Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich grüße Sie recht herzlich, liebe Kolleginnen und
Kollegen hier im Parlament und auf der Regierungsbank.
Herzlich willkommen an diesem sonnigen, schönen,
strahlenden Tag! Die Sitzung ist eröffnet.
Wir fangen mit dem Tagesordnungspunkt 1 an:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Evaluierungsbericht 2016 zum
Regierungsprogramm „Digitale Verwaltung 2020“.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
gebe ich Bundesminister Dr. Thomas de Maizière. - Herr
Minister, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
der Tat hat das Kabinett heute den von Ihnen zitierten
Bericht beraten. Ich habe ihn vorgelegt. Wir geben damit
Bericht über das, was in diesem Feld in dieser Legislaturperiode geschehen ist. Da ist einiges erreicht und einiges
noch zu tun.
Wir haben etwa die Absenkung Hunderter Formvorgaben beschlossen. Wenn in einem Gesetz zum Beispiel
steht, jemand müsse handschriftlich unterschreiben, dann
könnte dies künftig durch die Anwendung digitaler Regeln ersetzt werden. So kann heute etwa die Zulassung
zur Handwerksmeisterprüfung elektronisch beantragt
werden; um nur ein Beispiel zu nennen. Bundesbehörden sind aufgefordert, die elektronische Akte bis 2020
einzuführen. Mit dem E-Rechnungs-Gesetz, das im April
verkündet wurde, können ab November 2018 Unternehmen ihre Rechnungen an Bundesbehörden elektronisch
stellen. Alle am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Verfassungsorgane haben die Arbeit an einem durchgehend
digitalisierten Gesetzgebungsprozess aufgenommen.
Ein sehr wichtiger Punkt - da kann ich mich bei den
Haushältern des Deutschen Bundestages bedanken - war
die sogenannte IT-Konsolidierung. Wir haben Hunderte
von verschiedenen Rechenzentren, die parallel als Insellösungen aufgebaut sind. Das führen wir jetzt zusammen, und wir sparen damit auch viel Geld. Wir werden
auch weniger verwundbar. Wir haben das ITZ, das Rechenzentrum des Bundes mit Hauptsitz in Bonn, gegründet. Das ist ein IT-Großprojekt, das uns sehr bindet und
auf Dauer nötig ist.
Wir haben die Netze des Bundes, also die Hardwareinfrastruktur, neu konfiguriert. Der Digitalfunk ist gut ausgerollt. Wir haben mit dem BKA-Gesetz in der letzten
Woche mit Zustimmung auch des Bundesrates das große
Projekt „Polizei 2020“ - dadurch soll der rechtliche Rahmen für eine grundlegende Modernisierung und Verbindung der polizeilichen IT-Systeme bei Bund und Ländern
geschaffen werden - in einer nie dagewesenen Weise auf
die Schiene gesetzt.
Das größte IT-Projekt war das Datenaustauschverbesserungsgesetz. Der von der Flüchtlingskrise ausgehende
Druck wurde genutzt, um die Form der Registrierung,
die vielseitige Verwendbarkeit und Möglichkeiten des
Zugriffs auf Registrierungen durch die unterschiedlichen
Behörden in Bund, Ländern und Kommunen zu verbessern.
Noch verbesserungsfähig ist das Verhalten der Verwaltungen gegenüber dem Bürger und des Bürgers gegenüber der Verwaltung. Da gibt es sehr viele gute Lösungen
in Kommunen und Ländern. Das sind aber überwiegend
Insellösungen - das ist so im Föderalismus -, und das
wollen wir überwinden. Der zentrale Baustein dafür ist
die Änderung des Grundgesetzes und das entsprechende
Begleitgesetz, das in dem Paket Bund-Länder-Finanzausgleich hoffentlich in der nächsten Sitzungswoche
verabschiedet wird. Dort wollen wir einen gemeinsamen
Portalverbund beschließen, der die Bürgerinnen und Bürger in den Stand setzt, über einen Zugang - durch eine
Tür, wenn man so will - so gut wie alle Dienstleistungen,
die die Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen anbieten, digital zu erledigen. Sie können dann sozusagen mit einem Schlüssel in jede Verwaltung; ob das in
Berlin, in Kiel, in Schleswig-Holstein, in Baden-Württemberg, in Sachsen oder in Nordrhein-Westfalen ist, ist
gleichgültig.
Auch das ist ein kompliziertes IT-Projekt mit der
Verbindung von Schnittstellen. Es wird dann die große
Aufgabe sein, das in der nächsten Legislaturperiode zu
verwirklichen, wenn wir in dieser Legislaturperiode noch
die gesetzlichen Voraussetzungen dafür schaffen.
Vielen Dank, Herr Minister de Maizière. - Es gibt bisher zwei Fragesteller, und ich gebe als Erstem Dr. Tim
Ostermann das Wort.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister,
Sie haben den gemeinsamen Portalverbund von Bund,
Ländern und Kommunen angesprochen, der das Ziel
hat, dass möglichst viele Verwaltungsdienstleistungen
auf allen Ebenen digital angeboten werden können. Nun
soll das Bundesportal im Jahr 2017 online gestellt und
schrittweise erweitert werden. Können Sie uns nähere
Angaben zu dem Zeitplan machen?
Herr Minister, bitte.
Zunächst einmal brauchen wir die gesetzliche Grundlage. Das heißt, wir ändern dazu das Grundgesetz und
beschließen dann das einfache Gesetz in dem großen Gesetzespaket, das hoffentlich in der nächsten Sitzungswoche verabschiedet wird.
In diesem Onlinezugangsgesetz werden die koordinierenden Aufgaben dem IT-Planungsrat zugewiesen. Der IT-Planungsrat ist ein gemeinsames Gremium
der entsprechenden Fachleute vom Bund und von allen
Ländern. Dort wird dann der Zeitplan beschlossen. Ich
halte es für ehrgeizig, dass wir das 2017 hinbekommen.
Manchmal verzögern sich solche IT-Projekte, insbesondere wenn sich 16 Bundesländer und der Bund auf eine
gemeinsame Konfiguration einigen müssen; das ist dann
so. Ich denke aber, wir bekommen das hin.
Die entscheidende Aufgabe wird dann sein, festzulegen: Für welche Dienstleistung nutzen wir das als Erstes,
sodass es für die Bürger den größten Effekt hat? Ist es
die Kfz-Ummeldung - das könnte ein solcher Vorschlag
sein -, sodass man, wenn man von Kiel nach Stuttgart
umzieht, das Kfz elektronisch ummelden kann, oder ist
es etwas anderes? Nähere Angaben dazu kann ich im
Moment noch nicht machen.
Vielen Dank. - Jetzt gehe ich auf die andere Seite:
Dr. Petra Sitte, bitte.
Mich interessiert das ganze Projekt E-Akte, insbesondere vor dem Hintergrund, dass es dabei auch um die
Klärung behördenspezifischer Anforderungen und darüber hinaus um den Aufbau eines Basisdienstes geht. Ich
frage nach dem aktuellen Stand dieses Projekts. Wird der
Zeitplan, der einmal vorgesehen war, eingehalten?
Alle Ressorts arbeiten daran, Frau Abgeordnete. Die
Vorarbeiten dazu sind abgeschlossen. Das wird nicht nur
die Ministerien betreffen, sondern auch alle nachgeordneten Bereiche. Ich weiß aus dem mir nachgeordneten
Bereich, dass einige sehr intensiv daran arbeiten, manche die Arbeit ein bisschen scheuen. Das Ziel ist, das bis
2020 abgeschlossen zu haben.
Vielen Dank. - Dann Marian Wendt, bitte.
Vielen Dank, Herr Minister; auch vielen Dank für die
gute Erfolgsbilanz in diesem Bereich. Es gibt allerdings
noch einiges zu tun; das haben Sie auch nicht bestritten.
Es gab in dieser Legislaturperiode ein Normenscreening, bei dem geprüft wurde, bei welchen Vorschriften durch Digitalisierung insbesondere das Schriftformerfordernis oder die Notwendigkeit persönlichen
Erscheinens ersetzt werden können. Ist es geplant, das
auch künftig weiterzutreiben, gegebenenfalls die Vorschriften, die in Gesetzen neu beschlossen werden, daraufhin zu prüfen, ob persönliches Erscheinen oder die
Schriftform wirklich nötig sind?
Herr Abgeordneter, dieses Gesetzesvorhaben war außerordentlich arbeitsintensiv. Alle Mitarbeiter mussten
sozusagen in der gesamten Rechtsdichte des deutschen
Rechts danach suchen: Wo gibt es Formvorschriften?
Sind die entbehrlich? - Da war es so, wie es oft ist: Die
politischen Führungen haben gesagt: Na klar, das kann
alles weg. Wir leben heute in einem anderen Zeitalter. Konkret wurde auf Arbeitsebene und anderswo gesagt:
Ja, da habt ihr recht, aber diese Vorschrift muss leider so
bleiben.
Wenn ich das so sagen darf: Insbesondere wenn an die
tatsächliche Unterschrift auch Geschäftsmodelle geknüpft sind, dann sind die Besitzstände besonders groß,
sodass es bei diesem Schriftformerfordernis bleibt. Im
Ergebnis ist es gelungen, 20 bis 25 Prozent der Schriftformerfordernisse mit diesem Gesetz zu beseitigen. Das
ist gut, aber nicht gut genug. Deswegen, finde ich, muss
in der nächsten Legislaturperiode ein neuer Anlauf unternommen werden, um mindestens noch einmal die gleiche
Anzahl von Schriftformerfordernissen wegzubekommen.
Aber es ist ein zäher Kampf mit den aktuellen Besitzständen.
Vielen Dank. - Nächste Fragestellerin: Petra Pau für
die Linke.
Herzlichen Dank, Herr Minister. - Sie haben eben
schon gesagt, dass es ein ehrgeiziges Projekt ist. Nun
wollen wir es nicht nur weiter eng begleiten, sondern
auch zu einem entsprechenden Erfolg bringen. Deswegen interessiert mich Ihre Planung zum weiteren Berichtswesen für das Regierungsprogramm, auch vor
dem Hintergrund, dass es seit 2015 keine halbjährlichen
Statusberichte mehr gibt. Können Sie uns sagen, wie es
aus Ihrer Sicht in Zukunft sinnvoll gestaltet werden soll?
Dann können wir dies anders begleiten.
Frau Abgeordnete Pau, wir werden sehr eng begleitet.
Ehrlich gesagt, haben wir darum gebeten, vom Haushaltsausschuss bei dem Projekt IT-Konsolidierung begleitet zu werden, weil die Ressorts in den nachgeordneten Bereichen ihre Bereiche behalten wollen. Hier ist der
Druck mit Berichtspflichten hinsichtlich der Fortschritte,
Meilensteine usw. sehr hilfreich.
Im Übrigen finde ich halbjährliche Berichte zu viel.
Das muss in der neuen Legislaturperiode entschieden
werden; denn man muss auch an der Sache arbeiten und
nicht nur Berichte schreiben. Deswegen sollten wir in
der neuen Legislaturperiode mit dem Parlament darüber
reden, ob vielleicht ein jährlicher Bericht oder ein Bericht alle zwei Jahre nicht richtiger ist. Wenn man sich
dagegen auf bestimmte Bereiche, die einem besonders
wichtig sind - etwa Portalverbund oder die IT-Konsolidierung -, konzentriert, dann bin ich gerne bereit - eher
in den Ausschüssen als im Plenum -, die Berichte in kürzeren Abständen zu geben, dann aber so effektiv, dass sie
aussagefähig sind. Aber es darf nicht so sein, dass wir
vor lauter Berichteschreiben nicht mehr zum Arbeiten
kommen.
Danke schön. - Saskia Esken, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, ich
habe zwei Fragen im Zusammenhang mit Daten rund um
das Programm „Digitale Verwaltung 2020“. Zum einen
möchte ich gerne wissen, welche Bedeutung Sie dem
Thema und unserem Vorhaben eines Open-Data-Gesetzes
und der Open-Data-Gesetze der Länder im Zusammenhang mit übergreifenden digitalen Verwaltungsverfahren
beimessen. In der Bund-Länder-Finanzvereinbarung war
die Rede von einer Verabredung für Open-Data-Gesetze
auf Bundes- und Länderebene.
Die andere Frage bezieht sich auf die Datenhoheit bei
übergreifenden Verfahren. Wer hat bei Fachverfahren die
Hoheit über die Daten?
Zunächst zum Open-Data-Gesetz. Wenn Sie in dieser
Woche das sogenannte E-Government-Gesetz beschließen und der Bundesrat dem nicht widerspricht - es ist,
glaube ich, nicht zustimmungspflichtig -, dann haben wir
die gesetzliche Grundlage für Open Data. Noch einmal
für alle: Open Data heißt, dass die vom Steuerzahler bezahlten, durch die Verwaltung erstellten Daten der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden, sodass sie von
der Öffentlichkeit genutzt werden können. Das ist anders
als beim Informationsfreiheitsgesetz, bei dem es um eine
einzelne Information geht. Es geht also um Massendaten, aus denen Projekte entwickelt werden können: für
Verkehrslenkung, für Gesundheitsprojekte. Das ist neu.
Auch hier mussten die Verwaltungen zum Jagen getragen
werden. Das macht natürlich Arbeit. Man muss die Daten auch so aufbereiten, dass sie für alle Beteiligten nutzbar sind. Das geht natürlich nur mit den Daten, die der
Bund zur Verfügung hat. Das muss parallel geschehen
mit den Daten, die die Länder zur Verfügung haben, etwa
die Geodaten. Bei den Geoinformationsdiensten - Landesvermessungsämter, Bundesamt für Kartographie und
Geodäsie - gibt es immer Debatten darüber, wer die Hoheit über die Daten hat. Am besten macht man das koordiniert. Das muss im IT-Planungsrat besprochen werden.
Vielen Dank. - Nächste Fragestellerin: Britta
Haßelmann für Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank auch,
Herr Minister, für Ihre Einführung. Wenn wir über den
ganzen Bereich der digitalen Verwaltung sprechen, können wir das Thema Cybersicherheit und Cyberangriffe
nicht ausblenden, gerade angesichts der Entwicklungen
und der Ereignisse in den letzten Tagen und auch der
umfangreichen Berichterstattung zum letzten großen Cyberangriff. Wir im Deutschen Bundestag waren ja auch
schon Opfer von Cyberangriffen. Meine Frage an Sie:
Glauben Sie, dass Sie mit der bestehenden Struktur, die
wir im Moment haben, wirklich ausreichend darauf vorbereitet sind, öffentliche Verwaltung, öffentliche Einrichtungen, öffentliche Dienstleister wie Krankenhäuser und
andere zu schützen, oder muss da nicht eine ganz andere
Reaktion auch unsererseits erfolgen, was das Bundesamt
für Sicherheit in der Informationstechnik und andere Fragen angeht?
Frau Präsidentin, das ist jetzt schon eine Frage, die
über das heutige Thema der Befragung hinausgeht. Ich
will sie aber gerne unter dem Chapeau beantworten. Es
war zwar heute nicht Gegenstand der Berichterstattung,
aber ich würde dazu gerne etwas sagen. Wenn Sie mir
eine halbe Minute mehr geben, Frau Präsidentin.
Mache ich.
Frau Haßelmann, es war natürlich ein schwerwiegender Angriff - keine Frage. Deutschland ist dabei - Sie
haben es gelesen - mit einem blauen Auge davongekommen. Deutschland gehört nicht zu den hauptsächlich betroffenen Ländern; wir stehen in der Liste der am meisten
betroffenen Länder auf Platz 13. Das BSI hat schon im
Frühjahr, nach Bekanntwerden der Lücke, davor gewarnt
und gezeigt, wie man diese Lücke schließt. Vielleicht ist
auch deswegen die Betroffenheit in Deutschland geringer. Das ist gut. Relativ gesehen, stehen wir im internationalen Vergleich gut da. In Russland ist das Innenministerium angegriffen worden, in China 20 000 Tankstellen,
in den USA FedEx, in Taiwan gab es einen großen Angriff, in Großbritannien einen Angriff auf 60 Kliniken,
in Spanien gab es große Angriffe. Da erscheint manche
Kritik an dem, was in Deutschland ist, unangemessen.
Aber es stellt uns nicht zufrieden; denn ich rechne mit
weiteren Angriffen. Wir haben nun mit dem IT-Sicherheitsgesetz als erstes Land in Europa einen ersten großen Schritt gemacht. Wir haben die NIS-Richtlinie und
ihre Umsetzung auf den Weg gebracht. Wir haben das
BSI gestärkt. Wir haben die erste sogenannte BSI-Kritisverordnung erlassen. Darin definieren wir Bereiche
der kritischen Infrastruktur, für die es Sicherheitsauflagen und Meldepflichten gibt. Wir sind kurz vor der Verabschiedung der zweiten Kritisverordnung, mit der wir
dann auch die kritischen Infrastrukturen etwa im Verkehrsbereich festlegen. Da geht es zum Beispiel um die
Frage: Sollen alle Flughäfen zur kritischen Infrastruktur
gehören oder nur große, und welche sind die großen? Ich
hoffe, dass wir darüber im Kabinett in kürzester Zeit Einigkeit erzielen. - Das ist der gute Teil der Geschichte.
Der schwierige Teil ist: Wir können uns nur um die kritische Infrastruktur kümmern. Wir können uns jetzt nicht
um jedes Kreiskrankenhaus kümmern. Ich sage das deswegen, weil ein Kreiskrankenhaus in Nordrhein-Westfalen Opfer von Angriffen war. Das müssen die Verbände,
die Organisationen, die Krankenhausgesellschaft, das
Gesundheitswesen selber machen. Wir kümmern uns
um die kritische Infrastruktur, mit strammen Auflagen,
die, rechtlich gesehen, Eingriffe in den eingerichteten
und ausgeübten Gewerbebetrieb bedeuten. Wir müssen
da Beratung anbieten und auch sonst viel machen. Im
Rahmen der Umsetzung der NIS-Richtlinie schaffen wir
auch so eine Art Cyberfeuerwehr: Man schickt Mitarbeiter des BSI in solche betroffenen Bereiche, um das Problem zu lösen.
Worüber wir in der nächsten Legislaturperiode reden
müssen - das ist vermutlich auch Teil Ihrer Frage -: Wie
ist da eigentlich die Zuständigkeitsverteilung im föderalen Staat? Denn natürlich ist allgemeine Gefahrenabwehr Ländersache, aber ich kann mir nicht vorstellen,
dass 16 Bundesländer die gleichen Kapazitäten aufbauen. Deswegen muss in der nächsten Legislaturperiode in
Ruhe über diese Frage gesprochen werden.
Vielen Dank, Herr Minister. - Ich glaube, Sie waren
einverstanden, dass wir jetzt ein bisschen flexibler mit
der Zeit umgehen, weil diese Frage und die Antwort darauf alle berührt.
Herr Minister, wir gehen jetzt zurück zum Thema der
heutigen Kabinettssitzung. Dazu habe ich jetzt noch vier
Fragestellerinnen. Dann folgen möglicherweise neue
Themenbereiche. Die nächste Fragestellerin ist Petra
Sitte.
Ich möchte schon an dieser Frage dranbleiben. Sie haben selber gesagt, dass es aktuell dezentrale Strukturen
gibt, und zwar aufgrund der Tatsache, dass wir ein föderales System haben. Aber in der digitalen Verwaltung ist
natürlich eine Menge Daten unterwegs, die konkret personenbezogen sind, die geschützt werden müssen. Sich
darüber im Klaren zu sein, dass jetzt irgendjemand irgendwo etwas machen muss und dass die Verantwortung
ebenso auf dezentraler Ebene liegt, enthebt uns nicht der
Verantwortung. Nicht allein deshalb versuchen Sie, über
eine Grundgesetzänderung bestimmte Befugnisse auf
Bundesebene zu ziehen. Wäre es angesichts der jüngsten
Angriffe nicht notwendig, mehr zu tun, also einen Schritt
weiter zu gehen und mehr Ressourcen zur Verfügung zu
stellen - von mir aus kann auch eine Taskforce gebildet
werden -, damit wir nicht warten müssen, bis die Bedingungen auf der letzten Ebene der Kreisverwaltung erfüllt
werden?
Ich will zunächst trennen zwischen den Themen „Zugang“ und „leichtere Möglichkeit für Bürger, digital Verwaltungsgeschäfte zu erledigen“. Das haben wir, glaube
ich, jetzt abgearbeitet. Dabei spielt das Thema „Sicherheit“ eine große Rolle; darauf zielen Sie, glaube ich, ab.
Ich erinnere an die Diskussion über das Thema IT-Sicherheitsgesetz, die nicht ganz neu war. Damals haben
die Betroffenen gesagt: Was bildet der Staat sich eigentlich ein, uns vorzuschreiben, wie wir IT-Struktur zu betreiben haben? Das kann man uns doch gefälligst selbst
überlassen. - Aber wir haben gesagt: Nein, wenn ihr eine
kritische Infrastruktur betreibt, deren Funktionieren für
unser Gemeinwesen nötig ist, dann ist es nicht zu viel
verlangt, wenn wir von euch entsprechende IT-Sicherheitsvorkehrungen fordern, gegebenenfalls verbunden
mit Meldepflichten, um weitere Gefahren abzuwenden.
Es ist uns in dieser Legislaturperiode gelungen, eine entsprechende Regelung auf den Weg zu bringen. Das ist
ein großer Erfolg. Es ist das erste Gesetz dieser Art. Es
kommen viele Kollegen zu uns und fragen: Wie habt ihr
das eigentlich gemacht?
Wir sind noch weit davon entfernt, eine Schutzpflicht
gegenüber anderen einzuführen. Ich will das an einem
Beispiel deutlich machen. Wir haben lange darüber diskutiert, ob es im Auto eine Gurtpflicht geben sollte. Es
gab große Widerstände. Die Vorstellung, dass wir jedem
Pkw-Fahrer vorschreiben, einen Sicherheitsgurt anzulegen, stieß auf große Ablehnung. Es wurde argumentiert:
Man bricht sich die Schulter, man kommt nicht aus dem
Auto, wenn das Auto brennt usw. Wir haben schließlich
gesagt: Ein Sicherheitsgurt muss sein. - Wir haben auch
gesagt: Ein Helm beim Motorradfahren muss sein. Beim Fahrradfahren und beim Skifahren haben wir geBundesminister Dr. Thomas de Maizière
sagt: Das verpflichtende Tragen eines Helmes muss nicht
sein, trotzdem nutzen ihn viele.
Also: Eine politische Mehrheit, um für jedes mittelständische Unternehmen und für jede Einzelperson Vorschriften zu erstellen und zu sagen: „Das müsst ihr strafbewehrt und sanktionsbewehrt einführen, sonst dürft ihr
nicht am Internet teilnehmen“, sehe ich, ehrlich gesagt,
noch nicht.
Vielen Dank. - Matthias Schmidt ist der nächste Fragesteller.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank, Herr
Minister. Sie haben in Ihrem einleitenden Vortrag über
das Datenaustauschverbesserungsgesetz berichtet. Können Sie uns sagen, ob die Ausstattung mit Hard- und
Software auf allen Ebenen inzwischen abgeschlossen ist?
Meine zweite Frage lautet: Wie ist der Stand bei der Registrierung der Flüchtlinge?
Die Hardwareausstattung auf Bundesebene ist ausgerollt. Wir haben den Ländern die sogenannten PIK-Geräte, auf die Sie anspielen, zur Verfügung gestellt, und zwar
über unseren Bedarf hinaus. Die Länder haben gesagt:
Wir nehmen sie gerne und verteilen sie.
Wo wir immer noch einen Mangel haben, ist bei der
Ausstattung mancher Ausländerbehörden mit Fingerabdruckgeräten. Das sind die Geräte, die jede Meldebehörde hat, wenn man einen Personalausweis beantragt. Das
liegt, ehrlich gesagt, überhaupt nicht in unserer Zuständigkeit und auch nicht in unserer Verantwortung, sondern
die Verantwortung liegt hier bei den Ländern. Dennoch
haben wir in der letzten Runde der MPK gesagt, dass wir
bereit sind, finanziell noch einmal zu helfen, obwohl der
Betrag weit unter 10 Millionen Euro liegt.
Wo wir noch keine entsprechende Ausstattung haben,
ist bei den Sozialbehörden. Aber das wäre wichtig, um
Sozialbetrug bekämpfen zu können. Wir arbeiten, wie
Sie wissen, mit dem BMAS an einem Gesetzesvorhaben,
dass die Sozialbehörden ermächtigt werden, entsprechende Abfragen zu machen und Fingerabdrücke zu nehmen. Man muss über die Ausstattung der Sozialbehörden
reden, aber dass der Bund dafür in Verantwortung genommen wird, dass sich eine Ausländerbehörde in einem
Landkreis ein Gerät kauft, das nicht sehr teuer ist, das ist
irgendwie schon etwas Besonderes.
In Ihrer zweiten Frage ging es um den Stand der Registrierung. Die Registrierung ist abgeschlossen. Es gibt
ein gewisses Problem bei unbegleiteten minderjährigen
Flüchtlingen, weil ein nicht unerheblicher Teil der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge gar keinen Asylantrag stellt, sondern sie sind einfach da. Sie besuchen
zum Teil auch Schulen. Aber Jugendämter und Betreuer
halten es für richtig, keinen Asylantrag zu stellen. Das
ist meines Erachtens falsch. Deswegen ist im Gesetz zur
besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht, das morgen
hier verabschiedet wird, vorgesehen, dass die Jugendämter bei entsprechender Kenntnis gehalten sind, einen
Asylantrag für die Jugendlichen zu stellen.
Also, im Bereich unbegleiteter Jugendlicher, die sich
nicht melden, mag es noch Registrierungsprobleme geben; aber man kann niemanden registrieren, der nicht erscheint. Ansonsten ist die Registrierung der Asylbewerber abgeschlossen.
Vielen Dank. - Konstantin von Notz ist der nächste
Fragesteller.
Frau Präsidentin, ich habe eine Frage zu WannaCry.
Soll ich die zurückstellen, oder darf ich sie stellen, Herr
Minister?
Von mir aus gerne. Sie müssen die Präsidentin fragen.
Die ist tolerant. Das weiß ich aus Erfahrung.
Es geht hier eh drunter und drüber.
Dass es hier drunter und drüber geht, weise ich mit
Abscheu und Empörung zurück, Frau Präsidentin.
({0})
Herr Minister, bei diesem sehr ernstzunehmenden Cyberangriff mit WannaCry wurde eine Sicherheitslücke
ausgenutzt, die offensichtlich lange Zeit quasi im Besitz
der NSA gewesen ist. Können Sie ausschließen, dass
auch deutsche Sicherheitsbehörden vor der Veröffentlichung, also vor diesem Leak, im Besitz dieser Sicherheitslücke waren? Und was sagt es über die Sicherheitsstrategie der Bundesregierung aus, wenn auch deutsche
Sicherheitsbehörden Lücken ankaufen, nicht etwa um sie
zu schließen, sondern um sie für häufig legitim anmutende Interessen offenzuhalten, auch wenn das in der Konsequenz brutal ist?
Herr Minister.
Die starke Ausbreitung von WannaCry ist nicht allein
auf das Zurückhalten von Sicherheitslücken - wie etwa
bei der NSA - zurückzuführen. Die hier konkret ausgenutzte Schwachstelle wurde von Microsoft bereits Mitte März, also einen Monat vor der Veröffentlichung des
NSA-Leaks, durch einen Patch für aktuelle Betriebssysteme geschlossen. Wichtig ist, dass nach dem Bekanntwerden von Schwachstellen die Hersteller ihren Nutzern
zeitnah notwendige Sicherheitspatches bereitstellen. Das
gilt gerade für die Betreiber kritischer Infrastrukturen.
Das BSI hat entsprechende Hinweise gegeben.
Die Bundesregierung - das ist ja der Kern Ihrer Frage - steht weiterhin zu den 1999 beschlossenen Kryptoeckwerten. Das heißt: keine Schwächung von Verschlüsselungen durch den Einbau von Hintertüren. Wir
sprechen uns gegen den Einbau von Hintertüren - „Backdoors“ heißen sie im Englischen - aus.
Eine Sicherheitslücke ist etwas anderes als eine solche
Hintertür. Bei Sicherheitslücken ist eine mögliche Nutzung durch die Sicherheitsbehörden sorgfältig zu prüfen.
Dabei sind mögliche IT-Sicherheitsrisiken zu bewerten
und kritische Lücken an die Hersteller zu melden.
Vielen Dank. - Ich lasse noch zwei Fragen zu diesem
Themenbereich zu - sonst kommen wir wirklich nicht
durch -, und zwar von Frau Esken und von Kollegin Pau.
Ich möchte am Rande bemerken, dass die Krankenhäuser durchaus zur kritischen Infrastruktur gehören und
deshalb auch unsererseits und nicht nur seitens der Krankenhäuser selbst die Verantwortung besteht, sich in besonderem Maße um die IT-Sicherheit zu kümmern.
Herr Minister, ich würde Ihnen aber gerne noch einmal Gelegenheit geben, meine Frage zur Datenhoheit im
Portalverbund zu beantworten; denn die Zeit reichte leider nicht, um die Frage zu beantworten.
Da haben Sie recht. Dann will ich zu den Krankenhäusern aber auch etwas sagen: Bei den Ressortverhandlungen im Vorfeld der BSI-Kritisverordnung - also vor
dem Angriff - haben die Vertreter des entsprechenden
Ressorts immer gesagt: Ein Kreiskrankenhaus gehört
doch nicht zur kritischen Infrastruktur, eine Universitätsklinik oder eine Zentrale für Blutkonserven vielleicht,
aber ein Kreiskrankenhaus nicht. - Als BMI wollten
wir den Kreis der kritischen Infrastrukturen tendenziell
durchaus weit fassen. Die Betroffenen wollten ihn möglichst eng halten, weil die Zuordnung zur kritischen Infrastruktur mit Kosten und Meldepflichten verbunden ist.
Vielleicht wird darüber nach diesem Angriff noch einmal
nachgedacht. Auf jeden Fall gehört nicht jedes Kreiskrankenhaus mit Blick auf die Gesundheitsversorgung in
Deutschland zur kritischen Infrastruktur. Man muss eine
Abgrenzung vornehmen.
Ich komme zu Ihrer zweiten Frage. Die Hoheit über
die Daten wird, wie ich meine Länderkollegen kenne, natürlich bei dem jeweils Zuständigen bleiben. Das
wird im IT-Planungsrat zu beraten sein. Der Clou dieses
Portalverbunds besteht darin, dass wir dem Bürger die
Möglichkeit geben, durch dieses eine Portal faktisch genauso in die Kreisverwaltung X zu kommen wie in die
Verwaltung des Landes Y, ohne dass der Bürger merkt,
dass dahinter komplizierte Schnittstellen und Rechtsfragen liegen. Ich glaube, wenn wir die Hoheitsfrage über
die Daten stellen würden, wäre es sehr schwierig, diesen
Portalverbund durchzusetzen.
Vielen Dank. - Jetzt Petra Pau.
Wir springen ein bisschen hin und her. Ich möchte zurück zu der Frage der Kollegin Sitte, in der es um die
Absicherung ging. Mir geht es in diesem Fall um Folgendes: Wenn Sie jetzt diese unterschiedlichen Lösungen
implementieren, ganz egal, ob wir mit dem Ummelden
des Fahrzeuges beginnen oder womit auch immer, inwieweit wird das durch eine Absicherung und entsprechende
Zertifizierung durch das BSI begleitet? Wir sind hier tatsächlich in einem Wettlauf mit Personen, die von anderen
Interessen geleitet sind. Es geht darum, sowohl die Infrastruktur als auch die dort behandelten und vorhandenen
sensiblen Daten zu schützen.
Wenn ich das gleich noch anschließen darf: Mich
würde auch interessieren - das können wir vielleicht an
anderer Stelle noch einmal besprechen -, wie wir die
Umsetzung dieses ambitionierten Programms öffentlich
begleiten, damit der Bürger, der diese Möglichkeiten nutzen soll und kann, sich dazu auch in die Lage versetzt
fühlt.
Frau Abgeordnete Pau, Sie fragen mich hier sozusagen nach der Umsetzung eines Gesetzes, das es noch gar
nicht gibt.
({0})
- Klar. - Ich will es einmal so sagen: Es gibt im Internet einen Zielkonflikt zwischen Bequemlichkeit und
Sicherheit. Ich habe das oft an einem Beispiel deutlich
gemacht: Den Indianer finden alle cool. Er ist beweglich,
aber ungeschützt. Der Ritter ist geschützt, aber unbeweglich. - Viele glauben, sie könnten im Internet Ritter
und Indianer gleichzeitig sein. Das funktioniert nicht.
Das heißt, natürlich muss, zum Beispiel bei einem solchen Portalverbund, eine sichere Identifizierung des Bürgers stattfinden. Da wird die PIN nicht ausreichen. Da
brauchen wir einen zweiten Schlüssel. Wir empfehlen,
dafür den elektronischen Personalausweis zu nutzen. Er
muss dafür handhabbarer sein als jetzt; das ist ein anderes Vorhaben, an dem wir noch arbeiten. Über eine
NFC-Schnittstelle wäre dann die Identifikation mit dem
Handy möglich. Dahinter muss es entsprechende Sicherheitsvorkehrungen geben. Wir sind gut beraten, das BSI
da zu beteiligen.
Das Zweite ist die Öffentlichkeitsarbeit. Diese muss
man, denke ich, mit Anwendungen machen. Wir haben
mit dem elektronischen Personalausweis ein gutes Produkt und wenig Anwendungen. Wenn man diesen anpreist und sagt, man könne ganz viel damit machen, es
aber wenige Anwendungen gibt, dann sind die Menschen
enttäuscht. Daher würde ich empfehlen, dass wir bezüglich des Portalverbunds eine große Öffentlichkeitskampagne machen. Im Rahmen dieser Kampagne könnten wir
den Bürgern die ersten für sie signifikanten, erkennbaren
und nutzbaren Anwendungen vorstellen. Dann könnten
wir sagen: Mit diesem Portal kann man jetzt diese und
jene Anwendung nutzen. - Das ist besser, als abstrakt zu
sagen: Jetzt habt ihr einen Portalverbund.
Vielen Dank, Herr Minister. - Dann kommen wir jetzt
zum zweiten Teil der Befragung der Bundesregierung.
Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Gibt
es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? Wenn dem nicht so ist - ich sehe das -, dann
kommen wir zum dritten Teil - hier haben sich bereits
Fragesteller gemeldet -, und zwar zu Fragen an die Bundesregierung zu sonstigen Themen. Da hatten sich Frau
Hänsel und Herr Beck gemeldet. - Frau Hänsel, bitte.
Danke schön. - Herr Minister, wir haben ja den skandalösen Zustand, dass Bundestagsabgeordnete nicht ihren Auftrag wahrnehmen können, die Parlamentsarmee
zu kontrollieren und sich Mandate anzuschauen. Die türkische Regierung verweigert Abgeordneten den Besuch
von Bundeswehrsoldaten in Incirlik. Was wurde im Kabinett dazu besprochen? Wird dieser wirklich unhaltbare Zustand, dass die Kontrolle durch das Parlament hier
nicht wahrgenommen werden kann, sofort aufgelöst und
nicht etwa erst dann, wenn eine alternative Luftwaffenbasis gefunden ist?
Herr de Maizière, bitte.
Frau Abgeordnete, im Kabinett haben wir heute nicht
darüber gesprochen. Aber natürlich gibt es darüber Gespräche in der Bundesregierung. Für weitere Details steht
der Parlamentarische Staatssekretär Brauksiepe gleich
zur Verfügung. Ich kann Ihnen aber sagen, dass erstens
nach alternativen Standorten nicht erst seit gestern oder
vorgestern gesucht wird und dass zweitens natürlich auch
die Gespräche mit der türkischen Regierung fortgesetzt
werden, um diesen, wie Sie sagen, unhaltbaren Zustand
zu beenden. Dazu wird auch der NATO-Gipfel in kürzester Zeit Gelegenheit bieten.
Vielen Dank. - Dann kommt der Kollege Beck.
Vielen Dank. - Herr Minister, ich beziehe mich auf
einen Vorgang, der sowohl in der deutschen als auch in
der israelischen Presse aktuell stark diskutiert wird. Nach
Presseinformationen der Washington Post hat der amerikanische Präsident an den russischen Außenminister
Lawrow höchst geheim gehaltene Daten weitergegeben,
unter anderem eine IS-Quelle preisgegeben. Das war
eine Information, die er von einem befreundeten Geheimdienst bekommen hat. Ich möchte wissen: Was hat
die Bundesregierung im Kabinett oder auch auf Ressortebene, im Sicherheitsrat darüber diskutiert, wie wir vor
diesem Hintergrund damit umgehen in der Zusammenarbeit mit den amerikanischen Geheimdiensten bezüglich
Datenweitergabe, wenn wir nicht sicher sein können,
dass das an alle möglichen Seiten weitergegeben wird,
von denen wir es nicht beabsichtigen oder wünschen?
Herr Abgeordneter Beck, zunächst möchte ich Ihnen
sagen, dass wir das aus der Presse und aus Twitter verfolgt haben. Das ist ja vielleicht noch kein abschließendes Lagebild.
Zweitens hatten wir oft das Problem in Deutschland,
dass wir Informationen von befreundeten Nachrichtendiensten bekommen haben, die - aus welchen Gründen
auch immer - aus der Exekutive oder Legislative durchgestochen worden sind. Also, wir sind mitnichten diejenigen, die mit dem Finger auf andere zeigen können. Ich
habe die Exekutive einbezogen, damit dort kein falscher
Zungenschlag hineinkommt. Deswegen meine ich, dass
alle gut beraten sind, insbesondere sicherheitsrelevante
Informationen von befreundeten Nachrichtendiensten,
die entweder die Quelle gefährden oder deren Bekanntgabe sicherheitsnotwendige Maßnahmen verhindert, geheim zu halten. Das gilt für alle Beteiligten - in den USA
und in Deutschland.
({0})
Vielen Dank. - Jetzt kommt der Kollege von Notz.
Herr Minister, wir kommen gerade aus der Innenausschusssitzung, bei der Franco A. Gegenstand der Diskussionen war. Ich darf zur Einleitung meiner Frage mein
Unverständnis zum Ausdruck bringen, wie wenige Informationen wir im Innenausschuss bekommen haben
angesichts der Tatsache, dass es sich um einen Einzelkämpfer bei der Bundeswehr handelt, der mit konspirativ
agierenden Kollegen mehrere Tausend Schuss Munition
hatte und offensichtlich den Bundespräsidenten umbringen wollte. Ich frage mich, was eigentlich noch passieren
muss, damit die Leute bei der Aufklärung in die Gänge
kommen. Deswegen frage ich Sie: Kann man bis zum
heutigen Zeitpunkt ausschließen, dass es ein konspiratives Zusammenwirken zwischen dem BAMF-BefraBundesminister Dr. Thomas de Maizière
ger R., wenn ich es richtig im Kopf habe, und Franco A.
gab? Und wie ist das eigentlich im Hinblick auf weitere
Umstände, die bis heute völlig im Unklaren sind? Was
wusste das BfV über Franco A.? Wie war der Stand? Ist
man tatsächlich erst durch die Anfragen österreichischer
Sicherheitsbehörden auf diesen unfassbaren Fall gekommen?
Zur ersten Frage möchte ich Ihnen sagen, dass es nach
den mir vorliegenden Informationen - ich war natürlich
nicht im Innenausschuss - Hinweise auf ein kollusives
Zusammenwirken dieses Herrn mit den Mitarbeitern im
BAMF, die ja, wie Sie wissen, zum Teil auch von der
Bundeswehr waren, bisher nicht gibt. Die Ermittlungen
des BKA sind natürlich nicht abgeschlossen. Über Vorgänge, wann das BfV zu welchen Dingen befasst war, ist
nicht in öffentlicher Sitzung Bericht zu erstatten, sondern
im Parlamentarischen Kontrollgremium. Im Übrigen bin
ich zuversichtlich, dass das BKA, das ja die Ermittlungen
führt, versucht, dieses bis zum innersten Kern aufzuklären.
Vielen Dank, Herr Minister. - Volker Beck und Renate
Künast.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich komme der Bitte
des Kabinettsreferats des Auswärtigen Amts nach, eine
Frage zu stellen.
({0})
- Auf Briefe antwortet man nicht; da bekommt man die
Antwort, man möge die Frage dem Frageverkehr ordnungsgemäß zuführen. - Welche zivilgesellschaftlichen
Organisationen wurden bei offiziellen Besuchen von
Bundesministern oder der Bundeskanzlerin bei Besuchen
in Israel und in besetzten Gebieten jeweils wie oft getroffen? Bitte insgesamt entweder nach Ministerbesuchen
oder/und nach Organisationen mit Häufigkeit für die Jahre 2014, 2015, 2016 und 2017 aufschlüsseln.
Ich hätte ein gewisses Verständnis, wenn Sie die Aufschlüsselung nicht unmittelbar und spontan aus dem Ärmel schütteln könnten, würde mich dann aber über eine
schriftliche, umfassende und wahrheitsgemäße Beantwortung noch in dieser Woche freuen.
Frau Präsidentin, wie gehen wir geschäftsordnungsmäßig damit um? Die Bundesregierung soll ja nur eine
Minute antworten. Darf ich das an Frau Böhmer weitergeben?
Ich wollte gerade schon sagen: Wir hatten schon einmal einen Konflikt mit der Redezeit; ich erinnere mich
daran. Sie haben für die Antwort eine Minute. Aber vielleicht können Sie einen Verfahrensvorschlag machen,
wie die Frage beantwortet werden kann.
Darf ich Frau Staatsministerin Böhmer das überlassen?
Sie dürfen, ja. - Bitte machen Sie einen Verfahrensvorschlag zur Beantwortung dieser Frage.
Ganz herzlichen Dank. - Ich will etwas zum Verfahren sagen. Aber zuerst, lieber Herr Beck, danke ich Ihnen
für das Verständnis gegenüber den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern des Auswärtigen Amts. Ich darf Ihnen zusichern, dass die Frage schriftlich und möglichst zügig
beantwortet wird.
({0})
Ich bitte um Verständnis, dass sie innerhalb der Bundesregierung abgestimmt werden muss und dies eine gewisse Zeit braucht. Aber wir werden alles daransetzen, dass
Sie bald eine Antwort haben.
({1})
Vielen Dank, Frau Böhmer. - Es haben sich noch Frau
Künast und Frau Haßelmann gemeldet. Danach würde
ich die Befragung der Bundesregierung gerne beenden,
weil es noch ein paar andere Fragen gibt.
Herr Minister, ich habe noch eine Frage zum Fall
Franco A., der mittlerweile vielleicht auch ein Fall Bundeswehr ist. Ich möchte gerne von Ihnen wissen, wie
die Bundesregierung eigentlich sicherstellen will, dass
sowohl der Deutsche Bundestag und seine Gremien als
auch die Staatsanwaltschaften umfassend informiert werden.
Ich will Ihnen den Kontext dieser Frage erklären. Man
hört in diesen Zusammenhängen ja immer wieder, dass
Disziplinarvorgesetzte nicht „in completto“ die Unterlagen und damit den ganzen Vorgang an die Staatsanwaltschaften abgeben, sondern nach eigenem Ermessen
offensichtlich Dinge zurückhalten. Ich möchte von Ihnen
wissen: Wie stellen Sie sicher, dass es im Fall Franco A.
nicht so sein wird und dass bei der Bundeswehr in Zukunft grundsätzlich etwas gilt, was meines Erachtens
Voraussetzung für das Vertrauen der Bürgerinnen und
Bürger ist - das gilt gerade hier; immerhin sollte der
Bundespräsident umgebracht werden -, dass nämlich
tatsächlich immer die ordentliche Strafgerichtsbarkeit
eingeschaltet wird.
Ich füge einen kurzen Gedanken hinzu. Ich finde es unsäglich, dass über einen solchen Vorgang auch der Deutsche Bundestag nicht umfassend informiert wird. Heute
hat der Rechtsausschuss auf Antrag des Abgeordneten
Luczak mehrheitlich beschlossen, sich nicht mit diesem
Thema zu befassen, weil man erst einmal abwarten wolle. Man wollte also keine Debatte über die Wehrdisziplinarordnung, das Thema Strafrecht und strafrechtliche
Ermittlungen führen. Ich würde gerne Ihre Vorstellungen
zu beiden Teilen hören.
Vielen Dank. - Auch Herr de Maizière hat jetzt eine
Minute länger Zeit.
Vielleicht brauche ich sie gar nicht. - Frau Abgeordnete Künast, ich kann Ihnen bei der Aufsetzung bestimmter
Tagesordnungspunkte in Ihrem Ausschuss nicht helfen.
Das kann die Bundesregierung nicht entscheiden; das
muss der Ausschuss entscheiden.
Im Übrigen war die Verteidigungsministerin heute
wieder im Verteidigungsausschuss. Ich bin ganz sicher,
dass die Verteidigungsministerin und das Ministerium alles in ihrer Macht Stehende tun, um alle Fragen von Abgeordneten, die aus Rechtsgründen zu beantworten sind,
ordnungsgemäß zu beantworten. Manche Dinge sind allerdings von anderen Gremien zu bearbeiten - das gilt
zum Beispiel dann, wenn es um den MAD geht - oder
unterliegen anderen Rechtsvorschriften, wie es etwa bei
Ermittlungs- und Disziplinarverfahren der Fall ist.
Vielen Dank. - Frau Haßelmann.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, ich
finde, die Frage: „Befasst sich ein Rechtsausschuss mit
diesem Thema oder nicht?“ zeigt, dass die Koalitionsfraktionen die Kontrolle über die Bundesregierung an
dieser Stelle völlig aus der Hand gegeben haben. Wie
man zum jetzigen Zeitpunkt sagen kann: „Damit brauchen wir uns nicht zu befassen; es besteht kein Beratungsbedarf“, ist mir vollkommen unerklärlich.
Jetzt zu meiner Frage. Ich habe der Presse entnommen, dass sich das Bundesverteidigungsministerium im
Zusammenhang mit der Aufarbeitung des Falls Franco A.
jetzt doch mit dem Thema „Umbenennung von Kasernen“ beschäftigen will. Dieses Thema haben wir in der
letzten Legislaturperiode mehrfach angestoßen, ebenso
wie das Thema „Wehrmachtsdevotionalien in Kasernen“.
Wie erklären Sie sich eigentlich, dass dieses Thema so
lange herumlag? Sie als CDU/CSU stellen ja seit zwölf
Jahren den Verteidigungsminister. Ist Ihnen jetzt erst aufgefallen, dass wir hier eine Problematik haben, die zu
bearbeiten ist?
Frau Präsidentin, ich muss wieder fragen, ob diese
Frage der Parlamentarische Staatssekretär Brauksiepe
beantworten kann.
({0})
- Ja, in der Tat, und wir haben etliche Kasernen umbenannt und einiges auf den Weg gebracht, damit es zu Umbenennungen kommt.
({1})
Allerdings geschah das immer im Einvernehmen mit der
Kommune, Frau Abgeordnete Haßelmann. Es ist zwar
nicht von Verfassungs wegen
({2})
zwingend, aber doch der Staatspraxis entsprechend, dass
die Benennung von Kasernen im engsten Einvernehmen
mit den Kommunen zustande kommt, und Sie würden
sich wundern, wie manche Kommunen an dem Namen
ihrer Kaserne hängen.
({3})
Herr Brauksiepe, wenn Sie mögen, können Sie kurz
auf die Frage eingehen.
Ja.
Ich glaube, das macht Sinn.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin, da es
eine entsprechende Frage für die Fragestunde gegeben
hat, kann ich Ihnen ressortabgestimmt und in Ergänzung
zu dem, was der Bundesminister des Innern ausgeführt
hat, noch Folgendes dazu vortragen:
Bei Kasernenbenennungen folgt die Bundeswehr dem
bewährten Grundsatz, Namensgebungen in einem Meinungsbildungsprozess bei den betroffenen Bundeswehrangehörigen „von unten“ zu initiieren. Dies entspricht
den Grundsätzen der Inneren Führung und dem Leitbild
des mündigen Staatsbürgers in Uniform.
