Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich zu unserer 231 . Sitzung .
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich dem Kollegen Heinz Wiese zu seinem 72 . und dem Kollegen
Karl-Heinz Wange zu seinem 71 . Geburtstag gratulieren sowie dem Kollegen Dr. Hans-Ulrich Krüger, der
seinen 65 . Geburtstag gefeiert hat . Alle guten Wünsche
des Hauses für das neue Lebensjahr und darüber hinaus!
({0})
Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:
ZP 1 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({1})
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung futtermittelrechtlicher
und tierschutzrechtlicher Vorschriften
Drucksache 18/12085
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({2})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Petzold ({3}), Stefan Liebich, Jan Korte,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transpersonen und Intersexuellen
({4}) in Tschetschenien entgegentreten
Drucksache 18/12091
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({5})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr . Julia
Verlinden, Oliver Krischer, Annalena Baerbock,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Klimaschutz stärken - Energiesparen verbindlich machen
Drucksache 18/12095
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({6})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Haltung der Bundesregierung zu verschärften
Abgastests in Europa
ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise
Amtsberg, Omid Nouripour, Volker Beck ({7}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen
Drucksache 18/12099
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sigrid
Hupach, Nicole Gohlke, Dr . Rosemarie Hein,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Ausstellungsvergütung gesetzlich verankern Gerechtigkeitslücke für bildende Künstlerinnen und Künstler schließen
Drucksache 18/12094
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Franziska Brantner,
Katja Dörner, Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Alleinerziehende stärken - Teilhabe von Kindern sichern
Drucksachen 18/4307, 18/11592
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Annalena Baerbock, Dr . Wolfgang
Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Renteneinheit vollenden - Gleiches Rentenrecht in Ost und West
Drucksache 18/10039
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({9})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Grenzregionen vor Atomrisiken schützen Export von Brennelementen stoppen
Drucksache 18/12093
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Tschernobyl und Fukushima mahnen - Atomausstieg konsequent umsetzen
Drucksache 18/11743
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({10})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 9 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen
Drucksache 18/12086
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({11})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Dabei soll wie immer von der Frist für den Beginn der
Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden .
Der Tagesordnungspunkt 5 - hier geht es um den Antrag mit dem Titel „Gesetzliche Rente stärken, Rentenniveau anheben und die solidarische Mindestrente einführen“ - soll zusammen mit dem Tagesordnungspunkt
38 - „Gesamtkonzept Alterssicherung - Verlässlich, solidarisch und gerecht“ - beraten werden .
Die Tagesordnungspunkte 8 a - abschließende Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Aufenthaltsgesetzes - und 8 b - Beratung des Antrags
„Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlingen uneingeschränkt gewährleisten“ - sollen abgesetzt werden, und
an ihrer Stelle soll der Antrag auf Drucksache 18/12099
mit dem Titel „Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen“ mit einer Debattenzeit von 38 Minuten beraten
werden .
Der Tagesordnungspunkt 9 - abschließende Beratung
des Entwurfs eines Hochwasserschutzgesetzes II - soll
ebenso abgesetzt werden, und an dieser Stelle soll der
Tagesordnungspunkt 19 - abschließende Beratung des
Entwurfes eines Gesetzes zum Ausbau der Kindertagesbetreuung - mit einer Debattenzeit von nunmehr
38 Minuten aufgerufen werden .
Des Weiteren soll der Tagesordnungspunkt 14 - abschließende Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Zahlbarmachung
von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto - abgesetzt werden; stattdessen soll der Antrag auf Drucksache 18/12094 mit dem Titel „Ausstellungsvergütung
gesetzlich verankern - Gerechtigkeitslücke für bildende
Künstlerinnen und Künstler schließen“ unter Beibehaltung der vorgesehenen Debattenzeit von 25 Minuten beraten werden .
Die Tagesordnungspunkte 28 - abschließende Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises -, 29 - abschließende
Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung
der Sachaufklärung in der Verwaltungsvollstreckung -,
34 - Entwurf eines Gesetzes zu dem Beitrittsprotokoll
zum Handelsübereinkommen zwischen der EU sowie
Kolumbien und Peru betreffend den Beitritt Ecuadors -,
43 d - Entwurf eines Gesetzes zur Erstellung gesamtwirtschaftlicher Vorausschätzungen der Bundesregierung - und 43 g - abschließende Beratung des Antrags
„Missstände und Stillstand beim Tierschutz beenden Gesellschaftlichen Konsens umsetzen“ - sollen ebenfalls
heute abgesetzt werden .
Schließlich soll nach dem Tagesordnungspunkt 37
der Antrag auf der Drucksache 18/11743 mit dem Titel
„Tschernobyl und Fukushima mahnen - Atomausstieg
konsequent umsetzen“ in verbundener Beratung mit
dem Antrag auf der Drucksache 18/12093 mit dem Titel
„Grenzregionen vor Atomrisiken schützen - Export von
Brennelementen stoppen“ aufgerufen werden . Die Debattenzeit soll hier 60 Minuten betragen .
Schließlich möchte ich noch auf eine nachträgliche
Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam machen:
Der am 23 . März 2017 ({12}) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({13}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der Umweltverträglichkeitsprüfung
Drucksache 18/11499
Präsident Dr. Norbert Lammert
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({14})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen je einzeln und im
Zusammenhang einverstanden? - Das ist erfreulicherweise der Fall . Dann ist es so beschlossen .
Auf der Ehrentribüne hat heute Morgen der Präsident
der Versammlung der Volksvertreter der Tunesischen
Republik, Herr Mohamed Ennaceur, mit seiner Delegation Platz genommen . Ich möchte Sie herzlich begrüßen .
({15})
Sehr geehrter Herr Präsident, Sie gehören mit Ihren inzwischen weit über 80 Lebensjahren nicht nur zu den Veteranen der tunesischen Politik, sondern sind in den vergangenen Jahren zu einer der Säulen des Erneuerungs-,
Veränderungs- und Demokratisierungsprozesses Ihres
Landes geworden, an dessen Gelingen wir ein gemeinsames Interesse haben und bei dem wir Ihr Land gern
weiter nach Kräften unterstützen werden .
({16})
Herzlich willkommen und alle guten Wünsche für die
weitere Arbeit!
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin
zum Sondertreffen des Europäischen Rates zu
27 am 29. April 2017 in Brüssel
Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, ein Entschließungsantrag
der Fraktion Die Linke sowie zwei Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 77 Minuten vorgesehen. - Auch das ist offensichtlich einvernehmlich . Dann verfahren wir so .
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundeskanzlerin, Frau Dr . Angela Merkel .
({17})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Lassen Sie auch mich vor
Beginn einen herzlichen Gruß an die Vertreter Tunesiens richten; denn ich erinnere mich gern daran, dass ich
vor wenigen Wochen im tunesischen Parlament sprechen
konnte . Wir wünschen Tunesien allen Erfolg bei seiner
Arbeit und auf seinem schwierigen, aber bislang doch
sehr hoffnungsfrohen Weg.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Europäische Rat
wird sich am Samstag in Brüssel im Kreis der zukünftig
27 Mitgliedstaaten mit dem Austritt Großbritanniens aus
der Europäischen Union beschäftigen . Die Austrittsverhandlungen werden der Europäischen Union genauso
wie auch Großbritannien selbst in den zwei Jahren mit
Sicherheit einiges abverlangen . Das steht, glaube ich,
völlig außer Zweifel . Außer Zweifel steht aber auch, dass
diese Austrittsverhandlungen beileibe nicht die einzige
Herausforderung sind, die Europa in den nächsten zwei
Jahren zu bewältigen hat . Erlauben Sie mir deshalb bitte,
dass ich zunächst einige Sätze zur Entwicklung in der
Türkei sage . Die Situation dort kann im Rahmen dieser
Debatte nicht unangesprochen bleiben, und sie wird sicher auch bei unserem Treffen am Samstag nicht unangesprochen bleiben, obwohl ich darauf hinweisen muss,
dass Befassungen mit der Türkei offiziell im Rat der
28 Mitgliedstaaten stattfinden müssen, weil Großbritannien nach wie vor Mitglied der Europäischen Union mit
allen Rechten und Pflichten ist, also die eigentliche Befassung am Samstag nicht stattfinden kann.
Vorweg: Natürlich respektieren wir das Recht der türkischen Bürgerinnen und Bürger, frei und demokratisch
über ihre eigene Verfassungsordnung zu entscheiden . Ich
glaube, das versteht sich für uns von selbst . Mit umso
größerer Sorge jedoch müssen wir den gemeinsamen
Bericht der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarats zum Ablauf dieser Abstimmung zur
Kenntnis nehmen . Ich möchte an dieser Stelle den beteiligten Abgeordneten wie auch dem Leiter des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte,
Michael Link, für ihre wichtige Arbeit danken .
({1})
Ihrer Einschätzung kommt besondere Bedeutung zu;
denn sie stammt von unabhängigen Beobachtern .
Die türkische Regierung muss sich an diesem Bericht
messen lassen und die darin aufgeworfenen Fragen beantworten . Der im Bericht enthaltene Vorwurf, dass es
für die verschiedenen Lager im Referendumswahlkampf
keine Chancengleichheit gegeben hat, ist ebenso gravierend wie die Feststellung, dass demokratische Grundrechte unter dem Ausnahmezustand eingeschränkt worden sind . Wir werden sehr aufmerksam verfolgen, wie
die Türkei sich bei der Aufklärung möglicher Unregelmäßigkeiten verhält .
Gleiches gilt für die weiteren Schritte der türkischen
Regierung bei der konkreten Umsetzung der Verfassungsreform und bei ihrer Zusammenarbeit mit dem
Europarat . Hierzu gehört auch das umfassende Monitoringverfahren, das die Parlamentarische Versammlung
des Europarats an diesem Dienstag beschlossen hat . Die
massiven Bedenken, die die Venedig-Kommission des
Präsident Dr. Norbert Lammert
Europarats hinsichtlich des Verfahrens und des Inhalts
der Verfassungsreform geäußert hatte, wiegen schwer .
Diesen Bedenken muss die Türkei Rechnung tragen - als
Mitglied des Europarats, als Mitglied der OSZE und als
Beitrittskandidat der Europäischen Union . Es ist - um
das unmissverständlich zu sagen - mit einem Rechtsstaat
nicht vereinbar, wenn eine Exekutive - in diesem Fall die
türkische Exekutive - Vorverurteilungen vornimmt, wie
das etwa mit Deniz Yücel öffentlich geschehen ist.
({2})
Die Bundesregierung wird nicht nur mit Blick auf sein
Schicksal, sondern auf die vielen Strafverfahren in der
Türkei insgesamt unvermindert und wieder und wieder
die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards einfordern,
einschließlich des hohen Guts der Meinungs- und Pressefreiheit .
Es steht außer Frage, dass die Entwicklungen der
vergangenen Woche das deutsch-türkische und das europäisch-türkische Verhältnis stark belastet haben . Wir
werden uns in dieser Lage weiterhin darum bemühen,
zu einem konstruktiven deutsch-türkischen und europäisch-türkischen Dialog zurückzukehren . Die Außenminister werden sich heute und morgen treffen und dabei
auch mit dem türkischen Außenminister zusammenkommen . Eine endgültige Abwendung der Türkei von Europa, aber auch - und das sage ich mit Bedacht - Europas von der Türkei wäre weder im deutschen noch im
europäischen Interesse . Es ist also Klugheit ebenso wie
Klarheit gefragt . Und genauso - mit Klugheit wie mit
Klarheit - werden wir im Kreise der Europäischen Union darüber beraten, welche präzisen Konsequenzen wir
zu welchem Zeitpunkt für angemessen halten; die Bundesregierung strebt dabei ein gemeinsames Handeln der
europäischen Institutionen an .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Sondertreffen
des Europäischen Rates am kommenden Samstag wurde eingeladen, nachdem das Vereinigte Königreich am
29. März offiziell mitgeteilt hat, dass es aus der Europäischen Union austreten möchte . Die britische Regierung setzt damit das um, wofür sich eine Mehrheit der
britischen Wählerinnen und Wähler vor etwas mehr als
zehn Monaten bei einem Referendum entschieden hat .
Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Wir - Deutschland und die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen
Union - haben uns diesen Austritt nicht gewünscht . Aber
auch hier gilt, dass wir - Deutschland und die anderen
Mitgliedstaaten der Europäischen Union - diese demokratisch getroffene Entscheidung respektieren und jetzt
nach vorne schauen .
Mit dem offiziellen Schreiben der britischen Regierung hat die zweijährige Frist begonnen . Nach Ablauf
dieser Frist wird die Mitgliedschaft Großbritanniens in
der Europäischen Union, so wie es in den Verträgen beschrieben ist, enden . Jetzt liegt es an uns, den zukünftig
27 Mitgliedstaaten und den europäischen Institutionen,
unsere eigenen Interessen und Ziele für die bevorstehenden Verhandlungen zu definieren. Dazu wird der Europäische Rat am Samstag den ersten Schritt gehen und im
Format der 27 gemeinsame Leitlinien für die Verhandlungen verabschieden .
Der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk,
hat hierfür nach intensiven Vorbereitungen, an denen sich
natürlich auch die Bundesregierung beteiligt hat, einen,
wie wir finden, sehr guten und ausgewogenen Textentwurf vorgelegt - ich möchte Donald Tusk dafür herzlich
danken -;
({3})
denn in diesem Entwurf werden nicht nur die Anliegen
der 27 Mitgliedstaaten in vollem Umfang berücksichtigt,
sondern auch die übergeordneten Interessen der Europäischen Union als Ganzes . Meine vielen Gespräche in
den vergangenen Wochen haben gezeigt, dass im Kreise
der 27 Mitgliedstaaten und der Institutionen mittlerweile
ein großes Einvernehmen über unsere gemeinsame Verhandlungslinie gegenüber Großbritannien besteht . Wir
können deshalb davon ausgehen, dass vom Europäischen
Rat der 27 übermorgen ein starkes Signal der Geschlossenheit ausgehen wird .
Die Leitlinien des Europäischen Rates werden die
Grundlage für das Verhandlungsmandat bilden, das die
27 Mitgliedstaaten der Europäischen Kommission in einem weiteren Schritt - voraussichtlich Ende Mai - erteilen werden . Dieses Verhandlungsmandat wird erheblich
umfangreicher sein als die Leitlinien, die wir am Samstag
verabschieden werden . Ich betone jedoch ausdrücklich,
dass ich die Erwartung des Präsidenten der Europäischen
Kommission, Jean-Claude Juncker, teile, dass die eigentlichen politischen Verhandlungen mit Großbritannien
erst nach den britischen Unterhauswahlen am 8 . Juni
richtig Fahrt aufnehmen werden und richtig Fahrt aufnehmen können . In diesen Verhandlungen wird die Europäische Union durch die Europäische Kommission mit
ihrem Chefunterhändler Michel Barnier vertreten sein .
Ich habe mich zugleich von Anfang an dafür eingesetzt, dass während des gesamten Verhandlungsprozesses alle wichtigen Entscheidungen nur mit Zustimmung
der Mitgliedstaaten getroffen werden. Das gilt natürlich - dies ist auch die Haltung der gesamten Bundesregierung -, und das ist auch sichergestellt; denn das
Ausscheiden eines Mitgliedstaates aus der Europäischen
Union berührt natürlich die Interessen aller übrigen Mitgliedstaaten unmittelbar .
Für uns stehen drei Anliegen im Mittelpunkt der Verhandlungen:
Erstens . Es gilt, die Interessen unserer, der deutschen
Bürgerinnen und Bürger zu wahren . Dabei geht es insbesondere um die ganz konkreten Alltagsfragen, die
die vielen vom Brexit direkt betroffenen Menschen beschäftigen . Das gilt ganz besonders für diejenigen, die
derzeit als deutsche und europäische Staatsangehörige in
Großbritannien leben. Geschätzt trifft dies im Moment
auf ungefähr 100 000 Deutsche zu, alle mit individuellen
Biografien und ganz persönlichen Sorgen vor einer ungewissen Zukunft .
Denken wir zum Beispiel an eine Rentnerin, die vielleicht schon vor Jahren aus beruflichen Gründen von
Deutschland nach Großbritannien gezogen ist, dort ein
Haus gekauft hat und jetzt im Ruhestand mit erheblichen
rechtlichen Unsicherheiten konfrontiert ist . Oder: DenBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
ken wir an einen jungen Studenten, der den Traum eines
grenzenlosen Europas lebt und sich nun sorgt, ob er nach
seiner bereits laufenden Hochschulausbildung in Schottland im Vereinigten Königreich bleiben kann . Oder: Denken wir an ein in London lebendes deutsches Elternpaar,
dessen Kinder in Großbritannien aufgewachsen sind, und
das jeden Tag auf Zugang zu Schule, Arbeitsplatz und
Krankenversicherung angewiesen ist .
Viele weitere Beispiele könnten folgen . Sie alle stehen
dafür, dass sich die Bundesregierung in den Verhandlungen mit Großbritannien intensiv dafür einsetzen wird, im
Interesse aller betroffenen deutschen Staatsbürgerinnen
und Staatsbürger so schnell wie möglich Klarheit und
Planungssicherheit in all diesen Fragen zu erzielen . Wir
werden natürlich alles dafür tun, dass mögliche negative Auswirkungen für den Alltag unserer Bürgerinnen
und Bürger so gering wie möglich ausfallen . Im Gegenzug sind wir dann natürlich auch bereit, den bei uns in
Deutschland und in den anderen EU-Mitgliedstaaten
lebenden britischen Staatsangehörigen ein faires Angebot zu unterbreiten . Sie sind natürlich ein wichtiger Teil
unseres Zusammenlebens und sollen dies auch bleiben .
Zweitens . Es gilt, Schaden von der Europäischen
Union insgesamt abzuwenden, den ein nicht geglückter
Übergang Großbritanniens zu seinem zukünftigen Status als Drittstaat mit sich bringen könnte . Unternehmer
zum Beispiel wollen wissen, ob sie ihre Produkte weiter
auf den jeweils anderen Markt bringen können . Wissenschaftler fragen, ob sie die Zusammenarbeit mit ihren
britischen Kollegen fortsetzen können . Deshalb gilt es,
vorneweg Rechtssicherheit über die Folgen des Austritts
zu schaffen. Dort, wo es unsere Interessen gebieten, werden wir selbstverständlich auch künftig eine enge Zusammenarbeit zwischen der EU und Großbritannien anstreben . Das gilt beispielsweise für den gemeinsamen Kampf
gegen den Terrorismus und die organisierte Kriminalität
oder für die Zusammenarbeit in der Sicherheits- und
Verteidigungspolitik . Zugleich werden wir aber immer
darauf achten, bei dieser Zusammenarbeit die Errungenschaften der europäischen Integration zu wahren und zu
stärken . Ich bin fest davon überzeugt: Die Europäische
Union wird auch nach dem Ausscheiden Großbritanniens
eine einzigartige Wertegemeinschaft und einer der weltweit stärksten Wirtschaftsräume sein .
({4})
Drittens . Es gilt, den Zusammenhalt der Europäischen
Union der 27 zu stärken . Vor kaum mehr als einem Monat
haben wir in Rom den 60 . Jahrestag der Unterzeichnung
der Römischen Verträge gefeiert . Bei dieser Gelegenheit
haben sich alle Beteiligten noch einmal ausdrücklich
dazu bekannt, dass und wie sehr wir zu unserem Glück
vereint sind . 60 Jahre europäischer Integration sind eine
einzigartige Erfolgsgeschichte, und diese Erfolgsgeschichte wird mit den zukünftig 27 Mitgliedstaaten fortzuschreiben sein .
Ich werde alles daransetzen, dass wir 27 Mitgliedstaaten in allen schwierigen Fragen auch weiter so zusammenstehen, wie uns das seit dem britischen Referendum
vor zehn Monaten doch hervorragend gelungen ist; denn
wir haben es immerhin geschafft, trotz manchmal divergierender Einzelinteressen geschlossen und vereint aufzutreten. Dass wir das schaffen würden, war am Morgen
nach dem britischen Referendum alles andere als ausgemacht, und wir sollten das auch einmal ausdrücklich
anerkennen . Alle 27 Mitgliedstaaten, die Europäische
Kommission und das Europäische Parlament haben sich
an das gehalten, was wir damals vereinbart haben .
({5})
Wir haben gerade keine Vorverhandlungen mit Großbritannien geführt, keine Einzelaspekte vorab in den Vordergrund gestellt; stattdessen haben wir uns als Europäische Union gut auf die Verhandlungen vorbereitet und
uns eng abgestimmt . Es gibt natürlich eine Vielzahl von
ganz besonderen Interessen . Denken wir nur einmal an
die Republik Irland und ihren gemeinschaftlichen Raum
mit Großbritannien oder an die Probleme in Nordirland .
Deshalb war es eine gute Leistung, so zusammenzuhalten . Im Ergebnis sind wir heute inhaltlich und organisatorisch bestens vorbereitet .
Ich begrüße ausdrücklich, dass sich auch die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5 . April
auf genau derselben inhaltlichen Linie bewegt, die wir
übermorgen im Europäischen Rat beschließen wollen .
Ein solches Vorgehen ist allerdings auch unverzichtbar,
weil wir uns auf sehr komplexe Verhandlungen zwischen
der Europäischen Union und Großbritannien einstellen
müssen, denen im Übrigen zum Schluss nicht nur der
Rat, sondern auch das Europäische Parlament zustimmen
muss .
In 44 Jahren Mitgliedschaft Großbritanniens in der
Europäischen Union hat sich ein dichtes Geflecht an Beziehungen entwickelt, das nun Stück für Stück entflochten werden muss . Dabei ist auch der Umgang mit allen
finanziellen Verpflichtungen zu klären, die Großbritannien als EU-Mitgliedstaat verbindlich eingegangen ist und
die sich auch auf die Zeit nach dem Austritt erstrecken .
({6})
Wir sind der Meinung - das füge ich noch hinzu; ich hoffe, dafür gibt es auch Unterstützung -, dass diese Verhandlungen nicht erst ganz zum Schluss geführt werden
können, sondern zu den wichtigen Aspekten gehören, die
von Beginn an ein Thema sein müssen .
({7})
Die Reihenfolge unseres Vorgehens dabei ist klar,
auch wenn es nicht immer ganz einfach sein wird, dies
einzuhalten: Ein Abkommen über das zukünftige Verhältnis mit Großbritannien können wir erst schließen,
wenn alle Austrittsfragen zufriedenstellend geklärt sind .
Das bedeutet also: Je schneller die britische Regierung
zu konstruktiven Lösungen bereit ist, desto eher können
wir uns mit ihrem Wunsch befassen, bereits während der
Austrittsverhandlungen über das zukünftige Verhältnis
zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union zu sprechen . Aber zuerst müssen wir wisBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
sen, wie sich Großbritannien die zukünftigen Beziehungen mit uns vorstellt .
({8})
Es kann und wird nur in dieser Reihenfolge gehen, nicht
umgekehrt . Genau auf diese Reihenfolge werden wir
27 Mitgliedstaaten achten und bestehen .
Ohne Fortschritte bei den vielen offenen Fragen des
Austritts, inklusive der finanziellen Fragen, macht es
keinen Sinn, parallel über Details des zukünftigen Verhältnisses zu verhandeln . Die Europäische Kommission
mit Jean-Claude Juncker an der Spitze und ihrem Chefverhandler Michel Barnier hat diese Haltung wieder und
wieder deutlich gemacht . Jean-Claude Juncker war zusammen mit Michel Barnier gerade gestern in Großbritannien und hat dies dort noch einmal vorgebracht . Dafür
hat die Kommission die volle Unterstützung der Bundesregierung . Klar ist außerdem: Ein Drittstaat - und das
wird Großbritannien sein - kann und wird nicht über die
gleichen Rechte verfügen oder womöglich bessergestellt
werden können als ein Mitglied der Europäischen Union .
Auch darüber sind sich alle 27 Mitgliedstaaten und die
europäischen Institutionen einig .
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht denken
Sie, dass das eigentlich Selbstverständlichkeiten sind .
Doch ich muss das leider hier so deutlich aussprechen;
denn ich habe das Gefühl, dass sich einige in Großbritannien darüber noch Illusionen machen . Das aber wäre
vergeudete Zeit .
({10})
Selbstverständlich muss es auch im zukünftigen Verhältnis zwischen Großbritannien und der Europäischen
Union wieder ein ausgewogenes Verhältnis von Rechten
und Pflichten geben. Wenn Großbritannien hierzu bereit ist, dann sollte einer engen und langfristigen Partnerschaft mit der Europäischen Union allerdings nichts
im Wege stehen . Wir als Europäische Union jedenfalls
streben gute, enge und vertrauensvolle Beziehungen zu
Großbritannien an . Wir haben auch ein Interesse an einem prosperierenden und erfolgreichen Vereinigten Königreich . In einem Wort: Wir werden die Verhandlungen
fair und konstruktiv führen, und genau das erwarten wir
auch von der britischen Seite . Unser Ziel wird immer
sein, das beste Ergebnis für Europa und seine Bürgerinnen und Bürger zu erzielen . So werden wir als EU der 27
die Gespräche führen, und so werden wir sie dann hoffentlich auch erfolgreich beenden können .
Natürlich werden in den kommenden beiden Jahren
die Parlamente eine enorm wichtige Rolle spielen . Der
regelmäßige Austausch der jeweiligen nationalen Regierungen mit den nationalen Parlamenten ist aus meiner
Sicht ganz entscheidend, um am Ende zu einem tragfähigen Verhandlungsergebnis zu kommen . Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag werden dies
im Rahmen der gewohnt engen Zusammenarbeit handhaben . Ich möchte hier ausdrücklich hervorheben, wie
sehr es der Bundesregierung bei den anspruchsvollen
Verhandlungen den Rücken stärkt, wenn das Parlament
ihr im Rahmen dieser Zusammenarbeit beisteht . Deshalb
begrüße ich außerordentlich, dass der Deutsche Bundestag einen Entschließungsantrag zu den Leitlinien vorbereitet hat, der heute zur Abstimmung vorgesehen ist und
der sich auf derselben inhaltlichen Linie bewegt, die auch
die Bundesregierung vertritt und die wir am Samstag im
Europäischen Rat beschließen wollen .
Lieber Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, wir sind uns der Größe
der Aufgabe, vor allen Dingen auch ihrer Komplexheit
bewusst . Wir sind gut vorbereitet, aber es wird noch viel
Arbeit mit sich bringen . Unser Ziel ist es dabei, die Erfolgsgeschichte der Europäischen Union fortzuschreiben . Gut leben zu können in Deutschland und Europa,
das ist und bleibt das Ziel, das uns leitet . Wir wissen,
dass die Zeiten insgesamt fordernd sind . Viel zu ernst, zu
tiefgreifend, zu vielfältig sind die Krisen und Konflikte
in Europas unmittelbarer Nachbarschaft, zu groß auch
die globalen Herausforderungen von Flucht und Migration, von Hunger - wenn wir in diesen Tagen an Afrika
denken - und Not, zu groß sind die Herausforderungen
des Welthandels, des Klimaschutzes, als dass es sich Europa nun leisten könnte, sich in den kommenden beiden
Jahren nur mit sich selbst zu beschäftigen - Brexit hin
oder her .
Wir 27 wollen unsere Werte und Interessen auch in
Zukunft weltweit behaupten . Wir wollen das zum Wohle
der Bürgerinnen und Bürger unserer einzigartigen, großen Wertegemeinschaft tun . Es geht genau um sie, die
Bürgerinnen und Bürger, die zukünftig 450 Millionen
Unionsbürgerinnen und -bürger . Es geht um unser gemeinsames gutes Leben in Deutschland und Europa in
den kommenden Jahren und Jahrzehnten . Hierfür bitte
ich um Ihre Unterstützung .
({11})
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Sahra Wagenknecht für die Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Bundeskanzlerin, ich stimme Ihrer eingangs geäußerten Kritik an den aktuellen Entwicklungen in der Türkei natürlich zu . Aber ich muss schon sagen, dass ich mir
gewünscht hätte, dass Sie sich nur einmal dazu durchringen würden, klar und deutlich hier vor diesem Bundestag
zu sagen: Ich verurteile die aktuelle Verhaftungswelle in
der Türkei, und ich fordere Erdogan auf, den Tausenden
unschuldig im Gefängnis Sitzenden endlich die Freiheit
zurückzugeben . - Das wäre angemessen gewesen .
({0})
Das hätten wir gerne von Ihnen so gehört .
Für die Linke kann ich jedenfalls ganz klar sagen: Wir
fordern die Freilassung der Tausenden politischen Gefangenen, und wir halten es für absolut untragbar, dass
ungeachtet der Wandlung der Türkei in eine islamistische
Diktatur die EU-Beitrittsgespräche immer noch fortgeführt werden und Erdogan weiter mit deutschen Waffen
und Panzern hochgerüstet wird . Das ist Politik ohne Anstand und Moral, und eine solche Politik lehnen wir ab .
({1})
In Bezug auf Ihre EU-Politik finden wir die Gleichgültigkeit schon bemerkenswert, mit der die Bundesregierung daran mitwirkt, das Erbe der großen Gründerväter
Europas zu verspielen . Ein Ereignis nach dem nächsten
widerlegt Ihre Politik, jedes könnte ein Weckruf sein;
aber Sie machen ungerührt weiter, als ginge es um Nebensächlichkeiten . Aber die Zukunft Europas ist keine
Nebensache, und die großartige Idee eines in seiner Vielfalt und Unterschiedlichkeit geeinten Europas, in dem
nach Jahrhunderten der Zwietracht und blutiger Kriege
Völkerhass und Nationalismus nie wieder eine Chance
bekommen, war und ist aktuell,
({2})
und wir alle sollten uns ihr verpflichtet fühlen,
({3})
allerdings nicht mit hohlen Bekenntnissen, sondern mit
einer realen Politik, die den europäischen Zusammenhalt
stärkt, statt ihn immer weiter zu untergraben .
Schauen Sie sich die Ereignisse des zurückliegenden
Jahres an . Im Juni stimmte die Bevölkerung Großbritanniens für den Austritt aus der EU . Statt nur einen Moment
darüber nachzudenken, warum die EU so unpopulär geworden ist, dass derartige Entscheidungen möglich werden, feiern Sie auch heute wieder die EU als einzigartige
Erfolgsgeschichte . Da hat man wirklich manchmal das
Gefühl, man ist im falschen Film .
({4})
Europa droht der Verfall . In den meisten Ländern ist
die Arbeitslosigkeit höher und die Wachstumsraten sind
niedriger als vor der Einführung des Binnenmarktes,
die Mittelschicht hat akute Abstiegsängste, die Armut
wächst, und Sie reden von einer Erfolgsgeschichte . Trotz
Brexit-Unsicherheit hat sich die britische Wirtschaft im
letzten Halbjahr sogar noch besser entwickelt als der
Durchschnitt der Euro-Zone, aber das gibt Ihnen offenbar
noch nicht einmal zu denken .
In vielen Ländern ist die nationalistische Rechte auf
dem Vormarsch . Bei den Wahlen in den Niederlanden
erzielte Geert Wilders eines seiner besten Ergebnisse .
Die Sozialdemokratie wurde mit weniger als 6 Prozent in
die politische Bedeutungslosigkeit geschickt . Am letzten
Wochenende erreichte der Front National in Frankreich
das beste Ergebnis seiner Geschichte . 45 Prozent der Arbeiter haben Le Pen gewählt, die französische Sozialdemokratie wurde pulverisiert, und auch die Konservativen
haben es nicht einmal in die Stichwahl geschafft.
Aber all das ist offenbar kein Grund - selbst für die
SPD nicht -, an der EU-Erfolgsgeschichte zu zweifeln . Immerhin gibt es den smarten Investmentbanker
Emmanuel Macron, dessen stramm neoliberales Sozialabbauprogramm nicht nur die Börsianer feiern, sondern
auch eine ganz große Koalition in der deutschen Politik, die von Frau Merkel über Herrn Schulz bis zu Cem
Özdemir reicht .
({5})
Selbstverständlich ist Marine Le Pen unwählbar, aber
es waren Politiker wie Macron, die Le Pen stark gemacht
haben . Darauf hat auch der französische Intellektuelle
Didier Eribon hingewiesen. Ich finde, das sollte man bedenken, ehe man Macron als angeblich proeuropäischen
Politiker bejubelt .
({6})
Ich zumindest würde eine Politik, die belegbar den Nationalismus stärkt, nicht gerade als proeuropäisch bezeichnen .
({7})
Zurück zum Brexit: Statt jetzt wenigstens auf beiderseits vorteilhafte Regelungen zu drängen, unterstützen
Sie de facto den unverantwortlichen Kurs der EU-Kommission, den Austritt so abschreckend wie möglich zu
gestalten . Damit erweisen Sie nicht nur der deutschen
Wirtschaft einen Bärendienst, für die Großbritannien
immerhin ein wichtiger Markt ist, sondern Sie merken
offenbar auch gar nicht, dass sich die EU mit der Strategie, durch möglichst schlechte Austrittskonditionen potenzielle Nachahmer abzuschrecken, selbst ein Armutszeugnis ausstellt; denn wer glaubt, auf Einschüchterung
angewiesen zu sein, um den europäischen Zusammenhalt
zu sichern, der hat Europa längst aufgegeben .
({8})
„Europa wird sozial sein, oder es wird nicht sein .“
Davon war schon der französische Präsident Mitterrand
überzeugt . Tatsächlich ruhte die europäische Idee der
Nachkriegszeit auf zwei Fundamenten: Demokratie und
Sozialstaatlichkeit . Von beiden ist heute nicht mehr viel
übrig; denn beides wird durch die aktuellen EU-Verträge
nicht gefördert, sondern abgebaut und vielfach unmöglich gemacht . Immerhin wurden die Verträge doch extra
so verfasst, dass sie Länder daran hindern, sich gegen
Dumpingkonkurrenz - sei es bei den Löhnen, sei es bei
den Konzernsteuern - zur Wehr zu setzen .
Wirtschaftskämpfe unter europäischen Staaten würden der Idee der … Einheit Europas … so vollständig widersprechen, daß nur der Gedanke daran in
einem scharfen Gegensatz zu der großen Arbeit stehen würde, die für eine Einigung … geleistet wurde .
Es ist wirklich traurig, in welchem Grade die deutsche
Politik diese Einsicht Konrad Adenauers in den Wind geschrieben hat .
({9})
Denn seit in unserem Land die Agenda 2010 prekäre, mies bezahlte Jobs zum Boomen gebracht und einen
riesigen Niedriglohnsektor geschaffen hat, exportieren
wir eben nicht nur gute Autos und Maschinen, sondern
Fleisch, Nahrungsmittel und andere arbeitsintensive
Produkte, während die Importe wegen fehlender Kaufkraft weit hinter den Exporten zurückgeblieben sind .
Im Ergebnis sind die deutschen Überschüsse explodiert
und spiegelbildlich dazu natürlich die Defizite und die
Arbeitslosigkeit in anderen europäischen Staaten . Das ist
genau der unfaire Wirtschaftskampf, vor dem Adenauer
so eindringlich gewarnt hat .
({10})
Das heißt - ob Sie es verstehen oder nicht -: Was Sie da
machen, das ist antieuropäische Politik .
({11})
Gleiches gilt natürlich auch für das aggressive Steuerdumping, das Luxemburg und andere zu ihrem Geschäftsmodell gemacht haben . Solange sich in Europa
die fleißigsten Steuerhinterziehungshelfer für höchste
EU-Ämter empfehlen - siehe Herr Juncker - und die
Bundesregierung das auch noch unterstützt, so lange
wird sich daran wohl nichts ändern . Die EU droht auseinanderzufallen . Schuld daran sind nicht die Menschen,
die so abstimmen und so wählen, wie sie es tun; schuld
daran ist die Politik, die in Europa gemacht wird und für
die die Bundesregierung die Hauptverantwortung trägt .
({12})
Wer ein geeintes Europa will, der darf es eben nicht
zum Lohndrückerladen und zur Sozialkürzungsmaschine verkommen lassen . Dass ein Europa, in dem Brüsseler Lobbykraten oder auch deutsche Politiker immer
selbstherrlicher in andere Länder hineinregieren, viele
Menschen abstößt und nicht gewinnt, das sollte, finde
ich, niemanden wundern .
({13})
Deswegen schlagen wir anstelle Ihres Weiter-so drei
sofort umsetzbare Signale für eine soziale Wende in Europa vor:
({14})
Erstens. Beenden Sie den Ratifizierungsprozess des
CETA-Abkommens mit Kanada .
({15})
Dieses neoliberale Konzernschutzabkommen braucht in
Europa kein Mensch . Es wird nur die Standards noch
weiter absenken . Es wird aus gutem Grund von der
Mehrheit der europäischen Bevölkerung abgelehnt .
({16})
Zweitens . Stoppen Sie die unsozialen Kürzungsdiktate und das Lohndumping, und investieren Sie endlich in
die Zukunft des europäischen Kontinents, in gute Schulen und Arbeitsplätze, in umweltfreundliche Energie und
Infrastruktur . Nur so können wir die Menschen wieder
für Europa begeistern; denn dann spüren sie, dass es ihr
Leben verbessert und nicht ihre soziale Lage immer weiter verschlechtert .
({17})
Drittens . Machen Sie einen Vorstoß, die unsäglichen
EU-Verträge zu verändern, in denen die Freiheit des Kapitalverkehrs, also die Freiheit von Investmentbankern,
Steuerdieben und Geldwäschern, Vorrang vor sozialen
Rechten hat . Diese Verträge haben einen wesentlichen
Anteil daran, dass sich immer mehr Menschen von Europa abwenden .
({18})
Setzen Sie sich für ein neues europäisches Vertragswerk
ein, das Demokratie und Sozialstaat in den einzelnen
Mitgliedsländern absichert und nicht immer weiter untergräbt .
({19})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Europäerinnen
und Europäer haben ein Recht auf eine friedliche Zukunft ohne Aufrüstung und Kriegsabenteuer . Sie haben
ein Recht auf soziale Sicherheit, Wohlstand und Demokratie und auf ein Europa der guten Nachbarschaft ohne
deutsche Dominanz . Das war die europäische Idee der
Gründerväter Europas, und das ist das Europa, für das die
Linke sich einsetzt und engagiert, damit die europäische
Einigung am Ende vielleicht wirklich noch eine Erfolgsgeschichte werden kann .
({20})
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Oppermann,
der heute seinen Geburtstag feiert . Ich gratuliere ihm
herzlich im Namen des Hauses . Alles Gute!
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident . Das größte Geschenk für
mich ist allerdings nicht, dass ich an meinem Geburtstag
auf die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin antworten darf .
({0})
Das größte Geschenk ist, dass gestern Abend Borussia
Dortmund in einem großartigen Spiel 3 : 2 gegen Bayern
München gewonnen hat .
({1})
Das müssen Sie aber von der Redezeit abziehen, Herr
Präsident .
Ich werde dazu jetzt keine Abstimmung im Bundestag
herbeiführen .
({0})
Insofern empfehle ich, dass wir auf den eigentlichen Gegenstand der Debatte zurückkommen .
Das Ergebnis von gestern könnte man auch mit einer
Abstimmung nicht korrigieren .
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am vergangenen Sonntag hat Emmanuel Macron die erste Runde
der Präsidentschaftswahlen in Frankreich gewonnen .
Viele sind erleichtert über den Ausgang der Wahl . Nach
Österreich und den Niederlanden hat jetzt auch Frankreich die Chance, den Vormarsch der Rechten zu stoppen .
Deshalb drücken wir alle Macron die Daumen, dass er
auch in der zweiten Runde die Nase vorn hat .
({1})
Liebe Frau Wagenknecht, Sie haben es geschafft, in
einer zehnminütigen Rede über Europa nicht ein einziges
positives Wort über die Europäische Union zu verlieren .
({2})
Sie malen hier ein Krisenszenario und ignorieren, dass
die Euro-Zone im Augenblick dabei ist, sich wirtschaftlich zu stabilisieren .
({3})
Ihre Rede strotzte teilweise nur so von alternativen Fakten .
({4})
Trotzdem habe ich eine Bitte an Sie: Springen Sie über
Ihren eigenen Schatten . Reden Sie mit Ihren Freunden
von der Schwesterpartei in Frankreich; denn das sind die
Einzigen, die bisher nicht zur Wahl von Macron aufgerufen haben . Machen Sie das; sonst nehmen Sie billigend in
Kauf, dass die kommunistischen Wählerinnen und Wähler in Frankreich Frau Le Pen wählen . Das wollen Sie
doch ganz bestimmt nicht .
({5})
- Ich habe das nicht gehört . - Mir gibt das Ergebnis natürlich zu denken: In Frankreich haben es der linksradikale
Kandidat und die rechtsradikale Kandidatin geschafft,
dass 41 Prozent der Wähler klar gegen Europa votieren .
({6})
Ich finde, der Wahlausgang in Frankreich, aber auch
der Brexit zeigen: Wir müssen für ein vereintes Europa
kämpfen .
({7})
Richard von Weizsäcker hat einmal gesagt: Die Weimarer Demokratie ist eigentlich nicht daran zugrunde
gegangen, dass es zu früh zu viele Nazis gab, sondern
daran, dass es zu lange zu wenig Demokraten gab . - Das
gilt auch heute: Europa darf nicht daran scheitern, dass es
zu wenig überzeugte Europäer gibt .
({8})
Wenn Macron die Wahlen gewinnt, dann ist das auch
eine große Chance; denn es ist vielleicht die letzte Gelegenheit, die Mehrheit des französischen Volkes davon
zu überzeugen, dass ein solidarisches Europa gut für
Frankreich ist . Ein französisches Bekenntnis zu Europa
braucht auch deutsche Unterstützung .
({9})
Wir können nicht einfach nur mit dem erhobenen Zeigefinger sagen: Weiter so wie bisher. - Wir müssen die
Probleme in Europa anpacken . Wir müssen endlich für
mehr Investitionen und Wachstum sorgen,
({10})
die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen, ein soziales Europa schaffen, von dem nicht nur einige wenige, sondern
von dem alle Menschen profitieren.
({11})
Wenn wir weitere Austritte wie den Brexit verhindern
wollen, dann brauchen wir einen kraftvollen Neubeginn
in der Europapolitik . Auch die Präsidentschaftswahlen in
Frankreich haben gezeigt, wie gespalten viele westliche
Länder in diesen Tagen sind . In der Türkei, in den USA,
in Polen und in Großbritannien zieht sich die Spaltung
quer durch die Gesellschaft . Wir in Deutschland blicken
bisweilen mit Fassungslosigkeit auf die Mehrheitsentscheidungen in diesen Ländern . Wir können uns nicht
in demokratische Wahlen einmischen . Aber wir können
diejenigen unterstützen, die die europäischen Werte verteidigen, die für die Demokratie kämpfen, die zur europäischen Einheit stehen . Ihnen müssen wir zeigen, dass
wir an ihrer Seite stehen .
({12})
In Großbritannien sind es vor allem die Jüngeren . Es
ist die jüngere Generation, die sich ihr Land weiterhin in
der Europäischen Union gewünscht hätte . Gerade diesen
jungen Briten sind wir es schuldig, dass wir in den kommenden zwei Jahren mit Großbritannien fair verhandeln .
Aber ebenso klar ist auch: Wir werden keine Sonderbehandlung zulassen . Die EU ist eine Solidargemeinschaft
mit Rechten und Pflichten. Wer austritt, kann nicht nur
die Vorteile mitnehmen; das muss klar sein . Sonst leisten
wir Beihilfe zum Zerfall der Europäischen Union .
({13})
Ich freue mich, Frau Bundeskanzlerin, dass wir, was
die Brexit-Verhandlungsstrategie betrifft, wirklich Einvernehmen in der Koalition haben . Um die wirtschaftlichen Beziehungen mit Großbritannien zu regeln, wird
ein Handelsabkommen notwendig sein . Da bitte ich die
Bundesregierung, Lehren aus unserem Abkommen mit
Kanada zu ziehen: Es darf kein Handelsabkommen geben, das ohne demokratische Kontrolle, ohne ordentliche
Gerichtsbarkeit und ohne ökologische und soziale Standards daherkommt .
({14})
Meine Damen und Herren, vor einer Woche hat sich
die Türkei mit einer knappen Mehrheit gegen die parlamentarische Demokratie und für ein autoritäres Präsidialsystem entschieden . Es ist bitter, dass die demokratische Opposition das Referendum so knapp verloren hat .
Aber eines finde ich großartig und mutig: dass sich trotz
aller Drohungen und Einschüchterungen, trotz aller willkürlichen Verhaftungen, trotz einer geknebelten Presse
23 Millionen Türkinnen und Türken für die Demokratie
entschieden haben .
({15})
Diese Menschen sind die Hoffnung der Türkei. Wir dürfen diese Menschen nicht alleine lassen .
Einige hofften, nach dem Referendum werde es besser, Erdogan werde sich mäßigen . Der gestrige Tag - mit
der Inhaftierung von 1 000 angeblichen Staatsfeinden hat gezeigt: Nichts wird besser . Es ist falsch, Erdogan
in dieser Situation das Gefühl zu vermitteln, dass wir
einfach teilnahmslos zusehen . Die türkische Regierung
hat Forderungen und Interessen . Sie hat Forderungen
an Deutschland und an die Europäische Union . Sie will
Visaerleichterungen . Sie will Wirtschaftshilfen . Sie will
eine Vertiefung der Zollunion . Wir müssen in dieser Situation ganz deutlich machen - das ist auch mein Appell
an die Bundesregierung -: Zugeständnisse wird es nur
geben, wenn Zug um Zug die inhaftierten Journalisten
und die politischen Gefangenen freigelassen werden,
({16})
wenn Zug um Zug die Demokratie und die politischen
Freiheiten wieder in Kraft gesetzt werden . Europa darf
Autokraten gegenüber nicht wie ein zahnloser Tiger erscheinen .
({17})
Nun fordern einige das sofortige Ende der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei . Ich höre diese Forderungen in
bemerkenswerter Allianz, von Manfred Weber, CSU,
bis zu Sahra Wagenknecht, Linke . Ich kann mich da nur
wundern . Denn das ist doch genau das, worauf Erdogan
wartet: dass er die Schuld für den Abbruch der Verhandlungen den Europäern in die Schuhe schieben kann .
({18})
Natürlich ist klar: Wenn es in der Türkei zur Einführung der Todesstrafe kommt, dann sind die Verhandlungen automatisch beendet. Aber ich finde, diese Verantwortung vor seinem Volk muss Erdogan schon selbst
übernehmen . Wir sollten klarmachen, Kollege Kauder da wünsche ich mir ein gemeinsames, kraftvolles Bekenntnis der gesamten Koalition -: Nicht wir schlagen
der Türkei die Tür zu Europa zu, sondern es ist allein
Erdogan, der sein Land systematisch von der EU und den
europäischen Werten wegführt .
({19})
63 Prozent der türkischen Staatsangehörigen, die in
Deutschland an dem Referendum teilgenommen haben,
haben sich für die Abschaffung der parlamentarischen
Demokratie ausgesprochen . Das ist zweifellos ein deprimierender Befund . Es gibt nun aber Stimmen auch aus
Ihren Reihen, Frau Merkel und Kollege Kauder, die eine
Abschaffung der doppelten Staatsangehörigkeit fordern,
allen voran Ihr neuer Schatteninnenminister Joachim
Herrmann. Ich frage aber alle, die eine Optionspflicht
jetzt wieder einführen wollen: Glauben Sie wirklich, dass
nur ein einziger Türke bei dem Referendum anders abgestimmt hätte, wenn wir ihm den deutschen Pass weggenommen hätten?
({20})
Wollen Sie wirklich deutsch-türkische Kinder und Jugendliche mit dem Entzug des deutschen Passes und damit der Staatsangehörigkeit dafür bestrafen, weil ein Teil
ihrer Eltern jetzt für Erdogan gestimmt hat? Ich glaube,
das wäre der falsche Weg .
Wir haben in dieser Koalition die doppelte Staatsangehörigkeit für in Deutschland geborene Kinder eingeführt . Wir wollen diesen jungen Menschen zeigen: Ihr
gehört zu uns, und zwar auch dann, wenn eure Eltern
und Großeltern aus einem anderen Land kommen und ihr
diese Verbindung nicht ganz abbrechen wollt . Wer jetzt
die Rückkehr zur Optionspflicht fordert, der signalisiert
diesen jungen Menschen: Ihr gehört doch nicht dazu, ihr
seid keine richtigen Deutschen . Ich sage in aller Klarheit: Wer in diese trübe Vergangenheit zurück will, der
wird auf den entschiedenen Widerstand meiner Fraktion
stoßen .
({21})
Wir werden nicht zulassen, dass jetzt auf dem Rücken
dieser jungen Menschen Wahlkampf um die Stimmen am
rechten Rand betrieben wird .
({22})
Frau Merkel, wir haben die doppelte Staatsangehörigkeit in dieser Koalition gemeinsam beschlossen . Ich
erwarte von Ihnen eine klare Aussage, ob Sie noch immer
zu diesem Beschluss stehen .
Meine Damen und Herren, in dieser Woche hat der israelische Ministerpräsident Netanjahu sein geplantes Gespräch mit Außenminister Sigmar Gabriel abgesagt . Das
ist sehr bedauerlich . Ich danke Sigmar Gabriel ausdrücklich dafür, dass er die Diskussionsrunde mit kritischen
Nichtregierungsorganisationen trotz des politischen
Drucks nicht abgesagt hat . Solche Gespräche sind fester Bestandteil der deutschen Außenpolitik . Deutschland
trägt eine besondere Verantwortung für die Sicherheit Israels . Unsere beiden Länder verbindet eine tiefe Freundschaft, die vor allen Dingen auf gemeinsamen Werten
beruht . Freundschaft bewährt sich gerade da, wo man
unterschiedlicher Meinung ist . Deutschland wird auch in
Zukunft an der Seite Israels stehen .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({23})
Katrin Göring-Eckardt ist die nächste Rednerin für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Auf meinem Pass steht ganz oben „Europäische
Union“ und darunter „Bundesrepublik Deutschland“ .
({0})
Leider steht nicht „Thüringen“ darauf, aber das muss ich
verschmerzen . Dieser Reisepass ist ein Symbol dessen,
was wir der EU zu verdanken haben, was ich ihr zu verdanken habe: Mauerfall, Freiheit, Grenzen überwinden .
Dieser Pass sagt: Du bist Bürgerin der Europäischen Union, du lebst in Frieden und Freiheit, und du kannst fast
überall hinreisen . Wir haben gemeinsam Standards erarbeitet, Standards für Klimaschutz und Umweltschutz,
und zwar im Rahmen der Europäischen Union . Das gilt
genauso für sozialen Fortschritt, Gleichberechtigung,
Datenschutz .
Jetzt haben sich 53 Prozent der Britinnen und Briten
dafür entschieden, nicht mehr Teil dieser Union zu sein .
Das ist ein Drama . Das ist aber auch Auftrag: Auftrag,
uns Gedanken zu machen über das Warum und über das
Wie .
({1})
Jetzt, Frau Merkel, geht es um das Verhandeln des Brexits . Jetzt muss sich zeigen: Geht es um Größe oder um
Kleinmut? Jetzt muss sich zeigen: Sind Sie bei denen,
die Sonntag für Sonntag im Rahmen von Pulse of Europe
auf die Straße gehen und leidenschaftlich für die Europäische Union, für dieses gemeinsame Europa, streiten,
oder landen Sie doch wieder beim Kleinmut und beim
ausschließlichen Vertreten der Lobbyinteressen von
deutschen Konzernen und von deutscher Politik? Diese
Entscheidung steht jetzt an .
({2})
Sie haben zu Recht gesagt: Die Probleme sind groß . Ja, in der Tat . Aber welche Rolle spielen wir eigentlich
in Deutschland? Wir haben es gerade wieder erlebt . In
dieser Woche ist deutlich geworden: Sie torpedieren in
der EU eine stärkere Kontrolle der Abgastrickser, Sie torpedieren, dass es eine unabhängige Kontrolle in Deutschland und in der Europäischen Union gibt .
Wenn man sich den Dieselskandal und die Verantwortung der deutschen Autokonzerne anschaut, dann liegt
es doch erst recht in Ihrer Verantwortung für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, aber auch für das
große Ganze der Europäischen Union zu sagen: Selbstverständlich verschärfen wir die Regeln, und selbstverständlich machen wir das gemeinsam . Die Autokonzerne
in Deutschland haben nur dann eine Chance, wenn das
gelingt,
({3})
und wir haben nur dann eine Chance, wenn wir das europäisch gemeinsam machen .
({4})
Man kann sich das weiter anschauen: Sie torpedieren
weiterhin das Stopfen von Steuerschlupflöchern und verbieten nicht das Ausbringen des giftigen Glyphosats auf
die Felder, das am Schluss in unserem Essen landet und
unsere Gesundheit gefährdet .
Frau Merkel, Sie haben hier sehr viel darüber geredet,
was wir in Europa gemeinsam machen müssen . Sie müssen dann auch deutlich sagen: Uns ist dieses gemeinsame
Europa wichtiger als die Partikular- und Lobbyinteressen innerhalb Deutschlands . Darum muss es jetzt gehen,
wenn dieses gemeinsame Europa Anziehungskraft für
alle und nicht nur für die Starken haben soll, sodass man
nicht mehr mit dem Finger auf Deutschland zeigen kann,
nach dem Motto: Die machen doch nur ihres . Nein, für
uns muss klar sein: Wir müssen doch europäischer sein
als alle anderen, weil wir so stark sind .
({5})
Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, wie es den
Briten geht, die in Deutschland leben, und wie es den
Deutschen geht, die derzeit in Großbritannien leben . Sagen Sie ihnen sehr schnell zu - und nicht nur mit wohlfeilen Worten -, was sie zu erwarten haben: unsere Solidarität .
Bei den Brexit-Verhandlungen kommt es aus unserer
Sicht auf drei große Dinge an:
Erstens. Geben Sie den direkt betroffenen Familien
noch in diesem Sommer Sicherheit . Sicherheit heißt zum
Beispiel Doppelpass .
({6})
Zweitens . Halten Sie den Binnenmarkt zusammen,
und opfern Sie die Personenfreizügigkeit am Ende nicht
doch noch dem Populismus . Darauf wird es ankommen .
Das wird in diesen Tagen das Zeichen für Europa sein .
Drittens . Stellen Sie vor allem endlich die vermeintlichen Interessen, die wir Deutschen und die deutschen
Konzerne in Einzelfällen haben, hinter das Gemeinwohl
des großen Ganzen . Was gut für Deutschland ist, kann in
Zukunft nur noch das sein, was gut für das gemeinsame
Europa ist .
({7})
Wir wollen, dass von diesen Verhandlungen ein klares Signal ausgeht . Dieses klare Signal muss lauten: Wir
brauchen eine Bundesregierung, die endlich wieder in
und für Europa kämpft - für eine Klimaschutzpolitik, die
ehrlich und mutig ist, für eine Agrarpolitik, die das gesunde Essen in den Mittelpunkt stellt, und gegen Jugendarbeitslosigkeit . Es muss egal sein, ob der Jugendliche
aus der Pariser Vorstadt, aus Ostdeutschland oder aus der
griechischen Provinz kommt . Sie alle sind unsere europäischen Jugendlichen, für die wir alle gleichermaßen
eine gemeinsame Verantwortung haben .
({8})
Kämpfen Sie also für die Anziehungskraft dieses Europas und für eine souveräne EU, die sozial stark ist, die
ökonomisch stark ist und die ökologisch stark ist . Alle
Anfeindungen, die wir im Moment von Trump aus den
Vereinigten Staaten erleben, zeigen doch: Wir müssen
als Europa gemeinsam stärker werden und unsere Werte
und diese Politik, die uns stark gemacht hat, voranstellen, und wir dürfen uns nicht selber auf Partikularinteressen und nationalstaatliche Interessen zurückziehen . Nur
dann werden wir auch diese Auseinandersetzung für die
Demokratie, für das Gemeinsame und für die Solidarität
bestehen . Das müssen wir jetzt leisten .
Ich möchte nicht, dass in Europa am Ende die Nationalstaatlichkeiten wieder wichtiger und wir schwächer
sind - auch gegenüber einem amerikanischen Präsidenten, dem es vollkommen egal ist, ob hier eine starke EU
ist und ob der Klimaschutz funktioniert, und dem am
Ende auch die Solidarität vollkommen egal ist .
({9})
Ja, Sie könnten es sich anschauen: Man kann mit einem proeuropäischen Kurs Wahlen gewinnen . Das haben
wir in Österreich mit der Wahl von Alexander Van der
Bellen gesehen. Jetzt hoffen wir in Frankreich auf Herrn
Macron . Frau Wagenknecht, bei der Wahl zwischen
Macron und der rechtsextremen Marine Le Pen muss
es doch für Demokratinnen und Demokraten selbstverständlich sein, auf welcher Seite sie stehen .
({10})
Man kann sich doch heute nicht hinstellen und sagen:
Herr Macron ist irgendwie kein Linker . - Deswegen riskieren wir, dass die Anhänger von Herrn Mélenchon in
Frankreich Marine Le Pen wählen .
({11})
Ich erwarte von Ihnen, ich erwarte von jedem Demokraten in diesem Land, dass, wenn auf der einen Seite
Hass, Hetze und Spaltung stehen und auf der anderen
Seite Demokratie, Sie sich für die Demokratie entscheiden. Alle anderen in diesem Hause werden das hoffentlich tun, meine Damen und Herren .
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Mittelmeer riskieren täglich Tausende von Menschen ihr Leben . Sie
wollen den Weg nach Europa finden: für ein besseres Leben in Frieden, in Wohlstand, in Freiheit, vielleicht auch
dafür, dass irgendwann oben auf ihrem Pass „Europäische Union“ steht .
In diesem Jahr sind bereits dreimal so viele Menschen ums Leben gekommen wie Anfang des letzten
Jahres . Ist das 2017 eigentlich die Europäische Union,
wie wir sie uns vorstellen? Erst vor wenigen Tagen sind
16 Menschen vor Lesbos ertrunken . Ist Ihnen auch egal,
was vor zwei Jahren noch alle erschüttert hat und worüber wir fast jede Woche eine Debatte geführt haben?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Europa, das seine
Werte und seinen Zusammenhalt verteidigen sowie für
Menschlichkeit stehen will, in diesen Tagen nicht mehr
dafür tut, dass die Seenotrettung funktioniert, nicht mehr
dafür tut, dass es einen europäischen Verteilungsmechanismus gibt, nicht endlich mehr dafür tut, dass die Länder
Italien und Griechenland bei der Aufnahme von Flüchtlingen unterstützt werden .
Meine Damen und Herren, wenn wir dieses gemeinsame Europa wollen, dann heißt das, dass Humanität auch
an seinen Außengrenzen selbstverständlich sein muss .
Ein gemeinsames Europa heißt Menschlichkeit und heißt
auf der anderen Seite auch Sachlichkeit bei der Verteilung der Flüchtlinge . Ich kann nicht verstehen, dass es
der Papst sein muss, der Herrn Orban und andere dafür
kritisiert, wie die Flüchtlinge in Europa untergebracht
werden, und dass Sie mit Herrn Orban noch nicht einmal
darüber reden - er gehört zu Ihrer Parteifamilie -, dass es
nicht geht, dass die Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen . Wenn wir ein gemeinsames Europa wollen, dann ein menschliches Europa,
meine Damen und Herren .
({13})
Es freut mich natürlich sehr, dass Sie heute ein paar
Worte über die Türkei gefunden haben . Auch wir sind
für eine unabhängige Untersuchung der Wahlen . Ich hätte mir aber noch mehr gewünscht, dass Sie früher etwas
gesagt hätten, dass Sie schon vor dem Referendum klar
Stellung bezogen hätten . Jetzt sind wir in einer Situation, in der wir klar sagen müssen: Nein, wir werden
keine Verhandlungen oder Gespräche abbrechen; das ist
Quatsch . Die Verhandlungen zum Beitritt liegen auf Eis;
das weiß jeder . Darüber muss man nicht reden .
Aber man muss sehr klare Forderungen stellen . Man
muss auch selbst klar handeln . Es kann doch nicht sein,
dass wir weiterhin Rüstungsgüter in die Türkei exportieren .
({14})
Dieses Land führt Krieg gegen die eigene Bevölkerung .
Wenn man Klarheit haben will, so wie Sie es gesagt haben, Frau Merkel, gehört das dazu .
Es kann auch nicht sein, dass wir uns weiter mit dem
Flüchtlingsdeal von Herrn Erdogan abhängig machen . Es
kann auch nicht sein, dass wir nicht klar und deutlich benennen, was dort gerade passiert . Dialog heißt eben auch
Klarheit und heißt nicht Kriechen, wenn es uns am Ende
doch besser passt .
({15})
Meine Damen und Herren, der Reisepass ist der
Schlüssel für die Freiheit, um in andere Länder zu reisen .
Er ist natürlich ein Ausweis von Demokratie . Ich frage
mich manchmal, wie es gewesen wäre, wenn ich in dem
Land weitergelebt hätte, in dem ich geboren bin und das
es zum Glück nicht mehr gibt, was da heute auf dem Pass
stehen würde .
({16})
Es wäre jedenfalls kein Pass, der verbunden wäre mit
Frieden, Freiheit und Einigung . Wenn wir mutig genug
sind und wenn wir die Vision verwirklichen wollen, die
wir heute auf der Straße erleben, dann wird es vielleicht
eines Tages so sein, dass wir nicht mehr darüber diskutieren müssen, ob Herr Özil die Nationalhymne mitsingt .
({17})
Frau Kollegin .
Vielleicht wird es eines Tages so sein, dass auf unseren Pässen und auf denen unserer Kinder „Europäische
Union“ steht und Punkt . Dann kann man gerne Deutsche
sein oder Thüringerin und darauf auch stolz sein, aber
das eigentlich Verbindende muss das Europäische sein .
Das muss die Europäische Union mit ihren Werten, ihrer
Menschlichkeit, ihrer Solidarität und ihrem ökonomischen und ökologischen Erfolg sein, meine Damen und
Herren .
Vielen Dank .
({0})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Volker Kauder
das Wort .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ja, es war für Europa keine gute Entscheidung, dass man im Vereinigten Königreich eine Mehrheit
für den Austritt aus Europa bekommen hat .
({0})
Aber es war eine schöne Demonstration der Geschlossenheit, dass die 27 sich nicht haben hinreißen lassen,
einzelne Abmachungen anzukündigen, sondern gesagt
haben: Wir wollen gemeinsam die Verhandlungen mit
Großbritannien führen und gemeinsam dafür sorgen,
dass die Standards auch eingehalten werden müssen .
So hat der Brexit bisher dazu geführt, dass die verbleibenden 27 zu einer Geschlossenheit gekommen sind, die
wir in der Vergangenheit immer wieder vermisst haben,
liebe Kolleginnen und Kollegen .
({1})
Deswegen ist es auch richtig, dass am kommenden Samstag der Versuch unternommen wird, gemeinsame Richtlinien für die Verhandlungen zu finden.
Als Erstes - das ist ja wohl völlig klar - muss deutlich
werden, dass es einen Unterschied bedeutet, ob man Mitglied der EU ist oder nicht . Und dann muss auch deutlich
werden, welche Konsequenzen dies hat . Darüber wird
nun auch im Detail gesprochen, und es werden schwierige Verhandlungen .
Aber genau das, was Großbritannien versucht, nämlich die Zukunft der Beziehungen zwischen der EU und
Großbritannien mit den Austrittsverhandlungen zu vermischen, darf nicht geschehen . Es muss zunächst einmal
klar sein, welche Konsequenzen der Brexit hat, und dann
reden wir miteinander darüber, wie die Zusammenarbeit
in Zukunft aussehen soll .
({2})
Natürlich - die Bundeskanzlerin hat darauf hingewiesen - ist es zwingend, dass auch bei diesen Verhandlungen der Deutsche Bundestag beteiligt wird . Darauf sind
wir - das können wir der Bundesregierung auch zusagen - vorbereitet . Auch in der Zeit der Sommerpause,
wo wir im Deutschen Bundestag keine regelmäßigen
Sitzungen haben, sind wir jederzeit in der Lage, zusammenzukommen, wenn es notwendig ist, um über Fragen
zu sprechen, die im Zusammenhang mit den Brexit-Verhandlungen stehen . Der Deutsche Bundestag ist bereit,
sich an diesen Verhandlungen zu beteiligen und sich auch
entsprechend einzubringen . Dem dient auch der Antrag,
den die Koalitionsfraktionen heute vorgelegt haben, in
dem deutlich wird, wo wir die Prämissen sehen .
Ein zentrales Ziel - und wir erwarten, dass dies in
den Verhandlungen deutlich wird - ist für uns, dass in
allen Fragen, die mit den Verhandlungen und dem daraus folgenden Vertrag in Zusammenhang stehen, auch in
Zukunft der Europäische Gerichtshof zuständig ist, statt,
wie die Briten meinen, irgendeine Sonderform . Das muss
von Anfang an deutlich werden: Die Rechtskontrolle für
die Konsequenzen findet auch in Zukunft beim Europäischen Gerichtshof statt und nicht vor irgendeinem britischen Gericht, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({3})
Natürlich muss eine Antwort auf die Frage gegeben
werden: Wie können wir Europa wieder attraktiver machen? Um diese Frage wirklich beantworten zu können,
kann man aber nicht eine eigene Ideologie vortragen,
sondern muss sich einmal fragen: Was war der entscheidende Grund, der zu der Entscheidung für den Brexit geführt hat?
Das war die Freizügigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen . In Großbritannien wurde wegen der 600 000 Polen, die dort arbeiten, eine entsprechende Diskussion
begonnen . Da kann ich, an Großbritannien gewandt, nur
sagen: Es wird keine besonders gute Zusammenarbeit im
wirtschaftlichen Bereich geben, wenn die Personenfreizügigkeit nicht auch in Zukunft eingehalten wird .
({4})
Über diesen ganz zentralen Punkt ist gestritten worden - nicht über Klimaschutz und sonstige Fragen . Wir
sollten die Verhandlungen nicht mit etwas belasten, was
gar nicht Gegenstand war . Gegenstand war die Personenfreizügigkeit . Auf diese werden wir auch in Zukunft nicht
verzichten können; denn sie ist ein wesentliches Element
des freien Europas, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({5})
Ich glaube, dass es nicht um solche Detailfragen geht um das auch einmal deutlich zu machen: der Diesel hat
beim Brexit nun wirklich keine Rolle gespielt -,
({6})
sondern dass wir uns im Zusammenhang mit dem, was
da geschehen ist, in Europa wieder auf einen wichtigen
Grundsatz besinnen müssen . Frau Bundeskanzlerin, wir
müssen in Europa einmal darüber sprechen: Was soll in
Zukunft Europa leisten, und was können genauso gut die
Nationalstaaten leisten?
({7})
An dieser Stelle muss ich schon noch einmal auf Folgendes hinweisen: Es gibt Aufgaben, die der Nationalstaat nicht alleine bewältigen kann, weil sie für ihn zu
groß sind . Es gibt aber auch Aufgaben, die der Nationalstaat übernehmen kann . Die Sicherung der Außengrenze
ist eine Aufgabe für Europa, die Festlegung von Vogelschutzgebieten aber nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({8})
Darüber muss jetzt einmal eine Einigung erzielt werden .
({9})
Wir brauchen also im Zusammenhang mit den Verhandlungen mit Großbritannien eine Aufgabenkritik . Es
kann nicht sein, dass sich Europa immer mehr auf kleine Dinge konzentriert und dafür einen Haufen Personal
braucht, aber die wirklich große Aufgabe der Sicherung
unserer Außengrenze bis zum heutigen Tag noch nicht
zufriedenstellend geregelt ist .
({10})
Die Zukunft von Europa wird sich daran entscheiden,
ob man erkennt, dass man für die Aufgaben, die man selber nicht erledigen kann, eine Einrichtung hat, nämlich
Europa .
({11})
Zweitens . Frau Kollegin Göring-Eckardt, ich bin ja
sehr Ihrer Meinung . In der Tat müssen wir in Europa gerade einer jungen Generation Perspektiven geben . Was
soll eine junge Generation von Europa halten, wenn die
Antwort Jugendarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit
ist? Ich bin aber nicht bereit, zu akzeptieren, dass man
dann hier erklärt, dafür trage Europa die Verantwortung .
({12})
Europa trägt eine Verantwortung dafür, dass bestimmte Standards, die wir miteinander formuliert haben, nicht
eingehalten werden - beispielsweise, dass Haushaltsdisziplin aus politischen Gründen nicht eingefordert wird .
Dafür trägt Europa Verantwortung .
({13})
Europa trägt aber keine Verantwortung für die Dinge, bei
denen sich die Nationalstaaten ihre eigene Zuständigkeit
vorbehalten haben .
Ich will noch einmal auf meine Grundsatzthese zurückkommen . Dort, wo die Dinge groß sind und Europa
handeln muss, trägt Europa die Verantwortung . Wenn wir
gemeinsam vereinbart haben, dass es Bereiche gibt, für
die der Nationalstaat zuständig ist, darf man dafür aber
auch nicht Europa die Verantwortung geben, sondern
muss im Nationalstaat mahnen: Ihr müsst bestimmte Reformen auch umsetzen . - Dass es bei uns in Deutschland
so gut funktioniert, hat doch damit zu tun, dass wir Reformen durchgeführt haben, die andere europäische Länder nicht gemacht haben . Man muss immer wieder darauf
verweisen, dass solche Reformen zwingend notwendig
sind .
({14})
Wenn am kommenden Samstag der europäische Gipfel in Brüssel stattfindet, wird über die eine oder andere wichtige Frage - weil nicht 28 europäische Länder
zusammenkommen - nicht beraten werden können;
die Bundeskanzlerin hat das bereits angesprochen . Ich
halte es aber für zwingend erforderlich, Frau Bundeskanzlerin, dass man im Europa der 28 recht schnell zusammenkommt, um eine gemeinsame Antwort auf die
Situation in der Türkei zu finden. Wir alle wissen, dass
Entscheidungen über die Verhandlungen mit der Türkei
einstimmig gefällt werden müssen . Wenn nun Kolleginnen und Kollegen sagen: „Nicht mit erhobenem Zeigefinger!“, dann kann ich nur erwidern, lieber Herr Kollege
Oppermann: Richtig, aber dann sollten wir auch nicht
ständig von Deutschland aus öffentlich Ratschläge zum
Umgang mit der Türkei geben, bevor wir im Kreis der 28
nicht gemeinsame Grundsätze vereinbart haben . Wenn
der Zeigefinger im Zusammenhang mit den Verhandlungen mit der Türkei nicht erhoben werden soll, dann sollte
er auch hier nicht erhoben werden .
Ich kann nur raten, relativ rasch eine gemeinsame
Antwort zu geben . Einen Menschen wie Herrn Erdogan
überzeugt nur eines: wenn er auf eine geschlossene Position trifft. Wenn er aber den Eindruck hat, dass er die einzelnen Mitglieder in Europa auseinanderdividieren kann,
dann ist das für ihn kein Zeichen der Stärke . Deswegen
halte ich die Position der Bundeskanzlerin für richtig,
rasch zu einer gemeinsamen Position der 28 in Europa
gegenüber der Türkei zu kommen .
({15})
Politik beginnt bekanntlich mit dem Betrachten der
Wirklichkeit .
({16})
Manchmal habe ich den Eindruck, dass nicht jeder weiß,
dass das so ist . Aber tatsächlich beginnt sie mit dem Betrachten der Wirklichkeit .
({17})
- Bei Ihnen ist das Bewusstsein für die Wirklichkeit
durch Ideologie so verdrängt, dass ich mit Ihnen darüber
gar nicht rede .
({18})
Ein Teil unserer politischen Wirklichkeit ist die Herausforderung durch den islamistischen Terror . Wir sind
uns alle doch darüber im Klaren, dass die Bekämpfung
dieses Terrors weder ein Nationalstaat in Europa noch
Gesamteuropa leisten können . Vielmehr brauchen wir
mehr Anstrengungen . Da ist die NATO ein wesentlicher
Teil . Wir haben ein Interesse daran, dass die Briten auch
in Zukunft ihren wichtigen Beitrag zur NATO leisten;
das wird in den Verhandlungen eine Rolle spielen . Aber
es ist auch Tatsache - ich bin gespannt, ob jemand daran etwas ändern will -, dass die Türkei NATO-Mitglied
ist . Denjenigen, die sich hier an dieses Rednerpult stellen und sagen: „Das, was für alle NATO-Mitglieder gilt,
nämlich dass wir in Rüstungsfragen zusammenarbeiten,
gilt für die Türkei nicht mehr“, kann ich nur sagen: Einen
größeren Unsinn über die NATO kann man nicht erzählen als mit diesem Satz .
({19})
Wir müssen mit der Türkei natürlich darüber reden, wie
es dort zugeht . Aber gleichzeitig kann man der Türkei
nicht sagen: In der NATO gibt es Mitglieder erster und
zweiter Klasse . - So werden wir den Kampf gegen den
IS nicht gewinnen .
({20})
Herr Kollege Kauder, darf die Kollegin Hänsel eine
Zwischenfrage stellen?
Nein, die Kollegin Hänsel nicht .
({0})
Wir haben also eine Reihe von großen Herausforderungen vor uns, deren Bewältigung und das, was jetzt in
Europa gemacht wird, über das Leben unserer Bürgerinnen und Bürger und über unseren Wohlstand entscheiden . Da kann ich nur mahnen: Redet nicht zu kleinkariert über einzelne Themen! Macht Europa nicht kleiner,
sondern reden wir über die großen Herausforderungen,
die Europa bewältigen muss . Wenn Europa die besteht,
dann bekommt Europa auch wieder Zustimmung . Wenn
Europa aber die großen Herausforderungen nicht besteht
und sich in kleinlichen, ständig neuen Regularien und
Gesetzesvorhaben erschöpft, dann wird dieses Europa
keine gute Zukunft haben .
({1})
Die Kollegin Hänsel bekommt jetzt die Möglichkeit
zu einer Kurzintervention . Bitte schön, Frau Hänsel .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Herr Kauder, ich musste zu diesem Mittel greifen, weil das, was Sie hier bezüglich der Rüstungsexportpolitik gegenüber der Türkei
erzählt haben, wirklich hanebüchener Unsinn ist . Sie
haben hier unsere Position angegriffen und gesagt, Ihr
Ziel sei der Kampf gegen den islamistischen Terror . Das
CDU-geführte Innenministerium hat uns im letzten Jahr
geantwortet, dass die Türkei eine Drehscheibe für Unterstützergruppen des islamistischen Terrors ist . Dennoch
argumentieren Sie hier, weil die Türkei in der NATO sei,
brauche sie trotzdem weiterhin Waffen? Wir halten es
für völlig unverantwortlich, ein Land, das nachweislich
islamistische Terrorgruppen unterstützt, auch noch mit
deutschen Waffen auszustatten. Dazu hätte ich gerne eine
Stellungnahme von Ihnen .
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Barley .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Gäste! Trotz meiner knappen Redezeit möchte
ich die Gelegenheit ganz kurz dazu nutzen, der Kollegin
Dorothee Schlegel zum Geburtstag zu gratulieren . Sie ist
nämlich eine besonders engagierte Europäerin aus unserem Hause .
({0})
Der Tag des britischen Referendums war definitiv
eine Niederlage für die europäische Idee . Ich glaube, darin sind wir uns alle einig . Es lohnt sich aber dennoch,
einmal zu schauen: Warum ist es dazu gekommen? Wie
ist es dazu gekommen?
Ich will Ihnen gerne eine Erfahrung aus meinem persönlichen Bereich schildern . Die meisten hier wissen
wahrscheinlich inzwischen, dass ich auch die britische
Staatsangehörigkeit habe .
({1})
Weil in Großbritannien ebenso wie sonst in Europa niemand vorher absehen konnte, was der Brexit ganz konkret bedeutet, habe ich mir in meiner Eigenschaft als britische Staatsangehörige erlaubt, in der britischen Presse
die Anregung zu unterbreiten, ob man nicht erst einmal
verhandelt und dann, wenn man das Verhandlungsergebnis absehen kann, ein neues Referendum durchführt . Die
Reaktionen, die ich darauf aus Großbritannien bekommen habe, waren wie folgt: Es gab natürlich vereinzelt
Zustimmung, aber ich habe vor allen Dingen einen wahnsinnigen Shitstorm bekommen .
Wenn man diesen liest, wird einem klarer, was in Europa eigentlich los ist . Ich glaube, wir müssen das ernst
nehmen, weil das nicht nur in Großbritannien so ist, sondern auch in anderen Staaten der Europäischen Union .
Da werden ganz viele Fehlinformationen weitergetragen,
da werden Vorurteile bestätigt . Ein Satz hat mich aber besonders beeindruckt: Wir haben Deutschland doch nicht
militärisch besiegt, um uns jetzt wirtschaftlich über den
Tisch ziehen zu lassen . - Das war ein Motiv, das immer
wieder kam .
Ich will jetzt nicht sagen, dass das stimmt . Ich will nur
sagen: Die Wahrnehmung bei viel zu vielen Menschen
ist, dass diese Europäische Union nicht für sie da ist, dass
das ein Projekt ist, bei dem es um andere geht, bei dem es
um Staaten, um Besserverdienende, um Wirtschaft geht,
aber bei dem es nicht um ihre Interessen geht .
Deswegen ist unsere wichtigste Aufgabe, das Vertrauen der Menschen in die Europäische Union wiederherzustellen . Dafür ist entscheidend, dass unsere
eigenen Politiker und Minister nicht wie Schulmeister
durch die Europäische Union gehen und Hausaufgaben
und Noten an andere Mitgliedstaaten verteilen . Die EU
wird scheitern, wenn sie von Politikern geführt wird, die
nur in Bilanzen und in Durchschnittswerten denken, die
nicht verstehen, dass hinter Bruttoinlandsprodukten und
Staatsschuldenquoten Menschen stehen - Menschen, die
oft weder Einfluss darauf hatten noch verstehen, wer ihnen die Suppe eingebrockt hat, die aber spüren, dass die
EU ihnen nicht dabei hilft, ihre Probleme zu lösen und
ihr Leben leichter zu machen .
({2})
Ich habe so wenig Zeit; deswegen muss ich schnell
reden .
Wir müssen den Mut haben, zu sagen, dass wir als
Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht nur Verantwortung für unseren eigenen Staat übernehmen, sondern auch für die anderen Staaten . Das ist ein Stück weit
wie in der Familie . Die funktioniert auch nicht nur dann,
wenn man an sich selber denkt, sondern man muss die
anderen mitdenken . Es ist eben an der Zeit, dass sich Europa den großen sozialen Fragen zuwendet .
Frau Wagenknecht, Sie haben klargemacht, dass Sie
von der EU wirklich überhaupt keine Ahnung haben: Es
gab nie ein soziales Europa . Wir sind auf dem Weg dahin .
Das ist ein historischer Weg . Die EU ist entstanden aus
einer Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft, und wir
müssen in und mit der Europäischen Union dafür kämpfen - das ist der Punkt -, dass es ein soziales Europa gibt,
und wir dürfen nicht gegen sie kämpfen . Das haben Sie
immer noch nicht kapiert .
({3})
Europa ist das, was wir aus Europa machen, wir
Menschen, wir Mitgliedstaaten . Wir müssen eine neue
Begeisterung für Europa wecken . Wir sehen das im Moment: junge Menschen, alte Menschen, die auf die Straße
gehen . Pulse of Europe ist in aller Munde . Die Europäische Union kann nicht klappen - das spüren diese Menschen -, wenn wir ein Klub von 27 Egoisten sind, wenn
sich 27 egoistische Regierungschefs zusammenfinden
und jeder nur für sein Land das Größte herausschlagen
will .
Was passiert, wenn die Leute das Gefühl haben, dass
Europa nicht für sie da ist, das sehen wir jetzt in Frankreich wie durch ein Brennglas . Es gibt die einen, die
sagen: „Wenn schon Egoismus, dann richtig, dann nationalistisch, dann autoritär; dann gehen wir volle Lotte
auf die autoritäre Rechte .“ Es gibt andere, die sagen: Wir
wählen den Einzigen, der sich wirklich pro Europa ausspricht . - Trotz aller Schwierigkeiten, die man im Einzelnen mit der Politik von Herrn Macron haben kann, bleibt
festzuhalten: Er hat ganz klar gesagt: Was wir brauchen,
ist eine ganz starke Europäische Union, in der wir miteinander Verantwortung füreinander übernehmen . - Sie
werden es mir nachsehen, dass ich auch deswegen so froh
bin, dass die Sozialdemokratische Partei Deutschlands zu
ihrem Vorsitzenden und zu ihrem Kanzlerkandidaten einen überzeugten Europäer gewählt hat, der nicht nur mit
Verstand, sondern auch mit Herz und mit Leidenschaft
diese grundeuropäische Idee vertritt und der weiß, dass
man sie verändern muss, der aber auch weiß, wo man sie
anpacken muss .
({4})
Ich freue mich sehr darauf, mit Macron und mit Martin
Schulz eine neue europäische Idee aufbauen zu können .
Vielen Dank .
({5})
Das Wort erhält nun die Kollegin Gerda Hasselfeldt
für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dass mit Großbritannien ein Mitgliedstaat aus der Europäischen Union ausscheidet, das war für viele von uns
zunächst gar nicht vorstellbar . Ich bedauere diese Entscheidung; aber wir haben sie zu respektieren . Wir haben
nach vorne zu blicken, und wir haben die Gespräche und
Verhandlungen konstruktiv und zielgerichtet zu führen .
Wir haben sie immer im Interesse der Menschen in
Europa zu führen . Wir haben sie zu führen im Blick darauf: Was bedeutet dieser Austritt für die Arbeitsmöglichkeiten, für die Ausbildungsmöglichkeiten, für die
Studienmöglichkeiten der Menschen? Was bedeutet dieser Austritt für die wirtschaftliche Entwicklung in Europa, in unserer Heimat? Welche Auswirkungen hat dieser
Austritt auf die Arbeitsplätze und damit auf die Menschen? Wir haben sie mit Blick auf die Zusammenarbeit
in den Fragen der Sicherheit unseres Landes zu führen,
mit Blick auf die Fragen der Zusammenarbeit in der Forschung und Wissenschaft . Das alles hat enorme Auswirkungen - nicht in Rechtstexten, nicht irgendwie theoretisch, sondern ganz konkret auf die Menschen in unserer
Heimat, und mit Blick darauf müssen die Verhandlungen
geführt werden .
({0})
Bisher hat sich schon gezeigt, dass es ein großes Einvernehmen zwischen den 27 Mitgliedstaaten und den
EU-Institutionen in Bezug auf die Zielsetzung und auf die
Verhandlungslinie gibt - etwas, was in der Europäischen
Union nicht bei allen Themen gleich von Anfang an Usus
ist . Es wurden keine Vorverhandlungen betrieben, es
wurden keine Einzelaspekte herausgegriffen. Vielmehr
gibt es ein Einvernehmen unter den 27 Mitgliedstaaten .
Ich finde, das ist ein hervorragendes Signal. Es ist der
Geist, der Europa guttut, der Europa auch guttun würde
bei so manchen anderen Themen. Deshalb hoffe ich, dass
dieses Einvernehmen, gemeinsam zu verhandeln, sich
nicht nur auf die Verhandlungen zum Brexit bezieht, sondern auch zur Grundlage für vieles andere wird, was in
Europa zu entscheiden ist .
({1})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich glaube, dass es notwendig ist, sich auch
über das im Klaren zu sein, was am Ende steht . Auch
wenn der Brexit, das Ausscheiden von Großbritannien,
für viele schmerzhaft ist und auch wenn manche das für
falsch halten, muss für uns klar sein: Am Ende darf nicht
ein zerrüttetes Verhältnis zwischen der EU auf der einen
Seite und Großbritannien auf der anderen Seite stehen,
sondern am Ende muss es zur Fortsetzung der guten,
der erfolgreichen und der vertrauensvollen Beziehungen
zwischen der Europäischen Union und Großbritannien
kommen . Das sollte die Zielsetzung sein, auf die wir uns
in den nächsten zwei Jahren hinbewegen .
({2})
Worum geht es? Es geht zum Ersten darum, dass die
Rechtsposition für die Bürger - für die vielen EU-Bürger,
die in Großbritannien leben und arbeiten, zugleich aber
auch für die Briten, die in den europäischen Staaten leben
und arbeiten - klargestellt wird .
Es geht zum Zweiten darum, Klarheit und Planungssicherheit für die Wirtschaft zu schaffen, und dabei geht
es nicht darum, dass wir irgendwelchen Konzernen etwas Gutes tun, sondern darum, die Arbeitsplätze für die
Menschen in unserem Land zu sichern und die Grundlagen für eine weitere gute wirtschaftliche Entwicklung
in unserer Heimat zu legen . Darum geht es, wenn wir
Rechtssicherheit, Planungssicherheit und Klarheit in dieser Frage einfordern .
({3})
Natürlich muss dabei gelten, dass ein Nichtmitglied
nicht dasselbe ist wie ein Mitglied . Natürlich muss dabei
gelten, dass Rechte und Pflichten ausgewogen verteilt
sein müssen . Das wird nicht einfach sein . Es wird über
all die Fragen des Binnenmarkts und der Freizügigkeit,
über all das, was heute schon Gegenstand der Diskussion war, ernsthaft diskutiert werden müssen - das wird
sicher eine schwierige Angelegenheit -, aber immer mit
Blick darauf: Was nutzt den Menschen? Wir dürfen uns
nicht davon leiten lassen, irgendeine Form von Bestrafung vornehmen oder eine Emotion loswerden zu wollen,
weil wir mit dieser Entscheidung von Großbritannien
vielleicht nicht so ganz einverstanden waren . Es wird natürlich auch darum gehen: Wie geht es weiter? Wie gehen
wir mit den finanziellen Verpflichtungen um? Wie gehen
wir mit den Programmen auf EU-Ebene um?
Ein ganz wesentlicher Punkt wird auch sein, das weiterzuführen, was außerhalb des Binnenmarkts schon erreicht worden ist: die Zusammenarbeit bei der inneren
und äußeren Sicherheit, die Zusammenarbeit bei der Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung, die Zusammenarbeit in Forschung und Wissenschaft . Auch dies gilt es
so weiterzuführen, dass es den Menschen und den Ländern jeweils guttut .
Ich bedanke mich sehr herzlich, dass die Bundeskanzlerin auch zum Ausdruck gebracht hat: In all diese Verhandlungen auf europäischer Ebene wird das Parlament
intensiv mit einbezogen . - Wir stehen dazu bereit . Vorarbeiten für den Verhandlungsprozess sind ja mit unserem
Entschließungsantrag, der heute zur Abstimmung steht,
schon geleistet worden .
Meine Damen und Herren, der Brexit stellt eine Herausforderung, eine Riesenherausforderung für uns alle
dar; er bietet aber auch eine Chance . Und machen wir
uns nichts vor: Diese Chance müssen wir ergreifen;
denn Europa befindet sich einem schwierigen Zustand.
