wird einerseits durch die
Umsetzung der notwendigen Reformen und andererseits
durch Investitionen gestärkt . Dazu gibt es jetzt alle möglichen Vorschläge . Das hört sich fast so an, als ob die
Sachlage gar nicht überall registriert wird . Vielleicht hat
man die aktuellen Meldungen der Europäischen Investitionsbank übersehen, die mitgeteilt hat: Die seit 2015 zur
Verfügung gestellten 4,4 Milliarden Euro aus dem EFSI,
aus dem Europäischen Fond für Strategische Investitionen, haben in Frankreich über 22 Milliarden Euro an
Investitionen mobilisiert . Natürlich investiert EFSI viel
mehr in Frankreich als in Deutschland .
({6})
Das ist ein Teil europäischer Solidarität . Das ist auch
richtig so . Das müssen wir weiter stärken .
({7})
Lasst uns doch überhaupt einmal registrieren, welch gute
Instrumente wir haben, und nicht nur darüber philosophieren, was wir noch brauchen .
({8})
Ich will abschließend sagen: Mich freut, dass über die
Stärkung von Wettbewerbsfähigkeit gesprochen wird,
auch in Frankreich . Das war bei Lagarde früher in Frankreich und selbst heute beim IWF zeitweise anders . Früher
wurde darüber philosophiert, man müsse für eine nivellierte Wettbewerbsfähigkeit in Europa sorgen . Das wäre
vielleicht eine gute ökonomische Idee, wenn Europa ein
Closed Shop wäre, und dann, wenn Deutschland nicht
mehr liefern würde, eben Portugal oder Frankreich liefern würden . Europa ist aber kein Closed Shop . Wenn
Deutschland nicht mehr liefert, liefern Indien oder China .
({9})
Deswegen ist die einzige Lösung: Alle Staaten in Europa
müssen für bessere Wettbewerbsfähigkeit sorgen . Das ist
offensichtlich der Plan des neuen französischen Präsidenten .
Kollege Klein .
Er kann sich in der Atmosphäre und in der Tradition
der deutsch-französischen Freundschaft darauf verlassen, dass wir ihn dabei unterstützen .
Herzlichen Dank .
({0})
Das Wort hat der Kollege Alexander Radwan für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Anlass für diese Aktuelle Stunde ist der Besuch
des Präsidenten Frankreichs bei unserer Kanzlerin in Berlin . Dieser Besuch ist ein eindeutiges Zeichen Macrons,
dass er den Schulterschluss mit Deutschland sucht und
wo er die Zukunft Europas sieht: bei Deutschland und bei
der Kanzlerin Merkel .
({0})
- Er wird schon noch kommen . Keine Angst!
({1})
Wenn das Ihr Hauptproblem ist; das werden wir lösen
können .
Nach den Wahlen in Frankreich und den Niederlanden gab es ein Durchatmen . Man war froh, dass Le Pen
und Wilders nicht erfolgreich waren . In diesem Jahr werden wir voraussichtlich auch noch Wahlen in Österreich
haben, und dann werden wir auf die FPÖ schauen . Alle
sagen: Es ist wichtig, dass es kein Weiter-so mit der nationalistischen Bewegung gibt . Das ist richtig; aber wir
müssen uns genau anschauen, wie es zu dieser Bewegung
kam . Sicherlich sind die Gründe für das Wählerverhalten
in Frankreich andere als die für das Wählerverhalten bei
der Abstimmung über den Brexit in Großbritannien . Die
Vorschläge, die ich heute gehört habe, hätten nicht dazu
geführt, dass die Briten in der Europäischen Union geblieben wären .
An dieser Stelle möchte ich betonen: Ich bin froh, dass
wir diese Kanzlerin haben; denn wir müssen beim Brexit in der Sache konsequent mit den Briten verhandeln .
Aber die Reaktionen auf den Brexit gefielen mir nicht.
Mir gefiel nicht, wie man mit dem britischen Volk umgegangen ist . Dieses Beleidigtsein nach dem Motto: „Ihr
habt Europa nicht verstanden, sonst hättet ihr anders abgestimmt“, ist der falsche Weg . Wir müssen das, was die
Völker bewegt, ernst nehmen .
({2})
Es gibt den klassischen Reflex: Um Europa zu retten,
müssen wir es vertiefen . Wir brauchen mehr Europa, und
wir brauchen mehr Geld in Europa; dann wird das schon
hinhauen .
Erstens . Positiv ist, dass Macron erklärt hat - darüber
wurde heute viel zu wenig gesprochen -, dass Frankreich
zunächst einmal seine Hausaufgaben machen muss . Er
hat sein Kabinett vorgestellt . Angesichts einiger Kabinettsmitglieder bin ich hoffnungsfroh, dass sie die Reformen angehen werden . Dort will man eine Agenda 2010
angehen, während einige in Deutschland sie abschaffen
wollen . Da bin ich bei Macron: Wir brauchen die Agenda 2010 .
({3})
Meine Damen und Herren, das Verhalten der Linken
finde ich hochgradig heuchlerisch. Es ist ja nicht nur so,
dass die Linke Macron nicht unterstützt hat . Macron geht
mit diesem Programm jetzt in eine nationale Wahl, und
er braucht Mehrheiten, um die Reformen umsetzen zu
können . Ich habe heute viele Wortbeiträge gehört, in denen durchklang, dass es einem am liebsten wäre, wenn er
bei der nationalen Wahl scheitern würde . Und dann über
Le Pen zu lamentieren, ist unmöglich .
({4})
Herr Kollege Troost, Macron muss in Frankreich erfolgreich sein - das haben Sie selbst besagt -; denn sonst
kommt Le Pen wieder . Also unterstützen Sie ihn und sein
Vorhaben, und tun Sie nicht so, als wenn es das Beste
wäre, wenn er scheitert .
({5})
Dann würden Sie sich wieder hierhinstellen und sagen:
Um Gottes willen, jetzt kommt Le Pen . - Macron hat das
Richtige auf den Tisch gelegt . Wir sollten ihn von deutscher Seite unterstützen und nicht bereits vor den Wahlen
bekämpfen .
({6})
Sie geben denjenigen Rückenwind, die gegen Macron
arbeiten .
({7})
- Ich würde vor Furcht erstarren .
Zweitens . Hier ist völlig untergegangen, dass
Wolfgang Schäuble bereits mehrmals erklärt hat, dass
von europäischer Seite nationale Anstrengungen unterstützt werden . Wolfgang Schäuble steht dafür ein, dass
diejenigen, die Reformen durchführen, mit der Solidarität Europas rechnen können .
({8})
Drittens . Wenn wir über Strukturveränderungen der
EU reden, sollten wir uns das anschauen, was realistisch
ist . Ein europäischer Finanzminister wäre für manche
schön, ist aber Träumerei . Ein europäischer Haushalt?
Ich wäre ja schon froh gewesen, wenn sich Rot-Grün an
die europäischen Regeln gehalten und nicht den Stabilitäts- und Wachstumspakt gebrochen hätte und durchgesetzt hätte, dass er keine Anwendung findet.
({9})
Den Weg, den Wolfgang Schäuble hinsichtlich der Reformen im ESM geht, halte ich für richtig . Ich halte es für
richtig, dass der ESM zukünftig verstärkt darauf schauen
soll, dass die europäischen Regeln eingehalten werden
und die politische Unabhängigkeit in Europa wieder verstärkt Einzug hält; denn hier gab es zuletzt Fehlentwicklungen .
Ich halte die deutsch-französische Freundschaft gerade in der jetzigen Phase, in der die Interessen in Europa
so unterschiedlich verteilt sind, für wichtig . Wir haben
auf der einen Seite Italien, Griechenland und Portugal
und auf der anderen Seite die baltischen Staaten und die
Finnen, die diesen Weg mitgehen müssen . Das müssen
wir zusammenführen .
Lassen Sie mich eines sagen: Wir müssen Nationalismus und antieuropäische Strömungen nicht nur in einem
Staat bekämpfen, sondern in allen Staaten . Daher kann
man nicht eine Politik machen, die Proeuropäern den
Rückenwind nimmt; denn damit bewirkt man gleichzeitig erheblichen Rückenwind für Antieuropäer . Ihre Vorschläge sind völlig ungeeignet . Sie würden den Nationalismus in anderen Staaten in Europa massiv vorantreiben .
Besten Dank .
({10})
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Verbesserung des Hochwasserschutzes und zur Vereinfachung von
Verfahren des Hochwasserschutzes ({0})
Drucksache 18/10879
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({1})
Drucksache 18/12404
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({2}) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bundesprogramm „Blaues Band Deutschland“
Drucksachen 18/11099, 18/11225 Nr. 5,
18/12204
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Das Wort hat die Bundesministerin für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Dr . Barbara
Hendricks .
({3})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Hochwasser sind Ereignisse, vor denen es, wie wir
alle wissen, keinen absoluten Schutz gibt . Leider können
wir Hochwasser nicht per Gesetz verbieten oder sie auch
nur langfristig vorhersehen . Das haben wir in Deutschland zuletzt bei den Hochwassern an Elbe und Donau im
Juni 2013 erleben müssen, die zu immensen Schäden geführt haben . Auch die Starkregenereignisse im Mai und
Juni des vergangenen Jahres, bei denen es auch Todesfälle zu beklagen gab, sind uns allen noch in schmerzhafter
Erinnerung . Die Schäden an privaten Einrichtungen, aber
auch an öffentlichen Infrastruktureinrichtungen wie zum
Beispiel Bundesautobahnen beliefen sich auf über 8 Milliarden Euro . Das sollten wir auch in vorübergehenden
Zeiten des Niedrigwassers nicht vergessen .
Leider bestehen keine Zweifel an der Tatsache, dass
sich die Hochwasser in den letzten Jahren häufen . Was
wir tun können und müssen, ist, uns gegen Hochwasser
zu wappnen . Wir haben deshalb das Nationale Hochwasserschutzprogramm auf den Weg gebracht, das der
Bund zu einem erheblichen Anteil finanziert. Wir haben
darüber hinaus überprüft, ob das bestehende rechtliche
Instrumentarium ausreicht . Dies haben wir mit großer
Sorgfalt und nach umfassender Diskussion mit den Ländern getan . Ziel ist es, die Schäden in künftigen Fällen so
gering wie möglich zu halten . Wir schließen nun mit dem
sogenannten Hochwasserschutzgesetz II weitere rechtliche Lücken .
Lassen Sie mich die zentralen Punkte des Gesetzentwurfs nennen .
Erstens . Wir wollen eine stärkere Vorsorge durch
hochwasserangepasstes Bauen in Überschwemmungsgebieten erreichen . Wir wollen aber kein Bauverbot, wie
es die Mehrheit im Bundesrat will . In Zeiten knappen
Wohnraums können wir unseren Kommunen solche Einschränkungen nicht zumuten . Sie müssen zumindest die
Chance auf Entwicklung behalten . Wir wollen aber, dass
Belange des Hochwasserschutzes gerichtlich von den
Betroffenen eingefordert werden können .
Zweitens . Wir wollen, dass auch in Risikogebieten
und nicht nur in festgesetzten Überschwemmungsgebieten die private Hochwasservorsorge stärker Berücksichtigung findet. Risikogebiete sind übrigens bereits jetzt
nach EU-Recht auszuweisen . Aber Gefahrenkarten nützen natürlich nichts, wenn daraus keine Konsequenzen
gezogen werden . 2013 ist es gerade in solchen Gebieten
zu erheblichen Schäden gekommen, die in vielen Fällen
durch Steuermittel ausgeglichen werden mussten . Das
müssen wir für die Zukunft verhindern .
Drittens . In Zeiten des voranschreitenden Klimawandels, in denen auch großzügig bemessene Hochwasserschutzanlagen versagen können, ist es wichtig, Anpassungsmaßnahmen durchzusetzen . Solche Maßnahmen
können zum Beispiel sein: Energieverteilungs-, Gasversorgungs- oder Klimaanlagen in nicht hochwassergefährdete Gebäudebereiche innerhalb der Gebäude zu
versetzen, die Installation von Abschaltmöglichkeiten,
Rückstausicherungen, der Schutz der Leitungen gegen
Auftrieb und Korrosion und der Schutz von Außenanlagen gegen drückendes Wasser . Dabei werden im Übrigen
keine unerfüllbaren Anforderungen gestellt .
Wir wollen außerdem ein Verbot von neuen Ölheizungsanlagen und die Nachrüstung bestehender Anlagen
innerhalb angemessener Fristen in hochwassergefährdeten Gebieten . Wer gerade über eine neue Heizung nachdenkt, muss wissen, dass Ölheizungen im schlimmsten
Fall mit hohen Folgekosten verbunden sein werden . Darüber hinaus wollen wir die Verfahren beschleunigen,
mittels derer Hochwasserschutzeinrichtungen geschaffen
werden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wichtig ist mir zuletzt auch, dass wir alles Notwendige tun, um der Entstehung von Hochwasser entgegenzuwirken . Natürlich
können wir kurzfristigen Starkregen oder wochenlange
Regenfälle nicht verhindern . Dennoch gibt es Bereiche,
wo wir mehr machen können . Wir geben den Gemeinden
mehr Möglichkeiten, Retentions- und Versickerungsflächen auszuweisen und Anforderungen an das hochwasserangepasste Bauen zu stellen . Zudem wollen wir, dass
in bestimmten eng begrenzten Bereichen Hochwasserentstehungsgebiete ausgewiesen werden . In diesen Gebieten können dann bestimmte Tätigkeiten wie etwa der
Umbruch von Wiesen zu Ackerflächen untersagt werden.
Natürlich ist das nur angemessen, wenn die örtliche hydrologische und topografische Situation das erfordert.
Die Ausweisung solcher Gebiete ist nur ein Mittel unter
vielen, um zu verhindern, dass Bäche oder Rinnsale zu
reißenden Strömen werden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Gesetzgebungsverfahren haben die Koalitionsfraktionen im Einvernehmen mit der Bundesregierung eine Reihe von Änderungsvorschlägen aufgenommen zum Ausgleich von
Retentionsflächen und zu Anforderungen an Stauanlagen.
Außerdem besteht für die Länder keine Pflicht, sondern
lediglich eine Option zur Ausweisung von Hochwasserentstehungsgebieten . Auch bei der Einführung von Vorkaufsrechten haben die Länder einen weiten Spielraum .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Gesetzentwurf ist die richtige Antwort auf die Hochwasser . Ich bitte Sie daher herzlich um Ihre Zustimmung .
({0})
Lassen Sie mich zum Schluss noch kurz auf das
„Blaue Band“ eingehen, mit dem wir die Renaturierung
von Fließgewässern und Auen fördern . Uns erreichen
vielfältige Anregungen und Projektvorschläge von Ländern, von Gemeinden und von Initiativen vor Ort . Wir
wollen mit dem Bundesprogramm eine umfassende Renaturierungsinitiative starten und damit auch Synergien
in den Bereichen Gewässerschutz, Hochwasservorsorge,
Freizeit, Erholung und regionale Entwicklung ermöglichen . Das Ziel ist der Aufbau eines Biotopverbundes von
nationaler Bedeutung .
Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die
Renaturierung unserer Bundeswasserstraßen ist eine
Generationenaufgabe . Was über viele Jahrzehnte ausgebaut wurde, kann nicht in wenigen Jahren zurückgeführt
werden . Deshalb hat sich die Bundesregierung für die
Umsetzung des Programms einen Zeithorizont bis 2050
gesetzt . Sie sehen, wir denken durchaus in langen Linien .
Vor allem aber haben wir in dieser Legislaturperiode mit
der Umsetzung begonnen und die entscheidenden Weichen gestellt . Das erfüllt mich schon ein wenig mit Stolz
und Dankbarkeit gegenüber allen, die dabei mitgeholfen
haben . Ich bedanke mich sehr beim Kollegen Alexander
Dobrindt . Seine Wasser- und Schifffahrtsverwaltung wird
zukünftig ein völlig neues Aufgabenfeld haben: befestigen, wo es nötig ist, und entfestigen, wo es möglich ist .
Mir ist bereits von vielen Menschen vor Ort Begeisterung über das „Blaue Band“ entgegengebracht worden .
Wir werden so schnell wie möglich mit der Erarbeitung
von Entwicklungskonzepten an den Nebenwasserstraßen
beginnen .
Herzlichen Dank .
({1})
Das Wort hat der Kollege Dr . André Hahn für die
Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Durch die von mir betreuten Landkreise Sächsische
Schweiz-Osterzgebirge und Meißen zieht sich ein blaues
Band: die Oberelbe - wie ich finde, eine der schönsten
Regionen in Deutschland . Allerdings sind Hochwasser
in diesem Bereich der Elbe keine Seltenheit . Besonders
verheerend waren das Winterhochwasser von 1845 und
die sogenannte Jahrhundertflut im August 2002. Damals,
2002, verloren zigtausend Menschen ihren Besitz . Viele
von ihnen hatten nicht einmal eine Versicherung gegen
die Schäden . Das ist im Übrigen bis heute ein Problem .
2006, 2010 und 2013 gab es erneut starke Hochwasser
an der Elbe . Die Abstände werden hier und in anderen
Regionen, wie in Bayern und am Rhein, immer kürzer .
Die zunehmend extremen Wetterlagen haben unbestreitbar etwas mit dem Klimawandel zu tun . Das ist aber
nur eine von mehreren Ursachen für die Entstehung von
Hochwasser . Hinzu kommen eine starke landwirtschaftliche Nutzung und eine zunehmende Flächenversiegelung
in den Städten und Gemeinden an den Nebenflüssen. Dadurch wird weniger Wasser vom Boden aufgenommen .
Außerdem wurden viele Deiche sehr nah am Fluss errichtet. Ein Abfließen des Wassers in ursprüngliche Gewässerauen ist dadurch häufig nicht mehr möglich.
Innerhalb Deutschlands müssen sich zehn Bundesländer auf gemeinsame Maßnahmen einigen . Am 10 . November 2006 unterschrieben diese zusammen mit dem
Bund Maßnahmen gegen Hochwasser . Sie planten unter
anderem, weitere Retentionsräume einzurichten, aber
auch Bebauungsverbote und Überschwemmungsgebiete
festzusetzen .
Dieses Ziel unterstützen wir, sofern es sich auf das
gesamte Einzugsgebiet der Elbe bezieht . Warum mache ich diese Anmerkung? Anfang Juni 2014 teilte der
sächsische Staatssekretär Jaeckel auf einer öffentlichen
Veranstaltung zum Hochwasserschutz in Bad Schandau
mit, dass das angestrebte Schutzziel bei Hochwasser
im Oberen Elbtal nicht erreichbar sei und jeder Bürger
in Flussnähe Eigenvorsorge zu treffen habe . Das ist für
mich nicht akzeptabel . Auch das Obere Elbtal braucht
einen wirksamen Hochwasserschutz . Der internationale
Hochwasserrisikomanagementplan für die Elbe muss ab
Schmilka, ab der Grenze, und nicht erst ab kurz vor Dresden gelten .
({0})
Heute stimmen wir über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung ab, zu dessen Zielen es gehört, für den Bau
von Hochwasserschutzanlagen die Möglichkeiten für
beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren
auszuschöpfen . Daneben soll es für diese Gebiete Neuregelungen für ein hochwasserangepasstes Bauen und ein
Verbot neuer Heizölverbrauchsanlagen geben . Mit dem
Gesetz soll das Nationale Hochwasserschutzprogramm
in Höhe von circa 5,5 Milliarden Euro flankiert werden.
Die Umsetzung ist aus unserer Sicht jedoch unzureichend . Wir meinen, die Flüsse brauchen mehr Raum .
Durch die Bodennutzung muss die Wasseraufnahme des
Bodens so weit wie möglich gewährleistet werden . Für
die Linke heißt das Zauberwort deshalb „Hochwasservorsorge“ . Der Gesetzentwurf der Bundesregierung verfehlt dieses Ziel leider .
Für mich sind die zu erwartenden Auswirkungen auf
den Städtebau sehr problematisch . In der Anhörung im
Umweltausschuss wurde darauf hingewiesen, dass Risikogebiete nicht hinreichend abgegrenzt seien, was
hinsichtlich der Restriktionen für Bauleitplanung und
Bauweise zu großen Schwierigkeiten führen kann . Auch
müssen die Lasten gerecht verteilt werden . Laut Gesetzentwurf der Bundesregierung kommen auf die Bürgerinnen und Bürger über 1 Milliarde Euro zu, auf die Wirtschaft knapp 22 Millionen Euro, auf die Verwaltungen in
den Ländern nicht einmal 3 Millionen Euro, und für den
Bund entsteht gar kein Erfüllungsaufwand .
Bei dem Gesetzentwurf, der auf der Zielgeraden noch
nachgebessert wurde, und beim Entschließungsantrag
der Koalition wird sich die Linke der Stimme enthalten .
Neben dem Gesetzentwurf liegt heute - auch die Ministerin hat darauf hingewiesen - auch das Bundesprogramm „Blaues Band Deutschland“ zur Abstimmung
vor . Mit diesem Programm soll verstärkt in die Renaturierung von Bundeswasserstraßen investiert werden .
Daneben sollen neue Akzente in Richtung Natur- und
Gewässerschutz, Hochwasservorsorge sowie Wassertourismus, Freizeitsport und Erholung gesetzt werden .
Dieses Bundesprogramm wird auch seitens der Linken
positiv bewertet .
Dem Entschließungsantrag der Koalition können wir
dennoch nicht zustimmen . Wir haben im Ausschuss sechs
konkrete Kritikpunkte benannt . Aufgrund der geringen
Redezeit kann ich hier heute nur einen herausgreifen .
Es ist essenziell für die Wirkung des Programms, dass
andere Vorhaben der Bundesregierung dem damit verbundenen Ziel nicht entgegenwirken . Wir sagen hier: Die
geplante Weser- und Elbvertiefung ist definitiv kontraproduktiv und daher abzulehnen .
({1})
Es gilt jetzt also, die Ziele aus diesem Programm gemeinsam mit den Ländern und Kommunen, den Bürgerinnen und Bürgern sowie der Wirtschaft durch konkrete
Maßnahmen umzusetzen . Dies wird - so ist zumindest
meine Hoffnung - auch dem Nationalpark Sächsische
Schweiz, den Bewohnern der Region und ihren Gästen
zugutekommen - und dies nicht nur heute, sondern hoffentlich auch in der nahen und fernen Zukunft .
Herzlichen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist der Kollege Ulrich
Petzold für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als ich vor 15 Jahren die Berichterstattung meiner Fraktion zum Hochwasserschutzgesetz übernahm, habe ich
mir nicht träumen lassen, dass dieses Thema auch meine
wahrscheinlich letzte Rede betreffen würde, die ich heute
hier im Deutschen Bundestag halten werde .
Erlauben Sie mir, nicht über die Hochwässer von 2002
und 2013 zu sprechen oder über die vielen Dinge, die wir
schon gemacht haben . Bund und Länder gemeinsam sind
beim technischen Hochwasserschutz in den letzten Jahren ein großes Stück vorangekommen . Wir haben mittels
eines Sonderrahmenplans „Präventiver HochwasserDr. André Hahn
schutz“ viel an Deichen, Poldern und Retentionsflächen
getan . Das ist unbestreitbar .
Doch es lassen sich bei allen Anstrengungen auch
künftig nicht alle Schäden vor und hinter dem Deich verhindern, sodass mittels vorbeugender Maßnahmen mögliche Schäden an baulichen Einrichtungen unserer Bürger, an Gebäuden der Wirtschaft und der Öffentlichkeit,
wenn irgend geht, verhindert oder wesentlich gemindert
werden müssen . Das ist der Ansatz des Hochwasserschutzgesetzes II, das auch die Umsetzung eines Vorhabens aus dem Koalitionsvertrag und die Umsetzung der
EU-Hochwasserschutz-Richtlinie in nationales Recht
bedeutet .
Leider fanden sich an einigen Stellen im von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf Regelungen,
die die zugrundeliegende EU-Richtlinie sehr restriktiv
interpretierten und Auflagen für die Bürgerinnen und
Bürger sehr hoch ansetzten und uns zu intensiven Beratungen in der Berichterstatterrunde und auch mit Ihnen,
sehr verehrter Herr Staatssekretär, veranlasst haben, die
aber sehr positiv verlaufen sind .
Unsere Überlegungen haben natürlich immer das Ziel,
den Hochwasserschutz so effektiv wie möglich zu machen, aber zugleich auch Belastungen, zum Beispiel für
den Wohnungsbau - darüber haben wir heute mehrfach
beraten -, angemessen zu gestalten . Hochwasserangepasstes Bauen darf in Risikogebieten den Wohnungsbau
nicht mehr als unbedingt notwendig verteuern, da Ballungszentren dort, wo wir den Wohnungsbau am dringendsten benötigen, sehr oft in Risikogebieten liegen .
In unseren fachlichen Überlegungen haben wir uns zu
Bauplanungen in festgesetzten Überschwemmungsgebieten zum Beispiel gefragt: Kann der Hochwasserschutz
wirklich nicht gegen Erweiterungswünsche im Baubereich „weggewogen“ werden? Das ist eine gefährliche
Sache; darin sind wir uns durchaus einig . Ist die Privilegierung von Infrastrukturmaßnahmen wirklich in diesem
Umfang geboten? Muss nicht noch mehr auf Anpassung
an Hochwassererfordernisse geachtet werden?
Wie dem gemeinsamen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zu entnehmen ist, haben wir unter anderem
folgende Änderungen in den gemeinsamen Beratungen
auch mit unseren Mitberichterstattern von der Opposition erreicht: Die Definition eines Risikogebietes wird
durch die Klarstellung konkretisiert, dass es sich im Wesentlichen um Gebiete handelt, in denen statistisch alle
200 Jahre mit einer Überflutung durch ein Hochwasser,
also dem HQ 200, zu rechnen ist . Wir alle wissen, was
Extremhochwasser - eben wurde es von dem Kollegen
der Linken angedeutet - für Probleme bereiten kann .
In Risikogebieten wird von der Pflicht zur hochwasserangepassten Bauweise aller baulichen Anlagen auf eine
Sollvorschrift abgerüstet . Bei den Bauvorschriften sollen
auch mögliche Schäden berücksichtigt werden . Auch
hier haben wir uns sehr stark eingebracht .
Das Verbot der Errichtung von Heizölverbrauchsanlagen in Risikogebieten wird nur dann aufrechterhalten,
wenn andere weniger wassergefährdende Energieträger
zu wirtschaftlich vertretbaren Kosten zur Verfügung stehen oder die Anlagen nicht hochwassersicher errichtet
werden können . Der Bauherr hat den Einbau anzuzeigen,
und die Behörde kann innerhalb einer vorgesehenen Frist
entscheiden . Das ist eine wirklich vernünftige Anpassung an unsere Lebenswirklichkeiten .
Von der Untersagung von Maßnahmen in festgesetzten Überschwemmungsgebieten werden Maßnahmen zur
Beseitigung von Pflanzenwuchs und Anlandungen, die
den Wasserzufluss oder den Wasserabfluss in Retentionsräumen behindern, explizit ausgenommen . Damit folgen
wir einer Petition der Bürger aus Riesa, die uns nachgewiesen haben, dass beim Hochwasser 2013 trotz eines
deutlich geringeren Wasserabflusses als 2002 das Wasser
genauso hoch an den Deichen stand wie 2002, bedingt
durch Auflandung und Verbuschung.
Beim Vorkaufsrecht und den Festlegungen zu Hochwasserentstehungsgebieten kommen wir den Anregungen der Länder entgegen .
Wir haben auch Klarstellungen im Gesetz . Die Einschränkung in Risikogebieten, zum Beispiel bei der Aufstellung von Bauleitplänen im Außenbereich, darf keinem Bauverbot gleichkommen . Für bauliche Anlagen in
Risikogebieten, die aus technischen Gründen nicht hochwasserangepasst errichtet werden können, gilt das Erfordernis der hochwasserangepassten Bauweise nicht . Das
gilt zum Beispiel für Fahrsilos in der Landwirtschaft .
Bei den Anforderungen an das hochwasserangepasste
Bauen ist die Lage des Grundstückes zwingend zu berücksichtigen . Auch das war eine Folge unserer Beratungen .
Nach meiner Einschätzung ist es dringend geboten, dass die Hochwasserkarten der Länder periodisch
auf ihre Aktualität überprüft werden . Sicherlich kann
der Bund hierbei helfen . Deshalb fordern wir in unserer Entschließung, dass die Bundesregierung die Bund/
Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser und gegebenenfalls
betroffene Landesbehörden bei der kontinuierlichen Aktualisierung der Gefahren- und Risikokarten nach der
Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie in allen Belangen unterstützt . Wenn grundstücksgenau ausdifferenziert
wird und das aktuelle Kartenmaterial jedem zugänglich
ist, ist private und behördliche Planungssicherheit beim
Hochwasserschutz problemlos möglich .
Frau Bundesministerin, Sie haben eben von den hohen Folgekosten bei der Umrüstung von Heizölanlagen
in moderne Heizungsanlagen, die auch - so wollen wir
es - ökologisch wirksam sind, gesprochen . Bitte helfen
Sie uns, dass wir gerade Familien, die davon sehr stark
betroffen sind, in Zukunft auch helfen können . Ich glaube, das ist uns allen, die wir an den Beratungen teilgenommen haben, ein wichtiges Anliegen .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten
Damen und Herren, es ist meine letzte Rede, und ich darf
noch ein paar persönliche Worte an Sie richten .
Sie dürfen .
Ich glaube, auch diese Beratung zum Hochwasserschutzgesetz hat gezeigt, dass wir uns auch bei schwieriger Materie zusammenraufen können, dass wir zwar vielleicht keine einheitliche Meinung erzeugen können, aber
uns untereinander verstehen . Dieses Verständnis war für
mich in den vergangenen Jahren immer sehr, sehr wichtig, hat mir geholfen und wird manchmal von der Öffentlichkeit gar nicht so wahrgenommen . Die Menschen
hören uns hier nur streiten . Dass wir aber miteinander
sprechen und miteinander etwas erreichen, müssen wir
den Menschen vielleicht auch öfter einmal sagen . Das
würde ich Ihnen wünschen .
Herzlichen Dank Ihnen allen für die gute Zusammenarbeit!
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Petzold . Das war heute
nicht nur Ihre letzte Rede in diesem Haus, sondern wir
werden, wie wir wissen, auch zu einem guten Abschluss
kommen . Das ist auch der Erfolg .
Als Nächstes hat jetzt der Kollege Peter Meiwald für
Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Werte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das kann ich ganz unbedingt so zurückgeben,
Kollege Petzold: Vielen Dank für die faire Zusammenarbeit in diesem Bereich!
Ziel des Gesetzes, über das wir heute entscheiden, ist,
die Verfahren für die Planung, Genehmigung und den
Bau von Hochwasserschutzanlagen zu erleichtern und
zu beschleunigen, ohne die Beteiligung der Öffentlichkeit zu beschneiden, und vor allem die Entstehung von
Hochwasser einzudämmen . Dagegen kann man eigentlich nichts haben; das ist klar . Deshalb eint uns auch das
Interesse, dass wir in diesem Bereich vorankommen wollen und müssen .
Deswegen begrüßen wir auch grundsätzlich die Zielrichtung des Gesetzentwurfs . Aber - das ist schon von
allen anderen angesprochen worden - die Anhörung,
die wir im Umweltausschuss durchgeführt haben, hat
gezeigt: Es gibt viele Haken und Ösen . Ich verstehe das
bei einem Gesetzentwurf der Großen Koalition, die sich
letztendlich einigen muss . Für uns sind aber dabei Dinge auf der Strecke geblieben, was es uns nicht möglich
macht, dem Gesetzentwurf zuzustimmen, auch wenn darin einiges enthalten ist, das richtig ist .
Dies sage ich vorweg, weil es sonst wieder so klingt,
als ob wir uns nur streiten würden . In der Tat: Es hat sich
noch einiges geändert . Sie haben durch die Änderungsanträge an einigen Stellen nachgebessert . Das sehen wir
auch .
Aber es bleiben insbesondere zwei Dinge, die für uns
ein großes Problem darstellen .
Einmal geht es darum, dass die Bauleitpläne im Innenbereich weiterhin im Rahmen einer zusätzlichen
Abwägung ermöglicht werden . Das heißt, wir können
weiterhin das Hochwasserrisiko in der Planung - insbesondere auch bei der Planung für Infrastrukturvorhaben wegwägen . Bei Infrastrukturvorhaben handelt es sich um
großvolumige Bauwerke, wo es darum geht, dass am
Ende auch Retentionsflächen verlorengehen. Das ist in
Bezug auf die heutige Gesetzeslage kein Fortschritt . Es
führt dazu, dass die Unterlieger am Ende des Tages die
Geschichte wieder ausbaden müssen . Wir hätten uns gewünscht, dass hier insbesondere die Privilegierung der
Infrastrukturvorhaben herausgenommen worden wäre .
Es wäre wünschenswert gewesen, bei den Infrastrukturvorhaben - gerade bei den Verkehrsinfrastrukturvorhaben - zwingend Ausgleichsmaßnahmen für verlorengegangene Retentionsflächen vorzusehen. Das klingt
vielleicht ein bisschen so, als wenn wir uns eigentlich
einig sind, es aber noch so ein paar Nerd-Geschichten
gibt, an denen man immer herumkritisieren kann . Hierbei
handelt es sich aber insbesondere für die Menschen am
Unterlauf der Gewässer um ein sehr zentrales Thema .
({0})
Das zweite Problem haben Sie selbst angesprochen .
Dabei handelt es sich um die Ölheizungen . Ölheizungen
stellen im Überschwemmungsfall eine außerordentliche
Gefährdung der Umwelt dar . Deswegen müssen wir so
schnell es geht Ölheizungen austauschen und durch weniger gefährliche Heizungssysteme ersetzen . Wir hätten
uns da gewünscht - Sie haben es gerade angesprochen -,
dass man nicht Ausnahmen schafft für diejenigen, für die
es wirtschaftlich schwierig ist, sondern ein Förderprogramm angeboten hätte, um den Austausch der Anlagen
möglich zu machen . Da bleibt dieses Gesetz leider hinter
dem Anspruch zurück . Deswegen können wir auch da
nicht mitgehen .
({1})
Sie hätten sich dabei durchaus die Position des Bundesrates zu eigen machen können . Dieser hatte gefordert,
zum Ausgleich der besonderen Belastung eine Unterstützung von staatlicher Seite zu gewähren und entsprechende Fördermöglichkeiten zu schaffen . Es ist schwer
verständlich, warum sich diese Bundesregierung bei der
gegenwärtigen Haushaltslage dieser Forderung des Bundesrates verweigert . Das hätte, glaube ich, allen die Zustimmung zum Gesetz deutlich einfacher gemacht .
Sie nehmen hier ein unverantwortlich hohes Umweltrisiko in Kauf und suggerieren gleichzeitig - auch das
haben Sie angesprochen; das ist auch klimapolitisch bedenklich -, dass es mit den Ölheizungen eigentlich noch
eine Zeit lang so weitergehen kann . Nein, wir müssen aus
dieser Technologie aus dem letzten Jahrhundert aussteigen, gerade in Überschwemmungs- und Hochwassergebieten .
Trotz deutlicher Hinweise in der Anhörung im Umweltausschuss haben Sie nicht das Paradoxon aufgelöst,
dass es in den neuen Hochwasserrisikogebieten - also
den Gebieten, die hinter den Deichen liegen und nur
bei Deichbruch oder in Extremsituationen überschwemmungsgefährdet sind - höhere Anforderungen in Bezug
auf die Baumöglichkeiten gibt als in den Gebieten vor
dem Deich . Das ist den Menschen eigentlich nicht zu
vermitteln . Da hätten wir uns eine andere Möglichkeit
gewünscht . Es muss auch mit gesundem Menschenverstand nachvollziehbar sein, wo wir welche baulichen
Auflagen verlangen.
({2})
Die Forderungen Ihrer Entschließung sind im Grunde genommen hauptsächlich weiße Salbe . Wir können
uns dem gar nicht verweigern . Deswegen werden wir
uns dazu auch enthalten . Diese Forderungen sind aber
Begleitmusik für einen Gesetzentwurf, der eben nicht
wirklich zu dem Ziel führt, zu dem wir hinwollen . Die
dort genannte bundesweite Vereinheitlichung der Hochwasserkarten hätte die Bundesregierung längst festlegen
können . Das ist leider ausgeblieben .
Auch die Frage einer denkbaren Pflichtversicherung
wird adressiert, am Ende aber nicht beantwortet . Die
Bundesregierung ist ja nicht dazu da, Probleme zu beschreiben oder zu benennen, sondern Lösungen anzubieten . Daran sind Sie mit dem Gesetz leider gescheitert .
({3})
Das gilt auch für die angesprochenen Versickerungsmöglichkeiten . Sie haben es deutlich gesagt . Auch da
hätten wir uns klarere Vorgaben gewünscht; denn nur das
Wasser, welches nicht bei den Gewässern ankommt, wird
nicht zu einem Hochwasser . Auch da bleibt dieses Gesetz
hinter dem Notwendigen zurück .
Als Gesamtbewertung kann man nur sagen: Das ist
gut gemeint, an manchen Stellen aber noch nicht gut gemacht . Zwei Dinge fehlen, die ich zum Abschluss noch
kurz erwähnen möchte .
Einmal geht es dabei um den Klimaschutz . Wenn man
den Klimaschutz berücksichtigt, hat man noch nicht alle
Probleme geregelt . Es gibt auch Hochwasser, die nicht
durch das Klima, sondern durch einfache Wetterereignisse erzeugt werden . Dass die Klimaveränderung aber in
starkem Maße für zunehmende Extremwetterereignisse
verantwortlich ist, ist klar . Dieser Erkenntnis kann man
sich nicht verweigern . Deswegen wäre es gut, auch in
diesem Zusammenhang immer wieder darauf hinzuweisen, dass Klimaschutz der beste Schutz vor Extremwetter- und Starkregenereignissen ist . Deswegen muss auch
das Thema Ausstieg aus der Kohle immer wieder adressiert werden, wenn wir über den Hochwasserschutz reden . Dieser Ausstieg ist erforderlich, um die Klimabilanz
zu verbessern .
Auch Sie, Frau Ministerin, haben vorhin zwar davon
gesprochen, den Flüssen mehr Raum zu geben. Es findet sich aber in diesem Gesetz nichts, was uns in dieser
Hinsicht voranbringt . Deswegen hoffe ich, dass sich die
nächste Bundesregierung diesem Thema wieder zuwenden wird . Es wird da noch Einiges zu tun sein .
Im Sinne von Menschen und Umwelt, glaube ich, ist
es gut, wenn viele Grüne an dieser Regierung mitwirken .
Dann kann es nur besser werden .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Nächster Redner für die SPD-Fraktion
ist der Kollege Carsten Träger .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir alle erinnern uns noch an das Jahr 2013 .
Es war nicht nur das Jahr der letzten Bundestagswahl .
Nein, es war auch das Jahr, in dem der Klimawandel in
Deutschland sichtbar wurde . Es gab große Hochwasserereignisse an Donau und Elbe . Während des Elbhochwassers 2013 stieg das Wasser so hoch wie noch nie zuvor .
Katastrophenalarm wurde ausgerufen . Tausende Helfer
waren auf den Beinen, haben Millionen von Sandsäcken
gefüllt und gestapelt und fehlten natürlich an ihren Arbeitsplätzen . Die Bewohner mussten evakuiert werden,
Häuser und Straßen standen unter Wasser; das normale
Leben war für fast zwei Wochen lahmgelegt . Die Schäden dieses verheerenden Hochwassers im Juni 2013 im
Elbe- und Donaugebiet waren immens . Sie belaufen sich
auf mehrere Milliarden Euro .
Hochwasser sind Naturereignisse, die sich wiederholen . Sie sind ein Risiko, das nicht völlig ausgeschlossen
werden kann . Aber die Folgen von Katastrophen wie im
Jahr 2013 können und müssen abgemildert werden .
({0})
Hochwasserschäden müssen verhindert oder deutlich reduziert werden - diese Erkenntnis setzte sich 2013 endgültig durch . Milliardenschwere Aufbauhilfeprogramme
nach einem Hochwasserereignis aufzulegen, war natürlich notwendig; aber das kann nicht die Lösung für die
Zukunft sein . Daher wurde in der Konsequenz das Nationale Hochwasserschutzprogramm beschlossen . Zum
ersten Mal gibt es nun eine bundesweite Aufstellung mit
vordringlichen, überregional wirksamen Maßnahmen
für den Hochwasserschutz . Zentrales Ziel dabei ist: Den
Flüssen muss wieder mehr Raum gegeben werden .
Wir haben in dieser Legislaturperiode dank unserer Umweltministerin Barbara Hendricks viel für den
Hochwasserschutz erreicht . Dazu gehören das Nationale
Hochwasserschutzprogramm, das der Bund durch den
Sonderrahmenplan „Präventiver Hochwasserschutz“ mit
zunächst 330 Millionen Euro maßgeblich finanziert - dies
geschah übrigens auf Druck meiner Fraktion; herzlichen
Dank an den Kollegen Freese dafür -, das Bundesprogramm „Blaues Band Deutschland“ und nun das Hochwasserschutzgesetz II, das wir heute beschließen werden .
Es flankiert das Nationale Hochwasserschutzprogramm.
Mit dem Hochwasserschutzgesetz II erleichtern und
beschleunigen wir Planung und Bau von Hochwasserschutzanlagen, ohne die Beteiligung der Öffentlichkeit
zu beschneiden . Überschwemmungen und Hochwasserschäden sollen verhindert oder zumindest so weit wie
möglich verringert werden . Ich nenne einige Punkte, die
uns als SPD-Fraktion besonders wichtig sind .
In bestimmten Gebieten darf nicht mehr oder nur noch
hochwasserangepasst gebaut werden . Heizölanlagen sind
in bestimmten Gebieten verboten; denn ein ausgelaufener
Öltank verursacht nicht nur riesige Schäden in Umwelt
und Natur, sondern macht auch ein Haus auf ewig unbewohnbar . Die Länder haben zukünftig ein Vorkaufsrecht
an Grundstücken, die für Maßnahmen des Hochwasseroder Küstenschutzes benötigt werden . In Hochwasserschutzgebieten soll das Wasser im Boden versickern oder
zurückgehalten werden können . Deswegen darf nicht
einfach Grünland in Ackerland umgewandelt werden .
Dafür ist eine behördliche Genehmigung erforderlich .
Das sind, wie ich finde, lieber Peter Meiwald, doch
ganz erhebliche Fortschritte im Hochwasserschutz, auch
wenn man natürlich immer mehr fordern kann . Die Verhandlungen mit unserem Koalitionspartner jedenfalls
waren gerade in diesen Punkten schwierig . Zeitweise
drängte sich der Eindruck auf, dass hier über ein Heizölanlagenermöglichungsgesetz, ein Landwirtschaftsermöglichungsgesetz, ein Bauermöglichungsgesetz verhandelt wird und nicht über ein Gesetz zur Verbesserung
des Hochwasserschutzes und damit zum Schutz von
Menschen, von Hab und Gut, von Umwelt und Natur .
Am Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr
Petzold, haben wir doch einen guten Kompromiss erzielt .
Der Hochwasserschutz wird mit diesem Gesetz deutlich
verbessert . Deswegen danke ich allen für die Zusammenarbeit, besonders Herrn Staatssekretär Pronold sowie den
Kolleginnen und Kollegen aus dem Ministerium, die viel
Geduld aufwenden mussten .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und alles
Gute .
({1})
Vielen Dank . - Vielleicht kann man im Folgenden den
Dank bündeln und die Redezeit einhalten; denn wir sind
schon ein ganzes Stück in Verzug .
Als Nächster hat der Kollege Dr . Klaus-Peter Schulze
für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Auch ich möchte mit einem Dank beginnen, zunächst
mit dem Dank an unsere beiden Bundesminister, an Frau
Dr . Hendricks und Herrn Minister Dobrindt . Das Konzept zum „Blauen Band Deutschland“, das Sie gemeinsam vorgestellt haben, hat doch gezeigt, dass sowohl das
Infrastruktur- und Bauministerium als auch das Umweltministerium bei bestimmten Dingen gut zusammenarbeiten können . Es liegt aber auch in der Natur der Sache,
dass man manchmal dort gegenteilige Meinungen zu
vertreten hat .
Einen weiteren Dank möchte ich an unseren Haushaltsberichterstatter Cajus Caesar richten . Er hat in der
letzten Bereinigungssitzung dafür gesorgt, dass rund
100 Millionen Euro für den vorbeugenden Hochwasserschutz hinzugekommen sind . Auch das, denke ich, ist
sehr wichtig .
({0})
Ich möchte mich mit meinen nächsten Worten und Sätzen weniger dem Hochwasserschutz zuwenden - das ist
jetzt ausreichend gemacht worden -, sondern ich möchte
etwas zum „Blauen Band Deutschland“ sagen . Das Gewässernetz in Deutschland beträgt 400 000 Kilometer .
Bundeswasserstraßen sind etwa 7 300 Kilometer; davon
sollen 5 300 Kilometer Flussstrecke in das „Blaue Band
Deutschland“ integriert werden . Das sind auch Teile des
Kernnetzes, aber insbesondere Teile des Nebennetzes .
Das „Blaue Band Deutschland“ ist im Koalitionsvertrag für die 18 . Legislaturperiode zwischen der CDU/
CSU-Fraktion und den Sozialdemokraten beschlossen
worden, und auf diesem Beschluss baut es sich auf . Wir
wollen mit der Renaturierung großer Flussabschnitte
etwas für den Hochwasserschutz tun, aber insbesondere den Biotopverbund, der in Deutschland aufgrund der
dichten Besiedlung, die wir haben, und der aufgrund
der großen Infrastrukturmaßnahmen oftmals schon zerschnitten ist, wieder in einen besseren Zustand bringen .
Es wird so sein, dass viele zusätzliche, verschiedenartige Lebensräume entstehen können und ökologische
Trittsteine zu einem großräumigen Verbundsystem aufgebaut werden . Dieses Bundesprogramm fördert die
Ziele zu einer Strategie zur biologischen Vielfalt und die
Umsetzung von Natura 2000 und der Wasserrahmenrichtlinie . Aber nicht nur Natur- und Artenschutz werden hier
im Mittelpunkt stehen, auch Erholung und Wassertourismus sind betroffen und werden positiv weiterentwickelt .
Wichtig aus meiner Sicht ist, dass die Akzeptanz erlangt wird, indem man frühzeitig beginnt, alle Akteure an
einen Tisch zu bringen, um die Projekte in den nächsten
30 Jahren, wie es von der Ministerin angedeutet wurde,
umzusetzen . Ich glaube, wir haben schon gute Beispiele .
Im vergangenen Jahr wurde der Elbe-Vertrag nach langer
Diskussion von allen Beteiligten unterschrieben . Das ist
aus meiner Sicht ein gutes Beispiel .
In der Region, in der ich den empirischen Teil für
meine Diplomarbeit und meine Dissertation erarbeitet
habe, an der Unteren Havel, realisieren wir zurzeit mit
Unterstützung durch Bundesmittel in Höhe von 21 Millionen Euro ein großräumiges Renaturierungsprojekt .
Dieses ist so gut vorbereitet worden, dass mittlerweile
einzelne Landnutzer an den Projektleiter herantreten und
sagen: Wir hätten noch dieses und jenes gerne miterledigt, zum Beispiel Altarme freigesetzt, Deiche zurückgenommen . - Hier zeigt sich, dass man, wenn man alle
Beteiligten frühzeitig ins Boot holt, solche großräumigen
Veränderungen, die in diesem Falle vor allem dem Naturschutz und der Landwirtschaft dienen, auf den Weg
bringen kann .
({1})
Die Investitionen, die mit 19 Milliarden Euro in den
nächsten 30 Jahren angegeben sind, sind ganz erheblich .
Sie stellen aber einen guten Ansatz dar . Wenn man die
prioritären Maßnahmen mit etwa 3,5 Milliarden Euro beziffert, ist hier sicherlich der eine oder andere Punkt noch
zu betrachten . Ich glaube, man kann viele Maßnahmen
durch natürliche Sukzession laufen lassen, ohne umfangreiche Umsetzungsmittel einzusetzen . Kostenreduzierung ist also auch von daher notwendig .
Ich will abschließend noch ein, zwei Sätze zum Tourismus sagen . Der Wassertourismus hat sich in den letzten Jahren hervorragend entwickelt . Wir setzen in jedem
Jahr mehr als 4,5 Milliarden Euro in diesem Bereich um .
Ich denke, dass das Bundesprogramm „Blaues Band
Deutschland“ einen Beitrag dazu leisten kann, dass sich
dieses Segment des Tourismus weiterentwickelt .
Abschließend: Das Grüne Band, das einmal im Grenzraum zwischen den beiden deutschen Staaten entwickelt
wurde, ist ein Erfolg geworden . Ich gehe davon aus und
ich bin davon überzeugt: Wenn wir es richtig anpacken,
dann wird das Blaue Band auch ein Erfolg .
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit .
({2})
Vielen Dank . - Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Dr . Anja Weisgerber, CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Bitte erlauben Sie mir heute ausnahmsweise,
auch die Besucher aus meinem Wahlkreis ganz herzlich
zu begrüßen, die mir heute hier zuhören . - Wir alle erinnern uns an die Bilder vom vergangenen Jahr aus Simbach am Inn, einem kleinen Städtchen in Niederbayern
im Wahlkreis von Max Straubinger, das am 1 . Juni letzten Jahres infolge heftiger Sturzfluten vom Hochwasser
völlig zerstört wurde . Das Leid der Menschen, die ihr
Hab und Gut oder, noch viel schlimmer, gar Familienmitglieder und Freunde verloren haben, ist unermesslich .
Mein Heimatland Bayern hat damals sofort reagiert,
unbürokratisch Hilfsgelder zugesagt und schnell ausgezahlt . Das war aber natürlich nur ein erster Schritt, um
die Betroffenen bestmöglich zu unterstützen .
Mit dem Hochwasserschutzgesetz II wollen wir weiterhin zusätzlich zu den bereits bestehenden Hochwasserschutzgesetzen unseren Beitrag dazu leisten, dass die
Planungen für Genehmigung und Bau von Hochwasserschutzanlagen erleichtert und beschleunigt werden .
Meine Damen und Herren, Hochwasserschutz ist
wichtig, vielleicht wichtiger denn je; das steht außer
Frage . Aber man sollte die Notwendigkeit von Geboten
und von Verboten genau hinterfragen und abwägen und
dann die Maßnahmen ergreifen, die für den präventiven
Schutz des Eigentums vor Hochwasserschäden wirklich
erforderlich sind .
Wir in der Union nehmen den Schutz des Eigentums
vor zu weit gehenden Eingriffen dabei sehr ernst, so
auch beim Vorkaufsrecht der Länder für Grundstücke
zum Hochwasserschutz, das von vielen Seiten, darunter
auch der Landwirtschaft, stark kritisiert wurde; denn der
Verkäufer weiß im Vorfeld nicht, ob ein Bundesland ein
Grundstück dann auch kauft . Das sorgt für Verunsicherung und kann letztendlich auch Auswirkungen auf den
Grundstückspreis haben .
Ich begrüße es daher ausdrücklich, dass das Vorkaufsrecht nun auf die Flächenkulissen beschränkt ist, die für
den Hochwasser- und Küstenschutz auch wirklich erforderlich sind . Im Zuge dessen fällt auch das ursprünglich
geplante Vorkaufsrecht generell für Gewässerrandstreifen weg, und das ist gut so . Ich denke, dass wir damit
eine gute und ausgewogene Lösung für alle gefunden
haben .
({0})
Bei schweren Hochwasserereignissen, wie zum Beispiel letztes Jahr in Niederbayern, entstehen erhebliche
Schäden an Häusern und Umwelt durch zerborstene
Ölheizungen . Deswegen beinhaltet der vorliegende Gesetzentwurf ein generelles Verbot für die Neuerrichtung
von Ölheizungen in Überschwemmungs- und Risikogebieten . Er sieht jedoch, lieber Kollege Träger, sehr eingeschränkt, sehr begrenzt Ausnahmen vor . Diese Ausnahmen sind durch Genehmigungs- und Anzeigepflichten
eingegrenzt . Gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf haben wir im Gesetzgebungsverfahren eine Verbesserung erreicht und zusätzlich klargestellt - das ist ganz
wichtig -, dass in diesen Ausnahmefällen die Anlagen
hochwassersicher zu errichten sind . Auch das ist in unseren Augen eine ausgewogene Lösung, die wir hier erwirkt haben .
Hochwasserangepasstes Bauen spielt beim Hochwasserschutz natürlich eine Rolle . Wir haben uns dafür starkgemacht, dass dabei in Risikogebieten zielgenau und
auch wiederum mit Augenmaß vorgegangen wird . Dort,
wo ein Bebauungsplan vorliegt, muss die Kommune den
Hochwasserschutz bei der Planfeststellung berücksichtigen . Dort, wo kein Bebauungsplan vorliegt, sollen die
Behörden vor Ort im Dialog mit den Betroffenen prüfen,
ob und wenn ja welche Auflagen für das jeweilige Gebiet erforderlich sind. Dabei muss jede Auflage - das ist
ebenfalls wichtig - ins Verhältnis zum möglichen Schaden gesetzt werden . Dies erweitert wiederum den Ermessensspielraum der Baubehörden vor Ort . Das ist auch
gut so; denn die Behörden vor Ort kennen die örtlichen
Gegebenheiten am besten und können letztendlich passgenaue Lösungen vor Ort finden.
({1})
Schließlich haben wir festgelegt, dass Anforderungen
an eine hochwasserangepasste Bauweise im Außenbereich nicht gelten, wenn diese technisch nicht möglich
ist . Das ist beispielsweise bei Fahrsilos der Fall, da ein
solches Silo durch eine Hochwasserschutzmaßnahme
nicht mehr befahrbar wäre . Dies ist vor allem eine gute
Nachricht an unsere Landwirte .
Zusammenfassend bin ich der Meinung, dass das
Hochwasserschutzgesetz II einen guten Rahmen setzt
und erlaubt, zielgenaue Maßnahmen mit Augenmaß vor
Ort zu treffen, auf mögliche Hochwasser zu reagieren,
ohne dabei zu überzogene Auflagen zu treffen und über
das Ziel hinauszuschießen .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({2})
Vielen Dank . - Die Aussprache ist damit beendet .
Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 10 a zur
Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur weiteren Verbesserung des
Hochwasserschutzes und zur Vereinfachung von Verfahren des Hochwasserschutzes . Der Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12404, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/10879 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen .
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12404 empfiehlt der Ausschuss, eine
Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der
Oppositionsfraktionen angenommen .
Tagesordnungspunkt 10 b . Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit auf Drucksache 18/12204 zu der Unterrichtung
durch die Bundesregierung über das Bundesprogramm
„Blaues Band Deutschland“. Der Ausschuss empfiehlt
in Kenntnis der Unterrichtung auf Drucksache 18/11099,
eine Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der
Oppositionsfraktionen angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulle
Schauws, Tabea Rößner, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Soziale und wirtschaftliche Lage von Künstlerinnen, Künstlern und Kreativen verbessern,
Kulturförderung gerecht gestalten
Drucksache 18/12373
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich sehe keine
Widersprüche . Dann ist das so beschlossen .
Das Wort hat die Kollegin Ulle Schauws, Bündnis 90/
Die Grünen .
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Nicht überall auf der Welt ist die Freiheit von Kunst und Kultur eine Selbstverständlichkeit .
Autoritäre Systeme fürchten den kritischen Blick vieler
Künstlerinnen und Künstler und drangsalieren sie deswegen . Für eine demokratische und offene Gesellschaft
ist die Förderung von kultureller Vielfalt daher ganz elementar .
({0})
Gerade da gegenwärtig der konservative Ruf nach einer
Leitkultur wieder lauter wird, ist es umso wichtiger, sich
dem entgegenzustellen .
({1})
Autoritäre Ansagen haben in der Kultur nichts zu suchen .
Kultur lebt von der Vermischung und vom Miteinander
und nicht davon, dass man bestimmte Menschen im Namen einer Leitkultur ausschließt .
Aber ich will hier nicht abstrakt über die Kultur reden, sondern ganz konkret über die Künstlerinnen und
Künstler und die Kreativen in unserem Land . Sie geben
Impulse und Denkanstöße, irritieren und inspirieren,
verändern den Blick und bringen Prozesse, die stecken
geblieben sind, wieder in Gang . Ohne dass sie es tun
müssen, befeuern insbesondere die Kulturschaffenden
in unserem Land den demokratischen Diskurs, den wir
in unserer Gesellschaft brauchen, und das, obwohl die
Arbeitsbedingungen für Kultur- und Kreativschaffende
suboptimal, ja meistens sogar schlecht sind . Mangelnde
soziale Absicherung, drohende Altersarmut, oft sehr geringe Einkünfte, manchmal unterhalb des Existenzminimums: Das sind Zustände, die vielen Kreativen täglich
große Zukunftssorgen bereiten .
Die Bundesregierung hat es versäumt, endlich Lösungsvorschläge zu machen, die zur Lebenssituation von
Künstlerinnen und Künstlern und von Kreativen wirklich
passen . Meine Damen und Herren, dass Sie es bei Ihrer satten Mehrheit zulassen, dass Kultur- und Kreativschaffende in den Sozialversicherungssystemen ganz oft
durch das Raster fallen, lässt den Schluss zu: Das scheint
Ihnen egal zu sein . Wir Grüne wollen diese Benachteiligung von Künstlerinnen und Künstlern und von Kreativen nicht länger hinnehmen .
({2})
Deshalb legen wir mit unserem Antrag ein Konzept
mit Lösungen vor, die bei den Betroffenen wirklich ankommen . Drei zentrale Punkte möchte ich Ihnen nennen:
Erstens . Selbstständige Kreative müssen sich freiwillig gegen Arbeitslosigkeit versichern können, und zwar
mit einer Arbeitslosenversicherung, die für alle Selbstständigen unabhängig von ihrem Verdienst zugänglich
und bezahlbar ist . Die bislang existierende Sonderregelung für kurz befristet Beschäftigte läuft bei Kulturleuten
oft völlig ins Leere . Diese Regelung entspricht nicht ihrer
Lebensrealität . Damit erhalten Sie offenkundig ein Konstrukt aufrecht, das die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer faktisch nicht erreicht . Darum hat
meine Fraktion ein sinnvolles Konzept zu Beitrags- und
Anwartschaftszeiten in der Arbeitslosenversicherung
vorgelegt: vier Monate einzahlen, zwei Monate Anspruch auf Arbeitslosengeld . Ich sage Ihnen . Das würde
vielen Kultur- und Kreativschaffenden direkt helfen und
ihnen etwas bringen . Darum ist es sinnvoll .
({3})
Zweitens . Die Krankenversicherung muss für Selbstständige bezahlbar sein . Das heißt, eine Absenkung des
Mindestbeitrags zur Krankenversicherung für Selbstständige auf das Niveau der sonst freiwillig Versicherten, auf
eine Beitragshöhe von 150 Euro, auch für die Kultur- und
Kreativschaffenden wäre eine sinnvolle Lösung .
Drittens . Viele Künstlerinnen und Künstler sind perspektivisch von Altersarmut betroffen . Ohne Zugangsberechtigung zur Künstlersozialkasse oder zu einem Versorgungswerk fehlen in der Regel die finanziellen Mittel
für die Altersvorsorge . Das kann so nicht sein . Deshalb
wollen wir Grüne die Selbstständigen ihrem individuellen Einkommen entsprechend in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen . Ebenso wollen wir eine Garantierente auch für die Kulturschaffenden, die über der
Grundsicherung liegt .
Meine Damen und Herren, Existenzängste sind keine
gute Basis - für niemanden . Aber gerade für Menschen,
die kreative Prozesse gestalten, sind sie Gift . Schutz und
Förderung kultureller Vielfalt müssen deshalb mit Entlastung und Unterstützung der Kultur- und Kreativschaffenden einhergehen . Deshalb setzen wir uns mit unserem
Antrag dafür ein, die Vergabe von Fördermitteln durch
die BKM konsequent an faire Honorare und sozialverträgliche Rahmenbedingungen zu knüpfen, und zwar bei
Festangestellten und Selbstständigen im Kultur- und Kreativbereich . Der Bund muss bei fairen Löhnen endlich
mit gutem Beispiel vorangehen . Das ist längst überfällig .
({4})
Dies gilt auch für den Bereich der Geschlechtergerechtigkeit . Die eine Sache ist hier die Verteilung von
Geld, die andere die der Vielfalt der Perspektive in der
Kunst . Dass der Kulturbetrieb ganz selbstverständlich
weniger Frauen als Männer fördert, schmälert auch die
Chancen der kulturellen Vielfalt. Bei öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen und geförderten Kulturprojekten
muss die Gleichstellung von Frauen ein zentraler Punkt
sein . Auch hier steht die Bundesregierung in der Verantwortung .
Aber die Bundeskulturförderung sollte sich nicht nur
an Förderkriterien wie den eben genannten messen lassen .
Häufig sind die Förderentscheidungen der BKM schlicht
nicht nachvollziehbar . Bei der Garnisonkirche Potsdam,
beim Förderprogramm „Exzellente Orchesterlandschaft
Deutschland“ oder beim Freiheits- und Einheitsdenkmal,
dem Hin und Her hier, waren sie nicht nachvollziehbar .
Meine Damen und Herren, die Förderung von Projekten unter der Formel „von nationaler Bedeutung“ darf
nicht weiter vermeintlich staatlicher Willkür ausgesetzt
sein . Verbindliche Regeln und klare Kriterien für eine
transparente Förderpraxis sind daher dringend notwendig .
Deshalb sage ich Ihnen zum Schluss: Schluss mit
brotloser Kunst! Zeit für soziale Absicherung für Künstlerinnen und Künstler und Kreative! Zeit für transparente
Förderpraxis! Unser Antrag sagt, wie es gehen kann . Wir
freuen uns über Ihre Unterstützung .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank . - Ute Bertram ist die nächste Rednerin
für die CDU/CSU-Fraktion . Bitte schön .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute sprechen wir über den Kulturverhinderungsantrag
der Grünen .
({0})
Ja, meine Damen und Herren, das ist die Quintessenz des
Antrags . Ich glaube Ihnen ja, dass Sie es gut mit der Kultur und den Künstlern meinen . Aber gut gemeint ist eben
nicht immer automatisch auch gut gemacht .
Kultur braucht Freiheit; da sind wir uns doch einig .
Deshalb passt es nicht zusammen, wenn Sie fordern, die
Kultur gerecht zu fördern . Was heißt denn „gerecht“?
Soll Förderung über die gesamte Kulturlandschaft gewichtet werden? Ich sage Ihnen: Das funktioniert nicht .
Nur dann, wenn Künstler, ganz gleich, ob ihre Kunst bilUlle Schauws
dend, musisch, literarisch, darstellend oder was auch immer ist, ohne alle Grenzen arbeiten, können sie ihre volle
Kreativität entfalten .
({1})
Ein enges Korsett von Kriterien zur Kulturförderung, wie
Sie es vorbringen, schadet der Kultur und ihrer Entfaltungsmöglichkeit . Wenn Sie die Vergabe von Bundesfördermitteln an Kriterien wie „Migrationshintergrund“,
„Beeinträchtigung oder Behinderung“ oder an eine Frauenquote knüpfen wollen, dann schaden Sie der freien
Entfaltung der Kunst .
So fordern Sie zum Beispiel eine feste Ausstellungsvergütung für Künstler . Was im ersten Moment gut
klingt, nämlich jungen Künstlern ein Honorar für ihre
Kunst zu geben - das hört sich in der Tat erst einmal gut
an -, ist aber fatal; denn das wäre das Karriereende von
jungen, aufstrebenden Künstlern . Kein Museum würde
einem unbekannten Künstler noch eine Chance geben,
seine Bilder auszustellen ({2})
eine vertane Chance, wenn es darum geht, jungen Künstlern die Möglichkeit zu geben, sich einen Namen zu machen .
({3})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Kunst und
Kultur lassen sich nicht messen, nicht quantifizieren. Ein
Porträt ist nicht vergleichbar mit einem Lied, und ein
Gedicht ist nicht vergleichbar mit einem Theaterstück .
Genauso wenig sind die Kosten dafür miteinander vergleichbar . Um einen 90-minütigen Film zu produzieren,
braucht man deutlich mehr finanzielle Mittel als für das
Schreiben eines Gedichts . Ist dadurch der Film mehr wert
oder das Gedicht weniger wert?
({4})
Kunst und Kultur sind eben nicht nach einem Raster
quantifizierbar, mit dem wir Fördergelder gerechter oder
gleichmäßiger verteilen .
({5})
Die Haushaltspositionen für die Förderung der unterschiedlichen Kunstgattungen sind unterschiedlich; das ist
keine Frage . Aber dadurch kommt keine normative Wertung zum Ausdruck, sondern allein der unterschiedliche
Bedarf der verschiedenen Kultursparten .
Das ist auch nicht nur im Bereich der Kultur so . Bei
der Hochschulbildung gibt es einen unterschiedlichen finanziellen Bedarf in den verschiedenen Studiengängen .
Die Ausbildung eines Arztes kostet mehr als die Ausbildung eines Betriebswirtschaftlers oder eines Juristen .
Niemand käme auf die Idee, alle Studiengänge zukünftig
gleichmäßig zu fördern .
({6})
- Hören Sie doch mal weiter zu!
({7})
Dieses Prinzip gilt auch hier im Bereich der Kulturförderung . Einen Film zu drehen, ist ungleich teurer, als ein
Gedicht zu schreiben .
({8})
Daher stellen wir für die Filmförderung auch mehr Geld
zur Verfügung als für die Literaturförderprogramme .
Hier möchte ich erwähnen, dass wir die Filmförderung
für 2018 auf 150 Millionen Euro erhöhen . So viel gab
es noch nie . Lassen Sie mich hinzufügen: 300 Millionen
Euro für Bibliotheken und Museen, 84 Millionen Euro
für den Denkmalschutz, 27 Millionen Euro für Theater
und Musik . Die Kulturstiftung des Bundes erhält jedes
Jahr 35 Millionen Euro für wichtige Projektarbeit .
Liebe Kollegen von den Grünen, Sie weisen in Ihrem Antrag zu Recht darauf hin, dass durch den föderalen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland die Kulturförderung in erster Linie Sache der Länder ist . Dem
deutschen Staat, also dem Bund, den Ländern und den
Gemeinden, ist die Kultur jährlich knapp 10 Milliarden
Euro wert . Davon trägt der Bund gemäß der Kulturhoheit der Länder circa 13,6 Prozent für die Aufgaben von
überregionaler und gesamtstaatlicher Bedeutung . Den
Hauptanteil der Kulturförderung verantworten die Kommunen mit 45 Prozent, und das, obwohl die Länder eigentlich dafür verantwortlich sind . Deren Anteil liegt bei
nur 43 Prozent .
Wenn Sie ehrlich wären, dann müssten Sie die Politik
der Großen Koalition loben . Noch keine Regierung zuvor hat so viel für die Förderung der Kultur bereitgestellt
wie die derzeitige .
({9})
- Hören Sie doch einmal zu .
({10})
- Dann seien Sie bitte auch still .
Schauen wir zurück ins Jahr 2005, ins letzte Jahr,
in dem die Grünen im Bund Regierungsverantwortung
getragen haben . Damals lag der Haushalt des BKM bei
950 Millionen Euro . Heute steht der Haushalt der BKM
bei über 1,6 Milliarden Euro . Das ist ein Aufwuchs von
über 70 Prozent .
({11})
Das können Sie nicht kleinreden .
({12})
Das ist ein Zuwachs, den es in keinem anderen Ressort
jemals gegeben hat .
({13})
Ein besonderer Dank gilt hier auch unserer Staatsministerin Monika Grütters und dem Finanzminister
Wolfgang Schäuble .
({14})
Wenn es uns in unserem Land wirtschaftlich weiter so
erfolgreich gehen wird, dann können wir in 2021
({15})
vielleicht sogar eine Verdoppelung des Etats herbeiführen, im Gegensatz zu Ihrer Bilanz .
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, so sieht eine
aktive und erfolgreiche Kulturpolitik aus .
({16})
Wir bauen keine Luftschlösser mit unrealistischen Forderungen . Wir fördern Kultur real und pragmatisch .
Lassen Sie mich auch noch einen Blick auf die Bundesländer werfen, in denen Sie von den Grünen mitregieren . Schauen wir einmal nach Schleswig-Holstein,
Rheinland-Pfalz oder in mein Bundesland Niedersachsen . Diese drei Länder bilden das Schlusslicht bei den
Kulturausgaben mit 62, 68 und in Niedersachsen 71 Euro
pro Kopf pro Jahr .
({17})
Nur zum Vergleich: Das Flächenland Sachsen beispielsweise gibt mehr als 164 Euro pro Bürger pro Jahr aus .
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen, das ist die Wahrheit: Wo Sie regieren, kommen Sie mit der Kulturförderung nicht hinterher . Also
machen Sie sich bitte keinen schlanken Fuß in den Ländern, wenn Sie auf der anderen Seite heute hier im Bund
mehr Geld für Kultur fordern .
({18})
Mein Fazit ist: Wir haben viel getan bei der Förderung
der Kultur . Und natürlich ist das nicht das Ende der Fahnenstange . Deshalb werden wir Ihren Antrag, der in die
falsche Richtung geht, nicht mittragen .
Ich danke Ihnen .
({19})
Vielen Dank . - Als Nächste hat die Kollegin Sigrid
Hupach, Fraktion Die Linke, das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Dank geht an die
Grünen, dass wir heute aufgrund ihres Antrages die Gelegenheit haben, grundsätzlich über die Kulturförderung
des Bundes zu debattieren .
({0})
Der Hauptstadtkulturvertrag ist letzte Woche unterzeichnet worden . Er bringt für die Kultur einen Aufwuchs . Das ist grundsätzlich erst einmal zu begrüßen .
({1})
Wir kritisieren aber die fehlende Transparenz und die
Nichteinbeziehung der Parlamente . Es geht hier um viel
Geld und eine Vertragsdauer von zehn Jahren . Es kann
doch nicht sein, dass die Parlamente nicht beteiligt werden .