Im Zuge der gegenwärtigen Diskussion zum Traditionsverständnis der Bundeswehr wurde entschieden, diesen Prozess dort erneut anzustoßen, wo Kasernen nach
Personen oder anderweitig benannt sind, die nicht im
Einklang mit dem heutigen Traditionsverständnis stehen
könnten. Ziel ist es dabei, zu prüfen, ob die Benennungen der Kasernen sinnstiftend im Sinne des Traditionsverständnisses der Bundeswehr sind oder ob eine Umbenennung von Kasernen zu erfolgen hat. Es gilt daher,
bei den Bundeswehrangehörigen einen offenen Meinungsbildungsprozess anzustoßen und gemeinsam mit
den Vertretern der Kommunen in einen entsprechenden
Dialog zu treten. Der Prozess soll noch im laufenden Jahr
abgeschlossen werden.
Vielen Dank, Kollege Brauksiepe. - Der letzte Fragesteller ist Kollege Mutlu.
Frau Präsidentin, vielen Dank. - Ich habe eine Frage
zu dem neuen Fall einer verhafteten deutschen Journalistin in der Türkei. Neben Deniz Yücel sitzt seit Anfang
Mai Mesale Tolu, gebürtige Ulmerin, in der Türkei im
Gefängnis. Sie ist Journalistin und hat ausschließlich
die deutsche Staatsbürgerschaft. Insofern greift auch das
Völkerrecht.
Ich frage Sie: Was will die Bundesregierung jenseits
von Presseverlautbarungen und Bekundungen, dass sie
irritiert und verärgert ist, konkret tun, um die deutsche
Staatsbürgerin, die deutsche Journalistin, aus dem Gefängnis zu bekommen?
Herr Abgeordneter Mutlu, natürlich bestehen wir auf
vollen konsularischen Zugang, und die Gespräche laufen.
({0})
Vielen herzlichen Dank, Herr Minister. - Damit beende ich jetzt die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksachen 18/12321, 18/12352
Die Parlamentarischen Geschäftsführer und Geschäftsführerinnen haben sich darauf verständigt, dass die
später folgende Aktuelle Stunde pünktlich um 14.30 Uhr
aufgerufen werden soll. Das heißt, die heutige Fragestunde wird verkürzt. Fragen, die heute nicht live beantwortet
werden können, werden schriftlich beantwortet.
Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nummer 10 Absatz 2 der Richtlinien für die Fragestunde die
dringliche Frage 1 des Abgeordneten Andrej Hunko auf
Drucksache 18/12352 auf:
Inwiefern wird die Bundesregierung unverzüglich, als
Konsequenz aus der aus ihrer Sicht „absolut inakzeptablen“
Nichtgenehmigung des „absolut notwendigen“ Besuches
({0}) einer Delegation des Deutschen Bundestages in Incirlik
durch die türkische Regierung, den Abzug der Bundeswehr
aus Incirlik einleiten, für den bereits im letzten Jahr alternative
Standorte gesucht wurden, und welche Auswirkungen hat dies
auf die Millioneninvestitionen, die die Bundesregierung zum
Ausbau der Luftwaffenbasis Incirlik geplant hatte ({1})?
Zur Beantwortung dieser Frage aus dem Geschäftsbereich des Ministeriums der Verteidigung ist
Dr. Brauksiepe anwesend.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege, ich
antworte Ihnen wie folgt: Das Bundesministerium der
Verteidigung wird die im Dezember 2016 im Rahmen
einer Ersterkundung gewonnenen Erkenntnisse bezüglich möglicher alternativer Standorte konkretisieren und
die aktuelle Verfügbarkeit prüfen. Ein entsprechendes
Erkundungsteam verlegt dazu aktuell nach Jordanien.
Bislang wurden keine Investitionen am Standort Incirlik
getätigt, die über Maßnahmen zur Instandhaltung der genutzten Infrastruktur hinausgehen.
Vielen Dank. - Jetzt hat sich der Kollege Gehrcke gemeldet.
Gibt es nicht erst Nachfragen des Fragestellers?
Ja, ja. Es ist gut, dass Herr Brauksiepe immer darauf
achtet, dass ich keinen Fehler mache. Vielen herzlichen
Dank.
Sehr gern, Frau Präsidentin.
Ich weiß, das tun Sie gerne. - Herr Hunko, bitte.
Vielen Dank. - Es geht um die skandalöse Verweigerung des Besuchsrechts des Parlamentes am Standort in
Incirlik. Wir hören dazu von der Bundesregierung durchaus starke Worte. Sigmar Gabriel spricht von „Erpressung“, die Bundeskanzlerin etwa sagt, das sei „inakzeptabel“. - Das ist natürlich völlig richtig.
Aber wir haben gerade erfahren, dass das Thema auch
nach diesem neuen Vorfall, dass also der Verteidigungsausschuss nicht nach Incirlik fahren durfte, im Kabinett
nicht behandelt wurde. Man findet zwar starke Worte für
die deutsche Öffentlichkeit, hält aber offensichtlich am
Mandat für Incirlik fest. Nachdem wir jetzt nicht mehr
von einer Parlamentsarmee reden können, weil es kein
Besuchsrecht gibt, noch einmal die Frage: Gibt es Abzugsüberlegungen, ganz konkret und ganz unverzüglich?
http://www.tagesschau.de/incirlik-besuchsverbot-103.html
http://www.tagesschau.de/incirlik-besuchsverbot-103.html
http://www.tagesschau.de/ausland/bundeswehr-tuerkei-111.html
Herr Brauksiepe, bitte.
Herr Kollege, was das Thema der Kabinettsbefassung
angeht, wissen Sie, dass das entsprechende Bundestagsmandat durch einen Antrag der Bundesregierung, der im
Kabinett beschlossen worden ist, zustande kam.
Ich kann ansonsten nur die Ausführungen wiederholen, die ich schon gemacht habe. Es hat schon im
letzten Jahr Erkundungen gegeben. Diese werden jetzt
konkretisiert. Gerade heute hat sich ein entsprechendes
Erkundungsteam auf den Weg nach Jordanien gemacht,
um genau das zu konkretisieren, was wir bisher an Erkenntnissen gewonnen haben. Darüber hinaus bedarf es
natürlich, wenn es zu einer Verlegung käme, einer entsprechenden politischen Entscheidung. Die entsprechenden Erkundungen werden aber durchgeführt.
Herr Hunko, zweite Frage oder Rückfrage?
Ich kann mich, Herr Kollege, des Eindrucks nicht erwehren, dass hier auf Zeit gespielt wird. Dieser Zustand
besteht schon seit einem Dreivierteljahr und hat sich jetzt
noch einmal zugespitzt. Jetzt sagen Sie: Es wird ein Erkundungsteam nach Jordanien geschickt. Wir sagen: Es
ist unter diesen Bedingungen unmöglich, das Mandat
aufrechtzuerhalten.
Daran möchte ich eine Frage anschließen. Es handelt
sich nicht nur um Incirlik. Es gibt auch Bundeswehrsoldaten in Konya, wo die AWACS stationiert sind; in Incirlik sind Tornados stationiert. Sollen auch die AWACS
nach Jordanien verlegt werden? Wir reden ja nicht nur
über den einen Standort, der nicht mehr der parlamentarischen Kontrolle unterliegt, sondern über sämtliche
Standorte in der Türkei.
Herr Brauksiepe.
Herr Kollege Hunko, ich will zunächst einmal sagen:
Selbstverständlich ist und bleibt die Bundeswehr eine
Parlamentsarmee. Deswegen gibt es die von Ihnen selbst
zitierten Äußerungen der Bundesregierung. Das Stichwort „Parlamentsarmee“ bezieht sich selbstverständlich
auf alle Soldatinnen und Soldaten und auf sämtliche
mandatierten Einsätze innerhalb der Türkei und auch auf
Einsätze in anderen Gebieten, für die wir mit unseren
Soldatinnen und Soldaten mandatiert sind.
Danke schön. - Nächster Fragesteller: Wolfgang
Gehrcke.
Danke sehr, Frau Präsidentin. - Parlamentsarmee bedeutet, dass das Parlament Soldatinnen und Soldaten entsenden kann, was es leider fast immer tut, aber nach § 8
des Parlamentsbeteiligungsgesetzes auch zurückholen
kann. Wenn im Bundestag eine Initiative von mindestens
zwei Fraktionen gestartet würde, die deutschen Soldaten
aus Incirlik sofort zurückzuholen: Wäre die Bundesregierung bereit, dies öffentlich zu unterstützen, oder wäre
dies nicht der Fall?
Herr Kollege Gehrcke, die Bundesregierung hält in
Übereinstimmung mit der großen Mehrheit des Deutschen Bundestages den Kampf gegen den Terror des
sogenannten „Islamischen Staates“ für sinnvoll und notwendig und findet es richtig, dass sich die Bundeswehr
an diesem Kampf beteiligt.
({0})
Dafür sind unsere Soldatinnen und Soldaten mandatiert.
Wenn es andere Mehrheitsverhältnisse gäbe, würden
die natürlich auch zur Geltung kommen. Aber diese Frage stellt sich für die Bundesregierung nicht. Wir haben
ein Mandat. Das hat der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit beschlossen. Dieses Mandat halten wir für
sinnvoll.
Vielen Dank. - Jetzt folgt die Kollegin Hänsel.
Danke schön. - Herr Staatssekretär, ich habe noch
eine Nachfrage. Es ist geplant, die Infrastruktur in Incirlik auszubauen. Sie haben eben gesagt, es seien da noch
keine Gelder geflossen. Stimmt das? Wie viel genau ist
bisher für den Ausbau in Incirlik geflossen? Wie viel ist
geplant? Und werden Sie es stornieren, oder läuft es jetzt
mit den Haushaltsplanungen einfach so weiter, dass das
Geld zur Verfügung steht und weiterhin Incirlik mit eingeplant wird?
Herr Brauksiepe.
Frau Kollegin, ich wiederhole meine Äußerung, dass
keine Investitionen getätigt worden sind, die über Maßnahmen zur Instandhaltung der genutzten Infrastruktur
hinausgehen. Das ist nichts, was ich als einen Ausbau
bezeichnen würde.
Es gibt kein Infrastrukturprotokoll. Es hat in der Tat
Planungen gegeben, was den Ausbau der Infrastruktur
angeht. Die bedürften aber natürlich der Zustimmung der
türkischen Seite. Dazu müsste ein Infrastrukturprotokoll
unterzeichnet werden. Dies ist von türkischer Seite bisher nicht erfolgt.
({0})
Es gibt Behelfslösungen im Bereich der Infrastruktur, die
zurzeit dazu beitragen, dass wir mit der Situation, die wir
dort haben, leben können, was die Bedingungen für unseren Einsatz angeht, wie es überhaupt so ist, dass aus militärischer Sicht der Standort Incirlik vorzugswürdig ist.
Danke schön. - Dann Kollege Jürgen Trittin, bitte.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Brauksiepe, ich stelle
zunächst einmal fest, dass Sie den Bundestag unvollständiger unterrichten als die Presse. Ich habe heute Morgen
schon in einem öffentlich-rechtlichen Radiosender gehört, dass auf das erste Vorauskommando nach Jordanien
ein zweites folgen wird, das von der Oberkommandierenden, Frau von der Leyen, angeführt wird. Das hätten
Sie bei dieser Gelegenheit hier auch erwähnen können.
Die Frage, die ich aber eigentlich habe, ist: Sind diese Vorauskommandos überhaupt nötig? Wäre es vor
dem Hintergrund der fehlenden verfassungsrechtlichen
Grundlagen für diesen Einsatz, der eben nicht in einem
System kollektiver Sicherheit stattfindet, was Voraussetzung nach dem Bundesverfassungsgericht ist, nicht
klüger, die Soldatinnen und Soldaten dort einfach abzuziehen, statt sich nach Alternativstandorten umzusehen?
({0})
Herr Brauksiepe, bitte.
Herr Kollege Trittin, die Bundesregierung ist der
Auffassung, dass dieser Einsatz nicht nur politisch sinnvoll und notwendig ist, sondern selbstverständlich auch
verfassungskonform ist. Das haben wir auch in anderen
Zusammenhängen, nämlich bei der Begründung des
Mandats wie auch bei der jeweiligen Verlängerung, hinlänglich diskutiert. Dazu kann man selbstverständlich
verschiedene Auffassungen haben. Wer über die Verfassungsgemäßheit eines Einsatzes, eines Gesetzes oder Beschlusses in unserem Rechtsstaat zu entscheiden hat, ist
bekannt. Es gibt keine Entscheidungen von zuständiger
Stelle, die die Verfassungskonformität des Einsatzes infrage stellen.
Ich habe darüber hinaus im Übrigen niemanden von
der Presse über irgendetwas in diesem Zusammenhang
informiert. Und erlauben Sie mir den Hinweis: Die Frau
Bundesministerin der Verteidigung ist kein Vorauskommando,
({0})
sondern sie wird in den nächsten Tagen planmäßig einen
Besuch in Jordanien durchführen, meines Wissens auch
nicht ihren ersten. Sie ist nicht als Vorauskommando dort.
Vielen Dank. - Dann hat sich noch Katja Keul gemeldet.
Der Kollege Trittin hat ja gerade noch einmal in Erinnerung gerufen, dass wir diesem Mandat aufgrund seiner
Verfassungswidrigkeit ohnehin nicht zugestimmt haben.
Inzwischen gibt es aber auch Veränderungen - unter anderem die Eskalation in den Beziehungen zur Türkei -,
sodass ich Sie an der Stelle fragen möchte, ob die Bundesregierung das Mandat als solches vor dem Hintergrund der Entwicklungen nicht auch sicherheitspolitisch
anders bewertet. Wir haben ja sowohl Probleme mit dem
Bündnispartner Türkei, müssen aber auch feststellen,
dass der Bündnispartner USA offensichtlich seine Richtlinien geändert hat. Außerdem sind inzwischen seit März
wöchentlich ungefähr 30 tote Zivilisten durch unser eigenes Bündnis zu beklagen. Kommt also die Bundesregierung selbst vor diesem Hintergrund nicht auch zu einer
Neubewertung dieses Einsatzes?
Frau Kollegin, Sie haben zu diesem Sachverhalt ja
schon in vielerlei Zusammenhängen Fragen gestellt, die
ich Ihnen auch beantwortet habe. Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Es gehört leider offenkundig zur Strategie des sogenannten „Islamischen Staates“, Zivilisten
in die Auseinandersetzung hineinzuziehen und auch zivile Opfer in Kauf zu nehmen. Die Koalition, die dort
im Rahmen der Operation Inherent Resolve tätig ist, tut
alles ihr Mögliche, um zivile Opfer zu vermeiden.
Erlauben Sie mir darüber hinaus - ich selbst bin ja
auch Abgeordneter und glaube, die Zuständigkeiten von
Abgeordneten einigermaßen zu kennen -, anzumerken,
dass ich es doch sehr kühn finde, dass Sie meinen, hier
en passant die Verfassungswidrigkeit eines solchen Einsatzes feststellen zu können. Ich bin froh, dass wir ein
Bundesverfassungsgericht haben, das sich zuständigkeitshalber mit Fragen der Verfassungswidrigkeit oder
Verfassungsmäßigkeit von Beschlüssen des Deutschen
Bundestages beschäftigt.
({0})
- Sie haben hier keine Rechtsauffassung geäußert, sondern Sie haben so getan, als sei das, was Sie hier gesagt
haben, eine Tatsache.
({1})
- Sie können im Protokoll nachlesen, was Sie gesagt haben.
({2})
Vielen Dank. - Jetzt hat noch Hubertus Zdebel das
Wort.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Brauksiepe, ich
habe eine Nachfrage, weil mir das bei Ihren Ausführungen noch nicht ganz klar geworden ist. Beziehen sich
denn jetzt die Verlegungspläne außer auf Incirlik, wo ja
die Tornados stationiert sind, auch auf Konya, wo die
AWACS-Flugzeuge stationiert sind? Vielleicht könnten
Sie dazu noch einige Ausführungen machen.
Herr Brauksiepe, bitte.
Nach dem, was mir bekannt ist, ging es sowohl bei der
schon vor Monaten durchgeführten Ersterkundung als
auch bei der jetzigen Konkretisierung der gewonnenen
Erkenntnisse darum, mögliche Alternativen zum Standort Incirlik zu erkunden. In diesem Zusammenhang hatte
ich schon gesagt - das wiederhole ich gerne noch einmal -, dass aus militärischer Sicht Incirlik ein sinnvoller
Standort ist. Gleichwohl geht es bei den Erkundungen
um Alternativen zum Standort Incirlik. Andere Fragen
stellen sich für die Bundesregierung in diesem Zusammenhang jetzt nicht.
Es geht ja nun darum, dass der Verteidigungsausschuss
einen Besuch in Incirlik geplant hat. Es hatten auch schon
andere - ich könnte ein paar Geschichten darüber erzählen - in der Vergangenheit Besuche in Incirlik geplant,
die nicht stattgefunden haben. Aber selbstverständlich
wiederhole ich auch gerne, dass wir unabhängig von Incirlik erwarten, dass Parlamentarier Bundeswehrsoldaten
an jedem Standort, an dem sie mandatierterweise im Einsatz sind, besuchen können.
Vielen Dank. - Nachdem die dringliche Frage beantwortet worden ist, rufe ich jetzt die Fragen auf Drucksache 18/12321 in der üblichen Reihenfolge auf.
Ich möchte noch Folgendes sagen: Um 14.30 Uhr
wird die Fragestunde beendet. Dann fangen wir nämlich
mit der Aktuellen Stunde an.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Ich begrüße Florian Pronold, der die Fragen beantworten wird.
Ich rufe Frage 1 des Abgeordneten Hubertus Zdebel
auf:
Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass ein
für die Steuerung der BGE mbH zuständiger Abteilungsleiter
in der Zentralabteilung des Bundesministeriums für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({0}) ({1}) gleichzeitig Geschäftsführer der als Betreiber für Endlager zuständigen BGE mbH ({2}) und außerdem
noch für das BMUB Mitglied im Kuratorium der Stiftung
„Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“
ist ({3}), und wann beabsichtigt die Bundesregierung, diese Verbindung zu beenden?
Die Frage bezieht sich auf eine mögliche Interessenkollision des Leiters der Zentralabteilung unseres Ministeriums, der zugleich für die Steuerung der Bundesgesellschaft für Endlagerung zuständig und im Kuratorium
der Stiftung „Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“ ist.
Die Steuerung der BGE mbH erfolgt innerhalb des
Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit nicht allein durch die Zentralabteilung,
sondern in Zusammenarbeit mit der fachlich zuständigen
Abteilung für Reaktorsicherheit.
Der Aufbau der BGE mbH erfordert eine sehr intensive und enge Zusammenarbeit zwischen dem Bundesumweltministerium als beteiligungsführendes Ressort und
der BGE-Geschäftsführung. Die in der Fragestellung
angesprochene personelle Verzahnung ist insoweit unter Effizienz- und Wirtschaftlichkeitsaspekten besonders
förderlich und sinnvoll. Es handelt sich um einen außerordentlich komplexen und umfangreichen Umstrukturierungsprozess, der erfordert, dass die beteiligten Akteure
besonders eng kooperieren, um Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Sozialverträglichkeit der Maßnahmen sicherzustellen.
Die Stiftung „Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“ hat die alleinige Aufgabe, die von den
KKW-Betreibern einzubringenden Geldbeträge sicher
und gewinnbringend anzulegen. Aus dieser Zielsetzung
ergibt sich, dass eine Interessenvermischung im vorliegenden Fall nicht vorhanden sein kann, da ein Sachoder Interessenzusammenhang mit den Aufgaben eines
BGE-Geschäftsführers nicht ersichtlich ist.
Maßgebliche Kriterien für die Bestellung der Kuratoriumsmitglieder sind Sachkunde und Berufserfahrung in
den Bereichen Finanzen und Wirtschaftlichkeitskontrolle. Vor diesem Hintergrund besteht in der Aufbauphase
der BGE mbH keine Veranlassung, eine Beendigung der
gewählten Konstellation in Betracht zu ziehen.
Vielen Dank, Florian Pronold. - Herr Zdebel, bitte.
http://www.bmub.bund.de/fileadmin/Daten_BMU/Organigramme/organigramm_bf.pdf
http://www.bmub.bund.de/fileadmin/Daten_BMU/Organigramme/organigramm_bf.pdf
http://www.bmub.bund.de/fileadmin/Daten_BMU/Organigramme/organigramm_bf.pdf
https://www.bge.de/de/bge/geschaeftsfuehrung/
https://www.bge.de/de/bge/geschaeftsfuehrung/
http://www.politik-kommunikation.de/personalwechsel/heinen-esser-seeba-und-lennartz-sind-geschaeftsfuehrer-der-bge-687641419
http://www.politik-kommunikation.de/personalwechsel/heinen-esser-seeba-und-lennartz-sind-geschaeftsfuehrer-der-bge-687641419
http://www.politik-kommunikation.de/personalwechsel/heinen-esser-seeba-und-lennartz-sind-geschaeftsfuehrer-der-bge-687641419
http://www.energate-messenger.de/news/173416/kuratorium-des-fonds-zur-atomaren-entsorgung-steht
http://www.energate-messenger.de/news/173416/kuratorium-des-fonds-zur-atomaren-entsorgung-steht
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär
Pronold, zuerst einmal herzlichen Dank für Ihre Ausführungen. Diese sind jedoch für mich nicht nachvollziehbar. Wenn man sich alles vor Augen führt, dann stellt man
fest, dass es einer Aufteilung in unterschiedliche Institutionen, was die Atommüllendlagerung angeht, gar nicht
bedurft hätte. Es kann doch nicht sein, dass jemand, der
in der Zentralabteilung des BMUB tätig ist, gleichzeitig
Geschäftsführer der BGE ist und damit quasi sich selber
Aufträge erteilt bzw. sich selber kontrolliert. Die Frage
betreffend das Kuratorium lasse ich ausdrücklich außen
vor, weil diese nicht so relevant ist. Aber bei dem erstgenannten Sachverhalt gibt es meines Erachtens zumindest
die Möglichkeit von Interessenverquickungen.
Von daher noch einmal meine Frage an Sie: Wann
wollen Sie diese Doppelfunktion bzw. - genau genommen - Dreifachfunktion endgültig beenden? Ich könnte
noch verstehen, dass das für die Anfangsphase nötig gewesen wäre. Aber nach einer bestimmten Frist, zumindest nach einem halben Jahr, stellt sich der Sachverhalt
doch ganz anders dar, und das wirft Fragen auf.
Herr Pronold.
Ich will das gerne noch einmal präzisieren. Die entscheidende Frage lautet: Ist eine solche Doppelfunktion,
wie sie unzweifelhaft besteht, notwendig, oder hat sie
rechtlich problematische Interessenkollisionen zur Folge? Generell kann man das nicht beantworten. Vielmehr
muss immer der Einzelfall beurteilt werden.
Die Doppelfunktion hier dient ja dem notwendigen
Wissenstransfer in der Aufbauphase von Behörden und
der Unternehmensstrukturierung und kann sehr nützlich
sein. So war zum Beispiel von August 2016 bis April 2017
im Endlagerbereich der Präsident des Bundesamtes für
kerntechnische Entsorgungssicherheit gleichzeitig Leiter
des Bundesamtes für Strahlenschutz. Hier gab es also
auch für eine gewisse Zeit eine Doppelfunktion in einem
Umstrukturierungsprozess - und zwar unter Aufsicht des
Ministeriums -, um das Ganze zügig und effizient zu regeln. Ebenfalls eine Doppelfunktion hat der langjährige
Geschäftsführer der Asse-GmbH in der Gründungs- und
Aufbauphase inne, der nun gleichzeitig Geschäftsführer
der bereits angesprochenen BGE mbH ist. Sie haben sicherlich bemerkt, dass ich hierbei das Wort „Aufbauphase“ betont habe. Wenn die Zusammenführung der verschiedenen Institutionen, die momentan noch aufgeteilt
sind, in einer Gesellschaft abgeschlossen ist, stellt sich
selbstverständlich die Frage nach solchen Doppelfunktionen neu und wird auch neu bewertet werden.
Danke schön. - Herr Zdebel.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Das macht mir es
auf jeden Fall klarer, wie das tendenziell laufen soll. Die
Betonung liegt dann in der Tat darauf, diese Doppelfunktion zu beenden. Ansonsten würde sich vor diesem
Hintergrund auch noch einmal die Frage stellen, wie Sie
eigentlich Vertrauen in den neuen Endlagersuchprozess
aufbauen wollen. Sie wissen ja, dass da sehr viel Vertrauen in den vergangenen Jahrzehnten verloren gegangen
ist - ich nenne insbesondere das Stichwort „Gorleben“ -,
und Sie können sich sicherlich vorstellen, dass, wenn solche Doppel- und Dreifachfunktionen bekannt werden, es
gerade in der Öffentlichkeit viele Fragen aufwirft.
Deswegen sehr konkret: In welcher zeitlichen Schiene halten Sie es denn für möglich, diese Doppelfunktion
bzw. - sagen wir es besser so - die personellen Unschärfen an dieser Stelle zu beenden?
Herr Pronold.
Gemäß dem Atomgesetz und der bereits umgesetzten
Beschlüsse der Endlagerkommission ist die Verschmelzung der BGE mbH mit den beiden anderen im Endlagerbereich bestehenden Unternehmen vorgesehen, nämlich
der DBE mbH und der Asse-GmbH. Die Unternehmensfusion wird bis spätestens zum 31. Dezember dieses Jahres erfolgen. Damit sind dann die wesentlichen Strukturveränderungen im Endlagerbereich abgeschlossen.
Der Zeitpunkt dieser Verschmelzung wird, wie ich Ihnen
vorher schon gesagt habe, auch zum Anlass genommen,
die gegenwärtig aus guten Gründen bestehenden Doppelfunktionen zu überprüfen.
Vielen Dank, Herr Pronold. - Als Fragestellerin habe
ich Sylvia Kotting-Uhl.
Die Fraktion Die Linke hat ja die Empfehlungen der
Endlagerkommission, in denen auch diese neue Behördenstruktur enthalten war, abgelehnt - anders als wir
Grüne. Wir waren aktiv daran beteiligt, gerade auch bei
der Neuordnung der Behördenstruktur dafür zu werben, dass die neu zu gründende BGE unter dem Dach
des Bundesumweltministeriums bleibt und nicht, was
ein Ansinnen von Teilen der Kommission war, unter das
Dach des Bundeswirtschaftsministeriums kommt. Wir
haben nämlich gesagt: Im Bundesumweltministerium ist
Kompetenz, Know-how und langjährige Erfahrung mit
dieser Thematik vorhanden, und da muss die Zuständigkeit auch bleiben. Aber der Forderung, dem Trennungsgrundsatz stärker zu folgen - es wurde ja immer als Gegenargument angeführt, dass es eine klarere Trennung
gebe, wenn die BGE in das Wirtschaftsministerium eingegliedert würde -, geben Sie jetzt Aufwind, wenn Sie
solch ein Konstrukt wie das, das Sie jetzt mit dieser Personalie haben, über Gebühr strapazieren.
Sie haben jetzt einige Male gesagt, dass, wenn die
Aufbauphase beendet sei, dies überprüft werde. Das halte
ich, gelinde gesagt, als öffentliche Botschaft für zu wenig; das gilt natürlich erst recht für das tatsächliche Tun.
Ich finde, Sie sollten nicht sagen, dass überprüft werde,
weil die Überprüfung nicht zu dem Ergebnis kommen
darf, dass man das so belässt, wenn die Endlagersuche
beginnt; denn dann bekommen wir in der Tat Schwierigkeiten und gefährden sowohl das Vertrauen, das Hubertus
Zdebel angesprochen hat, als auch die Einhaltung des
Trennungsgrundsatzes.
Deshalb frage ich Sie, ob nicht auch Sie persönlich
sich dafür einsetzen wollen, dass es nicht bei einer Überprüfung bleibt, sondern dass ganz klar schon jetzt das
Ziel vorgegeben wird, diese Doppelfunktion zu beenden.
Es sollten wie auch im Fall des früheren Geschäftsführers der Asse-GmbH, der ja nicht mehr Geschäftsführer
der Asse-GmbH ist, weil diese in die BGE übergegangen ist, die anderen Geschäftsführer keine Tätigkeiten im
weiteren Bereich des Bundesumweltministeriums oder
bei nachgeordneten Behörden ausüben.
Herr Pronold, bitte.
Ich habe bei der Frage von Herrn Zdebel auch durch
Verweise auf Beispiele in anderen Fällen deutlich gemacht, dass das nach einer Zusammenführungsphase überprüft wird. Die Überprüfung führt im Regelfall
dazu - so ist auch mein Verständnis -, dass es zur Beendigung solcher Doppelfunktionen kommt.
Wir alle sind schon sehr lange dabei und wissen, dass
man mit hundertprozentiger Sicherheit nie etwas sagen
kann. Aber es ist mit sehr großer Sicherheit auch unser
Bestreben als BMUB, das Vertrauen, das sehr schwer in
diesem Bereich insgesamt zu erringen und zu erhalten ist,
durch nichts zu gefährden.
Vielen Dank.
Wir kommen zur Frage 2 der Kollegin Sylvia KottingUhl:
Wird sich die Bundesregierung und insbesondere Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel gegenüber dem neuen französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron kurzfristig für
eine möglichst schnelle Abschaltung der grenznahen französischen Atomkraftwerke Cattenom und Fessenheim einsetzen?
Herr Pronold, bitte.
Die Bundesregierung steht mit der französischen Regierung zur gesamten Bandbreite grenzüberschreitender
Fragen in regelmäßigem Austausch. Die Bundesregierung wird sich weiterhin in geeigneter Art und Weise für
eine möglichst zeitnahe Stilllegung des Atomkraftwerks
Fessenheim einsetzen, wie sie der bisherige französische
Staatspräsident Hollande angekündigt hatte.
Selbstverständlich bezieht sich das auch auf Ihre Frage bezüglich Cattenom. Sie wissen, wie schwierig diese Fragen in den internationalen Beziehungen sind. Von
französischer Seite hat es bisher allerdings noch keine
Äußerungen dazu gegeben, ob es zu einer vorzeitigen
Stilllegung von Cattenom kommen könnte.
Frau Kotting-Uhl.
Danke schön für die Antwort. - Es gibt bei Cattenom
immerhin fast gleichlautende Defizite. Aber das ist nicht
die Basis für meine Nachfrage. Sie bezieht sich vielmehr
darauf, dass ich ausdrücklich gefragt hatte, ob sich auch
die Bundeskanzlerin einsetzen wird.
Den ersten Teil Ihrer Antwort habe ich schon einmal
als Antwort bekommen: sehr weit in allen Fragen usw.,
grenzüberschreitende Gefahren von Atomkraftwerken.
Das ist nicht meine Frage. Meine Frage habe ich vor dem
Hintergrund der Tatsache gestellt, dass sich die Bundeskanzlerin im Jahr 2014 bei einer Klausur des rheinland-pfälzischen Landesverbandes der CDU dahin gehend geäußert hat, dass sie sich persönlich - damals noch
mit Hollande - dafür einsetzen wird, dass - in diesem
Fall Cattenom - vom Netz genommen wird.
Ich muss sagen, ich finde es schon, gelinde gesagt, respektlos, dass bei einer CDU-Klausurtagung etwas verkündet werden kann, was via Pressemitteilung auch in
der Öffentlichkeit landet, während ich als Vertreterin des
Parlamentes und meiner Fraktion hier immer kurzgehalten werde und keine Auskunft darüber bekomme, was die
Kanzlerin denn nun eigentlich zu tun gedenkt. Deswegen
frage ich Sie noch einmal explizit - ich habe nicht allgemein nach der Bundesregierung gefragt; dass die Bundesumweltministerin sich dafür einsetzt, weiß ich -: Was
wird die Bundeskanzlerin tun?
Herr Pronold, bitte.
Wenn ich das richtig sehe, war diese Frage bereits
Gegenstand der Beantwortung durch meine Kollegin am
28. April und auch später im Mai. Es geht also um die
Frage, was hier von vertraulichen Gesprächen kommuniziert werden kann. Ich kann Ihnen keine andere Antwort
zu dem, was die Bundeskanzlerin besprochen hat oder
nicht, geben, als meine Kollegin sie beim letzten Mal gegeben hat.
Vielen Dank, Herr Pronold. - Rückfrage? Bitte eine
Minute.
Ja, Frau Präsidentin, eine zweite Nachfrage. - Trotzdem erlaube ich mir noch einmal die Bemerkung: Es ist
eine Respektlosigkeit dem Parlament gegenüber, einen
fraglichen Punkt öffentlich anzugehen und dem Parlament die Antwort zu verweigern.
Jetzt möchte ich gerne zum Hochwasserschutz von
Fessenheim und zum Nichtwissen, diesmal des Bundesumweltministeriums, nachfragen. Es ist ja so, dass
die internationalen Standards, auch von WENRA zum
Beispiel, besagen: Ein Atomkraftwerk muss einem sogenannten 10 000-jährigen Hochwasser standhalten. Fessenheim ist nur gegen ein 1 000-jähriges Hochwasser
plus einem Zuschlag in Höhe von 15 Prozent ausgelegt.
Ich frage Sie jetzt - in der schriftlichen Kleinen Anfrage haben Sie mir geantwortet: „keine Ahnung“ -, wie
Fessenheim in diesem Punkt genau ausgelegt ist? Wissen
Sie, was dieser Zuschlag in Höhe von 15 Prozent genau
bedeutet? Wenn es eine andere Aussage als „Es hält dem
10 000-jährigen Hochwasser stand“ ist, ist anzunehmen,
dass es die Standards nicht ganz erreicht. Wissen Sie da
denn Genaueres? Sie müssten doch über so eine elementare Sicherheitsfrage bei diesem Reaktor direkt an unserer Grenze Bescheid wissen.
Herr Pronold, bitte.
Ich kann Ihnen diese Frage so explizit jetzt nicht
beantworten. Ich würde Sie darum bitten, dass ich das
schriftlich nachreichen kann. Wir haben das ja auch öfter
im Ausschuss bei sehr intensiven Beratungen. Sie wissen, dass wir von der gemeinsamen Kommission, die es
dazu gibt, ständig Informationen bekommen und dass wir
auch über alle sicherheitsrelevanten Aspekte direkt informiert werden. Jüngst hat auch die Bundesumweltministerin gemeinsam mit ihrem Kollegen aus Luxemburg noch
einmal an die französische Regierung die Frage gestellt,
wie weit der Prozess bezogen auf die Überprüfung nach
den Post-Fukushima-Stresstests fortgeschritten ist. Auch
bei diesem Punkt ist es wichtig, dass wir schnell die richtigen Informationen erhalten. Ich glaube aber, das betrifft
Cattenom und nicht Fessenheim.
Ich würde Sie bitten, zu akzeptieren, dass ich, um Ihnen eine wirklich präzise und qualifizierte Aussage zu
liefern, die Antwort schriftlich nachreiche.
({0})
Vielen Dank, Herr Pronold, auch für die Zusage, das
schriftlich nachzureichen. - Dann gebe ich das Wort
Corinna Rüffer für eine weitere Zusatzfrage.
Herzlichen Dank, dass auch ich die Gelegenheit habe,
dazu eine Frage zu stellen. - Ich komme aus einer Gegend, die wenige Kilometer vom Atomkraftwerk Cattenom entfernt liegt. Das heißt, wenn es da zum GAU
kommen würde, dann wären wir erster Hand betroffen.
Das macht den Menschen Angst. Wir hatten gerade in
den letzten Monaten einen Störfall nach dem anderen zu
verzeichnen. Wir haben als Fraktion eine Anfrage zum
Thema „Sicherheitsstand Cattenom“ gestellt. Wir haben
von Ihnen die Antwort bekommen, dass das Atomkraftwerk zum Beispiel gegen Flugzeugabstürze nicht ausreichend gesichert ist. Nun lesen wir heute in der Stuttgarter
Zeitung, dass die Bundesumweltministerin Emmanuel
Macron auffordert, das Atomkraftwerk Fessenheim zu
schließen. Gleiches müsste ja für Cattenom gelten. Ist
damit zu rechnen, dass die Bundesregierung in Richtung
Schließung von Cattenom genauso aktiv wird, und wenn
nein, wo liegt der Unterschied? Warum fordern Sie das
eine und unterlassen das andere?
Herr Pronold.
Wir führen diese Debatte sehr oft. Sie wissen, dass wir
uns in der Frage der Sicherheitseinschätzung allein auf
die jeweils zuständige Behörde des Landes stützen müssen und dass wir in die entsprechenden Gremien vielfältige bilaterale Kontakte haben.
Wir sehen bei der neuen französischen Regierung,
soweit es uns bekannt ist, in diesem Bereich keine wesentliche Änderung gegenüber der bisherigen Linie der
französischen Politik. Es besteht die Absicht, Fessenheim schneller stillzulegen - mit all den Schwierigkeiten, die sich vor Ort übrigens noch auftun; der Ausstieg
dürfte länger dauern als angekündigt. Bei Cattenom besteht diese nicht. Wir haben aufgrund der Meldungen aus
den Gremien, die ständig über Sicherheitsfragen beraten,
keinen Anlass, anzunehmen, dort von einer großen Sicherheitsgefahr auszugehen.
Position der Bundesregierung ist allerdings, nicht
nur in Deutschland, sondern möglichst in Europa und
weltweit so schnell wie möglich den Atomausstieg zu
vollziehen, weil die Atomkraft eine nicht beherrschbare
Technologie ist. In diesem Sinne wird die Bundesumweltministerin weiterhin gegenüber Frankreich agieren.
Vielen Dank, Herr Pronold. - Dann kommen wir zur
Frage 3 - Kollegin Sylvia Kotting-Uhl hat sie gestellt -:
Wird sich die Bundesregierung mit Verweis auf Artikel 3
Absatz 7 der Espoo-Konvention und die UVP-Richtlinie
({0}) um eine Beteiligung bei den grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfungen bezüglich der Laufzeitverlängerungen für die ukrainischen Atomkraftwerke
({1}) Südukraine und Saporischschja bemühen, und welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den derzeitigen
Stand bei der nachzuholenden Umweltverträglichkeitsprüfung
beim AKW-Neubauprojekt Hinkley Point C?
Herr Pronold, bitte.
Bundesumweltministerin Dr. Hendricks hat den ukrainischen Minister bereits 2015 sowohl für das Projekt
am Standort Riwne als auch für andere geplante Projekte
zur Verlängerung der Laufzeit ukrainischer AKWs aus
Gründen der Umweltvorsorge, gegebenenfalls auch auf
freiwilliger Basis, um die Durchführung von grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfungen gebeten.
In seiner Antwort verwies der ukrainische Umweltminister auf den Einzelfallcharakter der Entscheidung zu den
Reaktoren Riwne 1 und Riwne 2 und lehnte eine allgemeine Anwendbarkeit der Espoo-Konvention bei Laufzeitverlängerungen ab.
Über die Laufzeitverlängerung der AKW Südukraine,
Chmelnyzkyj Saporischschja ist ein Prüfungsverfahren
vor dem Implementation Committee der Espoo-Konvention anhängig. Die Bundesregierung wird mit Blick auf
den bereits erfolgten Schriftwechsel das Ergebnis des
Committee abwarten und sodann über das weitere Vorgehen entscheiden.
Zum Stand betreffend Hinkley Point C: Entsprechend
der Empfehlung des Espoo Implementation Committee
hat das Vereinigte Königreich allen Staaten, so auch der
deutschen Espoo-Kontaktstelle, die Frage gestellt, ob
zum jetzigen Zeitpunkt eine Notifizierung für das geplante neue AKW Hinkley Point C angesichts des Verfahrensstandes noch für sinnvoll gehalten wird.
Unter Berücksichtigung auch der eingegangenen
positiven Rückmeldungen aus einigen Bundesländern,
welche die für die Durchführung des grenzüberschreitenden UVP-Verfahrens zuständigen Behörden sind, hat
das Bundesumweltministerium der zuständigen Behörde
des Vereinigten Königreichs geantwortet, dass Deutschland eine Notifizierung zum jetzigen Verfahrensstand für
sinnvoll hält. Die zuständige Behörde aus Großbritannien führt derzeit mit den Staaten, die bejahend auf das
Schreiben geantwortet haben, Treffen durch. Das Treffen
mit Deutschland zu dieser Frage hat in der vergangenen
Woche stattgefunden. Nach Abschluss aller Treffen, also
auch der mit anderen Ländern, wird die zuständige britische Behörde einen Vorschlag zum weiteren Vorgehen
unterbreiten, mit dem wir uns dann auseinandersetzen
können.
Frau Kotting-Uhl.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Bei beiden Frageteilen freut mich die Antwort. Ich will gern ein Lob für
diese Aktivitäten aussprechen.
Sie wissen vielleicht, dass die Espoo-Konvention aufgrund meiner Beschwerde entschieden hat, dass Großbritannien eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung nachzuholen hat. Die macht allerdings
nur dann Sinn, wenn die Arbeiten unterbrochen werden.
Das empfiehlt die Espoo-Konvention. Wissen Sie darüber Bescheid, ob diese Arbeiten bei Hinkley Point C
unterbrochen worden sind oder ob geplant ist, sie zu unterbrechen?
Herr Pronold.
Zu diesem Punkt kann ich Ihnen aktuell keine Auskunft geben; mir liegen dazu keine Informationen vor.
Aber ich gehe davon aus, dass diese Frage behandelt
wird, wenn die Gespräche mit den anderen Ländern abgeschlossen sind und sich die zuständige britische Behörde entsprechend äußert; dann wird das sicher noch
einmal aufgegriffen.
Ich biete Ihnen aber auch zu diesem Punkt an, dass
ich dem noch einmal konkret nachgehe und Ihnen das
schriftlich nachreiche.
Vielen Dank. - Frau Kotting-Uhl.
Weil die Umweltverträglichkeitsprüfung wirklich keinen Sinn mehr macht - das ist ja das Ziel von Großbritannien -, wenn die Bauarbeiten weitergehen, ist meine Bitte an Sie, dass die Bundesregierung sich dafür einsetzt,
die Bauarbeiten zu stoppen.
Danke schön.
Vielen Dank.
Die Fragen 4 und 5 der Abgeordneten Christian Kühn
und Katrin Kunert werden schriftlich beantwortet.
Dann kommen wir jetzt zur Frage 6 der Kollegin
Dr. Julia Verlinden - das ist die letzte Frage, die ich aufrufen werde -:
Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung die Klimabilanz des in Deutschland geförderten Erdgases im Vergleich zu
dem in den Niederlanden, Norwegen und Russland geförderten Erdgas, und welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um die Treibhausgasemissionen zu verringern, vor dem
Hintergrund, dass eine Studie der DBI Gas- und Umwelttechnik GmbH bei dem in Deutschland produzierten Erdgas deutlich höhere Emissionen feststellt als bei dem in Norwegen und
den Niederlanden produzierten (vergleiche Tabelle 18 bzw. Anlage 19 ff.: https://www.zukunft-erdgas.info/fileadmin/
//www.zukunft-erdgas.info/fileadmin/public/PDF/Politischer_Rahmen/dbi-bericht-kritische-ueberpruefung-treibhausgasvorkette-erdgas.pdf public/PDF/Politischer_Rahmen/dbi-bericht-kritische-ueberpruefung-treibhausgasvorkette-erdgas.pdf)?
Kollege Pronold gibt die Antwort.
Es tut mir leid.
Was tut Ihnen leid?
Bei mir war die Information angekommen, dass die
Fragen 4, 5 und 6 schriftlich beantwortet werden.
Die Fragestellerin ist leibhaftig da; also wird die Frage
nicht schriftlich beantwortet.
Das ist in Ordnung. Ich wollte das nur vorwegschicken und würde die Frage deshalb noch einmal vorlesen.
Sie brauchen die Frage einfach nur zu beantworten.
Gut.
Der Bundesregierung liegen Informationen über die
durch die deutsche Erdgasförderung verursachten Treibhausgasemissionen vor. Im Rahmen der internationalen
Berichterstattungspflichten werden diese sowohl an die
Einrichtungen der UN-Klimarahmenkonvention als auch
an die entsprechenden europäischen Gremien berichtet.
Deutschland hat im Jahr 2014 rund 9,1 Milliarden Kubikmeter Erdgas gefördert. Dies waren rund 9 Prozent
des inländischen Bedarfs. Die mit dieser Förderung und
dem Erdgastransport verursachten Methanemissionen
betrugen 194 Kilotonnen. Dies entspricht einer Äquivalentemission von etwa 4,8 Millionen Tonnen CO2 bzw.
etwas mehr als 0,5 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen in Deutschland. Bei der Verwertung von Erdgas treten im Grunde keine Methanemissionen auf, da
die Verwertung fast ausschließlich über Verbrennungsprozesse erfolgt. Der im Methan enthaltene Kohlenstoff
wird nach nahezu vollständiger Verbrennung als Kohlendioxid freigesetzt.
Über die mit dem Erdgasimport verbundenen Emissionen in den jeweiligen Erzeugerländern können detaillierte Angaben nicht gemacht werden, da deren Monitoring in die Verantwortung der Erzeugerländer fällt bzw.
erforderliche technologische, prozessbezogene und qualitative Grundlageninformationen der Bundesregierung
im Einzelnen nicht bekannt sind. Die Bundesregierung
macht sich Angaben aus Studien Dritter grundsätzlich
nicht zu eigen.
Festzuhalten ist, dass die Emissionen bei der Erdgasförderung abhängig von der unmittelbaren Förderquelle
bzw. deren Eigenschaften, der Fördertechnik und der
Transportlänge sind. Bezüglich der Erdgasförderung und
der Erdgasnutzung geht die Bundesregierung aber auf
Basis einer ganzen Reihe von Studien davon aus, dass
die Klimabilanz von Erdgas auch unter Berücksichtigung
von Förderung und Transport um etwa 50 bis 60 Prozent
besser ausfällt als diejenige von Braunkohle - abhängig
natürlich von Alter und Wirkungsgrad der jeweiligen Anlagen.
Eine Rückfrage. Bitte, Frau Dr. Verlinden.
Herr Pronold, Sie haben gesagt, Sie machen sich die
Studien nicht zu eigen. Ich habe Ihnen den Link zur Studie mitgeschickt. Was mich sehr verwirrt hat: Diese Studie besagt, dass in den Niederlanden durch den Prozess
der Erdgasförderung nur ungefähr die Hälfte an CO2 freigesetzt wird. Beim Methan ist es auch nur ungefähr die
Hälfte. Ich frage mich, ob es Ihnen nicht zu denken gibt,
dass die Erdgasfördertechniken, die Erdgasfördermethoden in Deutschland - die Korrektheit dieser Studie vorausgesetzt - eine viel größere Klimaschädlichkeit haben
als die Erdgasfördermethoden in den Niederlanden.
Wenn Sie sagen, Sie nehmen auf diese Studie nicht
Bezug, dann stellt sich zumindest die Frage: Wäre es angesichts dieser Zahlen nicht ein Anliegen der Bundesregierung, herauszufinden, ob diese Zahlen stimmen, und
wenn sie tatsächlich richtig sind, etwas dagegen zu unternehmen, indem man durch den Einsatz von besseren
Techniken die Treibhausgasemissionen im Förderprozess - nicht bei der Verbrennung hinterher - auf ein niedrigeres Niveau absenkt?
Herr Pronold.
Aus der Erfahrung mit vielen Studien, die es gibt,
kann ich sagen, dass sie schwer vergleichbar sind, wenn
sie nicht nach denselben Grundsätzen durchgeführt wurden. Deswegen ist die Bundesregierung auch vorsichtig,
sich Studien oder die Erkenntnisse Dritter zu eigen zu
machen, was ich vorhin ausgeführt habe.
Sollte es signifikante Hinweise darauf geben, dass es
unterschiedlich hohe klimarelevante Emissionen aufgrund unterschiedlicher Förderprozesse gibt, dann ist
es selbstverständlich für uns ein Thema und wir werden
dem auch nachgehen, weil es den Klimaschutz betrifft.
Vizepräsidentin Claudia Roth
https://www.zukunft-erdgas.info/fileadmin/public/PDF/Politischer_Rahmen/dbi-bericht-kritische-ueberpruefung-treibhausgasvorkette-erdgas.pdf
https://www.zukunft-erdgas.info/fileadmin/public/PDF/Politischer_Rahmen/dbi-bericht-kritische-ueberpruefung-treibhausgasvorkette-erdgas.pdf
Ich nehme Ihre Frage zum Anlass, eine vertiefte Prüfung
in unserem Hause zu veranlassen.