Wir haben nationalistische Parteien und Populismus in
vielen europäischen Staaten . Wir haben unterschiedliche
wirtschaftliche Entwicklungen . Und nicht zu vergessen:
Es gibt eine Stimmung im Land, die so nach dem Motto
geht: Alles, was gut ist, das ist national gemacht worden,
und alles, was kritisch zu sehen ist, wird auf die Europäische Union geschoben . - Deshalb ist es schon wichtig,
über die Frage nachzudenken: Wo müssen wir ansetzen?
Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, zu sagen, dass in
Großbritannien die Entscheidung zum Brexit auch deshalb zustande kam, weil es Missbrauch der Freizügigkeit
und daraus resultierend Skepsis gegenüber dieser Freizügigkeit gegeben hat . Das war der Anlass . Deshalb ist es
auch richtig, dass die Bundesregierung jetzt zum Beispiel
das Thema „Kindergeldbezug von EU-Ausländern hier
im Land“ aufgegriffen hat. Deshalb ist es auch richtig,
dass wir jetzt zum Beispiel, was den sozialen Missbrauch
angeht, Planken insoweit eingezogen haben, als Sozialleistungen erst nach einigen Jahren des Aufenthaltes in
Deutschland bezogen werden können . Das, meine Damen und Herren, war noch nicht die ausreichende, aber
die richtige Antwort auf so manche Probleme und auf die
Skepsis in diesem Punkt .
({4})
Nachdem in der heutigen Debatte gelegentlich angesprochen wurde, dass wir uns in Europa auch mehr um
die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und um soziale Fragen kümmern müssen, will ich, meine Damen und Herren, deutlich sagen: Auch ich bin dafür, dass alle Menschen in Europa einen Arbeitsplatz haben, dass alle die
Möglichkeit haben, sich ihren Talenten entsprechend zu
qualifizieren und ausbilden zu lassen. Auch ich bin dafür, dass Armut in allen Regionen bekämpft wird . Auch
ich bin dafür, dass Familie und Beruf gut zu vereinbaren
sind . Aber, meine Damen und Herren: Nicht jede Aufgabe in Europa ist eine Aufgabe für Europa!
({5})
Die Nationalstaaten müssen ihre Aufgaben schon selbst
bewältigen . Sie müssen ihre Hausaufgaben selbst machen . Darauf müssen wir immer wieder hinweisen . Es
kann nicht sein, dass beispielsweise im Rahmen einer gemeinsamen europäischen Arbeitslosenversicherung, wie
sie manche fordern, die deutschen Beitragszahler für Defizite in anderen europäischen Staaten, zum Beispiel hinsichtlich Strukturreformen, geradestehen . Das ist nicht
mein Verständnis von Europa .
({6})
Meine Damen und Herren, ich war am letzten Sonntag - auf meine alten Tage habe ich das noch einmal versucht - bei einer Demonstration,
({7})
auf der Demonstration von Pulse of Europe in München .
Und ich war beeindruckt von den vielen jungen und älteren Menschen, die dort mit Begeisterung für Europa auf
die Straße gehen .
({8})
Meine Damen und Herren, das muss uns schon immer wieder deutlich gemacht werden: Auch wenn wir so
manches in Europa kritisch sehen - wir haben in dieser
Hinsicht ja Aufgaben zu bewältigen -, muss festgehalten
werden: Diese europäische Einigung ist eine einzige historische Erfolgsgeschichte . Und diese Erfolgsgeschichte wird nicht dadurch geschmälert, dass jetzt ein Land
dabei ist, aus der Europäischen Union auszutreten . Sie
wird nicht geschmälert, wenn wir diese Aufgabe richtig
und gut bewältigen . Und die Leitlinien, die es dazu gibt,
bilden - ergänzt durch den heute von der Koalition in den
Bundestag eingebrachten Entschließungsantrag - meines
Erachtens eine richtige und gute Grundlage .
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Norbert Spinrath für
die SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Hasselfeldt, es ist
gut, zu hören, dass Sie an Demonstrationen für Europa
teilnehmen . Gut wäre es, auch zu hören, dass Sie an Terminen mit Herrn Orban nicht mehr teilnehmen .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Austrittswunsch
des Vereinigten Königreichs ist ein tiefer Einschnitt in
die europäische Geschichte . Ich bedaure diesen Schritt,
ja, ich halte ihn auch für eine epochale Fehlentscheidung .
Aber sie ist aus der Mitte der dortigen Gesellschaft heraus getroffen worden. Ich glaube, es ist beinahe wünschenswert, dass das Volk seine Entscheidung noch einmal revidiert, wenn es nämlich erkennt, dass es vor dem
Referendum von denselben Protagonisten systematisch
belogen wurde, die sich am Tag danach aus dem Staub
gemacht haben, wenn es erkennt, dass seine Regierungschefin zwar markige Worte findet, aber keine wirklichen
Lösungen präsentieren kann, und wenn es erkennt, dass
es über eine sehr lange Zeit massive Einschnitte in praktisch allen Lebensbereichen hinnehmen muss . Zu Letzterem möchte ich klar und deutlich feststellen: Diese
Einschnitte werden nicht das Ergebnis einer böswilligen
und strafenden EU sein, sondern das Resultat der Entscheidung einer - wenn auch sehr knappen - Mehrheit
des britischen Volkes .
({1})
Frau May muss endlich der Legendenbildung Einhalt gebieten . Ohne ein Umsteuern in der Rhetorik und
eine Vorbereitung der britischen Öffentlichkeit auf viele
schmerzhafte Zugeständnisse werden die Austrittsgespräche scheitern . Dann würde die EU-Mitgliedschaft
ungeordnet enden . Manche nennen das einen „hard Brexit“ . Ich bezeichne es eher als einen „dirty“ oder „chaotic
Brexit“ . Das wäre aber weder im Interesse der EU, noch
hilft es Großbritannien .
Der Schlüssel zu vernünftigen Lösungen liegt in London, nicht in Brüssel, nicht in irgendeiner Hauptstadt der
EU und auch nicht in Berlin . Unsere Aufgabe hier ist es,
unsere Ziele für den Austrittsprozess festzulegen . Das
tun wir heute mit dem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen . Für das Protokoll sage ich aber ausdrücklich auch: Mit diesem Entschließungsantrag nehmen wir
gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes zum Entwurf der
Leitlinien Stellung .
Oberstes Ziel, liebe Kolleginnen und Kollegen, für die
Brexit-Verhandlungen ist die Wahrung der Einheit der
Europäischen Union . Deutschland hat eine besondere
Verantwortung für die europäische Integration und hat in
seiner ganz eigenen Weise von ihr profitiert: historisch,
staatspolitisch, ökonomisch . Für Großbritannien darf es
bei den Verhandlungen keine Rosinenpickerei geben .
Ein zukünftiges Verhältnis kann nicht nur mit Rechten,
sondern muss auch mit Pflichten einhergehen. Es darf
keine Besserstellung Großbritanniens gegenüber anderen
Nichtmitgliedern geben, auch nicht gegenüber Nichtmitgliedern, die in einem besonderen Verhältnis zur EU
stehen .
Bei allem Verständnis für sehr unterschiedliche Partikularinteressen muss deshalb auch für uns in Deutschland gelten: Wir müssen auch von unserer Seite weiterhin
jedem Versuch widerstehen, Rosinenpickerei zu betreiben . Ansonsten können wir erst recht nicht von anderen
Mitgliedstaaten, die in einer weniger komfortablen Situation sind, dasselbe erwarten .
({2})
Im Gegenteil: Wir müssen von allen EU-Partnern abfordern, gemeinsam, geschlossen und solidarisch zu handeln . Ich bin angenehm überrascht, dass es derzeit keine
wesentlichen Aufweichungstendenzen gibt .
Unser Höchstmaß an Solidarität muss aber den Menschen gelten, die als EU-Bürgerinnen und -Bürger in
Großbritannien leben, und den britischen Staatsangehörigen, die sich in anderen Ländern der EU aufhalten, um
dort zu arbeiten, zu studieren oder den Ruhestand zu genießen . Diesen Menschen droht der Brexit den Boden unter den Füßen wegzuziehen, ihre gesamte Lebensplanung
über den Haufen zu werfen . Das darf nicht passieren . Sie
dürfen nicht zum Spielball der Verhandlungen werden .
Deshalb unterstützen wir das Ziel, die Sicherstellung ihrer Statusrechte zu priorisieren .
({3})
Wir werden sehr nachdrücklich darauf achten, dass niemand unter die Räder des Brexits gerät . Auch wenn es
rechtlich und verwaltungstechnisch schwierig bleibt und
Zeit braucht: Wir müssen alles dafür tun, so schnell wie
möglich hohe Planungssicherheit für die betroffenen
Menschen zu schaffen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache mir aber
auch Sorgen, dass der Brexit-Prozess alle politischen und
administrativen Kapazitäten in der EU bindet . Auch das
darf nicht sein . Wir müssen uns parallel zum Verhandlungsprozess auch um die Zukunft der EU kümmern .
Das Weißbuch der Kommission und die Erklärung von
Rom sind wichtige Diskussionsbeiträge dazu . An beidem
müssen wir arbeiten: an einem Brexit, der die Prinzipien
und die Einheit der Europäischen Union wahrt und dabei den Schaden für alle Beteiligten gering hält, und an
einer Zukunft der EU, die als eine sozial gerechte und
wirtschaftlich erfolgreiche Gemeinschaft zu einem handlungsfähigen Akteur auf der Weltbühne wird, um unsere
gemeinsamen europäischen Werte zu verteidigen und
dem Frieden zu dienen .
({4})
Das Wort erhält nun der Kollege Michael Stübgen für
die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Neben der
Tatsache, dass wir heute - wir haben das schon mehrfach
gemacht; das ist jetzt nicht das erste Mal - über die Frage des britischen Austrittsprozesses debattieren und die
Bundeskanzlerin mit einer Regierungserklärung öffentlich macht, wie wir als Parlament uns daran beteiligen
können und welche strategischen Ziele verfolgt werden,
gehen mit dieser Debatte zusätzlich noch zwei Dinge einher, auf die ich kurz eingehen will .
Punkt eins . Zu dieser Debatte haben alle Fraktionen
des Bundestages Entschließungsanträge zu den vorbereiteten Leitlinien des Europäischen Rates zum Austrittsprozess Großbritanniens aus der Europäischen Union
eingereicht; die Grünen sogar zwei - Masse ist nicht in
jedem Fall Klasse . Ich gehe davon aus, dass der Koalitionsantrag hier eine deutliche Mehrheit findet. Damit
signalisiert der Deutsche Bundestag ganz eindeutig, dass
er sich mit den Facetten des britischen Austrittsprozesses
und dem, was danach folgen soll und kann, sehr detailliert, sehr intensiv beschäftigen und seine Verantwortung
wahrnehmen wird, und zwar unabhängig von der Frage,
auf welcher rechtlichen Grundlage der Bundestag dies
kann, ob freiwillig oder ob er sogar Beschlüsse fassen
muss, weil sich die gesetzliche Grundlage während der
Austrittsverhandlungen ändert . Wir werden unsere Verantwortung auf jeden Fall wahrnehmen . Das ist ein deutliches Signal an die deutsche Bevölkerung .
({0})
Punkt zwei . Mit unserem Entschließungsantrag zeigen wir auch: Der Deutsche Bundestag stimmt, und zwar
bis in einzelne Details, mit der Strategie der EU 27 und
insbesondere mit der Strategie der deutschen Bundesregierung für den Austrittsprozess überein . Es gibt in keinem einzigen Punkt unterschiedliche Auffassungen. Wir
als Bundestag unterstützen die EU 27 bei der Verfolgung
ihrer Leitlinien . Wir werden sie unterstützen, wenn das
Mandat ausgehandelt wird . Und wir senden ein Zeichen
der Unterstützung insbesondere an die Bundeskanzlerin
im Hinblick auf die wichtigen Beratungen und den Beschluss übermorgen beim Europäischen Rat der 27 .
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, am Sonnabend, wenn also die Leitlinien der EU 27 zum Austrittsprozess beschlossen sind, beginnt die zweite Phase des
britischen Austrittsprozesses . Die erste Phase währt jetzt
schon etwas über zehn Monate. In der breiten Öffentlichkeit ist nicht bekannt geworden, wie kompliziert dieser
Prozess im Kern eigentlich war . Dabei weiß jeder Insider,
dass der britische diplomatische Dienst unmittelbar nach
dem Referendum in Großbritannien den Versuch unternommen hat, mit einigen Ländern der EU 27 einzelne besonders problematische Themen des Austrittsprozesses,
die die jeweiligen Länder betrafen, separat zu diskutieren
und zu klären . Es ist ja eine Tatsache, dass die Probleme
mit dem Austritt Großbritanniens in Polen andere sind als
in Deutschland, als in Spanien, als in Zypern . Hier könnte man alle 27 EU-Mitgliedsländer aufzählen . Die Strategie der britischen Regierung ist dabei ziemlich einfach
durchschaubar: Sie hat das Ziel verfolgt, eine möglichst
uneinheitliche EU 27 zu haben, möglichst auch zerstritten in dieser Frage, um ein leichtes Spiel mit uns zu haben
und ihre nationalen Ziele nach dem Austritt selbst besser
durchsetzen zu können . Wenn übermorgen die einheitlichen und detaillierten Leitlinien der 27 Staats- und Regierungschefs beschlossen werden, ist dieser Versuch der
britischen Regierung allerdings endgültig gescheitert .
Zu einem Punkt von alldem, was gerade heute von den
Linken erzählt wurde, will ich noch etwas sagen: Natürlich ist die Europäische Union insgesamt in vielen Bereichen in einer schwierigen Phase, teilweise auch zerstritten, teilweise ein bisschen zerrüttet; aber die EU 27 zeigt
übermorgen deutlich, dass sie da, wo es darauf ankommt,
in der Lage ist, einheitlich und klar zu agieren . Das ist
einen Beifall für die EU wert . Deswegen glaube ich: Wir
werden diesen Austrittsprozess meistern .
({2})
Lassen Sie mich noch zwei Dinge ansprechen, die als
wesentliche Bestandteile für den Austrittsprozess in den
Leitlinien definiert werden.
Als Erstes komme ich zu der fundamentalen Frage
der Rechte der Bürger . Wenn Sie, Frau Kollegin GöringEckardt, da vielleicht zuhören könnten . - Danke . Es
nützt nämlich nicht, wie Sie hinsichtlich der Rechte der
Bürger Scheinlösungen zu fordern . Ich will das kurz erklären: Ungefähr 3 Millionen Unionsbürger leben und
arbeiten in Großbritannien, ungefähr 1 Million britische
Bürger in der Europäischen Union, davon allein 300 000
in Deutschland . Den 3 Millionen Unionsbürgern, die
in Großbritannien leben, hilft der von Ihnen geforderte
Doppelpass gar nicht, den 1 Million britischen Bürgern,
die in der Europäischen Union leben, im Allgemeinen
auch nicht . Er hilft maximal vielleicht den 300 000 in
Deutschland lebenden Briten .
Die Forderung nach einem Doppelpass ist aber auch
falsch . Der richtige Ansatz hingegen - das ist auch der
der Bundesregierung - besteht nämlich in einer einheitlichen Regelung für alle: sowohl für alle britischen
Staatsbürger, egal ob sie in Deutschland, in Polen, in
Spanien oder woanders in der EU wohnen, als auch für
alle EU-Bürger, seien es deutsche, polnische oder etc .,
die in Großbritannien wohnen . Der richtige Ansatz ist:
Wir müssen versuchen, einheitliche Regelungen - kaum
einer kennt die komplizierten Regelungswerke der Europäischen Union - zu erreichen, zum Beispiel in der Frage
der Sicherheit von Rentenansprüchen im Heimatland und
im Wohnsitzland, zum Beispiel in der Frage der Sicherung der Gesundheitsversorgung, zum Beispiel in Krankenversicherungsfragen, zum Beispiel hinsichtlich der
Ansprüche auf soziale Leistungen . Wir müssen verhindern, dass all dies ersatzlos wegfällt, und müssen - bei allem, was notwendig ist - dafür sorgen, dass der bisherige
Status bzw . Standard so weit wie möglich erhalten werden kann . Es hat allerdings keinen Zweck, den Menschen
vorzumachen, wir könnten denselben Status wie bisher
gewährleisten . Aber wir müssen den Schaden, der aufgrund des Austritts Großbritanniens entsteht, so gering
wie absolut nötig halten . Das ist der wesentliche Ansatz .
Weitere Punkte sind natürlich die Verpflichtungen
Großbritanniens sowie Wirtschaft und Handel .
Herr Kollege .
Ich weiß, es blinkt hier schon .
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .
({0})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Detlef Seif .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Meine Damen und Herren! Einigkeit macht stark . Deshalb begrüßen die Koalitionsfraktionen mit ihrem Entschließungsantrag ausdrücklich das geschlossene Auftreten der Europäischen Union . Verhandlungen dürfen
nur in den vorgesehenen Verhandlungskanälen erfolgen .
Separate Verhandlungen des Vereinigten Königreichs mit
den einzelnen Mitgliedstaaten zum Brexit gab es nicht
und wird es auch nicht geben .
Die Verhandlungsleitlinien, die der Europäische Rat
übermorgen beschließen wird, machen deutlich, dass die
Europäische Union und die anderen Mitgliedstaaten an
einer weiteren starken und konstruktiven Zusammenarbeit interessiert sind und auch ein faires Abkommen anstreben .
Jetzt ist leider unsere Kollegin Wagenknecht nicht
mehr im Saal, aber sie hat vorhin behauptet, es werde ein
Abkommen angestrebt, das negativ sei und Großbritannien bestrafe . Ich weiß nicht, ob sie den Leitlinienentwurf
gelesen hat . Wenn ja, dann hätte sie festgestellt, dass hinsichtlich Form und Inhalt genau das Gegenteil der Fall
ist .
({0})
Die Leitlinien lassen nämlich eine flexible Vorgehensweise zu, um Unsicherheiten und Verwerfungen, die
das Brexit-Verfahren ganz klar mit sich bringt, weitestgehend auszuschließen . Das ist auch dringend erforderlich; denn in der Nettozeit von 15 Monaten, die für die
eigentlichen Verhandlungen zur Verfügung stehen, wird
man nicht im Ansatz alle Vereinbarungen zu wichtigen
Punkten treffen können, die erforderlich wären. Deshalb
sehen die Leitlinien neben Übergangsregelungen sogar
die zeitlich begrenzte Verlängerung des EU-Besitzstandes für Großbritannien vor .
Auch die Bereitschaft, Großbritannien im Hinblick
auf Handelsverträge, die die EU mit Drittstaaten geschlossen hat, zu unterstützen, indem man versucht, sie
im Nachhinein, nach dem Austritt Großbritanniens aus
der EU, weiter wirken zu lassen, ist sehr wichtig . Denn
sonst würde Großbritannien hier in ein Loch fallen .
Man muss doch anerkennen: Es gibt eine grundsätzlich positive Grundhaltung der EU . - Aber bei aller positiver Grundhaltung der Europäischen Union und der
anderen Mitgliedstaaten ist für den Deutschen Bundestag eines klar: Sowohl Übergangsregelungen als auch ein
Folgeabkommen müssen zwingend auf dem Grundsatz
fairer Spielregeln und fairer Wettbewerbsbedingungen
beruhen . Die Finanzmarktstabilität der Europäischen
Union darf in keiner Phase des Verfahrens infrage gestellt werden .
Es findet auch breite Zustimmung, dass die Verhandlungen zweistufig ablaufen. Als erstes sind Fragen des
geordneten Austritts zu klären, erst danach kann es um
das künftige Verhältnis gehen . Das ist hier im Einzelnen
auch schon dargelegt worden . Die Rechte der Bürger
sind ganz wichtig, die Rechtssicherheit für die Wirtschaft
ist wichtig, um Verwerfungen auszuschließen; aber auch
die Klärung von Grenzfragen, insbesondere aufgrund der
fragilen Situation zwischen Nordirland und Irland, steht
bei uns ganz oben auf der Agenda .
Großbritannien darf sich allerdings keinen schlanken
Fuß machen und sich davor drücken, Verpflichtungen,
die eingegangen wurden und eingehalten werden müssen, zu erfüllen . Natürlich würde Theresa May gerne direkt über Folgevereinbarungen sprechen über das, was
die künftigen Beziehungen angeht; aber das werden wir
ihr nicht durchgehen lassen . Es ist deshalb richtig, dass
wir eine erste Phase vorschalten . Wir erwarten von Großbritannien ein deutliches Signal der Vertrauensbildung in
diesem Punkt .
({1})
Es stellt sich dann die Frage: Wie kann das zukünftige
Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU überhaupt aussehen? Die Formulierungen kennen wir: Kein
Europa à la carte! Kein Rosinenpicken! - Und wir wissen: Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union muss
immer einen Mehrwert haben . Aber, meine Damen und
Herren, der Teufel steckt im Detail .
Das Brexit-Verfahren sollten wir als Chance begreifen, die Zusammenarbeit mit Drittstaaten grundsätzlich
neu zu überdenken und gegebenenfalls neue Instrumente
zu schaffen.
({2})
Das Schweizer Modell, das norwegische Modell oder
übliche Handelsabkommen sind nicht in Stein gemeißelt; vielmehr gibt es auch andere Möglichkeiten . Großbritannien strebt eine maßgeschneiderte Regelung an .
Grundsätzlich spricht auch nichts dagegen . Das setzt
aber voraus, dass Rechte und Pflichten, dass Leistungen
und Gegenleistungen in einem ausgewogenen Verhältnis
stehen . Vor allem darf der Zusammenhalt der Europäischen Union nicht gefährdet werden, und auch die Autonomie der Europäischen Union und ihre Rechtsordnung,
einschließlich der Rolle des Europäischen Gerichtshofs,
sind zu gewährleisten .
Das Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit
der Ukraine, das zwar eine Marktöffnung, aber keine
Freizügigkeit vorsieht, könnte als Blaupause für die Entwicklung maßgeschneiderter Vereinbarungen mit Drittstaaten dienen. Seien wir offen für flexible Lösungen.
Vielen Dank .
({3})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge .
Zunächst kommen wir zum Entschließungsantrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf der Drucksa-
che 18/12135 . Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit
ist der Entschließungsantrag mit der Mehrheit der Koali-
tionsfraktionen angenommen .
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
der Drucksache 18/12136 . Wer stimmt diesem Antrag
zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen aller übrigen
Fraktionen abgelehnt .
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf der Drucksache 18/12137 . Wer stimmt die-
sem Entschließungsantrag zu? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Auch hier ist der Antrag bei Zustim-
mung des Antragstellers und bei Ablehnung der übrigen
Fraktionen abgelehnt .
Es gibt einen weiteren Entschließungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksa-
che 18/12138 . Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser
Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Zustimmung der Oppositionsfraktionen abgelehnt .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 d auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen
Drucksachen 18/11233, 18/11531, 18/11683 Nr. 8
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0})
Drucksache 18/12128
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerumgehung
und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften ({1})
Drucksachen 18/11132, 18/11184
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({2})
Drucksache 18/12127
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({3}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Lisa Paus, Britta
Haßelmann, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine Bundessteuerverwaltung - Gleiche
Grundsätze von Flensburg bis zum Bodensee
Drucksachen 18/2877, 18/12127
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr . Sahra
Wagenknecht, Dr . Dietmar Bartsch, Klaus Ernst,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Illegale Finanzbeziehungen bekämpfen Steueroasen austrocknen
Drucksache 18/8132
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung gegen
schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen liegt ein Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Dazu höre ich
keinen Widerspruch . Also können wir so verfahren .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Mathias Middelberg für die CDU/
CSU-Fraktion .
({4})
Herzlichen Dank, Herr Präsident . - Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich beginne
mit einem Zitat und bitte um Aufmerksamkeit: „Wenn
der kleine Bäckerladen anständig und selbstverständlich
seine Steuern zahlt und dadurch unser Gemeinwesen
finanziert, der globale Kaffeekonzern sich aber davor
drückt und sein Geld in Steueroasen parkt, dann geht es
nicht gerecht zu“ in diesem Land .
({0})
Das ist eine zutreffende und richtige Erkenntnis des
Kanzlerbewerbers der SPD bei seiner Nominierungsrede
Ende Januar .
({1})
Daraus zog der Kollege Schulz den Schluss, Steuerflucht
müsse ein zentrales Wahlkampfthema werden .
Die erste Erkenntnis war richtig, die zweite halte ich
für weniger durchdacht .
({2})
Der Kollege Schulz stellt damit auch Ihre Arbeit quasi
unter den Scheffel; denn wir arbeiten hier seit Jahren
an der Bekämpfung der Steuerflucht, und zwar, wie ich
glaube, mit großem und gutem Erfolg .
({3})
Das werde ich Ihnen jetzt im Einzelnen auseinanderdividieren . Fangen wir einmal an: Vor über sechs Jahren, im Jahr 2011, hat unser Finanzminister Wolfgang
Schäuble gemeinsam mit seinem britischen und seinem
französischen Kollegen das Projekt gegen die Aushöhlung von Steuerbemessungsgrundlagen und gegen Gewinnverlagerungen - wir kennen das als BEPS-Projekt auf OECD- und G-20-Ebene initiiert .
({4})
Dort sind Regeln gegen die kreative Steuergestaltung der
internationalen Konzerne festgelegt .
({5})
Seitdem setzen wir hier regelmäßig und Schritt für Schritt
Maßnahmen gegen den illegalen Steuerbetrug und gegen
die legale Steuervermeidung um . Ich nenne Folgendes
exemplarisch:
Im Oktober 2014 hat Wolfgang Schäuble hier in Berlin den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten initiiert . Über 100 Staaten sind diesem Abkommen mittlerweile beigetreten . In Zukunft wird es
nicht mehr möglich sein, dass ein deutscher Steuerbürger ein Auslandskonto eröffnet und wir in Deutschland
davon nichts erfahren . Diese Dinge werden automatisch
gemeldet . Fälle wie Uli Hoeneß oder Alice Schwarzer,
über die wir in diesem Hause intensiv diskutiert haben,
sind in Zukunft nicht mehr möglich .
({6})
Das ist bisher das effizienteste Vorgehen gegen Steuerbetrug international, und das geht auf die Initiative des
Finanzministers Wolfgang Schäuble zurück .
({7})
2016 haben wir hier das Gesetz zur Umsetzung der
EU-Amtshilferichtlinie beschlossen und damit den automatischen Informationsaustausch über die Tax Rulings das sind die Steuerabsprachen - initiiert . Wir kennen alle
die Diskussionen über Lux-Leaks, die wir auch hier im
Hause intensiv geführt haben . Ich meine, das müsste auch
Herr Schulz mitbekommen haben . Er war ja live vor Ort .
Irgendwie hat er aber nicht mitbekommen, dass wir ein
Gesetz auf den Weg gebracht haben, um dafür zu sorgen,
dass Lux-Leaks in Zukunft nicht mehr nötig sind . Wir haben mit diesem Gesetz auch das Country-by-Country Reporting gegenüber den Steuerbehörden beschlossen . Das
sorgt demnächst für absolute Transparenz über die steuerlichen Sachverhalte der Unternehmen in den verschiedenen Ländern und ermöglicht eine faire Besteuerung .
Heute beschließen wir den Entwurf des Steuerumgehungsbekämpfungsgesetzes . Es ist gegen die Briefkastenfirmen in Steueroasen gerichtet; Stichwort „Panama
Papers“ . Dazu wird gleich mein Kollege Feiler das Nähere ausführen . Und wir beschließen den Entwurf gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit
Rechteüberlassungen. Dabei geht es um Kaffeehausketten wie Starbucks; wir nennen sie hier einmal Buckstars .
Buckstars ist in Deutschland tätig, hat viele Filialen,
verdient hier viel Geld und müsste eigentlich auch gute
Steuern zahlen . Buckstars hat aber irgendeine Partneroder Tochtergesellschaft im Ausland, in den Niederlanden, in Irland - konzernintern -, und zahlt für Lizenzen dahin Geld . Das führt dazu, dass die Gewinne von
Buckstars in Deutschland gemindert werden . Deswegen
zahlen die hier effektiv wenig Steuern. Das wäre noch
okay, wenn sie für die Lizenzeinnahmen im Ausland, in
den Niederlanden oder in Irland, adäquat zur Kasse gebeten würden . Das ist aber leider auch nicht der Fall . Das
heißt, am Ende zahlt dieser Konzern ganz wenig Steuern .
Das ist ungerecht, und das ist wettbewerbsschädlich, vor
allen Dingen auch gegenüber unseren Mittelständlern
hier in Deutschland .
({8})
Deswegen gehen wir jetzt mit einer Lizenzschrankenregelung dagegen vor . Das ist das gleiche Prinzip wie bei
der Zinsschranke .
({9})
Die Zinsschranke funktioniert, und die Lizenzschranke
wird in adäquater Weise funktionieren . Wer im Ausland
nicht mindestens 25 Prozent Steuern zahlt, der kann das,
was er im Ausland für irgendwelche Rechte oder Lizenzen zahlt, bei uns dann demnächst nicht mehr steuermindernd geltend machen . Es ist richtig, dass wir das so
regeln .
Deswegen - damit komme ich schon zum Schluss verabschieden wir heute zum wiederholten Mal grundlegende Gesetze - heute sind es zwei -, die gegen Steuerflucht und für mehr Steuergerechtigkeit äußerst wirksam
sein werden . Uns wäre lieb, wenn Sie dem Kollegen aus
Würselen vielleicht einmal eine Kopie dieser Vorlagen
zur Verfügung stellen würden; dann wäre er im Hinblick
auf den Wahlkampf besser informiert .
Herzlichen Dank .
({10})
Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist jetzt für die Fraktion Die Linke die Kollegin Susanna Karawanskij .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und
Kolleginnen! Liebe Gäste! Die Empörung im Fall Uli
Hoeneß, Fußballboss und bekannter Steuerhinterzieher,
war ziemlich groß, allerdings auch verhältnismäßig kurz .
({0})
Man kann den Eindruck gewinnen, dass eine Art Gewöhnungsprozess eingetreten ist und dass akzeptiert wird,
dass Superreiche und Unternehmen den Staat jährlich
um Milliarden von Euros an Steuern betrügen . Panama
Papers, Offshore-Leaks, Lux-Leaks, Cum/Ex- und Cum/
Cum-Geschäfte - die Liste ließe sich leider noch weiter fortsetzen . An dieser Stelle möchte ich für uns Linke
ganz klar sagen: Steuerhinterziehungen und Steuervermeidung sind kriminell . Nach wie vor ist das für uns ein
Megaaufreger .
({1})
Wir werden nicht annähernd so lange tatenlos zusehen, wie es die CDU/CSU-Fraktion in dieser Legislaturperiode getan hat . Die Gesetzentwürfe, die heute aller
Voraussicht nach verabschiedet werden, gehen in die
richtige Richtung .
({2})
Aber wie immer muss die Bundesregierung erst zum Jagen getragen werden . Das kommt tatsächlich alles mit einer zeitlichen Verzögerung und nur aufgrund des Drucks
im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Panama Papers . Gemessen daran, wie schnell andere Gesetze
durch den Bundestag getrieben werden - Stichwort Asylverschärfung -, ist das hier schon fast Schneckentempo .
({3})
Auch haben die Gesetze immer noch klare Schwächen . Es gibt Lücken, und ein Großteil der Fälle von
Steuerumgehungen wird überhaupt nicht erfasst . Ich
möchte an dieser Stelle einige Schwächen deutlich machen: Die Anzeigepflicht für Steuerpflichtige über Geschäftsbeziehungen zu Drittstaatengesellschaften, also
Gesellschaften außerhalb der Europäischen Union, auf
die sie beherrschenden Einfluss haben, und zwar unabhängig davon, ob sie am Unternehmen formal beteiligt
sind oder nicht, ist erst einmal positiv zu bewerten . Aber
die Anzeigepflicht greift erst für nach 2017 verwirklichte
Sachverhalte . Das heißt, Sie schreiben hier einen Straferlass für bisherige Steuersünder fest . Das ist mit uns
Linken nicht zu machen .
({4})
Ebenso halten wir die Mitteilungsverpflichtung von
Berufsgruppen wie Anwälten, Steuerberatern oder für
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften für falsch und halbherzig . Das Zauberwort muss doch grundsätzlich Transparenz heißen . Wir brauchen keine Transparenz nach
Gutdünken oder Willkür der Bundesregierung, sondern
wir brauchen umfassende Klarheit . Deswegen fordern
wir als Linke ein öffentliches Transparenzregister aller wirtschaftlich Berechtigten von Unternehmen bzw .
Trusts .
({5})
Kommen wir zum Bußgeldrahmen für die Steuerpflichtigen. Er wird zwar angehoben, ist allerdings viel
zu brav . Meinen Sie tatsächlich, dass 25 000 Euro bzw .
50 000 Euro Milliardäre oder Finanzfirmen, die damit
beschäftigt sind, Milliardenbeträge verschwinden zu lassen, erzittern lassen oder in Angst versetzen? Das ist naiv
und nicht angemessen .
({6})
Eine weitere Schwäche in Ihrem Gesetzentwurf ist,
dass der Großteil der Informationspflichten nur in Bezug auf Staaten gilt, die nicht Mitglied der EU bzw . der
EFTA, der Europäischen Freihandelsassoziation, sind .
Steueroasen wie Luxemburg und Malta werden komplett
ausgespart . Die ganzen Steuerumgehungen, die ganzen
Verschachtelungskonstruktionen über europäische Steueroasen - ich denke an die Schweiz und Liechtenstein werden ebenso nicht erfasst . Genau diese Staaten fehlen
aber bei keiner Auflistung von schwarzen Konten - Stichwort Bankgeheimnis - bzw . von Möglichkeiten zur Steuerumgehung . An dieser Stelle wollen wir für umfassende
Transparenz und Information sorgen . Deshalb lehnen
wir es ab, dass europäischen Steueroasen damit eine Art
Wettbewerbsvorteil verschafft wird.
({7})
An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen:
Mir geht es nicht darum, dass wir pauschal alle Bürgerinnen und Bürger, die ein sechsstelliges, achtstelliges
oder höheres Jahreseinkommen haben, kriminalisieren .
Aber wir können uns doch bestimmt darauf einigen, dass
sich innerhalb der Klientel der Panama Papers nicht ein
einziger Hartz-IV-Aufstocker, nicht eine einzige Friseurin oder Krankenpflegerin befindet. Die Steuerbetrüger
schaden mit ihrem Verhalten uns allen, da sie sich der
Finanzierung der Gesamtheit der Gesellschaft entziehen
und öffentliche Güter somit nicht mitfinanzieren. Es ist
skandalös, dass Hyperreiche dem Staat eine lange Nase
zeigen, während alle anderen ganz normal ihre Steuern
zahlen . Das kann doch so nicht weitergehen .
({8})
Da kommt bei uns allen natürlich auch ein Stück weit
Frust auf . Mir kommen vor allen Dingen Zweifel an der
Steuergerechtigkeit, die Sie gerade so sehr beschworen
haben, Kollege Middelberg . Dabei geht es nicht allein
um höhere Bußgelder; hier scheint der Großen Koalition
der Sinn für die Realität ja komplett abhandengekommen
zu sein . Man kann sich auch nicht länger querstellen,
wenn wir uns darum kümmern wollen, Steuergerechtigkeit zu schaffen. Wir als Linke wollen die fortschreitende
Spaltung unserer Gesellschaft in Arm und Reich stoppen .
Dafür brauchen wir Umverteilung von oben nach unten .
({9})
Wir wollen, dass sich alle Menschen an der Gesellschaft
beteiligen können, dass aber auch alle Menschen zu ihrer
Finanzierung herangezogen werden . Alles andere ist ich habe das schon beim letzten Mal gesagt - Betrug,
und zwar Betrug an uns allen bei der Mitfinanzierung der
Gesellschaft .
({10})
Nun zu den geplanten Änderungen bei den Lizenzbzw . Patentboxen . Unternehmen nutzen sie im Prinzip
für Gewinnverschiebungen . Das geht so: Sie gründen ein
Tochterunternehmen, zum Beispiel in einer europäischen
Steueroase . Dort müssen sie auf den Gewinn, den das
Tochterunternehmen macht, nur geringe Steuern zahlen .
Dann überträgt das Unternehmen zum Beispiel die Rechte an der eigenen Marke auf das Tochterunternehmen .
Damit es die Marke weiterhin nutzen darf, muss es an das
eigene Tochterunternehmen Lizenzgebühren zahlen; so
weit, so gut . Diese von dem Unternehmen zu zahlenden
Lizenzgebühren werden zum Teil mit dem in Deutschland erwirtschafteten Gewinn verrechnet . Am Ende der
Kette zeigt sich - urplötzlich -, dass das Unternehmen
kaum bzw . nur geringe Steuern zu zahlen hat und arm
wie eine Kirchenmaus ist, während das Tochterunternehmen ein sattes Plus macht, für das es in der Steueroase
aber gar nicht so viele Steuern abführen muss . Das klingt
ein bisschen absurd und sehr kompliziert, ist für Unternehmen wie Google, Apple, Amazon, Ikea und Microsoft
allerdings Tagesgeschäft .
Nach langer Zeit legt die Bundesregierung heute einen Gesetzentwurf vor, nach dem die entsprechenden Lizenzgebühren hierzulande nicht mehr grundsätzlich abgesetzt werden können . Aber dieses Modell ist wackelig .
Wie sonst lässt sich erklären, dass es bei gerade einmal
650 Unternehmen greift und Steuermehreinnahmen von
nur 30 Millionen Euro einbringen soll? Hier besteht das
grundlegende Problem, dass nur sogenannte nahestehende Unternehmen erfasst sind . An dieser Stelle lassen Sie
den Tricksern und Täuschern meines Erachtens viel zu
viel Spielraum . Hier brauchen wir einen breiteren Ansatz .
({11})
Nun zu den Vorschlägen, die wir Ihnen unterbreiten .
Wir wollen der Steuerbetrügerszene unter anderem - wir
haben viele Punkte aufgeschrieben - eine Bundesfinanzpolizei entgegensetzen; ich drücke das jetzt einmal so
aus . Dort sollen Kräfte gebündelt werden, um spezialisierten Anwälten, Finanzberatern und der ganzen Oasenmafia Paroli bieten zu können. Denn dass es die Steuertrickser so leicht haben, liegt vor allen Dingen daran,
dass es zu wenig Personal gibt, das ihnen auf die Finger
schaut . In der Finanzverwaltung fehlen Tausende Stellen .
Die Finanzämter sind flächendeckend um circa 20 Prozent unterbesetzt . Steuerfahnder bringen dem Staat deutlich mehr Geld ein, als sie den Staat Geld kosten . Hier
muss endlich gehandelt werden .
({12})
- Darauf habe ich gewartet, dass Sie sagen, dafür seien
die Länder zuständig . Das ist total richtig . Aber daran
sieht man einfach, dass die von Ihnen eingeführte Schuldenbremse völlig kontraproduktiv ist .
({13})
Sie ist nämlich dafür verantwortlich, dass es in den öffentlichen Haushalten in Ländern und Kommunen keine
Gestaltungsspielräume mehr gibt, sodass hier nicht gehandelt werden kann .
Meine Damen und Herren, der Anfang ist mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf gemacht . Allerdings: Die
Probleme rund um die aggressive Steuervermeidung sind
längst nicht vom Tisch . Wir müssen am Ball bleiben, um
alle Steueroasen Stück für Stück auszutrocknen und alle
Menschen an der Finanzierung des Gemeinwohls und
unserer Gesellschaft teilhaben zu lassen .
Vielen Dank .
({14})
Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion erhält jetzt der
Kollege Carsten Schneider das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Middelberg hat diese Debatte mit einem Zitat
von Martin Schulz begonnen . Ich beginne meine Rede
mit einem Zitat des Heiligen Augustinus, um 400 nach
Christus, der sagte, ein Staat ohne Gerechtigkeit sei nichts
anderes als eine Räuberhöhle . Ich glaube, dem können
wir zustimmen . Gerechtigkeit ist eine der entscheidenden
Grundlagen in unserem Land . Die Menschen vertrauen
darauf, dass der Staat für Gerechtigkeit sorgt . Die Steuerund Finanzpolitik ist hier das zentrale Element .
Herr Middelberg, Sie haben Martin Schulz vorgeworfen - Ihre Sorge muss groß sein, dass Sie sich in Ihrer
ganzen Rede an ihm abarbeiten -, nicht zu wissen, was
in diesem Land passiert . Er weiß es sehr genau . Das will
ich Ihnen erläutern .
Für die Gesetze, die wir heute hier verabschieden
wollen und die sehr wichtig sind - Frau Karawanskij ist
ebenso wie Sie auf die Punkte Gewinnverlagerung und
Steuerdumping eingegangen -, waren die Veröffentlichungen der Panama Papers entscheidend . Man muss
großen Respekt vor der Arbeit der Journalisten haben und
ihnen Dank sagen, dass sie deren Veröffentlichung vorangetrieben haben, wofür sie den Pulitzer-Preis bekommen
haben . Es war nicht die Staatengemeinschaft, die das geschafft hat, sondern es sind Journalisten gewesen.
({0})
Wir müssen umso mehr Respekt haben, da auch viele Despoten aus Ländern, in denen keine Demokratie
herrscht, ihr Geld größtenteils in diesen Oasen versteSusanna Karawanskij
cken. Die Veröffentlichung war eine gewaltige Transparenzinitiative .
Das reicht aber nicht . Ich sage Ihnen: Der politische
Wille der Unionsfraktion, in den Bereichen Steuervermeidung, Steuerhinterziehung voranzugehen, ist sehr
unterentwickelt .
({1})
Ich kann es Ihnen hier nicht durchgehen lassen, dass Sie
behaupten, Sie waren diejenigen, die das vorangetrieben
haben .
({2})
Im Gegenteil: Sie haben immer den Druck der Öffentlichkeit gebraucht, um überhaupt in diesem Bereich voranzugehen und etwas zu machen .
Wenn ich an das deutsch-schweizerische Steuerabkommen denke, das Sie im Bundestag mit Stimmen der
Union und der FDP beschlossen haben, muss ich feststellen, dass das das glatte Gegenteil war .
({3})
Wir hätten niemals den automatischen Informationsaustausch bekommen, wenn Sie den Entwurf damals durchgesetzt hätten . Es waren im Bundesrat die SPD und die
Grünen
({4})
- die Linken waren damals noch gar nicht irgendwo in
der Regierung -, die das gestoppt haben, und zwar allen
voran Norbert Walter-Borjans in NRW .
({5})
- Der war damals noch nicht Ministerpräsident .
Der Ankauf der Steuer-CDs war der entscheidende
Hebel, um dem Missbrauch in diesem Bereich, der Steuervermeidung und der Steuerhinterziehung den Boden
unter den Füßen wegzuziehen . Das war entscheidend;
deshalb sind solche Fälle wie der von Uli Hoeneß öffentlich geworden . Sonst wäre das nicht passiert .
({6})
Nur aus diesem Grund kam es dazu, dass es jetzt in
der Schweiz eine Weißgeldstrategie gibt . Das kann man
offen sagen. Es gibt bei den Steuerhinterziehern, die ihr
Geld dort noch geparkt haben, eher eine Entwicklung
zurück . Der letzte Fall war 2014 . Ein Besitzer eines Unternehmens und dessen Sohn wollten Bargeld in Höhe
von 200 000 Euro nach Deutschland zurückschleusen
und wurden dabei erwischt . Von daher war das der ganz
entscheidende Schritt .
Die SPD ist hier immer an erster Stelle gewesen und
wird hier auch weiterhin immer an erster Stelle stehen .
Es ist eine zentrale Gerechtigkeitsfrage, dass die Steuersätze, die wir hier im Deutschen Bundestag politisch
festlegen, auch umgesetzt werden und gelten, und zwar
nicht nur für den Arbeitnehmer, der die Lohnsteuerkarte
abgibt, sondern insbesondere auch für die Unternehmen
und die Superreichen .
({7})
In diesem Gesetz steht viel Richtiges, insbesondere was Transparenz betrifft. Der Möglichkeit, dass über
Stiftungen und anonyme Konten Geld gewaschen werden kann und verheimlicht werden kann, wer der wirtschaftlich Berechtigte ist, wird der Garaus gemacht . Wir
hätten uns gewünscht, dass nicht nur Banken zur Veröffentlichung verpflichtet werden - das steuerliche Bankgeheimnis fällt ja -, sondern auch diejenigen, die beratend tätig sind . Ich würde mich da gar nicht immer hinter
dem Vorwand, dass es sich um freie Berufe handelt,
verstecken . Anwälte und Wirtschaftskanzleien sind gerade diejenigen, die genau diese Modelle entwickeln und
immer wieder Gesetzeslücken suchen und dafür sorgen,
dass Steuern nicht gezahlt werden müssen . Wir von der
SPD würden diese Leute dazu verpflichten, das anzeigen
zu müssen . Doch dagegen haben Sie sich gewehrt . Das
ist, glaube ich, ein ganz entscheidender Unterschied . Aus
diesem Grund sind wir hier, meine Damen und Herren,
noch lange nicht am Ende . Das ist ein erster Schritt, den
wir hier machen, aber ein wichtiger .
Wir hatten im Vorfeld die Brexit-Debatte . Der Brexit
ist doch geradezu absurd in einer Zeit, in der wir enorme
Fortschritte gemacht haben hin zu mehr internationaler
Zusammenarbeit zwischen den Staaten . Hinsichtlich der
G-20-Initiative will ich mich bei Herrn Schäuble bedanken . Das war wichtig . Sie haben dafür gesorgt, dass wir
die Führerschaft bei den G-20- und G-7-Prozessen haben, dass wir dort stärker vorankommen und eben nicht
zum Steuerdumping zurückkehren .
Die Briten und natürlich auch die Ankündigungen
der Amerikaner machen mir hier große Sorgen . Natürlich dürfen die Briten ihre Unternehmensteuersätze, die
im europäischen und im weltweiten Vergleich hoch sind,
senken; das ist gar keine Frage . Das, was jetzt angekündigt wurde, geht aber zu weit . Ich glaube, wir brauchen
insbesondere eine Allianz der Völker gegen große globalisierte Konzerne, die sich letztendlich von ihrer Steuerschuld befreien, sodass nur noch die einfachen Leute
Steuern vor Ort zahlen .
({8})
Das wollen wir als Sozialdemokraten nicht . Jeden
Schritt, der dazu führt, dass wir dort Fortschritte erreichen und zu einer faireren Besteuerung kommen, unterstützen wir . Dann haben wir das Geld - ich komme
zum Schluss -, um auch kleinen Unternehmen zu helfen . Wir tun das mit diesem Gesetzentwurf, indem wir
die Abschreibungsmöglichkeiten für geringwertige Wirtschaftsgüter verbessern und den Abschreibungsbetrag
von 410 Euro auf 800 Euro fast verdoppeln . Ich glaube,
das wird auch zu mehr Wirtschaftswachstum führen .
Vielen Dank .
({9})
Carsten Schneider ({10})
Vielen Dank . - Als Nächster hat jetzt Dr . Thomas
Gambke, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort . Bitte schön .
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich will
mit einem Zitat beginnen: „Steuerschlupflöcher schließen . . .“ ist die Überschrift der Drucksache 18/9043 vom
6 . Juli 2016 . Darin steht:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, ein Gesetz vorzulegen, durch das . . . der
steuerliche Abzug von Lizenzaufwand in verbundenen Unternehmen . . . eingeschränkt wird, wenn die
effektive Steuerbelastung auf den Lizenzertrag im
ausländischen Staat weniger als 15 % beträgt .
Das war unser Antrag, den Sie abgelehnt haben . Jetzt
bringen Sie einen Antrag ein, in dem aus den 15 Prozent
25 Prozent geworden sind . Sie gehen also noch darüber
hinaus .
({0})
Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, dass Sie dem Antrag der Grünen damit stattgegeben haben .
({1})
Es ist sehr wichtig, dass wir das tun .
Herr Middelberg und Herr Schneider haben das Steuerabkommen mit der Schweiz thematisiert, und ich thematisiere den Punkt Lizenzbox . Herr Bundesminister
Schäuble, ich stand hier an diesem Pult, und Sie saßen
dort, wo Sie jetzt sitzen . Wir haben damals die Lizenzschranke gefordert, und ich erinnere mich auch an die
Auseinandersetzung in der Presse, nachdem wir aus London zurückkamen . Herr Kollege Middelberg, vielleicht
erinnern Sie sich an ein Gespräch mit Herrn Osborne; ich
glaube, Sie waren dabei . Er sagte uns: Wir kämpfen jetzt
gemeinsam mit euch Deutschen gegen Steuerhinterziehung . - Vier Wochen später wurde die Lizenzbox in UK
eingeführt . Wir hatten hier eine erbitterte Debatte darüber, und Herr Schäuble drohte an, dasselbe zu tun . Wir
haben damals gesagt: Nein, das ist der falsche Weg . - Ich
habe damals in der Presse das Wort „schizophren“ benutzt .
Jetzt machen wir mit der Lizenzschranke Gott sei
Dank genau das, was man tun muss . Sie kommt zwar leider viel zu spät, um die Wirkung zu entfalten, die man
hätte entfalten müssen, um zu so etwas wie einer Mindestbesteuerung zu kommen . Aber es ist ein Schritt in die
richtige Richtung . Wir brauchen eine konsolidierte Steuerpolitik in Europa und kein Muskelzeigen bei Lizenzboxen, die immer wieder zu Steuergestaltungen führen .
Ich freue mich, dass wir in diese Richtung gehen . Deshalb werden wir diesem Teil des Gesetzentwurfes auch
zustimmen .
({2})
Dieses Drehen um 180 Grad - sowohl beim automatischen Informationsaustausch als auch bei der Lizenzschranke - würde ich mir natürlich auch bei anderen
Themen wünschen . Ich habe gehört, dass man sich in Bezug auf die steuerliche Forschungsförderung jetzt auch
drehen wird . Es freut mich sehr, Herr Bundesminister,
dass sich Ihre Meinung hier geändert hat und dass Sie
das jetzt unterstützen . Jetzt müssen wir das auch machen
und umsetzen .
Ich könnte noch andere Themen nennen, die Sie bitte
schön auch noch angehen müssen, zum Beispiel - das
haben Sie sich ja eigentlich vorgenommen - die Erleichterung von Finanzierungen in der Gründerszene durch
ein entsprechendes Gesetz . Hier haben Sie bisher nicht
geliefert, und das werden Sie wahrscheinlich auch nicht
tun . Es würde mich aber freuen, wenn Sie hier weiterkommen würden; denn wir müssen - wir Grünen stehen
dafür - gerade kleine und mittlere innovative Unternehmen fördern, weil viele von ihnen in der heutigen Welt
ganz wichtig sind, um mit den schnellen technologischen
Entwicklungen Schritt zu halten und die Chancen, die
wir hier haben, wirklich zu nutzen .
Lassen Sie mich deshalb, Herr Schneider, das Thema GWG ansprechen . Sie haben die Anhebung der
GWG-Grenze gelobt . Was Sie machen wollen, ist aber
kompletter Blödsinn . Sie erhöhen die GWG-Grenze auf
lediglich 800 Euro mit einem fiskalischen Argument,
wohl wissend, dass die 800 DM im Jahre 1964 bzw .
410 Euro heute gleichbedeutend mit einem Betrag über
1 500 Euro wären, wenn es einen Inflationsausgleich
gegeben hätte; das wäre die eigentliche Messlatte gewesen . Was Sie leider nicht durchgesetzt haben, Herr
Middelberg, war, die Grenze auf 1 000 Euro anzuheben
und auf die Poolabschreibung zu verzichten .
({3})
Wenn Sie keine Steuerberater fragen, sondern diejenigen, die im operativen Geschäft tätig sind - ich komme
aus dem operativen Bereich -, dann wissen Sie, dass die
Abschaffung der Poolabschreibung wirklich eine erhebliche bürokratische Vereinfachung gebracht hätte . Leider
haben Sie da nicht geliefert. Das ist fiskalisch und ordnungspolitisch nicht zu verstehen .
Ich bedauere sehr, dass Sie bei diesem Punkt nicht
über Ihren Schatten gesprungen sind und die Grenze bei
1 000 Euro gezogen haben . Wir hätten mit Blick auf die
Bürokratie eine deutliche Vereinfachung erreicht . Sie haben diese Möglichkeit noch nicht einmal durchgerechnet .
Insofern glaube ich, dass Sie da einen Fehler gemacht haben . Dennoch werden wir dem Gesetz zustimmen, weil
es in der Summe wenigstens die Liquidität der Unternehmen ein bisschen erhöht .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({4})
Vielen Dank . - Für die Bundesregierung hat jetzt der
Bundesminister der Finanzen, Dr . Wolfgang Schäuble,
das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Kampf gegen Steuerhinterziehung und exzessive Steuervermeidung wird ein immerwährender
Kampf sein . Das eigentliche Problem dabei ist, dass wir
in einer globalisierten Welt leben und dass durch die Digitalisierung, durch die Verflechtung der wirtschaftlichen
Entwicklung und der Finanzmärkte und durch die Tatsache, dass alle Unternehmen heute weltweit tätig sind,
neue Möglichkeiten bestehen . Wir werden diesen Kampf
nur erfolgreich führen können, wenn wir ihn europäisch
und zugleich international gemeinsam führen .
({0})
Das ist im Übrigen ein ungeheuer mühsamer Kampf .
Aber es ist vor allen Dingen wichtig, dass man nicht falsche Erwartungen schürt, weil man sonst hinter der Komplexität der Wirklichkeit zurückbleibt . Das ist dann der
Nährboden für die Demagogen, über die wir uns in der
vorherigen Debatte ausreichend gesorgt haben . Darauf
möchte ich in dieser Debatte gerne hinweisen .
({1})
Wir haben in dieser Legislaturperiode, auch in den
Jahren davor, beachtliche Fortschritte erzielt; Herr Kollege Middelberg hat das dankenswerterweise dargestellt .
Aber es macht keinen Sinn, Herr Kollege Schneider,
wenn man die Geschichte immer wieder falsch darstellt .
Für die Schweiz war es über viele Jahrzehnte und über
Generationen hinweg völlig undenkbar, ihr Verständnis
vom Bankgeheimnis aufzugeben . Deswegen war der
automatische Informationsaustausch für die Schweiz
ein Thema, das mit ihr überhaupt nicht zu bereden war .
Übrigens wäre dieses Problem auch nicht durch die Androhung, die Kavallerie ausreiten zu lassen, und anderen
Unsinn zu lösen gewesen .
({2})
Der Wandel kam erst durch den Druck der Vereinigten
Staaten von Amerika und von niemandem sonst zustande .
({3})
- Nein, überhaupt nicht . Das ist doch Quatsch .
({4})
- Das ist doch totaler Quatsch . Sie fangen immer wieder
damit an, wenn man nur versucht, einmal in aller Ruhe ich weiß, es ist Wahlkampf - darüber zu reden .
({5})
- Nein, das ist doch nicht wahr . Die Wahrheit ist, dass die
Amerikaner Druck - Stichwort: amerikanischer Marktzugang - ausgeübt haben . Auch wir haben gelegentlich
mit den unangenehmen Nebenwirkungen dieser etwas
einseitigen Anwendung zu tun . Jedenfalls hat dieser
Druck die Schweiz dazu gebracht, etwas zu machen, was
sie vorher niemals für denkbar gehalten hat . Daraufhin
haben wir in Europa sofort gesagt: Wenn die Schweiz
diesen Austausch mit den Amerikanern macht, dann erklären wir ihn zum europäischen Standard . Daraus ist der
automatische Informationsaustausch geworden, den wir
in Berlin vorangetrieben haben und der in diesem und
im nächsten Jahr mit über 100 teilnehmenden Ländern
stattfinden wird.
Der Vollzug wird dann übrigens wieder kompliziert
sein . Damit sind wir beim nächsten Punkt .
Herr Bundesminister, ehe Sie den nächsten Punkt ansprechen, darf ich Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Gambke zulassen .
Nein, ich möchte jetzt wenigstens ein paar Sätze am
Stück sagen .
Okay .
Wir sind gemeinsam mit den Ländern dabei, diesen
Punkt umzusetzen - denn ob es den Linken gefällt oder
nicht: wir sind ein föderaler Bundesstaat, in dem die
Steuerverwaltung Sache der Länder ist -, und wir sind
in einem mühsamen Ringen mit den Ländern, damit wir
wenigstens bei der Einführung der Informationstechnik
und bei der Software etwas mehr bundeseinheitliche Regelungen zustande bekommen . Es ist ein Kampf um Millimeter mit den Ländern auch in den Bund-Länder-Finanzverhandlungen . Wir werden uns in den nächsten
Wochen noch mit dieser Gesetzgebung befassen .
Wir werden große Aufwendungen dafür machen
müssen, dass es funktioniert . Auch das ist ein wichtiger
Punkt. Das betrifft den automatischen Informationsaustausch .
Wir haben die Initiative ergriffen - das haben Sie richtig erwähnt, Herr Kollege Schneider -, um auf internationaler Ebene zur Zusammenarbeit in der Bekämpfung
unfairer exzessiver Nutzungen unterschiedlicher steuerlicher Regelungen in den verschiedenen Jurisdiktionen
zu kommen . Mit dieser BEPS-Initiative sind wir weit vorangekommen . Wir setzen sie übrigens in europäisches
Recht um . Herr Kollege Gambke, das haben Sie ein bisschen übersehen: Ich habe mit den Landesfinanzministern
schon vor vier oder fünf Jahren darüber geredet, dass wir
die missbräuchliche Nutzung der Rechteüberlassung in
erster Linie durch europäische Zusammenarbeit bekämpfen wollen . Da sind wir bei der Umsetzung .
Was wir jetzt als ergänzende nationale Gesetzgebung
machen, ist deswegen in der Anwendung begrenzt: Für
die Länder, die sich nicht an den Standard der internationalen Vereinbarungen halten, führen wir mit einer nationalen, der Zinsschranke ähnelnden Regelung eine zusätzliche Sicherung ein . Der eigentliche Ansatz ist aber,
durch europäische und weltweite Zusammenarbeit die
exzessive Nutzung unterschiedlicher Regelungen stärker
zu bekämpfen . Auf diesem Weg sind wir weit vorangekommen . Wir werden ihn aber weiter konsequent gehen
müssen .
Die große Aufgabe, die jetzt vor uns liegt - auch in den
nächsten Legislaturperioden; aber bis vor kurzem gab es
überhaupt keine Bereitschaft, weder europaweit noch international, sich mit dem Thema zu beschäftigen; das haben wir inzwischen während unserer Präsidentschaft auf
der G-20-Ebene ändern können -, ist, dass wir uns viel
intensiver mit den schwierigen Fragen der Besteuerung
von im Wesentlichen digital operierenden Gesellschaften
beschäftigen müssen . Dabei sind wir ganz am Anfang,
und es wird ein langer Weg sein .
Mein Rat an alle, die nicht den Demagogen das Feld
für leichte Volksverhetzung bieten wollen, ist, dass wir
die Kompliziertheit dieser Dinge nicht vereinfachen sollten . Wir haben in den letzten Jahren konsequent Schritt
für Schritt die Bekämpfung krimineller Steuerhinterziehung und legaler, aber exzessiver und damit auch missbräuchlicher Nutzung unterschiedlicher steuerlicher Regelungen ein ganzes Stück vorangebracht .
Dabei helfen uns auch Veröffentlichungen wie die der
Panama Papers . Wir haben sie nicht gebraucht, um anzufangen, aber wir haben sie genutzt, um den internationalen Druck zu verstärken . Denn das, was wir jetzt national
machen, haben wir auch international vorangebracht .
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten
wir uns in der Debatte über die erreichten Erfolge freuen .
Wir haben in den letzten sechs Jahren im Kampf gegen
Steuerhinterziehung und Steuervermeidung mehr erreicht als in den 30 Jahren zuvor .
({0})
Deswegen brauchen wir uns dieser polemischen Diskussion auch nicht zu stellen, sondern wir können wirklich
etwas vorweisen . Aber natürlich wird es auch in der Zukunft noch Möglichkeiten geben .
Meine zweite Bitte ist, Herr Kollege Gambke: Schieben Sie nicht jede steuerberatende Tätigkeit in die Richtung einer illegalen oder verwerflichen Tätigkeit!
({1})
- Ja, das klingt in den Debatten immer schnell an .
({2})
Die steuerberatenden Berufe haben die berufliche Verpflichtung, den Steuerpflichtigen zu helfen, nicht mehr
Steuern zu zahlen, als sie gesetzlich verpflichtet sind.
Auch das ist Ausdruck einer fairen und transparenten
Praxis .
Die Inkriminierung dieser beratenden Berufe, indem
man sagt, dort würde immer nur nach Schlupflöchern gesucht, ist ein Weg, der in Wahrheit eine notwendige Tätigkeit für eine arbeitsteilige Gesellschaft diskriminiert .
Auch das ist nicht der Weg, der zu einer fairen Steuerpraxis führt .
({3})
Ich will eine letzte Bemerkung machen . Das hier wird
ja eine der letzten steuerpolitischen Debatten in dieser
Legislaturperiode sein . Meines Erachtens sollten wir
auch - jedenfalls diejenigen, die Wahlkampf mit Blick
auf die Verantwortung für die Zeit nach der Wahl führen - im Auge haben, dass wir bei allen Diskussionen
und Entscheidungen niemals nur ein Ziel verfolgen
können . Natürlich gibt es Debatten, bei denen wir einen
Wettbewerb führen, wer die niedrigsten Steuern hat . Es
gibt aber auch die Debatten, bei denen wir einen Wettbewerb führen, wer die höchsten Leistungen für Investitionen, Familien, Renten usw . hat . Eine nachhaltige Politik,
die den Menschen wirklich dient und dafür sorgt, dass
die Löhne steigen, dass die Renten steigen und dass die
Arbeitsplätze sicher sind, erreicht man nur dann, wenn
man durch einen Ausgleich der verschiedenen Interessen
und Gesichtspunkte eine verlässliche und auch ein Stück
weit moderate Politik betreibt .
Wir haben in den letzten Jahren eine Finanz- und Steuerpolitik betrieben, die einen wesentlichen Beitrag dazu
geleistet hat, dass es den Menschen in diesem Lande besser geht als vielen anderen Menschen außerhalb unseres
Landes . Darum werden wir auch beneidet . Wir haben die
Möglichkeiten geschaffen, dass wir größere Fähigkeiten
haben, in Europa dazu beizutragen, dass Europa insgesamt auf einem guten Wachstumskurs bleibt .
Wenn wir diesen Weg der Berechenbarkeit, der Verlässlichkeit und auch der Mäßigung in den kommenden
Jahren verlassen sollten, werden wir nicht mehr Gerechtigkeit, sondern mehr Elend und mehr Arbeitslosigkeit
ernten . Das wäre der falsche Weg .
Deswegen werden wir genau diesen Weg - maßvolle,
nachhaltige, verlässliche Finanzpolitik und kontinuierliches, immer wieder mühsames Wirken dafür, dass wir
ein faires, verlässliches und transparentes Steuersystem
haben - gehen . So dienen wir den Menschen in unserem
Lande und auch der Gerechtigkeit .
Herzlichen Dank . - Ich bitte um Zustimmung zu den
Gesetzentwürfen .
({4})
Vielen Dank . - Bevor ich gleich dem nächsten Redner das Wort gebe, komme ich der Bitte des Kollegen
Gambke um die Möglichkeit zu einer Kurzintervention
nach . Bitte schön .
({0})
Vielen Dank . - Herr Bundesminister Schäuble, Sie haben meine Zwischenfrage nicht zugelassen . Es geht mir
aber wirklich um Glaubwürdigkeit .
({0})
Es geht mir auch um Ihre Glaubwürdigkeit, die sehr beschädigt ist, wenn Sie weiterhin das behaupten, was Sie
vorhin behauptet haben .
({1})
Sie haben ja völlig recht: Es war schwer, die Schweiz
zu überzeugen, am automatischen Informationsaustausch
teilzunehmen . Das ist gar keine Frage .
({2})
Der Hinweis auf die Kavallerie ist aber nur ein Hinweis . Der zweite Hinweis wäre gewesen, dass parallel
zu Ihnen die US-Amerikaner mit der Schweiz über den
Foreign Account Tax Compliance Act, kurz FATCA, verhandelt haben .
Herr Bundesminister, ich weiß nicht, ob Sie bei unserer öffentlichen Anhörung dabei waren. Dort hatten wir
einen wesentlichen Verhandlungsführer der Amerikaner
per Video zugeschaltet . Er hat explizit ausgeführt: Wenn
das Steuerabkommen mit der Anonymität so vereinbart
wird, wie es jetzt auf dem Tisch liegt, werden wir FATCA
gar nicht umsetzen können .
Das heißt: Die Schweiz war auf dem Weg in die Weißgeldstrategie . Mit dem Steuerabkommen hätten wir das
zurückgedreht . - Das ist die historische Wahrheit . Ich
bitte Sie, diese endlich anzuerkennen .
({3})
Herr Bundesminister, möchten Sie darauf antworten?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Gambke, ich hatte in
meinen Ausführungen ausdrücklich gesagt, dass es für
die Schweiz über Generationen völlig undenkbar war,
über ihr Bankgeheimnis überhaupt Gespräche zu führen .
Diese Situation, die durch die Kavallerie nicht zu verändern war, war die Ausgangslage für die Verhandlungen
mit der Schweiz, um eine Lösung für diese schrecklichen
Probleme zu finden.
In der Endphase dieser Verhandlungen - auch das
habe ich ausgeführt - haben die Amerikaner den Druck
ausgeübt, den die Amerikaner und nur die Amerikaner
ausüben können, weil sie sagen können: Wer sich nicht
an unsere Gesetze hält, bekommt keinen Zugang zum
amerikanischen Markt . - Das hat die Schweiz dazu gebracht, ihre Position zu verändern . Das ist die historische
Wahrheit . Das können Sie prüfen .
In dem Moment, in dem die Schweiz ihre Position
verändert hat, haben wir Europäer sofort reagiert . Zusammen mit meinen Kollegen habe ich das damals in
Dublin getan .
({0})
Ich weiß noch genau, wie wir gemeinsam vor die Presse
getreten sind und gesagt haben: Dann werden wir das,
was jetzt - aber nur durch den amerikanischen Druck;
das war FATCA - erreicht worden ist, aufgreifen .
({1})
Der Rest entspricht leider nicht der Wahrheit . Sie sollten mir auch nicht die Worte im Munde herumdrehen .
({2})
Denn ich habe ja ausdrücklich gesagt: FATCA war ursächlich für automatischen Informationsaustausch . Deswegen brauchen Sie mich nicht über den Ablauf zu
belehren .
Sie sollten im Übrigen den baden-württembergischen
Ministerpräsidenten - er ist, glaube ich, noch im Amt und
gehört Ihrer Partei an - fragen. Er hat damals öffentlich
gesagt: Dieses Abkommen kann man doch nicht scheitern lassen .
({3})
Vielen Dank . - Wir fangen keine Zwiegespräche an .
Jetzt hat der Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrter Herr Schäuble, Sie haben
recht, dass die Schweiz das Bankgeheimnis lange sehr
vornehm verteidigt hat . Insofern bin ich der festen Überzeugung, dass es richtig war, dass Peer Steinbrück die
vornehme Abwehrhaltung der Schweiz gegenüber jeglichem Vorgehen gegen Steuerbetrug angekratzt hat . Ob
„Kavallerie“ das richtige Wort war? - Ja, denn es hat sich
gezeigt, dass der Schweiz ihre vornehme Abwehrhaltung
nicht zugestanden wurde .
({0})
Deshalb war es überhaupt erst möglich, das Schweizer
Abkommen ein bisschen zu entlarven . Besonders geärgert hat uns, dass dieser Ablasshandel, wie ihn Carsten
Schneider bezeichnet hat, stilbildend für alle weiteren
Abkommen gewesen wäre . Man stelle sich einmal vor:
Ein solches Abkommen hätten wir ebenfalls mit allen
anderen Staaten weltweit abgeschlossen . Das wäre ein
absolutes Desaster .
({1})
Warum haben eigentlich nicht die Europäer oder wir
FATCA gemacht? Wir hätten ebenfalls ein mit FATCA
vergleichbares Abkommen schließen können . - Nein, die
USA haben uns sehr geholfen - das stimmt -, aber auch
Peer Steinbrück und - last, but not least - die SPD-geführten Länder . So viel Parteipolitik muss heute erlaubt
sein . Ihr wart es nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der CDU/CSU, sondern es waren die SPD-geführten
Länder, die sich quergelegt haben . Wir, die SPD-Fraktion, haben das sehr gerne mitgetragen .
({2})
Heute geht es um den Entwurf eines Gesetzes gegen
schädliche Steuerpraktiken . Wir sind dafür, dass sich
alle fair am Steueraufkommen beteiligen . Deshalb ist es
wichtig, dass wir ein Lizenzschrankengesetz machen . Da
Kollege Middelberg den Bundestagswahlkampf bereits
in den Fokus gestellt hat, will ich sagen: Wir machen
zusammen wirklich gute Sachen . Deswegen wollte ich
schon alles gegen Frau Karawanskij verteidigen . Aber
ich muss sagen, dass wir trotz der guten Sachen immer
wieder Dinge tun, die die SPD-Fraktion richtig ärgern .
Ich nenne ein paar Beispiele . Das Erbschaftsteuergesetz
ist alles andere als gerecht . Dass Minister Schäuble tatsächlich Patentboxen in Erwägung zog, war ein weltweit
verheerendes Signal . Wir sind froh, dass wir das aufheben konnten .
({3})
Dass Sie eine Registrierkassenpflicht verhindert haben,
ist ein Desaster. Das öffnet dem weiteren Betrug Tür und
Tor .
({4})
Dass Sie die Einführung der einzig funktionierenden
technischen Software INSIKA verhindert haben, ist ein
Desaster und öffnet dem Betrug Tür und Tor.
({5})
Dass Sie den Fremdvergleichsgrundsatz gemäß dem aktuellen OECD-Standard verhindert haben, ist ein Desaster . Das hätte man ganz anders machen müssen .
({6})
Dass wir bei den Verlustnutzungsbeschränkungen Ihretwegen Ausnahmen einführen mussten, ist ein Desaster .
({7})
Noch ein aktuelles Beispiel: Der Schwellenwert für
die Niedrigbesteuerung liegt bei 25 Prozent und nicht bei
15 Prozent, wie es die Grünen vorgeschlagen haben; das
wäre ein Fehler gewesen . Das haben wir zusammen gut
gemacht . Aber was ist im Gesetzgebungsverfahren passiert? Liebe Kollegen von der Union, Ihr habt darüber
nachgedacht, ihn auf 15 Prozent festzulegen . Das wäre
ein schwerer Fehler gewesen . Das konnten wir Gott sei
Dank verhindern .
({8})
Kommen wir zur Steuer-ID . Um es vorwegzunehmen:
Wir wollen, dass alle Konten transparent sind . Es soll
keine namenlosen, anonymen Konten mehr geben . Dass
Name und Adresse angegeben werden müssen, ist nach
dem Geldwäschegesetz klar . Wir wollen die Steuer-ID
hinzunehmen, damit die Konten sicher identifiziert werden können, sodass man weiß, was alles über ein Konto
abgewickelt wird und wer darüber verfügt . Die Bankenverbände haben uns gesagt, dass es dann keine Verbraucherkredite mehr gebe . Wenn jemand in einem Geschäft
etwas spontan kaufen wolle, aber seine Steuer-ID nicht
angeben könne, dann platze das Geschäft . Die Kollegen
von der Union haben daraufhin gesagt, dass es wirklich
schlecht sei, wenn jemand eine Waschmaschine als Sonderangebot nicht kaufen könne, weil er seine Steuer-ID
nicht angeben könne . Wir haben daraufhin gesagt: Wir
machen im Zusammenhang mit Verbraucherkrediten
einen Kompromiss . Wir haben lange diskutiert . Dann
kam die Idee auf, den Freibetrag im Zusammenhang mit
der Steuer-ID auf 25 000 Euro festzulegen . Ich möchte die Gäste auf den Zuschauertribünen fragen, wann
sie das letzte Mal eine Waschmaschine für 25 000 Euro
gekauft haben . Das machen wohl die wenigsten . Die
teuerste Waschmaschine, die ich gefunden habe, kostet
8 000 Euro . Im Ergebnis liegt dieser Waschmaschinenfreibetrag nun bei 12 000 Euro . Das ist im Grunde ein
Desaster und lädt dazu ein, das, was wir heute beschließen, zu umgehen . Das ist objektiv ein Fehler .
({9})
Gleichwohl machen wir auch Gutes . Wir erhöhen die
Mitwirkungspflichten, verstärken die ErmittlungsmögLothar Binding ({10})
lichkeiten der Finanzbehörden, und wir wollen, dass
die Institute Geschäftsbeziehungen über Briefkastenfirmen melden . Das erhöht Transparenz . Das ist das Gute .
Auch dass wir das steuerliche Bankgeheimnis aufheben,
ist gut . Weiterhin ist positiv, dass jemand, der Anteile an
ausländischen Gesellschaften hat oder mit diesen Geschäftsbeziehungen pflegt, das anzeigen muss. Da haben
wir, glaube ich, sehr gute Dinge getan .
Wir machen oft sehr gute Gesetze, um kurz vor dem
Ziel dann doch noch hier und da ein Schlupfloch aufrechtzuerhalten . Deshalb ist es gut, dass die Wahlen das
nächste Mal anders ausgehen .
({11})
Dann können wir nämlich diese offenen Punkte noch
klären, Schlupflöcher schließen und ein gerechtes Steuersystem schaffen.
({12})
Das ist auch unser gemeinsames Ziel . Dann könnt ihr
künftig als Opposition zustimmen .
({13})
Vielen Dank . - Jetzt hat die Kollegin Lisa Paus für
Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, es
werden tatsächlich jetzt Gesetze vorgelegt, die vorgeben,
etwas grundlegend zu verändern . Herr Binding hat vonseiten einer der die Regierung stellenden Fraktion sehr
schön dargestellt, dass doch nicht so viel zu erwarten ist .
Das ist ziemlich verheerend angesichts dessen, was doch
eigentlich ansteht .
({0})
Wir haben alle miteinander die Panama Papers im
April 2016 wahrgenommen und gesehen, in welch gigantischem Ausmaß Briefkastenfirmen dazu benutzt
werden, Vermögen in Steueroasen zu verstecken, Vermögen, das aus kriminellen Geschäften stammt und so gewaschen wird, Vermögen, das schlichtweg vor der Steuer
versteckt wird . Allein die Kanzlei Mossack Fonseca hat
2 000 Milliarden Dollar durch 300 000 Briefkastenfirmen in Panama und auf anderen kleinen Inseln für Klienten in Steuerparadiese geschleust . 14 000 Banken und
auch Rechtsanwaltskanzleien waren an den Transaktionen beteiligt - eigentlich unfassbar, meine Damen und
Herren .
Internationale Steuerhinterziehung kann man nicht
ausschließlich national bekämpfen . Das ist wahr . Aber
falsch ist es, zu behaupten, dass man es nur international tun könne. Bis zur Veröffentlichung der Panama
Papers war aber genau das die Haltung von Ihnen, Herr
Schäuble, und von der gesamten Bundesregierung .
Mit diesem Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung gibt es - welche Überraschung - jetzt doch Maßnahmen auch auf nationaler Ebene, Maßnahmen, die
seit langem im grünen Forderungskatalog standen . Aber
leider wurde dann eben doch vieles nicht übernommen,
und es fehlen wichtige Maßnahmen . Herr Binding hat
mir netterweise schon einiges vorweggenommen . Aber
ohne diese Maßnahmen geht es eben nicht, wenn man es
wirklich ernst mit der Steuergerechtigkeit meint .
({1})
Ihr Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung ist
deswegen bestenfalls halbherzig, vergleicht man es mit
dem, was man hätte tun können, tun müssen. So findet
sich auch auf Seite 2 des Gesetzentwurfes der schlichte
Hinweis, dass mit Steuermehreinnahmen aufgrund dieses Gesetzes jedenfalls nicht gerechnet werden kann .
Ich möchte nur zwei Beispiele für Ihre Halbherzigkeit nennen. Ja, die Abschaffung des Bankgeheimnisses
ist gut, auch die neuen Anzeigepflichten sind richtig und
wichtig. Aber warum gelten diese Meldepflichten nur für
Briefkastenfirmen außerhalb der Europäischen Union?
Briefkastenfirmen gibt es, wie wir wissen, auch innerhalb der Europäischen Union . Probleme mit Ländern wie
Malta, Zypern, aber auch immer noch der Schweiz, sind
hinlänglich bekannt . Warum gelten sie nur für Banken,
aber eben nicht für Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und
andere Dienstleister im Finanzbereich, da doch auch sie
Briefkastenfirmen vermitteln?
Solange es weiterhin so einfache Auswege gibt, droht
dieses Gesetz nur den Sitz und den Vertriebsweg der
Briefkastenfirmen deutscher Steuerpflichtiger zu verlagern, statt tatsächlich die Steuersümpfe endlich trockenzulegen .
({2})
Im Übrigen zählen im Kampf gegen die Steuerhinterziehung nicht nur die Tonnen Papier, die man mit Gesetzen produziert . Der Ernst der Absichten spiegelt sich vor
allem darin wider, mit welchen Ressourcen man die Behörden zur Umsetzung des Gesetzes ausstattet . Solange
in Deutschland völlig unterbesetzte, föderal zersplitterte,
für diese Fälle nicht spezialisierte Steuerverwaltungen
weiterhin Heerscharen von Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und ganzen Steueroptimierungsabteilungen in
Banken allein gegenüberstehen, so lange wird der Kampf
gegen Steuerhinterziehung ein aussichtsloser Kampf
bleiben .
Genau aus diesem Grunde fordern wir Grünen eine
neue Steuerspezialeinheit auf Bundesebene, besetzt
mit Experten der bestehenden Steuerverwaltungen, mit
Fachleuten, die bisher in Steuerberatungsgesellschaften und Konzernsteuerabteilungen tätig sind, sowie mit
Wissenschaftlern. Eine so geschaffene neue Behörde
wäre für die Veranlagung und Prüfung von Konzernen
und Einkommensmillionären zuständig . Sie wäre endlich eine Institution auf Augenhöhe, die dafür sorgt, dass
Steuergesetze tatsächlich wieder für alle Steuerpflichtigen in Deutschland gelten, unabhängig vom Geldbeutel,
unabhängig vom Steuerberater und unabhängig vom
Lothar Binding ({3})
Bundesland . Wir haben einen entsprechenden Antrag
eingebracht . Sie haben ihn nicht einmal ernsthaft diskutiert .
So bleibt am Ende schlichtweg nur festzuhalten: Herr
Schäuble und die Große Koalition sind beim Kampf gegen Steuerhinterziehung ganz groß in der öffentlichen
Kampfrhetorik, aber ganz klein in der tatsächlichen Wirkung .
({4})
Spürbar mehr Steuergerechtigkeit wird es mit diesen Gesetzen nicht geben, und die einzig passende Reaktion von
unserer Seite darauf ist die Enthaltung .
({5})
Jetzt hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege
Dr . Hans Michelbach das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Von Vorwürfen wie „rückwärtsgewandte
Steuerpolitik“ - so lauteten Ihre Vorhaltungen - halte ich
grundsätzlich nichts . Heute ist ein guter Tag für mehr
Steuergerechtigkeit in Deutschland . Wir verabschieden
zwei Gesetzentwürfe, mit denen wir Steuergestaltung,
Gewinnverlagerung, Steuerhinterziehung weitere Riegel
vorschieben . Das passt der Opposition natürlich auch
wieder nicht . Schon mit einem Fragezeichen zu versehen ist, dass ausgerechnet unser Koalitionspartner, die
SPD, auch ihre eigene Politik schlechtmacht . Ich kann
Ihnen nur sagen: Das ist dem Wahlkampf geschuldet .
Das nimmt Ihnen niemand ab . Wir haben gemeinsam Politik gegen Steuervermeidung und Steuerhinterziehung
betrieben, und das ist gut so .
({0})
Diese Gesetzentwürfe sind Teil einer ganzen Serie
von Gesetzen, mit denen diese Koalition gegen unfaire
Steuerpraktiken und fragwürdige Geschäftspraktiken
von transnationalen Konzernen und Finanzmarktakteuren vorgeht . Das ist in internationale Lösungen integriert. Ohne unseren Bundesfinanzminister Dr. Schäuble,
seine internationale Durchsetzungskraft und sein Ansehen wäre das nicht möglich gewesen . Für Ihre Initiativen
danke ich Ihnen ausdrücklich, Herr Minister .
({1})
Meine Damen und Herren, das heutige Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz ist das richtige Instrument im
Kampf gegen Steuervermeidung, Steuergestaltung, Steueroasen und Steuerhinterziehung. Was findet statt? Wir
bekämpfen die Panama Papers . Wir fördern die Transparenz beim Steuersubstrat . Wir haben zudem mehr
Mitwirkungspflichten und Anzeigepflichten von Banken
durchgesetzt . Wir haben das steuerliche Bankgeheimnis
aufgehoben, und wir haben mit Blick auf die täglichen
Markt- und Verbraucherinteressen auch Instrumente mit
Augenmaß und Zielgenauigkeit erarbeitet . Darum geht
es .
Es sollten nicht nur pauschal Forderungen gestellt
werden, sondern wir müssen auch bedenken, dass gerade unser Wirtschaftsstandort Deutschland von internationalen Investitionen profitiert und dass wir für Wachstum und Beschäftigung auch die internationalen offenen
Märkte benötigen . Auch das gehört dazu, und das muss
in die Gesetzesarbeit praxisnah und fachgerecht eingearbeitet werden . Darum geht es, und das werden wir immer
wieder im Auge haben .
Gerade für uns in Deutschland gilt: Kapitalanlagen
und Investitionen im Ausland machen einen wichtigen
Teil der Stärke unserer Wirtschaft aus . Was aber natürlich nicht geht, ist, dass dabei getrickst wird, dass sich die
Balken biegen, vor allem von internationalen Konzernen,
und zwar so lange, bis es praktisch keine Steuerschuld
mehr gibt . Diese Rosinenpickerei von internationalen
Konzernen wie Apple, Google, Amazon, Starbucks, Ikea
und anderen ist unfair gegenüber den Wettbewerbern und
unserem Staat .
({2})
Es geht nicht an, dass Arbeitnehmer und Mittelstand in
Deutschland ordentlich ihre Steuern zahlen, während andere mit Gewinnverlagerungen oder Briefkastenfirmen
jonglieren, um sich ihrer Steuerpflicht zu entziehen oder
Geld aus illegalen Geschäften zu waschen .
({3})
Das ist genau das Gegenteil von fairem Wettbewerb . Das
ist das Gegenteil von Gemeinwohl . Das ist gemeinwohlwidrig und wird von uns, der CDU/CSU, maßgeblich
bekämpft .
({4})
Steuern müssen dort gezahlt werden, wo die Erträge
erwirtschaftet werden, und dürfen nicht dort gezahlt werden, wo der niedrigste Steuersatz gilt . Das ist das Prinzip
in der Steuerpolitik der Arbeitsgruppe der CDU/CSU .
Ich darf sagen: Mit dem Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken und der Lizenzschranke sind wir auf unserem
Weg ein wesentliches Stück vorangekommen .
Daneben nehmen wir für den Mittelstand zwei wichtige Entlastungen vor . Einmal ist die Verdoppelung der
Grenze für Abschreibungen auf geringwertige Wirtschaftsgüter auf 800 Euro zu nennen; das ist eine klare Entbürokratisierung . Zum anderen sehen wir für die
Sanierung von Unternehmen steuerliche Verbesserungen
vor . Damit werden Insolvenzzerschlagungen im Mittelstand verhindert . Auch das ist ein wesentlicher Punkt .
Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich
verdeutlichen: Wir haben in dieser Legislaturperiode die
Dinge im Kampf gegen Steuerhinterziehung, Steuervermeidung und Gewinnverlagerung durch Regulierung
und Reglementierung wesentlich vorangebracht . Meine
Hoffnung ist, dass wir in der neuen Legislaturperiode
genauso engagiert Steuerpolitik betreiben, nämlich eine
Steuerentlastungspolitik . Unsere Arbeitnehmer und Mittelständler brauchen eine Entlastung, eine Wachstumsdividende für die Zukunft . Daran lassen Sie uns arbeiten!
Es geht um eine Abflachung des Steuertarifs und eine
schrittweise Abschaffung des Solis. Das ist die Steuerpolitik der Zukunft . Es geht nicht um rückwärtsgewandtes
Handeln in Steuerfragen .
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren .
({5})
Vielen Dank . - Nächster Redner für die SPD-Fraktion
ist der Kollege Jens Zimmermann .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Ende
haben wir doch noch einmal eine Runde Wahlkampf gehabt; Herr Kollege Middelberg hatte ja die Debatte damit
eingeläutet . Da so viele Zitate an den Anfang der Reden
gestellt wurden, will ich auch mit einem Zitat beginnen .
Es stammt vom 27 . April 2017, nämlich genau von heute .
Der Herr Bundesfinanzminister hat vorhin gesagt:
Der Kampf gegen Steuerhinterziehung . . . wird ein
immerwährender Kampf sein .
An dieser Stelle kann ich dem Bundesfinanzminister nur
zustimmen .
Die Frage, warum die SPD und Martin Schulz sagen:
„Das ist ein wichtiges Thema; das muss in unser Wahlprogramm; daran müssen wir in Zukunft alle wieder arbeiten“, hat Ihr eigener Finanzminister mit dieser Aussage meisterlich beantwortet . Umgekehrt muss man daraus
schließen: Die Union will mit den Gesetzesvorhaben, die
wir jetzt abschließen, offensichtlich einen Schlussstrich
darunter ziehen . - Dazu kann ich jetzt schon sagen: Mit
der SPD wird es keinen Schlussstrich unter den Kampf
gegen Steuervermeidung geben, meine Damen und Herren; wir fangen gerade erst an .
({0})
Ich kann Herrn Schäuble wirklich nur zustimmen: Es
ist ein immerwährender Kampf . Wir alle, die wir uns mit
dem Thema beschäftigen, wissen: Es gibt immer neue
Konstellationen . Es gibt immer neue Ideen . Es gibt sehr
viele Leute, die sich den ganzen Tag Gedanken darüber
machen, wie sie die Staaten austricksen können . Deswegen ist es unsere Aufgabe, unser aller Aufgabe, den
Finger in die Wunde zu legen und immer wieder nachzuziehen, auch wenn das manchmal keine schöne Sache
ist, weil man sich ärgert . Hier werden wir immer wieder
nachlegen müssen . Alle diejenigen, die suggerieren, dass
man jetzt mal ein bisschen langsam machen sollte und
dass keine überschießende Wirkung - das ist auch so ein
schönes Wort - eintreten dürfe, sind, glaube ich, in einer
ganz anderen Richtung unterwegs . Das ist in Ordnung,
aber es ist nicht unsere Meinung .
Ich will noch ein ganz konkretes Thema nennen .