({2})
Wie in der Hauptstadt Berlin ist bei der Kulturförderung des Bundes immer von der „nationalen Bedeutung“ die Rede . Was genau das ist, ist nicht festgelegt .
Es wird auch nicht verhandelt, sondern irgendwie nach
Gefühl bestimmt . Schaut man sich die Überraschungen
in den Bereinigungssitzungen des Haushaltsausschusses
an, kann man den Eindruck gewinnen, es ginge eher um
die nationale Bedeutsamkeit einzelner Abgeordneter und
ihrer Wahlkreise .
Das Anliegen des Antrages, die Kulturförderung des
Bundes transparenter zu gestalten und vor allem die in
den Blick zu nehmen, die Kultur machen und Kunst
schaffen, ist auch für uns Linke wichtig .
Die Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ zur Kulturförderung waren
klar und deutlich: „Objektive und transparente Förderkriterien staatlicher Kulturfinanzierung“ schaffen, heißt
es dort . Die Umsetzung steht jedoch zehn Jahre später
immer noch aus .
Auch eine Kulturentwicklungskonzeption wurde damals eingefordert . Diese soll natürlich nicht die künstlerische Entwicklung vorgeben . Es geht stattdessen darum,
gemeinsam eine Idee zu entwickeln, wie wir zusammenleben wollen, die dafür nötigen Rahmenbedingungen zu
definieren und daraus ganz konkrete Maßnahmen für die
Kulturpolitik auf Bundesebene abzuleiten . Auch eine solche Konzeption würde zu mehr Transparenz führen .
Das gälte erst recht, wenn man, wie die Linke schon
seit langem fordert, ein Bundeskulturministerium einrichtete und das Kooperationsverbot endlich abschaffte .
({3})
Beides bedeutete keineswegs ein Ende der Kulturhoheit
der Länder . Vielmehr würden lediglich die Zuständigkeiten gebündelt, die jetzt ohnehin schon auf Bundesebene
liegen, jedoch über diverse Ressorts verteilt sind . Angesichts des gesellschaftlichen Wandels könnte es sogar ein
Schlüsselministerium werden . Auch Förderprogramme
auf Bundes- und Länderebene ließen sich so besser aufeinander abstimmen, und das vorhandene Geld könnte
sinnvoller eingesetzt werden . Man könnte endlich das
Zuwendungsrecht überarbeiten und die Antrags- und
Abrechnungsmodalitäten bei Bundesförderprogrammen
vereinfachen . Diese Aspekte aber fehlen uns Linken in
dem vorliegenden Antrag .
Einige Forderungen der Grünen halten wir für nicht
sinnvoll . Das betrifft zum Beispiel die gerechte Verteilung der Fördermittel über die Sparten . Uns wäre eine
bedarfsgerechte Förderung wichtiger . Theater haben nun
einmal höhere Bedarfe als andere . Auch fehlt uns eine
deutlichere Unterscheidung zwischen Künstlerinnen und
Künstlern auf der einen Seite und der Kreativwirtschaft
auf der anderen Seite .
Bei einigen Punkten haben wir weiter gehende Vorschläge, Stichwort: solidarische Mindestrente . Die
Künstlersozialkasse wollen wir nicht nur erhalten; hier
muss auch der Bundeszuschuss erhöht werden,
({4})
und es müssen Lösungen für die sogenannten hybriden
Erwerbsformen gefunden werden, zum Beispiel durch
eine Anpassung der Aufnahmekriterien oder der Grenzen
für Zuverdienste aus abhängiger Arbeit .
Die digitalen Plattformen müssen direkt an der Finanzierung der Sozialversicherungssysteme beteiligt werden . Absolut richtig ist, dass diese Systeme endlich für
die vielen Solo-Selbstständigen geöffnet werden müssen .
({5})
Auch der Bundesrat hat sich die Initiative der linken Sozialministerinnen von Thüringen und Brandenburg und
der Berliner Senatorin für Gesundheit zu eigen gemacht
und die Senkung der Beitragsbemessungsgrenzen gefordert .
Auch beim freien Eintritt sollten wir vielleicht noch
viel radikaler denken . Wir haben dazu selber ein Modellprojekt für eine einzelne Sparte, nämlich die Museen,
angeregt . So könnte man Erfahrungen sammeln, wie es
gelingt, durch freien Eintritt für alle und durch verstärkte
Angebote der Vermittlung Zugangsbarrieren abzubauen .
Vor kurzem sprachen wir hier über unseren Antrag
zur Ausstellungsvergütung . Da mussten wir uns anhören,
dass jeder frei in seiner Entscheidung ist, den schlecht
bezahlten Beruf der Künstlerin oder des Künstlers zu
wählen oder nicht . Ist das wirklich das Kulturverständnis
der Union? Also, mein Kulturverständnis ist das nicht .
({6})
Für uns Linke muss staatliche Kulturförderung natürlich
dafür Sorge tragen, dass Künstlerinnen und Künstler,
dass Kreative von ihrer Arbeit leben können . Die Vergabe öffentlicher Gelder muss an die Einhaltung sozialer
Mindeststandards gekoppelt werden .
({7})
Geschlechtergerechtigkeit und Diversität gehören dazu,
vor allem aber eine angemessene Vergütung . Dem entsprach ja auch das einhellige Votum der Sachverständigen im Ausschuss .
({8})
Den Handlungsbedarf belegen auch die vielen Initiativen von Künstlerinnen und Künstlern wie „art but fair“
oder des „ensemble-netzwerks“ im Theaterbereich . Der
Bund hat hier eine Vorbildfunktion, und dieser muss er
auch endlich gerecht werden .
Vielen Dank .
({9})
Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Siggi Ehrmann,
SPD-Fraktion, das Wort zu seiner wahrscheinlich letzten
kulturpolitischen Rede hier in diesem Hause . - Oder?
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Frau Präsidentin, das werde ich mir
vielleicht nach der Rede noch überlegen . - Zunächst einmal herzlichen Dank für den Antrag, den Sie eingebracht
haben, weil er die Chance bietet, einige grundlegende
Anmerkungen zu machen . Der Antrag enthält durchaus
Erwägenswertes . Aber ich möchte gleichwohl einen Akzent hervorheben, den ich etwas schwach finde.
Sie haben sich in sechs der neun Punkte mit Fragen
der Kulturförderung auseinandergesetzt . Sie sprechen
das Thema der Kulturwirtschaftsförderung an . Sie sprechen natürlich die Frage an, wie faire Einkommen generiert werden können und wie sich die soziale Sicherung
darstellt, und gehen auf das Urheberrecht ein . Aber wenn
Sie sich darauf konzentrieren, die Kriterien objektiver
Kulturförderung zu definieren, wenn Sie sich darauf
konzentrieren, zu definieren, was national bedeutsame
Kulturprojekte sind, dann ist das ein Akzent, der zu kurz
greift . Ich möchte das anhand eines Beispiels deutlich
machen .
Präsident Macron wurde am 12 . Mai im Tagesspiegel
zitiert . Es ging um die Frage, wie man bessere Zugänge
und bessere Teilhabe organisieren könne . Er spricht das
Beispiel der Bibliotheken an . Frankreich verfügt über
7 000 Bibliotheken, wir in Deutschland verfügen etwa
über 9 200 öffentliche Bibliotheken . Macron verweist
auf die Öffnungszeiten der Bibliotheken in Frankreich,
die bei 40 Stunden in der Woche liegen; bei größeren
Bibliotheken in unserem Land ist das ähnlich . Macron
blickt auch auf Skandinavien und stellt fest: In Kopenhagen beispielsweise gibt es Bibliotheken mit einer Öffnungszeit von 90 Wochenstunden . Er stellt fest, dass die
ungünstigen Öffnungszeiten für viele eine Zugangsbarriere darstellen . Die Frage: „Wie organisieren wir Teilhabe?“, ist schon ein wichtiges Thema .
Jetzt komme ich auf das zu sprechen, worauf ich im
Kern hinauswill . Der französische Präsident könnte aufgrund des zentralistisch organisierten Staats diese Idee ich sage das etwas salopp - durchstellen . Damit ist das
Ding - aus zentralstaatlicher Sicht - gelaufen . Wir im
Deutschen Bundestag könnten uns allenfalls mit dem
Arbeitszeitgesetz auseinandersetzen und darüber nachdenken, ob es Bibliothekarinnen und Bibliothekaren am
Wochenende möglich sein sollte, zu arbeiten . Die konkrete Frage des Ob und des Wie ist eine Frage des Bibliotheksträgers, der Kommune oder des Landes .
Das Beispiel zeigt, dass Bundeskulturpolitik in weiten
Teilen nur durch Kooperation funktionieren kann . Natürlich hat der Bund originär eigene Zuständigkeiten . Jüngst
haben wir uns mit dem Hauptstadtfinanzierungsvertrag
beschäftigt, weil der Bund gemäß Artikel 22 des Grundgesetzes verpflichtet ist, diese Aufgabe zu übernehmen.
({0})
In Artikel 35 des Einigungsvertrages wird die besondere Verantwortung für die kulturelle Infrastruktur in Ostdeutschland hervorgehoben .
({1})
- Danke schön . - Wir haben die Verantwortung für die
Deutsche Nationalbibliothek und für die Stasi-Unterlagen-Behörde . Es gibt auch Institutionen, gegenüber denen wir verpflichtet sind. Ich denke an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, an das Haus der Geschichte, an das
Deutsche Historische Museum und, und, und . Das sind
originäre Verantwortlichkeiten, hinter denen dann aber
ausgedeutet wird, dass das Institutionen von gesamtstaatlicher Bedeutung sind .
Neben all diesen Aktivitäten gibt es die Förderung von
Projekten und Institutionen . Die Bundeskulturstiftung
wurde genannt, aber auch die Fonds, die wir gebildet
haben . Die Rahmenbedingungen sowohl der Bundeskulturstiftung wie auch der Fonds, jüngst des Musikfonds,
haben wir deutlich verbessert . Die Institutionen arbeiten
übrigens nach gewissen Kriterien . Ich bin vorhin wirklich erschrocken, als ich den Begriff „staatliche Willkür“
gehört habe .
({2})
Ich finde, dieser Begriff ist wirklich schwierig.
({3})
Zum Begriff „Paternalismus“ . Es gibt manchmal Ansätze, bei denen man sich durchaus fragt, was die Gründe sind . Aber gleichwohl: Die Institutionen, in denen
Juryentscheidungen Standard sind, sind beispielgebend .
Später werde ich eine entsprechende Schlussfolgerung
ziehen .
Kurzum: Der Bund hat eine Menge angeschoben, aber
gelegentlich leiden manche Förder- und Investitionsprogramme Not . Grund ist auch eine mangelnde Abstimmung auf Länderebene . Da weiß die eine Hand manchmal nicht, was die andere tut .
({4})
Deshalb ist der kooperative Föderalismus auszubauen
und zu stärken . Der Bund und die Länder müssen intensiver zusammenwirken .
Lassen Sie mich ein konkretes Beispiel aus der Bundeskulturstiftung bringen, wo in der Vergangenheit eine
intensive Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern
wiederholt erfolgt ist . Ich denke, der „Tanzplan“ war nur
möglich durch eine enge Kooperation zwischen Bund und
Land, das Projekt „Agenten“ ebenfalls . Das fantastische
Programm „TRAFO“ - es geht um ein Modellprojekt in
gewissermaßen sich entsiedelnden Gebieten, Stichwort:
demografischer Wandel - ist ein hervorragendes Beispiel
dafür, wie die Bundeskulturstiftung mit ihren Möglichkeiten im Rahmen von Modellprojekten gewissermaßen
Forschung für uns, für die Gesellschaft insgesamt leistet .
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den Enquete-Bericht, der von Kollegin Hupach eben angesprochen
wurde . Er wurde vor zehn Jahren, 2007, vorgestellt . Ich
empfehle allen, einen Blick hineinzuwerfen . Er enthält
ein großes Kapitel zum Bereich Kultur und demografischer Wandel . Ich vermute, dass spätestens die Ergebnisse des Transformationsprojektes der Bundeskulturstiftung Bund und Länder veranlassen werden, gemeinsam
über die Frage der kulturellen Infrastruktur und der kulturellen Angebote in der Fläche zu reden und dies als Gemeinschaftsaufgabe zu begreifen . Davon bin ich zutiefst
überzeugt, und ich erwarte dies auch .
Insofern gibt es, wie ich glaube, noch eine ganze Menge zu tun, um den Kulturförderalismus zu stärken, auszubauen und zu weiten sowie insbesondere mit konzeptbasierter Kulturförderung - seitens der SPD haben wir
schon versucht, das in den Koalitionsvertrag hineinzuverhandeln - Ernst zu machen; das heißt, wir müssen mit
den Ländern gemeinsame Ziele, Projekte, Verfahren und
Kriterien abstimmen, um die Wirkung der Kulturinvestitionen zu stärken und auf diese Art und Weise Teilhabe
zu ermöglichen .
Der Antragsteller spricht davon, Kulturförderung gerecht zu gestalten . Auf der einen Seite geht es dann dabei natürlich darum, wie wir mit den Künstlerinnen und
Künstlern umgehen; das wird der Kollege Blienert nachher noch in seinen Ausführungen darlegen . Auf der anderen Seite geht es aber auch darum, wie wir die Teilhabe
der Menschen in unserem Land verbessern können . Das
geht nur durch stärkere Kooperation von Bund, Ländern
und Kommunen . Dafür brauchen wir Instrumente, damit
nicht zu viel parallel läuft .
({5})
Das Programm „Kultur macht stark“ ist ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte .
Danke .
({6})
Vielen Dank . - Jetzt hat Dr . Astrid Freudenstein für
die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Es ist - das wissen wir - eine Kunst, von der Kunst zu leben . Natürlich gibt es Maler, Bildhauer, Musiker, Schauspieler, die für ihre Auftritte und Werke hohe Gagen und
Honorare bekommen; aber das sind die wenigsten . Die
allermeisten Künstler leben eher schlecht als recht von
ihrer Arbeit . Die Versicherten in der Künstlersozialkasse
verdienen im Schnitt weniger als 1 500 Euro im Monat
brutto . Kein Wunder also, dass viele Kreative die Kunst
doch lieber nur als Hobby betreiben und sich für das
ganz normale Überleben einen verlässlichen Brotberuf
suchen . Aber natürlich lebt eine Kulturnation wie die
unsere wesentlich von denen, die ihr ganzes berufliches
Wirken in die Kunst investieren .
Schaut man, wie es in anderen Ländern läuft, dann
stellt man fest, dass wir ganz gut dastehen . Ein Kon strukt
wie die Künstlersozialversicherung zum Beispiel ist
weltweit einzigartig . Jetzt weiß ich natürlich, dass viele
Unternehmer die KSK lieber heute als morgen abschaffen wollen . Aber ich sage auch: Es steht uns als Kulturnation gut zu Gesicht, dafür zu sorgen, dass unsere Künstler
und Publizisten ordentlich renten-, kranken- und pflegeversichert sind . Das zeichnet uns in positiver Weise aus .
({0})
Natürlich kann man dieses gute System der sozialen
Absicherung der Kreativen noch besser machen, allerdings mit Sicherheit nicht so, wie Sie das in dem vorliegenden Antrag vorschlagen . Ihre Forderungen, liebe
Kolleginnen und Kollegen der Grünen, scheitern schlicht
und ergreifend an der Realität . Die Leistungsfähigkeit
der gesetzlichen Sozialversicherung ist zwar hoch, grenzenlos hoch ist sie aber nicht . Jeder Zweig der Sozialversicherung - sei es die Arbeitslosen-, die Renten- oder
die Krankenversicherung - ist ein fein ausbalanciertes
System . Und an diesen Systemen wollen Sie tiefgreifende Änderungen vornehmen, sozusagen mit dem Vorschlaghammer, und das im Namen der Kunst . Das kann
natürlich nicht gut gehen . Denn während Radikalität in
der Kunst durchaus ihre Berechtigung hat, ist sie in einer
vernünftigen Sozialpolitik fehl am Platz .
Die sozialen Sicherungssysteme müssen ihre gesetzlich vorgesehene Funktion erfüllen; das ist klar . Genauso wichtig ist es aber, dass weder Arbeitgeber noch
Beitragszahler oder künftige Generationen übermäßig
belastet werden . Nicht umsonst hat Rot-Grün mit der
Agenda 2010 zum Beispiel die Rahmenfrist in der Arbeitslosenversicherung auf zwei Jahre gesenkt, die Anwartschaftszeit aber bei zwölf Monaten belassen . Das hat
Wirkung gezeigt: Seit fast fünf Jahren ist der Beitragssatz
stabil . Und so bleibt den Beschäftigten schlicht und ergreifend mehr Netto vom Brutto . Die Lohnnebenkosten
bleiben niedrig, ohne dass es dazu kommt, dass die Arbeitslosenversicherung ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen
könnte .
Der deutsche Arbeitsmarkt hat sich in den vergangenen Jahren natürlich verändert; das beschreiben Sie in Ihrem Antrag ganz korrekt, wenn auch etwas überspitzt . Es
gibt tatsächlich eine Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse . Es gibt tatsächlich mehr Befristungen . Es gibt tatsächlich mehr Teilzeitbeschäftigungen und Jobwechsel .
Da sind die Künstler und Kreativen vorne dabei . Aber all
das verhindert trotzdem nicht, dass man beispielsweise
in der Arbeitslosenversicherung innerhalb von 24 Monaten 12 Monate Anwartschaft erwerben kann . Das ist auch
möglich, wenn man in Teilzeit oder befristet beschäftigt
ist .
({1})
Rahmenfrist und Anwartschaftszeit sind eben nicht beliebig gewählt . Sie garantieren die Stabilität der Versicherungssystematik . Wir dürfen das, was gut funktioniert,
nicht einfach über den Haufen werfen . Wir sollten Änderungen genau an den Stellen beschließen, an denen wir
das System zielgenau besser machen können .
Natürlich gibt es besonders bei den Kulturschaffenden spezielle Erwerbsbiografien. Die Sonderregelung für
überwiegend kurzfristig Beschäftigte beim ALG I zum
Beispiel macht genau dort Ausnahmen, wo es strukturelle
Nachteile für Künstler gibt, etwa bei Schauspielern, die
immer wieder kurze Engagements haben . Sie haben einen Anspruch, wenn sie innerhalb von zwei Jahren sechs
statt der sonst üblichen zwölf Monate Anwartschaftszeit
erfüllen . Diese Sonderregelung haben wir bis 2018 verlängert . Es bleibt eine Aufgabe für die kommende Legislaturperiode, mit effektiven Instrumenten den Zugang
der Kulturschaffenden zur Arbeitslosenversicherung zu
verbessern .
({2})
Wir bleiben aber dabei: Wir machen nur dort Ausnahmen, wo es tatsächlich strukturelle und branchenspezifische Nachteile auszubessern gilt . Wir wollen eben nicht
durch undifferenzierte Pauschalregelungen, wie Sie sie
in Ihrem Antrag fordern, die Stabilität der ganzen Arbeitslosenversicherung gefährden .
Gleiches gilt im Übrigen für die Renten- und die Krankenversicherung . Hier haben wir mit der Künstlersozialversicherung seit über 30 Jahren ein besonders gut funktionierendes Instrument, das freischaffenden Künstlern
und Publizisten den Zugang zur gesetzlichen Renten-,
Kranken- und Pflegeversicherung garantiert. Wir haben
mit dem Künstlersozialabgabestabilisierungsgesetz zu
Beginn der Legislaturperiode für ein wirklich stabiles finanzielles Fundament gesorgt und die Künstlersozialversicherung so zukunftsfest gemacht . 185 000 Kulturschaffende verlassen sich darauf . Wir werden auch weiterhin
darauf setzen, die Risiken der speziellen Erwerbsbiografien von freien Künstlern und Publizisten so abzufedern.
Wir haben aber nicht nur die gesetzliche Sozialversicherung im Sinne der Kunst- und Kulturschaffenden
gestärkt, sondern auch bei den Kriterien der Kulturförderung mehr Wert auf die soziale Dimension gelegt . Gerade
bei der Novellierung des Filmförderungsgesetzes haben
wir schon viele der Elemente, die Sie hier fordern, verankert . Zum Beispiel erhält die Filmförderungsanstalt
eine neue Aufgabe . Sie soll darauf hinwirken, dass in der
Filmwirtschaft eingesetztes Personal sozialverträglich
beschäftigt wird . Ob und in welchem Maße die sozialen Standards dann tatsächlich eingehalten werden, wird
man künftig im Förderbericht nachlesen können . Das
wird auch eine wichtige Grundlage für die nächste Novellierung des Gesetzes sein .
Wir nehmen aber auch jene in den Blick, die auf der
anderen Seite der Leinwand sitzen, und das sind - vor
allem wegen des demografischen Wandels - immer mehr
alte Menschen oder Menschen mit Behinderungen . Menschen mit Seh- oder Hörbehinderungen zum Beispiel
wird der Zugang zu geförderten Filmen erleichtert . Als
Bedingung für eine Förderung muss eine barrierefreie
Fassung des Films künftig in den Kinos in geeigneter
Weise zugänglich gemacht werden .
({3})
Sie sehen also: Die Kriterien sind auf eine vielfältige
und sozialverträgliche Förderung ausgelegt . Sowohl bei
der Kulturförderung als auch bei der Sozialversicherung
haben wir in dieser Legislaturperiode einiges erreicht . Es
bleiben auch noch Projekte für die nächste Legislaturperiode übrig . Überall kann man Gutes noch besser machen . Das werden wir mit Sicherheit auch tun .
Danke schön .
({4})
Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Burkhard
Blienert, SPD-Fraktion, das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank an die Grünen für den Antrag . Er
bietet eine gute Gelegenheit, heute noch einmal Punkte
aufzugreifen, über die wir in dieser Woche auch im Kulturausschuss diskutiert haben .
Ich möchte gerne den ersten Satz des Antrages zitieren: „Kulturelle Vielfalt ist für eine offene Gesellschaft
unverzichtbar …“ . Wir haben in dieser Woche im Kulturausschuss über die Thesen der Initiative kulturelle
Integration, die vorgestern der Öffentlichkeit vorgestellt
wurden, diskutiert . Anders als die ministeriell verordnete
Leitkultur sind die 15 Thesen aus einem gesellschaftlichen Dialog von 28 Mitgliedern aus Zivilgesellschaft,
Kultur und Politik heraus entstanden . Ihr Antrag korrespondiert quasi mit diesem grundsätzlichen Bedürfnis,
über Kulturpolitik zu reden . Das Ziel der überparteilichen Initiative war es, aufzuzeigen, dass und wie das Zusammenwachsen einer heterogenen Gesellschaft und das
Zusammenleben in einem pluralen Deutschland gelingen
kann und welchen Beitrag Kultur dazu leisten kann .
Kultur kann ein gesellschaftliches Bindemittel sein .
Gerade in Umbruchzeiten vermag Kultur Orientierung
zu geben und Identität zu stiften . Kulturelles Miteinander kann Neues und Bestehendes zusammenfügen und
ein neues Wirgefühl entstehen lassen . Dieses integrative
Potenzial von Kultur gilt es natürlich zu aktivieren . Investitionen in die Kultur sind also auch Investitionen in
die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und
damit auch in unsere Zukunft .
({0})
Eine Gesellschaft muss ihren Künstlerinnen und
Künstlern daher Wertschätzung entgegenbringen, wenn
sie die kulturelle Vielfalt erhalten will . Vor diesem Hintergrund möchte ich den Antrag insgesamt bewerten . Er
muss sich eben daran messen lassen, ob er uns in dieser
Hinsicht auf parlamentarischer Ebene weiterbringt .
Zweifellos steht in diesem Antrag viel Richtiges drin .
Er enthält tatsächlich viele Schnittmengen zum kulturpolitischen Programm der SPD-Bundestagsfraktion .
Er zeigt Handlungsbedarf hinsichtlich der sozialen und
wirtschaftlichen Lage von Kulturschaffenden auf . Aber
letztendlich ist es doch eher ein Aufsummieren von Defiziten und Vorschlägen . Auf richtige Lösungen geht man
nicht ein . Mein Kollege Siegmund Ehrmann hat eben
schon auf ein grundsätzliches Problem hingewiesen . Ich
möchte nun detailliert auf andere Dinge in Richtung sozialer und gesellschaftlicher Stellung von Kulturschaffenden eingehen .
Die Freiheit der Kunst verstehe ich anders, als wir es
eben gehört haben . Liebe Frau Bertram, so einengend
Freiheit der Kunst zu verstehen, dass wir als Gesellschaft
dafür sorgen müssen, dass Kunst- und Kreativschaffende
ohne soziale Regeln bleiben, das geht nicht . Das ist auch
nicht mein Begriff von Freiheit der Kunst und Kultur .
({1})
Da haben wir etwas Besseres verdient .
Leider berücksichtigen Sie in Ihrem Antrag nicht, was
in dieser Legislaturperiode schon alles passiert ist .
Ich verweise auf die Künstlersozialkasse - meine Kollegin Freudenstein ist eben schon darauf eingegangen -,
die wir in dieser Legislaturperiode gestärkt und zukunftsfest gemacht haben .
Ich möchte auch erwähnen, dass wir mit dem Urhebervertragsrecht die Lage der Urheberinnen und Urheber
in Deutschland verbessert haben .
Die Novelle des Filmförderungsgesetzes war mit Sicherheit ein Meilenstein und hat wesentliche Grundlagen
gelegt, damit wir auch zukünftig viel stärker die soziale
Situation von Filmschaffenden verbessern können .
In der nächsten Legislaturperiode werden wir unser
Engagement fortsetzen und intensivieren müssen, allem
voran geht es dabei um die Stärkung der Schutzfunktion
der Arbeitslosenversicherung und einen verbesserten Zugang zum Arbeitslosengeld I für kurzfristig Beschäftigte .
({2})
Flexible Beschäftigungsstrukturen, veränderte Erwerbsbiografien und die schwierigen Einkommensverhältnisse
machen es freiberuflichen Kulturschaffenden zunehmend
schwer, Risiken von Krankheit, Pflegebedürftigkeit und
Arbeitslosigkeit abzufedern und für das Alter vorzusorgen . Deshalb werden wir als SPD-Bundestagsfraktion
Solo-Selbstständige möglichst umfassend in die verschiedenen Teile der gesetzlichen Sozialversicherung
eingliedern und einbinden .
Vor allem müssen wir die nötigen Rahmenbedingungen schaffen, damit Künstlerinnen und Künstler ihren
Lebensunterhalt durch eigenes Schaffen bestreiten können . Die Einführung des Mindestlohns in dieser Legislaturperiode war schon mal ein wichtiger Schritt in die
richtige Richtung .
({3})
Ich habe eingangs gesagt, dass wir unseren Künstlerinnen und Künstlern mehr Wertschätzung entgegenbringen müssen . Der Begriff der Wertschätzung beinhaltet zwei Aspekte, zum einen den Respekt, den man
jemandem entgegenbringt, wenn man ihn oder seine
Arbeit wertschätzt, und zum anderen den Wert, dem wir
etwas beimessen, sei es der messbare, monetäre oder der
nicht messbare, ideelle Wert . Unsere Künstlerinnen und
Künstler, ihre Arbeit und der Beitrag, den sie für unsere
Gesellschaft leisten, verdienen es, dass wir ihren Wert in
dieser vollumfänglichen Form anerkennen .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Die Aussprache ist damit beendet .
Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, die Vorlage auf Drucksache 18/12373 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . Sind Sie
damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall . Dann
ist so beschlossen .
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 12:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung futtermittelrechtlicher und tierschutzrechtlicher
Vorschriften
Drucksache 18/12085
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({0})
Drucksache 18/12403
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Für die Bundesregierung erhält jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin
Dr . Maria Flachsbarth das Wort . - Bitte schön .
({1})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat sich in
dieser Legislaturperiode das Ziel gesetzt, konkrete Verbesserungen des Tierwohls in der Breite zu erreichen .
Dafür steht insbesondere auch die klare Botschaft der
Tierwohlinitiative „Eine Frage der Haltung - Neue Wege
zu mehr Tierwohl“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, die Bundesminister Christian
Schmidt im September 2014 gestartet hat .
Die Bundesregierung hat mit ihren zahlreichen Aktivitäten auf dem Gebiet des Tierschutzes ein deutliches
Signal gesetzt, wie wichtig ihr das in Artikel 20a Grundgesetz verankerte Staatsziel Tierschutz ist . Tiere müssen
artgerecht gehalten werden . Wir müssen die Haltungsverfahren den Tieren anpassen - und eben nicht umgekehrt . Diesem hohen Anspruch müssen wir gerecht
werden, und wir müssen entsprechende Rahmenbedingungen vorgeben .
Wir sind allerdings überzeugt, dass Verbesserungen
nach dem Prinzip der freiwilligen Verbindlichkeit vor allem auch im Dialog mit den betroffenen Tierhaltern zu
erreichen sind . So hat die freiwillige Vereinbarung, die
Bundesminister Christian Schmidt im Sommer 2015 mit
der Geflügelwirtschaft geschlossen hat, dazu geführt,
dass seit Sommer 2016 in deutschen Brütereien für deutsche Ställe keine Legehennenküken mehr schnabelkupiert werden .
({0})
Es gibt aber eben auch Handlungsfelder, bei denen dieser
Weg nicht erfolgversprechend ist und der Weg des Ordnungsrechts beschritten werden muss . Das tun wir heute
und hier im Rahmen eines Artikelgesetzes .
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden deshalb
konkrete Maßnahmen in Bezug auf die Pelztierhaltung in
Deutschland ergriffen . Damit wird das Tierwohl erneut
vorangebracht; denn die Haltungsbedingungen in deutschen Pelztierfarmen sind bislang nicht zufriedenstellend . Der Verordnungsgeber hatte 2006 Anforderungen
an die Pelztierhaltung in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung festgelegt . Es hat sich jedoch gezeigt, dass
diese Anforderungen, deren Erfüllung tierschutzfachlich
für die verhaltensgerechte Unterbringung von Pelztieren
zwingend erforderlich ist, im Vollzug nicht durchgesetzt
werden konnten und wurden . Es geht dabei unter anderem um mehr Platz, um mehr Bewegungsmöglichkeiten
und auch um mehr Beschäftigung . Mit diesem Gesetzentwurf stellen wir nun sicher, dass künftig Pelztiere in
Deutschland artgerecht gehalten werden .
({1})
Dabei weiß ich einerseits, dass dies unter den derzeitigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Pelzproduktion und auch aufgrund der Wettbewerbssituation
mit anderen Ländern eine große Herausforderung ist, und
ich kann auch nicht ausschließen, dass Betriebe unter
diesen Rahmenbedingungen aus wirtschaftlichen Gründen die Pelztierhaltung aufgeben . Andererseits weiß ich
aber auch, dass manche ein Verbot der Pelztierhaltung
gefordert haben . Wir stehen aber nicht für Verbote; das
ist nicht unser Weg .
({2})
Wir stehen allerdings für eine artgerechte Tierhaltung,
und deshalb regeln wir Anforderungen, die eine artgerechte Tierhaltung sicherstellen . Denn wer seinen Tieren
diese Bedingungen bieten kann, der soll auch in Zukunft
Pelztiere halten können .
Zum Schlachten hochträchtiger Tiere . Mit diesem
Gesetzentwurf wird ein wichtiger Schritt hin zu einer
Vermeidung der Schlachtung hochträchtiger Tiere getan,
indem ein Verbot der Abgabe zur Schlachtung von Tieren - außer bei Ziegen und Schafen -, die sich im letzten
Drittel der Trächtigkeit befinden, geregelt wird.
({3})
Das ist aus Gründen des Tierschutzes und aufgrund unserer ethischen Überzeugungen geboten .
Der Tierschutz ist ein Teil der gesellschaftlichen Werteordnung in Deutschland, und vor diesem Hintergrund
wird auch eine Schlachtung von hochträchtigen Tieren
von der Gesellschaft nicht akzeptiert . Wir betreten dabei
ein Stück weit Neuland, indem wir auch das ungeborene
Tier vor Leiden und Schmerzen schützen . Auch damit
wird die im Zuge der gesellschaftlichen Diskussion stattfindende Weiterentwicklung des Tierschutzes deutlich,
und das trägt zur Gewährleistung eines ethischen Mindeststandards bei . Und das ist auch gut so . Wir stehen für
einen wissenschaftlich basierten und ethisch gebotenen
Tierschutz .
Vom Abgabeverbot ausgenommen sind, wie gesagt,
Ziegen und Schafe, da die Haltungsformen grundlegend
anders sind als zum Beispiel bei Rindern und Schweinen .
Ziegen und Schafe werden in Deutschland üblicherweise
extensiv gehalten . Abläufe in der Tierhaltung sind insgesamt weniger standardisiert, weniger vorhersehbar und
stärker von externen Faktoren, wie zum Beispiel der Witterung, aber auch dem Schutz vor Gefahren - ich nenne
hier unter dem Stichwort „Herdenschutz“ ausdrücklich
auch den Wolf -, abhängig . Insofern reicht der derzeitige
Kenntnisstand noch nicht aus, um valide Rückschlüsse
zur Durchführung und Praktikabilität verschiedener Methoden zur Trächtigkeitsuntersuchung in der Praxis sowie
auf die Umsetzbarkeit von Managementmaßnahmen zur
Vermeidung der Schlachtung hochträchtiger Tiere ziehen
zu können . Deshalb wird unser Haus zunächst entsprechende Untersuchungen veranlassen, damit wir zu einem
späteren Zeitpunkt über die Einbeziehung von Schafen
und Ziegen in diese Regelung entscheiden können .
Weiter enthält der Gesetzentwurf eine Anpassung des
Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches, also des
LFGB . Diese Änderung zielt darauf ab, die Bestimmungen des LFGB an die aktuellen Erkenntnisse der Wissenschaft anzupassen und das Fettverfütterungsverbot in
§ 18 LFGB aufzuheben, das im Rahmen der Maßnahmen zur Bekämpfung von Infektionen mit BSE erlassen
worden war . Dieses Verbot erging in der EU außer in
Deutschland nur noch in Österreich .
Das Bundesinstitut für Risikobewertung ist im Rahmen einer erneuten Bewertung schon im Jahr 2012 zu
dem Ergebnis gekommen, dass von der Verfütterung
tierischer Fette an Wiederkäuer kein erhöhtes BSE-Risiko ausgeht . Es besteht deshalb seither keine sachliche
Rechtfertigung mehr, dieses Verbot aufrechtzuerhalten .
({4})
Vielmehr laufen wir bei der Aufrechterhaltung des Verbots Gefahr, dass Unternehmen Staatshaftungsansprüche
geltend machen oder die Europäische Kommission gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten würde . Daher ist es folgerichtig, dieses Verbot nun
wieder aufzuheben .
Abschließend noch ein Wort zu dem mit diesem Gesetzentwurf verbundenen Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird, einen bundeseinheitlichen Bußgeldkatalog
für Verstöße gegen das Lebensmittelhygienerecht zu erarbeiten . Die Bundesregierung hat den Wunsch der Fraktionen bereits aufgegriffen und in einem ersten Schritt
auf der Verbraucherschutzministerkonferenz in Dresden
am 27 . und 28 . April dieses Jahres zu diesem Thema berichtet . In den nun folgenden Diskussionen mit den Ländern wird sich die Bundesregierung selbstverständlich
aktiv einbringen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie herzlich, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen .
Herzlichen Dank .
({5})
Vielen Dank . - Dr . Kirsten Tackmann hat jetzt das
Wort für die Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! In der heutigen Debatte geht es um
die Schlachtung hochträchtiger Tiere, die Pelztierhaltung und Futtermittelrisiken und damit um drei wirklich
wichtige Themen . Dennoch möchte ich meine Redezeit
nutzen, um unseren Blick zunächst auf ein anderes, aber
auch wichtiges und sehr brisantes Thema zu lenken, weil
uns das auf gar keinen Fall aus dem Blick geraten darf .
Viele landwirtschaftliche Betriebe leben von der Substanz oder sind existenzgefährdet und fühlen sich ein wenig im Stich gelassen . Angesichts dieser Situation stellt
aus meiner Sicht ein einfaches Weiter-so in der Agrarpolitik mit Korrekturen hier und da eben nur die Linderung von ein paar Symptomen dar . Als Tierärztin sage ich
aber: Wer die ortsansässige Landwirtschaft wirklich will,
der muss die Krankheit heilen .
({0})
Leider geht es eben nicht nur um ein einzelnes krankes
Organ . Der Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft, Bartmer, drückt das laut Agra-Europe so aus:
Das derzeitige System muss auf den Prüfstand . - Er
warnt vor falscher Gelassenheit und spricht sich für eine
schonungslose Analyse und eine öffentliche Debatte aus .
Recht hat er .
Ja, wir müssen Landwirtschaft neu denken, ohne
Richtiges über Bord zu werfen, aber natürlich gemeinsam mit den Betrieben, die wir als Verbündete brauchen .
Aber sie brauchen uns auch als Gesetzgeber .
({1})
Denn seien wir doch einmal ehrlich: Im Moment sitzen
die Gewinner des Systems warm und trocken in den
Konzernzentralen, während die Verlierer in den Ställen,
auf Äckern und in Gewächshäusern für unsere Lebensgrundlage schuften und trotzdem ums Überleben kämpfen müssen . Ja, das ist ein krankes System, und das muss
geheilt werden .
({2})
Nun zu den drei Vorschlägen, die auf dem Tisch liegen:
Immerhin soll nun die Schlachtung hochträchtiger
Tiere endlich verboten werden, wobei ich glaube, dass
sich viele darüber wundern, dass das überhaupt erlaubt
war . Die Ausnahmen, zum Beispiel in Tierseuchensituationen, sind zwar im Grundsatz nachvollziehbar, aber
natürlich erwarte ich, dass dann auch gesichert ist, dass
Qualen für das ungeborene Leben verhindert werden . Ich
sehe hier die Tierärzteschaft tatsächlich in einer besonderen Verantwortung . Dass Schafe und Ziegen zunächst
von dem Verbot ausgenommen sind, finde ich nachvollziehbar, aber auch das ist kein Freibrief . Auch hier muss
alles dafür getan werden, um die Schlachtung hochträchtiger Tiere tatsächlich zu vermeiden .
({3})
Auch müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, in Zukunft ein Verbot zu ermöglichen .
Zum Zweiten soll die Haltung von Pelztieren nicht
verboten, aber unter Erlaubnisvorbehalt gestellt werden .
Dahinter steht aus meiner Sicht die trügerische Hoffnung, dass sich die Pelztierhaltung angesichts der hohen
Tierhaltungsauflagen nicht mehr rechnet und dann einfach aufgegeben wird .
Im Gesetzentwurf steht, dass aktuell die Mehrheit der
Pelztierfarmen nicht einmal die Mindestanforderungen
von 2011 umsetzt . Dabei liegen doch die noch deutlich
unter dem, was in den Richtlinien des BMELV für die
Haltung von Säugetieren vorgesehen ist . Per Verordnung - das hat die Staatssekretärin schon gesagt - ist das
offensichtlich nicht durchsetzbar . Deshalb soll es nun mit
so einem schwächlichen Erlaubnisvorbehalt gerichtet
werden, mit einer viel zu langen Übergangszeit von fünf
Jahren und der übrigens völlig offenen Flanke, was die
Konsequenzen sein werden, wenn die Weltmarktpreise
wieder ansteigen . Hier stiehlt sich die Koalition aus meiner Sicht schlichtweg aus der Verantwortung .
Mode kann aber doch niemals ein vernünftiger Grund
sein, Wildtiere zu halten und zu töten .
({4})
Das ist doch weder mit dem Tierschutzgesetz noch mit
dem Staatsziel Tierschutz vereinbar . Deswegen sagt die
Linke ganz klar: Dieser Erlaubnisvorbehalt kann allenfalls ein kleines Schrittchen in die richtige Richtung sein .
Ein Ersatz für das von vielen zu Recht geforderte Verbot
der Pelztierhaltung im Tierschutzgesetz ist es keinesfalls .
({5})
Damit fährt die Koalition mit einer handbetriebenen
Draisine und angezogener Handbremse einem längst abgefahrenen ICE hinterher .
({6})
Man könnte lachen, wenn es nicht so traurig wäre .
({7})
Mit der dritten Neuregelung soll das seit der BSE-Krise bestehende Verbot der Verfütterung von tierischen
Fetten an Wiederkäuer aufgehoben werden . Wissenschaftlich sei aus Sicht des gesundheitlichen Verbraucherschutzes kein erhöhtes BSE-Risiko für Menschen zu
erwarten . Damit müssen diese Fette nicht mehr entsorgt
und vernichtet werden, sondern können verfüttert werden . Dennoch bleiben mir zumindest Restzweifel bei der
Verfütterung von Wiederkäuern an Wiederkäuer . Denn
das sogenannte Kannibalismusverbot kann helfen, unbekannte Risiken zu minimieren . Wir haben doch bei der
BSE erlebt, dass Dinge passieren, die die Wissenschaft
nicht vorhergesagt hat . Diese Begrenztheit des Wissens
muss uns aus meiner Sicht immer bewusst bleiben . Ich
erwarte deswegen von den zuständigen Behörden und
wissenschaftlichen Einrichtungen, dass sie dieses Restrisiko wirklich im Auge behalten .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({8})
Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Ute
Vogt .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“ - das war
das Motto meiner mündlichen Abiturprüfung, und, ehrDr. Kirsten Tackmann
lich gesagt, dieses Faust’sche Zitat kommt mir auch in
den Sinn, wo ich jetzt am Redepult stehe .
Ich bin sehr froh, dass wir es nach sehr langem Ringen
und vollmundiger Ankündigung durch den Landwirtschaftsminister - ich glaube, schon vor fast zwei Jahren -,
das Schlachten trächtiger Tiere endlich zu beenden, heute
geschafft haben, einen Gesetzentwurf dazu vorzulegen .
Ich bin auch froh, dass wir durch Regelungen zur Pelztierhaltung die Haltung von Pelztieren und insbesondere
das Fortbestehen der heute noch existierenden Pelztierfarmen in Deutschland faktisch unmöglich machen .
({0})
Das ist sicherlich ein Erfolg, über den wir froh sein können .
Die zweite Seele in meiner Brust ist aber ziemlich
traurig, wenn ich heute - das Ende dieser Legislaturperiode ist ja schon in Sichtweite - auf die Bilanz in Sachen
Tierschutz schaue . Es ist richtig, Frau Staatssekretärin,
dass Sie sich alle Mühe gegeben haben, alle möglichen
Themen auf die Tagesordnung zu setzen . Es gab Kommissionen, Grünbuchprozesse, Gutachten und Studien .
Leider gab es nur ganz wenige praktische Konsequenzen .
({1})
Wir haben das, ehrlich gesagt, zu Beginn dieser Legislaturperiode im Koalitionsvertrag gemeinsam anders
vereinbart . Ich will ganz offen sagen: Es ist nicht unbedingt ein Verschulden der Kolleginnen und Kollegen im
Parlament, mit denen wir an vielen Stellen weiter gehende Beschlüsse gefasst haben . Indes hat das Ministerium
seine Aufgaben schlicht nicht erledigt . Es hat die Arbeit
verschleppt .
({2})
Ich will Ihnen, um es transparenter zu machen, ein
konkretes Beispiel nennen . Im Koalitionsvertrag haben
wir vereinbart, ein Zertifizierungssystem für Tierhaltungssysteme in der Landwirtschaft einzuführen . Wir als
Parlamentarier haben uns geeinigt; diese Einigung haben
wir in den allerersten Wochen unserer Regierungszeit
herbeigeführt . Dort sitzt der Kollege Priesmeier, der sogar erzählen könnte, dass es die gleiche Einigung schon in
der letzten Großen Koalition gegeben hat . Am Dienstag
dieser Woche hat sich das Ministerium, vertreten durch
Herrn Staatssekretär Bleser, erdreistet, uns zu sagen, dass
es jetzt tatsächlich gelingen würde, diese Verordnung so
weit auf Papier zu bringen, dass man sie im September
zum ersten Mal vorstellen könne . Liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich muss sagen, dass ich mich für das, was uns
das Ministerium da vorgeführt hat, fremdschäme .
({3})
Deshalb bin ich ein bisschen ratlos . Ich bin mir aber
ganz sicher, dass wir dieses Thema auf jeden Fall auch
zum Gegenstand von Wahlauseinandersetzungen machen müssen . Denn es kann nicht sein, dass wir Dinge
vereinbaren, das Parlament sich einig ist und das Ministerium verbindlich vereinbarte Punkte nicht umsetzt bzw .
verschleppt .
Wir haben im Jahr 2002 das Grundgesetz geändert . In
Artikel 20a heißt es nun:
Der Staat schützt auch in Verantwortung für die
künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere . . .
Diese Grundgesetzänderung hat damals - auch mit Ihren
Stimmen - eine Zweidrittelmehrheit erhalten . Ich glaube,
dass auch der Kollege Schmidt damals schon im Deutschen Bundestag war. Ich finde es wirklich bestürzend,
dass es uns bis heute nicht einmal im Ansatz gelungen
ist, die notwendigen tierschutzrechtlichen Veränderungen herbeizuführen, die es gebraucht hätte, um diesen
Grundsatz, den wir damals in der rot-grünen Regierungszeit im Grundgesetz verankert haben, weiter mit Leben
zu erfüllen .
Ich bin zwar dankbar, dass der Gesetzentwurf überhaupt zustande gekommen ist . Ich muss Ihnen aber - das
kann ich nicht verhehlen - leider sagen: Aus Tierschutzgründen brauchen wir dringend eine andere Bundesregierung .
({4})
Vielen Dank . - Jetzt hat Nicole Maisch für Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Hier
wurden eben Szenen einer Ehe aufgeführt . Natürlich hat
die Kollegin Vogt recht: Es ist wirklich traurig, was hier
in den letzten Jahren beim Thema Tierschutz zustande
gebracht wurde . Ich muss aber ganz ehrlich sagen: Ich
hätte überhaupt nicht mehr damit gerechnet, dass Sie
überhaupt noch ein Gesetz machen, das den Tierschutz
zumindest in Nuancen verbessern wird . Dafür schon einmal meinen Respekt .
Was lange währt, wird endlich schlecht . Das kann
man, denke ich, als Überschrift für dieses Gesetz nehmen . Schon vor über zwei Jahren hat der Minister in der
Presse angekündigt, er werde die Pelztierhaltung verbieten . Er hat dann einen Gesetzentwurf an die Presse
lanciert . Die Union hat ihn daraufhin schnell wieder kassiert . Dabei herausgekommen ist nichts . Das ist wirklich
bezeichnend für die gesamte Ära Schmidt .
({0})
Dabei war der Handlungsdruck doch riesig . Sie alle
kennen doch die Bilder von den Nerzfarmen, wo die Tiere ohne Zugang zu Wasser, ohne ausreichend Platz und
in engen Käfigen zusammengepfercht gehalten werden,
nur damit sich irgendjemand eine Bommel an die Mütze
hängen kann. Ich finde, das können wir unter ethischen
Gesichtspunkten nicht weiter vertreten .
({1})
Mich würde es sehr freuen, wenn dieser Gesetzentwurf
tatsächlich ein Verbot der Pelztierhaltung enthalten würde . Aber das ist leider nicht der Fall . Er gießt lediglich dies wurde bereits ausgeführt - das, was bisher schon in
der Verordnung gefordert wurde, in Gesetzestext . Frau
Staatssekretärin, das, was Sie hier aufgeschrieben haben,
ist nicht artgerecht . Es ist ein bisschen weniger schrecklich . Im Jahre 2017 sollte „ein bisschen weniger schrecklich“ nicht unser Maßstab für den Tierschutz sein .
({2})
Alle Regelungen sind - das wurde schon ausgeführt sehr alt . Trotzdem schreiben Sie in diesen Gesetzentwurf
weiterhin Übergangsfristen hinein, die es erlauben, dass
es das, was die Tierschutzverbände immer wieder in den
Medien zeigen - die schrecklich kleinen Käfige, Tiere
ohne Zugang zu Wasser -, weiterhin geben wird . Das ist
das Versäumnis dieses Gesetzentwurfs .
({3})
Beim Thema Pelz hätten Sie aus Verbrauchersicht
ebenfalls regeln sollen, dass ich als Kundin, wenn ich
eine Jacke kaufe, genau weiß, welche Art von Pelz oder
tierischen Bestandteil ich kaufe . Als Verbraucher wird
man im Laden verarscht . Es gibt Fantasiebezeichnungen
wie Gubi oder Goyangi . Dass es sich hierbei um Hundebzw . Katzenfell handelt, weiß kein Mensch . Das möchte
ich nicht an meiner Jacke haben . Erkennen kann ich es
leider nicht . An dieser Stelle hätten mehr Transparenz
und mehr Verbraucherschutz Ihnen gut zu Gesicht gestanden .
({4})
Außerdem wollen Sie endlich - auch das war vom Minister lange versprochen - das Verbot der Schlachtung
trächtiger Tiere regeln . Das ist grundsätzlich gut . Ab einem gewissen Grad der Reifung verendet der Fötus qualvoll, wenn das Muttertier geschlachtet wird . Das kann
niemand in diesem Haus wollen . Ich glaube, nicht einmal
Herr Stier, der die Pelztierhaltung weiterhin unterstützt;
das hat er durch sein Abstimmverhalten im Ausschuss
klargemacht .
Der gefundene Konsens ist erst einmal gut . Aber das,
was Sie hier vorlegen, finde ich nicht wirklich gut gemacht . Sie haben Ausnahmeregelungen ins Gesetz geschrieben, die das gute Ziel des Gesetzentwurfs verwässern . Richtig ist, dass bei Ziegen und Schafen nicht leicht
festzustellen ist, ob sie trächtig sind . Die Haltungssysteme sind anders als bei Rindern . Trotzdem muss man solche Probleme, wenn es sie gibt, lösen und darf sie nicht
auf Kosten der Tiere ignorieren .
Zum Schluss . Dieser Gesetzentwurf ist - das hat die
SPD mehr oder weniger offen zugegeben - Teil eines
ziemlich ekligen Deals . Bisher war es verboten, Kälbchen zu Kannibalen zu machen . Das heißt, ein Kälbchen,
eigentlich ein vegetarisch lebendes Tier, darf nicht mit
dem Fett der Artgenossen gefüttert werden . In Zukunft
soll das erlaubt sein . Ich muss ehrlich sagen: Das ist nicht
nur widerlich, unnatürlich und ethisch bedenklich . Vielmehr steckt mir noch der BSE-Schock in den Knochen .
Das haben Sie alle wohl vergessen! Wir alle haben BSE,
das durch solchen Kannibalismus bei Wiederkäuern entstanden ist, nicht kommen sehen . Nun sagt Ihnen das
Bundesinstitut für Risikobewertung: BSE wird dadurch
nicht ausgelöst . - Das ist sicherlich gut . Aber wissen wir
denn, welche Tierseuchen es in Zukunft geben wird? Ich
bin der Meinung, dass Kannibalismus bei Kälbchen nicht
sein muss . Das ist klar abzulehnen . Deshalb erfährt dieser Gesetzentwurf durch uns keine Zustimmung .
({5})
Dieser Gesetzentwurf ist im Grunde genommen genauso wie Ihre Tierschutzpolitik in dieser Legislaturperiode: halbherzig, zu spät, zu wenig, schlecht gemacht .
Gut, dass die Amtszeit von Christian Schmidt bald vorbei
ist .
Herzlichen Dank .
({6})
Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Thomas
Mahlberg, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
({0})
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin - Das waren beeindruckende Reden, die ich bislang genossen habe .
Frau Kollegin Vogt, anders als ich sind Sie kein Mitglied
des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft . Ich
habe das Gefühl, dass wir tatsächlich Meilensteine beim
Tierschutz gesetzt haben . Der Tierschutz stand immer im
Fokus der gemeinsamen Politik, die wir gemacht haben .
({0})
Wir haben selbstverständlich einen Fahrplan verabredet .
Wir haben als Ausschuss die nun zur Diskussion stehende Gesetzesänderung auf den Weg gebracht, die ebenfalls
einen Meilenstein für den Tierschutz darstellt .
({1})
Denken Sie daran, wenn Sie auf jemanden zeigen: Vier
Finger zeigen immer auf Sie zurück . Ich persönlich habe
das Gefühl, dass es Ihnen hier nicht darum ging, einen
fachlichen Beitrag zu liefern . Wahrscheinlich haben Sie
sich mit Ihrem Kanzlerkandidaten beraten .
({2})
Nach drei verlorenen Landtagswahlen bricht wohl etwas
Panik aus . Jetzt wollen Sie wahrscheinlich einen Strategiewechsel vornehmen . Sie wissen, dass wir wirklich
weitergekommen sind . Es ist schade, dass Sie das nicht
herausstellen .
({3})
Ich will nicht alles wiederholen, was die Staatssekretärin eben gesagt hat . Sie hat in den Gesetzentwurf eingeführt, und ich kann das, was sie gesagt hat, nur unterstütNicole Maisch
zen . Ich werde es gleich noch einmal zusammenfassen .
Wir machen wirklich Fortschritte in Sachen Tierschutz .
({4})
Frau Kollegin Maisch, Sie haben einen Entschließungsantrag vorgelegt, über den ich staune . Er steht in
einer Reihe mit Ihren wissenschaftlichen Expertisen, die
Sie schon immer hier vorgelegt haben . Sie haben uns einmal gesagt, Sie hätten Glyphosat in der Muttermilch gefunden . Sie haben die ganze Republik verrückt gemacht .
({5})
Wir haben dann festgestellt, dass die Versuchsansätze
falsch waren und das Ergebnis Quatsch war . Dann haben Sie den Leuten gesagt, Glyphosat sei im Bier . Aber
man hat festgestellt, dass man 1 000 Liter pro Tag trinken
müsste, damit es schädliche Auswirkungen hätte . Alles
Quatsch, was Sie gemacht haben . Jetzt legen Sie einen
Entschließungsantrag vor, in dem Sie behaupten, es sei
unüblich, dass Kälber tierische Fette aus der eigenen Art
aufnehmen . Auch das stimmt nicht .
({6})
Sind tierische Fette nicht auch in der Milch, die die
Kälber von ihren Müttern bekommen? Das ist doch keine
Form von Kannibalismus .
({7})
Das verschweigen Sie den Leuten, weil es nicht in Ihre
plakative Strategie passt . Natürlich stimmt es auch nicht,
dass die Tiere plötzlich Rinderfett bekommen . Sie bekommen vielmehr ein ausgewogenes Futter . In diesem
Futter ist selbstverständlich auch Milch . Herr Ostendorff
als Bauer könnte das wahrscheinlich viel besser erklären
als ich . Ich bin Kaufmann, aber ich weiß natürlich, dass
Kälbermilch aus verschiedenen Bestandteilen besteht .
({8})
Selbstverständlich sind in dem Futter Bestandteile der
Milch enthalten .
({9})
Wir entnehmen der Milch bestimmte Bestandteile und
fügen sie dem Futter zu . Insofern läuft auch dieser Vorwurf völlig ins Leere .
Natürlich gibt es Leute, die das ethisch bedenklich
finden. Aber wir haben eine fachliche Expertise vorliegen, und um die geht es . Es geht nicht darum, etwas neu
zuzulassen oder neu einzuführen . Fette waren bei der
Verfütterung immer zugelassen - bis zur BSE-Krise . Wie
sagte jemand so schön: Als die Grünen mit den Birkenstockschuhen noch zu den AKW-Demos gegangen sind,
gab es bereits die Verfütterung von Fetten .
({10})
Die wurde wegen der BSE-Krise verboten .
Herr Kollege Mahlberg, das ist jetzt gerade eine gute
Stelle, um Sie zu fragen, ob Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung des Kollegen Ostendorff gestatten .
Ja, natürlich .
Bitte schön .
Ich kann leider nicht mit einer Frage dienen, aber
schön, dass Sie gestatten, dass ich versuche, Ihren Horizont zu erhellen . Das kann manchmal helfen . Herr
Mahlberg, hören Sie also zu .
Es geht nicht darum, dass das Kalb die Milch der Mutter zu sich nimmt - das ist in der Biologie so vorgegeben,
damit es wachsen und gedeihen kann . In diesem Antrag
geht es darum - wenn Sie den Antrag gelesen hätten, hätten Sie das eigentlich auch verstehen können -, dass Rinderfette zukünftig wieder als Milchersatzstoff zugelassen
werden . Es geht um Milchersatzstoffe, um die sogenannten Milchaustauscher, MAT abgekürzt .
Das Verfüttern solcher Fette ist mit dem Ausbruch
der BSE-Krise beendet worden, weil man sah, dass das
Risiko, zu erkranken, steigt, wenn das Tier Futter, das
aus Tieren der eigenen Art hergestellt wurde, erhält, man
also Kannibalismus zulässt . Das ist die Erkenntnis aus
der BSE-Krise gewesen . Deshalb hat man sich entschlossen, das zu beenden . Das waren nicht immer nur Bundesregierungen mit grüner Beteiligung; es gab auch in
der Zeit unionsgeführter Regierungen eine große Übereinstimmung, Tieren kein Futter, das aus der eigenen Art
hergestellt wurde, unterzujubeln, ohne dass sie es merken
und ohne dass sie sich dafür oder dagegen entscheiden
können .
Das ist die Erkenntnis . Die hätten aber auch Sie gewinnen können . Ich hoffe, dass Sie das zur Kenntnis nehmen . Das wäre sehr schön .
({0})
Ich nehme das gerne zur Kenntnis, aber, Herr
Ostendorff, ich muss noch einmal darauf hinweisen, dass
natürlich arteigene Fette vom Kalb über die Muttermilch
aufgenommen werden . Das verschweigen Sie in Ihrem
Antrag .
({0})
Sie lassen einfach Fakten weg, und das ist der entscheidende Punkt .
({1})
- Na selbstverständlich .
({2})
Sie könnten den Kannibalismusvorwurf gar nicht aufrechterhalten, wenn Sie diesen Punkt hier mit anführen
würden; aber Sie lassen ihn ja bewusst weg . Darin besteht die Fehlinformation, die Sie den Menschen geben .
Wir haben Folgendes gemacht - ich finde, man sollte
immer auch mit Fachleuten sprechen; auch deshalb reden
wir über die erneute Zulassung dieser Fette -: Wir haben
Expertisen von entsprechenden Instituten eingeholt, zum
Beispiel vom BfR . Ich bin übrigens ganz überrascht, dass
Sie dessen Expertise offensichtlich akzeptieren; denn
sonst bekämpfen Sie das BfR eigentlich immer, wenn Sie
hier am Rednerpult stehen . Aber anscheinend haben Sie
mit der fachlichen Expertise in diesem Fall kein Problem .
Das BfR sagt: Aus gesundheitlichen Gründen, aus
Verbraucherschutzgründen wäre die Zulassung gar kein
Problem mehr . - Deshalb bringen wir hier diesen Gesetzentwurf ein . Dieses Produkt wird in der Industrie auch
gebraucht . Man braucht ja Fette, um die Milchaustauscher herzustellen . Die Alternative kennen Sie doch, Herr
Ostendorff: Man kann auch Palmöl verwenden . Aber wie
erklären Sie das den Leuten? Statt ressourcenschonend
zu arbeiten, wie wir das hier tun, soll dann lieber Palmöl
verwendet werden . Das kann doch auch nicht Ihre Strategie sein . Es ist also ein bisschen unverständlich, was
Sie sagen .
Wie gesagt, wir haben Fachleute dazu befragt . Wir
haben einen kleinen Rundruf durchgeführt . Wir haben
Professoren für Tierernährung der Tierärztlichen Hochschule in Hannover, der TU München und der FU Berlin
befragt, und wir haben ihnen Ihre Vorschläge vorgelegt .
Ich teile Ihnen einmal mit, was sie gesagt haben: „Unsinn
hoch drei“, oder: „Völliger Quatsch“ . Dieses Ergebnis ist
da herausgekommen .
Ich finde, es ist doch ein Grundprinzip unserer Arbeit
hier - ich kann verstehen, dass Leute sagen, sie betrachteten das Ganze nur aus einem ethischen Blickwinkel -,
wissenschaftsbasiert zu arbeiten . Wenn wir diese Expertisen vorliegen haben, dann ist es kein Quatsch, diese Fette wieder zuzulassen - andere haben es bereits gemacht;
wir gehören zur Minderheit derjenigen, die es noch nicht
getan haben -, sondern es ist einfach dem Ziel geschuldet, ressourcenschonend zu arbeiten und dem Stand der
Wissenschaft entsprechend unsere Gesetze zu formulieren . Genau das tun wir an dieser Stelle, und das ist auch
absolut richtig .
({3})
Herr Kollege Mahlberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Maisch?
Ja, na klar; sonst haben wir gar keinen Dialog hier im
Parlament .
Es ist aber die letzte Zwischenfrage, die ich jetzt gestatte . - Bitte schön .
Herzlichen Dank . - Natürlich könnte man fragen, ob
es nicht eine Option wäre, den Kälbchen einfach Milch
zu geben; aber so weit will ich hier gar nicht gehen .
Sie haben eben gesagt, Sie hätten verschiedene Professoren nach einer fachlichen Bewertung unseres grünen
Antrags gefragt und Sie hätten das Urteil bekommen, das
Sie eben vorgetragen haben: Unsinn hoch drei . - Dürfte
ich Sie bitten, die Quelle zu nennen, vielleicht sogar mit
Namen!
Ja, das habe ich doch gerade gesagt . Wir haben das bei
der Tierärztlichen Hochschule Hannover, der TU München und der FU Berlin erfragt .
({0})
- Wir haben selbstverständlich immer bei den Institutionsleitungen nachgefragt . Da ich Ihnen das hier vortrage,
ist es zutreffend, dass wir das auch gemacht haben . Das
ist jetzt kein Fake oder so etwas .
({1})
Einigen wir uns darauf, dass jetzt der Kollege
Mahlberg das Wort hat .
Wir haben hier einen entsprechenden Gesetzentwurf
vorgelegt, gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion .
({0})
- Bei uns nicht .
Wenn ich es zusammenfassend noch einmal sagen
darf: Es geht hier nicht nur um die Frage der Zulassung
der Fette, sondern auch um andere Dinge . Wir haben das
eben schon in den verschiedenen Redebeiträgen gehört .
Ich finde, das ist wirklich ein guter Tag für den Tierschutz, weil wir erstens ein Pelztierhaltungsverbot mit
einem entsprechenden Erlaubnisvorbehalt auf den Weg
bringen, um Tierschutz auch in diesem Bereich sicherzustellen, weil wir zweitens dafür sorgen, dass hochträchtige Tiere nicht mehr geschlachtet werden, um unnötige
Schmerzen und Leiden bei Föten zu vermeiden - für
Schafe und Ziegen gibt es eine Ausnahme; wir haben das
eben gehört; ich glaube, wir sind uns mit der Bundesregierung einig, dass in diesem Bereich weiter geforscht
werden muss, damit wir auch hier zu praktikablen Lösungen kommen -, und weil wir drittens das Verbot aufheben, tierische Fette an Wiederkäuer zu verfüttern, da
diese BSE-Schutzmaßnahme - da bin ich mit Ihnen, Herr
Ostendorff, völlig einig - nach dem aktuellen Wissensstand absolut unbegründet ist . Deshalb bitte ich Sie, meine Damen und Herren, nach der schönen Diskussion, die
wir jetzt hatten, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen .
Herzlichen Dank .
({1})
Vielen Dank . - Jetzt hat als letzte Rednerin zu diesem
Tagesordnungspunkt Christina Jantz-Herrmann für die
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute beraten
wir unsere Vorhaben, gegen Pelztierfarmen und gegen
das Töten hochträchtiger Tiere vorzugehen .
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Mir geht es ähnlich wie
Kollegin Maisch; auch ich habe in den letzten Monaten
oft nicht daran geglaubt, dass wir in dieser Legislaturperiode tatsächlich diesen Gesetzentwurf vorliegen haben
und beschließen werden; denn es ist bereits anderthalb
Jahre her, dass wir uns in den Koalitionsfraktionen darauf verständigt haben, hier etwas zu unternehmen . Es
ist ebenfalls anderthalb Jahre her, dass Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt dieses Vorhaben medienwirksam - wie so vieles - angekündigt hat . Doch es war ein
zähes Ringen mit den Kollegen der Union - das zeigt die
Dauer von anderthalb Jahren -, dieses Gesetzespaket in
Form zu gießen .
Dabei ist es wenig hilfreich für die Sache, wenn ein
Minister trotz Ankündigung von seiner eigenen Fraktion bei dem Vorhaben blockiert wird . Er wird nicht nur
von seinen Wirtschaftsfreunden blockiert, sondern - wir
haben es zuletzt im Landwirtschaftsausschuss gesehen sogar aus den eigenen Reihen: Ein Kollege aus der CDU,
der eigentlich für den Tierschutz zuständig sein sollte,
hat gegen das Gesetzespaket gestimmt .
({0})
Die SPD-Bundestagsfraktion - Sie sehen es, meine
Damen und Herren - hat für dieses Vorhaben intensiv
gekämpft; natürlich nicht, um Ehrenrettung des Ministers zu betreiben, sondern - ganz klar -, weil es einfach
höchste Zeit war, die unhaltbaren Zustände in der Pelztierhaltung und bei der Schlachtung hochträchtiger Nutztiere zu beenden .
({1})
Erstens wollen wir mit dem Gesetzentwurf verhindern,
dass schmerzempfindliche Tierföten bei der Schlachtung
des betäubten Muttertieres qualvoll - so ist es nämlich verenden; denn Tierföten, wie zum Beispiel im Falle von
Kälbern, können zumindest ab dem letzten Drittel der
Trächtigkeit bei der Schlachtung des Muttertieres bis zu
ihrem eigenen Tod Schmerzen und Leiden empfinden.
Indem wir verbieten, dass hochträchtige Tiere überhaupt
zum Schlachthof gebracht werden, wollen wir dieser Praxis nun einen Riegel vorschieben .
Ausnahmen sollen nur gelten - das ist schon angesprochen worden -, wenn im Einzelfall nach tierärztlicher Indikation eine Tötung geboten ist . Eine weitere
Ausnahme, die wir - aus meiner Sicht: leider - machen
müssen, umfasst Schafe und Ziegen . Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir die Bundesregierung auffordern, in
diesem Bereich weitere Untersuchungen anzustellen .
Denn: Auch wenn es für die Ausnahme jetzt noch Gründe
gibt, ist es doch unser Ziel, dass zukünftig auch Schafe
und Ziegen in dieses Verbot einbezogen werden .
({2})
Zweitens wollen wir den Pelztierfarmen in unserem
Land endlich ein Ende setzen . Auch wenn es mein persönlicher Wunsch gewesen wäre: Wir können diese Farmen aufgrund der verfassungsrechtlich geschützten Berufsfreiheit leider nicht sofort schließen .
({3})
Der Gesetzentwurf verbietet deshalb die Pelztierzüchtung, räumt aber ein, dass die Farmen befristet genehmigt
werden, wenn sie hohe Ansprüche an eine artgerechte
Tierhaltung erfüllen . Die Einführung und Einhaltung von
solch hohen Tierschutzstandards in der Pelztierhaltung
machen diese aber deutlich teurer und sicher auch unrentabel, sodass wir damit den aktuellen Geschäftsmodellen
ein Ende setzen werden .
({4})
Drittens müssen wir - ich sage: müssen - das Fettverfütterungsverbot bei Wiederkäuern, wie Rindern, aufheben . Es gibt leider keine wissenschaftliche Grundlage für
ein Fortbestehen des Verbots. Ich persönlich finde das ich habe es auch schon an anderer Stelle gesagt - ethisch
besonders schwierig .
Viertens streben wir mit dem Gesetzespaket eine
weitere Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches an . Wir führen einen bundeseinheitlichen
Bußgeldkatalog ein . Damit legen wir einen ersten Grundstein - ich sage bewusst: ersten Grundstein - für eine
Vereinheitlichung und Vergleichbarkeit der staatlichen
Kontrollen im Lebensmittelsektor .
Sehr geehrte Damen und Herren, es ist bereits bei
meiner Kollegin Ute Vogt angeklungen: Der Gesetzentwurf ist ohne Frage ein Kompromiss . Er ist aber der
beste Kompromiss - das sage ich ganz offen -, den wir
mit unserem Koalitionspartner erreichen konnten . Er ist
auch ein Kompromiss zwischen dem Tierschutz und anderen Verfassungsgütern, insbesondere der Berufs- und
Gewerbefreiheit . Hier sind dem Tierschutz - viele von
uns sagen sicherlich: leider - Grenzen gesetzt . Nach der
Güterabwägung dürfen wir Pelztierfarmen nicht direkt
schließen, Übergangsfristen allerdings auch nicht beliebig kurz ansetzen . Es wäre rechtssicher ebenfalls nicht
möglich, die Fettverfütterung an Wiederkäuer als einziges EU-Land weiterhin verboten zu lassen, wenn es
keine wissenschaftlichen Belege gibt, dass aufgrund der
Fettverfütterung ein erhöhtes BSE-Risiko für den Verbraucher entsteht .
Selbstverständlich - Sie haben es an dieser Debatte
schon gemerkt -: Regierungsverantwortung zu tragen,
bedeutet immer auch, um Kompromisse zu ringen . Beim
Tierschutz ist das Ringen mit der Union - unter uns gesagt - ein tägliches Tauziehen, zumal dann, wenn sich
der Minister vor allem im Ankündigen versteht und seine
Fraktion nicht immer mitzieht, sondern eher den Status
quo erhalten will, egal wie belastend er für die Landwirte und Landwirtinnen, für die Tiere und für die Umwelt
ist . Leider viel zu oft mussten wir Herrn Schmidt - auch
das ist in dieser Debatte schon angeklungen - beim Tierschutz zum Jagen tragen . Viel zu sehr war der Minister
auf sein Konzept der freiwilligen Verbindlichkeit fixiert.
Kritische Zungen würden sein Handeln eher als organisierte Unverantwortung beschreiben .