Vielen herzlichen Dank, Florian Pronold. Ich glaube,
damit sind Sie auch einverstanden, Frau Kollegin.
Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen, für die
sehr lebendige Fragestunde und Befragung der Bundesregierung. Ich bedanke mich auch bei Ihnen, den anderen Vertretern der Bundesregierung, obwohl Sie nicht
leibhaftig antworten konnten. Das können Sie jetzt aber
in schriftlicher Form tun. Alle Fragen, die heute nicht
aufgerufen werden konnten, werden nämlich schriftlich
beantwortet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Aufklärung möglicher rechtsextremer Strukturen in der Bundeswehr
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nehmen.
Ich eröffne die Aussprache und rufe die erste Rednerin
auf. Das ist Christine Buchholz für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Linke hat diese Aktuelle Stunde beantragt, um ein Zeichen
zu setzen, ein Zeichen gegen Rechtsradikalismus und
rechten Terror.
({0})
Der Anlass ist dramatisch. Zwei Bundeswehrsoldaten
und ein Student aus Hessen wurden festgenommen. Gegen sie wird wegen der Planung einer schweren staatsgefährdenden Straftat ermittelt. Mindestens vier weitere
Soldaten sind ins Visier der Behörden geraten.
Hier die Fakten: Der Offizier Franco A. hat vor Jahren eine Abschlussarbeit im Geiste der Nazirassenideologie vorgelegt. Wissentlich konnte er dann Karriere bei
der Bundeswehr machen. Offenbar plante er mit seinen
Komplizen einen Anschlag, führte eine Todesliste und
schaffte tausend Schuss Munition aus Bundeswehrbeständen beiseite. Man fand bei ihm später eine Anleitung zum Bombenbau. Franco A. ließ sich als syrischer
Kriegsflüchtling registrieren, um das Attentat hinterher
Flüchtlingen in die Schuhe zu schieben. Meine Damen
und Herren, das ist unfassbar.
({1})
Wir müssen ganz klar sagen: Wir haben es mit nichts
anderem als der Bildung einer rechtsterroristischen Zelle zu tun. Deshalb geht es heute auch darum, Solidarität
mit allen zu üben, die von Rassismus und rechtem Terror
bedroht sind.
({2})
Der Fall Franco A. offenbart darüber hinaus ein Totalversagen der Bundeswehr und des MAD im Umgang
mit der gewaltbereiten Rechten. Die Gesinnung von
Franco A. und seinem Komplizen Maximilian T. war
in der Bundeswehr bekannt. Manche Vorgesetzte haben
weggeschaut, einige die rechten Umtriebe offenbar sogar
gedeckt. Das ist kein Einzelfall. Das belegen Zuschriften
von Soldaten, die uns mitteilen, dass Vorgesetzte gern
über „Dinge“ hinwegsähen, um keine Entscheidungen
treffen zu müssen, die sie unbeliebt machen.
Ich sage hier: Ja, ein relevanter Teil der Bundeswehr
hat ein Problem mit der extremen Rechten, und die politische Führung - Ministerin von der Leyen wie auch ihre
Vorgänger - hat dieses Problem jahrelang und systematisch kleingeredet.
({3})
Noch im März 2015 sagte Frau von der Leyen, die
Bundeswehr habe kein - ich zitiere - „überproportionales Extremismus-Problem“,
({4})
und das nach den Erfahrungen mit dem Nationalsozialistischen Untergrund, NSU: Ein Drittel der mutmaßlichen NSU-Unterstützer waren Bundeswehrangehörige.
Und der Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses von 2013 attestierte der Bundeswehr einen ich zitiere - „extrem problematischen Umgang … mit
rechtsextre men Aktivitäten“. Frau von der Leyen, offenbar haben Sie die Ergebnisse des NSU-Untersuchungsausschusses nicht ernst genommen.
Auch die SPD, die sich in letzter Zeit sehr gern und
oft von der Ministerin absetzt, sollte sich nicht allzu sehr
aufplustern.
({5})
Denn auch ihr ehemaliger Verteidigungsminister Struck
war nicht viel besser: Struck hatte 2003 persönlich eine
umfassende Untersuchung von rechtsextremem Gedankengut in der Bundeswehr blockiert - das nur zur Erinnerung. Dazu passt auch, dass sich Rudolf Scharping, ebenfalls ein ehemaliger SPD-Verteidigungsminister, derzeit
mehr über das Abhängen eines Helmut-Schmidt-Bildes
mit Wehrmachtsuniform als über die rechten Umtriebe in
der Bundeswehr aufregt.
({6})
Ministerin von der Leyen will nun den Eindruck erwecken, es würde endlich aufgeräumt. Und ja, es ist überfällig, dass Kasernen nicht mehr nach Wehrmachtsoffizieren benannt werden. Da muss zügig und entschieden
gehandelt werden und das, was angekündigt wurde, umgesetzt werden.
({7})
Was wir brauchen, ist ein klarer Bruch mit der Wehrmachtstradition. Ich sage: Wehrmachtsgegenstände und
-symbole dürfen keinen Platz in irgendwelchen Stuben
oder irgendwelchen Köpfen haben.
({8})
Wem haben wir eigentlich zu verdanken, dass die mutmaßliche Terrorgruppe aufgeflogen ist? War es der Militärische Abschirmdienst, der MAD? Nein, es war eine
Reinigungskraft, die die Waffe von Franco A. am Flughafen in Wien fand. Es ist doch absurd, dass nun Politiker der Großen Koalition die personelle Aufstockung des
MAD fordern. Schließlich hat der MAD Maximilian T.,
einen der mutmaßlichen Terroristen, bereits 2015 über
Monate durchleuchtet, um ihn dann für unbedenklich
zu erklären. Das Problem ist nicht die Ausstattung des
MAD, sondern seine Orientierung.
({9})
Er ist augenscheinlich auf dem rechten Auge blind. Der
MAD ist Teil des Problems und nicht Teil der Lösung.
({10})
Eines möchte ich betonen: Es gibt viele Soldatinnen
und Soldaten, denen der Rassismus und auch die rechten
Umtriebe in der Bundeswehr stinken. Aber rassistische
Stimmungen in der Bundeswehr lassen sich nicht zurückdrängen, wenn gleichzeitig Innenminister de Maizière
eine Leitkulturdebatte entfacht und damit gezielt rechte
Stimmung befeuert.
({11})
Wir brauchen ein gesellschaftliches Klima, in dem eine
antirassistische und antifaschistische Gesinnung gezeigt
werden kann.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({12})
Vielen Dank, Christine Buchholz. - Nächste Rednerin: für die Bundesregierung Ministerin Dr. Ursula von
der Leyen.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr nehmen freiwillig eine große Verantwortung
und viele Pflichten auf sich. Sie schwören in ihrem Eid,
„das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“. Extremisten dagegen, insbesondere
Rechtsextremisten, treten Recht und Freiheit mit Füßen;
sie sind ihre ärgsten Feinde. Deshalb haben Rechtsextremisten in der Bundeswehr nichts verloren.
({0})
Deswegen hat uns auch der Fall des Soldaten A. und des
Soldaten T. so alarmiert. Der Generalbundesanwalt ermittelt gegen sie und ihr Umfeld. Die Bundeswehr unterstützt die Ermittlungen in jeder Hinsicht.
Tausende von Soldatinnen und Soldaten machen tagtäglich einen hervorragenden Dienst. Mir ist wichtig,
dies auch in dieser Debatte am Anfang zu sagen. Aber
wir müssen auch aufpassen, dass nicht im Umkehrschluss selbstkritische Fragen vermieden werden, nach
dem Motto: Pauschalverdacht gegen die Truppe geht gar
nicht - dem stimme ich zu -; das sind alles Einzelfälle,
wir können weitermachen wie bisher. - Das wäre grundfalsch.
Eben weil uns der gute Ruf der Truppe am Herzen
liegt, müssen wir hart aufklären und konsequent dort
nachsteuern, wo strukturelle Probleme zutage treten. Es
war ein klares Versäumnis, dass 2013 der MAD im Fall
A. nicht unterrichtet wurde. Seine Masterarbeit ist voller
rechtsextremer Überzeugungen. Ein solcher Mann hat in
der Bundeswehr nichts verloren, meine Damen und Herren.
({1})
Der geltende Traditionserlass formuliert es eindeutig ich zitiere -: „Ein Unrechtsregime, wie das Dritte Reich,
kann Tradition nicht begründen.“ Ein Aufenthaltsraum
wie in Illkirch oder Donaueschingen, neu eingerichtet
und monothematisch ausgeschmückt mit Devotionalien
der Wehrmacht, hat in der Bundeswehr nichts verloren.
({2})
Die Begehung aller Räumlichkeiten zeigt aber auch, dass
das eher die Ausnahme ist. Häufig ist Gedankenlosigkeit
im Spiel oder pure Unwissenheit.
Das Foto von Helmut Schmidt als Offizier der Wehrmacht an der Bundeswehruniversität in Hamburg hing allein und unkommentiert, als sei das der prägende Helmut
Schmidt. Es gibt Fotos von Helmut Schmidt in Uniform,
aber in Bundeswehruniform als Reserveoffizier, Fotos
von ihm als Innensenator, als Verteidigungsminister, als
Bundeskanzler. In diesen Ämtern hat er Großes geleistet.
Hier war er für die Bundesrepublik und ebenfalls für die
Bundeswehr prägend. Das macht ihn zu einer Persönlichkeit, die für die Bundeswehr sinnstiftend und traditionsgebend ist. Deswegen haben wir die Bundeswehruni
auch nach ihm benannt. Das ist der Grund.
({3})
Das gilt auch für die vielen herausragenden Persönlichkeiten der Frühphase der Bundeswehr, deren Biografien auch den Dienst vor 1945 umfassen: die Generale
Heusinger, de Maizière oder Baudissin oder mein Vorgänger Kai-Uwe von Hassel.
Meine Damen und Herren, wo Unklarheiten und
Unsicherheiten im Traditionsverständnis und in der
Traditionspflege herrschen, müssen wir Klarheit und
Handlungssicherheit schaffen. Deshalb werden wir den
Traditionserlass von 1982 überprüfen, und zwar in einem
breiten, inklusiven Prozess. Und die Tatsache, wie weit
das Pendel jetzt in der Diskussion von einer Seite auf die
andere Seite schwingt, zeigt, dass diese Debatte notwendig ist.
Wir wollen unsere eigene Bundeswehrgeschichte in
den Mittelpunkt unseres Traditionsverständnisses stellen. Wir blicken zurück auf eine 60-jährige erfolgreiche
Geschichte, auf die wir stolz sein können: die Geschichte
einer Armee der Demokratie, der internationalen Integration, die Geschichte der Armee der Einheit, einer Parlamentsarmee im Einsatz für den Frieden in der Welt. Wir
können aus dieser Geschichte so viel schöpfen, so viel ist
vorbildgebend. Darauf sollten wir uns besinnen.
({4})
Es gibt viele Angehörige in der Bundeswehr in diesen
60 Jahren, die für unsere jungen Soldatinnen und Soldaten heute Vorbilder, ja auch Helden sein können.
Meine Damen und Herren, wir sind ein Land, das immer gut daran getan hat, sich daran zu erinnern, woher
wir gekommen sind, auch daran, was wir in fast 70 Jahren Bundesrepublik und über 60 Jahren Bundeswehr erreicht haben. Es ist unsere tagtägliche Aufgabe, dass wir
uns immer aufs Neue klar abgrenzen von Extremisten mit
ihrer Ideologie des Hasses und der Diskriminierung. Das
gilt für die Gesellschaft genauso wie für die Bundeswehr.
Die Diskussionen mögen manchmal schmerzhaft sein,
aber sie sind notwendig. Genau deswegen sind wir nämlich eine wehrhafte Demokratie.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Frau Ministerin von der Leyen. - Nächster Redner: Dr. Anton Hofreiter für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir sind nur knapp einer großen Tragödie
entgangen. Eher durch Zufall wurden die Umtriebe der
Gruppe von Franco A. aufgedeckt und so ein potenzieller, schwerer Anschlag verhindert.
Die Zunahme rechtsextremer und rechtsterroristischer Aktivitäten muss uns alle beunruhigen. Hier ist in
Deutschland etwas ins Rutschen geraten. Rechtsextreme
Gesinnungen und Tendenzen sind in Deutschland beileibe keine Seltenheit. Das ist 72 Jahre nach Ende der Naziherrschaft beschämend.
({0})
Mit der Aufdeckung der Planungen von Franco A. ist
die Bundeswehr in den Fokus gerückt. Lassen Sie mich
klarstellen: Die allermeisten Soldatinnen und Soldaten
leisten einen großartigen Dienst für unser Land. Sie verdienen es nicht, unter Pauschalverdacht gestellt zu werden;
({1})
aber die Probleme als Einzelfälle zu bagatellisieren, ist
unverantwortlich.
Verdeutlichen wir uns zuerst die Dimension dessen,
worüber wir hier reden: Franco A. und seine Kumpanen - das sind inzwischen mehr als gedacht - waren nicht
irgendwelche Soldaten, die abends Wehrmachtslieder
schmetterten oder Wehrmachtsandenken sammelten. Das
alleine ist schon schlimm genug und leider gar nicht so
selten in deutschen Bundeswehrkasernen, wie sich heute
noch einmal zeigte. Nein, Franco A. und seine Komplizen planten mutmaßlich schwere Gewalttaten gegen Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens. Sie
legten Todeslisten an, sie beschafften sich Anleitungen
zum Bombenbau, und sie horteten Unmengen an geklauter Munition aus Bundeswehrbeständen.
Es ist schleierhaft, warum die Pläne und das Doppelleben von Franco A. so lange unentdeckt blieben. Eindeutigen Hinweisen auf die Gesinnung des Oberleutnants
wurde nicht nachgegangen. Es schauten zu viele im entscheidenden Moment bewusst oder unbewusst weg. Dass
dies so lange unentdeckt blieb, ist ein Skandal, und dafür
tragen Sie, Frau von der Leyen, die Verantwortung. Sie
sind seit fast vier Jahren Ministerin und damit verantwortlich.
({2})
Diese Verantwortung können Sie nicht von sich weisen,
indem Sie am Ende die Verantwortung in Richtung Truppe schieben. Sie sind de facto die Oberkommandierende
dieser Truppe. Deshalb sage ich: Übernehmen Sie die
Verantwortung, die Sie als Ministerin zu tragen haben.
({3})
Machen wir uns zweitens klar: Dass es in den Sicherheitsbehörden Probleme im Umgang mit Rechtsextremismus gibt, ist nun wahrlich keine Neuigkeit. Wir haben es beim Bundesamt für Verfassungsschutz gesehen
und bei Teilen der Polizei; man denke an die Vorfälle in
Sachsen im letzten Jahr. Deshalb ist es unverständlich,
dass die Ministerin diese Probleme so lange ignoriert hat.
Der Wehrbeauftragte hat immer wieder darauf hingewiesen. Schauen Sie in all die Anfragen, die von der Opposition gestellt wurden. So kann ich nur zu dem Schluss
kommen: Frau von der Leyen, offenbar haben Sie über
Jahre weggeschaut, und darunter leiden jetzt auch die
vielen anständigen Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr.
Sie sagen jetzt zwar selbst, Sie hätten es verpasst,
früher gegenzusteuern; aber Sie können nicht wirklich erklären, warum Sie in den letzten vier Jahren derart wenig bis nichts gemacht haben, warum Sie in den
letzten Jahren, in denen in Deutschland die Zahl rechter
Gewalttaten insgesamt gestiegen ist und viele Experten
vor neuem Rechtsterrorismus warnten, nicht gehandelt
haben. Ihr Nichtstun war fahrlässig, und Sie können nur
dem Himmel dafür danken, dass das keine schlimmeren
Konsequenzen hatte.
({4})
Frau von der Leyen, Sie ergreifen erst jetzt, nach starkem öffentlichen Druck, Maßnahmen, um diesen Missständen entgegenzuwirken. Das ist sehr spät und vor allem eines: Das ist beschämend.
({5})
Eines muss man auch sagen: Wenig hilfreich ist aktuell, dass nun auch die CSU nostalgisches Wehrmachtsgedenken verharmlost und ein problematisches Traditionsverständnis fördert. Es muss für alle Soldatinnen und
Soldaten in der Bundeswehr deutlich sein, dass in unserer Armee ein klares Bekenntnis zur freiheitlichen und
demokratischen Grundordnung gelebt wird.
Aber das soll nicht ablenken vom Hauptproblem: Frau
von der Leyen und die Bundesregierung haben den inneren Zustand der Truppe zu lange sträflich vernachlässigt. Seit zwölf Jahren trägt die Union die Verantwortung
für die Bundeswehr. Sie präsentiert sich heute in einem
schwierigen Zustand. Ihre Bilanz, Frau von der Leyen, ist
eine Bilanz des Scheiterns. Sie und Ihre Partei stellen ein
Sicherheitsrisiko dar.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank, Anton Hofreiter. - Der nächste Redner:
Rainer Arnold für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
diesem Haus wurden schon viele Debatten über rechtes
Denken bei den Streitkräften geführt. Das Argument, die
Bundeswehr sei ein Spiegel der Gesellschaft, war schon
immer falsch. Denn an die Streitkräfte, die unsere Freiheit mit Waffen verteidigen sollen, müssen wir einen besonders strengen Maßstab anlegen.
Ich bin sehr froh, Frau Ministerin, dass in den letzten Tagen klar wurde: Ihre düstere Androhung, es würde
noch vieles ans Licht kommen, war massiv überzogen.
({0})
Damit mich niemand falsch versteht: Jedes einzelne übriggebliebene Symbol der Wehrmacht ist eines zu viel
und muss entfernt werden, möglichst aber im Diskurs und
nach dem Prinzip der Inneren Führung. Man sollte mit
den Soldaten über das entsprechende Foto von Helmut
Schmidt und über seine Rede sprechen, die er hier vor
der Tür zu den Streitkräften gehalten hat. Dann können
Soldaten etwas lernen. Sie sollten selbst entscheiden, ob
sie das Bild abnehmen oder historisch durch ein gutes
Zitat einordnen. So ginge Innere Führung.
Der zweite Bereich betrifft extremes rechtsradikales
Denken. Es gab in den letzten Jahren einen Umgang, der
zum Teil gut war, wo die Rechtsberater richtig reagiert
haben. Es gab aber auch einen Umgang, der wirklich
völlig falsch war. Dafür trägt natürlich die Ministerin die
Verantwortung. Es ist doch ganz eindeutig: Wir brauchen
eine klare Botschaft, dass rechtsextremes Denken, rassistisches Denken in der Bundeswehr keinen Platz haben.
Es reicht nicht, dies mit einer Geldstrafe oder einer Ermahnung zu belegen; denn eine Geldstrafe bewirkt nicht,
dass inakzeptables Denken aus den Köpfen verschwindet.
({1})
Der dritte Bereich betrifft schwere Straftaten. Darüber
reden wir im Augenblick besonders. Es ist nun wirklich
ganz offensichtlich, dass hier verschiedene Leute versagt
haben. Auch der Militärische Abschirmdienst hat seine
Aufgaben nicht erledigt.
Nun reden Sie, Frau Ministerin, immer davon, dass
Sie Verantwortung tragen. Einmal ganz unabhängig von
der Frage, wie oft ein Minister sagen kann, dass er die
politische Verantwortung trägt, muss ich Ihnen sagen:
Sie tragen auch eine persönliche Verantwortung. Ihr Kollege im Kabinett, Herr Minister de Maizière, trägt ebenfalls persönliche Verantwortung. Wenn ein Innenminister
nur zuschaut und auf eine große Zahl von Flüchtlingen
nicht vorbereitet ist, trägt er die Verantwortung dafür,
dass Einzelne bei der Prüfung durchrutschen und dass
etwas Dramatisches passiert, nämlich dass ein deutscher
Soldat, ein schwerer Straftäter, als Syrer anerkannt wird.
({2})
Wenn ein Innenminister es nicht schafft, rechtzeitig entsprechende IT einrichten zu lassen, dann trägt er die Verantwortung.
({3})
Frau Ministerin, Sie haben auch eine persönliche Verantwortung. Sie entdecken jetzt nach dreieinhalb Jahren
das Thema Innere Führung.
({4})
Sie haben dreieinhalb Jahre die guten Fähigkeiten und
die Expertise, die die Bundeswehr hat, ignoriert. Das
Zentrum für Innere Führung, der Beirat für Fragen der
Inneren Führung und das Sozialwissenschaftliche Institut - sie könnten sozusagen in die Bundeswehr hineinhören - wurden von Ihnen schlichtweg ignoriert und missachtet. Deshalb ist das Agieren jetzt nicht glaubwürdig.
Das Problem ist im Augenblick dramatisch. Frau Ministerin, Sie haben durch Ihre falschen Äußerungen exDr. Anton Hofreiter
trem viel Vertrauen zerstört. Inzwischen ist es noch viel
schlimmer: Sie sind verantwortlich für eine Kultur des
Misstrauens, die es inzwischen in den Streitkräften gibt.
({5})
Sie ist deshalb entstanden - das zieht sich von oben nach
unten durch die gesamte Bundeswehr -, weil Sie prüfen
lassen, ob Generäle ihr Handy abgeben, weil Stuben von
einfachen Soldaten durchwühlt werden, ohne dass sie
selbst dabei sind. Gute Innere Führung geht anders. Gute
Innere Führung beginnt an der Spitze.
({6})
Es ist nicht anständig, dass eine Ministerin einen führenden Soldaten über die Presse informieren lässt, dass er
freigesetzt wird. Ich hätte erwartet, dass eine Ministerin
selbst anruft und mit ihm redet - das gehört sich so und nicht Journalisten informiert, von denen er es dann
erfährt.
Hier komme ich zu einem strukturellen Problem, Frau
Ministerin, über das Sie noch nie geredet haben. Sie haben einen Pressesprecher und Berater, auf den Sie hören. Er hat das Drehbuch für Sie in den letzten Wochen
geschrieben. Ich habe ein Interview von ihm gelesen,
in dem er deutlich sagt: Schlechte Nachrichten sind gar
nicht so schlimm; Hauptsache, man ist präsent. Auch für
die Nachwuchswerbung ist es gut, wenn man immer in
der Tagesschau erwähnt wird. - Dann kommt aber das
Zweite. Er sagte: Große Probleme sind gut, weil Politik
dann nach außen zeigen kann, dass sie große Probleme
löst.
Frau Ministerin, Sie haben in den letzten Wochen im
Umgang mit allen Problemen - von unanständigen Vorgehensweisen in Pfullendorf bis zu rechtsradikalen Vorgängen - Maß und Mitte verloren. Deshalb, Frau Ministerin, sind Sie kein Vorbild für Soldaten, von denen wir
nach dem Prinzip der Inneren Führung Differenzierung,
vorsichtiges Agieren, eben Maß und Mitte erwarten.
({7})
Herzlichen Dank.
({8})
Vielen Dank, Rainer Arnold. - Nächster Redner für
die CDU/CSU-Fraktion ist Henning Otte.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe schon
einige Reden vom Kollegen Arnold gehört, aber dass du
so wenig Applaus aus den eigenen Reihen bekommst, ist
für mich neu.
({0})
Wir behandeln heute in der Aktuellen Stunde das Thema „Aufklärung möglicher rechtsextremer Strukturen in
der Bundeswehr“, beantragt von der Fraktion Die Linke.
Es geht offensichtlich nicht um den Sachverhalt, es geht
nicht um die Aufklärung, sondern hier will eine extreme Partei die Bundeswehr in Misskredit bringen, indem
sie sagt: Die Bundeswehr ist rechtsradikal. - Das ist ein
durchsichtiges Manöver.
({1})
Dabei koppeln Sie mit der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen. Das wurde mir eben bei der Rede von Herrn
Hofreiter noch mal deutlich. In der Regierungsbefragung
zuvor hat Frau Künast gesagt: Es ist wohl nicht der Fall
Franco A., es ist ein Fall der Bundeswehr. - Das ist ein
Pauschalverdacht gegen die Bundeswehr, und dagegen
stellen wir uns, meine Damen und Herren.
({2})
Sie schließen hier eine Lücke von links nach rechts und
in der Mitte die SPD. Das ist wohl die Panik nach der
NRW-Wahl.
({3})
Ich habe die Sendung Anne Will am Sonntagabend
gesehen. Dort hat die Familienministerin Frau Schwesig
die Sozialpolitik gegen die Sicherheitspolitik ausgespielt
und die Bundeswehrausgaben gegen notwendige Ausgaben für Baumaßnahmen in Schulen und Kindergärten,
für die übrigens die Kommunen und Länder zuständig
sind, aufgerechnet.
({4})
Es ist mittlerweile so, dass Kinder von Soldaten in den
Schulen Gewissensbisse haben, wenn das Toilettenpapier
und das Handtuchpapier ausgehen. Das lassen wir nicht
zu.
({5})
Wir sagen: Die Bundeswehr ist ein Garant für die Sicherheit.
({6})
Hören Sie sich das neue Interview Ihres Spitzenkandidaten Schulz an, der jetzt auf Kosten der Bundeswehr politische Landgewinne machen will. Das ist ein unzulässiges Vorgehen. Wir, die Union, sind die Partei der inneren
Sicherheit, der äußeren Sicherheit und übrigens der sozialen Sicherheit. Wir wollen nicht, dass Hofreiter Verteidigungsminister ist. Wir wollen nicht, dass Wagenknecht
Innenministerin, Schulz schon gar nicht Kanzler ist. Unsere Kanzlerin heißt Angela Merkel, unser Innenminister
heißt Thomas de Maizière, unsere VerteidigungsministeRainer Arnold
rin heißt Ursula von der Leyen, und das ist gut für unser
Land.
({7})
Frau von der Leyen hat die Trendwende in Material,
in Personal und auch in finanziellen Mitteln umgesetzt.
Die Bundeswehr ist ein Garant für unsere Sicherheit, fest
auf dem Boden der Demokratie. Wenn es eine Reihe von
Einzelfällen gibt, die es aufzuklären gilt,
({8})
dann ist es die Verteidigungsministerin, die sich an die
Spitze gesetzt hat. Ich hätte Ihren politischen Klamauk
mal hören wollen, wenn sie nicht gehandelt hätte, wenn
sie es nicht aufgedeckt hätte. Es sind Straftäter, und die
verzerren nicht das gute Bild der Bundeswehr im Allgemeinen.
({9})
Es ist richtig, dass zum 1. Juli eine Sicherheitsüberprüfung von allen, die zur Bundeswehr wollen, durchgeführt wird. Jedes Jahr kommen 30 000 neue Bürgerinnen
und Bürger in die Bundeswehr. Sie müssen sich auf den
Nebenmann, auf die Nebenfrau verlassen können, und
sie müssen vor allem eines haben: eine feste Grundlage.
Deswegen ist es gut, dass der Traditionserlass überarbeitet wird.
Nach der deutschen Einheit haben wir mittlerweile
militärische Einsätze im Ausland zur Krisenprävention,
zur Kriseneindämmung - immer im vernetzten Ansatz,
so wie es damals Herr Dr. Jung eingeführt hat. Damit
wollen wir deutlich machen: Die Bundeswehr hat eine
eigene Tradition. Sie hat einen eigenen Stolz. Sie hat
Erfahrungen - angefangen bei der Krisenhilfe und der
Fluthilfe bis zu Gefechten, zum Beispiel am Karfreitag
vor sieben Jahren.
({10})
Das ist auch Kameradschaft. Das ist auch Pflichtbewusstsein. Das ist auch Stolz. Das ist auch heldenhaftes, gutes
militärisches Handeln.
Und dass die Ministerin sagt: „Das stellen wir in den
Mittelpunkt der Geschäftsgrundlage für die Soldatinnen
und Soldaten“, halte ich für richtig. Ich persönlich bin
beeindruckt von den Leistungen unserer Soldatinnen und
Soldaten und kann zusichern: Die Union steht mit der
Verteidigungsministerin fest an der Seite unserer Soldatinnen und Soldaten.
Herzlichen Dank.
({11})
Vielen Dank, Henning Otte. - Nächste Rednerin: Ulla
Jelpke für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn
man die SPD heute hier hört, dann kommt man fast in
Versuchung, die Verteidigungsministerin zu verteidigen ({0})
bei so vielem rechten Schrott, den Sie hier von sich gegeben haben, Herr Arnold.
Herr Otte, nachdem ich Sie hier gehört habe, muss ich
sagen: Das war voll am Thema vorbei. Es geht hier überhaupt nicht darum, die Bundeswehr allgemein zu verunglimpfen, sondern es geht um eine Aufarbeitung, die
leider auch bei Ihrer Verteidigungsministerin nur an der
Oberfläche stattfindet. Es reicht nicht aus, die Symbole
der Wehrmacht aus den Kasernen zu holen, sondern auch
die Geisteshaltung in der Bundeswehr muss verändert
werden.
({1})
Bei Franco A. geht es um einen einzigen Fall, der sehr
schlimm ist, aber nicht einmal nach § 129a des Strafgesetzbuches verfolgt wird, obwohl wir es hier mit einer
Terrorzelle innerhalb der Bundeswehr zu tun haben.
({2})
Ich bin mir sicher: Wenn es hier um einen Migranten gegangen wäre - um Amri oder andere -, dann hätten Sie
schon längst danach geschrien. Hier wird also mit unterschiedlichen Maßstäben an die Sache herangegangen.
({3})
Herr Arnold, ich will Ihnen gerne noch drei Beispiele
aus unserer Kleinen Anfrage nennen:
Ein freiwillig Wehrdienstleistender steckt ein Hakenkreuz an die Kapuze seiner Feldjacke.
({4})
Die Folge ist ein strenger Verweis - mehr nicht.
Ein anderer Soldat streckt beim Verlassen der Kaserne
die Hand zum Hitlergruß aus dem Wagen und grüßt den
Posten, der dort steht, mit „Heil Hitler“.
Ein weiterer Soldat outet sich gegenüber dem Finanzamt als sogenannter Reichsbürger. Das Verteidigungsministerium wird informiert. Was passiert? Außer einem
Verweis nichts.
Meine Damen und Herren, solche Rechtsextremisten,
Hitler-Verehrer und Reichsbürger haben in der Bundeswehr nichts zu suchen. Sie müssen dort entfernt werden.
({5})
Der Umgang mit solchen Fällen, nämlich einfach wegzugucken, ist ein Teil des Problems.
Ich will Sie noch einmal daran erinnern: Diese Soldaten werden an Waffen ausgebildet. Diese Rechtsextremisten und Reichsbürger, von denen man weiß, dass
sie eine Waffenaffinität haben - aus diesen Reihen wurde
sogar schon auf Leute geschossen -, verbleiben weiter in
der Bundeswehr. Das geht gar nicht.
({6})
Vor wenigen Tagen habe ich eine sehr interessante
Antwort auf meine Kleine Anfrage zur Lent-Kaserne in
Rotenburg bekommen. Es geht darum, dass diese Kaserne immer noch nach einem Wehrmachtspiloten benannt
ist, der 1944 ein fanatischer Endsieghetzer war. Es wird
dort in der Bevölkerung darüber diskutiert.
Ich habe das Verteidigungsministerium gefragt - ich
zitiere das einmal wortwörtlich -:
Welche Gründe sprechen aus Sicht der Bundesregierung im Allgemeinen dafür, Kasernen nach
({7})systemkonformen Wehrmachtsoffizieren zu
benennen?
Die Antwort der Bundesregierung lautet - ich zitiere -:
Das Verteidigungsministerium hat die Meinungsbildung
noch nicht abgeschlossen.
({8})
Ich frage Sie ernsthaft, Frau Ministerin: Wie bitte? Sie
haben hier heute viele richtige Sachen gesagt, aber Sie
haben die Meinungsbildung über die Benennung von Kasernen mit Wehrmachtsnamen noch nicht abgeschlossen?
Sie haben keine Meinung dazu?
Genau das zeigt die falsche Geisteshaltung von oben
her. Hier müssen Sie politische Verantwortung übernehmen.
({9})
Sie sagen, die Soldaten sollen entscheiden, von unten
soll entschieden werden. Wissen Sie, wie die Soldaten
entschieden haben? Natürlich haben sie sich wieder für
den Namen entschieden. Das ist das Problem. Deswegen
müssen Sie und die Führung Ihres Ministeriums selber
Entscheidungen treffen und dürfen nicht stattdessen
Scheindemokratie mit den Soldaten üben. Hier geht es
um Inhalte.
({10})
Für alle, die es vielleicht vergessen haben, will ich
noch einmal ganz klar sagen: Die Wehrmacht war eine
Kriegsverbrecherorganisation.
({11})
Sie hat Hunderttausende, ja Millionen von Zivilisten ermordet. Der Wehrmacht in irgendeiner Art und Weise zu
huldigen, auch in Form von Kasernennamen, damit muss
endlich Schluss gemacht werden.
({12})
Meine Damen und Herren, zum Schluss noch eins.
Wer in der Bundeswehr wirklich etwas verändern will,
muss endlich eine andere Ausbildung, eine andere Schule
durchsetzen. Die Geisteshaltung muss verändert werden.
Ich denke, auch die Stoßrichtung, dass die Bundeswehr
immer mehr als Kampfarmee im Ausland eingesetzt wird
und nicht mehr zur Landesverteidigung, wie es die Verfassung vorschreibt, beeinflusst die Geisteshaltung und
bringt so manchen dazu, die Wehrmacht als Vorbild zu
sehen.
({13})
Daran müssen Sie arbeiten, sehr geehrte Frau Ministerin. Alle anderen Maßnahmen werden nur oberflächlich
etwas ändern, aber insgesamt nicht viel bringen.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Fritz Felgentreu
für die SPD.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege
Otte von der Union hat eben die Kompetenz der Union
für Innen- und Verteidigungspolitik betont.
({0})
Damit muss man zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein
bisschen vorsichtig sein, finde ich. Es sind immerhin
diese beiden unionsgeführten Ministerien gewesen - seit
zwölf Jahren unionsgeführt -, die ein pseudointellektueller, rassistischer Mittzwanziger monate- und jahrelang an
der Nase herumführen konnte.
({1})
Insofern Obacht mit dem, was man für sich selber als
Kompetenz beansprucht!
Aber eines gilt grundsätzlich - ich glaube, in dem
Punkt sind wir uns alle einig -: Für Rechtsextremismus
im Denken, im Reden und im Handeln darf es in Einrichtungen des Staates keine Toleranz und keinen Raum
geben.
({2})
Für die Armee der freien Republik gilt das ganz besonders; denn jede Armee hat viel von dem zu bieten, was
Rechtsextremisten gefällt: Uniform, Waffen, straffe Hierarchien, Befehl und Gehorsam. Deshalb erwartet die
SPD-Fraktion von der Bundeswehr auf allen Ebenen eine
erhöhte Sensibilität für rechtsextreme Tendenzen und die
Bereitschaft, ihnen entgegenzuwirken, vor allem durch
die Methoden der Inneren Führung.
Was bedeutet das für den Fall Franco A.? Ziemlich
wenig, Kolleginnen und Kollegen; denn Franco A. und
seine Komplizen hatten mental die Grenze zum Terrorismus überschritten. Sie bereiteten sich konspirativ auf
eine Mordserie vor. Mit Innerer Führung ist solchen Leuten nicht beizukommen. Zugleich liegt auf der Hand:
Man hätte ihnen viel früher das Handwerk legen müssen.
Dass es dazu nicht kam, war vor allem ein Versagen der
Dienstaufsicht und der Meldekultur.
Den entscheidenden Anlass hätte zwingend die von
Franco A. an der französischen Militärakademie SaintCyr im Dezember 2013 eingereichte Masterarbeit liefern
müssen. Schon am 8. Januar 2014 teilte der französische
Kommandeur der Akademie offiziell mit, dass die Arbeit
abgelehnt wird und dass sie nach französischen Maßstäben ein Grund für den sofortigen Abbruch des Studiums
wäre.
Meine Damen und Herren, das ist ein bemerkenswerter Vorgang. Franco A. war für sein Auslandsstudium
handverlesen. So ein Soldat steht in den Augen seiner
ausländischen Vorgesetzten am Ende offiziell als vollständig ungeeignet für eine Offizierslaufbahn da; eine
Einschätzung unseres engsten und wichtigsten Verbündeten in Europa. Deswegen hätte meines Erachtens das
Ministerium schon damals zumindest informiert werden
müssen.
Die Bundeswehr hat schnell reagiert. Noch im Januar wurde die Arbeit übersetzt. Am 18. Januar 2014 lag
ein Gutachten des militärgeschichtlichen Forschungszentrums vor. Ich zitiere aus dem Ergebnis: Der Text ist
keine politikwissenschaftliche Abhandlung, sondern ein
Aufruf, „einen politischen Wandel herbeizuführen, der
die gegebenen Verhältnisse an das vermeintliche Naturgesetz rassischer Reinheit anpasst“.
Meine Damen und Herren, dann erfolgte ein Totalzusammenbruch von Dienstaufsicht und Meldekultur.
Die Untersuchung wurde am 27. Januar 2014 mit einer
Belehrung, also mit einer einfachen erzieherischen Maßnahme, abgeschlossen. Der damit betraute Rechtsberater
wollte dem intelligenten jungen Mann mit dem treuherzigen Augenaufschlag nicht durch eine Disziplinarstrafe
seine Karriere verbauen. Es gab keine Meldung an den
Militärischen Abschirmdienst. Franco A. durfte eine
neue Masterarbeit schreiben und wurde im Juli 2015 Berufssoldat. Kein halbes Jahr später tauchte er als Flüchtling David Benjamin in Offenbach auf.
Der Bericht über das Versagen von Dienstaufsicht
und Meldekultur lässt sich fortsetzen; darauf verzichte
ich aus Zeitgründen. Der bereits erwähnte Rechtsberater jedenfalls ist dabei noch in diesem Frühjahr als eine
Schlüsselfigur anzusehen. Aber schon die Vorgänge aus
dem Januar 2014 hätten zwingend verhindern müssen,
dass Franco A. Berufssoldat wird. Eine rechtzeitige Meldung an den MAD hätte ihn darüber hinaus wahrscheinlich als Extremisten enttarnt.
Der entscheidende Punkt ist, dass hier grundlegende
Elemente der militärischen Führung versagt haben. Das
ist übrigens auch der einzige Zusammenhang des Falles
Franco A. mit den Exzessen, die wir im letzten halben
Jahr an zwei Standorten bei der militärischen Ausbildung
zur Kenntnis genommen haben.
Hier setzt auch meine Kritik ein. Frau Ministerin, für
das Funktionieren der Dienstaufsicht und die Meldekultur in der Bundeswehr tragen Sie seit fast vier Jahren die
politische Verantwortung. Statt sich dieser Verantwortung zu stellen, haben Sie Franco A. zum Ausgangspunkt
für eine Debatte über die Traditionspflege in der Bundeswehr gemacht. Das empfinde ich als unseriös und kontraproduktiv.
({3})
Was die Bundeswehr jetzt vor allem braucht, ist eine
Stärkung von Dienstaufsicht, Meldekultur und Innerer
Führung. Dazu gehört, dass die Meldung von Missständen ganz grundsätzlich als positiver Beitrag zur Entwicklung der Bundeswehr anerkannt wird. Soldatinnen und
Soldaten, die damit vortreten, dürfen in der Truppe weder
als Nestbeschmutzer wahrgenommen noch so behandelt
werden.
Die Debatte über die Tradition in der Bundeswehr hat
ihre Berechtigung. Aber sie darf nicht dazu instrumentalisiert werden, von der Verantwortung für den Fall Franco A. und seine notwendigen Konsequenzen abzulenken.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Agnieszka Brugger für
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Otte, das, was Sie
gerade gemacht haben, ist ganz schön billig und hat auch
nichts mit dem zu tun, was die Kollegin Künast gesagt
hat. Ich kann Ihnen nur empfehlen, einmal aktuell mit
den Soldatinnen und Soldaten zu sprechen und sie zu
fragen, von wem sie sich gerade unter Generalverdacht
gestellt gefühlt haben. Dann werden Sie den Namen der
Verteidigungsministerin hören.
({0})
Meine Damen und Herren, es gibt sehr viele Soldatinnen und Soldaten, die ihren Dienst mit einer beeindruckenden Haltung, großem Verantwortungsgefühl und
dem richtigen Verständnis von Kameradschaft tun, die
Probleme lösen, Missstände melden und Verbesserungen
anstoßen wollen. Es ist nicht Alltag; aber ich finde, viel
zu oft erleben wir - und das bei einer Reihe von unterschiedlichen Themen -, dass diese Soldatinnen und Soldaten nicht gehört werden, an ihre Grenzen stoßen oder
im schlimmsten Fall sogar benachteiligt werden, während gerade diejenigen, die für diese Probleme verantwortlich sind, diese vertuschen und ihre Macht über andere missbrauchen, leider viel zu oft unbehelligt bleiben
und weiter Karriere machen können.
Das ist für mich ein Kern der aktuellen Debatten der
letzten Wochen und Monate um die Innere Führung. Das
darf nicht sein, und das muss sich endlich ändern.
({1})
Der zweite Kern - denn in den Debatten geht in der
Aufgeregtheit einiges durcheinander - ist doch, dass über
Jahre hinweg eine gewaltbereite, hochgefährliche rechte
Gruppe in der Bundeswehr unbehelligt ihr Unwesen treiben und Anschläge gegen Aktivisten und Politikerinnen
und Politiker planen konnte. Man mag sich gar nicht ausmalen, was ohne den Waffenfund in Wien alles an Entsetzlichem hätte passieren können.
Es gab eine Masterarbeit, die keinen Zweifel an der
rassistischen, rechtsextremen und hasserfüllten Gesinnung des Franco A. offenlässt. Es ist nichts passiert.
Es gab den Diebstahl einer Riesenmenge an Munition.
Es ist niemandem aufgefallen.
Der dritte nun Festgenommene gerät sogar ins Visier
des Militärischen Abschirmdienstes. Er versucht, andere für Gewalttaten gegen Flüchtlinge anzuwerben, und
einmal mehr passiert nichts, und die Gefahr wird nicht
erkannt.
Meine Damen und Herren, mit jeder Woche wird die
Liste des Komplettversagens länger und länger.
({2})
Allein das sind drei Alarmzeichen, die ignoriert worden
sind und bei denen nicht gehandelt wurde. Es sind drei
Gelegenheiten, bei denen ungeheuerliche, ja unverzeihliche Fehler begangen worden sind. Auch das darf nie, nie
wieder passieren.
Frau Ministerin, im Ausschuss fragten wir Sie nach
Ihren eigenen Versäumnissen und Fehlern. Wir fragen
Sie, wann Sie sich in den über drei Jahren mit so wichtigen Themen wie dem Rechtsextremismus und der Inneren Führung beschäftigt haben. Da kommt aber so gut
wie nichts; da gibt es keine wirkliche Antwort.
Sie können hier nicht einfach sagen: „Schuld sind immer die anderen“, und die Verantwortung weit von sich
schieben; denn all diese Fehler fallen nun einmal in Ihre
Amtszeit. Die Frage, die sich hier aufdrängt, ist: Warum
braucht es erst die schrecklichen Enthüllungen um den
Fall Franco A., damit man genauer hinschaut?
Es gab eine Reihe von Gelegenheiten, wo wir über
diese wichtigen Themen hätten diskutieren können und
müssen: der Bericht des Wehrbeauftragten, die Schlussfolgerungen des Untersuchungsausschusses zum NSU,
die Debatten um die Führungskultur und die Defizite bei
den internen Kontrollmechanismen, die ganzen Diskussionen um den und mit dem MAD und die Debatte um
die problematischen Kasernennamen. Es war ganz oft
die Opposition, die diese Fragen auf die Tagesordnung
gesetzt hat. Und ich kann mich, liebe Kolleginnen und
Kollegen, durchaus daran erinnern, wer dann an der Stelle im Ausschuss mit den Augen gerollt hat.
({3})
Frau Ministerin, auch Sie haben die Debatten nicht
ernst genommen, und Sie haben ihnen keine Priorität eingeräumt. Unsere Kritik bezieht sich aktuell im Großen
und Ganzen doch nicht darauf, dass Sie jetzt im Rahmen
eines Ankündigungsstakkatos viele längst überfällige
Reformprozesse anstoßen. Im Gegenteil: Unsere Kritik
bezieht sich darauf, dass Sie nicht handeln, wenn die
Probleme da sind, sondern dass Sie zu spät und immer
nur dann handeln, wenn ein Skandal die Schlagzeilen erreicht.
({4})
Nach über drei Jahren als Ministerin - und damit auch
als oberste Chefin - nimmt Ihnen doch einfach niemand
mehr die Rolle der großen Reformerin und unabhängigen
Chefaufklärerin ab. Gerade deshalb hagelt es Kritik nicht nur vonseiten der Opposition, sondern auch von der
Koalition und aus der Bundeswehr heraus. Es hagelt auch
deswegen Kritik, weil viele wieder einmal den Eindruck
haben, dass für Sie die Profilierung und die Inszenierung
im Vordergrund stehen. Ich kann dieses Gefühl - auch
aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre - bestätigen.
Man hatte immer wieder das Gefühl, dass das zynische
Motto im Raum steht: Bad News für die Bundeswehr
sind Good News für die Ministerin.
Die heftige Kritik hat auch etwas damit zu tun, dass
wir alle nur allzu oft erlebt haben, dass Ihren großen Ankündigungen im Scheinwerferlicht ein paar Wochen später bei Tageslicht nicht mehr viel gefolgt ist.
({5})
- Ich bleibe dran. Auch Sie wissen genau, wer die Fragen
stellt und guckt, was am Ende davon übrig bleibt. Das
war bisher nicht gerade die Union.
({6})
Frau Ministerin, Sie sind mit dem Anspruch angetreten, alles anders und besser zu machen als Ihre Vorgänger. Mit dieser ganzen Art erinnern Sie mich aber sehr
an einen Ihrer Vorgänger, nämlich an Karl-Theodor zu
Guttenberg.
({7})
Frau Ministerin, ich kann Ihnen versprechen: Wir
werden Sie an Ihren Worten messen, wir werden das
überprüfen. Entscheidend ist doch, dass wir am Ende des
Tages nicht nur markige Pressestatements, Mammutprozesse und dicke Berichte haben, sondern dass es echte
Veränderungen gibt, die die Bundeswehr und die Innere
Führung stärken.
Es ist für alle Soldatinnen und Soldaten einfacher, früher hinzuschauen und wachsam zu sein, wenn auch alle
Vorgesetzten dies leben und tun. Das gilt zuallererst für
die Ministerin, ihre oberste Chefin.
Vielen Dank.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Mathias Höschel
für die CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Fall des verhafteten mutmaßlich rechtsradikalen Bundeswehr-Oberleutnants Franco A. und des ebenfalls verhafteten Maximilian T. hat uns alle geschockt
und beschäftigt uns seit Wochen. Die Hintergründe und
die möglichen Weiterungen des Falls sind noch längst
nicht vollständig aufgeklärt. Eines aber - das hat die
Ministerin öffentlich und in den Sitzungen des Verteidigungsausschusses in den vergangenen Wochen und auch
heute wieder deutlich angesprochen - ist klar: Es hat Versäumnisse und Versagen einzelner Vorgesetzter gegeben.
Das muss aufgeklärt werden.
({0})
Die notwendigen Gegenmaßnahmen müssen umgehend
beschlossen und umgesetzt werden.
Die Debatte hier ist deshalb außerordentlich wichtig,
weil die Bundeswehr für uns so bedeutend ist. Sie beginnt aber absurd zu werden, wenn Kollege Arnold es
bedauert, dass fortan das Foto unseres ehemaligen Bundeskanzlers Schmidt, der eine Wehrmachtsuniform trägt,
nicht mehr die Räume der Münchner Universität zieren
darf.
({1})
Die Ministerin hat auf dem Weg der Aufklärung unsere volle Unterstützung. Sie hat unmittelbar nach Bekanntwerden des Falls zügig und konsequent gehandelt.
({2})
Das war politisch vorbildlich. Deshalb ist nicht das Handeln von Ursula von der Leyen das Problem, sondern wir
haben ein anderes Problem: Wir haben es hier offenkundig mit Kriminellen zu tun, die die Bundeswehr hinterlistig getäuscht und für ihre Machenschaften instrumentalisiert haben. Sie haben sich den Zugang zu Waffen und
Ausbildung bei der Bundeswehr zunutze gemacht, um
staatsgefährdende Staatstaten zu planen.