Wir verhandeln gerade über die Umsetzung der Vierten
EU-Geldwäscherichtlinie . In der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie geht es um ein öffentliches Transparenzregister . Die SPD fordert mit den SPD-geführten Bundesländern, dass es einen umfassenden Zugang zu diesen
Informationen gibt . Wenn die Union beim Kampf gegen
Steuerhinterziehung und Geldwäsche tatsächlich so weit
vorn ist, dann fordere ich sie auf, bei der Debatte - die
werden wir an dieser Stelle noch vor der Sommerpause
führen - den Weg frei zu machen, sodass wir ein Transparenzregister bekommen, auf das alle Zugriff haben.
({1})
Es ist schon gesagt worden: Wir waren immer wieder
auf die Hilfe von Journalisten bzw . NGOs angewiesen .
Sie fordern jetzt, den Zugang so bürokratisch und schwer
wie irgend möglich zu machen . - An dieser Stelle können
Sie liefern . Dann hätten wir noch einmal einen weiteren
Schritt im Kampf gegen Steuerhinterziehung getan .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Uwe Feiler für
die CDU/CSU das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Das Bekanntwerden von Steuervermeidungspraktiken mittels Briefkastenfirmen in Panama ist
für mich eine weitere Bestätigung dafür, dass es richtig war und auch in der Zukunft bleibt, Herr Kollege
Zimmermann, mit großem Nachdruck internationale
Schritte gegen Steuerbetrug und unfaire Steuerpraktiken
zu vereinbaren .
Bundesfinanzminister Schäuble hat bereits heute und
auch mehrfach davor dargestellt, welcher Anstrengungen
es bedurfte, um unsere Partner davon zu überzeugen,
dass sowohl Unterbietungswettbewerbe um Steuersätze
als auch die Schaffung von Steuerparadiesen nicht die
Wege sein können, wie Staaten miteinander umgehen .
Der Zehn-Punkte-Plan des Finanzministers, der national wie international anerkannt wurde und sich auch in
das BEPS-Projekt der OECD einfügt, bot ebenfalls eine
sehr gute Grundlage für die konkrete Ausgestaltung dieser beiden Gesetzentwürfe . Wir setzten dabei - wie bei
anderen Gesetzen auch - auf das Mittel der Transparenz .
Damit erhöhen wir das Entdeckungsrisiko für diejenigen,
die versuchen, auf Auslandskonten Geld zu parken, um
dieses am Fiskus vorbeischleusen zu können . Dazu brauchen wir die Kreditinstitute . Wir nehmen sie durch Anzeige- und Mitwirkungspflichten in die Verantwortung.
Im parlamentarischen Verfahren haben wir noch eine
ganze Reihe von nicht unwesentlichen Veränderungen
und Ergänzungen vorgenommen, damit wir mit den gesetzlichen Regelungen auch die wirkliche Zielgruppe erreichen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei allem Eifer in
Bezug auf das, was wir bisher gemacht haben, und auch
im Hinblick auf die Gesetze, die wir heute beschließen
werden, sollten wir nicht über das Ziel hinausschießen .
Lieber Kollege Binding, wenn wir Ihnen in Bezug auf
eine flächendeckende Registrierkassenpflicht in Deutschland gefolgt wären, wäre das „Master of Desaster“ gewesen .
({0})
Wir wollen keine Flut von Daten produzieren, mit
denen die Finanzverwaltung überhaupt nichts anfangen
kann oder will . Das Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz sieht von seiner Systematik her nämlich vor, dass
bei allen Kontobeziehungen Name, Adresse und Steuer-ID-Nummer erfasst und dann der Steuerverwaltung
zur Verfügung gestellt werden, um eine vollständige und
vor allem eindeutige Zuordnung der Daten zu ermöglichen .
Speziell bei Kreditkonten, die von Konsumenten eingerichtet werden, weil sie sich zum Beispiel einen neuen
Fernseher, eine Waschmaschine, einen Wäschetrockner
oder ähnliches kaufen und diesen Kauf finanzieren wollen, macht die Erhebung der Steuer-ID-Nummer jedoch
überhaupt keinen Sinn, weil sich diese Kreditkonten
überhaupt nicht zur Steuerhinterziehung oder Steuervermeidung eignen .
Weltfremd ist ebenfalls die Annahme, dass die Kunden
ihre Steuer-ID-Nummer ständig mit sich führen oder fleißig zu Hause auswendig gelernt haben . Ich schaue hier
in die Runde: Ich glaube, die wenigsten, die hier sitzen,
können ihre Steuer-ID-Nummer auswendig aufsagen .
({1})
Deshalb bin ich dankbar, dass wir uns - das ist von mir
übrigens bereits in der ersten Lesung gefordert worden in diesem Gesetz gemeinsam darauf geeinigt haben, den
§ 154 so neu zu fassen, dass die Konsumenten, die Verbraucherkredite bis zu einer Höhe von 12 000 Euro in
Anspruch nehmen, ihre Steuer-ID-Nummer nicht angeben müssen . Bei Kreditgeschäften jenseits dieser Summe
kann man davon ausgehen, dass es sich eben nicht um
sogenannte Spontankäufe handelt, sondern dass der Kunde diese Kaufentscheidung vorbereitet hat und ihm zugemutet werden kann, dass er zum Beispiel beim Autokauf
seine Steuer-ID-Nummer mitbringt .
So wird auch vermieden, dass Millionen von Daten
nacherhoben werden müssen . Diese Regelung zeugt von
Augenmaß, ohne den Kampf gegen Steuerhinterziehung
zu beeinträchtigen . In allen anderen Fällen haben Kreditinstitute außerdem die Möglichkeit, für Konten die
Steuer-ID durch das maschinelle Abfrageverfahren beim
Bundeszentralamt für Steuern innerhalb von drei Monaten nachzuerheben . Sollte der Kunde seine Mitwirkung
verweigern, wird dies gesondert vermerkt .
Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist leider
zu kurz, um auf alle 18 Umdrucke einzugehen . Ich möchte mich zum Abschluss meiner Ausführungen aber ganz
herzlich bei den Kolleginnen und Kollegen des Finanzausschusses für die Beratung und beim Bundesfinanzministerium und den Fraktionsmitarbeitern für die hervorragende Unterstützung bei der Umsetzung unserer doch
zahlreichen Änderungswünsche bedanken .
({2})
Mit diesem Gesetz kommen wir im Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung ein gutes Stück
voran .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({3})
Vielen Dank . - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Bernhard Daldrup, SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zum Thema Steuer-ID möchte ich, ehrlich gesagt,
gar nichts mehr sagen. Ich finde, die Einwände sind zu
belanglos . Wenn man sich damit auf eine Art und Weise auseinandersetzt, als wäre es eine Qual und eine Fesselung der Menschen, die Steuernummer mitzuführen,
dann ist das grotesk . Das lohnt sich nicht .
Wir reden ja heute über das Austrocknen von Steueroasen im mehr oder weniger internationalen Kontext .
Das ist sozusagen eine Daueraufgabe . Ich will dabei auf
eine andere Aufgabe hinweisen, die uns noch bevorsteht .
Auch innerhalb Deutschlands nutzen Unternehmen Steuerschlupflöcher. Darum müssen wir uns kümmern. Der
Bundesrat hat uns jedenfalls in seiner Sitzung vom Dezember 2016 mit einer Entschließung noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen und darum gebeten .
Ich will Ihnen einmal ein konkretes Beispiel vor
Augen führen: Leverkusen ist - viele von uns wissen
das - eine wirtschaftlich starke Stadt inmitten einer sehr
boomenden Region. Die Bayer AG ist ein Flaggschiff
der deutschen Wirtschaft . Trotzdem sind die Kassen
der Kommune Leverkusen mehr oder weniger leer . Bei
160 000 Einwohnern hatte Leverkusen im Jahre 2014
Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von 25 Millionen
Euro .
({0})
- Ganz genau . Bei der Firma Bayer sind die Kassen voll .
Da haben Sie in der Tat recht, Herr Michelbach . Ich komme darauf zurück, keine Sorge .
({1})
Andererseits ist es so, dass in Leverkusen Milliardengewinne bei den Firmen Bayer und Lanxess anfallen .
Was ist also die Erklärung? Die Nachbarstadt Monheim,
40 000 Einwohner, hat Gewerbesteuereinnahmen in
Höhe von 225 Millionen Euro .
({2})
Der Unterschied: In Leverkusen gibt es einen Gewerbesteuerhebesatz von 475 Prozent, in Monheim, in der direkten Nachbarschaft, sind es gerade noch 265 Prozent .
Das sind die Unterschiede bei den Gewerbesteuerhebesätzen . Laut Handelsblatt verändern Firmen wie Bayer
ihren unternehmerischen Organkreis entsprechend und
gründen in Gemeinden wie etwa Monheim Tochtergesellschaften . Das sind in Wirklichkeit die innerdeutschen
Steueroasen . Es ist ein ähnliches Muster wie im internationalen Kontext: Übertragung von Patenten, Lizenzgebühren, geringe Gewerbesteuern . Das ist natürlich, wenn
man es so sieht, falsch verstandene kommunale Selbstverwaltung, fehlende interkommunale Solidarität .
Aber was kann man machen? Wir hatten diese Debatte
schon im Jahre 2000 - da waren Sie auch dabei - im Zusammenhang mit der Gemeinde Norderfriedrichskoog .
Sie verzichtete komplett auf die Gewerbesteuer . Bei
47 Einwohnern waren 380 Körperschaften und 180 Personengesellschaften die Folge . Als Konsequenz wurde
damals der gewerbesteuerliche Mindesthebesatz von
200 Prozent eingeführt . Das war eine vernünftige Sache .
Der Durchschnittshebesatz aller Kommunen - große
Städte, kleine Städte - liegt in Deutschland zum gegenwärtigen Zeitpunkt bei etwa 400 Prozent . Es würde also
niemandem schaden, wenn der Mindesthebesatz, wie es
der Bundesrat ja auch von uns erwartet, beispielsweise
auf 300 Prozent angehoben würde . Das wäre jedenfalls
ein Schritt in die richtige Richtung .
({3})
Noch besser wäre es, wenn die Differenz zwischen
den Hebesätzen etwas geringer wäre . Das könnte man erreichen, indem man die Bemessungsgrundlage beispielsweise durch die Einbeziehung der freien Berufe - die
Steuerberater sind ja angesprochen worden - veränderte .
In der Tat wäre das eine vernünftige Variante . Auf diese
Art und Weise könnte man die Gewerbesteuer national
verstetigen, und es bestünde für die Kommunen vielleicht
sogar die Möglichkeit - um gewissermaßen das Aphrodisiakum für Sie, Herr Michelbach, zu benennen -, die
Gewerbesteuer zu senken .
({4})
Mit anderen Worten: Es wäre auch keine schädliche
Entwicklung für die Freiberufler, weil sie ja Betriebsausgaben von der Einkommensteuer abziehen könnten,
die Kommunen hätten so auch ein Stück weit Verlässlichkeit, und die Unternehmen müssten nicht innerhalb
Deutschlands nach Steueroasen spähen . Es wäre doch
eine schöne Aufgabe, wenn wir das anpacken würden .
Herzlichen Dank .
({5})
Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet .
Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 4 a zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf gegen schädliche Steuerpraktiken im
Zusammenhang mit Rechteüberlassungen . Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12128, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11233 und 18/11531
in der Ausschussfassung anzunehmen . Hierzu liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/12148 vor, über den wir zuerst abstimmen . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Opposition abgelehnt .
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte alle, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben . - Das sind CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die
Grünen . - Wer stimmt dagegen? - Niemand . Wer enthält
sich? - Das ist die Fraktion Die Linke . Damit ist der Gesetzentwurf angenommen .
Tagesordnungspunkt 4 b . Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften . Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12127, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11132 und 18/11184 in
der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Opposition angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte alle, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen .
Tagesordnungspunkt 4 c . Wir setzen die Abstimmung
zu der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf
Drucksache 18/12127 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/2877 mit dem Titel „Für eine Bundessteuerverwaltung - Gleiche Grundsätze von Flensburg bis
zum Bodensee“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen . Wer stimmt
dagegen? - Das ist die Opposition . Wer enthält sich? Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen .
Wir haben noch eine weitere Abstimmung, nämlich
die Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/8132 mit dem Titel „Illegale Finanzbeziehungen bekämpfen - Steueroasen austrocknen“ .
Wer stimmt für diesen Antrag? - Das ist die Linke . Wer
stimmt dagegen? - Das ist die Koalition . Wer enthält
sich? - Die Grünen . Damit ist der Antrag abgelehnt .
Jetzt kommen wir zu den Tagesordnungspunkten 5
und 38:
5 . Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
W . Birkwald, Sabine Zimmermann ({0}),
Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Gesetzliche Rente stärken, Rentenniveau anheben und die solidarische Mindestrente einführen
Drucksache 18/10891
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Finanzausschuss
38 . Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Kerstin Andreae, Katja Dörner, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gesamtkonzept Alterssicherung - Verlässlich,
nachhaltig, solidarisch und gerecht
Drucksache 18/12098
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({2})
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss
Wenn Sie jetzt Ihre Plätze zügig einnehmen würden,
könnten wir in der Debatte fortfahren .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Ich sehe, Sie
sind damit einverstanden . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Matthias W.
Birkwald für die Fraktion Die Linke .
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! In der ZDF-Kabarettsendung Die Anstalt vom
4 . April war die Rente wieder einmal das wichtigste Thema. Max Uthoff und Claus von Wagner berichteten vom
österreichischen Rentenparadies .
Männliche Arbeiter und Angestellte erhalten in Österreich eine durchschnittliche Altersrente von sage und
schreibe 1 926 Euro brutto im Monat . Bei den Frauen
sind es 1 092 Euro . Für deutsche Verhältnisse ist allein
das schon paradiesisch . Aber es wird noch besser: Die
Pensionisten - so heißen die Rentner und Rentnerinnen
in Österreich - erhalten ihre Renten 14-mal im Jahr . Auf
12 Monate umgerechnet sind das 2 247 Euro brutto bei
den Männern und 1 274 Euro brutto bei den Frauen . Zum
Vergleich: In Deutschland erhielten Männer 2015 eine
Rente von durchschnittlich 1 162 Euro brutto, bei den
Frauen waren es 916 Euro brutto, und da sind die Witwenrenten schon mit drin . 1 085 Euro mehr Rente für
die Männer in Österreich und immerhin 358 Euro mehr
für die österreichischen Rentnerinnen - das zeigt: Es ist
beileibe nicht alles gut, was aus Österreich kommt, aber
in der Rentenpolitik sollten wir unbedingt von Österreich
lernen .
({0})
Auch in Österreich regiert eine Große Koalition aus
Sozialdemokraten und Konservativen, und die haben uns
glaubhaft versichert, dass das ausgesprochen leistungsfähige Rentensystem Österreichs bis zum Jahr 2060 nachhaltig finanziert ist, weil alle mit Erwerbseinkommen
einzahlen . Herr Rosemann und Herr Schiewerling, Sie
waren dabei .
({1})
Die Beschäftigten zahlen für die wesentlich höheren
Renten in Österreich nur 0,9 Prozentpunkte mehr Beitrag
als bei uns, und bei den Arbeitgebern sind es 3,2 Prozentpunkte mehr . Komplizierte Betriebsrenten und teure
private Vorsorge brauchen die Österreicherinnen und Österreicher nicht . Darum: Lassen Sie uns die gesetzliche
Rente auch in Deutschland wieder stärken; denn die Rente muss für ein gutes Leben reichen .
({2})
Dafür hat die Linke ein Rentenkonzept vorgelegt . Es
umfasst elf aufeinander abgestimmte Bausteine für eine
lebensstandardsichernde und armutsfeste Rente . Hier die
wichtigsten:
Erstens . Das Rentenniveau muss wieder auf 53 Prozent angehoben werden, und die Rente muss wieder eins
zu eins den Löhnen folgen .
({3})
Das brächte Menschen, die 45 Jahre lang durchschnittlich
verdient haben, derzeit jeden Monat netto 122 Euro mehr
Rente. Das ist finanzierbar, auch langfristig. Wer zum
Beispiel als Erzieherin im öffentlichen Dienst in NRW
3 100 Euro brutto verdient, müsste aktuell nur 32 Euro
mehr in die Rentenkasse zahlen, ihr Arbeitgeber ebenso .
Union, SPD und Grüne wollen, dass diese Erzieherin jeden Monat 110 Euro Beitrag zur Riester-Rente zahlt . Das
wäre dann überflüssig.
({4})
110 Euro weniger für die Riester-Rente, 32 Euro mehr in
die Rentenkasse - das heißt, diese Durchschnittsverdienerin hätte jeden Monat 78 Euro mehr in der Tasche, und
im Jahr 2030 wären es trotz des demografischen Wandels
immer noch 64 Euro .
Meine Damen und Herren, in Österreich zahlen die
Arbeitgeber 12,55 Prozent des Lohns in die Rentenkasse . Damit, liebe Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen
hierzulande, könnten wir in den kommenden Jahren ein
lebensstandardsicherndes Rentenniveau von 53 Prozent
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
finanzieren. Ich sage: Was in Wien geht, das geht auch in
Kiel oder in Köln .
({5})
Meine Damen und Herren, die Grünen wollen das Rentenniveau so lassen, wie es ist . Ganz deutlich: Das reicht
nicht für eine gute Rente .
Zweitens . In Österreich gibt es eine Erwerbstätigenversicherung . Das heißt, alle Menschen mit Erwerbseinkommen zahlen in die Rentenversicherung ein, auch
Selbstständige, Freiberufler, Beamte und selbstverständlich alle Abgeordneten, Minister und Staatssekretäre .
Meine Damen und Herren, eine solche Erwerbstätigenversicherung will die Linke auch in Deutschland einführen .
({6})
Drittens . Wir Linken wollen die Beitragsbemessungsgrenze anheben . Heute müssen Geschäftsführer mit zum
Beispiel 12 700 Euro Monatseinkommen nur Rentenbeiträge für ihr halbes Einkommen zahlen . Das ist sozial
ungerecht . Darum fordert die Linke, die Beitragsbemessungsgrenze schrittweise anzuheben und sie perspektivisch abzuschaffen.
({7})
Sehr hohe Renten wollen wir in der Spitze abflachen. Das
wäre verfassungsgemäß und sozial gerecht .
({8})
Viertens . Die Rente muss schwierige Lebenslagen
wieder ausgleichen. Alleinerziehende, Pflegende, Langzeiterwerbslose und Geringverdienende brauchen unsere
Solidarität . Konkret: Wir wollen 93 Euro Mütterrente für
jedes Kind - in Leipzig und in Düsseldorf, vollständig
steuerfinanziert. Da, liebe Grüne, sind wir uns einig.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, für Hartz-IV-Betroffene müssen endlich wieder Beiträge in die Rentenkassen
gezahlt werden, und zwar so, als ob sie die Hälfte des
Durchschnitts verdienten . Das fordert auch der Deutsche
Gewerkschaftsbund, und das wäre sozial gerecht .
({10})
In Nordrhein-Westfalen sorgt der Niedriglohnsektor
zum Beispiel dafür, dass gut ein Fünftel der Beschäftigten später keine ausreichende Rente erhält . Bis 1991
wurden die Renten dieser langjährig Niedrigverdienenden aufgewertet; Rente nach Mindestentgeltpunkten
heißt das . Viele Sozialverbände und die Linke fordern:
Die Rente nach Mindestentgeltpunkten muss auch für die
Zeit ab 1992 gelten, und sie muss besser werden .
({11})
Denn damit würde die Altersarmut in Ost- und Westdeutschland bekämpft . Das muss drin sein!
({12})
Fünftens . Über die linken Vorschläge für deutlich
bessere Erwerbsminderungsrenten und für eine gerechte Angleichung der Ostrenten an das Westniveau werden
wir morgen diskutieren und über Betriebsrenten Mitte
Mai .
Sechstens . Zur Rente erst ab 67 . Union und SPD haben Millionen Menschen die Rente massiv gekürzt, weil
sie bis 67 arbeiten sollen, obwohl viele das gar nicht
schaffen und es auch keine Jobs für sie gibt. Wer es nicht
bis zur persönlichen Regelaltersgrenze schafft, kriegt die
Rente durch Abschläge gekürzt .
Ich komme aus NRW . Dort hatte 2015 von den rund
1,1 Millionen Einwohnern im Alter von 60 bis 65 Jahren
nur jeder Dritte eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, mit der Rentenansprüche aufgebaut werden
konnten . Die Folge: Hunderttausenden drohen gekürzte
Renten, und das bei einem weiter sinkenden Rentenniveau . Das geht gar nicht!
({13})
Außerdem: In den vergangenen Jahren waren 22 Prozent der Verstorbenen jünger als 70 Jahre . Vor allem die
Armen müssen früher sterben . Nach einer Studie des Robert-Koch-Instituts sterben arme Frauen 8,4 Jahre früher
als ihre wohlhabendsten Altersgenossinnen . Die armen
Männer müssen sogar 10,8 Jahre eher gehen . Und darum ist jede Forderung nach der Rente erst ab 70, Herr
Schäuble und Herr Spahn, nach der Rente erst ab 73, liebe
Bundesbank, oder nach der Rente erst ab 85, BDI-Vizepräsident Ulrich Grillo, nichts anderes als Klassenkampf
von oben . Das ist der völlig falsche Weg!
({14})
Die Menschen müssen wieder ab 65 abschlagsfrei in
Rente gehen können - wie in Österreich . Wer 40 Beitragsjahre hat, muss ab 60 abschlagsfrei in Rente gehen
dürfen . Bauarbeiter und Krankenschwestern haben dann
genug Steine und Patientinnen und Patienten geschleppt .
({15})
Siebter und letzter Punkt . Meine Damen und Herren,
wenn alle diese Bausteine im Einzelfall nicht für eine
Rente oberhalb der Armutsgrenze reichen sollten, dann
wollen wir, dass der Rentner oder die Rentnerin eine
einkommens- und vermögensgeprüfte solidarische Mindestrente aus Steuermitteln erhält . Es gibt sie schon - in
Österreich . Dort gibt es sogar zwei Mindestrenten . Wer
in Österreich auch nur einen Cent Rentenanspruch hat,
erhält als Single mindestens 1 038 Euro Rente, mit mindestens 30 Beitragsjahren sind es sogar 1 167 Euro, umgerechnet auf zwölf Monate . Ausgleichszulage nennen
die Ösis das offiziell.
Die Garantierente der Grünen ist dagegen ein schlechter Witz . Für langjährig Versicherte, also nach 35 Beitragsjahren,
({16})
soll es eine Garantierente in Höhe von 30 Entgeltpunkten
geben . Das wären derzeit 914 Euro brutto und 811 Euro
netto . Das sind 7 Euro über dem durchschnittlichen
Grundsicherungsbedarf im Alter außerhalb von Einrichtungen . 7 Euro - das ist doch nur weiße Salbe .
Wir brauchen eine armutsfeste, solidarische Mindestrente, die ihren Namen verdient . Das heißt zum
Beispiel, wer als Single eine gesetzliche Rente von nur
800 Euro erreichte und 150 Euro an weiteren Alterseinkommen hätte, hätte einen Anspruch auf einen steuerfinanzierten Zuschlag von 100 Euro . Die würden dann von
der Rentenversicherung ausgezahlt . Das wären dann insgesamt 1 050 Euro netto, knapp über der Armutsgrenze
nach den Kriterien der Europäischen Union . Wir Linken
sagen: Arbeit darf nicht arm machen, auch nicht im Alter .
Ich danke Ihnen .
({17})
Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Karl Schiewerling,
CDU/CSU-Fraktion, die Gelegenheit, seine Sicht der
Dinge darzulegen .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Birkwald, Ihre
Darstellung des österreichischen Rentensystems glich einem beeindruckenden Feuerwerk .
({0})
Leider haben Sie vergessen, zu sagen, welche Nachteile
es hat .
({1})
Es hat zum Beispiel gegenüber dem deutschen Rentensystem den Nachteil, dass man erst einmal 15 Jahre arbeiten
muss und nicht 5 Jahre, bis man einen Rentenanspruch
hat . Sie haben nicht dargestellt, dass die Österreicher im
Augenblick riesige Probleme mit der Finanzierung ihres
Rentensystems haben .
({2})
Sie haben nicht dargestellt, dass man im Augenblick dabei ist, die hochgelobte Frauenrente abzusenken, weil sie
so nicht mehr zu finanzieren ist. Sie haben völlig vergessen, darzustellen, dass die Österreicher wegen ihrer hohen Haushaltsverschuldung Probleme am Arbeitsmarkt
haben und es zu einem Aufwuchs an Arbeitslosigkeit
kommt . Sie haben völlig vergessen, darzustellen, dass
es einen Zusammenhang zwischen Rente, Arbeitsmarkt,
Wirtschaft und Staatsverschuldung gibt . Die Dinge müssen zusammen gesehen werden . Wer den Scheinwerfer
solitär, ausschließlich auf glückliche Rentner richtet, darf
sich nicht wundern, wenn er hinterher ins kurze Gras
kommt .
({3})
Meine Damen und Herren, pünktlich zu den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen
und zum Aufgalopp zur Bundestagswahl wird ein Antrag
der Linken vorgelegt . Er wurde bereits im Januar beschlossen, wird aber erst jetzt, Ende April, auf den Tisch
gelegt, damit vor den Landtagswahlen Drive in die Sache
kommt .
({4})
Herr Kollege Schiewerling, der Kollege Birkwald
möchte eine Zwischenfrage stellen .
Nein, ich lasse keine Frage zu .
Sie lassen keine Frage zu . Danke schön .
Nein . Er kann nachher eine Bündelfrage stellen . Dann
ist das gut .
({0})
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen deutlich sagen: Wir als Unionsfraktion könnten uns zurücklehnen;
denn die Darstellungen der Linken kennen wir mittlerweile . Eigentlich geht es darum, sein Mütchen an der
SPD zu kühlen, sich an der SPD abzuarbeiten . Wir von
der Union könnten uns zurücklehnen und sagen: „Sollen
sie mal“;
({1})
das tun wir aber nicht, weil es in der Tat einige Dinge
gibt, die man in aller Deutlichkeit sagen muss .
Der erste und wichtigste Punkt ist: Die großen Probleme, die Sie im Rentenbereich beschreiben, existieren in
dieser Form nicht .
({2})
Zweitens . Wir müssen natürlich die Gesamtentwicklung, die unseren Planungen bis 2030 zugrunde lagen,
berücksichtigen . Die Zahlen sind samt und sonders besser als ursprünglich angenommen . Die Renten steigen,
das Rentenniveau steigt, und die Rücklage kann trotz zusätzlicher Ausgaben im Bereich der Rentenversicherung
stabilisiert und sogar gesteigert werden . Wir haben stabile Renten mit stabilen Grundlagen .
Es geht um die Frage, was in den Jahren ab 2030, passieren wird . Wir stehen miteinander vor großen Herausforderungen und müssen dabei zwei Dinge berücksichtigen, die das Rentensystem in Deutschland betreffen - das
gilt übrigens für jedes Rentensystem, für das umlagefinanzierte Rentensystem, das kapitalgedeckte RentenMatthias W. Birkwald
system und sogar für das österreichische System -: Es
geht um Fragen der demografischen Entwicklung und
der wirtschaftlichen Entwicklung . Beide Entwicklungen - demografische und wirtschaftliche Entwicklung bestimmen die Alterssicherung . Da es um die Zukunft
der Rente geht, müssen wir alles tun, um unter diesem
Eindruck die Stellschrauben richtig zu stellen . Das heißt,
wir müssen schauen, dass die umlagefinanzierte Rente
als Grundlage einer allgemeinen Alterssicherung erhalten bleibt . Natürlich können wir, wie Sie, Herr Birkwald,
den Wunsch äußern, in das Rentensystem alle möglichen
Gruppen mit eigenen Versorgungswerken zu integrieren,
wie die Österreicher das machen . Das würde die Gruppe
derjenigen verbreitern, die Rentenversicherungsbeiträge
einzahlen, aber auch die Gruppe derjenigen, die Renten
bekommen . Das würde nicht nur mehr Einnahmen, sondern auch mehr Ausgaben bedeuten .
({3})
Und das heißt keineswegs, dass die Risiken, die damit
verbunden sind, auf einmal über Nacht verschwunden
wären .
({4})
Wir haben eine Situation in Deutschland, in der wir anders als Sie das darstellen, Herr Birkwald - einen Aufwuchs an Beschäftigung der über 60-Jährigen haben; es
gibt eine deutliche Zunahme an Menschen, die über ihr
60 . Lebensjahr hinaus in Beschäftigung sind . Das alles
kann noch besser werden . Dafür haben wir in dieser Koalition gemeinsam die Flexirente eingeführt . Wir haben
dadurch Wege eröffnet, dass man den Ausstieg aus dem
Berufsleben gleitend gestalten kann .
({5})
Ich bin sicher, dass die Flexirente ihre Wirkung entfalten
wird .
Aber was nicht geht, ist, dass das System der umlagefinanzierten Rente aus dem Gleichgewicht gebracht
wird . Hierbei gibt es im Wesentlichen vier Stellschrauben: der Beitrag, der eingezahlt wird, das Rentenniveau,
die Rücklage bzw . der Zuschuss des Staates und natürlich
die Rentenlaufzeit . Es geht nicht, dass wir nach Belieben
an den Schräubchen drehen;
({6})
denn letztendlich ist es ein mathematisches System, das
in sich stimmig ist und im Gleichgewicht gehalten werden muss . Darüber, wie das zu geschehen hat, gibt es im
Augenblick Auseinandersetzungen .
Ich freue mich sehr, dass es hier im Hohen Haus eine
breite Mehrheit gibt, die nicht infrage stellt, dass die umlagefinanzierte Rente das stabilste System ist, das wir
haben .
({7})
Es ist gut, dieses System weiterhin zu stabilisieren . Wir
müssen alles tun, dass es weiterhin seine Wirkung entfalten kann .
({8})
Ich will darauf hinweisen, dass wir dabei sind, die betriebliche Altersvorsorge, also die zweite Säule, und die
private Altersvorsorge, also die dritte Säule - beide leiden unter den Kapitalmärkten -, zu stabilisieren, damit
auch sie für die Bevölkerung besser ihre Wirkung entfalten können, auch für diejenigen, die Geringverdiener
sind, die weniger Geld haben . Ihnen wollen wir helfen,
über diesen Weg die Basis für ihre Alterseinkünfte zu
verbessern .
Aber Grundlage dafür, dass die Rente altersfest ist,
eine Zukunft hat und auch eine Sicherung für das Alter
darstellt, sind im umlagefinanzierten Rentensystem die
Beiträge, die man eingebracht hat . Was wir nicht wollen,
ist, dass die Rente ein Gemischtwarenladen von Beiträgen, die man selbst erwirtschaftet hat, und von sozialen
Fürsorgeleistungen wird . Wenn diese Dinge miteinander
vermischt werden, ist nicht mehr klar, was jeder selbst
eingebracht hat . Wir werden damit den Menschen, die
ihre Rente durch eigene Beiträge erwirtschaftet haben,
unter dem Strich nicht gerecht . Deswegen werden wir,
was die zukünftige Altersabsicherung angeht, schauen
müssen, wie wir die Dinge miteinander kombinieren .
Ein wichtiger zentraler Punkt ist natürlich, was wir
tun, damit möglichst viele Menschen in Erwerb kommen,
in Erwerb bleiben und entsprechend mit guten Einkünften für ihre Alterssicherung sorgen können . Im Bereich
der Arbeitsmarktpolitik besteht eine Aufgabe im Bereich
der Bildung . Es geht - das ist gar keine Frage; das bereitet uns große Sorgen - um die Langzeitarbeitslosen im
SGB-II-Bereich und vor allem um diejenigen, die noch
jung sind, nämlich um die 6 Prozent, die den Schulabschluss nicht schaffen. Das sind jedes Jahr in Deutschland 80 000 Jugendliche, die dadurch eine schlechte
berufliche Perspektive haben. Ihre Altersvorsorge treibt
uns um . Wir müssen für die Zukunft klären, was wir mit
diesen Kindern und Jugendlichen machen . Welche Perspektiven können wir entwickeln? Daran werden wir arbeiten .
({9})
Ich betrachte diese Frage als die eigentliche soziale
Frage der Zukunft . Wir sollten jedem in diesem Land
Chancen und Wege eröffnen. Wir sollten jedem - das gebietet die soziale Gerechtigkeit - Chancen zur Teilhabe
geben. Wir sollten jedem die Möglichkeit eröffnen, seine eigenen Potenziale zu entfalten, sodass er sich seine
Alterssicherung selbst erwirtschaften kann und nicht auf
Fürsorge des Staates angewiesen ist; sie sollte nur dann
notwendig sein, wenn anderes nicht reicht . Diese Wege
müssen wir konsequent gehen . Ich glaube, dass wir damit
letztendlich den Menschen dienen .
Das ist etwas anderes als das Malen eines bunten,
hochalpinen Bildes des Herrn Kollegen Birkwald, der
glaubt, er könnte einen bestimmten Aspekt aus ÖsterKarl Schiewerling
reich hierhin übertragen, alles andere ausblenden und
damit völlig außer Acht lassen, vor welchen Herausforderungen auch Österreich steht .
({10})
Es ist eine Frage der Ehrlichkeit, auch dies zu sagen . Ich
habe in meiner Rede das deutlich gemacht . Leider ist
mein Beitrag im Fernsehen ausgeblendet worden,
({11})
weil es der Berichterstattung nicht passte .
({12})
Vielen Dank . - Bevor der Kollege Markus Kurth das
Wort erhält, hat der Kollege Birkwald um eine Kurzintervention gebeten .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Herr Schiewerling,
Sie haben meine Kurzintervention sozusagen provoziert .
Zunächst einmal: Das Thema Rente interessiert mittlerweile auch sehr, sehr junge Menschen, auch 20-Jährige . Die Gewerkschaft IG Metall hat eine Beschäftigtenbefragung durchgeführt . 680 000 Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer haben geantwortet . Sie haben zum
Beispiel folgender Aussage zugestimmt:
Das Rentenniveau muss stabilisiert und mittelfristig
erhöht werden, auch wenn dadurch die Beiträge von
Arbeitgebern und Beschäftigten zur gesetzlichen
Rentenversicherung steigen .
Insgesamt haben dieser Aussage 85 Prozent zugestimmt .
Bei den 25- bis 34-Jährigen waren es 75 Prozent . Wenn
das so ist, dann kann das Rentensystem nicht so gut sein,
wie Sie es hier dargestellt haben . Fakt ist: Die Rentnerinnen und Rentner in Österreich bekommen deutlich höhere Leistungen . Das, werter Kollege Schiewerling, haben
Sie ausgeblendet .
Zu ihren Einwänden .
Erstens zu den 15 Jahren . Nur 7 dieser 15 Jahre müssen Erwerbsarbeit sein; die restlichen Jahre können sich
auf Kindererziehungszeiten und andere Zeiten beziehen .
Das ist schon ein riesiger Unterschied .
Zweitens . Dadurch, dass es sich um eine Erwerbstätigenversicherung handelt, sind auch fast alle drin und
haben die meisten auch diese 15 Jahre . Selbst wenn sie
die 15 Jahre nicht haben, bekommen sie eine von den
Ländern finanzierte Mindestsicherung in Höhe von
889,84 Euro .
({0})
Sie wird in Wien, wo 2,1 Millionen Menschen leben,
auch 14-mal im Jahr gezahlt, im Rest Österreichs 12-mal .
Selbst das sind 85 Euro mehr, als die Grundsicherung im
Alter derzeit in Deutschland durchschnittlich beträgt .
Wenn die Ösis das bei einem Preisniveau finanzieren
können, das nur 5 Prozent höher ist als das unsere, dann
muss man hier schon ganz schön filibustern, um das nicht
hinzubekommen .
({1})
Was die Finanzierung angeht, habe ich Ihnen etwas
mitgebracht .
({2})
Das Blaue und das Schwarze sind die wichtigen Linien .
Sozialminister Alois Stöger hat Ihnen, Herrn Rosemann,
Herrn Strengmann-Kuhn und mir persönlich gesagt - das
sagt übrigens nicht nur er, sondern auch der Finanzminister -, bis 2060 sei das durchgängig finanziert. Warum schaffen die das? Es ist ganz einfach: Sie haben die
Beamten einbezogen, die jetzt einzahlen, da die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, und erst dann eine
Rente bekommen werden, wenn wir alle schon da oben
oder da unten sind - je nachdem, ob wir brav waren oder
nicht und ob wir gläubig sind oder nicht . Deswegen sage
ich Ihnen, Herr Schiewerling: Lassen Sie uns eine Erwerbstätigenversicherung auf den Weg bringen, in die
alle Menschen mit Erwerbseinkommen einzahlen . Dann
bekommen wir das auch hin .
({3})
Weil ich meine Zeit nicht überstrapazieren will, ({4})
Dazu möchte ich auch raten .
- will ich mit einer Frage an Herrn Schiewerling enden: Herr Schiewerling, sind Sie für die Rente erst ab
70 - das würde mich interessieren -, oder finden Sie, dass
die Rente erst ab 67 reicht?
Herzlichen Dank .
({0})
Vielen Dank . - Sie haben die Zeit zwar nicht überstrapaziert, aber voll ausgenutzt .
({0})
Jetzt hat der Kollege Schiewerling die Gelegenheit zur
Antwort . - Bitte schön .
Herzlichen Dank . - Ich bleibe bei meiner Aussage . Wir
haben nämlich nicht nur mit dem Finanzminister geredet,
sondern auch mit verschiedenen Instituten in Österreich .
In diesen Gesprächen kam schon sehr deutlich zum AusKarl Schiewerling
druck, dass Österreich vor großen Finanzierungsproblemen steht und dass man dabei ist, die Rente zu verändern,
weil man die Leistungen in der jetzigen Form nicht mehr
erbringen kann . Das gehört zur Wahrheit dazu . Ich sage
Ihnen, Herr Birkwald: Ich verstehe Ihre Begeisterung .
14 Monate Rentenzahlungen lassen die Augen leuchten .
Da leuchten die Augen auch bei mir . Ich sage Ihnen aber:
Das muss auch finanziert werden.
Ich bin strikt dagegen, dass wir uns die Situation in anderen Ländern anschauen, uns die Rosinen herauspicken,
ausblenden, welche Nachteile das dortige System hat,
({0})
und glauben, die einzelnen Puzzleteile in Deutschland
zum Wohle aller wieder zusammensetzen zu können .
Am Ende des Tages bedeutet das Systemveränderungen,
und es kostet Geld. Es muss finanziert werden, es muss
tragfähig sein, und es muss akzeptiert werden . Ich sage
Ihnen: Das ist nicht so einfach, wie Sie es darstellen .
Zu Ihrer Frage . Ich bin dafür, dass wir zunächst einmal das, was wir bis zum Jahre 2029 beschlossen haben,
umsetzen . Dann nämlich werden wir die Rente mit 67 haben, vorher noch nicht . Sie wird erst dann ihre Wirkung
entfalten . Dann schauen wir, wie weit wir sind . Man
muss aber zumindest die demografische Entwicklung in
Deutschland zur Kenntnis nehmen . Die Menschen leben
länger, und es werden weniger geboren . Eine Rolle spielt
darüber hinaus die Rentenlaufzeit .
({1})
Jemand, der 1961 in Rente gegangen ist, hatte als Rentner statistisch noch sieben oder acht Jahre zu leben . Jemand, der heute in Rente geht, hat noch 18 bis 19 Jahre
zu leben .
({2})
Das muss ich doch zur Kenntnis nehmen, damit Rentensystem finanzierbar bleibt, weil es gleichzeitig auch ein
Versicherungssystem ist, und darf den Menschen keinen
Sand in die Augen streuen und sagen: Es spielt alles keine Rolle, es wird alles schon so gehen .
Ich bin mir sicher, dass sich ab 2029 die eine oder
andere Frage im Lichte aktueller Entwicklungen möglicherweise neu stellen wird . Deswegen diskutiere ich
nicht über einzelne Dinge . Ich sage nicht: Das Rentenniveau darf auf keinen Fall zu tief sinken oder zu hoch
gehen . Ich sage auch nicht: Der Beitragssatz darf eine
bestimmte Höhe nicht überschreiten oder unterschreiten .
Wir haben hier Regelungen eingeführt . So sage ich auch
nicht: Die Rente mit 67 ist das letzte Wort . Wir müssen
uns vielmehr die Dinge im Lichte der Gesamtentwicklung, in der wir uns befinden, anschauen.
Im Übrigen: Wenn ich zum Thema Rente vortrage,
dann wundere ich mich immer, dass die Rentnerinnen
und Rentner in Deutschland die meiste Sorge haben wegen der in ihren Augen zu langen Lebensarbeitszeit . Die
jüngeren Menschen wissen längst, dass sie für das, was
sich im Augenblick demografisch abspielt, eines Tages
mit zu bezahlen haben werden;
({3})
denn die Situation ist so, wie sie ist . Die jungen Menschen sind realistischer als die Linken .
Herzlichen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Jetzt hat aber der Kollege Markus
Kurth für Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Ich glaube, man muss zu diesem Zeitpunkt der Debatte den Menschen draußen im
Land und auch den vielen jungen Menschen heute hier
auf der Tribüne eines klarmachen: Die gesetzliche Rentenversicherung, die umlagefinanzierte, ist grundsätzlich
leistungsfähig, solidarisch und anpassungsfähig .
({0})
- Ja, ich glaube, da können wir eigentlich alle klatschen .
Die gesetzliche Rentenversicherung ist so leistungsfähig, dass sie in den mehr als 125 Jahren ihres Bestehens nur in einem einzigen Monat die Rentenzahlung
nicht pünktlich geleistet hat, und das war der Mai 1945 .
Sie ist so solidarisch, dass sie die große Anstrengung der
deutschen Einheit mit bewältigt hat . Wir hätten uns die
Finanzierung anders vorgestellt, aber das System der
deutschen Rentenversicherung hat das geschafft. Sie ist
so anpassungsfähig, dass sie das Leistungsspektrum weiterentwickelt hat. Beispielhaft sei hier nur die berufliche
Rehabilitation genannt, wo die gesetzliche Rentenversicherung beispielsweise in ihren Berufsförderungswerken
bei Neuausbildungen und anderem Großartiges leistet .
Ich glaube, das muss ich zu Beginn meines Beitrages der
Schwarzmalerei, die von der Fraktion Die Linke kommt,
entgegenstellen .
({1})
Mit dem so beschriebenen Spektrum ist die gesetzliche
Rente jedem kapitalmarktgestützten System haushoch
überlegen . Manche neoliberalen Ökonomen, die unter
Beweis stellen wollen, dass der Aktienmarkt die Alterssicherung genauso gut oder sogar noch besser übernehmen
könne, nennen gerne folgendes Argument . Sie sagen, in
jedem beliebigen, 20 Jahre umfassenden Zeitraum seit
Ende des Zweiten Weltkrieges habe der Aktienmarkt
eine positive Rendite gebracht . 20 Jahre! 20 Jahre sind
nicht einmal ein halbes Erwerbsleben . 40 Jahre - denken
wir in diesen Zeiträumen? 60 Jahre? Nein, es kann bis zu
80 Jahre dauern: von der ersten Beitragszahlung bis zum
letzten Schnaufer auf dem Totenbett . Das sind die Zeiträume, mit denen die gesetzliche Rentenversicherung,
das Umlagesystem, operiert . Das muss man sich einmal
vor Augen halten .
({2})
Deswegen bestreitet die gesetzliche Rentenversicherung auch 90 Prozent der Gesamtausgaben für die
Alterssicherung; das sind im Moment knapp 300 Milliarden Euro . Die kapitalgestützte Vorsorge ist eine zusätzliche Alterssicherung, nicht weniger, aber eben auch
nicht mehr . Darum sollten wir vielleicht nicht von einem
Drei-Säulen-System sprechen, sondern besser von einem
Drei-Schichten-System mit einem Fundament - das ist
die gesetzliche Rentenversicherung - und darauf aufbauend weiteren Sicherungsbereichen .
({3})
Gleichwohl ist die Rentenversicherung natürlich
nichts Statisches, was unveränderlich ist . Man redet in
der Öffentlichkeit immer gerne vom Bismarck-System.
Wenn die Versicherung immer noch so wäre, wie sie zu
Bismarcks Zeiten war, dann gäbe es sie gar nicht mehr .
({4})
Sie hat sich weiterentwickelt, und auch Bündnis 90/Die
Grünen wollen sie weiterentwickeln und stabilisieren .
Was braucht es dazu? Ich will mich auf drei Kernpunkte beschränken: Wir brauchen eine vernünftige
Einkommensversicherung - damit wird das Thema Rentenniveau adressiert -, wir brauchen eine verlässliche
Armutssicherung, und wir brauchen eine funktionierende
Solidargemeinschaft .
Ich will mit dem letzten Punkt anfangen . Wir brauchen
diese funktionierende Solidargemeinschaft, und darum
wollen wir die Bürgerversicherung - aus zwei Gründen:
Zum einen verändert sich die Arbeitswelt . Wir haben
es mit neuen Formen von Selbstständigkeit zu tun . Dort
drohen auch neue Formen von Altersarmut . Darum ist es
eine sozial- und ordnungspolitische Aufgabe, den Kreis
der Versicherten zuerst insbesondere um die nicht anderweitig abgesicherten Selbstständigen zu erweitern .
Zum anderen brauchen wir als funktionierende Solidargemeinschaft eine Bürgerversicherung, weil die Versicherten - die Mehrheit der Bürger in diesem Land -,
glaube ich, merken und es nicht gut finden, dass sich
Leute vom Acker machen. Sie unterstellen ihnen - häufig
ist es ja auch so -, dass sie in einer wirtschaftlich besseren Situation sind . Wir wollen perspektivisch alle einbeziehen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier blicke ich auch
auf uns . Auch wir Abgeordnete müssen in die Bürgerversicherung .
({5})
Es wird viel ausmachen, wenn die Bürgerinnen und Bürger wissen, dass auch wir Abgeordnete das, was wir hier
beschließen, in unserer Renteninformation sehen werden . Das ist ein wichtiger Schritt für mehr Akzeptanz .
({6})
Sie von der Großen Koalition - das kann ich Ihnen
nicht ersparen - haben in der vergangenen Legislaturperiode durch Sonderregelungen für Honorarärzte und für
angestellte Anwälte, sogenannte Syndikusanwälte, die
funktionierende Solidargemeinschaft, die besteht, leider
sogar noch ausgehöhlt . Das ist genau das Gegenteil von
dem, was Bündnis 90/Die Grünen wollen .
({7})
Daneben brauchen wir die Armutssicherung . Wer in
seinem Leben mehr als 30 Jahre lang gearbeitet, Kinder
großgezogen und Eltern gepflegt hat, vielleicht auch einmal ein, zwei oder drei Jahre arbeitslos war, also eine
halbwegs intakte Erwerbsbiografie vorweisen kann, aber
nur sehr wenig verdient hat, der muss mindestens 30 Entgeltpunkte, also eine Rente oberhalb des Existenzminimums, haben .
({8})
Wir sagen: Auch Ansprüche aus der Betriebsrente und
der Riester-Rente müssen geschützt sein . Sie dürfen auf
diese Garantierente nicht angerechnet werden .
({9})
Der letzte Punkt, den ich hier noch ansprechen kann,
ist die Einkommensversicherung . Es geht um das Rentenniveau. Hier bildet sich ein neuer Konsens; das finde
ich schon einmal gut .
Der Arbeitnehmerflügel der CDU hat, wie ich gehört
habe, 45 Prozent angepeilt, Andrea Nahles schlägt ein
Rentenniveau von 46 Prozent vor . Wir haben auf unserem letzten Parteitag unser Wahlprogramm beschlossen,
nach dem das Rentenniveau nicht weiter sinken sollte .
Das heißt, wir haben hier schon eine Orientierungsmarke . Die brauchen wir auch, weil sonst die Angehörigen
der Mittelschicht, die wir für dieses System brauchen,
nicht mehr erkennen können, dass ihr Einkommen anständig versichert ist .
Aber natürlich muss man das vernünftig finanzieren.
({10})
Dafür machen wir verschiedene Vorschläge: Wir wollen
die Erwerbsbeteiligung von Frauen weiter vorantreiben;
({11})
Zuwanderung kann zwar nicht kurzfristig, aber perspektivisch zur Finanzierung beitragen; auch die Erweiterung
des Versichertenkreises im Rahmen einer Bürgerversicherung wird zumindest helfen, den demografischen Buckel zu bewältigen, und natürlich müssen wir durch eine
alters- und alternsgerechte Gestaltung der Arbeitswelt
die Voraussetzungen dafür schaffen,
({12})
dass wir besser, länger und gesünder arbeiten können .
({13})
Das ist eine Finanzierungsgrundlage, die es erlaubt, dass
sich eventuelle Beitragsanstiege im Rahmen halten .
Wir könnten mit der Verbesserung der Finanzierung
der Rentenversicherung sofort anfangen, wenn wir Dinge
wie die Mütterrente nicht aus Beitragsgeldern, sondern
aus Steuergeldern finanzieren würden.
({14})
Auch hier, muss man sagen, haben Sie von der Großen
Koalition in den letzten vier Jahren wieder etwas versagt .
Meine Damen und Herren, Sie sehen also: Die Rentenpolitik von Bündnis 90/Die Grünen, unser Gesamtkonzept, das wir in dieser Debatte vorgelegt haben, versucht,
das Wünschenswerte, das Machbare und das Notwendige zusammenzubringen und nachhaltig zu entwickeln . In
Anlehnung an unsere Spitzenkandidatin Katrin GöringEckardt möchte ich auf jeden Fall sagen: Was wir hier
vorschlagen - lesen Sie es im Internet nach -, das ist ein
heißes Ding .
Danke schön .
({15})
Vielen Dank . - Jetzt hat Dr . Martin Rosemann für die
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein
zentrales Versprechen unseres Sozialstaats ist es, dass
diejenigen, die ihr Leben lang gearbeitet und unsere sozialen Sicherungssysteme mit ihren Beiträgen unterstützt
haben, im Alter anständig leben können . Rente muss
Altersarmut verhindern und muss einen angemessenen
Lebensstandard sichern . Das gilt heute, aber auch in Zukunft. Alterssicherung muss verlässlich und finanzierbar
sein . Das gilt sowohl für Jung als auch für Alt; das gilt
für die Generation von heute und für die Generation von
morgen und von übermorgen .
Genau da setzt das Gesamtkonzept zur Alterssicherung, das unsere Ministerin Andrea Nahles vorgelegt hat,
an . Es stärkt die gesetzliche Rente und die betriebliche
Altersvorsorge . Es bekämpft Altersarmut gezielt . Es
verbessert die soziale Absicherung von Selbstständigen .
Und es schafft 27 Jahre nach der deutschen Einheit ein
einheitliches Rentenrecht in Ost und West .
({0})
Meine Damen und Herren, für die SPD ist klar: Die
gesetzliche Rente ist und bleibt der zentrale Grundpfeiler
unserer Alterssicherung . Wir wollen ein weiteres Absinken des Rentenniveaus verhindern . Deshalb begrüßen
wir den Vorschlag der Ministerin für eine doppelte Haltelinie .
({1})
Markus Kurth, dir will ich an dieser Stelle sagen:
46 Prozent sind die gesetzliche Haltelinie im Gesamtkonzept der Ministerin, aber das ist nicht die politische
Zielgröße . Natürlich müssen wir alles tun - das muss das
politische Ziel bleiben -, damit das Rentenniveau über
diesen 46 Prozent bleibt . Mit dieser doppelten Haltelinie
wird das Rentenniveau stabilisiert, ohne dass die Beiträge übermäßig steigen . Das ist insbesondere deshalb
wichtig, weil wir wissen, dass eben nicht nur die Rentenversicherung von der demografischen Veränderung
betroffen ist, sondern auch die Krankenversicherung und
die Pflegeversicherung.
Beides, eine Stabilisierung des Niveaus und eine Verhinderung eines übermäßigen Anstiegs der Rentenbeiträge, funktioniert nur, wenn wir mehr Steuermittel in Form
eines Demografiezuschusses, wie das die Ministerin genannt hat, einbringen und wenn wir gesamtgesellschaftliche Aufgaben konsequent über Steuermittel finanzieren.
Dieses Konzept der doppelten Haltelinie ist in der
Anhörung, die der Ausschuss für Arbeit und Soziales zur
Rentenpolitik gemacht hat, auf positive Resonanz gestoßen . Ich darf mit Erlaubnis der Frau Präsidentin Herrn
Dr . Thiede von der Deutschen Rentenversicherung zitieren, der gesagt hat:
Wir halten dieses Konzept für sehr sinnvoll, weil es
sicherstellt, dass die demographischen Belastungen
nicht einseitig einer Gruppe zugewiesen werden .
Wenn man gar keine Haltelinie hätte, oder nur eine,
dann wäre die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass
die demographische Belastung ganz überwiegend
oder sogar komplett entweder die Beitragszahler
oder die Rentenempfänger tragen müssten .
Die gleiche Anhörung hat auch deutlich gemacht, dass
Altersarmut eben nicht vorrangig eine Frage des Rentenniveaus ist, sondern eine Frage der Erwerbsbiografie.
In diesem Zusammenhang wurden bestimmte Personengruppen genannt: Kleinselbstständige, Erwerbsgeminderte, Langzeitarbeitslose, die von Altersarmut besonders betroffen sind. Auch hier hat die Ministerin mit
ihrem Gesamtkonzept zielgerichtete Vorschläge vorgelegt . Wir als Große Koalition verbessern - das werden
wir am Freitag debattieren - zum zweiten Mal die Erwerbsminderungsrente, weil Erwerbsminderung ein so
zentrales Risiko für Altersarmut ist .
Darüber hinaus hat die Ministerin vorgeschlagen,
Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung
einzubeziehen . Das unterstützt unsere Fraktion als ersten
konkreten Schritt hin zu einer Erwerbstätigenversicherung ganz ausdrücklich .
({2})
Wir wollen: Wer sein Leben lang gearbeitet, Kinder
erzogen oder Angehörige gepflegt hat, der soll, auch
wenn das Einkommen gering war, im Alter nicht zum
Sozialamt gehen müssen . Das ist für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eine Frage der Würde .
Deshalb unterstützen wir den Vorschlag der Ministerin
für eine Solidarrente . Wir halten es für einen sehr klugen
Vorschlag, dass sie für diese Personen in jedem Fall über
der Grundsicherung liegt, unabhängig davon, ob sie auf
dem flachen Land in Mecklenburg-Vorpommern oder in
Ballungsräumen wie in Stuttgart oder Tübingen leben .
Wir fragen uns, warum der Koalitionspartner an dieser
Stelle diesen pragmatischen und sinnvollen Vorschlag
nicht unterstützen konnte .
({3})
Meine Damen und Herren, um die demografischen
Herausforderungen - also Babyboomer, sinkende Geburtenrate und steigende Lebenserwartung - auch in
Zukunft bewältigen zu können, braucht es neben einer
starken gesetzlichen Rente auch eine möglichst flächendeckende betriebliche Altersvorsorge . Mit unserer Betriebsrente Plus setzen wir genau da an . Wir setzen auf
eine zielgenaue Förderung von Geringverdienern, eine
stärkere Arbeitgeberfinanzierung bei der betrieblichen
Altersvorsorge und auf einfache und attraktive Angebote
für Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch die Tarifpartner,
von denen auch kleine und mittlere Unternehmen profitieren können . Vor allem setzen wir bei der betrieblichen
Altersvorsorge auf Solidarität: große kollektive Systeme
statt individuelle Lösungen .
Ich komme zum Schluss . Egal ob gesetzliche Rente oder betriebliche Altersvorsorge: Grundlage für gute
Renten ist immer eine gute wirtschaftliche Entwicklung .
Auch gilt für jede und jeden Einzelnen der Zusammenhang zwischen guter Bildung, guter Arbeit, guten Löhnen und guten Renten . Deswegen fängt gute Rentenpolitik schon mit der Bildungspolitik an und geht auf dem
Arbeitsmarkt weiter . Deshalb müssen wir Erwerbsbiografien stärken und gleiche Chancen schaffen.
Genau das haben wir in dieser Wahlperiode an unterschiedlichen Stellen begonnen: mit der Einführung des
gesetzlichen Mindestlohns, mit Anreizen für eine bessere Tarifbindung, mit der Regulierung von Leiharbeit
und Werkverträgen, mit all dem, was wir getan haben
und noch tun wollen, um die Lohnungleichheit zwischen
Frauen und Männern zu reduzieren, und vor allem auch
dadurch, dass wir es Menschen ermöglichen, länger gesund im Arbeitsleben zu bleiben, mit einem vorsorgenden Sozialstaat, der in Prävention und Rehabilitation und
in die Qualifikation der Beschäftigten investiert und sie
auf dem Weg durch das Arbeitsleben begleitet und auch
bei Umbrüchen unterstützt .
({4})
Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Peter Weiß für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Sie diese
Debatte verfolgen! Man kann feststellen: Es nahen Wahlen: in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und
dann im September die Bundestagswahl, und das befeuert natürlich die politischen Parteien und die Fraktionen,
viel Gutes, Neues, Schönes und auch Teures zu versprechen .
({0})
Ich empfehle, den alten Spruch „Wahltag ist Zahltag“ ernst zu nehmen und sich vielleicht erst einmal anzuschauen, was in der Vergangenheit und vor allem in
dieser Legislaturperiode gemacht worden ist . Meine sehr
geehrten Damen und Herren, über ein Vierteljahrhundert
lang sind in Sachen Rentenpolitik wegen der ökonomischen Zwänge eher Verschlechterungen eingetreten, übrigens vor allem in einer Zeit, in der die Grünen mitregiert haben, Herr Kurth .
Diese Legislaturperiode seit 2013 ist die erste seit
25 Jahren, in der in der Rente einmal zusätzliche Leistungen beschlossen worden sind - und kein Minus . Diese
Legislaturperiode ist deshalb ein Gewinn für die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland .
({1})
Das Bemerkenswerteste ist erstens die Mütterrente:
10 Millionen Rentnerinnen in Deutschland haben dank
der Mütterrente, die wir beschlossen haben, mehr Rente
als zuvor . Ein großartiger Erfolg!
({2})
Zweitens zu den Erwerbsminderungsrenten . Darauf
ist in den vorherigen Reden zu Recht Bezug genommen
worden . Warum? Wenn jemand wegen eines Unfalls
oder einer Krankheit vorzeitig aus dem Erwerbsleben
ausscheiden muss und nichts mehr für seine Altersversorgung tun kann, dann ist in der Tat der Sozialstaat gefordert, so jemanden finanziell so auszustatten, dass er
möglichst ohne zusätzliche staatliche Stütze leben kann .
Deswegen haben wir zu Beginn dieser Legislaturperiode
die Zurechnungszeit, also die Zeit, wie lange jemand hätte arbeiten können, wenn der Unfall nicht passiert wäre,
um zwei Jahre verlängert . Darüber hinaus bringen wir in
dieser Woche einen Gesetzentwurf ein, mit dem wir noch
einmal drei Jahre obendrauf setzen .
({3})
Noch nie ist in Sachen Erwerbsminderungsrente so viel
gemacht worden . Das ist auch richtig so .
({4})
Außerdem hat die Rentenversicherung eine wichtige
Aufgabe, die manche manchmal vergessen . Sie soll nämlich auch etwas dafür leisten, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in die Rentenversicherung
einzahlen, möglichst gesund und munter bis zum Rentenalter arbeiten können . Hier geht es also um das Angebot
von Rehaleistungen . Weil wir sehen, dass wir in unseren
Betrieben zunehmend ältere Belegschaften haben, haben
wir beschlossen, den Rehadeckel, also das Budget für die
Rehaleistungen der Rentenversicherung, hochzusetzen .
Das Thema Reha kommt übrigens in den Anträgen der
beiden Oppositionsfraktionen überhaupt nicht vor .
({5})
Ja, es ist richtig: Wir wollen mehr Mittel für die Gesundheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Betrieben in Deutschland einsetzen .
({6})
Dazu gehört auch, dass wir der Rentenversicherung
erstmals erlaubt haben, mehr in Sachen Prävention, also
Vorsorge, zu machen . Wir führen jetzt erste Modellversuche durch . Der Kollege Rosemann, der vor mir gesprochen hat, und ich waren vor einiger Zeit gemeinsam in
Stuttgart bei der Auftaktveranstaltung für ein Projekt, mit
dem die Rentenversicherung zusammen mit den Berufsgenossenschaften speziell für die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter in der Pflege, also einem Berufsfeld, in der
man besonderen psychischen und auch physischen Belastungen ausgesetzt ist, neue Vorsorgemodelle ausprobiert. Ich finde, es ist eine großartige Sache, dass wir in
dieser Legislaturperiode auch mehr Präventionsleistungen durch die Rentenversicherung neu eingeführt haben .
({7})
Dann komme ich zum Stichwort „Flexirente“ . Meine
sehr geehrten Damen und Herren, wir haben es möglich
gemacht, dass derjenige, der mit 63 oder 64 Jahren vorzeitig mit Abschlägen in Rente gehen will, nicht bestraft
wird, wenn er dann noch irgendeine Arbeit ausüben oder
einen Job annehmen will, und mehr behalten kann als in
der Vergangenheit . Das attraktive Angebot an alle Rentnerinnen und Rentner, Rentenbezug und Hinzuverdienst
durch Arbeit miteinander zu verbinden, halte ich für eine
Lösung, die zukunftsgerichtet ist; denn so gleitet man
langsam aus dem Erwerbsleben heraus und bezieht schon
einmal einen Teil Rente, arbeitet aber auch noch einen
Teil . Damit haben wir endlich eine Sache umgesetzt, die
vernünftig ist und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mehr Wahlmöglichkeiten bei der Rente schenkt .
Das ist ein großartiger Erfolg, den wir hinbekommen
haben .
({8})
Weil in der Debatte das Thema Steuermittel angesprochen worden ist: Wir geben in diesem Jahr, im Jahr 2017,
so viele Steuermittel in die Rente wie noch nie, nämlich
91 Milliarden Euro . Das sind 27,6 Prozent des gesamten
Bundeshaushalts . Angesichts der umfänglichen Aufgaben, die der Staat zu erfüllen hat, sind 27,6 Prozent allein
für die Rente eine großartige Leistung, die der Staat für
die Sicherung unseres Rentensystems erbringt - und das
bei dem seit 20 Jahren niedrigsten Beitragssatz zur Rentenversicherung . Er liegt derzeit bei 18,7 Prozent . Bitte
denken Sie einmal zurück, wann es das je gegeben hat .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Wahltag Zahltag ist, dann sollte man sich das anschauen, was
wir geleistet haben, und weniger auf das Wolkenkuckucksheim dessen schauen, was einem für die Zukunft
Großartiges versprochen wird .
({9})
Trotzdem will ich gerne zugeben, dass die Frage, wie
sich das Rentenniveau in der Zukunft entwickelt, für uns
eine entscheidende Rolle spielt . Seinerzeit hat Rot-Grün
bei der Riester’schen Rentenreform Sicherungsziele, auf
die man sich verlassen kann, also gesetzliche Garantien,
wie tief das Niveau höchstens sinken darf, nur bis zum
Jahr 2030 festgelegt . Deswegen wird es die Aufgabe in
der nächsten Legislaturperiode sein - und das wollen wir
als Union machen -, festzulegen, dass auch nach 2030
verlässliche Ziele sowohl für die Beitragssätze als auch
für das Rentenniveau in Deutschland gelten .
({10})
Jeder weiß, dass die gesetzliche Rente umlagefinanziert ist . Das, was die Jungen heute einzahlen, erhalten
morgen die Alten als Rente ausgezahlt . Die gesetzliche
Rente ist die wichtigste und verlässlichste Säule in der
Altersversorgung . Aber sie bedarf einer Zusatzrente, die
nach dem Motto finanziert wird: Das sparen Sie sich für
das Alter an . - Deswegen werden wir noch im Mai ein
Gesetz beschließen, das die Zielsetzung hat, möglichst
jedem Arbeitnehmer in Deutschland die Finanzierung
und den Aufbau einer solchen Zusatzrente zu ermöglichen . Wir werden erstmalig einen Geringverdienerzuschuss für die betriebliche Altersversorgung einführen .
Wir werden erstmalig eine gesetzliche Regelung einführen, dass das, was man sich als zusätzliche Altersversorgung angespart hat, dann, wenn man im Alter doch zu
wenig hat und staatliche Unterstützung beantragen muss,
auf die Grundsicherung nicht voll angerechnet wird, sondern dass mindestens 100 Euro zusätzlich übrig bleiben .
({11})
Peter Weiß ({12})
Das ist eine starke Botschaft an die Mitbürgerinnen und
Mitbürger: Wenn du zusätzlich für die Altersversorgung
ansparst, dann hast du auf jeden Fall 100 Euro jeden Monat mehr in der Tasche als derjenige, der nichts gemacht
hat . - Das wird die Bereitschaft vieler Mitbürgerinnen
und Mitbürger stärken, zusätzlich etwas für die Rente zu
tun; denn sie wissen: Wer zusätzlich für das Alter vorsorgt, steht am Schluss besser da als derjenige, der nichts
getan hat . Das ist die Kernbotschaft .
({13})
Die Grundherausforderung, die unsere Gesellschaft
gemeinsam stemmen muss, ist folgende: Wir wissen, dass
in den kommenden Jahren und Jahrzehnten geburtenstarke Jahrgänge in Rente gehen . Wir werden eine große Zahl
neuer Jungrentnerinnen und Jungrentner zu verzeichnen
haben . Diese Jungrentnerinnen und Jungrentner werden
länger leben und länger Rente beziehen als die heutigen
Rentnerinnen und Rentner . Alle sagen uns: Jawohl, die
Lebenserwartung steigt weiter an . Diese Chance ist gegeben . - Das ist auch eine schöne Sache . Wir wissen aber
auch, dass im Vergleich dazu relativ geburtenschwache
Jahrgänge, also wenige junge Leute, neu in das Erwerbsleben eintreten . Das ist die riesige Herausforderung, die
wir stemmen müssen . Wer in einer solchen Situation den
Mitbürgerinnen und Mitbürgern Wolkenkuckucksheime
verspricht nach dem Motto: „Es gibt mehr, und man muss
weniger zahlen; es ist keine zusätzliche Anstrengung notwendig, um die Altersversorgung für die Zukunft abzusichern“, der lügt die Bevölkerung schlichtweg an .
Vor diesem Hintergrund sage ich: Wahltag ist Zahltag .
Schauen Sie sich die Fakten an, die geschaffen wurden,
und misstrauen Sie denjenigen, die zu viel versprechen!
Vielen Dank .
({14})
Das Wort hat jetzt der Kollege Ralf Kapschack für die
SPD .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Gute Arbeit, gute
Löhne sind die Grundlage für eine ordentliche gesetzliche Rente . Rente ist eben ein Spiegelbild des Erwerbslebens . Das gilt auch für die betriebliche Altersversorgung,
die schon ein paar Mal angesprochen wurde . Grau ist alle
Theorie; entscheidend ist auf dem Platz . Das hat man
nicht nur gestern Abend bei diesem wunderbaren Fußballspiel gesehen . Das gilt auch im richtigen Leben .
({0})
Bei der betrieblichen Altersversorgung ist der Platz das
Unternehmen, in dem man arbeitet . Wer in Großbetrieben und in Branchen mit starken Tarifpartnern arbeitet,
hat in der Regel Anspruch auf eine Betriebsrente, und
das ist gut so . Wir wollen aber, dass alle Beschäftigten
Zugang zur Betriebsrente bekommen . Das ist für uns
eine Frage der Gerechtigkeit . Die betriebliche Altersversorgung ist ein eingeführtes Instrument . Deshalb spielt
sie bei der Altersversorgung eine wichtige Rolle . In der
schon genannten Befragung der IG Metall sprechen sich
die Beschäftigten der Metallindustrie für eine stärkere
betriebliche Altersversorgung aus .
({1})
Die betriebliche Altersversorgung ist für uns die beste
Ergänzung zur gesetzlichen Rente - damit das klar ist:
eine Ergänzung und kein Ersatz -, weil sie eine Menge Vorteile gegenüber der privaten Vorsorge bietet, wie
Martin Rosemann bereits ausgeführt hat . Die betriebliche Altersversorgung wird im Kollektiv, in großer Zahl
organisiert und hat dementsprechend Vorteile, was Kosten und Anlagemöglichkeiten angeht . Sie trägt auch dazu
bei, gesellschaftliche Solidarität in die Altersversorgung
zu bringen .
Ich sage ganz offen: Mir wäre es am liebsten, es gäbe
endlich nicht nur eine Verpflichtung der Arbeitgeber, ein
Angebot zur betrieblichen Altersversorgung zu machen,
sondern auch die Verpflichtung, sich finanziell daran zu
beteiligen .
({2})
Dabei gibt es eine deutliche Übereinstimmung mit Bündnis 90/Die Grünen . Politisch durchsetzbar ist das im Moment allerdings leider nicht . Deshalb wählen wir zurzeit
einen anderen Weg und setzen auf die Tarifpartner . Tarifpartner können am besten beurteilen, wo es Regelungen
der betrieblichen Altersversorgung geben soll, die sich
an den jeweiligen Gegebenheiten, Arbeitsbedingungen,
Alters- und Qualifikationsstrukturen orientieren. Tarifpartner sind für uns auch diejenigen, die mit ihrer Kompetenz und Erfahrung für die Qualität der betrieblichen
Altersversorgung stehen . Ich weiß, das wird bei unserem
Koalitionspartner nicht uneingeschränkt so gesehen .
Mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz, das wir in
den nächsten Wochen verabschieden werden, erfinden
wir die betriebliche Altersversorgung nicht neu, nein, wir
stärken sie, wir schaffen eine Betriebsrente plus.
({3})
Wir schaffen eine steuerliche Förderung für Arbeitgeber,
die einen Beitrag leisten. Wir schaffen eine neue Förderung für Geringverdiener. Wir schaffen einen Freibetrag
in der Grundsicherung - das ist eben vom Kollegen Weiß
schon angesprochen worden -, und wir wollen - das sage
ich an dieser Stelle ganz klar -, dass die eingesparten ArPeter Weiß ({4})
beitgeberbeiträge bei der Entgeltumwandlung vollständig bei den Beschäftigten landen .
({5})
So könnte auch die ärgerliche Belastung durch den vollen Krankenkassenbeitrag auf Betriebsrenten zumindest
abgemildert werden .
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Sozialpartnermodell schaffen wir einfache und übersichtliche Zugänge . Gerade die Komplexität und der Aufwand sind in
kleinen und Kleinstunternehmen oft der Grund, warum
es dort keine Betriebsrenten gibt . Das wollen wir ändern .
Wir geben den Tarifpartnern neue Möglichkeiten, aber
auch mehr Verantwortung . Mir ist schon klar, dass der
Verzicht auf Garantien in diesem Modell eine kommunikative Herausforderung ist . Ich sage aber ganz deutlich
an die Adresse der Linken: Es ist nicht nur unredlich,
sondern schlicht falsch, zu behaupten, dass der Verzicht
auf Garantien mit dem Verzicht auf Sicherheit einhergeht .
({7})
Außerdem stehen die Tarifpartner mit ihrem Renommee für eine seriöse Anlagepolitik . Es ist doch kein Zufall, Matthias, wenn sich gerade in dieser Situation Verdi
mit dem Gedanken trägt, ein eigenes Versorgungswerk
aufzubauen, um eine zusätzliche betriebliche Altersversorgung im Dienstleistungsbereich zu schaffen.
({8})
Es kann doch nicht wirklich euer Ernst sein, dass ihr
glaubt, Frank Bsirske sei ein Zocker, der mit dem Geld
von Verkäuferinnen und Putzkräften spielt . Das kann
doch wohl nicht ernst gemeint sein .
({9})
Also: Lasst das sein und bringt die Gewerkschaften nicht
in Misskredit, die sonst immer euer erster Bündnispartner sind .
Klar ist: Bei dem starken Wunsch nach Sicherheit beim
Thema Altersversorgung wird es darauf ankommen, das
Sozialpartnermodell so darzustellen, dass Chancen und
Risiken in einem vernünftigen Verhältnis stehen . Mit der
Betriebsrente plus schaffen wir neue Möglichkeiten. Wir
schaffen schlicht und ergreifend ein Angebot. Vielleicht
haben einige Unternehmen beim Thema Betriebsrente künftig ein bisschen von der Fantasie, der Dynamik
und der Entschlossenheit, die Ousmane Dembélé gestern
Abend beim 3 : 2 gegen Bayern gezeigt hat .
({10})
Das wäre gut für die künftigen Rentnerinnen und Rentner . Wir zeigen Ihnen gerne, wo das Tor steht .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({11})
Die Kollegin Jutta Eckenbach spricht als Nächste für
die CDU/CSU .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem
ich einigen Reden heute Morgen hier zugehört habe,
muss ich sagen: Das ist schon sehr polemisch und sehr
spaltend . Natürlich gebe ich den Kollegen Peter Weiß
und Karl Schiewerling recht: Es geht um Wahlen . Man
will hier einfach Wahlveranstaltungen durchführen .
Wir müssen schauen, wie wir mit dem umgehen, was
wir in Deutschland alle gemeinsam hart erarbeiten . Die
Linken haben ihren Rentenantrag bereits im Januar 2017
eingebracht; das wurde schon gesagt . Das geschah erstaunlicherweise kurz nach Vorlage des Alterssicherungsberichtes, und jetzt reden wir über den Armuts- und
Reichtumsbericht . Das lässt vermuten, dass Ihre Anträge
immer dann eingebracht werden, nachdem zuvor die entsprechenden Berichte vorgelegt worden sind . Aber das
lasse ich einmal außer Acht .
({0})
Die Alterssicherung in Deutschland steht nach wie
vor auf drei Säulen - das finde ich ganz wichtig -: gesetzliche Rente, betriebliche Altersvorsorge und private
Altersvorsorge . Alle drei Säulen - das ist das Wichtigste überhaupt - sind abhängig von der wirtschaftlichen
Entwicklung . Ohne gute wirtschaftliche Entwicklung ist
eine Alterssicherung nur sehr schwer erreichbar; ohne
sie wird es nicht gehen . In der letzten Legislaturperiode haben wir bewiesen, dass wir in der Bundesrepublik
Deutschland auf einem wirtschaftlich verdammt guten
Weg sind . Die Arbeitslosigkeit war noch nie so niedrig
wie im Moment, bezogen auf einen Zeitraum von 25 Jahren - auch das muss man an dieser Stelle sagen -, und das
bewirkt eine gute Konjunktur .
({1})
Wir haben ein solidarisches Rentensystem im Hinblick auf den Generationenvertrag . Es ist deswegen solidarisch, weil es von allen Steuerzahlern mitfinanziert
wird . Diese Solidarität ist auch an den vier Grundlagen
des Sicherungssystems erkennbar: den Beiträgen, dem
Rentenniveau, der Laufzeit von Renten und dem Bundeszuschuss .
Ich will es noch einmal sagen: Die Renten werden
auch über Steuern finanziert. Ich glaube, im aktuellen
Haushalt sind 13,1 Milliarden Euro hierfür veranschlagt .
Das nur noch einmal dazu, dass gefordert wurde, wir
müssten hier noch mehr tun . Die Mütterrente hat Kosten
in Höhe von 13,1 Milliarden Euro verursacht . Sie ist also
steuerfinanziert. All das, was ansonsten dazu gesagt worden ist, ist zumindest an dieser Stelle nicht ganz richtig .
({2})
Lassen Sie mich auch noch etwas zu dem ausführen,
was hier immer über das Rentenniveau gesagt wird . Ich
habe mir einmal die Mühe gemacht, Folgendes nachzusehen: Im Jahre 2002 gab es bei einem Durchschnittsverdienst von 23 341 Euro eine Standardrente in Höhe
von 12 356 Euro bei einem Rentenniveau von 52,9 Prozent vor Steuern . Im Jahre 2016 gab es bei einem Durchschnittsverdienst von 30 020 Euro eine Standardrente
in Höhe von 14 367 Euro bei einem Rentenniveau von
47,9 Prozent . - Das heißt, das Rentenniveau ist zwar
eine wichtige Stellschraube, aber nicht die einzige Stellschraube, an der wir drehen müssen . Wir dürfen nicht
immer so tun, als ginge es nur um die Höhe des Rentenniveaus . Zu berücksichtigen ist, dass wir es in Deutschland mit unterschiedlichen wirtschaftlichen Lagen zu tun
haben . Das ist doch die Ausgangslage dafür, wie wir die
Berechnung vornehmen . Worüber wir reden müssen, ist,
dass wir gesetzlich beschlossen haben - ich hoffe, ich
habe es richtig im Kopf -, dass das Rentenniveau bis zum
Jahre 2029 nicht unter 43 Prozent sinkt . Diese Garantie
gilt letztendlich .
Lassen Sie mich noch - so viel Zeit bleibt ja nicht - einen ganz wichtigen Punkt ansprechen, der meines Erachtens in der Diskussion über die Rente heute ein bisschen
zu kurz gekommen ist . Viele Leute interessiert - auf der
Besuchertribüne sitzen jüngere und auch ältere -, welche Rentenleistungen sie mit dem vollendeten 65 ., 66 .
oder, wenn sie 45 Jahre gearbeitet haben, 63 . Lebensjahr
bekommen . Das ist wichtig . Bis 2030 ist das alles gut
abgesichert, mit Nachrüstungen . Wir werden über die
betriebliche Altersvorsorge, die bAV, reden und an einigen Stellschrauben drehen . Aber die Frage ist: Was ist
ab 2030? Wir haben heute 2017 . Ganze Jahrgänge sind
in Schule, in Bildung . In die müssen wir investieren .
Wenn wir jetzt nicht in Bildung investieren, wenn wir
jetzt nicht gut für Bildung in Deutschland sorgen - die
Bundesregierung hat eine Menge getan, um den Ländern
behilflich zu sein, in Bildung zu investieren -, wenn wir
uns nicht um die Jugendlichen kümmern, wenn wir uns
nicht darum kümmern, dass die Jugendlichen übergangslos von der Schule auf einen Arbeitsplatz wechseln und
damit den Weg in unsere Leistungsgesellschaft finden
können, dann wird in den nächsten Jahrzehnten kein
Rentensystem, egal wie wir es gestalten, funktionieren .
Es ist unsere Aufgabe, mit darauf zu achten: Wie geht
es der nächsten Generation, die ins Arbeitsleben kommt?
Wie schaffen wir Arbeitsbedingungen, dass Menschen
auch über 45 Jahre hinaus Leistung erbringen können?
Dazu haben wir in dieser Legislaturperiode Gesetze beschlossen . Ich erinnere hier an die Rehabilitation . Ich
erinnere aber auch an das Präventionsgesetz . Das ist etwas wirklich Neues in dieser Legislaturperiode gewesen .
Das haben wir beschlossen, um in den nächsten Jahren
Menschen behilflich zu sein, am Arbeitsplatz bleiben
und Leistung erbringen zu können . Denn eines ist klar:
Es geht nur mit einer guten Leistung, einem guten Arbeitsplatz, einer guten Bezahlung; ansonsten wird es keine auskömmliche Rente geben .
({3})
Aber da sind auch die Tarifpartner mit im Boot . Sie
werden hier überhaupt nicht genannt . Ich denke, die Tarifpartner müssen an der Stelle mit dafür Sorge tragen;
denn das kann doch keine gesetzliche Aufgabe sein . Es
ist nicht meine Auffassung, dass wir gesetzlich in Tarifverträge eingreifen sollten .
({4})
- Da sind wir unterschiedlicher Meinung . - Wir sollten
eines nicht tun, nämlich als Gesetzgeber dort eingreifen .
Wir sollten den Menschen sagen: Es ist nicht erstrebenswert, von Sozialhilfe und Grundsicherung zu leben .
Es ist erstrebenswert, sein Leben selbst gestalten zu
können, in einer offenen, in einer freiheitlichen Gesellschaft . - Dieses zu ermöglichen, dazu sind wir da, dazu
haben wir in Deutschland auch eine Menge getan .
Ich würde mir sehr wünschen, dass wir das auch in
Nordrhein-Westfalen erreichen könnten, wo am 14 . Mai
die Wahl ansteht . Ich wäre sehr froh darüber, wenn wir
es schaffen würden, auch in Nordrhein-Westfalen etwas
mehr für die Bildung zu tun, etwas mehr dafür zu tun,
dass die Menschen in Arbeit kommen, damit unser Land
auf gute Füße gestellt wird . Ich sage „unser Land“; denn
ich komme aus Nordrhein-Westfalen .
({5})
Dieses Land hat es verdient, eine neue Regierung zu bekommen .
({6})
Herzlichen Dank .
({7})
Abschließende Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Dagmar Schmidt für die SPD .
({0})
Zum Thema Wahlkampf: Ich kündige an, in meiner
Rede nicht einmal Martin Schulz zu erwähnen .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war und
ist noch eine erfolgreiche Legislatur für Rentnerinnen
und Rentner . Mehr fordern, lieber Matthias Birkwald,
geht immer .
({1})
Aber lassen Sie mich noch einmal kurz bilanzieren, was
wir alles geschafft haben.
Die SPD hat dafür gesorgt, dass es seit langem wieder
bessere Rentenleistungen für die Bürgerinnen und Bürger gibt,
({2})
erstens mit der abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren, vor allem für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die lange gearbeitet und eingezahlt haben, denen
es aber oftmals schwerfällt, bis 65, 66, 67 zu arbeiten .
Zweitens haben wir deutliche Verbesserungen bei der
Erwerbsminderungsrente für diejenigen erreicht, die aus
gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können .
Nach Einführung der Günstigerprüfung und der Verlängerung der Anrechnungszeiten von 60 auf 62 Jahre im
Rahmen des Rentenpakets 2014 werden wir morgen in
erster Lesung in den Bundestag einbringen, die Anrechnungszeiten noch einmal um drei Jahre auf 65 Jahre zu
erweitern . Das ist auch gut und richtig so .
Drittens haben wir mit den flexiblen Übergängen in
den Ruhestand die Voraussetzungen dafür verbessert,
lange gesund im Berufsleben bleiben zu können .
Last, but not least hat die Mütterrente - es ist kein Geheimnis, dass wir sie lieber steuerfinanziert hätten - vielen Frauen zu Recht eine bessere Rente verschafft.
Am Ende der Debatte möchte ich zwei Punkte besonders hervorheben, nämlich erstens das, was wir für die
Rente von Frauen gemacht haben, und zweitens, was wir
dafür getan haben, dass Menschen gesund bis zur Rente
arbeiten können .
Das Thema Altersarmut ist angesprochen worden .
59 Prozent derjenigen, die Grundsicherung im Alter
erhalten, sind Frauen . Die Gründe dafür sind uns allen
bekannt: Unterbrechung der Erwerbstätigkeit wegen
Kindererziehung, geringere Löhne und Teilzeitbeschäftigung . Was haben wir gemacht? Wir haben uns gefragt:
Was brauchen die Frauen, um eine bessere Erwerbsbiografie zu bekommen?
Die Antwort lautet: Wir brauchen Ordnung auf dem
Arbeitsmarkt . Da haben wir mit der Einführung des Mindestlohns einen wichtigen Schritt getan .
({3})
Zwei Drittel derjenigen, die vom Mindestlohn profitieren, sind Frauen . Das IAB hat festgestellt, dass die Einführung des Mindestlohnes dazu geführt hat, dass Minijobs in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse
umgewandelt wurden . Dabei geht es um fast 50 000 Arbeitsverhältnisse . Das ist, glaube ich, ein Riesenerfolg .
({4})
Als Zweites nenne ich die Frauenquote in Aufsichtsräten . Jetzt fragen Sie sich: Was hat das mit Altersarmut
von Frauen zu tun? Die Quote ist aber nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber Frauen, sie ist auch der
Anstoß für unternehmerische Veränderungsprozesse . Es
gibt nachweislich dann Veränderungen zum Vorteil für
Frauen in Unternehmen, wenn der Anteil von Frauen
auch in Führungspositionen eine Mindestgröße erreicht
hat . Eine Frau allein macht noch keinen Fortschritt . Deswegen gibt es - statt einer Alibiregelung - die Quote .
({5})
Mit dem Entgeltgleichheitsgesetz befördern wir die
gleiche Bezahlung von Frauen und Männern durch mehr
Transparenz . Wir hätten gerne das Rückkehrrecht in Vollzeit eingeführt . Das müssen wir in der nächsten Legislaturperiode mit dem Rückenwind aus Europa nachholen .
Was brauchen Frauen noch für eine gute Erwerbsbiografie? Sie brauchen Unterstützung bei der Vereinbarkeit
von Familie und Beruf . Wir haben als Bund 4,1 Milliarden Euro in die Hand genommen, um sie in die Kinderbetreuung zu stecken. Wir haben das Pflegeunterstützungsgeld und das Recht auf Familienpflegezeit eingeführt,
und wir berücksichtigen die Pflegezeit bei der Rente. Des
Weiteren fördern wir zum Beispiel durch das Kindergeld
Plus die Partnerschaftlichkeit .
All das verbessert die Situation von Frauen auf dem
Arbeitsmarkt und damit auch ihre Rente .
({6})
Mit der Mütterrente haben wir erstmalig auch Verbesserungen bei den Bestandsrenten durchgesetzt .
Was haben wir dafür getan, dass Menschen bis zur
Rente gesund arbeiten können? Wir haben mit dem Flexirentengesetz einen Paradigmenwechsel herbeigeführt .
Wir machen uns nicht mehr ausschließlich Gedanken darüber, was passiert, wenn Menschen krank sind und nicht
mehr weiterarbeiten können; das müssen wir auch und
haben es getan . Vor allem aber wollen wir Sorge dafür
tragen, dass Menschen ihre Gesundheit erhalten und gesund das Rentenalter erreichen können . Dafür brauchen
wir mehr Prävention, Gesundheitsschutz und Flexibilität
unseres Sozialsystems .
Wir haben mit dem Präventionsgesetz die Krankenkassen verpflichtet, mindestens 2 Euro pro Versicherten
für die betriebliche Gesundheitsförderung auszugeben;
aber wir brauchen noch mehr. Wir brauchen ein flexibles System sozialer Sicherheit, das Schutz gibt, bevor
das Kind in den Brunnen gefallen ist bzw . bevor der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin krank und arbeitslos
geworden ist . Dieses Prinzip heißt „Prävention vor Reha
vor Rente“ . Dem sind wir nachgekommen:
({7})
Wir haben Prävention und Nachsorge im Rehabudget gestärkt und die Kinder- und Jugendreha deutlich verbessert; denn je früher man sich kümmert, desto besser . Wir
haben mit dem sogenannten Ü-45-Check-up, den wir in
Modellprojekten testen werden, erstmalig eine Verbindung von Gesundheitsschutz und Qualifizierung erreicht.
Damit werden wir neue Wege beschreiten . Wir wollen
ein individuelles Recht auf Gesundheitsschutz, Beratung
und Förderung . Ich glaube, das ist im Sinne der hart arbeitenden Menschen in unserem Land .