Meine Damen und Herren, nach zähem Ringen konnten wir zu einem Gesetzentwurf kommen, der den Tierschutz verbessert . Ich bitte Sie daher, unserem Gesetzentwurf und unserer Entschließung zuzustimmen .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank . - Die Aussprache ist damit beendet .
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzent-
wurf zur Änderung futtermittelrechtlicher und tierschutz-
rechtlicher Vorschriften .
Zu dieser Abstimmung liegen mehrere Erklärungen
nach § 31 Absatz 1 unserer Geschäftsordnung vor . 1)
Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/12403, den Gesetzentwurf der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksa-
che 18/12085 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Einhaltung der Fraktion Die Linke
angenommen .
Dritte Beratung
1) Anlage 2
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen .
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12403 empfiehlt der Ausschuss, eine
Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/12423 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({0}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Herbert
Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Bundesprogramm Kita- und Schulverpflegung - Für alle Kinder und Jugendlichen eine
hochwertige und unentgeltliche Essensversorgung sicherstellen
Drucksachen 18/8611, 18/12178
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre hierzu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Carola Stauche, CDU/CSU-Fraktion . - Bitte schön .
({1})
Sehr verehrte Frau Präsidentin, scheidend, und sehr
verehrter Herr Präsident! - Gleich zwei Präsidenten sind
hier oben; die Ehre hat man nicht immer . - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute befassen wir uns wie schon
in der letzten Legislaturperiode mit einem Antrag der
Linksfraktion zu dem Thema „Kindergarten- und Schulverpflegung“. Sie entschuldigen bitte, dass ich „Kindergarten“ sage; ich komme aus dem Stammland Fröbels
und halte das für die richtige Bezeichnung .
({0})
Der Antrag, der uns hier vorliegt, ist fast derselbe wie
das letzte Mal: wenig ausgewechselt, keine neuen Zahlen,
({1})
keine neuen rechtlichen Geschichten .
({2})
Ich will kurz zusammenfassen, was hier gefordert wird .
Hier wird gefordert: kostenloses Essen in Kindergarten
und Schule, Verpflegung mit regionalen und saisonalen
Ökolebensmitteln unter bundesweit einheitlichen Standards, die streng kontrolliert werden, ebenso Einhaltung
arbeitsrechtlicher, tariflicher und sonstiger Bedingungen
für die Beschäftigten . Und: Der Bund bezahlt es .
({3})
Man könnte meinen: Das klingt nicht schlecht .
({4})
Doch beim genauen Hinsehen wird deutlich: Hier werden Dinge gefordert, die überzogen, unpraktikabel, teuer,
gegenüber Bürgerinnen und Bürgern entmündigend sind
({5})
und überdies nicht mit geltendem Verfassungsrecht vereinbar sind .
({6})
Bevor ich das weiter ausführe, will ich eines klarstellen: Sicherlich wollen wir alle, dass Kinder und Jugendliche sich gesund ernähren
({7})
und unter bestmöglichen Bedingungen aufwachsen . Wir
alle wollen eine gerechte Welt, die für alle Menschen
lebenswert ist . Doch teilweise unterscheiden wir uns in
Bezug darauf, was wir konkret darunter verstehen .
({8})
Noch mehr unterscheiden wir uns darin, wie wir unsere
Ziele erreichen wollen .
({9})
Die einen halten es immer und überall für die beste Lösung, einem Teil der Bevölkerung Geld wegzunehmen,
um es dann mit der Gießkanne wieder auszuschütten nach dem Motto: Viel hilft viel . - Wir von der Union stehen jedoch nicht nur für Vernunft und Augenmaß, sondern auch für Mündigkeit und Eigenverantwortung der
Bürgerinnen und Bürger .
({10})
Deshalb sehen wir den Antrag äußerst kritisch .
Doch nun komme ich zu einigen Punkten des Antrags
im Einzelnen . Extrem befremdlich ist für mich die Passage:
Der Bund muss im Rahmen seiner grundgesetzlichen Fürsorgepflicht seine Verantwortung wahrnehmen .
({11})
Er soll eine angemessene Verpflegung in den Einrichtungen durch geeignete Rahmenbedingungen
absichern .
Kein Zweifel: Der Staat hat eine Fürsorgepflicht,
besonders für Kinder und Jugendliche . Ob jedoch das
kostenlose Essen in Kindergarten und Schule dazuzählt,
zusätzlich zu den vielen anderen Sozialleistungen, kann
bezweifelt werden .
Ich möchte deutlich betonen: Der Staat übernimmt
Verantwortung, übt seine Funktion auf verschiedensten
Ebenen aus . Aber nicht alles ist Sache des Bundes . Bildungspolitik und Kinderbetreuung liegen in der Verantwortung der Länder und der Kommunen .
({12})
Es ist auch nicht so, dass sich der Bund vor seiner finanziellen Verantwortung für die Kommunen drücken würde . Ich darf noch einmal in Erinnerung rufen, dass der
Bund Kommunen und Länder bereits finanziell entlastet
hat und weiter entlastet . In der gesamten Legislaturperiode handelt es sich immerhin um 90 Milliarden Euro .
({13})
Doch ist zu beobachten, dass die Entlastung, die für die
Kommunen gedacht ist, dort nicht immer vollumfänglich
ankommt . Manche Länder verwenden das Geld anderweitig oder geben es zwar weiter, aber kürzen dafür an
anderer Stelle .
Die Umsetzung des vorliegenden Antrags würde, vorsichtig geschätzt, über 5 Milliarden Euro im Jahr kosten - ohne die Kosten für Neu-, Aus- und Umbau der entsprechenden Infrastruktur und für zusätzliches Personal .
({14})
Natürlich sollte uns für die Kinder, die bekanntlich unsere Zukunft sind, nichts zu teuer sein .
({15})
Aber: Eine direkte Finanzierung von Kindergarten- und
Schulverpflegung durch den Bund ist nicht möglich.
({16})
Das lassen die föderalen Strukturen der Bundesrepublik
Deutschland nicht zu .
({17})
Die Länder wollen ihre Zuständigkeit auf diesem Gebiet
bestimmt nicht abgeben,
({18})
das heißt, es würde wieder einmal darauf hinauslaufen,
dass der Bund zahlt und das Geld bei den Ländern versickert, ohne Nachweis, wofür sie es ausgeben haben .
({19})
Auch die Länder haben zusätzliche Steuereinnahmen das sollte man nicht vergessen -, auch die Kommunen .
({20})
Auf das bestehende Kooperationsverbot haben im
Übrigen auch die Sachverständigen bei der Anhörung zu
diesem Antrag im vergangenen Herbst hingewiesen . Hier
kamen eine Reihe weiterer Punkte zur Sprache . Hinweisen möchte ich zum Beispiel darauf, dass einheitliche
Lösungen für ganz unterschiedliche Herausforderungen
nicht praktikabel sind . So gibt es allein schon deutliche
Unterschiede bei der Verpflegung im Kindergarten und
in der Schule: regionale Unterschiede, unterschiedliche
Schulformen .
({21})
Infrastrukturelle Gegebenheiten sind dabei überhaupt
noch nicht berücksichtigt .
Es stellt sich auch die Frage, inwieweit kostenloses
Schulessen überhaupt akzeptiert wird . Aktuell werden
jeden Tag in Deutschland 4 bis 5 Millionen Essen ausgegeben . Ein nicht unbeträchtlicher Teil davon landet im
Müll .
({22})
Wird denn das Essen mehr wertgeschätzt, wenn es ganz
und gar kostenlos ist? Oder sollen Schülerinnen und
Schüler zum Aufessen gezwungen werden?
Weiterhin wird in dem Antrag eine Zubereitung der
Mahlzeiten in Kitas und Schulen gefordert . Dafür sind
wohl kaum überall die entsprechenden baulichen Voraussetzungen gegeben . In den wenigsten Fällen wäre dies
ohne großen Aufwand machbar . Es müssten noch einmal
gewaltige Summen ausgegeben werden . Hinzu kommt
noch, dass es in der Gastronomie ohnehin bereits einen
Arbeitskräftemangel gibt . Woher sollen plötzlich Tausende Köche für die Schulküchen kommen?
({23})
- Ja, dann sind sie aber auch nicht ausgebildet .
Auf der anderen Seite haben zahlreiche Schulen schon
jetzt einen erheblichen Investitionsstau . Ist in Anbetracht
feuchter Wände und maroder Toiletten eine Schulküche
das dringendste Problem, wenn es einen ordentlichen Caterer gibt?
Ähnlich verhält es sich mit der Idee, Ernährungsbildung verpflichtend einzuführen. Mahlzeiten sollen mit
den Kindern gemeinsam zubereitet werden . Das wäre natürlich ideal . Aber was sollen die Schulen eigentlich noch
alles verbindlich leisten?
({24})
Zusätzlich zu den herkömmlichen Fächern, die jetzt
schon in vielen Ländern nicht ordentlich abgedeckt werden, soll es auch noch Medienkunde,
({25})
Nachhaltigkeit, Inklusion, soziale Kompetenz usw . geben . Das alles ist wichtig, aber wir müssen aufpassen,
dass wir die Schulen nicht noch mehr mit verpflichtenden
Aufgaben überfrachten .
Stattdessen sollten wir Spielräume lassen für Initiativen vor Ort, Eigenverantwortung fördern und mit Rat
und Tat zur Seite stehen . Hier ist der Bund bereits im
Rahmen des neuen Bundeszentrums für Ernährung aktiv, zum Beispiel durch die Einrichtung des Nationalen
Qualitätszentrums für Ernährung in Kita und Schule . Wir
haben dazu einiges bei der letzten Ausschusssitzung gehört . Diese Einrichtung soll bereits bestehende Maßnahmen und Initiativen zum Kindergarten- und Schulessen
koordinieren, Qualitätsstandards und Konzepte für Qualitätsnachweis bei den Caterern weiterentwickeln sowie
alle Beteiligten für hochwertige Ernährung und den Stellenwert der Ernährungsbildung sensibilisieren .
({26})
Des Weiteren hat der Bund die Vernetzungsstellen
für Kindergarten- und Schulverpflegung seit 2008 mit
7,7 Millionen Euro gefördert und unterstützt seit einem
Jahr deren Projektarbeiten mit jährlich 1 Million Euro .
Aber grundsätzlich gilt auch hier: Die Ausstattung der
Vernetzungsstellen Schulverpflegung in den Ländern ist
und bleibt Ländersache .
Zum Thema Finanzielles noch eine ganz generelle
Anmerkung: Natürlich sollen Familien unterstützt werden, die es sich nicht leisten können, Kindergarten- und
Schulessen zu finanzieren. Hier gibt es bereits gute Konzepte und Lösungen vor Ort . Aber wieso soll das Essen
auch für Kinder kostenlos sein, deren Eltern sich das problemlos leisten können? Das ist für mich ein massiver
Widerspruch zum Gerechtigkeitsgedanken, der immer
wieder von der Linkspartei sehr strapaziert wird .
Frau Kollegin Stauche, Sie denken an die Redezeit?
Meine Rede ist zu Ende, ich höre jetzt auf . ({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist vermutlich wie heute schon bei vielen - meine letzte Rede, da ich bei
der Wahl zum 19 . Bundestag nicht mehr kandidiere . Ich
werde das Thema „Gesunde Ernährung und Kindergarten- und Schulverpflegung“ wie viele weitere Themen,
mit denen ich mich in den letzten acht Jahren im Bundestag beschäftigt habe, zwar nicht mehr parlamentarisch
bearbeiten . Aber ich kann Ihnen versichern: Ich werde als
freier, verantwortungsbewusster und engagierter Bürger
diese Themen weiter im Auge behalten und auch weiter
begleiten . Vielen Dank an dieser Stelle all meinen Kollegen, die mich immer unterstützt haben, und natürlich
auch meinen Mitarbeitern und sonstigen Helfern hier im
Bundestag und im Ausschuss!
Danke schön .
({1})
Liebe Kollegin Stauche, anlässlich Ihrer letzten Rede
auch von meiner Seite aus herzlichen Dank . Wir alle
möchten Ihnen danken .
({0})
Jetzt kommen wir zu der Kollegin Karin Binder, die
für die Fraktion Die Linke spricht .
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren auf den Besuchertribünen! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Frau Stauche, ja, Ihre Argumente waren
mir leider schon vorher bekannt . Deshalb gestatten Sie
mir, dass ich zu unserem Bundesprogramm „Kita- und
Schulverpflegung“ die folgenden Anmerkungen mache.
Ich glaube, jedes Kind in Deutschland wäre froh,
wenn es im Laufe seines Schultages eine anständige Versorgung erhielte .
({0})
Viele Kinder sitzen nämlich mit hungrigem Magen in der
Schule .
({1})
Da frage ich Sie, Frau Kollegin: Wie absolvieren diese
Kinder ihren Schulalltag, und mit welchem Schulabschluss gehen diese Kinder dann von der Schule? Wir
wissen, wir haben hier leider ein Problem: Eine viel zu
große Zahl von Kindern erwirbt keinen Schulabschluss .
Da verlieren wir als Gesellschaft wirklich eine Menge an
Zukunftsperspektiven für alle .
({2})
Wir haben unseren Antrag vorher mit vielen Akteurinnen und Akteuren aus der Zivilgesellschaft reiflich
beraten: Wir haben mit den Kolleginnen und Kollegen
der Gewerkschaften - der GEW, der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten - über das Thema der Bezahlung der Beschäftigten gesprochen, wir haben mit den
Schülerinnen gesprochen, wir haben mit den Lehrern gesprochen, wir haben mit der Deutschen Gesellschaft für
Ernährung, deren Standards zumindest als Maßstab dienen sollten, gesprochen, wir haben mit dem Deutschen
Netzwerk Schulverpflegung und den Vernetzungsstellen
Kita- und Schulverpflegung gesprochen, mit Köchen und
mit Caterern . Die meisten dieser Akteure stimmen uns zu
und haben uns darin bestärkt, diesen Antrag auf den Weg
zu bringen,
({3})
und zwar nicht zum ersten Mal . Ich behaupte eines: Steter Tropfen höhlt den Stein . Viele Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss wissen, dass wir an dem Thema nicht
mehr vorbeikommen .
Die Qualität des Essens stimmt nicht . Deshalb geht
vieles in den Müll, nicht, weil das Essen von jemandem
bezahlt wurde; denn die Kinder wissen nicht, von wem .
({4})
Liebe Frau Stauche, die Kinder, deren Eltern das Essen nicht bezahlen können, stehen an der Kasse und kriegen nichts, und das finden Sie in Ordnung.
({5})
- Die Gutscheine über 10 Euro pro Monat, die über das
Bildungs- und Teilhabepaket ausgegeben werden, verursachen einen Verwaltungsaufwand, der immens ist . Was
soll denn der Blödsinn?
Sie alle wissen, dass Kita- und Schulverpflegung subventioniert wird, und zwar von so vielen Stellen, dass es
im Prinzip gar nicht mehr überschaubar ist . Da macht es
doch viel mehr Sinn, sie von einer Stelle aus über Steuermittel zu finanzieren, damit alle Menschen in Deutschland einen Beitrag leisten und damit alle Familien entlastet werden . Sie sind doch die Partei, die immer groß
predigt, mehr für die Familien zu tun .
({6})
Aber hier sagen Sie, die Familien sollten selber zahlen .
Das ist doch Quatsch . Ich will, dass alle Steuerzahler
dazu beitragen, dass alle Kinder anständig versorgt sind,
und zwar egal, welches Einkommen die Eltern haben .
Kindergeld kriegen doch auch alle, da stört es doch auch
niemanden .
({7})
Aber bei der Kita- und Schulverpflegung sollen gerade
die armen Kinder außen vor bleiben? Aus Ihren Vorstellungen werde ich nicht mehr schlau . Das ist Diskriminierung pur .
Dann haben wir noch das Problem mit der Mehrwertsteuer . Wir hätten im Prinzip schon vor zehn Jahren darangehen können, die blöde Mehrwertsteuer auf Kita- und
Schulverpflegung abzuschaffen. Aber nein, der Staat
muss 19 Prozent Mehrwertsteuer einnehmen, ausgerechnet bei einer Versorgung, die im Prinzip uns allen zugutekommt. Unser Gesundheitssystem profitiert davon, das
Sozialwesen profitiert davon. Die Kommunen und die
Schulen profitieren davon, aber auch die Kinder und deren Familien. Alle profitieren davon, wenn wir diese blöde Mehrwertsteuer bei der Schulverpflegung abschaffen.
({8})
Warum haben wir das noch nicht gemacht? Die CDU
hat im Ausschuss mittlerweile sogar eingestanden, dass
man darüber in der nächsten Legislaturperiode sprechen
könnte . Warum haben wir es dann in dieser Legislaturperiode nicht schon gemacht?
({9})
Frau Kollegin Binder, zwei Kollegen hätten gerne
eine Zwischenfrage an Sie gerichtet .
Aber gerne .
Wenn Sie das gestatten, dann fangen wir mit dem Kollegen Weiler an .
Frau Kollegin Binder, durch Lautstärke wird Ihre
Rede nicht besser .
({0})
Ich will, dass mich alle hören .
Ja, aber nicht alle Menschen sind gehörkrank, also zumindest ich nicht, obwohl ich nicht besonders gut höre . Gut, aber das war nicht das Thema .
({0})
Ich höre mir Ihre Argumente zwar an, aber ich weiß
nicht, wie weit weg Sie von der Basis sind .
({1})
Ich bin seit 12 Jahren ehrenamtlicher Bürgermeister . Seit
dieser Zeit trage ich die Verantwortung für einen Kindergarten mit 12 Mitarbeitern und fast 60 Kindern .
Sie haben die Eltern angesprochen, die das Essen
nicht bezahlen können . Ich sage Ihnen eines: Eltern, die
das Essen nicht bezahlen können, bekommen das Essen
vom Träger bzw . vom Landratsamt bezahlt . Es verhungert keiner im Kindergarten .
({2})
Das ist das Erste .
({3})
Zum Zweiten ist es so: Die Verantwortlichen von gut
geführten Kindertageseinrichtungen oder Kindergärten
legen, wie ich als Bürgermeister auch, Wert darauf, dass
die Kindergärtnerinnen mit den Kindern zusammen das
Essen vorbereiten . Ob das Essen geliefert wird, ob das
Essen bezahlt wird, das spielt überhaupt keine Rolle .
({4})
Wir machen das . Und wenn ein Essen, wie bei uns,
1,85 Euro kostet, dann ist das keine Überforderung für
die Eltern .
({5})
Zur Situation im Bundesland Thüringen, aus dem ich
komme . Unsere Landesregierung jetzt hat beschlossen,
dass ab 2018 das letzte Kindergartenjahr kostenlos ist . Im
letzten Kindergartenjahr brauchen die Eltern also nichts
mehr zu zahlen .
({6})
- Moment . Ich gebe Ihnen recht: Das ist eine gute Sache .
Aber das Land wird, wie in der Vergangenheit auch, dafür nicht aufkommen . Wer muss dafür aufkommen? Das
sind die Kommunen .
({7})
Wir als Kommunen müssen das bezahlen . Das heißt, wir
können nicht mehr in Kindergärten investieren, weil wir
die Personalkosten vom Land nicht mehr erstattet bekommen .
({8})
Es ist ja schön, wenn Sie all diese Dinge beschließen,
aber dann muss ich auch so konsequent sein und den
Kommunen das Geld geben, das ihnen zusteht .
({9})
Das ist die Fehlleistung, die gerade von links kommt .
Wir haben in Thüringen einen linken Ministerpräsidenten .
({10})
Im Bereich Bildung gibt es ein Defizit. Es gibt 500 offene
Lehrerstellen, die nicht besetzt werden .
({11})
Es gibt offene Stellen in den Kitas . Es werden immer
wieder gute Vorschläge gemacht, aber es wird nicht gesagt, wie sie gegenfinanziert werden sollen.
({12})
Wir mussten mehr Personal einstellen .
Herr Kollege Weiler .
Und da frage ich mich -
Herr Kollege Weiler, die Redezeit ist für eine Frage
oder Anmerkung überschaubar .
Ja, Sie haben recht, Herr Präsident . - Ich frage Sie:
Legen Sie die Vorschläge, die Sie hier machen, auch in
Thüringen vor? Dann bitten Sie dort den Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, dass er den Kommunen endlich
das Geld gibt, das den Kommunen zusteht; immerhin hat
die Wirtschaft letztes Jahr 600 Millionen Euro und dieses
Jahr 280 Millionen Euro erbracht .
({0})
So, wir müssen jetzt zur Beantwortung dieser Frage kommen . Jetzt hat zunächst die Kollegin Binder das
Wort . Dann kommt der Kollege Schipanski . - Ich sehe
gerade, er verzichtet . Dann hat sich noch Kollege Lenkert
zu einer Kurzintervention gemeldet .
Frau Kollegin Binder, Sie haben zuerst das Wort .
Herr Kollege, Sie haben in Ihrem Beitrag gerade die
beste Begründung geliefert, warum der Bund hier in die
Finanzierung einsteigen muss:
({0})
weil die Kommunen zu wenig Geld haben und weil die
Länder das nicht leisten können . Wir haben als Lösung
ein gutes Rechenmodell vorgelegt: drei Viertel zu ein
Viertel . Drei Viertel sollte der Bund übernehmen, der der
Hauptnutznießer dieses Programmes wäre . Mit 4,50 Euro
pro Kind und Tag würde der Bund für die Gestehungskosten aufkommen . Die Kommunen, die Länder, die
Schulträger würden mit circa 1,50 Euro belastet für all
das, was an Infrastruktur dranhängt . Sie hätten also eine
hervorragende Lösung, um den Ländern und Kommunen
die Versorgung der Kinder zu ermöglichen - mit unserem
Programm . Ich frage Sie: Was stimmt daran nicht?
({1})
Mit dem unsinnigen Vorurteil, was nichts kostet, ist
nichts wert, möchte ich wirklich einmal aufräumen . Wie
viele Kinder wissen denn überhaupt, ob oder was ihre
Eltern bezahlt haben? Die stehen doch nicht mit dem
Geldbeutel an der Kasse, bezahlen ihr Essen und wissen
dann, wie viel es wert ist . Die meisten Kinder sind froh
über jeden Apfel, über jede Milch, die sie in der Schule
kostenfrei über das EU-Schulobstprogramm bekommen .
Dieselben Kinder sollen es nicht zu schätzen wissen,
wenn sie ein anständiges, qualitativ hochwertiges Mittagessen bekommen, an dem sie möglicherweise sogar
selbst beteiligt waren, zum Beispiel bei der Menüauswahl oder der Aufstellung des Programms?
All diese Punkte sprechen dafür, dass wir als Gesellschaft dafür aufkommen, um Kommunen, Länder, Eltern
zu entlasten, und dafür sorgen, dass ganz viele Kinder,
die heute durch den Rost fallen, eine Zukunftsperspektive haben .
({2})
Deshalb kann ich nur sagen: Springen Sie über Ihren
Schatten, und stimmen Sie unserem Antrag zu .
Danke schön für die Aufmerksamkeit .
({3})
Der Kollege Lenkert hat jetzt die Gelegenheit zu einer
Kurzintervention .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Ich möchte hier ein
paar Äußerungen klarstellen und dem Kollegen Weiler
empfehlen, sich das Gesetz, das in dieser Woche in Thüringen beschlossen worden ist, anzusehen . Den Eltern
werden die Kitagebühren für das letzte Kindergartenjahr
erstattet - das ist richtig -, und zwar vom Land . Im Gesetz steht ausdrücklich: Das übernimmt das Land . Das
Land stellt den Kommunen für die Finanzierung 29 Millionen Euro bereit .
({0})
Das ist der erste Punkt .
Der zweite Punkt . Hier wurde festgestellt, dass es in
Thüringen zu wenig Lehrerinnen und Lehrer gibt . Ja, das
ist richtig . Nach 24 Jahren CDU-Landesregierung haben
wir nicht genügend Lehrerinnen und Lehrer in Thüringen .
({1})
In der Wahlperiode von 2009 bis 2014, CDU-geführte
Landesregierung, gingen in Thüringen etwa 3 000 Lehrerinnen und Lehrer in Pension . Eingestellt wurden 1 250 .
({2})
Das ist die Realität von Thüringen gewesen . Die neue
Landesregierung hat bis heute 250 Lehrerinnen und Lehrer mehr eingestellt, als Sie in der gesamten letzten Wahlperiode, nämlich fast 1 500 .
({3})
Das heißt, wir haben Ihren Rückstand aufgeholt . Wir arbeiten daran, aber wir haben es noch nicht geschafft .
({4})
Noch kurz zu den Ausführungen der Kollegin Stauche .
Die CDU hat die Schulsanierung in Thüringen sträflich
vernachlässigt . Es kam zu einem Sanierungsstau . Ihnen
war die Schulsanierung nicht einmal 50 Millionen Euro
in vier Jahren wert . Wir haben jetzt ein Programm mit
250 Millionen Euro aufgelegt . Das ist verantwortungsvolle Politik . Wir machen es anders als die CDU, die hier
im Bundestag erzählt, die Länder hätten zu viel Geld,
weswegen sie es kürzen will, aber in Thüringen schreit:
Wir haben nicht genug Geld .
({5})
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Jeannine
Pflugradt für die SPD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Einer hochwertigen Verpflegung in Kita und
Schule stimmen wir als SPD-Bundestagsfraktion selbstverständlich zu . Die Forderung der Partei Die Linke nach
einer unentgeltlichen Kita- und Schulverpflegung halten
wir allerdings für unangemessen .
({0})
Warum sollte der Bund sämtliche Kosten für alle Kinder übernehmen? Dass wir diejenigen Eltern und Kinder
unterstützen, die sich tatsächlich keine Schulverpflegung leisten können, ist unbestritten . Das ist Teil unseres
Systems, und das ist auch gut so . Eine Gegenleistung in
Form einer Bezahlung zu erbringen, hat für mich etwas
mit Wertschätzung zu tun . Gute und hochwertige Schulverpflegung hat einen Preis, und der sollte für alle Eltern - ich betone: für alle Eltern - bezahlbar sein .
Natürlich sind wir, die SPD-Bundestagsfraktion, für
eine ausgewogene sowie hochwertige Essensversorgung
in Kitas und Schulen, an der jedes Kind teilnehmen kann .
Deshalb sollten wir unbedingt gemeinsam eine Lösung
suchen, wie der Bund die Länder und Kommunen finanziell unterstützen kann . Denn leider besteht noch immer - das brauche ich Ihnen eigentlich nicht zu sagen;
aber ich weise immer, wenn ich hier stehe, darauf hin das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern im
Bildungsbereich . Ich hoffe, dass es nicht mehr lange bestehen wird . Wir als SPD-Bundestagsfraktion kämpfen
dafür, dass es aufgehoben wird .
({1})
- Das ist nicht falsch, sondern das ist gut . - Wir haben bereits einen Fuß in der Tür . In der nächsten Sitzungswoche
werden wir das hoffentlich beschließen .
Der Bund engagiert sich dort, wo es ihm laut Grundgesetz erlaubt ist . Seit 2008 unterstützt er die Schulvernetzungsstellen in den Ländern mit über 7,7 Millionen Euro .
Die Bundesländer müssen ihrer Verantwortung hier auch
in Zukunft gerecht werden und ihre Vernetzungsstellen
weiterhin finanzieren.
Jüngst hat das Bundesministerium für Ernährung und
Landwirtschaft ein Bundeszentrum für Ernährung eingerichtet . Das Nationale Qualitätszentrum für gesunde
Ernährung in Kita und Schule ist ein Organisationsteil
davon . Es arbeitet eng mit den Vernetzungsstellen zusammen . Das Nationale Qualitätszentrum entwickelt gerade unter anderem Standards für die Qualität des Essens
für unsere Kinder in Kitas und Schulen . Dabei arbeitet
es eng mit der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zusammen . Das unterstützen wir als SPD-Bundestagsfraktion ausdrücklich . Auch wir sind dafür, endlich verbindliche statt freiwillige Qualitätsstandards für Schulcaterer
und für das Essen in Kita und Schule einzuführen . Denn
wie es mit der Freiwilligkeit ist, das wissen wir doch alle .
In Berlin und im Saarland sind entsprechende Standards seit Jahren eine Voraussetzung in den Rahmenverträgen für Caterer . Sie gehen also mit gutem Beispiel
voran . Dort dürfen nur Caterer Essen an Kitas und Schulen ausliefern, die das Siegel der Deutschen Gesellschaft
für Ernährung tragen . Daran sollten sich, denke ich, alle
Bundesländer orientieren .
Wir dürfen in der Diskussion aber auch nicht vergessen, dass die Bundesländer oder Kommunen selbst die
Verantwortung tragen, den Kindern in Kitas und Schulen
gutes Essen zu ermöglichen . Doch ob wir in jeder Schule eine Lernküche benötigen - die Einrichtung solcher
Küchen wird im Antrag gefordert - und uns diese auch
leisten können, das bezweifle ich. Ob alle anderen allgemeinbildenden Fächer, die die Schule während einer
Schulwoche anbietet, der richtige Lernort für das Kochen
sind, bezweifle ich ebenso.
So wie ich die Bundesländer bei der Qualität in der
Pflicht sehe, sollten wir den Eltern die Verantwortung
überlassen, gemeinsam mit ihren Kindern zu kochen,
ihnen aufzuzeigen, aus welchen Bestandteilen Gerichte
bestehen, oder gemeinsam mit ihnen einkaufen zu gehen,
auch wenn das manchmal schwer fällt und sehr nervig
ist . Da spreche ich aus eigener Erfahrung; das können
Sie mir glauben . Wir können und sollten den Eltern nicht
jegliche Verantwortung abnehmen .
({2})
Ernährungsbildung und -aufklärung halte ich für ausgesprochen wichtig . Doch für ein eigenes Schulfach, so
meine ich, reicht das nicht . Es kann sehr gut in den höheRalph Lenkert
ren Klassenstufen in den Sozialkundeunterricht integriert
werden . In der Grundschule könnte ich mir ein Fach
Schulgarten vorstellen . Die Abgeordneten aus den neuen
Bundesländern werden das noch kennen . Auch ich hatte als Kind dieses Schulfach . Es hat mir Spaß gemacht,
und zu meinem Schaden war es nicht; das denke ich jedenfalls. Selbst tätig sein, lernen, wie etwas angepflanzt
wird, gepflegt werden muss und geerntet wird, das ist,
denke ich, wichtig . Kinder lernen, unsere Lebensmittel
auch mehr wertzuschätzen, wenn sie wissen, wie viel Arbeit und Mühe es macht, bis etwas auf dem Teller liegt
und gegessen werden kann .
Des Weiteren stimmen wir für eine Mehrwertsteuerbefreiung oder zumindest für eine Absenkung des Steuersatzes auf 7 Prozent für Kita- und Schulverpflegung.
({3})
Hundefutter zum Beispiel ist nur mit 7 Prozent besteuert .
Nichts gegen Tiere - ich selbst bin Hundebesitzerin -,
aber sind Tiere mehr wert als unsere Kinder? Diese Frage
stelle ich ganz provokativ in Richtung des Finanzministers Herrn Schäuble . Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hatte gerade erst wieder angekündigt, dies in der nächsten Legislaturperiode erreichen
zu wollen .
({4})
Darauf bin ich sehr gespannt . Ich wünsche allen Beteiligten schon jetzt viel Erfolg .
Den Antrag der Linken finde ich überzogen, und zwar
für alle Beteiligten . Die Forderung nach der frischen Zubereitung von Mahlzeiten an jeder Schule bedeutet, dass
jede Schule eine Köchin oder einen Koch sowie Küchenhilfen benötigt . Eine Küche, in der man frisch zubereiten
kann, benötigt frische Produkte, die täglich angeliefert
werden müssen . Diese Bedingungen erfüllen nicht einmal die Kantinen hier im Bundestag .
({5})
Wie soll das mit 4,50 Euro pro Kind pro Tag bezahlt und
logistisch umgesetzt werden?
Aber nicht alles im Antrag ist schlecht . Einige Forderungen unterstützen wir als SPD-Bundestagsfraktion . Besonders gut gefällt mir persönlich, dass Sie einen
ganzheitlichen Ansatz hinsichtlich der Kita- und Schulverpflegung haben. Denn Essen ist mehr als reine Nahrungsaufnahme . Es verbindet Kinder miteinander .
Einer unentgeltlichen Verpflegung in Kita und Schule
können wir aber dennoch nicht zustimmen .
Ein bisschen ist ja schon über den Freistaat Thüringen
gesagt worden . Wie sieht es dort eigentlich wirklich aus?
Sie als Linke sind ja dort schon einige Zeit in der Regierungsverantwortung und könnten ein Signal setzen . Ich
habe gehört: Das letzte Jahr in der Kita ist kostenfrei . Das ist ja schön .
({6})
- Hören Sie doch einfach weiter zu! - Aber laut der gestrigen Aussage der Schulvernetzungsstelle ist die Versorgung der Kinder noch nicht kostenfrei . Setzen Sie ein Signal! Fangen Sie doch dort an!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({7})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Nicole Maisch für
Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst
muss man mal feststellen, dass es offensichtlich für die
CDU schwer zu ertragen ist, dass es unter Rot-Rot-Grün
in Thüringen vorangeht. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen, aber offensichtlich wird das von Ihnen weniger geschätzt .
({0})
Anders als Frau Stauche möchte ich zunächst der
Kollegin Binder danken, dass sie dieses wichtige Thema zum wiederholten Male auf die Tagesordnung gesetzt
hat . Wenn wir uns beim Thema Schulernährung auf Sie
von der CDU/CSU verlassen hätten, dann wären wir verlassen gewesen .
({1})
Sie haben doch in den letzten vier Jahren nichts auf
die Reihe gebracht, um das Essen unserer Kinder in Kita
und Schule zu verbessern. Ich finde, die Zwischenrufe
„Das geht nicht“, „Das Grundgesetz lässt das nicht zu“
usw . sind sehr bezeichnend dafür, dass Ihnen dieses Thema einfach nicht wichtig ist . Wenn einem etwas wichtig
ist, dann kann man sogar das Grundgesetz ändern . Das
werden Sie diese Woche auch tun - beim Thema Autobahn . Es schlägt ja das schwarze Herz besonders hoch,
wenn es um Beton geht . Da haben Sie kein Problem, das
Grundgesetz zu ändern . Wenn es jedoch um Bildung und
um Schulessen geht, dann halten Sie am Kooperationsverbot fest, als wäre es eine religiöse - keine Ahnung Reliquie, Erscheinung, an die man nicht fassen darf . Das
finde ich ziemlich peinlich und zeigt politische Handlungsunfähigkeit .
({2})
Ich habe vorhin den Zwischenruf gehört, wir hätten ja
das tolle Bildungs- und Teilhabepaket, damit wäre für die
armen Kinder beim Thema Schulessen alles geklärt . Mitnichten! Dieses Ding ist ein bürokratisches Monster .
Es gibt auch für die ärmsten Kinder immer noch die Zuzahlung von 1 Euro . Daran scheitert es oft bei Familien,
die zum Beispiel im Hartz-IV-Bezug sind . Wenigstens
diesen Euro hätten Sie in dieser Legislaturperiode wegJeannine Pflugradt
machen können . Das wäre das Mindeste gewesen, was
Sie für die Kinder, die Probleme bei der Finanzierung des
Essens haben, hätten tun können .
({3})
Aber schauen wir uns doch einmal an, was der Minister Schmidt gemacht hat . Frau Stauche hat ja gesagt, die
Linken könnten alle nicht mit Geld umgehen . Interessant
ist, zu schauen, was Herr Schmidt mit unseren Steuergeldern gemacht hat . 2,4 Millionen Euro hat er für eine
sogenannte „Macht Dampf!“-Kampagne ausgegeben,
2,4 Millionen Euro für einen Rohrkrepierer! Die Eltern,
also Sie und ich, konnten sich im Internet eine Broschüre
herunterladen und sollten sich hinterher bei ihrer Schule
beschweren, wenn das Essen schlecht ist . Die Idee war
schon mal schlecht, aber die Resonanz war noch viel
schlechter . Diese Broschüre wurde bundesweit 329 Mal
heruntergeladen, zehnmal davon von mir, weil ich ja immer gucke, was der Minister macht .
({4})
Das heißt, knapp über 300 Leute haben diesen Kram
bundesweit heruntergeladen; 2,4 Millionen Euro hat es
gekostet . Das ist peinlich!
({5})
Aber das war ja nicht alles . Es gab diese teure Broschüre, aber der Minister hat auch bundesweit Plakate
aufgehängt, 2 800 im ganzen Bundesgebiet, 570 allein in
Berlin - damit er sie auch mal sieht .
({6})
In Sachsen-Anhalt mit 2,2 Millionen Einwohnern gab
es ganze acht Plakate zur Verbesserung der Schulernährung . Da frage ich mich: Welche Sachsen-Anhaltiner haben denn davon profitiert? Wer hat die überhaupt gesehen? In diesem ganzen Flächenland acht Plakate, und das
soll jetzt das Essen der Kinder verbessern? Das ist doch
absurd, und das ist peinlich! Das ist ein Geaase mit dem
Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler!
({7})
An anderer Stelle kriegen Sie jedoch das Portemonnaie nicht auf . Für die Schulvernetzungsstellen, die wirklich eine wichtige Institution sind, um das Essen in Kitas
und Schulen zu verbessern, geben Sie 290 000 Euro institutioneller Förderung aus, für alle 16 Bundesländer, für
alle Kinder in Deutschland . Dazu gibt es 1 Million Euro
an Projektmitteln . Aber wenn man nicht den institutionellen Wums hat, um Projekte zu beantragen, wenn man
keine Mitarbeiter, keine Geschäftsstelle hat, wie soll man
denn dann Projektmittel beantragen? 2,4 Millionen Euro
für etwa 300 Broschüren, die heruntergeladen wurden,
das ist kein Problem für Sie . Bei den Schulvernetzungsstellen sparen Sie am falschen Ende . Das ist ziemlich
traurig .
({8})
Und weil der Minister ansonsten nicht so furchtbar
viel zum Thema Schulernährung beizutragen hat, reitet
er weiter ein totes Pferd, das Schulfach, das keiner will .
In jedem dritten Interview sagt er, wir sollten eigentlich
ein Schulfach Ernährung haben . Kein Bildungspolitiker,
nicht von der CDU - vielleicht irgendeiner von der CSU;
ich weiß es nicht -, von der SPD, von den Grünen, von
den Linken, will das, aber der Minister fordert und fordert und fordert und lässt sich auch von Experten, die
er selber mit Medaillen auszeichnet, führende Ökotrophologinnen, die ihm einen Brandbrief schreiben, er solle das doch bitte lassen, das wäre kontraproduktiv und
schädlich, nicht belehren. Aber das alles ficht ihn nicht
an . Er fordert es weiter . Konsequenzen hat das ja ohnehin
keine - wie das meiste, was er in der Presse angekündigt
hat .
({9})
Ich finde, wenn Ihnen das Essen unserer Kinder am
Herzen liegt - ich denke, das ist uns allen ein Anliegen -,
dann sollten Sie das Kooperationsverbot endlich aufheben .
({10})
Wenn Sie das nicht hinkriegen, dann schaffen Sie wenigstens einen Verpflegungspakt mit den Ländern.
({11})
Warum muss uns das am Herzen liegen? Warum brauchen wir besseres Essen in Kita und Schule? 16 Prozent
unserer Kinder und Jugendlichen sind übergewichtig,
6,3 Prozent sind sogar adipös . Das ist doppelt so viel wie
zu der Zeit, als ich ein Kind war, also in den 90ern . Bei
den Erwachsenen ist es noch schlimmer . In meinem Alter
sind die meisten Männer schon quasi übergewichtig . Ein
Mann, der mit Mitte 30 normalgewichtig ist, ist in seiner
Altersklasse in der Minderheit .
({12})
Ich finde, solche Zustände können uns nicht egal sein.
({13})
Nichts gegen dicke Männer, aber es ist natürlich wirklich ein Problem, wenn Kinder und Jugendliche übergewichtig sind, wenn sie Diabetes und Schwierigkeiten
mit den Gelenken bekommen . Das können wir alle nicht
wollen . Gutes Essen in Kita und Schule ist ein Schlüssel
dafür, das zu ändern .
({14})
Meine Damen und Herren, die letzten vier Jahre wurden vom Minister mehr als schlecht genutzt . Die nächste
Ministerin sollte das besser machen .
({15})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Alois
Rainer .
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das ist schon eine interessante Debatte . Es soll
um eine hochwertige und unentgeltliche Essensversorgung in Kita und Schule gehen, wir debattieren aber zum
Teil über übergewichtige Männer mittleren Alters
({0})
oder über Mittel für den Schulausbau in Thüringen, der
irgendwann mal kommen wird .
({1})
Es liegt ein Antrag vor, über den wir hier debattieren,
weil er eingereicht wurde . Aber wir sind nicht zuständig .
Die Zuständigkeit liegt nämlich ganz klar bei den Ländern und bei den Kommunen .
({2})
Ganz so einfach wollen wir es uns natürlich auch nicht
machen . Man muss einfach festhalten: Wir leben in einem föderalistisch aufgebauten Staatssystem, und darin
gibt es nun einmal feste Zuständigkeiten .
Ich sage Ihnen auch: Das Kooperationsverbot aufzuheben, wäre meines Erachtens nicht zielführend; es wäre
völlig falsch. Und die Schulverpflegung bundesweit zu
steuern und zu reglementieren, wäre genauso falsch .
({3})
- Ja, ich komme noch zum Finanzieren, Frau Kollegin .
Kita- und Schulverpflegung müssen diejenigen regeln
und auch finanzieren, die vor Ort dafür zuständig sind,
und das sind einfach die Kommunen und die Länder .
Diese und nicht schon wieder der Bund, der die Kommunen und Länder in dieser Legislaturperiode sowieso
schon unterstützt wie noch nie, sind hier die Sachaufwandsträger .
({4})
Es ist unumstritten, dass gesunde Ernährung eine große Bedeutung in der Gesellschaft haben muss . Einige
Ziele bei der Schulverpflegung empfinde ich als durchaus vernünftig, zum Beispiel, dass sie gesund, abwechslungsreich und regional geprägt ist und dass Ökoprodukte verwendet werden .
Allerdings möchte ich hier weniger den Weg der
Reglementierung als vielmehr den Weg der Freiwilligkeit
vorschlagen . Aus eigener Erfahrung kann ich berichten:
Wenn Kommunen, Schulen und Eltern die Verpflegung
auf lokaler Ebene gemeinsam organisieren, dann wird
das angenommen und auch unterstützt . Ich könnte das
gleiche Beispiel nennen wie der Kollege Albert Weiler .
Auch in meiner Kommune hat das über viele Jahre hinweg wunderbar funktioniert . Das geht also sehr gut .
({5})
Natürlich darf gutes Essen - es ist gute Ware - auch
etwas kosten . Das ist richtig so .
({6})
Ich meine - so habe ich es auch in der öffentlichen Anhörung gehört -: Viel wichtiger als die Kosten ist, dass man
gemeinsam mit dem Caterer, den verantwortlichen Lehrern und den Eltern anhand von Leitlinien für gesunde
Ernährung eine ausgewogene Ernährung zur Verfügung
stellt . Ich denke, da sind wir uns im Großen und Ganzen
einig .
Im Übrigen möchte ich in diesem Zusammenhang
auf Bayern verweisen . Bayern hat dazu am Dienstag die
Leitlinien Schulverpflegung herausgegeben: Mit gutem
Essen Schule machen - Genussort Mensa . Die Broschüre kann ich Ihnen gerne geben . Da kann man nachlesen,
dass dieses System in Bayern sehr gut funktioniert . Dabei soll es das Ziel sein, diese Leitlinien im jeweiligen
Schulleitbild zu verankern. Gute Schulverpflegung muss
als Teil eines gelingenden Schullebens selbstverständlich
werden .
Lassen Sie mich kurz auf die Forderung in Ihrem
Antrag nach unentgeltlicher Essensversorgung eingehen . Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken,
Sie fordern die Bundesregierung auf, dass der Bund den
Ländern eine Pauschale von 4,50 Euro pro Kind bzw . pro
Jugendlichen je Verpflegungstag zahlen soll.
Herr Kollege Rainer, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Bulling-Schröter?
Natürlich .
Dann hat sie das Wort .
Vielen Dank, Kollege Rainer . - Sie haben behauptet,
in Bayern sei alles in Ordnung . Es gibt ja einen Ministerpräsidenten, der schon vom Paradies spricht .
Jetzt gibt es diese Ausschreibungsverordnung . Vielfach wird das Essen nicht in den Schulküchen in BayNicole Maisch
ern gekocht - vielleicht bei Ihnen, bei mir in Ingolstadt
nicht -, sondern es wird von weither angeliefert . Ein
Blick auf den Preis zeigt, dass das angelieferte Essen
vielleicht um 10 Cent billiger ist .
Ich halte dieses Vorgehen für falsch; denn es ist sinnvoll, das Essen vor Ort zu produzieren . Sie selber haben
gesagt: Lebensmittel müssen etwas kosten . - Darin sind
wir uns einig: Gute Lebensmittel kosten einfach etwas .
Sehen Sie nicht Handlungsbedarf dahin gehend, dafür zu
sorgen, dass das Essen vor Ort aus regionalen Produkten
zubereitet wird? Denn unsere beiden Parteien setzen sich
ja explizit für regionale Wirtschaftskreisläufe ein .
({0})
Sehr verehrte Frau Kollegin Bulling-Schröter, wir haben uns schon öfter über gute und nachhaltige Verpflegung unterhalten . Natürlich wäre es vernünftig und gut,
wenn das Essen vor Ort aus frischen und regionalen Produkten zubereitet würde . Leider Gottes geht das nicht immer . Deshalb gibt es die Informationen der Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung Bayern. Es soll wohl
auch bei uns in einigen Bereichen noch Nachholbedarf
geben . Ich hoffe natürlich, dass wir den einen oder anderen Caterer finden, der das macht. Es ist immer schwierig, eine Kita, die - in Anführungszeichen - nur 30 oder
40 Essen benötigt, wirtschaftlich mit Essen zu versorgen .
Trotzdem sind wir, denke ich, auf einem guten Weg . Wir
beide können uns dahin gehend weiter austauschen .
({0})
Zurück zu den Kosten . Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, ich habe das Ganze kurz überschlagen . Bei 6 Millionen berechtigten Kindern am Tag macht
das 27 Millionen Euro täglich . Liebe Freunde, 27 Millionen Euro täglich ist eine unglaubliche Summe . Wenn ich
diese Zahl mit circa 200 Schultagen multipliziere - in der
Kita sind das noch mehr Tage mit Verpflegung -, komme
ich auf ein Ergebnis von circa 5,4 Milliarden Euro . Wenn
ich die Kitatage noch hinzunehme, bin ich wahrscheinlich bei circa 6 Milliarden Euro . Das ist eine unglaubliche Summe .
Vor allem gibt es über das SGB II schon die Möglichkeit, sich die Kosten erstatten zu lassen . Der Betrag von
10 Euro monatlich bezieht sich auf Vereine . Nein, Familien mit Kindern bekommen die Kosten für die Verpflegung ganz erstattet . Ja, Frau Kollegin Maisch, der eine
Euro muss zurückgezahlt werden, weil in den Regelsätzen Ausgaben für Verpflegung enthalten sind. Darüber
könnte man diskutieren; da bin ich ganz bei Ihnen . Es ist
eben so. Aber die Behauptung, dass Kinder aus finanzschwachen Familien das nicht bekommen, ist meines
Erachtens nicht richtig . Das muss man am Ende des Tages ja auch finanzieren. Gerade für finanziell schwächere
Familien ist es möglich, hier eine Unterstützung zu erhalten .
Es ist vorhin gesagt worden - das ist nicht verwerflich -: Was nichts kostet, ist einfach nichts wert . - Ich
bleibe dabei: Das ist einfach so . Wenn das Essen nichts
kostet, dann ist es auch nichts wert .
({1})
Lassen Sie mich zum Ende meiner Rede noch einmal
kurz auf eines eingehen: Bildung ist zwar Ländersache,
aber unser Landwirtschaftsministerium hat einiges dafür getan . Schon seit 2008 setzt sich das BMEL für eine
Verbesserung der Verpflegung in den Kitas und Schulen sowie der vorschulischen Ernährungsbildung ein .
Das BMEL hat die Vernetzungsstellen für die Kita- und
Schulverpflegung seit 2008 mit insgesamt 7,7 Millionen
Euro gefördert .
({2})
Ein wichtiger Meilenstein ist meines Erachtens die
Errichtung des Nationalen Qualitätszentrums für Ernährung in Kita und Schule - wir haben uns kürzlich im Ausschuss damit befasst -, das seit Februar 2017 im Rahmen
des neuen Bundeszentrums für Ernährung tätig ist .
Das Nationale Qualitätszentrum ist ein zentraler Baustein der Qualitätsoffensive für besseres Essen in Kita
und Schule . Es bereitet in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Ernährung ein Verfahren vor, mit
dem sich Caterer und Essensanbieter als besonders qualifizierte Vertragspartner für Kitas und Schulen empfehlen können . Ich kann es nur gutheißen, dass es - Frau
Pflugradt hat es schon gesagt - Auszeichnungen für Caterer gibt . Das ist gut; daran müssen wir weiter arbeiten,
und das wollen wir auch . Denn Qualität muss das oberste
Ziel sein .
Mit dem Wettbewerb „Klasse, Kochen!“ prämiert das
BMEL bereits seit sieben Jahren die besten Schülerideen zur Nutzung von Schulküchen . Mehr als 60 Schulen
haben eine hochwertige Schulküche gewonnen . Das ist
unglaublich wichtig .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke,
das Ziel muss sein, anhand von Leitlinien bundesweite
Qualitätsstandards für das Essen in Kita und Schule zu
definieren. In diesem Sinne freue ich mich auf viele weitere Debatten zu diesem Thema .
Danke schön .
({3})
Zum Abschluss dieser Aussprache hat die Kollegin
Elvira Drobinski-Weiß das Wort für die SPD .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Gäste auf den Tribünen! Eine flächendeckende,
qualitativ hochwertige Kita- und Schulverpflegung hat
für die SPD-Bundestagsfraktion ernährungspolitisch die
höchste Priorität .
({0})
Ich meine damit selbstverständlich eine Schulverpflegung, an der jedes Kind unabhängig vom Geldbeutel der
Eltern teilnehmen kann .
Die Kollegin Pflugradt hat bereits einiges dazu ausgeführt . Wir wollen und müssen in dieser Frage endlich
vorankommen .
Nun wissen wir aber auch alle miteinander, wie
schwierig die konkrete Umsetzung dieser eigentlich einfachen Idee ist . Wir diskutieren hier ja nicht zum ersten
Mal darüber . Und ja, über das ganz konkrete Wie gehen
die Vorstellungen auseinander, auch hier in der ersten
Reihe . Für uns Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen ist aber klar: Gutes, gesundes und bezahlbares Essen
muss in allen Kindertagesstätten und Schulen zum Standard werden .
({1})
Doch damit ist es nicht getan . Gute, gesunde Ernährung
muss auch außerhalb der Schule leichter werden .
Und weil zu Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, liebe Karin Binder, inzwischen,
glaube ich, alle Argumente ausgetauscht sind, erlaube ich
mir, den Bogen etwas weiter zu spannen . Selbst wenn
wir nämlich aus der Schule einen Ort machen, an dem
gesundes Essen selbstverständlich ist, haben wir immer
noch jede Menge anderer Baustellen . Denn während eine
ausgewogene Ernährung theoretisch gar nicht so kompliziert ist - viel Obst und Gemüse, wenig Salz und Zucker,
viel Wasser und Vollkorn -, ist sie ganz praktisch im Alltag oft ziemlich schwierig . Fast Food und Süßigkeiten
an jeder Ecke, verwirrende Nährwertkennzeichnungen,
unausgewogene Fertigprodukte, die als gesundheitsfördernd verkauft werden, eine Geschmacksprägung auf zu
viel Zucker, Salz und Fett schon im Kindesalter: Die Liste der Dinge, die eine ausgewogene Ernährung erschweren, ist lang .
Wenn wir alle Kinder und natürlich auch ihre Eltern,
alle Verbraucherinnen und Verbraucher insgesamt dabei
unterstützen wollen, gesund zu essen, dann müssen wir
dafür sorgen, dass die gesündere Wahl im Alltag auch zur
leichteren wird: Wir brauchen Kassenzonen ohne Süßigkeiten und Fertigprodukte mit weniger Zucker und Salz .
Wir brauchen die Ampelkennzeichnung und aus meiner
Sicht auch eine gesetzliche Beschränkung für das an Kinder gerichtete Lebensmittelmarketing .
({2})
Die freiwilligen Selbstverpflichtungen der Lebensmittelindustrie auf diesem Feld - sie funktionieren nicht .
Das hat ja gerade erst eine Studie belegt, die die AOK
in Auftrag gegeben hat . Wir reden immer darüber, wie
wichtig Ernährungsbildung in Kita und Schule ist . Ja, das
ist sie . Aber das Wissen muss auch im Alltag umsetzbar
sein . Ich erwarte vom Minister für Ernährung beispielsweise, dass er jetzt endlich mal etwas zur nationalen Reduktionsstrategie im Hinblick auf Zucker, Salz und Fett
sowie zur Frage vorlegt, wie er Kinder - wie es in seinem
Grünbuch heißt - vor irreführenden Werbeaussagen und
falschen Kaufanreizen schützen will . Und von der Lebensmittelwirtschaft erwarte ich deutlich mehr Engagement und weniger business as usual und Blockade .
Allen Kindern eine gute und gesunde Ernährung zu
ermöglichen, ist eine Frage sozialer Gerechtigkeit, eine
Frage der Chancengleichheit . Deshalb hat das auch für
uns höchste Priorität. Und deshalb werden wir auch finanzierbare und tatsächlich umsetzbare Lösungen finden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({3})
Vielen Dank für die Punktlandung, was die Redezeit
betrifft . - Damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zum Antrag
der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Bundesprogramm
Kita- und Schulverpflegung - Für alle Kinder und Jugendlichen eine hochwertige und unentgeltliche Essensversorgung sicherstellen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12178, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8611
abzulehnen . Wer für die Ausschussbeschlussempfehlung
stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 14 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses
({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der Militärmission der Europäischen Union als Beitrag
zur Ausbildung der malischen Streitkräfte
({1})
Drucksachen 18/11628, 18/12205
- Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/12206
Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Widerspruch
dagegen erhebt sich nicht . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und darf zu Beginn als erster Rednerin der Kollegin Dr . Edelgard Bulmahn für die
SPD das Wort erteilen .
({3})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! 2012 stand Mali am Abgrund . Dieses Land drohte infolge des Putsches, des WiederaufElvira Drobinski-Weiß
flammens der Tuareg-Rebellion und des Vormarsches
islamistischer Banden zu zerbrechen, zu einem „Failed
State“ zu werden . Nur das entschlossene Eingreifen
Frankreichs hat Schlimmeres verhindert und die Einleitung eines Friedensprozesses ermöglicht, der 2015 in
den Abschluss eines Friedensvertrages mündete - ein
umfangreicher Vertrag, der nicht den Abschluss eines
Prozesses markierte, sondern vielmehr ein Programm
zur Überwindung wirklich tiefgreifender Konflikte darstellte . Und er zeigte einen Weg zu einem dauerhaften
Frieden auf .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das militärische Eingreifen damals war notwendig . Es war notwendig, um zum einen die Zivilbevölkerung zu schützen . Es
war aber auch notwendig, um überhaupt die Aufnahme
eines politischen Verhandlungsprozesses zu ermöglichen,
der dann zu diesem Friedensvertrag führte. Der Konflikt
selbst wurde dadurch - das ist jedem klar - nicht überwunden. Eine tatsächliche Überwindung des Konfliktes
erfordert weitaus mehr . Nachhaltige Friedenssicherung
verlangt, dass man die Ursachen eines Konfliktes beseitigt bzw . zumindest mildert sowie Institutionen und Verfahren zur friedlichen Regelung von Konflikten etabliert.
Die Konfliktregionen müssen gemeinsam mit den Konfliktparteien die Voraussetzungen und die Strukturen für
ein friedliches Zusammenleben schaffen . Das gilt auch
für Mali .
Entscheidend für den Prozess, der in Mali begonnen
wurde, sind der Aufbau und die Stärkung rechtsstaatlicher Strukturen und demokratischer Institutionen . Das ist
die entscheidende Voraussetzung .
({0})
Entscheidend sind auch die Bekämpfung von Armut,
Hunger und Not sowie die Verbesserung von Lebenschancen und Perspektiven, also eine nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung .
Entscheidend sind des Weiteren die Bekämpfung der
organisierten Kriminalität, die ein riesiges Problem darstellt, und die effektive Bekämpfung der Korruption .
Entscheidend sind ebenfalls die Einhaltung der Menschenrechte, gute Regierungsführung und die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols, das die Sicherheit
der Menschen gewährleistet und all das, was ich eben
beschrieben habe, überhaupt erst ermöglicht und die Voraussetzungen dafür schafft, dass das tatsächlich geleistet wird . Dazu gehören insbesondere der Wiederaufbau
von Polizei und Justiz, aber auch eine Armee, die sich
dem Leitbild der Rechtsstaatlichkeit und dem Schutz der
Menschenrechte verpflichtet fühlt. Deshalb ist es notwendig und richtig, dass sich die Bundesrepublik bereit
erklärt hat, die malische Armee dabei zu unterstützen, ein
entsprechendes Leitbild zu entwickeln und leistungsfähiger zu werden, damit sie die wichtige Aufgabe des Schutzes der Bevölkerung erfüllen kann .
({1})
Es geht also - das sage ich insbesondere an die Adres se
der Fraktion Die Linke, die sich immer dagegen verwahrt
hat - um einen ganzheitlichen und kohärenten Ansatz bei
diesem Einsatz, der nicht alleine auf die Stärkung militärischer Strukturen abhebt . Allerdings stellt die Stärkung
der militärischen Strukturen in dem Sinne, wie ich es beschrieben habe, eine wesentliche Komponente dar . Die
Arbeit der Bundeswehr ist wichtig .
({2})
Wir wissen sehr wohl zu schätzen, was die Soldatinnen
und Soldaten dort jeden Tag leisten . Wir wissen aber
auch, dass die militärische Komponente allein nicht ausreicht; denn Sicherheit lässt sich auf Dauer nur gewährleisten, wenn auch die zivilen Sicherheitsstrukturen gestärkt werden und die Voraussetzungen für Sicherheit der
Menschen und Rechtsstaatlichkeit geschaffen werden .
Deshalb engagieren wir uns in Mali nicht nur in der
Ausbildung von Militär, sondern auch für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes . Wir engagieren uns mit
der EU-Mission EUCAP und der zivilen Komponente,
der VN-Mission MINUSMA, in der Ausbildung von Polizeikräften . So sind allein für die Polizeiausbildung in
beiden Missionen über tausend Polizistinnen und Polizisten in Mali tätig . Wenn wir heute über die Fortsetzung
der Beteiligung an der EU-Mission zur Ausbildung der
malischen Streitkräfte entscheiden, sollten wir diese Mission daher nicht isoliert betrachten . Vielmehr müssen wir
sie in den Kontext unseres Gesamtengagements stellen
und genau in diesem Kontext betrachten und diskutieren .
Die Sicherheitslage ist nach wie vor prekär . Erst im
Januar hatte MINUSMA, die Friedensmission der UN,
einen verheerenden Anschlag mit 80 Toten in einem ihrer Camps zu beklagen . Diese prekäre Sicherheitslage
ist zu einem erheblichen Teil die Folge einer zu zögerlichen Umsetzung des Friedensprozesses . Andererseits
gibt es deutliche Fortschritte - auch diese sind in Mali
zu beobachten -, die Hoffnung auf eine Befriedung und
eine Überwindung des Misstrauens zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen machen . Ich nenne als Beispiele die Abhaltung der Kommunalwahlen im vergangenen Herbst, die Einrichtung von Interimsregierungen im
Norden und die Durchführung gemeinsamer Patrouillen,
in denen regierungsnahe Soldaten oder Polizisten mit
ehemaligen separatistischen Tuareg und Rebellengruppen zusammenarbeiten . Ich konnte selber eine solche Patrouille begleiten und beobachten . Es ist wirklich beeindruckend, was dort in den letzten Jahren geleistet worden
ist .
Diesen Prozess sollten wir offensiv weiter begleiten
und unterstützen .
({3})
Es gilt, diesen Prozess so zu begleiten, dass er wirklich
Erfolge zeitigt, dass er dazu beiträgt, dass der Friedensprozess gelingt; denn wir wissen, dass das eine erhebliche Rolle spielt und es entscheidend für die weitere Entwicklung Malis, aber auch für die weitere Entwicklung
von ganz Westafrika ist .
Ich will noch einen kritischen Punkt ansprechen,
der uns alle, glaube ich, betrifft und weil wir alle diesbezüglich Verantwortung tragen . Was ein Problem darDr. h. c. Edelgard Bulmahn
stellt, ist die schleppende Umsetzung der Vereinbarung
zur Dezentralisierung staatlicher Gewalt . Dazu gehören
zum Beispiel die stärkere Einbeziehung des Nordens in
die nationalen Institutionen, vor allem aber die Verlagerung von Kompetenzen auf die regionale Ebene und der
Aufbau von effektiven regionalen Verwaltungsstrukturen
und auch einer lokalen Verwaltung . Dazu gehört auch die
Zuweisung von finanziellen Mitteln in die Regionen, die
diese eigenständig verwalten und verausgaben dürfen .
Das ist Teil des Friedensvertrages, und zwar ein ganz
wesentlicher Teil . Gerade bei diesem Punkt habe ich bei
meiner letzten Reise nach Mali im Februar dieses Jahres leider sehr viel Zögerlichkeit zur Kenntnis nehmen
müssen . Hier stehen wir als internationale Partner in der
Verantwortung, gegenüber der malischen Regierung sehr
deutlich zu machen, dass unsere Hilfe bei der Stärkung
des Sicherheitssektors nur dann langfristigen Erfolg bringen kann, wenn auch der Friedensvertrag und insbesondere die konfliktentschärfende Dezentralisierung umgesetzt werden .
({4})
Das ist die Aufgabe von uns allen . Die Stärkung des
Sicherheitssektors, der Justiz und der Rechtsstaatlichkeit
auf der einen Seite und die effektive Dezentralisierung
auf der anderen Seite - das sind die entscheidenden Voraussetzungen für die Stabilisierung Malis, und dafür
lohnen sich unsere Unterstützung und unser Einsatz .
Deshalb bitte ich Sie um Unterstützung für diesen Antrag
und für den Einsatz .
Vielen Dank .
({5})
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin
Christine Buchholz das Wort .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mehr als
vier Jahre ist die Bundeswehr nun schon in Mali . Im
Mandat heißt es, der Einsatz von Militärausbildern solle
dem übergeordneten Ziel dienen, Mali und die Sahelzone zu stabilisieren . Das hört sich auf dem Papier auch
wirklich gut an, hat allerdings mit der Wirklichkeit wenig
gemein . Die europäische Militärmission in Mali hat das
Land weder sicherer noch stabiler oder demokratischer
gemacht . Der Grund dafür ist recht einfach: Die Wurzeln
der Konflikte in Mali sind zum einen die Dürre, zum anderen aber vor allem die Armut . Verschiedene bewaffnete
Gruppen kämpfen vor diesem Hintergrund um die Kontrolle der Handelswege durch die Sahara . Ich sage Ihnen:
Diese Probleme lassen sich nicht durch einen internationalen Militäreinsatz lösen .
({0})
Die deutsche Regierung verfolgt zudem ganz andere
Ziele und Interessen, als sie in dem Mandat vorgibt . Unter dem Deckmantel der uneigennützigen Ausbildungsunterstützung baut die Bundesregierung eine militärische
Dauerpräsenz in Mali auf, um in dieser rohstoffreichen
Region an Einfluss zu gewinnen.
({1})
Dazu ist die Beteiligung an EUTM Mali genauso wie
an der UN-Mission MINUSMA ein Baustein . Die große
Mehrheit der Bevölkerung in Mali hat davon nichts . Deshalb fordern wir, die Linke, den unverzüglichen Abzug
der deutschen Soldatinnen und Soldaten aller Missionen
aus Mali .
({2})
Tatsache ist: Je länger die internationalen Militäreinsätze laufen, desto unsicherer wird Mali . Opfer sind
malische Zivilisten, aber auch malische Soldaten . Frau
Bulmahn hat es angesprochen: Im Januar wurden bei
einem verheerenden Anschlag auf das Lager einer gemischten Patrouille aus Tuareg und malischen Soldaten
79 Personen getötet . Der Anschlag fand übrigens im
nordmalischen Gao statt, in unmittelbarer Nähe zum
Camp Castor, wo auch die Bundeswehr stationiert ist .
Auch dieses Camp war bereits Ziel von Anschlägen .
Ich sage hier ganz deutlich: Wer dem Einsatz weiter zustimmt, riskiert auch das Leben der entsandten Soldatinnen und Soldaten . Das ist ein weiterer Grund, warum wir
gegen diesen Einsatz sind .
({3})
Zu einer ehrlichen Bilanz gehört: Im letzten Jahr eskalierte beispielsweise im Zentrum Malis in der Region
Ségou ein ethnisch aufgeladener Konflikt. Dort leiden
die Peuls, ein traditionelles Hirtenvolk, doppelt: unter
Angriffen von Dschihadisten, aber auch unter rassistisch
motivierten Übergriffen . Die malische Armee, um deren Ausbildung es hier geht, spielt dabei eine unrühmliche Rolle . Obwohl die europäische Militärmission
10 000 malische Soldaten ausgebildet hat, erwies sich die
Armee als unfähig, die Bevölkerungsgruppe der Peuls zu
schützen . Schlimmer: Human Rights Watch berichtet ich zitiere -:
Militärs haben mindestens acht Personen hingerichtet, die verdächtigt wurden, Islamisten zu sein .
Ein Angehöriger dieser Volksgruppe sagte - ich zitiere
aus demselben Bericht -:
Es gibt so viele Peuls, die von Militärs gefoltert oder
getötet wurden oder einfach verschwanden, aber
keiner der Fälle kam jemals vor Gericht .
Ich frage: Wo bleibt die Kritik der Bundesregierung an
diesen Vorgängen?
Die Antwort ist: Es geht bei diesem Militäreinsatz
eben nicht um Gerechtigkeit in Mali; es geht vor allen
Dingen um die Bundeswehr selbst . Der Einsatz fügt sich
ein in einen jahrelang betriebenen Umbau der Bundeswehr in eine Interventionsarmee im Dauereinsatz . Ein
genauerer Blick auf diesen Einsatz zeigt das . So wurde
der Einsatz systematisch ausgeweitet . Am Anfang waren
die deutschen Militärausbilder nur im sicheren Süden
stationiert . In den vergangenen Monaten wurden Militärausbilder direkt an die Konfliktherde herangeschickt,
nach Ségou in Zentralmali und nach Gao im Norden
Malis . Dort hat sich die Mission übrigens das erste Mal
logistisch auf die französische Kampfoperation Barkhane gestützt . Überdies wurden nun auch Truppen der vier
Nachbarstaaten Malis ausgebildet, darunter der diktatorisch geführte Tschad .
Die Wahrheit ist: EUTM Mali ist nichts anderes als die
Ergänzung einer laufenden Kriegsoperation, um in der
gesamten Region Einfluss auszuüben. Das ist der zentrale Grund, warum wir diese Mission ablehnen .
({4})
Zum Schluss noch ein Wort zur EU - es handelt sich ja
um eine EU-Mission -: Die EU stufte Mali mit deutscher
Unterstützung als sicher genug ein, um dem Land ein
Rückführungsabkommen für Flüchtlinge aufzuzwingen .
Wenn es nun aber um die Rechtfertigung des europäischen Militäreinsatzes geht, dann führt die EU die Unsicherheit in Mali an . Das allein zeigt die ganze Heuchelei
hinter diesem Einsatz . Die Linke wird gegen dieses Mandat stimmen .
Vielen Dank .
({5})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Jürgen Hardt .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An
die Adresse der Kollegin Buchholz gerichtet, möchte ich
nur Folgendes anmerken: Im Nordosten von Mali haben
gestern von Islamisten angestiftete Menschen ein unverheiratetes Paar zu Tode gesteinigt, weil sie ihre archaischen Vorstellungen von einem angeblich islamischen
Recht durchsetzen wollen . Wenn Sie wollen, dass das in
Mali zukünftig überall passieren kann, dann müssen Sie
für den Rückzug der unterstützenden Kräfte plädieren,
dann müssen Sie für das Im-Stich-Lassen der malischen
Bevölkerung und der malischen Regierung plädieren .
Wir werden das nicht tun .
({0})
Der Mali-Einsatz - hier sprechen wir über den Ausbildungseinsatz EUTM Mali - ist im Zusammenhang mit
dem UN-Einsatz, an dem Deutschland maßgeblich beteiligt ist, zu betrachten . Er ist mit dem Afghanistan-Einsatz mittlerweile der größte Bundeswehreinsatz; nahezu
1 000 Soldaten sind in Mali eingesetzt . Wir haben es mit
dieser Ausbildungsmission geschafft, mittlerweile rund
10 000 malische Soldaten und Polizisten und auch Soldaten und Polizisten benachbarter Staaten auszubilden . Es
ist eben kein Einsatz, den Europa nur mit Mali durchführt .
Vielmehr wollen wir, dass die anderen Staaten der Region, die ebenfalls an Frieden und einer guten Entwicklung
dort interessiert sind, im Rahmen der afrikanischen Zusammenarbeit an diesem Friedensprojekt mitwirken und
entsprechend gestärkt und unterstützt werden .
Wir führen diesen Einsatz vor allem auch deshalb
durch, weil wir in Mali eine echte Chance sehen, dass
durch unsere Hilfe die Entwicklung besser wird . Wir erleben nach wie vor, dass Mali Durchzugsgebiet für terroristische Gruppen ist . Ein Blick auf die Karte zeigt,
dass südlich der Maghreb-Staaten über Mali auch andere
Staaten, die sich hoffnungsvoll entwickeln, zum Beispiel
Burkina Faso und Senegal, infiltriert werden. Wir kommen bei der Ausbildung und bei der Stabilisierung des
Landes voran, und damit befrieden wir ein Stück weit
eine Schlüsselregion in Afrika .