Mit hoher krimineller Energie hat Franco A. nicht nur
das BAMF getäuscht, indem er sich eine neue Identität
beschafft hat, sondern auch seine Vorgesetzten und Kameraden. Es ist gut, dass sein Tun rechtzeitig entdeckt
und dem ein Ende bereitet wurde. Ich möchte eines
festhalten: Jetzt der Bundeswehr rechte Tendenzen zu
unterstellen, ist völlig unangebracht. Wir haben volles
Vertrauen in unsere Soldatinnen und Soldaten, die angesichts ihrer vielfältigen, schwierigen und teils gefährlichen Aufgaben im In- und Ausland unseren vollen Respekt verdienen, genauso wie deren Familien.
({3})
Die aktuellen Zahlen des Militärischen Abschirmdienstes und diesen grundsätzlich in seiner Wirkung
infrage zu stellen, halte ich für völlig unangemessen.
Die aktuellen Zahlen belegen einen erkennbaren Rückgang rechtsradikaler Verdachtsfälle in der Bundeswehr.
In diesem Jahr sind es bisher 104 Fälle; 2015 waren es
265 Fälle. Tatsächlich hat sich der Verdacht nur in einem
Bruchteil der Fälle - ein geringer Prozentsatz von 1 bis
2 Prozent - bestätigt.
({4})
Dann generell der Truppe rechtsradikale Tendenzen zu
unterstellen, geht an der Sache vollkommen vorbei.
({5})
Dennoch - das ist wichtig -: Jeder Fall von politischem Extremismus in der Bundeswehr, ob von rechts
oder von links - verbunden mit krimineller Energie -, ist
ein Fall zu viel. Jede Form von Extremismus muss mit
allen Mitteln bekämpft und verhindert werden. Bei einer
Freiwilligenarmee sind diesbezüglich große Sensibilität
und Wachsamkeit vonnöten. Die Bundesministerin hat
angekündigt, dass sie unter anderem die Wehrdisziplinarordnung, den Traditionserlass, das gesamte Thema der
politischen Bildung und die Meldeketten bei der internen
Kommunikation auf den Prüfstand stellen wird und dass
dort, wo reformiert werden soll, auch reformiert wird.
Das Ganze soll in einem inklusiven und integrativen
Prozess der Kommunikation mit den Soldaten erfolgen.
Außerdem wird dafür gesorgt, dass der Bewerber für die
Bundeswehr vor der Einstellung noch effektiver als bisher überprüft wird.
Das sind die richtigen Antworten auf diesen besonders
eklatanten Fall, auf diesen Fall offenkundig politisch motivierter Kriminalität in unseren Streitkräften.
Ich bin davon überzeugt, dass die Ermittlungen der
Staatsanwaltschaft und die Maßnahmen des Verteidigungsministeriums richtig sind, um diesen Fall aufzuklären und die angemessenen Konsequenzen daraus zu
ziehen.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Lars Klingbeil für die
SPD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, das ist keine einfache Diskussion; das will ich gleich zu Beginn sagen.
Ich bin seit acht Jahren Mitglied des Verteidigungsausschusses und bin der Meinung, dass gerade dieser Ausschuss von dem Bewusstsein einer gemeinsamen Verantwortung, die wir für die Bundeswehr haben, lebt. Aber
ich muss in den letzten Wochen feststellen, dass vieles
von dem, was ich als gemeinsames Fundament wahrgenommen habe, von anderen verlassen wurde. Deswegen
ist es richtig, dass wir heute hier eine kritische Debatte
führen.
Frau Ministerin, ich will das gleich zu Beginn sagen:
Das, was wir bisher im Fall Franco A. wissen, erschüttert
uns und macht uns fassungslos. Das muss in aller Konsequenz aufgeklärt werden. Dafür haben Sie, dafür hat
das Ministerium - so hoffe ich - die volle Unterstützung
dieses Hauses.
({0})
Wenn wir über diesen Fall reden, müssen wir auch
darüber sprechen, wer Verantwortung trägt. Wir müssen
klären, wo Fehler passiert sind. Wenn - das will ich hier
deutlich sagen - ein blonder, deutscher Mann, der kein
Wort Arabisch spricht, in einer Behörde, für die Herr de
Maizière Verantwortung trägt, einen Schutzstatus als syrischer Flüchtling bekommt, dann müssen wir feststellen,
dass in der Verantwortung von Herrn de Maizière etwas
falsch gelaufen ist. Das muss aufgeklärt werden.
({1})
Frau Ministerin, da in Ihrer Verantwortung mittlerweile
zwei Personen verhaftet wurden, die aktiv bei der Bundeswehr waren und bei denen es deutliche Hinweise
nicht nur auf rechtsextremes Denken, sondern auch auf
rechtsextremes Handeln gab - die Masterarbeit und die
Anwerbeversuche wurden bereits angesprochen -, und es
keine deutlichen Konsequenzen gegeben hat, muss ich
sagen, dass auch Sie, Frau Ministerin, Verantwortung für
das tragen, was dort passiert ist. Das muss klar angesprochen werden.
({2})
Wenn man Ihnen, Frau von der Leyen, zuhört, dann
bekommt man manchmal den Eindruck, Sie seien erst
seit zwei Wochen im Amt. Aber Sie tragen die Verantwortung für die Bundeswehr seit knapp vier Jahren, und
deswegen sind für die Aufklärung auch folgende Fragen
berechtigt: Was haben Sie eigentlich in diesen vier Jahren
getan, um die politische Bildung zu stärken? Was haben
Sie eigentlich getan, um die Innere Führung in der Bundeswehr zu stärken?
Ich will daran erinnern, dass wir Anfang des Jahres
sogar noch eine Diskussion über einen Maulkorberlass
aus dem Ministerium hatten, bei dem es darum ging, dass
Soldatinnen und Soldaten weniger mit Politikern, Journalisten und Wirtschaftsvertretern reden sollen. Das ist
das Gegenteil von Stärkung der Inneren Führung, und
auch das fällt in Ihre Verantwortung, Frau Ministerin.
({3})
Ich will auch sagen: Ihre Rede vorhin war gut. Da war
vieles dabei, dem ich zustimmen und zu dem ich sagen
kann: Da sagt die Ministerin richtige Dinge. - Aber die
Skepsis ist gewachsen. Wir erleben doch immer wieder,
dass gewisse Situationen eintreten und dann Reden und
Auftritte mit Pathos erfolgen; wir erleben Inszenierungen, Ankündigungen und sehen große Überschriften.
Aber wenn man näher darauf schaut, dann sieht man,
dass in der Substanz wenig bleibt. Alles, was angestoßen
wird, wird auf die nächste Legislatur verschoben. Frau
Ministerin, das ist nicht die Politik, die ich mir für unsere
Bundeswehr wünsche.
({4})
Ich will Ihnen am Ende sagen: Ich bin Munsteraner.
Münster ist der größte Heeresstandort. Ich kenne dort
viele Soldatinnen und Soldaten, habe Freunde und Bekannte, die dort tagtäglich tadellos ihren Dienst in der
Truppe leisten. Das sind gute Demokraten, die sich darum kümmern, dass das Gemeinwohl und das Zusammenleben zwischen Bundeswehr und Gesellschaft funktionieren. Das sind Leute, denen wir den Rücken stärken
müssen, weil sie den richtigen Weg in dieser Bundeswehr
gehen. Diesen Leuten sind Sie, als Sie unter Druck geraten sind, mit Ihrer Pauschalkritik, dass die Bundeswehr
ein Führungs- und Haltungsproblem habe, in den Rücken
gefallen. Bei diesen haben Sie Enttäuschung hervorgerufen; da ist Vertrauen verloren gegangen. Frau Ministerin,
Sie hätten heute hier an diesem Pult die Chance gehabt,
sich bei all diesen Menschen zu entschuldigen. Das haben Sie nicht getan; das kritisiere ich hier zutiefst.
({5})
Frau Ministerin, wenn am Ende die Abgeordneten der
Linkspartei die Einzigen im Parlament sind, die ehrlich
für das applaudieren, was Sie tun, dann sollten Sie sich
fragen, was Sie falsch gemacht haben.
Vielen Dank fürs Zuhören.
({6})
Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Gisela
Manderla.
({0})
Herr Präsident! Sehr verehrte Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich das Thema der
heutigen Aktuellen Stunde anschaut und die zur Verfügung stehenden Zahlen und Daten zu diesem Bereich
danebenlegt, dann kann man sich eigentlich nur wundern. Die anberaumte Aktuelle Stunde trägt den Titel
„Aufklärung möglicher rechtsextremer Strukturen in der
Bundeswehr“. Schaut man aber in die entsprechenden
Dokumente, wie den Jahresbericht des Wehrbeauftragten
oder die Statistiken des Militärischen Abschirmdienstes,
MAD, dann sieht man zunächst nur eins - das hat Kollege Höschel schon gesagt -: seit Jahren rückläufige Verdachtsfälle und Eingaben,
({0})
eine schrumpfende Anzahl von Verdachtspersonen und
eine verschwindend geringe Anzahl von sich bewahrheitenden Einzelfällen von Rechtsextremismus. Auch die
jetzt aufgedeckten Fälle sind Einzelfälle.
({1})
- Ja, ich glaube; das stimmt. Aber nicht an das, woran
Sie glauben.
({2})
Nun fragt man sich aber zwangsläufig: Wie passt das
zusammen? Hat unsere Bundeswehr wirklich ein strukturelles Problem mit Rechtsextremismus? Oder ist die
Motivlage hinter der Beantragung der Aktuellen Stunde
doch etwas anders, und der Titel - das haben die Vorreden auch gezeigt - hätte besser lauten sollen: „Aufklärung der Hintergründe des Einzelfalls Franco A.“? Oder
hat das Ganze vielleicht auch etwas mit Wahlkampf zu
tun?
({3})
Das hätte aus einer Vielzahl von Gründen deutlich mehr
Sinn gemacht; denn ein strukturelles Problem mit Rechtsextremismus in der Bundeswehr ist für mich nach allem,
was wir heute wissen, beileibe nicht erkennbar.
({4})
Als Mitglied des Verteidigungsausschusses spreche
ich oft mit unseren Soldaten und Soldatinnen, und ich
besuche regelmäßig Standorte wie meine Kollegen auch,
und zwar im Inland und im Ausland. Aus diesen zahllosen Gesprächen und Besuchen kann ich nur eines ableiten: Die absolute Mehrheit der Bundeswehrangehörigen
leistet einen tadellosen Dienst für unser Land,
({5})
sei es im Grundbetrieb in der Heimat oder in den Auslandseinsätzen.
({6})
Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Das möchte ich
hier noch einmal deutlich zum Ausdruck bringen. Dennoch müssen - auch hier besteht kein Zweifel - die Vorgänge und Umstände rund um den Fall Franco A. lückenlos aufgeklärt werden. Es ist unstrittig, dass eine solche
Mischung aus rechtsgerichteter Ideologie und krimineller Energie frühzeitig hätte identifiziert werden müssen.
Die Bundeswehr verfügt mit der Wehrdisziplinarordnung und den übergeordneten Leitprinzipien der Inneren Führung bereits über ein umfangreiches und in vielen Fällen bewährtes Instrumentarium für den Umgang
mit Verdachtsfällen dieser Art. Aufgrund subjektiver
Fehleinschätzungen ist dieses Instrumentarium im Fall
Franco A. aber nicht konsequent genug angewandt worden. Genau das muss kritisch aufgearbeitet werden.
Unsere Bundesministerin Frau von der Leyen hat deshalb richtigerweise angeordnet, die rechtlichen und prozessualen Rahmenbedingungen für solche Fälle kritisch
zu überprüfen und zu überdenken sowie die Vorgänge
rund um den inhaftierten Soldaten schonungslos aufzuklären. Dieser Ansatz ist richtig und verdient unsere volle
Unterstützung.
Der Versuch aber, aus diesem Fall ein generelles Versagen im Umgang mit potenzieller Rechtsradikalität in
der Bundeswehr abzuleiten, ist vollkommen absurd und
entbehrt jeglicher Grundlage. Zudem, meine Damen und
Herren, wirft er - das ist der entscheidende Punkt - ein
völlig falsches Licht auf die zahllosen Soldatinnen und
Soldaten, die sich tagtäglich ihrem Eid verpflichtet fühlen und ihren Dienst zur Gewährleistung der Sicherheit
dieses Landes korrekt, gewissenhaft, mit hoher Motivation, Leistungsbereitschaft und in 60-jähriger stolzer Tradition absolvieren.
Vor diesem Hintergrund sind die durchsichtigen Versuche, auf dem Rücken und zulasten unserer Soldaten
und Soldatinnen Wahlkampfmanöver aufzuführen, bestenfalls als bedenklich einzustufen und mit uns als Unionsfraktion nicht zu machen, liebe Kollegen und Kolleginnen.
({7})
Ich stelle also fest: Die Bundeswehr steht fest auf dem
Fundament unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Die überwältigende Mehrheit unserer Soldatinnen und Soldaten leistet einen einwandfreien Dienst und
genießt unser volles Vertrauen.
Bitte benutzen Sie das Wort „Amen“ nicht in diesem
Zusammenhang; dabei fühle ich mich als Katholikin diskriminiert.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Florian Hahn für die
CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
dem Aufdecken des Falls von Franco A., der möglicherweise eine Art rechtsextreme, vielleicht sogar rechtsterroristische Gruppierung aufbauen wollte, der mindestens
ein weiterer Angehöriger der Bundeswehr zuzurechnen
ist, wurde eine politische Dynamik ausgelöst - zu Recht;
zu alarmierend ist dieser Sachverhalt.
Ja, es sind Fehler gemacht worden. Aufgrund seiner
Masterarbeit mit ihren offensichtlichen rechtsextremistischen Inhalten hätte Franco A. nie eine Chance haben
dürfen, dienstlich aufzusteigen und Karriere zu machen.
Ich glaube, darin sind wir uns alle einig. Rechtsextremismus hat in der Bundeswehr nichts zu suchen!
({0})
Ja, das ist so.
({1})
Es ist deshalb wichtig und richtig, dass die Ministerin von der Leyen diesem, wie auch anderen Fällen,
konsequent nachgeht, sie aufklärt und Entscheidungen
trifft. Gegebenenfalls sind die Instrumente der Inneren
Führung entsprechend nachzuschärfen. Das wird sich bei
sachlicher Betrachtung der finalen Untersuchungsergebnisse zeigen.
Ich möchte einmal wissen, wie hoch der Grad der
Empörung auch in diesem Hause gewesen wäre, wenn
die Ministerin diese Schritte nicht gemacht hätte. Ihr deswegen Show zu unterstellen, ist - das muss ich sagen wirklich zynisch.
({2})
Diejenigen, die dies als Show bezeichnen, sind diejenigen, die selbst eine Show für sich aus diesem Thema
machen wollen.
({3})
Die von den Linken beantragte Aktuelle Stunde ist allerdings eine Farce. Sie zielt eben nicht darauf ab, den
von mir eben beschriebenen Weg der Aufklärung, der
Bewertung und der möglichen Neujustierung konstruktiv zu begleiten, sondern darauf, die Gunst der Stunde zu
nutzen, um die von vielen von Ihnen ungeliebte und abgelehnte Organisation Bundeswehr mit ihren 250 000 zivilen und militärischen Angehörigen einmal mehr öffentlich in die Pfanne zu hauen. Sie wollen ein Zeichen
setzen gegen die Bundeswehr. Das dürfen wir Ihnen so
nicht durchgehen lassen.
({4})
Es geht der Linken eben nicht um Aufklärung, sondern um den generellen Vorwurf, dass jede militärische
Ausbildung eine rechtsextreme Ausprägung anzieht und
fördert. Sie wollen die Bundeswehr als Hort des Rechtsextremismus darstellen. Das lassen wir Ihnen nicht
durchgehen. Die Bundeswehr ist seit über 60 Jahren der
Garant für Freiheit, Sicherheit und Demokratie in unserem Land. Darauf sollten wir alle stolz sein.
({5})
Eins muss betont werden: Die Bundeswehr leistet hervorragende Arbeit in einem Bereich, der kein Job wie jeder andere ist, der gefährlich ist, wie wir heute mit Blick
auf den tragischen Unfall in Wildflecken einmal mehr erleben müssen. In Somalia, in Mali und im Nordirak und
in vielen anderen Regionen absolvieren unsere Soldatinnen und Soldaten aktuell einen erstklassigen Einsatz.
Sie lassen sich leiten von einer menschenrechtsbasierten
Haltung. Die Ausbildung und das Training basieren auch
hier auf dem Leitgedanken der Inneren Führung. All das
führt natürlich auch dazu, dass die Bundeswehr inzwischen genau wegen dieser Einsätze in den Einsatzgebieten im Ausland einen entsprechenden Ruf genießt.
Wir haben heute im Ausschuss über die aktuellen
Ereignisse intensiv diskutiert, und die Diskussion war
leider in großen Teilen wie auch hier im Plenum bereits
vom bevorstehenden Wahlkampf geprägt.
({6})
Der Generalinspekteur hat dabei über die Ergebnisse
der von ihm angeordneten Bestandsaufnahme von Ausstellungsstücken, Symbolen und anderen Gegenständen
mit unkommentiertem Bezug zur Wehrmacht berichtet.
41 Fundstücke wurden danach gemeldet. Ich muss sagen:
Das ist für mich nicht wirklich ein alarmierendes Ergebnis; vielmehr zeigt es, dass wir hier nicht wirklich ein
großflächiges Problem haben. Das ist doch einmal etwas
Positives, was wir unterstreichen sollten.
({7})
Allerdings hat der Generalinspekteur von zwei Beispielen berichtet, bei denen in neu aufgestellten Bataillonen bei der Einrichtung eines Aufenthaltsraumes - wir
kennen den Fall - und bei der Gestaltung einer Gedenkmünze auf Wehrmachtssymbole zurückgegriffen wurde.
Er hat dazu die richtige Frage gestellt mit Blick auf unsere 60-jährige Erfolgsgeschichte der Bundeswehr: Warum wird nicht stärker bei solchen Dingen auf dieselbe
Geschichte, nämlich 60 Jahre Bundeswehr, zurückgegriffen? Diese Frage sollten wir uns auch stellen. Ich möchte
die These wagen, dass vielleicht gerade das über viele
Jahre gepflegte freundliche Desinteresse an unserer Bundeswehr in unserer Gesellschaft ein Auslöser für so etwas
ist. Mit dem Verbannen von Soldaten aus den Schulen
und der Verhinderung von öffentlichen Gelöbnissen leistet beispielsweise linke Politik ihren Beitrag dazu genau
wie mit dieser unnötigen Debatte.
({8})
Klar ist: 60 Jahre Bundeswehr bieten eine eigene Geschichte, auf die wir stolz sein können. Die Soldatinnen
und Soldaten der Bundeswehr haben bewiesen, dass sie
als „Staatsbürger in Uniform“ in weltweiten Einsätzen,
aber auch bei Katastrophen oder bei der Flüchtlingshilfe
hervorragende Arbeit leisten. Diese positive Bilanz ist
auch die Bilanz einer guten Politik und einer guten Arbeit
von entsprechenden Ministern, die dies zu verantworten
haben. Unsere Aufgabe ist es, genau das nach außen zu
tragen, um die ganz große Mehrheit unserer Soldatinnen
und Soldaten vor einem falschen Eindruck zu schützen.
Es ist aber umso wichtiger, mit den wenigen einzelnen
schwarzen Schafen aufzuräumen und gegebenenfalls Instrumente der Inneren Führung im Miteinander nachzuschärfen. Das ist unser politischer Auftrag.
Vielen Dank.
({9})
Zum Abschluss dieser Aktuellen Stunde spricht der
Kollege Ingo Gädechens für die CDU/CSU.
({0})
Werter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man als letzter Redner einer Aktuellen Stunde, die von den Linken beantragt wurde, reden darf, dann
ist schon linker Pulverdampf, dann ist oppositionell grüner Pulverdampf und dann ist sogar auch roter Pulverdampf schon etwas verflogen,
({0})
sodass man vielleicht die Gemeinsamkeiten dieser Debatte herausarbeiten kann. Ich möchte diese Gemeinsamkeiten dadurch unterstreichen, dass ich betone, dass
Rechtsextremismus, Extremismus ganz allgemein nicht
in unserer Gesellschaft und schon gar nicht in unserer
Bundeswehr Raum und Platz finden dürfen.
({1})
Meine Damen und Herren, die Wehrmacht konnte nach
dem Ende des dunkelsten Kapitels unserer Geschichte
niemals identitätsstiftend für die Bundeswehr sein. Die
Bundeswehr hat aus eigener 60-jähriger Geschichte eine
gute Tradition und echte Vorbilder hervorgebracht und
braucht deshalb keine verherrlichten Relikte aus einer
dunklen Zeit.
Eine fortlaufende Überprüfung nicht nur des Traditionsbewusstseins, sondern auch der innerlichen Haltung
der Truppe insgesamt ist dabei eine Grundvoraussetzung
für eine moderne Armee. Wie in vielen Bereichen sind
auch hier eine große Sensibilität, aber auch Aufmerksamkeit gefordert.
Wir hörten es: Der Fall Franco A. führte uns deutlich
vor Augen, dass wir Missstände offen ansprechen und
diskutieren müssen. Ich bin sowohl der Ministerin als
auch dem Generalinspekteur dankbar, dass sie mit Entschlossenheit an die Aufgabe herangegangen sind, den
Vorfall Franco A. mit all seinen Verästelungen und den
anderen Personen, die damit auch zu tun haben, vollumfänglich aufzuklären.
Die Vorgänge in Illkirch haben die Truppe verunsichert und - ich sage das mal - auch tief getroffen.
({2})
Für mich als Verteidigungspolitiker ist es wichtig, nicht
nur hier im Plenum Rede und Antwort zu stehen, sondern
auch mit den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr
vor Ort zu reden und ihnen gegenüber Solidarität zu bekunden. Am Montag dieser Woche habe ich die Truppe
bei einer großen Übung „Red Griffin“ besucht, an der
3 500 Soldatinnen und Soldaten verschiedener Nationen
teilnehmen. Ich habe in die Gesichter der Kameradinnen
und Kameraden geschaut und gesehen: Sie waren tief
getroffen, und die Debatte um Rechtsextremismus hat
sie schwer belastet. Sie belastet diese Soldatinnen und
Soldaten deshalb schwer - das haben einige Rednerinnen
und Redner dankenswerterweise auch erklärt -, weil die
weit überwiegende Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten mit rechtsextremen Tendenzen, mit rechtsextremem
Gedankengut rein gar nichts am Hut hat. Deshalb hat es
sie besonders getroffen.
({3})
Die Verfehlungen Einzelner schaden dem Ruf der
Bundeswehr insgesamt. Ich sage, anders als der Kollege Arnold: Natürlich ist die Bundeswehr Spiegelbild der
Gesellschaft. Sie ist es. Nur: Sie ist es nicht nur, wenn das
Spiegelbild gut aussieht, sondern sie ist es leider auch in
so schlechten Fällen, wie sie sich zurzeit gezeigt haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in meiner weit über
30-jährigen aktiven Dienstzeit als Berufssoldat in der
Bundeswehr - ich habe die Hälfte der 60-jährigen Geschichte der Bundeswehr aktiv mitbekommen - habe ich
ein Spiegelbild dieser Gesellschaft erlebt. Die Soldaten
haben sich als hilfsbereit, als pflichtbewusst und solidarisch gezeigt. Neben ihrem eigentlichen Dienst haben sie
sich auch pflichtbewusst gegenüber unserer Gesellschaft
gezeigt. Im Ehrenamt, egal ob im Sportverein oder in der
freiwilligen Feuerwehr, haben Soldatinnen und Soldaten
demokratisches Grundverständnis gezeigt, und dafür,
denke ich mal, gebührt ihnen an dieser Stelle - neben
dem, was im Moment auch in der Diskussion ist - höchste Anerkennung.
({4})
Werte Kolleginnen und Kollegen, wir müssen raus
aus diesen negativen Schlagzeilen; denn eigentlich wollen wir junge Menschen für unsere Bundeswehr begeistern, dafür, dass sie Dienst für ihr Land, Dienst für ihr
Vaterland leisten, dafür, dass sie für den Schutz unserer
äußeren Sicherheit einstehen. Deshalb - das sage ich
ganz ehrlich - ist diese Diskussion, die wir uns alle nicht
gewünscht haben, schädlich, und deshalb ist Aufklärung
nötig. Diese Aufklärung wird betrieben. Frau Ministerin
hat in ihrem offenen Brief am 1. Mai geschrieben:
... die große Mehrheit der Bundeswehrangehörigen ... tut dies mit großem Verantwortungsgefühl
für die ihnen anvertrauten Menschen und voller
Respekt vor der freiheitlich demokratischen Grundordnung.
Dem, denke ich, ist nichts hinzuzufügen; denn ich bin
davon überzeugt, dass die Soldatinnen und Soldaten so
handeln.
Herzlichen Dank.
({5})
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Nicht beendet ist die Verbundenheit des Deutschen
Bundestages mit der Bundeswehr, unserer Parlamentsarmee. Deshalb begrüße ich auf der Besuchertribüne eine
Reihe von Angehörigen der Bundeswehr. Sie haben unsere Verbundenheit.
({0})
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Beratung des Berichts des Petitionsausschusses
({1})
Bitten und Beschwerden an den Deutschen
Bundestag
Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des
Deutschen Bundestages im Jahr 2016
Drucksache 18/12000
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Widerspruch
sehe ich keinen. Dann ist das so beschlossen.
Deshalb eröffne ich die Aussprache und erteile zu Beginn das Wort der Vorsitzenden des Petitionsausschusses,
der Kollegin Kersten Steinke. - Sie haben das Wort.
({2})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Seit Gründung der Bundesrepublik ist das Petitionsrecht im Grundgesetz verankert. Dieses Recht zu
nutzen, ist für viele Bürgerinnen und Bürger oftmals die
letzte Instanz. Dieses Recht bietet oft auch die einzige
Möglichkeit, eine Beschwerde prüfen zu lassen, eine
Rechtsauskunft zu erhalten und Probleme mit Verwaltungsbehörden zu lösen. Außerdem können Bürgerinnen
und Bürger mit Bitten zur Gesetzgebung am politischen
Leben teilhaben und zur Gestaltung unserer Gesellschaft
beitragen. Die Initiative liegt aber immer bei den Bürgerinnen und Bürgern. Deshalb muss das Recht, eine Bitte
oder Beschwerde einzureichen, noch bekannter und noch
transparenter gemacht werden. Petitionen sind für uns
Abgeordnete wie Ideenboxen; denn viele Petitionen zeigen uns auf, was bei einem neuen Gesetz in der Praxis
nicht funktioniert oder wo Einrichtungen und Verwaltungen des Bundes fehlerhaft arbeiten.
Der Petitionsausschuss war im Jahr 2016 wieder Anlaufpunkt für viele Bürgerinnen und Bürger. 11 236 Petitionen wurden neu eingereicht. Das sind weniger als in
den Jahren zuvor. Die Ursachen dazu sind vielfältig. Ich
denke aber nicht, dass die Menschen zufriedener geworden sind. Um den Ursachen auf den Grund zu gehen und
unsere Arbeits- und Herangehensweise auf den Prüfstand
zu stellen, haben sich die Mitglieder des Petitionsausschusses dazu entschlossen, am 29. Mai eine öffentliche
Anhörung von Fachexperten durchzuführen. Ich lade Sie
hiermit alle herzlich dazu ein.
({0})
Hier ein paar Fakten zum Jahresüberblick. Ein Drittel
der Eingaben ging auf elektronischem Weg ein. Auf der
Petitionsplattform des Ausschusses im Internet meldeten
sich 175 000 neue Nutzerinnen und Nutzer an. Somit hat
unsere Plattform mittlerweile über 2 Millionen registrierte Nutzerinnen und Nutzer. 633 Petitionen wurden
auf der Plattform veröffentlicht. Das sind 249 Petitionen
mehr als im Vorjahr. Dazu gab es 20 000 Diskussionsbeiträge und 222 000 elektronische Mitzeichnungen. Wir sehen also, der Petitionsausschuss hat in der Bevölkerung
nach wie vor einen hohen Stellenwert. Aber es liegt an
uns, dieses Vertrauen, das die Bevölkerung in uns hat,
nicht zu enttäuschen und durch unsere tägliche Arbeit
immer wieder aufs Neue zu rechtfertigen.
({1})
Die öffentliche Beratung von Petitionen im Ausschuss
ist eine Form, um über die Arbeit des Ausschusses öffentlich zu berichten, Entscheidungen nachvollziehbar
zu machen und die Petentinnen und Petenten in die Entscheidungsfindung noch besser einzubeziehen. Deshalb
empfehle ich dem neuen Ausschuss, sich von der starren
Anzahl von 50 000 Unterschriften in vier Wochen, die
für eine öffentliche Beratung laut Verfahrensrichtlinie
erforderlich sind, zu lösen, um noch mehr öffentliche Beratungen durchführen zu können.
({2})
Hohe Zustimmung bei den Beschlüssen, meist einstimmige Beschlüsse unseres Ausschusses signalisieren der Bundesregierung, dass wir der Auffassung sind,
zwingend Abhilfe zu schaffen, wo Gesetzesänderungen
notwendig sind. Doch leider ist festzustellen, dass die
Zahl der hohen Voten an die Bundesregierung in den
letzten Jahren rapide abgenommen haben. Waren es zu
Beginn der Wahlperiode im Jahr 2013 noch 50, so gab
es im Jahr 2016 nur noch 21 Berücksichtigungs- und Erwägungsbeschlüsse. Auch hier ermuntere ich den neuen
Ausschuss, mutiger und konsequenter zu sein. Denn unser Auftraggeber sind die Petentinnen und Petenten und
nicht die Regierung.
({3})
Ein paar weitere Zahlen. Wie auch in den vergangenen Jahren betrafen circa 20 Prozent aller Eingaben das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Hier betreffen viele Angelegenheiten das tägliche Leben. So wurden
unter anderem die Hinzuverdienstgrenze für Arbeitslose,
verschiedenste Rentenfragen, die Anerkennung von Berufskrankheiten oder die schwierige Situation von Menschen mit Behinderung thematisiert.
Auf dem zweiten Platz folgt das Bundesministerium
des Innern mit 1 627 Eingaben. Schwerpunkte waren hier
das Kriegsgefangenen- und Heimkehrrecht, das Wahlrecht sowie das Melde- und Personenstandswesen. Ein
Drittel dieser Zuschriften gingen zum Aufenthalts- und
Asylrecht ein. Auch wenn die Zahl der entsprechenden
Petitionen gegenüber dem Vorjahr um circa 300 rückläufig war, so waren die Fälle doch nicht weniger tragisch.
Doch aufgrund des deutschen Asylrechts sowie der Dublin-II- und der Dublin-III-Verordnung wurden die meisten Petitionen leider abgelehnt.
Ich möchte jedoch von einem besonders ergreifenden und positiven Fall berichten. Es ging um eine Bleiberechtsregelung für eine Jugendliche aus Somalia. Im
Alter von 14 Jahren vor dem Terror geflohen, ihr Vater
ermordet, die Überfahrt nach Italien als Zeugin mehrerer Todesfälle an Bord nur knapp überlebt, wurde sie in
einem Flüchtlingscamp Opfer mehrerer sexueller Übergriffe und sollte schließlich zur Prostitution gezwungen
werden. Sie floh davor nach Deutschland. Hier erhielt
sie erstmalig notwendige psychologische Unterstützung.
Da sie jedoch in Italien bereits als Flüchtling anerkannt
war, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
ihren Asylantrag zunächst ab und forderte sie auf, nach
Italien zurückzukehren. Dies hätte die bereits erzielten
therapeutischen Erfolge jedoch völlig zunichtegemacht.
Auch eine Selbstmordgefährdung konnte hier nicht ausgeschlossen werden. Mitglieder des Petitionsausschusses
führten deshalb ein Gespräch mit Vertretern des Bundesministeriums des Innern, mit dem Ergebnis, dass schließlich ein Weg gefunden wurde, der Petentin ein Bleiberecht in Deutschland zu ermöglichen.
Dieses Beispiel sollte Ansporn für uns sein, auch weiterhin mit großem Engagement gemeinsam, über die
Fraktionsgrenzen hinaus, konstruktiv zum Wohl der Petentinnen und Petenten zusammenzuarbeiten.
({4})
Die vielen kleinen, persönlichen Anliegen aus dem täglichen Leben stehen zwar nicht so sehr im Fokus der Öffentlichkeit, bilden aber mit rund 75 Prozent der Eingaben das Kerngeschäft der Ausschussarbeit.
Im Rahmen der parlamentarischen Prüfung führten
Ausschussmitglieder 21 Berichterstattergespräche durch,
in denen im direkten Gespräch mit Vertreterinnen und
Vertretern der Ministerien versucht wurde, schwierige
Einzelfälle zu klären. Hierbei ging es beispielsweise um
Visaangelegenheiten, das Aufenthaltsrecht, Behindertenwerkstätten oder die Vergütung medizinischer Leistungen. In einem Fall wurde zusätzlich auch Akteneinsicht
genommen. - Dies alles geschah unter Ausschluss der
Öffentlichkeit. Anders ist es bei einem Ortstermin, der in
der Öffentlichkeit stattfindet, wie zum Beispiel der Ortstermin in der Gemeinde Karlsburg in Vorpommern.
Im Berichtsjahr führte der Ausschuss zwei öffentliche
Sitzungen durch. Die Petentinnen und Petenten können
hier ihr Anliegen dem Ausschuss und den Regierungsvertretern persönlich vortragen. Eine Liveübertragung im
Parlamentsfernsehen und die Einstellung in die Mediathek des Bundestages stellen zudem mehr Öffentlichkeit
her.
Folgende Themen wurden unter anderem öffentlich
behandelt: die Erhaltung des eigenständigen Berufsbildes der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege im neuen
Pflegeberufsgesetz - mit über 160 000 Unterstützerinnen
und Unterstützern -, die Sicherstellung der Versorgung
aller therapieresistenten Menschen mit Epilepsien mit
neuen Medikamenten, die Verhinderung der Umsetzung
der Tabakrichtlinienverordnung, die Sicherung der freien
Wahl des Geburtsortes sowie die Neuordnung des Vergütungssystems in der Geburtshilfe. - Auch wenn diese
Petitionen viele Tausend Unterschriften hatten, bleibt es
dabei: Jede Petition wird ernst genommen und sorgfältig
geprüft, egal, ob sie von einer oder von vielen Personen
unterschrieben wurde,
({5})
egal, ob sie von allgemeinem Interesse ist oder ein ganz
persönliches Anliegen betrifft, und egal, ob sie im Internet veröffentlicht wird oder nicht. Jede Petentin und
jeder Petent bekommt im Unterschied zu privaten Petitionsplattformen eine Antwort und einen begründeten Beschluss.
({6})
Auch wenn nicht jeder Petent ein positives Ergebnis erwarten kann, versucht der Ausschuss, dadurch zu helfen,
dass er den Bürgerinnen und Bürgern die staatlichen Entscheidungen erläutert und sie nachvollziehbar macht. Allerdings sind unserer Arbeit auch Grenzen gesetzt; denn
der Bundestag kann die Regierung zwar ersuchen, dem
Anliegen einer Petition zu entsprechen - zu einem Handeln zwingen kann er sie leider nicht.
Gerade, wenn es um die Modifizierung von Gesetzen
geht, ist oft ein langer Atem nötig. Umso mehr freut mich
die Mitteilung der Bundesregierung, dass einem Anliegen, zu dem der Ausschuss im Jahr 2014 ein hohes Votum an die Bundesregierung gerichtet hatte, vollständig
entsprochen wurde. Es handelt sich dabei um Kinder, die
ein Elternteil verloren haben und als Halbwaisenrentner
aus der Krankenversicherung des verbliebenen Elternteils ausgegliedert werden. Sie mussten von ihrer Rente
selbst Beiträge an die Krankenkasse entrichten. Neben
ihrem schweren Schicksal war dies für die Betroffenen
eine zusätzliche finanzielle Belastung. Seit dem 1. Januar 2017 ist gesetzlich geregelt, dass eine Versicherungspflicht für Waisenrentner mit Beitragsfreiheit bis zu den
Altersgrenzen für die Familienversicherung besteht. Ich
denke, das ist ein Erfolg.
({7})
Diese guten Nachrichten sollten uns Mitglieder bestärken, beharrlich und mit Nachdruck an der Lösung der
Probleme der Petentinnen und Petenten zu arbeiten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die 18. Wahlperiode geht zu Ende. Es sei mir deshalb auch ein persönliches Wort als Ausschussvorsitzende gestattet. Zum einen
möchte ich mich ganz herzlich bei allen Ausschussmitgliedern, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des
Ausschussdienstes, den Mitarbeiterinnen und MitarbeiKersten Steinke
tern der Fraktionen und der Abgeordneten für die sachliche, konstruktive und gute Zusammenarbeit bedanken.
({8})
Zum anderen möchte ich der kommenden Koalition auf
den Weg mitgeben, dass - ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag - „lebendige Demokratie und Bürgerbeteiligung“
auch mit Leben erfüllt werden müssen.
Der Petitionsausschuss - so versichern alle Abgeordneten unseres Ausschusses - sollte in einer Demokratie
und in der Politik kein Nebenschauplatz sein. Ich denke,
ein Mehr an Transparenz und Öffentlichkeit der eigenen
Arbeit und ein Mehr an Vertrauen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern würden wohltuend für Abgeordnete
und für die Petenten sein.
Abschließend möchte ich alle Bürgerinnen und Bürger ermutigen: Nutzen Sie Ihr Petitionsrecht! Es ist Ihr
Recht! Lassen Sie sich dabei von George Orwell leiten,
der sagte:
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie
nicht hören wollen.
Herzlichen Dank.
({9})
Als Nächster spricht der Kollege Udo Schiefner für
die SPD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In meiner ersten Rede im Deutschen Bundestag 2014 durfte ich bereits
zum Tätigkeitsbericht des Petitionsausschusses sprechen.
Ich habe damals als neuer Abgeordneter gesagt: Es war
mir ein Herzenswunsch, Mitglied in diesem Ausschuss
zu sein, und ich habe noch keine Minute bereut, diese Arbeit aufgenommen zu haben. Ich möchte jetzt, drei Jahre
später, aus voller Überzeugung wiederholen und bekräftigen, dass die Arbeit mir gezeigt hat: Der Petitionsausschuss bleibt für mich einer der wichtigsten Ausschüsse
dieses Parlaments, wenn er auch oftmals fern von Fernsehkameras und Mikrofonen tagt.
({0})
Aber warum eigentlich? Was ist so besonders am Petitionsausschuss?
Petitionen an den Deutschen Bundestag brauchen
keinen „Daumen hoch“ wie in sozialen Netzwerken, sie
müssen nicht in kleinen Filterblasen an die Oberfläche
blubbern. Echte Petitionen sind nicht von undurchschaubaren Algorithmen abhängig. Petitionen machen auch
keine Ochsentour durch Parteiinstanzen. Was macht Petitionen aus? Einfache Anliegen der Menschen kommen
direkt im Parlament an, landen beim Petitionsausschuss
und schließlich auf unserem Schreibtisch.
Wir nehmen jede Petition ernst. Petitionen sind nicht
wirkungslos. Wir erfahren von Nebenwirkungen der Gesetze, die wir verabschieden. Wir erfahren, wo die Umsetzungen politischer Entscheidungen nicht rundlaufen,
wo nachgebessert werden muss. Dazu brauchen wir die
Informationen der Menschen. Sie sind der Gradmesser
für unser Tun.
Die Masse der Petitionen ist sehr konkret und durch
klare und gute Argumente unterlegt. Wenn ich Petitionen
lese, denke ich mir oft: Genau auf den Punkt gebracht!
Warum haben wir das nicht längst schon so geregelt oder
so gesehen? Unsere Aufgabe ist es deshalb, die Hinweise
der Bürgerinnen und Bürger ernst zu nehmen, unvoreingenommen zu prüfen und aufzunehmen. Dabei sollten
wir als Politiker unsere eigenen Scheren im Kopf weglassen. Anders als in den Fachausschüssen sollte sich
meiner Meinung nach unsere Arbeit nicht am klassischen
Rollenverständnis von Koalition und Opposition orientieren.
({1})
Unserer Aufgabe im Petitionsausschuss werden wir gerecht, wenn wir jedes Mal ganz genau hinschauen und
einzig die Sorgen und Nöte der Petentinnen und Petenten
in den Mittelpunkt stellen.
Der Petitionsausschuss ist das zentrale Instrument
echter Bürgerbeteiligung auf Bundesebene. Unser Petitionsrecht ist erfolgreich, und das muss auch so bleiben.
Die letzte große Reform des Petitionsrechts fand jedoch
vor zwölf Jahren unter SPD-Führung statt. Einigen hier
im Haus fehlt meiner Meinung nach seitdem der Wille
und der Mut, wieder große Reformen auf den Weg zu
bringen, um das Petitionsrecht zu modernisieren.
({2})
Sinkende Petitionszahlen werden in Gesprächen hier und
da sogar als Ausdruck großer Bürgerzufriedenheit interpretiert. Ich finde, das ist ein Trugschluss, meine Damen
und Herren. Im digitalen Zeitalter wollen die Bürgerinnen und Bürger ihre Anliegen direkter und schneller
anbringen. Ich denke, wir dürfen dieses Feld nicht den
Klickaktivisten überlassen. Sie schmücken sich zwar mit
dem Label „Petitionen“, aber sie können nur erregen; etwas verändern können nur wir hier in diesem Parlament.
({3})
Das ist die Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des
Petitionsreferates für ihre Arbeit und Ihnen hier im Saal
für Ihre Aufmerksamkeit.
Herzlichen Dank.
({4})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgit Wöllert,
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Liebe Gäste! Ich kann nahtlos an die
Ausführungen meines Kollegen anknüpfen, der hier sagte, einzig und allein die Sorgen und Nöte der Petentinnen und Petenten sollten im Mittelpunkt unserer Arbeit
stehen - unabhängig von der Fraktionszugehörigkeit. Ich
finde, da hat er völlig recht. Das sollten wir unterstreichen. Deshalb habe ich mich entschieden, heute am Beispiel einer Petition zu erläutern, dass das möglich ist, die
Regierung dem aber trotzdem nicht unbedingt folgt. Damit komme ich auf das zurück, was unsere Vorsitzende
gesagt hat: Wir können die Regierung auffordern; ob sie
der Aufforderung folgt, bleibt aber dahingestellt. Vielleicht schaffen wir es heute, mit dem Ansprechen eines
solchen Themas, den notwendigen Druck aufzubauen.
Es geht mir um eine Gruppe von Menschen, die wirklich große Sorgen und Nöte hat. Es geht um eine Petition
der Deutschen Hämophiliegesellschaft, die Menschen
vertritt, die die Bluterkrankheit haben. Sie wurden in den
70er- und 80er-Jahren mit Präparaten versorgt, die mit
Viren verseucht waren, und zwar mit HIV oder dem Hepatitis-C-Virus. In vielen Bereichen kannte man das noch
nicht; aber zumindest ab Anfang der 80er-Jahre war es
möglich, durch Verfahren diese Viren abzutöten. In einem Untersuchungsausschuss wurde geklärt, dass sich
hier nicht nur die Pharmaindustrie fahrlässig und körperschädigend verhalten hat, sondern auch die Politik hinsichtlich ihrer Aufsicht versagt hat. Genau darum geht es.
Für die Betroffenen, die mit dem HI-Virus infiziert worden sind, wurde eine Lösung gefunden, indem man über
eine Stiftung Entschädigungen auf den Weg gebracht hat;
aber für die Gruppe der Menschen, die mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert worden sind, gibt es bis heute keine
Lösung. Obwohl sie genauso betroffen waren und bis
heute sind, wird ihre Forderung nicht erfüllt.
Das haben wir über alle Fraktionen hinweg so gesehen. Deswegen haben wir gemeinsam eine Berichterstattung formuliert. Ich möchte hier und heute noch einmal
an die Bundesregierung und insbesondere das Bundesgesundheitsministerium appellieren, der Aufforderung der
Kolleginnen und Kollegen des Petitionsausschusses zu
folgen und zeitnah - vielleicht, wenn der Gesetzentwurf
zur Fortführung der HIV-Stiftung im Gesundheitsausschuss beraten wird - darüber nachzudenken, auch etwas
für die Betroffenen, die mit dem HC-Virus infiziert wurden, zu tun.
({0})
Ich denke, das wäre in dieser Legislatur noch ein Punkt,
der zeigt, dass sich Petitionen lohnen, der zeigt, dass es
sich lohnt, dranzubleiben, dass man in jede Fraktion gehen kann und dass sich dann etwas bewegen kann.
Damit könnten wir unserer Demokratie vor den Wahlen noch einen Schub geben. Wir könnten die Leute dann
auffordern: Bringt euch ein! Es lohnt sich.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Als Nächster spricht der Kollege Michael Vietz für die
CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren!
Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder
Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die
Volksvertretung zu wenden.
Artikel 17 des Grundgesetzes klingt so selbstverständlich, so banal. Das ist er aber nicht. In vielen Staaten existiert kein solches Grundrecht, sich bei staatlichen Stellen
Gehör verschaffen zu können, und es gibt auch keine in
der Verfassung verankerte Pflicht des Parlaments, einen
Ausschuss zur Behandlung dieser Anliegen einzurichten.
Das sollten wir uns immer vor Augen führen, wenn wir
einmal im Jahr als Parlament auf die Arbeit unseres Petitionsausschusses blicken.
Wir kümmern uns in erster Linie um die alltäglichen
Sorgen und Nöte, um die Anliegen und Anregungen der
Bürgerinnen und Bürger. Wir machen Politik im Kleinen,
Politik für den Einzelnen. Auch wenn wir nicht die großen Gesetzentwürfe beraten, befassen wir uns doch ganz
konkret mit den Lebensumständen unserer Bevölkerung,
mit ihrer Sicht auf die Dinge. Wie wir alle aus unserer
täglichen Arbeit wissen, haben die Menschen in unserem
Land tatsächlich keine Berührungsängste hinsichtlich
ihrer Abgeordneten oder Institutionen. Sie wenden sich
ausgiebig an ihre Wahlkreisvertreter, an die Ministerien oder an den Deutschen Bundestag. 11 236 Eingaben
wurden allein im letzten Jahr an uns gerichtet - zum Teil
von Einzelpersonen, in vielen Fällen von mehreren unterstützt, mal von wenigen Hundert, mal von Zigtausenden. 12 317 Eingaben wurden 2016 durch den Ausschuss
abschließend behandelt, 743 davon in Einzelberatung des
Ausschusses.
Zurzeit - das wurde schon gesagt - erleben wir einen
leichten Rückgang der Zahl der Petitionen. Die einen
schieben es auf vermeintliche Konkurrenzangebote im
Netz, andere darauf, dass Petitionen zu wenig bekannt
seien, obwohl Hunderttausende im Jahr eine solche unterschreiben. Das mag alles zum Teil eine Ursache sein.
Lieber Kollege Schiefner, auch wenn ich dir ungern widerspreche, muss ich sagen: Für mich besteht tatsächlich kein Zweifel daran, dass dies zu einem großen Teil
schlichtweg daran liegt, dass die Menschen in unserem
Land dank der guten Arbeit von uns allen, des Deutschen
Bundestages und der Bundesregierung, von Jahr zu Jahr
zufriedener sind.
({0})
Vielleicht ist es ein Problem, dass wir mehr Wert auf Bitten und Beschwerden und weniger Wert auf Lob legen.
Der Petitionsausschuss ist und bleibt der heiße Draht
zwischen Bürgern und Parlament. Hier wird jede Petition sorgfältig geprüft, recherchiert und abgewogen. Abschließend wird dann demokratisch eine Entscheidung
gefällt. Deshalb hat der Begriff „Petition“ auch solch
einen guten Ruf. Hier im Bundestag ist es gleich - auch
das haben wir schon gehört -, ob eine Petition von einem
Einzelnen, von 10 000 oder von mehr Menschen eingereicht wird. Wir befassen uns mit jeder, und wir prüfen
jedes Anliegen.
Der Petitionsausschuss ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie man über Fraktionsgrenzen hinweg konstruktiv
im Sinne unserer Bevölkerung zusammenarbeitet, bei
allen vorhandenen politischen Unterschieden, die auch
wir nicht wegdiskutieren können. Ein herzliches Dankeschön daher an alle Kolleginnen und Kollegen für dieses
gute Miteinander, das - gerade mittwochs in der Früh nicht immer selbstverständlich ist.