({8})
Dagmar Schmidt ({9})
Für eine gute, zukunftsfeste und gerechte Rente
braucht es mehr als ein anständiges Rentenniveau . Wir
setzten dafür viele Hebel in Bewegung und drehen das
Rad nach vorn und nicht zurück .
In diesem Sinne: Glück auf!
({10})
Damit schließe ich diese Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/10891 und 18/12098 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen . - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch . Dann sind
diese Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 42 a bis 42 w
sowie die Zusatzpunkte 1 a bis 1 c auf:
42 . a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Protokolls vom 24. Juni
1998 zu dem Übereinkommen von 1979
über weiträumige grenzüberschreitende
Luftverunreinigung betreffend persistente organische Schadstoffe ({0})
Drucksache 18/11843
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit ({1})
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
b) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Einbeziehung von Polymerisati-
onsanlagen in den Anwendungsbereich
des Emissionshandels
Drucksache 18/11844
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Protokolls vom 30. November 1999 ({2})
zu dem Übereinkommen von 1979 über
weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung betreffend die Verringerung von Versauerung, Eutrophierung
und bodennahem Ozon
Drucksache 18/11845
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit ({3})
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Protokolls vom 24. Juni
1998 zu dem Übereinkommen von 1979
über weiträumige grenzüberschreitende
Luftverunreinigung betreffend Schwer-
metalle
Drucksache 18/11846
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Übereinkommen von Minamata
vom 10. Oktober 2013 über Quecksilber
({4})
Drucksache 18/11847
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Juni 2016
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Armenien zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung und
zur Verhinderung der Steuerverkürzung
auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
Drucksache 18/11867
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({5})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 12. November
2012 zur Unterbindung des unerlaubten
Handels mit Tabakerzeugnissen
Drucksache 18/11868
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({6})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 14. November
2016 zur Änderung des Abkommens vom
13. Juli 2006 zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und der
mazedonischen Regierung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem
Gebiet der Steuern vom Einkommen und
vom Vermögen
Drucksache 18/11869
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({7})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. November 2016 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Panama
zur Vermeidung der Doppelbesteuerung
Dagmar Schmidt ({8})
auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen betreffend den Betrieb von Seeschiffen oder Luftfahrzeugen im internationalen Verkehr
Drucksache 18/11878
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({9})
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Januar 2017 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Moldau
über Soziale Sicherheit
Drucksache 18/11879
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({10})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
k) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten
Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes ({11})
Drucksache 18/11933
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({12})
Innenausschuss
l) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes
Drucksache 18/11939
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit ({13})
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Tourismus
m) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung
({14}) Nr. 1143/2014 über die Prävention
und das Management der Einbringung
und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten
Drucksache 18/11942
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit ({15})
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
n) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Einführung einer wasserrechtlichen Genehmigung für Behandlungsanlagen für
Deponiesickerwasser und zur Änderung
der Vorschriften zur Eignungsfeststellung
für Anlagen zum Lagern, Abfüllen oder
Umschlagen wassergefährdender Stoffe
Drucksache 18/11946
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit ({16})
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
o) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Chemikaliengesetzes und
zur Änderung weiterer chemikalienrechtlicher Vorschriften
Drucksache 18/11949
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit ({17})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
p) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften
Drucksache 18/12041
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({18})
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
q) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der am 15. Oktober 2016 in Kigali
beschlossenen Änderung des Montrealer
Protokolls vom 16. September 1987 über
Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen
Drucksache 18/12048
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit ({19})
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
r) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Aufhebung der Gesetze über Bergmanns-
siedlungen
Drucksache 18/12049
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
s) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung gebührenrechtlicher
Regelungen im Aufenthaltsrecht
Drucksache 18/12050
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({20})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
t) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Manuel
Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Rates
zur Änderung der Richtlinie 2003/87/
Vizepräsident Johannes Singhammer
EG zwecks Verbesserung der Kosteneffizienz von Emissionsminderungsmaßnahmen und zur Förderung von Investitionen in CO2-effiziente Technologien
KOM({21}) 337 endg.; Ratsdok. 11065/15
hier: Stellungnahme gegenüber der Bun-
desregierung gemäß Artikel 23 Ab-
satz 3 des Grundgesetzes
Drucksache 18/11744
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
u) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Birgit Menz, Eva Bulling-Schröter, Caren
Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Verbot der Haltung wild lebender Tierarten in Zirkussen
Drucksache 18/12088
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit ({22})
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
v) Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrej Hunko, Azize Tank, Wolfgang
Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Neustart der Europäischen Union auf der
Grundlage Sozialer Menschenrechte
Drucksache 18/12089
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union ({23})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
w) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Kathrin Vogler, Pia Zimmermann, Sabine
Zimmermann ({24}), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE
Patientinnen und Patienten entlasten -
Zuzahlungen bei Arzneimitteln abschaffen
Drucksache 18/12090
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
ZP 1 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung futtermittelrechtlicher und tierschutzrechtlicher Vorschriften
Drucksache 18/12085
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({25})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Harald Petzold ({26}), Stefan Liebich,
Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transpersonen und Intersexuellen
({27}) in Tschetschenien entgegentreten
Drucksache 18/12091
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({28})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr . Julia Verlinden, Oliver Krischer,
Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Klimaschutz stärken - Energiesparen verbindlich machen
Drucksache 18/12095
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({29})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Dabei handelt es sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte und ohne eine abschließende Beschlussfassung .
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . Sind Sie mit diesem Verfahren einverstanden? - Das ist der Fall . Dann sind alle diese Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 43 a bis 43 c,
43 e und 43 f sowie 43 h bis 43 j auf . Dabei handelt es
sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist . Es sind aber Tagesordnungspunkte, bei denen entschieden wird . Deshalb werde ich auch, um keinerlei Zweifel, um was es dabei geht,
entstehen zu lassen, jeweils in einigen kurzen Sätzen
sagen, worum es bei den entsprechenden Themen geht .
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 a:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom
29. Juni 2016 über die Vorrechte und Immunitäten des Einheitlichen Patentgerichts
Drucksachen 18/11238 ({30}), 18/11746,
18/11822 Nr. 12
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({31})
Drucksache 18/12147
Das Einheitliche Patentgericht ist eine neue internationale Organisation mit Völkerrechtspersönlichkeit . Dem
Patentgericht und seinen Mitarbeiterinnen und MitarVizepräsident Johannes Singhammer
beitern sollen durch das genannte Protokoll im üblichen
Rahmen Vorrechte und Befreiungen eingeräumt werden .
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/12147, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/11238 ({32}) und 18/11746 anzunehmen .
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung . Eine dritte Lesung brauchen
wir in diesem Verfahren nicht zu machen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu
erheben . - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen .
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung
der personellen Struktur beim Bundeseisenbahnvermögen und in den Postnachfolgeunternehmen sowie zur Änderung weiterer Vorschriften des Postdienstrechts
Drucksache 18/11559
Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({33})
Drucksache 18/12134
Mit diesem Änderungsgesetz wird die bislang bestehende Möglichkeit für die bei den Postnachfolgeunternehmen im Personalüberhang beschäftigten Beamtinnen
und Beamten, ab dem vollendeten 55 . Lebensjahr versorgungsabschlagsfrei in den Ruhestand zu treten, in einer
modifizierten Weise fortgeführt. Die neue Regelung sieht
als weitere Voraussetzung die Bereitschaft vor, im Rahmen eines engagierten Ruhestandes für mindestens zwölf
Monate Bundesfreiwilligendienst oder eine vergleichbare Tätigkeit zu leisten . Der Gesetzentwurf enthält darüber hinaus noch administrative und redaktionelle Anpassungen des Postpersonalrechtsgesetzes .
Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/12134, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksache 18/11559 anzunehmen . Ich bitte jetzt diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD sowie
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke .
Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist
der Gesetzentwurf angenommen mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke .
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung der Regelungen über
Funkanlagen und zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes sowie zur Aufhebung des
Gesetzes über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen
Drucksache 18/11625
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({34})
Drucksache 18/12139
Der Gesetzentwurf dient der Umsetzung der Richtlinie 2014/53/EU des Europäischen Parlaments und des
Rates über die Harmonisierung der Rechtsvorschriften
der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung von Funkanlagen auf dem Markt der Europäischen Union .
Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12139,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11625 in der Ausschussfassung anzunehmen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen .
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf angenommen mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 e:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes
Drucksachen 18/11281, 18/11407
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({35})
Drucksachen 18/12081, 18/12126
Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 18/12081 und 18/12126,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11281 und 18/11407 in der Ausschussfassung
anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD
Vizepräsident Johannes Singhammer
gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen .
Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen gibt es keine . Der
Gesetzentwurf ist damit angenommen mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen .
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 f:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({36})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta
Krellmann, Klaus Ernst, Sabine Zimmermann
({37}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Keine Befristung von Arbeitsverträgen
ohne Sachgrund
- zu dem Antrag der Abgeordneten Beate
Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae, Brigitte
Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kein Sachgrund - Keine Befristung
Drucksachen 18/11598, 18/11608, 18/11802
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/11598
mit dem Titel „Keine Befristung von Arbeitsverträgen
ohne Sachgrund“ . Wer für diese Beschlussempfehlung
des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen
angenommen .
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11608
mit dem Titel „Kein Sachgrund - Keine Befristung“ . Wer
für die Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt,
den bitte ich um ein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen gibt es keine . Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen
sowie der Fraktion Die Linke angenommen .
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 h:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({38})
zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD
Pharmazeutische Forschung gegen Infektionskrankheiten stärken - Nationale Wirkstoffoffensive starten
Drucksachen 18/10972, 18/12075
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/12075, den Antrag der
Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/10972 anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung
ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung
von Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 i:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({39})
- zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD
MINT-Bildung als Grundlage für den Wirtschaftsstandort Deutschland und für die
Teilhabe an unserer von Wissenschaft und
Technik geprägten Welt
- zu dem Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu,
Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für ein gerechtes und innovatives Deutschland 2030 - Als Konsequenz aus den Ergebnissen von PISA 2015 eine Bildungsoffensive starten
Drucksachen 18/11164, 18/11179, 18/12063
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der
Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/11164 mit dem Titel „MINT-Bildung als Grundlage für den Wirtschaftsstandort Deutschland und für
die Teilhabe an unserer von Wissenschaft und Technik
geprägten Welt“ . Wer für diese Beschlussempfehlung
stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung
empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/11179 mit dem Titel „Für ein gerechtes und innovatives Deutschland 2030 - Als Konsequenz aus den
Ergebnissen von PISA 2015 eine Bildungsoffensive starten“ . Wer für die Beschlussempfehlung des Ausschusses
stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD
gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen .
Vizepräsident Johannes Singhammer
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 j:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({40}) zu dem Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD
Gartenbau sowie Garten- und Landschaftsbau als innovativen Wirtschaftszweig stärken
und zukunftsfest machen
Drucksachen 18/10018, 18/12150
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/12150, den Antrag der
Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/10018 anzunehmen . Wer für die Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein
Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen
mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die
Linke .
Ich rufe jetzt Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zu verschärften
Abgastests in Europa
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Oliver Krischer für Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor
eineinhalb Jahren erreichte mit den Ermittlungen der
US-amerikanischen Umweltbehörde EPA einer der größten Industrieskandale das Licht der Öffentlichkeit. Heute, eineinhalb Jahre später, müssen wir leider feststellen,
dass die Bundesregierung nahezu jede ernsthafte Konsequenz aus diesem Skandal verweigert .
Mehr noch: Im Untersuchungsausschuss hat die Bundeskanzlerin zu diesem Skandal von „Vorkommnissen“
und „Verfehlungen Einzelner“ gesprochen . Ich sage:
Diese Äußerungen sind ein Hohn für die Tausenden
Menschen, die wegen der Stickoxidemissionen in unserem Land jedes Jahr vorzeitig sterben, und für Millionen
betrogener Autofahrer . Die Worte der Bundeskanzlerin
haben, ehrlich gesagt, das Potenzial für die Verharmlosung des Jahres .
({0})
Ich bin froh, dass wenigstens die EU-Kommission einige Vorschläge - wir würden uns noch sehr viel mehr
wünschen - macht, um Konsequenzen zu ziehen, um
Verbesserungen zu erreichen und um solche Skandale in
Zukunft zu verhindern . Es passt ins Bild, dass die deutsche Bundesregierung in Person von Verkehrsminister
Alexander Dobrindt die Umsetzung dieser Vorschläge in
Brüssel boykottiert, sabotiert und verhindern will . Auch
das zeigt: Man will keine Konsequenzen aus dem Skandal ziehen, meine Damen und Herren .
({1})
Ich sage in aller Deutlichkeit: Der Vorschlag der
EU-Kommission, die nationalen Zulassungsbehörden
zu überwachen, ist notwendig und richtig . Wir haben
in Deutschland erlebt, wie das Kraftfahrt-Bundesamt
mit seinem Chef, Herrn Zinke, der Herrn Dobrindt untersteht, den Skandal ignoriert und keine Konsequenzen
gezogen hat . Der eigentliche Skandal ist, dass Herr Zinke
immer noch im Amt ist, wo er uns doch im Ausschuss
erklärt hat, es sei überhaupt nicht seine Aufgabe, nachzuweisen, wie viel Emissionen Fahrzeuge auf der Straße
haben . Wenn solche Menschen im Amt bleiben und vom
Verkehrsminister gestützt werden, wenn weiter vertuscht
wird, dann bedeutet das, dass die notwendigen Konsequenzen nicht gezogen werden . Das zeigt nur, wie richtig die europäische Überwachung der nationalen Zulassungsbehörden ist .
({2})
Das Schärfste ist aber, dass die Bundesregierung auch
stärkere Sanktionen und Strafen gegen die Trickser und
Betrüger in der Automobilindustrie ablehnt . Wenn irgendwo in Deutschland ein Ladendieb erwischt wird,
dann ist sofort ein Unionsabgeordneter zur Stelle, der
schärfere Strafen fordert . Aber wenn es um die Trickser und Betrüger in der Automobilindustrie geht, wenn
es um diejenigen geht, die die Verantwortung für diesen
Skandal tragen, wollen Sie Strafen sogar verhindern . Sie
unternehmen schon heute nichts, und Sie sorgen dafür,
dass nicht einmal die Europäische Union die Grundlage
für Strafen und Sanktionen schaffen kann. Das finde ich,
ehrlich gesagt, skandalös .
({3})
Ich finde es genauso skandalös und da passt ins Bild,
dass Herr Dobrindt seit inzwischen eineinhalb Jahren
CO2-Messungen, die das Kraftfahrt-Bundesamt durchgeführt hat und die ganz offensichtlich nicht den Regeln
entsprechen, der Öffentlichkeit vorenthält. Hier soll im
Sinne der Konzerne vertuscht und verschwiegen werden .
Herr Dobrindt, Sie sind der Schutzpatron der Trickser
und Betrüger . Das möchte ich hier in aller Klarheit sagen .
({4})
Meine Damen und Herren, mit dieser Aussage stehe
ich nicht alleine . Ich zitiere wörtlich aus Onlinemedien
von vorgestern . Da heißt es:
Es ist bis jetzt nichts für eine tiefgreifende Verbesserung getan worden .
Das hat nicht die Deutsche Umwelthilfe gesagt, das hat
nicht Greenpeace gesagt, das hat niemand von der OppoVizepräsident Johannes Singhammer
sition gesagt, sondern das hat die sogenannte Umweltministerin, Frau Hendricks, gesagt .
({5})
Ich sage: An dieser Stelle hat Frau Hendricks absolut
recht .
({6})
Es ist nichts getan worden, es sind keine Konsequenzen
gezogen worden .
Dass Sie, Frau Hendricks, im Untersuchungsausschuss vor nicht allzu langer Zeit das exakte Gegenteil
erzählt haben und gegenüber Herrn Dobrindt eine regelrechte Schleimspur gezogen haben, müssen Sie mit sich
selber ausmachen;
({7})
das ist mir egal . Aber Sie müssen sich schon die Frage
gefallen lassen, warum eine Umweltministerin in anderthalb Jahren keinen einzigen Millimeter durchsetzt
beim Thema Abgasskandal . Dafür gibt es nur eine Erklärung, meine Damen und Herren: Die Wirkungen Ihrer
Forderungen sind geringer, als wenn irgendwo ein Sack
Kartoffeln umfällt. Meine Damen und Herren, Sie fordern jede Woche etwas Neues, doch es endet immer im
Nichts . So wird es auch jetzt wieder sein . Am Ende wird
sich Herr Dobrindt durchsetzen . Das ist das Problem dieser Bundesregierung .
({8})
Ich sage Ihnen: Es kann nicht sein, dass dieser Abgasskandal am Ende bei den Städten und Kommunen
abgeladen wird und bei den Autofahrern, die Autos gekauft haben im guten Glauben, dass ihre Fahrzeuge die
Grenzwerte einhalten . Wir brauchen Programme zur
Umrüstung . Da muss die Bundesregierung tätig werden .
Es kann doch nicht sein, dass weiter jeden Tag Tausende
nagelneue Euro-6-Fahrzeuge auf unsere Straßen kommen, die ebenfalls die Grenzen um das Fünf-, Sechs-,
Sieben- oder Zehnfache überschreiten . Ich erwarte von
einer Bundesregierung, dass sie endlich dafür sorgt, dass
Grenzwerte Grenzwerte sind und eingehalten werden,
({9})
dass es Sanktionen gibt, dass es Konsequenzen gibt, dass
die betroffenen Fahrzeuge entweder umgerüstet oder die
Besitzer entschädigt werden .
Kollege Krischer, darf ich Sie an die Redezeit erinnern?
Das wäre notwendig . Das müssen wir endlich machen .
Ich danke Ihnen .
({0})
Für die Bundesregierung hat jetzt das Wort Bundesminister Alexander Dobrindt .
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr
Krischer, 2,5 Millionen VW-Fahrzeuge befinden sich
gerade im verpflichtenden Rückruf, 680 000 Fahrzeuge
anderer Hersteller in Deutschland stehen im Rahmen der
Serviceaktion zur Umrüstung an .
({0})
Und Sie reden hier davon, dass nichts getan wird . Das ist
pure Heuchelei, weil Sie nicht wissen, wie man mit der
ganzen Affäre umgeht.
({1})
Sie haben keinen Plan, was notwendig ist, weil Sie dafür
vernünftig in Richtung Brüssel blicken müssten .
({2})
Ich habe bereits im letzten Jahr vor dem Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments klargestellt, was notwendig ist, damit wir in Zukunft in der Tat
mehr Kontrolle und bessere Prüfungen haben, damit solche Manipulationen, wie wir sie erlebt haben, vermieden
werden .
({3})
Erster und bedeutendster Punkt dabei ist, dass wir
natürlich das Recht verändern . Heute steht aufgrund der
europäischen Richtlinie ein Scheunentor offen. In dieser
Situation ist man für Manipulationen anfällig .
({4})
Wir haben heute eine Richtlinie, die auf der einen Seite
besagt, dass Abschalteinrichtungen verboten sind, und
auf der anderen Seite besagt, dass es eine ganze Vielzahl
von Ausnahmen gibt, die sich die Hersteller zunutze machen können .
({5})
„Motorschutz“ ist an dieser Stelle das Schlüsselwort, auf
das sich nach europäischem Recht jeder berufen kann,
um am Schluss in die Motorsteuerung einzugreifen,
wenn es um die Emissionsstrategien geht .
({6})
Das ist natürlich falsch . Das muss verändert werden .
Ansonsten bekommen wir diese manipulationsanfällige
Regelung nicht in den Griff.
({7})
Deswegen habe ich bereits im letzten Jahr gegenüber
der Europäischen Kommission, im Untersuchungsausschuss und übrigens auch am 7 . Juni 2016 im Verkehrsministerrat gesagt: Wir haben nur eine Möglichkeit durch
Veränderung des europäischen Rechts . Wir müssen dafür
sorgen, dass sich Hersteller, dass sich Ingenieure nicht
mehr darauf berufen können, dass ihr Motor nicht leistungsfähig genug sei, um auf Dauer eine ordentliche Abgasstrategie zu verfolgen . - Ich kann dies sehr plakativ
formulieren: Heute ist nach europäischem Recht möglich, dass der schlechteste Ingenieur, dass der schlechteste Motor, dass die unausgereiftesten und unterdimensioniertesten Motoren für sich die meisten Ausnahmen in
Anspruch nehmen und dann die meisten Schadstoffe ausstoßen . Das ist grundfalsch und muss geändert werden .
({8})
Im Gesetz müssen der Stand der Technik und die modernsten Technologien vorgeschrieben sein . Dann vermeiden wir in Zukunft solche Manipulationen .
({9})
Mit dieser Sachfrage wollen Sie sich nicht auseinandersetzen .
({10})
Dabei geht es überhaupt nicht um EU-Bashing - das
ist der Vorwurf, den Sie machen, anstatt sich mit der Sache auseinanderzusetzen -, sondern geht es darum, dass
das, was vor vielen Jahren festgelegt wurde, überholt
ist . Die Richtlinie ist von 2007 . Das heißt, 2004 wurde
begonnen, darüber zu diskutieren . Damals hat man über
Motorengenerationen geredet, bei denen gar nicht vorstellbar war, was durch Digitalisierung, was durch Technisierung an Eingriffen möglich sein wird. Dass diese
Richtlinie natürlich irgendwann verändert werden muss,
dass das Recht natürlich den technischen Möglichkeiten
folgen muss - das, was jetzt möglich ist, muss sich in
der rechtlichen Konstruktion wiederfinden -, ist doch geradezu logisch . Das ist kein Vorwurf an diejenigen, die
damals dieses Recht geschaffen haben. Aber das ist ein
Vorwurf an diejenigen, die sich heute verweigern, dieses
Recht zu ändern . Es ist in unserem Interesse, das Recht
zu ändern .
({11})
Übrigens ist die EU-Kommission an der Stelle gar
nicht so unwillig, unseren Vorschlägen zu folgen . Sie hat
am 26 . Januar dieses Jahres Leitlinien herausgegeben,
wie man die europäische Verordnung 715/2007 zu interpretieren hat . Interessanterweise schreibt sie genau das in
die Leitlinien, was wir an Rechtsänderungen einfordern:
Wenn es andere Technologien gibt, die am Markt verfügbar sind, wenn es moderne Technologien gibt, die das
Risiko beseitigen, dass der Motor einen Schaden nimmt,
dann sollten sie, soweit technisch möglich, verwendet
werden . - Das schreibt jetzt die Kommission in ihren
Leitlinien . Das ist ein Weg in die richtige Richtung . Das
ist ein Zugehen auf unsere Forderungen . Das Problem ist
nur: Diese Leitlinien sind für die Mitgliedstaaten nicht
rechtlich verpflichtend.
({12})
Wir gehen viel weiter, als es die Kommission vorschlägt .
Wir wollen, dass es rechtlich verpflichtend wird, die modernsten Technologien einzusetzen . Das muss jetzt in
Brüssel entschieden werden .
({13})
Des Weiteren ist auch der Vorwurf von Ihnen, wir würden uns dem entziehen wollen, dass es mehr Kompetenzen auf europäischer Ebene gibt, vollkommen falsch . Wir
haben bereits im letzten Jahr gegenüber der Kommission, im Rat am 7 . Juni und im Untersuchungsausschuss
in Brüssel wie auch im Untersuchungsausschuss hier im
Bundestag klargemacht, dass wir eine Clearingstelle in
Europa brauchen . Wir haben aktuell die Situation, dass
die Zulassungsbehörden der Länder und vielleicht auch
die Länder zu einer unterschiedlichen Bewertung darüber kommen, was im Rahmen des geltenden Gesetzes an
Abgasstrategie zulässig ist oder nicht .
Genau solche Diskussionen gibt es aktuell auch zwischen den Zulassungsbehörden in Deutschland und
Italien und übrigens auch zwischen den Ministerien in
Deutschland und Italien hinsichtlich des Falles Fiat .
Wenn man zu unterschiedlichen Bewertungen kommt,
braucht man logischerweise einen Schiedsrichter, der
in der Lage ist, erstens selber zu prüfen, zweitens auch
fachlich zu bewerten und drittens zu einer Entscheidung
zu kommen, wer recht hat . Sind es die einen, die sagen:
„Ja, da ist wahrscheinlich etwas, was sich außerhalb des
Rechts bewegt“, oder haben die anderen recht, die sagen:
„Nein, es ist alles in Ordnung“? Solch eine Entscheidungsstelle, eine Clearingstelle wird von uns gefordert .
Sie muss in Brüsseler Kompetenz liegen . Wir wollen
nicht, dass die Brüsseler nur moderieren und sagen: Wir
wissen auch nicht, ob die Deutschen oder die Italiener
recht haben . - Sie müssen zum Schluss entscheiden, wer
recht hat, ob hier Manipulation stattfindet oder nicht.
Auch das ist unsere Forderung ans europäische Recht .
Es ist unser Auftrag, dafür zu sorgen, dass diese Kompetenz in Europa geschaffen wird. Aber die Europäer
müssen sie auch wollen . Leider ist diese Clearingstelle
in dem, was bisher aus Europa gekommen ist, so nicht
vorgesehen . Wir fordern sie aber von Brüssel ein .
({14})
- Ich weiß nicht, warum Sie nicht bereit sind, sich mit
diesen wichtigen Sachfragen auseinanderzusetzen .
({15})
Wenn wir nicht wollen, dass es zu einem späteren
Zeitpunkt wieder zu ähnlichen Debatten kommt, dann
werden wir die Gesetze ändern müssen . Wenn wir nicht
wollen, dass zu einem späteren Zeitpunkt die Frage gestellt wird: „Wieso konnte man das wieder nicht verhindern?“, dann müssen wir jetzt an das europäische Recht
heran . Die Prüfmechanismen haben wir verbessert . Wir
wenden in Zukunft die RDE-Verfahren, die realistischeren Prüfverfahren, an . „Real Driving Emission“ heißt,
wir nehmen die Messungen auf der Straße vor - wir
gehen also weg von der Rolle - und passen sie stärker
an das Fahrverhalten der Bürger an . Das ist schon entschieden und wird in diesem Jahr, übrigens auf Druck der
Bundesregierung, umgesetzt .
({16})
Wir erwarten davon natürlich, dass deutlich realistischere Ergebnisse erkennbar werden .
({17})
Wir haben auch Dopingtests eingeführt
({18})
und fordern, dass dies in ganz Europa geschieht . Fahrzeuge müssen auch während ihrer Lebenszykluszeit
daraufhin überprüft werden, ob sie noch den Regeln
entsprechen . Dafür haben wir portable Messgeräte angeschafft, und wir schaffen beim KBA eigene Test- und
Prüfanlagen an .
({19})
Außerdem gehen wir - das ist eine Beratungsleistung, die mit vom Verkehrsausschuss erbracht worden
ist - bei den Abgasuntersuchungen wieder auf Endrohrmessungen über . Denn es geht nicht nur um werksseitige Manipulationen, sondern auch darum, dass es im
Laufe des Lebenszyklus eines Fahrzeugs natürlich auch
zu Veränderungen kommen kann, die nicht dem Recht
entsprechen . Das können wir bei den Abgasuntersuchungen zukünftig durch Endrohrmessungen überprüfen und
feststellen und es gegebenenfalls auch ahnden .
Das ist ein Teil der Maßnahmen, die wir ergriffen haben, um dafür zu sorgen, dass solche Manipulationen zukünftig nicht mehr möglich sind . Jetzt ist die Aufgabe,
daran zu arbeiten, dass in Europa die Weichen richtig
gestellt werden, damit wir solche Manipulationen in Zukunft verhindern können .
Danke schön .
({20})
Nächster Redner ist der Kollege Herbert Behrens für
die Fraktion Die Linke .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Dobrindt, es geht nicht um Regelungen
in der Zukunft, und es geht auch nicht darum, was in Europa entschieden wird und manchmal nicht entschieden
worden ist .
({0})
Es geht auch darum, dass denjenigen, die unter den Abgasemissionen leiden - das sind Allergiker, schwache
und alte Menschen -, bereits heute die zugesicherten und
real existierenden Grenzwerte zugebilligt werden . Sie
wollen geschützt werden, und zwar dadurch, dass aktuelle Grenzwerte tatsächlich eingehalten werden und sie
sich nicht als völlig fehlerhaft darstellen .
({1})
Die Menschen haben sich darauf verlassen, dass Euro-6-Fahrzeuge saubere Fahrzeuge sind . Da sie die neueste Technologie enthalten, musste man davon ausgehen,
dass sie die Grenzwerte einhalten . Es geht schließlich
darum, dass die Menschen vor den lebensgefährlichen
Stickoxiden, die die alten Dreckschleudern ausgestoßen
haben, geschützt werden wollen und sollen . Es geht auch
darum, dass es eine vernünftige und wirksame Durchsetzung der Gesetze gibt, die zwar der Gesetze, die heute
bestehen, und nicht der, die morgen erst verabschiedet
werden müssen .
Mit einem Mal bekommt der Begriff „Euro 6“ eine
ganz andere Bedeutung . Die UBA-Studie stellt fest, dass
Euro-6-Fahrzeuge mit neuester Technologie - seit dem
Jahr 2014 gültig - offenbar sechsmal mehr Schadstoffe
ausstoßen, als sie ausstoßen dürfen .
({2})
Die Motoren verfügen über die neuesten Bauarten,
({3})
aber die Fahrzeuge stoßen sechsmal mehr aus, als die
Automobilkonzerne bei der Typgenehmigung angegeben
haben . Das ist nicht nur eine grobe Missachtung geltender Vorschriften, und das ist keine Ordnungswidrigkeit
mehr; vielmehr kommt das einem Abgasbetrug gleich .
({4})
Betrogen werden die Behörden, die für die Zulassung der Motoren zuständig sind . Betrogen werden die
Bürgerinnen und Bürger, die erwarten können, dass ihre
Gesundheit geschützt wird; das hat einen wichtigen Stellenwert für uns . Betrogen werden die Autofahrerinnen
und Autofahrer, die ein vermeintlich sauberes Auto fahren wollen, wenn sie denn auf ein Auto angewiesen sind .
Auf dieses Handeln der Automobilkonzerne muss doch
sofort reagiert werden, und zwar nicht, indem man darauf
hinweist, was morgen in Europa geregelt werden muss .
Es muss Tacheles geredet werden . Ein Ende muss her bei
diesen Betrügereien .
({5})
Doch was unternehmen Sie, Herr Dobrindt, als verantwortlicher Verkehrsminister? Wieder einmal antworten
Sie - ich bleibe dabei - mit Nichtstun . Beim Nichtstun
sind Sie, Herr Dobrindt, eindeutig ein Wiederholungstäter .
({6})
Wenn Sie, Herr Dobrindt, angesichts dieser Untersuchungsergebnisse des UBA nicht sofort und angemessen
scharf reagieren, dann gefährden Sie nicht nur die Gesundheit der Menschen, Sie zerstören auch das Vertrauen
der Verbraucherinnen und Verbraucher in die Werte, die
ihnen immer vorgetragen werden . Sie gefährden damit
auch Arbeitsplätze von Zehntausenden von Kolleginnen
und Kollegen in der Automobilindustrie . Beenden Sie Ihr
Nichtstun! Handeln Sie jetzt!
({7})
Was ist zu tun? Die Automobilkonzerne müssen klar
und deutlich nachweisen, ob sie die Abgaswerte, die sie
angegeben haben, bei der Motorenprüfung einhalten
können . Können sie das nicht nachweisen, dann sind diese Motoren unter Umständen aus dem Verkehr zu ziehen,
dann darf es sie nicht geben .
({8})
Nach Nachrüstungen sind Messungen zu machen, und
diese sind zu kontrollieren . Die Ergebnisse der Nachmessungen müssen offengelegt werden und dürfen nicht
weiterhin verheimlicht werden, wie wir auf unsere Nachfragen in der Fragestunde gestern gehört haben .
Abgasbetrüger unter den Automobilkonzernen müssen Strafen zahlen, weil sie sich nicht an geltendes Recht
halten . Das ist nicht nur nötig, sondern auch möglich .
Auf europäischer Ebene ist verabredet, dass Sanktionen
gegenüber den Herstellern verhängt werden können und
müssen, die „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sind . So steht es geschrieben .
({9})
Nicht zuletzt müssen Verbraucherinnen und Verbraucher, die durch diesen Betrug einen wirtschaftlichen
Schaden erleiden, Anspruch auf Entschädigung haben .
Das alles muss, wie schon gesagt, sofort passieren,
weil wir die Gesundheit der Menschen schützen wollen,
weil wir den Beschäftigten der Automobilindustrie Sicherheit geben wollen . Sie wollen wissen, wohin die Reise in Sachen Antriebstechnologie geht . Wir müssen uns
als Gesetzgeber ernst nehmen und dürfen uns nicht zum
Büttel der Konzerne machen, die uns bei der Angabe von
Grenzwerten offenbar an der Nase herumführen. Jeder
Bürger und jede Bürgerin muss sich an geltendes Recht
halten . Das gilt genauso für die wirtschaftlich Mächtigen
in unserem Land .
({10})
Die Verkehrsminister der Länder beraten zurzeit
in Hamburg darüber, wie die Gesundheitsgefährdung
durch einen niedrigeren Ausstoß von Stickoxiden und
Feinstaub verringert werden kann . Sie behandeln auch
die UBA-Studie . Das sind die Themen, die auf den Tisch
gehören, die jetzt einer Lösung zugeführt werden müssen. Die Schadstoffausstöße müssen real gesenkt werden.
Es darf nicht immer auf das Recht verwiesen werden, das
so etwas vermeintlich nicht möglich macht . Wir sind der
Meinung, diese rechtlichen Grundlagen sind vorhanden;
denn die Motoren sind nach Euro 6 genehmigt, die diese
Grenzwerte reißen . Von daher sind wir gehalten, sofort
zu handeln . Ich fordere die SPD auf, in dieser Frage zumindest selber ihre Umweltministerin ernst zu nehmen .
Fordern Sie Frau Hendricks auf, dem untätigen Verkehrsminister auf die Füße zu steigen,
({11})
damit es zu einem Ende beim Abgasbetrug kommt und
es keine Fortsetzung des Abgasbetruges in weiteren Ländern gibt .
Vielen Dank .
({12})
Der Kollege Arno Klare spricht jetzt für die SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In gefühlt ungefähr zehn Aktuellen Stunden - ich sage es etwas salopp - seit dem 15 . September 2015, seit der Skandal bei
VW in den Zeitungen stand, habe ich von diesem Pult aus
Forderungen erhoben, was gemacht werden müsse . Jetzt
möchte ich das Soll, das ich damals aufgestellt habe, mit
dem Ist heute vergleichen .
Erstens . Wir haben immer gefordert, dass wir realistische Testverfahren brauchen . Wir werden irgendwann
heute in der Nacht einen Stichtag beschließen - wahrscheinlich werden die Reden zu Protokoll gegeben -, ab
dem der neue Testzyklus WLTP steuerrechtlich relevant
wird . Das ist hinsichtlich der Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes ein sehr lapidarer Vorgang, aber was
dieses Prüfverfahren angeht, ist es natürlich ein Meilenstein . Das muss man einfach sehen .
Wir sagen jetzt: WLTP gilt . Damit haben die Verbraucher deutlich realistischere Verbrauchswerte . Diese Forderung haben wir immer erhoben .
Zweitens wurde etwas erledigt - das, was ich jetzt
sage, ist sehr technisch -, das ich immer wieder kritisiert
habe . Die Ermittlung der Ausrollwerte, nach denen die
Versuchsstände, auf denen der WLTP läuft, kalibriert
werden, ist endlich normiert und reguliert . Wer in diese
WLTP-Gesetzgebung schaut, wird feststellen, dass sogar
das Gewicht des Fahrers normiert ist . Hier gab es vorher
Tricks . Man hat irgendwelche Fugen abgeklebt, überschwere Räder verwendet etc ., um die Ausrollwerte zu
verbessern . Das alles geht nicht mehr . Das ist jetzt auch
mit erledigt .
({0})
Der dritte Punkt, den ich immer wieder gefordert habe,
war: Wir brauchen RDE, wir brauchen Tests, die wirklich
live laufen . Auch das ist jetzt - das gehört übrigens mit
dem WLTP zusammen - State of the Art . Ab diesem Jahr
wird das gemacht werden .
Viertens haben wir immer gefordert - ich war übrigens der Erste, der das überhaupt gefordert hat -, dass
die Motorsteuerungssoftware offengelegt werden muss.
Die Emissionsstrategie - die Motorsteuerungssoftware
ist ein Teil davon - muss bereits seit dem 1 . April 2016
beim KBA hinterlegt werden . Das geschieht also schon
seit einem Jahr; das ist also schon vollzogen .
({1})
Ich habe fünftens immer gefordert, Conformity-in-Use-Tests zu machen . So heißt das im schönen
Neuhochdeutsch . Die Fahrzeuge sollen also getestet werden, wenn sie im Feld laufen .
({2})
Auch das macht das KBA - der Minister hat gerade darauf hingewiesen - seit dem 1 . Januar 2017 . Das wird
jetzt verstärkt sozusagen in der Realität ankommen .
Die Endrohrmessungen - Punkt sechs - sind gerade
schon erwähnt worden . Der Herr Kollege Wittke - ich
weiß nicht, ob er da ist - und ich sind mit den Herstellern
von Katalysatoren im Gespräch . Sie haben uns vorgeschlagen, ein Testverfahren zu entwickeln, das sogar in
der Lage ist, NOX auf der Rolle in der Werkstatt zu messen . Ich warte einmal darauf, was sie uns liefern .
Die von mir sehr geschätzte Umweltministerin hat
in den letzten Tagen die Forderung erhoben, Fahrzeuge
nachzurüsten . Ich kann nur sagen: Ja, das geht .
({3})
Im Hightechland NRW - das ist jetzt der Werbeblock für
NRW ({4})
gibt es eine Firma mit Namen Twintec . Sie sitzt in Königswinter . Sie baut solche Dinge .
({5})
- Hören Sie mal zu . - Sie hat jetzt ein Euro-5-Fahrzeug - einen VW-Diesel mit 1,6 Litern - mit einem
Nachrüst-KAT umgerüstet . Dessen Werte sind jetzt um
93,5 Prozent besser als nach der Euro-5-Norm . Das heißt,
es geht .
({6})
Es muss nur in Serie hergestellt werden . Insofern sind
wir hier auf einem guten Wege .
({7})
Wir müssen in den Städten natürlich zum Beispiel
auch die letzte Meile in der Logistik dieselfrei machen .
DHL macht vor, wie es geht . Sie hat Elektrofahrzeuge,
mit denen die Briefe und Pakete ausgeliefert werden .
Diese Fahrzeuge werden übrigens in Aachen, also auch
in Nordrhein-Westfalen, produziert .
({8})
Daneben müssen wir die Busflotten entdieseln. Wer
fördert das? Die Bundesumweltministerin, die gerade so
viel gescholten wurde, hat ein Programm aufgelegt, mit
dem die Umrüstung von ÖPNV-Bussen auf E-Busse gefördert wird .
({9})
Das ist sehr sinnvoll .
({10})
- Der Verkehrsminister ist da nicht ganz unbeteiligt; das
stimmt . Sorry, dass ich hier jetzt einmal Frau Hendricks
erwähnt habe . - Das Land Nordrhein-Westfalen macht
das, und das Land Niedersachsen macht das sozusagen
zusätzlich . Das sind die richtigen Schritte .
({11})
Daneben müssen wir die Taxiflotten entdieseln, um
den Menschen zu nutzen . Das ist der nächste große
Schritt .
Außerdem müssen wir die Steuerverbesserungen in
Bezug auf Erdgas und Autogas, die es im Moment gibt,
endlich fortsetzen bzw . fortschreiben, weil das Übergangstechnologien sind .
({12})
- Wir müssen das jetzt noch tun, und ich ermahne uns
sozusagen selbst, das jetzt noch einmal auf die Tagesordnung zu heben .
Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben .
({13})
Das Wort hat jetzt der Kollege Carsten Müller für die
CDU/CSU .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hatten
heute ja eine ganze Reihe von Werbeblöcken mit Blick
auf NRW . Beim ersten Werbeblock hat man gar nicht
gemerkt, dass es zwei Werbepartner waren, die in NRW
eigentlich Hand in Hand regieren wollen . Die scharfen
Angriffe des Kollegen Krischer auf die Bundesumweltministerin Hendricks waren schon ganz bemerkenswert .
({0})
Man wundert sich, dass Ihre beiden Landesverbände dort
zusammen etwas zustande bringen wollen . Aber ich sage
einmal - damit will ich Ihren Werbeblock abrunden -: Es
ist Besserung in Sicht .
({1})
Meine Damen und Herren, in den letzten Tagen hat
Frau Göring-Eckardt - sie hat es vorgezogen, an dieser Diskussion nicht mehr teilzunehmen - behauptet:
10 000 Menschen in Deutschland sterben aufgrund der
Belastung durch Stickoxide . Der Kollege Krischer
({2})
wusste es noch etwas besser . Er hat nämlich im Untersuchungsausschuss gesagt: Es sind nicht 10 000, sondern
genau 10 610 Menschen .
({3})
- Herr Krischer hat es wiederholt, aber auch Herr Resch
hat es behauptet .
({4})
Meine Damen und Herren, es ist bemerkenswert, dass
Sie in dieser Diskussion, die etwas mehr Sachlichkeit
erfordert, unterschlagen haben, dass selbst die Sachverständigen, die auf Vorschlag der Opposition im Abgasuntersuchungsausschuss gehört worden sind, eine Kausalität überhaupt nicht erkennen konnten und auch in Abrede
gestellt haben .
({5})
Es hilft in einer Diskussion, die man sehr sachlich führen soll, die Dinge in einen Rahmen einzuordnen .
({6})
Es gibt Stickoxidgrenzwerte für die Umgebungsluft . Der
Jahresmittelwert ist danach auf 40 Mikrogramm pro Kubikmeter festgelegt . Der maximale Stundenwert beträgt
200 Mikrogramm pro Kubikmeter und darf 18-mal im
Jahr überschritten werden . Das passiert .
Jetzt hält sich der Mensch, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, zu 80 Prozent seiner Lebenszeit in geschlossenen Räumen auf . Viele gehen anständig einer Arbeit nach . Deswegen macht es Sinn, sich
vergleichbare Grenzwerte an anderen Stellen anzugucken, um das, wie gesagt, einordnen zu können . Es war
durchaus überraschend, festzustellen, dass ein Komitee
der Europäischen Kommission, die Kommission zur
Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie der Ausschuss für
Gefahrstoffe beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen Stickoxidgrenzwert für Arbeitsplätze festgelegt haben . Er beträgt - das hat mich zugegebenermaßen
überrascht - 950 Mikrogramm pro Kubikmeter Raumluft
als Dauerbelastung, und zwar acht Stunden am Tag, gemessen über die gesamte Lebensarbeitszeit .
Dieses Komitee stellt zur noch größeren Überraschung fest, dass ein Erreichen dieses Grenzwertes zu
keiner Gesundheitsbeeinträchtigung führen wird . Vor
diesem Hintergrund ist es geradezu ausgeschlossen deswegen gelingt es Ihnen nicht -, die von Ihnen immer
wieder leichtfertig behauptete und zur Skandalisierung
herangezogene Kausalität zu untermauern .
({7})
Meine Damen und Herren, mein Kollege Klare hat
eben die Maßnahmen, die die Bundesregierung ergriffen
hat, sinnvoll dargestellt . Der Beitrag von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat die Dinge entsprechend profiliert. Wir müssen insofern die Erkenntnisse
des Abgasuntersuchungsausschusses am besten in dieser
Aktuellen Stunde - wir führen sie zu diesem Thema nicht
das erste Mal durch - rekapitulieren . Es war die BundesArno Klare
regierung, die auf europäischer Ebene fortgesetzt für die
Einführung von Real Driving Emissions
({8})
und des WLTP-Standards gekämpft und sich dafür eingesetzt hat .
({9})
Sie hat das gemacht, obwohl wir bekanntermaßen ein
Kfz-Produktions-Land sind .
Die Bundesregierung hat sich durchaus Unterstützung
von anderen Ländern gewünscht . Diese gab es sehr spärlich . An unserer Seite waren regelmäßig die Österreicher .
Die Niederländer waren dabei . Viele Länder haben sich
in Attentismus geübt, im Übrigen auch viele Länder, in
denen seinerzeit Grüne an den Regierungen beteiligt waren, und haben diese Verfahren eher blockiert .
Deswegen ist es richtig, sinnvoll und gut, dass die Dinge jetzt auf den Weg gebracht werden . Es ist auch richtig,
sinnvoll und gut, dass wir entsprechend nachhalten, und
zwar mit einer Aufstockung der Mittel für das KBA, um
eigene Tests - nicht durch Beauftragte, auch wenn das
sicherlich seriöse Unternehmen sind - durchführen und
die Ergebnisse überprüfen zu können .
Es gibt weitere Maßnahmen, etwa die Offenlegung
der Quellcodes bei der Fahrzeugsteuerung . Der Kollege
Klare hat für sich in Anspruch genommen, das als Erster
gefordert zu haben . Ich glaube, Sie hatten damals in der
ersten Aktuellen Stunde zu diesem Thema kurz nach mir
gesprochen; auch ich hatte das erwähnt .
({10})
Im Grunde genommen gibt es viele gute Initiativen aus
dem Parlament heraus . Auch das gehört dazu . Auch das
Stichwort „Endrohrmessung“ ist schon gefallen .
Meine Damen und Herren, was müssen wir machen?
Wir müssen auf alternative Antriebsformen achten und
Gasantriebe weiter fördern . Es ist sinnvoll, Feinstaub
und die CO2-Emissionen zu reduzieren; auch darauf
müssen wir achten . Die Fokussierung nur auf Stickoxide
ist sogar fehlerhaft . Uns geht es doch um Umwelt- und
Klimaschutz . Deswegen müssen wir eben auch auf den
CO2-Ausstoß achten .
Wir müssen Gasantriebe fördern und Endrohrmessungen machen . Wir müssen Filternachrüstungen unterstützen, im Übrigen eine Initiative der Unionsfraktion . Dann
kommen wir auf einen guten Weg . Bei dieser Bundesregierung können Sie ganz sicher sein, dass wir das so machen werden und dass wir auf europäischer Ebene die hohen Standards, die wir für uns wollen, umsetzen werden .
Vielen Dank .
({11})
Die Kollegin Sabine Leidig spricht jetzt für die Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Fast alle Autohersteller - von VW über
Daimler, Fiat, Peugeot und BMW - haben über Jahre bei
den Abgaswerten ihrer Automobile betrogen, und sie tun
es weiter . Es ist etwa eineinhalb Jahre her, dass dieser
Skandal aufgeflogen ist - das wurde gerade schon angesprochen -, aber passiert ist nichts oder nur relativ wenig
bzw . nichts Spürbares .
({0})
Wir haben jetzt die Situation, dass gerade heute, am
selben Tag, an dem wir tagen, vor dem Landgericht
Stuttgart ein Strafverfahren stattfindet, das die Deutsche
Umwelthilfe gegen Daimler angestrengt hat, weil dieser
Automobilkonzern für ein Fahrzeug mit den niedrigstmöglichen Emissionswerten wirbt und sich bei einer
Überprüfung durch unabhängige Teststellen herausgestellt hat, dass auch dieses Fahrzeug die Grenzwerte um
ein Mehrfaches überschreitet .
Der Betrug geht also weiter, und Sie brüsten sich mit
irgendwelchen Spitzfindigkeiten, mit denen Sie vielleicht
irgendwann irgendetwas regeln. Ich finde, dass der Skandal damit fortgesetzt wird . Und der größte Skandal ist
eigentlich, dass es die Bundesregierung ermöglicht, dass
sich an den tatsächlichen Emissionen nichts geändert hat .
({1})
Kollege Carsten Müller hat gerade gesagt, dass das ja
nicht so schlimm sei, weil die Leute sich zu 80 Prozent
im Haus aufhalten
({2})
und sich von daher diese Grenzwertüberschreitung ohne
Probleme verschmerzen ließe . Das kommt mir ein bisschen so vor wie in der Zeit, als die Atomkraft noch sehr
umstritten war und man gesagt bekam, wenn es ernst
wird, müsse man die Aktentasche über den Kopf halten
und sich ansonsten mit Alufolie zudecken; das sei alles
nicht so schlimm .
({3})
Es ist schlimm, und es ist deshalb schlimm, weil die
unterschiedlichen Schadstoffe, die aus den Autoauspuffen
ausgestoßen werden, eben nicht nur Klima und Umwelt
schädigen, sondern auch die Gesundheit . Die Atemwege
werden angegriffen. Die Schleimhäute werden gereizt.
Carsten Müller ({4})
Husten, Augenreizungen, Kreislauf- und Herzerkrankungen können die Folge sein. Besonders betroffen sind
Menschen, die mit Asthma geschlagen sind, und Kinder,
die einen viel höheren Luftumsatz haben als Erwachsene .
Es ist unverantwortlich, dass zugelassen wird, dass die
Atemluft permanent vergiftet wird .
({5})
Wenn wir es mit einer Gruppe von habgierigen Menschen zu tun hätten, die es sich in den Kopf gesetzt haben, tröpfchenweise unser Trinkwasser zu vergiften, um
daraus Profit zu schlagen, dann - da bin ich mir sicher wäre der Aufschrei auch in diesem Hause groß, und es
würde alles darangesetzt werden, diese Leute dingfest zu
machen, ihnen das Handwerk zu legen, das Trinkwasser
sofort zu reinigen und die Verantwortlichen zu bestrafen .
Bei dem Abgasskandal geht es um die Atemluft . Sie
ist genauso relevant für die Menschen wie das Trinkwasser, und ich finde, es müssen genauso harte, starke und
sichtbare Konsequenzen ergriffen werden.
({6})
Leider ist das nicht der Fall .
Schauen Sie sich einmal die ziemlich populäre Kabarettsendung Die Anstalt vom 7 . März dieses Jahres an .
Darin werden die Zusammenhänge beleuchtet, wie das
Management der Automobilindustrie systematisch die
winzigen Gesetzeslücken ausnutzt, wie systematisch
nicht nur Herr Dobrindt, sondern auch die Bundeskanzlerin dafür sorgen, dass das möglich ist, wie sie systematisch dafür sorgen, dass es keine unabhängigen Kontrollen gibt, dass es auf europäischer Ebene keine schärferen
Maßnahmen gibt, dass selbst die bestehenden Abgasgrenzwerte deutlich zu hoch sind, weil die Bundesregierung darauf Einfluss genommen hat.
Dies alles kann man dort hervorragend nachvollziehen . Einer der Sätze, die mir aus dieser Sendung haften geblieben sind und den ich hier gerne zitiere, ist:
„Dobrindt organisiert das Verbrechen .“
({7})
- Ich kann Sie nur anregen, sich diese Sendung anzuschauen . Sie ist noch bis Mitte nächsten Jahres in der
Mediathek des ZDF abzurufen .
({8})
- Dann können Sie sich ja mit einer Beschwerde an die
Sendungsmacher wenden .
({9})
Ich habe das hier nur zitiert .
(Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]:
Da klatschen ja noch nicht einmal Ihre eigenen Leute!
Frau Kollegin Leidig, das, was Sie sich jetzt hier zu eigen gemacht haben, ist nicht parlamentarisch . Ich erteile
Ihnen deshalb einen Ordnungsruf .
({0})
Okay . Ich gebe ihn dann an das ZDF weiter .
Wir haben vor anderthalb Jahren mit einem umfangreichen Antrag der Linken eine ganze Palette von
Vorschlägen gemacht, wie mit diesem Abgasskandal
konsequent umgegangen werden muss . Eine klitzekleine, aber wirksame Konsequenz wäre zum Beispiel, die
Geschwindigkeit zu begrenzen; denn je schneller die
Autos fahren, desto mehr Abgase werden ausgestoßen .
Angesprochen haben wir aber natürlich auch das ganze
Thema der unabhängigen Kontrolle, die Bestrafung der
Verantwortlichen und die Pflicht, an die Betrogenen Entschädigungen zu zahlen .
Das alles haben Sie nicht in Angriff genommen. Deshalb ist unser Antrag nach wie vor aktuell . Wir werden
weiter darum ringen, dass mit solchen ungerechten Verhältnissen gerecht umgegangen wird .
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulli Nissen für die
SPD .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir sprechen heute nicht zum ersten Mal über
dieses Thema, und es wird wohl auch nicht das letzte Mal
sein . Die Meldungen der letzten Tage haben uns alle wieder aufgeschreckt .
Seit „Dieselgate“ bekannt wurde, ist vieles passiert .
Wir haben einen Untersuchungsausschuss dazu eingesetzt, in dem ich selber Mitglied bin, der in langen Sitzungen und Zeugenbefragungen die Hintergründe und
Verstrickungen klären soll . Wir haben über Umrüstungsmöglichkeiten gesprochen . Wir haben auf die RDE gesetzt, also auf Tests im realen Fahrzeugbetrieb und nicht
im Labor .
Was kommt jetzt? Zum einen hören wir, die Bundesregierung blockiere schärfere Kontrollen in Europa . Zum
anderen zeigt eine aktuelle Studie des Umweltbundesamtes, dass Diesel der Euro-6-Norm 507 Milligramm
Stickoxide pro Kilometer ausstoßen . Der erlaubte Grenzwert liegt bei 80 Milligramm . Das ist also mehr als das
Sechsfache .
Die Euro-6-Norm ist die strengste der Abgasnormen
in der Europäischen Union . Sie gilt seit September 2014
für alle neuen Pkw-Typen und seit September 2015 für
alle neuen Pkw . Fahrzeuge, die diese strengste Norm erfüllen sollen, stoßen auf der Straße, also im realen Fahrbetrieb, mehr als das Sechsfache des Erlaubten an Schadstoffen aus.
Damit erscheinen jegliche Überlegungen, Fahrverbote
zu erlassen und nur noch Dieselfahrzeugen der Euro-6Norm die Zufahrt zu gestatten, eigentlich erledigt .
Es überrascht jetzt auch niemanden mehr, dass der
UBA-Studie zufolge alle älteren und neuen Dieselautos
viel mehr Schadstoffe ausstoßen als angenommen. Statt
wie vermutet 575 Milligramm Stickoxide wurden 2016
tatsächlich durchschnittlich sogar 767 Milligramm ausgestoßen .
Es geht hier aber nicht nur um die Zahlen und Grenzwerte . Es geht darum, was dahintersteckt und was diese
Überschreitungen tatsächlich für Mensch und Umwelt
bedeuten . Sie bedeuten, dass die Gesundheitsgefährdung
noch höher ist als angenommen . Denn Luftverschmutzung macht krank .
Lieber Kollege Müller, ob es nun 10 000, 7 000 oder
1 000 sind: Jeder einzelne Tote ist mir zu viel .
({0})
Das sind Zigtausende Schicksale . Mit ihnen sind auch
ihre Angehörigen betroffen. Im Interesse der erkrankten
Menschen - denken Sie nur daran, was sie mitmachen müssen wir intensiv handeln . Das sind ebenfalls zigfach
mehr als durch Verkehrsunfälle Betroffene.
Darum muss es uns gehen, wenn wir über die Überschreitungen der Grenzwerte reden . Ich selber versuche,
mit gutem Beispiel voranzugehen . 90 Prozent meiner
Wege in Frankfurt mache ich mit meinem Elektroroller oder mit meinem kleinen Elektroauto . Wir müssen
schauen, was wir in Zukunft besser machen können . Es
muss darum gehen, dass wir den Schadstoffausstoß aus
Kraftfahrzeugen deutlich verringern, damit wir die Gefahr für Mensch und Umwelt minimieren .
Nun heißt es, die Bundesregierung blockiere in Europa . Jetzt muss ich einmal deutlich trennen . Ich spreche
hier als Mitglied des Umweltausschusses . Wenn ich die
Äußerungen unserer Bundesumweltministerin Barbara
Hendricks - auch aus den letzten Tagen - betrachte, dann
kann ich nur sagen: Hier klingt nichts nach Blockade .
Was ich von ihr höre, sind vielmehr klare, deutliche Aussagen und Positionierungen . Liebe Barbara Hendricks,
dafür großen Dank!
({1})
Die Haltung der Bundesumweltministerin und somit
auch eines Teils der Bundesregierung ist klar: Unsere
Bundesumweltministerin will die Hersteller stärker in
die Pflicht nehmen. Sie fordert eine unabhängige Überwachung des Marktes . - Dabei hat sie meine volle Unterstützung .
({2})
Barbara Hendricks verlangt von den Herstellern, die
existierenden Dieselfahrzeuge nachzurüsten . Sie verlangt auch, dass die Hersteller die Kosten dafür tragen .
Das wird teuer .
({3})
Aber damit tragen diejenigen die Kosten, die den Schaden verursacht haben, nämlich die Hersteller .
({4})
Formulieren wir es klar: Das Verursacherprinzip kreischt .
Herr Krischer, das Wortspiel tut mir leid . Es passt aber
so, und damit haben Sie, Herr Krischer, jetzt in mir etwas
ausgelöst .
({5})
Das Verursacherprinzip greift .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Bundesumweltministerin will wirksame Kontrollen und eine bessere Überprüfung der Umweltstandards . Das ist keine
Blockade . Man kann sicherlich diskutieren, ob die Vorschläge, die Prüfung von der nationalen auf die europäische Ebene zu verlagern, zielführend sind . Ich bin
der Meinung, dass es wichtiger ist, dass nicht mehr die
Hersteller selber TÜV oder DEKRA beauftragen . Wer es
macht, ist mir egal; aber es muss vernünftig und richtig
geprüft werden .
({6})
Herr Dobrindt, hier sind Sie federführend . Wegducken
hilft nicht . Die Automobilindustrie zu schützen, hilft hier
auch nicht weiter . Der Automobilindustrie hilft es mehr,
wenn der Vertrauensverlust endlich beseitigt wird . Deshalb müssen wir handeln .
Wir brauchen Tests unter realen Bedingungen, um die
tatsächlichen Schadstoffausstöße zu messen. Wir brauchen eine Umrüstung der bestehenden Flotte . Wir brauchen den Einsatz des Know-hows unserer Automobilindustrie, um endlich emissionsarme Pkw auf den Markt zu
bringen, Kraftfahrzeuge, die halten, was sie versprechen .
Wir brauchen jetzt aber vor allem eines: einen Verkehrsminister, der unsere Bundesumweltministerin bei ihren
Vorschlägen unterstützt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke Ihnen für
die Aufmerksamkeit .
({7})
Wir kommen zum nächsten Redner . Der Kollege
Stephan Kühn spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Schadstoffausstoß von Dieselautos in
Deutschland ist immens, und er ist viel höher als bislang
angenommen . Das ist das Ergebnis der aktuellen Messungen durch das Umweltbundesamt . Dass die meisten
Diesel-Pkws die Abgastests nur im Labor bestehen, aber
nicht auf der Straße und dort die Schadstoffe um ein Vielfaches höher sind, ist für mich als Papa eines vierjährigen
Sohnes kein abstraktes Technologieproblem .
({0})
Denn die Schadstoffkonzentration ist in Höhe von Kindernasen am höchsten .
Es muss deshalb endlich Schluss damit sein, dass Automobilkonzerne zulasten der Gesundheit vieler Menschen mit legalen oder illegalen Tricks die Abgasreinigung drosseln können .
({1})
Denn niemand würde akzeptieren, dass Schadstoffgrenzwerte für Lebensmittel oder Trinkwasser nur unter Laborbedingungen gelten . Das Bundesverkehrsministerium
kommentiert die UBA-Messergebnisse mit dem Hinweis,
dass kein anderes Land wie Deutschland in der Abgasaffäre so weitgehende Konsequenzen gezogen habe . Einen
so schlechten Witz habe ich lange nicht mehr gehört .
({2})
Denn Verkehrsminister Dobrindt betreibt reine Pseudoaufklärung mit Phantommaßnahmen .
Bereits im November 2015 hat er Schadstoffantidopingtests angekündigt . Was glauben Sie, wie viele Fahrzeuge bis heute getestet wurden?
({3})
Kein einziges! Jetzt wird immer deutlicher: Auf europäischer Ebene ist Herr Dobrindt einer der zentralen Blockierer von Reformen . Bereits im letzten Jahr hat die
EU-Kommission einen Vorschlag zur Reform des Typgenehmigungsverfahrens und der Marktüberwachung von
Fahrzeugen vorgelegt . Damit sollen insbesondere die
notwendigen europäischen Konsequenzen aus dem Abgasskandal gezogen werden . Wenn Sie, Herr Dobrindt,
nun behaupten, Sie wollten das europäische Recht dahin
gehend anpassen, dass künftig nur noch die besten Motoren mit der besten Technologie zum Einsatz kommen,
dann beantworten Sie endlich einmal die Frage, die Sie
im Untersuchungsausschuss nicht beantwortet haben:
Wer definiert das eigentlich? Und vor allen Dingen: Wer
überprüft das? Nichts anderes als Nebelkerzen werden
hier gezündet .
({4})
Die EU-Kommission zum Beispiel hat vorgeschlagen,
eigene Prüfungen und Kontrollen von bereits zugelassenen Fahrzeugen durchzuführen, um nachzuprüfen, ob
diese Fahrzeuge den Typgenehmigungen auch tatsächlich entsprechen . Aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion geht hervor, dass sich die Bundesregierung bis heute nicht dazu durchringen konnte, diesen
Vorschlag zu unterstützen . Dabei war es ausgerechnet
Verkehrsminister Dobrindt, der im Fall der Abgasmanipulationen bei Dieselfahrzeugen aus dem Fiat-Konzern
zu Recht die italienischen Behörden für ihr Nichtstun
kritisiert hat . Mit Umsetzung des EU-Vorschlags würden
solche Manipulationen in Zukunft nicht mehr möglich
sein . Doch jetzt ist es Herr Dobrindt selbst, der nichts tut .
({5})
Ebenso wären gegenseitige Kontrollen der Typgenehmigungsbehörden angemessen . Die nationalen Kontrollbehörden sollen sich alle zwei Jahre einer Überprüfung
durch zwei Behörden anderer Mitgliedstaaten unterziehen . Das ist nicht nur sinnvoll, weil wir in Deutschland
mit dem Kraftfahrt-Bundesamt eine Behörde haben, die
die Kultur des Wegschauens bis zur Präzision beherrscht,
sondern auch, weil man in diesem Zusammenhang einmal die Frage stellen sollte, warum die Automobilhersteller gerade in Ländern wie Luxemburg und Malta, die
bisher nicht als Automobilgroßnationen bekannt sind,
viele Fahrzeugteile typgenehmigt haben . Für den Betrugsmotor von Audi wurde die Zulassung zum Beispiel
in Luxemburg eingeholt .
({6})
Die technischen Dienste werden für die Tests von
Fahrzeugen und Fahrzeugteilen direkt von der Automobilindustrie bezahlt . Damit sind wirtschaftliche Interessenkonflikte vorprogrammiert. Die EU-Kommission hat
das Problem erkannt, doch die Bundesregierung blockiert
schon wieder und lehnt eine unabhängige Finanzierung
der technischen Prüfdienste ab .
Meine Damen und Herren, in Zukunft muss auch für
die Automobilindustrie in Europa gelten: Wer betrügt,
wird bestraft . Deshalb will Brüssel bei Fahrzeugen,
die den Anforderungen nicht entsprechen, Sanktionen
in Höhe von bis zu 30 000 Euro verhängen . Auch hier
verweigert die Bundesregierung ihre Zustimmung . Sie
hat offenbar keine Eile, die notwendigen Konsequenzen
aus dem Abgasskandal zu ziehen . Die Bundesregierung
bremst die EU-Kommission ganz klar aus . Insbesondere
die Bußgeldfrage macht deutlich: Die Große Koalition
legt weiter schützend ihre Hand über die Automobilindustrie . Umweltschutz und die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher bleiben auf der Strecke .
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Patrick Schnieder für
die CDU/CSU .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach allerlei künstlicher Empörung seitens der Grünen,
({0})
die man gut nachvollziehen kann, Herr Krischer, wenn
man aus Nordrhein-Westfalen kommt, wo die Umfragewerte für die Grünen in den Keller gehen und auch der
Boden noch nicht absehbar ist,
({1})
sollten wir zu einer sachlichen Betrachtung der Thematik
zurückkehren .
Bezogen auf das Thema der Aktuellen Stunde „Haltung der Bundesregierung zu verschärften Abgastests in
Europa“ kann man zunächst nur festhalten: Die Bundesregierung, Minister Alexander Dobrindt und die Unionsfraktion haben sich in der Vergangenheit für schärfere
Abgastests in Europa ausgesprochen, und sie tun es auch
heute .
({2})
Die Darstellung, wir würden Brüssel in dieser Frage ausbremsen, ist eine Verdrehung der wirklichen Verhältnisse .
({3})
Wir sind deutlich weiter als alle anderen EU-Staaten .
({4})
Unsere Vorschläge müssen wir in Europa umsetzen .
({5})
Wir haben eine Reihe von Änderungen in Deutschland
auf den Weg gebracht . Die Kollegin und der Minister haben das hier schon ausgeführt . Deshalb will ich den Blick
darauf lenken, woran das europäische Abgastestsystem
krankt .
({6})
Die geltenden europäischen Vorschriften sind nicht mehr
als der technische Minimalkonsens . Zwei systemimmanente Probleme treten ganz deutlich zutage .
Erstens . Formulierungen der europäischen Prüfvorschriften lassen zu viel Raum für nationale Interpretationen und legale Optimierungen . Anstelle von engmaschigen Vorgaben gelten großzügige Ausnahmetatbestände .
Der geltende Gesetzesrahmen hat somit zu Fehlanreizen
geführt, die Regeldehnung belohnen und Regeltreue bestrafen .
Zweitens . Vorschriften haben Wettbewerb geschaffen, wo wir eigentlich keinen Wettbewerb gebrauchen
können, nämlich zwischen den nationalen Typgenehmigungsbehörden . Der Kollege Kühn hat ja eben ausgeführt, wo was genehmigt worden ist . Es war übrigens nicht in Deutschland . Der Zulassungstourismus in
EU-Staaten mit zahnlosen Genehmigungsbehörden führt
den Freizügigkeitsgedanken ad absurdum und muss unterbunden werden .
({7})
Wir müssen deshalb zunächst, lieber Herr Krischer,
die Analyse vornehmen, um dann zu sagen, was wir tun
wollen und was wir tun müssen . Der Fehler liegt in beiden Fällen, die ich genannt habe, im europäischen System und seinem Regelrahmen . Die Lösung hierfür kann
auch nicht eine europäische Superbehörde sein . Wir müssen nicht alles nach Brüssel delegieren . Stattdessen brauchen wir - da hat der Minister vollkommen recht - einen
engmaschigen, vor allem verbindlichen europäischen
Rechtsrahmen, der Nachuntersuchungen ermöglicht und
Ausnahmen zurückdrängt . Nur dort, wo Unklarheiten
verbleiben, sollte eine europäische Clearingstelle im
Einzelfall entscheiden, ob Abschalteinrichtungen zum
Motorschutz zulässig sind .
Wie muss nun der europäische Rechtsrahmen weiterentwickelt werden? Zunächst die Feststellung: Wir brauchen eine Generalüberholung des europäischen Rechtsrahmens, und in diesem müssen die folgenden Ziele
umgesetzt werden:
Erstens . Wir müssen die Ausnahmetatbestände überprüfen . Nationale Handlungsspielräume machen in vielen Fällen Sinn, aber nicht bei der Interpretation von
Abgasvorgaben . Für diejenigen Abschalteinrichtungen,
an denen festgehalten werden soll, erwarten wir von den
Herstellern überprüfbare Begründungen, warum man auf
die jeweilige Vorrichtung nicht verzichten kann .
Zweitens. Die Hersteller müssen die Software offenlegen. Die Hersteller müssen hierzu verpflichtet werden.
Wir haben das bei uns auf den Weg gebracht . Das müssen wir auch europäisch verankern . Wir wollen nicht nur
wissen, dass Emissionsgrenzen eingehalten werden, sondern wir müssen auch verstehen, wie die Hersteller sie
einhalten . Die Regelkonformität der Emissionsstrategie
muss die Bedingung für die Erteilung der Typgenehmigung sein .
({8})
Drittens . Unabhängige Nachprüfungen müssen möglich sein . Deutschland hat sich dafür eingesetzt, dass das
Prüfinstrumentarium erweitert wird. Wir wollten und wir
wollen der Feldüberwachung in den europäischen Vorschriften eine prominentere Bedeutung einräumen . Dazu
müssen die Prüfabläufe zur einheitlichen Anwendung
in allen europäischen Mitgliedstaaten in den Einzelvorschriften verankert werden . An die Stelle der Rollenprüfstände müssen Labormessungen sowie Messungen mit
mobilen Messinstrumenten auf der Straße treten .
Entscheidend ist und bleibt - das möchte ich noch einmal festhalten -: Diese Regelungen müssen verbindlich
sein . Empfehlungen reichen nicht aus . Überall in Europa
brauchen wir eine rechtlich bindende Vorschrift, keine
Empfehlung aus Brüssel . Ebenso wie Minister Alexander
Dobrindt beim Kraftfahrt-Bundesamt angewiesen hat,
wie vorzugehen ist, brauchen wir auch auf europäischer
Ebene einen verbindlichen Rahmen .
Wir können, glaube ich, festhalten: Mit den angestoßenen Prozessen, mit dem, was in Deutschland seit
Herbst 2015 unter Alexander Dobrindt auf den Weg gebracht worden ist, sind wir auf einem guten Weg, und den
werden wir so fortsetzen .
({9})
Die Kollegin Kirsten Lühmann hat jetzt das Wort für
die SPD .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe
Kolleginnen! Sehr verehrte Anwesende! Warum reden
wir heute über dieses Thema? Das hat zwei Gründe: Der
erste Grund ist der Klimawandel, der zu einem großen
Teil von CO2 verursacht ist . Der zweite Grund ist die Tatsache, dass die Luftqualität in vielen großen deutschen
Städten immer schlechter wird . Zu beiden Sachverhalten
trägt der Straßenverkehr nicht unerheblich bei .
Ja, wir müssen dort mehr tun . Allerdings, liebe Kollegen und Kolleginnen, wenn ich die einfachen Lösungen höre, die hier in einigen Reden präsentiert werden,
sage ich: Das greift wesentlich zu kurz und ist vielleicht
auch dem beginnenden Wahlkampf geschuldet . Wenn
wir zu den Bürgern und Bürgerinnen in unserem Land
wirklich ehrlich sind, dann müssen wir ihnen sagen: Einfache Lösungen gibt es nicht, sondern wir brauchen ein
abgestimmtes Programm . Ich möchte auf einige Punkte
eingehen .
Der erste Punkt, auf den ich eingehe, beinhaltet das,
was wir für die Zukunft machen müssen . Es wurde schon
gesagt: Die Tatsache, dass das UBA festgestellt hat, dass
auch die neuesten Fahrzeuge im realen Betrieb sechsmal
mehr Abgas ausstoßen, als wir in einer Richtlinie festgelegt haben, kann ich als Betrug bezeichnen .
({0})
Ich verstehe, wenn die Menschen sagen: Wir sind betrogen worden . - Ja . Aber es ist ein Unterschied, ob wir
sagen: „Das ist Betrug“, oder ob es in juristischem Sinne
Betrug ist .
({1})
Leider, liebe Kollegen und Kolleginnen, ist es im juristischen Sinne kein Betrug; denn sonst könnte die Bundesregierung handeln; sonst könnten wir es unterbinden . Es
geht nicht, und das ist das, was uns hier so aufregt .
({2})
Das heißt: Wir müssen das verhindern . Und das tun wir
auch .
({3})
Wir haben zukünftig ein neues Prüfverfahren . Eine Überschreitung des Grenzwerts um das Sechsfache ist in Zukunft nicht mehr möglich .
Damit wir das noch besser überprüfen können, muss
zur Unterstützung noch etwas geschehen . Zukünftig
muss, wie gesagt, bei neuen Typgenehmigungen die Motorsteuerungsstrategie offengelegt werden. Das haben
wir leider noch nicht überall; in Deutschland ist das von
der Bundesregierung angeregt worden . Nur wenn auch
die gesamte Motorsteuerung hinterlegt wird, können wir
überprüfen, ob das, was angegeben wird, real ist oder ob
es hintenherum nicht doch noch irgendeine Betrügerei
gibt .
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, wenn wir solche
Regeln aufstellen, müssen wir auch deren Einhaltung
überprüfen können . Was nützt mir da, sehr geehrter Herr
Krischer, eine europäische Behörde, die eine nationale
Typgenehmigungsbehörde überprüft, wenn diese Typgenehmigungsbehörde ein zahnloser Tiger bleibt?
({4})
Das bringt uns gar nichts . Wir müssen vielmehr endlich
regeln, dass die Feldüberwachungen anders durchgeführt
werden, als sie bis jetzt durchgeführt werden,
({5})
dass bei uns das Kraftfahrt-Bundesamt vernünftige Instrumente in die Hand bekommt . Wir zum Beispiel sind
der Meinung, dass bei den Feldüberwachungen auch
der CO2-Ausstoß mit überprüft werden kann . Natürlich
macht das UBA das jetzt schon . Aber die können doch
mit den Ergebnissen nichts machen, weil sie keine rechtliche Handhabe haben .
Wir wollen also, dass die Feldüberwachungen vernünftig durchgeführt werden . Und wenn wir dann feststellen, dass es zwischen den Nationen unterschiedliche
Auffassungen gibt, dann nützt uns auch die von Ihnen
vorgeschlagene europäische Behörde nichts; wir brauchen vielmehr eine klare Entscheidung von der EU, welche Rechtsauffassung denn nun die richtige ist. Ob Sie
das „Clearingstelle“ oder „Überwachung“ nennen, ist
mir völlig egal . Ich will nur, dass so ein Fall nicht wieder
eintritt, wie wir ihn jetzt mit Fiat haben: Wir stellen etwas
fest, kommen aber an die Typgenehmigungsbehörde in
Italien nicht heran, und Europa sagt nur: Wollen Sie nicht
einmal ein Gespräch führen? - Das reicht mir nicht . Ich
erwarte von Europa, dass zukünftig eingeschritten wird .
({6})
Wir brauchen auch mehr und deutlichere Sanktionen .
Wir haben Sanktionsmöglichkeiten in Deutschland . Wir
können die Typgenehmigung entziehen . Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das trifft doch die Falschen. Wen
trifft das nämlich? Das trifft die Leute, die sich in gutem
Glauben ein Auto gekauft haben und das dann plötzlich
nicht mehr fahren dürfen. Insofern finde ich das sehr
richtig, was wir gemacht haben: nämlich Nachrüstung
gefordert, sodass die Leute weiter fahren können . Ich
möchte also abschreckende Sanktionen, ohne dass jahrelang überprüft wird: Welcher Ingenieur hat wo eine falsche Zahl eingetragen? - Nein, wer betrügt, muss zahlen,
und zwar jetzt und sofort .
({7})
Beim letzten Punkt geht es um das, was wir jetzt machen müssen . Wir müssen dafür sorgen, dass die Luft in
unseren Städten besser wird . Herzlichen Dank an unsere
Umweltministerin Barbara Hendricks, dass sie deutlich
aufgezeigt hat, wo die Handlungsnotwendigkeiten sind,
und gesagt hat: Zur Not brauchen wir ein Fahrverbot .
({8})
Ich empfinde das als Warnung für uns. Das wollen wir
nicht, weil auch das die Falschen trifft. Aber wenn wir
jetzt nichts tun, wird das die letzte Möglichkeit sein .
Also müssen wir etwas tun . All denen, die meinen, wir
könnten uns als Bund heraushalten, das sei nicht unsere
Aufgabe, sage ich ganz deutlich: Wir müssen etwas tun .
Wir müssen Elektromobilität mehr fördern . Wir müssen
Elektrobusse mehr fördern . Wir müssen Flotten mehr
fördern . Und wir müssen uns auch um die Nachrüstung
vorhandener Fahrzeuge kümmern .
Sie sehen also: Wir haben schon viel getan, aber es ist
noch viel zu tun . Ich freue mich auf die nächste Legislatur . Die Arbeit wird uns wahrlich nicht ausgehen . Ich bin
sicher: Wenn wir unsere Hausaufgaben machen, werden
wir das hinbekommen - zum Wohl unserer Bevölkerung
in den Städten und auf dem Land .
Herzlichen Dank .
({9})
Vielen Dank, Frau Kollegin . - Als Nächster hat Ulrich
Lange von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Jetzt fällt mir schon das Wort „liebe“ schwer, deshalb:
Sehr geehrte Frau Kollegin Leidig und sehr geehrter Herr
Kollege Krischer
({0})
- Liebe wird das zwischen uns keine mehr -,
({1})
der Stil der Debatte von Ihnen beiden war heute - ich
sage das ganz offen - unangemessen und schwer erträglich .
({2})
- Lieber Kollege Krischer, die Süddeutsche Zeitung - sie
ist wahrlich kein Parteiorgan der CSU ({3})
hat Ihnen bereits am 3 . Januar ins Stammbuch geschrieben:
Erst wird der nächste Skandal ausgerufen, und dann
wird geprüft . So führen die Grünen den . . . auf ihr
Betreiben vom Bundestag eingesetzten Untersuchungsausschuss, der staatliche Versäumnisse aufarbeiten soll, ad absurdum . Das ist, nicht zum ersten Mal, Populismus statt Aufklärung . Oder, anders
ausgedrückt: politische Geschäftemacherei . . .
({4})
Genau das gilt heute so wie im Januar .
({5})
Lieber Kollege Kühn,
({6})
wenn Sie dann gemeinsam mit dem Kollegen Krischer
zum großen Bashing gegen die Automobilindustrie ausholen, dann sieht man einmal mehr die ganze Doppelzüngigkeit und Heuchelei der Grünen . Einer der größten
Schutzpatrone und Schutzheiligen der Automobilindustrie ist Ihr grüner Ministerpräsident in Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann .
({7})
Er sagt - das können Sie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 15 . März nachlesen -:
Es gibt den sauberen Diesel . Den brauchen wir lange . Das ist der beste Verbrennungsmotor .
({8})
Und jetzt geht es erst richtig weiter:
Diese Technologie werde aus Gründen des Klimaschutzes und auch aus wirtschaftspolitischen Gründen benötigt, denn schließlich brauche die Automobilindustrie die Gewinne aus dem Dieselgeschäft …
({9})
So Winfried Kretschmann!
({10})
Er hat recht . Natürlich hat er recht .
Vor diesem Hintergrund frage ich Sie, wie Sie hier
jedes Mal zum Dauerbashing und zur Dauerskandalisierung auflaufen können, wenn wir und Minister Dobrindt
uns seit Monaten im Rahmen sachlicher Arbeit mit dieser
Dieselaffäre auseinandersetzen.
({11})
Da wäre etwas mehr Seriosität von Ihrer Seite aus wirklich angebracht!
({12})
Über 3 Millionen Rückrufe gab es . Es wurde bereits
konsequent gehandelt . Am 7 . Juni des vergangenen Jahres wurde beim Ministerrat die Einrichtung einer Clearingstelle angemahnt bzw . eingefordert . Des Weiteren
wurde sofort eine Untersuchungskommission eingesetzt .
Außerdem gab es für das KBA neues Geld für eigene
Prüftechnik sowie die Wiedereinführung der Endrohrmessung .
({13})
Wer handelt? Das ist unser Minister! Herzlichen Dank,
Alexander Dobrindt .
({14})
Insofern freuen wir uns natürlich auch, dass die Bundesumweltministerin im Untersuchungsausschuss das
Ganze entsprechend anerkannt und gewürdigt hat . Herzlichen Dank, Frau Bundesumweltministerin, für das Lob
für unseren Verkehrsminister .
({15})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind auf europäischer Ebene unterwegs, die Dinge klarzustellen - sie
sind heute schon genannt und abgeschichtet worden -,
die noch geklärt werden müssen . Wir sind national unterwegs und haben in den letzten Wochen und Monaten in
der Großen Koalition vieles gemeinsam umgesetzt . Wir
stehen zur Technologie in der Automobilindustrie, und
wir werden eines nicht mitmachen: Dinge gegeneinander
auszuspielen, die man auf dieser Ebene so nicht gegeneinander ausspielen kann . Wir machen bei dieser allgemeinen Skandalisierung nicht mit .
Danke schön .
({16})
Vielen Dank, Herr Kollege Lange . - Als letzter Redner in der Aktuellen Stunde spricht jetzt Dr . Matthias
Heider von der CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich darf als letzter
Redner in der Debatte erst einmal feststellen: Von Ordnungsruf bis Heiterkeit ist alles dabei gewesen . - Aber
vor allen Dingen darf ich feststellen, dass trotz des Themas, das die Grünen sich heute gewählt haben, der Versuch einer Skandalisierung der Abgastests nicht gelungen ist . Das ist die wichtigste Feststellung .
({0})
Ich will Sie gleich einmal mit einer Zahl konfrontieren, Herr Krischer: 4 Prozentpunkte . Diesen Wert haben
die Grünen in Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen
seit Januar 2016 verloren . Damit haben die Grünen gut
36 Prozent an Zustimmung verloren, seitdem die Vorschläge der EU-Kommission zur Einhaltung von Umwelt anforderungen durch die Automobilhersteller vorgestellt worden sind . Ich kann verstehen, dass vor dem
Hintergrund der anstehenden Wahlen Nervosität bei Ihnen aufkommt und dass diese Nervosität auf 100 Prozent
steigt, wenn Sie nach Nordrhein-Westfalen schauen . Was
wir hier heute gehört haben, ist ein Beitrag zum Wahlkampf gewesen, aber keine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Sachthema .
({1})
Schauen wir uns einmal die Vorschläge an, die
die Kommissarin Bienkowska und der Vizepräsident
Katainen gemacht haben . Im Kern geht es bei den Vorschlägen um eine EU-weite Regelung bei den Typenzulassungsverfahren,
({2})
und das soll insbesondere die Motorensoftware betreffen . Diese Regelung, meine Damen und Herren, ist doch
grundsätzlich zu begrüßen . Wir setzen einheitliche Standards, um verbindliche Vorgaben für Zulassungsverfahren im gesamten Binnenmarkt zu machen. Das schafft
Transparenz, und es ist auch die Aufgabe der Kommission, unterschiedliche Zulassungsregeln anzupassen und
gemeinsame Standards zu setzen . Denn so gewinnt im
Wettbewerb das umweltfreundlichste Auto und nicht das
teuerste Auto oder das Auto aus dem Land mit den vorteilhaftesten Regelungen .
Die Bundesregierung lehnt an dieser Stelle im Übrigen an keinem Punkt strengere Abgastests ab .
({3})
Im Gegenteil: Es ist doch schon lange beschlossen,
dass ab September dieses Jahres Real-Driving-Emissions-Prüfverfahren gelten,
({4})
mit denen wir die Emissionen der Fahrzeuge im tatsächlichen Fahrbetrieb analysieren . Das ist der richtige Weg .
Von den sehr theoretischen Werten der Labortests beim
bisherigen Testverfahren sind wir damit weggekommen .
Was völlig zu Recht abgelehnt wird, ist ein weiterer
Kompetenzzuwachs der Europäischen Kommission . Wir
brauchen keine zusätzliche Kontrolle nationaler Behörden durch die Kommission . Die Arbeit nationaler Behörden kontrollieren, das können wir gut selber machen,
({5})
zur Not mithilfe des Parlaments . Was die Prüfdienste,
Herr Krischer, angeht, hat die Bundesregierung auch eigene Vorschläge vorgelegt . Durch ein rollierendes Verfahren kann die Unabhängigkeit zwischen Prüfdiensten und
Herstellern genauso sichergestellt werden, und das auch
mit einem deutlich geringeren Verwaltungsaufwand .
Ich stelle einmal fest, dass Sie es mit Ihrem heutigen
Beitrag allenfalls geschafft haben, die Themenflaute in
Ihrer Partei zu bekämpfen . Dazu haben Sie eine Aktuelle Stunde beantragt. Der Begriff „Themenflaute“ stammt
übrigens nicht von mir, sondern aus der Westdeutschen
Allgemeinen Zeitung, die heute über das landespolitische
Geschick der Grünen in Nordrhein-Westfalen schreibt .
Ihre Umfragen sind schlecht .
({6})
Sie kämpfen um Ihre parlamentarische Existenz, sagt
Ihre Spitzenkandidatin Frau Löhrmann .
({7})
So langsam kommt das ganze Ausmaß der Zwangsbeglückung der Bürgerinnen und Bürger nämlich ans Licht:
Vergesellschaftung von öffentlichen und privaten Flächen in Nordrhein-Westfalen, die Art und Weise des Ausbaus der Windenergie in den ländlichen Regionen, die
Überbetonung artenspezifischer Aspekte und, und, und.
Die Aktuelle Stunde ist gar nicht lang genug, damit ich
Ihnen das alles aufzählen kann, und da ist der Veggieday
noch gar nicht mal inbegriffen.
Aber, Herr Kollege Krischer, ich hatte auch ein schönes Erlebnis, als ich die Zeitung gelesen habe . Als ich die
FAZ in der Hand gehalten habe, habe ich ein Zitat von Ihrem Kollegen Hofreiter - er ist heute leider nicht da; aber
das ist ein wichtiges Thema - gesehen . Er hat gesagt:
Wir haben großes Interesse an einer umweltfreundlichen Regulierung … Eine Industrie, die nicht mehr
in Deutschland ist, kann nicht mehr von deutschen
Grünen reguliert werden …
({8})
Sehr wahr, kann ich an der Stelle nur sagen .
Insofern verdient die Bundesregierung bei ihren in
Brüssel vertretenen Standpunkten Unterstützung: wegen
einer umsichtigen Verschärfung der Abgasregelung, aber
auch, weil die Automobilindustrie viele Hunderttausende
Arbeitsplätze in Deutschland sichert . Deshalb ist Augenmaß gefragt und nicht das, was Sie hier heute aufgeführt
haben .
Vielen Dank .
({9})
Vielen Dank, Herr Kollege . - Damit ist die Aktuelle
Stunde beendet .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes
Drucksache 18/11163
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes
Drucksachen 18/11326, 18/11658, 18/11822
Nr. 11
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0})
Drucksachen 18/12076, 18/12141
- Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/12077
Zu dem Gesetzentwurf der CDU/CSU und SPD liegt
ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesinnenminister Dr . Thomas de Maizière .
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Titel des Gesetzes, das wir heute in zweiter und dritter Lesung verabschieden wollen, kommt unprätentiös
daher . Aber es geht um weit mehr als um die Neustrukturierung eines Gesetzes . Es geht um nichts weniger als die
Zukunft deutscher Polizeiarbeit .
Seit einem Jahr ist mein Haus damit beschäftigt, die
Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das vor fast genau einem Jahr, am 20 . April 2016,
verkündet wurde, zu ziehen und die Anforderungen aus
der europäischen Datenschutzrichtlinie für die Zusammenarbeit im Polizei- und Justizbereich umzusetzen . Ich
habe mich früh dazu bekannt, diese anspruchsvolle Aufgabe nicht sozusagen minimalinvasiv vorzunehmen, sondern als richtige Chance zu nutzen . Der Gesetzentwurf
setzt natürlich alle Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtsurteils um, aber steckt die Aufgaben weiter .