Wir werden diesen Einsatz natürlich weiterhin mit einer ganzen Palette an zivilen Maßnahmen unterstützen .
Die für die Bevölkerung sichtbare Unterstützung ist gegeben: Die Bundeskanzlerin ist im Oktober letzten Jahres
in Mali gewesen und hat mit unmissverständlichen Worten die Unterstützung Deutschlands und Europas manifestiert . Darüber hinaus befördern wir die wirtschaftliche
Zusammenarbeit . Wir leisten aber auch kulturelle Unterstützung . Mali ist ein Land, das reich an Kultur ist . Wir
bemühen uns gemeinsam mit malischen Kräften, dieses
Kulturerbe, das für das Selbstbewusstsein einer solchen
Nation enorm wichtig ist, zu fördern und zu unterstützen .
Es gibt in Timbuktu wichtige historische Handschriften,
die mit deutscher und afrikanischer Hilfe restauriert werden, sodass diese Zeugnisse der Vergangenheit, die für
ein solches Land identitätsstiftend sind, bewahrt werden .
Wir wissen, dass unsere Soldaten in diesem Einsatz
Bedrohungen ausgesetzt sind . Es ist schon zur Sprache
gekommen: Erst vor kurzer Zeit hat es in der Nähe von
Gao einen Anschlag mit sieben toten malischen Soldaten
und 17 Verwundeten gegeben; das hätte natürlich auch
EUTM- oder MINUSMA-Soldaten, also auch deutsche
Soldaten, treffen können . Deswegen ist es ganz wichtig,
dass wir alles tun, um unseren Soldaten im Fall des Falles
gut helfen zu können . Ich bin stolz darauf, dass die Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig mit insgesamt acht
Hubschraubern sicherstellt, dass die Soldatinnen und
Soldaten oder auch zivile Kräfte im Ernstfall schnell zur
medizinischen Versorgungseinrichtung geflogen werden
können . Es handelt sich um vier Tiger-Kampfhubschrauber und vier Sanitätshubschrauber, SAR-Hubschrauber
vom Typ NH90 .
Ich würde mir wünschen, dass wir diesen deutschen
Beitrag nicht endlos aufrechterhalten müssen, sondern
möglicherweise im Sommer nächsten Jahres eine Ablösung bekommen . Ich würde mich freuen, wenn sich zum
Beispiel die kanadische Regierung entschließen könnte,
uns ihrerseits zu entsetzen, wie man das, glaube ich, militärisch nennt . Wenn Deutschland den Kanadiern sagen
würde: „Okay, wenn ihr nach einem Jahr Hilfe sucht und
keinen findet, sind wir vielleicht wieder bereit, einzuspringen“, wären die Gespräche, glaube ich, auf einem
guten Weg .
Gott sei Dank ist der Einsatz in Mali aus deutscher
soldatischer Sicht bisher glimpflich verlaufen. Ich möchte unsere Unterstützung für diesen Einsatz, die wir gleich
in der namentlichen Abstimmung bekunden werden, mit
meinem dringenden Wunsch und meiner Hoffnung unterstreichen, dass alle unsere Soldatinnen und Soldaten mit
dem nötigen Soldatenglück heil und unversehrt aus diesem Einsatz zurückkommen und wir nach jeder Etappe
des Einsatzes sagen können: Es ist tatsächlich ein kleines
Stück besser geworden . - In diesem Sinne werden wir
unsere Unterstützung für die Mission in Mali in der vorgesehenen Form fortsetzen .
Herzlichen Dank .
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Dr . Frithjof Schmidt
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Lage in Mali ist nicht gut . Wir haben das
hier schon vor drei Monaten ausführlich diskutiert, als
wir das Mandat für die UN-Mission beschlossen haben .
Meine Fraktion ist überzeugt, dass es richtig und notwendig ist, dass die UNO in Mali Verantwortung übernimmt,
um im politischen Friedensprozess zu vermitteln und
diesen militärisch abzusichern . Deshalb haben wir den
UN-Mandaten immer zugestimmt . Wir sind auch dafür,
dass die Europäische Union die UNO dabei unterstützt,
finanziell, mit ziviler Hilfe und mit einer Ausbildungsmission für die malische Armee, gerade weil für die
UNO eine politische Lösung im Zentrum steht .
({0})
Deshalb werden wir auch diesem Mandat der Bundeswehr für die europäische Mission heute wieder zustimmen .
Wenn wir die Bundeswehr in diesen Einsatz schicken,
haben wir aber die Pflicht, uns ein ungeschminktes Bild
von der Lage zu machen . Der Friedensprozess ist ins
Stocken geraten. Ein Scheitern ist möglich. Ich finde, die
Bundesregierung sollte das auch klar so sagen . Der Norden Malis ist weitgehend außerhalb staatlicher Kontrolle .
Es gibt permanent Kämpfe mit bewaffneten Gruppen und
auch zwischen verschiedenen bewaffneten Gruppen . Die
Blauhelmsoldaten geraten dort immer wieder zwischen
die Fronten . Aber auch in Zentralmali nehmen Instabilität
und Gewalt zu . Die politischen Antworten der malischen
Regierung, aber auch der internationalen Gemeinschaft
auf diese Entwicklung - das müssen wir, glaube ich, ehrlich einräumen - sind bisher nicht wirklich überzeugend .
({1})
Auch die humanitäre Lage ist weiterhin dramatisch .
Es befinden sich rund 200 000 Menschen auf der Flucht .
2,5 Millionen Menschen sind von Hunger betroffen . Die
bereitgestellte humanitäre Hilfe reicht immer und immer
wieder - es ist jedes Mal dasselbe - bei weitem nicht aus .
Die Bundesregierung muss das alles in der Europäischen
Union massiv zum Thema machen .
({2})
Das bisherige Konzept der EU muss jetzt kritisch überprüft werden . Sonst schliddern wir auch im zentralen und
südlichen Teil von Mali in eine kaum zu kontrollierende
Krise . Es wird höchste Zeit, dass die EU hier eine wirkliche Kraftanstrengung unternimmt und ihr Konzept überprüft und evaluiert .
({3})
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie legen uns hier eine zum Teil neue politische Begründung
für dieses Mandat vor . Sie erwecken im Text faktisch den
Eindruck, dass wir die Bundeswehr für - ich zitiere - „die
Umsetzung der migrationspolitischen Ziele der Bundesregierung“ nach Mali schicken . Das stand so nicht in der
Begründung für das letzte Mandat . Hier haben wir eine
deutliche politische Differenz . Um es klar zu sagen: Wir
setzen die Bundeswehr nicht, wie es bei Ihnen heißt, zur
verbesserten Migrationssteuerung in Afrika ein .
({4})
Wer so redet, der untergräbt die Legitimation des ganzen
UN-Einsatzes in Mali . Es geht eben nicht um eine Instrumentalisierung des UN-Einsatzes zur Friedenssicherung
für eine europäische Politik zur Abwehr der Migration .
Wer so etwas unterstellt - sei es auch unabsichtlich -, der
richtet enormen politischen Schaden an: für die UNO, für
das europäisch-afrikanische Verhältnis und nicht zuletzt
für die Bundeswehr .
({5})
Meine Damen und Herren von der Koalition, ich kann
Sie nur auffordern: Lassen Sie das sein!
In der Europäischen Union gibt es gerade eine Debatte
über die Reform des Instruments für Frieden und Stabilität . Es gibt Vorschläge, die Gelder für zivile Krisenprävention in Mittel für die militärische Ausrüstung von
Drittstaaten umzuwidmen, und EUTM Mali wird dabei
als mögliches Beispiel angeführt . Da bekommt der Text
in Ihrer Mandatsbegründung einen besonders schlechten
Beigeschmack . Ich sage Ihnen: So etwas ist dazu geeignet, den ganzen internationalen Einsatz in Mali in breiten Teilen unserer Gesellschaft zu diskreditieren . Gerade
weil wir diesen Einsatz für wichtig halten und ihn unterstützen, können wir davor wirklich nur warnen .
Danke für die Aufmerksamkeit .
({6})
Der Kollege Thomas Hitschler spricht jetzt für die
Fraktion der SPD .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mali ist eines der gefährlichsten EinsatzlänJürgen Hardt
der der Welt . Im vergangenen Jahr wurden dort - wir
haben das vorhin schon gehört - durch Terroranschläge
70 Menschen getötet und 184 verletzt . Auch in diesem
Jahr sieht es nicht besser aus . Am 18 . Januar ermordete
ein islamistischer Selbstmordattentäter in einem malischen Militärlager 77 Menschen und verletzte mindestens 150 weitere - nur einen Kilometer von der Bundeswehr entfernt . Vor allem der Norden des Landes wird von
Dschihadisten terrorisiert . Aber auch im Süden drohen
jederzeit Sprengfallen und Anschläge .
Bei einer solchen Lage müssen wir uns ganz genau
überlegen, ob, warum und wie wir deutsche Soldatinnen
und Soldaten einem solchen Risiko aussetzen wollen .
Wir müssen dafür sorgen, dass sie die beste und für den
Einsatz passende Ausrüstung bekommen . Hierbei gilt
es, Kolleginnen und Kollegen, aus den Fehlern von Afghanistan zu lernen . Die Soldatinnen und Soldaten im
Einsatz brauchen die richtige Ausrüstung von Anfang
an und nicht erst dann, wenn es brennt . Ebenso wichtig,
sehr geehrter Herr Staatssekretär - da bitte ich Sie auch
um Unterstützung -, sind die Betreuungseinrichtungen
vor Ort . Bitte sorgen Sie dafür, dass die OASE, also die
Einrichtung, in die sich die Soldatinnen und Soldaten zurückziehen können, schnellstmöglich fertig wird .
({0})
Soldaten brauchen materielle Unterstützung; sie brauchen aber auch moralische Unterstützung . Dazu gehört,
Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns als Parlament zu
unserer Parlamentsarmee bekennen . Dazu gehört, dass
wir uns, wenn nötig, vor unsere Soldatinnen und Soldaten stellen und nicht pauschale Urteile über sie fällen .
({1})
Kern des Mandats ist die Ausbildung der malischen
Streitkräfte . Seit Beginn der Trainingsmission wurden
etwa 10 000 Soldaten ausgebildet; das sind zwei Drittel
der malischen Armee . Das ist eine gute Arbeit im Sinne
der Sicherheit dieses Landes .
EUTM Mali ist keine isolierte Mission . Sie ist Teil eines vernetzten und umfassenden Ansatzes . Dazu gehören
die weit größere UN-Mission MINUSMA und EUCAP
Sahel Mali zur Ausbildung der malischen Polizei; wir
haben schon viel davon gehört . Gerade diese sicherheitspolitischen Maßnahmen schaffen die Voraussetzung für
weitere wichtige Projekte, die zur Stabilisierung Malis
dringend benötigt werden . Dazu gehört die Unterstützung der Kommission für Wahrheit, Justiz und Versöhnung . Dazu gehört die Zerstörung von Kleinwaffen .
Dazu gehören über 33 Millionen Euro für Krisenprävention und humanitäre Hilfsprojekte . Dazu gehören über
240 Millionen Euro im Rahmen bilateraler Zusagen für
Entwicklung und Zusammenarbeit seit 2013 . All diese
Projekte gehören zusammen und haben ein gemeinsames
Ziel: Frieden und Sicherheit für die Menschen in Mali
wiederherzustellen, Kolleginnen und Kollegen .
({2})
Dieses Ziel verfolgen wir, weil wir bei den Gräueltaten der Dschihadisten im Norden Malis nicht einfach
wegschauen können und weil wir es nicht dulden können, wenn im Norden Malis ein zweiter „Islamischer
Staat“ entsteht . Dieses Ziel verfolgen wir aber auch, weil
die Stabilität Malis für unsere eigenen sicherheitspolitischen Interessen eine enorme Bedeutung hat . Mali liegt
in Nordwestafrika ähnlich zentral wie Deutschland in
Europa. Damit hat es eine besondere geografische Bedeutung . Mali ist eine Drehscheibe für Handel, für Flüchtlingsbewegungen, aber auch für Waffenschmuggel . Ein
Failed State Mali wäre eine Katastrophe für die gesamte
Region, die bis an die Mittelmeerküste und damit bis vor
unsere Haustür reicht . Damit, Kolleginnen und Kollegen,
sind die Probleme Malis auch unsere Probleme hier in
Deutschland .
Die Frage, ob und warum wir uns in Mali engagieren sollten, sollte damit beantwortet sein . Auch zur Frage
nach dem Wie liegen uns konkrete Maßnahmen vor .
Funktioniert dieser Ansatz? Gibt es Fortschritte in
Mali? Die vorliegenden Berichte belegen: Ja, wenn
auch nur langsam . Zwar gibt es weiterhin 37 000 malische Binnenflüchtlinge; aber 80 Prozent konnten bereits
in ihre Heimatregionen zurückkehren . Das Friedensabkommen - wir haben es gehört - wird Stück für Stück
umgesetzt . Mitglieder der ehemaligen Rebellengruppen
wurden in die malischen Streitkräfte integriert . Auch sie
werden im Rahmen von EUTM Mali ausgebildet, genauso wie Verbindungsoffiziere der G 5 Sahel. In dieser
Gruppe arbeitet Mali mit den Nachbarstaaten Mauretanien, Niger, Burkina Faso und dem Tschad eng zusammen .
Das stärkt die grenzüberschreitende Handlungsfähigkeit
und damit die Sicherheit in der Region .
Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen Mali nicht alleinlassen . Deshalb unterstütze ich die Weiterführung
dieses Mandats ausdrücklich . Aber wir müssen auch klar
formulieren, welche Meilensteine erreicht sein müssen,
damit Mali wieder selbstständig für seine Sicherheit sorgen kann . Das wird seine Zeit in Anspruch nehmen . Aber
wir sollten vermeiden, dass wir in eine dauerhafte Präsenz ohne realistisches Ausstiegsszenario rutschen; denn
das würde am Ende weder uns helfen noch den Menschen in Mali .
Vielen Dank .
({3})
Für die Fraktion der CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr . Reinhard Brandl .
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich finde, die Debatte heute ist etwas unfair. Wir alle reden über die 150 Bundeswehrsoldaten bei EUTM Mali,
und bis auf die Linke loben wir sie auch alle; aber eigentlich hätten dieses Lob genauso verdient die Mitarbeiter, die im Auftrag des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung, des Landwirtschaftsministeriums, des
Umweltministeriums und des Innenministeriums in Mali
im Einsatz sind . Unser Dank gilt natürlich allen gleichermaßen .
({0})
- Der Applaus gibt mir, glaube ich, recht . - Ich wollte
mit dieser Aufzählung aber nicht nur danken, sondern
auch zeigen, was deutsche Sicherheitspolitik heute ist,
nämlich eine ressortübergreifende, vernetzte Antwort auf
eine mehrdimensionale Herausforderung, die gute Regierungsführung genauso im Blick hat wie zum Beispiel
die Ausbildung von Sicherheitskräften, den Aufbau von
Infrastruktur oder den Kampf gegen den Hunger .
Der Einsatz EUTM Mali ist in diesem Gesamtansatz ein
Puzzlestein mit dem Ziel der Ausbildung der malischen
Streitkräfte .
Meine Kolleginnen und Kollegen, wir erinnern uns:
2012 waren es diese Streitkräfte, die nicht in der Lage
waren, das Land und die Menschen dort vor den einfallenden Tuareg-Rebellen und den islamistischen Terroristen zu schützen . Infolge dessen ist vieles, was damals
über die Jahre hinweg in Mali an Entwicklung stattgefunden hat, zerstört worden . Das wird auch erst wieder
aufgebaut werden, wenn ein Mindestmaß an Sicherheit
herrscht: Sicherheit für die Bevölkerung und Sicherheit
für die Helfer . Die malischen Streitkräfte darauf vorzubereiten, ist Aufgabe von EUTM Mali . Hier geht es um
Leistungsfähigkeit, aber auch um die Integrität der Streitkräfte . Ob EUTM Mali ein Erfolg ist, wird man erst sehen, wenn es darauf ankommt, wenn die Streitkräfte der
malischen Armee richtig gefordert sind . Aber es wird in
keinem Fall gelingen, wenn die Streitkräfte keine Struktur haben, wenn sie keine Ordnung haben, wenn sie keine Kontrolle haben, wenn sie keine vernünftige Führung
haben und wenn Menschenrechte nicht beachtet werden .
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht völlig
ungewöhnlich, dass hier vor einer namentlichen Abstimmung dringender Gesprächsbedarf besteht . Trotzdem
bitte ich, diesem Gesprächsbedarf nicht in der Weise
nachzukommen, dass man dem Redner nicht mehr folgen
kann . Ich bitte also um etwas Disziplin .
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident . - Die Frage ist: Wird der
Auftrag ein Erfolg? Ich kann sagen: EUTM Mali hat sich
in den letzten Jahren gut entwickelt . Ich war 2013 zum
ersten Mal in Koulikoro, als dort mit der Ausbildung der
ersten Soldaten begonnen wurde . Das war damals noch
sehr improvisiert . Dort standen einige Baracken, und
die Ausbildung fand teilweise mit Holzgewehren statt;
wir haben darüber gesprochen . Im Vergleich dazu ist
festzustellen, dass sich die Mission hervorragend entwickelt hat . Ende letzter Woche kam die Meldung, dass
mittlerweile 10 000 Soldaten die Ausbildung durchlaufen haben . Das sind - Kollege Hitschler hat es vorhin
erwähnt - ungefähr zwei Drittel der malischen Armee .
Der letzte Lehrgang dauerte von Januar bis Ende April .
In diesem Lehrgang wurden erstmals die Führungskräfte
der malischen Armee ausgebildet - Stichwort: Train the
Trainer -, um sicherzustellen, dass die Ausbildungsinhalte des Lehrgangs immer wieder an die Truppe vermittelt
werden .
Wir haben im letzten Jahr das Mandatsgebiet erweitert mit dem Ziel, die Ausbildung auch in die Fläche zu
bringen . Das war ein Wunsch der malischen Armee, der
nachvollziehbar ist . Wer schon einmal in dem Land war
und gesehen hat, in welchem Zustand die Straßen sind,
weiß, dass das Sinn macht, um die Soldaten nicht Tausende von Kilometern transportieren zu müssen . Auch
das ist gut angelaufen . In Gao und Ségou fanden die ersten Ausbildungslehrgänge statt .
Es gibt einen weiteren Meilenstein, über den ich berichten möchte . Ende letzter Woche ist ein gemeinsamer
Lehrgang für Verbindungoffiziere der G 5 Sahel in Mali
zu Ende gegangen. Offiziere aus Mali, Burkina Faso,
Mauretanien, Niger und Tschad haben gemeinsam geübt,
um die Interoperabilität ihrer Streitkräfte zu verbessern
und die Zusammenarbeit im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, gegen grenzüberschreitende Kriminalität weiter zu stärken .
Meine Damen und Herren, all das sind wichtige
Schritte . EUTM Mali läuft gut und nimmt an Fahrt auf .
Aber das ist nur ein Puzzlestein eines Gesamtansatzes,
zu dem wir einen wichtigen Beitrag leisten . Wir leisten
auch mit anderen Puzzlesteinen Beiträge; ich habe die
anderen Ressorts erwähnt . Auch MINUSMA ist schon
angesprochen worden . Es wird noch lange dauern, bis
aus den einzelnen Puzzlesteinen ein rundes Bild entsteht .
Es bedarf unserer Geduld und wahrscheinlich auch noch
einiger Mandatsverlängerungen, bis wir sagen können:
Mali ist sicher, Mali ist stabil . Aber es ist in jedem Fall
besser, daran zu arbeiten, als zuzusehen, wie dieses Land
auseinanderfällt .
In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .
({0})
Abschließender Redner vor der dann folgenden namentlichen Abstimmung ist der Kollege Michael Vietz
für die Fraktion der CDU/CSU .
({0})
Ich bitte um die entsprechende Aufmerksamkeit .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Ist alles gut in Mali?
Sicherlich nicht . Aber ohne die Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft - und über einen Baustein dieser Einsätze reden wir heute - sähe es nach meiner tiefsten Überzeugung noch viel schlimmer aus . Seit Beginn
der europäischen Ausbildungsmission im Süden Malis ist
einiges im Friedensprozess bewegt worden . Diese Fortschritte würden wir riskieren, wenn wir unsere Beteiligung an EUTM Mali nicht fortsetzten, unsere Partner im
Stich ließen .
Erreicht die humanitäre Nothilfe die Menschen in
Mali, die diese wirklich benötigen? Gelingt unsere Entwicklungszusammenarbeit auch in entlegenen Teilen des
Landes? Wo in Mali finden wir eine funktionierende Zivilgesellschaft und staatliche Strukturen? Unser Einsatz
in Mali ist ein wichtiger Teil der Antwort auf diese Fragen .
Sicherheit, Stabilität, Frieden - diese Dreifaltigkeit
treibt uns in unserem Engagement weiter an . Wir wollen Perspektiven für die Menschen vor Ort mit entwickeln . Deutschland ist weiterhin bereit, Mali auf seinem
schwierigen und sicherlich langen Weg zu begleiten,
gemeinsam mit unseren Partnern . Wir stehen zu unserer
internationalen Verantwortung - auch aus eigenem Interesse .
Wir haben ein vitales Interesse daran, Terrorismus, Kriminalität, Armut und Elend entschieden zu bekämpfen .
Wenn wir diese Herausforderungen nicht vor Ort angehen, dann kommen sie - eine Binsenweisheit, die nicht
wirklich neu ist - unweigerlich zu uns .
Der Friedensprozess in Mali gestaltet sich zäh . Mit
Beginn des internationalen Engagements hat sich die
humanitäre Situation allgemein verbessert . Ein verlässlicher Zugang für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit ist aber immer noch nicht flächendeckend
gegeben .
Die Sicherheitslage ist fest verknüpft mit der Gemengelage im westlichen Afrika: fragile Staatlichkeit, internationale Terrornetzwerke und organisierte Kriminalität .
Sie destabilisieren die ganze Region und fachen den
Konflikt immer wieder an. Der Schmuggel von Drogen,
Waffen, Menschen ist allgegenwärtig . Dies hat Auswirkungen auf Deutschland und Europa; es wurde hier ausreichend dargestellt . Daher bleibt es richtig, dass wir uns
weiter in Mali einbringen .
({0})
Worum geht es konkret bei der Fortsetzung der europäischen Ausbildungsmission? Um die Weiterentwicklung
von Ausbildung und Beratung der malischen Sicherheitskräfte - den Ausbilder ausbilden -, um die Ausbildung
auch der Streitkräfte der übrigen G-5-Sahel-Staaten zur
Schaffung grenzübergreifender Handlungsfähigkeit, um
Schutz und Unterstützung im Sanitätsdienst und in der
Logistik, gerade auch um Unterstützung der Einsatzkräfte von MINUSMA im Norden Malis .
Durch die Fortsetzung des Mandats senden wir weiterhin ein deutliches Signal an unsere europäischen und
westafrikanischen Partner . Deutschland bleibt einer der
größten Truppensteller der Mission . Zahlreiche Soldatinnen und Soldaten dienen dort für unser Land . Erst im
März habe ich persönlich Panzerpioniere vom Standort
Holzminden, aus dem Zentrum meines Wahlkreises, nach
ihrem Einsatz in Mali wieder zu Hause begrüßen können .
Ein besonderes Merkmal unserer Pionierausbildung
ist die Vermittlung von Menschenrechten . Der menschenwürdige Umgang mit überwältigten Gegnern ist
seit Beginn der Mission ein wichtiger Bestandteil der
Ausbildung . Dies wird auch in der malischen Gesellschaft anerkannt . Das ist eine wichtige Botschaft und
spricht für die hervorragende Arbeit unserer Kräfte vor
Ort, für die Qualität unserer Bundeswehr .
({1})
Ich bin stolz auf unsere Soldatinnen und Soldaten und
dankbar für den Einsatz, den sie täglich leisten . Meine
besondere Anerkennung gilt ihren Angehörigen, die jeden Einsatz mittragen, den Vätern, Müttern und Kindern,
die mitfiebern.
({2})
Gleiches gilt für die zahlreichen zivilen Einsatzkräfte,
wie die Mitarbeiter des Roten Kreuzes und die Polizisten
von EUCAP sowie unsere Einsatzkräfte in der UN-Mission MINUSMA .
Wir verfolgen einen vernetzten Ansatz, auch mit bilateralen Abkommen . Projekte der zivilen Krisenprävention kombinieren wir mit Entwicklungszusammenarbeit .
Wir leisten einen ausgewogenen Beitrag zur langfristigen
Ertüchtigung Malis . Unser dortiges Engagement ist gut
abgestimmt . Ich bin der festen Überzeugung, dass Frieden, Stabilität und Sicherheit nur im Zusammenspiel aller Instrumente und Partner möglich sind .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Beteiligung
an der Mission ist weiterhin richtig und notwendig . Ich
bitte um Ihre Zustimmung .
Vielen Dank .
({3})
Vielen Dank . - Damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-
trag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung
bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Militärmissi-
on der Europäischen Union als Beitrag zur Ausbildung
der malischen Streitkräfte, EUTM Mali . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Druck-
sache 18/12205, den Antrag der Bundesregierung auf
Drucksache 18/11628 anzunehmen . Wir stimmen über
diese Beschlussempfehlung namentlich ab . Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze an den Urnen einzunehmen . - Ich bitte, mir ein
Zeichen zu geben, ob die Plätze an den Abstimmungsur-
nen alle besetzt sind . - Ich sehe, dass alle entsprechenden
Positionen besetzt sind . Deshalb kann ich die namentli-
che Abstimmung jetzt eröffnen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer ohne Wartezeit
seine Stimmkarte einwerfen möchte, sollte dies direkt
beim Rednerpult tun . Hier gibt es fast keine Kollegen,
die eine Stimmkarte einwerfen möchten .
Gibt es ein Mitglied des Hohen Hauses, das seine Stim-
me noch nicht abgegeben hat und das noch tun möchte? -
Ich sehe niemanden, der seine Stimmkarte noch nicht
abgegeben hat . Dann schließe ich jetzt die Abstimmung
und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen . Das Ergebnis der namentli-
chen Abstimmung wird Ihnen später mitgeteilt .1)
Ich bitte, jetzt Platz zu nehmen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Dr . Franziska
Brantner, Volker Beck ({1}), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht nicht
ungesühnt lassen
Drucksachen 18/10031, 18/10626
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck
({2}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Bundesverfassungsgerichtsgesetzes ({3})
Drucksache 18/8277
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({4})
Drucksache 18/12413
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({5}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Katja Keul, Renate Künast,
Dr . Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Internationale rechtliche Zusammenarbeit
stärken und ausbauen
Drucksachen 18/9675, 18/11780
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Widerspruch
dagegen erhebt sich keiner . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und bitte alle, die sich nicht
unmittelbar beteiligen wollen, entweder Platz zu nehmen
oder die wichtigen Gespräche außerhalb des Plenarsaals
fortzusetzen .
1) Ergebnis Seite 23692 C
Als erste Rednerin darf ich die Kollegin Dr . Ute
Finckh-Krämer für die Fraktion der SPD aufrufen .
({6})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Der vorliegende Antrag der Fraktion der Grünen mit dem Titel
„Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht nicht ungesühnt
lassen“ hat schon bei der ersten Lesung hier dazu geführt,
dass wir uns noch einmal überlegt haben, wie wichtig das
deutsche Völkerstrafgesetzbuch ist, das 2002 in zeitlichem Zusammenhang zur Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs in diesem Parlament einvernehmlich, also über Fraktionsgrenzen hinweg, verabschiedet
wurde .
Dieses Völkerstrafgesetzbuch schließt die Lücke, die
sich international dadurch ergibt, dass beim Internationalen Strafgerichtshof nur Verfahren geführt werden
können gegen Personen aus Staaten, die das Römische
Statut unterzeichnet und ratifiziert haben, oder aufgrund
einer Entscheidung des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen . In dem Antrag wird aufgeführt, dass wir zum
Beispiel bei Kriegsverbrechen und bei Verbrechen gegen
die Menschlichkeit in Syrien weder das eine noch das
andere als Grundlage haben . Inzwischen ist aber eine
ganze Menge Menschen aus Syrien nach Deutschland,
nach Europa geflohen. Diese Menschen können Informationen über das, was sie miterlebt haben, Informationen
über Verbrechen gegen die Menschlichkeit, über Kriegsverbrechen in Syrien - das sind teilweise ihre Fluchtgründe, die Fluchtursachen -, für eventuelle Verfahren in
Deutschland zur Verfügung stellen .
Deswegen hatten wir für den 26 . April 2017 den Leiter der Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen und weiteren Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch beim Bundeskriminalamt in den
Menschenrechtsausschuss, der mit diesem Antrag befasst
war, eingeladen . Er hat uns berichtet, dass das, was in
Asylverfahren zur Sprache kommt, oft an seine Zentralstelle im BKA weitergeleitet wird . Das Gleiche gilt für
den Generalbundesanwalt .
Sehr gefreut hat mich ein ausführlicher Bericht in der
tageszeitung, taz, vom letzten Freitag über mehrere Verfahren, die im Augenblick in Deutschland und in Spanien
aufgrund der Berichte von Flüchtlingen eingeleitet werden gegen konkret identifizierbare Personen. Dazu trägt
unser Völkerstrafgesetzbuch bei . Darüber können wir
froh sein .
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um der Organisation, die solche Klagen hier in Europa unterstützt, dem
Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte, ausdrücklich zu danken . Denn eine der Stärken
solcher Nichtregierungsorganisationen mit Fachjuristen
ist, dass sie über diese besondere Expertise zu internationalem Recht verfügen .
({0})
Vizepräsident Johannes Singhammer
Insofern hat der Antrag zum Völkerstrafrecht auf jeden
Fall etwas mitbewirkt . Ich hoffe, dass wir uns über weitere Fortschritte in dieser Hinsicht freuen können .
Danke .
({1})
Der Kollege Dr . Alexander Neu spricht jetzt für die
Fraktion Die Linke .
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr
Präsident! Wir reden heute über zwei Anträge und einen
Gesetzentwurf der Fraktion der Grünen . Der erste Antrag
trägt den Titel „Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht
nicht ungesühnt lassen“ . Die Überschrift ist allerdings
irreführend, suggeriert sie doch eine allgemeingültige
Forderung, nämlich die Verfolgung der Täter ungeachtet der staatlichen Herkunft und des politischen Status .
Im Feststellungsteil wird dann Klartext geredet. Es findet
eine zeitliche und räumliche Eingrenzung statt: Irak und
Syrien, und das seit 2012 . Hinzu kommt: Der künftige
Straftatbestand des Angriffskrieges wird nicht genannt .
Diese Eingrenzung verdeutlicht: Es geht konkret gegen den IS, gegen die syrische Regierung und allenfalls
noch gegen die kurdischen Peschmerga . Der Umkehrschluss ist: Ausgenommen davon sind, auch wenn sie
Blut an den Händen haben, Teile der internationalen Gemeinschaft sowie die sogenannte moderate Opposition .
Ich finde eine Tätereingrenzung erstaunlich angesichts
von rund 1,3 Millionen getöteten Zivilisten, die auf das
Konto des US-geführten Kriegs gegen den Terror gehen .
Nicht wenige dieser Opfer sind keine Kollateralschäden - allein dieser Begriff ist schon pervers -, sondern
Opfer unmittelbarer Kriegsverbrechen oder Verbrechen
gegen die Menschlichkeit, zum Beispiel wurde 2004 in
Falludscha mit Phosphorbomben gearbeitet .
Warum aber diese zeitliche und räumliche Eingrenzung? Warum die Auslassung des künftigen Straftatbestandes des Angriffskrieges? Die relevanten Angriffskriege der letzten 20 Jahre kamen vom Westen:
NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999, US-geführter Angriffskrieg gegen den Irak 2003 . Warum sollen
nicht auch westliche Politiker bei entsprechenden Straftaten zur Verantwortung gezogen werden? Ich verstehe
es nicht .
({0})
Die Frage bleibt: Warum wollen die Grünen das in ihrem
Antrag nicht?
({1})
Mein Fazit lautet: Der Antrag der Grünen ist ein Beitrag des in Teilen erfolgreichen Projekts des Westens,
den globalen Süden mit einseitiger Anwendung der
Strafrechtsnormen zu knebeln, sprich: unliebsame Regierungen strafrechtlich zu verfolgen oder aber durch
Einschüchterung gefügig zu machen .
({2})
Solche Maßnahmen tragen dazu bei, dass die ersten Staaten bereits die Zusammenarbeit mit dem Internationalen
Strafgerichtshof aufkündigen . Die Linke muss diesen
Antrag aufgrund seiner Einseitigkeit ablehnen .
({3})
Dem zweiten Antrag mit dem Titel „Internationale
rechtliche Zusammenarbeit stärken und ausbauen“ kön-
nen wir - ich fasse mich kurz - zustimmen .
Abschließend komme ich zum Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes .
Ziel ist die Schließung einer Rechtslücke . Worin besteht
diese Rechtslücke? Sie besteht darin, dass eine materielle
verfassungsrechtliche Prüfung der Bundestagsbeschlüs-
se zur Entsendung der Bundeswehr in Auslandseinsätze
auf Initiative der Opposition nicht möglich ist . Die Or-
ganklage ebenso wie das Verfahren der abstrakten Nor-
menkontrolle scheiden als Klageweg laut herrschender
Rechtsauffassung bislang aus . Die Linke hat in Karlsruhe
geklagt - das Verfahren ist immer noch anhängig -, um
eine Klärung herbeizuführen .
Die Lösungsvorschläge im Gesetzentwurf, um die be-
stehende Rechtslücke zu schließen, sind a) eine Erwei-
terung des Verfahrens der abstrakten Normenkontrolle
oder b) die Schaffung einer neuen Klageart durch den
Deutschen Bundestag . Dem stimmen wir ausdrücklich
zu .
Dennoch gibt es eine kleine Kritik an dem Gesetzentwurf, und zwar mit Blick auf das Quorum . Hier wird
seitens der Grünen wieder mit angezogener Handbremse
gearbeitet . Das vorgeschlagene Quorum soll verhindern,
dass die Linke auch allein gegen Auslandseinsätze klagen kann, wenn die Grünen gegebenenfalls einen Auslandseinsatz unterstützen wollen .
({4})
Die Linke fordert: Eine einzige Fraktion im Deutschen Bundestag muss die Möglichkeit zur Klage haben .
Denn die Prüfung der materiellen Verfassungskonformität bei rechtlich umstrittenen Auslandseinsätzen der Bundeswehr darf nicht am Quorum scheitern, sondern muss
rechtlich geklärt werden .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank . - Ich darf jetzt das Ergebnis der eben
erfolgten namentlichen Abstimmung über den Antrag
der Bundesregierung mit dem Titel „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Militärmission der Europäischen Union als Beitrag zur Ausbildung der malischen Streitkräfte ({0})“ auf
den Drucksachen 18/11628 und 18/12205 bekanntgeben:
abgegebene Stimmen 565 . Mit Ja haben gestimmt 500,
mit Nein haben gestimmt 64, Enthaltungen 1 . Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 565;
davon
ja: 500
nein: 64
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({1})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Axel E . Fischer ({2})
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr . Astrid Freudenstein
Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Frank Heinrich ({3})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann ({4})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Dr . Georg Kippels
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({5})
Reiner Meier
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller ({6})
Stefan Müller ({7})
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr . Martin Pätzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Vizepräsident Johannes Singhammer
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({8})
Dr . Wolfgang Schäuble
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt ({9})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({10})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder ({11})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({12})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Tino Sorge
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Volkmar Vogel ({13})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({14})
Peter Weiß ({15})
Sabine Weiss ({16})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({17})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({18})
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Michael Hartmann ({19})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({20})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Frank Junge
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Lars Klingbeil
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({21})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({22})
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir ({23})
Markus Paschke
Detlev Pilger
Florian Post
Achim Post ({24})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({25})
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({26})
Matthias Schmidt ({27})
Dagmar Schmidt ({28})
Carsten Schneider ({29})
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz ({30})
Ewald Schurer
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Rüdiger Veit
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({31})
Volker Beck ({32})
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({33})
Christian Kühn ({34})
Markus Kurth
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({35})
Elisabeth Scharfenberg
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms
Fraktionslos
Erika Steinbach
Nein
SPD
Ulrike Bahr
Klaus Barthel
Marco Bülow
Dr . Ute Finckh-Krämer
Wolfgang Gunkel
Cansel Kiziltepe
Waltraud Wolff ({36})
DIE LINKE
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W . Birkwald
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr . Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . André Hahn
Dr . Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Norbert Müller ({37})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({38})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
({39})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Corinna Rüffer
Hans-Christian Ströbele
Enthalten
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Monika Lazar
Wir fahren in der Aussprache zum Tagesordnungspunkt 15 fort . Das Wort hat der Kollege Dr . Hendrik
Hoppenstedt für die CDU/CSU-Fraktion .
({40})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bündnis 90/Die Grünen möchten mit
dem Gesetzentwurf erreichen, dass Auslandseinsätze der
Bundeswehr vom Bundesverfassungsgericht überprüft
werden können . Es wird richtigerweise ausgeführt, dass
derzeit keine Möglichkeit zur rechtlichen Überprüfung
besteht, auch wenn im Falle einer Nichtbeteiligung des
Bundestages natürlich ein Organstreitverfahren möglich
und häufig genug auch schon angewandt worden ist.
Um es vorweg zu sagen: Für mich, vor allen Dingen
aber auch für meine Fraktion ist es eine Selbstverständlichkeit, dass wir unsere Soldatinnen und Soldaten nur
in einen solchen Einsatz entsenden, der mit unserem
Grundgesetz vereinbar ist .
({0})
Nun wirft uns die Opposition vor, dass einige Einsätze
verfassungswidrig seien . Ich möchte das nachdrücklich
zurückweisen .
({1})
Zwar sehe ich zum Beispiel in Bezug auf unseren Einsatz im Nordirak die vom Auswärtigen Amt ins Spiel
gebrachte Rechtsgrundlage des Artikels 24 Absatz 2 unseres Grundgesetzes kritisch, weil ein formeller UN-Sicherheitsratsbeschluss, der eigentlich vorhanden sein
müsste, tatsächlich fehlt,
({2})
das heißt aber noch lange nicht, dass der Einsatz rechtswidrig wäre . Artikel 87a Grundgesetz, der auf Verteidigung abstellt, ist in den Augen fast aller Experten,
übrigens auch des Wissenschaftlichen Dienstes dieses
Hauses, eine tragfähige Rechtsgrundlage . Sie hätte im
Übrigen gegenüber Artikel 24 Absatz 2 unseres Grundgesetzes den Vorteil,
({3})
dass wir nicht mehr, wie im Sicherheitsrat jetzt notwendig, auf das Wohlwollen von Russland oder China angewiesen wären, um unsere Bundeswehr in den Einsatz
schicken zu können .
({4})
Ich halte diese Unabhängigkeit für einen souveränen
Staat eigentlich für eine Selbstverständlichkeit .
({5})
Meine Damen und Herren, anders als in fast allen anderen Staaten dieser Welt entscheidet bei uns der gesamte
Deutsche Bundestag über die Frage, ob die Bundeswehr
in einen Einsatz geschickt wird oder nicht, und nicht,
wie fast überall sonst, ein einzelner Premierminister oder
Staatschef .
({6})
In Artikel 20 unseres Grundgesetzes steht, dass wir
alle als Gesetzgeber an unser Grundgesetz gebunden
sind . Wir müssen uns also, wenn wir über einen Bundeswehreinsatz entscheiden, jedes Mal kritisch die Frage
stellen, ob er denn nun verfassungsgemäß ist oder nicht .
Sonst dürften wir ihm ja gar nicht zustimmen .
({7})
Dem misstrauen Bündnis 90/Die Grünen ganz offensichtlich . Daher gibt es jetzt diesen Gesetzentwurf .
({8})
Meine Damen und Herren, wir werden diesen Gesetzentwurf aus vier Gründen ablehnen .
Erstens . Es gibt kein Oppositionsrecht, nach Karlsruhe
gehen zu können, und wir sind Ihnen gleich zu Beginn
dieser Wahlperiode bei der Anwendung von Minderheitenrechten weit entgegengekommen .
({9})
Zweitens . Der Gesetzentwurf ist handwerklich
schlecht .
({10})
- Hören Sie doch erst einmal zu! - Sie möchten de facto,
dass drei Viertel aller Abgeordneten der Oppositionsfraktionen Karlsruhe anrufen können . Das ist sozusagen das,
was im Sinn rüberkommt . Da das Bundesverfassungsgericht in 2016 ausgeurteilt hat, dass Oppositionsfraktionsrechte nicht existieren, orientieren Sie sich bei der
Bemessung des Quorums an der Anzahl derjenigen Abgeordneten, die die Bundesregierung nicht tragen . Nun
sind auch Oppositionsabgeordnete kein Stimmvieh und
unterliegen hoffentlich keinem Fraktionszwang .
({11})
- Ich habe „auch“ gesagt . - Insoweit stellt sich also die
Frage, wie man feststellt, welcher Abgeordnete denn nun
eigentlich die Regierung trägt und welcher nicht . Man
müsste wahrscheinlich jeden Morgen, wenn sich die Abgeordneten mit ihrer Unterschrift in die Anwesenheitsliste eintragen, gleichzeitig abfragen, ob sie die Bundesregierung tragen oder nicht,
({12})
um das notwendige Quorum zu ermitteln . Schon deswegen ist der Gesetzentwurf ablehnungswürdig .
({13})
Drittens . Auch rechtssystematisch passt der Gesetzentwurf nicht . In nahezu allen Klageverfahren, die das deutsche Recht kennt - auch in den Klageverfahren vor dem
Bundesverfassungsgericht -, muss der Kläger eine Verletzung seiner eigenen subjektiven Rechte geltend machen . Nur dann hat er eine Klagebefugnis . Das gilt zum
Beispiel für das Organstreitverfahren, das Bund-LänDr. Hendrik Hoppenstedt
der-Streitverfahren und auch die Verfassungsbeschwerde . Anderes gilt in der Tat für die abstrakte Normenkontrolle, mit der meines Wissens jedenfalls nicht Beschlüsse
des Deutschen Bundestages angegangen werden können,
sodass das Argument auch in dem Fall leider nicht zieht .
({14})
Viertens . Angesichts der Tatsache, dass zum Beispiel
die Linken gegen jegliche Auslandseinsätze sind, würde
Karlsruhe wahrscheinlich bei allen Einsätzen zu einer
dauerhaften Kontrollinstanz bezüglich dieser Frage werden .
Ich halte die Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichtes in unserer gelebten Verfassungswirklichkeit
schon jetzt für ausgesprochen weitreichend, und ich habe
kein Bedürfnis, diese weitreichenden Kompetenzen noch
weiter zulasten des Deutschen Bundestages, der übrigens
das einzig direkt gewählte Verfassungsorgan in Deutschland ist, auszuweiten und zu verschieben .
Von den Auswirkungen auf die Bündnisfähigkeit unseres Landes will ich gar nicht erst sprechen . Wir würden
als NATO-Partner, aber auch als Teilnehmer an UN-Einsätzen zu Recht nicht mehr ernst genommen werden .
Herzlichen Dank .
({15})
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Katja Keul .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Kollege Neu hat, glaube ich, zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Strafbarkeit des
Angriffskrieges gesprochen . Die Kritik daran teile ich,
aber das steht hier gar nicht zur Debatte .
({0})
Wir haben Ihnen heute drei grüne Antragsinitiativen
zur Abstimmung vorgelegt, die auf den ersten Blick zwar
sehr unterschiedlich aussehen, aber alle eine gemeinsame
Klammer haben . Ob Völkerstrafrecht, Verfassungsrecht
oder internationale rechtliche Zusammenarbeit: Immer
geht es um Frieden als übergeordnetes Ziel und um die
Stärke des Rechts, kurz: um Frieden durch Recht .
Wie wichtig gerade die rechtliche Aufarbeitung für
die Opfer brutalster Gewalt ist, haben uns die jesidischen
Verbände eindrucksvoll verdeutlicht, die uns im letzten
Jahr mehrfach im Bundestag besucht haben . Sie sind
2014 Opfer eines Völkermordes geworden . Dennoch fordern sie weder Rache noch Waffen, sondern justizielle
Aufklärung . Die Täter sollen ermittelt und vor Gericht
gestellt werden .
Da weder Syrien noch der Irak Vertragsstaaten des
Internationalen Strafgerichtshofes sind, kann dessen Zuständigkeit leider nur durch einen Beschluss des Sicherheitsrates herbeigeführt werden . Eine solche Resolution
ist in Bezug auf Syrien im Mai 2014 leider gescheitert .
Deswegen ist es gut, dass sich die Bundesanwaltschaft
der Aufgabe stellt, bei Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht selbst zu ermitteln und Zeugenaussagen zu sammeln . Dabei sollte sie jede erdenkliche Unterstützung
bekommen .
({1})
Zudem hat die UN-Vollversammlung im Dezember
letzten Jahres einen Mechanismus zur Unterstützung
von Strafermittlungen durch einzelne Mitgliedstaaten
beschlossen . Hier sollte es unbedingt eine gute Zusammenarbeit geben .
Auch wenn eine Überweisung an den Strafgerichtshof für Syrien bereits einmal gescheitert ist, sollten wir
nicht aufgeben . Was spricht dagegen, es wenigstens für
die Menschenrechtsverbrechen auf dem Gebiet des Iraks
noch einmal zu versuchen, da doch die politische Interessenlage der Großmächte dort durchaus eine andere ist?
Die gemeinsame Resolution vom November 2015 zeigt,
dass nicht jeder Versuch vergebens ist, wenn der ernsthafte politische Wille vorhanden ist .
Kontraproduktiv war es allerdings, dass die Resolution vom November 2015 gleich wieder ausgenutzt wurde,
um ein militärisches Eingreifen in Syrien zu begründen,
obwohl die Einigung doch gerade nur deshalb zustande
kam, weil der Wortlaut dies gerade nicht legitimiert .
Damit komme ich zu einem weiteren Antrag von
uns . - Die Bundeswehr beteiligt sich seit Ende 2015 am
Luftkrieg über Syrien, obwohl es dafür kein UN-Mandat
gibt . Die Bundeswehr agiert damit außerhalb eines Systems kollektiver Sicherheit im Rahmen einer Koalition
der Willigen . Das ist ein Verstoß gegen Artikel 24 unseres Grundgesetzes und damit verfassungswidrig .
Der Hinweis auf diese Norm ist weder Rechtsförmelei
noch antiquiert, sondern aktueller denn je . Die Anwendung militärischer Gewalt kann immer nur dann zur
Konfliktbeendigung beitragen, wenn sich die internationale Gemeinschaft über die gemeinsamen Ziele und die
Strategie einig ist . Ohne diese Voraussetzung ist sie weder legitim noch ein geeignetes Mittel, um das Morden
zu beenden .
({2})
Nun wissen wir zu gut, dass es auch bei Ihnen in der
Koalition erhebliche Zweifel daran gibt, ob die Voraussetzungen nach Artikel 24 Grundgesetz vorliegen . Es
wäre daher in unser aller Sinne, dass diese bedeutsame
Frage vom Verfassungsgericht geklärt werden könnte .
Leider gibt es aber für eine solche Vorlage bislang keinen
Rechtsweg zum Verfassungsgericht .
Um Klarheit zu schaffen, schlagen wir vor, die Klagemöglichkeiten im Bundesverfassungsgerichtsgesetz um
die Überprüfung von Auslandseinsätzen des Militärs zu
ergänzen . Wir brauchen eine solche Klärung umso drinDr. Hendrik Hoppenstedt
gender, als die Verteidigungsministerin in ihrem Weißbuch bereits angekündigt hat, dass ein Einsatz, wie er
jetzt in Syrien stattfindet, keinesfalls eine Ausnahme
bleiben, sondern vielmehr eine Blaupause für die Einsätze der Zukunft sein soll .
In unserem dritten Antrag werden die Stärkung und
der Ausbau der internationalen rechtlichen Zusammenarbeit gefordert . Wenn wir rechtzeitig Richter, Staatsanwälte und Verwaltungsjuristen für die Rechtsstaatsförderung in krisengeschüttelte Regionen schicken, brauchen
wir am Ende vielleicht keine Soldatinnen und Soldaten
zu entsenden . Das gilt genauso in der Zeit nach einem
bewaffneten Konflikt.
Ein Land, in dem eine Gewaltherrschaft mit Gewalt
beendet wurde, findet noch lange keinen Frieden, erst
recht nicht, wenn beispielsweise wie in Libyen keinerlei rechtsstaatliche Fundamente vorhanden sind, auf die
die Menschen aufbauen können . Ohne internationale
Hilfe und ohne Übergangsjustiz hatten die Libyer keine
Chance, wenigstens die schlimmsten Kriegsverbrechen
juristisch aufzuklären und einen Weg zur Versöhnung zu
finden.
Lassen Sie uns also künftig mehr in die Rechtsstaatsförderung investieren, sowohl zur Krisenprävention
als auch zur Post-Konflikt-Bearbeitung. Frieden durch
Recht ist ein langer und mühevoller Weg, aber allemal
erfolgversprechender als alles andere .
Vielen Dank .
({3})
Die Kollegin Bettina Bähr-Losse spricht als Nächste
für die Fraktion der SPD .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Der freie Zugang
zum Recht und zu einem funktionierenden Justizwesen
ist unerlässliche Voraussetzung für einen stabilen und
nachhaltigen Frieden . Diese Voraussetzung ist bei uns,
anders als in vielen fragilen Staaten, Nachkriegsgesellschaften und Autokratien, glücklicherweise gegeben .
Es liegt daher nahe, dass die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen fordert, die internationale rechtliche Zusammenarbeit zu stärken und auszubauen . Konkret werden fünf
Forderungen aufgestellt .
Die erste Forderung lautet: Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Stärkung des internationalen Einsatzes von
Justizbediensteten möge zügig ihre Arbeit aufnehmen .
({0})
Fakt ist: Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat bereits im
November letzten Jahres getagt und vereinbart, die Abstimmung zwischen Bund und Ländern durch einen gezielten und regelmäßigen Austausch zu verbessern .
Die zweite Forderung lautet: Im deutschen Recht soll
die Freistellung von Juristinnen und Juristen verschiedener Berufsgruppen besser ermöglicht und Stellen im
Bereich der Justiz geschaffen werden, auf die von den
Ländern freigestellte Justizbedienstete für die Dauer des
Auslandseinsatzes abgeordnet werden können .
({1})
Fakt ist: Es bestehen bereits jetzt die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen, um eine Entsendung, Zuweisung oder Sekundierung von Personen der infragekommenden Berufsgruppen zu ermöglichen .
Die dritte Forderung lautet: Die Bundesregierung soll
sich dafür einsetzen, dass auf Ebene der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa über deren
Programme zur rechtlichen Zusammenarbeit Angebote
zu allen Rechtsbereichen, also Straf-, Zivil-, Staats- und
Verwaltungsrecht, bereitgehalten werden .
({2})
Fakt ist: Nichts ist so gut, als dass es nicht besser werden
könnte . Weitere Optimierungen sind meistens möglich .
({3})
Allerdings wird bereits jetzt über die Tätigkeit des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz
und der Deutschen Stiftung für internationale rechtliche
Zusammenarbeit ein breites Fachspektrum abgedeckt,
das über das Strafrecht hinaus insbesondere auch das
Verfassungs- und Verwaltungsrecht umfasst .
In den Forderungen 4 und 5 des Antrags wird die Bereitstellung von Geld für Werbung gefordert .
({4})
Was damit konkret gemeint ist, lässt der Antrag leider
offen . Fakt ist: Das Bundesministerium der Justiz und
für Verbraucherschutz wirbt bereits jetzt in Gesprächen
mit den Ländern sowie der Bundesrechtsanwaltskammer,
dem Deutschen Anwaltverein, der Bundesnotarkammer
und anderen Institutionen für den Einsatz von Rechtsexpertinnen und -experten an internationalen Friedens- und
Rechtsstaatsmissionen . Schulungs- und Werbemaßnahmen werden bereits durchgeführt .
Abschließend bleibt festzustellen, dass der Antrag
suggeriert, dass internationale rechtliche Zusammenarbeit nicht stattfinde und von der Regierungskoalition
vernachlässigt werde .
({5})
Ich hoffe, dass ich mit meinen Ausführungen dazu beitragen konnte, aufzuzeigen, dass das Gegenteil der Fall ist .
Internationale rechtliche Zusammenarbeit liegt selbstverständlich im Interesse der SPD-Bundestagsfraktion .
Der freie und gleiche Zugang zum Recht und zu einem
funktionierenden Justizwesen ist unerlässliche VorausKatja Keul
setzung für einen stabilen und nachhaltigen Frieden und
eine funktionierende Demokratie .
Die mit dem Antrag gestellten Forderungen werden
aber bereits erfüllt . An Verbesserungen wird bereits an
vielen Stellen gearbeitet . Deshalb ist der Antrag abzulehnen .
Vielen Dank .
({6})
Vielen Dank . - Dr . Patrick Sensburg hat als Nächster
das Wort für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Nachdem die letzten beiden Vorrednerinnen gerade auf den Antrag eingegangen sind, der die rechtliche
Zusammenarbeit stärken möchte, der darauf ausgerichtet
ist, die internationale rechtliche Zusammenarbeit zu stärken und auszubauen, möchte auch ich noch einmal auf
diesen wesentlichen Punkt eingehen; denn ich glaube, es
ist gut, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen den Fokus auf ein so wesentliches Thema lenkt .
({0})
Ich finde den Antrag von seiner Intention her wirklich
berechtigt .
({1})
Wir haben auch im Ausschuss darüber diskutiert, Frau
Kollegin Keul . Sie haben dieses Thema stark vorangebracht. Ich finde das richtig. Ich werde noch einiges zum
Inhalt sagen, aber ich glaube, mit der Debatte sind wir
auf dem richtigen Weg .
Als Intention haben Sie den freien und gleichen Zugang zum Recht und zu einem funktionierenden Justizwesen genannt . Das, sagen Sie, sei die unerlässliche
Voraussetzung für Stabilität und Nachhaltigkeit . Das ist
so, und das ist richtig . Deshalb bemühen wir uns ganz
vielfältig - das beschreiben Sie auch in Ihrem Antrag -,
über viele Organisationen - die IRZ-Stiftung wurde
schon genannt, aber beispielsweise auch über die politischen Stiftungen - einen intensiven Rechtsstaatsdialog
zu betreiben, die Voraussetzungen für einen demokratischen Staat in Ländern zu etablieren und Wissenstransfer
zu leisten . Von daher gibt es bereits einen Ansatz .
Frau Bähr-Losse hat auch gerade beschrieben, was wir
in diesem Bereich schon alles machen . Die Erkenntnis,
dass Rechtsstaatsdialog und Demokratietransfer wichtig
sind, haben wir, und deswegen ist der Antrag auch richtig .
({2})
Ich glaube, dass es wichtig ist, in den Staaten, in denen wir die Chance haben, Grundlagen der Demokratie
zu stärken, zu etablieren und wesentliche Aspekte der
Gewaltenteilung, aber auch des Funktionierens eines
Staates voranzutreiben, dies auch zu tun . Da sollten wir
nicht warten, bis möglicherweise in fragilen Strukturen
im Grunde die nicht demokratisch legitimierte Seite die
Macht ergreift und die kleinen demokratischen Strukturen, die sich teilweise herausgebildet haben, zerstört
werden .
Deswegen haben wir auch darüber diskutiert, was wir
machen können, um Staaten dabei zu unterstützen . Ich
denke beispielsweise an den Südsudan, wo in einem Gesellschaftsdiskurs, in einem demokratischen Dialog gerade versucht wird, den nächsten Schritt zu gehen, nämlich
eine Verfassung zu schreiben . Hier müssen wir darüber
nachdenken, ob wir die Strukturen, die wir zum Beispiel
mit der IRZ-Stiftung haben, nicht unterstützen und stärken sollten, um ganz konkrete Projekte zu machen .
Das ist der Punkt, an dem ich sage: Da müssen wir
mit dem Antrag einen Schritt weitergehen . Wir haben
auch schon den Dialog gesucht, und wir müssen jetzt ein
bisschen weiter in die Tiefe gehen und überlegen, ob wir
nicht beispielsweise für die IRZ-Stiftung für ganz konkrete Projekte, zum Beispiel für den Verfassungsprozess
im Südsudan, Gelder bereitstellen, um ihn damit unterstützen zu können .
Deutschland engagiert sich da zum Beispiel auch mit
dem Max-Planck-Institut in Heidelberg . Das ist ein unheimlich spannender Prozess, bei dem - das ist wirklich
interessant - auch wir lernen, unsere demokratischen
Strukturen immer wieder zu hinterfragen und zu stärken;
denn man sieht im Diskurs mit diesen Ländern, welche
Probleme auftauchen können .
Deswegen würde ich sagen, dass alle Fraktionen insbesondere dann, wenn die Kollegen von den Linken
einmal aufpassen und die richtigen Anträge lesen ({3})
sich diesen Antrag vornehmen und überlegen, für welche
Institutionen und politischen Stiftungen - die IRZ-Stiftung und das Max-Planck-Institut hatte ich gerade genannt; dort würde es, glaube ich, gut passen - Mittel im
Haushalt eingestellt werden können, um in den Ländern,
die wir auf dem Weg zu Demokratie und Rechtsstaat unterstützen wollen, konkrete Projekte weiter zu fördern .
Für den Antrag wünsche ich mir mehr Konkretheit
und Fakten . Natürlich ist es richtig, dass wir Staatsanwälte und Richter, vielleicht aber auch einmal Rechtsanwälte entsenden . Auch das würde mich freuen . Für die ist
es natürlich manchmal etwas schwieriger . Aber warum
eigentlich sollte es nicht auch über die Kammern, den
DAV und die BRAK Möglichkeiten geben, Anwälte in
diese Länder zu schicken?
Wir sollten also einmal schauen, welche Möglichkeiten und Rahmen wir schaffen müssen . Dabei handelt es
sich ja oft um eine Länderthematik . Den Ländern fällt
es schwer, Staatsanwälte und Richter freizustellen und
sie beispielsweise für ein Jahr in ein anderes Land zu
entsenden . Was können wir machen, um dies zu unterstützen? Auch da sind es, glaube ich, wieder Akteure
wie Stiftungen und Institutionen, die das zum Beispiel
über Drittmittelprojekte ermöglichen könnten . Beim
Max-Planck-Institut ginge so etwas . Dort unterrichten
viele Staatsanwälte und Lehrer nebenamtlich . Wir sollten
das befördern, um hinzubekommen, dass Rechtsstaatsdialog und Demokratietransfer wirklich funktionieren .
Ich würde raten, diesen Antrag in seiner Kürze und
Knappheit heute nicht anzunehmen, aber den Diskurs insbesondere im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz - weiter zu führen, um die Gelder, die wir, glaube
ich, finden könnten, für diese aus meiner Sicht im Hinblick auf Ihre Intention richtigen Dinge, die wir anpacken
sollten, bereitstellen zu können .
Danke schön .
({4})
Vielen Dank . - Die Aussprache ist damit beendet .
Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 15 a zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte
und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Verbrechen nach dem
Völkerstrafrecht nicht ungesühnt lassen“ . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10626, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/10031 abzulehnen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen
angenommen .
Unter Tagesordnungspunkt 15 b stimmen wir über
den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes ab . Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12413, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8277 abzulehnen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Opposition abgelehnt . Damit entfällt
nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung .
Unter Tagesordnungspunkt 15 c kommen wir zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen mit dem Titel „Internationale rechtliche Zusammenarbeit stärken und ausbauen“ . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11780, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/9675 abzulehnen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Opposition angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses
({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der durch die Europäische Union geführten EU NAVFOR
Somalia Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias
Drucksachen 18/11621, 18/12207
- Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/12208
Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Dagmar Freitag für die SPD-Fraktion .
({2})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Erneut befinden wir heute über die Operation
Atalanta . Sie hat - ich denke, darin sind wir uns alle einig - in den vergangenen Jahren ganz unbestritten dazu
beigetragen, die Piraterie am Horn von Afrika erheblich zurückzudrängen . Bereits seit 2008 beteiligt sich
Deutschland an der Marinemission und schützt somit
auch die Transporte des Welternährungsprogramms, der
Mission der Afrikanischen Union sowie Seeleute und
Handelsschiffe . Lassen Sie uns kurz zurückschauen . Gab
es zwischen 2008 und 2012 noch knapp 600 Übergriffe
auf Schiffe, sind es zwischen 2013 und 2017 weniger als
10 . Das ist ein großer Erfolg dieser Mission .
({0})
Nach Angaben der Bundeswehr konnte auf diese Weise
die Auslieferung von 1,3 Millionen Tonnen Hilfsgüter
nach Somalia sichergestellt werden . Ich denke, an dieser
Stelle ist es angebracht, den Soldatinnen und Soldaten,
die sich in diesem Einsatz engagieren, ein herzliches
Dankeschön von unserer Seite für ihre hervorragende
Arbeit zu sagen .
({1})
Natürlich leisten sie damit gleichzeitig einen entscheidenden Beitrag zur Stabilisierung dieser doch sehr gebeutelten Region .
Ohne eine grundlegende Verbesserung der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse in dem Land wird es keine nachhaltige Sicherung
der Seewege geben . Jahrzehntelanger Bürgerkrieg hat das wissen wir - Anarchie im Land hinterlassen, eine
Sicherheitslage, die mit „fragil“ nur unzureichend beschrieben ist . Das ostafrikanische Land zählt noch immer
zu den ärmsten, aber auch zu den gefährlichsten Staaten
der Welt . Außerhalb der Stadtgrenzen von Mogadischu
beispielsweise haben staatliche Institutionen kaum Kontrolle . In Zentralsomalia und auch im Süden gibt es weiterhin komplexe Angriffe der islamistischen Terrororganisation al-Schabab .
Über 1 Million somalischer Flüchtlinge sind laut
UNHCR in benachbarten Ländern am Horn von Afrika registriert . Auch aufgrund der anhaltenden schweren
Dürre steht diesem Krisenstaat wohl erneut eine humanitäre Katastrophe bevor . 2011 sind - ich darf das in
Erinnerung rufen - bereits 250 000 Menschen verhungert . Nach UN-Angaben sind derzeit rund 50 Prozent der
Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen, allein
2,9 Millionen Menschen auf die Verteilung von Nahrungsmitteln . Das Kinderhilfswerk rechnet in diesem
Jahr mit 1,4 Millionen akut mangelernährten Kindern .
Auch die medizinische Grundversorgung kann nicht gewährleistet werden .
Die Entwicklung Somalias zu einem stabilen Staat ist
zweifellos eine langfristige Aufgabe . Das Land braucht
Hilfe vor allem in der Verwaltung, in der Justiz und im
Sicherheitssektor .
({2})
Dazu gehört natürlich auch die Unterstützung beim Aufbau der Sicherheitsbehörden an Land und auf See . Daher
beteiligt sich Deutschland auch an der zivilen Mission
EUCAP Somalia und an der Ausbildungsmission EUTM
Somalia . Staatsminister Roth hat noch vor wenigen Tagen in Brüssel die Forderung nach einer verstärkten Beratung der somalischen Streitkräfte durch die erwähnte
EU-Mission bekräftigt . Zudem hat Bundesaußenminister
Gabriel angekündigt, die deutsche Nothilfe auf 140 Millionen Euro zu verdoppeln .
Vor wenigen Tagen, am 11 . Mai, fand die internationale Somalia-Konferenz in London statt . Dort sprach auch
UN-Generalsekretär António Guterres die unverzichtbaren Maßnahmen an: Stabilisierung der Sicherheitslage,
mehr politische Transparenz und - wir nennen das Good
Governance - verantwortungsvolle Regierungsführung .
Hoffnung liegt zurzeit auf dem neuen Präsidenten Abdullahi, der im Februar 2017 gewählt wurde . In London
hat er den Kampf gegen die größten Feinde Somalias
ausdrücklich betont: Terrorismus, Korruption und Armut, und das mit dem Ziel, natürlich ein wirtschaftlich
erfolgreicheres Somalia zu schaffen, ein stabiles Land,
das endlich wieder auf eigenen Füßen stehen kann .
Aber ich denke, uns allen ist klar: Das Land wird noch
sehr lange die Hilfe der internationalen Gemeinschaft benötigen . Der Hauptauftrag der Operation Atalanta bleibt
die Abschreckung, die Verhinderung und natürlich auch
die Bekämpfung von seeräuberischen Handlungen genauso wie von bewaffneten Raubüberfällen . Im Rahmen
verfügbarer Mittel und Kapazitäten kann die Mission
aber auch der Überwachung illegaler Aktivitäten im Bereich der Fischerei dienen, zum Beispiel durch Informationsaustausch zum maritimen Lagebild .
Geplant ist, dass im laufenden Jahr eine Übergangsstrategie erarbeitet wird, um die Operation - natürlich
unter Beibehaltung der bereits erreichten Erfolge - beenden zu können . Auch das ist im Übrigen ein Beitrag zur
nachhaltigen Stabilisierung dieser Region . Eines muss
aber auch klar sein: Solange allerdings die grundlegenden Ursachen der Piraterie nicht erfolgreich bekämpft
und beseitigt sind, bleibt die Präsenz auch unserer Schiffe vor der Küste Somalias unverzichtbar .
Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung zu dem vorliegenden Mandat .
Vielen Dank .
({3})
Vielen Dank . - Als Nächste hat Inge Höger für die
Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Rund um
das Horn von Afrika sind laut Angaben der UN 20 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht . Es geht um
Länder wie Somalia, Jemen und den Südsudan . Es ist die
größte Zahl seit Bestehen der Vereinten Nationen . Angesichts der humanitären Katastrophe ist die internationale
Hilfe ein erbärmlicher Tropfen auf den heißen Stein .
({0})
Das Antipirateriemandat Atalanta, das heute hier zur
Abstimmung steht, zeigt wieder einmal eine völlig falsche Prioritätensetzung . Militär hilft nicht gegen den
Hunger .
({1})
Die Deutsche Welthungerhilfe berichtete im April, dass
bisher nur 10 Prozent der zur Bekämpfung des Hungers
dringend benötigten Gelder überwiesen wurden . Der
Hunger ist auch Folge von Klimaveränderungen . Dafür
sind die westlichen Industrienationen maßgeblich verantwortlich . Außerdem trägt das saudische Militär mit
seiner illegalen Blockade von jemenitischen Häfen zum
Hunger in der Region bei . Saudi-Arabien ist ein Verbündeter des Westens und wird politisch und militärisch
massiv unterstützt . Es ist eine Schande, dass nach wie
vor auch aus Deutschland Waffen nach Saudi-Arabien
exportiert werden .
({2})
Angesichts des Hungers in Somalia könnten die
Fischer einen wichtigen Beitrag zur Selbsthilfe leisten .
Doch internationale Fangflotten plündern legal und illegal die Fischbestände vor der somalischen Küste . Während der Hochphase der Piraterie in der Region hielten
sich die internationalen Flotten zurück, und die Bestände
konnten sich erholen . Was für die Handelsschifffahrt am
Horn von Afrika ein Segen ist, nämlich der Rückgang der
Bedrohung durch die Piraterie, ist für die Fischer in der
Region ein Fluch .
Von 2013 bis Anfang dieses Jahres kam es auf den
Seewegen insgesamt nur zu etwa zehn Angriffen auf
Schiffe . Das ist gut für die Besatzung, das ist gut für den
internationalen Handel, und das ist gut für die internationalen Raubfischer. Die verbrecherische Ausbeutung
der somalischen Fischbestände muss dringend beendet
werden .
({3})
Die Menschen in der Region um das Horn von Afrika bemerken die falschen Prioritäten der westlichen Militärmission durchaus . Es ist absurd: Erklärtes Ziel der
Atalanta-Mission ist der Schutz des Welternährungsprogramms . Gleichzeitig stehen nicht genügend Gelder zur
Verfügung, um den Hunger wirksam zu bekämpfen . Auf
der einen Seite sollen kriminelle Piratennetzwerke bekämpft werden . Gleichzeitig wird die illegale Blockade
von jemenitischen Häfen unterstützt . Die Menschen in
Jemen hungern, und humanitäre Hilfe kommt nicht an .
Durch die Unterbindung des regulären Schiffsverkehrs
durch saudisches Militär werden kriminelle Netzwerke
gestärkt, die angeblich bekämpft werden sollen .
Das Problem der Fischerei ist zwar Teil des Atalanta-Mandats, doch während der Dauer des Mandates hat
die räuberische Ausbeutung der Fischgründe kontinuierlich zugenommen . Die einzige wirkliche Priorität für das
Militär ist der Schutz der Handelsrouten . So werden die
Probleme in der Region nicht gelöst, sondern nur verstärkt . Das muss sich grundlegend ändern .
({4})
Somalische Fischer berichten davon, dass ihre kleinen
Boote von großen internationalen Trawlern gerammt
werden . Auf Fischer wird geschossen, und es kommt immer wieder zu Todesfällen . Gelegentlich wird ihnen sogar der Fang geraubt . Die Fischbestände sind dramatisch
geschrumpft .
Ein Unrecht rechtfertigt kein anderes; aber wir sollten
nicht ignorieren, dass Not und Verzweiflung die Grundlagen für die Piraterie sind . Es ist wenig überraschend,
dass seit Beginn dieses Jahres die Zwischenfälle rund um
das Horn von Afrika wieder zugenommen haben . 2017
gab es im Einsatzgebiet von Atalanta bisher in etwa so
viele Überfälle wie in den vergangenen vier Jahren zusammen . Nun wieder mehr Militär zu schicken, bringt
keine dauerhafte Lösung . Not und Hunger in der Region
müssen endlich bekämpft werden . Nötig sind ein Ende
der Raubfischerei und ein Ende der Rüstungsexporte in
die Region, und das sofort .