({1})
Vielen Dank auch an unsere Ausschussvorsitzende
Kersten Steinke für ihre ruhige und sachliche Leitung
der Sitzungen;
({2})
aber vor allem und im Besonderen einen herzlichen Dank
an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausschussdienstes, die uns mit hoher Kompetenz zuarbeiten, mit
einer Geduld, um die sie der sprichwörtliche Engel beneiden kann.
({3})
Wir alle nehmen die Anliegen unserer Mitbürger
ernst. Das gebietet der Respekt vor unserem Volk, unserem Souverän. Das ist das Fundament unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Dieser gegenseitige
Respekt ist ein nicht zu unterschätzender Faktor für die
Stabilität unseres Landes. Er erhält und mehrt die Akzeptanz der Politik in der Bevölkerung. Was es bedeutet und wohin es führt, wenn sich Menschen nicht ernst
genommen fühlen, erleben wir gerade bei einigen unserer Nachbarn: Populismus, Nationalismus und Chauvinismus sind auf dem Vormarsch. Die Identifikation der
Bevölkerung mit unserem Staatswesen, seine Akzeptanz,
ist die wirksamste Waffe gegen diese Verirrungen. Der
Petitionsausschuss ist hier ein wichtiger Baustein unserer
freiheitlichen Demokratie.
Wenn Sie mich fragen, welche Petitionen mir aus den
letzten Jahren in Erinnerung geblieben sind, dann kommen schon einige zusammen. Aber nur zwei Beispiele.
Das erste: die Sommerzeit, ein Dauerbrenner. Viele
Menschen empfinden die Zeitumstellung als große Belastung, der kein bis bestenfalls ein sehr geringer Nutzen
gegenübersteht. Manche nervt es, manche haben damit
echte gesundheitliche Probleme. Halbjährlich, pünktlich
nach der jeweiligen Umstellung, erreichen den Bundestag daher zahlreiche Petitionen, die auf eine Abschaffung
drängen. Leider können wir hier nicht direkt einwirken.
Die Kompetenz für die Zeit liegt in Europa, weswegen
wir diese Petitionen zur Unterstützung entsprechender
Initiativen regelmäßig und einvernehmlich an unsere
Kollegen des Europäischen Parlaments weitergeben.
Auch die eine oder andere Fraktion hat sich unter diesem
Eindruck des Themas angenommen, hat Position bezogen und die Regierung aufgefordert, auf Ebene der Europäischen Union Einfluss zu nehmen - Ziel: die geltende
Zeitumstellung abzuschaffen. Hier diente der Petitionsausschuss, wir alle, als steter Tropfen und als Inspiration.
Daneben gibt es viele Petitionen, wo wir direkt einwirken konnten, beispielsweise beim Meister-BAföG. In
einer Petition wurde die gesetzliche Anerkennung von
Berufspraktika als Lehrveranstaltungen im Sinne des schwieriges Wort - Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes gefordert. Damit wurde eine Lücke deutlich, die
bestand, aber so nicht gewollt war. Am 26. Februar letzten Jahres wurde daher ein Kompromissvorschlag zur
Novellierung des Meister-BAföG beschlossen. Seit dem
1. August 2016 können nun die Auszubildenden an Fachschulen in ganz Deutschland BAföG für die gesamte Zeit
der Ausbildung beziehen. Praktische Hilfe, direkte Hilfe
durch den Petitionsausschuss!
({4})
Hier zeigt sich: Durch unseren beharrlichen Einsatz
konnte eine Gesetzeslücke sinnvoll geschlossen werden.
Das Meister-BAföG - ich erwähnte es - ist ein positives
Beispiel für die Arbeit des Petitionsausschusses. Wir betreiben Finetuning.
Im Ausschuss erfahren wir täglich die Sicht der Menschen auf die Ergebnisse der großen Politik, ihre Erfahrungen mit unseren Beschlüssen. Wir sind Resonanzboden und Reparaturbetrieb gleichermaßen. Wir erfahren
auch und gerade über unseren Wahlkreis hinaus, was die
Menschen in unserem Land bewegt, was sie berührt, belastet und umtreibt.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, Petitionen sind Berufung, und dieser Berufung
folgen wir alle von Herzen - gestern, heute und morgen.
Vielen Dank.
({5})
Die Kollegin Corinna Rüffer spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr richtig, Frau Stamm-Fibich. Sie haben gleich
auch noch Grund dazu. - Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch Ihnen da oben:
Herzlich willkommen! Es haben ja schon einige gesagt:
Das ist der letzte Jahresbericht in dieser Legislaturperiode, der hier debattiert wird. Einmal im Jahr steht der Petitionsausschuss im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Das
ist eine Gelegenheit, Resümee zu ziehen, ein Stück weit
zurückzublicken und zu schauen: Was ist in den letzten
Jahren passiert? Was haben wir gelernt? Und: Was sollten wir alle gemeinsam vielleicht dazulernen?
Meine Vorredner und Vorrednerinnen haben schon einiges gesagt. Sie haben gelobt und viel Positives gesagt.
Einem Lob möchte ich mich auf jeden Fall anschließen,
nämlich dem Lob an den Ausschussdienst,
({0})
der wirklich unermüdlich Tausende von Akten mit Akribie behandelt. Davor muss man den Hut ziehen. Ich glaube, man sollte allen Petentinnen und Petenten auch noch
einmal mit auf den Weg geben, dass die Abgeordneten
nicht die Einzigen sind, die hier arbeiten, sondern auch
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Großartiges geleistet haben.
({1})
Aber auch ganz viele von uns hier, von den Abgeordneten, haben sich wirklich reingehängt. Eigenlob stinkt;
deswegen greife ich einmal zwei Namen heraus, nämlich
auf der einen Seite Frau Stamm-Fibich und auf der anderen Seite Frau Weiss von der Union, die sich dadurch
auszeichnen, dass sie Berichterstattergespräche beantragt, in diesen wirklich ganz klug nachgefragt und ganz
vielen Leuten im Einzelfall geholfen haben.
Ich glaube, es zeichnet den Petitionsausschuss aus,
dass darin Leute sitzen, die ein Interesse daran haben,
Menschen im Einzelfall zur Seite zu stehen und Lösungen zu finden, wenn Not da ist. Hinter vielen Petitionen
stehen eine große Not und Existenzfragen. Wir versuchen, uns dessen anzunehmen, und wir tun wirklich unser Bestes.
({2})
- Jetzt dürfen noch alle klatschen; denn nun folgt der andere Teil.
Der Petitionsausschuss ist aber - das muss man durchaus auch sagen - aus meiner Sicht noch immer viel zu
sehr ein Kummerkasten, und er wird auch so wahrgenommen.
({3})
Jedes Jahr, wenn dieser Jahresbericht ansteht, rufen
Journalisten an. Sie interessieren sich dann auch einmal
für den Petitionsausschuss und stellen immer nur ganz
wenige Fragen, und zwar jedes Jahr die gleichen. Dazu
gehört die Frage: Sind Sie hier nicht eigentlich der Kummerkasten? - Eine zweite Frage ist: Warum sind Sie eigentlich im Petitionsausschuss gelandet? Da will doch
eigentlich keiner rein.
Ich kann für mich und alle meine Kollegen im Petitionsausschuss sagen, dass wir uns bewusst dafür entschieden haben. Wir sind Leute, die Kärrnerarbeit machen,
sich für Menschen interessieren und versuchen, wie gesagt, Lösungen für schwierige Lebenslagen zu finden.
({4})
Trotzdem muss man, glaube ich, auch einmal ein
bisschen selbstkritisch sein und die Frage stellen, ob wir
nicht auch selber Ursache dafür sind, dass dieser Petitionsausschuss so etwas wie ein Schattendasein fristet,
was die Aufmerksamkeit anbelangt. Das gilt auch für die
Aufmerksamkeit hier im Parlament: Was wissen denn
diejenigen, die nicht im Petitionsausschuss sind, über die
Arbeit in unserem Ausschuss? Wann sind denn einmal
Petitionen Gegenstand von Debatten hier im Deutschen
Bundestag? Welche Rolle spielen sie denn eigentlich?
Herr Vietz, wir sagen dann: Wir wissen, wo den Leuten der Schuh drückt. - Aber ich will, dass alle Menschen, die hier auf diesen blauen Sesseln sitzen, wissen,
wo den Menschen der Schuh drückt, weil wir der Gesetzgeber sind, und wir sollten das wissen. Wir sind ja für die
Menschen da - und nicht umgekehrt.
({5})
Herr Schiefner, lieber Udo, jetzt spreche ich dich einmal an. Wir hatten gestern eine Pressekonferenz, und du
hast dort etwas Gutes gesagt, nämlich dass du der Meinung bist, dass nicht nur der Koalitionsvertrag darüber
entscheiden sollte, was wir tun und wie wir im Petitionsausschuss entscheiden. Ich frage dich: Warum tut ihr
das dann nicht? Warum entscheidet ihr so häufig nach
Lage des Koalitionsvertrages und nicht nach der Sache
und danach, was eigentlich geboten wäre? Ich weiß, wie
weh euch, der Sozialdemokratie, das tut, aber ich finde,
ihr könntet hier einfach auch einmal ein bisschen mutiger sein und solltet euch der großen Union nicht ständig
unterordnen. Wenn der Schulz im September noch eine
Chance haben soll, dann wäre das vielleicht einmal ein
Anfang.
({6})
Herr Baumann, Ihnen ist es immer ganz wichtig - ich
nehme Ihnen das wirklich ab; Sie sind echt ein Aufrechter -, dass Sie den Petitionsausschuss verteidigen und
gegenüber den privaten Plattformen positiv darstellen.
Sie finden dabei immer eine Abgrenzung. Gestern haben
Sie gesagt: Die privaten Plattformen - Change.org, openPetition usw. - sind eigentlich nur Mogelpackungen. Sie
geben nur etwas vor, was sie nicht halten können.
({7})
https://www.change.org/
Sie sagen auch immer: Wir sind das Original. Nur wir
geben die Garantie, dass tatsächlich an diesen Petitionen
gearbeitet wird und am Ende eine politische Entscheidung steht.
({8})
Es wäre ja schön, wenn das so wäre und wenn die
Petenten das wirklich auch so wahrnehmen würden. Ich
will jetzt einmal aus einer typischen Mail vorlesen, die
uns erreicht hat - es ist nur eine einzige Mail, aber sie ist
repräsentativ für andere, die wir bekommen -: Es
... ist sehr, sehr selten, dass eine Petition an den
Bundestag überhaupt das Quorum von 50.000 UnterzeichnerInnen erreicht. ... Die Folge: Die Ausschussmitglieder müssen sich mit BürgerInnen
nicht unterhalten. Und nun wird ausgerechnet eine
Petition geblockt
- „nicht veröffentlicht“ ist gemeint -,
die so vorbereitet war, dass sie gute Chancen hatte, dieses Quorum zu knacken. Immerhin hatte eine
ähnliche Petition auf der Plattform Change.org
- hören Sie einmal zu über 126 000 UnterzeichnerInnen. Zufall, dass der
Bundestag die jetzt nicht online stellt? Oder Unwillen, mit den Menschen da draußen in Kontakt zu
kommen?
Wenn es das ist, was vom Petitionsausschuss bei den
Menschen ankommt, dann haben wir ein Problem. Dann
müssen wir tatsächlich daran arbeiten, dass wir besser
werden, dass die Bürgerinnen und Bürger das Gefühl gewinnen, dass wir Interesse an ihnen haben, dass wir Lust
auf ihre Ideen haben und darauf, mit ihnen in Kontakt zu
treten.
({9})
Ich möchte noch ein Beispiel nennen: die TTIP-Petition. Dabei geht es darum, dass Deutschland das Freihandelsabkommen zwischen den USA auf der einen Seite
und der Europäischen Union auf der anderen Seite ablehnen soll. 68 000 Menschen haben dazu eine Petition unterzeichnet. Es ist dann zu einer öffentlichen Ausschusssitzung gekommen. Wissen Sie noch, wann das war?
Im Oktober 2014. Das ist schon eine Weile her, das war
faktisch am Anfang der Legislatur. Was ist seitdem passiert? Nichts! Wir haben über diese Petition noch nicht
entschieden, sie liegt auf Halde. Nun kommt der Petent
zu uns und fragt wieder und immer wieder: Was macht
denn der Petitionsausschuss mit unserer Petition? Warum
haben wir sie überhaupt eingereicht? - Dieser Umgang
mit Petitionen schürt den Frust und stärkt nicht das Vertrauen in dieses Parlament in Gänze.
({10})
Das müsste für uns eine Herausforderung sein. Wir
alle wissen doch, dass in diesem Land ganz viel Verdruss
herrscht. Herr Vietz, ich muss Ihnen sagen: 2015 gab es
13 000 Petitionen. Das war so wenig wie seit 30 Jahren
nicht mehr. 2016 wurden noch knapp 11 000 Petitionen
eingereicht. Und das liegt nicht daran, dass die Menschen
in diesem Land so froh und glücklich sind.
({11})
Vielmehr hat es auch damit zu tun - die Welt ist kompliziert -, dass die Menschen nicht mehr damit rechnen,
dass sich dieses Parlament mit ihren Nöten ernsthaft beschäftigt.
({12})
Das aber ist unsere Aufgabe, und das ist vor allen Dingen
die Aufgabe des Petitionsausschusses.
({13})
Herr Baumann, in einem Punkt sind wir uns wieder
einig: Wir beide halten doch den Petitionsausschuss für
die Perle der Demokratie. Ich sage: potenziell. Ich halte diesen Ausschuss wie alle, die hier geredet haben, für
ungemein wichtig. Aber ich finde, wir dürfen ihn nicht
verkümmern lassen.
({14})
Die letzte große Reform wurde vor zwölf Jahren durchgeführt; Udo Schiefner hat das schon gesagt. Es ist an der
Zeit, dass wir uns weiterentwickeln. Wir müssen gucken,
wie wir das Herz dieses Parlamentes, den Petitionsausschuss, attraktiver machen.
({15})
Wir brauchen mehr Transparenz. Wir brauchen mehr
öffentliche Beratungen. Wir brauchen mehr Barrierefreiheit. Das Petitionswesen in Deutschland ist männlich.
Bestimmte Gruppen sind einfach unterrepräsentiert. Das
darf nicht sein, weil die Gruppen, an die ich gerade denke, oft die größten Sorgen in diesem Land haben. Sie finden sich aber in den Akten, die wir jeden Tag behandeln,
nicht wieder. Wenn wir gegen Verdruss vorgehen wollen,
dann müssen wir uns weiterentwickeln.
({16})
Ich sage ganz deutlich: Diese Demokratie ist angegriffen. Der Petitionsausschuss muss seinen Beitrag dazu
leisten, dass sich das endlich wieder ändert.
Vielen Dank.
({17})
Die Kollegin Martina Stamm-Fibich spricht als
Nächste für die SPD.
({0})
https://www.change.org/
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Petitionsausschuss ist für mich
das politische Stimmungsbarometer und der Anwalt der
Bürgerinnen und Bürger. Das ist aber nicht alles.
Dazu eine Erfolgsgeschichte aus diesem Jahr, die diese einzigartige Möglichkeit der direkten politischen Teilhabe auf Bundesebene deutlich macht. Es ist die beeindruckende Geschichte einer Petition, die schließlich zur
Verabschiedung eines Gesetzes führte. Wohlgemerkt: Es
ist das einzige Gesetz dieser Legislatur im Gesundheitsbereich, das nicht im Koalitionsvertrag vereinbart war.
Den Ausschlag gab eine Petition beim Deutschen
Bundestag zum Thema Inkontinenzversorgung. In dieser
Petition wurde auf massive Missstände in der Versorgung
mit aufsaugenden Hilfsmitteln hingewiesen. Ein Großteil der Krankenkassen arbeitet bei der Versorgung mit
Inkontinenzprodukten inzwischen mit Pauschalen. Diese
Pauschalen reichen bei weitem nicht aus, um die Versicherten mit vernünftigen Produkten zu versorgen. Patientinnen und Patienten berichteten davon, dass sie nur
eine knapp bemessene Menge einfachster Produkte als
Sachleistung ihrer Krankenkasse angeboten bekommen
hätten, und die gewohnte Qualität und Menge sollten sie
künftig nur gegen eine private Zuzahlung erhalten können. Wegen solcher inakzeptablen Verhältnisse haben wir
das Heil- und Hilfsmittelgesetz auf den Weg gebracht.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen ein solidarisches Gesundheitssystem. Gesundheit
darf nicht vom Einkommen abhängen. Alle Patientinnen
und Patienten müssen davon ausgehen können, dass sie
durch ihre Krankenkasse ordentlich versorgt werden.
Also erarbeiteten wir entsprechende Positionspapiere,
die das Gesundheitsministerium aufgriff. Der Petitionsausschuss beschloss dann einstimmig, die Petition an die
Bundesregierung bzw. das Gesundheitsministerium zur
Erwägung zu überweisen und sie dem Patientenbeauftragten der Bundesregierung zuzuleiten.
Das Ministerium reagierte sehr schnell auf einen entsprechenden Beschluss des Bundestages, und zwar mit
der Mitteilung, dass dazu ein Gesetzentwurf in Arbeit ist:
der Entwurf zum Heil- und Hilfsmittelgesetz. Das Gesetz
haben wir am 16. Februar 2017 beschlossen.
Ich finde, das ist eine Erfolgsgeschichte, die wir selten
erleben. Aber auch wenn wir da noch viel tun müssen:
Wir haben es sehr ernst genommen, und wir haben gesehen, wo die Missstände liegen. Darauf, liebe Kolleginnen und Kollegen, bin ich stolz. Darauf weise ich auch in
jeder Rede hin, und Ihr Lob hat sehr gutgetan, Kollegin
Rüffer. Ich weiß, dass es schwierig ist, auf diesen Ausschuss hinzuweisen, aber ich tue es immer wieder, und
im Gesundheitsbereich können wir oft darauf verweisen,
dass wir aus dem Ausschuss heraus die Gesetzgebung geändert oder entsprechend veranlasst haben.
({0})
Wir haben mit diesem Gesetz Transparenz geschaffen.
Wir wollen zukünftig Klarheit darüber, was die Menschen zuzahlen müssen.
Diese Erfolgsgeschichte ist wahrlich nicht die einzige. Frau Steinke, Sie haben darauf hingewiesen. Wir sind
bei den Epilepsiemedikamenten und vor allem bei der
Verordnungs- und Erstattungsfähigkeit von Cannabis als
Medizin - das ist ein sehr wichtiges Thema - weitergekommen. Da haben wir zusammen - das ist der Union
sicherlich nicht sehr leichtgefallen - den richtigen Weg
gefunden und das richtige Gesetz gemacht.
Diese Geschichten sind beispielhaft. Petitionen bieten
jedem Menschen unabhängig vom Alter oder der Staatsangehörigkeit die Möglichkeit, sich mit seinem Anliegen
direkt an das Parlament zu wenden, und sie zeigen übrigens auch, dass es zu dem Petitionsverfahren beim Deutschen Bundestag weder eine ernstzunehmende noch eine
effektive Alternative gibt.
Für solche Erfolge gibt es jedoch eine wesentliche Bedingung: Wir müssen fraktionsübergreifend für alle Petentinnen und Petenten zusammenarbeiten. Koalitionsverträge können dabei nicht der alleinige Maßstab sein.
Für die Zukunft wünsche ich mir deshalb, dass wir
noch stärker die jeweilige Sachfrage in den Mittelpunkt
unserer Arbeit stellen. Apropos Zukunft: Wir von der
SPD wollen, dass der Petitionsausschuss seine Funktion
als Anwalt aller Bürgerinnen und Bürger und als Instrument der direktdemokratischen Teilhabe noch besser
erfüllen kann. Dazu müssen wir ebendiese Teilhabe erleichtern, die Handlungsmöglichkeiten des Petitionsausschusses ausweiten und mehr Öffentlichkeit herstellen.
Ich finde, es ist an der Zeit, etwas Neues zu wagen und
das Petitionswesen weiter strukturell zu stärken.
Vielen Dank und auf weiterhin gute Zusammenarbeit.
({1})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Kassner für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Bürgerinnen und
Bürger, die diese Debatte verfolgen! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Petitionsausschuss ist der Ausschuss des Deutschen Bundestages, der am dichtesten an
den Sorgen und Problemen der Bürgerinnen und Bürger
dran ist. Umgekehrt ist er auch der Ausschuss, wo sich
die Bürgerinnen und Bürger am unkompliziertesten einbringen und die Thematik, die dort beraten wird, mitgestalten können. Wir alle machen die Arbeit dort mit viel
Engagement und versuchen, ihre Anliegen umzusetzen
bzw. Lösungsvorschläge zu finden.
Nun haben wir festgestellt, dass im Jahr 2016 weniger
Petitionen eingegangen sind als in den Jahren davor. Im
Jahr 2005 gab es über 22 000 Sorgen und Probleme, die
an uns herangetragen wurden. Woran lag das? Ich bin der
Meinung, dass es nicht daran liegt, dass die Bürgerinnen
und Bürger keine Probleme mehr haben. Nein, in über
11 000 Petitionen gibt es viele Sorgen und Probleme, derer wir uns annehmen müssen.
Ich denke aber, dass wir es in Bezug auf die Art und
Weise, wie wir die Aufgaben erfüllen, in der Hand haben, die Arbeit noch weiter zu qualifizieren und damit
den Bürgerinnen und Bürgern auch Mut zu machen, die
Hürden zu nehmen, sich an uns zu wenden.
({0})
Dazu will ich einmal drei Möglichkeiten exemplarisch
benennen.
Die erste Möglichkeit besteht darin, dass wir die
Transparenz unserer Arbeit erhöhen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich nehme an, dass alle Anwesenden
wissen, dass wir jede Woche über die Petitionen hier im
Hohen Haus beraten. Da gibt es Drucksachen und Sammellisten, und über die stimmen wir dann ab. Was sich
dahinter verbirgt, wird noch nicht einmal jedem Kollegen hier im Haus bewusst sein, geschweige denn den
Bürgerinnen und Bürgern, die uns vielleicht am Fernseher bei der Arbeit zusehen. Deshalb frage ich: Warum
sollten wir hier in diesem Hohen Haus nicht öfter einmal Petitionen exemplarisch diskutieren? Das haben wir
in der vergangenen Legislaturperiode ein einziges Mal
gemacht. Erinnern Sie sich noch? Es ging um die Abschaffung der Sanktionen. 90 000 Menschen hatten diese
Petition unterstützt. An der Sache haben wir leider nichts
ändern können. - Also da sollten wir uns an die eigene
Nase fassen und konsequenter werden.
({1})
Eine weitere Möglichkeit zur Verbesserung der Transparenz sehe ich darin, dass wir im Petitionsausschuss
öffentlich debattieren, also alle Ausschusssitzungen öffentlich machen. Nun fragt vielleicht jemand: Steht dem
nicht der Datenschutz entgegen? Vielleicht wird auch gesagt, es sei nicht lohnenswert, über jede Petition öffentlich zu diskutieren. Alternativ gibt es die Möglichkeit,
das Quorum deutlich zu senken. Nicht die Unterstützung
durch 50 000 Bürgerinnen und Bürger sollte dann die
zwingende Hürde sein, sondern wir sollten die Zahl deutlich verringern, damit mehr Petitionen öffentlich und für
die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbar diskutiert
werden können.
({2})
Die zweite Möglichkeit, tatsächlich viel zu verändern,
besteht in der Art der Erledigung der Petitionen. Wer genau in den Bericht schaut, wird feststellen, dass nur etwas
mehr als 6 Prozent der Petitionen so beschieden wurden,
dass die Wünsche der Petenten bedacht wurden. Leider
wurden über 35 Prozent der Petitionen nicht im Sinne der
Petenten beschieden. Das hat vielfältige Ursachen. Was
mir aber überhaupt nicht gefällt, ist, dass über 33 Prozent
der Petitionen - also etwa jede dritte - dem Parlament gar
nicht vorgelegt werden. Sie werden, sobald sie eingegangen sind, mit einer Stellungnahme aus dem betroffenen
Ministerium sozusagen zu den Akten gelegt. Mir ist der
Fall eines Handwerksmeisters bekannt, der dann einfach
aufgegeben hat, obwohl er in seiner Situation sehr wohl
Hilfe und Unterstützung gebraucht hätte. Deswegen sollten wir uns auch dieser Petitionen unbedingt annehmen.
Ich komme zur dritten Möglichkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben an vielen Stellen gemerkt,
wie wichtig uns die Frage ist, ob wir uns wirklich zum
Anwalt der Bürgerinnen und Bürger - und nicht zum Anwalt der Ministerien oder der nachgeordneten Ämter machen, vor die wir uns schützend stellen müssen. Wir
sind für die Bürgerinnen und Bürger da, und das muss
auch deutlich werden.
({3})
Wir haben am 29. Mai die Möglichkeit, mit einer gemeinsamen Beratung neue Intentionen für unsere Arbeit
zu setzen. Das sollten wir angehen; wir sollten das nutzen. Ich freue mich auf die Debatte und möchte mich für
die gute Zusammenarbeit bei allen bedanken, ganz besonders aber bei unserem Ausschusssekretariat.
Vielen Dank.
({4})
Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Iris Eberl.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Manche Tage sind besser, manche
schlechter. Mein Mittwoch in Berlin ist selten sehr gut;
denn die Sitzung des Petitionsausschusses beginnt schon
um 8 Uhr in der Früh.
({0})
Heute Morgen wäre ich fast zu spät gekommen. Meine Zahnbürste hat noch Winterzeit. Web 4.0 hat sie noch
nicht erreicht. Gegen meine händischen Bemühungen,
sie auf Sommerzeit umzustellen, hat sie sich bisher erfolgreich zur Wehr gesetzt. Ich schließe mich damit nun
endgültig der mehrheitlichen Meinung an. Mehr als
70 Prozent der Bevölkerung wollen die Zeitumstellung
abschaffen. Ein Viertel der Bevölkerung leidet gerade
durch das Vordrehen der Uhren unter gesundheitlichen
und psychischen Problemen. Allein in dieser Legislaturperiode erreichten uns 758 Petitionen zur Abschaffung
der Zeitumstellung. Im März 2017 beschloss der Petitionsausschuss in mitberatender Funktion - Kollege Vietz
hat dies schon erwähnt -, den Antrag auf Abschaffung
der Zeitumstellung an die EU weiterzuleiten. Offen bleibt
nun für mich die Frage, auf wessen Kosten man sich bei
der Abschaffung einigen wird, ob die Erwachsenen auf
eine Stunde Zechen in lauen Sommerabenden verzichten
werden und die letzte Stunde vielleicht im Dunkeln weiter feiern oder ob für die Kleinsten im Lande der Besuch
von Krippen, Kindergärten und Schulen im Winter quasi
mitten in der Nacht beginnt. Ich befürchte, dass es wieder
einmal zu einer Einigung auf Kosten der Schwächeren
kommt.
Da lobe ich mir doch die Umsicht unseres Verkehrsministers. Kinder unter acht Jahre müssen mit ihrem
Fahrrad auf dem Gehweg fahren; das ist die Vorschrift.
Ein Petent forderte, dass sie dort auch von ihren Eltern
per Fahrrad begleitet werden dürfen. Ansonsten könnten
die Eltern ihrer Aufsichtspflicht nicht angemessen nachkommen. Der Ausschuss bat das Verkehrsministerium
um Stellungnahme. Die Antwort lautete: Die Anregung
des Petenten wird bei der nächsten Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung sofort umgesetzt. - Seit Dezember 2016 ist dem Anliegen des Petenten entsprochen. So
ist Alexander Dobrindt, ein Mann mit einem Herz für
Kinder.
({1})
Diese Petition ist ein wunderbares Beispiel dafür, wofür das Petitionsrecht steht. Jedoch sind die Sorgen der
Petenten selten so klar zu beschreiben, vor allem dann
nicht, wenn sie das Sozialrecht und Einzelfälle betreffen.
Gerade deshalb ist das Petitionsrecht als ein im Grundgesetz verankertes Recht für jedermann so wichtig. Der
Petitionsausschuss ist eben kein altmodischer Kummerkasten. Jeder soll seinen Kummer bis auf die höchsten
Spitzen des Elfenbeinturmes tragen können. Niemand
interessiert sich für die Sorgen eines Max Kummermann.
Niemand würde seine Petition zeichnen. Der Petent Max
Kummermann weiß, dass er mit seinem Anliegen auf
das Gehör des Petitionsausschusses angewiesen ist. So
liegt seine Petition fein säuberlich neben vielen anderen,
zum Teil gewichtigeren - weil von Hunderten oder von
Tausenden Zeichnern unterstützt - Petitionen und wird
vom Petitionsausschuss gewissenhaft behandelt, oft auch
mit vielen Emotionen und immer mit dem Wunsch, zu
helfen. Ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen sowie vor allem den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des
Ausschusses an dieser Stelle ausdrücklich.
Das Petitionswesen des Bundestages war ursprünglich vielleicht nicht unbedingt als Instrument für Verbände und Organisationen gedacht; diesen stehen andere
Wege offen, um ihre Interessen durchzusetzen. Aber der
einzelne Bürger ist auf die Möglichkeit einer Petition
angewiesen. In den letzten Jahren tauchen immer mehr
Onlineportale für Kampagnen auf, die auch Petitionen
namentlich erwähnen. Für Nichtjuristen ist das verwirrend. Diese alternativen Petitionsplattformen mögen Petenten dazu verleiten, dort ihre Petitionen einzureichen,
wie wir heute schon mehrfach gehört haben. Diese Petenten halten ein solches Vorgehen vielleicht für effektiver, als sich mit ihrem Anliegen direkt an den Bundestag zu wenden. Kein Wunder - ich zitiere sinngemäß aus
den betreffenden Internetseiten -: Wir wenden uns mit
Onlineappellen direkt an die Verantwortlichen in Parlamenten, Regierungen und Konzernen etc. Wir schmieden
Bündnisse, tragen unseren Protest auf die Straße etc., mit
großen Demonstrationen etc. - Das klingt beeindruckend
und demonstriert Macht. Aber Petitionen, die dort landen, erreichen den Bundestag nie. Sie versinken eher im
Nirgendwo des Internets, vor allem dann, wenn sie nicht
zum Meinungsbild des Plattformbetreibers passen. So
verliert das Petitionsrecht seine ehrwürdige Rolle eines
Grundrechts und wird von nicht greifbaren Scheinrechten ersetzt. Ich halte diese Entwicklung für sehr bedenklich.
({2})
Nun komme ich zu meinem letzten, ganz persönlichen
Punkt. Lieber Herr Baumann, lieber Günter, als letzte
Rednerin der CDU/CSU-Fraktion will ich mein Wort an
dich richten. Du wirst als Vorsitzender unserer Arbeitsgruppe bald deinen Platz räumen. Fast 15 Jahre hast du
unsere Arbeitsgruppe mit Kompetenz, Umsicht und Begeisterung durch die unterschiedlichsten Höhen und Tiefen unserer Ansichten geführt - humorvoll, geradlinig,
streitlustig in der Sache und immer ausgleichend.
Eine Petition will ich gerne ansprechen. Sie lag lange
vor meiner Zeit; vielleicht kann ich dir damit eine kleine Freude bereiten. Wie man mir erzählte, hast du unerschrocken gegen eine einheitliche Farbgebung für alle
deutschen Autos gekämpft.
({3})
Zitronengelb sollten sie werden, nach dem Willen des
Petenten. Seine Begründung war: Mit einheitlich gelber
Farbe würden Unfälle vermieden, das Landschaftsbild
würde verbessert, und vor allem würden Ost und West
besser zusammenwachsen.
({4})
Ost und West sind bereits zusammengewachsen. Wer
etwas anderes behauptet, der lügt. Was die beiden anderen
Gründe betrifft: Das geht in Bayern derzeit gar nicht. Die
Landschaft ist gelb; wohin man schaut: Löwenzähne und
blühende Rapsfelder, gelb, gelb und noch einmal gelb.
Das Landschaftsbild schreit geradezu nach einer anderen
Farbe, was doch auch wieder für eine Vereinheitlichung
der vielen und damit nicht aussagekräftigen Autofarben
spräche. Aber aus Sicherheitsgründen müsste es eben die
Komplementärfarbe von gelb sein: blau. Enzianblau oder
vielleicht himmelblau, nein, CSU-blau müsste es sein.
CSU-blau sollten wir alle umlackieren, die roten und die
grünen Autos, lieber Günter. Ich hoffe, du kannst meinem
Vorschlag einiges abgewinnen. Leider können wir ihn im
Detail mit mir am Pult nicht länger beraten; denn meine
Redezeit ist jetzt zu Ende. Es wäre auch nutzlos; denn die
Petition ist schon lange abgeschlossen.
Lieber Günter, ich wünsche dir alles Gute in einem
langen und glücklichen Ruhestand. Herzlichen Dank für
alles, für deinen Einsatz und ganz persönlich für deine
Geduld mit mir als Newcomerin.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Markus Paschke für
die SPD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kein
anderes Gremium des Bundestages ist in der täglichen
Arbeit so nah an den Menschen dran wie der Petitionsausschuss. Wir merken sofort, was die Menschen bewegt und beschäftigt. Das ist etwas, was mir immer ganz
wichtig war und warum ich auch sehr gern in diesem
Ausschuss bin; das geht, glaube ich, vielen von uns so.
In den meisten Fällen stehen soziale Fragen oder Fragen
der Gerechtigkeit im Mittelpunkt. Das ist nicht immer
alles objektiv, sondern wird auch subjektiv betrachtet.
Nichtsdestoweniger haben die Petenten und Petentinnen
ein Recht, dass wir uns einigermaßen objektiv damit beschäftigen.
Der Petitionsausschuss ist nach meiner Ansicht ganz
wichtig für die Demokratie in Deutschland; denn er ist
ein Element direkter Bürgerbeteiligung, ein Element, das
leider viel zu oft übergangen und über das wenig berichtet wird. Wir sollten versuchen, dieses Element stärker
in die Öffentlichkeit zu bringen und darzustellen, dass es
Beteiligungsmöglichkeiten gibt.
({0})
Es wurde gerade gesagt, dass im vergangenen Jahr etwas über 11 000 Petitionen eingereicht wurden, deutlich
weniger als in den Jahren davor. Nach meiner Auffassung
ist ein Grund dafür auch die zunehmende Anzahl diverser
privater Plattformen; ich habe nicht den Eindruck, dass
eine übermäßige Zufriedenheit mit unserer Arbeit der
Grund dafür ist, dass es weniger Petitionen gibt. Diese
privaten Petitionsplattformen stellen aus meiner Sicht
aber ein Problem dar. Sie erwecken nämlich häufig den
Eindruck, dass die Petitionen, die dort eingereicht oder
eingestellt werden, uns Politiker auch erreichen; das
tun sie aber nicht. Die Beteiligung samt Unterschrift,
die man dort leistet, verschwindet in den meisten Fällen
im Nirwana des Internets und landet nicht auf unseren
Schreibtischen. Ich befürchte, dass damit eine steigende
Unzufriedenheit der Menschen einhergeht; denn wenn
sich schon jemand beteiligt, dann möchte er auch in irgendeiner Weise eine Rückmeldung bekommen und
nicht das Gefühl haben, dass sich nichts rührt. Das ist ein
Problem, dem wir uns stellen müssen.
Auf der anderen Seite stelle ich aber fest, dass viele
Menschen ein hohes Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Petitionsausschusses haben. Für mich ist neben
meinen Bürgersprechstunden und den vielen anderen Gesprächen mit den Bürgern im Wahlkreis die Petition ein
wichtiges Instrument, um auf Gesetzeslücken und Ungerechtigkeiten hinzuweisen.
Aus meinem Wahlkreis sind Petitionen gekommen,
die das ganze Spektrum des Lebens darstellen: von
Schwierigkeiten mit dem Telefonanschluss über Ärger
mit Behörden bis hin zu Visaproblemen ausländischer
Familienmitglieder. Wir konnten zahlreichen Petenten
helfen, nicht allen, aber doch ganz vielen.
Was mich besonders beeindruckt hat, war die Reaktion einer Petentin. Sie hat um Unterstützung bei der Bewilligung einer Rehamaßnahme gebeten. Der Ausschuss
hat das Bundesversicherungsamt um aufsichtsrechtliche
Prüfung des Falls gebeten. Das Ergebnis war, dass die
Frau eine fünfwöchige medizinische Reha bewilligt bekommen hat. Diese Frau hat sich daraufhin beim Ausschuss bedankt und geschrieben: Dieses Mal habe ich
Hilfe gebraucht. Es ist schön, zu erleben, dass man diese
auch bekommt. - Das sind Situationen, in denen ich mir
sage: Es lohnt sich, zu arbeiten und Politik zu machen.
Es macht Spaß, wenn man den Menschen helfen kann.
({1})
Für die Zukunft wünsche ich mir einen selbstbewussten Petitionsausschuss, einen Petitionsausschuss
mit weniger politischem Kalkül, der nicht nur - wie Sie
angesprochen haben, Kollegin Rüffer - von den Regierungsparteien gestaltet wird, sondern auch von der Opposition; wenn man Opposition um der Opposition willen
macht, ist das nicht klug. Ich wünsche mir einen Ausschuss, der parteiübergreifend stark im Sinne der Bürger
zusammenarbeitet und sich keine Selbstbeschränkung
auferlegt. Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen; das
muss unser Ziel sein.
Ich möchte mich zum Schluss - ich sehe, meine Redezeit ist abgelaufen
Herr Kollege Paschke, Sie sehen das zu Recht so.
- noch kurz bei den Mitarbeitern vom Ausschussdienst
bedanken, die wirklich ganz hervorragende Arbeit machen, und ebenso bei den Mitarbeitern der Abgeordneten,
die genauso stark eingebunden und beschäftigt sind.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({0})
Jetzt hat der Kollege Stefan Schwartze für die SPD
das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Petentinnen und Petenten! Eine ganz besondere Begrüßung auch an die Staatssekretäre auf der Regierungsbank, mit denen wir sehr oft
zusammensitzen und direkt an den Problemen arbeiten!
Dafür meinen herzlichen Dank.
Herausstellen möchte ich die Kollegin Gabriele
Lösekrug-Möller, die an vielen Stellen zu Gesprächen
da war, die aber auch die Arbeit des Ausschusses ganz
genau kennt und sie jahrelang entscheidend geprägt hat.
Die letzte große Reform des Petitionswesens vor zwölf
Jahren wurde angesprochen. Liebe Gabriele, du warst
eine der treibenden Kräfte, die sie damals vorangebracht
haben. Dafür herzlichen Dank! Allzu lange wirst du da
nicht mehr sitzen. Du kandidierst leider nicht mehr. Wir
wünschen dir an dieser Stelle aus dem Petitionsbereich
noch einmal alles Gute. Vielen Dank für deine Arbeit hier
im Haus!
({0})
Dasselbe gilt für den Kollegen Günter Baumann. Wir
haben es eben schon gehört: 15 Jahre Mitarbeit im Petitionsausschuss.
({1})
- Länger? Entschuldigung, also sogar länger. Du bist an
vielen Stellen ein Kämpfer und Streiter für die Anliegen
der Menschen. Wir haben uns in der Arbeit im Petitionsausschuss zusammengerauft. Man merkt: Die Große Koalition stößt da manchmal an ihre Grenzen, was geht und
was nicht geht. Die eine oder andere Sache haben wir gut
hingekriegt. Bei der einen oder anderen Sache hätten wir
uns sicherlich etwas anderes gewünscht, auch im gegenseitigen Verhältnis. Aber das ist eben manchmal so. Persönlich wünsche ich dir alles Gute für die Zeit danach.
Bleib gesund, und verfolg weiter, was wir hier so treiben.
Es ist viel zum Petitionsrecht gesagt worden. Es ist gesagt worden, wo Petitionen helfen. Ich bin froh, dass wir
in dieser Wahlperiode etwas machen, was wir noch nie
gemacht haben, nämlich eine Anhörung dazu, wie sich
dieses Petitionsrecht weiterentwickeln muss. Da muss
etwas passieren. An vielen Stellen ist es angestaubt. Wir
müssen bürgerfreundlicher und bürgernäher werden.
({2})
Was ich heute besonders betonen möchte, sind Ereignisse, die sich in unserer Arbeit widerspiegeln. Nachdem im Jahr 2015 mehr als 1 Million Flüchtlinge nach
Deutschland gekommen sind, ist es selbstverständlich,
dass sich das auch in der Arbeit unseres Ausschusses
widerspiegelt. Während öffentliche Debatten darüber
geführt wurden, wie Deutschland mit den Herausforderungen umgehen soll, und die Bundesregierung umfangreiche Pakete zur Flüchtlings- und Asylpolitik beschlossen hat, erreichten auch Petitionen von Flüchtlingen den
Petitionsausschuss des Bundestages.
Das Petitionsrecht ist ein Grundrecht für alle Menschen. Die Betroffenen bzw. die zahlreichen in der Flüchtlingshilfe Engagierten - den Betroffenen selbst fehlen oft
die Sprachkenntnisse - baten den Petitionsausschuss um
Hilfe. Sie baten um Hilfe bei der Zusammenführung ihrer
Familie oder um Hilfe, wenn es Fehler im Verfahren gab.
Sie baten darum, in besonderen Fällen die Visaverfahren
zu beschleunigen. Sie baten darum, ihre Asylverfahren
in Deutschland durchführen zu dürfen, und sie baten darum, bleiben zu dürfen. Hinter jeder Petition verbarg sich
ein anderes menschliches Schicksal. Es gab vielfach sehr
begründete Anliegen. Über alle Fraktionsgrenzen hinweg
konnte auch oft geholfen werden. Aber all die Fälle zeigen - damit meine ich auch die Arbeit der eigenen Regierung, damit meine ich auch unsere eigene Fraktion -,
dass hier weiter Handlungsbedarf besteht. Wir haben
Handlungsbedarf, wenn es um die Situation der Kinder
und Jugendlichen geht. Wir haben Handlungsbedarf bei
der Familienzusammenführung. Hier müssen wir unsere Regeln im Sinne von Humanität, von Menschlichkeit,
reformieren.
({3})
Wir haben ganz dringenden Handlungsbedarf, und was
meiner Meinung nach gar nicht geht, sind die Abschiebungen nach Afghanistan.
({4})
Gerade als Mitglieder des Petitionsausschusses sind wir
gefordert, hier Änderungen einzufordern.
({5})
Wir haben nur einmal im Jahr als Ausschuss die Möglichkeit, unsere Arbeit im Plenum des Deutschen Bundestages vorzustellen und allen Beteiligten ringsum für
die Petitionsarbeit zu danken. Heute möchte ich allen
Helferinnen und Helfern, allen, die in der Flüchtlingsarbeit in ganz Deutschland engagiert sind, Danke sagen für
das, was sie täglich leisten. Ich bin stolz darauf, dass wir
in einzelnen Fällen weiterhelfen konnten.
Mein Dank geht natürlich auch an meine Kolleginnen
und Kollegen aus allen Fraktionen im Ausschuss. Mein
Dank geht an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
Ausschussdienstes für ihren guten Job. Große Unterstützung haben wir durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Büros. „Jeder Abgeordnete ist nur so gut
wie sein Team“, hat mein Freund Toni Schaaf hier mal
gesagt.
({6})
Den Dank an diese Büros möchte ich hier gern weitergeben. Mein Dank geht auch an die Ministerien für die gute
Zusammenarbeit in vielen Berichterstattergesprächen.
({7})
Ich sage auch Danke schön. - Zum Abschluss dieser
Aussprache hat Mister Petitionsausschuss, der Kollege
Günter Baumann, für die CDU/CSU das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Präsident! - Wir haben gerade zwei Präsidenten hier oben.
Das ist selten. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einen herzlichen Dank für die guten Wünsche
auch für die Zeit danach, aber noch bin ich hier. Ein Hobby habe ich schon für die Zeit danach: Ich werde Petitionen schreiben.
({0})
Ihr werdet euch umgucken, was ihr von mir alles so bekommt. Dann werde ich genau beobachten, wer wie votiert und wie lange das alles dauert. Also, ihr werdet mich
nicht so schnell vergessen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, das letzte Jahr war ein erfolgreiches Jahr für den Petitionsausschuss. Die Bürgerinnen und Bürger haben Vertrauen in
unsere Arbeit, Vertrauen in die Politiker im Petitionsausschuss. Welcher Politiker kann schon sagen: „Ich genieße
Vertrauen“? Wir haben es gehabt. Über 11 000 Leute sind
mit ihren Problemen zu uns gekommen. Das ist schon
etwas. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, damit
aufzuhören, so vieles schlechtzureden, immer zu sagen:
Wir wollen mehr. Wir wollen dieses. Wir wollen alles. 11 000 Leute kamen mit ihren Problemen zu uns. Das ist
eine große Anerkennung. Es sind täglich 44 Bürgeranliegen, die uns erreichen. Das ist ein gutes Zeichen. Dafür
herzlichen Dank allen!
Dass wir einen leichten Rückgang der Zahl der Petitionen haben, ist schon gesagt worden. Wir müssen dabei
aber verschiedene Dinge berücksichtigen.
Wir haben bei den Petitionen jetzt wieder das Niveau wie vor 1990. Damals lagen die Zahlen generell
zwischen 10 000 und 13 000 in Deutschland, in der alten Bundesrepublik. Wir hatten dann nach der Wende
1990 einen erheblichen Anstieg. Das kann man durch
die deutsche Einheit erklären. Wir hatten viele Probleme in Ostdeutschland, die im Einigungsvertrag nicht geregelt waren. Wir hatten Probleme bei den Renten, bei
der Treuhand; wir wissen das alle. Wir hatten also einen
Anstieg. Im Spitzenjahr waren es 23 000 Petitionen. Das
war ein Niveau, das uns und den Ausschussdienst an die
Kapazitätsgrenzen gebracht hat. Deswegen sehe ich es
nicht negativ, dass wir seit 2010 einen leichten Rückgang
haben, nämlich von 16 000 auf etwa 11 000. Wir sind
von der Anzahl der Petitionen her in diesem Jahr gesamtdeutsch - ich sage es mal so - wieder bei der Situation
wie vor 1990 angekommen.
Wir hatten in Deutschland in den letzten Jahren aber
auch eine starke Zunahme der Zahl der Bürgerbeauftragten und Ombudsmänner. Die haben eine hohe Sachkompetenz, sind in einem ganz bestimmten Gebiet installiert,
wo sie ihre Themen bearbeiten. Die Bürger vertrauen
ihnen und gehen dann eben zum Beauftragten der Versicherung oder der Krankenkasse. Ich habe gestern
versucht, ein bisschen zu recherchieren. Wir haben in
Deutschland zurzeit etwa 70 Bürgerbeauftragte und Ombudsleute in verschiedenen Instanzen. Da die auch alle
Aktenstöße bekommen, ist es logisch, dass es woanders
weniger wird.
Zu privaten Plattformen ist schon einiges gesagt worden; ich will es nicht wiederholen. Ich bleibe dabei: Das
sind Mogelpackungen, die den Bürgern etwas versprechen, was sie nicht halten können. Kollege Paschke, eine
Verbindung zwischen privaten Plattformen und uns, etwa
dergestalt, dass die sammeln und wir bearbeiten, kann es
garantiert nicht geben. Die Leute sollen gleich zu uns
kommen, und dann machen wir das ordentlich.