Das neue BKA-Gesetz macht den Weg frei für eine
moderne polizeiliche IT-Infrastruktur, eine Infrastruktur,
die das Fundament für gute, rechtsstaatliche Polizeiarbeit
auf einem neuen Niveau darstellt . Jede Polizistin, jeder
Polizist soll sämtliche Informationen phänomenübergreifend zusammenführen und nutzen können, die sie oder
er braucht und wenn sie oder er dazu berechtigt ist . Eine
Unterteilung des Informationsaufkommens in verschiedene Datentöpfe wird überflüssig.
All denen - vor allen Dingen den Grünen -, die in der
Abkehr von der Datenhaltung in getrennten Dateien den
Untergang des datenschutzrechtlichen Abendlandes befürchten, sage ich: Ihre Kritik geht an der Sache vorbei .
({0})
In der Geburtsstunde der polizeilichen Datenlandschaft
und der Informationsverbindungen zwischen Bund und
Ländern war technisch und organisatorisch schlicht
nichts anderes möglich und vorstellbar, als in Dateien zu
denken und die analoge, papiergebundene Arbeit in das
damals technisch Machbare umzusetzen .
Das ist aber heute nicht mehr State of the Art, nirgendwo: weder technisch, auch nicht datenschutzrechtlich,
noch kriminaltaktisch, auch nicht sicherheitspolitisch .
Mit dem neuen BKA-Gesetz ändern wir das, und zwar
in verfassungsrechtlich zulässiger Art und Weise und unter Nutzung modernster Technik, die wir mit modernem
Datenschutz verbinden . Der Gesetzentwurf sieht, anders
als es in Ihrem Entschließungsantrag steht, keine neuen
Speicherbefugnisse für das BKA vor . Die Abkehr von der
Speicherung in Dateisystemen führt zu keiner weiter reichenden Speicherung als bisher . Insofern geht Ihre Kritik
ins Leere .
Aber das neue System ermöglicht es, personen- und
ereignisbezogene Daten zusammenzuführen und Zusammenhänge besser zu erkennen . Das ist für die Sicherheit
besser. Das ist für die Polizei effektiver. Und das heißt
trotzdem eben nicht weniger Datenschutz . Daten werden
gekennzeichnet, um jedem Bearbeiter deutlich zu machen, in welchem Umfang das jeweilige Datum weiterverarbeitet werden kann . Und schließlich - das geht in
dem System getrennter Datentöpfe, das wir jetzt haben,
schon technisch nicht - gibt es eine Vollprotokollierung
aller Datenverarbeitungsvorgänge, auf die die Bundesbeauftragte für den Datenschutz vollen Zugriff hat.
Mit diesem Gesetz schaffen wir also die Voraussetzungen dafür, dass die deutschen Polizeien die heute
verfügbare Technik auch nutzen können - zum Sicherheitsgewinn aller . Die Planungen im Bundeskriminalamt
und in den Bund-Länder-Gremien zur Umsetzung dieses
Gesetzes laufen auf Hochtouren . Hinter dem Arbeitstitel „Polizei 2020“ verbirgt sich ein Großprojekt, das die
Polizeien in Bund und Ländern lange beschäftigen wird .
Das neue BKA-Gesetz legt hierfür heute den Grundstein .
Daneben - ich habe es schon erwähnt - setzen wir die
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um und führen
die Möglichkeit ein, dass auch das Bundeskriminalamt
im Bereich terroristischer Gefahrenlagen die Fußfessel
einsetzen kann, um Gefährder besser beobachten zu können, obwohl wir wissen, dass die Fußfessel nicht die allein selig machende Lösung in der Terrorabwehr ist . Das
hat auch niemand behauptet .
Meine Damen und Herren, heute werden wir Großes
für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger beschließen, und das im Stundenrhythmus . Gleich beschließen
wir das BKA-Gesetz . Im Anschluss beschließen wir die
Änderungen der §§ 113 und 114 des Strafgesetzbuches .
Damit werden wir die Strafen bei Angriffen auf Polizeibeamte und Rettungskräfte bei jeder Diensthandlung erhöhen - ein wichtiger Schritt und ein Zeichen für alle,
die Tag und Nacht ihren Kopf für unsere Sicherheit hinhalten .
({1})
Dann stimmen wir über das neue Bundesdatenschutzgesetz ab . Auch das ist ein grundlegendes Werk; ich
werde dazu später noch etwas sagen . Ohne das neue Datenschutzrecht, ohne die neuen auf das BKA anwendbaren Regelungen, wäre das neue BKA-Gesetz gar nicht
vollständig . Danach weiten wir - auch noch heute - das
Maßregelrecht bei extremistischen Straftätern aus . Wir
ermöglichen damit eine bessere Überwachung von Gefährdern, um unsere Bürgerinnen und Bürger besser zu
schützen . Am Abend machen wir den Weg für den Austausch der Fluggastdaten frei . Dem BKA wird damit als
deutsche Fluggastdatenzentralstelle ein wirkungsvolles
Instrument im Kampf gegen Terrorismus und schwere
Kriminalität in die Hand gegeben . Ferner liegt dann das
veränderte Europol-Gesetz zur Beschlussfassung vor,
das diesen Kampf grenzüberschreitend erleichtern wird .
Mit dem neuen Sicherheitsüberprüfungsgesetz schützen
Vizepräsidentin Michaela Noll
wir den öffentlichen Dienst noch besser vor Extremisten
und Spionen .
Dieser Tag ist also ein besonderer Tag . Wir ernten heute gemeinsam die Früchte harter Arbeit der vergangenen
Monate auch in der Koalition . Es ist ein Reigen an Sicherheitsgesetzen, der sich in ein sicherheitspolitisches
Gesamtgefüge einpasst und den Herausforderungen unserer Zeit gerecht wird . Heute ist ein guter Tag für die
Sicherheit und ein guter Tag für Deutschland .
({2})
Herzlichen Dank, Herr Minister . - Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Martina Renner von der Fraktion
Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wo stehen wir eigentlich in der Sicherheitsdebatte? Dass
Anis Amri nicht gestoppt wurde, bevor er zwölf Menschen ermordete, lag nicht daran, dass über ihn nicht
genügend Daten vorlagen oder dass er keine Fußfessel
trug . Man ließ ihn gewähren, weil die Behörden sich einfach nicht vorstellen konnten, dass jemand, der Alkohol
trinkt und die Gebete vernachlässigt, ein fanatischer Islamist sein könnte . Falsche Annahmen gab es auch im
Fall des rassistischen Attentats am Münchener Olympia-Einkaufszentrum . Der Täter war ein Anhänger von
Breivik und Hitler, die Opfer waren Migranten . Es gibt
ein schriftliches Bekenntnis . Aber es sei kein rechter Terror - so sagen es die Behörden bis heute .
Beides sind Beispiele dafür, dass aus falschen Analysen falsche Schlussfolgerungen gezogen werden . Das ist
das wahre Problem Ihrer Sicherheitsarchitektur .
({0})
Wer den Terrorismus bekämpfen und überwinden will,
muss verstehen, warum Menschen zu Attentätern werden . Ihr Technikfetisch wird Ihnen darauf keine Antwort
geben können .
({1})
Der Gesetzentwurf folgt dem bekannten Muster: Ihr
Erzfeind ist eigentlich der Datenschutz . Das sieht man
insbesondere an den Regelungen zum Datenpooling:
Einmal erhobene Daten können fast ohne besondere Voraussetzungen weiter genutzt, auf Vorrat gehalten und im
Ergebnis noch Jahrzehnte später verwertet werden . Nach
Verhältnismäßigkeit und Zweckbindung fragt hier niemand mehr .
({2})
Der Besuch eines Fußballspiels oder einer Demonstration, bei denen die Personalien erhoben wurden, ohne dass
man sich irgendetwas zu Schulden hat kommen lassen,
kann im Zweifel Anlass genug dafür sein, dass die persönlichen Daten fast ewig gespeichert werden - über Jahre hinweg . Das ist ein Albtraum in Big Data .
({3})
Das Bundesverfassungsgericht hat im April 2016 eben
nicht eine dauerhafte Vorratsspeicherung gestattet, sondern nur eine unmittelbare Anschlussnutzung inklusive
anschließender Löschung . Man braucht keine Glaskugel,
um heute schon sagen zu können: Die vorgeschlagenen
Regelungen haben gute Chancen darauf, in Karlsruhe
wieder kassiert zu werden .
Die Linke lehnt außerdem die Einführung der elektronischen Fußfessel gepaart mit Aufenthalts- und Kontaktverboten ab . Wenn ein konkreter Verdacht einer unmittelbar bevorstehenden Straftat vorliegt und der Täter bereit
ist, sein Leben dafür zu opfern, dann nutzt die Fußfessel
gar nichts . Sie unterliegen auch hier dem Irrtum, fehlendes Personal bei der Polizei und mangelnde Gefahrenprognose durch Überwachungstechnik heilen zu können .
Das wird nicht funktionieren .
({4})
Ich nenne Ihnen zwei Beispiele, um das zu belegen .
Adel Kermiche stand in der Normandie unter Hausarrest inklusive Fußfessel, als er den 86-jährigen Priester
Jacques Hamel tötete . Oder: Der aus der Strafhaft entlassene Rafik Yousef trug eine Fußfessel, als er in Berlin
mit einem Messer bewaffnet auf eine Polizistin losging.
Hören Sie endlich auf, den Bürgern und Bürgerinnen
vorzumachen, diese Maßnahmen würden schützen! Sie
gaukeln lediglich Sicherheit vor .
({5})
Die Linke lehnt auch den Einsatz von Staatstrojanern
und die Onlinedurchsuchung ab .
({6})
Im Gesetz fehlen jegliche Regelungen über die vom Trojaner einzuhaltenden technischen Anforderungen . Ob
der Trojaner tatsächlich nur Daten ausliest, angegriffene Systeme manipuliert oder Daten sogar selbst erzeugt,
wissen wohl nur das BKA und die beteiligten externen
Ermittler . Die Kontrolleure sind blind, und blind sind
auch das Parlament und die Justiz . Das für die Kontrolle zuständige Amtsgericht Wiesbaden ist zur Beurteilung
der Eingriffstiefe der Software gar nicht in der Lage. Dies
hat das Amtsgericht Wiesbaden in der Anhörung vor dem
Bundesverfassungsgericht selbst erklärt .
Dann bleibt fraglich, wie das BKA eigentlich Zugriff
auf den Rechner bekommt, möglicherweise durch Ausnutzung von Sicherheitslücken in Hard- und Software,
gekauft auf einem kriminellen Markt von einem Staat,
der im Interesse der Bürger und Bürgerinnen diese Sicherheitslücken eigentlich schließen müsste und sie nicht
für sich nutzen sollte .
Die Onlinedurchsuchung greift in die Arbeitsgrundlage von Psychologen und Presse ein . Sie kennen die
vielen Stellungnahmen, die uns als Parlament zugeganBundesminister Dr. Thomas de Maizière
gen sind . Patientengeheimnis, Informantenschutz und
Zeugnisverweigerungsrecht sind Kern der freiheitlichen
Rechtsordnung . Es ist bedauerlich, dass sie einigen hier
im Haus so wenig wert sind .
({7})
Das alles bringt kein Mehr an Sicherheit, nur ein Mehr
an Überwachung . Das alles führt zur Preisgabe des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre . Aus diesen Gründen werden wir den Entwurf eines Gesetzes
zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes
ablehnen .
Danke .
({8})
Danke, Frau Kollegin Renner . - Als nächster Redner
spricht Uli Grötsch von der SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe es gestern im Ausschuss gesagt und ich sage es
gerne auch heute noch einmal, weil mir das wirklich ein
Anliegen ist . Was den Einsatz des sogenannten Staatstrojaners und die Thematik der Onlinedurchsuchung angeht: Eine entsprechende Einschätzung hierzu hat, glaube ich, viel damit zu tun, welchen grundsätzlichen Blick
man auf die Sicherheitsbehörden in unserem Land hat .
Ich möchte betonen: Unser Blick ist ein klarer, und wir
haben keinen Zweifel daran, dass die Polizeibehörden,
das Bundeskriminalamt in diesem Fall, die Instrumente,
die wir als Gesetzgeber ihnen an die Hand geben, so nutzen, wie es im Gesetz vorgesehen ist und dass sie verantwortungsvoll für die Ermittlungsarbeit und für sonst gar
nichts eingesetzt werden .
({0})
Mit dem vorliegenden Gesetz zur Neustrukturierung
des Bundeskriminalamtgesetzes bringen wir einen Gesetzentwurf zum Abschluss, der dem Bundeskriminalamt - eigentlich allen Polizeibehörden in Deutschland die Tür ins 21. Jahrhundert öffnet. Ein Kompliment ist
es im Grunde nie, wenn das Bundesverfassungsgericht
ein Gesetz an uns zurückgibt . In diesem Fall aber sagt
das Urteil auch, dass die verdeckten Überwachungsmaßnahmen grundsätzlich mit dem Grundgesetz vereinbar
sind . Die geforderten Nachjustierungen bezüglich der
Bestimmtheit, der Verhältnismäßigkeit oder der richterlichen Kontrolle der Maßnahmen setzen wir mit diesem
Gesetz um .
Wir begrüßen es, dass das Urteil auch Anlass war,
eine komplette Neustrukturierung der polizeilichen Datenbanksysteme von Bund und Ländern unter dem Dach
des Bundeskriminalamtes in Angriff zu nehmen; natürlich gab es darüber hier im Parlament Diskussionen . Wir
wollen mit einer zentralen Datenbank und einem polizeilichen Informationsverbund, also mit einer komplett
neuen IT-Architektur, dem Bundeskriminalamt den Weg
ins 21 . Jahrhundert ebnen . Wer sich dem versperrt, setzt
weiterhin auf einen Datenflickenteppich aus 19 unterschiedlichen Dateien, auf eine Infrastruktur, die aus den
1970er-Jahren stammt . Das kann nicht der Anspruch einer modernen Sicherheitspolitik sein .
({1})
Wir wollen nicht, dass unsere Polizistinnen und Polizisten sehnsüchtig in unsere Nachbarländer blicken
müssen, etwa nach Holland, weil die Kollegen dort mit
modernster Technik und entsprechenden Befugnissen
ausgestattet sind und dadurch leistungsfähiger fahnden
können . Wir wollen technisch auf der Höhe der Zeit
sein . Bildlich gesprochen: Wir wollen nicht, dass unsere Beamten Terroristen am Commodore 64 bekämpfen,
obwohl Terroristen - das ist hinlänglich bekannt - verschlüsselt mit High-End-Geräten arbeiten .
Ich sage Ihnen, dass die Zeit des Nebeneinanderarbeitens, dass die Zeit der Länderbefindlichkeiten in
Deutschland vorbei sein muss .
({2})
Wir haben eine Regelung gefunden, wie der Aufwand für
die Länder bei der Übernahme der Altdaten in das neue
Regime so gering wie möglich bleibt . Unser Vorschlag
ist damit praxistauglich . Das haben wir im parlamentarischen Verfahren hinlänglich abgeprüft .
Der Terror macht nicht an Ländergrenzen halt . Das ist
nun wirklich keine neue Erkenntnis . Das BKA muss und
wird deshalb auch in Zukunft als Zentralstelle eine maßgebliche Rolle spielen . Ein Fall wie Anis Amri darf sich
natürlich nie wiederholen . Die Maxime dabei lautet: Ein
Ermittler in Bayern muss wissen können, dass ein Kollege in Nordrhein-Westfalen oder anderswo am selben Fall
bzw . an derselben Person dran ist,
({3})
und zwar nicht erst nach ein paar Tagen, sondern immer
sofort .
Mit diesem Gesetz ziehen wir Konsequenzen aus dem
Zuständigkeitswirrwarr nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz . Das ist immer ein Spagat zwischen Freiheit
und Sicherheit; das haben wir auch bei diesem Gesetzentwurf gesehen . Gerade wir Sozialdemokraten schielen
immer in Richtung Freiheit und achten sehr genau auf die
Verhältnismäßigkeit .
({4})
Frau Renner, weil Sie eben den Albtraum Big Data ewig speichern - angesprochen haben, möchte ich Ihnen
eine gute Nachricht überbringen: Sie können aus diesem
Albtraum aufwachen . Die Regelung, von der Sie eben
gesprochen haben, ist im Gesetzentwurf so nicht mehr
enthalten .
({5})
Ich habe diese Regelung auch sehr kritisch gesehen - ich
habe das in den Gesprächen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens immer gesagt -, weil sie im schlimmsten Fall bedeutet hätte, dass meine personenbezogenen
Daten, auch wenn es sich dabei nur um Bagatelldelikte
gehandelt hätte, unbegrenzt gespeichert worden wären .
Es wäre gewissermaßen eine lebenslange Polizeiakte entstanden, und jeder neue Eintrag hätte zur Verlängerung
der Aussonderungsprüffrist geführt. Ich bin sehr froh,
dass das vom Tisch ist und wir den bisherigen Rechtszustand beibehalten, weil jeder die Möglichkeit haben
muss, wieder eine weiße Weste zu bekommen .
({6})
Gut, dass auch hier das Struck’sche Gesetz gegolten
hat: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es reinkommt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sicherheitslücken,
die es gibt, schließen wir . Manchmal schießt unser Koalitionspartner vielleicht ein bisschen übers Ziel hinaus .
({7})
Dann müssen die Sozialdemokraten sie wieder einfangen .
({8})
Das gelingt insbesondere in Zusammenarbeit mit dem
Bundesjustizministerium ganz hervorragend . Dafür darf
ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken .
({9})
Ein bisschen verwundert war ich daher schon, Herr de
Maizière, über die ungewohnte Zurückhaltung des Bundesinnenministeriums bei der anstehenden Änderung des
Waffenrechts. Anstatt eine eindeutige Regelung vorzulegen, damit die Waffenbehörden vor jeder Erlaubniserteilung eine Abfrage bei den Verfassungsschutzämtern über
verfassungsfeindliche Einträge durchführen können,
drucksen Sie herum und unterbreiten einen halbherzigen
und sehr ungenauen Vorschlag . Wir sagen: Keine legalen
Waffen an Extremisten.
({10})
Sie aber trauen sich nicht und zögern . Die bei allen anderen Fragen der Terrorabwehr an den Tag gelegte Entschlossenheit erwarte ich auch in dieser Sache . Wir werden hier nicht lockerlassen .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({11})
Vielen Dank, Herr Kollege . - Als Nächste spricht die
Kollegin Irene Mihalic von Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Grötsch, Sie haben in Ihrer Rede als Reaktion auf die Ausführungen der Frau Kollegin Renner
die Mitziehautomatik angesprochen . Da haben Sie sich
in der Tat von den Experten in der Anhörung belehren
lassen und die Regelung aus Ihrem Gesetzentwurf genommen .
Dennoch - das muss man sagen - bedeutet das neue
BKA-Gesetz das Ende des polizeilichen Datenschutzes,
wie wir ihn kannten;
({0})
denn ob mit oder ohne Mitziehautomatik: Der zentrale
Grundsatz der Zweckbindung von Informationen und
Daten, Herr de Maizière, wird in pauschaler Weise aufgehoben .
({1})
Das wissen auch Sie .
Die Neuverknüpfung von Daten kommt einer Neuerhebung gleich . Deswegen spielt das schon eine große
Rolle. Ich kann offen gestanden nicht nachvollziehen,
warum Sie solche verfassungsrechtlichen Risiken, die
damit verbunden sind, in Kauf nehmen . Das Einzige,
was Sie damit erreichen, ist ein Klageabo in Karlsruhe .
Stattdessen sollten Sie lieber die bekannten Probleme im
Rahmen der bestehenden Systeme lösen .
({2})
Anstatt massenhaft alles Mögliche zu speichern, wäre
es viel besser, valide Informationen möglichst zeitnah
und gründlich auszuwerten; das zeigen auch die Sachverhalte, mit denen wir es in der Vergangenheit zu tun
hatten . Sie wissen ganz genau, dass Polizeiarbeit immer
dann besonders erfolgreich ist, wenn sie spezifisch ist.
Spezifische und zielgerichtete Polizeiarbeit hat auch kein
Datenschutzproblem .
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil
zum BKA-Gesetz viele bestehende Befugnisse beanstandet und einen engen Entscheidungskorridor definiert. Mit
Ihrem Gesetzentwurf schrammen Sie permanent an der
rechten Leitplanke dieses Korridors entlang . Das, was
nach Einschätzung des Gerichts gerade noch so verfassungsrechtlich zulässig wäre, haben Sie dann per Copy-and-paste ins Gesetz geschrieben . Copy-and-paste ist
aber nicht nur schlechter gesetzgeberischer Stil, sondern
Sie verkennen damit auch Ihre Aufgabe, für die Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne zu sorgen .
({3})
Sie gehen nicht minimalinvasiv vor, wie Sie es gerade
gesagt haben, Herr de Maizière, sondern Sie gehen richtig in die Vollen .
Unser Entschließungsantrag macht diese Versäumnisse noch einmal deutlich . Durch die Neustrukturierung der
Datenbanken beim BKA betreiben Sie eine unverhältnismäßig weite Speicherung - und die noch auf Vorrat -,
ohne dass in einem einzigen Fall belegt wäre, dass eine
solche Neustrukturierung tatsächlich zur Verbrechensverhütung beiträgt . Eine Regelung zu Staatstrojanern, die
nicht mindestens auch die technischen Anforderungen an
die Software klar definiert, lässt nicht einmal den Versuch erkennen, dass Sie sich mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben beschäftigt haben .
Auch der kriminalistische Nutzen eingriffsintensiver
Maßnahmen wurde im Rahmen dieses Entwurfs nicht
hinreichend berücksichtigt . Das sehen wir am Beispiel
der Fußfessel . Die Fußfessel ist als Maßnahme zur Überwachung von Gefährdern schlicht ungeeignet,
({4})
selbst dann, wenn die Überwachung ausnahmsweise einmal nicht verdeckt erfolgen soll . Sie ist ein reines Placebo . Selbst das BKA sagt in seiner internen Einschätzung, die wir alle kennen, eindeutig, dass die Fußfessel
so ziemlich das Letzte ist, was Gefährder daran hindert,
Anschläge zu begehen .
({5})
Die Fußfessel zur polizeilichen Überwachung von Gefährdern - ich rede jetzt nicht über die Fußfessel im Maßregelvollzug, sondern über die polizeirechtliche Fußfessel, wie sie hier im BKA-Gesetz vorgesehen ist - gibt es
nirgendwo sonst auf der Welt .
({6})
Das ist absolutes Neuland; so würden Sie von der Union
es vielleicht bezeichnen . Sie planen hier einen groß angelegten Feldversuch, ein riesiges Experiment am offenen
Herzen der öffentlichen Sicherheit. Mir wäre es an dieser
Stelle lieber, Sie würden endlich einmal konkrete Schlüsse aus dem Fall Anis Amri ziehen, der übrigens niemals
ein Kandidat für die Fußfessel gewesen wäre .
({7})
Neben all den verfassungsrechtlichen Fragen macht
mich ein Aspekt besonders betroffen. Für uns alle steht
die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger ganz oben auf
der Agenda .
({8})
- Haben Sie etwa Zweifel daran, dass wir uns um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger sorgen? Wenn das
so ist, möchte ich gerne, dass Sie das hier einmal laut
sagen . - Deshalb ist es im Sinne der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger keine gute Politik, die Polizei und
die Sicherheitsbehörden mit Gesetzen im Regen stehen
zu lassen, deren Nutzen fragwürdig ist und die am Ende
in Karlsruhe wieder eingesammelt werden . Damit ist niemandem gedient, weder der Polizei noch der Sicherheit
der Bürgerinnen und Bürger . Mehr Sorgfalt in der Beratung und mehr Präzision in der Ausgestaltung wären
dringend angebracht . All das lassen Sie leider vermissen .
Dazu kommt: Die bereits bestehenden gesetzlichen
Möglichkeiten, sowohl repressiv als auch präventiv, wurden in bestimmten Fällen überhaupt nicht ausgeschöpft .
Der Fall Amri ist solch ein trauriges Beispiel . Für diese
Defizite gibt es klare Belege. Wenden Sie die bestehenden Gesetze an, anstatt immer neue Gesetze zu schaffen,
die letztlich sowieso wieder in Karlsruhe landen und niemandem weiterhelfen .
({9})
Vielen Dank, Frau Kollegin . - Das Wort hat jetzt
Stephan Mayer von der CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Die erste Lesung des
BKA-Gesetzes fand am 17 . Februar dieses Jahres noch
unter dem starken und sehr authentischen Eindruck des
schrecklichen, unfassbaren Anschlags vom Breitscheidplatz kurz vor Weihnachten 2016 statt . Aber die Welt ist
seitdem nicht stillgestanden . Es gab weitere terroristisch
bzw . islamistisch motivierte Anschläge - in London, in
Stockholm, in Paris - mit vielen weiteren Toten .
Die terroristische Bedrohung ist unvermindert hoch .
Ich glaube, man kann mit Fug und Recht behaupten: Sie
war nie größer . Auch die vom Bundesinnenminister am
vergangenen Montag vorgestellte Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2016 zeigt auf sehr eindrucksvolle
Weise, dass insbesondere die Anzahl der Delikte im Bereich der politisch motivierten Ausländerkriminalität von
2015 auf 2016 deutlich gestiegen ist, und zwar um sage
und schreibe 66,5 Prozent .
({0})
Damit haben wir die höchste absolute Zahl von politisch
motivierten Ausländerkriminalitätsdelikten seit 2001,
seit Beginn dieses Meldedienstes, erreicht .
({1})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, unsere Sicherheitsbehörden stehen vor großen, enormen
Herausforderungen . In der Sicherheitsarchitektur unseres Landes kommt dem Bundeskriminalamt aufgrund
seiner Zentralstellenfunktion eine besondere Bedeutung
zu, natürlich auch wegen seiner originären Kompetenz
bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus und
der Bekämpfung der organisierten Kriminalität .
({2})
Die Novellierung des BKA-Gesetzes, die wir heute
abschließen, ist nicht die erste Novellierung des Bundeskriminalamtgesetzes, das es seit 1951 gibt, aber mit
Sicherheit seine umfassendste . Mit der Beschlussfassung
über dieses Gesetz schaffen wir es, die Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 20 . April letzten Jahres umzusetzen .
Frau Kollegin Renner, es stimmt nicht, dass der Datenschutz durch dieses neue Gesetz unterminiert oder
reduziert wird . Der Datenschutz wird sogar ausgeweitet .
({3})
Es gibt mehr datenschutzrechtliche Kontrolle . Es gibt
eine Stärkung der Transparenz . Es gibt eine Ausweitung
der Löschungspflichten. Es gibt mit diesem Gesetz auch
eine Stärkung des individuellen Rechtsschutzes .
({4})
Frau Kollegin Mihalic und Frau Kollegin Renner, Sie
müssen sich schon einmal entscheiden . Sie werfen uns
einerseits vor, dass wir Copy-and-paste machen und die
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu detailgenau
im Gesetz niederschreiben .
({5})
Andererseits werfen Sie uns vor, wir würden verfassungswidrig handeln .
({6})
Es kann nur eine Argumentation stimmen . Entweder halten wir uns zu eng an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, oder wir negieren das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und arbeiten mit weit überschießender
Tendenz verfassungswidrig .
({7})
Beides kann nicht zusammenpassen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen .
({8})
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir hier, insbesondere vor dem Hintergrund des Grundsatzes der
hypothetischen Datenneuerhebung, den das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hat, gesetzgeberisch sehr ordentlich und sehr genau gearbeitet haben .
({9})
Wir setzen darüber hinaus die Datenschutzrichtlinie der
Europäischen Union für den öffentlichen Sicherheitsbereich um . Auch das ist ein sehr wichtiger Aspekt . Der
Austausch von Informationen zwischen den Sicherheitsbehörden in Europa ist von elementarer Bedeutung, auch
für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land . Indem wir als erstes EU-Land die EU-Datenschutzrichtlinie in nationales Recht umsetzen, erleichtern
wir die Datenweitergabe an andere Sicherheitsbehörden
in Europa . Damit stärken wir die Sicherheitslage in unserem Land, aber auch in anderen Ländern .
({10})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ein
sehr wesentlicher Punkt ist - das ist, glaube ich, ein wirklich epochaler Schritt -, dass wir die IT-Infrastruktur der
gesamten Sicherheitsbehörden in Deutschland auf neue
Beine stellen . Die IT-Sicherheitsarchitektur hat über eine
zu lange Zeit hinweg immer noch den Geist der 70er-Jahre in sich getragen .
({11})
Es ist richtig, dass wir hier eine Modernisierung bzw . Ertüchtigung vornehmen .
Ich bin auch sehr dankbar, dass es insbesondere auf
Initiative der Innen- und Sicherheitspolitiker der Unionsbundestagsfraktion gelungen ist, im parlamentarischen
Verfahren einen Änderungsantrag zustande zu bringen,
der gewährleistet, dass vorhandene Altdaten von den
Ländern weiter genutzt werden können . Ich sage hier
sehr ernsthaft und sehr eindringlich: Es wäre wirklich
unwürdig und aus meiner Sicht der Sicherheit unseres
Landes nicht zuträglich gewesen, wenn wir auf Basis des
Ausgangsentwurfs die Regelung getroffen hätten, dass
die Altdaten zwar weiterhin von den Ländern vorgehalten werden dürfen, wir den Länderpolizeibehörden aber
untersagt hätten, diese Daten weiter zu nutzen . Das wäre
unverantwortlich gewesen .
({12})
Deswegen ist es richtig, dass wir es mit unserem Änderungsantrag, der heute ebenfalls zur Abstimmung gestellt
wird,
({13})
ermöglichen, dass die Länderpolizeibehörden nicht
künstlich blind gehalten und künstlich zur Untätigkeit
verdammt werden, sondern dass diese Altdaten weiter
genutzt und verwertet werden dürfen .
({14})
Stephan Mayer ({15})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die
elektronische Fußfessel ist nun mit Sicherheit kein Allheilmittel .
({16})
Frau Kollegin Mihalic, niemand hat behauptet, dass Anis
Amri prädestiniert gewesen wäre für das Tragen einer
elektronischen Fußfessel . Aber ich bin der festen Überzeugung, Herr Kollege von Notz, dass der Einsatz der
elektronischen Fußfessel in dem einen oder anderen Fall
({17})
unterstützend durchaus ein wertvolles Instrument sein
kann, um Gefährder, die auch wissen, dass sie als Gefährder eingestuft werden, zu kontrollieren .
({18})
Es ist bekannt, dass die Rund-um-die-Uhr-Überwachung eines Gefährders 24 bis 30 Mitarbeiter des Verfassungsschutzes bindet .
({19})
Gerade vor dem Hintergrund der starken personellen Inanspruchnahme der Verfassungsschutzämter ist es meines Erachtens richtig, dass wir mit der Möglichkeit des
Einsatzes der elektronischen Fußfessel hier ein weiteres
Instrument zur Unterstützung schaffen.
({20})
Ich sage auch ganz offen: Derzeit gibt es auf Bundesebene keinen einzigen Gefährder, der für das Tragen der
elektronischen Fußfessel prädestiniert wäre .
({21})
Deshalb sind mein klarer Wunsch und mein klarer Appell
im Rahmen dieser Gesetzgebung, dass sich die Länder
bitte ein Beispiel an der Novellierung des BKA-Gesetzes
nehmen und in ihren Polizeiaufgabengesetzen die Möglichkeit schaffen, die Gefährder, die bei den Ländern gehalten werden,
({22})
auch mit der elektronischen Fußfessel entsprechend
überwachen zu können .
({23})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
bin gespannt - wir werden ja den Praxistest machen können -, welche Länder von dieser Möglichkeit Gebrauch
machen . Ich bin mir zum Beispiel sicher, dass mein Heimatland Bayern diese Möglichkeit sehr schnell in das
bayerische Polizeiaufgabengesetz übernehmen wird .
({24})
Ich bin mir sehr sicher, dass es auch andere Länder geben
wird . Frau Mihalic, wenn Ihr Heimatbundesland Nordrhein-Westfalen so weiterregiert werden würde, wie es
jetzt regiert wird, wird es von dieser Möglichkeit nicht
Gebrauch machen .
({25})
Machen wir deshalb in einem Jahr den Praxistest und
sehen wir dann, wie viele Länder entsprechend verantwortungsbewusst handeln . Ich bitte um Zustimmung zu
diesem wichtigen Gesetzentwurf .
Danke für Ihre Aufmerksamkeit .
({26})
Herzlichen Dank, Herr Kollege Mayer . - Als Nächste hat das Wort die Kollegin Susanne Mittag von der
SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr de
Maizière! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit der heute zu beschließenden
Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes haben wir es mit einem, wie man bei uns im Norden - da
sind die richtigen Bundesländer - sagt, echten Dickschiff
zu tun, und zwar nicht nur, was den Tiefgang der Beratungen angeht - wir haben uns damit ordentlich beschäftigt -, sondern auch, welche Bugwelle das Ganze
gesetzgeberisch und besonders organisatorisch für das
BKA vor sich herschiebt . Denn wir haben es nicht nur
mit einer vollkommenen Umstrukturierung - das ist
schon erwähnt worden - des Datenbestandes des BKA
zu tun, die auch die Länder betrifft, nein, in diesem Geleitzug werden wir heute auch das Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz und das Europol-Gesetz
beschließen . Alle drei Gesetze haben Bezüge zueinander .
Das Europol-Gesetz wird heute Abend ebenfalls im Plenum behandelt und wurde hinsichtlich der Umsetzungsfristen dem BKA-Gesetz angepasst .
Bei der Diskussion und Prüfung wurde deutlich, dass
die Gesetze nur bedingt aufeinander bzw . auf die Bundesländer abgestimmt waren . Wir haben nochmals Experten aus den Polizeien der Länder zu Rate gezogen .
Stephan Mayer ({0})
Dabei stellte sich heraus, dass das BKA-Gesetz in seinem
ersten Entwurf in der Praxis gar nicht hätte umgesetzt
werden können .
({1})
Die Daten der Länderpolizeien hätten nicht automatisiert
in das neue System übernommen werden können, sondern hätten erst überprüft und katalogisiert werden müssen . Das wäre nur mit einem immensen Personalaufwand
möglich gewesen und war damit indiskutabel . Ich möchte mich deswegen ganz ausdrücklich bei den Länderpolizeien aus Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern bedanken, die uns innerhalb kürzester Zeit mit ihrer
Expertise geholfen und zu einer praktikablen Lösung
beigetragen haben, wie auch beim Kollegen Binninger .
Sie haben das Gesetz zusammen mit der SPD gemacht,
damit es umsetzbar ist und sich nicht die Länder fragen,
was wir hier im Bund beschlossen haben .
Ausgangspunkt für die komplette Umstrukturierung
der Datensysteme war das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes - das ist hier schon erwähnt worden -, das das
BKA-Gesetz in der bisherigen Form in Teilen als nicht
rechtmäßig ansah .
({2})
Das hat dazu geführt, dass das BMI uns sicherheitshalber - wie passend - einen Entwurf vorgelegt hat, der
sich zum Teil wortwörtlich an den Vorgaben des höchsten deutschen Gerichtes orientiert . In Anhörungen haben
einige Sachverständige bemängelt, so genau hätte man
das gar nicht machen müssen, das wäre gar nicht nötig
gewesen . Das mag sein, verhindert, wie ich denke, aber
sicherlich eine neue Verfassungsrechtsproblematik .
({3})
Denn wir müssen dem BKA die nötige Zeit und Sicherheit geben, um die so wichtige Aufgabe der Umstrukturierung neben den bereits erheblich gewachsenen Aufgaben erfüllen zu können . Dabei fangen sie jedoch nicht
bei Null an .
Ich habe gerade schon die Zusammenarbeit mit den
Länderpolizeien bei den Beratungen gelobt . Diese Zusammenarbeit wird sich in den nächsten Jahren noch vertiefen, und zwar als gleichberechtigte Partner .
Ich möchte hier klarstellen, dass das Bundeskriminalamt eine Zentralstellenfunktion für das polizeiliche
Nachrichten- und Auskunftswesen hat und Dienstleister
ist . Das heißt nicht, dass sich daraus eine übergeordnete
Vorgesetztenfunktion ergibt . Ziel ist eine informationstechnische Verknüpfung in einem föderalen System . Wir
alle haben es mitgekriegt: Das hat in den letzten Jahren
nicht immer gut geklappt .
Bei endlichen finanziellen und personellen Ressourcen, wachsenden Aufgaben und neuen Phänomenen können wir uns 19 Parallelstrukturen in diesem Land nicht
leisten . Man denke nur an das Ausmaß der Netzkriminalität, die zu bearbeiten ist . Bei den Verfahren geht es
derzeit locker um Daten im Terabyte-Bereich .
Als Beispiel möchte ich hier auch einmal das Hinweisportal des BKA nennen, die sogenannte Boston Cloud .
Diese vom BKA betriebene Infrastruktur wird anlassbezogen und für einen begrenzten Zeitraum, in dem die
Bürgerinnen und Bürger Fotos und Videos hochladen
können, freigeschaltet . Diese Daten stehen dann den Polizeibehörden in den Ländern für ihre Ermittlungen zur
Verfügung. Das ist zuletzt nach den Angriffen bei dem
Bundesligaspiel des BVB gegen Leipzig am 4 . Februar
2017 der Fall gewesen .
Das sind wichtige Strukturen, die die Polizei für ihre
länderübergreifende Arbeit benötigt. Durch die flächendeckende Verbreitung und den andauernden Gebrauch
von Smartphones kommen hier riesige Datenmengen
zusammen, die den Behörden übermittelt werden . Diese
müssen auch erst einmal verarbeitet und geschützt werden; denn es gab auch schon Hackerangriffe auf dieses
Portal .
Es ist zukunftsorientiert, dass das BKA als Zentralstelle diesen Service anbietet und die Arbeit der Polizei vernetzt und unterstützt . Das gilt auch in Bezug auf
die Informations-, Einsatz- und Kriminaltechnik in der
bisherigen Form - diese ganze Arbeit läuft ja weiter -,
in Bezug auf die neuen Bereiche wie die elektronische
Aufenthaltsüberwachung - so heißt das nämlich - und
in Bezug auf die Organisation des Inneren Sicherheitsfonds - unter anderem zur Bekämpfung der organisierten
Kriminalität -, was nämlich auch beim BKA stattfindet.
Ich denke, dieser Gesetzentwurf ist ein wichtiger
Schritt zur Verbesserung unserer Sicherheitsstrukturen und zur effizienten Kriminalitätsbekämpfung. Über
die haushalterischen Auswirkungen unterhalten wir uns
demnächst noch einmal; denn dazu gibt es auch noch einiges zu beschließen .
Herzlichen Dank .
({4})
Herzlichen Dank, Frau Kollegin . - Als letzter Redner
in dieser Debatte spricht jetzt Clemens Binninger von der
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch an die Adresse der Rednerinnen und Redner
der Opposition gewandt, will ich mit einem Fallbeispiel
beginnen, das deutlich macht, warum wir dringend eine
andere Form der Zusammenarbeit im Bereich des Datenaustausches brauchen .
Anfang der 2000er-Jahre gab es in Sachsen und Thüringen eine Serie von Banküberfällen . Es waren immer
zwei männliche Täter, die, bewaffnet mit Faustfeuerwaffen, Banken überfallen haben und danach mit Fahrrädern
geflüchtet sind. Es war eine Serie von 13 Überfällen.
Diese wurden isoliert bearbeitet . Zwei solcher Fälle fanden außerdem in Mecklenburg-Vorpommern statt, und
man konnte der Täter nicht habhaft werden .
Viel tragischer ist aber: In den alten Bundesländern
gab es in der gleichen Zeit eine Mordserie, bei der zehn
Menschen - darunter neun ausländische Mitbürger kaltblütig ermordet wurden . Der einzige Hinweis, den
man hatte, war, dass es zwei männliche Personen mit
Faustfeuerwaffen waren, die mit Fahrrädern geflüchtet
sind . - Es war der NSU .
Aufgrund der Struktur der Datenbanken und auch
durch Recherche war es für die Polizisten in Sachsen,
Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern nicht möglich, zu erkennen, dass es im Rest von Deutschland eine
Mordserie gab, bei der die Beschreibung der flüchtenden
Mörder identisch war mit der Beschreibung der Täter bei
den Banküberfällen . So wurden diese beiden Serien parallel bearbeitet, ohne dass man je den Zusammenhang
erkannt hat, bevor 2011 der NSU aufflog.
Das wird jetzt beseitigt . Dagegen etwas zu haben,
kann ich persönlich nicht verstehen und ist wirklich niemandem in diesem Land erklärbar .
({0})
Es geht nämlich beim BKA-Gesetz nicht nur um Terrorismusbekämpfung . Es ist richtig: Ein ganzer Abschnitt
befasst sich mit der Terrorismusbekämpfung . Wir setzen
damit die Vorgaben um, die uns das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gemacht hat: beim Kernbereichsschutz, beim Schutz von Berufsgeheimnisträgern - dazu
haben wir manche Debatte zu führen gehabt - oder bei
Eingriffen in den Datenschutz.
Ja, Kollege von Notz, wir haben das Urteil, das äußerst
anspruchsvoll war - übrigens wurde es im Senat nicht
einstimmig beschlossen, sondern im Stimmenverhältnis
5 : 3 -, in vielen Passagen übernommen . Die Sachverständigen haben das aber nicht kritisiert, sondern sie haben selber zugegeben, dass sie angesichts der Komplexität für den Gesetzgeber Verständnis haben, wenn er sagt:
Da begibt er sich auf die sichere Seite . Ich glaube, an
diesem Punkt kann man keine Kritik an uns festmachen .
Sie haben sogar gesagt: Wir gehen an manchen Stellen
darüber hinaus . Deshalb verstehe ich die Kritik, dass hier
der Datenschutz aufgegeben wird, wirklich nicht .
Was wir jetzt bekommen, ist, dass 19 Systeme und
über 200 verschiedene Dateien - über 200 verschiedene! -, die es bei den Polizeien in Bund und Ländern gibt,
in einer „Polizeicloud“ zusammengeführt werden, in der
man dann recherchieren kann . Jedes Datum muss, bevor
es in diese Cloud eingegeben wird - die Altdaten sind
davon ausgenommen und werden so lange parallel genutzt, bis sie die Voraussetzungen erfüllen -, die erhöhten
Anforderungen von § 14 BKA-Gesetz erfüllen . Da die
Sorge zu haben, wir könnten den Datenschutz aufgeben,
ist wirklich nicht nötig .
Wir machen das, was notwendig ist . Dieses Gesetz ist
modern . Das Ganze wird ein Riesenprojekt sein, Herr
Minister . Ich weiß nicht, ob dieses Projekt 2020 fertig
sein wird . Es könnte ein bisschen länger dauern . Aber
dieses Projekt ist notwendig, weil die Herausforderungen für die innere Sicherheit sehr groß sind . Wir geben
damit eine richtige, präzise und fortschrittliche Antwort .
({1})
Auf die Fußfessel will ich nicht eingehen . Die Regelungen dazu finden sich in einem Paragrafen. Sie sind
aber nicht entscheidend .
({2})
Ich will zum Schluss auf etwas eingehen, was schon
ein paarmal angesprochen wurde . Mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf schaffen wir einen umfassenden rechtlichen und technischen Rahmen für das BKA, der für alle
Kriminalitätsbereiche gilt: Terror, Allgemeinkriminalität,
Zusammenarbeit mit den Ländern und internationale Zusammenarbeit . Wir werden dafür im Haushalt, Frau Kollegin Mittag, vorsorgen: Das BKA bekommt über 1 000
neue Stellen und auch sonst entsprechende Mittel . Also,
das Parlament gibt all das, was notwendig ist .
Aber ich glaube, an einer Stelle müssen wir in der
nächsten Legislatur in diesem Haus oder wo auch immer
eine Debatte führen: Sind die Strukturen für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, wie wir sie haben,
für den Umgang mit 600 Gefährdern die richtigen? Kann
es sein, dass 40 verschiedene Behörden für den Umgang
mit Gefährdern in Deutschland parallel zuständig sind?
Kann das so bleiben, oder müssten wir Verantwortlichkeiten nicht stärker bündeln?
({3})
Das betrifft den Umgang mit Gefährdern bei Strafverfahren, bei Terrorverfahren und bei der Abschiebung, wenn
es um ausreisepflichtige Gefährder geht. Diese Lehren
aus dem Fall Amri sind alle noch zu ziehen .
Ich will uns einfach ermutigen . Auch ich weiß nicht,
was am Ende wirklich hilft oder nicht . Aber die Debatte
gar nicht zu führen und zu sagen: „Wir machen mit dieser Struktur einfach weiter, weil das auch den Ländern
lieber wäre“, wird den aktuellen Anforderungen in Bezug
auf die Sicherheit der Bürger nicht gerecht . Deshalb: Das
BKA-Gesetz ist eine gute Grundlage für die Datenverarbeitung und für die Terrorismusbekämpfung . Aber lassen
Sie uns über die Strukturen - der Minister hat hierzu einen Aufschlag gemacht - eine wichtige und notwendige
Debatte führen, vielleicht mehr im Verhältnis des Bundes
zu den Ländern und weniger im Verhältnis der Parteien
untereinander . Aber verzichten können wir auf eine solche Debatte nicht .
Herzlichen Dank .
({4})
Herzlichen Dank, Herr Kollege . - Damit schließe ich
die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 18/12076 und 18/12141, den Gesetzentwurf der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der DrucksaClemens Binninger
che 18/11163 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmergebnis angenommen .
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/12131 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt .
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksachen 18/12076
und 18/12141, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksachen 18/11326 und 18/11658 für erledigt
zu erklären . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen
Hauses angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Stärkung des
Schutzes von Vollstreckungsbeamten und
Rettungskräften
Drucksache 18/11161
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
… Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften
Drucksache 18/11547
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({0})
Drucksache 18/12153
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Parlamentarische Staatssekretär Christian Lange .
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute beraten wir abschließend den Gesetzentwurf zur
Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und
Rettungskräften . Die Dringlichkeit dieses Gesetzgebungsvorhabens unterstreicht die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2016 . Im vergangenen Jahr wurden
über 71 000 Polizeivollzugsbeamtinnen und -vollzugsbeamte Opfer von Gewaltdelikten: 2016 sind damit
6 345 Polizeivollzugsbeamtinnen und -vollzugsbeamte
mehr Opfer solcher vollendeter Gewaltdelikte geworden .
Das ist ein Anstieg um 11,2 Prozent .
Meine Damen und Herren, die Wirklichkeit ist für die
Betroffenen noch düsterer als diese Zahlen. Wenn Sie mit
Polizistinnen und Polizisten reden, werden diese bestätigen, dass ihnen immer öfter Hass, Beleidigungen und
Gewalt entgegenschlagen . Immer öfter wird ihre Arbeit
durch einen Mangel an Respekt erschwert: mangelnder
Respekt vor dem Gesetz und vor den Menschen, die es
durchsetzen . Auch andere Vollzugsbeamte - beispielsweise Gerichtsvollzieher - sind davon betroffen.
Mit dem Gesetz, das wir nun heute beschließen wollen, werden tätliche Angriffe gegen alle Vollzugsbeamte
künftig härter bestraft, und dies unabhängig davon, ob
sie gerade eine Vollstreckungshandlung vornehmen oder
in sonstiger Weise dienstlich handeln . Vollstreckungsbeamte sind als Repräsentanten des Staates besonders exponiert, und sie brauchen alle unseren Schutz . Das ist das
Mindeste, was wir für sie tun können .
({0})
Die Neuregelung für Vollstreckungsbeamte kommt
außerdem den Männern und Frauen von Feuerwehren,
Katastrophenschutz, zum Beispiel dem THW, und den
Rettungsdiensten bei Hilfseinsätzen zugute . Das ist ebenfalls längst überfällig; denn auch sie sind leider zunehmend Opfer .
In der Ausschussberatung ist nun gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf noch ein wichtiger Punkt
hinzugekommen. Als Ergebnis der öffentlichen Anhörung zu dem Gesetzentwurf sollen zukünftig Verhaltensweisen strafbar sein, durch die Rettungsmaßnahmen behindert werden, und zwar unabhängig davon, auf welche
Weise die Behinderung geschieht und ob die hilfeleistende Person zu den Rettungskräften im Sinne des § 115 Absatz 3 unseres Strafgesetzbuches in der Entwurfsfassung
gehören .
Da diese Vorschrift alle Personen schützt, die Hilfe
leisten oder Hilfe leisten wollen, soll sie systematisch
nicht bei den Widerstandsdelikten in den §§ 113 ff. unseres Strafgesetzbuches eingefügt werden; sie ergänzt vielmehr die Strafvorschrift der unterlassenen Hilfeleistung
in § 323c StGB .
Mit dieser neuen Vorschrift wird nicht nur die sogenannte Gafferproblematik erfasst, zu der der Bundesrat
einen Gesetzentwurf vorgelegt hat . Vielmehr kann sie
auch zum Beispiel bei einem Blockieren von Notfallgassen auf der Autobahn oder bei einer Beeinträchtigung der
Vizepräsidentin Michaela Noll
Tätigkeit von Ärztinnen und Ärzten oder Krankenhauspersonal in der Notaufnahme greifen .
({1})
Meine Damen und Herren, zollen wir also den Polizistinnen und Polizisten sowie den Rettungskräften den notwendigen und, wie ich meine, ihnen auch gebührenden
Respekt und Schutz und stimmen dem Gesetzentwurf der
Koalition zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften zu . Darum möchte ich Sie
herzlich bitten .
Herzlichen Dank .
({2})
Vielen Dank, Herr Staatssekretär . - Als Nächster hat
der Kollege Frank Tempel von der Fraktion Die Linke
das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Die Linke begrüßt ausdrücklich, dass wir
uns als Legislative mit der Gewalt gegen Polizei und Rettungsdienste und natürlich auch mit der Behinderung von
Rettungseinsätzen beschäftigen .
Als ehemaliger Polizeibeamter macht es mich aber
richtig sauer, wenn mir unterstellt wird, die Bekämpfung
dieser Phänomene läge mir nicht am Herzen, nur weil wir
vielleicht Vorschläge, die die Unionsfraktion macht, hier
ablehnen, weil sie nicht zielführend sind .
Zunehmende Gewalt muss ganz einfach Ursachen haben . Am Anfang der Woche wurde die Polizeiliche Kriminalstatistik vorgelegt . Wir wissen, dass die Gewaltkriminalität insgesamt gestiegen ist .
({0})
- Da sollten Sie schon einmal zuhören . Denn die Zahlen
haben auch Sie bekommen .
Es macht zumindest aus Sicht der Linken keinen Sinn,
hier einzelne Phänomene wie die Gewalt gegen Polizeibeamte herauszugreifen . Vielmehr müssen wir diesem
gesamtgesellschaftlichen Problem ernsthaft auf den
Grund gehen .
({1})
Meine Damen und Herren, wenn ein Wasserhahn
tropft, wechsele ich nicht den Scheuerlappen, sondern
versuche erst einmal, den Wasserhahn zu schließen . Solche einfachen Regeln des täglichen Lebens sollten auch
hier langsam einmal eine Rolle spielen .
Ich möchte eine mögliche Ursache für die zunehmende Gewaltbereitschaft ansprechen. Wie häufig werden
Strafverfahren wegen einfacher Gewaltdelikte in der
Praxis auch bei sehr jungen Tätern mittlerweile wegen
Geringfügigkeit ohne jegliche Konsequenz eingestellt,
weil den Staatsanwaltschaften und Gerichten einfach
die personellen Ressourcen fehlen, die Masse dieser Anzeigen tatsächlich zu bewältigen? Das betrifft übrigens
auch einfache Straftaten gegen Polizeibeamte oder Feuerwehrleute .
Ich habe als Polizeibeamter oft solche Anzeigen geschrieben und Monate später die Bescheide über die
Einstellung des Verfahrens ohne jegliche Konsequenzen
bekommen .
Damit hier keine Missverständnisse aufkommen: Ich
beklage nicht fehlende Verurteilungen . Ich rede von zeitnahen Konsequenzen. Das können auch Auflagen in Verbindung mit sozialen Projekten unter Aufsicht geschulten
Personals sein, also gewissermaßen Anti-Gewalt-Projekte; denn dadurch könnte man die Anzahl der Täter tatsächlich langfristig reduzieren und damit auch die Anzahl der Straftaten senken .
({2})
Gesetzlich ist zum Umgang mit Gewaltstraftätern alles
ausreichend geregelt . Es scheitert aber am Vollzug dieser
Möglichkeiten. Sie erfinden lieber neue Straftatbestände,
statt Vollzugsdefizite zu beheben. Das hilft niemandem,
auch nicht Polizeibeamten und Feuerwehrleuten .
({3})
Vollzugsdefizite haben wir auch bei dem viel diskutierten Problem der Gaffer. Die Gaffer belasten jeden, am
meisten natürlich die Opfer und Helfer . Wie wir auch der
aktuellen Presse entnehmen können, sind Verurteilungen
bereits jetzt möglich. Dazu, dass sich auch Gaffer vor Gericht verantworten müssen, gab es heute ein Urteil .
Wir kennen aber auch die personellen Möglichkeiten
der Einsatzkräfte vor Ort . Wer, bitte schön, soll denn die
Strafanzeigen aufnehmen, wenn 100 Gaffer auf der Autobahn die Einsatzkräfte behindern?
Ich hoffe, Sie wissen wenigstens, was an einer solchen
Strafanzeige dann noch alles dranhängt: die Identitätsfeststellung, die oft problematisch ist, weil nicht jeder
einen Ausweis mit sich führt, die Beschuldigtenvernehmung zur Person, die Beschuldigtenvernehmung zur Sache, eine Zeugenvernehmung oder zumindest Aktenvermerke und dann die Abgabe an die Staatsanwaltschaft .
Damit sind wir schon wieder beim Thema „überlastete
Polizei und überlastete Staatsanwaltschaften“ . Hätten Sie
doch wenigstens zum Beispiel Bußgelder vorgeschlagen!
Dann gäbe es für die Gaffer direkt vor Ort eine zeitnahe
Konsequenz und damit auch einen Lerneffekt und gleichzeitig für die staatlichen Behörden einen geringeren Aufwand . Aber nein! Sie wollen erneut mittels Strafrecht
Wahlkampfsignale setzen und verursachen damit einen
erheblichen zusätzlichen Aufwand für Polizei und Justiz,
der in der Praxis - wie gesagt; auch die sollte hier eine
Rolle spielen - sehr schwer zu stemmen sein wird .
Der Fairness halber möchte ich aber anerkennen, dass
der Kollege Harbarth von der CDU/CSU-Fraktion in der
ersten Lesung von einem Dreiklang gesprochen hat . Das
haben wir ja auch gehört . Neben der Verschärfung des
Strafrechts erwähnte er auch mehr Personal und eine bessere Ausrüstung bei den Sicherheitsstrukturen . Wenn er
damit mehr Personal in der Fläche und bessere Schutzausrüstung meint, ist die Linke einverstanden . Wenn
beim Personal auch Justiz und staatliche soziale Programme gemeint sind, dann ist die Linke für Vorschläge
offen, obwohl wir wissen, dass hier in erster Linie die
Länder zuständig sind .
Nur um eines möchte ich bitten: Wer wie die Union
jahrelang in Regierungsverantwortung gerade bei moderner Ausrüstung und Personalbedarf geschlampt hat,
sollte sich nicht stolz auf die Brust trommeln, wenn er
ganz langsam anfängt, die eigenen Fehler zu beheben .
Es wird dauern, bis der Investitionsstau bei der Ausrüstung abgebaut ist . Es wird dauern, bis ausreichend zusätzliches Personal bei Polizei und Staatsanwaltschaften
aufgebaut ist . Es wird vermutlich noch länger dauern, bis
insbesondere die Union erkennt, dass eben nicht Symbolpolitik im Strafrecht, sondern die Stärkung der Prävention in Ländern und Kommunen der zunehmenden
Verrohung in der Gesellschaft entgegenwirkt . Das wird
Polizeibeamten, Feuerwehrleuten und Rettungsdiensten
helfen . Wir müssen daran mit kompetenten Vorschlägen
arbeiten und überlegen, wie wir das dann gemeinsam mit
den Ländern finanziell stemmen. Da wird die Linke sehr
gerne mitmachen .
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege Tempel . - Als Nächster hat
der Parlamentarische Staatssekretär Dr . Günter Krings
für die Bundesregierung das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Am Beginn dieser Woche hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Polizeiliche Kriminalstatistik 2016 vorgestellt . Erfreulicherweise haben
wir positive, das heißt zurückgehende Zahlen in vielen
Deliktsbereichen zu verzeichnen . Zu den Bereichen mit
einem besorgniserregenden Anstieg bei den Straftaten
gehören - genauso wie in den vorangegangenen Jahren die allgemeine Gewaltkriminalität und insbesondere Gewalttaten gegen Polizei und Rettungskräfte .
({0})
Angesichts dieser Zahlen dürfen wir nicht zur Tagesordnung übergehen . Diejenigen, die für uns und unsere
Sicherheit tagtäglich ihren Kopf hinhalten, dürfen erwarten, dass wir ihnen den Rücken stärken .
({1})
Die Bundesregierung ergreift daher ein ganzes Bündel an Maßnahmen, mit denen wir Polizisten bei ihrer
schweren Arbeit unterstützen wollen sowie ihnen und
anderen Uniformträgern die Wertschätzung zuteilwerden
lassen, die sie für ihren Einsatz für Staat und Gesellschaft
verdienen . Dazu gehört in der Tat eine bessere Schutzausrüstung für die Einsatzkräfte des Bundes . Teil des
Konzepts ist auch die beschlossene Ausstattung unserer
Bundespolizisten mit Körperkameras zu ihrem Schutz
und zur Sicherung von Beweisen, um Gewalttäter besser dingfest machen zu können . In diesen Kontext gehört
auch ein Aufwuchs bei der Bundespolizei um 6 000 Stellen . Das alles sind Erfolgspunkte dieser Bundesregierung . Da, wo Sie von der Linken mitregieren, sieht es
leider ganz anders aus .
({2})
Dazu gehören ferner kommunikative und werbende
Maßnahmen, die deutlich machen, dass hinter jeder Uniform nicht nur der Staat steht, sondern dass in ihr auch ein
Mensch steckt, der Achtung und Respekt erwarten kann .
Das Bundesministerium des Innern wird daher noch in
diesem Jahr eine Kampagne für uniformierte Polizei- und
Rettungskräfte starten . Sie geht dankenswerterweise auf
eine Initiative aus der Mitte des Deutschen Bundestags
zurück . Mit der Kampagne werden wir sicherheits- und
gesellschaftspolitische Aspekte miteinander verzahnen .
Wir wollen damit aber auch dafür sorgen, dass die Missachtung staatlicher Einsatzkräfte nicht vom Rand - wo
sie heutzutage stattfindet - auf die Mitte der Gesellschaft
überspringt . Gerade aus der Zeit des großen Flüchtlingszustroms aus dem Jahr 2015 haben wir alle noch zu gut
die Bilder und die Berichte von Menschen im Kopf, die
in Deutschland oft erstmals mit Polizisten zu tun hatten,
die sie als Menschen behandelten und ihnen tatsächlich
halfen . Umgekehrt können Polizisten und andere staatliche Uniformträger das dann aber auch erwarten .
Polizei und Rettungskräfte stehen dabei nicht nur für
sich selbst, sondern auch für unseren Staat mit seiner
ganzen Ordnungs- und Sanktionsgewalt . Gerade in dieser Funktion verdienen sie Vertrauen, weil der Staat nur
durch sie verlässlich und rechtsstaatlich handeln kann .
Für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt und die
Ausübung unserer Freiheitsrechte ist es essenziell, dass
die Bürgerinnen und Bürger darauf vertrauen können,
dass sie in Deutschland sicher leben, dass ihnen in der
Not geholfen wird und dass der Staat sie erforderlichenfalls - unter Ausübung seines Gewaltmonopols - vor
rechtswidrigen Angriffen schützt.
Mit einer guten Öffentlichkeitskampagne wollen wir
das Bild festigen, dass Polizei und Rettungskräfte Garanten unserer Freiheit sind und uns helfen . Wir wollen aber
auch das Bild verankern, dass die Polizeikräfte gerade
aus diesem Grund zur Durchsetzung von Recht und Ordnung sowie zum Schutz Dritter nötigenfalls Anweisungen geben müssen oder sogar Gewalt anwenden dürfen
und erforderlichenfalls auch anwenden werden .
Meine Damen und Herren, es ist in der Tat ein Paradoxon: Allgemein sind in der breiten Masse der Bevölkerung Polizei und Rettungskräfte zu Recht hoch angesehen . Die übergroße Mehrheit der Menschen bringt
Polizisten, Feuerwehrleuten und anderen Einsatzkräften
daher den Respekt entgegen, den sie auch verdienen .
Aber ein Teil der Bevölkerung lässt genau diesen ResFrank Tempel
pekt vermissen . Er hindert die Einsatzkräfte an der Arbeit, oder er wendet gar gegen sie Gewalt an . Wir müssen und wir dürfen diesen Respekt vor dem Staat, seinen
Regeln und seinem Personal auch von der Minderheit
militanter Chaoten in unserem Lande einfordern, die
heute noch meinen, sie könnten ihre Verachtung unseres
Staates durch die Drangsalierung seiner Repräsentanten
zum Ausdruck bringen . Dagegen wollen wir ein klares
Zeichen setzen .
({3})
Ein solches Verhalten ist in jeder Hinsicht inakzeptabel . Wir werden es nicht nur mit persönlicher Schutzausrüstung - sie ist Teil des Konzepts, aber nicht nur - und
nicht nur mit Öffentlichkeitsarbeit bekämpfen, sondern
auch mit der ganzen Härte unseres Strafrechts .
Der § 113 StGB, der den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte unter Strafe stellt, hat bereits in der letzten
Wahlperiode auf Drängen des damaligen Innenministers - auch der hieß Thomas de Maizière - eine nötige
Verschärfung erfahren, und mit dem heutigen Gesetzesbeschluss, durch die Zufügung der §§ 114, 115 StGB,
sorgen wir und hoffentlich auch Sie gleich dafür, dass der
Schutz von Polizisten und Einsatzkräften auch in seinem
Anwendungsbereich erweitert wird . Für die Erarbeitung
dieses neuen Gesetzentwurfs, der eine klare rechtsstaatliche Sprache spricht, danke ich dem Bundesministerium
der Justiz und für Verbraucherschutz und den Koalitionsfraktionen sehr herzlich .
Während aufgrund des alten § 113 Strafgesetzbuch
noch vor wenigen Jahren in Teilen der Angriff auf Polizisten gegenüber allgemeinen Nötigungshandlungen
privilegiert wurde, also milder bestraft wurde, ist unser
heutiges Regelungskonzept zu Recht ein ganz anderes,
nämlich der besondere und verstärkte Schutz von Polizisten, Amtsträgern, Soldaten und anderen Einsatz- und
Rettungskräften in ihrer gesamten Tätigkeit für unser
Gemeinwesen; denn - ich betone es abschließend noch
einmal - denjenigen, die für uns tagtäglich ihren Kopf
hinhalten, wollen wir den Rücken stärken .
({4})
Vielen Dank, Herr Staatssekretär . - Als Nächste hat
die Kollegin Irene Mihalic vom Bündnis 90/Die Grünen
das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir sind uns alle einig, dass wir Gewalt
gegen Einsatzkräfte nicht hinnehmen können . Die aktuellen Zahlen - hier ist die PKS gerade mehrfach zitiert
worden - zeichnen in der Tat ein düsteres Bild . Aus den
Erfahrungen und vielen Einzelberichten ist die Dimension dieses Problems hier allen sehr bewusst . Der Dienst
an unserer Gesellschaft ist in Teilen sehr gefährlich, unabhängig davon, ob dieser Dienst auf der Straße, in der
Schule, in einer Behörde oder auch vor Gericht geleistet
wird . Das können und dürfen wir nicht hinnehmen .
({0})
Das alles ist Ausdruck einer gesellschaftlichen Situation, die wir sehr ernst nehmen müssen, zweifellos . Hier
sind wir alle gefragt, mit einer klugen Politik für einen
besseren Zusammenhalt in der Gesellschaft zu sorgen,
gegen Ausgrenzung und Gewalt zu wirken und darauf zu
achten, die gesellschaftliche Stimmung durch politische
Maßnahmen nicht noch zusätzlich anzuheizen .
Doch was tun wir nun? Bei der Expertenanhörung, die
wir zu diesem Gesetzentwurf im Rechtsausschuss hatten,
waren sich die Sachverständigen im Grunde alle einig,
dass eine höhere Strafandrohung, gerade mit Blick auf
die Taten, um die es hier geht, definitiv nichts bringen
wird .
({1})
Warum also tun Sie es? Sie, Herr Staatssekretär Lange,
und Sie, Herr Staatssekretär Krings, sagen, es gehe Ihnen
um Anerkennung und Wertschätzung . Nun, ich sage Ihnen: Wertschätzung für Einsatzkräfte, die einen wertvollen Dienst an unserer Gesellschaft leisten, lässt sich nicht
über das Strafgesetzbuch verteilen .
({2})
Sie sollten sich lieber darauf konzentrieren, für eine
gute personelle und materielle Ausstattung zu sorgen .
Herr Krings, stärken Sie diese Teile Ihres Maßnahmenbündels, das Sie vorhin vorgestellt haben . Damit tun Sie
den Einsatzkräften einen weitaus größeren Gefallen . Das
nützt der Eigensicherung der Beamtinnen und Beamten
und macht deren Job tatsächlich sicherer . Es geht eben
darum, Risiken zu vermeiden, die man auch vermeiden
kann: mit genügend Leuten vor Ort zu sein beispielsweise; Digitalfunk, der tatsächlich funktioniert,
({3})
also auch in den Gebäuden der Deutschen Bahn; Schutzausstattung, die wirklich schützt . Sie wissen alle, wovon
ich rede . Nehmen Sie die Stellungnahmen der Sachverständigen ernst, und setzen Sie sich nicht dem Vorwurf
symbolischer Gesetzgebung aus .
({4})
Dass die Täter, um die es hier geht, nicht über das
Strafgesetzbuch zu erreichen sind, das wissen Sie ganz
genau . Aber ich rufe es Ihnen auch gerne noch einmal ins
Gedächtnis: Alle Studien zu diesem Thema belegen, dass
die Alkoholisierung der Täter bei der Tatausführung eine
wichtige Rolle spielt . Auch die Gruppe der psychisch
auffälligen Personen ist hier zu beachten. Bei diesen Tätern findet doch vorher keine rationale Abwägung der
strafrechtlichen Folgen statt; das liegt doch auf der Hand .
Noch etwas spricht gegen eine weitere Strafverschärfung: Seit 1998 ist auch die versuchte einfache Körperverletzung allgemein strafbar . Damit ist die gesonderte
Strafbarkeit des tätlichen Angriffs eigentlich obsolet;
denn nahezu jeder tätliche Angriff, der die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, ist ohnehin gleichzeitig als
versuchte Körperverletzung strafbar . Ihr Gesetz ist also
auch darauf bezogen einfach überflüssig.
({5})
Das gilt auch für das, was Sie mit Ihrem Änderungsantrag erreichen wollen: Sie wollen, dass die Behinderung
von Personen, die anderen Menschen Hilfe leisten, bestraft wird . Aber auch das ist bereits heute möglich . Denn
wenn Schaulustige, die andere bei der Hilfeleistung stören, dafür nicht zur Rechenschaft gezogen werden, dann
liegt das nicht etwa an fehlenden Gesetzen, sondern dann
ist das einzig und allein ein Vollzugsproblem: Derjenige,
der nicht hilft und nicht beiseitetritt, um andere Helfer
durchzulassen, macht sich bereits nach geltendem Recht
wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar .
Besonders schwer bestraft wird außerdem, wer bei
Unglücksfällen Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder eines Rettungsdienstes durch
Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt behindert oder
sie tätlich angreift; das ist alles heute schon strafbar . Das
Vollzugsproblem erklärt sich aber auch aus den besonderen Umständen der Tat; denn Polizeikräfte, die vor Ort
sind, haben bei Unglücksfällen in aller Regel Wichtigeres zu tun, als die Personalien der Schaulustigen aufzunehmen . Da nützen aber auch die vielen neuen Gesetze
nichts, wenn die Taten nicht verfolgt werden .
({6})
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Ich finde es sehr
bedauerlich, dass Sie hier Ihre und unsere Zeit mit der
Beratung solcher symbolischen Gesetze verschwenden,
({7})
anstatt ernsthaft daran zu arbeiten, die Rahmenbedingungen für Einsatzkräfte im täglichen Dienst spürbar zu
verbessern und so für einen besseren Schutz zu sorgen .
({8})
Vielen Dank, Frau Kollegin . - Als Nächster hat das
Wort Dr . Johannes Fechner von der SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! In der Tat zeigt die schon zitierte Polizeiliche Kriminalstatistik einen erschreckenden Anstieg der Zahl
von Gewaltattacken gegen Polizisten . Der Anstieg um
10 Prozent ist erschreckend, und deshalb ist auch für uns
in der SPD-Fraktion klar: Wir müssen Polizisten besser
vor Gewaltattacken schützen .
({0})
Denn die Polizistinnen und Polizisten sind ja gerade
die, die für unsere Sicherheit und für die Sicherheit der
Bürger sorgen . Wir müssen die Gewalt gegen Polizisten
nicht nur deshalb bekämpfen, weil es hier um die Gesundheit der Bürger in Uniform, der Polizisten, geht,
nein, es geht auch darum, das Gewaltmonopol des Staates zu verteidigen und keinen Zweifel daran zu lassen,
dass wir die Organe, die die Staatsgewalt für uns ausüben, in diesen oft gefährlichen Tätigkeiten unterstützen
und schützen . Wir wollen deshalb vermehrt Bodycams
einsetzen, weil sich in den Testläufen schon jetzt gezeigt hat, dass dann Täter von Attacken ablassen, weil
sie mit ihrer Identifizierung und einer Verurteilung rechnen müssen . Wir brauchen mehr Personal . Wir haben bei
der Bundespolizei Tausende Stellen geschaffen. Auch die
nordrhein-westfälische Landesregierung zeigt vorbildliches Engagement, was die Neueinstellung von Polizisten
angeht .
Außerdem wollen wir - deswegen dieser Gesetzentwurf heute hier - den Schutz der Polizistinnen und
Polizisten durch das Strafrecht verbessern . Deswegen
erhöhen wir das Strafmaß bei Gewaltdelikten auf ein
Höchstmaß von fünf Jahren . Es ist auch richtig, dass wir
den Anwendungsbereich ausweiten, dass wir die Polizisten nicht nur schützen, wenn sie Vollstreckungshandlungen ausüben, sondern dass zukünftig bei allen Diensthandlungen tätliche Angriffe bestraft werden. Denn es
darf keinen Unterschied machen, ob ein Platzverweis
durchgesetzt wird, ob eine Verkehrskontrolle erfolgt oder
ob einfach nur auf Streife gegangen wird . Gewalt gegen
Polizisten muss generell bestraft werden .
({1})
Aber nicht nur Polizistinnen und Polizisten setzen sich
täglich, oft unter Einsatz ihrer Gesundheit, für unsere
Sicherheit ein . Deswegen war es uns wichtig, dass ausdrücklich und zur Klarstellung auch die Gerichtsvollzieher in der Gesetzesbegründung genannt sind, dass auch
diese wichtige Berufsgruppe geschützt ist .
Ein großes Anliegen war es uns in der SPD-Fraktion,
diejenigen zu schützen, die sich, oft ehrenamtlich und oft
in ihrer Freizeit, für uns, für die Allgemeinheit, einsetzen . Ich spreche von Mitarbeitern beim Roten Kreuz, im
Rettungsdienst, von Feuerwehrfrauen und Feuerwehrmännern oder auch von Mitarbeitern beim Technischen
Hilfswerk . Diese ehrenamtlichen Helfer - man glaubt es
kaum - werden zunehmend Opfer von Gewalt . Deswegen müssen wir diejenigen, die sich in ihrer Freizeit, die
sich ehrenamtlich für uns alle engagieren, besser strafrechtlich schützen . Auch dem dient dieser Gesetzentwurf .
({2})
Man kann sich auf YouTube Videos anschauen, die
zeigen, wie Retter manchmal nicht zum Unfallort kommen, weil die Rettungsgasse blockiert wird oder weil
Gaffer aus Sensationsgeilheit die Rettungswege versperIrene Mihalic
ren . Die Sanitäter müssen dann mit dem Rettungsmaterial unter dem Arm neben der Autobahn entlangrennen,
um noch Hilfe leisten zu können . Das sind unfassbare
Szenen . Deswegen ist es richtig, dass wir hier einen neuen Straftatbestand schaffen. Wer Retter behindert, der
gefährdet das Leben der Unfallopfer . Deswegen ist hier
eine Strafbarkeit gerechtfertigt, meine sehr geehrten Damen und Herren .
({3})
Nun gab es die Kritik, dass wir keinen eigenen Straftatbestand brauchen . Ja, in der Regel werden hier die Regelungen zu Körperverletzungsdelikten greifen . Aber bei
Gewalt gegen Polizisten geht es nicht nur darum, dass die
Person, der Polizist, geschützt wird; hier wird auch das
Gewaltmonopol des Staates attackiert. Deswegen finde
ich, dass die bloße Verurteilung wegen einer Körperverletzung das Unrecht nicht ausreichend zum Ausdruck
bringt . Deswegen ist ein solcher Straftatbestand gerechtfertigt .
({4})
Ich möchte noch darauf verweisen, dass wir eine
wichtige Regelung im Opferentschädigungsgesetz getroffen haben, nämlich dass Polizisten, die attackiert wurden und ihre Ansprüche nicht geltend machen können,
weil bei den Tätern oft nichts zu holen ist, eine staatliche
Entschädigung bekommen . Ich glaube, auch das war eine
wichtige Maßnahme .
Zum Schluss möchte ich noch einmal unterstreichen,
dass Polizisten und Rettungskräfte eine wichtige Arbeit
für uns alle, für die Sicherheit bei uns leisten . Tun wir
deshalb alles uns Mögliche, damit diese Menschen besser geschützt sind!
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege . - Als nächster Redner
spricht Dr . Volker Ullrich von der CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mit der zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfs zum Schutz von Vollstreckungsbeamten
geben wir die rechtsstaatlich gebotene Antwort auf die
Zunahme der Zahl von Gewaltdelikten gegen Polizisten,
Rettungskräfte und Feuerwehrleute . Der § 113 Strafgesetzbuch wird geändert . Er schützt die Vollstreckungshandlung, und der tätliche Angriff gegen Personen aus
dieser Personengruppe wird in dem neuen § 114 des
Strafgesetzbuches geregelt und mit einer höheren Strafdrohung versehen .
Das ist eine gesetzliche Maßnahme, die notwendig
ist, weil dieser Rechtsstaat nicht bereit sein darf, die Respektlosigkeit und die zunehmende Gewalt gegen Polizeibeamte und Rettungskräfte hinzunehmen . Es ist die
deutliche Absage an Gewalt und Respektlosigkeit .
({0})
Ich habe von Ihnen gehört, Frau Kollegin Mihalic:
Verschwenden Sie nicht unsere Zeit mit diesem Gesetzentwurf!
({1})
Ich frage Sie, ob Sie diesen Satz auch Polizisten ins Gesicht sagen würden, die Tag und Nacht im Schichtdienst
den Kopf für unsere Sicherheit hinhalten .
({2})
Sie, meine Damen und Herren, haben den Sinn und
Zweck dieses Gesetzentwurfs nicht verstanden . Polizeibeamte werden nicht allein als Individualpersonen angegriffen; der Angriff gilt ihnen als Repräsentanten des
staatlichen Gewaltmonopols und unserer Rechtsordnung,
und darauf reagieren wir .
({3})
Natürlich haben Polizeibeamte bereits jetzt einen umfassenden strafrechtlichen Schutz durch die Regelungen
zu Beleidigungs- und Körperverletzungsdelikten .
({4})
Das stellt niemand in Abrede .
({5})
Aber Sie verkennen, dass Polizeibeamte im Einsatz einer
besonderen Gefahrensituation ausgesetzt sind .
({6})
Sie können der Situation nicht ausweichen . Sie sind aus
beruflichen Gründen zur Gefahrtragung verdonnert. Deswegen haben sie auch einen besseren gesetzlichen Schutz
verdient . Den lassen wir ihnen mit diesem Gesetz zuteilwerden .
({7})
Ich möchte daran erinnern, dass es nach unserem Verständnis kein Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Bürger und Staat gibt . Unsere Polizei begegnet
den Bürgern durch einen offenen Umgang ja gerade auf
Augenhöhe. Und gerade weil die Polizei einen offenen
Umgang pflegt, müssen wir Polizeibeamte im Dienst
auch besser schützen . Das ist die Kehrseite einer demokratischen und offenen Polizei.
({8})
Ich habe mich, meine Damen und Herren, neulich mit
einem jungen Polizeibeamten unterhalten,
({9})
der mir von seinen Streifengängen und Schichtdiensten
in der Nacht in der Nähe des Hauptbahnhofes und an
einigen Brennpunkten erzählt hat . Ich habe ihn gefragt,
was denn die Politik für ihn tun könnte .
({10})
Er hat mir geantwortet, dass er gerne Schichtdienst macht
und den Kopf hinhält . Für ihn wäre aber ein deutliches
Zeichen wichtig, dass die Politik hinter ihm steht .
({11})
Mit diesem Gesetz
({12})
werden wir deutlich machen, dass sich die Polizisten,
Feuerwehrleute und Rettungskräfte auf die Union und
diese Koalition verlassen können, meine Damen und
Herren .
({13})
Auf uns verlassen können sollen sich auch die Rettungskräfte wie zum Beispiel Sanitäter .
({14})
- Herr Kollege Dr . von Notz, ich weiß, dass gute Argumente manchmal wehtun können .
({15})
Im Augenblick geht es darum, dass wir auch unsere Rettungskräfte schützen, die oftmals nach Feierabend in ihrer Freizeit bei Großveranstaltungen, aber auch bei ganz
normalen Einsätzen ehrenamtlich bzw . unbezahlt zur
Stelle sind, wenn Menschen verletzt worden sind . Auch
sie haben unseren Schutz verdient .
Wer spürbar und nicht unerheblich eine Rettungshandlung behindert, wer im Krankenhaus Ärzte und Krankenhauspersonal behindert und wer, obwohl er es könnte,
eine Rettungsgasse nicht freimacht, muss mit der strafrechtlichen Antwort dieses Staates rechnen, weil wir die
Gefährdung von Menschenleben in Rettungssituationen
nicht dulden und akzeptieren wollen . Deswegen haben
wir einen neuen § 323c StGB geschaffen, der genau diese
Situation zum Schutz der Rettung von Menschen - und
aus keinem anderen Grund - regelt .
({16})
Meine Damen und Herren, Respekt für unsere Polizei, für Feuerwehr und Rettungskräfte lässt sich natürlich
nicht allein durch das Strafrecht erzielen .
({17})
Wir brauchen neben einer strafrechtlichen Lösung auch
eine bessere Ausstattung und mehr Stellen bei der Polizei
dort, wo es notwendig ist .
({18})
Der bessere strafrechtliche Schutz aber ist ein wichtiges
Zeichen auch für die Haltung dieses Staates,
({19})
dass wir Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungskräfte
nicht allein lassen und dass wir bei ihrem schwierigen
Dienst für Demokratie und unsere Rechtsordnung an ihrer Seite stehen . Deswegen kann ich Ihnen nur zurufen:
Unterstützen Sie diesen Rechtsstaat durch ein Ja zu diesem Gesetz .
Vielen Dank .
({20})
Vielen Dank, Herr Kollege . - Als Nächste spricht die
Kollegin Bettina Bähr-Losse von der SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Jeder Mensch
verdient Respekt - übrigens auch die Kolleginnen und
Kollegen, die hier vorne stehen und reden . Jeder hat ja
hier die Möglichkeit, seine Meinung kundzutun . Deswegen fände ich es eigentlich ganz gut, wenn wir uns nicht
immer extrem ins Wort fallen würden .
Respekt verdienen aber insbesondere Polizistinnen
und Polizisten, andere Vollstreckungsbeamte sowie Rettungskräfte in Ausübung ihres Dienstes . Denn es handelt
sich um Menschen, die nicht wie Sie und ich frei wählen und entscheiden können, ob sie sich in gefährliche
Situationen begeben wollen oder eben nicht . Vielmehr
verlangt ihre Arbeit gerade auch das von ihnen . Und sie
tun das in unser aller Interesse als Repräsentanten der
staatlichen Gewalt .
Genau das ist es, was den Unterschied zu einem Angriff auf eine Individualperson ausmacht. Es ist also folgerichtig, einen tätlichen Angriff auf einen Repräsentanten des Staates stärker zu bestrafen als den Angriff auf
eine Individualperson. In diesem Zusammenhang finde
ich es auch richtig, dass künftig - so jedenfalls unser
Wunsch - jede Diensthandlung geschützt wird - und
nicht nur die, die unmittelbar in Verbindung mit einer
Vollstreckungshandlung steht .
Widerstandsdelikte gegen Polizisten und andere Vollstreckungsbeamte hat es auch früher schon gegeben . Leider übertreibe ich aber wohl nicht, wenn ich sage, dass
es in unserer Gesellschaft nicht nur eine Verrohung und
Enthemmung in der mündlichen und schriftlichen Kommunikation gibt, sondern leider auch durch ein zum Teil
schlagkräftiges Handeln gegenüber Menschen, die den
Staat repräsentieren, oder gegenüber jenen, die anderen
Hilfe leisten wollen .
Mit Letztgenannten sind Rettungsdienste, aber beispielsweise auch Hilfskräfte - wir haben es schon gehört - des Katastrophenschutzes und der Feuerwehr
gemeint . Bisher war die Behinderung, zum Beispiel von
Rettungsdiensten, nur strafbewehrt, wenn sie durch Gewalt, Drohung mit Gewalt oder einen tätlichen Angriff
erfolgte . Der Katastrophentourist, der die Rettungs- und
Aufräumarbeiten behinderte, und auch der Schaulustige,
der dem Notarzt und anderen zu Hilfe eilenden Personen im Weg stand und eine Hilfeleistung verzögerte oder
behinderte, konnten nicht bestraft werden . Wir müssen
leider feststellen, dass diese Arten von Behinderungen
ebenfalls zugenommen haben . Es darf daher auch nicht
verwundern, dass in der öffentlichen Anhörung deutlich
wurde, dass die Behinderung von Rettungsmaßnahmen
strafrechtlich sanktioniert werden muss, und zwar unabhängig davon, auf welche Weise diese Behinderung geschieht, und unabhängig davon, ob die hilfeleistende Person zu dem von § 115 Absatz 3 Strafgesetzbuch erfassten
Personenkreis, also Polizei und Rettungskräfte, gehört .
({0})
Aus diesem Grund soll in § 323c Absatz 2 Strafgesetzbuch die Behinderung von Personen unter Strafe gestellt
werden, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr
oder Not Dritten Hilfe leisten oder leisten wollen . Damit erweitert die Vorschrift den Schutz für uns alle vor
Gefahren durch eine verzögerte oder verhinderte Hilfeleistung . Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt diese
neue Sanktionsmöglichkeit ausdrücklich, und ich ganz
persönlich erachte es als ausgesprochen wichtig, dass der
Gesetzgeber deutlich aufzeigt, dass er die zunehmende
Gewalt gegen Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste
und die Behinderung von Rettern ernst nimmt und weiter gehend sanktioniert als bisher . Ich verstehe dieses
Gesetz als Signal an unsere Vollstreckungsbeamten und
Rettungskräfte: Wir stehen hinter euch! Wir wertschätzen und respektieren die Arbeit von Polizei, Feuerwehr
und Rettungsdiensten, ihren Dienst für uns alle . In diesem Sinne bitte ich um Unterstützung für das Gesetz zur
Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und
Rettungskräften .
Vielen Dank .
({1})
Vielen Dank, Frau Kollegin . - Als letztem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Armin Schuster von der
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Kollegin Bähr-Losse und viele Vorredner
haben, glaube ich, selbst den Grünen und Linken juristisch sehr gut erklären können, warum das ein sehr gutes
Gesetz ist .
({0})
- Doch, da bin ich ganz sicher .
({1})
Ich bedanke mich, dass ich als Innenpolitiker diese
Debatte in dem fachfremden Ressort Justiz abschließen
darf . Wir fühlen uns als gemeinsames Team .
Ich möchte den Grünen recht geben .
({2})
In diesem Gesetzentwurf steckt neben den vielen richtigen rechtlichen Dingen, die wir gemacht haben, ein gutes Stück Haltung und Körpersprache dieses Staates . Das
soll eine Signal- und Symbolwirkung haben, nämlich:
Null Toleranz gegenüber Angriffen auf den Staat.
({3})
Dass das nach Ihrer Meinung Symbolpolitik ist, finde ich
ein gutes Zeichen . Insofern haben Sie uns eigentlich nur
bestärkt . Sie haben verstanden, was wir wollen:
({4})
Wer den Staat angreift, wer die Regeln nicht einhalten
will, wer die Repräsentanten des Staates angreift, wird,
mindestens aus Sicht der Union und der SPD, nicht auf
Verständnis stoßen, sondern auf das Gegenteil .
({5})
Meine Damen und Herren, vor allem von den Linken und den Grünen, ich gebe Ihnen recht, dass man mit
Präventionsinstrumenten gegen Gewalt und Kriminalität
vorgehen muss .
({6})
Ich gebe Ihnen nicht recht, dass das ein Allheilmittel ist .
({7})
- Doch, Sie haben nämlich keine anderen Angebote in
Ihrer Rede gemacht .
({8})
Sie haben keine Angebote und keine Lösungsvorschläge
gemacht, wie Sie vorgehen würden .
({9})
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tempel zu?
Meine Damen und Herren, mit allem Respekt vor den
Sachverständigen:
({0})
Es gibt Täter, bei denen Prävention nicht wirkt .
Herr Kollege, lassen Sie die Zwischenfrage des Kollegen Tempel von der Fraktion Die Linke zu?
Ich führe noch den Gedanken zu Ende . - Es gibt Täter,
bei denen weder Prävention noch Deeskalation wirken,
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wirkt auch keine Symbolpolitik!
sondern nur eine einzige Sprache: eine kompromisslos
konsequente Haltung des Staates, die die Regelhüter einnehmen müssen .
({0})
Und das möchte die Union: Wir möchten eine kompromisslos konsequente Haltung .
Jetzt mache ich Ihnen noch den Unterschied zwischen
Körperverletzung und dem neuen § 114 Strafgesetzbuch
klar, den Sie nicht verstehen . Dass Ihnen das ein Innenpolitiker erklären muss, ist komisch . Wir haben folgenden Einstieg gewählt: Wer rempelt oder tätlich angreift,
wird dafür mit Freiheitsstrafe rechnen müssen . Das ist
ein ganz starkes Signal eines starken Staates . Bei der
Körperverletzung läuft es eventuell auf eine Geldbuße
hinaus . So hätten Sie es gerne, wir nicht . Wer einen Polizisten anrempelt oder tätlich angreift, geht künftig mit
Freiheitsstrafe nach Hause .