({5})
Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt
der Kollege Dr . Johann Wadephul das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Kollegin Freitag hat freundlicherweise
schon auf die zweite internationale Somalia-Konferenz hingewiesen, die in der Tat wichtig war . Ich fand
bemerkenswert - das konnte man im Tagesspiegel dieser Tage nachlesen -, dass Boris Johnson, der britische
Außenminister, dort das Wort ergriffen hat und sich zur
Situation in Somalia geäußert hat . Er hat natürlich darauf hingewiesen, wie sehr es ihn besorge, dass es dort
eine andauernde Dürre gebe und dass dort eine Hungersnot bevorstehe . Er hat aber auch seiner Freude Ausdruck
verliehen, dass es einen friedlichen Machtwechsel und
einen neuen Präsidenten gebe und dass es auch die Chance gebe, Streitkräfte und natürlich auch eine Sicherheitsstruktur in diesem Land aufzubauen, die dann auch in der
Lage sei, gegen die islamistischen Al-Schabab-Milizen
zu kämpfen .
Ich finde es überraschend, dass gerade ein britischer
Außenminister, der bedauerlicherweise an der Spitze derjenigen stand, die dafür plädiert haben, die Europäische
Union zu verlassen, an dieser Stelle eine EU-Kommission gelobt und festgestellt hat: Die Europäische Union tut
hier etwas Gutes für die Menschen in der Region, aber
natürlich letzten Endes auch für den Weltfrieden . - Auch
das sollte uns vielleicht zu der Erkenntnis bringen, dass
das insgesamt eine gute Sache ist .
({0})
Natürlich können wir die Situation und die Lage der
Menschen in Somalia nicht einfach so ändern . Der Einfluss der deutschen und der europäischen Politik ist begrenzt . Es gibt islamistischen Terror . Es gibt Clan-Strukturen, die leider immer noch nicht zerschlagen worden
sind, Armut und Hungersnot und natürlich auch eine
schlechte Agrar- und fast gar keine industrielle Struktur .
Aber gerade deshalb ist es doch umso wichtiger, dass
wir diesen Einsatz hier unterstützen; das ist nämlich eine
der Grundvoraussetzungen dafür, dass in diesem Land
überhaupt wieder Friede, wirtschaftliches Wachstum und
auch ein sozialer Standard einkehren können, den sich
doch eigentlich alle Menschen wünschen müssen .
({1})
Mich überrascht eigentlich, dass Sie von der Linksfraktion hier den Anspruch - das gilt auch für Ihren bemerkenswerten Beitrag gerade, Frau Höger - erheben,
das sei irgendwie humanitär und besonders edel - so
kommen Sie ja immer daher -, gegen militärische Einsätze zu sein . Jeder militärische Einsatz ist natürlich das
letzte Mittel und ist natürlich keine Sache, die sich irgendein Abgeordneter, auch kein Regierungsmitglied in
der Bundesrepublik Deutschland leicht macht . Niemand
freut sich: Hey, toll, wir können Soldaten einsetzen . Angesichts des Umstandes, dass wir hier wirklich einen
großen Erfolg erzielt haben und dass es gelungen ist, die
Piraterie fast vollständig zu besiegen - jetzt ist es endlich
wieder möglich, dass durch Schiffe des Welternährungsprogramms humanitäre Maßnahmen geleistet werden
können -,
({2})
muss ich sagen: Sie von der Linksfraktion haben eine
inhumane und keine besonders edle, humane Position .
({3})
Das sollten Sie an der Stelle einmal einsehen .
Es ist kein Gegensatz, ebenso für die Handelswege
der westlichen Welt - Europas, auch Amerikas; der Golf
von Aden ist einer der wichtigsten Handelswege - einzutreten und diese zu verteidigen . Für deren Sicherheit
zu sorgen, ist per se nichts Schlechtes, sondern das ist in
unserem allseitigen, auch wirtschaftlichen Interesse hier
in Deutschland und Europa. Dazu kann man sich, finde
ich, durchaus bekennen; aber es ist kein Gegensatz zu
humanitärer Hilfe, sondern beides ergänzt sich . Es werden praktisch zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen .
Sie verkennen, dass wir seitens der Europäischen Union insgesamt einen umfassenden Einsatz haben, auf den
die Kollegin Freitag schon hingewiesen hat . Wir haben
nicht nur einen militärischen Ansatz, sondern natürlich
auch einen entwicklungspolitischen Ansatz sowie mit
dem Versuch, die Sicherheitsstrukturen in dem Land zu
verbessern, auch einen darüber hinausgehenden Ansatz .
Die Mission EUCAP NESTOR, die Sie sicherlich
auch kennen, hilft dabei, die von Ihnen angesprochene
Küstengebiets- und Seeraumkontrolle zu verbessern . Es
ist notwendig, die Raubfischerei dort zu bekämpfen; ich
bitte Sie aber, die Dimension zu wahren . Nur weil es im
Bereich der Raubfischerei noch Probleme gibt, ist nicht
der gesamte Einsatz gegen die Piraterie schlecht, sondern
er ist gut .
Vor diesem Hintergrund plädiere ich dafür, dass der
Deutsche Bundestag diesen Einsatz, der wirklich zu den
erfolgreichsten Einsätzen gehört, die die Bundeswehr in
den letzten Jahren durchgeführt hat, fortführt, dass wir
uns dort im europäischen Sicherheitsrahmen weiter engagieren und in dieser Region für ein kleines bisschen
mehr Frieden und die Chance auf Wohlstand eintreten .
Wir sollten zeigen, dass wir das Entfliehen aus einer
schlimmen humanitären Situation gewähren und an der
Seite der Menschen in Somalia stehen .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({4})
Vielen Dank . - Als Nächster spricht Omid Nouripour,
Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt
gute Nachrichten aus Somalia - allerdings ist das Land
noch weit entfernt von Stabilität . Ein Symptom dieser
Instabilität ist die Piraterie . Es ist richtig, es gibt auch andere Gründe, wie zum Beispiel die Raubfischerei. Aber
dieses Symptom wird bekämpft, was auch notwendig ist .
Die Mission Atalanta macht das seit neun Jahren
ziemlich erfolgreich: Die Piraterie ist tatsächlich zurückgegangen, und die humanitären Hilfslieferungen
sind gewährleistet . Das Problem ist aber noch da: In den
letzten zwölf Monaten ist die Piraterie zurückgekommen .
Es gibt einen massiven humanitären Notstand am Horn
von Afrika; allein in Somalia brauchen 7 Millionen Menschen Hilfslieferungen, vor allem vom Welternährungsprogramm .
Das Problem in diesen Tagen ist, dass das Welternährungsprogramm immer mehr Schiffe einsetzen muss nicht nur, weil man mehr Menschen versorgen muss,
sondern weil das Welternährungsprogramm nicht mehr
genug Geld hat, um die großen Schiffe, die im Übrigen
gegen Piratenangriffe immuner sind, zu chartern, und es
vermehrt auf kleinere Schiffe zurückgreifen muss . Das
stellt ein erhöhtes Risiko für das Welternährungsprogramm dar .
Dieses Risiko wird steigen, wenn in den USA die
Administration von Präsident Trump tatsächlich den
Haushaltsentwurf, den sie vorgelegt hat und mit dem
sie 230 Millionen Dollar aus dem Etat des Welternährungsprogramms streichen würde, durch den Kongress
bekommt . Ich wünschte mir, dass die Bundesregierung
Präsident Trump beim NATO-Gipfel in diesen Tagen zusichert, dass Deutschland und andere EU-Staaten bereit
wären, diese Deckungslücke zu schließen, dass das dann
aber nötige und konkrete Sicherheitsausgaben bedeute .
Das ist Sicherheit - und nicht die 2 Prozent, von denen
Trump und die Bundesregierung die ganze Zeit sprechen .
({0})
Im Übrigen ist es völlig richtig, dass das, was die
Mission Atalanta leistet, langfristig keine Lösung ist .
Aber, verehrte Kollegin Höger: Manchmal braucht man
kurzfristige Lösungen . Sie können den Seeleuten nicht
einfach sagen: Ihr müsst warten, bis es eine langfristige
Lösung gibt . - Ja, wir müssen vor allem die Schiffe des
Welternährungsprogramms schützen; dafür wird Atalanta gebraucht . Atalanta wird gebraucht, um die Schifffahrt zu sichern, und nicht, um militärische Abenteuer an
Land, die es seit ein paar Jahren in diesem Mandat gibt,
abzusichern . Es ist ausgesprochen bedauerlich, dass die
Bundesregierung versäumt hat, dieses Landelement aus
diesem Mandat herauszunehmen . Das ist der Grund, warum die Mehrheit meiner Fraktion nicht wird zustimmen
können .
Die Bundesregierung hat auch versäumt, ihre Somalia-Politik grundsätzlich zu überprüfen . In diesem Mandat steht zum ersten Mal im Mandatstext selbst drin, dass
Atalanta die Unterstützung für die Ausbildungsmission
liefern wird . Wir bilden Soldaten aus, die danach aber
kein Gehalt bekommen . Wofür bilden wir sie denn dann
eigentlich aus? Das ist ein riesengroßes Problem, weil
wir Menschen an Waffen ausbilden, von denen wir nicht
genau wissen, wo sie am Ende des Tages landen werden .
EUCAP NESTOR sollte in drei Staaten die Küstenwache auf Vordermann bringen . Nach Jahren stellte sich
heraus: Es gibt gar keine Küstenwache . Was ist die Konsequenz? EUCAP NESTOR wird in EUCAP Somalia
umbenannt, statt grundsätzlich zu überprüfen, ob das ein
richtiger Beitrag war .
Gleichzeitig haben wir Verbündete, die mit dem sogenannten Krieg gegen den Terror viele Perspektiven für
eine politische Lösung in Somalia zerstören . All diese
Ansätze gehen an den Bedürfnissen des Landes vorbei .
Was das Land braucht, ist ein Aufbau von unten . Ich bin
sehr dankbar: nicht nur dafür, dass unsere Soldatinnen
und Soldaten dort einen wahrlich nicht einfachen Einsatz
unter schwierigen Bedingungen fahren, sondern auch
dafür, dass es auch deutsche NGOs gibt, die tatsächlich
versuchen, diesen Ansatz, von unten aufbauend, zu verfolgen . Ich wünschte mir, dass die Bundesregierung diesen NGOs, diesen Gruppierungen mehr zuhören würde
({1})
und auch die Chance, die sich durch die positive Nachricht von der Wahl von Präsident Farmajo ergibt, ergreifen würde, endlich einen Neubeginn ihrer Somalia-Politik zu lancieren, statt immer nur auf alte Rezepte zu
setzen . Ja, Symptombekämpfung ist richtig . Auf lange
Sicht wird dies allerdings nicht ausreichen .
({2})
Vielen Dank . - Jetzt hat Florian Hahn für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zuallererst möchte ich festhalten: Atalanta ist eine erstklassige, eine erfolgreiche maritime Sicherheitsoperation .
Die Piratenangriffe in der Region konnten durch Atalanta und die Schwestermissionen massiv reduziert werden .
Wir sollten nicht vergessen, dass auf dem Höhepunkt der
Krise am Horn von Afrika im Jahr 2010 49 Schiffe entführt wurden . Über 1 000 Seeleute waren zeitweise Geiseln . Es kam zu Toten . Im Jahr 2011 wurde Lösegeld mit
einem Gesamtbetrag von 160 Millionen Dollar gezahlt,
das einzig einer kriminellen Elite zugutekam . Durch die
maritime Operation gingen diese Zahlen deutlich zurück .
Zuletzt gab es lange Zeit überhaupt keine Entführungen
mehr . Vor kurzem hat es wieder einige einzelne Angriffe
gegeben, in der Intensität aber keinesfalls vergleichbar
mit denen früherer Zeiten . Allein das zeigt doch schon
den Erfolg der Operation Atalanta .
({0})
Atalanta ist auch deshalb erfolgreich, weil die Mission in einer einzigartigen Weise auf internationale Zusammenarbeit setzt . Für Atalanta haben neben den EU-Staaten auch andere Länder wie Norwegen, die Ukraine oder
Kolumbien Kriegsschiffe gestellt, Neuseeland hat mit
Aufklärungsfähigkeiten beigetragen, Serbien und Montenegro mit Stabsoffizieren. Im Februar dieses Jahres
wurde sogar eine südkoreanische Fregatte für einige Zeit
Atalanta unterstellt . Derzeit beteiligen sich Spanien und
Italien mit Schiffen . Deutschland und Spanien stellen
die Aufklärungsflugzeuge. Hinzu kam bis Ende 2016 die
NATO-Operation Ocean Shield . Aber auch viele andere
Nationen beteiligen sich am gemeinsamen Kampf gegen
die Piraterie .
Ich halte es für wichtig und gut, dass so auch praktische Zusammenarbeit zum Beispiel mit China oder Indien stattfindet. Gerade China übernimmt hier in einer
sehr positiven Weise internationale Verantwortung . Die
chinesische Lenkwaffenfregatte Yulin hat Anfang April
2017 eingegriffen, um einen bedrohten Frachter zu retten .
Sie wurde von einer indischen Fregatte unterstützt . Beide
Länder stehen ja sonst nicht für eine so enge Zusammenarbeit . Insofern ist auch das ein positiver Nebenaspekt .
Zugleich ist die Mobilisierung der internationalen
maritimen Wirtschaft hervorzuheben . Die Selbstschutzmaßnahmen der zivilen Seeschifffahrt und die Best-Management-Practices haben maßgeblich zu den Erfolgen
der letzten Jahre beigetragen . Dazu gehören vor allem
die Ausweisung bestimmter Korridore sowie der Einsatz
privater Sicherheitsteams .
Wir haben aber gesehen: Die Situation bleibt sehr fragil . Seit Beginn dieses Jahres hat es wieder eine ganze
Reihe von Piratenangriffen gegeben, sogar eine Entführung . Einschätzungen, das Geschäftsmodell der Piraten
sei unrentabel geworden, haben sich leider als falsch
erwiesen . Warum? Die Zahl der Marineeinheiten wurde
zurückgenommen . Einige Frachtschiffe halten sich nicht
mehr an die empfohlenen Korridore, kürzen ab, fahren zu
nahe an die Küste oder zu langsam und führen keine bewaffneten Teams mehr mit sich . Die weiter existierenden
kriminellen Netzwerke sind aufmerksam und schlagen
sofort wieder zu .
Aber zudem, meine Damen und Herren, bleibt die
Situation in Somalia und in der Region natürlich insgesamt komplex und dramatisch; wir haben es hier schon
gehört . Viele tiefere Gründe für die Piraterie sind nicht
beseitigt . Somalia bleibt ein Failed State - trotz kleiner
Hoffnungszeichen durch eine neue Führung im Land .
Armut, Hungersnot, Seuchen, die Cholera, organisierte
Kriminalität, der Terrorismus halten das Land weiter in
ihrem Griff . Terroristen und Kriminelle rekrutieren die
Armen und die, die ohne Hoffnung sind . Wenn der Staat
kein Geld hat, seine Sicherheitskräfte zu bezahlen, wenn
Jobs und Perspektiven fehlen, wird eine Abwärtsspirale
in Gang gesetzt .
Was folgt daraus? Die Fortsetzung von Atalanta ist
derzeit alternativlos . Wir sind auf sichere Handelswege angewiesen . Ein Einstellen der Patrouillen hätte desaströse Effekte für die Handelsschifffahrt und die Lieferungen des Welternährungsprogramms - wichtig gerade
wegen der aktuellen Dürre und Hungersnot .
Da ist ein umfassender, ganzheitlicher Ansatz richtig .
Der braucht viel Geld, der braucht viel Zeit, und er zeigt
leider nur langsam Erfolge . Aber wir müssen schließlich
weiter die Not und die Armut bekämpfen und versuchen,
Berufs- und Lebensperspektiven vor Ort zu schaffen . Wir
leisten hier schon sehr viel: über die Entwicklungszusammenarbeit, über die humanitäre Hilfe . Wir dürfen es
nicht der al-Schabab überlassen, den hungernden Menschen dort zu helfen, sondern wir müssen uns selbst dort
noch stärker engagieren .
In diesem Sinne ist auch Atalanta als erfolgreicher
und wichtiger Einsatz zur Bekämpfung der Piraterie ein
wichtiger Baustein . Ich bitte deswegen, einer Verlängerung dieses Mandats zuzustimmen .
({1})
Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-
trag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteili-
gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der durch die
Europäische Union geführten maritimen Mission Opera-
tion Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste
Somalias .
Zu dieser Abstimmung liegen mehrere Erklärungen
gemäß § 31 Absatz 1 der Geschäftsordnung vor .1)
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/12207, den Antrag der Bundes-
regierung auf Drucksache 18/11621 anzunehmen . Wir
stimmen über die Beschlussempfehlung namentlich ab .
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen . Sind die Plätze an
den Urnen besetzt? - Dort fehlt die Opposition . Das ist
heute schon wiederholt der Fall gewesen . Ich bitte um
Beeilung . - Sind die Plätze jetzt besetzt? - Das ist der
Fall . Dann eröffne ich die Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung .
Noch einmal eine besondere Durchsage an die CDU/
CSU-Fraktion: Hier gibt es noch drei Urnen, bei denen es
keinen Andrang gibt . - Hat jetzt jeder seine Stimmkarte
abgegeben? - Herr Diaby, jetzt aber schnell .
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen . Das Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung wird später bekannt gegeben .2)
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Azize Tank, Katja Kipping, Sabine
Zimmermann ({0}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten
Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des
Grundgesetzes ({1})
Drucksache 18/10860
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({2})
Drucksache 18/12412
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker
Beck ({3}), Luise Amtsberg, Dr . Franziska
Brantner, weiteren Abgeordneten und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Gewährleistung
1) Anlagen 3 und 4
2) Ergebnis Seite 23706 C
der Wahrnehmung sozialer Rechte von Menschen ohne Aufenthaltsstatus
Drucksache 18/6278
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({4})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich sehe und
höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich bitte alle, ihre Plätze einzunehmen . - Wenn die
Gespräche auf der rechten Seite außerhalb des Plenarsaals weitergeführt werden, dann können wir mit der
Aussprache beginnen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Dr . Matthias Bartke, SPD-Fraktion .
({5})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Linke, Ihr Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes beginnt mit dem Satz:
Soziale Grundrechte sind unabdingbar für ein würdiges Leben in einer sozial gerechten Gesellschaft .
({0})
Ich möchte Ihnen sagen: Dem stimmen wir zu . Ich sage
das ganz ausdrücklich, weil das ziemlich die einzige Stelle in Ihrem Gesetzentwurf ist, der wir zustimmen .
({1})
Die Sachverständigenanhörung, die wir zu Ihrem Gesetzentwurf durchgeführt haben, wird mir noch lange in
Erinnerung bleiben . So etwas habe ich vorher noch nicht
erlebt . Kein Sachverständiger hat Ihrem Gesetzentwurf
Zustimmung signalisiert, nicht einmal Ihr eigener, Professor Eichenhofer . Er hat zwar erläutert, dass er grundsätzlich für soziale Grundrechte sei . Ich glaube, Herr
Kollege Hoppenstedt war es, der nachgefragt hat . Dann
hat Herr Professor Eichenhofer deutlich gemacht, dass
er die gesamte Programmatik Ihres Gesetzentwurfes für
nicht zustimmungsfähig hält . Ich sage Ihnen: Vernichtend!
({2})
Ihr Gesetzentwurf ist verfassungsrechtlich ebenso
verfehlt, wie er politisch schädlich ist . Das Grundgesetz,
meine Damen und Herren, ist ein fein austariertes, hochfiligranes Konstrukt. Das gilt umso mehr für die Grundrechte . Mit Ihrem Antrag fuhrwerken Sie regelrecht im
Grundrechtskatalog herum . Nach Artikel 1 Grundgesetz
wollen Sie einen neuen Artikel 1a einfügen, nach Artikel 2 einen neuen Artikel 2a, nach Artikel 3 einen neuen Artikel 3a, einen neuen Artikel 3b, einen neuen Artikel 3c, einen neuen Artikel 3d, nach Artikel 16 einen
neuen Artikel 16a .
Was für ein Verhältnis Sie zu unserer Verfassung haben, wird im heute in der taz veröffentlichten Interview
mit Frau Zimmermann deutlich . Sie fängt an:
Wir fordern ein „Recht auf soziale Sicherheit“, ein
„Recht auf frei gewählte Arbeit“, ein „Recht auf
eine menschenwürdige Wohnung“, ein „Recht auf
Bildung“, das „Recht auf politischen Streik“ und
noch einiges mehr .
({3})
Zu diesem „einiges mehr“ gehört übrigens auch die
sanktionsfreie Mindestsicherung - so mal ganz nebenbei . Das erwähnen Sie nicht einmal . Da ist man doch fassungslos, mit welcher Beliebigkeit hier neue Grundrechte geschaffen werden sollen, natürlich alles einklagbar
vor dem Bundesverfassungsgericht .
({4})
Herr Kollege Bartke, ich muss mal Ihren Redefluss
unterbrechen . Die Kollegin Zimmermann würde Ihnen
gerne eine Zwischenfrage stellen . Sind Sie damit einverstanden?
Aber gerne, Frau Zimmermann .
Gut .
Vielen Dank, Kollege Bartke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . - Nehmen Sie zur Kenntnis, dass der Sozialstaat in Deutschland in den letzten Jahren auch durch
Ihre Regierung massiv geschliffen worden ist,
({0})
dass die Altersarmut zunimmt, dass die Kinderarmut zunimmt, dass Millionen Menschen im Niedriglohnbereich
arbeiten und sie ihre Familien davon nicht ernähren können?
({1})
Nehmen Sie zur Kenntnis, dass von den ganzen entsprechenden Deklarationen, zu denen sich Deutschland bekannt hat - wie zum Beispiel zur sozialen Sicherheit, zur
Bildung für alle, aber auch zu einer für alle erschwinglichen Gesundheitsversorgung -, überhaupt nichts greift
und dass man solche Sachen dann ins Grundgesetz
schreiben muss, damit man es wirklich einklagen kann,
dass die soziale Sicherheit ein wesentlicher Punkt ist,
wenn es darum geht, unser Land in Zukunft armutsfest
zu machen? Sind Sie mit mir einer Meinung, dass die
Situation derzeit so ist? Ihr Kanzlerkandidat hat ja auch
deutlich gemacht: Wir brauchen wieder soziale Gerechtigkeit . Sie wollen da ja viel tun, zumindest mit leeren
Worten . Ich habe noch nicht erkennen können, dass sich
die soziale Situation durch Ihr Wahlprogramm verändern
wird .
({2})
Der Punkt ist: Natürlich wollen auch wir soziale Gerechtigkeit, aber wir wollen nicht in der Art und Weise
am Grundgesetz herumfuhrwerken, wie Sie es tun wollen; denn damit würden Grundrechte beliebig . Hören Sie
meiner Rede weiter zu! Ich werde es noch ausführen .
({0})
Frau Zimmermann, Sie haben es mit der letzten Antwort im taz-Interview mit Herrn Rath noch einmal wunderbar dokumentiert . Herr Rath von der taz sagt:
Nach Ihren Angaben haben wir … 3,5 Millionen
Arbeitslose . Hinzu kämen alle, die ihre schlecht
bezahlten Jobs in der Wirtschaft aufgeben und nun
einen gut bezahlten Job vom Staat fordern . Sie alle
hätten nach Ihrem Gesetzentwurf ein Recht auf frei
gewählte Arbeit …
({1})
Er hat es gut auf den Punkt gebracht . Ihre wunderbare
Antwort - ganz simpel -:
So ein gewaltiges Projekt lässt sich nicht von heute
auf morgen umsetzen . Es müsste wohl eine Übergangsfrist geben .
({2})
„Es müsste wohl eine Übergangsfrist geben“ für die
Schaffung von mehreren Millionen Arbeitsplätzen! Ich
wiederhole mich: Man ist fassungslos . Das ist doch kaum
noch satisfaktionsfähig, was Sie da sagen .
({3})
Wenn Sie ein Grundrecht auf frei gewählte Arbeit
schaffen wollen, so sage ich Ihnen: In einer sozialen
Marktwirtschaft ist das nicht möglich . Das Grundrechtskonzept des Grundgesetzes ist ein anderes . Es sieht vor,
dass Grundrechte in erster Linie Abwehrrechte des Individuums gegen einen übergriffigen Staat sind. Das ist
eine Lehre aus der Vergangenheit . Sie wollen mit Ihrem
Antrag einen Staat erreichen, der für alles sorgt, und das
Bundesverfassungsgericht wird bei Ihnen zur Superinstanz, die über alle Konflikte entscheidet.
Meine Damen und Herren, Grundrechte sind einklagbar . Sie müssen daher vom Staat auch gewährleistet werden,
({4})
auch in schlechten Zeiten . In Ihrem Antrag postulieren
Sie etwas, was für den Staat unerfüllbar ist . Wenn wir
die von Ihnen geforderten Grundrechte in die Verfassung
schreiben würden, könnten wir die Grundrechte nicht
mehr gewährleisten . Das Grundgesetz würde zur leeren
Hülse verkommen . Das werden wir zu verhindern wissen .
Ich danke Ihnen .
({5})
Vielen Dank . - Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 564 . Mit Ja
haben gestimmt 461, mit Nein haben gestimmt 71, Enthaltungen 32 . Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 564;
davon
ja: 461
nein: 71
enthalten: 32
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Axel E . Fischer ({1})
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({2})
Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Frank Heinrich ({3})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann ({4})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Dr . Georg Kippels
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({5})
Reiner Meier
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller ({6})
Stefan Müller ({7})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr . Martin Pätzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({8})
Dr . Wolfgang Schäuble
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt ({9})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({10})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder ({11})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({12})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Tino Sorge
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Volkmar Vogel ({13})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({14})
Peter Weiß ({15})
Sabine Weiss ({16})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({17})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({18})
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Michael Hartmann ({19})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({20})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Frank Junge
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Lars Klingbeil
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({21})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({22})
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir ({23})
Markus Paschke
Detlev Pilger
Florian Post
Achim Post ({24})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({25})
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({26})
Matthias Schmidt ({27})
Dagmar Schmidt ({28})
Carsten Schneider ({29})
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz ({30})
Ewald Schurer
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({31})
Ekin Deligöz
Dr . Thomas Gambke
Kai Gehring
Anja Hajduk
Dieter Janecek
Tom Koenigs
Dr . Tobias Lindner
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Kordula Schulz-Asche
Markus Tressel
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms
Fraktionslos
Erika Steinbach
Nein
SPD
Klaus Barthel
Marco Bülow
Dr . Ute Finckh-Krämer
Cansel Kiziltepe
Hilde Mattheis
René Röspel
Rüdiger Veit
Waltraud Wolff ({32})
DIE LINKE
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W . Birkwald
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr . Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . André Hahn
Dr . Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Norbert Müller ({33})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({34})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
({35})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Sylvia Kotting-Uhl
Christian Kühn ({36})
Monika Lazar
Beate Müller-Gemmeke
Lisa Paus
Corinna Rüffer
Hans-Christian Ströbele
Enthalten
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Volker Beck ({37})
Agnieszka Brugger
Katharina Dröge
Harald Ebner
Matthias Gastel
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({38})
Steffi Lemke
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Claudia Roth ({39})
Elisabeth Scharfenberg
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Dr . Harald Terpe
Dr . Julia Verlinden
Beate Walter-Rosenheimer
Nächste Rednerin ist Azize Tank, Fraktion Die Linke .
({40})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Bartke, ich sage es Ihnen gleich am Anfang: Sie haben null Ahnung, was soziale Menschenrechte bedeuten .
({0})
Die aktuellen Herausforderungen einer globalisierten
Welt verlangen nach sozialer Gerechtigkeit . Die Ergebnisse des letzten Armuts- und Reichtumsberichtes zeigen
erheblichen Handlungsbedarf .
({1})
Selbst IWF und OECD kritisieren die soziale Ungleichheit in der Bundesrepublik . Wir müssen uns diesen Herausforderungen stellen, um ein Auseinanderbrechen unserer Gesellschaft zu verhindern .
({2})
Die Aufnahme sozialer Grundrechte in das Grundgesetz ist eine Notwendigkeit .
({3})
Soziale Menschenrechte schützen die Freiheit vor Elend
und Not . Das ist bereits in der Allgemeinen Erklärung
der Menschenrechte niedergeschrieben . Sie geht von der
Einheit bürgerlicher und sozialer Menschenrechte aus .
Meine Herren und Damen, schauen Sie sich das erst einmal an, dann können Sie immer noch „Oh!“ sagen .
Die Vereinten Nationen haben 1966 wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Menschenrechte im UN-Sozialpakt verbindlich verbrieft. Das ist keine Erfindung der
Linken .
({4})
Seit 2008 ermöglicht ein Zusatzprotokoll zum UN-Sozialpakt eine Individualbeschwerde nach Ausschöpfung
des nationalen Rechtsweges . Dieses Zusatzprotokoll
wurde bisher von insgesamt 22 Staaten ratifiziert, zum
Beispiel von Frankreich, Italien, Spanien . Deutschland
gehört bisher leider nicht dazu . Auch die revidierte Europäische Sozialcharta hat Deutschland nicht ratifiziert.
Wir wollen mit unserem vorliegenden Gesetzentwurf die
individuelle Durchsetzung grundlegender sozialer Menschenrechte ermöglichen .
({5})
Der Beitritt zum UN-Sozialpakt, zu der Europäischen
Sozialcharta und der Grundrechtecharta der EU war
nicht dazu gedacht, in Deutschland rechtsfreie Räume zu
schaffen. Nein, diese Abkommen verpflichten die Bundesrepublik zur Umsetzung sozialer Rechte .
({6})
Auch die altmodische Aufteilung von Menschenrechten
in bürgerliche und soziale ist juristisch nicht haltbar . Sowohl bürgerliche und politische als auch wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Menschenrechte stehen allen Menschen zu, unabhängig von ihrer sozialen Stellung und
Herkunft . Alle Menschenrechte sind gleichwertig .
({7})
Menschenrechte gelten für alle Menschen: egal ob arm
oder reich, egal welche Staatsangehörigkeit sie haben .
({8})
Soziale Grundrechte zeigen den Weg . Die Antwort auf
die Herausforderungen unserer Zeit ist nicht die Rückkehr zu Nationalismus und Chauvinismus . Vielmehr geht
es um den Zugang zu sozialen Rechten und um gesellschaftliche Teilhabe für alle .
({9})
Soziale Menschenrechte sind unteilbar und universell .
Wir brauchen nicht krank zu sein, um das Recht auf Gesundheit zu verteidigen, so wie wir auch nicht wählen
gehen müssen, um das allgemeine Wahlrecht anzuerkennen . Die einen sind ohne die anderen nicht denkbar . Die
bürgerlichen und politischen Freiheiten können nicht in
vollem Umfang wahrgenommen werden, wenn den Menschen elementare soziale Menschenrechte vorenthalten
werden .
({10})
Deshalb müssen soziale Menschenrechte im Grundgesetz als einklagbare Rechte verankert werden .
({11})
Der aktuelle Zustand ist weder mit der Völkerrechtsentwicklung noch mit den erreichten sozialen Standards der
Bundesrepublik vereinbar .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden alle an
unserer Haltung zu sozialen Grundrechten gemessen und
nicht an leeren Wahlversprechen zur sozialen Gerechtigkeit in der Zukunft .
Ich danke Ihnen .
({12})
Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt
Dr . Hendrik Hoppenstedt das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wenn ich das so höre, Frau Kollegin Tank, denke
ich, dass wir in ziemlich unterschiedlichen Welten leben .
Aber auch darüber sich hier heute einmal auszutauschen,
ist ja interessant .
({0})
Mit Ihrem Gesetzentwurf zur Aufnahme sozialer
Grundrechte in das Grundgesetz suggerieren Sie ja in
allererster Linie, dass unsere Verfassung insoweit vollständig defizitär wäre. Dass das ganz bestimmt nicht der
Fall ist, wussten wir schon vor dem erweiterten Berichterstattergespräch; aber auf Wunsch Ihrer Fraktion haben
wir es durchgeführt . Alle Sachverständigen - der Kollege
Bartke hat es schon eindrücklich geschildert - haben genau das bestätigt .
Selbst Ihr eigener Sachverständiger, der Sympathie
für die Aufnahme weiterer sozialer Grundrechte in den
Text des Grundgesetzes geäußert hat, schrieb zu Ihrer
Forderung nach Gewährleistung des Existenzminimums:
Der Gesetzgebungsvorschlag geht nicht über den rechtlichen Status quo hinaus . - Auch im Berichterstattergespräch hat er gesagt, es sei ja nicht so, dass die Verfassung das Soziale nicht schützen würde . Auf Nachfrage
hat er weiter gesagt - auch das hat der Kollege Bartke
schon gesagt; ich kann ihn hier nur andauernd anführen,
weil er es vollumfänglich so dargestellt hat, wie es auch
mein Eindruck war -,
({1})
dass Ihr Gesetzentwurf - ich wiederhole: das sagte Ihr
eigener Mann wörtlich - über eine Vielzahl von Inkonsistenzen verfügen würde .
Meine Damen und Herren, in Deutschland erhalten
bedürftige Menschen seit Jahrzehnten Hilfe und Schutz .
Im Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von
2010 hat das Gericht ausgeführt, dass aus Artikel 1
Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip
des Artikels 20 ein „Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“ folgt . Daraus ergibt sich ein verfassungsunmittelbarer Anspruch
auf Sozialleistungen . Jedem Hilfebedürftigen stehen
diejenigen materiellrechtlichen Voraussetzungen zu, die
für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an
Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind . Es gibt also keine rechtlichen Defizite, jedenfalls nicht auf verfassungsrechtlicher
Ebene .
Weitere von Ihnen geforderte Änderungen und Ergänzungen des Grundgesetzes sind entweder überflüssig, widersprüchlich oder mit unserem freiheitlichen
Staatsverständnis und der sozialen Marktwirtschaft nicht
vereinbar . Hinter Ihrem Gesetzentwurf steht ein völlig
anderes Gesellschaftsbild und ein völlig anderes Sozialmodell, als wir es heute haben .
Überflüssig ist zum Beispiel Ihre Forderung, den Staat
zu verpflichten, kollektive soziale Sicherungssysteme zu
schaffen; denn aus dem Sozialstaatsprinzip ergibt sich
bereits, dass die Schaffung sozialer Sicherungssysteme
zum Schutz der sozialen Existenz Grundaufgabe des
Staates ist .
Sie wollen ein Recht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, das sanktionsfrei gewährt werden soll . Zugleich soll jeder Mensch das Recht
auf frei gewählte oder angenommene Arbeit haben . Wie
das zusammenpasst, beantworten Sie leider nicht . Wer
soll denn die frei gewählten Arbeitsplätze zur Verfügung
stellen? Der Staat vielleicht?
({2})
Zwischen 1949 und 1989 gab es einen Staat, der genau
das versucht hat . Wenn ich mich recht erinnere, hat das
nicht wirklich gut funktioniert .
({3})
Sie wollen das Streikrecht ohne Einschränkungen gewährleisten,
({4})
inklusive des Rechts zum politischen Streik . Ich glaube,
dass wir in der Bundesrepublik Deutschland mit unserer
Tarifautonomie und mit unserer Koalitionsfreiheit ausgesprochen gut gefahren sind .
Sie fordern ein Recht auf eine menschenwürdige
und diskriminierungsfrei zugängliche Wohnung und auf
Versorgung mit Wasser und Energie sowie eine einkommensgerechte Miete . Der Staat soll für Mieterschutz
sorgen und Miet- und Wohnbelastungen ausgleichen .
Die Räumung von Wohnraum soll unzulässig sein, wenn
kein zumutbarer Ersatzwohnraum zur Verfügung gestellt
wird .
({5})
Sie ignorieren dabei völlig, dass das BGB eine Vielzahl
von mieterschützenden Vorschriften enthält . Lesen Sie es
doch einfach mal .
({6})
Es ist ein Trugschluss, zu glauben, dass die Ergänzung
des Grundgesetzes generell zu einer verbesserten Durchsetzung von Rechten führen würde . Das gilt für Forderungen nach Aufnahme weiterer Staatszielbestimmungen
ebenso wie für die Aufnahme von weiteren Grundrechten .
Das Grundgesetz, meine Damen und Herren, sollte die
wichtigsten Rechte im Verhältnis zwischen Bürger und
Staat regeln,
({7})
einschließlich der Grundrechte . Je mehr wir dort hineinschreiben, desto mehr werden wir tendenziell unsere Verfassung relativieren
({8})
und die Durchsetzbarkeit der Ansprüche reduzieren .
Ich habe noch nie in meinem Leben ein erweitertes
Berichterstattergespräch erlebt - auch das hat der Kollege Bartke schon dargestellt -, in dem ein Gesetzentwurf derartig zerrissen wurde . Das Gespräch war für Ihre
Fraktion eine einzige Ohrfeige . Zitat aus der Stellungnahme eines Sachverständigen - diesmal zugegebenermaßen nicht Ihr eigener -: Die vorgeschlagenen Grundgesetzänderungen sind verfassungsrechtlich verfehlt,
verfassungspolitisch uninformiert, handwerklich dürftig
und insgesamt politisch schädlich .
Es bleibt festzuhalten: Wir leben in einem wohlhabenden und vor allen Dingen sozialen Staat, der weltweit zu
den besten Staaten gehört . Seien wir uns dessen bewusst .
Wenn wir schon nicht dafür dankbar sind, so würdigen
wir es zumindest . Soziale Rechte sind sowohl in der Verfassung als auch einfachgesetzlich bestens abgesichert .
Deswegen lehnen wir als Fraktion diesen Gesetzentwurf
mit vollem Herzen ab .
({9})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist Volker Beck für
Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde, es lohnt sich, über die Frage, ob wir soziale Grundrechte im Verfassungstext sichtbarer machen wollen, zu
reden .
({0})
Auch manche Formulierungen, die Sie für Änderungen
des Artikels 3 des Grundgesetzes gefunden haben, halte
ich durchaus für diskussionswürdig . Was aber echt nicht
geht, ist, das eigene Parteiprogramm ins Grundgesetz
schreiben zu wollen,
({1})
einschließlich der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik aus den guten alten Zeiten . Es ist wirklich unangemessen, wie Sie damit umgehen .
({2})
Ich rate Ihnen, das Interview mit Susanne Baer in der
taz zu lesen . Darin geht es um die Bedeutung von Sozial- und Wirtschaftspolitik und um die verfassungsrechtlichen Planken, in deren Rahmen solch eine Diskussion
stattzufinden hat.
({3})
Sie sagt:
Das Grundgesetz schafft den Rahmen, in dem Gerechtigkeitsfragen von der Gesellschaft und in den
Parlamenten beantwortet werden müssen . . . . Für
diese Diskussion gibt es die Demokratie mit den
Parteien, der Meinungs- und Versammlungsfreiheit,
der Presse .
Das, was Sie machen, beschreibt sie mit dem Satz:
Da wird eine Verfassung zum leeren Versprechen .
Das möchte ich um der Rechtspositionen willen, die in
unserer Verfassung stehen, nicht haben .
({4})
Lassen Sie uns daher die Diskussion über seriöse
Entwürfe führen . Ich will jetzt deshalb zu dem Gesetzentwurf kommen, den wir hier vorgelegt haben . Darin
geht es ganz konkret um verfassungsrechtliche und menschenrechtliche Ansprüche einer bestimmten Gruppe .
Darin geht es um die Frage: Wie geht unser Rechtssystem mit Illegalen um? Das ist - verfassungsrechtlich wie
ethisch - für mich der Ausgangspunkt . Hierzu möchte
ich die Worte zweier Päpste zitieren .
Jeder Migrant ist eine menschliche Person, die als
solche unveräußerliche Grundrechte besitzt, die von
allen und in jeder Situation respektiert werden müssen .
Das sagte der von mir sonst nicht immer geschätzte Benedikt XVI . in der Enzyklika „Caritas in veritate“ . Und
Johannes Paul II . sagte:
Der Status der Ungesetzlichkeit rechtfertigt keine
Abstriche bei der Würde des Migranten, der mit unveräußerlichen Rechten versehen ist, die weder verletzt noch unbeachtet gelassen werden dürfen .
Dem wird unser aktuelles Ausländerrecht hinsichtlich
der Illegalen nicht gerecht .
Der Mensch ist, bloß weil er keine Papiere hat, nicht
rechtlos gestellt . Er verliert dadurch nicht seine Menschenrechte, das Recht auf Zugang zur Gesundheitsversorgung und das Recht auf Schutz vor Ausbeutung im
Arbeitsverhältnis . Jedoch ist es durch unsere Meldepflichten so geregelt, dass, wenn jemand ohne Papiere
seinen Anspruch auf Gesundheitsbehandlung nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz wahrnimmt - hierauf besteht in unserem Rechtssystem ein Rechtsanspruch -,
die zuständige Sozialbehörde die Daten an die Ausländerbehörde weitergeben muss . Das führt unmittelbar zu
aufenthaltsbeendenden Maßnahmen .
({5})
Die Realität, die wir dadurch haben, soweit nicht Caritas oder Malteser Hilfsdienst einspringen, ist, dass Menschen zum Teil erst dann zum Arzt gehen, wenn Krebsgeschwüre aufgebrochen sind .
Im Gegensatz zu Ihnen gehe ich jedes Jahr zu einer
Veranstaltung in der Katholischen Akademie, wo Vertreter der katholischen Kirche jährlich über die Situation
von Illegalen in Deutschland beraten . Lassen Sie sich das
mal von denen, die die Flüchtlingsgesundheitsversorgung
machen, eins zu eins erzählen . Das ist himmelschreiend!
({6})
Ich kann nur an den Gesetzgeber appellieren: Das,
was wir bei der Bildung in der vorletzten Wahlperiode
gemacht haben - da waren Sie dabei -, war, dass man
gesagt hat: Von Kindern, die in die Schule gehen, darf
die Schulbehörde die Daten nicht an die Polizei und die
Ausländerbehörde weitergeben, damit auch Kinder von
Illegalen ihr Recht auf Bildung wahrnehmen können .
Zur Durchsetzung der legitimen Ausweisung von Personen darf nicht der Preis gezahlt werden, dass sie ihre
Menschenrechte verlieren . Das gilt auch für das Einklagen von Arbeitslohn, der vorenthalten wird, vor Arbeitsgerichten . Mit unserem jetzigen Recht schützen wir die
Ausbeuter . Wenn jemand, der einen versprochenen Lohn
nicht erhält, zum Arbeitsgericht geht, muss das Arbeitsgericht ihn melden, was zur Abschiebung führt . Also,
wessen Recht wird da geschützt? Die Leute gehen natürlich nicht hin . Abgeschoben kriegen Sie sie doch nicht .
Aber Sie liefern diese Menschen aus, machen sie rechtlich schutzlos, gefährden ihre Gesundheit .
Für die Gruppe der Menschen ohne Papiere stehen
zwar die Menschen- und Grundrechte in der Verfassung
bzw. im Gesetz, aber durch die Meldepflichten anderer
Behörden werden sie faktisch außer Kraft gesetzt .
({7})
Herr Kollege Beck .
Daher appelliere ich an Sie, insbesondere an Sie von
der Union, mit zwei unfehlbaren Päpsten an meiner Seite: Geben Sie sich einen Ruck! Nehmen Sie sich dieses
Themas an! Und setzen Sie sich auch einmal der Diskussion mit den katholischen Hilfswerken aus . Da ist nie ein
CDU-Abgeordneter . Castellucci von der SPD war da .
Herr Kollege Beck, jetzt muss ich Sie bitten, zum
Schluss zu kommen .
Nehmen Sie sich dieses Problems an, und überlegen
Sie, ob wir in der nächsten Legislaturperiode da endlich
etwas hinbekommen .
({0})
Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Sebastian Hartmann .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Lieber Herr Kollege Beck, wer mit zwei Päpsten
beginnt und mit einem SPD-Kollegen, dem geschätzten
Kollegen Castellucci, endet, der kann eigentlich nur Zustimmung bekommen .
({0})
Sie haben tatsächlich einen Gesetzentwurf aufgegriffen, den wir in der vergangenen Wahlperiode als Opposition formuliert haben . Wir haben gemeinsam an der Frage von aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen gearbeitet
und einen gemeinsamen Gesetzentwurf eingebracht . Tatsächlich haben wir in der damaligen Debatte zum Teil
auch die damalige Koalition gelobt und sie darauf hingewiesen, dass sie schon ein paar Verbesserungen durchgesetzt hat .
Lassen Sie uns auch benennen, dass es ein grundsätzliches Dilemma ist, wenn wir es mit Menschen zu tun
haben, die sich illegal in Deutschland aufhalten, weil bestimmte aufenthaltsrechtliche Fragen nicht ausreichend
geklärt sind . Man darf sich jetzt nicht vorstellen, dass
es um jemanden geht, der es böse meint oder etwas anderes im Schilde führt, sondern es handelt sich vielfach
um Menschen, die in prekären Verhältnissen leben, die
über Jahre und Jahrzehnte Beschäftigung ausüben, deren
Kinder sogar ohne Aufenthaltsstatus in unsere Schulen
gehen . Meine Damen und Herren, das ist in der Tat ein
Problem . Zugleich müssen wir aber auch sehen, dass ein
handlungsfähiger Staat jederzeit wissen muss, wer sich
in seinem Staatsgebiet aufhält . Und das ist die Problemlage . Wir würden allerdings nicht so weit wie die Grünen
in ihrem Antrag gehen, pauschal eine Abschaffung von
ganzen Gesetzesteilen zu fordern oder sich pauschal auf
die EU zu beziehen .
Es ist in der Tat richtig, wenn wir einen der drei Punkte einmal herausnehmen, und zwar die Frage der Arbeitsentlohnung von illegal Beschäftigten,
({1})
dass wir auf die 2009 beschlossene EU-Richtlinie noch
mal eingehen und an dieser Stelle sagen sollten: Ja, in
der Tat gibt es das Problem, dass zwar einerseits erreicht
werden kann, dass der Lohn gezahlt wird, andererseits
aber der Arbeitsrichter eine sogenannte öffentliche Stelle
ist, die dann die Daten übermitteln muss .
Natürlich ist es, wenn man schon über den Schutz
der Bevölkerung spricht, genauso geboten, darauf hinzuweisen: Ja, in der Tat trifft es zu, dass es am Ende,
wenn es einen konkreten Notfall gibt, die Behandlung
in Aufnahmezentren gibt . Dafür einen großen Dank an
die Migrationsdienste, die Fachärzte vermitteln und sich
darum kümmern, dass illegal Aufhältige Zugang zur Gesundheitsversorgung bekommen . Zugleich muss man
sich aber fragen: Kann es sinnvoll sein, finanz- und gesundheitspolitisch diesen Menschen so lange Krankenschutz vorzuenthalten, bis es dann zu einer Notaufnahme
kommt?
Es gibt gute Beispiele dafür, was man hier tun kann auch aus meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen und
aus Niedersachsen . Dort gibt es zum Beispiel den anonymisierten Krankenschein; diese Initiative möchte ich
ausdrücklich begrüßen . Dadurch kann man möglicherweise eine konkrete Verbesserung und eine finanzielle
Auskömmlichkeit im System erreichen und insgesamt
auch etwas für den Gesundheitsschutz tun .
({2})
Wir werden diese Debatte sehr ernsthaft führen, aber
wir müssen sie unter anderen Voraussetzungen als denen
des Jahres 2015 führen, als Sie den Antrag formuliert
und gestellt haben . Wir reden jetzt über eine Vielzahl
von Menschen, deren Aufenthaltsstatus infrage steht und
überprüft wird . Es sind wahrlich nicht wenige Menschen .
Nach einem Zeitungsbericht waren es 2016 allein in BerVolker Beck ({3})
lin 50 000 Menschen, die von diesen Regelungen möglicherweise umfasst sind .
Die SPD wird diesen Ansatz aufnehmen und im Benehmen mit dem Koalitionspartner diskutieren . Dabei
können wir sicherlich auf das zurückgreifen, was wir
in der vergangenen Legislaturperiode erarbeitet und gemeinsam eingebracht haben, um hier im Plenum zu einer
großen, breiten Mehrheit zu kommen .
Herzlichen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt Andrea Lindholz .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute zwei Gesetzentwürfe der Opposition . Beide
Vorlagen erinnern mich an ein Zitat von Kurt Tucholsky:
Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut
gemeint .
Die Linken wollen soziale Grundrechte im Grundgesetz verankern . Sie wollen, dass jeder Mensch den Staat
auf einen Arbeitsplatz und bezahlbaren Wohnraum verklagen kann . Im Grunde fordern Sie eine grundlegend
andere Wirtschaftsordnung . Sie wollen, dass der Staat
wieder über die Wirtschaft bestimmt . Solche Ideen aus
der sozialistischen Mottenkiste werden, meine sehr geehrten Damen und Herren, auch nach Jahren nicht besser .
Ausgehend von unserem Grundgesetz, dem Artikel 1 und
unserem Sozialstaatsprinzip, brauchen wir keine neuen
Kreationen im Grundgesetz .
Zur Begründung schreiben Sie:
Die bisherige Ausgestaltung des Grundgesetzes
reicht nicht aus, um wirksam vor Sozialabbau und
sozialer Ausgrenzung zu schützen .
Dieser Vorwurf ist vollkommen absurd . Ich darf heute auch einmal Zahlen nennen: Deutschland hat 2015
888,2 Milliarden Euro für Sozialleistungen ausgegeben .
Das macht fast ein Drittel unseres Bruttoinlandproduktes
aus . Im letzten Jahrzehnt hat sich die Arbeitslosigkeit in
Deutschland halbiert . Trotzdem sind die Sozialleistungen
um über 220 Milliarden Euro gestiegen . Und Sie reden
an dieser Stelle von Sozialabbau!
Bei Ihrem Bild von Deutschland, liebe Kolleginnen
und Kollegen der Linken, wundert es mich nicht, dass
Ihnen sowohl in NRW als auch in Schleswig-Holstein
der Einzug ins Landesparlament verwehrt wurde .
Zum Gesetzentwurf der Grünen: Er ist aus meiner
Sicht leider nicht viel besser, gerade wenn man ihn im
Lichte des Zuzugs nach Deutschland in den letzten zwei
Jahren betrachtet . Sie wollen allen Ernstes öffentlichen
Einrichtungen wie Gerichten und Krankenhäusern verbieten, Ausländerbehörden über Menschen zu informieren, die sich illegal in Deutschland aufhalten .
({0})
Wir reden nicht von Menschen ohne Papiere; denn Menschen ohne Papiere können sich auch legal in Deutschland aufhalten .
({1})
Sie begründen das in Ihrem Gesetzentwurf so:
Bislang sehen Menschen ohne Aufenthaltsstatus
oftmals von der Durchsetzung schadensersatzrechtlicher, arbeitsvertraglicher oder sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche ab, weil sie zu Recht
befürchten, dass im laufenden Verfahren ihr Aufenthalt den Ausländerbehörden mitgeteilt wird . Durch
die Änderung wird ihre Position . . . gegenüber ausbeuterischen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern
gestärkt .
Wenn ich das lese, dann frage ich mich, ob ich ein falsches Weltbild habe .
({2})
Sie wollen allen Menschen, die sich illegal in Deutschland aufhalten - ich rede von „illegal“ und nicht von
Menschen ohne Papiere -,
({3})
den Weg zu den Arbeitsgerichten eröffnen, und gleichzeitig sollen die Ausländerbehörden davon nicht erfahren
dürfen . Es tut mir leid, aber damit legalisieren Sie den
unerlaubten Aufenthalt . Sie laden zur Illegalität ein und
untergraben vor allen Dingen den deutschen Rechtsstaat .
({4})
Unser Aufenthaltsrecht können wir dann bald abschaffen, und wir können das, was Sie wollen, auf einen Punkt
bringen: Wer nach Deutschland kommt, erhält ein Bleiberecht und auch vollen Zugang zum Arbeitsmarkt und
zu Sozialleistungen .
({5})
So wie Sie sich das vorstellen, funktioniert unser Rechtsstaat nicht . Daher lehnen wir auch Ihren Gesetzentwurf
ab .
({6})
Über 1,2 Millionen Menschen sind in den letzten beiden Jahren nach Deutschland gekommen, 485 000 AusSebastian Hartmann
reisepflichtige werden zum Ende dieses Jahres erwartet.
Wir wollen, dass diese Menschen ihrer Ausreisepflicht
nachkommen, und wir wollen sie nicht in die Illegalität
drängen . Der Bund, die Länder, die Behörden und der
Bundestag betreiben einen großen Aufwand, um diese
Menschen zu registrieren . Im Interesse der inneren Sicherheit gilt: Wir müssen wissen, wer zu uns kommt und
wer sich dauerhaft bei uns aufhält . Wir können Illegalität
nicht auch noch zementieren .
Die Lösung ist auch nicht, das Leben in der Illegalität
zu vereinfachen . Die Lösung muss sein, die Menschen
aus der Illegalität herauszuholen . Wir haben mit unserer
Bleiberechtsreform dafür gesorgt, dass sich Menschen,
die sich seit vielen Jahren mit einem umgekehrten Aufenthaltsstatus in Deutschland aufhalten, gut integrieren
und einen Aufenthaltstitel bekommen können . Damit haben wir ein Signal gegen die Illegalität gesetzt .
Wir wollen keine unkontrollierte und auch keine unrechtmäßige Zuwanderung . Ihrem Gesetzentwurf können wir daher nicht zustimmen .
Vielen Dank .
({7})
Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet .
Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 17 a zur
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die
Linke zur Änderung des Grundgesetzes . Der Ausschuss
für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12412, den
Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10860 abzulehnen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Das ist die Linke . Wer stimmt dagegen? - Das ist
die Koalition . Wer enthält sich? - Die Grünen . Damit ist
der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt . Nach
unserer Geschäftsordnung entfällt die weitere Beratung .
Unter Tagesordnungspunkt 17 b wird interfraktionell die
Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/6278
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Ich sehe,
das ist nicht der Fall . Dann ist so beschlossen .
Wir kommen damit zu Tagesordnungspunkt 18:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der
internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo
auf der Grundlage der Resolution 1244 ({0})
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz ({1}) und den
Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien
({2}) und der Republik
Serbien vom 9. Juni 1999
Drucksache 18/12298
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({3})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich sehe, Sie
sind damit einverstanden . Dann ist das so beschlossen .
Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen . - Jetzt können
wir anfangen . Das Wort hat für die SPD-Fraktion Josip
Juratovic .
({4})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir diskutieren heute über das Kosovo und
über die Mandatsverlängerung für den Einsatz deutscher
Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der KFOR-Mission . Das Positive an unserer Debatte ist, dass wir die
Truppenstärke verringern werden: von bisher 1 350 auf
jetzt maximal 800 Soldatinnen und Soldaten . Der negative Beigeschmack bleibt: Eine Truppenstationierung ist
auch 18 Jahre nach dem Kosovokrieg noch nötig .
Bevor wir in die Diskussion einsteigen, ist mir eines
besonders wichtig: Mein großer Dank und Respekt gilt
den Soldatinnen und Soldaten im Einsatz!
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Kosovo schafft
es leider regelmäßig in unsere Nachrichtenticker . Mal
höre ich die nationalistischen Töne, wenn die kosovarische Opposition den Grenzverlauf mit Montenegro
anzweifelt . Ein anderes Mal lese ich Drohungen von
bewaffnetem Widerstand, weil Serbien mit einem Propagandazug an die kosovarische Grenze rollt . Anschließend fordert Kosovo eine Armee, wohl wissend, welche
Provokation dies für Serbien ist . Gleichzeitig liebäugeln
nicht wenige im Land mit Großalbanien .
Doch auch die guten Nachrichten sollen nicht verschwiegen werden . Die lange Zeit verbarrikadierte
Brücke von Mitrovica ist wieder offen, und Kosovo hat
endlich eine eigene internationale Telefonvorwahl und
eigene Kfz-Kennzeichen .
So oder so: Die aktuelle Lage im Kosovo und auf dem
Westbalkan im Allgemeinen ist desolat . Am eindrucksvollsten wird dies durch jene fast 50 000 Menschen aus
dem Kosovo bestätigt, die in den vergangenen Jahren in
Deutschland Asyl beantragten, oder, noch schlimmer, mit
über 300 IS-Kämpfern aus dem Kosovo . Warum tun sie
das?
Erstens . Die Arbeitslosigkeit, insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit, liegt bei 50 Prozent .
Zweitens. Pristina befindet sich seit langem in einer
Regierungskrise . Erst vor wenigen Tagen ist die Regierung endgültig zerbrochen . Neuwahlen stehen bevor . DaAndrea Lindholz
bei ist das parlamentarische Selbstverständnis schwach
oder aber so radikal, dass der parlamentarische Weg gar
nicht beschritten wird . Die politischen Eliten kranken
an drei Symptomen: Korruption, Vetternwirtschaft und
Nationalismus . Was ich hier vermisse, ist das politische
Verantwortungsgefühl für die wirtschaftliche und soziale
Entwicklung .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, all das, obwohl wir
seit Jahren mit Unterstützungen im Milliardenbereich im
Kosovo aktiv sind!
Die Rolle der internationalen Gemeinschaft ist trotz
dieser beeindruckenden Zahl alles andere als glücklich .
Selbst im Kosovo wird die EU inzwischen zunehmend
mit Skepsis betrachtet . Insbesondere die europäische
Rechtsstaatsmission EULEX hat in der Bevölkerung
den Ruf, eine korrupte Brüderschaft mit den Eliten zu
pflegen. Zur Ehrlichkeit gehört dabei aber auch: Wer gezwungen ist, Kompromisse mit Korrupten zu schließen,
wird den Verdacht nicht los, selbst korrupt zu sein .
Nun könnte man argumentieren, dass wir unser Engagement lieber einstellen und die Kosovaren sich selbst
überlassen sollten . Dieser Gedanke mag verführerisch
sein, weil das so einfach klingt, dies aber wäre verheerend für die Sicherheit und Stabilität Europas .
({1})
Meine Überzeugung ist: Der Westbalkan ist ein wunder
Punkt mitten in der Europäischen Union, der globalen
politischen Interessen ausgesetzt ist . Deshalb müssen wir
Deutschen und Europäer uns stärker für eine europäische
Zukunft des Westbalkans einbringen, schon unserer eigenen Sicherheit wegen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Nachbarstaaten des Kosovo sind auch nicht gerade Musterbeispiele
der Sicherheit und Stabilität . Das gilt zum Beispiel für
Kosovos Nachbarn Mazedonien, wo 25 Prozent der Bevölkerung ebenfalls zur albanischen Volksgruppe gehören . Kürzlich haben die Mazedonier ein neues Parlament
gewählt . Nach dem Machtverlust tauchten die mazedonischen Nationalisten auf den Straßen auf und stürmten äußerst gewalttätig das Parlament mit dem Ziel, slawische
und albanische Mazedonier gegeneinander auszuspielen .
Kolleginnen und Kollegen, die Demokratinnen und
Demokraten Mazedoniens verdienen unseren Respekt
und unsere Unterstützung; denn diese mutigen Menschen
verteidigen unter schwierigsten Bedingungen die demokratischen Werte des immer mehr nach rechts außen kippenden Europas .
({2})
Doch blicken wir auf Kosovo zurück . Die Verlängerung des KFOR-Einsatzes ist die traurige Bestätigung
dafür, dass unsere Soldatinnen und Soldaten die schleppende EU-Erweiterungspolitik ausgleichen müssen .
Kolleginnen und Kollegen, natürlich handeln die Bundesregierung und die EU: Es gibt den Berliner Prozess
für bessere Zusammenarbeit auf dem Westbalkan und
die deutsch-britische Initiative für Bosnien-Herzegowina . - Trotz aller diplomatischer Bemühungen tragen wir
Europäer eine Mitverantwortung für die desolate Lage
auf dem Westbalkan, zum Beispiel, wenn Mazedonien
seit 2008 auf die Eröffnung seiner Verhandlungskapitel
wartet, weil Griechenland jeglichen Fortschritt blockiert,
oder wenn im Kosovo mehr als 1 000 juristische Expertinnen und Experten bei EULEX seit Jahren nicht in der
Lage sind, eine effektive Korruptionsverfolgung aufzubauen . Deshalb sollten wir Europäer jetzt dringend politische Handlungsfähigkeit beweisen .
Erstens . Das Kosovo braucht endlich gerechte Gleichbehandlung in der Region des Westbalkans . Dazu gehört
auch die dringende Umsetzung der Visaliberalisierung .
Zweitens . Die EU-Verhandlungskapitel 23 und 24
stehen für die fundamentalen Werte der EU . Wenn man
EULEX als Rechtsstaatsmission ernst meint, muss man
gerade diese Kapitel schleunigst eröffnen, und zwar für
alle Westbalkanstaaten . Den Skeptikern unter uns will ich
sagen: Kapiteleröffnung bedeutet noch lange keinen Automatismus hin zum EU-Beitritt . Die Kapiteleröffnung
setzt gesellschaftliche und politische Kräfte in Gang, die
glaubwürdig die notwendigen Reformen umsetzen und
unsere demokratischen Werte vor Ort mit Leben erfüllen
können .
Kolleginnen und Kollegen, am allerwichtigsten ist
aber: Wir müssen in der EU endlich entschlossen politisch handeln, damit unsere KFOR-Soldatinnen und -Soldaten ihre Arbeit beenden und nach Hause zurückkehren
können . Bis dahin bitte ich um Ihre Zustimmung zum
Antrag der Bundesregierung .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({3})
Vielen Dank . - Für die Linke spricht jetzt Dr . Alexander
Neu .
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte
Frau Präsidentin! Wir reden heute wieder über einen
KFOR-Einsatz. Wir befinden uns jetzt, glaube ich, im 16.
oder 17 . Jahr dieses Einsatzes . Es geht also um die Verlängerung eines Militäreinsatzes zur fortgesetzten Besetzung der südserbischen Provinz Kosovo .
({0})
- Das zeigt einmal mehr Ihr Selbstverständnis, meine
Kolleginnen und Kollegen, und auch, wie sehr Sie sich
mit Verfassungsrecht und Völkerrecht auskennen .
Vorausgegangen sind dem zwei völkerrechtswidrige
Handlungen . Die erste war der NATO-Angriffskrieg im
Jahr 1999 gegen den damals souveränen Staat Jugoslawien unter Beteiligung Deutschlands, das zu dieser Zeit
von einer rot-grünen Regierung geführt wurde . Dieser
Angriffskrieg diente seinerzeit der Unterstützung der
UCK, einer terroristisch-nationalistischen Organisation .
Ich sage das deshalb, weil vor mir der Kollege auf den
Nationalismus auf dem Balkan hingewiesen hat . Der
Vorwand für die militärische Unterstützung der UCK war
ein angeblicher oder drohender Genozid, der nie stattgefunden hat, also auch nicht bewiesen werden konnte .
Die zweite rechtswidrige Handlung bestand darin,
dass die Regierung des Kosovo gegenüber Serbien einen
Territorialraub beging, begründet mit dem Selbstbestimmungsrecht der albanischen Ethnien .
Lassen Sie mich mit dem Blick auf die Krim eine kleine Anmerkung machen . Auch dort hat die Bevölkerung
ihr Selbstbestimmungsrecht - allerdings ohne Kriegsführung - geltend gemacht . Aber auch das war ein verfassungswidriger Akt seitens der Bewohner der Krim . Und
es war ein Völkerrechtsbruch seitens der Russischen Föderation, die Krim zu integrieren .
Warum aber unterstützen Deutschland und der Westen
solche Organisationen wie die UCK?
({1})
Es gibt eine ganz schnöde Antwort: Es geht um geostrategische Machtpolitik . Gerade Serbien hat in der ersten
Hälfte des 20 . Jahrhunderts erfolgreich Widerstand gegen die deutsche und österreichische Imperialpolitik
geleistet . Daher musste Jugoslawien nach dem Kalten
Krieg zerlegt und Serbien geteilt werden . Unter Ihnen
gibt es doch sicherlich den einen oder anderen, der die
Aussage vom damaligen Außenminister Klaus Kinkel
aus dem Jahre 1992 kennt: Wir müssen Serbien in die
Knie zwingen . - Das ist das Vokabular, das zeigt, wie
man mit Kleinstaaten umgeht, die einem nicht unbedingt
wohlgesonnen sind .
Es ist auch kein Zufall, dass Deutschland und Österreich gerade die separatistisch-nationalistischen Kräfte
unterstützten, die sie auch schon im Zweiten Weltkrieg
unterstützt haben:
({2})
die Domobrancen in Slowenien, die Ustascha in Kroatien, die Waffen-Gebirgsdivision der SS „Handschar“ in
Bosnien-Herzegowina sowie die Waffen-Gebirgsdivision der SS „Skanderbeg“, deren logischer Nachfahre die
UCK war .
Sehr geehrte Damen und Herren, in dem Antrag der
Bundesregierung - das finde ich auch ganz interessant steht ja - und ich zitiere -:
Eine fortgesetzte Beteiligung deutscher Soldatinnen
und Soldaten an KFOR liegt damit im deutschen sicherheitspolitischen Interesse .
Wenn man „sicherheitspolitisch“ durch „machtpolitisch“
oder „geopolitisch“ ersetzen würde, käme man der Wahrheit näher .
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die deutsche und
insgesamt die westliche Außen- und Sicherheitspolitik man ging Arm in Arm mit den USA vor - nach dem Ende
des Kalten Krieges eine rücksichtslose geostrategische
Expansionspolitik gewesen ist . Statt ein gemeinsames
Haus Europa zu bauen und einen Wirtschaftsraum zu
schaffen, der von Vancouver bis Wladiwostok reicht, gab
es eine NATO- und EU-Expansion .
Das meistgenutzte Instrument der westlichen Geopolitik in Osteuropa ist - als staatliches Emanzipationsprojekt - die Unterstützung und Befeuerung des
Nationalismus . Das geschieht mit der Verwendung von
Täuschungsbegriffen wie „Demokratie“ und „Freiheit“ .
({3})
Das Ergebnis war und ist ein gewaltiger Nationalismus
in der Ukraine und in Jugoslawien in einer militärischen
Dimension, die zu mehr als 100 000 Toten führte .
Im Baltikum, in Ungarn, Polen und Tschechien, in
der Slowakei, in Rumänien und Bulgarien haben wir es
teilweise mit reaktionären Regierungen zu tun, die sich
bisweilen sogar rassistisch äußern . Die Ausgrenzung von
Minderheiten sowie die dezidierte Ablehnung der Aufnahme von Flüchtlingen in Osteuropa sprechen doch
Bände, sehr geehrte Damen und Herren . Das können Sie
doch nicht leugnen . Das sind die Früchte Ihrer Politik .
({4})
Wegen dieser Politik werden wir den KFOR-Antrag
natürlich nicht unterstützen .
Ich danke Ihnen .
({5})
Nächster Redner ist der Parlamentarische Staatssekretär Dr . Ralf Brauksiepe .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, es ist nach dem letzten Beitrag sinnvoll, uns
jetzt wieder mit der realen Welt zu beschäftigen .
({0})
Man hätte ja - wenn man die Beschreibungen zur Kenntnis nimmt, die man hier hört - manchmal Lust, zu sehen,
wie eigentlich die Weltkarten von Kollegen aussehen, die
sie vielleicht in ihrem Büro haben . Das wäre lustig, wenn
es angesichts dessen, um was es hier geht, nicht so traurig
wäre .
Ich erinnere mich wie viele, die dabei waren, an die
Entscheidungen, die wir 1998/99 im Deutschen Bundestag damals noch in Bonn getroffen haben und die keinem
von uns leichtgefallen sind . Ich meine die Entscheidungen betreffend die Jugoslawienkonflikte - diesen Flächenbrand und die damaligen Kriegsverbrechen mitten
in Europa - in den 90er-Jahren . Wie gesagt, Herr KolleDr. Alexander S. Neu
ge, wenn es nicht so traurig wäre, könnte man über das
lachen, was Sie hier erzählt haben .
({1})
Ich wünschte, dass Sie einmal Gelegenheit hätten, mit
den Angehörigen der vielen Opfer zu sprechen, von denen Sie eben behauptet haben, es sei gar nicht bewiesen,
dass es sich um Opfer handele .
({2})
An Zynismus ist das, was Sie gesagt haben, kaum zu
überbieten . Es ist einfach peinlich .
({3})
Wir haben damals erkannt, dass blutige Konflikte auf
unserem Kontinent nicht schon Geschichte waren . Wir
sahen die Zündkraft dieser Konflikte auch und gerade für
Deutschland . Frieden und Stabilität in Europa sind unser
höchstes Gut, heute genauso wie damals, als wir das auch aus humanitärer Sicht - Notwendige getan haben .
Deshalb engagieren wir uns seit mittlerweile fast 20 Jahren auf dem westlichen Balkan sehr stark mit zivilen,
aber darüber hinaus auch mit militärischen Mitteln . Wir
haben das trotz vieler Schwierigkeiten beharrlich und mit
Erfolg getan .
Das gemeinsame Engagement mit unseren Partnern in
der NATO, der Europäischen Union und den Vereinten
Nationen hat sichtbar Früchte getragen . Wir sehen das
insbesondere im Kosovo, wo sich die allgemeine Sicherheitslage deutlich verbessert hat und wo sich die Beziehungen zu Serbien langsam, aber immerhin normalisieren .
Nicht alles verläuft spannungsfrei, was die Umsetzung des Normalisierungsabkommens von 2013 zur Eingliederung der kosovo-serbischen Parallelstrukturen angeht . Eine nachhaltige Stabilisierung der Grenzregion im
Nordkosovo bleibt daher unsere oberste Priorität; denn
dort besteht nach wie vor Eskalations- und Konfliktpotenzial . Einzelne Zwischenfälle wie etwa die Ausschreitungen bei Demonstrationen in Pristina im Januar letzten
Jahres verdeutlichen, wie schnell sich die Gesamtlage
wieder anspannen kann . Daher bleibt es wichtig, unseren
Einsatz mit unseren Partnern für Frieden und Sicherheit
im Kosovo fortzuführen .