({2})
Der Bürger hat das Recht und die Freiheit, zu entscheiden, wohin er geht. Wenn er zu privaten Plattformen will, dann macht er das. Wenn er zu uns kommen
will, kommt er zu uns. Wenn er zu einem Beauftragten
will, dann macht er das. Wir müssen dafür arbeiten, dass
unser System - mehrere haben es schon gesagt - verbessert wird. Wir müssen für unser System werben, es
mehr in den Mittelpunkt stellen, es in der Öffentlichkeit
besser vermarkten. Wir müssen erreichen, dass wir mit
positiven Fällen mehr in die Presse kommen; ich weiß,
wie schwer das ist. Wir müssen unsere Vorteile mehr darstellen. Dazu gehört auch ein benutzerfreundlicher Internetauftritt; unser Auftritt ist aus meiner Sicht nicht mehr
zeitgemäß. Hier muss eine ganze Reihe passieren. Unser
Qualitätsmerkmal darf nicht die Anzahl der eingehenden
Petitionen sein, sondern die der bearbeiteten Petitionen,
wie schnell wir sind, wie erfolgreich wir sind. Wenn wir
in den letzten Jahren im Schnitt 40 bis 45 Prozent positiv beschieden haben, dann kann sich diese Zahl sehen
lassen.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir
einige persönliche Anmerkungen zu meiner Arbeit im
Petitionsausschuss. Als ich 1998 in den Bundestag kam,
wollte ich damals gerne in den Innenausschuss. Ich komme aus einer Grenzregion und wollte in den Innenausschuss. Sicherheit war mein Thema. Das habe ich auch
geschafft. Aber dann sagte man mir: Du musst auch in
den Petitionsausschuss. - Ich habe damals nicht genau
gewusst, was alles dazugehört. Erfahrene Kollegen haben mich gewarnt und gesagt: Dort hast du einen riesigen Arbeitsaufwand. Dort gibt es komplexe Themen, in
die du dich vertiefen musst, bis in die letzte Verästelung
der Gesetzgebung in Deutschland. Wir empfehlen dir, es
nicht zu machen. - Ich habe es trotzdem gemacht. Ich
musste es ja machen, weil ich einen anderen Ausschuss
haben wollte.
Nach 19 Jahren kann ich sagen: Ich habe es nicht bereut. Ich möchte keines der 19 Jahre missen, in denen
ich Petitionen bearbeitet habe. Alle Themen waren spannend, eine Themenvielfalt. Es hat immer wieder Spaß
und Freude gemacht, sich um Probleme von Menschen
zu kümmern, sich hineinzuversetzen und ihnen in irgendeiner Form helfen zu können.
Ich habe in 19 Jahren immerhin drei Koalitionen erlebt - ich war auch schon einmal in der Opposition; das
wird man alles wissen -, ich habe vier Vorsitzende erlebt
mit allen Vor- und Nachteilen
({4})
- ja, es ist halt so - und immerhin sieben Unterabteilungsleiter beim Ausschussdienst.
({5})
Dort hinten sitzt der siebte Unterabteilungsleiter, den ich
aushalten muss.
({6})
Es ist schon eine ganz schöne Zeit, die man erlebt hat.
Das Fazit für mich bleibt: Es waren gute, erfolgreiche
Jahre. Wie gesagt, wir haben viele Fälle parteiübergreifend mit den Kollegen klären können. Wenn man ehrlich
zueinander ist und sagt: „Wir wollen es machen“, aus den
und den Gründen, dann hat das auch immer funktioniert.
Deswegen allen einen ganz herzlichen Dank. Ich möchte
mich bei allen Mitgliedern des Petitionsausschusses für
die Zusammenarbeit herzlich bedanken. Es war meistens
angenehm, manchmal auch streithaft. Das ist gar kein
Problem. Jeder hat immer versucht, im Interesse des Bürgers etwas zu erreichen.
Einen herzlichen Dank auch meinem Büro, meinen
Mitarbeiterinnen, die immer super zu mir standen. Ohne
eine solche Truppe geht es gar nicht. Wenn man in einer
Woche 25, 30 Petitionen auf dem Tisch hat, dann geht es
gar nicht anders.
Die Kunst war für mich immer, zu unterscheiden: Was
ist ein echtes Bürgerproblem, wer braucht unsere Hilfe,
und was kann man etwas schneller vom Tisch schieben?
Das ist manchmal nicht ganz so einfach. Wir haben nicht
nur Behördenversagen zu bearbeiten, sondern es ging
uns auch um moralische Aspekte. Wir hatten eine Reihe
von Petitionen, die wir, rein gesetzlich betrachtet, hätten
ablehnen müssen. Wir haben aber gesagt: Das geht nicht,
wir müssen uns in die Lage hineinversetzen. Ich denke
hier an die Frau, die in Afghanistan ihren Lebenspartner
verloren hat. Wir haben am Ende erreicht, dass die Finanzen geklärt werden konnten.
Ich erinnere mich gerne an riesengroße Petitionsfälle,
die über Jahre dauerten. Hier denke ich an die 14. WP.
Die Post wollte das Postleitzahlenbuch nicht mehr auflegen und hat es nur auf Druck von uns wieder gemacht.
Ich denke gerne zurück an einen Unternehmer in Chemnitz, der nach fast 20 Jahren Entschädigung für seinen
Betrieb bekommen hat, der ihm nicht wieder übertragen
wurde. Ich denke an das Edertal-Museum in Hessen, wo
wir vor Ort waren. Ich denke an Prora, wo wir vor Ort
erreicht haben, dass das Museum heute noch besteht, das
eigentlich schon plattgemacht war. Ich denke an Heimkinder, Bombodrom und Antennengemeinschaften, die
jetzt wieder Rückenwind vom Bundesrat bekommen.
Das sind also Themen, bei denen wir nach zwölf Jahren
wieder Licht sehen. Das sind also angenehme Ereignisse.
Zurzeit liegen noch drei große Themen vor uns. Das
sind, Frau Wöllert: Wir wollen uns auf jeden Fall um
die HCV-Infizierten kümmern. Wir wollen uns in den
Schiffsuntergang der „Beluga“ hineinvertiefen und nicht
einfach hinnehmen, was passiert ist. Außerdem wollen
wir bei den RFID-Chips gerne klären, dass jeder weiß,
was er wirklich gekauft hat, ob er noch irgendeiner Kontrolle unterliegt.
Wichtig ist aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen:
Wir müssen bei der Bearbeitung der Petitionen ehrlich
sein. Bürgern etwas zu versprechen und sie lange hinzuhalten, hilft überhaupt nicht. Wir müssen bei irgendwelchen Fällen auch einmal sagen: Das geht nicht mehr.
Die Zeit ist vorbei. Wir müssen abschließen. - Deswegen: Ehrlichkeit ist ganz entscheidend. Ich denke an die
Rentenfälle, die Sondersysteme der DDR. Sie nach § 109
unserer Geschäftsordnung über zig Wahlperioden ewig
hinzuschieben, hat den Bürgern Hoffnung gemacht, die
wir niemals erfüllen konnten. Ich glaube, das ist keine
Lösung.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mehrere haben
heute von Veränderungen und einer lebendigen Demokratie gesprochen: Wir müssten Reformen durchführen.
Es wurden Reformen also angemahnt. Gestatten Sie mir
nach der langen Zeit, die ich im Petitionsausschuss dabei
bin, dass ich heute vier Vorschläge für Reformen unterbreite. Sie werden nicht bei allen Beifall hervorrufen davon bin ich überzeugt -, aber ich bin der letzte Redner,
und da kann keiner widersprechen.
({8})
Insofern mache ich das trotzdem ganz gerne.
Ich beginne - erstens - mit Anhörungen zu Petitionen,
für die in vier Wochen mindestens 50 000 Unterschriften gesammelt wurden, in öffentlichen Sitzungen des
Petitionsausschusses; manchmal haben wir sie auch bei
weniger Unterschriften durchgeführt. Ich möchte heute
einfach sagen: Das ist für mich eine Sache, die wir einstellen sollten. Der Petitionsausschuss sollte diese Anhörungen in der nächsten Wahlperiode überhaupt nicht
mehr durchführen, weil sie zu einer Ungleichbehandlung
der Bürger führen. Die Bürger haben mit ihren Petitionen nach dem Grundgesetz ein Recht, gleichbehandelt zu
werden. Mit welchem Recht verhandeln wir eine Petition
öffentlich, die durch eine vernetzte Gruppe 50 000 Unterschriften erreicht hat,
({9})
während die Petition des Bürgers zu einem Rentenfall,
die er alleine unterschrieben hat, im normalen Verfahren
bearbeitet wird?
({10})
Ich bin für eine Gleichbehandlung. Deswegen würde ich
dem nächsten Petitionsausschuss vorschlagen, dies zu
beenden.
Das zweite Thema. 15 Prozent unserer Kraft verwenden wir - zumindest einige von uns - auf die Vielschreiber. Da geht es um Petitionen, die anonym, verworren,
beleidigend, oft ohne jeden Inhalt sind. Trotzdem durchlaufen sie ein komplettes Bearbeitungsverfahren. Die darauf verwendete Kraft sollten wir anderweitig einsetzen.
Ich würde dem nächsten Petitionsausschuss empfehlen,
eine Definition zu erarbeiten, was eine Petition ist und
was nicht. Es gibt ja auch Eingaben, die sich einfach
nur mit irgendwelchen Sachen beschäftigen. Artikel 17
Grundgesetz sollte uneingeschränkt erhalten bleiben.
Aber wenn jemand einfach einen Satz schreibt und irgendetwas von sich gibt, sollte man überlegen, ob das
eine Petition ist.
Der dritte Vorschlag ist: Wir sollten darüber nachdenken - das ist nicht mein Vorschlag; er stammt aus
früheren Zeiten, von Siegfried Kauder -, ob der Petitionsausschuss einen Härtefallfonds erhält, damit der Petitionsausschuss in Fällen, in denen gesetzlich keine Hilfe möglich ist, mit einem kleinen Betrag zum Ausdruck
bringen kann: Wir helfen dir. - Mit einem solchen Fonds
könnten wir - wie der Bundespräsident und manch andere Institution - Soforthilfe leisten und Geld bereitstellen,
sodass die Betroffenen merken: Jawohl, hier reagiert jemand und hilft mir.
Ich möchte einen vierten Vorschlag machen, wenn
ich das, Frau Präsidentin, von der Zeit her noch darf; ich
beeile mich jetzt auch. Wir haben bei der Analyse der
Bearbeitung von Petitionen in allen Ländern der Europäischen Union und auch in den deutschen Bundesländern
festgestellt: Es gibt verschiedene Systeme, und es gibt
meistens neben dem Petitionsausschuss einen unabhängigen Bürgerbeauftragten oder Ombudsmann. Man muss
sich damit beschäftigen, welche Aufgabe sie haben und
was sie im Vergleich zum Petitionsausschuss leisten.
Man sollte nicht einfach sagen: Das brauchen wir nicht,
wir sind ja auch da. - Ich habe mich umfangreich damit beschäftigt, habe mir die Arbeit in Rheinland-Pfalz,
in Mecklenburg-Vorpommern, in Thüringen, in Schleswig-Holstein und auch, seit kurzem, in Baden-Württemberg angeschaut. Dort gibt es solche Bürgerbeauftragten,
und ich sehe das absolut positiv. Die Anonymität des
Gremiums Petitionsausschuss wäre überwunden, wenn
eine bekannte Persönlichkeit als Bundesbürgerbeauftragter eingesetzt würde. Wir hätten damit eine Unabhängigkeit von Wahlperioden, von Politik, von Fraktionen. Es
ist heute mehrfach angemahnt worden: Ihr müsst ja nach
dem Koalitionsvertrag arbeiten. - Wir hätten eine neutrale Person, die ständig da wäre und nicht an Wahlperioden gebunden wäre. Ich sehe große Vorteile in einem
Nebeneinander mit dem Petitionsausschuss. In den Bundesländern klappt das hervorragend. Ich würde dies als
Hilfsorgan des Parlamentes verstehen, vergleichbar mit
dem Wehrbeauftragten oder vielleicht dem Bundesrechnungshof. Der Bürgerbeauftragte kann ein niederschwellig erreichbarer Ansprechpartner für Bürger sein, ein Moderator - wie auch immer -, als Ergänzung zu unserer
Arbeit. Ich denke, der nächste Bundestag sollte darüber
nachdenken, ob man dies neben dem Petitionsausschuss
installiert, ohne natürlich den Petitionsausschuss zu entmachten.
Ich stehe zu unserem Petitionswesen und habe in
19 Jahren bei der Bearbeitung von Bürgeranliegen nur
positive Erfahrungen gemacht. Trotzdem müssen wir
über Veränderungen nachdenken - die Zeit ist so. Wir
brauchen angesichts des Entstehens privater Plattformen
neue Ideen für unsere Arbeit, um mehr Bürgernähe zu
erreichen. Nehmen Sie einfach die Ideen eines scheidenden Abgeordneten, der 19 Jahre lang Petitionen bearbeitet hat, als Denkanstöße für Ihre weitere Arbeit.
Herzlichen Dank allen für die Zusammenarbeit! Ich
wünsche allen, die wiedergewählt werden und hoffentlich im Petitionsausschuss mitarbeiten werden, alles
Gute.
Danke.
({11})
Lieber Herr Kollege Baumann, auch von dieser Stelle
ein ganz herzliches Dankeschön. Sie haben etwas überzogen, aber ich denke, wenn sich jemand hier im Bundestag 19 Jahre für die Menschen eingesetzt hat, dann
darf man ihm auch zugestehen,
({0})
dass er an dieser Stelle noch die eine oder andere Anregung für das nächste Parlament hat.
({1})
Ihre Denkanstöße werden wir an die Kollegen weitergeben, die in den Petitionsausschuss gehen werden. An
diejenigen gerichtet, die am Anfang denken: „Na ja, Petitionsausschuss, muss das sein?“, werde ich Sie gerne
zitieren: Sie haben diese 19 Jahre nie bereut. - Herzlichen Dank.
({2})
Damit schließe ich die Aussprache.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({3}) zu dem Antrag der Fraktion DIE
LINKE
Eine erfolgreiche Integrationspolitik erfordert eine soziale Offensive für alle
Drucksachen 18/9190, 18/12166
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat das Wort
Daniela Kolbe von der SPD-Fraktion.
({4})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Rückblickend auf diese Legislatur stelle
ich fest: Wir können durchaus stolz sein auf das, was wir
im Bereich der Integrationspolitik in unserem Land geschafft haben. Es unterscheidet meine Fraktion von der
antragstellenden Fraktion, dass wir stolz sind auf die
Leistung, so viele Menschen bei uns aufgenommen, willkommen geheißen und integriert zu haben. Ein bisschen
Stolz darf heute sein.
Heute ist der Internationale Tag gegen Homo-, Interund Transphobie, der sogenannte IDAHIT. Ich bin stolz
darauf, dass wir in unserem Land Menschen Schutz geben, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt
werden. Auf diesen Aspekt können wir gemeinsam stolz
sein.
({0})
Wir haben in dieser Legislaturperiode beim Thema
Integration sehr viel bewegt. Wir haben den Menschen
die Möglichkeit eröffnet, besser die deutsche Sprache
zu lernen. Wir haben die Zugänge in den Arbeitsmarkt
deutlich verbessert. Dazu haben wir massiv Ressourcen
mobilisieren müssen, aber wir haben es geschafft. Wir
haben damit den Kommunen ermöglicht, die Integration
vor Ort zu bewältigen.
Es ist also viel Licht, es gibt aber auch Schatten, das
ist nun einmal so. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen,
dass genau dafür steht und das mich wirklich sehr bewegt.
Wir haben hier im Deutschen Bundestag gemeinsam
das Integrationsgesetz beschlossen. Darin sind sehr viele gute Regelungen zum Thema „Integration in Arbeit“,
aber auch zum Thema „Sprachkurse“ enthalten. Enthalten ist aber auch die sogenannte Ausbildungsduldung
oder „3+2-Regel“, das heißt, dass jemand, der hier eine
Ausbildung beginnt, für die Zeit der Ausbildung bleiben
darf und danach noch zwei Jahre obendrauf. Wir alle haben hier gemeinsam bekundet, dass das unser Wille ist.
Wenn ich mir jetzt allerdings - da komme ich zum Schatten - die Realität in manchen Bundesländern anschaue,
dann muss ich feststellen, dass der gemeinsame Wille
dieses Hauses dort in keiner Weise respektiert wird. Wir
erleben, dass junge Menschen aus der Ausbildung abgeschoben werden und dass in vielen Fällen die Duldung
nicht erteilt wird, obwohl sie nach dem Gesetz und auch
nach den Urteilen von Verwaltungsgerichten hätte erteilt
werden müssen.
Im Gesetz ist der Halbsatz enthalten, dass keine Duldung erteilt wird, wenn konkrete aufenthaltsbeendende
Maßnahmen bevorstehen. Wenn in Bayern beispielsweise darunter zählt, dass jemand nur zu einem Gespräch
eingeladen wird, in dessen Verlauf der Person gesagt
wird, dass sie sich ein Passersatzpapier organisieren soll,
dann fühle ich mich als Bundestagsabgeordnete - das
muss ich schon sagen - ziemlich doll veräppelt.
({1})
Lassen Sie uns gemeinsam in unseren jeweiligen Bundesländern noch einmal deutlich machen, dass es unser
Wille ist, dass derjenige, der sich anstrengt, dass derjenige, der eine Ausbildung beginnt, auch bleiben darf. Das
ist wichtig für die Betroffenen, aber es ist auch wichtig
für die Ausbildungsbetriebe, die ins Risiko gehen und
die im Moment massiv verunsichert sind. Das ist kein
Zustand. Wer Integration will, der sollte an dieser Stelle
dringend nachschärfen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({2})
Herzlichen Dank, Frau Kolbe. - Als nächste Rednerin
spricht Sevim Dağdelen von der Fraktion Die Linke.
({0})
Meine sehr verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in einem Land, das sozial gespalten ist. Das haben auch die Wahlergebnisse in
NRW gezeigt. Die Bundesregierung kann ihren Armutsund Reichtumsbericht gar nicht so schönfärben oder zurechtbiegen, dass die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich verdeckt würde. Die einen baden
heutzutage im Schampus, wissen nicht, was sie mit der
zehnten Yacht machen sollen,
({0})
während circa 40 Prozent der Bevölkerung heute weniger Kaufkraft besitzen als Ende der 90er-Jahre. Für diese
ungleiche Entwicklung tragen Sie von Union und SPD
gemeinsam Verantwortung.
({1})
Meine Damen und Herren, Sie werden nicht müde,
der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen und Ihr
immer gleiches Mantra zu wiederholen: Für einen Mindestlohn von 12 Euro die Stunde sei kein Geld da, für
eine Arbeitslosenversicherung, die den Namen verdient,
sei kein Geld da, für eine Bekämpfung der Armut sei kein
Geld da, für dringend notwendige Kitaplätze sei kein
Geld da. Für tatsächlich wirksame soziale Integrationsmaßnahmen fehlt auch das Geld. Aber Integration schafft
man eben nicht durch irgendwelche Benimmregeln oder
irgendwelche Sprechblasen wie die der
Für Integration müssen wir uns
aufeinander einlassen. - Ich sage: Nein, Frau Merkel. Für
Integration muss man endlich etwas Geld in die Hand
nehmen und in den sozialen Frieden in diesem Land investieren.
({0})
Sicher, wenn man - wie Union und SPD - keine Vermögensteuer für Reiche einführt und den Rüstungshaushalt wie die Große Koalition in diesem Jahr um 8 Prozent
auf 37 Milliarden Euro erhöht, dann fehlt selbstverständlich das Geld für die dringend notwendige soziale Offensive in diesem Land. Sagen Sie dann aber bitte nicht, es
sei kein Geld da. Sagen Sie den Menschen endlich die
Wahrheit. Sagen Sie ihnen, dass Union und SPD soziale
Sicherheit für alle in Deutschland lebenden Menschen
eben nicht wichtig genug ist, um sich mit den Reichen
und Mächtigen in diesem Land anzulegen. Sagen Sie ihnen, dass Sie nicht an das Geld der Geschwister Quandt
und Klatten ranwollen, die allein vom Autokonzern
BMW in diesem Jahr mehr als 1 Milliarde Euro Dividende als völlig leistungsloses Einkommen erhalten. Das
sind 3 Millionen Euro pro Tag. Und da wollen Sie selbstverständlich nicht ran, nicht einmal mit einer moderaten
Millionärssteuer, wie wir Linke sie fordern.
({1})
Sagen Sie den Menschen, dass es Union und SPD eben
wichtiger ist, neue Panzerarmeen gen Osten zu schicken,
als sich um einen Ausbau der Kitaplätze zu kümmern.
({2})
Es mangelt akut an 300 000 Kitaplätzen in Deutschland.
Und was macht die Bundesregierung? Sie legt ein Programm für 100 000 Plätze bis 2021 auf. So kann man
das nicht machen. Wir brauchen das Geld für dringend
notwendige Kitaplätze.
({3})
Wir Linke jedenfalls wissen - das sagen wir auch -: Geld
ist genug da. Dazu müssen aber endlich auch die Vermögenden in diesem Land einen entsprechenden, zumindest
bescheidenen Anteil zum Allgemeinwohl leisten. Dazu
muss dieser wahnwitzige Aufrüstungskurs gestoppt werden.
({4})
Wir wollen einen starken Sozialstaat. Wir wollen eine
soziale Offensive in diesem Land. Wir brauchen Investitionen in die Infrastruktur, die in den letzten Jahren
kaputtgespart worden ist. Wir brauchen neue Kindergärten und mehr Plätze. Wir brauchen Schulen und Sozialwohnungen. Wir brauchen einen Neustart im sozialen
und gemeinnützigen Wohnungsbau. Konkret notwendig
sind mindestens 250 000 neue Wohnungen jährlich statt
der 25 000, wie von der Bundesregierung geplant. Statt
des Weiter-so der Bundesregierung setzen wir uns dafür
ein, durch eine soziale Offensive den sozialen Frieden in
unserem Land wiederherzustellen, damit auch der Trend
nach rechts gestoppt werden kann.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Als Nächster spricht
Mark Helfrich für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
„Schulz-Zug im Heimatbahnhof steckengeblieben“ lautete eine Schlagzeile dieser Woche nach der NRW-Wahl.
({0})
Schaue ich mir den Kurs an, den Sie, Kolleginnen und
Kollegen von den Linken, mit dem vorliegenden Antrag
fahren, könnte die Schlagzeile lauten: „Es fährt ein Zug
nach Nirgendwo“.
({1})
Ihr Antrag „Eine erfolgreiche Integrationspolitik erfordert eine soziale Offensive für alle“ erweckt den Eindruck, es herrsche große soziale Ungerechtigkeit in unserem Land.
({2})
Wie weit man damit kommt, Kollege Birkwald, dem
Wähler einzureden, es gehe in Deutschland nicht gerecht
zu, haben die letzten drei Landtagswahlen eindrucksvoll
gezeigt.
({3})
Man wird vom Wähler abgestraft. Sie von der ach so
sozialen Linken haben es in NRW, dem Bundesland mit
dem größten Anteil an Empfängern staatlicher Grundsicherung, nicht in den Landtag geschafft. Damit ist klar,
dass man weder mit dem Schlechtreden Deutschlands
noch mit Linkspopulismus punkten kann.
({4})
Ich frage Sie allen Ernstes, werte Kolleginnen und
Kollegen der Linken: In welchem Land geht es denn
gerechter zu als in unserem? Deutschland ist ein funktionierender Rechtsstaat mit einem engmaschigen Sozialsystem. Dem Land und den Menschen geht es so gut wie
lange nicht.
({5})
Lassen Sie mich dies am Beispiel des Arbeitsmarktes
aufzeigen. Die deutsche Wirtschaft brummt. Wir haben
ein gesundes Wirtschaftswachstum von zuletzt 1,8 Prozent. Auf dem Arbeitsmarkt jagt ein Positivrekord den
nächsten. 43,8 Millionen Menschen - so viele wie nie
zuvor - haben einen Job. Die Arbeitslosigkeit ist auf einem Vierteljahrhunderttief. Besonders bemerkenswert
ist, dass die Jugendarbeitslosigkeit die niedrigste in Europa ist.
({6})
Gleichzeitig geht der Stellenaufbau weiter. Erstmals
in der Geschichte der Bundesrepublik waren mehr als
31,7 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig
beschäftigt.
Wir müssen uns aber auch ins Gedächtnis rufen, dass
eine solche Arbeitsmarktlage keine Selbstverständlichkeit ist. Grundlage dafür ist und bleibt eine stabile Wirtschaft, für die ein flexibler Arbeitsmarkt unabdingbar ist.
Von ihm profitieren all jene, die ohne Instrumente wie die
Zeitarbeit oder ohne die Möglichkeit, Arbeitsverträge zu
befristen, weiterhin arbeitslos wären. Vor allem die Zeitarbeit schafft zusätzliche Arbeitsplätze. Sie ist auch eines
der wichtigsten Instrumente im Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit. Zwei Drittel der Zeitarbeiter waren
zuvor ohne Beschäftigung.
Das scheinen Sie vergessen zu haben.
({7})
Sonst würden Sie in Ihrem Antrag nicht erstens die Einschränkung von befristeten Arbeitsverträgen, zweitens
die Abschaffung der Leiharbeit und drittens die Einführung einer Sonderabgabe für Arbeitgeber in Höhe von
0,5 Prozent der Lohnsumme fordern. Sie fordern zudem
die Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen.
({8})
Ich bin sehr froh, dass wir als Union dies verhindert haben. Das Prinzip des Förderns und Forderns, auf dem
gute Arbeitsmarktpolitik beruht, ist richtig und wichtig.
({9})
Solidarität ist keine Einbahnstraße. Der Sozialstaat
muss verlangen können, dass jemand, der arbeiten kann
und dem Arbeit angeboten wird, diese auch annimmt.
Die Sanktionen sind ein wichtiger Mechanismus, wie es
ihn überall in unserer Gesellschaft gibt. Im Übrigen sind
sie nach meinem Verständnis ein Zeichen von Fairness,
Gerechtigkeit und Verantwortung, auch gegenüber den
Arbeitnehmern, die es durch ihre Arbeit überhaupt erst
ermöglichen, dass es diese Sozialleistungen gibt. Eine
Abschaffung bzw. Absenkung der Sanktionen wäre auch
im Hinblick auf die vielen Flüchtlinge, die im Hartz-IVSystem angekommen sind oder dort noch ankommen
werden, das falsche Signal.
Hätte es dann noch sozusagen ein i-Tüpfelchen gebraucht, dann wäre das Ihre Forderung, dass jeder, der
hier in Deutschland ankommt, ab dem ersten Tag monatlich 1 050 Euro bekommen soll. Das würde eine explosionsartige Zuwanderung in unsere sozialen Sicherungssysteme bewirken
({10})
und, ich denke, mittelfristig auch den Kollaps unseres
Sozialstaates. Auf Ihre Finanzierungsvorschläge wäre
ich gespannt. Lassen Sie mich an dieser Stelle einfach
einmal raten: Mit einer weiteren Sonderabgabe würden
wir es bestimmt locker schaffen, das zu finanzieren.
({11})
Nein, lassen wir die Scherze. Ihre sozialverblendeten
Vorstellungen mögen in Ihrem Wahlprogramm auftauchen. Mit der Realität in Deutschland haben sie nichts,
aber auch gar nichts zu tun. Deshalb lehnen wir Ihren
Antrag ab.
Herzlichen Dank.
({12})
Vielen Dank, Herr Kollege Helfrich. - Als nächster
Redner spricht Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit.
Deutschland geht es sehr gut - ökonomisch. Der Arbeitsmarkt brummt. Die Ökonomie brummt. Das haben Sie
richtigerweise gesagt. Auf der anderen Seite muss man
aber feststellen, dass der Wohlstand und der Reichtum
in Deutschland nicht bei allen ankommen. Der Armutsund Reichtumsbericht der Bundesregierung zeigt das
sehr deutlich. Die untersten 40 Prozent haben in den
letzten 20 Jahren nicht dazugewonnen. Sie haben kein
höheres Einkommen. Die Einkommen der Reichsten, die
Vermögen der Reichsten sind stark gestiegen. Im Durchschnitt geht es besser, aber die Schere geht auseinander,
die Armutsquoten steigen. Die Kinderarmut ist nach dem
Armuts- und Reichtumsbericht zum ersten Mal auf über
20 Prozent angestiegen.
({0})
Mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland hat ein Einkommen unter der Armutsgrenze. Ein Fünftel der Kinder
hängen wir also ab. Ähnliche Studien gibt es nicht nur
zur finanziellen Dimension, sondern auch zu Bildung
und anderen Bereichen. Damit verscherzen wir uns die
Zukunft. Wir müssen vor allen Dingen in die Kinder investieren und dafür sorgen, dass Kinderarmut in Deutschland verringert wird.
({1})
Mit Blick auf die Verteilungsfragen, die sich bei uns
stellen, müssen wir dafür sorgen und können wir dafür
sorgen, dass alle Menschen, die hier leben, selbstbestimmt an der Gesellschaft teilhaben, dass niemand ausgegrenzt wird, damit wir eine bunte, vielfältige, selbstbestimmte Gesellschaft, eine inklusive Gesellschaft haben.
Dafür müssen wir arbeiten.
({2})
„Inklusiv“ bedeutet: sowohl für die Menschen, die hier
schon länger leben, als auch für die Neuen, die dazugekommen sind.
Viele Probleme, die in dem Armuts- und Reichtumsbericht abzulesen sind, werden sich durch die Menschen,
die zu uns kommen, leider kurzfristig verstärken. Wir
werden wahrscheinlich einen höheren Anteil im SGB II
haben. Wir werden möglicherweise ein Steigen der Armut haben. Mittel- bis langfristig ist die Zuwanderung
eine Chance. Aber die Chance werden wir nur dann nutzen können, wenn wir jetzt in die Menschen investieren,
wenn wir von Anfang an für Integration und dafür sorgen,
dass die Menschen an der Gesellschaft teilhaben können.
({3})
Dafür braucht es einen inklusiven Arbeitsmarkt für
alle, damit alle Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Dafür
braucht es eine inklusive Bildung für alle Menschen mit
Sprachproblemen
({4})
oder mit anderen Problemen, damit alle in Deutschland
Bildungserfolge haben. Und es braucht eine inklusive
soziale Sicherung, eine vernünftige Grundsicherung,
die das Grundrecht auf Existenzsicherung gewährleistet.
Die Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist ein Grundrecht. Das sage ich insbesondere
noch einmal in die Richtung der CDU/CSU-Fraktion.
({5})
Das muss gewährt werden, und zwar sanktionsfrei. Wir
wollen die Sanktionen beim SGB II abschaffen und dass
im Asylbewerberleistungsgesetz das Existenzminimum
auch gewahrt wird. Der Anfang des Jahres von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf, gemäß dem die
Leistungen gekürzt werden sollen, ist unserer Meinung
nach nicht der richtige Weg, sondern wir brauchen eine
gleiche Grundsicherung, sowohl für die Menschen, die
hier schon leben, als auch für die Menschen, die dazukommen.
({6})
Darüber hinaus brauchen wir eine Alterssicherung für
alle. Das Prinzip Bürgerversicherung muss für alle gelten.
Wir brauchen eine vernünftige Gesundheitsversorgung für alle, einen Zugang zu Gesundheitsleistungen für
die Menschen, die hier schon leben, ohne eine Trennung
in die Zwei-Klassen-Medizin, und eine vernünftige Gesundheitsversorgung für die geflüchteten Menschen, die
hierherkommen.
Der richtige Ansatz wäre, zu sagen: Inklusion, die
alle umfasst, soziale Teilhabe für alle. Deswegen finden
wir die Überschrift des Antrages sehr gut. Der Inhalt des
Antrages ist jedoch teilweise ein buntes Sammelsurium.
Die Rede war noch viel bunter. Da ist alles Mögliche
zusammengemengt worden. Das heißt, der Ansatz ist eigentlich richtig, das, was drinsteht, ist jedoch hochgradig
problematisch. Deswegen können wir dem Antrag nicht
zustimmen. Wir werden uns enthalten. Aber wir müssen
insgesamt alle dafür sorgen, dass wir soziale Teilhabe für
alle schaffen.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Als nächster Redner
spricht Josip Juratovic von der SPD-Fraktion zu uns.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Was kostet Integration? Was kostet es, Menschen zu ermöglichen, bei uns anzukommen? 25 Milliarden Euro zusätzlich, 30 Milliarden, 50 Milliarden?
Der Antrag der Linken suggeriert: Wenn man zusätzlich
25 Milliarden Euro nach dem Gießkannenprinzip über
die Bundesrepublik ausschüttet, dann wird das schon.
Ich fürchte aber, so einfach ist es nicht. Denn was bedeutet denn Integration? Integration bedeutet doch nichts
anderes als Teilhabe am gesellschaftlichen Leben: an
Sprache, Arbeit, Wohnen, Bildung und Kultur. Das ist
wesentlich nicht nur für Geflüchtete, sondern für alle, die
in Deutschland leben: für Zuwanderer aller Art und natürlich auch für die Einheimischen.
({0})
Deshalb muss es darum gehen, kostenfreie Bildung
für alle zu ermöglichen, wie es die SPD schon lange fordert. Daneben muss es zum Beispiel eine Erleichterung
bei der Anerkennung der Berufsabschlüsse, bezahlbaren
Wohnraum für jeden Geldbeutel und einen Arbeitsmarkt
geben, der es jedem nach seinem Können ermöglicht,
von seiner Hände Arbeit zu leben.
All diesen Ansprüchen, die eine Gesellschaft erfüllen
muss, die sich sozial und fortschrittlich nennt, kommen
wir bereits nach, und wir Sozialdemokraten würden ihnen noch besser nachkommen, wenn wir die Mehrheit
hätten.
({1})
Was ich sagen will: Der Bund hat seine Hausaufgaben
in puncto Ausgaben gemacht. Wir haben 2016/17 knapp
30 Milliarden Euro für asylbedingte Kosten ausgegeben.
Der größte Anteil davon ging mit über 16 Milliarden
Euro übrigens an die Länder und Kommunen zur Entlastung bei den Flüchtlingskosten. Mit diesem Geld wurden
Flüchtlinge untergebracht, aber auch Lehrer und Erzieher
eingestellt. Wir haben die Gelder für den Wohnungsbau
erhöht und das Personal in Behörden - nicht zuletzt dem
BAMF - aufgestockt.
Es ist also keineswegs so, dass wir Kommunen und
Verwaltung ausbluten lassen, wie es im Antrag der Linken anklingt. Im Gegenteil: Die Bundesregierung kommt
ihrer Aufgabe in angemessener Weise nach.
Natürlich geht es immer noch besser, aber nicht mit
dem Geldverteilprinzip der Linken, die das Geld gerne
mit der Gießkanne verteilen wollen. Als Sozialdemokrat
sage ich: Wir müssen gute soziale Politik für alle machen. Nur so erhalten wir einen gesellschaftlichen Konsens und ein gutes Miteinander in Vielfalt.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das bringt mich zu
einem anderen Punkt, der mir als Integrationsbeauftragtem außerordentlich wichtig ist: Wir können Milliarden
ausgeben und die schönsten Maßnahmenpakete schnüren, wir können uns hier über die Höhe der Summen und
die unterschiedlichsten Kostenpunkte streiten, all unsere
Anstrengungen bleiben aber wirkungslos, wenn wir sie
nicht mit Leben erfüllen. Wir müssen das Ziel verinnerlichen, dass die Menschen an unserer Gesellschaft teilhaben können. Das funktioniert nur, wenn die richtige
Haltung und das passende gesellschaftliche Klima dafür
vorhanden sind.
({3})
Lassen Sie uns den Geflüchteten zeigen, dass wir ihre
Not verstehen und dass wir alles tun, damit sie sich sicher
fühlen - sei es für eine Übergangszeit oder für ihr ganzes
Leben und das ganze Leben ihrer Kinder. Diese Haltung
würde uns sehr viel Geld sparen.
Dazu gehört auch, dass Sie von der CDU endlich einmal die ständigen Doppelpass-, Loyalitäts- und Leitkulturdebatten einstellen.
({4})
Das macht jedes aufkeimende Vertrauen und Zusammengehörigkeitsgefühl mit einem Schlag zunichte.
Lassen Sie uns solch ermüdende Diskussionen beenden und solch gut gemeinte Anträge wie die der Linken vergessen. Beides ist Wahlkampf und enttäuscht die
Menschen, die sich millionenfach für gelungene Integration einsetzen und denen wir unseren Dank und Respekt
sowie unsere Anerkennung und Unterstützung statt leerer
Versprechungen schuldig sind.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Als letzte Rednerin in
dieser Debatte spricht Dr. Astrid Freudenstein von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es gibt kaum etwas, was so gut ist, dass man es nicht
noch besser machen könnte. Das gilt natürlich auch für
unseren Sozialstaat, den ich für einen der besten weltweit
halte.
({0})
Ich glaube, dass unser Sozialstaat auch der Grund ist, warum so viele Menschen aus aller Welt bei uns eine neue
Heimat suchen.
({1})
Gleichzeitig heißt das natürlich nicht, dass wir uns
zurücklehnen dürfen. Wenn zum Beispiel mehr als eine
Million Menschen dauerhaft keine Arbeit finden, dann
müssen wir überlegen, wie wir auch diese Menschen vermitteln können. Wenn vor allem ältere Frauen ein hohes
Risiko haben, in Altersarmut zu fallen, dann müssen wir
uns überlegen, welche Lösungen genau für diesen Personenkreis passen. Wenn vor allem Kinder aus armen Elternhäusern ein hohes Risiko haben, zu armen Erwachsenen zu werden, dann müssen wir dafür Lösungen finden.
Es gibt kein System, das nicht im Einzelfall Ungerechtigkeiten hervorbringt. Auch unser Sozialstaat ist ein
System. Es wird vielen, den allermeisten, gerecht. Aber
es gibt immer - das ist eben systemimmanent - Einzelne,
die sich in einem solchen System ungerecht behandelt
fühlen, für die andere Lösungen tatsächlich besser wären.
Eines aber wäre als Konsequenz aus diesen Selbstverständlichkeiten grundfalsch, nämlich das ganze System,
den ganzen Sozialstaat infrage zu stellen. Das wird auch
nicht dadurch richtiger, dass man dafür die Integration als
Vorwand nimmt. Genau das aber tun Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, mit Ihrem Antrag.
Sie wollen einen Mindestlohn von 12 Euro die Stunde,
das Ende von Hartz IV, eine Grundsicherung von mehr
als 1 000 Euro, zugleich eine Rückkehr zur Rente mit
65 Jahren, den vollen Zugang zu allen Sozialleistungen
für sämtliche Migranten vom ersten Tag an. Das wären
dann nach Ihren Vorstellungen für jeden Asylbewerber
mindestens 1 000 Euro im Monat. 100 Milliarden Euro
soll das Ganze jährlich mehr kosten. Zum Vergleich: Der
aktuelle Sozialhaushalt beträgt 137 Milliarden Euro. Sie
wollen also mal eben 70 Prozent draufschlagen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Sozialstaat
ist ein überaus leistungsfähiges und robustes Gebilde.
Aber wenn Sie mit Ihren Ideen durchkämen, dann wäre
er innerhalb kürzester Zeit am Ende. Auch Neiddebatten, Frau Kollegin Dağdelen, helfen unserer Gesellschaft
nicht weiter. Unser fein ausbalancierter Sozialstaat muss
vor solchen Ideen geschützt werden. Ich weiß, dass Sie
das nicht gerne hören. Aber ich will es Ihnen trotzdem in
Erinnerung rufen, liebe Linksfraktion. Wir stehen eben
nicht kurz vor dem Kollaps, wie das hier suggeriert wird.
Es geht uns nicht wie damals der DDR kurz vor ihrem
Ende.
Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist historisch
niedrig. Die verfügbaren Einkommen waren nie so hoch.
Nie zuvor waren so viele Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
({2})
Die allermeisten Menschen in unserem Land sind zufrieden. Deswegen fallen sie auf Ihren Sozialpopulismus
nicht herein. Die Wahlergebnisse der letzten Wochen haben das eindrücklich belegt.
({3})
Ich sage es Ihnen noch einmal: Die Lage wird auch
nicht immer schlechter. Im Jahr 2005, als Angela Merkel
das Kanzleramt von Gerhard Schröder übernommen hat,
({4})
hatten 64 Prozent der Erwerbstätigen Angst vor Arbeitslosigkeit. Heute sind es 25 Prozentpunkte weniger.
({5})
Ich darf Sie daran erinnern, dass wir innerhalb dieser
zwölf Jahre Merkel von einer der größten Finanz- und
Wirtschaftskrisen der Welt erfasst wurden. Das war
2009/2010; so lang ist das noch gar nicht her. Und was
ist passiert? Kein Land der Erde kam aus der Krise so gut
heraus wie unseres. Auch das ist ein Beispiel dafür, dass
unser Sozialstaat in diesen Situationen greift.
({6})
Ich möchte Ihnen noch ein Beispiel nennen. Gerade
während der Flüchtlingskrise hat sich gezeigt, wie gut
unser Sozialstaat funktioniert.
({7})
Wir können nämlich die Aufgaben schultern. Wir können
Sprachkurse finanzieren.
({8})
Wir können die Menschen anständig versorgen, ohne Abstriche bei der sozialen Absicherung der Bundesbürger
zu machen.
({9})
Wir brauchen eben kein zusätzliches 25-Milliarden-Euro-Paket, aus dem Sie das Geld wie mit einer Gießkanne
über das Land verteilen, um die Flüchtlingskrise in den
Griff zu bekommen.
({10})
Wenn Sie noch mehr darüber wissen wollen,
({11})
wie gute Integration funktioniert, dann lade ich Sie nach
Bayern ein. Auch dort funktioniert nicht alles wunderbar.
Aber ich nenne das Beispiel deswegen, weil auch Bayern
für die Integration Geld in die Hand nimmt, viel Geld
sogar: 9 Milliarden Euro zusätzlich. Aber wir verteilen
dieses Geld nicht einfach an alle, sondern wir setzen es
konkret dort ein, wo man es für gute Integration braucht:
für tausend zusätzliche Lehrerstellen, zusätzliche Polizistenstellen und eine hundertprozentige Übernahme der
Kosten der Kommunen für die Integration.
({12})
So funktioniert das, aber nicht so, wie Sie es in Ihrem
Antrag fordern.
Danke schön.
({13})
Vielen Dank, Frau Kollegin Freudenstein.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu
dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Eine
erfolgreiche Integrationspolitik erfordert eine soziale
Offensive für alle“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12166, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9190
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Gegenprobe! - Gibt es Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD-Frakti-
on und der CDU/CSU-Fraktion gegen die Stimmen der
Linken und bei Enthaltung der Grünen angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
a) Beratung des Berichts des Ausschusses für Recht
und Verbraucherschutz ({0}) gemäß
§ 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung
- zu dem von den Abgeordneten Volker Beck
({1}), Ulle Schauws, Katja Keul, weite-
ren Abgeordneten und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurf eines Gesetzes zur Abschaffung des
Eheverbots für gleichgeschlechtliche Paare
- zu dem vom Bundesrat eingebrachten Ent-
wurf eines Gesetzes zur Einführung des
Rechts auf Eheschließung für Personen
gleichen Geschlechts
Drucksachen 18/5098, 18/6665, 18/12227
b) Beratung des Berichts des Ausschusses für Recht
und Verbraucherschutz ({2}) gemäß
§ 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung
zu dem von den Abgeordneten Diana Golze,
Agnes Alpers, Nicole Gohlke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des
Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts
Drucksachen 18/8, 18/12340
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Katrin
Göring-Eckardt von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute ist der 17. Mai. Das ist der Internationale Tag gegen Homo-, Trans- und Biphobie. Der Tag erinnert an
Diskriminierung; er erinnert an Unterdrückung, an Bestrafung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität, Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung.
Auch heute, immer noch!
Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Während dieser
Wochen werden schwule Männer in Tschetschenien
staatlich verfolgt. Sie werden inhaftiert. Sie sitzen in
Lagern. Augenzeugen berichten von Folter, von Hunger,
von Gewalt. Augenzeugen berichten von Toten. Augenzeugen berichten von Ehrenmorden an schwulen Männern in Tschetschenien.
Ich lese diese Nachrichten, ich bin erschüttert, ich bin
wütend, ich bin zornig; es brennt mir das Herz. Es ist das
Jahr 2017, und das ist nur sechs Flugstunden entfernt.
({0})
Die Bundeskanzlerin hat Herrn Putin zur Achtung der
Menschenrechte gemahnt. Der Außenminister hat ein
sofortiges Ende des brutalen Vorgehens gefordert. Nur
wenige Tage später wurden erneut Aktivisten in Moskau
verhaftet. Man hört nur noch wenig über die schrecklichen Ereignisse, und meine Sorge ist, dass aus dem
Schweigen Unsichtbarkeit wird. Meine Sorge ist, dass
vergessen wird.
Deswegen ist dieser heutige Tag dafür da, klar zu sagen: Wir vergessen nicht. Wir schauen genau hin. Und
wir sorgen dafür, dass diese Menschen Schutz bekommen, übrigens auch den Schutz unseres Asylrechts, meine Damen und Herren.
({1})
Angesichts dieses Tages und angesichts dieses Anlasses ist das, was wir heute zu besprechen haben, eigentlich
eine Kleinigkeit. Oder sagen wir es so: Es sollte eigentlich eine Kleinigkeit sein. Es ist vergleichsweise etwas
Einfaches: Es geht nämlich nur um die Liebe. Es geht
um die Frage, ob zwei Menschen, die sich verlieben und
heiraten wollen, das auch dürfen. Die einen dürfen; die
anderen dürfen nicht.
({2})
Jetzt ahne ich schon, dass wir zu hören bekommen,
was dagegen spricht. Die einen werden sagen, man müsse doch an die Kinder denken. Und ich sage: Jawohl, wir
denken an die Kinder. Wir denken an die Kinder in Regenbogenfamilien, die die gleichen Rechte haben müssen
wie alle anderen Kinder auch.
({3})
Und es wird heißen, die Öffnung der Ehe verstoße
gegen das Grundgesetz. Dann lassen wir doch bitte das
Verfassungsgericht entscheiden. Auch dafür wäre heute
hier eine Entscheidung notwendig.
({4})
Dann hören wir noch, dass die Dinge Zeit brauchen.
Im Jahr 1992 haben 250 schwule und lesbische Paare das
Aufgebot bestellt. Meine Güte, die könnten heute schon
silberne Hochzeit feiern, wenn Sie sich damals auf den
Weg gemacht hätten.
({5})
Wir diskutieren also wieder einmal über die Öffnung
der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Drei Gesetzentwürfe liegen vor. Wir diskutieren, aber wir entscheiden
nicht. Wir entscheiden nicht, weil Sie es immer und immer wieder auf die lange Bank schieben, weil Sie es immer wieder im Ausschuss absetzen, heute zum 28. Mal.
Das ist doch peinlich; das ist doch völlig unverständlich.
({6})
Und zum zehnten Mal haben Sie den Gesetzentwurf der
Länderkammer abgelehnt, meine Damen und Herren.
Das ist so etwas wie Vorsatz und Arbeitsverweigerung.
({7})
Deswegen sage ich Ihnen: Wir können nicht mehr einfach hinnehmen, dass Sie mit dieser Arbeitsverweigerung weitermachen. Wir können nicht mehr hinnehmen,
dass Sie ignorieren, was 83 Prozent der Menschen in diesem Land wollen.
({8})
Sie können ja noch sagen: Die Opposition interessiert
uns nicht. Es geht aber nicht, dass Sie immer weiter verschieben und vertagen, während auf der anderen Seite
Herr Maas heute ein Sharepic veröffentlicht und mitgeteilt hat, er würde keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, der nicht die Ehe für alle vorsieht. Das hätte man
2013 machen können.
({9})
Vizepräsidentin Michaela Noll
Dann müsste man hier heute nicht nach dem Motto „Haltet den Dieb!“ verfahren.
({10})
Zum Schluss möchte ich Folgendes sagen: Vor kurzem ist in Schleswig-Holstein ein Mann gewählt worden,
der einen großen Wahlerfolg hatte. Er hat gesagt, er hätte
so ein Bauchgefühl. Dieses Bauchgefühl habe ihm gesagt, die Öffnung der Ehe für alle müsse doch selbstverständlich sein. Dieser Mensch ist Herr Günther.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.
Er gehört der Union an, meine Damen und Herren.
Ich finde, Sie könnten einmal Ihr Bauchgefühl und das
Bauchgefühl von Herrn Günther miteinander in Einklang
bringen. Dann könnten wir diese Sache endlich abräumen, und die Menschen könnten das tun, was Konservative doch so toll finden, nämlich heiraten. Es ist doch
die schönste Auszeichnung für die Institution Ehe, wenn
man Menschen, die das wollen, heiraten lässt. Tun Sie es
endlich! Springen Sie über Ihren Schatten, meine Damen
und Herren!
({0})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Als Nächster spricht
Dr. Heribert Hirte von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vielen Dank für den Applaus! Lassen Sie mich zunächst
einmal klarstellen: Ich halte es für ausgesprochen wichtig, an diesem 17. Mai der Homophobie entgegenzuwirken und um Verständnis für unterschiedliche sexuelle
Orientierungen zu werben.