({1})
Das ist das Signal, was wir senden müssen und wollen,
meine Damen und Herren .
({2})
Jetzt kann Herr Tempel fragen .
Herr Kollege Schuster, wir kommen beide aus dem
Polizeidienst .
Nein, ich bin Bundestagsabgeordneter .
Insofern bin ich solidarisch und will noch einmal helfen .
Es ist natürlich kein Allheilmittel, hier mit präventiven Mitteln zu arbeiten . Deswegen habe ich auch eine
ganze Reihe von Mitteln angesprochen, auf die Sie in
Ihrer Antwort gerne noch einmal eingehen können . Wir
haben eben gesagt, dass es hauptsächlich an den fehlenden Ressourcen liegt, dass es nach ersten Straftaten eine
Konsequenzenlosigkeit gibt . Kein Gewalttäter fällt vom
Himmel, sondern es ist eine Entwicklung, in die wir lange
Armin Schuster ({0})
nicht eingreifen . Es gibt auch keine sozialen Reaktionen
des Staates mit entsprechend geschultem Personal . Das
ist eine Baustelle . Es wird seit Jahren angesprochen, dass
der Staat viel zu spät reagiert . Das war eine Möglichkeit .
Ich habe auch die personellen Ressourcen bei der
Staatsanwaltschaft angesprochen . Ich bin nach der ersten Lesung auf Vorschläge Ihrer Fraktion eingegangen .
Ich habe gesagt: Selbstverständlich reden wir beim Thema Personal und beim Thema Ausrüstung mit . Auch das
habe ich angesprochen .
({1})
Wenn Sie aufmerksam und konzentriert zugehört hätten, dann müssten Sie doch mitbekommen haben - dass
ich nur ein Beispiel herausgegriffen habe, das war die
Prävention; weil ich in der Opposition bin, habe ich nur
fünf Minuten Redezeit -, dass ich aber mehrere Sachen
angesprochen habe,
({2})
die sich zum Teil mit Ihren Vorschlägen decken . Ich habe
angeboten, dass wir darüber diskutieren . Meine Rede endete mit der Ausführung, dass wir sehr gerne bereit sind,
bei allen tatsächlich wirkungsvollen Mitteln zur Senkung der Gewalt - auch gegen Polizeibeamte, aber nicht
nur - mitzudiskutieren . Wir wollen keine Placebos, die
niemandem helfen; das Strafrecht eignet sich nicht für
Symbolpolitik .
({3})
Herr Tempel, ich kann das eine tun, ohne das andere
zu lassen .
({0})
Ihre Rede begann mit den Worten: Wir müssen uns mit
dem gesamten Problem der Gewaltkriminalität - sie erfährt eine große Steigerung, 6,7 Prozent; das ist gewaltig in einem Jahr - auseinandersetzen . Das ist aber nicht
Gegenstand dieser Debatte . Gegenstand dieser Debatte
ist: Was tun wir, wenn Täter Vollstreckungskräfte, Rettungsdienstler, Ehrenamtler in Ausübung ihres Dienstes
angreifen, verletzen?
({1})
Für die Zuschauer: Es gab 67 114 verletzte Polizeibeamte
im Jahr 2016 . Was tun wir mit den Tätern? Nur darum
geht es jetzt .
({2})
Jetzt kommt der diametrale Unterschied zwischen uns
beiden: Ich glaube felsenfest daran, dass der Warnschuss,
den der neue § 114 Strafgesetzbuch abgibt - die Androhung einer Freiheitsstrafe -, eine enorme Wirkung erzielt,
({3})
und zwar dann - jetzt kommt der Appell an die deutschen
Polizeibehörden -, wenn wir erstens alles konsequent zur
Anzeige bringen,
({4})
wenn zweitens die Staatsanwaltschaft - es gibt mittlerweile gute Beispiele in der Republik; Herr Fechner hat
eines in seiner Nähe; die Staatsanwaltschaft Offenburg
wirbt dafür - konsequent jede Anzeige zur Anklage
bringt und die Richter drittens konsequent aburteilen .
Meine Damen und Herren, wenn die Sanktionskette erst der Angriff auf einen Staatsdiener, dann die Aburteilung und das Ableisten des Strafvollzugs - wirkt,
({5})
dann ist das das große Signal, das von diesem § 114 Strafgesetzbuch ausgeht . Ich verspreche Ihnen: Dann sinken
die Zahlen .
({6})
Im Übrigen kommen Sie mir mit Ihren Vorschlägen
vor wie meine Mutti: Egal mit welcher Verletzung ich
heimkam, sie hatte immer Mobilat bereit, aber geholfen
hat es nie . Es tut mir leid .
({7})
Wir machen Vorschläge, die helfen . Noch einmal eine
Idee, Herr Dr . von Notz:
({8})
Sie können Wirkungsanalysen über Politik machen .
Schauen Sie sich die Polizeiliche Kriminalstatistik einmal an . Wo sind denn die sichersten Bundesländer in
Deutschland?
({9})
Sie sind dort, wo CDU- und CSU-Innenminister regieren
und eine klare Sprache sprechen .
({10})
Das ist eine klare Sprache, das sind klare Gesetze .
({11})
- Ich habe mir vorgenommen, diese Debatte friedlich zu
Ende zu bringen .
Herr Kollege Schuster, der Kollege Ströbele von
Bündnis 90/Die Grünen drängt darauf, Ihnen eine Frage
zu stellen .
({0})
Gerne . - Habe ich eigentlich noch Redezeit, oder bin
ich schon drüber?
Noch 1 Minute und 15 Sekunden .
Ich kann ja mein Manuskript verschenken oder so .
Danke . - Herr Kollege Schuster, wir verlassen vielleicht für einen Augenblick Ihren Wahlkampf und kommen auf die konkreten Sachverhalte zurück . Sie haben
von 67 000 Verletzten gesprochen . Vorhin haben wir
schon die Zahl von über 40 000 angezeigten Straftaten
gehört . Können Sie denn auch hinzufügen, in wie vielen Fällen die Täter dingfest gemacht werden konnten,
festgestellt werden konnten? Daraus ergibt sich nämlich,
dass das eigentliche Problem nicht die Frage der Strafbarkeit ist - nach allgemeinem Strafrecht, nach § 113 StGB,
ist es sowieso heute schon strafbar -, sondern es ein Vollzugsproblem gibt .
Sie als Polizeibeamter müssen doch wissen, dass es
sehr schwierig ist, sich während einer polizeilichen Maßnahme oder in einem Unglücksfall dann auch noch um
die Leute zu kümmern, die etwa einen Polizisten angerempelt haben, beleidigt haben oder etwas Ähnliches getan haben - ganz abgesehen davon, dass das alles nichts
hilft, wenn ein Polizist beispielsweise alleine auf Streife
ist, weil es zu wenige Polizeibeamte gibt, um Doppelstreifen zu besetzen . Da liegt das Problem .
Herr Kollege Ströbele, Sie geben jetzt schon zu, dass
das ziemlich schwache Argumente sind,
({0})
wenn Sie von der eigenen Ohnmacht sprechen, es versuchen zu wollen .
({1})
Ich werbe ungerne mit irgendwelchen individuellen
Maßnahmen aus irgendwelchen Wahlkreisen und lasse
es auch jetzt . Aber ich kann Ihnen eines versichern: Ich
könnte Ihnen auf der Stelle einen Polizeipräsidenten benennen, der seine Mitarbeiter mit Einsatzleitlinien, in denen er eine ganz niedrige Toleranzschwelle festlegt, dazu
anhält, konsequent jede Beleidigung, jedes Rempeln, jeden Angriff anzuzeigen.
({2})
Jetzt sage ich mal, weil es nicht mein Wahlkreis ist - der
rechtspolitische Sprecher der SPD nimmt mir das bestimmt nicht übel; es ist in seiner Nähe -: Die Staatsanwaltschaft Offenburg klagt konsequent bei jeder dieser
Straftaten an, sorgt für eine beschleunigte Behandlung
und beantragt von vornherein einen höheren Strafrahmen, und sie schafft es.
({3})
Ich gebe zu, dass man damit neue Prioritäten setzt .
Das ist das Signal, das von diesem Gesetz ausgehen soll:
Der Staat sendet ein Signal der Nulltoleranz . Für die Umsetzung sind die Polizei, die Staatsanwaltschaft und das
Gericht verantwortlich .
({4})
Wer das will, wer eine Politik wie in Bayern oder Baden-Württemberg will - Sie wissen, wer da regiert -,
({5})
der kriegt jetzt eine Chance . Wer es nicht will, muss halt
damit leben, so wie Nordrhein-Westfalen . Tut mir leid,
ich kann es nicht anders sagen - da ist es halt so, wie es
ist .
Ich bin der Überzeugung, meine Damen und Herren:
Wenn Sie diesem Gesetz zustimmen, machen Sie zum
ersten Mal in Ihrem Leben etwas Gescheites .
({6})
Beweisen Sie mal, dass Sie in der Innenpolitik Mumm
haben .
({7})
Das wäre mal ein Signal der Grünen .
Letzter Satz . Herr Dr . von Notz, ich wäre unglaublich
froh, wenn Sie im nächsten Bundestag noch vertreten
wären - da kann man ja Zweifel haben - und die ChaoArmin Schuster ({8})
ten rechts von uns, die eventuell reinwollen, nicht reinkämen .
({9})
Aber dafür müsst ihr mal eure Frau und euren Mann in
der Innenpolitik stehen .
({10})
Das gilt es zu tun, und wir tun das .
Es war die Legislaturperiode der inneren Sicherheit in
diesem Land - da werden Sie keine vergleichbare finden.
Dank an die SPD . Und: Ich stehe gerne für Beratungen
zur Verfügung .
Danke .
({11})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches - Stärkung des
Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften . Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12153, den Gesetzentwurf der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/11161
in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Das sind die
SPD-Fraktion und die CDU/CSU-Fraktion . Wer stimmt
dagegen? - Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die
Linke . Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen der SPD-Fraktion
und der CDU/CSU-Fraktion angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis
angenommen .
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem
Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des
Strafgesetzbuches - Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften . Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12153, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/11547 für erledigt zu erklären . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gibt es Enthaltungen? - Gegenprobe! - Die Beschlussempfehlung
ist einvernehmlich angenommen .
({0})
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise
Amtsberg, Omid Nouripour, Volker Beck ({1}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen
Drucksache 18/12099
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
Luise Amtsberg von Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Gäste! Eigentlich wollten wir heute in
diesem Parlament über unseren Antrag, den Nachzug
der Familien geflüchteter Menschen nach Deutschland
wieder zu ermöglichen, diskutieren . Dass es dazu nicht
kommt, haben wir tragischerweise der SPD zu verdanken, die aus wahltaktischen Gründen die Beratung hier
blockiert. Offenbar fürchtet sie sich, hier im Bundestag
öffentlich Farbe zu bekennen und öffentlich zuzugeben,
dass sie weiter an ihrem Gesetz, mit dem geflüchtete Familien dauerhaft voneinander getrennt werden, festhalten
will . Ich kann Ihnen nur sagen: Jeder Tag des Wartens
und jeder Tag der Trennung ist für diese Familien ein Tag
zu viel .
({0})
Und ich sage Ihnen auch: Sie werden nicht umhinkommen, hier in diesem Parlament zu entscheiden, ob Sie in
dieser Frage mit uns sind oder gegen uns sind, liebe SPD .
({1})
In der heutigen Debatte geht es um die Afghanistan-Politik dieser Bundesregierung, die trotz weiter steigender Zahlen ziviler Opfer an Abschiebungen nach Afghanistan festhält . Sie beruft sich dabei auf vermeintlich
sichere Gebiete, die sie selbst aber nicht klar benennen
kann .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, erst vergangenen
Freitag sind bei einem Taliban-Angriff auf eine Militärbasis in der nordafghanischen Provinz Balkh mindestens
140 Soldaten ums Leben gekommen . Die Sicherheitslage
in Afghanistan ist so schlecht wie schon lange nicht mehr .
Und während die Bundeskanzlerin nach diesem Blutbad noch kondoliert, verteidigt Außenminister Gabriel,
ohne überhaupt Bezug auf den Anschlag zu nehmen, die
nächste Sammelabschiebung nach Afghanistan . Mich,
uns lässt das sprachlos zurück . Das hat weder etwas mit
respektvollem Umgang auf Augenhöhe mit der afghaniArmin Schuster ({2})
schen Regierung zu tun, noch wird es unserer außenpolitischen Verantwortung gegenüber diesem Land gerecht .
({3})
Ich sage es ganz deutlich: Es darf nicht sein, dass nach
so einem massiven Anschlag die erste Amtshandlung der
Bundesregierung ist, erneut eine Chartermaschine zu buchen, damit abgeschoben werden kann . Wie sollen wir
der Bundesregierung vor diesem Hintergrund ernsthaft
abnehmen, dass sie die Sicherheitslage täglich prüft und
tatsächlich einschätzen kann? Das geht sogar so weit,
dass sich in den Antworten auf unsere Frage, aus welchen
afghanischen Provinzen die Abgeschobenen kommen,
iranische Provinzhauptstädte finden. So viel zum Thema
Kenntnis. Ich finde, das zeugt von großer Unkenntnis,
aber auch von Ignoranz .
({4})
Deswegen fordern wir in unserem Antrag, dass Außenminister Gabriel seine Sicherheitseinschätzung ändert
und endlich die Erkenntnisse und Einschätzungen der
Akteure vor Ort mit einbezieht .
Selbst unsere Bundeswehr wertet den Angriff auf das
afghanische Militärlager als weiteres Zeichen einer verschlechterten Sicherheitslage, nachdem bereits das Generalkonsulat 2016 in Masar-i-Scharif schließen musste .
Der UNHCR macht unmissverständlich klar, dass das
gesamte Staatsgebiet Afghanistans von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt betroffen ist und man aufgrund der sich ständig ändernden Sicherheitslage eben
keine sicheren und unsicheren Regionen ausmachen
kann .
({5})
Abschiebungen sind eines der sensibelsten Themen
in der Asylpolitik . Deshalb haben wir, die grüne Fraktion, in einer Kleinen Anfrage nach den Umständen der
Abschiebungen nach Afghanistan gefragt . Die Antworten der Bundesregierung sind teilweise flapsig, vor allen
Dingen aber auch schockierend . So werden wichtige
medizinische Informationen über die Betroffenen nicht
übermittelt . Es sind reine Zufälle, wenn Mitarbeiter der
Ausländerbehörden dem mitfliegenden Arzt Infos oder
Medikamente zustecken . Über den Verbleib der Abgeschobenen hat die Bundesregierung keinerlei Kenntnisse . Es ist noch nicht einmal sichergestellt, dass die Abgeschobenen ihren wenigen Besitz mitnehmen können
oder Pässe haben . Die einzelnen Flüge sind extrem teuer .
So kostet ein Flug mindestens 300 000 Euro . Ich sage
an dieser Stelle aus voller Überzeugung: Dieses Geld
wäre sinnvoller in der Integrationsarbeit hier in Deutschland oder im Aufbau von Infrastruktur für die freiwillige
Rückkehr nach Afghanistan eingesetzt .
({6})
Es ist mitnichten so, wie uns die Generalsekretärin der
SPD, Katarina Barley, heute in der Presse glauben machen will, dass es sich bei den Abgeschobenen nur um
schwere Straftäter handelt . Ich nenne Ihnen einen Fall,
der beispielhaft ist für den Großteil der bislang abgeschobenen Afghanen: Ein 23-jähriger Afghane, der als
Minderjähriger in Deutschland Schutz suchte und seit
fast sieben Jahren in München lebt, mit einer Deutschen
verlobt ist, seit Jahren fest angestellt seinen Lebensunterhalt selbst verdient, nie straffällig geworden ist, wurde
von der Arbeitsstelle in die Abschiebehaft nach Mühldorf
verbracht und am vergangenen Montag nach Kabul abgeschoben . - Solche Fälle belasten auch die vielen in der
Flüchtlingsarbeit engagierten Menschen . Sie haben alles
getan, um die Menschen bei uns gut und schnell zu integrieren . Nun müssen sie denen, die ebenfalls alles getan
haben, um hier auf eigenen Beinen zu stehen, erklären,
warum sie nach so vielen Jahren abgeschoben werden .
Ich finde, das geht überhaupt nicht.
({7})
Gut integrierte Menschen werden in ein unsicheres
Land abgeschoben, mit mehr als drei Bundespolizisten an der Seite . Ich weiß nicht, aber was ist das anderes als populistischer Wahlkampf auf dem Rücken von
Schutzsuchenden? Wir fordern deshalb in unserem Antrag das Einvernehmen des Bundesinnenministeriums
zur Verlängerung des Abschiebestopps, eine Aussetzung
der gemeinsamen deutsch-afghanischen Erklärung zur
Rückführung, keine Widerrufe von Anerkennungen oder
Abschiebeschutzentscheidungen bei afghanischen Geflüchteten durch das Bundesamt, wie es derzeit passiert,
und schlussendlich eine der Sicherheitslage in Afghanistan angemessene Entscheidungspraxis des Bundesamtes;
denn nur so sieht eine würdige und humane Asylpolitik
gegenüber diesem Land aus .
Herzlichen Dank .
({8})
Vielen Dank, Frau Kollegin . - Als Nächste hat das
Wort die Kollegin Andrea Lindholz von der CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ja, Afghanistan ist ein sehr armes Land, und es befindet
sich seit Jahrzehnten nicht im Friedenszustand . Afghanistan ist aber leider kein Einzelfall . Es leben heute laut
Weltbank 2 Milliarden Menschen in Ländern, die unter
Konflikten, unter Gewalt, unter schwacher Staatlichkeit
leiden, und 80 Prozent aller humanitären Not in der Welt
wird von Konflikten verursacht. Es ist besonders traurig,
dass dieselben zehn Konfliktherde, die heute 95 Prozent
der Flüchtlinge weltweit verursachen, schon vor 25 Jahren existiert haben. Afghanistan ist einer dieser Konfliktherde . Der Sudan, Eritrea, die Demokratische Republik
Kongo und Myanmar sind weitere .
In Afghanistan engagiert sich Deutschland besonders
stark . Wir sorgen dort seit 15 Jahren mit der Bundeswehr
für mehr Sicherheit . Wir haben erst im Dezember 2015
unser Bundeswehrmandat mit Zustimmung von Teilen
der Fraktion der Grünen verlängert . Wir haben in den
letzten drei Jahren viel in die Krisenhilfe dort investiert .
Allein für die kommenden drei Jahre sind es 1,7 Milliarden Euro .
Die Frage, die sich heute stellt, ist, liebe Frau Kollegin
Amtsberg, ob es gerechtfertigt ist, wegen des neuerlichen
Anschlags einen vollständigen Rückführungsstopp, einen vollständigen Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan auch politisch zu vertreten .
({0})
Auch nach meinen zwei neuerlichen Anfragen an das
Auswärtige Amt ergibt sich keine neue, keine andere
Einschätzung der Sicherheitslage .
({1})
Afghanistan ist ein Land, das doppelt so groß wie
Deutschland ist . Dort leben 33 Millionen Menschen .
Es gibt Gebiete, in denen auch nach Ausführungen des
UNHCR keine bewaffneten Konflikte und keine konfliktbezogene Binnenvertreibung stattfinden. Auch die
Internationale Gesellschaft für Menschenrechte sagt,
dass es für die zivile Bevölkerung in Teilen Afghanistans
Gebiete gibt, in denen die Menschen sicher sind .
({2})
Das ist der Grund, warum wir uns nach wie vor nicht
für einen vollständigen Abschiebestopp mit Blick auf Afghanistan einsetzen . Das wäre das falsche Signal .
({3})
Wir sind der Auffassung - dieser Auffassung waren wir
schon die ganze Zeit -, dass es immer um eine sorgfältige
Einzelfallprüfung gehen muss .
Genau das steht auch auf Seite eins des Berichtes des
UNHCR .
({4})
Manchmal schadet es nicht, wenn man einen Bericht
vollständig liest . Genau das ist auch die Praxis, die in
Deutschland erfolgt: Jeder Einzelfall wird geprüft . Wenn
Abschiebungen und Rückführungen erfolgen, werden alleinstehende junge Männer und Straffällige abgeschoben
und keine Familien .
({5})
Dazu können Sie sich die Zahlen aus dem letzten Jahr
und aus diesem Jahr ansehen . Diese legen eindrucksvoll
dar, wie vorsichtig Deutschland, die Bundesregierung,
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die
zuständigen Rückführungsbehörden sind . Im Jahr 2016
hatten wir 25 000 abgelehnte Asylbewerber aus Afghanistan . Von diesen sind nur 67 Menschen zurückgeführt
bzw . abgeschoben worden . Im Jahr 2017 hatten wir bis
Ende Februar 12 800 vollziehbar Ausreisepflichtige. Davon sind nur 72 Personen zurückgeführt worden, weil
eben jeder Einzelfall genau betrachtet wird . Das ist für
uns auch weiterhin der Maßstab im Umgang mit Rückführungen nach Afghanistan .
({6})
Im letzten Jahr sind 3 300 Menschen freiwillig nach
Afghanistan zurückgekehrt . Wir haben die Rückführungshilfen des Bundes auf 90 Millionen Euro aufgestockt . Das muss der richtige Weg sein . Wir können in
diesen Fällen nicht pauschal sagen: Wir setzen die Rückführung grundsätzlich aus . - Wir müssen uns auch immer
überlegen, was das für ein Signal senden würde . Wollen
wir nach Afghanistan das Signal senden, dass alle jungen
Männer - diese sind teilweise gut ausgebildet - dieses
Land verlassen sollen?
({7})
Es ist auch Aufgabe der Afghanen, in ihrem Land für
bessere Verhältnisse zu sorgen . Die Probleme Afghanistans können wir nicht allein und ausschließlich hier bei
uns in Deutschland lösen .
({8})
Die Asylanerkennungsquote für Afghanen in Deutschland liegt bei knapp 50 Prozent . In anderen europäischen Ländern liegt sie durchschnittlich bei nur knapp
32 Prozent . Länder wie die Niederlande, Großbritannien,
Schweden, Dänemark und Norwegen führen wesentlich
mehr Menschen nach Afghanistan zurück, als wir das im
Jahr 2016 und auch im Jahr 2017 getan haben .
({9})
Liebe Frau Kollegin, Sie haben gerade Einzelschicksale, Einzelfälle und deren Bleibeperspektiven angesprochen . Dazu sage ich: Wir haben mit dieser Koalition in
den letzten anderthalb, zwei Jahren sehr viel gemacht,
um insbesondere Härtefälle abzufedern . Einen Fall haben
Sie gerade genannt . Wir haben dafür Sorge getragen, dass
es bessere Bleibeperspektiven für die Menschen gibt,
die - je nachdem, ob sie Familie haben oder nicht - sechs
oder acht Jahre hier sind, die für ihren Lebensunterhalt
weitestgehend selber aufkommen können, eine Ausbildung gemacht haben oder eine Arbeitsstelle haben . Diese
Menschen können einen Anspruch auf ein Bleiberecht
erwirken, wenn sie sich entsprechend anstrengen .
({10})
Wir haben mit der Drei-plus-zwei-Regelung im Bereich der Ausbildungsverhältnisse Ausnahmen geschaffen . Wenn wir uns überhaupt einen Vorwurf machen müssen, dann den, dass wir falsche Signale gesendet haben,
nach Deutschland zu kommen . Es gibt viele junge Männer, auch in meinem Wahlkreis, die nicht aus Afghanistan
hierhergekommen sind. Sie sind in der Hoffnung auf ein
besseres Leben aus anderen Ländern hierhergekommen .
({11})
Das ist nachvollziehbar und verständlich . Aber dafür haben wir nicht unser Asylrecht . Für viele dieser jungen Afghanen, die hier sind und jetzt nach Afghanistan zurückkehren, ist es eine schwierige Situation . Deswegen muss
es auch für die Zukunft heißen: Wir müssen klarmachen,
wer in unserem Land eine Bleibeperspektive hat und wer
in diesem Land keine Bleibeperspektive hat .
({12})
Es gibt auch Menschen, die sich aufgrund der langen
Asylverfahren schon länger hier aufhalten; das ist richtig .
Da gibt es Einzelfälle, bei denen ich, wenn ich mich mit
dem einen oder anderen unterhalte, sagen muss: Das ist
hart . - Es sind Menschen, die länger hier waren, weil wir
mit den Verfahren nicht schnell genug waren . Deswegen
haben wir alles darangesetzt, die Verfahrensdauer beim
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu verkürzen .
Die Menschen müssen schnell und zügig Klarheit haben
und wissen, ob sie bleiben dürfen oder nicht . Das sind die
richtigen Wege .
Wir können keine Ausnahmefälle zulassen, wenn jemand keinen Anspruch darauf hat, bei uns zu bleiben .
Wenn jemand dieses Land nicht freiwillig verlässt, müssen wir zum letzten Mittel der Rückführung greifen;
denn sonst ist unser Asylrecht schlicht nicht glaubhaft .
Welches Bild vermitteln wir den Bürgerinnen und Bürgern, wenn wir Recht und Gesetz, die bei uns gelten,
schlussendlich nicht auch umsetzen?
({13})
Um zum Schluss zu kommen: Wenn wir Einzelfälle
betrachten, bei denen wir vielleicht der Auffassung sind:
„Da müsste man noch ein bisschen mehr tun“, dann liegt
es an uns, den § 22 unseres Aufenthaltsgesetzes, der besondere Härtefälle normiert, anders auszugestalten . Hierauf hat sich die Koalition im letzten Koalitionsausschuss
verständigt . Auch da geht es dann wieder um Einzelfallregelungen, wenn wir vom Generellen abweichen .
Für Afghanistan gilt: Solange das Auswärtige Amt
keine andere Einschätzung der Sicherheitslage vornimmt
({14})
und solange es Gebiete gibt, in die die Menschen zurückkehren können und in denen es für die zivile Bevölkerung weniger bzw . keine Gefahren gibt, können wir auch
keinen generellen Rückführungsstopp nach Afghanistan
vertreten . Das wäre der falsche Weg .
Vielen Dank .
({15})
Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz . - Als Nächste
spricht Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Kollegin Lindholz, ich finde Sie unglaublich zynisch.
({0})
Ich will ganz deutlich sagen, dass auch junge Männer, die
Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sind, nach der
Genfer Flüchtlingskonvention ein Recht darauf haben,
dass wir sie schützen . Es ist einfach nur zynisch, wenn
Sie sich hierhinstellen und sagen: Es sind ja nur junge
Männer .
({1})
Es sind psychisch Kranke . Es sind Menschen, die in
der Ausbildung sind . Es sind Leute, die seit Jahren in
Deutschland leben . Also bitte: Schauen Sie sich die Liste
derjenigen an, die Sie im Moment in ein Kriegsland - in
ein Kriegsland! - zurückschicken! Das ist der entscheidende Punkt . Deswegen sind wir dafür, dass diese Abschiebungen ausgesetzt werden .
({2})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Anlass der heutigen Debatte kommen . Ursprünglich wollten
wir - die Kollegin Amtsberg hat es schon gesagt - den
Familiennachzug debattieren, der ausgesetzt worden ist,
insbesondere für subsidiäre Flüchtlinge, also für Flüchtlinge, die hierzulande nur vorübergehend, für ein Jahr, einen Schutzstatus haben . Dieses Unrecht, das im Rahmen
des Asylpakets II beschlossen wurde, hätten wir heute
rückgängig machen können . Die Anträge von Grünen
und Linken sind abstimmungsreif . In Anhörungen usw .
wurde über sie diskutiert .
Ich möchte Ihnen nur ein Beispiel für die Grausamkeiten vorführen . Der Soldat Salah J . ist 2015 nach Deutschland gekommen, weil er nicht gegen seine eigene Bevölkerung Krieg führen wollte .
({3})
Seine schwangere Frau und sein Kind musste er zurücklassen . Seine Frau ist nach zwei Jahren Wartezeit, weil er
keine Familienzusammenführung genehmigt bekommen
hat, auf ein Boot gestiegen . Im März dieses Jahres ist sie
ertrunken . Das ist die Familie .
({4})
Ich möchte, dass Sie alle einmal sehen, wie grausam das
Schicksal hierzulande ist . Im Grunde genommen wird
von der Bundesregierung verhindert, dass Familien zusammengeführt werden . Sie tragen eine Mitverantwortung dafür, dass Menschen zu Tode kommen .
Meine Damen und Herren, ich möchte natürlich auch
noch einiges zum Thema Afghanistan beitragen .
({5})
Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lindholz zu?
Ja, gerne .
Frau Kollegin, ich glaube, wir waren beide bei der
Anhörung, als es um die Aussetzung des Familiennachzuges ging . Er ist bis März nächsten Jahres ausgesetzt .
Ich kann mich an die Stellungnahme des Vertreters des
Auswärtigen Amtes erinnern, der uns gesagt hat: Wenn
zu den Anträgen auf Familiennachzug, die von Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention gestellt
worden sind - für sie haben wir den Familiennachzug
ja nicht ausgesetzt -, die Anträge auf subsidiären Schutz
hinzukommen würden, dann wäre das Auswärtige Amt
überhaupt nicht mehr in der Lage, diese Vielzahl an Anträgen so abzuarbeiten, dass ein Einzelner einen schnelleren Familiennachzug genehmigt bekommt .
({0})
Ich frage Sie deshalb: Glauben Sie, dass wir ohne Aussetzung des Familiennachzugs in der Lage gewesen wären, alle Anträge - die von Flüchtlingen nach der Genfer
Flüchtlingskonvention und die von subsidiär Schutzberechtigten - zahlenmäßig zu bearbeiten?
Danke schön .
({1})
Frau Lindholz, vielleicht bleiben Sie stehen, damit ich
von meiner Redezeit nichts abgezogen bekomme .
({0})
Abgesehen davon, dass ein Vertreter des Auswärtigen
Amtes in einer Anhörung natürlich kein unabhängiger
Sachverständiger ist,
({1})
sondern jemand, der die Behördenmeinung vertritt,
({2})
also die politische Meinung, die in erster Linie Sie vertreten,
({3})
will ich Ihnen deutlich sagen: Es gab auch ganz viele
Sachverständige, die im Grunde das Grundrecht auf Familienzusammenführung betont haben .
Das ist ein Grundrecht, das ist ein Menschenrecht .
Wir reden hier - Sie übertreiben immer maßlos, was
die angeblichen Zahlen angeht - über rund 50 000 Menschen, die gegenwärtig bewilligte Anträge haben . Die
subsidiären Flüchtlinge dürfen übrigens erst im nächsten
Jahr Anträge stellen - Anträge stellen, wohlgemerkt!
({4})
Das heißt, wir reden hier über eine solche Zahl . Ja, wenn
es so ist, dann muss man mehr Menschen in den Botschaften und beim Auswärtigen Amt einstellen,
({5})
damit das menschliche Leid endet, das ich Ihnen gerade
mit diesem Bild vorgeführt habe; denn diese Familie gibt
es nicht mehr . Die Frau und die Kinder sind ertrunken,
weil es keine Genehmigung gab, mit der sie hierherkommen konnten .
Ich finde es einen Riesenskandal, dass Sie diesen
Punkt heute von der Tagesordnung abgesetzt haben, weil
Sie offenbar Angst davor haben, dass hier Kollegen unseren Anträgen zustimmen könnten .
({6})
- Ich denke, ich habe Ihnen die Frage sehr klar beantwortet . Stellen Sie mehr Leute ein! In so einer Situation muss
man einfach die erforderlichen Strukturen schaffen. Ich
sage Ihnen: Es ist möglich . Sie tun immer so, als wenn es
nicht möglich wäre .
({7})
Es ist im Grunde genommen ein Skandal, dass Menschen, die die Bewilligung haben, denen nur noch der
Visumsantrag fehlt, damit sie hierherkommen können,
über ein Jahr in den Botschaften warten müssen, bis das
Visum ausgestellt ist . Ja, wo sind wir denn? Sie tun hier
doch immer so, als wenn wir alles machen könnten .
({8})
Kommen wir zur Lage in Afghanistan: Es ist ein Bürgerkriegsland; das ist hier bereits gesagt worden . Die
Lage hat sich tatsächlich verschlechtert . Wir müssen davon ausgehen, dass allein 2016 11 418 Zivilisten ums
Leben gekommen sind . Das ist eine Verdoppelung der
letzten sieben Jahre. Die Dunkelziffer dürfte sehr viel höher liegen .
Der Bundesminister argumentiert immer damit, nicht
die Zivilbevölkerung sei das Ziel, sondern sie seien nur
die Opfer der Angriffe. Es ist meines Erachtens ein Skandal, davon auszugehen, dass die Anschläge - von der
NATO oder von Terroristen dort - zufällig auch Zivilisten treffen. Das finden wir eine zynische Argumentation.
Zudem will ich Ihnen, Frau Lindholz, sagen: Es ist
falsch . Der UN-Bericht aus dem vergangenen Jahr belegte, dass 1 118 Zivilisten Opfer gezielter Mordanschläge
waren . Allein im Juli starben 100 Angehörige von den
schiitischen Hazara bei einem Anschlag der Islamisten .
Die Bundesregierung behauptet immer wieder, es
gäbe sichere Gebiete .
({9})
Fragt man die Bundesregierung aber danach, kann sie
diese sicheren Gebiete nicht nennen . Hierzu sagt das
UN-Flüchtlingskommissariat Ende letzten Jahres ganz
klar: Das ganze Staatsgebiet Afghanistans ist von einem
bewaffneten innerstaatlichen Konflikt betroffen. Im Klartext heißt das nichts anderes als: Es gibt keine sicheren
Gebiete in Afghanistan . Nichts anderes ist hier gesagt
worden .
({10})
Trotzdem halten Sie weiterhin daran fest, afghanischen Flüchtlingen immer weniger Schutz zu gewähren . Betrachtet man die Entwicklung, waren es 2015
noch 77,6 Prozent der afghanischen Flüchtlinge, die den
Schutzstatus anerkannt bekommen haben . Jetzt, Anfang
Februar, sind wir bei 47,9 Prozent . Ja, wie kommt denn
das? Die Lage verschlechtert sich, und die Zahl der Menschen, die Schutz bekommen, geht herunter?
Kommen Sie bitte zum Schluss .
So geht es nun wirklich nicht . Das ist Willkür, die Sie
hier veranstalten . Das ist eine wahltaktische Überlegung .
({0})
Sie eifern mit Ihrer Abschiebehysterie der AfD nach; das
ist ganz offensichtlich. Das kann man hier einfach nicht
mitmachen .
Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss .
Ich komme zum Schluss, ja . - Ich will am Ende noch
darauf hinweisen, dass man sich wirklich einmal die Berichte von Hilfsorganisationen anschauen muss . Meine
Kollegin Frau Amtsberg hat schon darauf hingewiesen .
Es ist wirklich erschütternd, was afghanische Flüchtlinge
hier in Deutschland zurzeit durchmachen, von welchen
Erlebnissen man dort lesen kann: Sie haben ständige
Angst vor Abschiebung, sie werden vom Arbeitsplatz abgeholt, sie werden nachts aus dem Bett geholt . Das ist ein
Riesenskandal .
Liebe Frau Kollegin, wir haben hier oben auch schon
den Wechsel gemacht, deshalb kommen auch Sie bitte
zum Schluss .
Stimmen Sie dem Antrag der Grünen zu, damit wir
endlich eine andere Politik bekommen!
({0})
Als nächster Redner hat für die SPD-Fraktion Dr . Lars
Castellucci das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bereits im Dezember, als der erste Flug mit Flüchtlingen
nach Afghanistan entsendet wurde, habe ich hier im Parlament deutlich gemacht, dass ich Abschiebungen nach
Afghanistan zum derzeitigen Zeitpunkt für unverantwortbar halte .
({0})
Ich habe damals auch einige Einzelfälle genannt, von denen ich durch Gespräche mit Flüchtlingshelfern in meinem Büro erfahren habe . Es kam dann der Vorwurf, man
könne Entscheidungen in der Politik nicht auf irgendwelchen rührseligen Geschichten gründen, sondern man
müsse doch ordentliche Grundlagen dafür haben . Dem
stimme ich ausdrücklich zu . Deswegen möchte ich heute
sehr grundsätzlich begründen, warum ich Abschiebungen nach Afghanistan zum jetzigen Zeitpunkt für unverantwortbar halte .
Eines aber will ich vorausschicken: Wenn wir uns von
Einzelschicksalen, wie wir sie eben gehört haben - egal
zu welchem Thema uns die Menschen diese vortragen -,
nicht mehr berühren lassen, dann sind wir als Abgeordnete hier auch fehl am Platz .
({1})
Ich begründe meine Haltung in drei Schritten:
Erster Punkt sind die innerstaatlichen Fluchtalternativen . Ich halte es für ein sehr sinnvolles Konstrukt, dass,
wenn es innerstaatliche Fluchtalternativen gibt, diese
Vorrang vor der Aufnahme in anderen Ländern haben .
Ich breche das einmal herunter: Wenn es in Bayern irgendwann einmal unerträglich würde, dann wären Sie im
schönen Badener Land herzlich willkommen und müssten nicht in Afghanistan Asyl beantragen . So weit, so gut .
({2})
Im zweiten Schritt müssen wir konkret schauen, ob es
diese innerstaatlichen Fluchtalternativen gibt . Das möchte ich sehr grundsätzlich machen und dabei noch einmal
den Staatsbegriff ansprechen. Ein Staat ist nicht irgendetwas, was mit einem Pinsel auf die Landkarte gezeichnet
wurde, sondern er muss eine bestimmte Qualität haben .
Ein Land, das diese Qualität hat, zeichnet sich dadurch
aus, dass jemand in diesem Land willens und in der Lage
ist, das Gewaltmonopol wahrzunehmen . Genau diese
Frage ist in Afghanistan offen. Eigentlich ist es sehr naheliegend, dass heute niemand sagt, dass die staatlichen
Stellen in ganz Afghanistan in der Lage sind, das Gewaltmonopol wirklich durchzusetzen .
Wenn ein Gericht bei uns entscheidet, dass jemand
kein Asyl bekommt, weil nicht der Staat ihn verfolgt,
sondern irgendwelche Gruppen, dann muss ich sagen:
Das ist aus der Perspektive der Betroffenen das Gleiche,
solange der Staat nicht in der Lage ist, diese Verfolgung
zu verhindern und einzudämmen . An dieser Stelle will
ich klar sagen: Die Bevölkerungsgruppen der Hindus
und der Sikhs haben in diesen Abschiebeflügen nichts
verloren . Diese Menschen haben in Afghanistan keine
Lebensperspektive .
({3})
Vielleicht können wir uns darauf verständigen: Es ist
keinesfalls eindeutig, wie die Sicherheitslage in Afghanistan in den einzelnen Bereichen und für einzelne Bevölkerungsgruppen ist .
Ich finde es eine Krux - vielleicht können Sie mir
hier sogar zustimmen -, dass diejenigen, die eher pro
Abschiebung sind, die Zahlen zur Hand nehmen, die
besagen, dass es dort einigermaßen sicher ist, während
diejenigen, die eher die Schutzbedürfnisse der Menschen
in den Vordergrund stellen, die Zahlen und die Bewertungen zur Hand nehmen, die besagen, dass es unsicher
ist . Wir müssen zu konsistenten und objektiven Berichten
kommen, in die auch die zivilgesellschaftlichen Organisationen eingebunden sind . Es kann nicht dabei bleiben,
dass jeder hier im Raum ständig die Zahlen nimmt, die
für die eigene Argumentation passen . Das ist völlig unbefriedigend .
({4})
Gehen wir einfach einmal von der Tatsache aus, dass
wir uns hier nicht einig sind, dass es nicht eindeutig ist .
Damit komme ich zu meinem dritten Schritt, den ich
Hans Jonas entliehen habe . Er hat in seinem Buch Das
Prinzip Verantwortung einen Grundsatz aufgestellt, der
sehr vereinfacht lautet: Wenn es um existenzielle Dinge
geht - er hat sich mit der existenziellen Frage des Überlebens der Menschheit beschäftigt -, dann hat die schlechte
Prognose Vorrang vor der guten Prognose . - Ich glaube,
dass dieses ethische Grundprinzip auch auf diesen Fall
anwendbar ist, nämlich auf die Frage der Existenz und
der Lebenschancen von Menschen .
Es ist nicht unsere Aufgabe, zu sagen: Es wird schon
nichts passieren . Vielmehr ist es unsere Aufgabe, das zu
tun, was wir tun können und was in unserer Verantwortung liegt, damit diesen Menschen nichts passiert . Mit
anderen Worten: Es ist unsere Verantwortung, Abschiebungen nach Afghanistan zum jetzigen Zeitpunkt zu unterlassen .
({5})
Es geht also nicht um Einzelschicksale, sondern um
eine sehr grundsätzliche Argumentation . Es geht um ein
ethisches Grundprinzip, das ich hier vorgetragen habe .
Man kann natürlich auch sagen: Nun gut, die Menschen
sind nicht Ziel der Anschläge, sondern nur Opfer der Anschläge . - Aber dabei handelt es sich eben nicht um ein
ethisches Grundprinzip, sondern um blanken Zynismus .
({6})
Herr Castellucci, auch wenn Sie nur noch ganz wenig
Redezeit haben: Lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Amtsberg zu?
Ja, selbstverständlich .
Herr Kollege Castellucci, danke, dass Sie die Frage
zulassen . - Ich habe die ganze Zeit über auf das Aber in
Ihrer Rede gewartet . Sie müssen mir schon nachsehen,
wenn sich uns in der Opposition, die wir uns mit diesem
Antrag sehr viel Mühe gemacht haben und mit diesem
Anliegen immer wieder an die Bundesregierung herantreten, die Frage aufdrängt: Halten Sie die bisherige Einschätzung der Sicherheitslage in Afghanistan seitens des
Bundesaußenministers Sigmar Gabriel für richtig? Und
finden Sie, dass die verschiedenen Quellen, die wir zur
Grundlage machen wollen, nämlich UNHCR, UNAMA
und andere Akteure, ausreichend gewürdigt sind?
Ich habe es eben im Grunde vorgetragen, verehrte
Kollegin Amtsberg: Ich glaube, dass die Einschätzung
der Sicherheitslage uneinheitlich getroffen wird. Das ist
die Lage, die sich mir als Parlamentarier stellt . Mein Petitum ist, dass sich die betreffenden zuständigen Organisationen und die Hilfsorganisationen zusammensetzen
und auf der Basis von objektivierbaren Kriterien nachvollziehbar und transparent zu einer gemeinsamen Einschätzung kommen .
({0})
Das ist meine Position .
({1})
Es gibt von der Kollegin Jelpke den Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage .
Ja, gerne .
Danke, Herr Kollege, dass ich die Frage stellen
kann. - Ich finde es schon sehr bewegend und freue mich
natürlich über Ihre Position . Aber zurzeit ist es so, dass
beispielsweise Ihr Kanzlerkandidat Schulz eine andere
Haltung dazu hat . Auch Ihre Generalsekretärin hat erst
gestern in Schleswig-Holstein, wo ein Abschiebestopp
verhängt wurde, die eigene Regierung dafür ganz klar
kritisiert und sinngemäß erklärt - ich habe es nicht wortwörtlich im Kopf -: Wo wir deutsche Soldaten hinschicken, können wir auch Flüchtlinge zurückschicken .
Dazu möchte ich gerne eine Stellungnahme . Wie wird
das bei Ihnen diskutiert? Wie werden Sie beispielsweise
mit diesem Antrag umgehen? Er ist schon einmal abgelehnt worden; das ist noch gar nicht so lange her . Die
Situation hat sich nicht geändert . Wird die SPD noch vor
der Sommerpause bereit sein, gemeinsam mit uns diesem
Antrag zuzustimmen?
Was ich vorgetragen habe, ist Basis meiner eigenen
Gewissensentscheidung, zu der ich laut Abgeordnetengesetz und Grundgesetz verpflichtet bin. Wenn ich hier
meine Gewissensentscheidung vortrage, dann spreche
ich damit anderen ihre Gewissensentscheidung nicht ab .
Ich glaube, das ist eine Haltung, die wir hier in diesem
Haus pflegen sollten. Wenn es immer eindeutig wäre,
was uns unser Gewissen aufträgt, dann bräuchten wir
diese Passage im Grundgesetz gar nicht . Es geht um Gewissensentscheidungen . Das ist es, was ich hier vorgetragen habe .
({0})
Ich will aber ergänzen - ich habe das im Dezember
letzten Jahres bereits ausgeführt und es mir deshalb heute
erspart -: Es ist doch eine Qualität von Parteien, um die
Fragen, die uns und die Menschen in der Welt umtreiben,
zu ringen . Es ist überhaupt nicht angemessen, wenn so
getan wird, als könnte man einen Keil in die Parteien treiben . Ich habe bei der letzten Diskussion zu diesem Thema den Grünen entgegnet: Auch in Baden-Württemberg
werden Flüchtlinge abgeschoben . Es ist doch nicht so, als
gäbe es hier eine Schwarz-Weiß-Verteilung . Also, lassen
Sie uns um die Fragen, die uns alle betreffen, sachlich
ringen und in Zeiten des Wahlkampfs keine Parteipolitik
betreiben .
({1})
Ich habe im Januar dieses Jahres gesagt, dass zum
Asylrecht auch Abschiebungen gehören . Zu diesem
Grundsatz stehe ich . Niemand versteht, wenn Menschen
in Deutschland kein Bleiberecht haben und trotzdem hierbleiben . Es versteht aber auch niemand, wenn bei Leuten,
die seit langem hier leben und für den Lebensunterhalt
ihrer Familie aufkommen, deren Kinder in der Schule andere in den naturwissenschaftlichen Fächern abhängen,
die sich wohlverhalten und deren Arbeitgeber Petitionen
lostreten, in denen sie darum bitten, dass sie hierbleiben
können, weil sie einen guten Job im Geschäft oder Unternehmen machen, morgens um sieben der Transporter
vorfährt, um sie abzuholen .
Ich habe von Grundprinzipien gesprochen . Mein
Grundprinzip ist zum einen: Menschen, die Schutz brauchen, sollen, solange wir das können, unseren Schutz
auch bekommen . Der andere Grundsatz ist: Wer sich in
diesem Land anständig verhält und zum Wohlstand in
diesem Land beiträgt, der sollte auch eine Bleibeperspektive haben .
Vielen Dank .
({2})
Als nächste Rednerin hat Nina Warken für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der neuerliche Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen trägt den Titel „Abschiebungen nach Afghanistan
aussetzen“ . Ich darf aber zu Beginn kurz auf Sie, Frau
Kollegin Jelpke, eingehen, weil Sie vorhin das Thema
Familiennachzug angesprochen haben. Ich finde, Sie
machen es sich einfach, indem Sie ein Einzelschicksal
plakativ hervorheben und uns indirekt vorwerfen, wir
würden uns nicht darum kümmern, das würde uns nicht
berühren . Wir kümmern uns auch um Einzelschicksale .
Uns berühren Einzelschicksale; uns berührt aber auch
das große Ganze . Wir kümmern uns auch darum . Wir
schaffen steuernde Regelungen, treffen dazu Entscheidungen und übernehmen Verantwortung . Das ist nicht
immer einfach, aber das tun wir, und ich glaube, das ist
eine wichtige Entscheidung gewesen .
({0})
Aber worum geht es in dem vorliegenden Antrag eigentlich? In dem Antrag wird gefordert, dass der Bundesinnenminister das BAMF anweist, allen afghanischen
Asylbewerbern zumindest subsidiären Schutz zu gewähren . Die Zusammenarbeit mit Afghanistan soll ausgesetzt werden, und es soll nicht mehr dorthin abgeschoben
werden . Es soll also allen afghanischen Asylbewerbern
pauschal und unabhängig von den konkreten Umständen
Schutz zuteilwerden,
({1})
und das, obwohl die afghanische Regierung ausdrücklich
darum bittet, keine weiteren Anreize zu setzen, da dem
Land gerade die verloren gehen, die es dringend braucht,
und das, obwohl nicht nur Deutschland, sondern auch die
EU selbst Vereinbarungen mit Afghanistan geschlossen
haben und Deutschland eine der höchsten Schutzquoten
für afghanische Staatsangehörige in der EU hat .
Was das Thema Schutzquoten angeht, Frau Kollegin
Jelpke: Ich glaube, man kann dem BAMF sicherlich
nicht vorwerfen, dass es in den letzten Monaten über eine
Vielzahl von Asylanträgen - ich glaube, es waren über
68 000 Asylanträge afghanischer Staatsangehöriger im
ersten Quartal - entschieden hat; dadurch verändern sich
auch die Schutzquoten .
({2})
Daraus kann man dem BAMF keinen Strick drehen; das
muss man vielmehr anerkennen und die Zahlen so verwenden, wie sie auf dem Tisch liegen .
({3})
Wenn wir entgegen all diesen Tatsachen eine Abkehr
von der individuellen Prüfung vornehmen sollen, dann
müssen wir ganz genau hinschauen .
Afghanistan ist ein vielschichtiges Land, Afghanistan
ist ein kompliziertes Land . Die Menschen sprechen 50
unterschiedliche Sprachen . Hinzu kommen endlos viele
Dialekte . Es gibt etliche ethnische Gruppierungen . Drei
Viertel des Landes bestehen aus schwer zugänglichen
Gebirgsregionen . Zwei Drittel der Gesamtbevölkerung
leben in den städtischen Zentren der 34 Provinzen . Dazu
gehört auch die Hauptstadt Kabul . Afghanistan ist auch
ein unruhiges Land; wir müssen nicht drum herumreden .
Die Machtverhältnisse in der afghanischen Gesellschaft
sind seit langem extrem komplex . Afghanistan ist ein
zerrissenes und gebeuteltes Land .
Aber Afghanistan ist auch kein pauschal zu bewertendes Land . Die Sicherheitslage dort weist deutliche regionale Unterschiede auf . Die Situation ändert sich laufend .
Für die städtischen Zentren wie Herat und Kabul und für
das zentrale Hochland gilt etwas anderes als für andere
Regionen . Nicht nur der Lagebericht des Auswärtigen
Amtes, sondern auch der aktuelle EASO-Report bestätigen das; auch der EGMR sieht diese starken regionalen
Unterschiede .
Wir müssen aber nicht nur regional, sondern auch
zwischen der Gefahr für Militär und für Zivilisten durch
die Konflikte unterscheiden. Der furchtbare Anschlag,
auf den die Antragsteller Bezug nehmen, kostete über
140 Soldaten das Leben . Man kann hieraus aber nicht automatisch folgern, dass sich die Sicherheitslage der Zivilbevölkerung allgemein geändert hat . Man kann nicht einfach sagen, dass der Gefahrengrad durch innerstaatliche
Konflikte überall so hoch ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung
ausgesetzt wäre . Hier von einer insgesamt gravierenden
Verschlechterung zu sprechen, erscheint mir daher nicht
ganz richtig . Die Zahlen der zivilen Opfer sind auch nach
dem neuen UNAMA-Report 2015 und 2016 ungefähr
gleich geblieben .
Meine Damen und Herren, auch die steigenden Zahlen der freiwilligen Rückkehrer zeigen, dass eine pauschale Bewertung falsch ist . Tatsächlich sind über 3 300
afghanische Staatsangehörige im letzten Jahr freiwillig
zurückgekehrt .
Der UNHCR-Bericht, der viel, aber leider oft pauschal
und einseitig zitiert wird, kommt auch zu dem Schluss,
dass es für jede Entscheidung über den internationalen
Schutzbedarf erforderlich ist, den Fall auf individueller
Grundlage unter Einbeziehung sämtlicher Aspekte des
Einzelfalls zu bewerten . Das tun wir .
({4})
Die Schicksale der Menschen, die aus Afghanistan
zu uns kommen, sind sehr unterschiedlich; das spiegeln
die Entscheidungen des BAMF auch wider . Das BAMF
schert mitnichten alle über einen Kamm . Vielmehr schaut
es genau hin . Afghanische Staatsangehörige bekommen
in Deutschland Asyl, Flüchtlingsstatus und subsidiären
Schutz . Hinzu kommen viele Fälle von Abschiebungsverboten . Das sieht für mich eben nicht nach Blindheit
gegenüber den Realitäten und auch nicht nach irgendwelchen Anweisungen aus . Gerade die vielen nationalen
Abschiebungsverbote zeigen,
({5})
dass eine umfassende Prüfung stattfindet und die Mitarbeiter nicht nach Schema F handeln .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen auch
nicht vergessen, dass die Entscheidungen des BAMF vor
Gericht überprüft werden können . Das werden sie auch .
Auch hier werden die Besonderheiten jedes Einzelfalls
noch einmal aktuell gewürdigt .
({6})
Meine Damen und Herren, am Ende all dieser sorgfältigen Prüfungen, Rechtsmittel und Neubewertungen steht
eine Entscheidung . Wenn dann festgestellt ist, dass ein
Schutzbedarf nicht gegeben ist, muss diese Entscheidung
auch Konsequenzen haben; denn eines darf nicht sein:
Der Inhalt der Entscheidungen des BAMF darf nicht egal
sein . Unsere Bürger und auch die Antragsteller dürfen
nicht das Gefühl bekommen, dass die Entscheidungen
nichts daran ändern, ob jemand bleiben kann oder gehen
muss . Das würde kein Mensch verstehen, und das kann
auch nicht sein .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, genauso wenig, wie
pauschal entschieden wird, wird pauschal abgeschoben .
In jedem Einzelfall müssen die Ausländerbehörden der
Länder genau prüfen, ob eine Rückführung möglich
ist . In die Risikoprüfung müssen alle persönlichen Umstände einbezogen werden. Nicht umsonst betreffen die
Sammel abschiebungen keine Frauen und Kinder .
({7})
Alle bislang aus Deutschland Zurückgeführten waren
junge Männer, viele davon Straftäter . Es wird eben auch
geguckt, zu welcher Volksgruppe jemand gehört, aus
welcher Region er stammt und welche familiären Strukturen bestehen .
Um es noch einmal klar zu sagen: Für diese Auswahl
sind die Ausländerbehörden der Länder zuständig .
({8})
Ich vertraue darauf, dass das sorgfältig durchgeführt
wird. Aber stattfinden muss es nun einmal.
Meine Damen und Herren, nicht nur die Rückführung selbst wird betreut . Die Bundesregierung arbeitet
mit der Internationalen Organisation für Migration und
dem afghanischen Flüchtlingsministerium zusammen .
Auch die deutsche Botschaft stellt sicher, dass die Betroffenen empfangen werden und im Land sicher an ihren
gewünschten Zielort gelangen .
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können nicht
alle über einen Kamm scheren, weder im Guten noch
im Schlechten . Aber eines können und müssen wir vermeiden, nämlich pauschal zu bewerten, pauschal zu entscheiden und pauschal zu agieren . Deshalb werden wir
den Antrag ablehnen .
({10})
Als nächster Redner hat Rüdiger Veit für die
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst einmal will und muss ich leider der Kollegin
Amtsberg und anderen, die das kritisiert haben, ausdrücklich recht geben in dem Bedauern, dass wir heute
nicht über den Antrag der Grünen beraten und beschließen, damit die Aussetzung des Familiennachzugs für lediglich subsidiär Geschützte wieder aufgehoben wird,
({0})
und zwar nicht deswegen, weil das hier eine Geschäftsordnungsfrage wäre, sondern aus folgendem Grund: Die
Frage, ob man, wenn dieser Antrag denn Erfolg haben
sollte, einen weiteren Monat mit einer solchen Entscheidung zuwartet, betrifft Menschen. Sie betrifft Frauen und
Kinder, die weitere überflüssige Monate von ihren Männern bzw. ihren Vätern getrennt sind, die es geschafft haben, nach Deutschland zu kommen . Um deren Schicksal
mache jedenfalls ich mir meine Gedanken .
({1})
Frau Kollegin Lindholz, um Ihre Frage an Frau Jelpke
zu beantworten: Die Tatsache, dass die Anträge derjenigen Flüchtlinge, die Flüchtlingsschutz nach der Genfer
Flüchtlingskonvention genießen, auf Familiennachzug
schon jetzt leider nicht zügig bearbeitet werden können,
weil es zu viele sind, und die Tatsache, dass ein Verfahren regulär 15 Monate oder noch länger dauert, macht
die Sache noch schlimmer . Das ist doch kein Entschuldigungsgrund .
({2})
Umso länger ist doch die Frist, innerhalb derer Väter von
ihren Kindern, Ehemänner von ihren Frauen getrennt
sind . Daher ist meine Sorge groß - das treibt mich um -,
dass die Betreffenden auf nicht legale Wege ausweichen,
die für sie lebensgefährlich sind . Deswegen verstehe ich
nicht, dass Sie von der Union - obwohl die zahlenmäßigen Voraussetzungen ganz anders sind - mit Ihrem
christlichen Familienbegriff vereinbaren können, dass
vielleicht 50 000 Frauen und Kinder in eine gefährliche
Situation gebracht werden .
({3})
Herr Kollege Veit, lassen Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Lindholz zu?
Ja .
Herr Kollege Veit, ich habe zwei Fragen . Ich hätte
von Ihnen gerne gewusst, ob es richtig ist, dass man trotz
Aussetzung des Familiennachzugs in besonderen Härtefällen einen entsprechenden Antrag stellen kann . Das ist
meine erste Frage .
Meine zweite Frage lautet: Können Sie bestätigen,
dass die kommunalen Spitzenverbände in der Anhörung,
die wir zu diesem Thema durchgeführt haben, klar gesagt
haben, dass die Kommunen kaum in der Lage sind, einen
kompletten Familiennachzug auf einen Schlag zu bewältigen, dass die Kommunen uns ausdrücklich gebeten
haben, den Familiennachzug sukzessiv durchzuführen,
und dass eine Abstufung - zuerst die Flüchtlinge gemäß
der Genfer Flüchtlingskonvention und dann subsidiär
Schutzberechtigte - der richtige Weg ist, wenn wir alle
Menschen vernünftig unterbringen wollen?
Danke schön .
Es war vielleicht einmal so gedacht - das war für viele in der SPD-Fraktion eine gewisse Erleichterung -, in
besonderen Härtefällen von der Aussetzung des Familiennachzugs abzusehen . Die Realität ist aber, dass davon bisher nur ganz wenige - es handelt sich noch nicht
einmal um eine zweistellige Zahl - profitiert haben. Was
die Koalition vereinbart hat, nämlich nur noch in Einzelfällen die Härtefallregelung anzuwenden, ist - entschuldigen Sie bitte, das sage ich auch an die Adresse meiner
Fraktion - eine Verschlimmbesserung der Situation, aber
keine Erleichterung .
({0})
Es stimmt, dass die kommunalen Vertreter gesagt haben, sie schafften es im Augenblick nicht, alle auf einmal
aufzunehmen . Aber was ich gerade auf die Beantwortung Ihrer Frage von vorhin gesagt habe, ist zutreffend,
nämlich dass leider aus Kapazitätsgründen die Anträge
gar nicht gleichzeitig bearbeitet werden können, dass der
ganz normale Prozess ohnehin schon mehr als ein Jahr
dauert und dass daher ein allmähliches und verzögertes
Eintreffen der Familienmitglieder leider zwangsläufig
die Folge ist .
Zurück zum Antrag auf Aussetzung der Abschiebungen nach Afghanistan. Ich bin der Auffassung - das wurde schon mehrfach geäußert -, dass der UNHCR-Bericht
nicht die Tatsachen hergibt, die rechtfertigen, ohne Weiteres nach Afghanistan abzuschieben . Ich wundere mich,
wie man einen Bericht so unterschiedlich lesen und interpretieren kann .
({1})
Insgesamt heißt es im UNHCR-Bericht, die Sicherheitslage habe sich nochmals deutlich verschlechtert . Es gibt
keine eindeutige innerstaatliche Schutzalternative . Das
gesamte Staatsgebiet Afghanistans ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt betroffen.
({2})
Die Lage habe sich - so die Zusammenfassung - weiter rapide verschlechtert, und gleichzeitig sei die höchste
Anzahl an Flüchtlingen und Opfern unter der Zivilbevölkerung zu verzeichnen . Wenn ich das alles zusammennehme, dann kann ich doch nicht sagen: Neuerdings ist
alles viel besser; wir können die Menschen ohne Weiteres zurückschicken . - Das Gegenteil ist der Fall . Ich hebe
dabei nicht auf die kürzlich stattgefundenen Anschläge
mit zahlreichen beklagenswerten Opfern ab, sondern auf
die Würdigung der Gesamtsituation und komme zu dem
Ergebnis - bedauernswerterweise nur höchstpersönlich
und nicht für die gesamte SPD -, dass Abschiebungen
nach Afghanistan derzeit nicht verantwortet werden können .
Der immer wieder geäußerten Argumentation, die Zahl
der freiwilligen Ausreisen belege, dass man dorthin problemlos zurückkehren könne, und es gebe keine weiteren freiwilligen Ausreisen, wenn es keine Abschiebungen gäbe, liegt doch ein Zirkelschluss zugrunde . Die
freiwilligen Ausreisen gab es schon die ganze Zeit . Die
sind nicht erst dadurch ausgelöst worden, dass Sammelabschiebungsflüge organisiert worden sind. Von daher
gesehen zählt auch dieses Argument nicht .
Ich bedaure, um auch das deutlich anzusprechen, dass
mein jetzt amtierender Parteivorsitzender das Verhalten
der schleswig-holsteinischen Landesregierung und des
dortigen Innenministers Stefan Studt, den ich sehr schätze, leider nur als nobel bezeichnet hat, und mein nicht
minder geschätzter und geliebter früherer Parteivorsitzender davon gesprochen hat, dass das menschenrechtlich hochverständlich sei, dass beide im Ergebnis aber
der Auffassung waren, Abschiebungen nach Afghanistan
könnten weiter erfolgen. Ich teile diese Auffassung nicht.
Ich halte das nicht für vertretbar .
({3})
Deswegen ist aus meiner Sicht dem Antrag der Grünen in
vollem Umfang zuzustimmen .
Ich möchte ausdrücklich an den jetzt amtierenden Außenminister die Bitte richten, eine neue Bewertung der
Sicherheitslage für Afghanistan vorzunehmen, die dann
hoffentlich eine andere Entscheidung zur Folge hat.
Danke für die Aufmerksamkeit .
({4})
Damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12099 mit dem Titel „Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen“ . Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sache . Die Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung,
und zwar zur federführenden Beratung an den Innenausschuss und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss, an den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe sowie an den Ausschuss für Angelegenheiten
der Europäischen Union .
Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den
Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Ich frage deshalb:
Wer stimmt für die beantragte Ausschussüberweisung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die
Überweisung so beschlossen .
({0})
- Doch! Die Jastimmen waren eindeutig in der Mehrheit,
auch wenn man bei der Opposition enger sitzt . Es war
eine eindeutige Mehrheit . Meine beiden Beisitzer sehen
das auch so .
({1})
- Es gab wirklich eine klare Mehrheit für die Überweisung .
({2})
- Es ist eine Mehrheit .
({3})
- Hier wurde gezählt .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zum weiteren quantitativen und
qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung
Drucksache 18/11408
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend ({4})
Drucksache 18/12158
- Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/12159
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Plätze einzunehmen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste
Rednerin in dieser Aussprache hat die Bundesministerin
Manuela Schwesig das Wort .
({6})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Das ist heute ein
guter Tag für Familien in Deutschland, weil Mütter und
Väter darauf vertrauen können, dass wir in den nächsten
Jahren weitere 100 000 Kitaplätze schaffen. Wir stellen
dafür über 1 Milliarde Euro zur Verfügung . Das ist gut
und richtig; denn wir brauchen in Deutschland gute Kitaplätze, um Beruf und Familie zu vereinbaren, aber auch,
um alle Kinder gut fördern zu können .
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete, mit diesem Gesetz unternehmen wir einen weiteren
wichtigen Schritt zum Ausbau der Kindertagesbetreuung
in Deutschland. Erstmals schaffen wir als Bund nicht
nur Plätze für die unter Dreijährigen - darauf lag in den
letzten zehn Jahren der Schwerpunkt -, sondern stellen
auch Geld dafür zur Verfügung, dass Plätze für über
Dreijährige, also Kindergartenplätze bis zum Eintritt in
die Schule, geschaffen werden. Dieses Kitaprogramm
schließt endlich die Lücke . Wir fördern Kitaplätze vom
Kitaeintritt bis zum Schulübergang, und das ist das, was
wir in Deutschland brauchen .
({1})
In den letzten zehn Jahren hat sich das Angebot an
Kitaplätzen enorm verbessert . 400 000 neue Plätze sind
entstanden . Knapp 720 000 Plätze für unter Dreijährige
gibt es mittlerweile . Wir haben gerade in dieser Legislaturperiode viel erreicht . Zu Beginn haben wir 6 Milliarden Euro für den Bildungsbereich inklusive Kindertagesstätten bereitgestellt . Wir haben 2014 ein Kitagesetz
verabschiedet, die Kommunen entlastet, das Sondervermögen aufgestockt . 2015 haben wir im Rahmen unseres
Qualitätsprozesses mit den Ländern die Wirtschaft für
eine gemeinsame Erklärung zur Kinderbetreuung als
Zukunftsinvestition gewonnen . 2016 ist das neue Bundesprogramm „KitaPlus“ für flexible Kinderbetreuung in
Randzeiten entstanden, und wir haben mit dem Sprachkitaprogramm erheblich die Qualität verbessert . Weil
Sprache der Schlüssel für die Bildung von Kindern ist,
haben wir die Mittel für das Sprachprogramm verdoppelt, und wir stellen viel mehr Stellen für Spracherzieher
in den Kitas zur Verfügung . Dies dient den Bildungschancen, der Chancengleichheit der Kinder .
({2})
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Da schließen wir 2017 mit diesem Investitionsprogramm an . Inklusive der zusätzlichen Programme investiert der Bund 2017 eine Rekordsumme von 2,5 Milliarden Euro . An dieser Stelle, sehr geehrte Abgeordnete der
Grünen, möchte ich das richtigstellen: Sie haben beim
letzten Mal behauptet, wir hätten 1,7 Milliarden Euro für
2017 versprochen . Das stimmt . Jetzt liefern wir 2,5 Milliarden Euro und nicht, wie Sie sagen, 1,2 Milliarden
Euro . Neben den in diesem Gesetz verankerten Programmen gibt es ja noch mehr Programme, wie ich es eben
gesagt habe . 2,5 Milliarden Euro, so viel hat der Bund
noch nie in einem Jahr zur Verfügung gestellt .
({3})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, warum brauchen wir diese Plätze? Erstmals seit 15 Jahren werden
wieder mehr Kinder geboren, und das jetzt schon im
zweiten Jahr in Folge . Immer mehr Mütter und Väter
wollen berufstätig sein, brauchen wohnortnahe Kitaplätze . Die Inanspruchnahme steigt also . Außerdem gibt
es Kinder, die zu uns geflüchtet sind, und die natürlich
schnell in eine Kita gehen sollen, damit sie schnell die
deutsche Sprache lernen, damit sie Anschluss finden und
gut integriert werden .
All das sind Bedarfe . Wir wollen nicht, dass Familien
in Deutschland gegeneinander ausgespielt werden . Wir
wollen, dass alle Mütter und Väter, die einen Kitaplatz
für ihre Kinder brauchen, auch einen bekommen .
An dieser Stelle möchte ich mich auch bei den Kommunen und den Ländern für den enormen Aufholprozess
bedanken . Außerdem möchte ich mich bei den Erzieherinnen und Erziehern bedanken . Ich selbst durfte heute
Morgen bei der Kitaeingewöhnung meiner kleinen Tochter in eine Gruppe von Kleinkindern - sie bestand aus
nur fünf Kindern - dabei sein . Ich muss sagen: Ich habe
großen Respekt vor den Erzieherinnen und Erziehern .
Was sie dort leisten, ist brillante Arbeit . Bei allem Werben dafür, dass die Qualität besser werden muss, dürfen
wir nicht vergessen: Das, was in Deutschland bereits geleistet wird, insbesondere von den Erzieherinnen und Erziehern, ist großartig . Dafür einen herzlichen Dank!
({4})
Ich bin sehr froh, dass wir zum Abschluss der Legislatur dieses Investitionsprogramm auf den Weg bringen .
Natürlich wird das nicht das Ende sein . Wir werden in
den nächsten Jahren die Qualität weiter verbessern . Das
ist auch Thema auf der Jugend- und Familienministerkonferenz . Ich habe mich gefreut, dass es im Ausschuss
für dieses Programm von allen Unterstützung gab . Ich
weiß, dass es auch allen Fraktionen am Herzen liegt .
Ich habe mir in den letzten Debatten insbesondere von
den Grünen immer wieder anhören müssen: Wo bleibt
das Qualitätsgesetz?
({5})
- Von Ihnen auch; stimmt . Gut, dass Sie mich daran erinnern! - Weil es heute auch wieder so sein wird, darf
ich mir erlauben, Ihnen Folgendes zu sagen: Politik hat
etwas mit Machen zu tun . Dass man etwas macht, hat
etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun . Hier immer nur zu
fordern und da, wo man selbst regiert, die Dinge nicht
nur nicht zu machen, sondern sogar zu behindern, das ist
unglaubwürdig .
({6})
Es sind Ihre Ministerpräsidenten von den Grünen - ({7})
- Ja, aber die SPD behauptet nicht, dass es an mir liegt;
die SPD unterstützt mich im Qualitätsprozess mit den
Ländern .
({8})
Es ist der Ministerpräsident der schwarz-grünen Regierung in Hessen, der in die Ministerpräsidentenkonferenz
eingebracht hat, dass es kein Qualitätsgesetz geben soll .
({9})
Ihr linker Ministerpräsident Bodo Ramelow hat mitgestimmt, wie alle anderen . Deshalb ist es unglaubwürdig,
dass Sie hier Qualität von uns fordern, aber da, wo Sie
selbst regieren, ablehnen .
({10})
Deshalb werbe ich sehr dafür, dass alle die, die wollen, dass sich die Qualität verbessert, den Qualitätsprozess unseres Hauses mit den Ländern unterstützen und
dort Einfluss nehmen, wo sie in den Ländern regieren.
Das ist dann glaubwürdige Politik. In diesem Sinne hoffe
ich, dass es uns gemeinsam gelingt, auf der Jugend- und
Familienministerkonferenz auch bei der Qualität voranzukommen .
Heute sollten wir dieses Gesetz beschließen, damit
wir vor Ort loslegen können . Es geht um 100 000 neue
Kitaplätze für die Kinder in unserem Land, die dringend
gebraucht werden . Das ist ein guter Tag für die Kinder
und die Familien in Deutschland .
({11})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Norbert
Müller das Wort für die Fraktion Die Linke .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf den
Tribünen, die Sie diese Debatte verfolgen! Frau Ministerin Schwesig, ich habe eigentlich direkt darauf gewartet,
dass Sie Ihre Rede beginnen mit: Das ist ein guter Tag
für die Familien in Deutschland . - Diesen Satz kann ich,
ehrlich gesagt, nicht mehr hören .
Ich verfolge die Debatte heute mit einem lachenden
und einem weinenden Auge . Ja, wir werden dem vierten
Ausbauprogramm zustimmen . Ja, die 100 000 Plätze sind
dringend nötig . Ja, es ist gut, dass diese 100 000 Plätze in
den nächsten Jahren geschaffen werden.
({0})
Das ist das lachende Auge . Das weinende Auge: Der
Ausbau - das wissen Sie auch - hinkt den Bedarfen seit
Jahren hinterher .
({1})
Ich übersetze Ihnen das einmal praktisch .
In der Anhörung im Familienausschuss, die wir zu den
Gesetzesvorhaben durchgeführt haben, hat der Direktor
des Deutschen Jugendinstituts, Thomas Rauschenbach,
auf meine Frage zum Bedarf geantwortet - ich zitiere -:
Wenn ich das alles zusammenrechne . . ., dann werden wir nicht 100 000 Plätze, dann werden wir
nicht 200 000 Plätze, dann werden wir auch nicht
300 000 Plätze, sondern wir werden 350 000 Plätze
in den nächsten Jahren benötigen . Das zeigt, dass
das, was möglicherweise beschlossen wird, nämlich
100 000 Plätze mehr, einfach nicht reichen wird .
Im Folgenden führt er aus, dass die Dynamik noch zunimmt . Er glaubt, dass der Bedarf von 350 000 Plätzen Status quo - nur eine Zwischenetappe ist, dass es einen
enorm steigenden Bedarf an Plätzen gibt .
Ich mache das einmal praktisch . An einem Ort, wo
das erste Mal eine gut funktionierende Kita errichtet
wird, steigt der Bedarf einfach . Dann muss man hinterherkommen und kann nicht sagen: In Zukunft hat jedes
Kind wirklich einen Anspruch, der auch mit einem Platz
unterlegt ist . - Das ist heute nicht so . Selbst wenn 2020
die 100 000 Plätze sozusagen am Netz sind, haben wir
immer noch eine Viertelmillion unversorgter Kinder . Das
ist ein erhebliches Problem . Das kann man nicht einfach
wegdiskutieren . Man kann sich nicht über kleine Schritte
freuen, die man gegangen ist, wenn das Problem einer
Viertelmillion fehlender Plätze weiter existiert .
Beim Kitaausbau ist es ein bisschen wie im Märchen
vom Hasen und dem Igel . Immer dann, wenn die Bundesregierung mit etwas kommt und das Parlament mit
Mehrheit sagt: „Wir haben etwas geschafft und sind einen Schritt vorangekommen“, ist der Igel bereits da und
sagt: Hier fehlt noch ganz viel . - Das ist die Realität in
Deutschland .
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben zum heutigen Gesetzesvorhaben einen eigenen Entschließungsantrag vorgelegt . Wir möchten als Linke in dieser Debatte drei zentrale Forderungen erheben, von denen wir
glauben, dass deren Erfüllung notwendig ist . Weil Sie
aufgefordert haben, das mit Glaubwürdigkeit zu verbinden, sage ich Ihnen auch einmal, was wir in den linksregierten Ländern in Bezug auf diese Punkte genau tun,
um deutlich zu machen, was die Bundesregierung nicht
macht .
Erstens . Wir brauchen mehr Kitaqualität . Wir als Linke stehen - aber auch Kollegen der SPD vertreten das
nach wie vor - weiter für bundesweite Standards in einem Kitaqualitätsgesetz . Das heißt, dass wir uns, was die
Fachkraft-Kind-Relation anbetrifft, annähern müssen.
Da muss es bundesweite Standards geben . Dies gilt auch
für Leitungsfreistellungen und gute Essensversorgung .
Des Weiteren muss es vernünftige Standards geben,
was Raumkapazitäten und Außenbereiche angeht, usw .
Diesen Prozess muss man vorantreiben . Den kann man
nicht nur ankündigen . Inzwischen ist es so, dass man das
machen muss . Im Grundgesetz ist von gleichwertigen
Lebensverhältnissen in Deutschland die Rede . Das muss
auch für die Allerjüngsten umgesetzt werden .
Ich sage Ihnen jetzt einmal, was Brandenburg gemacht hat . Bevor Rot-Rot an die Regierung kam, hat dort
eine große Koalition regiert . Die hat den Rechtsanspruch
auf einen Kitaplatz geschliffen. Das geschah, bevor der
Bundes-Rechtsanspruch kam . Wir haben diesen Rechtsanspruch wiederhergestellt, und wir haben die Kitaqualität im Land deutlich verbessert . Das rot-rot regierte
Brandenburg wird 2019, wenn zehn Jahre Regierungszeit
vergangen sind, 1 Milliarde Euro mehr in die Verbesserung des Betreuungsschlüssels investiert haben . Wir
haben im Land 3 000 Erzieherinnen und Erzieher - nur
zur Verbesserung des Betreuungsschlüssels - zusätzlich
eingestellt . Sie brauchen in diesem Zusammenhang nicht
über Glaubwürdigkeit zu reden . Die Länder tun so etwas
zum Teil, manchmal auch - was sehr bedauerlich ist gegen die Widerstände vonseiten der SPD .
Zweitens. Es werden 100 000 neue Plätze geschaffen.
Für diese 100 000 neuen Plätze fehlen aber die Erzieherinnen . Faktisch haben wir heute keine Erzieherinnen
für diese 100 000 Plätze . Das heißt, dass wir über den
Erzieherberuf sowie über eine Aufwertung desselben reden müssen . Wir müssen darüber reden, wie die Erzieherinnen für diese Plätze ausgebildet werden sollen . Ich
sage Ihnen noch einmal: Das wird nicht gehen, indem
sich die Länder weiter herausmogeln und die Kommunen neue Berufsbilder - wie in Bayern die Fachkraft für
Mittagsbetreuung; das wird über die Bundesagentur mit
einem Weiterbildungsbedarf von 40 Stunden gefördert erfinden. Vielmehr brauchen wir in den Kindertagesstätten staatlich anerkannte Erzieherinnen und Erzieher mit
einer ordentlichen Ausbildung . Das sind wir den Familien schuldig . Das heißt aber auch, den Beruf aufzuwerten,
ihn für Männer attraktiver zu machen .
({3})
Das heißt aber auch, diesen Beruf endlich besser zu
bezahlen . Da kann man nur noch einmal die Forderungen
aus dem Streik der Angehörigen der Erziehungsberufe
im letzten Jahr wiederholen: Wir brauchen eine deutliche - auch finanzielle - Aufwertung des Berufsbildes,
damit mehr Menschen diesen Beruf ergreifen . Die brauchen wir nämlich in den Kitas .
Des Weiteren werden wir darüber reden müssen - eigentlich müssen wir das umsetzen -, dass der ErzieherNorbert Müller ({4})
beruf als Mangelberuf ausgewiesen wird, um ihn auch
handhabbarer zu machen . Es kann doch nicht sein, dass
wir überall im Land Kitas haben, die aber keine Erzieher
finden. Diese Kitas können niemanden einstellen. Die
Bundesagentur aber meldet immer, dass es keinen Bedarf
gibt . Da passen Realität und das, was hier oben diskutiert wird, längst nicht mehr zusammen . Wir brauchen die
Einstufung des Erzieherberufes als Mangelberuf .
({5})
Drittens . Wir brauchen den Einstieg in die Beitragsfreiheit . Ich habe das bis jetzt nicht gesagt, aber der Kollegen Weinberg hat es ja von selber angesprochen . Ich
sage ihm aber jetzt noch einmal deutlich: Wir brauchen
den Einstieg in die Beitragsfreiheit .
({6})
Warum? Wir brauchen ihn nicht, weil wir Menschen nur
einfach so von den Beiträgen entlasten wollen . Nein,
Kinderbetreuung ist eine Bildungsaufgabe . Und so, wie
wir kein Schulgeld mehr haben, ist es auch völlig richtig,
dass frühkindliche Bildung beitragsfrei sein muss . Deswegen brauchen wir den Einstieg in die Beitragsfreiheit .
Den werden wir nicht von heute auf morgen bekommen .
Aber das rot-rot regierte Brandenburg sowie auch andere
Länder mit Regierungsbeteiligung von Linken, Grünen
und SPD - zum Teil betrifft das auch, wie in Berlin oder
Hamburg, die CDU - haben sich auf den Weg gemacht,
die Beitragsfreiheit umzusetzen . Zu gleichwertigen Lebensverhältnissen gehört, diese Beitragsfreiheit in ganz
Deutschland umzusetzen . Dafür brauchen wir erste
Schritte .
({7})
Wir stimmen heute diesem Ausbauprogramm zu, aber
wir werden nicht feiern, weil im Bereich der Kitas nicht
alles gut ist und weil die Aufgaben, vor denen wir stehen,
größer als das sind, was wir gerade bewältigen .
Herzlichen Dank .
({8})
Vielen Dank . - Wir kommen zum nächsten Redner .
Das ist Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Werter Herr Müller, ich weiß nicht, wo
Sie in den letzten Jahren gewesen sind. Ich finde es schon
sehr skurril, dass wir im Deutschen Bundestag jetzt ein
viertes - viertes! - Investitionsprogramm für den quantitativen und qualitativen Ausbau im Kitabereich - für eine
Aufgabe, für die wir originär gar nicht zuständig sind auf den Weg bringen .
({0})
Bei allem Respekt: Hier werden - das ist der erste Punkt - 1,126 Milliarden Euro für eine Aufgabe der
Länder ausgegeben . Das ist eine originäre Aufgabe der
Länder, die ich an dieser Stelle herzlich bei der Debatte
begrüße . Sie werfen der Ministerin - ich hätte mir auch
nicht vorgestellt, dass ich jetzt die SPD in Schutz nehmen
muss; das ist aber so - vor, sie würde der Erfüllung der
Aufgaben wie ein Igel hinterherhecheln . Das ist natürlich
völlig falsch .
Ich darf im Übrigen an eines erinnern: Seit wir mit
dem Kitaausbau angefangen haben, gibt es eine kontinuierliche, gerade Linie des Ausbaus in Bezug auf Qualität
und Quantität . Beim Bund sehen wir sie seit 2005 - ups,
seit dem Regierungswechsel 2005 .
Wenn Sie dann schauen, wie sich die Nachfrage entwickelt hat, dann stellen Sie fest: Es fing einmal mit
32 Prozent im Krippenbereich an, dann waren es 35 Prozent, dann 38 Prozent . Heute liegt die Nachfrage bei
42 Prozent . Wir decken aber bereits eine Nachfrage von
nahezu 35 Prozent ab . Natürlich hinken wir immer etwas hinterher . Das ist aber auch klar . Man muss wissen,
dass man beim Kitaausbau sozusagen immer ein, zwei,
drei oder vier Jahre hinterherhinkt . Trotzdem können wir,
glaube ich, stolz darauf sein, dass der Bund dieses Geld
zur Verfügung stellt und damit die Länder entlastet .
({1})
Zum zweiten Punkt Ihrer Kritik, zur Höhe der Beiträge. Wir haben dieses Thema hier ja häufig diskutiert. Sie
werden demnächst 30 Milliarden Euro für die Beitragsfreiheit aufrufen . Ich weiß nicht, wie hoch die Beiträge
in Thüringen sind . Das können Sie mir gerne einmal
verraten . Wahrscheinlich haben Sie die Beitragsfreiheit
in Thüringen schon erreicht . Ich will einmal aus der Anhörung, aus der Sie auch zitiert haben, eine Passage der
Stellungnahme des Deutschen Vereines für öffentliche
und private Fürsorge zitieren:
Angesichts der schwierigen Haushaltslage in den
Kommunen und der bereits bestehenden Beitragsstaffelung nach sozialen Kriterien ist eine Freistellung von Eltern, die durchaus in der Lage sind, die
Beiträge zu zahlen, nicht prioritär .
Dem können wir nichts hinzufügen . Das ist genau
richtig so . Deswegen sage ich: Erst einmal die Quantität ausbauen, dann die Qualität erhöhen, bevor wir uns
irgendwann einmal sicherlich auch über Beitragsfreiheit
unterhalten können . Aber das kann keine Priorität sein,
solange Menschen weiter Kitaplätze suchen .
Ein weiterer Punkt, der auch angesprochen wurde,
ist die Frage der Qualität . Wir sind der Meinung, dass
dies ein Prozess ist, bei dem die Länder, die im föderativen System diese Aufgabe originär haben, gemeinsam
mit dem Bund zu einer Lösung kommen müssen . Dieser
Prozess ist durchaus gut angelegt, wenn man sagt, dass
man das gemeinschaftlich macht . Auch ich hätte mir gewünscht, dass das eine oder andere Bundesland bei der
Frage, wie man diesen Prozess entwickelt bzw . ob man
ein Entwicklungsgesetz auf den Weg bringt, zustimmt .
Da sind wir auch nicht abgeneigt - das sage ich ganz
deutlich -, weil wir wollen, dass Standards gesetzt werden . Aber ich glaube, es ist richtig, dass wir das in der
Norbert Müller ({2})
Freiwilligkeit der Länder belassen, weil diese letztendlich für den Ausbau verantwortlich sind .
Wenn Sie die Geschichte des Kitaausbaus seit 2005
betrachten, dann stellen Sie fest, dass das eine Erfolgsgeschichte ist . Dass wir jetzt noch einmal über 1 Milliarde
Euro investieren, ist richtig . Dass wir den Fokus auf die
Betreuung von Schulkindern erweitern wollen, ist richtig, weil das der Wunsch der Eltern ist . Die Forderung
der Eltern ist: Wir wollen nicht nur bis zum sechsten Lebensjahr unseres Kindes eine gute Ganztagsbetreuung,
sondern wir wollen auch darüber hinaus eine Ganztagsbetreuung haben . Insofern ist es, glaube ich, richtig, hier
auch diese Erweiterung mit Blick auf Schulkinder anzustreben .
Nächster Punkt . Auch die Erweiterung war richtig . Es
war richtig, dass wir gefragt haben: Wie sieht es denn
aus mit Gesundheitsförderung? Wie sieht es aus mit Familienangeboten? Auch hier kann man, glaube ich, den
Ausbau insoweit als Erfolg bezeichnen, als es gelungen
ist, auch diese Maßnahmen zu finanzieren. Nun hatte der
Bundesrat ja in seiner Stellungnahme drei Wünsche geäußert . Ich habe bei der Debatte zur ersten Lesung schon
ganz deutlich gesagt: Mit zwei Wünschen haben wir
ein Problem . Wenn wir feststellen, dass Bedarf besteht
und dass dieser Bedarf weiterhin vorhanden ist, und wir
noch einmal 100 000 neue Plätze schaffen wollen, dann
kommt es doch darauf an, dass wir neue Plätze schaffen . Das heißt, wenn wir Geld investieren, muss die erste
Voraussetzung immer sein, dass neue Plätze geschaffen werden . Die zweite Voraussetzung muss sein, dass
die Länder sich daran beteiligen . Wir werden nicht zu
100 Prozent den Ausbau von Kitaplätzen übernehmen .
Das ist nicht unsere Aufgabe, und deswegen werden wir
dies auch nicht mittragen . Was wir als Große Koalition
mittragen, ist die Entscheidung, die Frist dafür zu verlängern . Ich glaube, dass es sinnvoll und in Ordnung ist,
dass wir durch eine Fristverlängerung bis zum 31 . Dezember 2019 für die Länder die Möglichkeit schaffen,
ihre Ausbauoption weiterzuentwickeln . Insoweit, glaube
ich, können wir in der Großen Koalition sagen, dass wir
im Hinblick auf diese Ausbaukapazitäten gut gearbeitet
haben .
Außerdem ist ja noch etwas passiert . Kitaausbau und
Qualitätsausbau heißt ja auch, dass wir schauen - Stichwort „KitaPlus“ -: Wo haben wir denn Maßnahmen ergriffen, bei denen es um die Themen Integration, Sprache
oder um Randzeiten geht? Der Kitaausbau und die Qualitätssicherung im Kitabereich sind ja wie ein Mosaik, bei
dem einzelne Elemente zusammengreifen müssen . Ich
glaube, wir müssen auch betrachten, dass diese einzelnen
Punkte, die wir entwickelt haben, jetzt als solche Wirkung entfalten und den Bedarf der Eltern auch abdecken .