Im Einklang mit den Bekenntnissen des Warschauer
Gipfels der NATO von 2016 ist das militärische Kräftedispositiv der KFOR nun erneut an die insgesamt verbesserte Sicherheitslage im Kosovo anzupassen . Es geht
neben der Reduzierung der Truppen um eine Schwerpunktverlagerung hin zu mehr Aufklärungs- und Beratungsfähigkeiten . Dies bedeutet für die Bundeswehr
nicht nur eine Reduzierung der nationalen Mandatsobergrenze von 1 350 auf 800 einsetzbare Soldatinnen und
Soldaten . Es wird auch real auf eine Reduzierung unseres
Kräftedispositivs hinauslaufen . Wir schöpfen die Mandatsobergrenze bisher bei weitem nicht aus . Wir werden
sowohl die im Kosovo stationierten Soldatinnen und Soldaten zahlenmäßig reduzieren als auch die Reserve, die
wir und unsere österreichischen Partner in Deutschland
bzw . Österreich vorhalten . Damit reagieren wir auf die
Verbesserung der Sicherheitslage .
Aber wir erkennen genauso an: Es bedarf weiterhin
eines Beitrags zur Stabilisierung des Kosovo . Mit der
Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo senden wir das Signal: Für Frieden und Stabilität in Europa übernehmen
wir weiterhin gemeinsam mit unseren Partnern Verantwortung . Wir wissen, dass noch viel zu tun ist und dass
es in den Ländern, zu deren Stabilisierung wir beitragen,
vieler Maßnahmen und Anstrengungen bedarf .
Wir tun gut daran, selbstkritisch das zu betrachten,
was wir tun . Aber wir tun auch gut daran, uns nicht jeden
Schuh anzuziehen und nicht selbstanklagend auf uns zu
zeigen aufgrund jedes Problems, das auf dem Westbalkan besteht . Wir haben keinen Grund zur Selbstanklage .
Wir sind Teil der Lösung und nicht Teil des Problems .
Daran wollen wir weiter arbeiten . Dafür bitte ich Sie um
Unterstützung .
({4})
Vielen Dank . - Für Bündnis 90/Die Grünen spricht
jetzt Dr . Tobias Lindner .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Herr Staatssekretär, Sie haben es selbst erwähnt: 1999
hat man zum ersten Mal über dieses Mandat, die Entsendung der Bundeswehr nach Jugoslawien, beraten . Es
spricht für Ihr Lebensalter, dass Sie damals in Bonn dabei waren . Ich habe damals als 17-jähriger Schüler die
Debatten vor dem Fernsehgerät verfolgt . Natürlich muss
man angesichts 18 Jahre Einsatz die Frage stellen: Ist
KFOR ein erfolgreicher Einsatz, wenn man bedenkt, dass
wir 18 Jahre engagiert sind?
Schauen wir auf die Mandatszahlen . Das Ganze hat
mit 50 000 Soldatinnen und Soldaten begonnen . Wir
sind jetzt bei einer maximalen Gesamttruppenstärke von
4 400 angekommen . Auch die Aufgaben haben sich verändert . Wurden die Streitkräfte primär dafür eingesetzt,
die öffentliche Sicherheit zu garantieren, sind wir heute
bei einem Kräftedispositiv angekommen, also eher einer
Art Rückversicherung, die bereitsteht, falls die Lage instabil wird oder die Situation eskaliert .
Deshalb will ich ganz klar sagen: In diesen 18 Jahren
konnten sich staatliche und zivilgesellschaftliche Institutionen entwickeln, wenn auch bei weitem nicht auf dem
Niveau, auf dem wir sie gerne hätten . Unter dem Strich
muss man sagen: Die Entwicklung der letzten 18 Jahre in
dieser Region ist ein Erfolg, und daran hat auch KFOR
ihren Anteil .
({0})
Wenn man die Frage stellt, ob das Mandat erfolgreich
war, muss man aber auch die Frage stellen, ob dieser
Einsatz immer noch notwendig ist . Die Bundesregierung
selbst sieht die Bedrohungslage als niedrig und die Sicherheitslage als kontrollierbar an . Man muss sagen: Ja,
der Einsatz ist leider immer noch notwendig .
Sie, Herr Kollege, haben selbst erwähnt, welche Arten
von Provokationen es auf verschiedenen Seiten gibt . Sie
haben auch von dem Zug gesprochen, der an die Grenze fuhr und der zum Glück noch rechtzeitig aufgehalten
wurde . Auf dem stand: Kosovo ist Serbien . - Das sind
keine Ereignisse, die zu einer Entspannung der Situation
beitragen . Im Gegenteil: Sie tragen ein enormes Konfliktpotenzial in sich. KFOR ist notwendig, damit man
im Fall einer Eskalation reagieren kann .
({1})
Man muss vor allem folgende Frage stellen: Ist KFOR
ausreichend? Darauf ist hoffentlich unsere gemeinsame
Antwort, zumindest von vielen in diesem Haus: selbstverständlich nicht . Wenn wir über die Probleme reden,
die die Region hat, dann erweist sich, dass Militär maximal einen Rahmen bieten kann, um solche Probleme
anzugehen . Aber es müssen die zivilen und die diplomatischen Mittel, die Mittel der wirtschaftlichen Kooperation und die Mittel der Entwicklungszusammenarbeit
eingesetzt werden . Dazu braucht es in diesem Moment
vor allem ein starkes Europa . Wir als Europäische Union
müssen die gesamte Balkanregion politisch und gesellschaftlich unterstützen, und wir müssen schauen, dass die
Beitrittsperspektive, die durch Verhandlungen eröffnet
wurde, auch weiterhin glaubhaft bestätigt wird .
({2})
Lassen Sie uns in unser Bewusstsein rücken, dass unsere Gemeinschaft das starke Haus Europa ist, das auch in
diesem Fall Orientierung bieten kann .
Langfristig muss klar sein: Ich will nicht in 18 Jahren
hier stehen und immer noch darüber reden, ob wir dieses
Mandat verlängern . Die sinkenden Mandatszahlen sind
ein gutes Zeichen . Wir alle sollten über die Perspektive
nachdenken, wie wir dieses Mandat in mittlerer Zukunft
beenden können .
({3})
Wir müssen den Abzug unserer Truppen mittelfristig
in den Blick nehmen . Wir müssen schauen, dass wir auf
ziviler Ebene die Voraussetzungen dafür schaffen . Das
zu tun, ist wichtig, und es bleibt wichtig . Wir brauchen
mehr Diplomatie, wir brauchen mehr Entwicklungszusammenarbeit . Aber wir sollten uns nichts vormachen:
Für die nächsten zwölf Monate, über die wir reden, brauchen wir auch noch die KFOR .
Das ist unsere Orientierung, aber das ist auch unsere Erwartung an die Bundesregierung . Wenn Sie, Herr
Staatssekretär, sagen: „Es ist noch viel zu tun“, dann sagen wir ganz klar: Dann lassen Sie es uns doch tun . Mit
dieser Orientierung werden wir wohlwollend in die kommenden Ausschussberatungen gehen und dieses Mandat
prüfen .
Herzlichen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt der Kollege Dr . Reinhard Brandl .
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte zur Verlängerung des KFOR-Einsatzes
kommt genau zum richtigen Zeitpunkt . Letzte Woche hat
der kosovarische Ministerpräsident seine Mehrheit im
Parlament verloren, und im Juni gibt es Neuwahlen . Bei
diesen Neuwahlen wird es im Wesentlichen darum gehen, ob die Normalisierung der Beziehungen zu Serbien
weitergeht oder ob dieser Weg unterbrochen wird . Meine
Damen und Herren, täuschen wir uns nicht: Das ist eine
Richtungsentscheidung; denn die Normalisierung, die
Aussöhnung mit Serbien, ist eine wesentliche Voraussetzung für eine weitere EU-Perspektive des Kosovo .
Bei all meinen Gesprächen auf dem Balkan habe ich
eins gemerkt: Dort werden die Debatten, die wir hier führen, ganz genau verfolgt, und das auch von denjenigen,
die einer weiteren EU-Perspektive und einer weiteren
EU-Annäherung kritisch gegenüberstehen . Deswegen
sollten wir die Chance, die mit der heutigen Debatte einhergeht, nutzen, um ihnen zuzurufen, dass für uns der
Kosovo ein Teil Europas ist, dass wir für Sicherheit, Entwicklung, Frieden auf dem Westbalkan und insbesondere
im Kosovo eintreten und dass wir als sichtbares Zeichen
unserer Unterstützung die Bundeswehr im Kosovo belassen .
({0})
Dieses Signal ist wichtig; denn der gesamte Westbalkan
ist im Moment in einer kritischen Phase . Ich möchte das
an vier Beobachtungen festmachen .
Erste Beobachtung . Der Westbalkan hat im Moment
in Brüssel nicht die höchste Priorität . Brexit, Ukraine,
Nordafrika, Türkei - überall lodernde Brandherde, die
die volle Aufmerksamkeit erfordern . Dagegen scheint
der Westbalkan fast abgekühlt zu sein; aber ich glaube,
der Eindruck täuscht .
Zweite Beobachtung, dazu passend: Im Moment ist
es doch so, dass die Nationalisten in den verschiedenen
Ländern austesten, wie weit sie gehen können . Der Kollege Lindner hat es angesprochen: Einen Zug mit der
Aufschrift „Kosovo ist Serbien“ von Belgrad nach Mitrovica fahren zu lassen, ist doch eine reine Provokation,
({1})
bei der es nur darauf ankommt, lieber Kollege Neu, zu
schauen, wie wer reagiert . Um im Bild von vorhin zu
bleiben: Im Kosovo und auf dem Westbalkan gibt es im
Moment viele, die zündeln .
Dritte Beobachtung . Andere Länder und andere Mächte bemühen sich momentan sehr intensiv um Einfluss in
der Region - Russland vor allem in den slawischen Teilen; China investiert in der ganzen Region . Eine Randnotiz, die das strategische Interesse und die strategische
Bedeutung des chinesischen Engagements zeigt: Vor
kurzem wurde der serbische Präsident zum Ehrenbürger Pekings ernannt . Die Türkei ist aktiv . Sie sieht sich
als Schutzmacht für die Muslime in der ganzen Region,
und auch andere arabische Länder investieren zum Teil
in Moscheen, aber zum Beispiel auch in Belgrad in die
Infrastruktur der Stadt. Sie wollen sich darüber Einfluss
sichern .
Vierte Beobachtung . Die Anziehungskraft der Europäischen Union lässt im Moment eher nach .
({2})
Damit sinkt auch der Einfluss der EU. Der Weg zu einer
EU-Mitgliedschaft dauert schon lange und ist ohne klare
zeitliche Perspektive . Die EU selbst ist in einer Krise,
Stichwort „Brexit“ . Es gibt andere Länder, die auch gute
Angebote machen, ohne dass es irgendwelche lästigen
Reformvorgaben gibt .
Der Kosovo und der Westbalkan sind ein Teil Europas . Eine Instabilität innerhalb Europas können wir uns
noch viel weniger erlauben als eine Instabilität außerhalb Europas oder an den Grenzen Europas . KFOR ist
in einem Teil des Westbalkans, im Kosovo, ein wichtiger
Stabilitätsanker . Deswegen wollen und werden wir auch
KFOR verlängern . Wir können den Ländern auf dem
Westbalkan im Moment keinen schnellen EU-Beitritt
versprechen; aber wir müssen ihnen zeigen, dass Europa
für sie langfristig der bessere Partner ist und dass es sich
lohnt, sich Europa anzunähern .
Ich möchte mit einer weiteren Beobachtung schließen .
Ich glaube, wir haben da alle Chancen . Immer wenn ich
insbesondere mit jungen Leuten auf dem Westbalkan
spreche, dann sagen sie mir alle: Wir wollen in die EU . Lieber Herr Neu, ich habe noch keinen getroffen, der
nach Moskau will, und ich habe noch keinen getroffen,
der nach Ankara will,
({3})
sondern es ist die EU, die Anziehungskraft hat . Wir sollten den jungen Menschen auf dem Westbalkan diese Perspektive weiterhin geben . Deswegen werden wir den Antrag der Bundesregierung sehr wohlwollend prüfen und
ihm zustimmen .
Herzlichen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Der Kollege Brandl war der letzte
Redner zu diesem Tagesordnungspunkt .
Es wird vorgeschlagen, dass die Vorlage auf Drucksache 18/12298 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse überwiesen wird . - Ich sehe, Sie sind damit
einverstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Jetzt kommen wir zum Zusatzpunkt 6:
Beratung des Antrags der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE
Sofortiger Abzug der Bundeswehr aus Incirlik
Drucksache 18/12372
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Claudia Roth für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Natürlich spreche ich hier und heute als grüne Abgeordnete, aber ich möchte auch ganz explizit als Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages sagen: Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee . Es muss doch über alle
Fraktionsgrenzen hinweg zu unserem Selbstverständnis
gehören, dass wir diese Parlamentsarmee auch an ihren
jeweiligen Einsatzorten besuchen können .
({0})
Mit jedem Einsatz, den wir für die Bundeswehr beschließen - Sie wissen alle, dass sich meine Fraktion aus
gutem Grund dabei nicht leichttut -, laden wir enorme
Verantwortung auf uns . Wir entsenden Soldatinnen und
Soldaten in schwierigste Missionen . Wir sprechen ihnen
unser Vertrauen aus, bitten sie aber zugleich, auch uns zu
vertrauen . Wie wollen wir dieses gegenseitige Vertrauen
aber aufrechterhalten, wenn uns die unmittelbare Begegnung, wenn uns der inhaltliche Austausch verwehrt wird?
({1})
Diese Frage stelle ich übrigens nicht, obwohl meine
Fraktion gegen den deutschen Tornadoeinsatz über Syrien ist und war, sondern im Gegenteil: Gerade weil wir
dem Einsatz nicht zugestimmt haben, ist es doch ein Anliegen und unser Recht, unsere Bedenken vor Ort thematisieren zu können .
({2})
Das ist uns nun aber zum wiederholten Male von der
türkischen Seite verboten worden . In diesem Punkt kann
ich Sigmar Gabriel nur zustimmen: Dieser Zustand ist
absolut inakzeptabel!
({3})
Aber: Dieser Zustand ist bereits seit geraumer Zeit absolut inakzeptabel . Was muss also noch geschehen? Wie
lange wollen wir denn noch warten? Wann lassen wir den
vielen Empörungsrufen endlich auch Konsequenzen folgen? Liebe Kolleginnen und Kollegen: Es reicht!
({4})
Ich höre immer wieder von Abgeordneten aus anderen Ländern, wie sehr wir um unser Prinzip einer Parlamentsarmee in Deutschland beneidet werden .
({5})
Da wäre es doch ein Armutszeugnis, ja, eine Beleidigung
gegenüber einem regelrechten Parlamentsprivileg, wenn
wir zum wiederholten Male hinnehmen würden, dass wir
unserer eigenen Verantwortung nicht nachkommen dürfen . Ich sage hier ganz bewusst: unserer eigenen Verantwortung .
({6})
Natürlich ist dieser Bundeswehreinsatz in eine gemeinsame Strategie mit Partnern wie den USA eingebettet . Aber das bedeutet doch noch lange nicht, dass Sigmar
Gabriel jetzt glaubt, ausgerechnet Rex Tillerson um Hilfe
bitten zu müssen . Ja, was soll das denn? Es war unsere
Entscheidung, unsere Bundeswehr in Incirlik zu stationieren, also müssen wir auch die Verantwortung übernehmen .
({7})
Unter den gegebenen Bedingungen ist der Abzug überfällig . Also bitte: Er ist nicht nur anzudenken oder weiter
zu erwägen, nur um Zeit zu gewinnen . Es braucht auch
kein Ultimatum, das heute wohl Kollege Oppermann gestellt hat . Nein, wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, es mit den vielen Respektsbekundungen wirklich ernst meinen, die gestern im Fall
Franco A . gegenüber der Bundeswehr geäußert wurden,
dann bleibt Ihnen nur eine Wahl: Stimmen Sie dem Antrag zu, und beschließen wir noch heute gemeinsam, die
Bundeswehr aus Incirlik abzuziehen!
({8})
Erlauben Sie mir noch eine kurze abschließende Bemerkung. Ich finde es geradezu unerträglich, wenn die
Regierung in Ankara nun die Incirlik-Debatte mit der
Entscheidung verknüpft, Angehörigen des türkischen
Militärs in Deutschland Asyl zu gewähren .
({9})
Werter Herr Yildirim, das Grundrecht auf Asyl ist keine
Verhandlungsmasse . Bei der Entscheidung, wem wir in
Deutschland Schutz bieten, lässt sich unser Rechtsstaat
nur von einer einzigen Instanz etwas vorschreiben: Das
ist das Recht - das internationale Völkerrecht und das
Grundgesetz .
Bevor Sie mir da hoffentlich alle zustimmen, sage ich,
dass wir dann aber auch aufhören müssen mit Rüstungsexporten in die Türkei . Außerdem dürfen wir uns nicht
durch ein Flüchtlingsabkommen abhängig machen, mit
dem wir unsere asylpolitische Verantwortung auslagern
wollen .
({10})
Das ist dann nämlich auch ein Stück weit Verhandlungsmasse . Auch damit muss Schluss sein .
Vielen Dank .
({11})
Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt der Kollege Roderich Kiesewetter .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es
ist nötig, in diese gleich zu Beginn durch Sie, Frau Roth,
ordentlich temperierte Debatte
({0})
etwas Ruhe und Gelassenheit zu bringen .
({1})
Ich denke, wir sind uns in zwei Punkten sehr einig, liebe Frau Kollegin Roth: Erstens ist es nicht haltbar, wenn
das Besuchsrecht auf Dauer verweigert wird .
({2})
Zweitens ist die Türkei auf dem Weg in einen Unrechtsstaat, und wir müssen sehr sorgfältig überlegen, mit welchen Maßnahmen und Methoden wir auf die Eskalation,
die vonseiten der Türkei betrieben wird, reagieren .
Ich sage hier sehr deutlich: Ein einseitiger und sofortiger Abzug ist weder im europäischen noch im deutschen
Interesse; das sage ich auch im Namen meiner Fraktion .
Denn ein solcher Abzug hätte Konsequenzen . Erstens
würden wir die Isolierung der Türkei vorantreiben . Zweitens wäre das Gesamtthema eine bilaterale Geschichte
zwischen Deutschland und der Türkei . Unser Interesse
muss doch sein, dass man sich auf der diplomatischen
Ebene der NATO darüber unterhält und wir daraus kein
deutsch-türkisches Sonderproblem machen . Entscheidend ist, dass der NATO-Rat dies thematisiert .
Das war übrigens, als ich das vor einigen Monaten
vorschlug, nicht im deutschen Interesse und auch nicht
im amerikanischen Interesse . Es wurde damals verhindert . Heute aber wissen wir - das kann ich auch im
Namen meiner Fraktion sagen -, dass es auf wichtigen
Überlegungen beruht, dieses Thema in Brüssel zu debattieren . Denn die Türkei ist kein Land, das auf dem Weg
zu mehr Demokratie ist, sondern ein Land, das sich vom
Wertekanon der NATO verabschiedet . Es ist nicht tragbar, dass sich die Türkei, die Südostflanke der NATO, zunehmend dem Iran und Russland annähert und wir durch
einen überzogenen einseitigen Abzug einen Beitrag dazu
leisten .
Ich bin ein Verfechter des Besuchsrechts, empfehle
aber, die Studie des Wissenschaftlichen Dienstes aus dem
letzten Jahr zu dieser Frage sehr sorgfältig zu lesen . Die
Parlamentskontrolle üben wir nicht durch das Besuchsrecht aus, sondern indem wir Kabinettsentscheidungen
unsere Zustimmung geben oder sie verweigern . Für uns
ist ganz wichtig, dass die Truppe dort gut geführt wird
und dass ein Beauftragter des Bundestages jederzeit Zugang hat, nämlich der Wehrbeauftragte . In der Zeit, in der
die Türkei uns Abgeordneten den Zugang verwehrt, machen wir etwas ganz Wichtiges: Wir prüfen Alternativen .
Als wir im letzten Jahr dem Vorschlag der Bundesregierung zugestimmt haben, waren Sizilien, Zypern, Jordanien und Katar in der Debatte . Wir haben uns damals
entschieden, von einem bewährten NATO-Stützpunkt
aus zu agieren . Das war auch in unserem Interesse . Jetzt
gibt es sehr erfreuliche Signale aus Jordanien . Unsere
Verteidigungsministerin reist am Wochenende dorthin .
Gegenwärtig befinden sich dort Teams zur Prüfung. Die
Bundeswehr ist in Jordanien sehr willkommen . Wenn die
Türkei nicht bereit ist, das Besuchsrecht wieder einzuräumen, dann ist das eine sehr gute Alternative .
Wir sollten nicht kurzfristig mit einem einseitigen und
sofortigen Abzug reagieren, liebe Frau Roth . Sie wissen
selbst, dass es etwa acht bis zehn Wochen dauert, bis die
Bundeswehr woanders wieder einsatzfähig ist . Das Oberziel ist doch nicht, unsere Soldaten dort zu besuchen . Das
gehört zwar mit dazu, aber das Oberziel ist der Kampf
gegen den IS .
({3})
Den Kampf gegen den IS ohne deutsche Beteiligung acht
Wochen lang fortzuführen, wäre bündnisschädigend .
Ich möchte an dieser Stelle einen Vorschlag ansprechen, zu dem Jürgen Hardt und ich heute bereits etwas
gesagt haben . Es ist aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar, dass unser Bundesaußenminister von Washington aus jetzt auch noch den AWACS-Einsatz der NATO
zur Debatte stellt; hier stellt Deutschland 30 Prozent des
Personals . Plötzlich soll die Bundeswehr auch aus Konja
abziehen . Bei aller Koalitionstreue: Es ist ein Schaden,
wenn Deutschland plötzlich einen NATO-Einsatz aufkündigt . Ich bekenne hier sehr deutlich: Wir als Union
stehen hinter dem AWACS-Einsatz . Wir wollen, dass die
NATO zusammenhält und auch im Wahlkampf nicht auseinanderdividiert wird, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({4})
Deswegen werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen,
sondern ihn an den Auswärtigen Ausschuss überweisen
und dort in aller Ruhe debattieren . In der Zwischenzeit
erwarten wir die Ergebnisse des Teams der Bundesregierung zu der Frage, was Jordanien zu bieten hat, und
wir hoffen, dass die Türkei in den Schoß gemeinsamer
NATO-Verantwortung zurückkehrt . Wir sollten uns von
der Türkei nicht in eine unnötige Eskalationsspirale treiben lassen .
Herzlichen Dank .
({5})
Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt
der Kollege Dr . Dietmar Bartsch .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist schon etwas Besonderes, dass es wenige Wochen
vor den Wahlen einen gemeinsamen Antrag von den Grünen und den Linken gibt . Das ist so kurz vor Wahlen sehr
unüblich . Es ist sicherlich auch sehr unüblich, dass eine
Vizepräsidentin und ein Fraktionsvorsitzender sprechen
und dass wir im Übrigen alle unsere politischen Positionierungen in dem Antrag weggelassen haben . Dafür
muss es schon einen triftigen Grund geben .
({0})
Und ich sage Ihnen: Es gibt einen triftigen Grund . Hier
geht es um das Selbstverständnis von uns als Abgeordnete . Hier geht es um das Selbstverständnis unseres Parlaments, meine Damen und Herren .
({1})
Es ist so - wir alle wissen das -: Ein weiteres Mal
verweigert die türkische Regierung Abgeordneten aller
Fraktionen den Besuch in Incirlik . Das ist der schlichte
Fakt, und das ist zum wiederholten Mal der Fall . Es ist
ein Trauerspiel, Herr Kiesewetter, wie Sie hier irgendwelche, teilweise irren Begründungen finden.
({2})
Es ist völlig inakzeptabel, dass deutsche Parlamentarier
nicht die von hier mandatierten Soldaten besuchen können .
({3})
Sie glauben offensichtlich, dass die Kanzlerin beim
NATO-Gipfel alles richtet . Die muss das offensichtlich
wieder selber machen . Aber ich kann Ihnen eines sagen:
Es ist eine Parlamentsarmee und keine Regierungsarmee .
Wir entscheiden und nicht die Bundesregierung .
({4})
Sie wissen überhaupt nicht, ob die Kanzlerin vielleicht
sogar froh wäre, wenn Sie mal den Mut hätten . Entscheiden Sie doch mal! Vielleicht wäre das sogar Rückenwind
für sie, wenn Sie mit einem Mandat des Deutschen Bundestages Herrn Erdogan etwas Druck machen können .
({5})
Wir können doch nicht akzeptieren, was da passiert .
Das alles wird hier entschieden, und hier können wir
den sofortigen Abzug entscheiden . Das heißt doch nicht,
dass wir hinfliegen und die Soldaten zurückholen, sondern das heißt, dass hier beschlossen und danach der Beschluss umgesetzt wird . Die Bundeswehr hat in der Türkei nichts zu suchen .
({6})
Weil Sie das angesprochen haben: Das gilt genauso
für die NATO-AWACS im südtürkischen Konya; selbstverständlich . Auch da haben wir nichts zu suchen . Wenn
das bei dem einen gilt, dann muss das auch bei dem anderen gelten . Ich bin sehr gespannt, ob wir nach Konya
fahren können .
({7})
Es ist doch absurd, wenn Sie deutsche Soldaten in die
Türkei entsenden und gleichzeitig immer mehr türkische
Militärangehörige - das geht bis hoch zu Generälen politisches Asyl in Deutschland beantragen . Da ist doch
irgendetwas schief .
({8})
Wir im Bundestag haben nur eine einzige Entscheidung
zu treffen .
Natürlich will ich hier auch Außenminister Gabriel
noch einmal würdigen . Es ist ja wohl absurd, dass der
zu Tillerson rennt, dem ehemaligen Exxon-Manager, und
um Vermittlung bittet . Wo sind wir denn hier hingekommen? Das ist hilf- und konzeptionslose Außenpolitik,
meine Damen und Herren .
({9})
Fragen Sie doch noch Herrn Lawrow! Vielleicht kann der
auch noch etwas vermitteln - das wäre mal eine Idee -;
vielleicht sogar beide zusammen .
Ich sage Ihnen: Lassen Sie den ganzen Unsinn! Die
Türkei entwickelt sich in Richtung einer islamistischen
Diktatur . Ziehen Sie nicht nur die Bundeswehr von dort
ab; stoppen Sie vor allen Dingen alle Waffenlieferungen
für diese Diktatur!
({10})
Da wird Krieg gegen Kurdinnen und Kurden geführt .
Stoppen Sie auch die EU-Vorbeitrittshilfen! Es gibt keinen Grund, dieses Land noch mit Geld zu fördern . Beenden Sie die militärische und auch die geheimdienstliche
Zusammenarbeit mit diesem Despoten!
({11})
Das wäre notwendig . Senden Sie doch von hier mal ein
klares Signal in Richtung Türkei! Der Flüchtlingsdeal
hält das alles auf .
Herr Kiesewetter, Sie sprechen vom Wertekanon der
NATO . Ja, aber wenn der gilt, dann muss man die Türkei sogar aus der NATO rausschmeißen . Das wäre die
Situation .
({12})
Ich sage Ihnen auch: Wir haben die Aufgabe, die Zivilgesellschaft in der Türkei zu unterstützen . Ja, wir wollen, dass die Türkei wieder in eine andere Richtung geht .
Wir wollen mit den Menschen der Türkei zusammenarbeiten . Aber das, was dort jetzt geschieht, geht genau in
die falsche Richtung .
Also, sehr geehrte Abgeordnete von Union und SPD,
vielleicht helfen Sie Ihrer Kanzlerin sogar, wenn Sie heute diesem kurzen und schlichten gemeinsamen Antrag
zustimmen . Sie können damit auch der Öffentlichkeit
zeigen: Dieses Parlament hat ein Stück weit Selbstbewusstsein, und es lässt sich von niemandem etwas diktieren .
Herzlichen Dank .
({13})
Als nächster Redner hat Dr . Rolf Mützenich für die
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist in der Tat ein schwerwiegender Vorgang zwischen
zwei NATO-Partnern . Ich glaube auch, dieser Vorgang
ist beispiellos, einmalig in der Geschichte der NATO . Ich
befürchte ebenfalls: Es ist kein Ende absehbar . Dennoch
glaube ich, ist es gut, dass wir heute versuchen, Argumente in die Debatte einzubringen, die für das Selbstverständnis des deutschen Parlaments, des Parlamentarismus und für eine Parlamentsarmee sprechen . Deswegen
sage ich sehr klar für meine Fraktion: Die Antwort, die
die türkische Regierung auf das Bemühen, einen Besuch
in Incirlik zu erreichen, gegeben hat, grenzt an Erpressung .
({0})
Wenn Rechtsgrundsätze wie das Asylrecht gegen das
Recht auf eine Besuchserlaubnis aufgerechnet werden,
sage ich sehr deutlich: Wir stehen für das Grundrecht auf
Asyl und lassen uns nicht von der türkischen Regierung
erpressen .
({1})
Zum anderen will ich sehr deutlich sagen: Es ist gut,
dass Asylanträge von türkischen Bürgern, egal vor welchem beruflichen Hintergrund sie in der Vergangenheit
gestanden haben, ernsthaft geprüft werden und politisches Asyl in Deutschland, wenn die Gründe dafür ausreichen, auch gewährt wird .
({2})
Lieber Kollege Kiesewetter, ich muss Ihnen widersprechen . Das, was Sie gesagt haben, ist nicht die Haltung meiner Fraktion .
({3})
Ich möchte sehr deutlich davor warnen, die beiden Institutionen - das Parlament und den Wehrbeauftragten - gegeneinander auszuspielen .
({4})
Beide Institutionen haben ein Besuchsrecht bei den Bundeswehrsoldaten . Ich will gerne daran erinnern, dass wir
in den letzten Tagen - vielleicht ist das noch nicht zu jedem in Ihrer Fraktion durchgedrungen - innerhalb der
Koalitionsfraktionen versucht haben, einen gemeinsamen Text für die Ausschussberatungen zu erreichen, der
auf Grundlage der Protokollnotiz des letzten Beschlusses
über den Einsatz in Incirlik gefasst worden ist, dass es
nämlich zu den verfassungsmäßigen Aufgaben des Bundestages gehört, jederzeit Besuche durchführen zu können .
({5})
Hochrangige Gespräche zu führen, ist durchaus ein Anlass, den wir weiterhin würdigen, auch vonseiten der
Bundesregierung . Dass der NATO-Rat hiermit befasst
werden soll und dass bereits jetzt Handlungsoptionen für
die Verlegungen erfolgen sollen, ist, glaube ich, richtig .
Umso mehr wünsche ich im Namen meiner Fraktion der
Bundeskanzlerin allen Erfolg . Wir werden sie dabei unterstützen, wenn sie am kommenden Donnerstag bei Präsident Erdogan versucht, dieses Besuchserfordernis noch
einmal zu unterstreichen . Ich sage aber sehr deutlich: Es
darf kein Gnadenakt sein, sondern es muss letztlich zu einer grundsätzlichen Übereinstimmung zwischen der türkischen Regierung und der Bundesregierung kommen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es sprechen drei gute Gründe für die Überweisung des Antrages .
Zum Ersten spricht dafür, dass die Ergebnisse, die
möglicherweise ausgehandelt werden, in den Fachausschüssen gewürdigt werden, insbesondere dann, wenn
dieses Besuchsrecht ein für alle Mal geklärt werden kann .
Zum Zweiten spricht dafür, dass in den Beratungen
der Fachausschüsse auf die Planung einer möglichen
Verlegung, die jetzt durchzuführen ist, Einfluss genommen werden kann . Auch darüber muss die Bundesregierung berichten . Ich glaube, auch das ist notwendig . Ich
bin zurzeit noch nicht ganz davon überzeugt, dass es
Jordanien sein muss . Deswegen gehört eine offene Diskussion in den Fachausschüssen mit dazu . Irgendwelche
publikumswirksamen Reisen nach Jordanien helfen an
dieser Stelle nicht weiter .
({6})
Ein Drittes spricht dafür . Kollege Bartsch, Sie sagen,
wir müssten versuchen, die Souveränität auch dieses Parlaments sehr deutlich zu machen . Ich glaube, die Überweisung schafft vielleicht sogar - hier müssen wir uns
alle bewegen - die Grundlage für eine gemeinsame Beschlussfassung . Auch das spricht für eine Überweisung .
Deswegen, liebe Kollegin Roth, ist die Formulierung „Es
reicht!“ für mich kein außenpolitisches Argument .
({7})
Ich glaube, wir müssen gerade in der Außenpolitik immer wieder ausprobieren, was vielleicht möglich ist .
Ich möchte ein weiteres Argument in diese Debatte
einzuführen, warum dieses Parlament versuchen sollte,
in der nächsten Sitzungswoche eine gemeinsame Beschlussfassung im Sinne des vorliegenden Antrags herbeizuführen: Es wäre ein deutliches Zeichen nicht nur an
einen türkischen Staatspräsidenten, der mittlerweile alle
demokratischen Rechte mit Füßen tritt, sondern auch an
ein türkisches Parlament, das sich in den vergangenen
Monaten auch selbst entmachtet hat . Diese Chance sollten wir vonseiten des Deutschen Bundestages durchaus
nutzen .
({8})
Zum anderen: Ich sagte, „Es reicht!“ ist kein außenpolitisches Argument. Ich finde, wir alle hier im Deutschen
Bundestag sollten uns fragen, ob wir nicht auch eine
Verantwortung dafür tragen, wie sich die Türkei in den
letzten Jahrzehnten entwickelt hat . Ich glaube, manches
Versäumnis sollten wir - ({9})
- Dazu kann man auch „Oh!“ sagen . Insofern vermute
ich, dass mein Appell in diese Richtung vielleicht nicht
hilft . - Zumindest ich frage mich, ob manches Verhalten
im Zusammenhang mit dem EU-Beitrittsprozess in den
vergangenen Jahren nicht genau das provoziert hat, was
wir zu Recht immer wieder kritisieren . Es passierte in der
Türkei in jüngster Zeit mehr, als dass nur über eine Präsidialverfassung abgestimmt worden ist . Die Türkei verDr. Rolf Mützenich
sucht, einen anderen regionalpolitischen Weg zu gehen .
Sie versucht sozusagen, einer orientalischen Despotie ein
Vorbild zu sein, gerade auch im Zusammenhang mit den
Umbrüchen in der arabischen Welt .
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist aller Ehren
wert, genau für diejenigen zu streiten, die vor wenigen
Wochen mit höchstem Mut, teilweise sogar unter Verhaftungs- und möglicherweise Lebensgefahr, dafür gestritten haben, dass die Präsidialverfassung nicht Wirklichkeit wird .
({11})
Auch das gehört zur Debatte heute Abend dazu .
Vielen Dank .
({12})
Als nächster Redner hat Florian Hahn für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Diese Woche zeigt schon ein bisschen, dass das Wahlkampfgetöse
({0})
insgesamt mit voller Wucht auch den Bundestag erreicht
hat. Ich finde schon, dass der Antrag von Grünen und
Linken so einzuordnen ist . Sie haben nämlich etwas entdeckt, was zugegebenermaßen
({1})
vielen von uns einleuchtet - gar keine Frage -: der Abzug
der Bundeswehr aus Incirlik .
({2})
Nun wollen Sie - vermeintlich trickreich, nur leider
sehr offensichtlich - uns ein Stück weit in die Falle locken,
({3})
nach dem Motto: Sie haben Konsequenzen gefordert,
nun müssen Sie aber bitte auch sofort folgen, sonst würden Sie Ihr Wort nicht halten . - Konkret: Die Bundeswehr soll mit sofortiger Wirkung vom Standort Incirlik
abgezogen werden . Doch so einfach ist Weltpolitik nicht,
ganz zu schweigen von der Praktikabilität Ihrer Forderung . Selbst in der Opposition sollte man so etwas wissen, und auch Wahlkampfzeiten entschuldigen eine solche Kurzsicht nicht .
Wenn man bei den Linken genau hinhört, dann merkt
man, dass es gar nicht um die Frage eines Abzugs aus
Incirlik geht, sondern darum, einen Einsatz, der sowieso
nicht gewollt ist, egal von wo aus er startet, zu beenden .
({4})
Zunächst lohnt es sich, in Erinnerung zu rufen, warum
wir in Incirlik stationiert sind; ein Rückblick ist wichtig . Am 29 . Juni 2014 ruft die Terrormiliz „Islamischer
Staat“ in Mosul das Kalifat aus . Schätzungen reichen
von 10 000 bis 100 000 Kämpfern, die in Syrien und im
Irak ganze Gegenden zerstören, Frauen verschleppen und
vergewaltigen, aufs Brutalste ermorden . Am 7 . Januar
2015 sterben in Paris 130 Menschen, 352 weitere werden verletzt . Mit den Terrorattacken in der französischen
Hauptstadt fing die blutige Anschlagsserie des IS in Europa an, die leider noch immer anhält . Am 2 . Dezember
2015 stimmten wir hier im Deutschen Bundestag darüber ab, unsere Soldatinnen und Soldaten nach Incirlik zu
schicken, um gemeinsam mit unseren Verbündeten den
„Islamischen Staat“ zu bekämpfen .
Seitdem ist viel passiert . Die Türkei hat sich massiv
verändert, die Menschenrechtssituation hat sich gravierend verschlechtert, die Atmosphäre ist aufgeheizt . Die
CSU mahnt seit langem, dass eine Türkei, wie wir sie
heute erleben, nicht Teil der Europäischen Union sein
kann .
({5})
Daneben - und darum geht es heute - wird uns zum
wiederholten Male der Zugang zu unseren Truppen verweigert . Präsident Erdogan testet immer wieder unsere
Schmerzgrenze .
({6})
Das ist natürlich indiskutabel . Die Bundeswehr ist eine
Parlamentsarmee, und der Zugang zu ihr muss durchgehend möglich sein; da sind wir uns alle einig . Daher habe
ich schon früh gefordert, dass alternative Stützpunkte für
die Tornados geprüft werden müssen .
({7})
Und selbstverständlich wurden bereits Alternativstandorte geprüft . Jordanien, Zypern und Kuwait wurden inspiziert . Diese Prüfungen müssen jetzt zügig abgeschlossen
werden .
Fest steht: Es kann dauerhaft nicht sein, dass Erdogan
unsere Soldatinnen und Soldaten als Faustpfand einsetzt .
Und trotzdem: Die Türkei ist aufgrund ihrer geostrategischen Lage ein entscheidender Mitspieler im Kampf
gegen den „Islamischen Staat“ . Seit der Einnahme von
Mosul 2015 hat die Terrormiliz schwere Verluste erlitten .
Ihr Gebiet ist von der Größe Großbritanniens auf weniger
als die Größe Irlands zusammengeschrumpft . Wir müssen daher auch weiter mit Ankara sprechen, wie wir das
gemeinsame Ziel, den Kampf gegen den IS, fortführen
können . Aus diesem Grund kann Ihr Antrag heute nur abgelehnt werden .
Wir müssen zweigleisig fahren, Alternativen vorbereiten, den Druck erhöhen und trotzdem versuchen, in vertraulichen diplomatischen Gesprächen gesichtswahrende
und praktikable Lösungen zu finden. Nur so funktioniert
eine verantwortungsvolle Politik gegenüber unseren
Truppen wie auch mit Blick auf unseren Auftrag .
({8})
Daneben wäre auch aus praktischen Gründen ein
sofortiger Abzug nicht möglich . Incirlik ist aus militärischer Sicht weiterhin der günstigste Standort für den
schwierigen Kampf gegen die Terrormiliz . Richtig ist,
dass Jordanien beispielsweise eine Alternative darstellt .
Und trotzdem: Es gäbe deutliche operationelle Einschränkungen, gerade in der Zusammenarbeit mit unseren Partnern . Wir könnten nicht an eine gleich gute Infrastruktur andocken . Der Umzug würde dauern . Das geht
nicht, wie von Ihnen gefordert, von heute auf morgen . Es
geht allein um ungefähr 180 bis 200 Container Material .
Man kann nicht einfach ein Umzugsunternehmen anrufen, dann läuft der Umzug, und morgen ist alles erledigt .
Um es klar zu sagen: Es ist möglich, von Jordanien aus
Tankflugzeuge zu schicken und Aufklärungsflüge durchzuführen . Aber eine Verlegung benötigt Zeit . Ein Abzug
mit sofortiger Wirkung funktioniert nicht .
Ich glaube, wir sind uns alle im Bundestag einig: Präsident Erdogan ist ein unberechenbarer Partner geworden . Zum wiederholten Male hat er unser Vertrauen missbraucht und die Karte des Besuchsverbots gespielt . Wir
können und werden so nicht weitermachen . Die Bundesregierung bemüht sich daher um eine schnellstmögliche
Lösung . Daneben ist es aber auch an der Zeit, dass wir
innerhalb der NATO grundsätzlich klären, wie zukünftig eine Zusammenarbeit mit den Türken funktionieren
kann; denn die Sperenzchen Erdogans schaden nicht
nur dem deutsch-türkischen Verhältnis, sondern dem gemeinsamen Wirken innerhalb der NATO .
In der Ruhe liegt die Kraft . Deshalb kann über den
vorliegenden Antrag heute nicht entschieden werden .
Wir sollten - Herr Kollege Mützenich hat die Gründe
angeführt - das Thema in aller Ruhe in den Ausschüssen diskutieren . Klar ist aber auch: Sollte es bei der Haltung der Türkei bleiben, kann die Bundeswehr langfristig
nicht in Incirlik stationiert bleiben .
Herzlichen Dank .
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke auf
der Drucksache 18/12372 mit dem Titel „Sofortiger Abzug der Bundeswehr aus Incirlik“ . Die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke wünschen Abstimmung in der Sache . Die Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD wünschen Überweisung, und zwar federführend
an den Auswärtigen Ausschuss und mitberatend an den
Verteidigungsausschuss .
Wir stimmen - so wie wir das hier immer machen zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab .
Ich frage deshalb: Wer stimmt für die Überweisung? Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist
die Überweisung so beschlossen, und damit stimmen wir
heute über den Antrag auf Drucksache 18/12372 nicht in
der Sache ab .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht
Drucksachen 18/11546, 18/11654, 18/11822
Nr. 9
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0})
Drucksache 18/12415
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze zügig einzunehmen und die Gespräche außerhalb des Plenums zu führen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in dieser Aussprache hat der Parlamentarische Staatssekretär
Dr . Ole Schröder für die Bundesregierung das Wort .
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Die Durchsetzung bestehender Ausreisepflichten und die Bekämpfung illegaler Migration ist in
einem Rechtsstaat das notwendige Gegenstück zur gebotenen humanitären Aufnahme von Schutzbedürftigen .
Ende März 2017 standen rund 217 000 Ausreisepflichtigen nur etwas mehr als 7 000 Rückführungen durch die
zuständigen Länder gegenüber . Ohne die zwangsweise
Rückführung sinkt aber auch die Bereitschaft zur freiwilligen Rückreise . Eine Verbesserung im Bereich der
zwangsweisen Rückführung ist daher dringend geboten .
({0})
Darüber hinaus ist es notwendig, die Abschiebung von
Gefährdern sicherzustellen .
Beides gehen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf an . An diesem Anspruch haben sich auch die parlaFlorian Hahn
mentarischen Beratungen orientiert . Ich greife die wichtigsten Änderungen heraus:
Wir regeln, dass Gefährder in Abschiebungshaft entsprechend ihrer Gefährlichkeit auch in Justizvollzugsanstalten untergebracht werden können . Sie sollen auch
andere Personen im Gewahrsam nicht gefährden oder für
ihre extremistischen Ideen werben können .
Damit wir noch besser identifizieren können, wer zu
uns kommt, darf das BKA entsprechende Daten mit anderen Staaten austauschen . Wir erhalten dadurch wichtige Erkenntnisse durch diese anderen Staaten .
Zudem ändern wir behutsam das Rechtsmittelrecht
im Asylverfahren, um eine höchstrichterliche Rechtsprechung und damit mehr Rechtssicherheit herbeizuführen .
Das soll insgesamt zur Beschleunigung von Einzelklagen
führen .
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird
künftig von anderen Behörden zwingend informiert,
wenn Asylberechtigte in ihren Heimatstaat reisen . Wir
bekämpfen auf diese Weise Sozialleistungsmissbrauch
und überprüfen, ob ein Schutzbedürftiger auch wirklich
in seinem angeblichen Verfolgerstaat gefährdet ist .
Im Zuge der parlamentarischen Beratungen haben wir
einen weiteren Gesichtspunkt aufgegriffen . Es handelt
sich um die Verhinderung missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen . Aus der Praxis hören wir: Scheinvaterschaften sind die neuen Scheinehen . Es gibt hier ein
erhebliches Missbrauchspotenzial . Wenn der Anerkennende weder der biologische Vater ist noch eine sozial-familiäre Bindung zum Kind anstrebt, muss der Staat
einschreiten . Die Anerkennung erfolgt hier ausschließlich zu dem Zweck, Aufenthaltsrechte zu vermitteln, die
ansonsten nicht bestehen würden . Meine Damen und
Herren, wir haben uns daher entschlossen, dass missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen gar nicht erst
beurkundet und durchgeführt werden können .
Meine Damen und Herren, die Änderungen aus dem
parlamentarischen Verfahren haben diesen wichtigen Gesetzentwurf weiter verbessert . Ich sage aber auch ganz
offen: Wir hätten uns noch mehr vorstellen können . Die
Einbeziehung der Bundespolizei in die automatische Sicherheitsabfrage beispielsweise war mit dem Koalitionspartner SPD nicht zu machen . Das wundert mich sehr .
Dabei ist die Bundespolizei die Sicherheitsbehörde, die
gegen Schleuserkriminalität vorgeht und bei der natürlich die entsprechenden Informationen auch vorliegen,
meine Damen und Herren .
Auf dem Weg zu noch mehr Sicherheit im Asylverfahren haben wir zudem für das Auslesen der Geodaten
aus dem Handy eines Asylbewerbers plädiert . Wir hätten
hierdurch wichtige Rückschlüsse auf den Reiseweg und
das Herkunftsland erhalten können . Das war allerdings
mit der SPD nicht möglich . Ich sage ganz klar: Das sind
weiterhin wichtige Punkte für uns, und wir sind natürlich
weiterhin gesprächsbereit .
Meine Damen und Herren, das beste Recht hilft nicht,
wenn es nicht angewendet wird . Der rechtliche Rahmen
für die Abschiebung von Ausreisepflichtigen und insbesondere von Gefährdern besteht . Was mancherorts fehlt,
ist der Wille zur Durchsetzung . Ich denke zum Beispiel
an Schleswig-Holstein mit dem Winterabschiebestopp
oder dem Abschiebestopp nach Afghanistan . Das ist
nicht verantwortbar .
({1})
Ich appelliere an die Länder, alles für die konsequente
Durchsetzung von Ausreisepflichten zu tun. Dazu gehört
zum Beispiel auch, ausreichende Haftkapazitäten in den
Ländern zu schaffen und auf neue Vollzugshemmnisse
zu verzichten . Wir hier im Bundestag haben das Recht
optimiert . Der Bund unterstützt die Länder auch operativ .
Ohne den Willen zum Vollzug können diese Angebote
aber keine positive Wirkung entfalten . Es ist Sache der
Länder, den Rechtsstaat auch wirklich durchzusetzen .
Wir wollen weiterhin, dass diejenigen Schutz erfahren
und integriert werden, die wirklich schutzbedürftig sind .
Dazu gehört aber auch, Abschiebungen effektiv durchzusetzen und gefährliche Ausreisepflichtige besser zu
überwachen,
({2})
um auch andere vor ihnen zu schützen . Ich bitte daher um
Zustimmung zu diesem Entwurf .
({3})
Als nächste Rednerin spricht Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schon
der Titel des hier zur Diskussion stehenden Entwurfs
eines Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht unterstellt, die Ausreisepflicht würde nicht ausreichend durchgesetzt .
({0})
Das ist eine der großen Lügen dieser Großen Koalition .
({1})
Ich kann in der Kürze der Zeit nicht auf alle Aspekte
dieses Sammelsuriums flüchtlingsfeindlicher Schweinereien - darum handelt es sich im wahrsten Sinne des
Wortes - eingehen .
({2})
- Ja, man muss hier wirklich von Schweinereien sprechen .
({3})
Deshalb möchte ich nur einige wenige Punkte herausstellen .
Hier wird das offenbar vorsätzliche Behördenversagen im Fall Anis Amri zur Schaffung eines neuen Abschiebegrunds für Gefährder instrumentalisiert .
({4})
Dabei ist nirgendwo gesetzlich definiert, wer überhaupt
ein Gefährder ist . Die Einstufung erfolgt nach wie vor
nach Gutdünken der Polizei . Faktisch haben wir es hier
mit einer Präventivhaft mit aufenthaltsrechtlichen Mitteln zu tun, obwohl gegen die Betroffenen nichts Gerichtsverwertbares vorliegt . Das ist schlicht menschenrechtswidrig .
({5})
Lassen Sie mich eine grundsätzliche Bemerkung machen: In diesem Gesetzentwurf findet eine unzulässige
Vermischung von Aufenthalts-, Sicherheits- und Ordnungsrecht statt. Das Aufenthaltsrecht ist definitiv nicht
das richtige Instrument, um den Umgang mit Terrorgefahren zu regeln, und zwar schon deshalb nicht, weil viele Gefährder die deutsche Staatsangehörigkeit haben .
Nach dem Willen der Koalition soll eine Überraschungsabschiebung selbst nach mehrjähriger Duldung
möglich sein, wenn Flüchtlinge ihre Abschiebung durch
fehlende Mitwirkung verhindert haben .
({6})
Das ist rechtsstaatswidrig und im Falle von Kindern sogar ein ganz klarer Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention .
({7})
Handys von Flüchtlingen sollen generell zur Identitätsfeststellung durchsucht werden können, wenn - ich
betone das - kein Reisepass vorliegt . Dies betrifft mehr
als die Hälfte der Asylsuchenden .
({8})
Die Bundesdatenschutzbeauftragte und der Deutsche
Anwaltverein haben diese Vorschrift als unverhältnismäßig und verfassungswidrig gebrandmarkt . Asylsuchende
sind doch kein Freiwild, sondern sie haben die gleichen
Grundrechte wie wir alle .
({9})
Schließlich sollen Geflüchtete, die vermeintlich ohne
Bleiberechtsperspektive sind, bis zu zwei Jahre in Erstaufnahmeeinrichtungen wohnen . Das muss man sich einmal vorstellen . Für diese Zeit gelten ein Arbeits- und ein
Ausbildungsverbot, Sachleistungsvorrang und die Residenzpflicht. Das ist also eine enorme Verschärfung.
({10})
Im Änderungsantrag folgt nun auch noch die Mär
von - wir haben es eben schon gehört - missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennungen zum Erhalt eines Aufenthaltstitels . Beamte der Ausländerbehörde sollen entscheiden, ob eine Vaterschaft akzeptiert wird oder die
Mutter und das Kind abgeschoben werden können . Eine
Klage dagegen hat keine aufschiebende Wirkung . Das
heißt, hier werden im Grunde Familien zerrissen . Ich halte es für einen Riesenskandal, dass Sie das so nebenbei
mit einem Änderungsantrag einfach durchziehen .
({11})
Eine Anhörung war von der Großen Koalition nicht
gewünscht . Fachverbände haben am Gesetzentwurf ganz
massiv Kritik geübt . Es ist eine absolut unparlamentarische Vorgehensweise, wie Sie hier Gesetze durchziehen .
Die Koalition wird heute dieses Gesetz verabschieden, aber ich sage Ihnen ganz klar: Wir werden diesem
widerwärtigen Abschiebegesetz unsere Zustimmung verweigern . Es ist wirklich ein einziger Skandal, was Sie
hier zusammengeschrieben haben .
Danke .
({12})
Burkhard Lischka hat als nächster Redner für die
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kollegin Jelpke, ich habe Ihrer Rede aufmerksam zugehört . Eine solche Rede kann man nur halten, wenn man
den eigentlichen Anlass für diesen heute vorliegenden
Gesetzentwurf weitestgehend ausblendet,
({0})
nämlich Anis Amri, der am 19 . Dezember hier in Berlin
12 Menschen getötet, 60 Menschen zum Teil schwer verletzt hat, ein Attentat, das mitten in der Weihnachtszeit
({1})
viel Leid über die Opfer und ihre Angehörigen aus
Deutschland, aus Israel, aus Italien, aus Polen, aus der
Ukraine, aus Tschechien gebracht hat . Frau Jelpke, Anis
Amri war nicht irgendwer . Anis Amri war ein abgelehnter Asylbewerber .
({2})
Er war vorbestraft, er war gefährlich, er hat mehrfach seinen Hass und seine Anschlagspläne geäußert und sollte
abgeschoben werden . Und so jemand kam nicht hinter
Gitter .
({3})
- Entschuldigung, Frau Jelpke, selbstverständlich gehörte Anis Amri hinter Gitter . Wir müssen solche Menschen
stoppen, bevor sie zu Mördern werden .
({4})
- Frau Jelpke, die Opfer vom Breitscheidplatz könnten
noch leben, wenn Anis Amri am 19 . Dezember in Abschiebehaft gesessen hätte . Das ist doch eine ganz wesentliche Lehre aus diesem Attentat .
({5})
Dass er nicht in Abschiebehaft saß, muss doch Konsequenzen haben . Wir können doch das Vertrauen in diesen
Rechtsstaat nur wiederherstellen,
({6})
wenn wir solche Fehler und Versäumnisse klar benennen
und daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen . Bei
Anis Amri war es so, dass er schon nach einem Tag wieder aus der Abschiebehaft entlassen wurde .
({7})
- Offensichtlich, Frau Hänsel, weil es die Sorge gab,
dass bei einer längeren Anordnung der Abschiebehaft
man Schiffbruch vor einem deutschen Gericht erleiden
würde . Deshalb beschließen wir heute Abend ein Gesetz, sodass sich das nicht wiederholt . Ein Gefährder, der
abgeschoben werden soll, gehört in Abschiebehaft . Ich
weiß ehrlich nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Opposition, was daran kritikwürdig ist .
({8})
Ich will noch auf einen zweiten Aspekt eingehen . Anis
Amri war ja nicht nur gefährlich, er war auch mit 14 unterschiedlichen Aliasnamen und Identitäten unterwegs .
({9})
Dazu könnte man vieles sagen . Bei dieser ganzen Sache
haben sich viele deutsche Behörden nicht gerade mit
Ruhm bekleckert .
({10})
Klar ist: Wir müssen wissen, wer sich in unserem Land
aufhält und woher er kommt . Wenn das eben mit anderen
Mitteln nicht feststellbar ist, wenn da Zweifel bleiben,
trotz Dolmetscher, trotz Sprachidentifizierungssoftware,
trotz Text- und Schriftanalyse, trotz einer Anhörung, wo
nach regionalen Besonderheiten gefragt wird, dann muss
es als letztes Mittel auch möglich sein, sich die Spracheinstellung eines Handys anzuschauen, meine Damen
und Herren .
({11})
Das zeigt doch übrigens auch der jüngste Fall des
Bundeswehroffiziers Franco A.
({12})
Dazu können wir auch vieles sagen . Da haben Mitarbeiter des BAMF bei simpelsten Prüfungsschritten
versagt . Aber genauso klar ist: Ein Blick auf das Handy von Franco A ., und der ganze Schwindel wäre sofort
aufgeflogen. Deshalb ist es übrigens auch in diesem Fall
richtig, dass man solche Lücken benennt und schließt .
({13})
Der Fall Franco A . zeigt auch noch etwas anderes,
nämlich dass die Dinge, die wir hier im Deutschen Bundestag beschließen, auch konsequent angewendet werden
müssen . Nach bestehender Rechtsgrundlage hätte Franco
A . nie eine Asylanerkennung bekommen . Wir müssen
die Dinge, die wir hier beschließen, also tatsächlich auch
vollziehen . Das ist das A und O .
({14})
Dafür gibt es tatsächlich auch einen Hauptverantwortlichen: Das ist der Bundesinnenminister . Aus dieser Verantwortung werden wir ihn auch nicht entlassen, und ich
sage es einmal ganz offen: Hier würde ich mir hin und
wieder auch einmal die Tatkraft wünschen, die der Berliner Innensenator Andreas Geisel gerade im Fall Anis
Amri gestern noch an den Tag gelegt hat .
Vielen Dank .
({15})
Als nächster Redner hat Volker Beck für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde, Herr Lischka hat schön illustriert, was der Sinn dieses Gesetzgebungsverfahrens ist: ein großes Blendwerk,
eine einzige juristische Blendgranate gegen das exekutiBurkhard Lischka
ve Versagen im Bund und in den Ländern im Fall Anis
Amri .
({0})
Das, was Sie hier vorlegen, hat mit der Problematik doch
überhaupt nichts zu tun .
Eines will ich Ihnen sowieso sagen: Ja, Leute, die hier
kein Aufenthaltsrecht haben, sollen ausreisen . Dafür soll
man auch alles im Rahmen des Rechtsstaatlichen tun .
Aber am Ende entscheidet sich diese Frage nicht an der
Menge der Tinte, die Sie in Gesetzbücher gießen, sondern daran, ob die Bundesregierung belastbare Vereinbarungen mit anderen Regierungen über die Rücknahme von ausreisepflichtigen Personen aus ihren Ländern
hinbekommt oder eben nicht . Am Ende können Sie die
Leute stattdessen auch nicht jahrelang in Haft nehmen,
bloß weil die Bundesregierung ihre exekutiven Aufgaben
nicht wahrgenommen hat .
({1})
Wenn Sie sagen: „Das alles ist jetzt die Antwort auf
Anis Amri“, dann erklären Sie mir jetzt doch mal, was
das Problem der Vaterschaftsanerkennung, von dem
in Ihrem Gesetzentwurf zu lesen ist, mit dem Fall Anis
Amri zu tun hat .
({2})
Das hat überhaupt nichts damit zu tun . Sie gehen hier
robust an das Recht auf ein Familienleben dann heran,
wenn Migranten oder Flüchtlinge betroffen sind . Das,
was Sie hier machen, ist schofel, respektlos und desintegrativ .
({3})
Ich habe nichts gegen die ersten Abschnitte zur Vaterschaftsanerkennung, in denen steht, dass man den
Vorwürfen gegen diejenigen nachgeht - und das entsprechend anficht -, die Geld dafür nehmen, dass sie eine
Vaterschaftsanerkennung aussprechen, oder die sagen,
dass sie das machen, damit jemand einen Aufenthaltstitel
erwirken kann .
Es geht aber nicht, dass man bei jeder Familienkonstellation, bei der eine Vaterschaftsanerkennung einen
aufenthaltsrechtlichen Effekt hat - ich denke insbesondere an Mütter, von denen man weiß, dass sie ihren Partner hier nicht heiraten können, weil sie keine Papiere
haben -, behauptet, dieses Familienverhältnis existiere
nicht, sodass man die entsprechenden Behörden losschickt . Man glaubt ihnen also nicht, dass diese Familienkonstellation existiert . Das ist ein genereller Verdacht
gegen alle diese Menschen, und es wundert mich schon
sehr, dass Sie hier versuchen, Anis Amri als Blendgranate zu nutzen und das entsprechend zu verkaufen .
({4})
Mit diesem Gesetzentwurf schießen Sie in weiten Teilen einfach vollkommen über das Ziel hinaus .
Schauen Sie sich an, was Sie hier zur Sicherungshaft
aufgeschrieben haben . Sie müssen sich doch einmal in
Erinnerung rufen, was uns das Bundesverfassungsgericht
zur Sicherungsverwahrung von verurteilten Straftätern
gesagt hat . Sie können Menschen doch nicht beliebig
ihre Freiheit nehmen, weil Sie denken, dass sie vielleicht
mal was machen könnten . Aber sie haben noch nichts
gemacht . - Diese Konstruktion wählen Sie hier . Sobald
es einen findigen Anwalt gibt, wird Ihnen das Bundesverfassungsgericht das beim ersten Fall um die Ohren
hauen .
({5})
Erinnern Sie sich doch daran, dass wir selbst verurteilte, schwergefährliche Sexualverbrecher und Mörder
aus der Sicherungshaft entlassen mussten, weil das aus
rechtlichen Gründen - ne bis in idem - rechtsstaatlich
nicht anders gemacht werden konnte . Das fand ich damals sehr schwierig, und trotzdem war es im Rechtsstaat
richtig, auf solche Rechtsgrundsätze zu achten . Und das,
was Sie hier heute vorlegen, wiegt doch drei- oder viermal schwerer!
Was machen Sie, wenn Sie gegen einen Verdächtigen
nichts in der Hand haben, wenn er nicht Mitglied einer
terroristischen Vereinigung ist, also auch keine terroristischen Aktivitäten unterstützt, sondern er nur, wie Sie
glauben, den falschen Umgang hat? Viel mehr steht im
Gesetz nicht als Voraussetzung, wenn man genauer hinschaut . „Gefahr für die innere Sicherheit“ - was ist denn
das bitte schön? Das ist nicht genug . Wenn man noch
nicht einmal einen vernünftigen Anfangsverdacht hat,
der konkretisiert wird und sich an Tatsachen orientiert,
dann ist das hier einfach keine seriöse Gesetzgebung .
Wissen Sie, wenn die Polizei hier in Berlin im Fall
Anis Amri - das wissen wir; das können Sie in der morgigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung nachlesen - ihren
Job gemacht hätte, dann hätte sie ausreichend Beweise
für einen Haftbefehl gehabt, aber nicht, weil er vielleicht
mal was machen würde, sondern weil er vermutlich
Straftaten begangen hat, die eine Verhaftung gerechtfertigt hätten . Es gab ein Totalversagen . Das können Sie hier
mit diesem Gesetzentwurf nicht verdecken, mit dem Sie
viele rechtsstaatliche Kriterien zerstören .
Was bitte schön hat das Auslesen von Handydaten mit
Anis Amri zu tun? Es ist ja sogar die Erlaubnis vorgesehen, dass in Zukunft das BKA diese Informationen selbst
mit Drittstaaten tauschen darf .
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen .
({0})
Nach der Sache mit Trump und Lawrow sollten wir
mit der Weitergabe von personenbezogenen Daten von
Menschen, die sich noch nichts haben zuschulden kommen lassen, sehr vorsichtig sein . Über diese reden wir bei
diesem Gesetzentwurf .
Volker Beck ({0})
Ich bin schon sehr erstaunt über Ihre Rede, Herr
Lischka . Sie haben noch nicht einmal versucht, in der
Sache zu begründen, sondern haben sich allein auf das
Ablenkungsmanöver bezogen .
Herr Kollege, ich muss Sie noch einmal bitten, zum
Schluss zu kommen .
Vielen Dank, Frau Präsidentin, für Ihre Geduld . - Ich
hoffe, der Gesetzentwurf wird nicht beschlossen .
({0})
Als nächster Redner hat Stephan Mayer für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Das Gesetz zur besseren
Durchsetzung der Ausreisepflicht, das wir verabschieden
werden, Herr Kollege Beck, ist aus meiner Sicht eine
weitere sehr wichtige Etappe auf dem Weg, ausreisepflichtige Migranten schneller und konsequenter abzuschieben .
Wir sprechen zwar bei diesem Gesetzespaket nicht
von einem dritten Asylpaket . Aber ich bin der festen
Überzeugung, dass es mit Blick auf den Inhalt und den
Umfang mit den ersten beiden Asylpaketen durchaus vergleichbar ist .
({0})
Es geht darum, dass wir konsequenter die Personen
außer Landes bringen, die in unserem Land kein Bleiberecht haben . Ende April dieses Jahres waren das rund
220 000 Menschen, die an sich Deutschland verlassen
müssten, das aber aus unterschiedlichen Gründen bislang
nicht getan haben . Ich mache, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, keinen Hehl daraus: Mir wäre es
sehr lieb gewesen, wenn wir dieses Gesetz deutlich früher verabschiedet hätten .
Herr Kollege Beck, ich möchte mit einem Vorurteil
aufräumen . Dieses Gesetz hat nicht unmittelbar etwas
mit Anis Amri zu tun .
({1})
Ein Großteil des Inhaltes dieses Gesetzes geht auf weitaus ältere Vorschläge des Bundesinnenministers zurück .
Bundesinnenminister de Maizière hat bereits am 11 . August letzten Jahres im Nachgang zu den Anschlägen von
Würzburg und Ansbach einen Großteil der Vorschläge,
die jetzt Inhalt dieses Gesetzes sind, gemacht .
({2})
Es gibt einen Gesetzentwurf aus dem Bundesinnenministerium vom Oktober letzten Jahres, also lange vor dem
Anschlag vom Breitscheidplatz . Dieser Gesetzentwurf
hat leider nicht das Licht der Öffentlichkeit erblickt, weil
er am Widerstand unseres Koalitionspartners gescheitert ist . Ich bin aber froh, dass es jetzt gelungen ist, Herr
Kollege Lischka, die Verhandlungen nach dem Anschlag
vom Breitscheidplatz sehr schnell aufzunehmen und diesen Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen .
({3})
Ich bin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, sehr froh, dass es uns im parlamentarischen Verfahren gelungen ist, den an sich schon sehr guten Gesetzentwurf noch besser zu machen .
({4})
Wir haben im parlamentarischen Verfahren noch wichtige Punkte mit aufgenommen, beispielsweise was die Residenzpflicht für Gefährder betrifft. Herr Kollege Beck,
der Begriff „Gefährder“ ist schon klar definierbar. Es
handelt sich dabei um Personen der Preisklasse von Anis
Amri,
({5})
also um Personen, von denen eine erhebliche Gefahr für
Leib und Leben Dritter oder für bedeutende Rechtsgüter
der inneren Sicherheit ausgeht .
({6})
Es ist richtig, dass wir jetzt klarmachen, dass diese Gefährder in Abschiebehaft gehören und dass sie in der Abschiebehaft vor allem in Justizvollzugsanstalten untergebracht werden .
({7})
Herr Mayer, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck zu?
({0})
Selbstverständlich, sehr gerne .
Volker Beck ({0})
Herr Beck .
Gesetzgebungsdiskussionen haben ja immer auch die
wichtige Funktion, Voraussetzungen zu definieren und
unbestimmte Rechtsbegriffe aufzulösen . Was sind denn
die tatsächlichen Voraussetzungen für die Fälle der Gefahr für die innere Sicherheit, die Sie gerade beschrieben
haben? Was muss da gegeben sein bei Leuten, die sich
nicht strafbar gemacht haben, um die Voraussetzungen
zu erfüllen?
„Preisklasse Anis Amri“ ist kein Hinweis . Was soll
das konkret bedeuten? Was muss vorgefallen sein? Was
muss die Polizei in ihren Händen haben, damit diese Regelung tatsächlich greifen kann? Das würde ich gerne
mal wissen .
({0})
Herr Kollege Beck, der Begriff des Gefährders stammt
aus dem Polizeirecht,
({0})
und wir haben derzeit in Deutschland ungefähr 600 von
den Landeskriminalämtern eingestufte Gefährder .
({1})
Dabei handelt es sich um Personen, zu denen nicht etwa
irgendwelche vagen Vermutungen vorliegen, sondern es
bedarf konkreter Hinweise, dass diese Personen in salafistische bzw. islamistische Netzwerke mit einbezogen
sind, dass sie zu Islamisten Kontakt haben, dass sie angekündigt haben, in Deutschland Anschläge zu verüben,
oder dass sie sich in salafistischen Kreisen aufhalten.
({2})
Es ist eben nicht so, wie Sie behaupten, Herr Kollege
Beck, dass hier mit reiner Willkür jeder einbezogen werden kann, sondern es bedarf ganz konkreter Hinweise,
dass eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter
oder für bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit
besteht .
({3})
Ich bin sogar froh, dass es jetzt gelungen ist, diesen Begriff des Gefährders erstmals im Bundesrecht klar festzulegen .
({4})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
bin vor allem froh darüber, dass diese Gefährder jetzt
auch in normalen Justizvollzugsanstalten untergebracht
werden können . Auch in meinem Wahlkreis gibt es eine
Abschiebehaftanstalt, und ich sage ganz offen: Es wäre
der Bevölkerung nicht zumutbar, dass in relativ kleinen,
auch durchaus nicht optimal gesicherten Abschiebehaftanstalten Gefährder untergebracht werden . Sie können
vielmehr in Hochsicherheitsgefängnissen oder in Justizvollzugsanstalten untergebracht werden .
Wichtig ist darüber hinaus, dass wir Möglichkeiten
schaffen, um konsequent gegen Personen vorzugehen, die
unsere Regeln ausnutzen, um sich ein Aufenthaltsrecht in
Deutschland zu erschleichen . Dabei ist die Mitteilungspflicht von Behörden, die Wind davon bekommen, dass
sich ein Flüchtling in sein Heimatland zurückbegibt, gegenüber dem jeweiligen Ausländeramt von entscheidender Bedeutung . Wenn ein Flüchtling in sein Heimatland
zurückkehren kann, muss zumindest überprüft werden
können, ob die Voraussetzungen für die Einstufung als
Flüchtling oder als subsidiär Schutzberechtigter überhaupt noch vorliegen . Es ist kein zwingender Automatismus, dass dann der Flüchtlingsstatus aberkannt wird,
aber es muss doch zumindest die Möglichkeit bestehen,
dass man die Ausländerbehörde in die Lage versetzt, die
Tatsachen noch einmal zu überprüfen .
({5})
Herr Mayer, lassen Sie noch eine Zwischenfrage, diesmal der Kollegin Mihalic, zu?
Selbstverständlich . Sehr gerne .
Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen . - Sie haben vorhin gesagt, dass der Gefährderbegriff
aus dem Polizeirecht stammt . Können Sie mir mal bitte
das Gesetz nennen, wo der Gefährderbegriff legal definiert ist?
({0})
Frau Kollegin Mihalic, ich habe dem Kollegen Beck
erläutert, dass der Begriff des Gefährders aus dem Polizeirecht stammt, also aus dem Landesrecht .
({0})
Die Länder haben die Befugnis, festzulegen, welche
Personen sie für so gefährlich erachten, dass sie sie beispielsweise mit einer Telefonüberwachungsmaßnahme
überziehen .
({1})
- Die Länder haben die Befugnis aufgrund ihrer Polizeiaufgabengesetze, festzulegen, wen sie als so brisant
und gefährlich einstufen, dass sie davon ausgehen, dass
zumindest die Gefahr besteht, dass der Betreffende einen
Anschlag in Deutschland unternimmt .