({0})
Allerdings - und da bin ich schon beim entscheidenden
Punkt - sollte diese Diskussion nicht platt, sondern mit
der notwendigen Differenzierung geführt werden.
({1})
In Bezug auf das Adoptionsrecht etwa ist es wichtig,
zu betonen, dass es nicht um das Recht auf Adoption,
sondern um das Recht der Adoption geht.
({2})
Dabei steht nicht das Recht der Eltern auf ein Kind, sondern das Recht der Kinder auf fürsorgliche Erziehung im
Vordergrund.
({3})
Das wird nach dem geltenden Adoptionsrecht in der Tat
nicht immer so gesehen, und deshalb bedarf es der Reform - ganz unabhängig davon, ob durch Heterosexuelle
oder Homosexuelle adoptiert wird.
Schauen wir aber konkret auf die Frage der von Ihnen
geforderten Ehe für alle. Wenn Sie hier den Eindruck erwecken, liebe grüne Kollegen, meine Fraktion würde die
gebotene Gleichstellung grundsätzlich ablehnen, so ist
das schlicht falsch. Denn natürlich gibt es neben mir viele Kolleginnen und Kollegen, die eine Verbesserung der
aktuellen gesetzlichen Lage für notwendig halten. Und
Sie wissen das auch.
({4})
Aber abgesehen davon, dass der Prozess, eine Mehrheit
im ganzen Land hinter sich zu versammeln, Zeit braucht,
gilt: Viele von uns verwahren sich gegen den Vorwurf,
bei uns in Deutschland gäbe es in Bezug auf Homosexualität - manche behaupten sogar: eine systematische Diskriminierung. Liebe Frau Göring-Eckardt, Sie haben
Gott sei Dank keine Beispiele aus Deutschland, sondern
aus dem Ausland gewählt, wo es in der Tat anders ist.
Bei uns ist das Gegenteil wahr. Gerade Deutschland ist nicht zuletzt wegen seiner historischen Erfahrungen - ein
Staat, in dem die Diskriminierung von Minderheiten zu
Recht ein Tabubruch ist.
({5})
Gerade unser Vorgehen in der Flüchtlingskrise hat das
mit großer Deutlichkeit gezeigt.
({6})
Deshalb war es auch uns - und gerade mir persönlich wichtig, die Rehabilitierung der nach § 175 Strafgesetzbuch Verurteilten voranzutreiben.
({7})
Hier sind wir, finde ich, auf einem guten Weg. Gerade
dieser Hinweis zeigt aber auch, wo das Problem bei Ihren
Anträgen liegt; denn Fragen der sexuellen Orientierung
sind von sensibler Natur. Sie verlangen hier durchaus im Ansatz zu Recht - Gleichstellung. Aber Sie müssen
verstehen, dass nicht jeder dies teilt und erst recht nicht
darüber öffentlich diskutieren will. Deshalb war es uns
wichtig - gerade den Lesben und Schwulen in der Union, mit denen wir darüber in einem intensiven Austausch
stehen -, die im Zusammenhang mit § 175 StGB stehenden Themen zusammen mit vielen meiner Kollegen in
nichtöffentlichen Gesprächen anzugehen; denn nur so
gewinnt man die Herzen und das Verständnis der Menschen.
({8})
Wenn Sie wie gestern E-Mails herumschicken, in denen
behauptet wird, dass alles andere als eine Eins-zu-einsUmsetzung Ihrer Vorlagen ein Kasperletheater darstelle,
gewinnen Sie die Mehrheit gerade nicht.
({9})
Nun ein paar Worte zur Sache. Sie weisen darauf hin,
dass eine weiter gehende Gleichstellung verfassungsrechtlich geboten sei. Leider ist aber auch nach der dazu
durchgeführten Sachverständigenanhörung der verfassungsrechtliche Befund unklar, abgesehen davon, dass
wir nicht wissen, wie das Bundesverfassungsgericht in
Zukunft entscheidet.
({10})
Wir hatten deshalb vorgeschlagen - darauf sind Sie nicht
eingegangen -, die notwendige Gleichstellung auf der
Ebene des Grundgesetzes vorzunehmen.
({11})
- Wir haben darüber gesprochen.
({12})
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Noch zehn Zeilen. Dann können Sie sich melden.
Das gilt in gleicher Weise für die von meinem - das
betone ich ganz bewusst - CSU-Kollegen ins Gespräch
gebrachte Möglichkeit, den Begriff des Verheiratetseins
neu zu definieren, sodass er einerseits die klassische Ehe
und andererseits die Partnerschaft umfasst. Damit sind
wir genau bei dem, was Sie, liebe Frau Göring-Eckardt,
gesagt haben. Liebe ist für beide gleich, und dann könnten wir den Begriff des Verheiratetseins wunderbar definieren. Aber auch das stieß auf keine Sympathie.
Das alles zeigt: Wir sind an dem Thema dran. Aber wir
werden die Dinge auf eine Weise reformieren, sodass die
Mehrheit unseres Landes dahinterstehen kann.
({0})
Sie haben völlig recht: Wenn zwei Menschen füreinander
Verantwortung übernehmen, steht das - da verweise ich
gerne auf die gestrige Aussage von Daniel Günther - im
Einklang mit unserem christlichen Menschenbild.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Das Wort hat Kollege
Volker Beck von Bündnis 90/Die Grünen für eine Kurzintervention.
Eigentlich wollte ich eine Frage stellen. - Herr Hirte,
Sie haben gesagt, Sie seien dafür, das in der Verfassung
zu regeln. Bislang hat die Unionsfraktion - egal in welcher Regierungskoalition sie sich befand - jedes Mal den
Antrag meiner Fraktion, Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes endlich um das Kriterium der sexuellen Identität
zu erweitern, abgelehnt. Sie können hier nicht einfach
das glatte Gegenteil behaupten. Sie sind doch Leiter des
Stephanuskreises.
({0})
„Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist,
das ist vom Übel.“ Sie haben sich im letzten Jahr zusammen mit mir in Köln am CSD vor Zehntausenden Lesben
und Schwulen gestellt und sich für die Zusage feiern lassen, dass Sie hier im Bundestag für die Öffnung der Ehe
eintreten werden.
({1})
Nun kommen Ihnen auf einmal Bedenken, die Sie Ihren
Kölner Wählerinnen und Wählern nicht gesagt haben.
Das ist keine ehrliche und wahrhaftige Politik.
({2})
Es gibt verfassungsrechtlich keinen Grund, die Ehe
für gleichgeschlechtliche Paare nicht zu öffnen; das wissen Sie auch. Sie haben sich in der Vergangenheit, wenn
es um die eingetragene Partnerschaft ging - angefangen
2001 mit den Klagen von Bayern, Sachsen und Thüringen -, jeden einzelnen Schritt vom Bundesverfassungsgericht diktieren lassen. Sie dachten, das Gesetz sei verfassungswidrig. Wir haben recht bekommen. Sie haben
gedacht, Ihre Diskriminierungspolitik sei verfassungskonform. Aber überall - beim Steuerrecht, beim Beamtenrecht und insbesondere bei der Beamtenversorgung haben Sie verloren. Verstecken Sie sich nicht hinter der
Verfassung, und geben Sie dem Plenum des Deutschen
Bundestages endlich das Recht, über die Gesetzentwürfe
von Bundesrat und Opposition abzustimmen.
({3})
Herr Kollege Dr. Hirte, wollen Sie darauf antworten? - Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Beck, Ihren
Vorschlag zu einer Verfassungsreform haben wir abgelehnt, weil er uns nicht gefällt.
({0})
Wir haben eigene Vorschläge gemacht; darüber haben
wir diskutiert. Aber diese Vorschläge lehnen Sie ab. So
viel zur Klarstellung.
Ich habe in Köln gesagt, dass ich mich dafür einsetze,
die Abstimmung zu öffnen. Aber das Erste, was Sie, wenige Minuten nachdem wir die Bühne verlassen hatten,
gemacht haben, war, mir über Twitter Terminangebote
zu machen. - Genau das entspricht nicht dem, was ich
gerade gesagt habe. Es handelt sich hier um ein sensibles
Thema, über das zuerst einmal in kleinen Gesprächskreisen zu debattieren ist.
({1})
- Genau diese 81 Prozent sind, wie ich höre, dafür, aber
sie sind dagegen, von Ihnen in dieser Weise vorgeführt zu
werden. Das ist das Problem.
({2})
Als Nächster hat jetzt der Kollege Harald Petzold von
der Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! 16mal haben wir jetzt das Thema „Öffnung der Ehe für
alle“ allein in dieser Wahlperiode hier im Plenum diskutiert. Kein Thema - mit Ausnahme vielleicht der Auslandseinsätze der Bundeswehr - hat hier öfter im Zentrum unserer Diskussion gestanden als dieses.
({0})
Es ist der dritte Bericht der Vorsitzenden des Rechtsausschusses, in dem sie zum dritten Mal den Fraktionen
der Großen Koalition ins Stammbuch schreiben muss,
dass sie ihren verfassungsrechtlichen Auftrag, nämlich
überwiesene Gesetzentwürfe zu behandeln, nicht erfüllen.
({1})
Wir haben inzwischen die paradoxe Situation, dass
der Bundestagspräsident - für die Besucherinnen und
Besucher: der kommt aus der CDU/CSU-Fraktion - an
alle Fraktionsvorsitzenden geschrieben hat, dass er darum bittet - das möge man sich auf der Zunge zergehen
lassen -, dass die Fraktionen dafür sorgen mögen, dass
der Gesetzentwurf des Bundesrats in angemessener Frist,
so wie es im Grundgesetz vorgesehen ist - sprich: noch
in dieser Wahlperiode -, wenigstens behandelt wird.
Schlimmer können Sie Ihren eigenen Präsidenten nicht
vorführen, als ihn zu nötigen, so einen Brief zu schreiben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/
CSU-Fraktion.
({2})
Das geht nicht, und das sollten wir heute endlich beenden.
({3})
Wir werden nachher eine Geschäftsordnungsdebatte führen, in der sich die Kolleginnen und Kollegen der
SPD-Fraktion dazu bekennen können, ob das Wirklichkeit wird, was der Kollege Kahrs versprochen hat, nämlich dass sie dann, wenn die nächste Abstimmung zu
diesem Thema hier im Plenum stattfindet und sich die
Union immer noch nicht durchgerungen haben sollte,
freiwillig mit abzustimmen, der Unionsfraktion eine Abstimmungsniederlage beibringen wollen.
({4})
Ich bin gespannt, wie die Kolleginnen und Kollegen von
der SPD-Fraktion hier abstimmen.
({5})
Ich sage Ihnen auch: Am letzten Sonntag war Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Es kann sein, dass Sie
solche Ergebnisse kalt lassen. Es kann aber auch sein,
dass Sie sich fragen, wie solche Ergebnisse zustande
kommen. Ich kann Ihnen zumindest meine Wahrnehmung mitteilen: indem Sie den Wählerinnen und Wählern vor der Wahl versprechen, 100 Prozent Gleichstellung gebe es nur mit Ihnen, aber nach der Wahl zu
denjenigen gehören, die die hundertprozentigen Verhinderer dieser Gleichstellung sind. Das lassen sich Wählerinnen und Wähler nicht gefallen, und dann gibt es solche
Wahlergebnisse.
({6})
Der heutige Tag - die Kollegin Göring-Eckardt hat darauf hingewiesen - ist auch der Internationale Tag gegen
Homo- und Transphobie. Ich möchte meine Rede nicht
beenden, ohne wenigstens auf diesen Anlass hingewiesen zu haben.
Der Kollege Hirte hat sich mit der liberalen Antidiskriminierungspolitik der Bundesrepublik gebrüstet. Ich war
in der vorigen Woche in Guatemala und habe mich dort
mit Regierungsvertretern, mit Parlamentariern über die
Frage unterhalten, ob es dort einen Gesetzentwurf geben
soll, der schon das Sprechen über Homosexualität in der
Öffentlichkeit unter Strafe stellen soll. Ich war peinlich
berührt davon, dass diese Kolleginnen und Kollegen sich
genau auf die Verweigerungshaltung von Ihnen berufen,
was die Frage der Öffnung der Ehe und der Gleichstellung und die Frage einer konsequenten Antidiskriminierungspolitik betrifft.
({7})
- In Guatemala. Die kennen Ihre Position ziemlich gut.
({8})
Das ist etwas Schlimmes, wie ich finde, weil es deutlich macht, dass wir mit diesem schlechten Beispiel
genau denjenigen Vorschub leisten, die, wie in Tschetschenien, so mit Homosexuellen umgehen, wie es die
Kollegin Göring-Eckardt geschildert hat. Wir leisten denen Vorschub, die sich darauf berufen, dass es eben keine
Gleichstellung für alle in der Gesellschaft gibt. Ich werde
mich damit nicht abfinden. Ich werde mich somit auch
mit Lesben, Schwulen, Bi-, Trans- und Intersexuellen
weltweit solidarisieren.
Vielen Dank.
({9})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Als nächster Redner
spricht Dr. Karl-Heinz Brunner von der SPD-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen
und Kollegen! Eigentlich wollte ich meine Ausführungen
mit der fast harmonischen Übereinstimmung beginnen,
die die vier Diskutanten soeben vorm Brandenburger Tor
am Pariser Platz anlässlich des Tages gegen Homophobie
gezeigt hatten; denn alle vier Diskutanten sind bzw. waren der Auffassung, dass die Ehe für alle kommen muss:
Für den einen ist es eine Frage der Zeit, und für den anderen muss sie auf der Stelle kommen.
Gestatten Sie mir aber, einen anderen Einstieg zu
wählen, nämlich den, den der Kollege Hirte in trefflicher
Weise quasi auf dem Tablett serviert hat. Lieber Kollege
Hirte, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, wir haben doch nächste oder übernächste Sitzungswoche eine
Verfassungsänderung auf der Tagesordnung. Wir Sozialdemokraten sind bereit, die Ehe für alle in diese Verfassungsänderung im Omnibusverfahren mit aufzunehmen.
({0})
Wir sorgen für die Zweidrittelmehrheit in den Ländern
und in diesem Haus, und Sie sorgen für die Zweidrittelmehrheit bei Ihren Ländern und Ihrem Haus. Ein Wort
drauf, und wir gehen nach Hause und haben heute, am
17. Mai, ein paar Minuten nach 17.50 Uhr ein vernünftiges Ergebnis.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die vier Jahre,
die ich diesem Hohen Hause angehöre und in denen ich
die Debatte leider mitverfolgen und mittragen musste,
führen mich zu der Erkenntnis, in die Einlösung dieses
Versprechens, nämlich schnell eine Verfassungsänderung
umzusetzen, wenig Vertrauen haben zu können. Ich habe
wenig Vertrauen, weil ich feststelle, dass seit Anbeginn
dieser Legislatur das, was wir vereinbart haben, nämlich rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche
Lebenspartner schlechterstellen, zu beseitigen, bis zum
heutigen Zeitpunkt mit ganz wenigen Ausnahmen verschleppt, verzögert und verhindert wird.
Ich sage ganz offen: Diskriminierung abzubauen, Lebenspartner gleich welchen Geschlechtes, die sich als
Ehepartner lieben und als solche leben, in dieser Gesellschaft zu achten, ist unsere dringende Pflicht, die wir laut
Grundgesetz haben.
({1})
Es ist so einfach. Das kann jeder verstehen; dazu braucht
man keine höhere Bildung. Es geht ganz einfach darum,
Ungleichheiten und Diskriminierungen zu beseitigen.
Kollege Hirte, Sie haben gesagt, Sie finden keine Diskriminierung in diesem Land. Nehmen Sie bloß den Schulhof, wo es heißt: „Du schwule Sau!“, „Du Schwuchtel!“,
und Ähnliches. Nehmen Sie den Versicherungsvertreter,
der süßsäuerlich guckt, weil man ihm nicht die Eheurkunde, sondern eine Lebenspartnerschaftsurkunde vorlegen muss. Nehmen Sie den Vermieter, der die Wohnung
nicht vermietet, weil er an ein schwules oder lesbisches
Paar nicht vermieten will.
({2})
Doch Sie sagen, es gibt keine Diskriminierung in diesem
Land. Wir leben, glaube ich, in unterschiedlichen Staaten, in unterschiedlichen Ländern.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren insbesondere aus der Union, ich
habe es akzeptiert, ich kann es akzeptieren, und ich habe
mehrfach wiederholt, dass ich eine Gewissensentscheidung verstehen kann. Ich kann zwar nicht verstehen, wie
jemand aus seinem Gewissen heraus Diskriminierung
und Ungleichbehandlung für gut empfindet, aber ich
kann eine Gewissensentscheidung in jeder Form akzeptieren. Ich kann und will aber nicht akzeptieren, dass aus
reinem Machtkalkül, aus reiner Machtgier, nur weil jemand Bauchschmerzen hat, weil jemand glaubt, er müsse
eine bestimmte Klientel bedienen, Menschen in unserem
Land, die nichts anders wollen, als als Eheleute anerkannt, respektiert und geschätzt zu werden, die nichts
anderes wollen, als ihre silberne Hochzeit zu feiern, bei
der der Bürgermeister kommt,
({4})
die goldene Hochzeit nach 50 Jahren oder die diamantene Hochzeit zu feiern, bei der dann der Landrat und die
Abgeordneten kommen,
({5})
ihr Recht in dieser Gesellschaft nicht gegeben wird. Die
Realität sieht leider so aus: Die Ehe für alle wird seit Jahren blockiert, die Entscheidung verzögert.
Was mich heute auf die Palme bringt - ich sage dies
in den letzten Sekunden, die ich hier noch zur Verfügung
habe -, ist, dass wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten seit Jahren versuchen, eine Lösung herbeizuführen und die Kohlen aus dem Feuer zu holen, wenn
Harald Petzold ({6})
Sie die Anträge auf Vertagung stellen. Begründen Sie die
Anträge auf Vertagung, setzen Sie ein Konzept um, wie
Sie den Menschen verfassungsrechtlich Gerechtigkeit
verschaffen wollen, dann sind wir dabei - aber nur dann,
wenn Gerechtigkeit und die Ehe für alle in diesem Lande
Realität werden.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({7})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Als nächster Redner
spricht Alexander Hoffmann von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Kollege Brunner, ich will damit einleiten,
zu sagen, dass ich glaube, dass dieses Thema mehr Sachlichkeit verdient hat, als Sie gerade zu erkennen gegeben
haben.
({0})
Damit hier im Plenum überhaupt kein Missverständnis
aufkommt: Auch ich glaube, dass dieses Thema ganz am
Anfang meiner Rede die parteiübergreifende Feststellung verdient hat, dass wahrscheinlich wir alle hier genau
dasselbe wollen:
({1})
100-prozentige Gleichstellung.
Wir unterscheiden uns im Weg dorthin. Sie sagen:
100-prozentige Gleichstellung erreichen wir nur dann,
wenn auch Lebenspartnerschaften als Ehe bezeichnet
werden.
({2})
Wir sagen: Wir begreifen die Gleichstellung als Prozess.
Wir kommen schrittweise zu Gesetzesänderungen - immer da, wo Bedarf zu erkennen ist.
({3})
- Ich weiß nicht, warum Sie sich gerade über diese Position so echauffieren. - Das ist zugegebenermaßen etwas
langwierig; aber bei der Gleichstellung von Mann und
Frau sind wir genauso vorgegangen.
({4})
Zu keinem Zeitpunkt wäre jemand von uns auf die Idee
gekommen, zu sagen: 100-prozentige Gleichstellung
erzielen wir nur, wenn wir eine neutrale Bezeichnung
verwenden, sodass man den Unterschied nicht mehr erkennt. - Damit hat man an keiner Stelle irgendeinen Widerspruch ausgelöst.
Ganz ehrlich, Sie selbst haben mit uns doch 20 Jahre
lang eine Gleichstellungsdebatte geführt. Wenn ich den
Begriff der Gleichstellung im Duden nachschlage, dann
sehe ich, dass es nach dem, was dort steht, darum geht,
unterschiedliche Dinge gleich zu behandeln. Ich glaube,
dass es immer noch sachgerecht ist, unterschiedliche
Dinge unterschiedlich zu bezeichnen.
({5})
Ich will noch weiter gehen; ich rede ja nicht zum ersten Mal zu diesem Thema. Von Ihnen hat mir noch niemand ein Argument bringen können, warum es, nachdem
wir bei Mann und Frau Gleichstellung damals anders
herbeigeführt haben, heute nur so gehen sollte, wie Sie
es sagen, nämlich dass nur über die Bezeichnung „Ehe“
sich für Gleichstellung sorgen ließe.
({6})
Es wird da die These aufgestellt, dass nur mit der Umsetzung der Ehe für alle jegliche Diskriminierung ausgeschlossen werden kann.
({7})
Auch habe ich die letzten Male immer wieder herausgearbeitet, dass sich diese These relativ schnell widerlegen lässt. Ich will Ihnen Beispiele dafür nennen; andere
Länder sind ja bereits genannt worden. Der Supreme
Court der USA hat 2015 den Weg für die Ehe für alle
freigemacht. Man sollte meinen, es bestehe dort 100-prozentiger Diskriminierungsschutz. Ich sage Ihnen: Weit
gefehlt. - Mehr als die Hälfte aller Bundesstaaten in den
USA hat heute noch keinerlei Regelung zur Antidiskriminierung im Arbeitsleben.
({8})
Noch viel trauriger, liebe Kolleginnen und Kollegen,
ist der Eindruck, den man gewinnt, wenn man nach Mexiko schaut.
Herr Kollege Hoffmann, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schauws zu?
Ja, aber selbstverständlich.
Vielen Dank, Herr Kollege Hoffmann, dass Sie die
Frage zulassen. - Sie haben gerade davon gesprochen,
dass es in den USA nach wie vor Diskriminierung gibt,
dass es dort keine Gleichstellung gibt. Eben haben Sie
auch gesagt, dass die Ehe für alle für Sie nicht das einzig
wahre Gleichstellungsmerkmal sei, das man herbeiführen müsse, und dass es für Sie auch begründbar sei, warum es nicht notwendig sei, die Ehe für alle einzuführen.
Vielleicht können Sie mir folgenden Fall erklären: Wie
kann es sein, dass jemand, der in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebt und mit seinem Partner oder seiner
Partnerin zum Beispiel in die USA reisen will, um dort
zu arbeiten, dort nicht mit der Partnerin oder dem Partner hingehen kann, weil die eingetragene Lebenspartnerschaft dort eben nicht in gleicher Weise wie die Ehe
anerkannt wird?
({0})
Das ist doch genau der Punkt. Wenn wir jetzt anfangen, unsere Rechtslage dahin gehend anzupassen, dass es
für unsere Staatsbürger keinerlei nachteilige Auswirkungen in anderen Ländern gibt,
({0})
dann werden wir am Ende - das sage ich Ihnen - unter
die Räder kommen.
Ich kann sogar noch ein Stück weitergehen, Frau
Kollegin: Letztendlich ist es doch so, dass die USA ihre
Hausaufgaben in diesem Bereich machen müssen.
({1})
Man kann mit völkerrechtlichen Verträgen die nötigen
Vereinbarungen treffen; das wissen Sie auch.
({2})
Ich will Ihr Augenmerk doch noch einmal auf Mexiko
lenken, gerade weil das, was man dort wahrnimmt, so
beklemmend ist. In Mexiko gibt es die Ehe für alle seit
2006, und die tragische Wahrheit ist, dass man dort im
Bereich Antidiskriminierung bis heute keinen Millimeter
weitergekommen ist.
({3})
Neuere Umfragen weisen aus, dass nach wie vor 63 Prozent der Bevölkerung - und das ist tragisch - Homosexualität ablehnen. Deswegen glaube ich, dass der Weg,
den wir als Union gewählt haben - nämlich zu sagen: wir
achten auf den Inhalt und nicht so sehr auf das Etikett -,
am Schluss der richtige Weg ist.
({4})
Ich will an das anknüpfen, was der Kollege Hirte vorhin schon ausgeführt hat. Wir hatten am 28. September
2015 eine Anhörung, und ich will die rechtliche Lage
noch einmal ein bisschen beleuchten. In der Anhörung
habe ich die Frage gestellt, ob wir die Bezeichnung
„Ehe“ brauchen, um jedwede Diskriminierung zu vermeiden. Damals war die Antwort von Professor Ipsen:
Nein. Auch er hält es nach wie vor möglich, dass wir mit
einfachen gesetzlichen Regelungen Stück für Stück Diskriminierung vermeiden.
({5})
Wichtig ist mir, am Ende meiner Rede noch einmal zu
skizzieren, was das Bundesverfassungsgericht dazu gesagt hat, weil immer wieder der Eindruck erweckt wird:
Das Bundesverfassungsgericht fordert die Ehe für alle. Vom Bundesverfassungsgericht stammt ziemlich sinngemäß der Satz, gesprochen am 7. Mai 2013: Die Ehe ist
das Institut, das allein der Verbindung zwischen Mann
und Frau vorbehalten ist. - Wenn man die Entscheidung
liest, stellt man fest, dass das Bundesverfassungsgericht
sehr schön differenziert, und zwar, indem es feststellt,
dass Lebenspartnerschaften sehr wohl Familien begründen können und insoweit dann auch von Artikel 6 Grundgesetz geschützt sind, aber dass sie eben nicht unter den
Begriff der Ehe fallen.
({6})
Die Ehe ist grundgesetzlich geschützt, und auch dafür
gibt es einen Grund, nämlich den biologischen Unterschied, dass aus einer Ehe grundsätzlich und rein potenziell Kinder hervorgehen können.
Meine Damen, meine Herren, ich habe es das letzte
Mal schon gesagt: Ich habe meine Position. Ich habe
keinen Abstimmungsbedarf. Ich habe meine Argumente. - Deswegen werden Sie sich damit auseinandersetzen
müssen.
Ich will am Schluss schon noch einmal eine Lanze für
meine Fraktion, die Union, brechen. Wir sind eine Volkspartei. Es gehört zum Charakter einer Volkspartei, dass
sie eine ganz breit gefächerte repräsentative Vertretung
der Bevölkerung ist. Es ist ganz natürlich, dass es Menschen gibt, die die Ehe gern für alle öffnen würden, und
andere, die, so wie ich, Gegenargumente haben und das
anders sehen. Aber ich will mir das nicht als Vorwurf entgegenhalten lassen.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank, Herr Kollege Hoffmann. - Als letzte
Rednerin dieser Debatte spricht Elfi Scho-Antwerpes
von der SPD-Fraktion.
({0})
Danke schön. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Es kann nicht jeder
das Glück haben, aus einer weltoffenen, toleranten Stadt
wie Köln zu kommen. Meine Damen und Herren von der
Union, wie hinterwäldlerisch sind Sie eigentlich mit Ihrer Einstellung?
({0})
- Herr Hirte, Sie hören jetzt auch zu!
({1})
Verlassen Sie Ihre gemütlichen Büros, gehen Sie zu den
Menschen hin, und hören Sie mal, was die Ihnen zu sagen haben!
({2})
Wenn Sie das tun, dann werden Sie hören, dass es auch
bei uns Diskriminierung gibt.
({3})
Es ist ein Skandal, dass die gleichgeschlechtliche Ehe
in Deutschland bislang unmöglich ist. Es ist ein Skandal,
den Sie verursachen.
({4})
Sie müssen wissen: Homosexuell zu sein, ist keine
Krankheit, und es ist auch keine Sünde; es ist völlig normal.
({5})
- Hören Sie doch einfach mal zu! Warum echauffieren
Sie sich so? Das ist Ihre Diktion.
({6})
Es ist so normal, dass 83 Prozent unserer Bürger und
Bürgerinnen der gleichgeschlechtlichen Ehe, der Ehe für
alle, zustimmen würden. Das ist eine eindeutige Mehrheit. Die haben Sie nicht, liebe Union; denn Sie wollen
das nicht. Aber Sie sind nicht die Mehrheit.
Bislang dachte ich, das D in CDU steht für „demokratisch“. Warum hören Sie nicht auf die Menschen, auf
die 83 Prozent? Das D in Ihrem Parteinamen scheint mir
eher für „Diskriminierung“ zu stehen.
({7})
Christliche Nächstenliebe treibt die CDU und die CSU
offenbar ebenso wenig an wie Artikel 3 des Grundgesetzes.
({8})
- Ich mache auch weiter so.
({9})
Lesen Sie doch mal den Artikel 3 des Grundgesetzes! Es
geht um die Würde des Menschen, um jeden Einzelnen.
Es ist eine Schande, dass Sie das hier seit Jahren verhindern. Begegnen Sie Schwulen und Lesben endlich mit
dem Respekt und der Würde, die sie verdient haben!
({10})
Vielfalt ist nämlich Normalität.
({11})
- Ja, weil Sie dauernd schreien, muss ich lauter werden.
Wenn Sie still sind, kann ich flüstern.
Die Kreativität der CDU/CSU-Fraktion, warum man
Menschen in unserem Land in zwei Klassen einteilen
muss, ist grenzenlos. Sie blamieren uns alle und verballhornen das Hohe Haus, indem Sie seit 1998 zu dem Thema herumlamentieren. Eine Bundesrepublik, die Teile
ihrer eigenen Bevölkerung diskriminiert? Das darf nicht
wahr sein, und doch ist es so.
Wenn zwei Menschen füreinander einstehen, ist das
etwas Wunderbares. Sie stehen für den anderen ein, und
das Institut der Ehe schützt dieses Paar. Abseits von Einstehens- und Wirtschaftsgemeinschaften sind es wertvolle Dinge wie Liebe und Geborgenheit, die unsere
Gesellschaft zusammenhalten. In der Verantwortung, die
Ehepartner füreinander übernehmen, besteht kein Unterschied.
({12})
Es gibt nämlich keine Liebe zweiter Klasse.
({13})
Viele von Ihnen sind in der grauen Masse Ihres Fraktionsblocks einfach nur gefangen,
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.
- statt mutig zu sagen: Wir wollen Gleichberechtigung, egal ob Paul Paula oder Paul liebt. Ich fordere seit
Jahrzehnten die Ehe für alle. Ich fordere sie auch heute
wieder. Die Mehrheit im Lande will es so.
Frau Kollegin.
Ich bin am Ende,
({0})
hoffentlich auch mit der Forderung, die weiterhin bestehen bleibt.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Kurz zur Erinnerung: Die Mikrofone waren eingeschaltet. Man konnte Sie sehr gut hören.
Wir kommen nun zu einem Geschäftsordnungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Fraktion hat fristgerecht beantragt, sofort in die zweite Beratung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 18/5098,
18/6665 und 18/8 einzutreten, hilfsweise, für den Fall,
dass dieser Geschäftsordnungsantrag nicht angenommen
wird, den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz zu
verpflichten, dem Bundestag die Beschlussempfehlung
und Berichte zu den genannten Gesetzentwürfen bis spätestens zum 31. Mai 2017 vorzulegen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat zunächst die Kollegin Britta Haßelmann.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Hoffmann, ganz kurz zu Ihnen: An Ihrer Stelle würde ich
mir das Grundgesetz zu Gemüte führen und nicht den
Duden;
({0})
denn dort finden Sie in Artikel 3 Ausführungen zur
Gleichheit vor dem Gesetz.
({1})
Außerdem habe ich jeden Respekt davor, dass Sie noch
zehn Jahre in Ihrer Partei darüber diskutieren können,
wie Ihre Einstellung dazu ist. Darum geht es hier heute
aber nicht.
Meine Damen und Herren, es geht heute darum: Wir
haben diesen Antrag zur Geschäftsordnung gestellt,
gleich in die weiteren Beratungen einzutreten, um als
Parlament endlich darüber abstimmen zu können, ob wir
für die Ehe für alle sind oder nicht; denn dazu liegen heute drei Gesetzentwürfe vor. Durch Ihre Blockadehaltung
entziehen Sie dem Parlament seit 2013 die Möglichkeit,
darüber abzustimmen. Das halten wir für hochproblematisch.
({2})
Meine Damen und Herren, seit der Überweisung des
Gesetzentwurfes der Linken zur Gleichstellung in Form
der Ehe für alle am 19. Dezember 2013 sind drei Jahre
vergangen. Seit der Einbringung des Gesetzentwurfes
von Bündnis 90/Die Grünen am 18. Juni 2015 sind fast
zwei Jahre vergangen. Heute, auf Antrag der Grünen dem können Sie sich nicht verweigern, weil es ein Recht
in der Geschäftsordnung ist -, debattieren wir nach § 62
der Geschäftsordnung den Bericht über den Stand der
Beratungen zum dritten Mal. Für diejenigen, die nicht
wissen, was es bedeutet, weil sie sich mit der Geschäftsordnung nicht auskennen: Wenn ein Gesetzentwurf bzw.
ein Bericht dazu hier im Plenum behandelt wurde, dann
kann man, wenn er zehn Sitzungswochen in einem Ausschuss lag, verlangen, dass hier wieder der Bericht über
den Stand der Beratungen auf die Tagesordnung gesetzt
wird. Dies geschieht heute zum dritten Mal, weil Sie
sich bisher - darauf hat meine Kollegin Katrin GöringEckardt hingewiesen - 28-mal entschieden haben, und
zwar mit den Stimmen von SPD und Union, diesen Gesetzentwurf abzusetzen
({3})
und noch nicht einmal zu beraten.
Herr Hirte und alle anderen, die von Ihrer Seite geredet haben, tun Sie doch nicht so, als würden Sie ernsthaft unsere Gesetzentwürfe beraten! Sie versenken sie
im Ausschuss, mit dem Hinweis darauf, Sie hätten Beratungsbedarf. Sie blockieren eine Abstimmung im Parlament darüber. Das ist das große Problem.
({4})
Das darf man Ihnen an dieser Stelle so nicht durchgehen
lassen. Denn Sie betreiben ja nicht nur Arbeitsverweigerung, indem Sie sagen, dass Sie sich mit den Gesetzentwürfen der Grünen, der Linken und des Bundesrates
einfach nicht befassen. Nein, viel schlimmer: Sie verweigern dem Parlament, und zwar uns Abgeordneten und
damit auch Ihren Abgeordneten, meine Damen und Herren, die Möglichkeit, sich zu diesen Gesetzentwürfen zu
verhalten
({5})
und darüber abzustimmen.
({6})
Das ist auch verfassungsrechtlich hochproblematisch
und zweifelhaft. Gegen die Verschleppung der Schlussberatung der Vorlagen im Ausschuss haben wir erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Denn aufgrund
dieser Blockadehaltung ist kein Abgeordneter, keine Abgeordnete des gesamten Parlaments - weder aus unserer
Fraktion noch aus Ihren Fraktionen - in der Lage, sich
zu einem der drei Gesetzentwürfe zu verhalten. Meine
Damen und Herren, das ist nicht nur politisch das Allerletzte, sondern auch verfassungsrechtlich hochproblematisch.
({7})
Insofern, meine Damen und Herren, kann die CDU/
CSU von mir aus noch 20 Jahre innerhalb ihrer Fraktion
diskutieren, ob sie für die Ehe für alle und die Gleichheit vor dem Gesetz ist - das interessiert mich überhaupt
nicht.
({8})
Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier der Grünenfraktion, die wir hier sitzen, interessiert, dass Sie uns
verweigern, dem Parlament verweigern, sich zu einem
Gesetzentwurf zu verhalten.
({9})
Darum geht es, meine Damen und Herren. Das überspannt den Bogen der politischen Einschätzung. Das ist
die verfassungsrechtliche Problematik.
Wir verlangen also, dass wir heute in die zweite Beratung einsteigen, damit Sie bei der Frage, wie Sie zum
Thema Ehe für alle stehen, endlich mal Farbe bekennen;
denn da ducken Sie sich weg. Viele von Ihnen halten
auf den CSDs - auch dem nächsten CSD, der ansteht flammende Reden dazu, wie Sie für die Gleichstellung
kämpfen,
({10})
aber hier im Parlament verweigern Sie die inhaltliche
Debatte dazu, und dies seit über drei Jahren. Das darf
man Ihnen so nicht durchgehen lassen.
({11})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - In der GO-Debatte
spricht für die SPD-Fraktion Dr. Johannes Fechner.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Es kann überhaupt
keine Rede davon sein, dass sich die SPD bei diesem
wichtigen Thema nicht verhalten würde,
({0})
dass wir uns nicht positionieren würden. Wir sind für die
Ehe für alle. In Ihre Anträge haben Sie im Wesentlichen
übernommen, was wir in der letzten Legislaturperiode
beantragt haben. Für uns ist klar: Es darf keine Liebe erster und zweiter Klasse geben. Auch wir wollen die Ehe
für alle, und zwar so schnell wie möglich, meine Damen
und Herren.
({1})
Eines will ich festhalten: Die Fraktionen der Grünen,
der Union und der SPD sind bei diesem wichtigen Thema stark vertreten - ihnen ist das Thema wichtig -, aber
Sie von der Linken kommen mit fünf Personen in die
Debatte zu diesem wichtigen Thema, und im Ausschuss
waren Sie, Herr Kollege Petzold, alleine. Da kann auch
niemand sagen, dass es eine rot-rot-grüne Mehrheit geben würde. Wie oft haben Sie uns aufgefordert - etwa bei
der Miete -, mit Ihnen zu stimmen! Bei diesem Thema
gibt es wegen der mangelnden Sitzungspräsenz der Linken keine Mehrheit.
({2})
Insofern müssen wir mit unserem Koalitionspartner weiter daran arbeiten.
Auch wir wollen alle Diskriminierungen abschaffen.
({3})
Wir wollen auch, dass Adoptionen durch homosexuelle
Paare möglich sind. Das entscheidende Argument muss
sein, ob Eltern liebevoll ein Kind großziehen können, ob
sie es versorgen können.
({4})
Das darf aber nicht von der sexuellen Orientierung der
Eltern abhängen. Das ist für uns ganz klar.
({5})
Ich höre, dass mit Herrn Spahn ein Regierungsmitglied und mit Herrn Günther ein aufstrebender Politiker
aus Schleswig-Holstein dafür eintreten. Dasselbe gilt für
Herrn Hirte und Herrn Kaufmann. Herr Hirte, ich darf
Sie zitieren. Sie sagten: Wir sind ganz nah dran. - Sie haben sogar eine Grundgesetzänderung ins Spiel gebracht.
({6})
Insofern will ich als chronisch optimistischer Sozialdemokrat nicht die Flinte ins Korn werfen, sondern mich
wirklich bis zum Letzten dafür engagieren, dass wir in
dieser Legislaturperiode die überfällige Regelung zur
Ehe für alle bei uns in Deutschland schaffen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({7})
Ich glaube, dass sich gute Ideen bei uns durchsetzen
und dass wir deshalb weiter am Ball bleiben sollten.
({8})
Bei Frau Merkel gab es ja schon öfter, etwa beim Atomausstieg oder bei der Wehrpflicht, recht überraschende
Wendungen. Insofern bin ich optimistisch.
Ich glaube jedoch, dass Ihre Geschäftsordnungsanträge hier mehr kaputtmachen, dass sie wahltaktisch motiviert sind. Sie wollen uns hier vorführen, obwohl Sie
genau wissen, wie die Abstimmung über die Anträge
ausgehen wird.
Deswegen: Geben Sie uns noch mehr Zeit! Lassen Sie
uns noch weiter beraten! Die SPD-Fraktion wird beide
Anträge ablehnen.
({9})
Warten Sie ab, wie die weiteren Beratungen im Ausschuss ablaufen! Die SPD-Fraktion will die Ehe für alle.
Deswegen wollen wir weiter beraten.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank, Herr Kollege Fechner. - Jetzt spricht für
die Linke der Kollege Harald Petzold.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Wir
diskutieren jetzt über einen Geschäftsordnungsantrag
von Bündnis 90/Die Grünen, gemäß dem wir sofort in
die zweite und dritte Beratung von drei Gesetzentwürfen
gehen sollen, die diesem Parlament seit Dezember 2013,
seit Juni 2015 und seit Frühjahr 2016 zur Behandlung
vorliegen.
Erster Punkt. Das bisherige Vorgehen hat dazu geführt,
dass sich die Landesregierung von Rheinland-Pfalz, die
im Moment den Vorsitz im Bundesrat innehat, inzwischen an den Deutschen Bundestag gewandt hat und im
Auftrag des Bundesrates energisch darauf gedrungen hat,
dass mit dem entsprechenden Gesetzentwurf des Bundesrates so verfahren wird, wie in Artikel 76 Absatz 3
Grundgesetz vorgeschrieben:
Der Bundestag hat über die Vorlagen in angemessener Frist zu beraten und Beschluss zu fassen.
Ich finde, dass sich der Bundestag ein Armutszeugnis
ausstellen würde,
({0})
wenn er dem energischen Appell der Vorsitzenden des
Bundesrates, einen Gesetzentwurf des Bundesrates zu
behandeln, nicht wenigstens Gehör schenken würde.
Wenn Sie schon nicht die Gesetzentwürfe der Oppositionsfraktionen behandeln wollen, haben Sie wenigstens
Respekt vor dem Bundesrat und behandeln Sie dessen
Gesetzentwurf.
({1})
Zweitens. Mit dem Geschäftsordnungsantrag versuchen wir Oppositionsfraktionen durchzusetzen, dass das
Recht auf das freie Mandat für die Abgeordneten wirklich
zum Tragen kommt. Natürlich, Herr Kollege Fechner,
macht es mich nicht froh, dass meine Fraktion hier nicht
zahlreicher vertreten ist; die Kritik ist sicherlich berechtigt. Ich sage Ihnen aber auch: Sie zwingen uns kleine Oppositionsfraktionen - wie jetzt -, an sinnlosen Anhörungen teilzunehmen. Mitglieder unserer Fraktion müssen
anwesend sein, obwohl wir schon festgestellt haben: Es
geht um Anhörungen zu Gesetzentwürfen, die überhaupt
nicht strittig sind, bei denen die Zustimmung überhaupt
nicht infrage steht bzw. wir sie signalisiert haben. Aber
Sie bestehen trotzdem darauf, dass diese Anhörungen
durchgeführt werden, und verhindern damit, dass unser
Personal an den Plenarsitzungen teilnehmen kann. Das
kann nicht sein. Da das auf Veranlassung Ihrer Fraktion
geschieht, muss ich daher Ihren Vorwurf zurückweisen.
Mir geht es darum, dass die im Grundgesetz festgeschriebene Definition „Vertreter des ganzen Volkes, an
Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem
Gewissen unterworfen“ tatsächlich zur Geltung kommen
kann. Das sage ich auch, damit auch Ihre Abgeordneten
genau das tun können, was sie in der Öffentlichkeit und
hier im Parlament ständig zusagen und was mindestens
40 bis 45 Kolleginnen und Kollegen aus der Unionsfraktion, zumindest in der Öffentlichkeit, immer sagen, nämlich dass sie dafür sind, dass die Abstimmung freigegeben wird. Was hindert uns denn daran, die Abstimmung
freizugeben? Die Union kann ihren Meinungsbildungsprozess doch trotzdem fortsetzen. Niemand von Ihnen
muss unsere Meinung übernehmen. Sie können weiter
in Ihrem Sandkasten buddeln, aber Sie können uns nicht
verweigern, bei einer Abstimmung im Parlament von
unserem Recht auf freies Mandat, nur unserem Gewissen unterworfen, Gebrauch zu machen. Darum geht es
in dem Geschäftsordnungsantrag. Deswegen wird meine
Fraktion dafür stimmen, dass wir die zweite und dritte
Lesung hier gleich durchführen.
Es geht schließlich auch darum, deutlich zu machen,
dass die Zusagen, die von einzelnen Abgeordneten der
Großen Koalition hier ständig gegeben werden, Bestand
haben und diejenigen, die am lautesten rufen, dass sie dafür sind, endlich die Chance haben, dafürzustimmen und
diesen Gesetzentwürfen eine Chance zu geben.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Als letzter Redner in
dieser GO-Debatte spricht jetzt Michael Grosse-Brömer
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Wie ich gerade gelernt habe, ist der Grund dafür, dass wir sofort abstimmen müssen, dass man nicht
genau weiß, welche Auffassung die Fraktionen vertreten.
Es wurde gesagt, man müsse sich endlich einmal bekennen. Wenn Sie nicht wissen, welche Auffassung wir vertreten, wieso werfen Sie uns dann Respektlosigkeit und
Homophobie vor?
({0})
- Ich weiß, dass bei den Grünen bei diesem Thema immer ganz große Aufregung herrscht; aber man kann manche Sachen auch ein bisschen ruhiger besprechen.
Herr Kollege Petzold, man kann ja sehr unterschiedliche Auffassungen haben; aber wenn Sie meiner Fraktion
vorwerfen „Die Ansicht der CDU ist Anlass für Verfolgung von Homosexuellen weltweit“, dann ist das nicht
nur Unfug, sondern megagrober Unfug. Hören Sie auf,
so einen Unfug zu behaupten.
({1})
Ich wäre ganz vorsichtig mit solchen Behauptungen.
Fahren Sie gerne nach Guatemala und nehmen Sie das
nächste Mal einen CDU/CSU-Kollegen mit, damit er
selbst erklären kann, welche Auffassung wir dazu haben.
({2})
Jetzt zum Geschäftsordnungsantrag. Gerade in der
Debatte, die ich verfolgt habe, ist doch deutlich geworden, wie groß die Unterschiede sind.
({3})
Diese müssen noch geklärt werden. Dafür gibt es die
Ausschussarbeit. Es geht darum, das zu klären. Im Übrigen wäre ich vorsichtig, Herr Petzold, immer wieder
zu fragen: Warum brauchen wir dann eine Anhörung? Nicht jeder, der bei diesem Thema eine andere Auffassung hat als Sie, ist homophob.
({4})
Er hat möglicherweise nur rechtliche Bedenken, oder er
hat möglicherweise nur eine andere Auffassung. Diese
Auffassung müsste man vielleicht auch einmal tolerieren, auch wenn man sie falsch findet. Es gibt im Ausschuss den Bedarf, die weiteren Informationsmöglichkeiten zu nutzen.
({5})
Im Übrigen erfordert es eine Zweidrittelmehrheit, den
Ausschuss zu umgehen. Ich weiß nicht, wie Sie, liebe
Grüne, auf die Idee gekommen sind, dass Sie im Deutschen Bundestag eine Zweidrittelmehrheit zustande bekommen. Ihrem Optimismus möchte ich aber nicht im
Wege stehen.
({6})
Der zweite Punkt, den ich in diesem Zusammenhang
ansprechen möchte, hat auch etwas mit Demokratie zu
tun - hier wird ja immer erzählt, welche Leute welche
Auffassung haben -: Wir werden durch die Wahl am
24. September feststellen, wer nach Auffassung der
Mehrheit in Deutschland Verantwortung für dieses Land
haben soll. Auch dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen, und wir werden darüber weiter diskutieren. Nur
hören Sie auf, uns zu unterstellen, wir hätten mangelnden
Respekt vor gleichgeschlechtlichen Paaren, vor Homosexuellen. Das ist wirklich neben der Sache.
({7})
Ich glaube, die Kollegen Hirte und Hoffmann haben sehr
gut dargelegt, dass es um unterschiedliche Rechtsauffassungen geht.
({8})
Zum Thema Hilfsantrag: Wir haben unabhängige und
freie Ausschussberatungen, und diese werden bestimmt
von der Mehrheit im Ausschuss. Das ist klug so, weil im
Ausschuss Entscheidungen im Plenum vorbereitet werden.
({9})
Die Tatsache, dass wir schon 16-mal über das Thema, das
Sie hier vorbringen, diskutiert haben, verdeutlicht möglicherweise auch, dass meine Fraktion weit davon entfernt
ist, ihre klare Auffassung zu diesem Thema - auch wenn
wir innerhalb unserer Fraktion teilweise unterschiedliche
Auffassungen vertreten - nicht deutlich zu sagen.
({10})
Das ist kein Grund, sich aufzuregen, aber eben auch kein
Grund, direkt abzustimmen. Wir machen das so, wie wir
das für richtig halten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Wir kommen zur Ab-
stimmung über den Geschäftsordnungsantrag auf sofor-
tigen Eintritt in die zweite Beratung der Gesetzentwürfe.
Ich weise darauf hin, dass zur Annahme dieses Antrags
eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder er-
forderlich ist.