Die Betreuungsquote - das habe ich bereits gesagt - liegt
2016 bei 32,7 Prozent und kommt von 13,6 Prozent im
Jahre 2006 . Man muss sich einmal vorstellen, was in diesen Jahren passiert ist .
Herr Müller, ich weiß, dass es Ihre Aufgabe als Oppositionspolitiker ist, auch ein bisschen zu schimpfen . Aber
ich würde mir von Ihnen bzw . der Linken ein bisschen
mehr Respekt vor der Aufbauleistung in diesem Bereich
wünschen, zumal Sie da, wo Sie Verantwortung tragen,
auch in Teilen versagen .
({3})
Sie haben die Qualität angesprochen . Nun muss ich
leider die SPD doch noch einmal mit in Haftung nehmen .
Wenn ich mir überlege, wie die Bundesländer, die von
Linken mitregiert werden, mit der Frage des Fachkräftemangels bei Erziehern umgehen, dann kann ich nur sagen: Not macht erfinderisch, aber auch anspruchslos. In
Berlin werden beispielsweise die Anforderungen an das
Kitapersonal gesenkt . Sie wollen, dass Sozialassistentinnen demnächst als volle Kräfte angerechnet werden . Ich
kann aus meinem eigenen Umfeld berichten . Mir wurde
gesagt: Dann sind wir bald gar nichts mehr wert . - Da
haben Sie Verantwortung . Hier in Berlin können Sie das
verhindern, indem Sie einmal das umsetzen, was Sie hier
groß verkünden, nicht nur Wolken hin- und herschieben, nicht nur Schein - Schein hat mehr Buchstaben
als Sein -, sondern wir erwarten, dass Sie dort, wo Sie
Verantwortung übernehmen, auch einmal handeln . Ich
erwarte nach Ihrer Rede von Ihnen, dass es demnächst
hier eine Erklärung gibt, dass Sie in Berlin Fachkräfte im
Bereich der Kindertagesbetreuung vernünftig behandeln .
({4})
3,28 Milliarden Euro haben wir schon investiert, plus
1,1 Milliarden Euro obendrauf . Frau Künast, als Sie noch
regiert haben, haben Sie in diesem Bereich von solchen
Investitionen geträumt .
({5})
Zusätzlich - das wurde auch angesprochen - geben
wir den Ländern dauerhaft Geld - mittlerweile sind es
945 Millionen Euro - für die Betriebskosten . SprachKitas, „KitaPlus“ - also die Betreuungszeiten flexibler
zu gestalten und den Schwerpunkt gerade bei Integration
zu setzen -, habe ich gerade angesprochen .
Deswegen müssen Sie sich die Frage stellen: Warum
ist der Bedarf so gestiegen? Frau Schwesig hat gesagt,
eine gute Familienpolitik wirkt auch nachhaltig . Frau
Brantner, wir beide freuen uns, denn wir bekommen wieder mehr Kinder; also nicht wir, sondern die Gesellschaft
({6})
bekommt mehr Kinder . Endlich einmal mehr Kinder . Das
heißt, endlich ist der Paradigmenwechsel erfolgt, dass wir
in Deutschland zum einen mehr Kinder bekommen . Zum
anderen haben wir natürlich eine starke Nachfrage, weil
wir bei der Bewältigung der Flüchtlingsaufgabe auch den
Bereich der Kindertagesbetreuung sehen müssen . Deswegen sind die Anforderungen auch so gestiegen, zum
Teil dramatisch gestiegen . Aber die Länder bekommen
nicht nur ihre Entlastung im Kitabereich, sondern sie bekommen die Entlastung auch in anderen Bereichen, zum
Marcus Weinberg ({7})
Beispiel bei der Frage, wie die Kommunen dieses machen können .
Im Übrigen will ich auch darauf verweisen, dass wir
nicht nur und ausschließlich über den Bereich der Kindertagesbetreuung reden . Es war für die Union damals
ein zentraler Punkt, zu sagen: Ob das Kind in der Kindertagesstätte betreut wird oder bei der Tagespflege, sollten die Eltern entscheiden . Es gibt ja so etwas wie die
Freiheit der Eltern . - Deshalb haben wir auch die Qualifizierung der Tagespflege vorangetrieben, auch mit der
Konsequenz, dass die Qualitätssteigerung im Bereich der
Kindertagespflege immens ist. Das wird auch eine Aufgabe für die Zukunft sein, bei der wir sagen, dass wir bei
allem Respekt vor der Bedeutung der Kindertagesstätten
nicht die Qualifizierung und die Arbeit von Erzieherinnen in der Tagespflege außer Acht lassen, also die Qualität auch vor Ort steigern .
Bei der Qualitätsentwicklung bin ich sehr optimistisch . Die Handlungsfelder, die jetzt erarbeitet wurden,
sind definiert worden: Fachkraft-Kind-Schlüssel, Qualifizierung von Fachkräften, Schwerpunkt Leitung oder
auch räumliche Gestaltung . Diese Handlungsziele liegen
also auf dem Tisch . Deswegen sage ich: Seit 2005 gibt es
einen Bereich, bei dem wir sagen, dieser Punkt hatte Priorität . Den haben wir erfolgreich weiter aufgebaut . Den
werden wir auch in den nächsten Jahren weiter aufbauen,
zumindest wenn wir Regierungsverantwortung übernehmen .
Deswegen glaube ich, Herr Müller, bei allem Respekt
vor Ihrer Arbeit als Oppositionspolitiker: Wenn Sie sich
ernsthaft diesen Bereich in den letzten zwölf Jahren anschauen, dann erkennen Sie: Es ist tatsächlich eine Erfolgsgeschichte . Die zusätzlichen 100 000 Plätze sind ein
weiterer Schlüssel, es ist bereits das vierte Programm .
Deswegen sind wir froh und glücklich, dass wir das heute so beschließen können . Ich würde mir wünschen, dass
wir möglicherweise über ein fünftes und sechstes Programm die nächsten Ziele anstreben .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({8})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Dr . Franziska
Brantner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .
({0})
Das können Sie doch erst nach der Rede sagen . Das
können Sie nicht vor der Rede sagen!
({0})
- Oh .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir
diskutieren heute über Kindertageseinrichtungen, Kindertagespflege und über die Gelder vom Bund dafür. Herr
Weinberg, Sie haben gerade gesagt: Das war bis jetzt eine
Erfolgsgeschichte . Wir stimmen aber heute nicht über die
Vergangenheit ab, sondern darüber, was in der Zukunft
kommt . Hier ist das Problem, dass es in Deutschland für
die Kitas einen Qualitätsaufbruch bräuchte . Diesen Aufbruch haben wir heute leider nicht vorliegen . Bei uns im
Ländle würde man sagen: nicht einmal ein Aufbrüchle .
Das ist gar nichts . Das ist nicht einmal das Minimum . Es
ist extrem schade, dass wir diesen Aufbruch nicht weitermachen, dass wir diese Erfolgsgeschichte nicht fortführen können .
({1})
Es hätte zu dem Aufbruch kommen können, ist es aber
nicht . Es ist natürlich immer noch besser, 100 000 Plätze zusätzlich zu bekommen als keine . Es ist auch besser, dass über Dreijährige mit gefördert werden können .
Auch eine Raumgestaltung ist positiv .
Aber jetzt schauen wir uns doch einmal an, worum es
eigentlich momentan geht . Sie sagen: Wir haben in den
nächsten vier Jahren Geld für 100 000 zusätzliche Plätze . - In der gemeinsamen Anhörung haben alle Experten
gesagt - es gab nicht einen, der etwas Gegenteiliges gesagt hat -: Das reicht hinten und vorne nicht . - Wir haben
die Zahl schon gehört: 350 000 zusätzliche Plätze werden eigentlich gebraucht . - Für 100 000 Plätze wollen
Sie Geld bereitstellen . Das heißt, wir haben da schon eine
Lücke von 250 000 Plätzen, und da ist noch nicht einmal eingerechnet, dass alle Flüchtlingskinder in die Kitas
kommen und hoffentlich mehr Kinder geboren werden.
Das heißt, wir haben eine Lücke beim Ausbau .
Dann haben wir noch nicht über die Steigerung der
Qualität gesprochen, dann wird noch kein Cent für mehr
Erzieherinnen, geschweige denn für eine bessere Bezahlung von Erzieherinnen zur Verfügung gestellt .
Frau Schwesig, wenn Sie mir sagen, dass es Länder
gibt, die da skeptisch sind, dann kann ich nur sagen: Ja,
natürlich! Wenn die Länder wissen, dass das Geld für
die nächsten vier Jahre nicht einmal für den Ausbau,
geschweige denn für die Steigerung der Qualität reicht,
dann ist ihre Bereitschaft nicht so hoch, gemeinsam Gesetze zur Qualität zu machen .
({2})
Es ist klar, dass der Bund da mit in die Verantwortung
muss . Diese Verantwortung übernehmen Sie nicht, und
dann beschweren Sie sich und schieben es auf die Länder . So geht das nicht . Sie sind hier an der Regierung, Sie
müssen ein Zeichen setzen .
({3})
Marcus Weinberg ({4})
Das ist Ihre Verantwortung . Das ist kein Angebot .
({5})
Was wir hinsichtlich der Qualität brauchen, ist klar es liegt auf dem Tisch -: Es geht darum, dass Erzieherinnen und Erzieher mehr Zeit für die Kinder haben .
Man kann eine Geschichte nicht schneller vorlesen, man
braucht dazu Zeit, und davon hängt so viel ab . Die Erzieherinnen und Erzieher sind Vorbilder, Mentorinnen,
Spielkameraden - sie sind so viel für unsere Kinder . Und
wir wissen: Diese Zeit ist für die Kinder das Wichtigste .
Wenn sich keine persönlichen Beziehungen entwickeln,
dann leidet darunter die Qualität . Deswegen wollen wir
endlich regeln, dass sich in der Betreuung der unter Dreijährigen eine Erzieherin oder ein Erzieher um drei Kinder kümmert - wenn sie älter sind, können es ein paar
mehr Kinder sein . Das ist das, was wir gesetzlich regeln
wollen . Natürlich kostet das Geld, und da muss sich auch
der Bund in die Pflicht nehmen lassen.
({6})
Zu Ihrem Antrag. Wir hören in der Öffentlichkeit von Frau Schwesig, von der SPD - immer wieder etwas
zur Beitragsfreiheit . Natürlich ist sie langfristig unser aller Ziel . Wir haben bei den Kitas aber eine Lücke von
250 000 Plätzen, wir haben also nicht einmal ausreichend
Plätze, noch nicht genügend Qualität . Ich sage Ihnen jetzt
ganz offen: Bevor es dazu kommt, dass ich als Abgeordnete keinen Beitrag mehr leisten muss, möchte ich, dass
erst einmal das Gehalt der Erzieherinnen steigt .
({7})
Das ist meine ganz klare Priorität . Ich möchte erst einmal, dass es gute Betreuungsplätze gibt und dass die Erzieherinnen besser bezahlt werden . Wenn ich am Ende
keinen Beitrag mehr zahlen muss - von mir aus! Aber das
ist nicht erste grüne Priorität .
({8})
Und wenn Sie, Frau Schwesig, obwohl Sie in der Regierung sitzen, es nicht einmal schaffen, den Ausbau voranzubringen, und dann draußen die Beitragsfreiheit versprechen, dann finde ich das echt ziemlich frech.
({9})
Als nächster Redner hat Sönke Rix für die SPD das
Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Frech“ ist es vielleicht auch manchmal, wenn man vergisst, dass man als Mitglied der Regierung auch eine Gesamtverantwortung tragen muss und vielleicht nicht immer eins zu eins das vertreten kann, was die eigene Partei
vertritt . Wenn man schon gegen Beitragsfreiheit wettert
oder ihre Einführung nicht als Priorität ansieht
({0})
- ich weiß auch nicht, wer davon gesprochen hat, dass
die SPD es als erste Priorität ansieht, die Beitragsfreiheit einzuführen; das hat hier niemand behauptet, Frau
Brantner -, dann muss man angesichts dieser Frechheit
vielleicht auch frech nachfragen, wie es eigentlich in den
einzelnen Landesregierungen gelaufen ist, die die Beitragsfreiheit in Schritten eingeführt haben: Sind da die
Grünen eigentlich gar nicht in der Verantwortung gewesen?
({1})
Haben sie das alles eigentlich immer nur zulasten der
Qualität und der Bezahlung der Erzieherinnen und Erzieher umgesetzt?
({2})
Diesen Vorwurf würde ich als Vertreter der Grünen in
Hamburg, in Rheinland-Pfalz oder in anderen Ländern
zurückweisen; ich glaube, das würden Ihre Kolleginnen
und Kollegen nicht auf sich sitzen lassen . Das haben diese Landesregierungen nämlich auch nicht getan, liebe
Kolleginnen und Kollegen .
({3})
Wie gesagt: Wir haben uns gar nicht die Priorität gesetzt, als Erstes die Beitragsfreiheit zu erreichen . Das
hat nie jemand behauptet - weder Herr Schulz noch die
Kollegen der Linken noch Frau Schwesig noch ich machen das . Wir wollen, dass das auch in die Diskussion
eingebracht wird, dass es Bestandteil der Debatte darüber wird, wie man Familien entlasten kann und wie man
in dem Zusammenhang mit der Kita umgeht . Da gehört
Beitragsfreiheit genauso dazu wie der Qualitätsausbau
und die bessere Bezahlung von Erzieherinnen und Erziehern . Ich will nicht, dass diese Punkte gegeneinander
ausgespielt werden .
({4})
In anderen Bereichen machen wir das doch auch nicht .
Im Übrigen ist gerade die Opposition schnell dabei,
alles auf einmal zu fordern .
({5})
Wir haben eben gehört, was wir noch alles machen sollten . Ich frage mich, warum die Themen „Kinderbetreuung“ und „Entlastung von Familien“ gegeneinander ausgespielt werden . Genau an dieser Stelle sollten wir das
nicht tun, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({6})
Lieber Kollege Weinberg, lieber Marcus, ich erinnere
an die Positionierung der CDU Niedersachsen. Sie findet,
dass die Beitragsfreiheit für Kitas durchaus auf die Tagesordnung gesetzt und umgesetzt werden sollte . Das ist
eines der Wahlversprechen der CDU Niedersachsen; als
Land ist man ja auch dafür zuständig. Ich finde, das ist
von der CDU Niedersachsen keine schlechte Idee . Vielleicht sollte man bei den Grünen und bei der CDU erst
einmal in den eigenen Reihen klären, wie man mit dem
Thema umgehen will .
({7})
- In Berlin würde es sogar mit der CDU umgesetzt; schönen Dank für den Hinweis .
Dann möchte ich darauf hinweisen: So zu tun, als ob
wir auf Bundesebene nichts für die Qualitätssteigerung
getan haben, ist auch eine Frechheit . Was ist denn zum
Beispiel mit den Sprachkursen, die wir unterstützen? Hat
das nichts mit Qualität zu tun, wenn wir die Sprachförderung in Kindertagesstätten unterstützen? Natürlich führt
das zu einer Qualitätssteigerung . Das außer Acht zu lassen, ist nicht fair, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({8})
Noch zu der Frage: Könnten wir nicht noch viel mehr
als das jetzige Programm umsetzen? Es hat keiner gesagt,
dass das das letzte Programm ist, mit dem wir den Ländern und Kommunen Mittel für die Kitas zur Verfügung
stellen . Wir stellen die größte Summe zur Verfügung, die
es jemals für diesen Bereich gab . Wir tun das auch gerne . Natürlich kommen noch weitere Programme hinzu .
Wir werden auch weiterhin Mittel für Kindertagesstätten
zur Verfügung stellen . So zu tun, als ob das das Einzige
ist, was wir jemals gemacht haben, ist nicht richtig, liebe
Kolleginnen und Kollegen .
Es werden noch weitere Schritte folgen . Dafür hat
sich auch Herr Rauschenbach ausgesprochen . Er hat ja
nicht gesagt, das vorliegende Programm reiche nicht aus
und das sei zu kritisieren; vielmehr hat er gesagt, er gehe
davon aus, dass es auch in Zukunft weitere Programme
geben werde, und natürlich wird es in Zukunft weitere
Programme geben .
Dann wurde noch kritisiert, warum eine Verlängerung
des Programms vereinbart wurde . Das ist auf Forderung
der Länder passiert . Das ist nicht passiert, weil wir uns
das irgendwie ausgedacht haben . Von daher ist es auch
richtig, dass wir das Programm verlängern .
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle hier haben bekundet, dass sie dem Gesetzentwurf zustimmen . In der
Debatte hörte es sich nicht ganz so an, als ob wir einer
Meinung sind . Ich bin aber froh, dass wir einer Meinung
sind, sodass wir dem Gesetzentwurf geschlossen zustimmen werden . Nicht nur die Erzieherinnen und Erzieher,
sondern auch die Familien und die Kinder haben es verdient, dass wir ein eindeutiges Signal aussenden .
Wir gehen die Vorhaben gemeinsam an . Es muss aber
auch klar sein, dass das Gesetz nur ein weiterer Schritt
ist . Wir regeln damit nur einen Teil dessen, was wir gemeinsam mit Ländern und Kommunen leisten . Es müssen weitere Schritte folgen, aber nicht nur von uns, sondern auch von den zuständigen Ebenen .
Herzlichen Dank .
({10})
Als nächster Redner hat Maik Beermann für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren, auch auf den
Tribünen! Sir Winston Churchill sagte einst:
Es ist einfacher, eine Nation zu regieren, als vier
Kinder zu erziehen .
Deswegen möchte ich mich gleich zu Beginn meiner
Rede den lobenden Worten der Ministerin anschließen .
Diese anerkennenden Worte für jene, die sich um die
Erziehung kümmern, zeigen den enormen Anspruch an
eine gute Betreuung eines jeden Kindes . Das gilt für die
Erzieherinnen und Erzieher, aber auch für die Eltern zu
Hause .
({0})
Wir haben in dieser Legislaturperiode viel gemacht .
Um den Bedürfnissen von Eltern immer besser gerecht
zu werden, haben wir unter anderem bereits in der vorletzten Legislaturperiode unter der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen das Elterngeld eingeführt und in dieser Legislaturperiode zum Elterngeld Plus
weiterentwickelt .
({1})
- Warten Sie ab! - In meinen Augen ist das ein Wendepunkt in der Familienpolitik . Durch diese Regelung haben Eltern die Möglichkeit, die Zeit mit ihrem Kind ganz
individuell zu gestalten . Das ist ein wichtiger Schritt in
Richtung Familienzeitpolitik und somit ein gesamtgesellschaftlicher Gewinn . Nicht zuletzt die steigenden Geburtenzahlen seit 2010, die aus unserer Sicht durchaus
mit dem Elterngeld zusammenhängen, erfordern einen
Ausbau des Betreuungsangebotes . Dessen sind wir uns
in der Unionsfraktion und in der Koalition bewusst .
Die richtigen Rahmenbedingungen für diesen Ausbau
werden im heute zur Abstimmung vorgesehenen Gesetzentwurf aufgezeigt: 100 000 zusätzliche Betreuungsplätze für den Kitabereich und für die Kindertagespflege bis
zur Einschulung; dafür 1,126 Milliarden Euro bis zum
Jahr 2020 . Meine Damen und Herren, an dieser Stelle
möchte ich deutlich sagen: Ich fordere die Länder auf,
keine klebrigen Finger zu bekommen, sondern die Unterstützung, die wir hier auf den Weg bringen, eins zu eins
an die Kommunen weiterzuleiten .
({2})
Wir Abgeordnete des Deutschen Bundestages sollten genau hinsehen und prüfen, ob diese Gelder da ankommen,
wo sie dringend benötigt werden . Ich jedenfalls werde
das in meinem Wahlkreis, im Schaumburger Land und im
Landkreis Nienburg, tun. Ich hoffe, Sie tun das Gleiche.
Aber auch die Länder müssen ihrer Verantwortung
nachkommen . Sie können nicht immer nur die Hände
aufhalten und nach mehr Geld vom Bund schreien . Bei
der Kinderbetreuung handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der Bund, Länder und Kommunen gemeinsam in der Verantwortung stehen . Wir
als Union haben uns immer wieder für die Kommunen
eingesetzt und starkgemacht . Wir haben gemeinsam mit
dem Koalitionspartner Förderungen und Entlastungen
in Milliardenhöhe geleistet . Insgesamt hat der Bund seit
2007 rund 8 Milliarden Euro allein in den Ausbau und die
Betriebskosten der Betreuungseinrichtungen investiert .
Das muss und darf von den anderen Sektoren einfach
einmal anerkannt werden .
({3})
Noch ein Thema, über das in der Öffentlichkeit derzeit
immer wieder diskutiert wird, ist mir wichtig - wir haben
das auch heute hier gehört; im Entschließungsantrag der
Linken wird das sogar gefordert -: die Beitragsfreiheit
für den Besuch einer Kita . Meine sehr verehrten Damen
und Herren, verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Alle
Kinder sollen die Möglichkeit haben, in eine Kita zu
gehen . Das sind wir unseren Familien schuldig . Diese
Aufgabe steht auch im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Chancengleichheit . Aber muss alles, was heute
staatlich angeboten und organisiert wird, kostenlos bzw .
beitragsfrei sein?
Kein Kind darf aufgrund sozialer Umstände benachteiligt oder ausgeschlossen werden . Darüber sind wir uns
hier im Hohen Haus, glaube ich, alle einig . Auf der anderen Seite kann die Forderung aber nicht lauten: Mehr
Plätze, mehr Fachpersonal, mehr Qualität, und das alles
am besten frei von jeglichen Kosten . Das passt nicht zusammen. Das steht nach Auffassung der CDU/CSU auch
in klarem Widerspruch zur Verantwortung gegenüber der
nachfolgenden Generation, weil irgendwer das irgendwann bezahlen muss .
Gerecht ist, wenn jeder das leistet, was er leisten
kann . Selbstverständlich sollten Elternbeiträge sozialverträglich angepasst werden . Elternbeiträge, die nach Gehaltseinkommen gestaffelt sind, gibt es bereits vielerorts.
Vielleicht ist das ein Modell der Zukunft . Die Länder und
Kommunen sollten hier noch einmal genau hinschauen;
denn auch die Gebühren oder Beiträge für den Kitabesuch sind Angelegenheit der Länder und der Kommunen .
Meine Befürchtung ist, dass die Beitragsfreiheit einhergehen würde mit Qualitätsabstrichen bei der Betreuung .
Auch Befragungen von Eltern haben deutlich ergeben,
dass ihnen die Qualität der Betreuung ihrer Kinder wichtiger ist als die Abschaffung von Kitabeiträgen. Das sollte man an dieser Stelle auch einmal berücksichtigen .
({4})
Ein zentrales Qualitätskriterium ist aus unserer Sicht das haben wir vorhin schon gehört - ein guter Personalschlüssel; denn nur ein guter Personalschlüssel ist ein
maßgeblicher Garant für gute Erziehung, Betreuung
und Bildung . Es gibt große regionale Unterschiede . In
Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise ist der Personalschlüssel bei der Betreuung von Kindern über drei
Jahren fast doppelt so hoch wie, Frau Brantner, in Baden-Württemberg . Was wir brauchen, sind einheitliche
Qualitätsstandards in den Ländern .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ansprüche an die
Art der Betreuung eines Kindes sind so unterschiedlich
wie die Familien selbst . Mehr Flexibilität ist auch hier
gefragt. Ein Lösungsansatz kann die Kindertagespflege
sein, ein anderer Betriebskitas . Ich hatte gestern Abend
eine interessante Diskussion mit einer erfolgreichen Unternehmerin aus Berlin . Wir haben uns eigentlich über
den Bereich der Digitalisierung unterhalten . Irgendwann
erwähnte sie beiläufig, dass sie vor einigen Jahren versucht hat, in ihrem Unternehmen eine Betriebskita zu installieren, was aber von den Behörden abgelehnt wurde .
Über die Details haben wir uns noch nicht unterhalten;
das werden wir aber noch tun . Was wollte sie damit erreichen? Sie wollte auf der einen Seite unterstützen, dass
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrem Unternehmen flexibel sein können. Auf der anderen Seite wollte
sie ihr Unternehmen durch diesen Mehrwert für potenzielle zukünftige Mitarbeiter attraktiver machen .
Deswegen wäre es mein Wunsch, liebe Frau Ministerin, dass wir uns entscheiden, das Förderprogramm für
die Betriebskitas, das in diesem Sommer ausläuft, nicht
auslaufen zu lassen und uns über eine Verlängerung zu
unterhalten . Gleichzeitig sollten wir aber auch schauen, ob die Parameter und Stellschrauben, die damals so
festgelegt wurden, aktuell noch die richtigen sind oder
ob wir da Handlungsbedarf haben . Denn erst die Vielfältigkeit der Angebote schafft Flexibilität und ermöglicht
den Eltern eine freie und selbstbestimmte Entscheidung;
diese brauchen sie .
Aber auch die Digitalisierung wird in der Zukunft wir leben ja schon in einer sehr stark digitalisierten
Welt - immer mehr Chancen bieten . Arbeit wird sich
verändern . In der nächsten Legislaturperiode werden wir
uns hier über ganz andere Herausforderungen und über
ganz andere Modelle unterhalten . Eines ist dabei aus
meiner Sicht allerdings klar: Das Thema Selbstbestimmung bzw . Wahlfreiheit der Familien steht für die Union
eindeutig an erster Stelle .
Ich bin stolzer Vater einer fast dreijährigen Tochter .
Weil ich mir um die Zukunft unseres Landes bewusst bin
und in den letzten Monaten sehr fleißig war, kommen in
wenigen Wochen noch zwei weitere Kinder dazu .
({5})
Wir erwarten in den nächsten Wochen Zwillinge . Weil
wir schon so viel über Quoten gesprochen haben: Drei
Kinder in einer Legislaturperiode - das ist doch auch
eine gute Quote .
({6})
Ich möchte damit aber eigentlich sagen, dass man
sich, wenn man vor einer solchen Herausforderung steht,
natürlich die Frage stellt: Wie geht man mit der Betreuung um? Wie stellt man sich da auf? Wie macht man das?
Meine Frau hat sich damals, als unsere erste Tochter geboren wurde, dafür entschieden, unsere Tochter in ihren
ersten Lebensjahren selbst zu begleiten und die Erziehung zu übernehmen . Ich unterstütze sie dabei, wo ich
kann . Aber Sie wissen genauso gut wie ich: Wir Abgeordnete sind viel unterwegs . Da fehlt manchmal die Zeit,
und wir sind nicht so oft zu Hause . - Deswegen habe ich
höchsten Respekt für jene, die sich ganz bewusst dafür
entscheiden, ihre Kinder zu Hause zu erziehen und nicht
in eine staatliche Betreuung zu geben .
({7})
Wir haben aber - das möchte ich fairerweise auch sagen - das große Glück, dass wir mit drei Generationen
unter einem Dach leben und meine Eltern uns unterstützen, wo sie können . Meine Schwiegereltern wohnen in
unmittelbarer Nähe . Auch sie unterstützen uns da, wo sie
können .
({8})
- Genau, das hat eben nicht jeder . - Damit möchte ich
sagen, liebe Frau Kollegin: Regelungen, die die Freiheit
der Familiengestaltung beeinflussen oder nur ein ganz
bestimmtes Familienmodell fördern, lehnen wir ab . Für
uns hat eine echte Wahlfreiheit bei familienpolitischen
Überlegungen oberste Priorität .
({9})
Herr Beermann, jetzt ist Ihre Wahlfreiheit abgelaufen .
Sie haben die Redezeit wirklich deutlich überschritten .
Ich komme zum Schluss . - Wir sagen den Familien:
Wir lassen euch in Ruhe, aber niemals im Stich . Deswegen freue ich mich, dass wir heute ein wichtiges Gesetz
auf den Weg bringen, dem alle Fraktionen zustimmen .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({0})
Ansonsten haben Sie natürlich jede Wahlfreiheit . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Schluss
dieser Aussprache .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zum weiteren quantitativen und qualitativen Ausbau der
Kindertagesbetreuung . Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12158, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11408 in
der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Stimmt jemand dagegen? - Das ist nicht der
Fall . Enthält sich jemand? - Das ist auch nicht der Fall .
Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen worden .
({0})
Wir sind aber noch nicht am Schluss . Wir müssen noch
einmal abstimmen .
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Das
ist wiederum nicht der Fall . Dann ist der Gesetzentwurf
auch in der dritten Lesung einstimmig angenommen worden .
({1})
- Das ist doch mal was .
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/12164 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich
jemand? - Damit ist der Entschließungsantrag mit den
Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen durch die Linken und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
abgelehnt worden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist dieser Tagesordnungspunkt abgeschlossen .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Andrej Hunko, Dr . Alexander
S . Neu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Für eine neue Ostpolitik Deutschlands
Drucksachen 18/11167, 18/11671
Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen bitten, ihre
Plätze einzunehmen, damit wir mit der Aussprache beginnen können .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .
Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich auf der
Besuchertribüne Herrn Andrej Kossolapow, den Oberbürgermeister der Stadt Wolgograd, herzlich begrüßen,
({3})
einer Stadt, die mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen
Geschichte verbunden ist, einer traurigen, für uns Deutsche beschämenden gemeinsamen deutsch-russischen
Geschichte . Deshalb, Herr Oberbürgermeister, freue ich
mich sehr, dass Sie heute Berlin besuchen und auch an
einer Debatte hier im Deutschen Bundestag teilnehmen .
({4})
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in der
Aussprache hat Dr . Gernot Erler für die SPD-Fraktion
das Wort .
({5})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Am 16 . Februar dieses Jahres hat es in diesem Hohen
Haus die erste Beratung des Antrags der Linken mit dem
Titel „Für eine neue Ostpolitik Deutschlands“ gegeben .
Die Aussprache war ziemlich kontrovers, mit ein paar
Abgleitungen ins Polemische . Wer den Antrag liest, ist
darüber nicht verwundert, enthält er doch selber polemische, ja provokative Passagen, sowohl in der Analyse als
auch im Forderungsteil .
Es ist schon erklärungsbedürftig, wenn in einem Antrag zur deutschen Ostpolitik, der sich auf das Erbe von
Willy Brandt und Egon Bahr beruft, der Gegenstand des
Antrags auf das Verhältnis zu Russland reduziert wird als hätte es den Prager Vertrag mit der ČSSR von 1973
oder den Warschauer Vertrag mit Polen von 1970 als
integrale Bestandteile der Ostpolitik nie gegeben . Die
historische Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr
markiert die überfällige Ergänzung der Westbindung
der Bundesrepublik Deutschland, die mit dem Namen
Konrad Adenauer verbunden ist, mit einer Vertrauenspolitik gegenüber allen östlichen Nachbarn Deutschlands
auf der Basis der Anerkennung der real existierenden
Verhältnisse in Europa einschließlich der Grenzen nach
dem Zweiten Weltkrieg .
({0})
Das, was die Linkspartei in diesem Antrag aufgeschrieben hat, aber auch das, was sie nicht aufgeschrieben
hat - mit all den auffälligen Ausblendungen -, kann in
keiner Weise den Anspruch erheben, in der Tradition der
deutschen Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr
zu stehen .
({1})
Sprechen wir von der heutigen Situation und der Herausforderung für die deutsche und europäische Politik .
Wir haben tatsächlich nicht irgendeinen Regionalkonflikt
in der Ukraine, sondern die tiefste Krise im Verhältnis
des Westens zu Russland seit dem Ende des Kalten Krieges .
({2})
Das ist nicht von heute auf morgen passiert, sondern hat
eine längere Vorgeschichte . Sie ist geprägt von einer auseinanderdriftenden Wahrnehmung der politischen Realität in den letzten 25 Jahren .
Der Westen nimmt für sich in Anspruch, sich durchaus konstruktiv um ein gutes Verhältnis zur Russischen
Föderation bemüht zu haben . Die EU hat 1997 ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen abgeschlossen. Wir haben uns wirtschaftlich verflochten; dies hat
2013 mit einem Volumen von 356 Milliarden Euro einen
Höhepunkt erreicht . Wir haben uns in der Energiepolitik wechselseitig voneinander abhängig gemacht . Es
gab regelmäßige EU-Russland-Gipfel . In vielen Dokumenten der EU ist von einer strategischen Partnerschaft
mit Russland die Rede . Deutschland hat auch jährliche Regierungskonsultationen durchgeführt . Man hat
eine strategische Arbeitsgruppe für Großprojekte in der
Wirtschaft gebildet . Es gab hier den größten Anteil am
EU-Handel mit Russland; dieser hat im Jahr 2013 mit
einem Volumen von über 80 Milliarden Euro einen Höhepunkt erreicht . In der Zeit von Dimitrij Medwedew
als russischer Präsident gab es die berühmte Modernisierungspartnerschaft, die vorbereitet wurde . Zudem gab
es gesellschaftliche Verflechtungen mit 100 Städtepartnerschaften, 950 Hochschulpartnerschaften, zahlreichen
Großforschungsprojekten, den Petersburger Dialog, den
deutsch-russischen Austausch und viele andere gesellschaftliche Aktivitäten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das alles sind gute
Gründe, die Bemühungen um ein gutes Verhältnis zu
Russland als konstruktiv und partnerschaftlich zu bewerten . Das Problem ist nur: Bei den russischen politischen
Eliten gibt es eine völlig andere Wahrnehmung und Darstellung derselben Politik . Dort wird behauptet, dass der
Westen die Schwäche Russlands nach der Auflösung der
Sowjetunion missbraucht hat und dass viel Politik gegen
russische Interessen gemacht worden ist .
Die Argumente sind immer dieselben: Osterweiterung
der EU und der NATO, Kosovo-Krieg und Irakkrieg
gegen russische Proteste, die farbigen Revolutionen im
Umfeld von Russland, die von Russland als Inszenierungen der amerikanischen Geheimdienste angesehen worden sind,
({3})
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
und schließlich die Weigerung von Washington, Moskau
auf gleicher Augenhöhe zu betrachten .
Diese völlig unvereinbaren Wahrnehmungen von ein
und derselben Politik - in der Fachwelt „diverging narratives“ genannt - haben zum Ukraine-Konflikt und zur
Zerrüttung des Verhältnisses zwischen Russland und dem
Westen geführt; denn Moskau hat in dem Angebot des
EU-Assoziierungsabkommens mit den Ländern der östlichen Partnerschaft eine Fortsetzung der russlandfeindlichen Politik des Westens gesehen - sozusagen als finalen
geopolitischen Zugriff auf die russische Nachbarschaft.
Durch die Maidan-Erhebung, einem wiederum von
den USA gesteuerten Versuch eines Regime Change,
sozusagen als Matrix, als Vorbild für die russische Opposition, sah sich Russland legitimiert, zu gravierenden
Regelverletzungen zu greifen, wie sie die Annexion der
Krim und die Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine darstellen, und im Endeffekt die europäische
Friedensordnung zu beschädigen .
Wer eine Antwort auf diese tiefe Krise zwischen Russland und dem Westen sucht, der muss an dieses Problem
der unvereinbaren Narrative, der unvereinbaren Geschichten von Politik herangehen . Das ist nur möglich
durch einen intensiven politischen und gesellschaftlichen
Dialog zwischen Russland und dem Westen .
({4})
Deutschland hat sich bemüht, den OSZE-Vorsitz 2016
für erste Dialogversuche zu nutzen; wir werden das fortsetzen . Das ist aber nur machbar auf der Grundlage einer
sehr klaren Position in Bezug auf die russischen Regelverletzungen und die russische Infragestellung der europäischen Friedensordnung . Damit muss die permanente
Bereitschaft zu einem offenen, fairen und auf gleicher
Augenhöhe stattfindenden Dialog verbunden sein.
Was finden wir dazu in dem Antrag der Linksfraktion?
({5})
Dort treffen wir auf eine Schuldzuweisung an eine angeblich westliche geostrategische Dominanzpolitik, die
für die Konflikte verantwortlich gemacht wird. Dort wird
die Osterweiterung der EU und der NATO angeprangert und die Forderung aufgestellt, sich von angeblichen
Konzepten des Regime Change in Moskau abzuwenden
und dem Narrativ einer russischen Aggression im Ukraine-Konflikt entgegenzutreten. Das, liebe Kolleginnen
und Kollegen, heißt nichts anderes, als dass die Linke
eins zu eins das negative russische Narrativ, die russische
Sicht der Dinge übernimmt .
({6})
Die Linke blendet die Annexion der Krim und die
russische Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine aus und gibt die gesamte Schuld der westlichen Politik, die sich gegen diese Verletzung der europäischen
Friedensordnung wendet . Für die Linke sind nicht die
russischen Regelverstöße und Vertragsbrüche das Problem - darüber schweigt der Antrag komplett -, sondern
die westliche Reaktion darauf, einschließlich der Sanktionen .
Am schlimmsten in diesem Kontext ist: Es gibt keine
Übereinstimmung bei dem gemeinsamen europäischen
Ziel, Russland auf die Grundlagen der europäischen Friedensordnung, also auf das Regelwerk von Helsinki von
1975 und die Charta von Paris von 1990, zurückzubringen . Auch hier wird die Position Moskaus übernommen,
dass etwas Neues ausgehandelt werden soll .
In dem Antrag der Linken heißt es, dass eine neue
KSZE entwickelt werden soll, die den veränderten Bedingungen in Europa Rechnung trägt, und es müssten
alle Körbe der Helsinki-Konferenz von 1973 überprüft
werden .
({7})
Man kann hier ja nur eines fragen: Was ist denn falsch
an Helsinki und Paris, den beiden entscheidenden Fundamenten der europäischen Friedensordnung, vielleicht das
Prinzip des Gewaltverzichts oder die Anerkennung der
Souveränitätsrechte der Staaten, vielleicht die Garantie
der Grenzen
({8})
oder die Menschen- und Bürgerrechte, die in diesem berühmten dritten Korb verhandelt wurden?
({9})
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, nichts daran ist
falsch oder nicht mehr zeitgemäß .
({10})
Ein OSZE-Revisionismus, dem die Linke das Wort redet, führt nur in eine falsche Richtung und in eine Sackgasse . Er führt zur Relativierung des KSZE-Regelwerks
und zur Rückkehr in ein System, in dem allein das Recht
des Stärkeren gilt . Das kann keine Basis für eine neue
Russland- und Ostpolitik Deutschlands sein, und deswegen wird meine Fraktion diesen Antrag mit allem Nachdruck ablehnen .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({11})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Wolfgang
Gehrcke für die Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Danke sehr, Frau Präsidentin . - Ich hätte mir sehr gewünscht, dass in dieser Debatte auch andere Fraktionen Dr. h. c. Gernot Erler
zum Beispiel die Sozialdemokraten oder die CDU-Kollegen - inhaltliche Vorschläge dafür unterbreiten,
({0})
wie eine neue Ostpolitik und eine neue Russland-Politik
aussehen könnten .
({1})
Diesen Disput würde ich gerne mit euch aufnehmen, aber
ihr schweigt euch aus, setzt auf Sanktionen und glaubt,
dass Sanktionen die Dinge in Europa positiv verändern
würden . Das ist ein grundlegender Fehler .
({2})
Ich fordere Sie auf: Lassen Sie uns tatsächlich über die
Fragen reden, die Gernot Erler aufgeworfen hat . Reden:
Wir haben nicht zu viel Dialog - auch in Deutschland
nicht -, sondern wir haben zu wenig Dialog . Die Kanzlerin fährt in fünf Tagen nach Sotschi und trifft sich mit
Putin. Das finde ich völlig richtig, weil der Dialog nicht
abreißen darf .
({3})
Reden wir doch einmal über einige inhaltliche Fragen .
Wäre es im Interesse der baltischen Länder, wäre es im
Interesse von Polen oder von Georgien auf der anderen
Seite, wenn sich die Situation in Europa stabilisieren und
alles, was in Richtung Krieg geht, durch das Zusammenleben der Völker beseitigt würde? Das wäre doch eine
gemeinsame Aufgabe, die man angehen könnte .
({4})
Wir alle müssen die Frage beantworten: Hilft Aufrüstung,
um Veränderungen in diese Richtung durchzusetzen - die
NATO rüstet auf; das werdet ihr doch nicht bestreiten
können -, oder muss man nicht endlich auf Abrüstung
setzen, um konkrete Abrüstungsverhandlungen in Gang
zu bringen? Das ist das, was wir vorschlagen .
({5})
Ich finde, das ist im Interesse der baltischen Länder, im
Interesse Polens, im Interesse Deutschlands und auch im
Interesse Russlands .
Ich möchte gerne, dass die Sprachlosigkeit, die ich
sehe, endlich überwunden wird . Warum sollen die Ausschüsse des Bundestages und der Duma nicht endlich zu
Debatten zusammentreffen? Warum weigert ihr euch,
dem russischen Auswärtigen Ausschuss der Duma eine
Diskussionsplattform zu bieten?
({6})
Es ist doch bekannt, dass ihr euch verweigert habt und
das blockiert .
Herr Gehrcke, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Beck zu?
Ja .
Herr Kollege, um der Mythenbildung vorzubeugen,
dass es keinen Dialog gebe, möchte ich Sie doch einmal
fragen, ob Sie mitbekommen haben, dass der EU-Ausschuss, als er vor sechs Wochen nach Moskau gereist
ist, große Schwierigkeiten gehabt hat, überhaupt irgendwelche Termine bei den Kollegen in der Duma zu
bekommen . Ist Ihnen das bekannt? Von den 42 Telefonaten - inzwischen sind es vermutlich mehr -, die die
Bundeskanzlerin mit dem russischen Präsidenten geführt
hat, ganz zu schweigen! Es handelt sich um Propaganda, wenn gesagt wird, dass der Dialog von unserer Seite
nicht gesucht würde . Ich sage Ihnen: Auch im Europarat stehen die Türen für die Kollegen offen. Sie kommen
aber nicht mehr .
({0})
Lassen Sie uns erst einmal sachlich festhalten:
({0})
Wenn es für irgendwelche Bundestagsausschüsse Probleme gibt, in Moskau einen Termin zu bekommen, erkläre
ich mich gerne bereit, einen Termin zu vermitteln .
({1})
Das dürfte kein Problem sein . Das werden wir selbstverständlich schaffen. Melden Sie sich einfach.
Ich habe mich sogar dafür eingesetzt, Frau Beck, dass
die Einreisesperre gegen Sie nicht vollstreckt, sondern
aufgehoben wird . Ich möchte, dass sich Abgeordnete frei
treffen können: in Moskau und in Berlin.
({2})
- In Moskau und in Berlin .
({3})
Deswegen muss zum Beispiel auch der Auswärtige Ausschuss der russischen Duma nach Berlin fahren können .
Deswegen muss die Sanktionsliste mit den Namen der
Kollegen der Duma endlich eingestampft werden . Das ist
doch das Mindeste, was man machen könnte .
({4})
Herr Gehrcke, die Kollegin Beck wünscht eine zweite
Zwischenfrage . Ich habe allerdings die Bitte, dass sich
das nicht zu einem Dialog auswächst .
Wenn das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird .
Sie sehen doch, dass die Uhr nicht weiterläuft .
Danke .
Verehrter Herr Kollege, jetzt bin ich doch etwas irritiert .
Warum?
Sie scheinen Insiderkenntnisse zu haben, wenn Sie davon sprechen, dass eine Einreisesperre gegen mich, die
verhängt werden sollte, durch Ihr Wirken nicht verhängt
worden ist . Mir war von einer Einreisesperre noch nichts
mitgeteilt worden .
({0})
Haben Sie etwa Kontakte zum russischen Geheimdienst
oder zu anderen Stellen?
({1})
Genau . - Ich wusste ja immer, dass die Grünen und
die CDU irgendwann zu Schwarz-Grün zusammenkommen . Die alte CDU-Losung „Alle Wege des Sozialismus
führen nach Moskau“ haben die Grünen so verinnerlicht,
dass sie sie heute wiedergeben .
({0})
Was soll denn dieser Unsinn? Es war doch klar - das
wissen Sie auch -, dass Kolleginnen und Kollegen Ihrer
Partei nicht nach Russland einreisen konnten .
({1})
Das hat nicht Sie, sondern Frau Rebecca Harms getroffen.
Das hat Herrn Wellmann von der CDU getroffen. Selbstverständlich habe ich mich dagegen ausgesprochen, dass
Sie auf diese Weise irgendwie belastet werden . Ich bin
für eine freie Debatte . Unsere Fraktion ist für eine freie
Debatte . Das unterscheidet uns .
({2})
Wenn Sie sich genauso energisch dafür einsetzen würden, dass die Kollegen der russischen Duma, die Leitung
der Duma und die Mitglieder des dortigen Auswärtigen
Ausschusses frei nach Deutschland einreisen könnten,
wäre das prima . Springen Sie doch einmal über Ihren
Schatten, und versuchen Sie das einmal . Das tut auch
nicht weh .
({3})
Es gibt den Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage von Herrn Hunko .
Bitte .
Herr Hunko hat jetzt das Wort . Dann sollten wir die
Debatte fortsetzen .
Herr Kollege Gehrcke, gerade wurde die Reisetätigkeit
des Bundestages und der Ausschüsse angesprochen - der
EU-Ausschuss war in Moskau -: Ich bin, wenn ich das
richtig sehe, von denen, die daran teilgenommen habe,
als einziger Vertreter hier .
Ist Ihnen bekannt, dass der Auswärtige Ausschuss eine
solche Reise bewusst nicht gemacht hat? Ist Ihnen auch
bekannt, dass der EU-Ausschuss hochrangige Termine in
Moskau hatte, darunter Treffen mit dem Vorsitzenden des
Auswärtigen Ausschusses und des Föderationsrates? Ist
Ihnen weiter bekannt, dass an dieser Reise kein Vertreter
der Grünenfraktion teilgenommen hat?
Schönen Dank, dass du das hier vorgetragen hast . Ich
könnte zwar sagen: Das ist mir nicht bekannt, aber: Ja, es
ist mir bekannt . Es ist auch bekannt, dass insbesondere
von dem CDU-Kollegen Herrn Röttgen, dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, ein geregeltes Zusammentreffen der Auswärtigen Ausschüsse des Bundestages
und der Duma bislang nicht vorangetrieben, sondern blockiert worden ist . Das ist einfach die Wahrheit . Es ist ja
auch bekannt, dass man das sehr schnell ändern könnte .
Ich will, dass die Sprachlosigkeit überwunden wird .
({0})
Ich will, dass man aufeinander zukommt . Das heißt nicht,
dass man in jeder Frage übereinstimmen muss . Aber man
müsste miteinander reden und herausbekommen, warum
es möglicherweise so ist, wie Kollege Erler es hier vorgetragen hat, dass die politische Wahrnehmung in Moskau
und Berlin höchst unterschiedlich ist .
({1})
Ich finde es ganz vernünftig, dass die russische Seite
immer wieder darauf zurückkommt, dass man über Interessen und die Wahrnehmung von Interessen reden muss .
Die ganze Wertedebatte hat in der Abstraktheit, mit der
sie geführt worden ist, lange Zeit überhaupt nichts gebracht . Es war auch einmal Politik von Willy Brandt und
Egon Bahr, dass man über Interessen reden muss, statt
über Werte zu schwafeln . Ich würde mir sehr wünschen,
dass es auch hier zu einem solchen Umgang miteinander
kommt .
({2})
Ich habe mich - das möchte ich betonen - über die Begrüßung des Oberbürgermeisters von Wolgograd und Ihre
Bemerkungen, Frau Präsidentin, gefreut . Beim Vorbereiten auf diese Debatte ist mir das große Gedicht des russischen Poeten Jewgenij Jewtuschenko in den Sinn gekommen, der vor einigen Wochen verstorben ist . Seine große
Frage an die deutsche und an die russische Bevölkerung
war: Meinst du, die Russen wollen Krieg? - Diese Frage
kann man doch heute beantworten . Für mich ist es völlig
eindeutig: Die russische Bevölkerung will keinen Krieg,
und die deutsche Bevölkerung will keinen Krieg . Und ich
will alles ausschalten, was möglicherweise bewusst oder
unbewusst in eine Kriegssituation hineintreibt .
({3})
Das wäre eine Politik, die man gemeinsam angehen
könnte .
Meinst du, die Russen wollen Krieg? Nein, die Russen
wollen keinen Krieg . Meinst du, die Deutschen wollen
Krieg? Nein, die Deutschen wollen keinen Krieg . - Wenn
man davon überzeugt ist, dann muss man auch eine dementsprechende Politik machen . Wäre es nicht denkbar,
dass man zumindest auf bestimmte Waffensysteme verzichtet? Wäre es nicht denkbar, Kollege Erler, dass man
die Debatte darüber wieder aufnimmt, atomwaffenfreie
Zonen in Mitteleuropa zu schaffen, die wir einmal gemeinsam geführt haben?
({4})
Wäre es nicht denkbar, dass man in einer solchen Situation des Dialoges auch besser und einfacher über Dinge
reden kann, die man höchst unterschiedlich sieht?
Wir kommen doch nicht zusammen, weil ein Klima
vorherrscht, in dem der andere verurteilt wird, statt eines,
in dem über gemeinsame Lösungen nachgedacht wird .
Auch die Lösung der Ukraine-Frage kriegt man nur hin,
wenn man auf Russland zugeht und bereit ist, mit Russland gemeinsam das Problem zu lösen .
({5})
Der Ostukraine den Strom abzudrehen und die Renten
nicht zu zahlen, schafft kein Vertrauen, sondern stört und
zerstört Überlegungen, wie man auch künftig in einem
gemeinsamen Staat leben kann .
Ich bin dafür, dass neues Vertrauen geschaffen wird,
dass Vertrauen aufgebaut wird und dass man auch die
Ukraine-Frage so löst, dass man über Dialog zu politischen Lösungen kommt . Das ist das, was wir vorgeschlagen haben . Darüber können Sie abstimmen . Ich glaube,
dass wir immerhin eine Debatte in Gang gebracht haben .
Danke sehr .
({6})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Motschmann
das Wort für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Herr Gehrcke, Sie wollen die Sprachlosigkeit überwinden . Was Sie vorgetragen haben, macht aber
sprachlos . Denn Ihr Blick auf Russland und auch auf Präsident Putin ist seltsam verklärt . Sie nehmen Realitäten
nicht wahr und verdrängen sie vielleicht auch .
Russland sehen Sie - das hat ja Kollege Erler schon
gesagt - als Opfer westlicher Expansionspolitik . Die
NATO erklären Sie für überflüssig. Herr Gehrcke, das ist
gediegen abwegig, was Sie hier vorgetragen haben .
({0})
In einem Punkt stimme ich Ihnen zu . Ich zitiere aus
Ihrem Antrag:
Die Verbesserung der deutsch-russischen Beziehungen liegt im Interesse aller friedliebenden Menschen
in Deutschland und Russland . Sie sind auch im Interesse gesamteuropäischer Politik .
({1})
Das ist richtig . Da stimme ich zu .
Richtig ist sicherlich auch, dass die Konflikte in Europa an seinen Grenzen und die globalen Konflikte im
Nahen Osten nur in Zusammenarbeit mit Russland gelöst
werden können . Das ist auch richtig . Aber wie soll das
gehen? Und wie soll das Verhältnis zu Russland wieder
besser werden? Hier liegen unsere Positionen natürlich
ganz weit auseinander . Ich will drei Punkte herausgreifen: Erstens . Wo liegen die Ursachen für die Verschlechterung des Verhältnisses? Zweitens . Welche Bedeutung
kommt der NATO zu? Drittens . Wie beurteilen wir die
Sanktionen? Ähnliche andere Punkte sind auch schon
angeklungen .
Erstens . Sie fordern in Ihrem Antrag von - Zitat „beiden Seiten in Europa - Ost wie West - … eine Rückkehr zum Völkerrecht“ .
({2})
Sie können doch nicht im Ernst Deutschland und Europa
im Hinblick auf die Einhaltung des Völkerrechts auf eine
Stufe mit Russland stellen .
({3})
Das ist eine völlige Verdrehung der Tatsachen .
({4})
- Ganz ruhig . Hören Sie zu . Anschließend können Sie ja
auch etwas dazu sagen .
Nicht ein einziges Mal erwähnen Sie die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die Vorgänge in der Ostukraine . Sie haben ja sicherlich recht: Die Bevölkerung
Russlands will keinen Krieg . - Die Politik Russlands
führt aber einen Krieg, und zwar in der Ostukraine . Nach
wie vor sterben dort täglich Soldaten und Zivilisten, zuletzt auch ein Mitarbeiter der OSZE . Es gibt sicherlich das will ich hier einräumen - in diesem Konflikt auch
nicht hinnehmbare Aktionen der Ukraine . Das sollte man
ehrlicherweise sagen .
({5})
Aber die Hauptverantwortung für diesen Konflikt - das
muss doch klar sein - trägt eindeutig Russland .
({6})
Seine Soldaten, Panzer, Geschütze und Minen haben
nichts, aber auch gar nichts in der Ukraine zu suchen .
Russland hat der Ukraine 1994 wegen des Verzichts auf
Nuklearwaffen territoriale Integrität zugesagt.
Sie sollten nicht die Verlässlichkeit und den politischen
Kooperationswillen des Westens anmahnen, sondern umgekehrt die Verlässlichkeit und den politischen Kooperationswillen Russlands einfordern . Das wird höchste Zeit .
Sie haben ja auch gute Beziehungen - bessere als ich .
Ich bin zwar dem Land sehr verbunden . Meine Großmutter ist in Sankt Petersburg geboren, meine Familie hat
lange im Baltikum gelebt . Ich habe eine große Liebe zu
Land, Leuten und Kultur - aber nicht zur Politik, ganz
bestimmt nicht .
({7})
Zweitens . Sie fordern „einen Abbau der Strukturen der
NATO und damit eine Auflösung des westlichen Militärbündnisses“ . Dazu gibt es von uns eine ganz klare Antwort, nämlich Nein . Die NATO sollte natürlich nicht abgebaut werden, sondern eher gestärkt werden . Das hat ja
sogar Präsident Trump eingesehen, der zunächst ebenso
wie Sie davon sprach, dass die NATO obsolet sei .
({8})
Wann werden Sie von den Linken begreifen, dass
die NATO nicht auf Angriff aus ist, sondern ein Verteidigungsbündnis ist? Wir verdanken nicht zuletzt diesem
Bündnis unsere Freiheit und Jahrzehnte des Friedens in
Europa . Dafür sollten wir auch einmal richtig dankbar
sein . Sie sind das überhaupt nicht .
({9})
Unsere NATO-Partner Polen, Litauen, Lettland und
Estland wären ja entsetzt, Herr Gehrcke - ich weiß nicht,
wann Sie zuletzt dort waren oder ob Sie überhaupt je da
waren -, wenn wir ein Ende der NATO einläuten würden . Diese Länder haben bittere Erfahrungen mit Russland und der Sowjetunion gemacht . Das Leid der Deportationen nach Sibirien ist nicht vergessen . Diese Länder
leiden auch heute unter russischer Desinformation und
unter Propaganda in den russischen Medien . Grenzverletzungen durch Überflüge sind ebenfalls an der Tagesordnung .
Es ist also völlig abwegig, dass Sie hier fordern, die
Strukturen der NATO abzubauen .
Drittens: Stichwort „Sanktionen“ . Auf die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und auf die russische
Unterstützung der prorussischen Separatisten in der Ostukraine antworteten die USA, Kanada und die EU zunächst mit Sanktionen gegen russische Einzelpersonen
und danach mit allgemeinen Finanz- und Wirtschaftssanktionen . Diese Sanktionen sind zurzeit übrigens das
einzige Mittel, eine rote Linie gegenüber der Expansionspolitik Putins zu ziehen . Sie von den Linken fordern
ein Ende der Sanktionen . Aber dazu müssen Minimalforderungen erfüllt werden: Waffenstillstand, Rückzug
schweren Geräts und uneingeschränkter Zugang von
OSZE-Beobachtern, eben die Einhaltung des Minsker
Abkommens . Russland hat also den Schlüssel für die Beendigung selbst in der Hand .
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . - Natürlich muss der Dialog auf allen Ebenen geführt werden .
Das tun Angela Merkel und auch unser neuer Außenminister Gabriel vorbildlich .
({10})
Auch auf anderen Ebenen muss dieser Dialog geführt
werden . Aber es ist eine Legende, dass der Dialog von
unserer Seite nicht gesucht wird, wie Sie meinen . Das ist
falsch . Vielmehr bekommen wir keine Gesprächspartner .
Natürlich müssen wir die Zivilgesellschaft unterstützen
und den Kulturaustausch im Rahmen unserer Auswärtigen Kulturpolitik vorantreiben . Heute hat es ja eine Pressekonferenz
Frau Kollegin, ich muss Sie bitten, zum Schluss zu
kommen .
- ja, Frau Präsidentin - in Sotschi gegeben . Eine Kulturolympiade ist geplant, und ein Deutscher ist der Intendant . Wunderbar! Auch der Jugend- und der Studentenaustausch sind wichtig .
Das heißt, wir müssen viel tun, aber nicht das, was Sie
in Ihrem Antrag fordern . Deshalb lehnen wir ihn ab .
Frau Präsidentin, ich habe heute Silberhochzeit mit
dem Pult . Das ist nämlich meine 25 . Rede . Deshalb hat
sie ein bisschen länger gedauert .
Vielen Dank .
({0})
Ich weiß nicht, ob ich zu einer Silberhochzeit mit dem
Pult gratulieren soll, Frau Motschmann .
({0})
Aber dass Sie ein Rednerjubiläum haben, ist auch ganz
nett .
Als nächste Rednerin hat Marieluise Beck das Wort
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
({1})
Ich hoffe, dass die richtige Silberhochzeit etwas vergnüglicher war, Frau Kollegin .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Dem, was der Kollege Erler zur Ehrenrettung
der neuen Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr
gesagt hat, ist nur wenig hinzuzufügen . Ich möchte nur
eines noch einmal betonen: Narrative sind das eine . Es
gibt aber auch Tatsachenwahrheiten, wie uns Hannah
Arendt immer wieder gesagt hat . Es geht hier auch um
Tatsachenwahrheiten, und diese sind klar zu benennen,
gerade wenn wir in den schwierigen Dialog mit dem russischen Gegenüber treten . Dazu gehört, zu sagen, dass
die europäische Friedensordnung durch die russische
Annexion der Krim sowie die Aggression Russlands im
Donbass und die tätige Unterstützung der Rebellen dort
in der Tat infrage gestellt, wenn nicht sogar zerstört worden ist; das wissen wir noch nicht genau . Ich sage den
Kollegen von der Linken noch einmal: Diese europäische
Friedensordnung ist sogar von dem ZK-Generalsekretär
Breschnew mitgestaltet worden . Damals war die Situation also in dieser Hinsicht besser als das, was wir heute
erleben .
Insofern handelt es sich um eine Propagandafigur,
Herr Gehrcke, wenn Sie von Sprachlosigkeit reden .
Das ist ein Mythos . Es gibt Städtepartnerschaften, den
Petersburger Dialog sowie Zusammentreffen auf kultureller Ebene und in der Wissenschaft . Es gibt also einen
ständigen Austausch . Das Problem ist aber die Weigerung Russlands - auch vonseiten der Duma-Kollegen -,
in eine ernsthafte Auseinandersetzung mit uns zu treten .
Das erleben wir - ich sage das noch einmal - auch in
der parlamentarischen Arbeit des Europarats, obwohl
dort alle unsere russischen Kollegen Zugangsrechte haben und nicht durch irgendwelche Reisebeschränkungen
gehindert werden . Aber sie stellen sich dieser Auseinandersetzung schlichtweg nicht .
({0})
Ich möchte eine, wie ich finde, sehr ehrliche Aussage
eines hohen Beamten des Auswärtigen Amts zu Beginn
der Ukraine-Krise zitieren:
Wir haben verstanden, dass sich mit dieser Aggression die Ausgangslage für jede Politik gegenüber
Russland dramatisch verändert hat . Wir wissen nur
noch nicht, wie wir auf diese Veränderung strategisch und klug antworten sollen .
Die Modernisierungspartnerschaft, die in diesem Haus
gewollt war, ist ja von russischer Seite aufgekündigt
worden . Eines ist aber jedenfalls klar: Rezepte aus den
80er-Jahren werden keine Antworten auf heutige Herausforderungen liefern .
Wer nach neuen Strategien sucht, Herr Gehrcke, der
muss auch einen klaren Blick auf die Realitäten im heutigen Russland zulassen . Nicht nur die Annexion der Krim
überschreitet die rote Linie der europäischen Friedensordnung, auch die innere Verfasstheit von Russland nach
17 Jahren Putin hat sich dramatisch verändert .
Sie haben eben eine Wertedebatte eingeklagt . Ich will
Ihnen konkrete Beispiele nennen . In Tschetschenien werden seit Wochen Homosexuelle brutal verfolgt . Mehr
als 100 Menschen wurden festgenommen und offenbar
in Geheimgefängnissen gefoltert . Mindestens drei Menschen sollen ermordet worden sein . Die Journalistinnen
Elena Milaschina und Irina Gordijenko von Nowaja Gaseta werden nach ihrer Berichterstattung über diese Ereignisse mit massiven Drohungen durch die politische
und religiöse Führung von Tschetschenien überzogen .
Sie mussten aus Moskau fliehen. Ich denke mit Sorge an
die Ermordung von Anna Politkowskaja, deren Spuren in
eben dieses Tschetschenien führen .
({1})
Es ist Präsident Putin, der Ramzan Kadyrow als seinen
Statthalter eingesetzt hat und damit auch für dessen Taten die politische Verantwortung trägt . Ich sage an die
Adresse der Bundesregierung: Diese Zustandsbeschreibung aus Tschetschenien muss die Bundesregierung bei
Auslieferungsgesuchen aus der Russischen Föderation
berücksichtigen .
Die staatlich gelenkten russischen Medien schaffen
seit Jahren ein Klima des Hasses gegen Schwule, Lesben
und all jene, die dem Geschlechterbild der orthodoxen
Kirche nicht entsprechen . Das passt nicht zur Europäischen Menschenrechtskonvention .
Nicht nur in der Ukraine führt Russlands Politik zur
Destabilisierung . Mit seinem Veto zu acht Resolutionen
zu Syrien hat Russland diplomatischen Lösungen der internationalen Gemeinschaft den Weg verstellt .
Frau Beck, lassen Sie noch eine Zwischenfrage zu?
Bitte .
Herr Neu .
Sehr geehrte Frau Kollegin Beck, als Obmann der
Linksfraktion im Verteidigungsausschuss habe ich schon
zu Anfang der Legislaturperiode in der Obleuterunde
darum gebeten, dass der Verteidigungsausschuss doch
eine Delegationsreise nach Russland machen möge, um
die dortigen Duma-Kollegen zu treffen. Das wurde mit
einem Lächeln abgelehnt: Wir fahren nicht nach Russland . - Das war noch vor der Krise . Wie viele Anfragen
haben Sie eigentlich in der Obleuterunde gemacht, ob der
Auswärtige Ausschuss sich mit den russischen Kollegen
des Auswärtigen Ausschusses in Moskau treffen möge?
Es hat bei uns keine Debatte gegeben, keine Reise
nach Russland zu unternehmen .
({0})
Herr Kollege, erinnere ich mich richtig?
({1})
Ich möchte nichts Falsches sagen . Ich nehme seit vier
Jahren am Obleutegespräch teil, aber ich kann mich daran nicht erinnern . Ich würde darum bitten, dass das von
den Kollegen klar und in der Sache richtig - darauf haben
Sie ein Recht - beantwortet wird . - Ich höre, dass das
gleich von den Kollegen der CDU/CSU-Fraktion geklärt
werden wird .
Ich habe über die Reise des EU-Ausschusses gesprochen . Da bin ich in der Tat nicht mitgefahren, weil letztlich keine politischen Termine mit den Kollegen in der
Duma zustande gekommen sind . Das zu dieser Frage .
Noch einmal kurz zu Syrien: Auch die unabhängige
Untersuchung des Giftgasangriffs bei Idlib wurde durch
Russland verhindert . Noch schlimmer: Man muss davon
ausgehen, dass die Giftgasangriffe, die Fassbomben und
der gezielte Krieg gegen die Zivilbevölkerung durch
Assad nur möglich waren, weil Russland dessen politisches und militärisches Überleben gesichert hat . Der
Kreml kann der russischen Bevölkerung keine Perspektiven bieten . Stattdessen sichert sich Putin die Macht durch
überschwänglichen Nationalismus und imperiale Fantasien. Aber offenbar lässt die Korruptheit in der Führung
die jungen Menschen in Russland nicht mehr unberührt,
wie die jüngsten Demonstrationen gezeigt haben .
({2})
Wer wie Sie, Herr Gehrcke und Herr Hunko - beide
sind da -, über dieses Moskau in den besetzen Donbass
fährt, gerät in gefährliche Nähe zu Marine Le Pen und
Frauke Petry .
({3})
Das wird in der Tat hier im Hause mit Sicherheit nicht der
Maßstab für eine neue Ostpolitik sein .
Schönen Dank .
({4})
Jetzt hat der Kollege Hardt noch die Möglichkeit zu
einer Kurzintervention, um die Frage von eben zu klären
und den Sachverhalt darzustellen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte als außenpolitischer Sprecher der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion feststellen, dass wir im letzten
Jahr über Monate versucht haben, eine Reise der Obleute
des Auswärtigen Ausschusses nach Moskau zu organisieren .
({0})
Wir haben leider keine positiven Antworten aus Moskau
bezüglich eines Termins bekommen . Das ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass wir geplant hatten,
diese Reise mit einer Reise nach Kiew zu verbinden .
Wir hatten ein wenig das Gefühl, dass das vielleicht der
Grund sein könnte, warum unsere russischen Kollegen
keine Lust hatten, uns zu sehen .
({1})
Jetzt als nächster Redner Florian Hahn für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Antrag „Für eine neue Ostpolitik Deutschlands“ der
Linksfraktion verwundert leider nicht . Er dient einmal
mehr dazu, das Verhalten Russlands zu verklären und
jedes aggressive Handeln des Kremls gütig zu übersehen . Es scheint, als wollten Sie mit Ihrem Antrag die
Geschichte neu schreiben, indem Sie ganz maßgeblich
die Augen vor Tatsachen verschließen bzw . sie schlicht
ignorieren .
Sie plädieren für eine Neubewertung des Ukraine-Konflikts und werfen dem Westen implizit die Eskalation in
der Ostukraine vor . Aber mit keiner Silbe erwähnen Sie
den eklatanten und eindeutigen Völkerrechtsbruch durch
Russland .
Sie sprechen der NATO jede Legitimation ab und
machen das westliche Bündnis für die verschlechterten
Beziehungen zu Russland verantwortlich . Kein Wort verlieren Sie über das hegemoniale Selbstverständnis Russlands und das daraus abgeleitete Denken in Einflusssphären .
Sie sprechen von einer friedlichen Koexistenz und
von guter Nachbarschaft mit Russland, lassen aber einen Kernpunkt unbeachtet: die Gleichberechtigung aller
Staaten, die sich auch auf die Nachbarländer Russlands
erstrecken sollte. Dabei übersehen Sie geflissentlich, dass
der Kreml so manche Souveränitätsrechte infrage stellt .
Sie fordern einen Wandel von westlicher Seite und
eine Annäherung an Russland, vergessen aber vollkommen unsere östlichen Nachbarn und deren Befürchtungen . Ein Abkommen zwischen Moskau und Berlin bei
gleichzeitigem Übergehen von Polen und den baltischen
Staaten, das wäre geschichtsvergessen . Es war für Europa immer verheerend,
({0})
wenn sich Deutschland und Russland bilateral über ihre
Einflusssphären geeinigt haben.
({1})
Es sind gerade unsere östlichen Partner, die angesichts
der russischen Bedrohung nach einem starken Deutschland an ihrer Seite rufen . Die Ängste sind weder abstrakt
noch übertrieben . Die Liste der Propagandamaßnahmen,
der Manövertätigkeiten, der Verletzungen von Luft- und
Seeräumen, der Stationierung neuer, modernster Waffensysteme, sie ist lang .
Wer behauptet, Russland sei sozial gerechter, verteile
Ressourcen fairer und verhalte sich außenpolitisch weniger aggressiv als die westliche Welt, der gibt sich einer
Illusion hin . Fallen die Annexion der Krim, die Bombardements in Syrien und die Idee eines Noworossija nicht
unter die Kategorie „Imperialismus“? Wer die USA so
entschieden wie Sie an die Wand stellt, der müsste sich
zumindest ebenso entschieden gegenüber Russland positionieren .
Diese erkennbare Vereinfachung der Tatsachen und
das Spielen mit subjektiven Erklärungsmustern beschränken sich aber nicht nur auf die Russlandpolitik der
Linken . Blickt man auf die sicherheitspolitischen Leitplanken der Linken, bietet sich ein erschreckendes Bild .
Lassen Sie mich auf nur einige Beispiele aus dem bereits
veröffentlichten Entwurf zum Wahlprogramm für die
kommende Bundestagswahl eingehen .
Sie möchten alle Soldatinnen und Soldaten aus den
Auslandseinsätzen zurückziehen
({2})
und künftig keine mehr entsenden . Auch die Ausbildung
anderer Armeen wird strikt abgelehnt . Aber welche Alternativen bieten Sie eigentlich in einer Situation wie beispielsweise 2014 im Nordirak?
({3})
Wie sollen Entwicklungshelfer eine plündernde, vergewaltigende, mordende Horde von IS-Kämpfern aufhalten?
({4})
Ebenso wollen Sie die Beteiligung von Bundes- und
Landespolizei an internationalen Polizeieinsätzen beenden . Dabei sind der Aufbau demokratischer Sicherheitskräfte und die Reform des Sicherheitssektors eine
elementare Voraussetzung für Stabilität und Ordnung .
Welche Alternativen schlagen Sie vor, um in fragilen
Gesellschaften verlässliche Strukturen zu etablieren und
damit die notwendigen Rahmenbedingungen für eine
tragfähige soziale und ökonomische Entwicklung zu
schaffen? Wie wollen Sie in Ländern wie Somalia solche
Prozesse ohne Sicherheit anregen?
Sehr geehrte Damen und Herren, die Bundeswehr befindet sich aktuell in 13 Auslandseinsätzen. Alle Mandate
wurden in dieser Legislaturperiode mehrfach beraten und
dann verabschiedet . Die Linke hat sie allesamt abgelehnt .
({5})
So unterschiedlich die Positionen hier im Hohen Hause
zuweilen sind - eines haben alle anderen Fraktionen gemeinsam: Wir entscheiden nicht aus ideologischen Gründen über Auslandseinsätze der Bundeswehr .
Diese konsequente ideologische und realitätsferne
Antihaltung der Linksfraktion zeigt vor allem eins: Die
Linke war und ist und bleibt, wie das Wahlprogramm
sehr klar zeigt, nicht regierungsfähig .
({6})
Würden wir Ihren Positionen folgen, stände Deutschland
in kürzester Zeit isoliert auf der Weltbühne . Noch etwas:
Die Welt wäre dann sicherlich nicht sicherer .
Herr Gehrcke, Sie haben gesagt, in der Zusammenarbeit mit Russland sollten wir über Interessen reden, statt
über Werte zu schwafeln. Offensichtlich teilen Sie nicht
die gemeinsamen Werte, wie wir es tun, wie die anderen
Fraktionen in diesem Hohen Hause, und das zeigt einmal
mehr, dass Sie nicht regierungsfähig sind .
({7})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD und
der Grünen, bedenken Sie dies, wenn Sie weiterhin an
einer rot-rot-grünen Bundesregierung arbeiten . Wir dürfen das nicht ignorieren, und das werden wir auch nicht;
ganz im Gegenteil . Wie halten Sie es mit den absurden
Positionen der Partei Die Linke zur Außen- und Sicherheitspolitik? Schenken Sie hier reinen Wein ein! Denn
das müssen die Bürger wissen, bevor es im September
an die Wahlurnen geht; schließlich geht es hier um die
Sicherheit Deutschlands und Europas .
({8})
Vielen Dank .
({9})
Dr . Andreas Nick hat als nächster Redner das Wort,
ebenfalls für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dass es sich bereits beim Titel des Antrags um politische
Erbschleicherei handelt, das hat Kollege Erler für die
Sozialdemokraten als Hüter des Erbes von Willy Brandt
und Egon Bahr schon überzeugend dargelegt . Ganz sicher aber handelt es sich bei diesem Antrag um politischen Etikettenschwindel; denn in dem Antrag geht es
nur um Russland und in keinem einzigen Satz um Mittelund Osteuropa .
({0})
Für uns ist eines klar: Deutsche Außenpolitik kann
und darf niemals nur Russlandpolitik sein;
({1})
im Gegenteil . Wir wollen beides: gute und partnerschaftliche Beziehungen zu Ost- und Mitteleuropa, gleichzeitig
friedliche und konstruktive Beziehungen zu Russland .
({2})
Niemals dürfen wir es zulassen, dass diese beiden Ziele
gegeneinander ausgespielt werden . Unser Verhältnis zu
Russland darf nicht über die Köpfe der Völker in Mittelund Osteuropa hinweg entwickelt werden - und schon
gar nicht auf deren Kosten .
({3})
Niemals mehr darf die Region zwischen Russland und
Deutschland zur Verhandlungsmasse von ihren beiden
großen Nachbarn werden . Das entspricht unserer historischen Verantwortung gegenüber unseren unmittelbaren Nachbarn in Mitteleuropa wie auch gegenüber den
Bloodlands, wie Timothy Snyder sie genannt hat, die unter den Gräueltaten der Nazis und der Sowjets gleichermaßen leiden mussten .
Kulturell und gesellschaftlich sind wir über Jahrhunderte eng mit den Partnerländern in Mittel- und Osteuropa verbunden . Die Solidarnosc in Polen und die Reformer in Ungarn haben 1989 den ersten Stein aus der
Mauer gebrochen . Das werden wir Deutsche den Polen
und den Ungarn niemals vergessen .
({4})
Wie eng die Beziehungen inzwischen sind, wird am
erreichten Maß wirtschaftlicher Verflechtung deutlich.
Die vier Visegradstaaten Polen, Tschechien, Slowakei
und Ungarn sind zu einem der größten Handelspartner
Deutschlands geworden . Insgesamt ist das Volumen unseres Handels mit ihnen größer als das jeweilige Volumen unseres Handels mit Frankreich, den USA oder China . In unseren Beziehungen zu diesen Ländern setzen wir
uns auch für freiheitliche Werte ein . Deshalb bringen wir
aktuell auch schwierige innenpolitische Entwicklungen
in dieser Region zur Sprache .
Unsere Politik gegenüber Russland hat einen unverrückbaren Bezugspunkt, nämlich die Charta von Paris .
({5})
Darin haben sich die Staaten Europas im Jahr 1990 zu
Demokratie, Menschenrechten und Grundfreiheiten bekannt. Sie haben sich verpflichtet, sich jeder gegen die
territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit eines Staates gerichteten Androhung oder Anwendung von
Gewalt zu enthalten .
Diese vermeintlichen Gewissheiten unserer europäischen Friedensordnung sind jedoch durch das Verhalten
Russlands in der Ukraine infrage gestellt . In aller Klarheit: Die glaubwürdige Rückkehr Russlands zu den Prinzipien der Charta von Paris ist grundlegende Voraussetzung für eine nachhaltige Verbesserung der Beziehungen
und Intensivierung der Zusammenarbeit .
({6})
Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht Jalta
oder gar Rapallo, sondern Helsinki und die Charta von
Paris sind der Maßstab unserer Politik gegenüber Russland . Wenn Russland die im Minsker Abkommen festgeschriebenen Vereinbarungen einhält bzw . umsetzt Russland hat diese Regelungen ja selbst als Resolution
in den UN-Sicherheitsrat eingebracht -, dann wäre dies
auch ein wichtiger Schritt hin zur Lockerung und schrittweisen Aufhebung der wirtschaftlichen Sanktionen .
Der Schlüssel für eine Verbesserung der Beziehungen
in der Region liegt in Russland . Russland sollte insbesondere das Verhältnis zu seiner Nachbarschaft neu bewerten und den offenkundigen Phantomschmerz in Bezug
auf den Verlust des ehemaligen Sowjetimperiums überwinden . Demokratie und Prosperität in seiner Nachbarschaft sollten von Russland nicht länger als Bedrohung
empfunden werden, sondern als Chance für umfassende
Stabilität und Kooperation .
Unsere Hand gegenüber Russland ist und bleibt ausgestreckt . Das ist nicht nur ein Gebot unserer leidvollen
gemeinsamen Geschichte, es entspricht auch der geografischen Lage und ist deshalb Ausdruck unserer strategischen Interessen . Auch als verantwortlich handelnder
Akteur im internationalen System wäre Russland ein
willkommener strategischer Partner .
Russlands derzeitige Politik aber ist - anders als viele
glauben - kein Ausdruck von Stärke, sondern eher ein
Beleg für systematische Schwäche . Wolfgang Ischinger
hat dazu schon Ende der 90er-Jahre bemerkt:
Russlands Größe bemisst sich nicht an der Zahl
seiner Nuklearsprengköpfe oder seiner Soldaten .
Größe resultiert im 21 . Jahrhundert vielmehr aus
Wirtschaftskraft, Humankapital, einer dynamischen
Gesellschaftsordnung, einem international attraktiven Bildungssystem . Großmacht sein kann nicht
gleichbedeutend sein mit einem Freibrief für mangelnde Rücksichtnahme auf Kleinere .
Meine Damen und Herren, das wünschen wir uns als
Ausgangspunkt für die weitere Ausgestaltung der Beziehungen zu Russland und für eine neue Ostpolitik .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich
diese Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag
der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Für eine neue Ost-
politik Deutschlands“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11671, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11167
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es jemanden, der
sich enthält? - Das ist nicht der Fall . Dann ist die Be-
schlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke angenommen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Datenschutzrechts an
die Verordnung ({0}) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie ({1}) 2016/680 ({2})
Drucksachen 18/11325, 18/11655, 18/11822
Nr. 10
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({3})
Drucksachen 18/12084, 18/12144
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({4}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Frank
Tempel, Dr . André Hahn, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Datenschutzrechte der Bürgerinnen und Bürger stärken
Drucksachen 18/11401, 18/12084, 18/12144
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen, und ich kann die Aussprache eröffnen.
Als erster Redner in der Aussprache hat Bundesminister Dr . Thomas de Maizière für die Bundesregierung das
Wort .
({5})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Datenschutz schützt die Freiheit und die Persönlichkeitsrechte von Menschen . Das ist der Auftrag des Datenschutzrechts, und darum geht es .
({0})
Was heißt das praktisch? Das heißt zum Beispiel, dass
der Datenschutz kein Selbstzweck - zum Schutz der Daten selbst - ist .
Die Regeln der 90er-Jahre bringen uns angesichts der
rasant fortschreitenden technischen Entwicklung nicht
weiter - weder was die Sicherheit noch was die Forschung, die Wirtschaft oder die Digitalisierung angeht .
Das Prinzip der Datensparsamkeit um ihrer selbst willen
ist in Zeiten von Big Data überholt . Wir wollen und werden auch angesichts neuer technischer Entwicklungen
das hohe Niveau des Datenschutzes aufrechterhalten und
gleichzeitig die modernen technischen Möglichkeiten
nutzen - und das in ganz Europa mit demselben Recht .
Das war das Anliegen der europäischen Datenschutz-Grundverordnung, und das ist auch das Ziel des
vorliegenden Gesetzes . Mit diesem Gesetz setzen wir
zwei europäische Rechtsakte um - wobei das Wort „umsetzen“ bei der Grundverordnung nicht ganz zutrifft -:
die europäische Datenschutz-Grundverordnung einerseits und die Datenschutzrichtlinie für die Zusammenarbeit von Polizei und Justiz andererseits . Die verbundene
Umsetzung beider europäischen Rechtsakte in einem Gesetz ist auch so etwas wie ein Symbol . Das zeigt nämlich:
Schutz vor Kriminalität und Datenschutz sind zwei Seiten derselben Medaille, zwei Seiten unserer Freiheit, und
deswegen müssen wir sie auch beide zusammen denken .
Ab Mai 2018 werden in Deutschland und allen europäischen Mitgliedstaaten einheitliche Datenschutzregeln und Datenschutzstandards gelten . Das ist eine
datenschutzrechtliche Zäsur in Europa, und genau das
war auch beabsichtigt . Unternehmen mit niedrigen Datenschutzstandards können sich in Zukunft nicht mehr
gezielt in solchen Mitgliedstaaten ansiedeln, die niedrige
Standards akzeptieren oder eine unzureichende Datenschutzaufsicht haben. Davon profitieren die Menschen,
die Nutzer, die Anwender, die Forscher, und davon profitieren auch die Unternehmen in unserem Land. Es gibt
Rechtssicherheit für alle . Schluss mit dem Rosinenpicken
beim europäischen Datenschutz: Unser Markt, unsere
Regeln gelten für alle, ausnahmslos - auch für Unternehmen, die etwa aus den USA ihre Dienste in Deutschland
anbieten . Das ist ein großer Fortschritt .
({1})
Mit diesem Gesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen,
regeln wir auch Teile der Datenverarbeitung im Interesse der öffentlichen Sicherheit. Wir ermöglichen zum
Beispiel, dass Informationen, die durch Private erhoben
wurden, an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden dürfen . Das ist eine sehr wichtige Regelung .
Ohne eine solche Regelung können zum Beispiel Aufnahmen einer privaten Überwachungskamera, die eine
Straftat belegen, nicht an die Polizei übergeben werden. Das kann nicht sein. Jetzt schaffen wir auch hierfür
Rechtssicherheit .
Mit diesem Gesetzentwurf halten wir uns eins zu eins
an die europarechtlichen Vorgaben . Wir sind mit den notwendigen Anpassungen so schnell wie kaum ein Land in
Europa . Wir halten das auch für nötig . Denn ab Mai 2018
gilt das neue europäische Recht unmittelbar, und bis dahin sind noch etliche Fachgesetze zu ändern: beim Bund,
aber insbesondere auch in den Bundesländern .
Dort, wo der europäische Gesetzgeber Gestaltungsspielraum gelassen hat, machen wir davon in verantwortlicher und selbstbewusster Weise Gebrauch . So verzichten wir zum Beispiel darauf, die Altersgrenze für die
Einwilligung eines Kindes national unter 16 Jahre abzusenken, was wir europarechtlich könnten . Wir halten das
nicht für vernünftig; deswegen machen wir es nicht .
Dieser Gesetzentwurf - ich komme zum Anfang zurück - schützt nicht die Daten . Er schützt die Persönlichkeitsrechte der Menschen in unserem Land, und er stärkt
den Standort Deutschland in einem starken Europa . Das
ist entscheidend . Ich bitte sehr herzlich um eine möglichst breite Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf .
({2})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Petra Pau für
die Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Beim vorliegenden Antrag geht es um den Datenschutz,
konkret um die Anpassung des deutschen Rechts an Vorgaben der Europäischen Union . Das ist der formale Hintergrund . Inhaltlich geht es um mehr; denn Datenschutz
ist nicht, wie gelegentlich unterstellt wird, Täterschutz .
Datenschutz ist ein verbrieftes Bürgerrecht und obendrein eine unverzichtbare Basis für jedwede Demokratie .
({0})
Bürgerinnen und Bürger, die nicht mehr wissen oder
nicht mehr wissen können, wer was über sie weiß, sind
manipulierbar und nicht souverän . So hat es das Bundesverfassungsgericht mehrfach bekräftigt, und das ist
die politische Dimension dieser Debatte . Folglich heißt
heute die Frage: Schafft dieses Gesetz mehr Datenschutz? Stärkt es den Souverän und die Demokratie, oder
schwächt es den Datenschutz und mithin Bürgerrechte und Demokratie? Meine Antwort lautet: Das Gesetz
schwächt den Datenschutz . Und deshalb wird die Linke
als moderne sozialistische Bürgerrechtspartei diesen Gesetzentwurf auch ablehnen .
({1})
Mit diesem Nein stehen wir keineswegs allein da . Im
Innenausschuss des Bundestages hat es am 27 . März eine
öffentliche Expertenanhörung zu diesem Gesetzesvorhaben gegeben . Das Gros der Datenschutzexperten äußerte
dabei erhebliche Kritik an der Vorlage von CDU/CSU
und SPD . Trotz aller Änderungen im Detail kommt die
Deutsche Vereinigung für Datenschutz, DVD, zu dem
Schluss: Der vorliegende Gesetzesvorschlag verkehrt
europäische Regelungen in ihr Gegenteil und bedeutet einen massiven Rückfall Deutschlands im Bereich
des Datenschutzes . Ich füge hinzu: Niemand hier im
Rund, auch nicht die Kolleginnen und Kollegen von der
SPD-Fraktion, kann hinterher sagen, sie oder er hätte das
nicht gewusst . Ich will heute hier nur drei gravierende
Kritikpunkte anreißen .
Erstens . Die weitgehende Regelung zur Videoüberwachung stellt eine vermeintliche Sicherheit über verbriefte
Grundrechte dar und ist mithin verfassungswidrig .
Zweitens. Die Rechte betroffener Bürgerinnen und
Bürger werden eher eingeschränkt als ausgeweitet .
Drittens . Kontrollmöglichkeiten und Sanktionen bei
Verstößen gegen den Datenschutz werden unverantwortlich kleingeschrieben . So werden im Übrigen auch die
Rolle und die Möglichkeit der Bundesbeauftragten für
den Datenschutz und die Informationsfreiheit tatsächlich
wieder kleingemacht . Das sollte nicht unser Ziel sein .
Wir müssen sie stärken .
({2})
Datenschutzinitiativen gehen sogar davon aus, dass
dieses Gesetz vom Europäischen Gerichtshof kassiert
werden könnte . Eine solche Blamage sollte der Deutsche
Bundestag nicht sehenden Auges riskieren . Die Linke jedenfalls tut das nicht .
({3})
Schließlich sollte niemand davon ausgehen, dass die
Datenschutzdebatte mit der Abstimmung heute Abend
beendet ist . Wir leben in einer Zeit fortschreitender
Digitalisierung, und wir beschreiten damit, wie es die
Bundeskanzlerin Merkel einmal formulierte, tatsächlich
Neuland . Sie hat damals sehr viel Häme dafür geerntet,
allerdings nicht von mir; denn sie hat recht . Immer mehr
Daten werden erfasst, gespeichert, verarbeitet, auch persönliche, übrigens nicht nur von Geheimdiensten, die
mit diesem Gesetz eine Art Freibrief erhalten, sondern
ebenso von weltumspannenden Monopolen, für die die
Datenverarbeitung sozusagen eine Art Goldrausch ist .