({2})
Das ist keine Bundeskompetenz .
Ich bin Ihnen ja dankbar, Frau Kollegin Mihalic, dass
Sie diese Frage noch einmal stellen . Von daher bezieht
sich meine Antwort auch darauf . Kollege Lischka hat
insinuiert, als wären jetzt bei allem der Bund und der
Bundesinnenminister in der Verantwortung . Man muss
nun einmal sehen: Das Bundeskriminalamt hat keinen
einzigen Gefährder eingestuft . Alle Gefährder, die wir in
Deutschland haben, sind von den Landeskriminalämtern
eingestuft worden .
({3})
Deswegen ist auch das Hauptversagen, das zu dem
Anschlag am Breitscheidplatz geführt hat, bei den Landeskriminalämtern in Nordrhein-Westfalen und Berlin
anzusiedeln . Da liegt die Ursache . Da ist geschludert
worden,
({4})
auch zum Beispiel aufgrund noch fehlender rechtlicher
Instrumente wie der Möglichkeit, Gefährder in Nordrhein-Westfalen oder Berlin präventiv mit einer Telefonüberwachungsmaßnahme zu überziehen, was beispielsweise in Bayern selbstverständlich möglich ist .
({5})
Ein weiterer wichtiger Punkt ist der schon erwähnte,
dass wir auch Regelungen schaffen, um Scheinvaterschaften effektiv bekämpfen zu können . Das, was Sie,
Herr Kollege Beck, immer so stereotyp von sich geben,
dass hier alle unter Generalverdacht gestellt werden,
stimmt einfach nicht . Das trifft einfach nicht zu . Auch
hier müssen konkrete Hinweise vorliegen, dass eine Vaterschaft in missbräuchlicher Weise anerkannt wurde, um
einen Aufenthaltstitel zu erschleichen .
({6})
Ich finde, dann ist es auch recht und billig, die Möglichkeit zu schaffen, eine Vaterschaft wieder abzuerkennen .
Darüber hinaus ist es auch in sicherheitspolitischer
Hinsicht wichtig, dass wir das Bundeskriminalamt in die
Lage versetzen, die Daten von Migranten mit den Datenbanken befreundeter Länder abzugleichen .
Ich sage zum Abschluss, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ganz deutlich: Dieses Paket ist abgerundet . Es führt zu einem deutlichen Fortschritt, wenn
es darum geht, ausreisepflichtige Personen effektiver und
konsequenter außer Landes zu bringen . Aber wir hätten
uns an der einen oder anderen Stelle durchaus noch mehr
vorstellen können, beispielsweise wenn es um das Auslesen eines Handys geht . Herr Kollege Lischka, Sie haben
ja die Vorteile erwähnt . Uns wäre es sehr lieb gewesen,
wenn wir das Auslesen eines Handys nicht nur zur Feststellung der Identität nutzen könnten, sondern auch zur
Feststellung des Reiseweges . Auch die Einbeziehung der
Bundespolizei in den automatisierten Datenabgleich ist
ein wichtiger Punkt .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, das
sind Punkte, die auf der Agenda bleiben . Sie sind nicht
aufgehoben, sondern nur aufgeschoben . In diesem Sinne bitte ich um die größtmögliche Unterstützung dieses
wichtigen und bedeutsamen Gesetzentwurfes .
({7})
Ich schließe die Aussprache, und wir kommen zur
Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur besseren Durchsetzung der
Ausreisepflicht. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12415, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11546 und 18/11654 in der Ausschussfassung
anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich
jemand? - Damit ist der Gesetzentwurf in der zweiten
Beratung mit den Stimmen der Koalition - bis auf zwei
Mitglieder der SPD - bei Gegenstimmen der Opposition
angenommen worden .
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer
stimmt dagegen? - Entschuldigung! Wer stimmt dafür?
({0})
Stephan Mayer ({1})
- Nein, das muss ich jetzt korrigieren, liebe Kolleginnen
und Kollegen . Das betraf diejenigen, die dafür gestimmt
haben .
Jetzt frage ich: Wer stimmt dagegen? - Enthält sich
jemand? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen
der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition und
zweier Abgeordneter der SPD-Fraktion angenommen
worden .
({2})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin
Binder, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Lebensmittelretterinnen und Lebensmittelretter entkriminalisieren
Drucksache 18/12364
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({3})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Die Reden zu dieser Debatte sollen zu Protokoll ge-
geben werden . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/12364 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist das auch so
beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie, zur Ausführung der EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation der
Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen
Drucksachen 18/11555, 18/11928, 18/12181
Nr. 1.8
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({4})
Drucksache 18/12405
Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion Die
Linke vor .
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann
ist das auch so geschehen .2)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12405, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/11555 und 18/11928 in der
Ausschussfassung anzunehmen . Dazu liegen drei Ände-
1) Anlage 5
2) Anlage 6
rungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir
zuerst abstimmen .
Zunächst stimmen wir über den Änderungsantrag auf
Drucksache 18/12428 ab . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition
abgelehnt worden .
Ich lasse jetzt über den Änderungsantrag auf Drucksache 18/12429 abstimmen . Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich
jemand? - Dann ist auch dieser Änderungsantrag mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden .
Jetzt lasse ich über den Änderungsantrag auf Drucksache 18/12430 abstimmen . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich
jemand? - Damit ist auch dieser Änderungsantrag mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden .
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition
angenommen worden .
Ich komme zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition ohne Gegenstimmen angenommen worden .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid
Nouripour, Katrin Göring-Eckardt, Cem
Özdemir, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für einen radikalen Kurswechsel in der Jemenpolitik
Drucksache 18/12121
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in der
Aussprache hat Omid Nouripour für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Jemen stirbt - still . Seit über zwei Jahren sehen wir zu ohne größere öffentliche Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft -, wie das arme und stolze Land
in die Steinzeit gebombt wird, wie Zehntausende Menschen getötet werden, wie Millionen vertrieben werden,
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
wie sie unter Unterernährung und Krankheiten leiden .
Fast 20 000 Fälle von Cholera - Cholera im 21 . Jahrhundert! - gibt es bereits, und die Epidemie hat gerade
erst begonnen . 500 000 Kinder sind akut mangelernährt .
Das heißt, 500 000 Kinder könnten jeden Augenblick an
Unterernährung sterben oder werden mit schweren körperlichen und geistigen Folgeschäden rechnen müssen .
Wir sehen seit nun über zwei Jahren, wie das reiche kulturelle Menschheitserbe Jemens, die Vergangenheit des
Landes, zerstört wird . Aber auch die Lebensadern, die
von deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern mit
finanziert und von deutschen Entwicklungshelferinnen
und Entwicklungshelfern mit aufgebaut wurden, werden
zerstört, genauso wie die Zukunft des Landes, nämlich
die Kinder und die Familien .
Der Krieg im Jemen ist eine der größten humanitären Katastrophen unserer Zeit und wird trotzdem kaum
wahrgenommen, erstens weil keine Flüchtlinge kommen - schon aus geografischen Gründen und wegen der
Sperre kann niemand aus dem Land herauskommen und zweitens weil die internationale Gemeinschaft, aber
auch die Regierungen keine klaren Worte finden, um das
auszudrücken, was dort passiert . Ich bin sehr dankbar,
dass das Auswärtige Amt sehr viel tut und zahlreiche diplomatische Aktivitäten angestoßen hat . Das ist ein großer Beitrag, um den Konflikt hoffentlich zu beenden.
Reicht das? Die Frage ist legitim angesichts einer
der größten Katastrophen unserer Zeit . Haben wir, hat
Deutschland, hat diese Bundesregierung alles getan, was
sie konnte? Die Antwort lautet: Nein . - Während Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate sowie andere Staaten das Rückgrat Jemens weggebombt und das mit europäischen Flugzeugen und Bomben; auch
Deutschland hat seinen Anteil daran -, Schulen, Krankenhäuser, Flüchtlingslager und Zementfabriken zerstört
sowie Häfen und Flughäfen geschlossen haben, hat die
Bundesregierung nicht nur die Genehmigungen für bereits bestehende Rüstungsexporte nicht widerrufen - das
wäre notwendig gewesen -, sondern sogar auch neue Genehmigungen erteilt, die sich auf diese Länder beziehen .
Die Damen und Herren der Regierung finden keine
klaren Worte . Im Gegenteil: Der ehemalige Bundesaußenminister Steinmeier sprach im Zusammenhang mit
dem Krieg im Jemen über legitime saudische Sicherheitsinteressen . Er sagte, das Land spiele weiterhin eine
Schlüsselrolle für die Sicherheit und Stabilität in der gesamten Region . Keine Sicherheit für die jemenitischen
Kinder!
Der Kollege Joachim Pfeiffer von der Union sagte
von diesem Pult aus am 8 . Juni letzten Jahres, er sei froh,
dass Saudi-Arabien dafür sorge, dass auf der Arabischen
Halbinsel, also auch im Jemen, das Töten von Menschen
und der Bürgerkrieg beendet würden . Es tut mir leid: Das
ist einfach nur verblendeter Zynismus .
({0})
Der aktuelle Außenminister, Sigmar Gabriel, hat vorgestern eine Presseerklärung verfasst . Er spricht über
die humanitäre Katastrophe, er spricht von Cholera, er
spricht von Hunger und von Krankheiten . Das, was er
aber nicht schafft, ist, das Wort „Saudi-Arabien“ auszusprechen oder auch nur eines der anderen Länder in
dieser Koalition zu nennen. Ich finde, wenigstens das ist
man den Menschen im Jemen derzeit schuldig .
({1})
Ich will nicht falsch verstanden werden: Die Situation im Jemen ist nicht alleine die Schuld der Koalition
um Saudi-Arabien . Die Huthis haben diesen Krieg begonnen; der Exdiktator Saleh hat ihn vorangetrieben .
Die Iraner schauen auch nicht nur friedlich zu - das ist
richtig -, aber genau deswegen kommt niemand auf die
Idee, dem Iran Waffen zu verkaufen . Genau deswegen
kommt niemand auf die Idee, davon zu sprechen, dass
Saleh legitime Sicherheitsinteressen habe, während seine
Milizen die Stadt Taizz seit Monaten abriegeln und keine
humanitären Güter hineinlassen . Das ist die Heuchelei
bei der Art und Weise, wie wir mit dem Jemen umgehen .
({2})
Wir sollten in dieser Lage tun, was wir können . Dazu
gehören die Einstellung der Rüstungsexporte und das
klare Aussprechen dessen, was notwendig ist und wie die
Lage derzeit aussieht . Es reichen keine Ausreden mehr .
Das hat auch das Europäische Parlament begriffen . Es
hat neulich einen Stopp der Waffenexporte in die Region
gefordert, Gott sei Dank auch mit den Stimmen der Sozialdemokratie . Wir hätten heute die Möglichkeit, diesem
wirklich klugen Vorbild zu folgen . Darüber würde ich
mich sehr freuen . Ich glaube, das Mindeste, was wir den
Menschen im Jemen schulden, ist auszusprechen, was
dort gerade passiert .
({3})
Als nächster Redner hat Dr . Johannes Wadephul für
die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Kollege Nouripour hat zu Recht darauf hingewiesen: Wir erleben im Jemen eine Krise ungeahnten
Ausmaßes . Die Choleraepidemie weitet sich offenbar
bedauerlicherweise aus . Es gibt viele Todesfälle . Die
Provinz Hadramaut erklärte sich für unabhängig . Präsident Hadi hat den Gouverneur der Stadt Aden entlassen .
Darauf flohen alle Minister der Hadi-Regierung aus der
Stadt . Bedauerlicherweise nehmen die Unabhängigkeitsbestrebungen im Süden wieder zu . Das Land droht erneut
auseinanderzubrechen, was eine schlimme Entwicklung
wäre . Trotz der militärischen Überlegenheit hat die saudisch geführte Allianz im Kampf gegen die Huthi-Rebellen den Frontverlauf nicht entscheidend verändern
können .
Die Krisen im Jemen sind vielfältig . Viele von ihnen
sind durch die innenpolitischen Entwicklungen hausgemacht . Wer sich die innenpolitische Lage des Jemen
anschaut, stellt fest: Die saudischen Luftangriffe sind
schlimm, sie sind auch unverhältnismäßig, sie sind aber
nur eines von vielen Problemen . Deswegen ist es erstaunlich, dass Ihr Antrag, Herr Kollege Nouripour, nur einen
Hauptschuldigen nennt: Saudi-Arabien .
({0})
Wenn wir dem Entwurf Ihres Antrags, den Sie vorgelegt haben, folgen würden - vielleicht können wir ihn
verbessern -, dann würde Deutschland aus unserer Sicht
keinen sinnvollen Beitrag zu einer Friedenslösung leisten, sondern nur den moralischen Zeigefinger heben.
({1})
Außenpolitik ist aber, glaube ich, ein bisschen mehr .
Wenn Sie bewerten, was die deutsche Regierung in der
Vergangenheit gemacht hat, dann sollten Sie bitte nicht
zu gering schätzen, dass die Bundeskanzlerin in diesen
Zeiten - es standen einige Wahlkämpfe an, und es steht
der Bundestagwahlkampf bevor - eine Reise in die Region gemacht hat, in Dschidda war und auch mit den
Saudis gesprochen hat . Sie hat sehr klare und deutliche
Worte auch zu den Luftangriffen im Jemen gefunden . Ich
hätte gut gefunden, wenn Sie das gewürdigt hätten . Da
Sie es nicht tun, will ich es tun . Ich freue mich, dass die
Bundeskanzlerin in der Region gewesen ist und sich klar
positioniert hat .
({2})
Ich will darauf hinweisen, dass der UN-Sondergesandte für den Jemen, Sheikh Ahmed, der im März hier
in Berlin war, gesagt hat, dass man im Jemen keinen
Fortschritt erzielt, wenn man die Sicherheitsinteressen
Saudi-Arabiens bei den Verhandlungen zu wenig berücksichtigt . Saudi-Arabien ist seit zwei Jahren unter Beschuss ballistischer Raketen durch die Huthis; das muss
man sehen . Diese Raketen können sogar die Hauptstadt
und sie könnten auch die heiligen Stätten erreichen . Jeder
ahnt, was dann in der Region los wäre . Die Huthis greifen mit sprengstoffbeladenen Boten Schiffe in der Meerenge Bab al-Mandab an und verminen den Seeraum . Im
Oktober 2016 - so lange ist das noch nicht her - wurde
dabei ein Frachter der Vereinigten Arabischen Emirate
zerstört . Dem muss man Einhalt gebieten, wenn auch
weiterhin Hilfslieferungen in den Jemen gelangen sollen .
Ich glaube, das ist unser gemeinsames Interesse .
Ich will nicht verschweigen - das habe ich gerade
schon angesprochen -, dass die saudischen Luftangriffe
erhebliches Leid unter der Zivilbevölkerung hervorrufen und dass es bislang keine positive strategische Veränderung gegeben hat . Wir haben Saudi-Arabien immer
wieder gesagt, dass es eine politische Lösung braucht
und keine militärische geben wird . Sie sind ja bei einem
Besuch des damaligen Außenministers Frank-Walter
Steinmeier dabei gewesen und haben miterlebt, wie er
das dort sehr deutlich gesagt hat . Sigmar Gabriel hat
sich dem angeschlossen und dazu am 16 . Mai 2017 eine
entsprechende Erklärung abgegeben . Deswegen möchte
ich da den ehemaligen und den jetzigen Außenminister
ausdrücklich in Schutz nehmen . Das Außenamt der Bundesrepublik Deutschland hat sich ganz eindeutig hinter
die Vermittlungsbemühungen des UN-Sondergesandten
gestellt .
({3})
Diese Politik werden wir weiterhin unterstützen . Das ist
das einzig Sinnvolle, was hier zu einem Ergebnis führen
kann . Herr Kollege Nouripour, Deutschland ist hier insgesamt gut positioniert .
({4})
Wir sind an dieser Stelle auf keinem Auge blind .
Im Übrigen ist Deutschland zum Glück in der Lage,
auch finanzielle Mittel bereitzustellen. Ich will auf die
Geberkonferenz am 25 . April dieses Jahres hinweisen,
auf der von deutscher Seite 50 Millionen Euro für humanitäre Hilfe und 55 Millionen Euro für die Entwicklungszusammenarbeit zugesagt wurden . Das ist zwar nur ein
minimaler Beitrag zur Linderung der Not, aber ein nicht
zu unterschätzender Beitrag insgesamt .
Ich glaube, wir brauchen einen Ansatz, der etwas
übergreifender ist als derjenige, den Sie in Ihrem Antrag
geliefert haben . Ihre Rede hat schon erste Andeutungen
enthalten, wie man das noch verbessern kann . Da sollten wir in den Ausschussberatungen ansetzen, um zu gemeinsamen Lösungen zu kommen . Denn eines ist klar:
Das menschliche Leid im Jemen muss verringert werden,
und dazu müssen wir an alle appellieren . Dazu brauchen
wir Saudi-Arabien, dazu brauchen wir aber auch den
Iran, und dazu brauchen wir auch Einfluss auf die Huthis.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({5})
Als nächste Rednerin hat Sevim Dağdelen für die
Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Reden wir doch bitte Klartext zum Jemen und
zur Mitverantwortung vor allen Dingen der Bundesregierung für die katastrophale humanitäre Situation in diesem
Land .
({0})
Der machtpolitisch motivierte Krieg Saudi-Arabiens
gegen den Jemen, der vor allem die jemenitische Zivilbevölkerung trifft, ist die Hauptursache für das sich
täglich zuspitzende Elend . UNICEF beklagt: Infolge der
saudisch geführten Angriffe sind mehr als 1 500 Kinder
getötet worden . 2 500 Kinder wurden infolge der Kämpfe
verstümmelt . Nach UNO-Angaben sind bis heute etwa
10 000 Zivilisten getötet und etwa viermal so viele verDr. Johann Wadephul
letzt worden, und die Dunkelziffer ist viel höher . Durch
die Zerstörung der Infrastruktur im Jemen durch die
saudi-arabische Luftwaffe ist jetzt auch noch die Cholera ausgebrochen . Die Vereinten Nationen sprechen von
über 180 Toten und 14 000 Verdachtsfällen . Dazu kommt
vor allem, dass durch die saudische Blockade jemenitischer Häfen - man spricht auch von der Hungerblockade - 7 Millionen Menschen im Jemen der Hungertod
droht . Hunderttausende Kinder sind gefährdet . Das, was
hier unter unseren Augen abläuft, ist nichts anderes als
ein Massaker ungeheuerlichen Ausmaßes durch die islamistische Kopf-ab-Diktatur Saudi-Arabien, Ihrem Verbündeten, besonders bei der Union .
({1})
Herr Außenminister Gabriel hat vorgestern im Gespräch mit der saudischen Marionettenregierung des
Jemen erklärt, Deutschland wolle bei der Lösung des
Konflikts eine aktive Rolle einnehmen. Zugleich muss
man aber konstatieren: Deutschland spielt schon eine
sehr aktive Rolle . Deutschland liefert weiter Waffen
an Saudi-Arabien, und Frau Bundeskanzlerin Merkel
hat darüber hinaus bei ihrem jüngsten Besuch bei der
Kopf-ab-Diktatur Saudi-Arabien zugesagt, saudische
Militärs von der deutschen Bundeswehr ausbilden zu lassen .
({2})
Ich finde Ihre Außenwirtschaftspolitik wirklich unerträglich .
({3})
Saudi-Arabien ist ein Großkunde der deutschen Rüstungskonzerne . 2016 betrug das Exportvolumen 529 Millionen Euro . Die Saudis bekommen Patrouillenboote und
Technik für Radarüberwachung . Diese Kopf-ab-Diktatur
darf sich zudem deutsches Waffen-Know-how ins Land
holen . Die Düsseldorfer Waffenschmiede Rheinmetall ist
an einer Munitionsfabrik vor Ort beteiligt und verdient
über Lizenzen kräftig mit . Pro Tag können dort 300 Artilleriegranaten oder 600 Mörsergranaten produziert werden . Wissen Sie was? In der deutschen Rüstungsexportstatistik tauchen diese Zahlen überhaupt nicht auf . Was
Sie mit Ihrer Außenwirtschaftspolitik veranstalten, ist
nichts anderes als Beihilfe zum Mord .
({4})
Die saudische Diktatur mordet im Jemen und ist
Hauptverantwortlicher für diese humanitäre Katastrophe . Sie unterstützen dieses mörderische Regime, das
weltweit islamistischen Terror fördert, und das auch noch
militärisch . Eben haben wir noch über die Gefährder gesprochen, die Sie wegsperren wollen . Aber wieso paktieren Sie denn mit denen, die weltweit diese Gefährder
fördern? Warum paktieren Sie mit diesen Terrorpaten?
({5})
Wer sich nicht weiter am Massensterben mitschuldig
machen und am Massenmord im Jemen beteiligen will,
der muss sofort alle Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien und an die anderen Golfdiktaturen stoppen .
({6})
Wer gerade in dieser Region keine weiteren Fluchtursachen schaffen will, der muss sofort jegliche Ausbildung
saudischer Sicherheitskräfte unterbinden . Wer tatsächlich etwas gegen den islamistischen Terrorismus unternehmen möchte, der muss seinem größten Förderer, dem
Schreckensregime in Riad, endlich die Rote Karte zeigen . Der saudische König und Diktator Salman ist kein
Fall für üppige diplomatische Bankette, wie es Merkel
mit Salman übt, sondern ein Fall für den Internationalen
Gerichtshof .
({7})
Wir wollen keine Pakte, keine Kumpanei mit solchen
Terrorpaten wie Salman oder auch Erdogan . Wir wollen
eine radikale Wende in der deutschen Arabien-Politik .
Wir wollen keine Beihilfe zum Mord leisten .
Vielen Dank .
({8})
Niels Annen hat für die SPD-Fraktion als nächster
Redner das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich glaube, es ist ganz legitim im politischen
Meinungsstreit, dass man aus Sicht der Opposition die
Koalitionsfraktionen, die Bundesregierung auch einmal
ordentlich attackiert . Dagegen hat niemand etwas .
({0})
Ich habe dennoch den Eindruck, dass Sie sich das falsche
Thema ausgesucht haben . Ich will gerne versuchen, nach
dem Beitrag der Kollegin Dağdelen wieder zu den Fakten zurückzukehren und etwas zu dem zu sagen, was im
Antrag der Grünen steht .
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben einen Antrag präsentiert, in dem Sie - das sagt der Titel - einen
radikalen Kurswechsel in der Jemenpolitik verlangen,
und eine Vielzahl von Forderungen formuliert, die die
Bundesregierung und gerade auch das Auswärtige Amt
schon längst umsetzen . Ich will das einmal ein bisschen
zuspitzen: Wenn das die neue Radikalität der Grünen ist,
dann sitzen im Auswärtigen Amt nur Extremisten .
({2})
Eines ist allerdings richtig - darin sind wir uns in
diesem Hause hoffentlich einig -: Der Krieg im Jemen
genießt viel zu wenig Aufmerksamkeit in unserem Land
und in der Weltöffentlichkeit . Dafür gibt es Gründe . So
gibt es bedauerlicherweise auch andere bewaffnete Konflikte, um die wir uns in diesem Hause kümmern. Trotzdem ist das eine Aussage, die, glaube ich, von allen hier
geteilt werden kann . Insofern hat Ihr Antrag - bei aller
Fehlerhaftigkeit seiner Stoßrichtung - auch etwas Gutes,
nämlich dass wir heute über dieses Thema diskutieren .
Eines will ich ganz klar und deutlich festhalten: Frau
Dağdelen, wir kennen dieses Spiel von Ihnen ja schon
aus anderen Debatten .
({3})
Sie versuchen, den Eindruck zu erwecken - leider versucht auch der Kollege Nouripour, diesen Eindruck zu
erwecken -, dass wir in Deutschland Verantwortung dafür tragen, dass Saudi-Arabien den Jemen bombardiert .
Deswegen will ich hier festhalten: Deutschland beteiligt
sich nicht an der Militärkoalition im Jemen,
({4})
und Deutschland strebt eine solche Beteiligung auch
nicht an .
({5})
Die Bundesregierung
({6})
ist überzeugt - das ist öffentlichen Äußerungen und Dokumenten zu entnehmen -, dass keine militärische Lösung für diesen Konflikt anzustreben ist, sondern - im
Gegenteil - dass wir eine Befriedung nur dann erreichen
können, wenn wir eine politische Lösung erzielen .
({7})
Es wurde eben von Herrn Nouripour so dargestellt, als
würden wir nur zuschauen, als würden wir nichts tun,
({8})
als würde uns der Konflikt nicht interessieren. Außenminister Sigmar Gabriel
({9})
hat erst vorgestern den Premierminister der jemenitischen Regierung getroffen und die Position der Bundesregierung ganz deutlich unterstrichen .
({10})
Die Bundesregierung - das könnten Sie wissen, wenn
Sie sich ernsthaft mit diesem Thema beschäftigt hätten
und nicht nur versuchen würden, hier einen PR-Effekt
zu erzielen ({11})
unterstützt aktiv die Vermittlungsbemühungen des Sondergesandten der Vereinten Nationen; das hat der Kollege
Wadephul eben zu Recht erwähnt . Die Bundesregierung
ist einer Bitte der Vereinten Nationen nachgekommen
und hat angeboten, diesen fragilen politischen Prozess
mit einer aktiveren Rolle und mit ihren eigenen Ressourcen stärker zu unterstützen .
({12})
Ich darf noch sagen: Just in dieser Woche, in der Sie in
einer interessanten Koalition in der Opposition versucht
haben, den Eindruck zu erwecken, wir würden uns nicht
interessieren und die Bundesregierung sei quasi passiv,
hatten wir ein Treffen von hochrangigen Vertretern der
Konfliktparteien aus dem Jemen,
({13})
die in Form eines „Track II“, also eines informellen Dialogs, versucht haben, durch das Gespräch und den politischen Dialog Lösungen für diesen Konflikt zu erzielen.
Das unterstützen wir . Ich denke, das sollte auch vonseiten des Parlaments unterstützt werden . Das ist auch die
Politik der Bundesregierung .
({14})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die humanitäre Lage im Jemen muss angesprochen werden, wenn
man über diesen Konflikt miteinander diskutiert.
({15})
Ich bin dankbar dafür, dass das auch geschehen ist . Die
humanitäre Lage im Jemen ist katastrophal . 17 Millionen
Menschen sind von Nahrungsunsicherheit direkt betroffen . Weit über 3 Millionen Menschen sind mangelernährt . Wir hatten vor kurzem - darauf ist hingewiesen
worden - den Ausbruch der Cholera zu beklagen . Das
bedeutet, es ist in der Tat an der Zeit, dass wir nicht nur
hier im Deutschen Bundestag darüber diskutieren, wie
wir die Initiativen unserer Regierung noch stärker unterstützen können,
({16})
sondern dass wir auch darüber sprechen, wie wir die internationale Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenken
können .
Ich darf darauf hinweisen - auch das steht in scharfem Kontrast zu der Art und Weise, wie die Dinge von
der Opposition dargestellt werden -, dass das Auswärtige
Amt die Mittel für die humanitäre Hilfe für den Jemen
bereits 2016 erhöht hat . Dieses Jahr belaufen sie sich auf
125 Millionen Euro . Deutschland ist damit der drittgrößte Geber für den Jemen .
({17})
Ich möchte auf einen weiteren Aspekt hinweisen . Alle
Kriegsverbrechen - ganz gleich, von welcher Seite sie
begangen werden; das gilt natürlich auch für die saudische Regierung, die hier die größte Verantwortung trägt,
weil sie mit der Luftwaffe und ihren übrigen Wirkmitteln
eine ganz andere Eskalationsdynamik entwickeln kann müssen untersucht werden . Das ist die Politik dieser Regierung, der Großen Koalition, nicht nur im Jemen-Konflikt, sondern, wie Sie wissen, auch im Syrien-Konflikt.
({18})
- Sie können so viel schreien, wie Sie möchten . Ich trage Ihnen hier die Fakten vor . Vielleicht trägt das ja ein
bisschen dazu bei, dass wir eine sachliche Debatte miteinander führen .
({19})
- Ich weiß, dass das Zuhören nicht zu Ihren Stärken gehört,
({20})
aber ich will das trotzdem vortragen . - Deshalb hat sich
die Bundesregierung in Genf immer dafür eingesetzt,
dass der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen eine
unabhängige Kommission einsetzt .
({21})
Wir wissen, an wem das gescheitert ist . Es lag, meine
sehr verehrten Damen und Herren, nicht an der Bundesregierung .
Ich möchte Sie gerne einladen, weil Sie das in Ihrem
Antrag erwähnt haben, sich noch einmal die Schlussfolgerungen des Rates der EU dazu anzuschauen, mit der
Stimme und der Unterstützung der Bundesregierung . Es
sind zum Teil exakt die Forderungen, die Sie uns hier zur
Beschlussfassung vorlegen. Viele Punkte finden sich dort
wieder . Deswegen wäre es, glaube ich, nur fair gewesen,
wenn man das zumindest erwähnt hätte,
({22})
anstatt hier den Eindruck zu erwecken, wir würden nur
zuschauen .
Die Europäische Union verurteilt die Angriffe auf
Zivilisten und äußert sich ausgesprochen besorgt zum
Einsatz unter anderem von Streumunition . Die EU fordert einen sicheren Zugang für humanitäre Helfer, eine
Frage, die wir nicht nur für den Jemen miteinander zu
diskutieren haben, sondern die wir beispielsweise auch
aus dem Krieg in Syrien kennen . Da die Redezeit jetzt
quasi abgelaufen ist,
({23})
will ich Ihnen das gerne noch einmal zur Lektüre empfehlen .
Ich kann Ihnen nur eines sagen: Wir betreiben, was
den Jemen-Konflikt angeht, eine ausgewogene Politik,
sowohl was die humanitäre Hilfe angeht, als auch was
die politischen Initiativen angeht .
({24})
Im Übrigen darf ich Sie darauf hinweisen, dass es der
ehemalige Wirtschaftsminister und noch amtierende Vizekanzler Sigmar Gabriel gewesen ist, der beispielsweise
nach von einer vorherigen Regierung genehmigten Exporten und Lizenzverträgen für die Errichtung einer Fabrik zur Herstellung von Sturmgewehren des Typs G36
die Produktion dadurch gestoppt hat, dass die zentralen
Komponenten bis heute nicht geliefert worden sind, was
in gewisser Weise sogar vertragswidrig ist, aber aus politischen Gründen die richtige Entscheidung war . Also tun
Sie hier nicht so, als würden wir auch an dieser Stelle
nicht aktiv werden! Das Gegenteil ist der Fall .
Ich danke für die Aufmerksamkeit .
({25})
Als letzter Redner in dieser Debatte hat Thorsten Frei
für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin sehr dankbar, lieber Herr Annen, dass Sie etwas
Sachlichkeit in diese Debatte gebracht haben
({0})
und dass Sie im Großen und Ganzen ein Stück weit relativiert haben, was hier vorgetragen worden ist .
Wenn man sich den Antrag der Grünenfraktion anschaut, stellt man fest, dass er zunächst einmal durchaus
positive Aspekte enthält - darauf sind die Vorredner einNiels Annen
gegangen -, etwa wenn es darum geht, die größte humanitäre und auch Hungerkatastrophe der Welt ein Stück
weit in das Licht der Öffentlichkeit zu rücken und dafür
zu sorgen, dass auch unser Haus dieses Thema diskutiert .
Was da zu diskutieren ist, haben wir ja gehört . Dabei geht
es in der Tat im Ergebnis um nichts anderes als darum,
dass das seit Jahren ärmste Land der arabischen Welt im
Grunde genommen in die Steinzeit zurückkatapultiert
wird . Vieles, was dort passiert ist, ist angesprochen worden . Nach drei Jahren des Bürgerkriegs, nach zwei Jahren des Bombardements sind letztlich das Gesundheitssystem und die Infrastruktur so zerstört, dass auch an sich
heilbare oder vermeidbare Krankheiten zu massenhaftem
Sterben führen . Es gibt auch schreckliche Verbrechen,
die in diesem Zusammenhang begangen werden . Dass
auf der Seite der Huthis zehnjährige Kinder an die Waffen und an die Fronten gebracht werden, ist etwas, was
ebenfalls zum Gesamtbild gehört .
Was Sie in Ihrem Antrag auch noch richtigerweise erwähnen, ist die Tatsache, dass es am Ende keine militärische Lösung, sondern nur eine politische und Verhandlungslösung geben kann . Aber gerade wenn man das als
richtig voraussetzt, muss doch klar sein, dass man sich
ein Stück weit in die unterschiedlichen Kombattanten hineinfühlen muss, dass man sich anschauen muss, wo die
Problemlagen sind, damit man eine Basis für Verhandlungslösungen finden kann. Das setzt voraus, dass man
nicht einseitig argumentiert,
({1})
sondern klarlegt, dass man es hier mit vielen Verbrechern
zu tun hat . Natürlich ist es so, dass die Saudis gemeinsam mit der Hadi-Regierung Verantwortung tragen . Aber
die Hadi-Regierung ist letztlich auch eine legitime und
von der internationalen Staatengemeinschaft anerkannte Regierung . Sie ist von den Huthis vertrieben worden,
und nicht nur von denen . Sie haben sich ausgerechnet
mit dem früheren Machthaber Saleh verbündet, der vorher Hunderttausende Huthis verfolgt, bekämpft und ermordet hat . Insofern muss man schon das gesamte Bild
zeichnen .
({2})
Es ist auch richtig, dass es an der Hunderte Kilometer
langen Grenze zwischen den beiden Ländern auch Sicherheitsinteressen Saudi-Arabiens gibt,
({3})
die es zu respektieren gilt .
Gleiches gilt letztlich für die Rolle der USA; ich sage
das vor dem Hintergrund des anstehenden Besuchs des
amerikanischen Präsidenten . Tatsächlich ist es so, dass
die Amerikaner hier durchaus eine gute Rolle spielen .
Schauen Sie sich beispielsweise die Geberkonferenz an,
die Sie angesprochen haben, bei der 1,1 Milliarden Euro
eingesammelt worden sind . Allein die Hälfte des Geldes
kommt von den USA . Schauen Sie sich doch einmal an,
wie sich andere Weltmächte gerieren . Schauen Sie sich
einmal an, was China und Russland machen . Ich kann
Ihnen sagen: Die tun nichts, gar nichts . Auch das gehört
zu dem Gesamtbild .
Sie sprechen in Ihrem Antrag davon, dass wir in
Deutschland eine radikale Änderung der Jemenpolitik
brauchen . Ich frage mich: Was sollen wir denn ändern?
In dieser Woche war der jemenitische Premier in Berlin .
Seit dem vergangenen Sonntag diskutieren unterschiedliche Vertreter jemenitischer Gruppen und Parteien in
Berlin, wie man Verhandlungslösungen erzielen kann .
Deutschland wirft seine Position in der Region und das
Vertrauen, das es genießt, in die Waagschale, um zu Verhandlungslösungen zu kommen .
Wenn Sie sich auf die Waffenlieferungen kaprizieren,
dann ist es falsch, zu behaupten, dass dort mit deutschen
Waffen getötet würde . Man muss sich genau anschauen,
um was es geht . Es geht um Patrouillenboote und um
Radarsysteme, die letztlich zum Schutz von Küsten und
zum defensiven Einsatz verwendet werden . Zur Wahrheit gehört auch, was nicht geliefert wird, beispielsweise
Bestandteile für Gewehre des Typs G36 oder Panzerbestandteile, also all die Dinge, die für offensive Einsätze
und damit auch für Krieg, Bürgerkrieg und zum Morden eingesetzt werden können . Das gehört doch zum
Gesamtbild . Wenn Sie das nicht berücksichtigen, dann
werden Sie nie die Basis dafür schaffen, zu einer Verhandlungslösung zu kommen; aber nichts anderes kann
das Ziel sein .
Im Hinblick auf den Besuch des amerikanischen Präsidenten hoffen wir, dass er auf seinen Verteidigungsminister hört, der genau das statuiert hat: Es kann nur eine
Verhandlungslösung geben . - Wir sind bereit, auch in
diesen Zeiten unseren Beitrag dazu zu leisten . Ich glaube, dass Deutschland viel dazu beitragen kann und dies
auch tut .
Herzlichen Dank .
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich
die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/12121 mit dem Titel „Für einen radikalen Kurswechsel in der Jemenpolitik“ . Wer stimmt für diesen
Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? Dann ist der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises
Drucksache 18/11279
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0})
Drucksache 18/12417
Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sollen zu
Protokoll gegeben werden . - Ich sehe, Sie sind damit
einverstanden . Dann ist das so beschlossen .1)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12417, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/11279 in der Ausschussfassung an-
zunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ein
Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich je-
mand? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Opposition angenommen .
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes
und weiterer Vorschriften
Drucksachen 18/11239, 18/11938, 18/12181
Nr. 1.12
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1})
Drucksache 18/12397
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Irene
Mihalic, Dr . Konstantin von Notz, Luise
Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mehr Sicherheit durch weniger Waffen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Irene
Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck ({3}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Abgabe von anschlagsfähigen Ausgangs-
stoffen beschränken
Drucksachen 18/11417, 18/7654, 18/12397
Der Innenausschuss hat den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7654 mit
dem Titel „Abgabe von anschlagsfähigen Ausgangsstof-
fen beschränken“ in seine Beschlussempfehlung mitein-
bezogen . Dieser Antrag soll daher jetzt ebenfalls beraten
werden . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann
ist das so beschlossen .
1) Anlage 7
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . - Ich sehe, Sie sind auch damit einverstanden .
Dann ist das so geschehen . 2)
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschrif-
ten. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12397,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
chen 18/11239 und 18/11938 in der Ausschussfassung
anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Damit ist der
Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalition und der Fraktion Die Linke, bei der es auch
eine Enthaltung gibt, und bei Gegenstimmen der Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden .
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer
stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit, liebe
Kolleginnen und Kollegen, ist der Gesetzentwurf mit den
Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke gegen
die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen worden .
Ich komme zum Tagesordnungspunkt 24 b . Wir setzen
die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des In-
nenausschusses auf der Drucksache 18/12397 fort .
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei-
ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksa-
che 18/11417 mit dem Titel „Mehr Sicherheit durch
weniger Waffen“ . Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich
jemand? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositi-
on angenommen worden .
Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf der Drucksache 18/7654 mit dem Titel „Abgabe von
anschlagsfähigen Ausgangsstoffen beschränken“ . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Gibt es jemanden, der sich enthält? - Damit
ist diese Beschlussempfehlung ebenfalls mit den Stim-
men der Koalition gegen die Stimmen der Opposition
angenommen worden .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver-
besserung der Beistandsmöglichkeiten unter
Ehegatten und Lebenspartnern in Angelegen-
heiten der Gesundheitssorge und in Fürsorge-
angelegenheiten
Drucksache 18/10485
2) Anlage 8
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({4})
Drucksache 18/12427
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und bitte die Kolleginnen
und Kollegen, ihre Plätze einzunehmen, damit wir beginnen können . - Als erster Redner in der Aussprache hat
Dr . Matthias Bartke für die SPD-Fraktion das Wort .
({5})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „In guten
wie in schlechten Zeiten, in Gesundheit und Krankheit“ ({0})
diese Worte sind uns wohlbekannt . Die wenigsten werden bei ihrem Eheversprechen tatsächlich darüber nachdenken, was es heißt, in Zeiten der Krankheit für den
anderen da zu sein .
Ehegatten und Partner in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft können nach geltendem Recht keine
Entscheidungen über medizinische Behandlung für ihren
Partner treffen, wenn dieser nicht mehr selbst handlungsfähig ist . Auch im Rechtsverkehr können sie ihn dann
nicht vertreten . Eine Vorsorgevollmacht würde an dieser
Stelle Abhilfe schaffen . Sie kann dauerhaft rechtliche Betreuung vermeiden und das Selbstbestimmungsrecht der
Betroffenen in vollem Umfang gewährleisten . Wir halten
daher die Vorsorgevollmacht für absolut vorzugswürdig .
({1})
Jeder hat es selbst in der Hand, wen er als Bevollmächtigten einsetzen will . Das kann der Ehepartner, aber eben
auch das eigene Kind, der Nachbar oder die beste Freundin sein . Was ist, wenn ich selber keine Entscheidung
treffen kann? Diese Frage verdrängen viele von uns oder
schieben die Beantwortung immer wieder auf . Es wundert mich daher leider nicht, dass Mitte 2015 nur etwa
2,8 Millionen Vollmachten registriert waren . Das sind
gerade einmal 4 Prozent der Erwachsenen in Deutschland . Unsere Aufgabe wird es daher weiterhin sein, die
Vorsorgevollmacht zu stärken und bekannt zu machen .
Bis Vorsorgevollmachten von der Mehrheit der Bevölkerung in Anspruch genommen werden, müssen wir
über ergänzende Regelungen nachdenken . Der Bundesrat hat mit seinem Gesetzentwurf zur Verbesserung der
Beistandsmöglichkeiten dafür einen Vorschlag gemacht .
Es soll eine gesetzliche Annahme der Bevollmächtigung
zwischen Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern
geschaffen werden . Sie soll für den Bereich der Gesundheitssorge und der Fürsorge greifen . Der Bundesrat will
Betroffene mit dieser Regelung entlasten und Betreuerbestellungen vermeiden .
Wenn der Partner gerade einen Unfall oder einen
Schlaganfall erlitten hat oder schwer erkrankt ist und
dadurch handlungsunfähig ist, muss vieles neu geregelt
werden . In dieser Situation ist jede Entlastung willkommen. Das Ansinnen des Gesetzentwurfes findet daher unsere volle Unterstützung .
Wir sehen gleichzeitig aber auch wichtigen Änderungsbedarf . Der Gesetzentwurf des Bundesrates birgt
gleich an mehreren Stellen Missbrauchspotenzial . Dem
müssen wir unbedingt vorbeugen . Wir wollen das Vertretungsrecht deshalb auf die Gesundheitssorge beschränken . Eine Vertretung in vermögensrechtlichen Angelegenheiten ist dann also nicht möglich .
Auch die im Bundesratsentwurf vorgesehenen Erklärungen sehen wir kritisch . So ist zum Beispiel vorgesehen, dass der Ehegatte für den Abschluss von Verträgen
ein ärztliches Zeugnis vorlegen muss . Ein ärztliches
Zeugnis, das sechs Monate alt sein darf, sagt aber wenig
über die aktuelle Situation aus . Darauf werden wir also
verzichten .
In der Anhörung haben unsere Änderungsvorschläge bereits vorgelegen . Die Sachverständigen haben uns
einhellig bestätigt: Die von uns vorgesehene enge zeitliche Begrenzung wie auch die Beschränkung auf die Gesundheitssorge beugen Missbrauch vor . Es gab von den
Sachverständigen aber auch Kritik, die wir sorgsam abgewogen haben . Wir haben deswegen die entsprechende
Anwendung der §§ 1901a, 1901b sowie 1904 BGB in
unseren Änderungsantrag aufgenommen . Damit ist ganz
klar geregelt: Auch der vertretende Ehegatte muss dem
in einer Patientenverfügung niedergelegten Willen Ausdruck verschaffen .
Wenn es keine Patientenverfügung gibt, muss der
Ehegatte die Behandlungswünsche des Partners feststellen . Dabei spielen frühere Äußerungen und ethische und
religiöse Überzeugungen des Patienten eine Rolle . Auch
der behandelnde Arzt hat unter Berücksichtigung des Patientenwillens die medizinischen Maßnahmen mit dem
Ehegatten zu erörtern .
Für Ärzte schaffen wir außerdem ein unmittelbares
Auskunftsrecht . Gegen die Vertretung durch den Ehegatten oder Lebenspartner kann Widerspruch im Zentralen
Vorsorgeregister eingetragen werden . Damit der Arzt
schnellstmöglich weiß, ob ein solcher Widerspruch oder
eine Vorsorgevollmacht vorliegt, wird Ärzten künftig
darüber Auskunft erteilt . So kann dem Patientenwillen
schneller und effektiver Rechnung getragen werden .
Das Für und Wider verbesserter Beistandsmöglichkeiten von Ehegatten und Lebenspartnern haben wir also
sorgsam abgewogen . Wir haben so zu einer unkomplizierten, wirksamen Regelung für Notsituationen gefunden, die Missbrauch vermeidet und Betroffene entlastet .
({2})
Mindestens ebenso sehr beschäftigt hat uns aber die
Frage der Vergütung von Berufsbetreuern, die auch in
dem vorliegenden Gesetzentwurf geregelt ist . Diese
Vergütung ist seit 2005 unverändert . Die Einkommen
vergleichbarer Berufsgruppen sind im vergleichbaren
Zeitraum deutlich gestiegen, und auch die Kosten der
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Betreuung sind in die Höhe geklettert . Vor allem die Betreuungsvereine befinden sich in einer absolut prekären
finanziellen Situation. Für uns ist es höchste Zeit, zu handeln . Wir haben uns daher entschieden, die Vergütungserhöhung unabhängig von anderen Fragen des Betreuungsrechts schon jetzt zu regeln .
In der nächsten Legislatur wollen wir eine umfassende Debatte über die Qualität in der Betreuung führen
und damit eine umfassende Reform in Angriff nehmen .
Aber so eine Reform braucht Zeit, Zeit, die vor allem
die Betreuungsvereine nicht mehr haben . Wenn wir jetzt
keine Vergütungserhöhung mehr beschließen, werden
wir in der nächsten Legislaturperiode eine ganz andere
Strukturdebatte führen müssen; denn dann werden wir
nicht mehr auf Ehrenamt und Betreuungsvereine setzen
können, weil es eine große Zahl der Betreuungsvereine,
die das Ehrenamt begleiten, dann schlicht und ergreifend
nicht mehr geben wird .
({3})
Betreuung bedeutet zum Beispiel Entscheidungen am
Lebensende, aber auch ärztliche Zwangsmaßnahmen .
Vor allem die unterstützende Entscheidungsfindung und
sensible Grundrechteeingriffe setzen eine hohe Qualität der rechtlichen Betreuung voraus . Wir können und
wollen es uns als Gesellschaft nicht leisten, dass hier
am falschen Ende gespart wird . Die unveränderten Stundensätze führen dazu, dass die Fallzahlen erhöht werden .
Darunter leidet unweigerlich die Qualität der Betreuung .
Ich freue mich, dass wir uns in der Frage der Vergütungserhöhung in allen im Bundestag vertretenen Fraktionen einig sind .
({4})
Ich appelliere auch an die Länder, der Erhöhung der
Betreuervergütung zuzustimmen . Hier zu kurzfristig
zu denken, wäre fatal . Jegliche Qualitätsdebatte könnte
dann zu spät kommen .
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren .
({5})
Als nächster Redner spricht Harald Petzold für die
Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Besucherinnen und Besucher! Wir sprechen heute
hier abschließend über den Entwurf eines Gesetzes des
Bundesrates zur Verbesserung der Beistandsmöglichkeiten unter Ehegatten und Lebenspartnern in Angelegenheiten der Gesundheitssorge und in Fürsorgeangelegenheiten in einer geänderten Fassung des Rechtsausschusses .
Das heißt, der ursprüngliche Gesetzentwurf liegt nicht
mehr zur Abstimmung vor . Er ist ergänzt worden um die
durch den Kollegen Bartke vorgestellte Regelung zur Erhöhung der Betreuer- und Vormündervergütung .
Worum geht es bei dem Gesetzentwurf? Stellen
Sie sich vor, Sie leben mit Ihrem Ehepartner oder Lebenspartner seit vielen Jahren zusammen . Ihr Glück ist
ungetrübt . Nicht im Traum würden Sie auf den Gedanken
kommen, einmal nicht mehr selbst handlungsfähig oder
selbstbestimmt zu sein . Und dann kommt es plötzlich und
unerwartet zu einem Unfall oder einer schweren Erkrankung Ihres Partners oder Ihrer Partnerin . Plötzlich stellen
Sie fest, Sie haben für einen solchen Fall nicht vorgesorgt . Eine Vorsorgevollmacht ist nicht erteilt worden,
und ohne eine solche Vollmacht sind Sie weder als Ehepartnerin oder Ehepartner noch als Partnerin oder Partner
in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft berechtigt,
Entscheidungen, zum Beispiel über die medizinische Behandlung, für Ihren dann nicht mehr selbst handlungsfähigen Partner zu treffen oder diesen im Rechtsverkehr zu
vertreten . Es bedarf dann erst eines gerichtlichen Verfahrens zur Betreuerbestellung, um dem geliebten Ehe- oder
Lebenspartner auch rechtlich und in medizinischer Hinsicht beistehen zu können . Eine Vorsorgevollmacht ist
daher ein wichtiges Instrument, um selbstbestimmt darüber entscheiden zu können, wer im Falle des Verlustes
der eigenen Handlungsfähigkeit oder Selbstbestimmung
einmal anstelle derjenigen oder desjenigen handeln und
entscheiden soll .
Untersuchungen belegen - der Kollege Bartke hat ja
darauf hingewiesen -, dass leider viel zu wenige Paare
oder Lebensgemeinschaften von diesem Instrument Gebrauch machen . Meist wird es auf später verschoben oder
verdrängt . Insofern begrüßen wir natürlich eine gesetzliche Regelung . Das steht außer Zweifel . Aber - das kann
ich Ihnen leider nicht ersparen - gut gemeint ist eben
nicht gleich gut gemacht .
({0})
So komme ich hier für die Linke nach Abwägung aller Kriterien zu dem Schluss, dass die in dem Gesetzentwurf vorgeschlagenen Regelungen zur Einführung
eines gesetzlichen Vertretungsrechts weder erforderlich
noch sachdienlich sind . So, wie sie hier zur Abstimmung
vorliegen, könnten sie sogar stark nachteilige Folgen
für die Rechtssicherheit und die Selbstbestimmung von
Ehe- oder Lebenspartnerinnen und -partnern haben bzw .
bergen sie die Gefahr des Missbrauchs . Das ist uns in
den öffentlichen Anhörungen bestätigt worden . So sind
beispielsweise die im Entwurf des Bundesrates vorgeschlagenen Regelungen eines Vertretungsrechts in Angelegenheiten mit vermögensrechtlichen Bezügen viel zu
weitgehend gewesen; dies kann zudem eigentlich bereits
über bestehende Rechtsinstitute geregelt werden . Dies ist
glücklicherweise durch einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen korrigiert worden . Eine weitere Korrektur betraf die zeitliche Begrenzung der Dauer der Vertretung auf einen überschaubaren Zeitraum von wenigen
Tagen oder Wochen .
Ich will unsere Zustimmung zu den Änderungsvorschlägen der Koalitionsfraktionen zur Verbesserung der
Betreuer- und Vormündervergütung ausdrücklich festhalten . Seit zwölf Jahren ist die Vergütung von gesetzlicher
Betreuung nicht mehr erhöht worden . Sie ist dringend
notwendig, um das System der Betreuung in den nächsten Jahren aufrechtzuerhalten .
({1})
Die diesbezüglichen Korrekturen am Gesetzentwurf sind
dafür allerdings nur ein erster notwendiger Schritt . Auch
das kann ich Ihnen nicht ersparen . Wenn es so wäre, wie
Sie es hier vorgetragen haben, Herr Kollege Bartke, hätten Ihre Vorschläge viel weitgehender sein müssen .
({2})
Ich stimme dem Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen zu, die Abstimmungen zu trennen . Wir werden dem
Änderungsvorschlag der Koalitionsfraktionen aus den
von mir genannten Gründen unsere Zustimmung geben .
Mit dem Vorgehen, hieraus ein Omnibusgesetz zu machen, also zwei Dinge miteinander zu verknüpfen, die
eigentlich nichts miteinander zu tun haben, riskieren Sie
die Zustimmung der Bundesländer zu diesem Gesetzentwurf . Sie sind hauptsächlich für die Finanzierung zuständig; das wissen Sie . Insofern halte ich den Vorschlag von
Bündnis 90/Die Grünen, diese Abstimmungen voneinander zu trennen, für zielführend . Wir sollten das eine als
das eine abstimmen und das andere als das andere . Der
Gesetzentwurf insgesamt kann unsere Zustimmung nicht
finden. Die Gründe hierfür habe ich vorgetragen. Damit
komme ich zum Ende meiner Ausführungen, Frau Präsidentin .
Vielen Dank .
({3})
Als nächste Rednerin hat Dr . Sabine Sütterlin-Waack
das Wort für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die noch hier
bei uns auf der Tribüne sitzen! Hinter der Überschrift des
Gesetzentwurfs verbirgt sich ein äußerst sensibler und
emotionaler Sachverhalt, von dem die Bürger denken,
er sei schon lange geltende Rechtslage . Im Falle einer
plötzlich auftretenden schweren Erkrankung oder eines
Unfalls können Ehegatten und Lebenspartner gegenwärtig nicht füreinander Entscheidungen über medizinische
Behandlungen treffen . Ohne Vorsorgevollmacht muss
jetzt grundsätzlich ein Betreuer in einem gerichtlichen
Verfahren bestellt werden . Dies ist für die meisten Ehegatten und Lebenspartner eine nicht nachvollziehbare
Belastung . Deshalb wollen wir nun ein Notvertretungsrecht im eng begrenzten Rahmen der Gesundheitssorge
schaffen, und zwar ausschließlich dort . Die Bedenken
der Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung haben wir dabei berücksichtigt .
({0})
Ehegatten und eingetragene Lebenspartner haben
ähnliche Pflichten wie ein Betreuer. Das bedeutet, dass
die vertretenden Partner grundsätzlich an den Patientenwillen des erkrankten Ehegatten gebunden sind . Damit
wahren wir das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen
vollumfänglich . Zudem können Ärzte zukünftig Auskunft aus dem Zentralen Vorsorgeregister erhalten . Diese
Änderung haben wir als notwendig angesehen, damit die
behandelnden Ärzte schnellstmöglich ermitteln können,
ob möglicherweise ein Widerspruch gegen das Notvertretungsrecht eingetragen wurde .
Ich habe schon in meiner ersten Rede zu diesem Gesetzentwurf gesagt, dass wir die inhaltliche Nähe des
Gesetzentwurfs des Bundesrates dazu nutzen wollen, ein
weiteres wichtiges Vorhaben im Betreuungsrecht auf den
Weg zu bringen: eine Erhöhung der Vergütungssätze für
Vereins- und selbstständige Berufsbetreuer . Bald zwölf
Jahre ist es her, dass wir mit dem Inkrafttreten des Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes ein pauschalisiertes Vergütungssystem für Vereins- und Berufsbetreuer
eingeführt haben . Die Stundensätze des Vormünder- und
Betreuervergütungsgesetzes sind seitdem, also seit zwölf
Jahren, nahezu unverändert . Durch einen Änderungsantrag sollen diese nun um 15 Prozent angehoben werden .
Ich finde es richtig, dass die Vergütungssätze angehoben
werden . Das befürworten im Übrigen auch alle Sachverständigen, die wir in der öffentlichen Anhörung im März
gehört haben .
Wir wissen alle: Qualitativ hochwertige Arbeit muss
auch entsprechend bezahlt werden .
({1})
Und die Betreuer müssen genügend Zeit haben, um sich
um ihre Betreuten zu kümmern .
({2})
Bedenken Sie bitte: Betreuer üben eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe aus . Sie unterstützen hilfebedürftige
Menschen, die ihre eigenen Angelegenheiten nicht mehr
ganz allein regeln können .
({3})
Juristen kennen das Konstrukt: Vertrag zulasten Dritter . So ähnlich ist es hier .
Wir beschließen ein Gesetz, das unmittelbar die
Länderhaushalte und nur diese berührt . Wir sehen: Die
Situation in den einzelnen Bundesländern ist völlig unterschiedlich . Die Not der Betreuungsvereine ist auch
unterschiedlich stark ausgeprägt . In meinem Heimatbundesland Schleswig-Holstein zum Beispiel läuft die
Förderung der Betreuungsvereine ganz gut . In anderen
Bundesländern ist das weniger der Fall .
Die Justizressorts sehen aber geschlossen und unabhängig von der Parteicouleur keinen akuten Handlungsbedarf . Das wurde in einem überfraktionellen Gespräch mit den Vertretern der Länderjustizministerien im
Rechtsausschuss vor wenigen Wochen deutlich . Ich habe
Verständnis für die Position der Länder, wonach man
zunächst das Gesamtbild der Qualität in der rechtlichen
Betreuung abwarten will . Die Endergebnisse der beiden
Harald Petzold ({4})
Forschungsvorhaben des Bundesministeriums der Justiz
und für Verbraucherschutz werden wir im Sommer dieses
Jahres erfahren . Aber mein Appell an die Länder: Dann
bekommen wir realistisch betrachtet keine Änderung vor
Mitte oder Ende des nächsten Jahres mehr hin . So lange kann insbesondere eine große Zahl von Betreuungsvereinen nicht mehr warten . Wir müssen das bestehende
System noch in dieser Legislaturperiode durch eine Anhebung der Vergütung stützen .
({5})
Nur so retten wir insbesondere die Betreuungsvereine,
die bekanntlich auch von der Betreuervergütung abhängen, über die nächsten Monate . Und nur dann können wir
in Ruhe über die Qualität in der Betreuung eine Strukturdebatte führen .
Die allgemeine Preissteigerung über die letzten zwölf
Jahre und die Einkommens- und Tarifentwicklung weisen deutlich darauf hin, was zu tun ist: Die Vergütungssätze müssen angepasst werden . Wir argumentieren ja
auch nicht ohne empirische Grundlage . Der im Februar
veröffentlichte Zwischenbericht zeigt, dass die Schere
zwischen tatsächlich geleistetem und vergütetem Aufwand auseinandergeht . Wir brauchen eine schnelle Entlastung; denn wir können und wollen der Schließung von
weiteren Betreuungsvereinen nicht mehr tatenlos zusehen . Wir würden sonst die über Jahre gewachsene Betreuungsstruktur verlieren und damit die Privatisierung
von Betreuung fördern und das Ehrenamt schwächen .
Was einmal verloren ist, meine Damen und Herren, kann
nur mit viel Geld und oftmals viel später wieder aufgebaut werden .
Vielen Dank .
({6})
Katja Keul hat als nächste Rednerin für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir haben es gerade schon gehört: Dem ursprünglichen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Beistandsmöglichkeiten unter Ehegatten wurde im Wege
eines Änderungsantrages, also im Omnibusverfahren,
eine Erhöhung der Betreuervergütung angehängt . Aber
zunächst zum Betreuungsrecht unter Ehegatten .
Die Expertenanhörung im Ausschuss hat meine Bedenken, die ich bereits in der ersten Lesung deutlich
geäußert hatte, noch weiter verstärkt . Sie schränken das
Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen ohne Not ganz
erheblich ein . Daran ändert auch die Beschränkung auf
den Gesundheitsbereich nichts - im Gegenteil .
({0})
In der ersten Zeit nach einem Unfall oder dem Ausbruch einer unerwarteten schweren Krankheit muss häufig über Leben und Tod entschieden werden, sodass die
Risiken durch Fehler oder Missbrauch besonders hoch
sind . Kann der Betroffene in einer solchen Situation
seinen Willen nicht mehr selbst äußern, muss sein mutmaßlicher Wille ermittelt werden. Immer häufiger hilft
dabei das Vorliegen einer Vorsorgevollmacht . Diese Vorsorgevollmacht ist unmittelbarer Ausdruck des eigenen
Willens des zu Betreuenden und muss daher weiterhin
gefördert und beworben werden . Wenn keine Vorsorgevollmacht vorliegt, entscheidet bislang das Betreuungsgericht nach Anhörung der Beteiligten, wer am besten
die Entscheidung für den Betroffenen treffen kann und
sollte .
Ihre These, die allermeisten Menschen würden ohnehin ihren Ehepartner als Beistand einsetzen wollen und
deswegen könne man auf eine gerichtliche Anhörung
verzichten, stimmt einfach nicht . Das haben wir ja auch
in der Anhörung von der Sachverständigen der Deutschen Stiftung Patientenschutz gehört, die aus ihrer Praxis berichtet hat . Die Gründe, jemand anderen als den
Ehegatten zu bevollmächtigen, sind so vielfältig wie das
Leben selbst . Vielleicht sind einfach die Kinder oder Enkelkinder besser geeignet . Vielleicht will man den Ehegatten von dieser Entscheidung entlasten . Vielleicht gibt
es in dieser Ehe Alkohol- oder Gewaltprobleme, die man
bislang unter den Teppich gekehrt hat .
Völlig unberücksichtigt bleiben bei Ihrem Vorschlag
außerdem alternative Familienmodelle jenseits von Ehe
und eigetragener Partnerschaft . Das hat übrigens auch
der Deutsche Anwaltverein beanstandet .
({1})
Der im Gesetzentwurf vorgesehene Automatismus
schwächt die Stellung der Vorsorgevollmacht, indem er
diese vermeintlich entbehrlich macht . Das führt nicht nur
zu mehr Rechtsunsicherheit, sondern auch zu einer größeren Missbrauchsgefahr .
({2})
Diese Gefahr wollen Sie jetzt eindämmen, indem Sie
Ehegatten die Möglichkeit geben, einen Widerspruch
gegen die gesetzliche Vermutung ins Zentrale Vorsorgeregister einzutragen . Das ist jetzt wirklich absurd; denn
wenn ich schon daran denke, für den Notfall Vorsorge zu
treffen, dann regele ich das doch, indem ich eine Vorsorgevollmacht erteile und darin eine ausdrückliche Regelung vornehme .
({3})
Die gesetzliche Regelung greift ja gerade dann ein, wenn
ich keine Vorsorge getroffen habe . Bei Zweifeln bleibt
dem behandelnden Arzt also ohnehin nur wieder der Weg
zum Betreuungsgericht .
Im Verfahren haben Sie jetzt auch noch die Pflicht des
Ehegatten gestrichen, sich zu den Ausschlussgründen,
wie beispielsweise die Tatsache, dass sie getrennt leben,
wenigstens formlos zu erklären . Der Hinweis in der Begründung, dass diese Erklärung vom Arzt ohnehin nicht
überprüft werden kann, zeigt gerade auf, dass sich die
Bundesregierung selbst der Rechtsunsicherheit bewusst
ist, die sie da schafft. Ganz ohne Überprüfungspflicht hat
es der Arzt zwar theoretisch leichter, jedoch geht das auf
Kosten des Patienten und seines Selbstbestimmungsrechtes .
Der Gesetzentwurf birgt viel Risiko und wenig Nutzen . Deswegen können wir diesen Änderungen an den
Beistandsmöglichkeiten für Ehegatten nicht zustimmen .
({4})
Anders verhält es sich mit der Erhöhung der Vergütung
für Berufsbetreuer . Hier gibt es in der Tat Handlungsbedarf . Die Konzepte für eine umfassende Reform - dabei
geht es auch um die Qualitätssicherung und um einen
veränderten Stundensatz - liegen heute noch nicht vor;
die Kollegin Sütterlin-Waack hat es ausgeführt .
Fakt ist, dass viele Betreuungsvereine bereits schließen mussten oder kurz davor stehen, weil sie die finanziellen Belastungen nicht mehr tragen können . In einer
alternden Gesellschaft wird die Zahl der Betreuungen in
absehbarer Zeit weiter zunehmen, und wir werden sowohl mehr ehrenamtliche als auch mehr professionelle
Betreuer benötigen .
Für die Erhöhung der Vergütung der Berufsbetreuer
sind wir als Bundesgesetzgeber zuständig, weshalb wir
hier heute einen Schritt vorangehen . Weitere Reformen auch bei der Qualitätssicherung - werden noch folgen
müssen . Darin sind wir uns alle einig .
Deswegen stimmen wir jetzt getrennt ab: Wir lehnen
die Veränderungen an der Beistandsregelung ab und stimmen der Erhöhung der Betreuervergütung zu . Zu dem gesamten Gesetzentwurf werden wir uns deshalb enthalten .
Vielen Dank .
({5})
Das Wort hat der Kollege Alexander Hoffmann für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin mit einem Ehepaar befreundet .
Es war im letzten Sommer auf einer Fahrradtour, und es
kam, wie es vielleicht kommen musste: Der Mann stürzte . Er zog sich schwere Verletzungen am Kopf zu und
musste einige Tage ins künstliche Koma versetzt werden .
Für die Frau waren das bange Tage, weil viele Folgefragen im Raum standen, nämlich zum Beispiel die
Frage nach den unterschiedlichen Behandlungsmöglichkeiten und auch die Frage nach der Verlegung von einem
Krankenhaus ins andere . Das Problem war, dass die Frau
keinerlei Entscheidungsbefugnisse hatte, und leider gab
es eben auch keine Vorsorgevollmacht .
Zum Glück ist der Mann heute wieder gesund, und
ja, beide haben daraus gelernt . Beide haben mittlerweile
eine Vorsorgevollmacht verfügt .
Wir beraten heute einen Gesetzentwurf, der genau dieses Problem aufgreift und für genau diese Notsituation Kollegin Keul, ich glaube, darum geht es - eine Lösung
anbietet . Es wird nämlich gesetzlich eine Bevollmächtigung des Ehegatten bzw . des Lebenspartners für diese
schwierige Situation angenommen, und zwar nur für folgende Bereiche: für den Bereich der Gesundheitssorge,
das heißt, für Untersuchungen und ärztliche Eingriffe,
und für den Bereich der Fürsorge, zum Beispiel, wenn es
um die Verlegung in ein anderes Krankenhaus geht .
Gerade der Änderungsantrag der Koalition hat eine
wesentliche Beschränkung herbeigeführt, und wir können jetzt jegliche Missbrauchsrisiken ausschließen . Es
gibt nämlich eben keine Vertretungsvollmacht zum Beispiel in Vermögensfragen, und es gibt zum Beispiel auch
keine Befugnis zum Öffnen der Post des Ehegatten . Wenn
wir darunter einen Strich machen und uns das faktische
Ergebnis anschauen, dann wird das wie folgt sein: Es gibt
letztendlich eine Begrenzung für einen überschaubaren
Zeitraum . Wir werden mit dieser Regelung wenige Tage
überbrücken können . Wir werden den Menschen über
eine Notsituation hinweghelfen können .
Wenn dieser gesundheitliche Ausfall länger dauert,
Kollegin Keul, dann ist es zwangsläufig so, dass ein Betreuer bestellt werden muss oder das Betreuungsgericht
entscheiden muss, weil es rechtsgeschäftliche Fragen zu
klären gibt . Das heißt, wir wollen hier kein Ersatzinstitut,
kein Konkurrenzinstitut zur Vorsorgevollmacht schaffen,
sondern es geht ausschließlich darum, den Lebenspartnern, den Ehegatten ein Instrument an die Hand zu geben,
mit dem sie sich über diese Notsituation hinweghelfen .
Jetzt sagen Sie: Das ist ein bisschen komisch . Man
kann doch nicht automatisch davon ausgehen, dass der
eine Ehegatte will, dass der andere Ehegatte in dieser
schwierigen Situation entscheidet . - Ich sage ganz ehrlich: Dem widerspricht die Statistik . 70 Prozent aller
Lebenspartner und Ehegatten würden sich in diesem
Moment genau das wünschen, dass nämlich der liebende
Partner diese schwierigen Entscheidungen trifft .
Ich sage Ihnen auch ganz ehrlich: Ich kann mir an
dieser Stelle einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen .
Das hört sich an nach dem Motto: Wer ist denn schon der
Ehegatte, dass er das entscheidet? - Wir haben gestern
an dieser Stelle über die Ehe für alle diskutiert . Da haben
Sie die Ehe als Institut in den siebten Himmel gehoben
und gesagt: Das ist der Olymp der zwischenmenschlichen Beziehung . - Heute aber sagen Sie: Wer ist denn
schon der Ehegatte, dass er das entscheidet? - Ich bin der
Meinung, da fehlt Ihnen ein bisschen die Linie .
({0})
Ganz abgesehen davon will ich Ihnen sagen, dass Sie
nicht unterschlagen dürfen, dass es jederzeit die Möglichkeit einer anderweitigen Regelung gibt . Ich glaube,
das ist richtig, und das ist wichtig .
Ich möchte die letzte Minute meiner Redezeit darauf
verwenden, für den zweiten Teil dieses Gesetzes Werbung zu machen . Es ist schon angesprochen worden: Die
Erhöhung der Betreuungsvergütung soll die schwierige
Situation der Betreuungsvereine beseitigen . Wir sollten
in dieser Situation aber auch an die Länder denken, die
mit der finanziellen Folgefrage ihre Schwierigkeiten haben . Wir haben im Moment die Konstellation, dass eine
Kostendeckung nicht mehr gegeben ist . Führen wir uns
bitte vor Augen, dass die Betreuungskosten auch die
Nebenkosten decken müssen: Büro, Mitarbeiter, Fahrtkosten . Es gibt heute schon den Trend, dass die Zahl der
Betreuungsvereine immer weiter zurückgeht . Das ist ein
unglaublich fatales Signal . Das ist ein Indiz dafür, dass
die Bezahlung im Moment nicht ausreichend ist, da die
Vergütungssätze seit zwölf Jahren nicht mehr erhöht
wurden . Was droht am Ende des Tages? Es droht eine
Kompensation auf andere Art und Weise . Die steigenden
Kosten können nur aufgefangen werden, indem ein Betreuer mehr Personen betreut . Da sage ich Ihnen, liebe
Kolleginnen und Kollegen: Das kann nicht in unserem
Interesse sein .
Deswegen möchte ich ausdrücklich um Zustimmung
für beide Teile werben, obwohl ich selbstverständlich
weiß, dass die Länder ihre Bauchschmerzen haben .
Vielen Dank .
({1})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundes-
rat eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesserung der
Beistandsmöglichkeiten unter Ehegatten und Lebenspart-
nern in Angelegenheiten der Gesundheitssorge und in
Fürsorgeangelegenheiten . Der Ausschuss für Recht und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/12427, den Gesetzentwurf des
Bundesrates auf Drucksache 18/10485 in der Ausschuss-
fassung anzunehmen .