Wer stimmt für den sofortigen Eintritt in die zweite
Beratung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Der Geschäftsordnungsantrag ist mit den Stimmen der
CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke bei einzelnen Gegenstimmen aus den
Reihen der SPD-Fraktion abgelehnt.
Da die erforderliche Mehrheit nicht erreicht wurde,
kommen wir nun zur Abstimmung über den hilfswei-
sen Geschäftsordnungsantrag, den Ausschuss für Recht
und Verbraucherschutz zu verpflichten, dem Bundestag
bis spätestens zum 31. Mai 2017 die Beschlussempfeh-
lung und Berichte zu den Gesetzentwürfen vorzulegen.
Wer stimmt für diesen Geschäftsordnungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Geschäftsord-
nungsantrag ist mit den gleichen Stimmen wie in der vo-
rausgegangenen Abstimmung abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Berufsbildungsbericht 2017
Drucksache 18/11969
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss Digitale Agenda
b) Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wege in die Zukunft - Berufsausbildung jetzt
modernisieren
Drucksache 18/12361
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. - Ich bitte
die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze einzunehmen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Bundesministerin Professor Dr. Johanna Wanka.
({2})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich setze darauf, dass die nachfolgenden Redner
in dieser Debatte sicherlich etwas dazu sagen werden,
wie wichtig das duale Ausbildungssystem ist und wie
wir international dastehen. In dieser Hoffnung will ich an
dieser Stelle darauf verzichten. Ich möchte mich zu dem
äußern, was der Berufsbildungsbericht liefert. Er zeigt,
wo wir im Moment in Deutschland stehen und wie die
Situation ist.
Zu Beginn möchte ich auf drei positive Botschaften
hinweisen, die in diesem Bericht enthalten sind.
Die erste positive Botschaft ist, dass es für 100 junge
Menschen, die im Moment einen Ausbildungsplatz suchen, 104 Ausbildungsplatzangebote gibt.
({0})
- Im Durchschnitt, klar. - Wir haben in der Allianz für
Aus- und Weiterbildung das realisiert, was Bündnis 90/
Die Grünen in ihrem Antrag fordern, nämlich eine Garantie, einen Pfad für jeden einzelnen Auszubildenden.
Ich kann Ihnen sagen: Das ist ein großer Erfolg. Das gab
es in Ihrer Regierungszeit nie.
Die zweite positive Botschaft ist, dass die Zahl der
Ausbildungsverträge stabil geblieben ist. Das ist angesichts der demografischen Entwicklung - sie müsste eigentlich dazu führen, dass weniger geschlossen werden eine gute Leistung.
Der dritte positive Befund ist, dass von denjenigen
Jugendlichen, die einen höheren Schulabschluss haben,
die also, wenn sie wollten, sofort studieren könnten, ein
größerer Anteil als noch vor einigen Jahren in die berufliche Ausbildung geht. Das ist das, was wir wollen und
wofür wir werben.
Aber man kann in diesem Bericht nicht nur positive
Botschaften lesen. Es gibt auch problematische Befunde.
Zum einen steht dort, dass die Zahl der Ausbildungsverträge, die von kleinen und mittleren Unternehmen geschlossen werden, Jahr für Jahr rückläufig ist. Die Großbetriebe kompensieren dies zum Teil. Deswegen haben
wir eine entsprechende Initiative gestartet. Wie kann
man die kleinen und mittleren Unternehmen im großen
Maßstab unterstützen? Hier gibt es zum Beispiel unser
Jobstarter-Programm. Wie kann man Konstrukte der Verbundausbildung bilden? Hier müssen wir noch vieles andere mehr machen; denn das ist ein Problem.
Der zweite negative Befund ist, dass die Relation, dass
auf 100 junge Menschen 104 Ausbildungsplätze kommen,
nur den Durchschnitt in der Bundesrepublik Deutschland
darstellt. Es gibt regional große Unterschiede. In den
neuen Bundesländern und in Bayern gibt es zu wenig Jugendliche für die vorhandenen Ausbildungsplätze. Zum
Beispiel in den großen Städten in Nordrhein-Westfalen
gibt es viele suchende Jugendliche. Deswegen brauchen
wir hier staatliches Handeln. Marktmechanismen werden
dieses Problem nicht regeln.
Wir hatten im Jahr 2000 eine ähnliche Situation im
Bereich der Studierenden. Dort haben wir durch den
Hochschulpakt eine Mobilität, die es vorher nie gab,
erzeugt. Wir müssen jetzt versuchen, Mobilität bei den
potenziell Auszubildenden zu erreichen. Das haben wir
wettbewerblich ausgeschrieben, um verschiedene Möglichkeiten auszuprobieren: Baut man Internate? Macht
Vizepräsidentin Michaela Noll
man Fahrkostenzuschüsse? Wie regelt man das? Denn es
wird sich nicht automatisch ergeben.
({1})
Der dritte negative Befund ist das, was wir hier schon
mehrfach diskutiert haben: das Matchingproblem. Wir
brauchen präventiv eine individuelle Beratung von jungen Leuten in der siebten, achten Klasse. In dieser Legislaturperiode haben wir über 500 000 junge Leute mit Beratungsangeboten erreicht. Wir haben in diesen Bereich
1,2 Milliarden Euro hineingesteckt. Das müssen wir in
den nächsten Jahren zum Regelangebot machen.
Wir müssen den Ländern auch nicht vorschreiben,
wie sie am besten beraten. Die Berufsjugendagenturen
aus Hamburg sind ein sehr vernünftiges Modell. Ich hatte
alle Kultusminister angeschrieben und ihnen gesagt, dass
wir hier unterstützen. Wir können das sehr unterschiedlich machen. Derzeit haben wir, glaube ich, schon zehn
Verträge mit einzelnen Bundesländern geschlossen. Wir
sagen ihnen nicht, was sie machen müssen und wofür es
dann Geld gibt. Es wird in den Ländern sehr unterschiedlich gehandhabt. Dort gibt es gewachsene Strukturen,
aber auch Mängel. Von daher fördern wir sehr unterschiedlich: mal im Gymnasium, mal an anderer Stelle.
Das läuft; das ist für die nächsten Jahre organisiert.
({2})
Es gibt zwei große Herausforderungen. Die erste große Herausforderung ist, die vielen jungen Flüchtlinge in
das Ausbildungssystem zu bringen, zu integrieren. Was
wir rechtlich gemacht haben - „3 plus 2“ -, ist allen hier
bekannt. Was wir zusammen mit den Handwerkskammern mit unserem großen Programm für 10 000 Jugendliche angestoßen haben, läuft. Das Problem an der Stelle
ist, genügend Jugendliche zu finden, die bereit sind und
es auch leisten können. Deswegen ist es ganz wichtig,
dass das Übergangssystem, das Jahr für Jahr, angefangen bei über 400 000, reduziert wurde, jetzt wieder einen
leichten Aufwuchs erfährt, was vielleicht von einigen als
negativ angesehen wird. Das ist aber zwingend notwendig. Denn: Wenn wir das nicht haben, dann verwehren
wir den jugendlichen Flüchtlingen, die nach den Integrationskursen sprachlich nicht in der Lage sind, sofort
eine Ausbildung zu beginnen und in eine Berufsschule zu
gehen, diese Chance. Das ist eine Chance für die jungen
Flüchtlinge und kein Punkt, den wir negativ adressieren
sollten.
({3})
Die letzte große Herausforderung ist die Digitalisierung. Wir haben sowohl in Hardware, also Förderung
der überbetrieblichen Ausbildungsstätten, als auch in die
Kompetenzen der beruflichen Ausbilder investiert, auch
für die nächsten Jahre die Gelder schon reserviert. Auf
diesem Weg werden wir weitergehen.
Die Länder sind für das Thema digitale Bildung originär zuständig. Aber wir alle wissen, dass es oftmals
die Berufsschulen sind, die den größten Nachholbedarf
haben, was die Ausstattung angeht. Deswegen ist mein
Angebot der Digitalpakt. Wir vonseiten des Bundes geben richtig Geld - das können wir an der Stelle -, um alle
40 000 Schulen und insbesondere die Berufsschulen zu
erreichen, aber unter der Bedingung, dass die Pädagogik
Priorität haben muss. Das Ganze macht nur Sinn, wenn
geklärt ist, was die Länder leisten und wie im Rahmen
von Lehrerbildung, Lehrerfortbildung die Akzeptanz bei
Lehrern für diese Aufgabe erzeugt werden kann.
Zunächst gab es bei den Ländern keine große Begeisterung. Sie hatten zwar in der KMK eine Digitalstrategie entwickelt, die in vielen Punkten auch sehr klug ist,
aber es waren keine länderübergreifenden Maßnahmen
dabei, die für einheitliche Standards sorgen und die die
Finanzierung sichern. Jetzt sind die Länder bereit, und
wir diskutieren. Wir haben mehrere Runden gedreht. Wir
sind fast fertig mit den Eckpunkten eines solchen Digitalpaktes, mit einer sehr konstruktiven Herangehensweise
vonseiten der Länder. Darüber bin ich sehr froh. Denn
das ist die einzige Chance, dass wir es vollfinanziert bekommen. Das gelingt aber nicht, wenn einer sich etwas
wünscht und die anderen nicht mitmachen.
Ich habe in der letzten Zeit eine Frühjahrsreise zum
Thema „Schwerpunkt berufliche Bildung“ gemacht, mit
ganz vielen interessanten Stationen, die wir gar nicht so
im Blick haben, zum Beispiel Binnenschiffer. Das ist ein
interessanter Beruf. Die Binnenschiffer sind in der Regel nicht stationär tätig, sondern viel auf ihren Schiffen
unterwegs. Die Weiterbildung und berufliche Bildung
mittels Digitalisierung eröffnet ihnen Chancen, die sie
noch nie hatten. Das wird das ganze Berufsbild und die
Qualifizierung dort verändern.
Ein Punkt, der mich bei der Digitalisierung besonders beeindruckt hat und den ich vorher so nicht erwartet habe, ist folgender: Es war mir natürlich klar, dass
man nur noch den Arm heben muss, um einen Roboter zu
veranlassen, schwere Dinge zu heben. Das ist körperlich
eine Entlastung. Aber es bietet auch für Menschen mit
körperlichen Handicaps eine Möglichkeit der Berufsausübung. Ich habe in den Hannoverschen Werkstätten zum
ersten Mal die Möglichkeit gesehen - und das hat mich
tief beeindruckt -, mit den Mitteln der Digitalisierung
und durch die Rehabilitationspädagogik von Dortmund
für Menschen mit geistigem Handicap ein Berufsleben
zu ermöglichen, das so bisher nicht möglich war. Für
diese Menschen wird damit die Chance auf ein erfülltes
Leben eröffnet.
Ich denke, es sollte uns alle freuen, dass die Digitalisierung - wir müssen natürlich auch über die Probleme,
Geld und anderes reden - gerade im Bereich der beruflichen Ausbildung vielen Menschen eine sichere Chance
geben wird. Deswegen: Danke schön, dass wir das heute
hier diskutieren.
({4})
Herzlichen Dank, Frau Ministerin Wanka. - Als nächste Rednerin spricht Dr. Rosemarie Hein für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf
den Tribünen! Frau Kollegin Wanka, Sie haben vorhin
gesagt, dass sich die Lage auf dem Ausbildungsmarkt
stabilisiert hat, und Sie haben das als einen Erfolg dargestellt. „Stabilisiert“ ist die beschönigende Umschreibung
der Tatsache, dass sich eigentlich nichts zum Besseren
bewegt.
({0})
Ich könnte die Zahlen aus dem Berufsbildungsbericht
2014 zitieren. Sie würden es nicht merken.
Die Allianz für Aus- und Weiterbildung ist Ende 2014
ins Leben gerufen worden, um die erkannten und zugestandenen Defizite auf dem Ausbildungsmarkt zu beseitigen. 20 000 Ausbildungsplätze mehr sollten innerhalb eines Jahres zur Verfügung gestellt werden. Jetzt sind zwei
Jahre vorbei, und es sind gerade einmal 5 000 gewesen.
Nicht einmal 700 betriebliche Ausbildungsverträge mehr als 2014 wurden abgeschlossen - und das bei
etwa 500 000 Ausbildungsverträgen. Dafür ist die Zahl
der Bewerberinnen und Bewerber, die bis zum 30. September keinen Ausbildungsvertrag abschließen konnten,
wie die Jahre zuvor etwa bei 80 000 anzusetzen. 185 000
junge Menschen haben sich vor dem Jahr 2016 schon
einmal beworben, und 298 000 befinden sich wieder im
Übergangsbereich. Auch wenn man zugestehen muss,
dass darunter eine große Zahl zu uns gekommener geflüchteter junger Menschen ist - das will ich gerne eingestehen -, ist die Sockelzahl nach wie vor fix, und es geht
nicht wirklich etwas voran. Wie man diese Bilanz loben
kann, erschließt sich mir nicht.
({1})
Ich sehe vielmehr viele junge Menschen, die sich ihren Wunsch nach einer guten Berufsausbildung nicht erfüllen können. Darum hört sich die Pressemeldung der
Allianz für Aus- und Weiterbildung aus dem März dieses Jahres auch ein bisschen wie das berühmte Pfeifen
im Walde an. Sie haben das mit „Duale Ausbildung hat
Zukunft!“ überschrieben. Ja, sicher, aber nur, wenn die
Unternehmen endlich ihrer Verantwortung gerecht werden und sich auch an der Ausbildung von Fachkräften
beteiligen. Die Zahl der Unternehmen, die ausbilden, ist
aber weiter gesunken. Nur noch jeder fünfte Betrieb bildet überhaupt aus.
Das Einzige, was seit Jahren in beachtlicher Weise
wächst, ist die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze.
Inzwischen sind es 43 000. Die Jugendlichen seien nicht
ausbildungsreif, sagen viele Betriebe. Ich weiß eigentlich
nicht, was das soll.
Es gibt bundesweit 329 Programme, die Menschen
bei der beruflichen Ausbildung unterstützen sollen. Doch
die wenigsten erreichen eine Flächenwirkung. Selbst das
hochgelobte Programm für Berufseinstiegsbegleitung ist
nicht für eine flächendeckende Versorgung vorgesehen,
wie wir jüngst der Antwort der Bundesregierung entnehmen konnten. Wen wundert es da, dass junge Menschen
auf dem Weg zum Beruf verzweifeln und es eine große
Anzahl Erwachsener gibt, die keine abgeschlossene Berufsausbildung hat? Fast ein Viertel der Ausbildungsverträge wird aufgelöst; in der Gastronomie ist es sogar fast
jeder zweite.
All diese Zahlen, die das Bundesinstitut für Berufsbildung Jahr für Jahr kritisch und akribisch aufrechnet, sind
eigentlich ein Skandal.
({2})
Das können noch so viele Allianzen nicht richten. Frau
Ministerin, ein Pfad ist keine Garantie. Wir brauchen
endlich einen einklagbaren Rechtsanspruch auf einen
Ausbildungsplatz und eine verlässliche Ausbildungsfinanzierung. Daran müssen sich alle Branchen und alle
Unternehmen beteiligen; denn Fachkräfte brauchen sie
irgendwann alle.
({3})
Außerdem muss endlich Schluss damit sein, dass
künftige Pflegekräfte, Hebammen, Physiotherapeuten
und auch Erzieherinnen ihre Ausbildung selber finanzieren müssen und dann noch nicht einmal eine Ausbildungsvergütung erhalten. Ein Skandal ist es auch, dass
selbst bei den dualen Berufen die Ausbildungsvergütung
teilweise bei gerade einmal 300 Euro im Monat liegt, was
nur durch eine Mindestausbildungsvergütung zu beenden
ist.
({4})
Es muss etwas für die Verbesserung der Ausbildungsqualität getan werden. All das könnte im Berufsbildungsgesetz besser geregelt werden. Darum ist es
völlig unverständlich, warum sich die Koalition und die
Bundesregierung weigern, das Berufsbildungsgesetz
endlich dahin gehend zu novellieren. Darum haben wir
im Bundestag einen Antrag vorgelegt, der schon an den
Ausschuss überwiesen wurde. Er wird dann im Zusammenhang mit diesem Bericht beraten werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen Sie endlich
aus den Puschen! Machen Sie Nägel mit Köpfen, statt auf
weitere Appelle zu setzen oder sich auf Allianzen zu verlassen, die offensichtlich nichts bringen.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Frau Kollegin Hein. - Als Nächster
spricht Herr Rainer Spiering für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin
Wanka! Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich sehe, es sind eine Menge junger
Leute da. Das finde ich ausgesprochen begrüßenswert. Es
geht ja um sie.
Den Berufsbildungsbericht 2017 kann man mit folgenden Worten überschreiben: Nichts Neues aus dem
Berufsbildungsbereich. Beruhigend, zufriedenstellend?
Für mich eher ernüchternd. Wir treten auf der Stelle. Ministerien haben bekanntlich ein bestimmtes Beharrungsvermögen. Bei der Berufsbildung stimmt das für das Bildungsministerium auf jeden Fall. Ich finde es erstaunlich,
dass es in den letzten drei Jahren so wenig Bewegung
gab.
Lassen Sie mich kurz etwas zum BBiG sagen. Die
Berufsbildung ist ein lebendiger Bereich, bewegt sich
schneller als viele andere Bereiche und bedarf deswegen
der Anpassung. Wir befinden uns in einem Interessenskonflikt der unterschiedlichen Beteiligten: der Handwerkskammern, der IHK und der Gewerkschaften. Auch
unsere eigenen Interessen kommen hinzu. Weil wir diesen Interessenskonflikt nicht aushalten, sind wir an die
Novellierung des Berufsbildungsgesetzes nicht herangegangen. Diesen Kampf haben wir nicht ausgefochten und
damit jungen Menschen eine Perspektive verwehrt, die
sie unbedingt brauchen.
({0})
Wir hätten, glaube ich, im Berufsbildungsgesetz mehrere Fragen beantworten können: Rechtsstellung des
Ehrenamtes bzw. Freistellung für das Ehrenamt, Durchstiegsmöglichkeiten von zwei- und dreieinhalbjähriger
Ausbildung, Korrektur der Berufsschulzeit mit Blick auf
über und unter 18-Jährige und - das wurde eben schon
angesprochen - Regelung des dualen Studiums. Da hätten wir etwas tun müssen, weil das duale Studium für
viele wirklich eine Zukunftsperspektive darstellt. Vertane
Zeit, vertane Chancen und Probleme für die Zukunft!
Im Sinne von jungen Menschen, dem Staat, unseren
Interessen und den wirtschaftlichen Interessen müssen
wir uns von Partikularinteressen lösen. Wir haben mehrere Problemfelder im Bereich der Berufsbildung. Auf
der einen Seite haben wir ein Fachkräfteproblem. Das ist
real vorhanden. Das schädigt uns als Standort. Auf der
anderen Seite haben wir das Problem, dass wir viele junge Menschen nicht dahin bringen können, wo sie mit ordentlicher Arbeit ordentlich Geld verdienen können und
sich so selber ernähren können. In diesem Spannungsfeld
bewegen wir uns.
Man muss deutlich sagen, Frau Ministerin: Wenn man
sich mit den realen Zahlen auseinandersetzt, dann werden auch Sie feststellen, dass sich die Großindustrie in
den vergangenen 20 Jahren deutlich stärker aus der Ausbildung verabschiedet hat, als es die Handwerks- und
mittelständischen Unternehmen gemacht haben.
Dazu werde ich eine Zahl nennen. Die Ausbildungsquote lag vor 30 oder 40 Jahren bei großen Industrieunternehmen noch zwischen 5,5 und 7 Prozent. Heute können Sie froh sein, wenn die Ausbildungsquote bei VW
bei 3 Prozent liegt. Das hat ganz klare Auswirkungen.
Den großen Betrieben fehlt nämlich das Facharbeiterreservoir, das sie dringend brauchen. Auch fehlt die Entlastung des Arbeitsmarktes. Ich bin mir sicher: Wenn wir
den Ausbildungsmarkt besser steuern würden - Stichwort „Schweinezyklus“ -, dann hätten wir deutlich bessere Möglichkeiten.
In den Jahren 2003, 2004 und 2005 haben junge
Leute händeringend Ausbildungsplätze gesucht. Ihnen
ist gesagt worden: Ihr seid nicht ausbildungsfähig, ihr
seid nicht ausbildungswillig. - Dann hat man die Leute vor der Tür stehen lassen. Daraufhin haben wir das
Übergangssystem entwickelt und, und, und. Das hat der
Staat zwar gut gemacht, aber ich muss auch deutlich an
die Verantwortung der Industrie erinnern: Das sind die
Arbeitskräfte, die ihr braucht. Ihr braucht sie für euren
Fortbestand. Dafür müsst ihr auch etwas tun.
({1})
Lassen Sie mich das mit einer Zahl unterlegen. Es gibt
eine bemerkenswerte Studie der IG Metall. In der wird
beschrieben, dass die Ausbildungsquote in Deutschland
im Maschinenbau 6,5 Prozent beträgt. Das ist eine ordentliche Zahl. Die IG Metall sagt: Wenn alle der uns
angeschlossenen Industriebetriebe im Metall- und Elektrobereich mit der Quote ausbilden würden, dann müssten sie 60 000 Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen.
Ich finde, aus der Verantwortung dürfen wir die Industrie
nicht entlassen.
({2})
Dasselbe gilt übrigens für Banken und Sparkassen wie
natürlich auch für uns, die öffentliche Hand. Wir alle bilden deutlich weniger aus, als wir könnten.
Ich halte es übrigens für ausgesprochen gefährlich,
Frau Hein, zu sehr auf die außerbetriebliche Ausbildung
zu setzen. Ich war gerade mit anderen Ausschussmitgliedern in Israel und Jordanien, und wir wurden gefragt, wie
wir das in Deutschland machen. Gerade die Komplexität
des praktischen Tuns am Ausbildungsplatz mit der Ausbildung in der Schule ist weltweit einzigartig.
Deswegen kann ich nur dazu auffordern, alles zu tun,
um junge Menschen wie auch immer in Ausbildungsbetriebe zu bringen. Wenn wir Betriebe dabei unterstützen
müssen, dann mögen wir dies tun. Aber ich sage noch
einmal: Wir können die großen und mittleren Betriebe
nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Es kann nicht
sein, dass ein Handwerker in der Region Wolfsburg, wo
VW angesiedelt ist, das Nachsehen hat, weil VW 4 Euro
pro Stunde drauflegt. Das ist nicht in Ordnung, Kolleginnen und Kollegen.
({3})
- Dazu komme ich jetzt.
Die Kernkompetenz der dualen Berufsausbildung bietet vor allem - darauf möchte ich noch einmal ausdrücklich hinweisen; das ist, wie Sie wissen, das Steckenpferd,
auf dem ich gerne herumreite - die Berufsschule. Ich
habe mich mit der Ausbildung bei VW beschäftigt: Sie
ist phänomenal. Ich war so begeistert. Mehr geht nicht.
Das kann ein kleiner Handwerksbetrieb nicht leisten. Es
gibt nur eine Einrichtung, die man dazu befähigen kann,
und zwar die Berufsschule.
Frau Wanka, an diesem Punkt bin ich nicht bei Ihnen:
Wenn Sie jetzt dabei sind, länderübergreifend etwas zu
tun, dann finde ich das zwar gut. Aber die Bundesrepublik Deutschland ist mit der Kraft ihres Geldes in der
Verantwortung, dem Berufsbildungsbereich bzw. den
Berufsschulen deutlich mehr Mittel zuzuführen, und
zwar nicht nur im IT-Bereich, sondern auch für die technische Ausstattung, die Raumausstattung und vor allem
für die Ausbildung der Berufsschullehrer, dem Herzblut
der Schule. In dem Bereich sind wir nach dem, was ich
beobachtet habe, in den letzten vier Jahren schlecht gewesen.
({4})
- Da müssen wir nicht über die Länder reden, Kollege.
Wir sind zuständig, Stichwort BBiG, Berufsbildungsgesetz. Wir haben das Geld.
Sie werden das übrigens merken. Alle, die aus Nordrhein-Westfalen kommen, werden ab morgen umdenken.
Sie werden nämlich auch den Bund in Anspruch nehmen,
und zwar mit Recht. Das ist eine Aufgabe, die nur der
Staat im Ganzen stemmen kann. Es ist eine Riesenaufgabe.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf die
Autonomie der Universitäten hinweisen. Es kann keine
Anweisung eines Kultusministers an eine Universität geben, etwas zu tun. Denn wir haben die Autonomie der
Universitäten, und wir können nur durch großangelegte Bemühungen um entsprechende Pakte versuchen, die
Universitäten davon zu überzeugen, diesen Bereich zu
stärken.
„Was ist zu tun?“, haben Sie mich gefragt. Ich habe
mir heute Morgen ebenfalls diese Frage gestellt. Ich habe
eine begabte Tochter - hoffentlich bekomme ich jetzt zu
Hause keinen Ärger -, die mittlere Reife gemacht hat und
die dann über den zweiten Bildungsweg in Bibelwissenschaften promoviert hat. Hätte ich ihr nach der mittleren
Reife empfehlen sollen, eine Ausbildung zur Friseurin zu
machen?
Ich glaube, das berufliche Bildungssystem ist auch
deshalb in einer Schräglage,
Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Zeit.
- weil unsere Angebotssituation auch in den tarifären
Bereichen für die jungen Leute nicht gut genug ist. Das
heißt, wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Angebotssituation für die jungen Leute in den Betrieben es ihnen
schmackhaft macht, in die Betriebe zu gehen.
Ein Abschlussbeispiel.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Es ist
keine Zeit mehr für Abschlussbeispiele.
Ein Abschlussbeispiel: Eine examinierte Krankenschwester in der Schweiz bekommt als Absolventin
4 000 Franken Gehalt. Ich glaube, wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass die Absolventinnen und Absolventen unserer Berufsausbildungssysteme auch einen
Anspruch auf ordentliche und faire Entlohnung haben.
Herzlichen Dank.
({0})
Herzlichen Dank, Herr Kollege. - Als Nächste spricht
die Kollegin Beate Walter-Rosenheimer von der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Gäste!
Vielleicht ist dies der letzte Berufsbildungsbericht, Frau
Ministerin, den Sie als Ministerin für Bildung zu verantworten haben. Ich finde trotzdem, dass Ihre Rede vom
schönen Schwanengesang noch ein Stück entfernt war.
Dennoch denke ich, dass heute ein guter Zeitpunkt ist,
Bilanz zu ziehen.
Wie sieht es also aus nach fast vier Jahren Großer Koalition? Wie steht es um die berufliche Bildung
in Deutschland? Der Übergangsbereich war schon im
Jahr 2013 mit 258 000 jungen Menschen viel zu groß.
Zwei Jahre später ist er auf 271 000 angewachsen. Heute
gibt es ganze 300 000 Neuzugänge in diesem Maßnahmendschungel. Das ist doch kein Erfolg.
({0})
Nein, das sind 300 000 junge Menschen, denen Sie in
fast vier Jahren Regierungsverantwortung keine bessere
Perspektive bieten konnten. Es sind 300 000 junge Menschen, die oftmals sinnlose Warteschleifen drehen, anstatt eine echte Ausbildung zu beginnen. Und dafür sind
Sie politisch verantwortlich. Sie hätten das Übergangssystem reformieren können.
({1})
Dumm nur, dass Sie selbst seit Jahren in der Warteschleife hängen. Wachen Sie auf, und lassen Sie uns die
Potenziale fördern, statt Geld in teuren Maßnahmen zu
versenken! Lassen Sie uns gemeinsam eine Ausbildungsgarantie schaffen! Das ist gut für die Jugendlichen, die
eine Ausbildung bekommen und echte Wertschätzung erhalten, und das ist gut für die Wirtschaft, der schon heute
der Nachwuchs fehlt; Sie haben es ja selbst gesagt, Frau
Wanka.
Ich komme zum nächsten Punkt, zur Ausbildungsbetriebsquote. Sie ist auf einem historischen Tiefstand.
Das war seit Beginn der Wahlperiode in jedem Jahr so.
Mittlerweile bildet nur noch jeder fünfte Betrieb aus.
Was haben Sie dagegen getan? Nichts, überhaupt nichts.
Beenden Sie diesen Sinkflug! Schaffen Sie Anreize für
Unternehmen, damit diese endlich wieder mehr ausbilden können!
({2})
Wie wir Grüne uns das vorstellen, haben wir in unseren Anträgen oft gezeigt. Wir wollen den Übergangsdschungel reformieren, überbetriebliche Ausbildungsstätten fördern und Jugendliche passgenau unterstützen.
Da müssen Sie ran.
Ich komme zum Thema Matching, das auch Sie,
Frau Ministerin, angesprochen haben. Jugendliche und
Betriebe finden nicht mehr zusammen. Betriebe bieten
Ausbildungsplätze dort an, wo es keine Bewerber gibt,
und andersherum. Diesen Befund bescheinigt uns der
Berufsbildungsbericht aber schon seit Jahren. Sie haben
sich diesem Problem trotzdem nie gestellt. Wie kann es
sonst sein, dass auch im letzten Ausbildungsjahr wieder
43 500 Ausbildungsplätze unbesetzt geblieben sind, während rund 80 600 Bewerber als unversorgt gelten, von
den 300 000 im Übergangssystem zwischengeparkten
Jugendlichen einmal ganz abgesehen? Das, sehr geehrte
Frau Ministerin, ist das Ergebnis Ihrer Arbeit. Ich finde,
es ist ein schlechtes Ergebnis.
({3})
Auch von der Digitalisierung sprechen die Autoren
des Berichts nicht erst seit gestern. Anstatt die berufliche
Bildung an die Anforderungen des 21. Jahrhunderts anzupassen, haben Sie bisher nur eine Nebelkerze nach der
anderen gezündet.
({4})
- Doch! - Da sinnierte zum Beispiel der damalige Bundeswirtschaftsminister über einen Berufsschulpakt, der
sich danach als so klein entpuppte, dass er selbst mit der
Lupe in keinem Haushalt zu finden ist.
({5})
Wenn Sie die beruflichen Schulen wirklich fit für das digitale Zeitalter machen wollen, wenn Sie die Lehrerinnen
und Lehrer bei der Integration von Geflüchteten wirklich
unterstützen wollen, dann frage ich mich schon, warum
Sie unserem Haushaltsantrag im vergangenen Jahr nicht
zugestimmt haben. 500 Millionen Euro pro Jahr wären
dann bei den beruflichen Schulen gelandet.
Auch in der CDU mögen Sie ja die Digitalpakte.
Dort sind sie aber so digital, dass sie im analogen Haushaltsentwurf gar nicht erst zu finden sind.
({6})
5 Milliarden Euro sollten in die digitale Ausstattung der
Schulen fließen. Genau diese 5 Milliarden Euro drohen
wegen der Erhöhung des Verteidigungsetats jetzt unter
die Räder zu kommen.
({7})
Ja, Aufrüstung statt Bildungsinvestitionen, Panzer statt
Whiteboards - das ist eine Bilanz, die keine Bildungsministerin zu verantworten haben sollte.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir leben doch nicht
in einer Zeit, in der das Wünschen noch geholfen hat.
Eine Bildungspolitik, die die Gesellschaft wirklich voranbringen will, eine Politik, die Probleme nicht nur in
Berichten darstellen, sondern auch lösen will, erfordert
Mut. Geben Sie sich einen Ruck, und stoßen Sie wenigstens in Ihrem letzten Haushaltsentwurf die wichtigen
Zukunftsinvestitionen und Reformen an, von denen am
Ende die ganze Gesellschaft profitiert.
({9})
Es wäre doch schade, wenn diese Legislatur wirklich so
endet, wie sie begonnen hat, nämlich als maximale Koalition der minimalen Ergebnisse.
({10})
Vielen Dank. - Als Nächste spricht Uda Heller von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Selbst auszubilden, ist die beste Art für einen
Betrieb, sich gute Fachkräfte zu sichern und damit auch
wettbewerbsfähig zu bleiben. Ohne Lehrlinge sieht man
im wahrsten Sinne des Wortes alt aus. Das sagte mir ein
Unternehmer, in dessen Betrieb der Altersdurchschnitt
bei 60 Jahren lag. Nach diesem Grundsatz handelte er
und erhielt im vorigen Jahr von der Bundesagentur für
Arbeit das Zertifikat für hervorragende Arbeit in der
Nachwuchsförderung. Als Politiker im Bildungsbereich
wünscht man sich natürlich solche vorbildlichen Ausbildungsbetriebe und Erfolgsgeschichten. Die Realität sieht
jedoch nicht immer ganz so positiv aus. Im Mittelstand
sind viele Branchen vom Fachkräftemangel betroffen,
allerdings regional sehr unterschiedlich; das möchte ich
betonen.
Sinkende Schulabgängerzahlen und die unausgewogene Studien- und Berufsorientierung an Gymnasien
in Richtung akademischer Studiengänge führen leider
dazu, dass viele Schülerinnen und Schüler die guten Einkommens- und Karriereperspektiven, die ihnen das duale Ausbildungssystem bietet, nicht richtig einschätzen
können. Es ist beunruhigend, dass mittlerweile nur noch
12 Prozent der Kleinstbetriebe ausbilden. Besetzungsprobleme ergeben sich vor allem durch regionale und berufsspezifische Unterschiede bei Angebot und Nachfrage
dualer Ausbildungsstellen. Einerseits fehlen die Bewerber, andererseits sind die kleinen Betriebe nicht in der
Lage, ebenso viel Zeit und Kraft in eine Ausbildung zu
investieren wie größere Unternehmen. Sie müssen viel
Geld in eine Ausbildung investieren und sind deshalb bemüht, dass junge Menschen fester Bestandteil des Unternehmens bleiben. Das ist ein wichtiger Vorteil, den das
Studium nicht bieten kann.
Die Bundesregierung unterstützt mit soliden Maßnahmen wie zum Beispiel mit der Assistierten Ausbildung,
dem Programm Jobstarter plus oder auch mit der Förderung überbetrieblicher Bildungsstätten vor allem die
kleinen und mittleren Unternehmen. Um die berufliche
Bildung zusätzlich zu stärken, wurde die Allianz für Ausund Weiterbildung als gemeinsame Handlungsplattform
geschaffen. Wenn Sie den Bericht richtig lesen, können
Sie zahlreiche Maßnahmen feststellen, wo die Allianz
bereits gewirkt hat.
Meine Damen und Herren, Kompetenzvermittlung
muss bereits in der Schule beginnen. Dies machte mir
ein Beispiel auf einer Logistikmesse deutlich. Die Anforderung, hochmoderne und millionenteure technische
Geräte wie zum Beispiel landwirtschaftliche Maschinen, Busse usw. zu bedienen, erfüllen nur noch wenige
Bewerber. Dieser Tatsache müssen wir ins Auge sehen.
Auch Betriebe anderer Branchen sind mit dem Dilemma mangelnder Ausbildungseignung junger Menschen
konfrontiert. Dieses Argument werden Sie immer wieder
hören. Deshalb ist es umso notwendiger, Berufsorientierung endlich an allen Schulformen - speziell an unseren
Gymnasien - durchzusetzen. Da wir im Bund nicht über
schulische Inhalte und Lehrpläne zu befinden haben, lautet meine Forderung an die Bildungsminister der Länder:
Die Berufsorientierung muss in allen Schulformen verpflichtend und im Lehrplan verankert sein.
Was wir brauchen, ist eine solide, langfristige und
auf Praxis angelegte Berufsorientierung. Da sind Maßnahmen wie der ehemalige polytechnische Unterricht
kein alter Hut, sondern praxistauglich. Es ist wichtig,
die beteiligten Akteure - Schüler und Lehrer - mehr in
die Veränderungen des Ausbildungs- und Arbeitsmarktes
einzubeziehen.
({0})
Die Herausbildung von Schlüsselkompetenzen, die
Überprüfung der Ausbildungsreife und die Förderung
praktischer Fähigkeiten dürfen dabei nicht wegfallen. Ich
empfehle, dass wir die Agenturen für Arbeit und damit
die Fachleute im Bereich der Berufsberatung mehr von
bürokratischer Arbeit entlasten, damit sie regelmäßig vor
Ort, also an den Schulen, tätig werden können. Das ist
sowohl für Schüler als auch für Lehrer, die sich im Angebotsdschungel orientieren sollen, hilfreich.
({1})
Meine Damen und Herren, im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen verwundert mich die Aussage, wir
hätten politisch nicht gehandelt und nur kleine Schritte
gemacht. Natürlich ist man in der Opposition angehalten,
Kritik zu üben. Tatsachen sollte man aber zur Kenntnis
nehmen und die Schwerpunkte der Bundesregierung im
Jahr 2016 noch einmal aufmerksam lesen. Ich glaube, Sie
wollen einfach nicht begreifen, dass wir für viele Aufgaben in der Bildung, die Sie gerne angehen möchten, nicht
zuständig sind. Bildungspolitik ist nur dann erfolgreich,
wenn jede einzelne politische Ebene ihren Beitrag leistet.
Wir haben viele Maßnahmen auf den Weg gebracht. Aber
man muss ihnen auch Zeit geben, zu wirken.
Verehrte Frau Ministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe heute nach drei Legislaturperioden die
letzte Rede in diesem Hohen Haus gehalten. Ich verlasse
freiwillig die politische Bühne und bin dankbar, dass ich
in den Bereichen Landwirtschaft, Tourismus, Bildung
und Forschung arbeiten durfte und einiges für mein Bundesland Sachsen-Anhalt und den Wahlkreis 74 erreichen
konnte. Dankbar bin ich auch Ihnen, Frau Ministerin, den
Staatssekretären, den Referenten und allen Mitgliedern
des Ausschusses für die stets kollegiale und konstruktive
Zusammenarbeit.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank, Frau Kollegin Heller. - Als Nächster
spricht der Kollege Oliver Kaczmarek von der SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den
Debatten über berufliche Bildung sollten wir immer auch
den Wert des Systems und seine internationale Anerkennung betonen. Sie ist tatsächlich ein Prunkstück des Bildungssystems. Es geht aber auch darum, dass wir über
das Bekenntnis zur beruflichen Bildung hinausgehen und
konkret handeln.
Ich will einen kritischen Punkt ansprechen, den auch
der Kollege Spiering angesprochen hat. Ich glaube, es ist
das falsche Signal in dem System der beruflichen Bildung, das im Wandel ist, das vielfältigen Herausforderungen ausgesetzt ist und in dem es neue Wege gibt, zu
sagen, wir hätten keinen Bedarf zur Novellierung des
Berufsbildungsgesetzes.
({0})
Wir haben unserer Meinung nach eine Chance verpasst,
Dinge konkret zu verbessern, zum Beispiel Freistellungszeiten für die ehrenamtlichen Prüfer zu ermöglichen und
bessere Standards bei der Weiterbildung zu erreichen.
Das alles haben wir in dieser Wahlperiode verpasst. Ich
glaube, dass die Bundesregierung mit ihrer Einschätzung
falsch gelegen hat. Deshalb ist es umso wichtiger, dass
wir in der nächsten Wahlperiode die Novellierung des
Berufsbildungsgesetzes entschlossen anpacken.
({1})
Der Berufsbildungsbericht zeigt aus meiner Sicht, dass
die aktuelle Debatte, die unter der Überschrift „Akademikerwahn“ geführt wird, keine große Berechtigung hat
und in die falsche Richtung führt. Es geht nicht um das
Ausspielen von akademischer gegen berufliche Bildung,
sondern es geht um gleiche Wertschätzung. Es geht darum, dass die Trennung zwischen akademischer und beUda Heller
ruflicher Bildung immer mehr aufweicht. Das lässt sich
auch an den Zahlen des Berufsbildungsberichtes ablesen.
Die Ministerin hat gerade darauf hingewiesen: Immer
mehr Auszubildende beginnen eine Ausbildung mit einer Hochschulzugangsberechtigung, mehr als ein Viertel
mittlerweile. Sie wünschen sich nicht eine Sackgasse nur berufliche Bildung oder nur akademische Bildung -,
sondern immer mehr von ihnen interessieren sich für
eine sinnvolle und gute Kombination von beruflichen
und akademischen Inhalten. Deswegen müssen wir das
als Herausforderung begreifen und mehr für die Durchlässigkeit von akademischer und beruflicher Bildung in
beiden Richtungen tun.
Das heißt, wir brauchen neue Wege. Wir brauchen
den Bachelor auf der Grundlage einer beruflichen Ausbildung, verknüpft mit akademischen Inhalten. Wir brauchen für die Meisterinnen und Meister den Zugang zum
Masterstudium, so wie es in Rheinland-Pfalz vorbildhaft
schon gemacht wird. Zur Gleichheit gehört auch: Studiengebühren bleiben abgeschafft. Ich hoffe, das bleibt
auch in Nordrhein-Westfalen so. Ebenso müssen die Gebühren für die Meister- und Technikerkurse abgeschafft
werden. Das zeugt von einer gleichen Wertschätzung von
akademischer und beruflicher Bildung.
({2})
Lassen Sie uns aber auch einen Blick auf die werfen,
die durch den Markt nicht versorgt werden können. Bei
dem Akademikerwahn geht es nicht nur darum, dass
mehr Abiturienten eine Ausbildung machen sollen. Diese
Debatte blendet völlig aus, dass immer mehr Schülerinnen und Schüler mit Hauptschulabschluss und auch mit
dem mittleren Schulabschluss am Markt nicht mehr versorgt werden. Dafür brauchen wir regional unterschiedliche Lösungen. Das ist vollkommen klar, weil das kein
bundesweites Phänomen ist. Mobilität ist als Stichwort
genannt worden; das ist richtig. Wir brauchen aber auch
eine Garantie, dass junge Menschen, wenn sie die Ausbildungsvoraussetzungen erfüllen und ausgebildet werden wollen, einen Ausbildungsplatz bekommen; denn
wir können es uns wirtschaftlich und gesellschaftlich
nicht leisten, Tausende Menschen pro Jahr in bestimmten
Regionen nicht auszubilden.
({3})
Zum Schluss: Keine Rede zur Ausbildung ohne die
Frage nach dem Danach, nämlich nach dem sicheren
Übergang von der Ausbildung in die Arbeit. Wir erwarten viel von jungen Menschen in dieser Phase; aber zu
oft besteht bei ihnen Unsicherheit, weil ihnen nach der
Ausbildung befristete Arbeitsverträge angeboten werden.
Deswegen brauchen wir zwei Dinge:
Wir brauchen erstens mindestens eine Ankündigungsfrist im Falle der Nichtübernahme. Das heißt, junge
Menschen, die nach ihrer Ausbildung nicht übernommen
werden können, müssen das rechtzeitig wissen, damit sie
sich am Arbeitsmarkt orientieren können.
Wir brauchen zweitens eine Lösung in Bezug auf das
größte Hindernis beim Übergang: die sachgrundlose Befristung. Diese heißt so, weil es keinen Grund für die
Befristung gibt. Deswegen ist die Idee des SPD-Vorsitzenden Martin Schulz richtig: Die sachgrundlose Befristung ist ein Hindernis für die jungen Menschen, in die
Arbeitswelt eintreten zu können. Deswegen gehört die
sachgrundlose Befristung abgeschafft. Auch das gehört
zur Thematik der beruflichen Bildung.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Als letzter Redner in
dieser Debatte spricht Dr. Wolfgang Stefinger für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Berufsbildungsbericht bestätigt ein weiteres Mal: Deutschland verfügt über ein qualitativ hochwertiges und leistungsfähiges Berufsbildungssystem.
Wer es erfolgreich durchläuft, der ist sehr gut auf das
Berufsleben vorbereitet und hat vor allem auch hervorragende Aufstiegschancen.
Für die Union ist die Stärkung der betrieblichen Berufsausbildung ein Herzensanliegen - ein Herzensanliegen deshalb, weil sie beste Chancen bietet und weil
hervorragend ausgebildete Fachkräfte das Fundament für
unsere Wirtschaftsstärke und vor allem für unsere Innovationskraft sind.
Wenn ich in meinem Heimatbundesland Bayern unterwegs bin, dann erlebe ich, dass Fachkräfte mit einer Berufsausbildung überall gefragt sind, vor allem bei kleinen
und mittleren Unternehmen. Die Zahl der offenen Stellen ist auf einem Rekordniveau. Qualifizierte Bewerber
werden überall händeringend gesucht. Das belegt: Die
Berufsperspektiven für Menschen mit dualer Ausbildung
sind ausgezeichnet.
Frau Ministerin Wanka und meine Vorredner haben
bereits auf eine Reihe positiver Aspekte und Entwicklungen hingewiesen. Deswegen möchte ich nur einen
Aspekt noch einmal betonen: Noch nie gab es für junge
Menschen hierzulande so gute Chancen auf einen Ausbildungsplatz und so positive Berufsperspektiven wie
heute. Und noch nie waren in Deutschland so wenig Jugendliche arbeitslos.
Das zeigt, dass die unionsgeführte Bundesregierung in
den letzten Jahren die richtigen Weichen gestellt und vor
allem wichtige Akzente gesetzt hat.
({0})
Der vorliegende Berufsbildungsbericht listet ein beachtliches Bündel an Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung, zur Qualitätsverbesserung, zur Modernisierung
und auch zur Durchlässigkeit auf. Ich erinnere an die
Allianz für Aus- und Weiterbildung, die Fortentwicklung
des Meister-BAföG zum Aufstiegs-BAföG oder die Initiative Bildungsketten, um hier nur ein paar Beispiele zu
nennen.
Wir wissen doch alle, dass Delegationen aus der ganzen Welt zu uns kommen, um sich über das deutsche Erfolgsmodell der dualen Ausbildung zu informieren und
es nachzuahmen. Hier leisten die deutschen Akteure eine
ganze Menge, aber ob und was davon in den jeweiligen
Ländern tatsächlich eingeführt und umgesetzt wird, liegt
letztendlich in deren Verantwortung. Wir stehen auf jeden Fall jederzeit gerne mit Rat und Tat zur Verfügung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich müssen
wir auch auf die aktuellen und künftigen Herausforderungen reagieren und damit Schritt halten; das haben wir
auch getan. Ich möchte vor allem zwei Themenfelder ansprechen, die uns bereits beschäftigt haben und uns in
den nächsten Jahren weiterhin fordern werden, nämlich
das ganze Thema der Digitalisierung, die Auswirkungen
der digitalen Transformation auf unsere Ausbildung, sowie die Integration von jungen Menschen mit Migrationshintergrund und vor allem von Flüchtlingen in unser
Bildungs- und Beschäftigungssystem.
Mit Blick auf die Berufsbildung 4.0 haben wir schon
einiges bewegt, beispielsweise die Initiative „Fachkräftequalifikation und Kompetenzen für die digitalisierte
Arbeit von morgen“ oder das Förderprogramm „Digitale
Medien in der beruflichen Bildung“.
Auch für Flüchtlinge haben wir vieles getan. So haben
wir das Angebot an Integrationskursen ausgebaut und
zusätzliche Angebote zur Berufsorientierung, zur Berufsvorbereitung, zur Berufsausbildung und -nachqualifizierung geschaffen. Ich darf auch hier als Positivbeispiel
mein Heimatbundesland Bayern nennen. 60 000 Flüchtlinge wurden bis Ende 2016 in Praktika und Ausbildung
vermittelt - vorgesehen waren bis zu diesem Zeitpunkt
20 000 Flüchtlinge; die Zahl von 60 000 Flüchtlingen haben wir erreicht.
({1})
Es gibt aber, meine sehr geehrten Damen und Herren,
eine grundsätzliche Herausforderung im beruflichen Bereich, nämlich die Erhöhung des Stellenwerts der beruflichen Bildung. Wir alle sind gefordert, die Wertschätzung
der dualen Ausbildung in unserer Gesellschaft weiter zu
erhöhen; denn wir brauchen nicht nur den gut ausgebildeten Ingenieur, sondern eben auch den gut ausgebildeten Facharbeiter, der die Maschinen, die der Ingenieur
entwickelt, nicht nur bauen, sondern auch bedienen, warten und reparieren kann.
({2})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die enge Verbindung von Theorie und Praxis bei der Ausbildung, über
300 duale Ausbildungsberufe, die stärkere Durchlässigkeit und vielfältige Karrierechancen, das alles macht unser Berufsausbildungssystem zu etwas Besonderem. Die
Chancen für junge Menschen sind nach zwölf Jahren unionsgeführter Bundesregierung so gut wie nie zuvor, und
so soll es auch bleiben.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/11969 und 18/12361 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 18. Mai 2017, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche allen Kollegen noch einen schönen, sonnigen Abend.