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt,
über den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung ge-
trennt abzustimmen, und zwar zum einen über den Ar-
tikel 3 Nummer 3 und Artikel 7 - Erhöhung der Betreu-
er- und Vormündervergütung -, zum anderen über den
Gesetzentwurf im Übrigen .
Ich rufe zunächst Artikel 3 Nummer 3 und Artikel 7 in
der Ausschussfassung auf . Ich bitte nun diejenigen, die
Artikel 3 Nummer 3 und Artikel 7 des Gesetzentwurfs in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Artikel 3 Nummer 3 und Artikel 7 sind einstimmig an-
genommen .
Ich rufe nun die übrigen Teile des Gesetzentwurfs in
der Ausschussfassung auf . Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die übrigen Teile des Ge-
setzentwurfs sind mit den Stimmen der CDU/CSU-Frak-
tion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke angenommen . Alle Teile des Gesetzentwurfs
sind damit in zweiter Beratung angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Lin-
ke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen von Minamata
vom 10. Oktober 2013 über Quecksilber ({0})
Drucksache 18/11847
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({1})
Drucksache 18/12401
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({2}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald,
Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Minamata-Konvention zu Quecksilber unver-
züglich ratifizieren
Drucksachen 18/7657, 18/12401
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Über-
einkommen von Minamata vom 10 . Oktober 2013 über
Quecksilber . Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12401,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sache 18/11847 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig
angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . -
1) Anlage 9
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen .
Tagesordnungspunkt 26 b . Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit auf
Drucksache 18/12401 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/7657 mit dem Titel „Minamata-Konvention zu Quecksilber unverzüglich ratifizieren“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in
Strafsachen und zur weiteren Förderung des
elektronischen Rechtsverkehrs
Drucksache 18/9416
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({3})
Drucksache 18/12203
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .1)
({4})
- Sie haben noch alle Chancen, aber dann jetzt .
({5})
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/12203, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/9416 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke angenommen .
1) Anlage 10
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des E-Government-Gesetzes
Drucksache 18/11614
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({6})
Drucksache 18/12406
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .2)
Mir liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäfts-
ordnung vor . Wir verfahren entsprechend unseren Re-
geln .3)
Wir kommen nun zur Abstimmung . Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12406, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11614 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 sowie den Zusatzpunkt 7 auf:
29 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften
({7})
Drucksache 18/11612
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({8})
Drucksache 18/12124
ZP 7 Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker
Beck ({9}), Ulle Schauws, Monika Lazar, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Anerkennung der selbst
bestimmten Geschlechtsidentität und zur Änderung anderer Gesetze ({10})
Drucksache 18/12179
2) Anlage 11
3) Anlage 12
Vizepräsidentin Petra Pau
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({11})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än-
derung personenstandsrechtlicher Vorschriften . Der
Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/12124, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/11612 in der Aus-
schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der
SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Zusatzpunkt 7 . Interfraktionell wird Überweisung des
Gesetzentwurfes auf Drucksache 18/12179 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht
der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld
Drucksache 18/11397
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs
auf Hinterbliebenengeld
Drucksache 18/11615
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({12})
Drucksache 18/12421
b) Zweite und dritte Beratung des von den Ab-
geordneten Katja Keul, Renate Künast, Luise
Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ge-
setzes über die Entschädigung für Opfer von
1) Anlage 13
Gewalttaten ({13})
Drucksache 18/10965
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({14})
Drucksache 18/12400
Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben
werden . - Ich sehe, Sie sind auch hier damit einverstan-
den .2)
Tagesordnungspunkt 30 a . Wir kommen zur Ab-
stimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU
und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Einführung
eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld . Der Aus-
schuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12421, den Gesetzentwurf der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/11397 anzuneh-
men . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dage-
gen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung einstimmig angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen .
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem
Parallelgesetzentwurf der Bundesregierung . Der Aus-
schuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12421, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/11615 für erledigt zu erklären . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfeh-
lung ist einstimmig angenommen .
Tagesordnungspunkt 30 b . Abstimmung über den Ge-
setzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Än-
derung des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer
von Gewalttaten . Der Ausschuss für Arbeit und Soziales
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12400, den Gesetzentwurf der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10965 abzulehnen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt .
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
2) Anlage 14
Vizepräsidentin Petra Pau
zes zu dem Übereinkommen vom 25. Oktober 2016 zur Errichtung der Internationalen
EU-LAK-Stiftung
Drucksache 18/11507
Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({15})
Drucksache 18/12418
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .1)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12418, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11507 anzunehmen . Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft
({16})
Drucksachen 18/12329, 18/12378
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({17})
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind auch hier damit einverstanden .2)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf den Drucksachen 18/12329 und 18/12378 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist
nicht der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Mieterstrom und
zur Änderung weiterer Vorschriften des Erneuerbare-Energien-Gesetzes
Drucksache 18/12355
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({18})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
1) Anlage 15
2) Anlage 16
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Saathoff für die SPD-Fraktion .
({19})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Watt du sülmst maken kannst, bruukst du neet
kopen - was man selber machen kann, braucht man nicht
teuer zu erwerben . Das gilt auch für die Energiewende .
Energie auf dem eigenen Haus produziert, brauche ich
nicht mehr zu kaufen . Wir alle kennen den Spruch: Die
Sonne schickt keine Rechnung .
Die Energiewende findet derzeit in der Regel bei
Menschen statt - das muss man konstatieren -, die über
Eigentum oder zumindest über hinreichend Eigenkapital
verfügen . Man kann die berechtigte Frage stellen, ob das
auch wirklich gerecht ist . Die Energiewende ist richtig,
und das EEG ist ein gutes Gesetz, das weltweit - das
kann man an dieser Stelle festhalten - viele Nachahmer
gefunden hat .
({0})
Aber es gibt noch immer die Notwendigkeit für ständige
Anpassungen, nicht weil das Gesetz schlecht ist, sondern
weil sich die Welt weiterdreht und die Energiewelt eben
auch .
Bei der Finanzierung der Energiewende - das ist die
feste Meinung der SPD-Fraktion - könnte es gerechter
zugehen . Die Finanzierung der Energiewende, also die
Zukunft der EEG-Umlage, ist im Moment ein sehr viel
diskutiertes Thema . Da geht es zum Beispiel darum, ob
man nicht vielleicht die EEG-Umlage sozial gerechter
neu verteilen kann oder ob sie nicht sektoraler verteilt
werden könnte, also auf Strom, Wärme und gleichzeitig Mobilität . Darüber werden wir viel miteinander in
der nächsten Legislaturperiode sprechen müssen . In der
nächsten Legislaturperiode wird es uns zentral bei dieser
Energiewende darum gehen, dass sie insgesamt gerechter
wird .
({1})
Mit dem Mieterstromgesetz wollen wir sogar noch vor
der Wahl einige Schritte in Richtung mehr Gerechtigkeit
tun . Es sollen auch Menschen an der Energiewende teilhaben können, die nicht über Eigentum verfügen . Wir
wollen also auch die Vorteile und nicht nur die Kosten
der Energiewende auf mehr Schultern verteilen .
Dass die Energiewende im ländlichen Raum stattfindet, wissen wir alle . Mit dem Mieterstromgesetz wollen
wir die Energiewende aus den ländlichen Räumen heraus
Vizepräsidentin Petra Pau
auch in die urbanen Zentren tragen . Das ist eine der zentralen Absichten dieses Gesetzes .
({2})
Für das Mieterstromgesetz wollen wir nicht den im
EEG 2017 verhandelten und vorgegebenen Weg über
eine Verordnung gehen, sondern wir werden eine gesetzliche Regelung im EEG selber treffen . Da gehört sie eigentlich auch hin; denn dadurch können wir wesentlich
zielführendere Regelungen treffen, die mit der Verordnung unmöglich gewesen wären .
Eine der zentralen Fragen ist: Machen wir ein Gesetz
für Mieter oder für Vermieter? Ganz wichtig für uns beim
Mieterstromgesetz ist der Schutz der Ersteren, nämlich
der Mieter . Klar ist, dass auch die Vermieter oder vielmehr die Gebäudeeigentümer einen Anreiz brauchen,
eine PV-Anlage aufs Dach zu schrauben . Aber oberste
Priorität für die SPD-Fraktion - das wollen wir an dieser
Stelle festhalten - ist, dass die Förderung aus dem EEG
den Mietern zu einem wesentlichen Anteil zugutekommen muss .
({3})
Daher ist geregelt, dass die Mieter bei der Nutzung des
Mieterstroms ihren Strom immer mindestens 10 Prozent
günstiger bekommen müssen, als er im Regeltarif angeboten wird . Dafür hat die Bundesregierung einen, wie
ich finde, guten Gesetzentwurf vorgelegt. Es gibt aber
im parlamentarischen Verfahren noch viele Fragen zu
klären . Zum Beispiel: Wer soll eigentlich Mieterstrommodelle anbieten können? Wir wollen eine breite Palette
von Anbietern . Dazu gehören auch zwingend die Wohnungsbaugenossenschaften . Damit diese Mieterstrom anbieten können, bedarf es eigentlich nur kleinerer Anpassungen im Steuerrecht, die aber existenziell sind . Dafür
wollen wir uns als Sozialdemokraten einsetzen . Ich sage
ganz deutlich: Wir wollen diese steuerlichen Anpassungen, damit das Modell Mieterstrom auch wirklich so ein
Erfolgsmodell wird, wie wir uns das alle wünschen und
vorstellen .
Aber auch gute Gesetzesvorlagen haben noch Optimierungspotenzial . Die Quartierslösungen, zumindest in
einem kleinen Rahmen, müssen möglich sein . Ich will an
dieser Stelle deutlich machen: Wenn wir uns die Photovoltaikwelt anschauen, dann wird in meiner ersten Heimat Krummhörn auffallen, dass auf jedem dritten Dach
eine Photovoltaikanlage ist . In meiner zweiten Heimat
Kreuzberg ist das nicht der Fall . Wir arbeiten mit diesem Mieterstromgesetz daran, dass sich Kreuzberg und
Krummhörn, was die Anzahl der Photovoltaikanlagen
auf Dächern betrifft, ein Stück weit annähern .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({4})
Die Kollegin Eva Bulling-Schröter hat für die Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Was lange währt, wird endlich gut“, würde ich gern
heute sagen . Aber es ist noch nicht alles in trockenen Tüchern, und wir haben auch sehr lange darauf gewartet,
dass Mieterstrom eine gesicherte gesetzliche Grundlage
erhält . 2014 hatte die Bundesregierung endlich eine Verordnungsermächtigung dazu versprochen . Es hat noch
weitere drei Jahre gedauert, bis nun eine Regelung vorliegt .
Den günstigen Strom vom eigenen Hausdach konnten
bislang vor allem Eigenheimbesitzer nutzen . Mieterinnen
und Mieter blieben bis auf wenige Modellprojekte außen
vor . Immerhin bis zu 3,8 Millionen Haushalte - das ist ja
nicht wenig - könnten Mieterstrom vom eigenen Dach
beziehen, besagt die Mieterstromstudie aus dem Wirtschaftsministerium . Wir als Linke halten Mieterstrom für
eine wichtige Form von Bürgerenergien, die die dezentrale Erzeugung von Strom und damit eine bürgernahe
Energiewende vorantreibt .
({0})
Mieterstrom kann die Photovoltaik endlich auch in
die Städte bringen . Zudem können Mieterstrommodelle
zu einer lokalen Verankerung der Energiewende führen,
was Akzeptanz für den Umbau unseres Energiesystems
schafft, und das brauchen wir .
({1})
Wir unterstützen den Ansatz eines direkten Zuschusses, wie er jetzt vorliegt; denn ein solcher Zuschuss kann
besser justiert werden als eine gesenkte oder vermiedene
EEG-Umlage, wie sie ebenfalls im Gespräch war .
({2})
Zudem entfallen beim Mieterstrom wie auch beim
Eigenverbrauch einige Kostenbestandteile wie Netzentgelte, netzseitige Umlagen, Stromsteuer und Konzessionsabgaben, die sich derzeit auf etwa 12 Cent pro Kilowattstunde summieren . Auf der anderen Seite müssen die
Betreiber die Kosten der Solaranlage tragen, ohne für jenen Teilstrom, der vor Ort verbraucht wird, die EEG-Einspeisevergütung zu erhalten . Vermieter dürfen den Mietern - das wurde schon gesagt - den Strom nicht höher
als 90 Prozent des örtlichen Grundversorgers abgeben .
Jetzt kommen aber die Probleme des vorliegenden
Gesetzentwurfs . Sie möchte ich kurz benennen .
Als wichtigstes Hemmnis können wahrscheinlich die
steuerlichen Fragen gelten . Vermieter oder Gebäudeeigentümer werden beim Stromverkauf innerhalb des Gebäudes gewerbesteuerpflichtig. Für Wohnungsunternehmen, die eigentlich von der Gewerbesteuer befreit sind
und nur eine verminderte Körperschaftsteuer zahlen, ist
das von Belang . Ursprünglich sollten die Vorteile von
Wohnungsunternehmen bei der Gewerbe- und Körperschaftsteuer erhalten bleiben . Hier ist also ein Problem,
und wir vermuten, dass es für Wohnungsunternehmen
dann weniger rentabel ist . Wir wollen ja so viel Mieterstrom wie möglich .
Ein weiteres Problem ist, dass es keine Lösung für
das Problem der Quartiersversorgung gibt . Der Bezug
von Strom vom benachbarten Hausdach beispielsweise gilt nicht mehr als Mieterstrom . Die Versorgung eines ganzen Wohnblocks ist nicht vorgesehen . Das wird
Wohnungsunternehmen, die mehrere nahe zusammenstehende Wohnhäuser besitzen, kaum zur Installation einer
PV-Dachanlage bewegen, weil sie jedes Haus einzeln abrechnen müssen .
({3})
Auch Blockheizkraftwerke sind ausgeklammert .
({4})
Unklar ist, ob eine Ladesäule für Elektroautos, die neben
einem Haus steht, überhaupt mit Mieterstrom beliefert
werden darf - bitte klären!
Ich verstehe nicht, dass in der langen Zeit, die man
sich hier gelassen hat, diese relevanten und bekannten
praktischen Probleme nicht gelöst wurden . Vielleicht
sagt Kollege Bareiß etwas dazu .
Ich sage: Es ist immer noch Zeit . Wir können noch
einige Dinge klären . Das ist existenziell wichtig . Aber
Mieterstrom ist natürlich besonders wichtig . Dass auf
diesem Gebiet jetzt endlich etwas passiert, können wir
nur begrüßen .
Danke .
({5})
Das Wort hat der Kollege Thomas Bareiß für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich will
in dieser Debatte noch einmal sagen, wie erfolgreich
unsere Energiepolitik der letzten Jahre war . Wir haben
es geschafft, mit einem Anteil in Höhe von 33 Prozent
an unserer Stromversorgung die erneuerbaren Energien voranzubringen . Das ist in der Welt einzigartig; kein
Indus trieland hat so viel geschafft wie wir in den letzten
Jahren .
({0})
Diesen Erfolg unserer Energiepolitik, meine sehr verehrten Damen und Herren, muss man so einer Debatte
voranstellen . Auch andere Bereiche könnte man hier nennen, ich will es aber aufgrund meiner kurzen Redezeit
nicht tun .
Mit dem Thema Mieterstrom wollen wir diese Erfolgsgeschichte weiterführen . Wir wollen schauen, dass
wir im Bereich der Solarenergie die Energiewende auch
in die Städte holen . Wir haben die Situation - Johann
Saathoff hat es beschrieben -, dass wir die Investitionen im ländlichen Raum gerade im Bereich der Solarenergie getätigt haben . Du hast es für den Norden und
für Kreuzberg beschrieben, ich habe mir Marzahn herausgesucht: Allein im Bereich Berlin mit 3,5 Millionen
Einwohnern haben wir derzeit 125 Megawatt Solarenergie, im Landkreis Altötting im Süden unseres Landes
mit 108 000 Einwohnern haben wir 180 Megawatt Solarenergie; hier zeigt sich das Missverhältnis . Wir haben
im ländlichen Raum enorm investiert . In den nächsten
Jahren müssen wir schauen, dass wir gerade in den städtischen Gebieten Investitionen tätigen,
({1})
dass wir Leistungen aufbauen, dass wir unsere Energieversorgung dezentral dort aufbauen, wo der Strom gebraucht wird: in den Städten .
({2})
Schon heute - auch das möchte ich sagen - ist Mieterstrom günstig . Mit 11 Cent ist der Strom, der auf den
Dächern produziert wird, für Mieter heute günstiger als
ein Strom, der von außen bezogen wird . Netzentgelte,
Stromsteuer, Konzessionsabgaben sparen Mieter, wenn
sie Mieterstrom nutzen . Aber wir haben auch gespürt,
dass diese Begünstigung nicht ausreicht und dass wir
noch einen kleinen Anreiz brauchen, damit Mieterstrom
auch in der Fläche stärker genutzt wird .
Vor diesem Hintergrund wollen wir dieses Gesetz jetzt
angehen . Wir haben uns dafür lang genug Zeit genommen - das möchte ich ganz offen sagen -, wir haben uns
viele Gedanken darüber gemacht, welche Optionen möglich sind, und uns eine sehr umfangreiche Studie vorgenommen . Jetzt haben wir die verschiedenen Optionen auf
dem Tisch . Ich glaube, dass der vorliegende Gesetzentwurf ein Schritt in die richtige Richtung ist .
Wir wollen jetzt den Mieterstrom nach dem EEG fördern, je nach Leistungsklasse mit 2,2 Cent bis 3,8 Cent .
Damit wird Mieterstrom wirtschaftlicher . Ich glaube,
dass der Mieterstrom damit dazu beitragen kann, dass
auch im Solarbereich neue Potenziale entstehen und in
den nächsten Jahren gerade in den Städten der Zubau
weitergeht . Das ist etwas, das wir für die nächsten Jahre
anstreben .
Trotzdem gibt es bei allem Vor- und Nachteile; auch
das möchte ich an dieser Stelle erwähnen . Wenn wir beispielsweise hier in Berlin, in Kreuzberg oder wo auch
immer, mehr Mieterstrom produzieren, wird natürlich der
Strom für andere in Berlin teurer werden, weil das innerhalb des Netzgebietes gewälzt wird . Deshalb haben wir
ganz klar gesagt: Wir wollen einen Deckel bei 500 Megawatt pro Jahr für neu installierte Solaranlagen einrichten,
damit die Förderkosten, die auf uns zukommen können,
73 Millionen Euro in Summe nicht übersteigen . Das ist
ein ganz klares Bekenntnis zur Kostentransparenz auf der
einen Seite, aber auch zur Kostenminimierung auf der
anderen Seite . Wir wollen die Energiewende weiterhin
für alle bezahlbar machen, gerade in den Städten, meine
sehr verehrten Damen und Herren .
({3})
Ein weiteres Thema, das uns wichtig gewesen ist, war
die Vertragsfreiheit für die Mieter, damit jeder seinen
Stromanbieter selber aussuchen kann und nicht auf den
Stromanbieter, den der Vermieter wählt, zurückgreifen
muss . Die Vertragsfreiheit ist also weiterhin gewährleistet .
Wir haben - Johann Saathoff hat es schon beschrieben - eine Obergrenze eingeführt: Maximal 90 Prozent
des Grundversorgungstarifs darf der Mieterstrom kosten .
Auch das ist ein klarer Schutz für die Verbraucher und ist
für uns genauso wichtig gewesen wie der weitere Ausbau
der Solarenergie .
Mit dem jetzigen Entwurf gehen wir in die richtige
Richtung . Wir nutzen das Potenzial der Zukunft, wollen
Mieterstrom vor Ort, gerade in den Städten, möglich machen . Wir wollen die Energiewende weiter sinnvoll gestalten . Ich freue mich auf das jetzt anstehende Gesetzgebungsverfahren . Wir wollen es in den nächsten drei, vier
Wochen abschließen, damit Mieterstrom in der Breite
dann noch stärker möglich ist .
Herzlichen Dank .
({4})
Das Wort hat die Kollegin Dr . Julia Verlinden für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
schön, dass sich die Kolleginnen und Kollegen aus den
Koalitionsfraktionen dazu entschieden haben, am Ende
der Legislaturperiode nun doch noch ein Mieterstromgesetz einzubringen, das die Solarstromerzeugung unterstützen soll .
({0})
Ehrlich gesagt, diese Initiative kommt reichlich spät . Bisher haben Sie in der Großen Koalition ja hauptsächlich
darüber nachgedacht, wie Sie den Ausbau der erneuerbaren Energien verlangsamen können .
({1})
Die Folgen dessen sind aber dramatisch . Andere Länder
haben Deutschland bei der Neuinstallation von Windund Solarenergie längst überholt . Die wissen, wo die Zukunft liegt .
In Deutschland kämpfen die innovativen Erneuerbare-Energien-Unternehmen und die engagierten Bürgerenergiegenossenschaften gegen die Hürden dieser Bundesregierung . Es wird höchste Zeit, die Energiewende
auch in die Städte zu bringen . Denn auch Mieterinnen
und Mieter wollen sauberen Strom direkt vom Dach ihres
Hauses beziehen können . Aber nicht nur Mieterinnen und
Mieter profitieren von einem vernünftigen Mieterstromgesetz, sondern auch die Solarwirtschaft kann dadurch
neue Impulse bekommen; denn diese Branche haben Sie
mit Ihrer Politik leider ziemlich kleingekriegt .
({2})
Aber bevor ich hier zu viel Euphorie aufkommen lasse, muss ich leider noch ein Fass Wasser in das Glas Wein
gießen . Der Gesetzentwurf aus dem Wirtschaftsministerium, den die Koalitionsfraktionen hier eingebracht haben,
ist noch mit einigen Bremsklötzen versehen . Ich freue
mich sehr, dass die Kollegen gerade Punkte genannt haben, die sie noch ändern wollen . So wie das Gesetz jetzt
ist, wird es nämlich keinen nennenswerten Effekt auf den
Klimaschutz haben . Damit verschenken Sie wertvolle
Potenziale, auch für die Energiewende zum Mitmachen .
Sie wollen Mieterstrom auf die Mieterinnen und Mieter beschränken, welche genau in dem Haus wohnen, auf
dem die Anlage errichtet wird . Damit lassen Sie viele
Menschen außen vor, die vom Mieterstrom profitieren
könnten . Es gibt nun einmal Häuser, die kein geeignetes
Dach für eine Solaranlage haben . Aber Häuser, welche
direkt daneben liegen, haben vielleicht ein geeignetes
Dach . In einem solchen Fall muss es doch möglich sein,
mit einer Anlage auch die Mieter in den umliegenden
Häusern mit zu versorgen . Wir brauchen also in diesem
Gesetz unbedingt den Quartiersansatz, von dem gerade
schon die Rede war . Ich hoffe, dass es uns gelingt, dies
noch in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen . Denn
dann würden alle profitieren, nicht nur die Bewohner eines Hauses mit geeigneter Dachausrichtung .
Als Nächstes komme ich zu einem Lieblingsthema der
Union, zum sogenannten Deckel . Es gibt den Erneuerbare-Energien-Deckel, es gibt den Wind-Onshore-Deckel,
den Wind-Offshore-Deckel, den Netzausbaugebietsdeckel, den 52-Gigawatt-Photovoltaik-Deckel, den Photovoltaik-Jahresdeckel und den Bioenergiedeckel .
({3})
Bei der Union gibt es kein Erneuerbare-Energien-Gesetz mehr ohne Deckel . Vor dem Hintergrund der Pariser Klimaschutzziele sind diese Deckel fatal . Angesichts
stark gesunkener Preise für erneuerbare Energien tragen
auch Ihre Begründungen für diese Deckel nicht mehr .
Für das Mieterstromgesetz gilt das ganz besonders . Diese
Deckel der Großen Koalition haben keine andere Funktion, als die Energiewende auszubremsen . Das ist grob
fahrlässig .
({4})
Die Klimakrise interessiert nämlich nicht, ob die Union beim Ausbau der erneuerbaren Energien doch lieber
etwas langsamer machen möchte . Die Klimakrise kommt
umso schneller und heftiger, je länger wir für die Umsetzung der Energiewende brauchen . Lassen Sie uns also
den neuen Mieterstromdeckel im Gesetzentwurf und am
besten auch die anderen Deckel streichen .
({5})
Noch ein Punkt, Johann Saathoff, zum Thema „Gerechtigkeit bei der Energiewende“ . Mit fast 2 Cent pro
Kilowattstunde subventionieren die privaten Haushalte
und der Mittelstand die energieintensiven Unternehmen,
die von den üppigen Industrieprivilegien profitieren.
Auch da müssen wir etwas ändern .
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns das
parlamentarische Verfahren nutzen, um den Gesetzentwurf zu verbessern und den Mieterstrom zu einem Erfolg
werden zu lassen: für die Mieterinnen und Mieter, aber
vor allen Dingen für die Energiewende .
({7})
Der Kollege Klaus Mindrup hat für die SPD-Fraktion
das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Eben haben wir uns ja
noch bei den Freundinnen und Freunden von den Kleingärtnern gesehen . Liebe Kolleginnen und Kollegen!
({0})
Ich finde, heute ist ein guter Tag: für die Energiewende in Deutschland, für den Klimaschutz, für die Mieterinnen und Mieter, für das Handwerk, aber auch für alle
Verbraucherinnen und Verbraucher .
Wir haben als SPD lange für das Mieterstromkonzept
gekämpft . Ich bin jetzt sehr froh, dass wir gemeinsam
mit unserem Koalitionspartner dieses Projekt auf den
Weg gebracht haben, und ich möchte mich dafür auch
ausdrücklich bedanken .
Das Mieterstromkonzept hat zwei Säulen . Die erste Säule ist die dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung mit
hocheffizienten Gaskraftwerken. Das haben wir schon im
vorletzten Jahr beschlossen, Frau Kollegin . Das ist bereits auf den Weg gebracht; das läuft . Die zweite Säule ist
die Nutzung von Sonnenenergie, von Photovoltaik, um
sie dezentral in den Quartieren zu nutzen . Das bringen
wir jetzt auf den Weg .
Ich möchte eines hervorheben: Dies ist eine Gesetzesinitiative, die aus dem Parlament hervorgegangen ist und
die nicht von der Regierung gekommen ist . Das ist etwas
ganz Besonderes .
({1})
Warum ist das passiert, und warum haben wir so viel
Unterstützung? Das liegt daran, dass viele in der Zivilgesellschaft meinen, dass das etwas Sinnvolles ist . Die
Wohnungswirtschaft, der Deutsche Mieterbund, die Verbraucherzentrale, die Umweltverbände und viele Energieversorger aus der kommunalen Energiewirtschaft,
aber auch die Ökostromanbieter sagen, das sei ein richtiger Weg, den wir hier gehen .
Wir können im Bundestag Recht setzen . Wir machen
Gesetze . Die Unterstützung für den Mieterstrom ist deswegen so groß, weil Mieterstrom die physikalischen Gesetze beachtet . Es ist nämlich sinnvoll, Strom vor Ort zu
erzeugen und zu nutzen; höhere Effizienz. Das wird am
Ende auch dazu führen, dass die Kosten der Energiewende volkswirtschaftlich betrachtet geringer sind . Deswegen ist Mieterstrom nicht nur etwas für die betroffenen
Mieterinnen und Mieter; er wird die gesamten Kosten der
Energiewende begrenzen . Es ist daher auch volkswirtschaftlich sinnvoll, die Dachflächen der Mietshäuser zu
nutzen und so die Energiewende in die Städte zu tragen;
das haben wir im Prinzip bereits gehört . Wir gewinnen
so klimafreundlich erneuerbare Energien . Wir schaffen
Arbeitsplätze in der Solarindustrie, Arbeitsplätze im
Handwerk und neue Vermarktungswege für den erneuerbaren Strom - das ist mir auch sehr wichtig - jenseits
der Strombörse . Die Mieterinnen und Mieter werden in
ihrer Vertragsfreiheit nicht beschränkt . Sie bekommen
den Strom kostengünstiger .
Wenn jetzt gesagt wird: „Das führt zu Kostennachteilen“, dann erwidere ich: Man muss die Ausbauvarianten vergleichen . Was ist teurer, die Energiewende in
die Städte zu holen oder den Strom weiterhin nur auf
Einfamilienhausdächern und in großen Solaranlagen vor
den Städten zu gewinnen? Alle Gutachten sagen, dass der
dezentrale Weg der bessere ist .
Wir hören jetzt auch Kritik aus der Energiewirtschaft .
Es wird gesagt: Es wird weniger Strom durch die Netze
geleitet . - Aber dazu muss man sagen: In Zukunft brauchen wir eher mehr Strom für Mobilität, für Wärmepumpen, sodass es sinnvoller ist, den Strom stärker auch vor
Ort zu nutzen und damit Reserven in unseren Netzkapazitäten zu haben . Auch das spricht dafür, dass wir diesen
Weg gehen .
Wir werden an diesem Gesetzentwurf noch etwas
verbessern müssen; das ist schon deutlich geworden .
Vor allen Dingen macht es keinen Sinn, Mieterstrom nur
für einzelne Hausaufgänge zu machen . Wir werden den
Quartiersansatz durchbringen . Ich hoffe, dass wir das gemeinsam mit unserem Koalitionspartner auch hinbekommen . Das ist nämlich sehr vernünftig .
Mieterstrom ist ein wichtiger Baustein für die zukünftige Energiewende . Ich möchte Sie herzlich bitten, diesen
Ansatz zu unterstützen, und schließe mit dem alten Wort:
Zur Sonne, zur Freiheit!
({2})
Der Kollege Dr . Andreas Lenz hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe zahlreich anwesende Kolleginnen und Kollegen!
({0})
Es freut mich, dass wir heute noch über das Gesetz zum
Mieterstrom diskutieren können, obwohl es nicht an mir
liegt - das muss ich ehrlicherweise sagen -, dass die Debatte heute noch stattfindet.
({1})
Natürlich ist der Gesetzentwurf richtig und wichtig .
Mieterstrom bezeichnet die Lieferung von Strom aus einer Photovoltaikanlage auf dem Dach eines Wohngebäudes an die entsprechenden Mieter . Die Mieter erhalten
Strom direkt vom Dach der Wohnanlage und können so
von günstigen Strompreisen profitieren. Die Energiewende wird in die Städte getragen .
Momentan existieren in der Praxis nur wenige Mieterstrommodelle . Mit dem Gesetz wollen wir daher einen
Anreiz dafür setzen, dass zukünftig mehr Mieterstromprojekte umgesetzt werden . Mieterstrommodelle sollen
dabei in erster Linie den Mietern zugutekommen . Zudem
können sie dazu beitragen, den Zubau bei der Photovoltaik zu steigern . Aktuell wird das gesetzlich verankerte
Zubauvolumen von 2 500 Megawatt nicht erreicht . Außerdem ist die Mieterstromförderung deutlich niedriger
als die reguläre Förderung nach dem EEG . Es sollen Anlagen bis zu einer Größe von 100 kW gefördert werden .
Der Höchstförderbetrag wird letztlich circa 3,81 Cent pro
Kilowattstunde betragen . Große Mieterstromanlagen erhalten dabei einen geringeren Förderbetrag als die kleinen .
Bei Mieterstrommodellen werden die Dachflächen für
Photovoltaik genutzt . Wir haben hier nach wie vor hohes
Potenzial . Studien zufolge bietet gerade das Mieterstrommodell auf knapp 370 000 Wohngebäuden für insgesamt
3,8 Millionen Haushalte Zugang zu Photovoltaikstrom
aus eigener Produktion . Mir persönlich ist die Photovoltaik auf dem Dach immer noch lieber als auf Freiflächen
oder auf landwirtschaftlich nutzbaren Flächen .
({2})
Natürlich ist es wie bei jeder Förderung im Rahmen
des EEG auch hier so, dass die entsprechenden Kosten
von denjenigen Stromverbrauchern getragen werden, die
nicht in den Genuss der Förderung kommen . Auch deshalb deckeln wir den Zubau in Höhe von 500 Megawatt
jährlich . Zudem sehen wir auch eine Evaluierung dieses
Instruments vor und beobachten sie sehr genau .
Wichtig ist uns auch, dass die Mieter die Wahlfreiheit
haben; das wurde schon mehrfach angesprochen . Mietvertrag und Mieterstromvertrag sind klar zu trennen . Es
müssen zwei getrennte Verträge erstellt werden und die
Wahlfreiheit der jeweiligen Mieter genau beachtet werden . Der Preis für Mieterstrom ist außerdem auf 90 Prozent des Grundversorgungstarifes begrenzt . Auch hier
werden wir die Mieter schützen .
Mit dem Mieterstromgesetz bringen wir am Ende dieser Legislaturperiode ein weiteres energiepolitisches Gesetzesvorhaben auf den Weg: nach dem EEG 2014, nach
dem EEG 2017, nach der Einführung von Ausschreibungen in der Reformierung des KWKG, nach der Sicherung
der Eigenversorgung, nach der Implementierung von
Strommarktregeln - um nur einige Punkte anzusprechen,
die wir miteinander beraten haben . Wir haben Schritte
nach vorne gemacht . Wir haben die Planbarkeit erhöht .
Wir haben die einzelnen Faktoren verknüpft, beispielsweise auch hinsichtlich der Synchronisierung des Ausbaus der Erneuerbaren und des Netzausbaus, damit das
parallel läuft . Wir haben aber nach wie vor Herausforderungen, die mit weiter steigenden Anteilen an erneuerbaren Energien eher größer als kleiner werden . Es zeigt sich
auch, dass einige Annahmen aus der Vergangenheit - ich
erinnere nur daran, dass vor sieben Jahren viele gesagt
haben, die Rohölpreise werden jährlich um 2 bzw . 3 Prozentpunkte steigen - so nicht eingetreten sind .
Wir werden keine Stromerzeugung zum Nulltarif bekommen . Die Energiewende ist also mehr denn je eine
Generationenaufgabe . Die Energiethemen werden uns
auch in Zukunft beschäftigen, auch hier in der nächsten
Legislatur . Deswegen gilt es natürlich auch, vernunftbezogene Ansätze, das Verknüpfen der Bausteine, das
Koordinieren der unterschiedlichen Sektoren voranzutreiben .
Mein herzlicher Dank geht an die Berichterstatter, an
Thomas Bareiß und Johann Saathoff .
({3})
Trotz zähen Ringens haben wir es immer geschafft,
Lösungen zu erzielen . Selbst zum Ende der Legislatur
schaffen wir das noch . Das ist hochrespektabel .
Ich wünsche noch einen schönen Abend und anschließend eine schöne und gute Nacht bei - wie war es vorher? bei Sonnenschein - Mondschein oder Kerzenschein .
Ich weiß gar nicht, ob wir heute einen Mond sehen . Es ist
auf jeden Fall ein gutes Gesetz, das wir einbringen . Ich
bitte um Unterstützung .
Danke schön .
({4})
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/12355 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beitrittsprotokoll
vom 11. November 2016 zum Handelsübereinkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten
einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits betreffend den Beitritt Ecuadors
Drucksache 18/11556
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({0})
Drucksache 18/12410
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .1)
Mir liegen mehrere Erklärungen nach § 31 unserer
Geschäftsordnung vor .2) Entsprechend unserer Regeln
nehmen wir sie zu Protokoll und kommen nun zur Abstimmung .
Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12410,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11556 anzunehmen .
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 sowie den Zusatzpunkt 8 auf:
35 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen ({1})
Drucksache 18/12330
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate
Walter-Rosenheimer, Katja Dörner, Dr . Franziska
Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Stark ins eigene Leben - Wirksame Hilfen für
junge Menschen
Drucksache 18/12374
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
1) Anlage 17
2) Anlage 18
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Wenn jetzt alle Fraktionen wieder mitmachen, dann
eröffne ich die Aussprache . Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Caren Marks .
({4})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Kinder brauchen stabile Beziehungen,
um stark zu werden . Sie müssen vor Gewalt geschützt
sein, und sie benötigen gute Bildungschancen, und zwar
von Anfang an . Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, die Reform des SGB VIII, ist ein Gesetzentwurf zur
Stärkung von Kindern und Jugendlichen . Er enthält drei
Schwerpunkte:
Erstens: die Stärkung von Pflegekindern und ihren Familien. Wie alle Kinder brauchen Pflegekinder gute und
stabile Beziehungen und Bindungen . Heute gibt es aber
nicht wenige Kinder, bei denen es zwischen leiblichen
Eltern und Pflegefamilie hin und hier geht, manchmal
sogar mehrfach . Manch stabile Beziehung wird dadurch
zerrissen, kaum dass ein Kind sie aufgebaut hat .
Mit der Reform des SGB VIII wollen wir regeln, dass
über die Perspektive eines Pflegeverhältnisses schneller
und vor allem auch transparenter entschieden wird: Soll
das Kind nur vorübergehend oder dauerhaft in der Pflegefamilie bleiben? Welche Unterstützung brauchen Pflegekind, Pflegeltern und auch Herkunftsfamilie?
Ein Kind aus der Familie zu nehmen, ist und bleibt
das letzte Mittel . Deshalb wollen wir auch die Beratung
und Unterstützung der Herkunftseltern stärken . Das Jugendamt unterstützt die leiblichen Eltern ebenso wie die
Pflegefamilie, stellt Kontakt zwischen einem Kind und
seinen leiblichen Eltern her und begleitet sie .
Außerdem wollen wir den Familiengerichten eine
neue Möglichkeit geben . Sie sollen anordnen können,
dass ein Kind auf Dauer in der Pflegefamilie bleibt, wenn
ziemlich sicher ist, dass es nicht in seine Herkunftsfamilie zurückgehen kann. Für Pflegekinder in Dauerpflegeverhältnissen soll das mehr Stabilität und mehr Sicherheit bringen . Kinder, die beispielsweise von ihren Eltern
schwer misshandelt wurden, müssen die Chance haben,
in der Pflegefamilie zu bleiben, anstatt zurückzumüssen
und zu erleben, dass die Misshandlungen wieder losgehen .
Der zweite Schwerpunkt des Gesetzentwurfes, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Zusammenarbeit
von Kinder- und Jugendhilfe und Gesundheitswesen im
Kinderschutz . Die Evaluation des Bundeskinderschutzgesetzes hat gezeigt, dass der Kinderschutz in unserem
Land besser geworden ist . Sie hat aber auch gezeigt, wo
noch Bedarf besteht . Da gibt es zum Beispiel die Befugnisnorm in § 4 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz . Menschen aus verschiedenen
Berufsgruppen, die genau davon betroffen sind, haben
Vizepräsidentin Petra Pau
den Hinweis gegeben, dass diese Befugnisnorm nicht
klar genug formuliert ist . Wenn aber eine Ärztin oder
eine Hebamme beispielsweise unsicher ist, wann sie von
ihrer Schweigepflicht entbunden ist, wird sie sich vielleicht nicht an das Jugendamt wenden . Deshalb formulieren wir die Befugnisse zur Datenweitergabe an das
Jugendamt für Berufsgeheimnisträger klarer . Wir wollen
ihnen eine klare Orientierungshilfe geben und für mehr
Handlungssicherheit im Kinderschutz sorgen .
Ärztinnen und Ärzte sagen auch: Wir wollen wissen,
was aus unseren Hinweisen wird und wie es mit dem
Kind und seiner Familie weitergeht . Vor allem können
sie aber auch einen wichtigen Beitrag zur Einschätzung
der Gefährdungssituation eines Kindes leisten . Auch deshalb sollen sie einbezogen werden, wenn das Jugendamt
dies nach fachlicher Einschätzung für notwendig hält .
Wir wollen die Zusammenarbeit zwischen der Kinderund Jugendhilfe und dem Gesundheitswesen für den
Kinderschutz stärken .
({0})
Den dritten Schwerpunkt bildet eine verbesserte
Heim aufsicht . Kinder und Jugendliche in Heimen sind
besonders schutzbedürftig . Wir wollen ihre Rechte stärken, indem wir planen, Beschwerdemöglichkeiten außerhalb der Einrichtung einzuführen . Zudem wollen wir
die Voraussetzungen für eine Betriebserlaubnis und die
Kontrollmöglichkeiten der Aufsichtsbehörden erweitern .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen: Wir
hätten gerne mehr gemacht . Wir wollen weiterhin die
Zusammenführung der Zuständigkeiten für Kinder und
Jugendliche unter dem Dach der Kinder- und Jugendhilfe, die sogenannte inklusive Lösung . Für die Kinder und
ihre Familien ist es wichtig, dass alle Leistungen für Kinder und Jugendliche aus einer Hand kommen . Egal ob ein
Kind eine körperliche, seelische, geistige oder gar keine
Behinderung hat: Alles aus einer Hand - das kann nur die
Kinder- und Jugendhilfe .
Nach zweijährigen intensiven Beratungen gibt es aber
noch Diskussionsbedarf - weniger über das, was nötig
ist, als über den besten Weg . Deshalb haben wir gemeinsam mit dem Deutschen Verein das Dialogforum „Zukunft der Kinder- und Jugendhilfe“ gestartet . Genau dort
setzen wir die Debatte über die Umsetzung der inklusiven Lösung fort . Das wird eine Aufgabe für die nächste
Wahlperiode . Liebe Kolleginnen und Kollegen, aber die
Verbesserungen für die Pflegekinder und ihre Familien,
die Verbesserungen beim Kinderschutz und bei der Heimaufsicht sollten wir jetzt auf den Weg bringen .
Ich wünsche uns noch eine gute restliche Debatte zu
später Stunde .
Vielen Dank .
({1})
Das Wort hat der Kollege Norbert Müller für die Fraktion Die Linke .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Wir beraten heute ein zentrales Vorhaben der
Koalition im Bereich der Kinder-, Jugend- und Familienpolitik, nämlich die Reform des Sozialgesetzbuches
Achtes Buch, also des Kinder- und Jugendhilferechtes .
Das SGB VIII wurde nach über 20-jähriger Debatte Anfang der 90er-Jahre als Gesetz mit umfassenden
Rechtsansprüchen für Kinder und Jugendliche, für junge Volljährige, für Heranwachsende und für Familien
beschlossen . Es folgt einem sozialpädagogischen Leitbild . Deswegen ist es richtig, dass wir das Kinder- und
Jugendhilfegesetz insgesamt verteidigen .
({0})
Eine Gruppe wurde damals aber nicht in die Geltung
des SGB VIII einbezogen; die Staatssekretärin hat darauf
gerade dankenswerterweise hingewiesen . Kinder und Jugendliche mit Behinderungen fallen eben nicht vollumfänglich unter den Geltungsbereich des SGB VIII . Wir
haben hier schwierige Rechtskreise in Bezug auf die
Wiedereingliederungshilfe . Das sollte harmonisiert werden . Die große Lösung, hinter der zumindest verbal alle
Parteien stehen, ist Ziel Ihrer Koalition gewesen .
Die Koalition ist also angetreten, das SGB VIII zu reformieren und Kinder und Jugendliche mit Behinderung
vollständig in die Kinder- und Jugendhilfe zu überführen . Was Sie heute zur Geisterstunde - und wir haben
gleich Geisterstunde - hier vorgelegt haben, hat damit
aber null Komma nichts zu tun .
({1})
Dazu passt eben auch, dass das, was Sie heute vorstellen, keine große Lösung ist, sondern im Wesentlichen Ausdruck von großem Chaos: ein katastrophaler,
intransparenter Gesetzgebungsprozess; acht Gesetzentwürfe bzw . Vorentwürfe oder Arbeitsfassungen haben in
anderthalb Jahren das Licht der Öffentlichkeit erblickt Sie kennen wahrscheinlich noch mehr -; Hunderttausende Beschäftigte, die gnadenlos verunsichert sind; Träger,
Familien, Betroffene, die nicht wissen, wohin die Reise
eigentlich geht . Sie wissen das; denn wir sind überhäuft
worden mit Zuschriften von großen Verbänden, von Trägern, von Beschäftigten, von Mitarbeitern der Jugendämter, von Jugendhilfeausschüssen, von Familien . Das
heißt, Hunderttausende Beschäftigte, betroffene Kinder,
Jugendliche und Familien sowie große, aber auch kleine
Träger wurden durch diesen Gesetzgebungsprozess hoffnungslos verunsichert .
Was Sie heute vorlegen, ist abzulehnen . Ich nenne Ihnen kurz drei Gründe, warum wir das insgesamt ablehnen
werden:
Erstens . Das Jugendwohnen, das Sie mit dem Gesetz
auf ein Minimum herunterfahren wollen, bietet Minderjährigen und jungen Volljährigen die Möglichkeit, während ihrer Ausbildung preiswert zu wohnen . Wir haben
bereits mehrfach über die Mietensituation in großen
Städten geredet . Daher ist das Jugendwohnen dringend
notwendig . Anstatt das Jugendwohnen auszubauen, fahren Sie es zurück . Das werden wir nicht mittragen .
({2})
Zweitens . Die offene Kinder- und Jugendarbeit - ich
finde, das ist der größte Hammer - erschweren Sie noch
zusätzlich . An der Stelle, an der wir die Kinder- und Jugendarbeit ausbauen müssten, wird sie erschwert . Was
passiert jetzt konkret? Sie sagen, dass in der offenen Kinder- und Jugendarbeit auch dann, wenn die Beteiligten
vor Ort ehrenamtlich unterwegs sind und keine öffentliche Förderung in Anspruch nehmen, bestimmte Meldeauflagen erfüllt werden müssen und Schutzkonzepte aufgestellt werden sollen . Also, wenn fünf junge Menschen
in der Garage ihrer Eltern ein Jugendprojekt starten, dann
sollen sie zukünftig ein Schutzkonzept gegen sexuelle
Übergriffe aufstellen, dann sind sie meldepflichtig, dann
müssen sie das Projekt beim Jugendamt anmelden und
in eine stetige Kooperation eintreten . Das ist völlig irre .
Damit erwürgen Sie die offene Kinder- und Jugendarbeit .
Wir haben bereits in Gesprächen darüber geredet: Das
muss weg . Das können wir nicht mittragen .
({3})
Drittens . Sie führen - das war ein besonderer Wunsch
einiger Länder; bedauerlicherweise trägt die Bundesregierung das nun mit - doppelte Standards für Kinder und
Jugendliche mit ausländischem Hintergrund ein, nämlich für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge . Durch
eine Öffnungsklausel werden Sie erreichen - das wird in
den Ländern so passieren; das wissen wir ganz genau;
Länderausnahmeklauseln waren ja die Zielvorgabe der
Bundesländer, die Sie quasi beauftragt haben, zumindest
einiger -, dass es in Zukunft ein Kinder- und Jugendhilferecht für deutsche Kinder und Jugendliche gibt und ein
Kinder- und Jugendhilferecht mit niedrigeren Standards
für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge . Auch das
werden wir in keinem Fall mittragen .
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben eine große Lösung angekündigt . Sie haben viel Porzellan zerschlagen . Am Ende haben Sie eine große Überschrift
produziert: Kinder- und Jugendstärkungsgesetz . Das ist
ein Hohn . Sie stärken Kinder und Jugendliche mit dieser
Reform des Sozialgesetzbuches VIII nahezu nicht . Das
Beste wäre, Sie würden diesen Entwurf zurückziehen
und einen Neustart in der nächsten Wahlperiode ermöglichen .
Vielen Dank .
({5})
Das Wort hat der Kollege Marcus Weinberg für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Werte Kolleginnen
und Kollegen! Ja, es ist richtig: Eine Reform des KJHG
im SGB VIII ist für viele von uns die Königsdisziplin
in der Familienpolitik . Viele von uns, von Bayern bis
Schleswig-Holstein, kommen aus der Kinder- und Jugendhilfe und wissen, welche Auswirkungen eine Reform haben kann, nämlich gravierende Auswirkungen
auf die Lebensverhältnisse gerade von Kindern . Deswegen ist es für uns wichtig, dass wir uns sehr sorgsam
anschauen, was die Bundesregierung, was das Familienministerium vorgelegt hat .
Das ist tatsächlich ein bisschen die Kür nach dreieinhalb Jahren Großer Koalition . Ich muss aber eingestehen - es tut mir leid, Frau Parlamentarische Staatssekretärin -: Kür ist der Gesetzentwurf nicht, in Teilen
entspricht er noch nicht einmal der Pflicht. Wir haben da
deutliche Kritik . Warum ist das Gesetz so wichtig, und
warum ist es so wichtig, die Reformen hinsichtlich ihrer
Auswirkungen zu überprüfen? Weil wir über Kinder und
Jugendliche reden .
Im Übrigen will ich eines sagen: Die UN-Kinderrechtskonvention und das Grundgesetz besagen - das ist
unser Verständnis -, dass Kinder zum Beispiel ein Recht
auf Erziehung durch die Eltern haben . Wenn Sie sagen,
dass Sie nicht möchten - das möchten wir auch nicht -,
dass Kinder zurückkommen in eine Familie, in der sie
Gewalt und Missbrauch erfahren haben, dann kann ich
Ihnen nur entgegnen: Das darf es bereits heute nicht geben . - Ich komme aus Hamburg . Wir haben entsprechende Fälle gehabt . Der Fall Yagmur ist, glaube ich, in ganz
Deutschland bekannt . In diesem tragischen Fall kam das
Kind zu früh zurück zu den leiblichen Eltern und ist dann
verstorben . Das darf es aber bereits heute nicht geben .
({0})
Wir warnen aber davor - das ist unsere große Sorge, Frau
Dörner -, mit Gesetzesänderungen, die wir in wenigen
Wochen durchbringen, das Kind mit dem Bade auszuschütten . Das werden wir nicht tun .
({1})
Es gab auch schon am ersten Entwurf Kritik; ich
glaube, auch wir als Union haben das deutlich gemacht .
Wenn Sie eine solche Reform auf den Weg bringen, dann
ist das eine große Reform . 1990/91 hat man viele, viele
Monate, ja sogar Jahre gebraucht . Man hat gesagt: Wir
brauchen die Verbände, die Träger und die Betroffenen .
Wir reden hier über viele Personengruppen und Interessensgruppen und übrigens auch über viel Geld, zum Beispiel über 7 Milliarden Euro für Hilfen zur Erziehung .
Der Aufwuchs der Mittel ist uns allen bekannt . Da muss
man auch einmal fragen: Wie sind die Strukturen? Diese müssen überprüft werden . Aber all das muss gemeinschaftlich und transparent erfolgen . Dafür braucht man
einen offenen Diskurs, und zwar nach Möglichkeit am
Anfang einer Legislaturperiode und nicht am Ende .
Deswegen muss ich sagen, dass die Kritik vieler Verbände am Verfahren berechtigt ist . Auch das sagen wir
ganz deutlich . Deswegen werden wir in den nächsten
Norbert Müller ({2})
Tagen und Wochen mit unserem Koalitionspartner genau überprüfen, welche Änderungen wir mitgehen können . Wir werden nach der Anhörung, die wir demnächst
durchführen, überprüfen, was noch machbar ist . Allerdings glaube ich, dass man dieses Verfahren deutlich kritisieren muss .
Ich warne davor, jetzt kurzfristig noch Schlechtes
zu machen, auch wenn man es gut meint . Genauigkeit
geht für uns in der Union vor Schnelligkeit; das sagen
wir ganz deutlich . Wir brauchen also einen sorgfältigen
Prozess . Das steht übrigens auch so in unserer Koalitionsvereinbarung: ein sorgfältig strukturierter Prozess auf
einer fundierten empirischen Grundlage . Wir wollen wissen, welche Maßnahmen welche Auswirkungen haben
und welche Auswirkungen es durch Änderung des KJHG
und natürlich auch des BGB gibt . Ich komme gleich zu
dem einen Beispiel, das auch Sie angeführt haben - das
ist Ihnen wichtig, und das ist auch uns wichtig -, nämlich
die Frage: Wie geht es weiter bei den Pflegekindern?
Es gibt Änderungen, die tragbar sind . Zum Beispiel
mit denen im Bereich der Heimaufsicht sind wir sehr zufrieden . Da ist eine gute Regelung gefunden worden . Die
Änderung hinsichtlich der Hilfen zur Erziehung wurde
wieder zurückgenommen . Es gibt weiterhin die Hilfen
zur Erziehung und nicht nur Unterstützung sozialräumlicher Art . Auch das war uns wichtig . Wir werden uns
das alles anschauen . Über das eine oder andere werden
wir noch intensiv diskutieren . Möglicherweise werden
wir Änderungsvorschläge einreichen . Wir werden aber
auch bei einigen Dingen sagen, dass das mit uns nicht
machbar ist .
Ich komme jetzt zum Thema Pflegekinder. Dabei geht
es um die Kombination von § 36a SGB VIII mit § 91
SGB VIII und § 1697 BGB . Da sind wir in großer Sorge .
Wir verstehen, dass sehr viele Pflegeeltern sagen: Wir
haben, auf Deutsch gesagt, die Nase voll von diesem Befristungsdogma, davon, dass man nicht weiß, was nach
ein, zwei oder drei Jahren mit den Pflegekindern, zu denen man eine Bindung aufgebaut hat, passiert . Wir wollen dauerhaft Stabilität haben . - Das verstehen wir . Aber
es wäre in höchstem Maße gefährlich, dass dies durch ein
so genanntes Kontinuitätsdogma gelöst wird . Dass das
vorgesehen ist, sehen Sie, wenn Sie sich den Gesetzentwurf genau anschauen .
Man sagt: Das Ziel ist es, dass es für Kinder eine frühzeitige Perspektivklärung gibt . - Dazu sagt man zunächst
einmal: Eine frühzeitige Perspektivklärung ist gut . Dann
schaut man auf das Kindeswohl . Das Kindeswohl wird
auch und insbesondere über den Begriff der Kontinuität
definiert. Aber die Kontinuität als Maßstab für das Kindeswohl zu nehmen, ist zu wenig . Wir haben durch das
Grundgesetz sozusagen die Verpflichtung, ethisch-moralische Ansätze zu verfolgen . Wenn wir den Ansatz umsetzen wollen, müssen wir auch dafür sorgen, dass die Eltern, die nach einer kurzen Zeit wieder in der Lage sind,
sich um ihre Kinder zu kümmern, weiterhin das Recht
haben, über eine Rückholoption die Verantwortung für
die Betreuung ihrer Kinder zu bekommen . Es ist also jeweils genau zu überprüfen, ob das Kindeswohl erfüllt ist .
Wir haben große Sorge, dass wir das erleben, was wir
in den letzten Jahren sehr häufig erlebt haben. Da sind
Menschen zu uns gekommen und haben uns gesagt, dass
sie nicht mehr an die Kinder herankommen . Sie wollten
eigentlich nur eine Kurzzeitpflege für ein halbes Jahr
oder ein Jahr, weil sie in der Situation kurzfristig überfordert waren . Diese Eltern kommen zum Teil nicht mehr an
ihre Kinder heran bzw . die Kinder kommen nicht mehr
zurück . Deswegen haben wir in diesem Bereich - das
sage ich ganz offen - große Probleme .
Bei uns steht das Kindeswohl im Mittelpunkt . Das
heißt aber auch, dass wir sehen müssen: Wie können wir
die leiblichen Eltern stärken? Wie können wir die Qualifizierung der Pflegeeltern stärken? In welcher Art und
Weise können wir überprüfen, in welcher Situation die
Kinder am besten zurechtkommen?
Eines sei auch noch gesagt, weil es in der öffentlichen
Diskussion nur um Pflegeeltern und leibliche Eltern geht.
Es geht auch - schauen Sie ins Gesetz - um die Heimerziehung . Ich sage ganz deutlich: Da gibt es ein Problem .
Kollege Weinberg .
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . - Denn
Heimerziehung hat nichts mit Bindung zu tun . Gar nichts .
({0})
Genau deshalb werden wir uns den Gesetzentwurf in diesem Bereich sehr intensiv anschauen .
In weiten Teilen werden wir die Diskussion mit der
SPD führen . Darauf und auf die Anhörung freue ich mich .
Allerdings sei diese Kritik an dieser Stelle angebracht .
Herzlichen Dank .
({1})
Das Wort hat die Kollegin Katja Dörner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Wir diskutieren jetzt rund um Mitternacht über den kümmerlichen Rest eines eigentlich
großen und auch wichtigen Reformvorhabens, eines
Reformvorhabens - das finde ich eben ganz besonders
bitter -, das wir alle im Grundsatz richtig finden. Im Koalitionsvertrag heißt es:
Im Interesse von Kindern mit Behinderung und ihren Eltern sollen die Schnittstellen in den Leistungssystemen so überwunden werden, dass Leistungen
möglichst aus einer Hand erfolgen können .
Das hätten auch wir unterschreiben können .
Ein inklusives SGB VIII, ein einheitliches Leistungsrecht, das alle Kinder und Jugendlichen umfasst,
unabhängig von einer Behinderung - diese Reform ist
Marcus Weinberg ({0})
überfällig, und es ist bitter, dass dieses Vorhaben in den
letzten Jahren so gegen die Wand gefahren wurde, dass
der Gesetzentwurf Inklusion leider nur noch in ganz homöopathischen Dosen enthält .
({1})
Ich hoffe sehr, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass der
Bundestag in der nächsten Wahlperiode die Kraft haben
wird, sich dieses Themas neu anzunehmen .
Im Vergleich zu den ersten Entwürfen - ich nenne sie
mal so, obwohl wir ja alle wissen, dass es sich zum Teil
nur um Powerpoint-Folien gehandelt hat - fehlen noch
einige andere wichtige Aspekte, die wir für eine gute
Weiterentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe für
sehr essenziell halten . Einen greifen wir mit einem Antrag auf, den wir heute Abend mitberaten . Es geht um
die Leistungen für junge Volljährige, für die sogenannten
Care Leaver .
Wir müssen dringend davon wegkommen, dass mit
dem 18 . Lebensjahr Schluss ist; denn gerade junge Menschen, die nicht in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen,
brauchen über den 18 . Geburtstag hinaus Unterstützung,
um im Leben gut zurechtzukommen .
({2})
Deshalb fordern wir in unserem Antrag die Ausweitung
der Leistungen für junge Volljährige bis zum 23 . Lebensjahr in Verbindung mit der Stärkung des Rechtsanspruchs . Das ist auch ein Auftrag, den uns der aktuelle
Kinder- und Jugendbericht ganz klar mit auf den Weg
gibt .
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es gibt übrigens
auch Aspekte aus den ersten Entwürfen, die wir im Gesetzentwurf ausdrücklich nicht vermissen . Damit meine
ich die ursprünglich geplante Aufweichung des individuellen Rechtsanspruchs auf Hilfen zur Erziehung . Es ist
sehr gut, dass das jetzt vom Tisch ist . So sehr wir die
sozialräumliche Ausgestaltung der Angebote für richtig
und wichtig finden, so klar halten wir am individuellen
Rechtsanspruch fest .
({3})
Es ist völliger Unsinn, hier einen künstlichen Widerspruch aufzumachen . Ich hoffe, dass uns eine derartige
Diskussion in der nächsten Legislatur erspart bleibt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Gesetzentwurf
enthält einige Vorschläge, die wir ausdrücklich begrüßen, beispielsweise den eigenständigen Rechtsanspruch
der Kinder und Jugendlichen auf Beratung unabhängig
von den Erziehungsberechtigten, die Regelungen zur
Heimaufsicht und die Möglichkeit für Familiengerichte,
Dauerverbleibensanordnungen erlassen zu können .
Jetzt komme ich aber zu dem ganz großen Aber . Auf
den allerletzten Drücker wurde eine Öffnungsklausel für
die Länder aufgenommen, die faktisch auf eine Zweiklassenjugendhilfe auf dem Rücken unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge hinausläuft . Eine Öffnungsklausel - das
klingt erst einmal ganz harmlos . Diese Öffnungsklausel
ist es aber ganz und gar nicht; denn sie kann dazu führen,
dass die Standards für geflüchtete unbegleitete Jugendliche und einheimische Jugendliche in der Jugendhilfe
zukünftig unterschiedlich sind . Das ist aus unserer Sicht
völlig indiskutabel .
({4})
Die Fachverbände laufen Sturm gegen diese Regelung, und das zu Recht . Sie wissen das auch . Das
SGB VIII ist schon heute flexibel genug, auch was die
Versorgung minderjähriger Flüchtlinge angeht . Es gibt
überhaupt keinen Grund für eine Öffnungsklausel . Das
Kinder- und Jugendhilferecht muss sich am Wohl und an
den Bedarfen des Kindes bzw . des Jugendlichen orientieren . Da darf aus unserer Sicht die Herkunft auf keinen
Fall eine Rolle spielen .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({5})
Das Wort hat die Kollegin Christina Schwarzer für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt
kaum ein Thema, das so sehr von der Mitarbeit und der
Expertise derer abhängt, die tagtäglich an der Basis arbeiten, wie die Kinder- und Jugendhilfe . Aus eigener Erfahrung aus der kirchlichen Jugendarbeit und aus dem
Jugendhilfeausschuss in meiner Heimat Neukölln weiß
ich: In der Kinder- und Jugendhilfe steckt der Teufel in
aller Regel im Detail . Einfache pauschale Lösungen gibt
es nicht . Die Arbeit der Praktiker ist von einer großen Individualität geprägt . Daher brauchen wir bei dieser großen Reform die umfassende Expertise derer, die täglich
mit den Auswirkungen der gesetzlichen Beschlüsse zur
Kinder- und Jugendhilfe zu arbeiten haben .
Mir ist es aus diesem Grund ein Herzensanliegen,
noch einmal deutlich zu machen: Auch wir teilen die Kritik vieler Verbände an dem Verfahren, das in der letzten
Zeit angewandt worden ist . Es gab viel Kritik; wir alle
haben viele Briefe und E-Mails bekommen . Ich glaube,
das bisherige Verfahren wird der Arbeit derer, die mit
Kindern und Jugendlichen arbeiten - um sie geht es ja
letztendlich -, nicht gerecht . Vor allen Dingen wird es
auch den Eltern und Familien mit ihren Bedürfnissen
nicht gerecht . Des Weiteren wird es auch den Fachleuten
nicht gerecht, die natürlich ein großes Interesse an einer
Weiterentwicklung haben und sich hier umfassend und
ernsthaft beteiligen wollen . Diese Beteiligung brauchen
wir aber .
Wichtig ist zudem vorab noch eines zu erwähnen: Die
Fürsorge unserer Kinder und Jugendlichen ist das Recht
und die Pflicht der Eltern. So will es im Übrigen unser
Grundgesetz, und so wollen wir es auch . Der Staat hat
zuallererst die Aufgabe, sich herauszuhalten . Die zweite
Aufgabe des Staates ist es jedoch, diejenigen Familien zu
unterstützen, die das eben nicht können - aus ganz unterschiedlichen Gründen . Dabei geht es zunächst um Arbeit
in der Familie . An erster Stelle muss unseres Erachtens
stehen, Eltern zu befähigen . Dieses Prinzip, das sich aus
unserem Grundgesetz ableitet, sollten wir im gesamten
Prozess vor Augen haben .
Jetzt noch ein paar Worte zu dem eigentlichen Entwurf; einiges ist ja schon gesagt worden . Wir werden den
Entwurf in den nächsten Wochen natürlich noch einmal
auf Herz und Nieren prüfen . Ich will jetzt aber, wie Kollege Weinberg auch, noch einmal einen Blick auf Artikel 1
§ 36a des Gesetzentwurfes werfen . Hier geht es darum,
die Eltern zu stärken . Unseres Erachtens ist im Entwurf
vorgesehen, das Problem falscher Einzelfallentscheidungen per Gesetz zu lösen . Viele von uns kennen Fälle lieber Marcus Weinberg, du hast einen erwähnt; bei mir
in Neukölln waren es andere Fälle -, in denen Kinder
aus Pflegefamilien oder nach einer Heimunterbringung
zu früh zurück zu den leiblichen Eltern gegeben worden
sind . Wir wissen dabei nicht genau, welche Auswirkungen Fremdunterbringungen auf die Kinder und vor allen
Dingen auch auf ihre Entwicklung haben .
Im Koalitionsvertrag - das ist eben schon zitiert worden - haben wir beschlossen, Änderungen in der Kinder- und Jugendhilfe auf einer fundierten empirischen
Grundlage zu vereinbaren . Diese Grundlage ist aktuell
noch nicht gegeben . Was wir aber sehr wohl wissen, ist:
Es gibt keine stärkere Bindung als die zwischen Kindern
und ihren Eltern . Das sollten wir immer im Hinterkopf
behalten .
({0})
Der Gesetzentwurf sieht eine Perspektivklärung, also
die Einschätzung, ob eine Leistung auf Dauer oder nur
kurz- oder mittelfristig erfolgt, zu Beginn einer stationären Unterbringung vor . Hier muss deutlich betont werden: „Stationäre Unterbringung“ bedeutet Unterbringung
in einer Pflegefamilie oder eben auch in einem Heim.
Diese frühe Entscheidung nimmt die Möglichkeit einer
umfassenden Einzelfallbetrachtung . Gerade diese ist aber
im sensiblen Zusammenspiel von Kindern, leiblichen Eltern und pflegerischer Unterbringung sehr wichtig, und
hier gibt es einfach keinen Musterfall .
Was wir auch nicht vergessen dürfen, ist: Bei einem
Großteil der Fälle, in denen Kinder in Pflegefamilien
oder Heimen untergebracht werden, haben die leiblichen
Eltern selbst um Hilfe gebeten . Sie sind überfordert und
suchen nach Unterstützung, um - meist langfristig natürlich - wieder ein stabiles Familienleben aufzubauen .
Sie müssen sich darauf verlassen können, diese Unterstützung zu erhalten .
({1})
Wenn die Eltern Angst haben müssen, ihre Kinder zu
verlieren, weil sie sich kurz- oder mittelfristig nicht in
der Lage sehen, sich ausreichend um sie zu kümmern,
werden sie vermutlich nicht mehr um Hilfe bitten .
({2})
Das ist nur ein Beispiel . Bei vielen Themen werden
wir sehr genau hinschauen müssen, was wir im Gesetzentwurf vorsehen und welche Auswirkungen das auf einzelne Punkte in der Praxis haben wird . Deswegen bin ich
gespannt auf die Diskussionen, die wir in den nächsten
Wochen dazu führen werden . Wir haben gestern bereits
eine öffentliche Anhörung zu diesem Thema beschlossen, und ich denke, wir müssen noch viele Experten dazu
hören .
Eines ist ja klar: Die Reform des SGB VIII ist auch
mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf längst nicht
abgeschlossen . Vor dieser großen Aufgabe stehen wir
jetzt, und ich wünsche mir natürlich, dass wir das Thema auch noch in die nächste Legislaturperiode mitnehmen, und zwar in einem geordneten Verfahren und unter
breiterer Beteiligung . Deswegen freue ich mich auf die
Debatte . Ihnen wünsche ich noch einen schönen Abend .
Danke .
({3})
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/12330 und 18/12374 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a und 36 b auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Reformbestrebungen weiter mit Leben füllen - Leistung, Transparenz, Fairness und
Sauberkeit in den Mittelpunkt der künftigen
Spitzensportförderung stellen
Drucksache 18/12362
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan
Mutlu, Monika Lazar, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Konzept zur Spitzensportreform grundlegend
überarbeiten - Beteiligungsrechte für Athletinnen und Athleten verankern
Drucksache 18/10981
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss ({1})
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/12362 und 18/10981 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe die Zusatzpunkte 9 und 10 auf:
ZP 9 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis
der Abstammung bei heterologer Verwendung
von Samen
Drucksache 18/11291
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({2})
Drucksache 18/12422
ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({3}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Katja Keul, Katja Dörner, Luise
Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Elternschaftsvereinbarung bei Samenspende
und das Recht auf Kenntnis eigener Abstam-
mung
Drucksachen 18/7655, 18/11785
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind auch damit einverstanden .2)
Zusatzpunkt 9 . Wir kommen zur Abstimmung über
den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetz-
entwurf zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Ab-
stammung bei heterologer Verwendung von Samen . Der
Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/12422, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11291 in
der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dage-
gen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen bei Enthaltung der Opposition angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Lin-
ke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Zusatzpunkt 10 . Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz
zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Elternschaftsvereinbarung bei Samenspende
1) Anlage 19
2) Anlage 20
und das Recht auf Kenntnis eigener Abstammung“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11785, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7655 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen .
Ich rufe den Zusatzpunkt 11 auf:
ZP 11 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({4})
- zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Rates über die Durchsetzung der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen
im Binnenmarkt, zur Festlegung eines
Notifizierungsverfahrens für dienstleistungsbezogene Genehmigungsregelungen
und Anforderungen sowie zur Änderung
der Richtlinie 2006/123/EG und der Verordnung ({5}) Nr. 1024/2012 über die
Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe
des Binnenmarkt-Informationssystems
KOM({6})821 endg.; Ratsdok. 5278/17
- zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Rates
über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung
vor Erlass neuer Berufsreglementierungen
KOM({7})822 endg.; Ratsdok. 5281/17
- zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen und operativen
Rahmen für die durch die Verordnung ...
[ESC Regulation] eingeführte Elektronische Europäische Dienstleistungskarte
KOM({8})823 endg.; Ratsdok. 5283/17
- zu dem Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates
zur Einführung einer Elektronischen Europäischen Dienstleistungskarte und entsprechender Verwaltungserleichterungen
KOM({9})824 endg.; Ratsdok. 5284/17
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3
des Grundgesetzes
Drucksachen 18/11229 A.8 bis A.11, 18/12426
Die Stellungnahme bezieht sich auf mehrere Vorschlä-
ge für Richtlinien und eine Verordnung des Europäischen
Parlaments und des Rates betreffend EU-Regelungen
über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ein Notifizie-
rungsverfahren, eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor
Erlass neuer Berufsreglementierungen sowie die Elek-
tronische Europäische Dienstleistungskarte .
Vizepräsidentin Petra Pau
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Sie
sind offensichtlich damit einverstanden .1)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/12426, in Kenntnis der
auf Drucksache 18/11229 unter Buchstaben A .8 bis A .11
genannten Unterrichtungen eine Entschließung gemäß
Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes anzunehmen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfeh-
lung ist einstimmig angenommen .
1) Anlage 21
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf heute, Freitag, den 19 . Mai 2017, 9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen und
im Übrigen auch allen sicht- und unsichtbaren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die uns hier unterstützt haben,
alles Gute bis dahin .
({10})