Das alles stellt an den Datenschutz noch viel weiter
reichende Fragen, als sie mit diesem Gesetz aufgenommen wurden. So habe ich die dringende Hoffnung, dass
sich der nächste Bundestag endlich dieser Herausforderung annimmt . Das sei mir noch gestattet: Seitdem ich
Mitglied des Bundestages bin, reden wir über die NotBundesminister Dr. Thomas de Maizière
wendigkeit eines tatsächlichen und modernen Beschäftigtendatenschutzes . Auch mit dieser Gesetzesnovelle
haben wir nicht die Chance ergriffen, nun endlich einmal
anzufangen .
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner
hat Gerold Reichenbach für die SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer und Zuschauer auf der Tribüne!
Wir haben fast alle ein Smartphone in der Tasche . Viele
Haushalte haben inzwischen Geräte, die mit dem Internet
verbunden sind und die Kamerafunktionen und Mikrofonfunktionen haben . Überall dort fallen massenweise
Daten an: über uns als Person, über unser Verhalten .
Wir gehen im Internet einkaufen . Wir nutzen elektronische Medien, um unseren Alltag zu organisieren . Überall
fallen Daten an, die unser ganz persönliches Verhalten
widerspiegeln .
In Zukunft werden wir intelligente fahrende Autos haben . Hinzu kommt das sogenannte Smart Home: Häuser,
die technisch, elektronisch gesteuert werden, die sozusagen schon im Voraus wissen, wann wir unsere Heizung
anschalten wollen oder wann das Garagentor geöffnet
werden soll . Für all das braucht man Daten, in denen unser ganz persönliches Verhalten abgebildet ist . Deswegen
ist es richtig und wichtig - das hat der Innenminister in
seiner Rede deutlich gemacht -, dass wir diese Daten, die
Aussagen über uns beinhalten, schützen, dass nur derjenige Kontrolle über diese Daten hat und sie freigeben
darf, über den sie teilweise intimste Details enthalten .
Darum geht es beim Datenschutz .
Wir haben in Deutschland durchaus ein gutes Datenschutzrecht . Aber in der digitalen Welt werden solche
Dienste länderübergreifend angeboten . Herr Minister hat
es angesprochen: Unser Datenschutz war oft nicht durchsetzbar, weil die Unternehmen, die uns ihre Dienste hier
in Deutschland anboten, häufig in einem Land ansässig
waren, in dem die Kontrolle oder die rechtlichen Anforderungen geringer waren .
Das ist ein Zustand, der für uns als Bürger - übrigens
auch im Hinblick auf das Vertrauen in die weitere Digitalisierung, das Vertrauen in moderne Technik, die Daten
kreiert - unhaltbar ist . Denn die Akzeptanz für moderne
Technik hängt auch von Vertrauen ab . Und das Vertrauen
wiederum hängt davon ab, ob ich sicher sein kann, dass
am Ende mit dem, was andere über mich wissen, kein
Missbrauch gegen mich betrieben wird . Darum geht es,
wenn wir über Datenschutz reden . Wir reden hier nicht
über die Daten, die auch Teil der modernen digitalen Welt
und von Big Data sind und uns viele Informationen für
die Verkehrslenkung, die Forschung und anderes bieten .
Mit der Datenschutz-Grundverordnung - Herr Minister hat es angesprochen - haben wir endlich die Möglichkeit, dies europäisch zu regeln . Das ist ein Riesenvorteil, weil jetzt der Verbraucher, der Bürger seine Rechte
durchsetzen kann . Es gilt das Marktortprinzip: Da, wo
Daten von europäischen Bürgern erhoben werden, gelten
einheitliche Gesetze .
Das ist auch ein Vorteil für Unternehmen, denn jetzt
gibt es Konkurrenzgleichheit: Überall in Europa werden
sie auf die gleichen rechtlichen Voraussetzungen stoßen .
Das ist auch eine Chance; denn damit haben wir erstmals
einen einheitlichen Markt . Natürlich ist es nicht sehr interessant, bestimmte Dienstleistungen oder Geräte, die,
was den Persönlichkeitsschutz betrifft, datenschutzfreundlich sind, nur für Deutschland zu entwickeln . Zudem gibt es die Konkurrenz der großen Märkte in Asien
und den USA . Aber jetzt werden wir einen Markt haben,
in dem all diese Regeln gelten, und damit gibt es für Unternehmen eine neue Chance .
Wir diskutieren heute die Anpassung des Bundesdatenschutzgesetzes an die europäische Verordnung . Mit
Verlaub: Ein Teil der Kritik, die Frau Kollegin Pau vorgebracht hat, scheint von einem etwas älteren Sprechzettel zu stammen. Ja, es gab in der öffentlichen Debatte
durchaus die eine oder andere Kritik an der Vorlage, die
das Kabinett geliefert hat .
({0})
Lassen Sie mich vorab sagen: Es gab im Vorfeld eine
breite Auseinandersetzung und Diskussion, weil zum
Beispiel Unternehmen gesagt haben, dass sie dieses oder
jenes Geschäftsmodell gerne weiter betreiben würden .
Ich danke ausdrücklich Heiko Maas und seinem Ministerium, die sich im Vorfeld, bei der Erarbeitung des
Gesetzentwurfes, sehr stark für die Interessen der Verbraucher und für die Wahrung der Bürgerrechte eingesetzt haben .
({1})
Trotzdem gab es eine Reihe von Punkten, bei denen wir
als SPD-Fraktion entweder der Auffassung waren, dass
sie nicht ganz mit der europäischen Verordnung in Übereinstimmung zu bringen sind, oder bei denen wir meinten, es müsse im Sinne der Verbraucher und der Nutzer
nachgebessert werden .
Es gab innerhalb der Koalition - dafür bin ich dankbar - eine sehr intensive Diskussion über die vorgebrachte Kritik, auch über das, was in den Ausschüssen und
Anhörungen an Kritik vorgebracht wurde . Wir haben intensiv über das, was öffentlich zu dem Entwurf geäußert
wurde, diskutiert. Der Ausfluss dessen war eine ganze
Reihe von Änderungsanträgen, mit denen wir in der Koalition - wie ich glaube, im richtigen Maß - die kritischen Punkte ausgeräumt haben, aber gleichzeitig nicht
das Kind mit dem Bade ausgeschüttet haben .
Unser Ziel ist: Wir wollen die Persönlichkeitsrechte
und die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher
im digitalen Zeitalter erhalten und stärken und die Menschen nicht einer scheinbar unabwendbar grenzenlosen
Ausforschung preisgeben . Wir haben den Entwurf durch
Änderungsanträge an entscheidenden Stellen verbessert;
darüber wurde auch in der Öffentlichkeit breit diskutiert.
Im Zentrum der Kritik - es ist angesprochen worden stand die Wahrung der Rechte der Betroffenen. Grundsätzlich gilt, dass ein Betroffener darüber informiert werden muss, wenn seine Daten für andere Zwecke genutzt
werden als jene, denen er zugestimmt hat . Der Regierungsentwurf sah zunächst vor, dass dies nicht mehr gelten soll, wenn dies für das Unternehmen mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden ist und dabei
das Interesse des Betroffenen als geringer anzusehen ist.
Das würde aber bedeuten: Wenn ein Unternehmen besonders viele Daten sammelt, dann könnte es einen unverhältnismäßig hohen Aufwand bei der Information der
Betroffenen geltend machen. Es könnte sozusagen mithilfe der Konstruktion seiner eigenen Datenverarbeitung
dem Verbraucher seine Rechte vorenthalten, indem es
sich auf diese Ausnahmeregelung beruft . Dies war nicht
so gewollt; denn nur ein Kunde, der über die Weiterwendung seiner Daten informiert ist, kann dem widersprechen .
Und darum haben wir die Regelung auf den Kern
begrenzt - das wurde in der Debatte zu Recht vorgetragen -, indem wir eine Ausnahme nur dort vorsehen,
wo sie sinnvoll ist, nämlich dann, wenn es sich bei der
Weiterverarbeitung um analoge Daten handelt . Denn es
ist nicht sinnvoll, die Regelungen bei der automatisierten
Datenverarbeitung, wo dies einfach zu bewerkstelligen
ist, zu übernehmen . Wir wollen den Bäckermeister nicht
dazu zwingen - wenn er seine Lieferantendatei dazu
nutzen will, um zum Betriebsjubiläum einzuladen -,
vorher eine Postkarte zu verschicken, auf der er ankündigt, dass er demnächst die Daten für die Einladung zum
Betriebsjubiläum nutzen will . Deswegen haben wir die
Ausnahme auf diesen engen Bereich der analogen Datenverarbeitung beschränkt, sodass am Ende die großen Datenverarbeiter dieses Argument des unverhältnismäßig
hohen Aufwands eben nicht als Ausflucht heranziehen
können . Gleichzeitig werden die kleinen Unternehmer
nicht übermäßig belastet .
Das Gleiche gilt für das Recht auf Löschung . Auch
hier war ursprünglich der unverhältnismäßig große Aufwand als Möglichkeit für eine Ausnahme vorgesehen .
Aber auch hier gilt: Man könnte seine Datenbank ja
so gestalten, dass die Löschung der Daten einen hohen
Aufwand erfordert . Man könnte also von vornherein die
Ausnahme sozusagen hineinprogrammieren . Deswegen
haben wir die entsprechende Regelung auf den analogen
Teil beschränkt .
Der dritte Punkt beinhaltete die Ausnahme für den
Fall, dass die allgemein anerkannten Geschäftszwecke
gefährdet würden . Auch hier waren weiter gehende Interpretationen möglich . Am Ende hätte man sogar die Aushebelung der Betroffenenrechte per se zum Geschäftszweck machen können . Das war so nicht gewollt . Daher
haben wir uns darauf beschränkt, dass die Möglichkeit
der Betrugsprävention etwa beim Versicherungsbetrug
oder die Durchsetzung eigener Rechtsansprüche nicht
behindert werden darf. Der Betroffene kann nachfragen:
Welche Daten habt ihr von mir gespeichert? Das Gleiche
gilt für das Recht auf Löschung .
Mit den vom Bundesrat angeregten Verbesserungen
und mit einigen anderen Punkten haben wir insgesamt
ein Gesetz gemacht, das im Bundesrat Zustimmung finden wird .
({2})
Wir haben dort, wo Ausnahmeregelungen möglich sind,
zum Beispiel beim Beschäftigtendatenschutz, diese zunächst einmal - das hat natürlich mit der Kürze der Zeit
zu tun - dazu genutzt, die jetzigen Regelungen im Bestand zu erhalten . Aber meine Fraktion ist nach wie vor
der Auffassung, dass wir ein eigenes Beschäftigtendatenschutzgesetz brauchen .
({3})
Denn auch beim Beschäftigtendatenschutz muss man in
der Lage sein, mit den neuen Herausforderungen einer
digitalisierten Arbeitswelt zurande zu kommen . Dazu
brauchen wir die entsprechenden Anpassungen . Mit den
bestehenden Regelungen alleine werden wir die Herausforderungen der Zukunft nicht meistern .
Ähnliches haben wir mit den Regelungen zum Scoring
getan, also bei der Frage, was Auskunfteien über jemanden speichern und weitergeben dürfen . Auch da haben
wir zunächst einmal das jetzige Verbraucherschutzniveau
in den Entwurf des Anpassungsgesetzes übertragen . Es
ist völlig unbestritten, dass der Datenschutz an dieser
Stelle eigentlich der falsche Ansatz ist, weil es nicht um
die Frage der Erhebung der Daten geht, sondern darum,
welche Daten ich für das Profiling benutzen darf. Auch
hier gilt: Wir von der SPD werden einen eigenen Gesetzentwurf zu diesem Bereich des Verbraucherschutzes auf
der Tagesordnung behalten .
Insgesamt ist uns - das glaube ich im Gegensatz zu
denjenigen, von denen wir hier Unkenrufe gehört haben - mit diesem Gesetzentwurf eine gute, europarechtskonforme Regelung gelungen, mit der wir den Zukunftsherausforderungen beim Persönlichkeitsschutz in einer
immer weiter digitalisierten Welt gerecht werden . Ich
muss ehrlich sagen: Ich bin auch ein Stück weit stolz auf
das, was am Ende des Diskussionsprozesses herausgekommen ist .
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .
({4})
Das Wort hat der Kollege Dr . Konstantin von Notz für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa ist
die Zukunft unseres Landes in einer globalisierten Welt .
Dieses Europa hat sich ein Zukunftsthema auf die Fahne
geschrieben: die Digitalisierung . Und das ist gut so .
Doch die Aufbruchstimmung ist vielfach einem Unbehagen gewichen. Massenüberwachung, Cyberangriffe
und Datenwillkür dominieren seit Jahren die Schlagzeilen . Die politische Großwetterlage zwischen autoritären
Herrschern wie Erdogan und Orban und einer unberechenbaren Trump-Administration tut ihr Übriges zur
Verunsicherung . Dieser Verunsicherung gilt es auch hier,
im Bereich des Datenschutzes, entgegenzutreten .
({0})
Deshalb war und ist es richtig, dass die EU gerade das
Thema Datenschutz als einen fundamentalen Bestandteil
einer digitalen Agenda erkannt und priorisiert hat; denn
Datenschutz ist nicht einfach ein schönes Feature, das
man haben kann oder auch nicht . Für Bürger bedeutet es
Grundrechts- und Privatsphärenschutz und für Verbraucher und Wirtschaft unverzichtbaren Vertrauensschutz .
Es ist der über Jahre vernachlässigte Datenschutz, der
sich heute als der vielleicht wichtigste Vertrauensanker
der Menschen im digitalen Zeitalter herausstellt; denn der
von Ihnen oft verpönte Datenschutz ist nichts weniger als
eine Schutzgarantie des Staates gegenüber den Bürgern,
die da lautet: Wir sorgen dafür, und komme, was da wolle, an weiteren Modernisierungen, an Onlinegeschäften,
an vermeintlich intelligenten Services, dass deine persönlichen Informationen, dass deine Daten, dass deine
Privatsphäre, dass deine Menschenwürde geschützt sind .
Das ist der Kern von Datenschutz, und das geht weit über
Symbolpolitik und Fensterreden hinaus .
({1})
Bei aller nachvollziehbaren Kritik an der europäischen Datenschutz-Grundverordnung in Detailfragen:
Sie war richtig, und sie ist richtig . Sie ist ein Schritt auf
dem Weg, die Facebooks, Googles und Microsofts daran
zu hindern - das sehe ich genauso wie der Minister -,
uns, die Mitgliedstaaten gegeneinander auszuspielen . Ich
denke an Forum Shopping und Ähnliches . Mein Kollege
Jan Philipp Albrecht und ein wackeres EU-Parlament haben hier tatsächlich Großes geleistet .
({2})
- Nicht alleine, aber eben auch .
Die Datenschutz-Grundverordnung überträgt zentrale
Elemente eines modernen Datenschutzes wie das hohe
Privacy by Design, Datenportabilität und einen hohen
Standard bei den Betroffenenrechten wie die Einwilligung auf die europäische Ebene . Europa hat das im Wesentlichen nicht wegen, sondern trotz der Bundesregierung und trotz der Großen Koalition geschafft, Herr de
Maizière . So haben Sie natürlich in Ihrem Umsetzungsgesetz nichts unversucht gelassen, um diese hohen Standards zu hintertreiben . Das klang in Ihrem Eingangsstatement an, als Sie sagten: Die Zeit der Datensparsamkeit
ist eigentlich vorbei . - Das ist genau das Aufbohren dieser Grundsätze . Deswegen können wir Ihrer Vorlage hier
nicht zustimmen .
({3})
Wir lehnen nämlich den Versuch ab, die Informationspflichten der Unternehmen wie auch Auskunfts- und
Löschungsrechte nach Wünschen der Wirtschaft zurückzuschneiden . Wir halten es für völlig inakzeptabel, dass
Kontrollen der Aufsichtsbehörden in Krankenhäusern
und Arztpraxen behindert oder unmöglich gemacht werden sollen . Zusätzlich versuchen Sie tatsächlich und völlig unverhohlen, die unabhängige Bundesbeauftragte für
den Datenschutz mit diesem Gesetz politisch mundtot zu
machen;
({4})
denn sie soll den Ausschüssen dieses Hohen Hauses nicht
mehr Bericht erstatten dürfen und Gebäude von deutschen Geheimdiensten unter Umständen zukünftig nicht
mehr betreten können . Das ist völlig inakzeptabel .
({5})
Diese Sitzungswoche ist eine Schicksalswoche für die
Bürgerrechte . Das hat der Minister vorhin auch schon
in anderen Reden gesagt . Massenhafte Sammlung von
Fluggastdaten, vollautomatisierte Geheimdienstabgriffe
von Passbildern, ein BKA-Google und Vorratsdatenspeicher zeigen einen Abgrund an achselzuckender Gleichgültigkeit, ja sogar an Grundrechtsnegierung . Das machen wir nicht mit .
({6})
Auf einen Punkt will ich noch hinweisen: Sie haben
uns in dieser Sitzungswoche mit Fristverkürzungen und
kurzfristigen Sachverständigenanhörungen getrollt . Ich
habe auf der Internetseite der CDU/CSU-Fraktion gesehen, dass heute Ihr Tag der inneren Sicherheit ist .
({7})
- Gestern . Heute ist der Bericht darüber auf der Internetseite - punktgenau . - Es ist interessant, dass die SPD
diesen Wahnsinn parlamentarisch mitmacht, diese unseriösen Beratungen,
({8})
die wir hier durchführen, damit die Union hier eine
Punktlandung, eine Wahlwerbeveranstaltung durchziehen kann . Das geht so nicht .
({9})
Sicherheit ist ein wichtiges Thema . Wir haben immer
gesagt, Herr Minister: Wir sind dabei . - Aber Sicherheit
in einem Rechtsstaat heißt eben auch Bürgerrechte . Das
können Sie nicht . Das haben Sie hier heute vielfach bewiesen . Deswegen werden wir nicht zustimmen .
Ganz herzlichen Dank .
({10})
Das Wort hat der Kollege Stephan Mayer für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich möchte jetzt nicht so
weit gehen und behaupten, dass das Gesetz, das wir heute
verabschieden, ein Meilenstein ist .
({0})
Aber die europäische Datenschutz-Grundverordnung ist
mit Sicherheit ein Meilenstein .
({1})
Dieses Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz, das wir heute verabschieden, ist die notwendige
und richtige Ausformung und Umsetzung dieser Datenschutz-Grundverordnung .
Herr Kollege von Notz, es ist ja gut, wenn Sie sich
weiterbilden und sich auf der Homepage der CDU/
CSU-Fraktion kundig machen .
({2})
Ja, dort steht ein Bericht über den Tag der inneren Sicherheit, aber für die Unionsfraktion ist jeder Tag ein Tag der
inneren Sicherheit .
({3})
Wenn Sie behaupten, diese Woche sei eine Schicksalswoche für die Bürgerrechte, dann möchte ich Ihnen entgegnen: Diese Woche ist eine gute Woche für die innere
Sicherheit in unserem Land .
({4})
Denn in dieser Woche verabschieden wir sehr viele wichtige und auch zeitlich drängende Gesetze,
({5})
die insbesondere die innere Sicherheit in unserem Land
stärken .
({6})
Bei der Datenschutz-Grundverordnung geht es
schlichtweg um die Harmonisierung des Datenschutzrechts in der gesamten Europäischen Union, in einem
Raum mit 500 Millionen Einwohnern, mit noch 28 Ländern; bald sind es leider nur noch 27 Länder . Ich möchte
klar sagen: Diese Datenschutz-Grundverordnung ist im
deutschen Interesse, und davon wird Deutschland, werden die deutschen Verbraucher, aber auch die deutschen
Unternehmer profitieren. Denn - das ist für mich ein ganz
entscheidender Inhalt - mit dieser Datenschutz-Grundverordnung wird das Datenschutzrecht in Europa insgesamt verbessert, und zwar in vielerlei Hinsicht . Es wird
an das schon hohe deutsche Datenschutzrechtsniveau
angepasst .
Es stimmt einfach nicht, Herr Kollege von Notz, wenn
Sie behaupten, wir hätten für Datenschutz nichts übrig
und Datenschutz wäre bei uns verpönt . Ich möchte hier
wirklich ausdrücklich betonen: Ich gehe nicht so weit, zu
behaupten, Datenschutz sei Täterschutz . Das stimmt so
nicht . Datenschutz ist aus meiner Sicht in unserer heutigen Zeit, in unserem Zeitalter der Digitalisierung ein sehr,
sehr wichtiges Bürgerrecht . Deswegen tun wir gut daran,
dem Datenschutz eine große Bedeutung beizumessen .
Dies tun wir mit diesem Datenschutz-Anpassungs- und
-Umsetzungsgesetz . Deutschland ist das erste Land, das
diese Datenschutz-Grundverordnung umsetzt . Insoweit
sind wir in Europa beispielgebend . Ich habe durchaus die
Hoffnung, dass sich das eine oder andere Land an unserem Umsetzungsgesetz orientieren wird .
Ich möchte auch auf die Feststellung Wert legen, dass
wir von den sich bietenden Öffnungsklauseln - es sind
insgesamt ungefähr 80 - in sehr reduzierter und sehr behutsamer Weise Gebrauch machen . Wir orientieren uns
mit diesem Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz sehr stark an der Datenschutz-Grundverordnung .
Wir schaffen damit auch die Voraussetzungen, dass die
Länder, aber auch der Bund in ungefähr 300 weiteren Gesetzen die notwendigen Änderungen werden vornehmen
können .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,
Inhalt dieses Gesetzentwurfes ist auch die Frage: Wer
vertritt Deutschland im Europäischen Datenschutzausschuss? Ich bin der festen Überzeugung: Die Regelung,
die mit den Ländern getroffen wurde, ist eine sehr vernünftige und verträgliche .
Mir ist sehr wichtig, darauf hinzuweisen, dass mit
diesem Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz der Datenschutz in Deutschland nicht reduziert und
unterminiert, sondern ausgeweitet wird . Trotzdem, trotz
dieser Stärkung des Datenschutzes in Deutschland, ist
es möglich, bewährte Geschäftsmodelle in Deutschland
weiterhin zu betreiben . Es war uns als Unionsfraktion
ein wichtiges Anliegen, dass bewährte Geschäftsmodelle
im Bereich von Inkassounternehmen, von Auskunfteien,
von Direkt- und Dialogmarketing, die nach dem heutigen
Bundesdatenschutzgesetz legal betrieben werden, auch
in Zukunft betrieben werden können . Das ist der Fall .
Ich lege insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit Wert auf die Feststellung dazu gab es nämlich immer wieder Fragen -, dass von
Verbrauchern nach dem heute geltenden Bundesdatenschutzgesetz abgegebene Einwilligungen fortgelten . Sie
müssen, um dies klar zu sagen, nicht erneuert werden,
wenn sie den Voraussetzungen der Datenschutz-Grundverordnung entsprechen . Es wäre natürlich mit erheblichem bürokratischem Aufwand verbunden, wenn Millionen von Verbrauchern ihre Einwilligung noch einmal neu
erteilen müssten . Dies ist aus meiner Sicht eine wichtige
klarstellende Feststellung .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, darüber hinaus möchte ich Wert auf die Feststellung legen,
dass man, was das Thema Profiling anbelangt, klar differenzieren muss . Artikel 22 der Datenschutz-Grundverordnung differenziert deutlich zwischen Profilingmaßnahmen, die eine unmittelbare, rechtlich bindende
Wirkung oder beispielsweise eine erhebliche Beeinträchtigung der Person zur Folge haben, und Profilingmaßnahmen zum Zwecke der Werbung oder des Marketings, die
bei weitem nicht so beeinträchtigend sind . Von Artikel 22
der Datenschutz-Grundverordnung sind Profilingmaßnahmen zu Marketing- und Werbezwecken nicht umfasst .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ein
großer Schritt nach vorne ist der parlamentarische Änderungsantrag, den wir mit vorangetrieben haben und der
insbesondere dazu beiträgt - auch das ist mir wichtig -,
dass die Betroffenenrechte gestärkt werden. Sie werden
nicht reduziert, sondern deutlich gestärkt, insbesondere
im Bereich der Auskunftsrechte, der Informationspflichten und der Löschungspflichten der Unternehmen. Um
es kurz auf den Punkt zu bringen: In Zukunft wird für
Facebook & Co nicht mehr die Ausrede gelten können,
dass die Information von Millionen Kunden einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert, wenn es darum geht,
zu begründen, dass man seine Kunden, die Verbraucher,
nicht informiert . Wir reduzieren die Ausnahmemöglichkeiten ausschließlich auf die Unternehmen, deren Datenverarbeitung nicht automatisiert, also analog erfolgt . Ich
glaube, das ist gerade im Sinne kleiner und mittelständischer Unternehmen .
Darüber hinaus stärken wir auch die Rechte der Betroffenen, was die Löschungspflichten anbelangt. Es muss
der Grundsatz gelten, dass Daten auch gelöscht werden
können. Ausnahmen von diesen Löschungspflichten sind
sehr reduziert . Das war uns in den Verhandlungen ein
wichtiges Anliegen, immer verbunden mit dem Hinweis
darauf, dass bewährte Geschäftsmodelle dabei nicht zu
Fall kommen dürfen .
Durch einen parlamentarischen Änderungsantrag verändern wir die Zuständigkeit bei Bußgeldverfahren . Ich
glaube, es ist sachgerecht, dass dann, wenn Bußgelder in
Höhe von mehr als 100 000 Euro erhoben werden - das
mag nicht die Regel sein, kann aber durchaus einmal vorkommen, insbesondere bei großen Unternehmen wie den
genannten, also bei Facebook, Google & Co -, nicht der
einzelne Amtsrichter vor Ort zuständig ist, sondern zumindest eine Kammer am Landgericht die Zuständigkeit
bekommt . Ich glaube, dass dies auch die Rechtsprechung
insgesamt stärkt .
Vor diesem Hintergrund möchte ich dringend an die
Opposition appellieren, noch einmal der Überlegung näherzutreten, diesem Gesetzentwurf doch zuzustimmen .
Herr Kollege von Notz, Sie haben erwähnt, dass ein
grüner Europaabgeordneter maßgeblich an der Datenschutz-Grundverordnung mitgearbeitet hat . Ich habe die
leise Hoffnung, dass im Bundesrat auch grün mitregierte
Bundesländer diesem Gesetzentwurf zustimmen werden .
Ich glaube wirklich, dass wir stolz auf dieses Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz sein
können und dass es den Datenschutz für Millionen von
Menschen in Deutschland - für Verbraucher, für Arbeitnehmer, für Arbeitgeber, für Patienten, für Studenten, für
Rentner - stärken und nicht schwächen wird . Deshalb
habe ich noch einmal die herzliche Bitte: Geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß, und stimmen Sie diesem guten
und wichtigen Gesetzentwurf zu .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({7})
Ebenfalls für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Thomas Jarzombek das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden heute über einen Gesetzentwurf, der nicht nur ein
Gesetzentwurf zum Schutz der Bürger oder aus dem Bereich der Innenpolitik ist, sondern wir reden hier auch
über aktive Wirtschaftspolitik .
Es ist fast eine Plattitüde, wenn man sagt, dass Daten
der Treibstoff für die Ökonomie 2.0 sind. Man muss einfach sagen, dass in diesen Zeiten, in denen wir uns mit
globalen Unternehmen auseinandersetzen, ein nationales
Datenschutzrecht keine Perspektive bietet; denn derjenige, der mit seinem Start-up hier in Berlin, in Düsseldorf oder von mir aus auch in den Tiefen des ländlichen
Raumes beginnen möchte, braucht überall in Europa - in
allen 28 Nationen - den gleichen Rechtsrahmen . Deshalb
ist diese Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union eine sehr gute Entwicklung .
Wir standen vor der Herausforderung, den gesamten deutschen Datenschutz komplett auf neue Beine zu
stellen, und ich bin der Regierung wirklich dankbar; das
war ein Kraftakt . Lieber Konstantin von Notz, ich sehe
es nicht als ein Problem, sondern als eine gute Lösung
an, dass wir diese Neuregelung des kompletten Datenschutzrechts noch vor der Bundestagswahl geschafft haben; denn die Umstellungszeiträume für die Unternehmen sind aufgrund all der komplexen Veränderungen,
die sich dort jetzt ergeben, sehr lang . Es kann teilweise
sogar Jahre in Anspruch nehmen, die Systeme umzuprogrammieren, wie wir nicht zuletzt bei der Umsetzung des
IT-Sicherheitsgesetzes gesehen haben .
Stephan Mayer ({0})
Deshalb haben wir auch als Fraktion die Regierung
immer wieder angesprochen und gesagt: Lasst uns das
bitte noch vor der Wahl fertigbekommen . Dafür, dass das
gelungen ist, geht mein Kompliment an den Bundesinnenminister und auch an die Kolleginnen und Kollegen
aus dem Innenausschuss . Das war wirklich eine große
Leistung .
({1})
Bei all den Dingen, die Kollege Stephan Mayer hier
benannt hat und die zeigen, dass der Gesetzentwurf, der
hier vorgelegt wurde, wirklich gut ist, heißt das aber noch
lange nicht, dass wir mit der Diskussion über das Thema
Datenschutz und die Frage, wie wir damit umgehen, am
Ende sind . Ganz im Gegenteil: Es gibt durchaus Dinge,
bei denen wir hier in diesem Hause nicht alle einer Meinung sind .
Ich habe vorhin gesagt, wie wichtig es für das Startup aus Düsseldorf ist, dass es mit einem einheitlichen
Rechtsrahmen in ganz Europa agieren kann . Man muss
aber feststellen, dass wir zumindest für Unternehmen
nicht einmal in ganz Deutschland den gleichen rechtssicheren Standard haben; denn es macht eben schon einen
Unterschied, ob jemand mit seinem Start-up im Kreis
Pinneberg
({2})
oder möglicherweise in Garching bei München startet .
All das unterliegt nämlich erst einmal der Hoheit der
Landesdatenschutzbeauftragten, die Entscheidungen
treffen, die - das sieht man in der praktischen Umsetzung - teilweise sehr stark voneinander abweichen .
({3})
Das ist der Grund, warum zumindest eine ganze Reihe
bei uns hier am Ende zu einheitlicheren Standards kommen möchte .
Nun komme ich zu der Frage, wie man das gesamte Thema weiterentwickelt . Es ist vorgesehen, dass die
Gruppe 29 auch Vorschläge dazu unterbreitet, wie die
Datenschutz-Grundverordnung weiterentwickelt wird .
Das Thema Datenverarbeitung sollte nicht immer nur aus
einer negativen, risikobehafteten Perspektive betrachtet
werden, sondern es muss ebenfalls Institutionen geben,
die das Thema durch eine Innovationsbrille betrachten
und feststellen, was eigentlich passieren muss, damit unsere Unternehmen die gleichen Chancen haben .
Im jetzigen Regime muss man zu vielen Dingen seine Zustimmung geben, und es besteht das Risiko, dass
die Zustimmungsgiganten aus Amerika trotz der Datenschutz-Grundverordnung am Ende die Zustimmung für
viele Dinge bekommen werden, die sie brauchen . Derjenige, der sich für fast 1 000 Euro ein iPhone gekauft
hat, wird bei dem Softwareupdate nach zum Beispiel drei
Monaten, bei dem er darum gebeten wird, erneut die Zustimmung für bestimmte Datenverarbeitungen zu geben,
nämlich ganz sicherlich nicht sagen: Ich lehne das jetzt
ab und mache mein schickes neues Gerät unbrauchbar .
Das ist eben der Unterschied zu einem Start-up, das
sich in den Markt hineinbewegt und sich seine Reputation erst noch erarbeiten muss . Hier sagen die Menschen
vielleicht: Ich musste doch schon bei Apple, bei Google
und bei Facebook zustimmen . Ohne die kann ich gefühlt
gar nicht leben . Ich musste vielleicht sogar einem Update
bei meinem Auto zustimmen . Aber jetzt reicht es, und ich
sage am Ende einfach Nein . - Diese Entwicklung müssen wir genau beobachten . Da ist eine Evaluierung notwendig, um zu gucken, ob das, was wir hier machen, am
Ende unseren Unternehmen hilft, sich gegen die großen
amerikanischen Unternehmen zu behaupten .
Der letzte Punkt ist - ich hoffe, dass uns das gelingt -,
dass wir das vorhandene Recht tatsächlich durchsetzen .
Ich darf sagen: Die Amerikaner haben eindrucksvoll
deutlich gemacht, wie sie gegenüber deutschen Automobilherstellern ihr Recht mit immensen Schadenersatzzahlungen durchsetzen . Ich glaube, es ist an der Zeit, dass
auch wir eindrucksvoll deutlich machen, wie wir unser
Datenschutzrecht gegenüber amerikanischen Unternehmen durchsetzen .
Vielen Dank .
({4})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung ({0}) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie
({1}) 2016/680. Der Innenausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 18/12084 und 18/12144, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11325 und
18/11655 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/12132 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die
Linke abgelehnt .
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 11 b und setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des
Innenausschusses auf den Drucksachen 18/12084 und
18/12144 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11401
mit dem Titel „Datenschutzrechte der Bürgerinnen und
Bürger stärken“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Jürgen
Trittin, Dr . Frithjof Schmidt, Oliver Krischer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Schlüssel für eine globale, ökologische und gerechte Energieaußenpolitik
Drucksachen 18/10147, 18/11694
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . - Ich bitte,
die notwendigen Umgruppierungen zügig vorzunehmen .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat als Außenminister
einmal gesagt, Energieaußenpolitik sei ein langes Wort .
Aber es ist auch ein wichtiges Anliegen .
Wenn wir die Antworten auf unsere Große Anfrage
zusammenfassen, kann man eigentlich nur feststellen:
Die Große Koalition kann keine Energieaußenpolitik . Sie
können nur fossile Außenwirtschaftspolitik .
({0})
Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Angeblich streitet
die Kanzlerin für die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft bis 2050 . Angeblich fühlen Sie sich den Klimaschutzvorgaben von Paris verpflichtet. Was heißt das?
Das heißt, dass vier Fünftel - wahrscheinlich mehr - der
heute bekannten Vorräte an Kohle, Öl und Gas unter der
Erde bleiben müssen .
Und was machen Sie? Seit 2009 hat die Bundesregierung unter Führung von Frau Merkel 19 Milliarden Euro
für Exportgarantien für fossile Projekte ausgegeben . Das
sind drei Viertel der Exportgarantien im Bereich der
Energie .
Noch schlimmer ist es bei den Investitionsgarantien .
Bei den Investitionsgarantien gingen 96 Prozent an fossile Projekte . Allein Ägypten hat 4 Milliarden Euro bekommen .
Sie, meine Damen und Herren, fördern aktiv die Klimaerhitzung . Mir kommt das ziemlich trumpig vor .
({1})
Sie erzählen in Broschüren des Auswärtigen Amts,
die Energiewende in Deutschland sei ein Vorbild für die
Welt . Aber das war einmal . Sie sind im Inland, was die
Energiewende angeht, mit Sonnensteuer, Ausbaudeckel
und ganz viel Bürokratie mittlerweile voll auf der Bremse . Das hat uns über 40 000 Arbeitsplätze in Deutschland
gekostet . Es sind heute China und Indien, die vormachen,
wie man Klimaschutzziele und vertragliche Verpflichtungen einhält, die diese Koalition für 2020 nicht einhalten
wird und wahrscheinlich auch 2030 nicht, wenn Sie denn
weiterregieren würden, aber da habe ich meine Zweifel .
({2})
Mit dieser Politik schaffen Sie aber auch neue Abhängigkeiten . Sie erzählen uns beispielsweise, Nord Stream 2 sei ein rein unternehmerisches Projekt .
({3})
Sie erzählen uns auch, der südliche Korridor sei ein rein
unternehmerisches Projekt. Ich finde es sehr spannend,
Gazprom als reines Unternehmen zu betrachten, aber
wenn Sie das so sehen, Herr Kollege, bitte .
Aber sehen wir uns einmal den südlichen Korridor an .
Was ist daran rein unternehmerisch? Es gibt 500 Millionen Anträge auf Millionen Exportgarantien . Es gibt einen
Antrag auf einen 2-Milliarden-Euro-Kredit bei der Europäischen Investitionsbank . Und wer soll all dieses Geld
bekommen?
Das Gasfeld wird von Lukoil erschlossen . Das ist ein
russischer Konzern . Die Pipeline läuft durch Aserbaidschan und finanziert die korrupte Autokratie von Alijew.
Anschließend verläuft die Pipeline 2 000 Kilometer lang
durch die Türkei von Erdogan .
Mit anderen Worten: Sie machen sich mit Ihrer Energiepolitik von Erdogan, Alijew und Putins Oligarchen
abhängig . Ich sage Ihnen: Energieunabhängigkeit bzw .
Energieversorgungssicherheit geht nicht so; sie geht ganz
anders .
({4})
Sie geht übrigens auch nicht, wenn Sie als Ergänzung
dazu sagen: Wir importieren ganz viel Flüssiggas aus
dem Fracking der USA, aus Katar oder anderswoher und
landen das dann in Swinoujscie an .
Ich will Ihnen sagen, wie es geht: Würden wir in
Deutschland 3 Prozent unseres Gebäudebestandes jedes
Jahr energetisch wärmedämmen, dann würden wir nicht
nur Zehntausende von Arbeitsplätzen im Handwerk sichern, sondern wir würden bis 2030 so viel Gas einsparen, wie wir jetzt jährlich aus Russland importieren . So
geht Energieversorgungssicherheit, und so geht Energieaußenpolitik: mit Erneuerbaren, Effizienz und Energieeinsparung .
({5})
Vizepräsidentin Petra Pau
Der Kollege Jens Koeppen hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! „Energieaußenpolitik ist mehr als Energiepolitik .“ Kollege Trittin, das sind die ersten Worte in
der Vorbemerkung Ihrer umfangreichen Großen Anfrage mit fast 180 Fragen . Und da gebe ich Ihnen uneingeschränkt recht, weil es schlicht und ergreifend so ist .
Energieaußenpolitik ist natürlich auch Sicherheitspolitik
und Klimapolitik, wie Sie schreiben . Das ist völlig klar .
Ihre Schlussfolgerung allerdings erscheint mir im Hinblick auf unsere eigene Energieversorgung und Energiewende ein wenig ungeeignet, vielleicht sogar kontraproduktiv . Darauf will ich mich auch beziehen, nämlich auf
die Hausaufgaben, die wir im Inland zu machen haben .
Denn Außenpolitik steht in unmittelbarer Kohärenz mit
der nationalen Energiepolitik . Wenn wir hier im Lande
die Akzeptanz für unsere Energiewende verlieren, haben
wir global gesehen ganz schlechte Karten .
({0})
Energieaußenpolitik ist auch mehr als nur reine Klimapolitik, wie Sie es gerade beschrieben haben . Es darf
daraus auch keine Glaubensfrage gemacht werden . Energiepolitik ist selbst mehr als der bloße Zubau von Erneuerbare-Energie-Anlagen ohne die Abnahmemöglichkeit
und ohne die Nutzbarkeit . Es darf bei unserer Energiepolitik und bei unserer Energiewende keinen Aktionismus
geben .
Ihre Fragestellungen und Ihre Debattenbeiträge - auch
der Beitrag eben - machen sehr deutlich, dass das energiepolitische Zieldreieck, das wir uns gemeinsam gesetzt
haben, von Ihnen nicht mehr verinnerlicht wird .
({1})
Ich darf das noch einmal in Erinnerung rufen . Da ist
zum einen die Versorgungssicherheit - Sie haben sie
angesprochen; sie kommt mir aber zu kurz -, da ist die
Bezahlbarkeit, und da ist natürlich die saubere Energieversorgung . Wir haben immer gesagt, dass es sich um
ein gleichschenkliges Dreieck handelt . Es ist also alles
gleichwertig .
Dieses Zieldreieck wird leider zunehmend rein „klimapolitischen Anstrengungen“ - in Anführungsstrichen - geopfert . Sie schreiben nämlich in Ihren Vorbemerkungen - ich darf zitieren -:
Energiesicherheit wird es … auf Dauer nur geben,
wenn es gelingt, die Klimakrise aufzuhalten und
den Klimawandel zu begrenzen .
({2})
Das ist natürlich richtig . Da könnte jeder von uns auch
klatschen . Aber Sie ordnen alle anderen energiepolitischen Ziele, die es auch noch gibt - ich habe sie ja erwähnt -, dem Klimaschutz unter . Eine solche einseitige
Energiepolitik hat keine Chance auf Erfolg,
({3})
findet keine Mehrheit in der Bevölkerung und führt in
eine Sackgasse . Das muss man ganz deutlich sagen .
({4})
Eine abgestimmte Energieaußenpolitik ist enorm
wichtig . Energie muss für alle Menschen in Zukunft verfügbar sein und muss bezahlbar sein .
({5})
Energie, Wärme, Strom dürfen niemals zu einem Luxusartikel werden .
({6})
Dazu gehört aber auch, anzuerkennen, dass unterschiedliche nationale Energiemixe mit einer gemeinsamen europäischen Energieaußenpolitik vereinbar sind .
Wir brauchen so viel Europa wie nötig und nicht so viel
Europa wie möglich .
({7})
Gemeinsame Ziele kann man gerade hier auch mit
national unterschiedlichen Energiemixen und Wegen erreichen . So viel Akzeptanz müssen wir auch mitbringen .
Wir können doch nicht unseren europäischen Nachbarn
entsprechende Vorschriften machen und zum Beispiel
den polnischen Nachbarn sagen, sie dürften ihre Kohle
nicht nutzen . Wir dürfen doch den französischen Nachbarn nicht sagen: Wir verordnen euch jetzt den Atomausstieg .
({8})
Damit werden wir scheitern und letztendlich gar nichts
erreichen . Dann werden mehr und mehr Menschen aufgrund der Bevormundung vielleicht sogar Europa verlassen wollen . Das müssen wir verhindern .
({9})
Wenn Deutschland Motor einer weltweiten Energiewende oder auch Motor für den Ausbau der erneuerbaren
Energien sein will, dann müssen wir selbst erfolgreich
sein . Wir müssen den anderen zeigen, wie es funktioniert .
Und hier müssen wir uns ehrlich machen .
Lieber Kollege Trittin, was wir gegenwärtig in dem
Bereich tun, ist wenig stimmig . Es ist zu teuer und vor
allen Dingen auch umweltpolitisch sehr fragwürdig .
({10})
- Ja, selbstverständlich . Mit „wir“ meine ich aber uns
alle und das, was wir in Deutschland in der gesamten Gesellschaft machen .
({11})
Lieber Kollege Trittin, ich erinnere an unser Stromeinspeisungsgesetz . Das haben Sie auch mitgetragen . Aber
die Stimmigkeit fehlt mir . Es geht doch gar nicht darum,
wer jetzt für die Politik zuständig ist .
({12})
Es geht darum, was wir letztendlich in der Gesellschaft
daraus machen .
({13})
Allein für die Stromwende - jetzt kommen wir einmal zu den Fakten - zahlen die Verbraucher und Unternehmen in Deutschland über 30 Milliarden Euro im
Jahr . Hinzu kommen die Netzentgelte sowie die Kosten
durch Zubau und Redispatch . Ich befürchte, lieber Kollege Trittin, dass allein dieser Kostenblock viele Länder
von einer europäischen Energiewende abhält, ganz zu
schweigen von einer globalen .
({14})
Die Energiewende verliert zudem massiv an Rückhalt in
der Bevölkerung . Der Ausbau der erneuerbaren Energien
kann aber nur zusammen mit der Bevölkerung gelingen .
({15})
Ich will Ihnen ein paar schlechte Beispiele aus Brandenburg nennen .
({16})
Die Windeignungsgebiete werden in Brandenburg, aber
auch anderswo gesetzlich durchgedrückt . Sie werden regelrecht durch die regionalen Planungsgemeinschaften
gepeitscht .
({17})
Eine Dorfgemeinschaft nach der anderen wird in Opposition zur Energiewende gebracht. Geringe Abstandsflächen zur Wohnbebauung sind inakzeptabel .
({18})
Stellen Sie sich vor: Eine Windenergieanlage mit einer
Nabenhöhe von 230 Metern
({19})
kommt in der Uckermark auf bis zu 800 Meter an die
Wohnbebauung heran, bei Zielabweichungsverfahren sogar auf bis zu 500 Meter .
({20})
Erklären Sie das den Betreffenden einmal! Ich lade Sie
ein, ein Haus zu betreten, das neben einer Windenergieanlage mit einer Nabenhöhe von 230 Metern steht . Selbst
wenn Sie Türen und Fenster schließen, werden Sie den
Infraschall und die Lärmbelästigung nicht leugnen können .
({21})
Sie müssen die Ängste und Sorgen der Menschen ernst
nehmen .
({22})
Die Akzeptanz geht verloren . Aber die Energiepolitik benötigt Akzeptanz . Zudem werden die Netzentgelte nicht
bundesweit umgelegt .
Nun kommt der größte Treppenwitz: Windkraftanlagen werden in den Wald gestellt .
({23})
Der größte CO2-Speicher ist nun einmal der Wald . Um
eine energiearme Versorgung zu gewährleisten, wollen
wir nun den Wald hektarweise abholzen . Das ist absolut
unlogisch .
({24})
Kollege Koeppen, Sie haben nicht bemerkt, dass ich
gerade die Uhr angehalten habe . Sobald ich überwiegend
das Wort habe, stelle ich Ihnen die Frage, ob Sie eine
Bemerkung oder eine Zwischenfrage aus der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen zulassen?
Ich erwarte nicht sehr viel Erkenntniszugewinn . Deswegen lassen wir das lieber .
({0})
Entschuldigung, gilt das auch für die Frage der Kollegin Eva Bulling-Schröter, die sich ebenfalls zu einer
Zwischenfrage meldet?
Ja . - Anlagen werden wegen fehlender Leitungen abgeschaltet .
({0})
Die Windmüller bekommen trotzdem ihren Anteil ausgezahlt . Das ist gut für Investoren, aber nicht gut für die
Energiewende; denn sie verliert an Akzeptanz .
({1})
Es dürfte nur der Strom vergütet werden, der letztendlich durch den Zähler fließt. Wenn das nicht der Fall ist,
dann haben wir keine Chance, neue Innovationen, Speichertechnologien und bedarfsgerechte Angebote zu finden . Dann laufen wir mit unserem jetzigen Know-how
unter der hohen Messlatte hindurch .
Nun kommt ein letzter Aspekt, der sehr wichtig ist und
den Sie bereits angesprochen haben, Herr Trittin .
({2})
Die Abhängigkeit von Energieimporten müssen wir
senken . Dazu gehört auch eine ehrliche Energieaußenpolitik . Daher ist es notwendig - das sage ich ganz deutlich -, unsere heimischen Ressourcen sinnvoll und so
sauber wie möglich zu nutzen .
({3})
- Selbstverständlich die Braunkohle .
({4})
Es ist absolut scheinheilig, die heimische Braunkohle zu
verteufeln und dann über eine Energieaußenpolitik zu
philosophieren .
({5})
Wenn wir auf die heimischen Energieträger verzichten, steigt unsere Abhängigkeit, und zwar von fossilen
Energieträgern . Das ist unredlich und verschiebt nur
das Unliebsame ins Ausland . Wir sind sauber, und die
Dreckspatzen sitzen woanders . Wir müssen vielmehr auf
Prozesse und Techniken setzen, die die Kohleverstromung sauberer und umweltverträglicher machen . Wir
können zurzeit nicht auf die heimischen Ressourcen verzichten, da sie zu einer bezahlbaren und sicheren Energieversorgung beitragen .
({6})
In diesem Sinne plädiere ich an das Umweltministerium, im Rahmen des sogenannten Best-Prozesses in Brüssel - das sind die Verhandlungen über die bestverfügbare
Technik - nichts auszudealen . Das führt möglicherweise
zu mehr Ausstoßmöglichkeiten und einem vermeintlich
freiwilligen Ausstieg aus der Braunkohle bis 2030 .
({7})
Das ist energiepolitisch nicht darstellbar . Wir können bis
zum Jahre 2030 aus der Kohle nicht aussteigen, und zwar
aus Gründen der Energieaußenpolitik und aufgrund der
Herausforderungen, die wir bei den erneuerbaren Energien bezüglich der Kosten, der Verfügbarkeit, der Schwankungen, der Akzeptanz, der Versorgungssicherheit, der
Grundversorgung und des Lastmanagements haben .
Lassen Sie uns Ihren komplexen Fragenkatalog also
dazu nutzen, um eine moderne Energieversorgung im
Kontext des Zieldreiecks und eine faire, realistische und
ideologiefreie Energieaußenpolitik zu gestalten . Dazu
haben Sie die herzliche Einladung .
({8})
Kollegin Bulling-Schröter, ich bitte Sie einen Moment
um Geduld .
({0})
- Es gibt die Anmeldung von zwei Kurzinterventionen .
Als Erster hat der Kollege Harald Petzold das Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Ich will es ganz
kurz machen . Zum Ersten will ich hier feststellen, dass
die Aussagen des Kollegen Koeppen, was den Ausbau
der erneuerbaren Energien, vor allem der Windenergie,
in Brandenburg anbelangt, nicht den Tatsachen entsprechen .
({0})
Ich finde es unredlich, dass er keine Zwischenfrage zulässt, damit man das wenigstens richtigstellen kann .
Zum Zweiten möchte ich feststellen, dass die Akzeptanzprobleme, was die Energiewende anbelangt, zumindest im Land Brandenburg damit zu tun haben, dass es
eine übergebührliche Belastung vor allen Dingen der ostdeutschen Bundesländer durch die Stromeinspeisungsgebühren gibt, die abzubauen die CDU/CSU nicht bereit ist
und die dazu führen, dass die Menschen in Ostdeutschland höhere Stromgebühren zu bezahlen haben . Der Kollege sollte sich an die eigene Nase fassen, wenn er hier
solche Thesen zur Akzeptanz der Energiewende in den
Raum stellt .
Danke schön .
({1})
Kollege Petzold, das, was in Brandenburg passiert,
habe ich Ihnen gesagt . Ich selbst arbeite in der Regionalen Planungsgemeinschaft Uckermark-Barnim mit . Das,
was ich Ihnen gesagt habe, sind alles Tatsachen . Windenergieanlagen von 230 Metern Nabenhöhe kommen bis
500 Meter durch Repoweringanlagen an die Bebauung
heran . Sie können gerne kommen, ich lade Sie ein . Sie
müssen sich einfach vor Ort informieren .
({0})
Das Zweite ist: 800-Meter-Anlagen sind gang und
gäbe . Durch ein Zielabweichungsverfahren ist es sogar
möglich, bis zu 500 Meter an die Bebauung heranzukommen . Jetzt stellen Sie sich einmal diese Anlagen vor . Das
ist das Problem . Das machen die Leute nicht mit . Die
1 000 Meter Abstand haben alle mitgetragen, aber jetzt
durch Repowering so nahe heranzukommen, ist nicht
möglich .
Ein Wort zu der bundeseinheitlichen Umlage der
Netzentgelte . Soweit ich mich erinnern kann, hatten wir
das im November vergangenen Jahres mit den Ministerpräsidenten alles wasserdicht gemacht . Dann hat sich der
Kollege Gabriel, damals in der Funktion des Wirtschaftsministers, mit Frau Kollegin Kraft getroffen, der Ministerpräsidentin von NRW .
({1})
Die Kollegin Kraft hat gesagt, dass sie eine Wahl zu bestehen habe und der Wirtschaftsminister darauf hinwirken möge, dass das Versprechen, endlich eine bundeseinheitliche Umlage der Netzentgelte einzuführen, nicht
eingelöst wird, jedenfalls nicht bevor die NRW-Wahl gelaufen ist . Das hat er auch in vorauseilendem Gehorsam
gemacht . Das war seine letzte Amtshandlung . Die war
sehr schlecht .
Wir sind seit über 15 Jahren dafür - da können Sie
die Beschlüsse der ostdeutschen Landesgruppen nachlesen -, eine bundeseinheitliche, gerechte, faire Umlage
der Netzentgelte zu erreichen .
({2})
Das ist leider wegen der NRW-Wahl nicht gelungen .
Vielen Dank .
({3})
Zu einer weiteren und letzten Kurzintervention an dieser Stelle hat die Kollegin Annalena Baerbock das Wort .
Brandenburg hat viele Abgeordnete . Die sind alle an
der Energieaußenpolitik interessiert: global denken, lokal handeln . Aber mir geht es ähnlich wie Herrn Petzold .
Wir wollen unser Bundesland hier nicht so darstellen,
als würden dort nur Gegner der Windkraft wohnen . Ich
möchte deswegen klarstellen, dass es ein Volksbegehren
gegen Windkraft in Brandenburg gab, bei dem die Unterschriften das Quorum bei weitem unterschritten haben . Das Bild, das Sie hier gezeichnet haben, ist mehr
als falsch .
({0})
Dasselbe gilt für die Darstellung der Kohle in Brandenburg . Wenn Sie die Hektar Wald, die Sie hier angesprochen haben - dabei muss man sagen, dass es in
Brandenburg vor allen Dingen Kiefernforst gibt ({1})
und die für die Errichtung von Windkraftanlagen abgeholzt werden, mit denen vergleichen, die für die Kohleverstromung in der Lausitz abgebaggert werden, dann
sehen Sie, dass da eine Riesendiskrepanz klafft. Das jetzt
hier so darzustellen, als würden Windkraftanlagen die
Heimat in Brandenburg zerstören, ist absolut falsch .
({2})
- Natürlich werden einzelne Bäume auch wegen Windkraftanlagen abgeholzt . Herr Freese, Sie können sich in
dieser Debatte gern zu Wort melden .
Da Sie den Menschen hier dargelegt haben, wie lange
die Kohle noch reicht, möchte ich noch einmal darauf
hinweisen, dass es nicht die Grünen waren, die vor kurzem eine Entscheidung für die Lausitz getroffen haben,
sondern das Energieunternehmen LEAG; Herr Freese
kann auch dazu gleich vielleicht noch etwas sagen . Dieses Unternehmen hat selbst festgestellt, dass man auf
weitere Tagebaue in Brandenburg verzichten wird . Wenn
Sie jetzt mit der Energiewende Schluss machen wollen,
frage ich Sie, wie Sie die Energiesicherheit, von der Sie
hier immer gesprochen haben, weiter gewährleisten wollen .
Dann noch eine abschließende Anmerkung - schließlich haben wir hier über Energieaußenpolitik gesprochen;
zu der außenpolitischen Dimension haben Sie herzlich
Harald Petzold ({3})
wenig gesagt -: Wir reden hier auch über Nord Stream 2 .
Vom Kollegen Ramsauer habe ich gehört, dass der ganze
Bundestag das Vorhaben unterstütze . Ich stelle das zwar
sehr infrage, aber sei’s drum .
Diese Pipeline soll deutschen Boden bekanntlich in
Mecklenburg-Vorpommern erreichen . In der Folge soll
sie durch Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und
Sachsen weitergeführt werden; nach Tschechien führt
die EUGAL . Mich würde einmal sehr interessieren, wie
Sie als Brandenburger Abgeordneter dazu stehen, kilometerweite Flurstücke neuaufzureißen, um da eine neue
Leitung zu legen, die über die nächsten Jahrzehnte dort
liegen würde . Das wäre fossile Abhängigkeit . Das bedeutete weitere Zerstörung und Abhängigkeit von Russland
für die nächsten Jahrzehnte . Das hätte nichts mit Versorgungssicherheit in Deutschland zu tun .
({4})
Der Kollege Koeppen hat das Wort zur Erwiderung .
Ich glaube, dass Sie die Gasverfechter sind . Es steht ja
auch in Ihren Fragestellungen, dass Sie letztendlich die
Gasleitungen wollen .
({0})
- Sie bauen nicht Nord Stream; aber Sie wollen das Gas
haben . Es gibt noch kein Wireless für Gas . Da müssen
Sie schon aufpassen .
Ich will auf das Land Brandenburg zurückkommen .
Sie müssen auch einmal dem einen oder anderen Abgeordneten, der nicht aus Ihrer Fraktion kommt, zuhören .
Niemand, aber auch niemand hat gesagt, dass irgendeiner
in diesem Hause gegen die Energiewende ist .
({1})
- Nein . Deswegen sage ich ja: Wer zuhört, ist klar im
Vorteil .
Ich habe gesagt: Wir werden die Akzeptanz für die
Energiewende verlieren, wenn wir die Energiewende
ideologisch so weiterbetreiben, dass es keine Möglichkeit gibt - weder durch Netze noch durch andere Dinge -, dass wir zubauen, sodass der Strom letztendlich
genutzt werden kann .
({2})
Das ist in Brandenburg der Fall . Die Uckermark-Leitung kann nun einmal nicht gebaut werden, weil ihr
Bau beklagt wurde . Jetzt sind in unserem Planungsgebiet 750 Windkraftanlagen - mittlerweile sind es schon
mehr - vorgesehen, aber nur die Hälfte davon steht . Die
Windmüller werden trotzdem bezahlt . Was ist denn das
für eine Logik? Diese Frage will ich stellen . Es hat doch
keiner etwas gegen die Energiewende, wir haben nur etwas dagegen, wie die Energiewende durchgeführt wird .
Das ist nicht stimmig; das geht so nicht .
Noch etwas zu den Anlagen im Wald; schließlich setzen Sie sich so dafür ein . Es ist der größte Treppenwitz
der Geschichte der Energiewende, dass man den größten Energiespeicher dafür opfert, dass eine energiearme
Energieversorgung von dort aus geleistet werden soll .
Das können Sie niemandem erklären . Ich kann das nicht
erklären, und ich werde es auch niemandem erklären .
Windenergieanlagen haben im Wald nichts, aber auch
gar nichts zu suchen .
({3})
Wir fahren in der Debatte fort . Das Wort hat nun die
Kollegin Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Energieaußenpolitik geht es nicht etwa um Energydrinks; es geht
um Erdöl, um Gas und um Erneuerbare, also um die
Art und Weise, wie wir außerhalb unserer Grenzen den
Grundstoff organisieren, der unseren Wohlstand am Laufen hält: Energie . Darum ist es gut, dass wir heute über
Außenpolitik und Energie sprechen . Energieaußenpolitik
bearbeitet nicht nur die Frage, ob Erdgas aus Russland
preisgünstig und verlässlich ankommt, nicht nur die Frage, wie wir als Industrieland ohne Rohstoffe immer neue
Lieferanten finden, und nicht nur die Frage, ob sich die
Exportwirtschaft beim Boom der Erneuerbaren ein Stück
vom Kuchen sichert .
Wir Linken sagen immer wieder: Es geht bei Energieaußenpolitik um Gerechtigkeitsfragen . Wie wird der
Energiereichtum dieser Welt verteilt? Es geht um politische Einflussnahme. Es geht um Macht, um Kontrolle
über Rohstoffe und Handelswege. Es geht um Pipelines
und Marktanteile . Es geht bei Energie immer auch um
Krieg und Frieden. Deswegen finden wir eure Anfrage
auch so gut, wobei sich die Bundesregierung in ihren
Antworten um klare Worte drückt .
Damit dieser Staat an billiges Erdöl für deutsche Autos
und Fabriken sowie an billiges Gas für unsere Heizungen
kommt, machen sich deutsche Konzerne und die Bundeswehr in vielen Teilen dieser Erde die Hände schmutzig .
Allein unter Deutschlands 15 wichtigsten Erdöllieferländern sind 10 Staaten, in denen entweder Kriege oder ein
undemokratisches Regime herrschen . Die Liste liegt uns
vor, liebe Kolleginnen und Kollegen: Nigeria auf Platz 4:
Krieg und Terror; Kasachstan auf Platz 5: keine Opposition; Aserbaidschan auf Platz 6: Folter und Korruption;
({0})
Ägypten auf Platz 8: Putschisten; Libyen auf Platz 9:
Bürgerkrieg; Irak auf Platz 10: Chaos und IS; Saudi-AraAnnalena Baerbock
bien auf Platz 11: Bombenkrieg im Jemen, Demokratie
gleich null - um nur einige zu nennen .
In der Anfrage ist mir diese Beschaffungskriminalität
bei Energierohstoffen ein wenig zu kurz gekommen.
({1})
Deutschland ist eben leider kein Land der friedlichen
Saubermänner und Sauberfrauen .
Ein Blick in die Verteidigungspolitischen Richtlinien
reicht, um zu verstehen, dass die Bundesregierung auch
heute, 2017, bereit ist, für Energie zur Waffe zu greifen
und Regime zu unterstützen . Deutsches Sicherheitsinteresse sei es - jetzt zitiere ich -, „einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen“ .
Die Verknappung oder Engpässe bei der Versorgung
mit natürlichen Ressourcen und Rohstoffen werden als
Bedrohung ausgemacht . Wie in alten Zeiten verteidigt
Deutschland seine Energieversorgung nach vorne . Weil
die „Erschließung, Sicherung von und der Zugang zu Bodenschätzen, Vertriebswegen und Märkten weltweit neu
geordnet“ wird, so das Verteidigungsministerium, „werden Transport- und Energiesicherheit … künftig auch für
unsere Sicherheit eine wachsende Rolle spielen“ . - Das
war alles Zitat . Für Energie rückt die Bundeswehr aus,
auch in „geografisch entfernte Regionen“, wie das im
Militärsprech so heißt .
Wir sagen: Das ist der falsche Weg, liebe Kolleginnen
und Kollegen .
({2})
Auf 2 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung will
Schwarz-Rot die Armeeausgaben erhöhen, von 37 Milliarden Euro auf 60 bis 70 Milliarden Euro bis 2024 . Noch
einmal: auf 60 bis 70 Milliarden Euro, die wir woanders,
zum Beispiel bei den regenerativen Energien, besser einsetzen könnten .
({3})
Deshalb sagt die Linke: Nie wieder Krieg, auch nicht für
klimaschädliches Öl und Erdgas!
({4})
Zum Schluss möchte ich noch etwas zum Thema
„Windkraft im Wald“ sagen . Wie man hört, komme ich
aus Bayern . Dort wurde gerade das 100 . Windrad im
Wald geplant, und das wird jetzt zur Ausführung kommen . Es ist der Bayerische Staatswald . Ihre Bruderpartei
sieht das ein bisschen anders als Sie .
({5})
Ihr seid euch da also nicht einig - wie in vielen Dingen
nicht .
Danke .
({6})
Das Wort hat der Kollege Johann Saathoff für die
SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Energiepolitik ist ein gutes Stück auch
Außenpolitik - na sicher . Energiepolitik ist auch Entwicklungspolitik . Es geht um Zugang zu Energie für die
Menschen . Es geht um Ausgleich der Lebensqualität auf
der Welt . Es geht um die Voraussetzungen für Menschen
und Regionen, sich entwickeln zu können . Es geht bei
Energiepolitik natürlich auch um Verteilungsgerechtigkeit . Energiepolitik, meine Damen und Herren, ist auch
Sicherheitspolitik . Es geht um den Kampf um Rohstoffe und Ressourcen . Es geht auch darum, dass fehlender
Zugang zu Energie ein Fluchtgrund sein kann - genauso wie der Klimawandel durchaus ein Fluchtgrund sein
kann . Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist
Energiepolitik natürlich auch Klimapolitik .
({0})
Energiepolitik - das will ich an dieser Stelle betonen ist auch Wirtschaftspolitik . Wir müssen aufpassen, dass
die Menschen in den anderen Ländern nicht glauben, die
Energiewende sei in erster Linie eine deutsche Exportinitiative . Vielmehr müssen wir sie davon überzeugen,
dass die Energiewende nicht nur aus deutscher wirtschaftspolitischer Sicht notwendig ist, sondern dass sie
letzten Endes auch, was das Innenverhältnis angeht, für
ihr eigenes Land wichtig ist . Wir müssen aufzeigen, dass
die Einwohner mit der Energiewende von passiven Verbrauchern zu aktiven Marktteilnehmern werden können .
Energiepolitik ist also auch Wirtschaftspolitik und
Außenpolitik . Das alles ist - keine Frage - richtig . Im
Hinblick auf die Feststellung, dass die Energiepolitik
aber auch primäres Element der Außenpolitik sein muss,
würde ich an dieser Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Fragezeichen setzen . Für uns als Energiepolitiker ist das natürlich nachvollziehbar, wahrscheinlich sogar zwingend geboten, für die normalen Menschen aber,
glaube ich, eher nicht .
Dazu reicht ein Blick in die Europäische Union . Im
Ranking der Probleme - so weit sind wir ja schon an dieser Stelle - der Europäischen Union liegt die Energiepolitik - das ist traurig genug - nicht unter den drei Topplätzen . Das ist so trotz jahrelanger Diskussionen über eine
Energieunion und trotz der neuerlichen Diskussion über
die neuen Anreize im Clean Energy Package, mit dem
wir aber nicht uneingeschränkt einverstanden sind .
Wie schwierig die internationale Zusammenarbeit in
der Energiepolitik ist, sieht man auf der Ebene der Europäischen Union zum Beispiel schon am Strommix . Polen
und Tschechien favorisieren unter anderem den Kohlestrom . Frankreich ist mehr ein Fan von Kernenergie . Die
einen legen also keinen Fokus auf eine CO2-Reduzierung, die anderen schon - aber nicht zwingend unseren .
Alle zusammen - das ist noch viel schlimmer - denken,
dass sich doch nur die reichen Deutschen die Energiewende leisten können .
Wenn die Diskussion auf europäischer Ebene schon
kompliziert ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann ist
sie auf globaler Ebene noch um ein Vielfaches komplexer . Die Herausforderungen sind - da gibt es überhaupt
keinen Zweifel - global . Das habe ich im Ausland - zum
Beispiel in Peking - kennengelernt . Unsere Besuchergruppe hatte Glück . Der deutsche Grenzwert für Luftverschmutzung wurde am Tag unseres Besuches nur um das
Dreißigfache überschritten .
In Australien kann man erleben, dass Steinkohle im
Tagebau mit dem Bagger einfach vom Boden abgekratzt
wird. Sie kann dann gleich weltweit verschifft werden.
In Sambia kann man sehen, wie in einem Bauerndorf auf
dem Land zwar jeglicher Zugang zu Energie fehlt - das
kann eigentlich schon als Problem an sich identifiziert
werden -, dass die Menschen aber noch viel größere Probleme haben, um die sie sich kümmern müssen . Sie müssen sich nämlich zum Beispiel irgendwie vor dem um
sich greifenden Landgrabbing schützen .
Ich glaube, dass in diesem Zusammenhang auch
wichtig ist, dass hier im Parlament deutlich darauf hingewiesen wird, dass es darauf ankommt, dass wir Parlamentarier, was die Energiepolitik angeht, in einem internationalen Austausch stehen .
({1})
„Liggt di wat dran, dat man di in dien Kollontje mag,
musst du een von de Kollontje ween“ . Albert Einstein hat
das wie folgt - Achtung, ich zitiere - übersetzt:
Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu
können, muss man vor allem ein Schaf sein .
({2})
Man muss für den Weg der Energiewende aus der Herde ausbrechen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und bereit sein, neue Wege zu gehen . Und es gibt mindestens
eine Trillion Gründe, den Weg der Energiewende zu beschreiten . Überall in der Welt gibt es großes Interesse am
deutschen Weg der Energiewende . Wenn ich im Ausland
danach gefragt wurde, habe ich das an der einen oder anderen Stelle durch folgendes Bild deutlich gemacht: Die
Energiewende ist so, als wenn man einen Ball auf einem
Finger balanciert . Das kann in der Regel jeder von uns .
Man darf dabei nur nicht einschlafen . Das heißt, man hat
ständigen Nachregelungsbedarf . Es ist keinesfalls so,
dass man ein schlechtes Gesetz gemacht hat, wenn man
später nachregelt, sondern das Gegenteil ist der Fall . Die
Wirkungen des vorherigen Gesetzes gelten, und deswegen muss man neu an die Gegebenheiten anpassen .
Der zweite Hinweis, den ich den ausländischen Parlamentariern gebe, ist folgender: Es gibt keine Blaupause
und keinen Königsweg . Man kann nicht die Energiewende eines Landes auf ein anderes Land übertragen; denn
die Geologie ist in jedem Land anders . Und es gibt politische Rahmenbedingungen, die den einen oder anderen
Weg vielleicht möglich oder auch unmöglich machen .
Des Weiteren kann es traditionelle Gründe geben, das
eine oder andere nicht durchzuführen .
In diesem Zusammenhang war mir bei den Gesprächen mit den Kollegen aus dem Ausland aber auch wichtig, auf einen Zusammenhang hinzuweisen, auf den man
nicht sofort kommt, dass nämlich Energiewende, wenn
man sie in einem Land plant, auch immer mit dem damit
einhergehenden Strukturwandel verbunden sein muss .
Man kann die Menschen mit dem Strukturwandel nicht
allein lassen . Man kann verantwortungsvolle Energiepolitik nur machen, wenn man auch den Strukturwandel
gleich mitorganisiert . Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt auch für Deutschland .
({3})
Wir werden uns daran messen lassen müssen, wie wir
den Strukturwandel, der durch die Energiewende eintritt,
in Deutschland meistern . Die Welt wird uns natürlich auch
auf die Finger schauen, wenn es um die Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens geht . Da geht es aus meiner
Sicht vor allen Dingen um die Vertragstreue Deutschlands .
({4})
Es geht also um Werte und um Standortfaktoren, die
Deutschland auf der ganzen Welt einmalig machen: Es
geht um Vertragstreue, es geht um Zuverlässigkeit, und
es geht um Glaubwürdigkeit . Diese Glaubwürdigkeit
dürfen wir nicht durch die Infragestellung des Pariser
Klimaschutzabkommens verspielen; denn das hätte enorme Auswirkungen auf die Wirtschaft .
({5})
In Zeiten, in denen andere große Nationen beginnen, den
Klimawandel wieder infrage zu stellen, muss - davon
bin ich fest überzeugt - Deutschland eine Vorreiterrolle
einnehmen - das sind wir unseren Kindern und unseren
Enkelkindern schuldig -, damit die Energiewende auch
in einem globalen Kontext gelingen kann .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({6})
Ich schließe die Aussprache und rufe nun den Tagesordnungspunkt 13 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Ausweitung
des Maßregelrechts bei extremistischen
Straftätern
Drucksache 18/11162
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
… Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Ausweitung des Maßregelrechts
bei extremistischen Straftätern
Drucksache 18/11584
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({0})
Drucksache 18/12155
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr . Johannes Fechner für die SPD-Fraktion .
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne! Die
Berichte unserer Verfassungsschutzbehörden zeigen es:
Leider ist auch in Deutschland die Gefahr von terroristischen Anschlägen gestiegen . Deshalb müssen wir als
Gesetzgeber genau prüfen, ob es Gesetzeslücken gibt, die
wir zur Verhinderung von Anschlägen schließen müssen .
Dabei gilt der Satz von Helmut Schmidt, auch im Zorn
einen kühlen Kopf zu bewahren, um effektiv Kriminalität
und Terrorismus zu bekämpfen . Genau dies tun wir mit
diesem Gesetz . Mit diesem Gesetz werden wir das Maßregelrecht für extremistische Straftäter erweitern . Insbesondere wollen wir die elektronische Aufenthaltsüberwachung, also die sogenannte Fußfessel, auf extremistische
Straftäter ausweiten . Soweit es in den Diskussionen im
Vorfeld Kritik daran gab, dass dies rechtsstaatlich bedenklich sei, ist zu sagen: Ja, die Fußfessel ist ein ganz
erheblicher Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen.
Aber wenn feststeht, dass eine Person gefährlich ist und
dass sie schon gerichtlich festgestellt Straftaten begangen hat, dann ist eine solche Maßnahme zum Schutz unserer Bevölkerung gerechtfertigt .
({0})
Wir erweitern deshalb den Anwendungsbereich der
Fußfessel, damit zukünftig die Fußfessel auch Straftätern
auferlegt werden kann, die sich wegen einer schweren
staatsgefährdenden Gewalttat, wegen Terrorismusfinanzierung oder wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung strafbar gemacht haben . Denn wenn
durch eine solche Straftat erwiesen ist, dass diese Person
gefährlich ist, dann muss es möglich sein, sie durch die
Fußfessel zu überwachen, um weitere Straftaten zu verhindern .
({1})
Das ist verfassungsgemäß und rechtsstaatlich; denn
die Fußfessel kann nach unserem Gesetzesvorschlag
eben nur Personen auferlegt werden, deren Gefährlichkeit erwiesen ist . Nur wer sich wegen bestimmter Straftaten, die ich genannt habe, strafbar gemacht hat, dem
kann die Fußfessel auferlegt werden . Das ist auch richtig
so . Hier gelten also ganz klare rechtsstaatliche Kriterien
für die Fußfessel .
Richtig ist, dass die Fußfessel kein Allheilmittel ist .
Der schreckliche Mord an einem Priester in Frankreich
hat gezeigt, dass Täter, die zu allem entschlossen sind,
von solchen Taten nicht abgehalten werden können . Dennoch sprechen zwei Argumente für die Fußfessel: Die
Überwachung durch die Fußfessel führt dazu, dass der
Fußfesselträger weiß, dass die von ihm begangene Straftat aller Wahrscheinlichkeit nach sofort ihm zugerechnet
wird, weil ja festgestellt werden kann, dass er am Tatort
war . Zumindest dem Täterkreis, dem die Entdeckung der
Tat nicht egal ist, wird das Entdeckungsrisiko zu hoch
sein, und man wird von der Straftat absehen .
Vor allem hat aber nicht zuletzt die Sachverständigenanhörung ergeben, dass gerichtliche Weisungen
an Extremisten, bestimmte Orte wie etwa Flughäfen,
Großveranstaltungen, Bahnhöfe oder Treffpunkte von
Extremisten nicht zu betreten, durch die Fußfessel effektiv überwacht werden können . Wenn gegen ein
solches Verbot verstoßen wird, dann kann die Polizei
informiert werden, und die örtliche Polizei kann sofort
einschreiten . Deshalb nochmals: Die Fußfessel mag
kein Allheilmittel sein, aber sie ist eine Möglichkeit,
Straftaten zu verhindern, weil für den Täter ein hohes
Entdeckungsrisiko besteht . Und sie ist ein wirksames
Mittel, um zu verhindern, dass sich Gewalttäter in potenziellen Anschlagszielen wie etwa Flughafengebäuden aufhalten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetz
erweitern wir den Anwendungsbereich der Fußfessel
maßvoll, damit erwiesenermaßen gefährliche Terroristen
überwacht werden können, um zu verhindern, dass diese
sich in bestimmten Örtlichkeiten aufhalten . Angesichts
der leider bestehenden Bedrohungslage ist diese maßvolle Ausweitung der Anwendung der Fußfessel sinnvoll .
Wir schaffen insbesondere eine rechtsstaatliche Grundlage, damit nicht ins Blaue hinein unbescholtenen Bürgern
diese Fußfessel auferlegt wird, sondern nur erwiesenermaßen gefährlichen Gewalttätern .
({2})
In diesem Sinne rufe ich Sie auf, diesem maßvollen
Gesetz zuzustimmen .
Vielen Dank .
({3})
Das Wort hat der Kollege Frank Tempel für die Fraktion Die Linke .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Die Gefahr von Terroranschlägen ist tatsächlich traurige Realität . Und deswegen ist es unsere
gemeinsame Pflicht, nicht Aktivität in Sicherheitsfragen
zu simulieren, sondern mit effektiven und wirkungsvollen Gegenmaßnahmen in die Gänge zu kommen .
({0})
Vizepräsidentin Petra Pau
Wenn wir in diesem Zusammenhang über extremistische Straftäter reden, also über Menschen, die in solchem
Zusammenhang eine Haft verbüßt haben, dann reden wir
ganz offensichtlich über Menschen, die mindestens zwei
Jahre im staatlichen Gewahrsam waren . Was die Linke
jetzt erwartet, ist eine Debatte, die zeigt, wie die Zeit
dieser Haft noch intensiver zur Deradikalisierung des
Straftäters, also zu seiner Resozialisierung, genutzt werden kann . Wir brauchen Programme, die sich spezialisiert genau dieses Phänomens annehmen .
({1})
Ich kann jetzt bereits ankündigen, dass die Linke für solche Programme zu den Haushaltsverhandlungen 2018
Anträge vorlegen wird . Ganz ähnliche Programme werden wir übrigens auch brauchen, um grundsätzlich der
Radikalisierung von Menschen während ihrer Haftzeit
entgegenzuwirken . Italien wird das zum Beispiel laut
dpa-Meldungen demnächst verstärkt tun . Auch Deutschland sollte darauf einen deutlich stärkeren Fokus legen .
({2})
Die Voraussetzung dafür ist natürlich Wissen . Wann,
warum und auf welche Weise radikalisieren sich Menschen derart, dass sie bereit sind, selbst zum Preis des
eigenen Lebens, Menschen zu töten? Genau diese Frage
wird seitens der Bundesregierung zu selten gestellt .
Im sechsten Fortschrittsbericht der Europäischen
Kommission zu einer wirksamen und echten Sicherheitsunion, der vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde, wird
das Aufklärungsnetz gegen Radikalisierung und sein
Exzellenzzentrum angesprochen . Solche Netzwerke und
natürlich Forschung im eigenen Land - davon sind wir
nicht befreit - müssen genutzt werden, um mehr Tempo
in diese Prozesse zu bringen .
Geld, meine Damen und Herren, wollen Sie ganz offensichtlich für die Sicherheit in die Hand nehmen . Aber
Geld für Fußfesseln auszugeben, für die notwendigen
Systeme zur Kontrolle der Fußfesselträger, für das Personal zur Kontrolle dieser Systeme, ist nach meiner Meinung rausgeschmissenes Geld .
({3})
Ich nenne ihnen aus Sicht eines ehemaligen Polizeibeamten drei Beispiele dafür, warum das so ist .
Erstens . Ein großer Teil der Gefährder muss zunächst
verdeckt beobachtet werden, um festzustellen, ob sie
tatsächlich eine Gefahr darstellen oder nur radikale Ansichten vertreten . Dann würden sie sinnvollerweise keine
Fußfessel tragen .
({4})
- Ja, das habe ich schon mitbekommen . Da saß ich übrigens im Gegensatz zu Ihnen im Plenum . Aber wir brauchen auch Hinweise, ob jemand, wenn er aus der Haft
entlassen wird, weiter eine Gefahr darstellt .
({5})
Zweitens . Bei ehemaligen extremistischen Straftätern
muss es so oft wie möglich gelingen, diese zu deradikalisieren; denn sonst wird die Zahl der Gefährder immer
größer und damit gefährlich unübersichtlich . Eine Fußfessel nach der Haftentlassung ist aber eine Ausgrenzung
und hemmt die Deradikalisierung und Resozialisierung .
({6})
Dann, Herr Fechner, muss ich Sie natürlich fragen:
Was soll eine Fußfessel tatsächlich bewirken: die Durchsetzung von Aufenthalts- und Kontaktverboten, des Verbots des Besuchens potenzieller Anschlagsziele oder des
Verbots des Beschaffens von Tatmitteln? Das würde in
der Realität, in der Praxis heißen, der Träger von Fußfesseln dürfte überall da nicht hin, wo viele Menschen
sind - das sind eben nicht nur Flughäfen . Er dürfte auch
nicht dorthin, wo Lkw geparkt werden, wo Messer zu
kaufen sind . Das durchzusetzen, ist absolut unrealistisch .
({7})
Da kann man nicht einfach mal die Flughäfen herausgreifen .
Der Justizminister hat bei der Einführung des Gesetzes gesagt: „Die Fußfessel ist kein Allheilmittel .“ Das
ist richtig . Sie ist ein Placebo für besorgte Menschen im
Wahlkampf . In der Realität sagt uns die Fußfessel gerade mal den Aufenthaltsort des Trägers . Sie sagt uns gar
nichts über seine Gefährlichkeit . Sie sagt uns nicht, womit er sich beschäftigt . Stellen Sie sich das mal bei jemandem vor, der wegen Terrorismusfinanzierung gesessen hat . Was soll uns eine Fußfessel da sagen? Aber das
Bewusstsein, eine Fußfessel zu tragen, wird sein Verhalten beeinflussen. Er weiß, dass er sie trägt, er kann sich
leicht darauf einstellen und seine wirklichen Absichten
verschleiern . Eine Reaktion von Gefährdern auf die technischen Möglichkeiten der Sicherheitsbehörden mussten wir doch in der Vergangenheit feststellen: Terroristen nutzen häufiger alltägliche Gegenstände, und selbst
bei strengster Beobachtung ist es sehr schwer und fast
nicht möglich, die tatsächliche Absicht zu erkennen . Anis
Amri hat einen Lkw zum Tatmittel gemacht . Mal abgesehen davon, dass er verdeckt beobachtet wurde, hätte
hier eine Fußfessel gar nichts genutzt, und spätestens vor
seiner Flucht hätte er die Fußfessel leicht zerstören und
wegschmeißen können .
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns deswegen
bitte nicht die Zeit mit Debatten zu Fußfesseln und Ähnlichem verplempern . Lassen Sie uns gemeinsam nach
den besten Mitteln suchen, um aus Gefährdern ehemalige
Gefährder zu machen; denn das wäre der beste Weg zur
Sicherheit .
Danke schön .
({8})
Das Wort hat der Kollege Dr . Volker Ullrich für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung
das Gesetz zur Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern . Damit soll das Strafgesetzbuch so
geändert werden, dass im Rahmen der Führungsaufsicht
eine elektronische Aufenthaltsüberwachung angeordnet
werden kann .
Bereits im Jahr 2011 ist die elektronische Aufenthaltsüberwachung im Rahmen der Führungsaufsicht in
das Gesetz hineingenommen worden, um beispielsweise
Gebots- und Verbotszonen für verurteilte Straftäter zu
definieren, damit sie von weiteren Straftaten abgehalten
werden und ihre Resozialisierung in unserer Gesellschaft
gefördert wird .
Voraussetzung für die Anordnung der Führungsaufsicht war bislang, dass der Straftäter zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt wurde und
eine sogenannte Katalogstraftat vorlag . Diese Maßnahme - das will ich heute Abend auch festhalten - hat sich
beispielsweise im Bereich der Sexualstraftaten bewährt .
Straftäter, die wegen einer Sexualstraftat verurteilt wurden, haben gewisse Kontaktverbote einzuhalten und gewisse Bereiche zu meiden,
({0})
damit sie von weiteren Straftaten abgehalten werden und
potenzielle Opfer - was uns sehr wichtig ist - vor ihnen
geschützt werden .
Das, was sich im Bereich der Sexualstraftaten bewährt
hat, wollen wir im begrenzten Umfang auch für Straftäter einführen, die wegen gefährlicher Straftaten verurteilt worden sind, wegen schwerer staatsgefährdender
Gewalttaten, wegen beispielsweise Terrorismusfinanzierung oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung . Wer wegen dieser Straftaten verurteilt wurde, der
ist nicht unschuldig, sondern ist ein Extremist und ein
Gefährder . Der Rechtsstaat muss im Interesse der Sicherheit, der Resozialisierung und des Opferschutzes darauf
achten, dass von diesen Menschen keine weitere Gefahr
ausgeht . Die elektronische Fußfessel, die im Rahmen der
Führungsaufsicht zur Anwendung kommen kann, ist eine
gute und rechtsstaatlich angemessene Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen .
({1})
Natürlich wissen wir auch, dass ein zu allem entschlossener Täter - das schreckliche Beispiel des Mordes an einem Priester nahe Rouen hat es gezeigt - damit
nicht unbedingt von einer weiteren schweren Straftat
abgehalten werden kann . Aber es geht nicht allein um
die Schwarz-Weiß-Fälle. Gerade bei der Terrorismusfinanzierung geht es beispielsweise um die Frage: Welches
Netzwerk liegt der Struktur zugrunde? Mit wem hat der
Terrorist Kontakt gehabt? Indem man Verbotszonen definiert, macht man deutlich: Wenn sich jemand in dieser
Verbotszone bewegt, dann wird die Polizei alarmiert .
Dann hängt es von der Polizeitaktik ab, ob sie innerhalb
von fünf oder zehn Minuten vor Ort ist .
({2})
Das zeigt: Durch die Fußfessel werden die Aufklärungswahrscheinlichkeit und die Verhinderungswahrscheinlichkeit von schweren Straftaten gesteigert . Auch das ist
ein wichtiger Wert in einem Rechtsstaat . Wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass Menschen, die bereits verurteilt worden sind, weitere Straftaten begehen, dann muss
der Rechtsstaat seine Stärke ausspielen .
({3})
Das sind wir dem Rechtsstaat und der Sicherheit unserer
Bürger schuldig .
({4})
Es wird immer wieder eingewandt, das sei nicht richtig wirksam . Von Ihnen, Herr Kollege Tempel, haben wir
heute Nachmittag immer wieder gehört, das sei doch alles Symbolpolitik .
({5})
Ich will Ihnen eines deutlich sagen: Wir haben heute im
Deutschen Bundestag mehrere wichtige und gute Gesetze für den Bereich der inneren Sicherheit verabschiedet .
({6})
Wir haben dafür gesorgt, dass Polizisten besser geschützt
werden, wir haben das BKA-Gesetz reformiert, und wir
werden heute noch über die Fluggastdatenspeicherung
sprechen . All diese Mittel zusammen ergeben ein rundes
Bild .
({7})
Wir dürfen Freiheit und Sicherheit nicht gegeneinander ausspielen; denn wir werden nur dann frei leben können, wenn wir auch unsere Sicherheit verteidigen . Dazu
braucht es viele Mosaiksteine, und die elektronische
Fußfessel für bereits verurteilte Straftäter zur Verhinderung weiterer Straftaten ist ein weiterer Mosaikstein, den
wir heute bitte beherzt beschließen - für die Sicherheit in
unserem Land .
Vielen Dank .
({8})
Herr Kollege Hans-Christian Ströbele hat für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Schon zum zweiten Mal an diesem Tag beschäftigt sich
der Deutsche Bundestag mit der Einführung einer Sicherheitsvorkehrung . In diesem Fall geht es um einen völlig
anderen Bereich als heute Mittag . Das Bedürfnis nach Sicherheit in der Gesellschaft, bei den staatlichen Organen
oder bei den Sicherheitsbehörden muss ungeheuer groß
sein, wenn sich der Deutschen Bundestag zweimal an einem Tag in einer ausgewachsenen Debatte mit diesem
Thema beschäftigt .
Warum eigentlich die Eile? Ich habe gestern bzw . heute
erst gelernt: Die Fußfessel, die heute Mittag beschlossen
worden ist, soll - so hat der Kollege Mayer das hier verkündet - in keinem einzigen der über 600 Gefährderfälle
zur Anwendung kommen . Er hat gesagt: Bei keinem, der
jetzt als Gefährder bekannt ist, treffen die Voraussetzungen zu, dass er ein Aspirant für die Fußfessel sein könnte;
bei keinem einzigen von den vielen Gefährdern! Also, so
ganz dringend notwendig scheint es nicht zu sein, eine
Regelung auf den Weg zu bringen .
Wie ist es mit der Fußfessel, über die wir jetzt diskutieren? Wir haben es gestern gehört: Für die Anwendung
der Fußfessel kommen - so haben Sie es gesagt, Herr
Staatssekretär - Personen in einem geringen einstelligen
Bereich in Betracht, das heißt fünf oder weniger, ein oder
zwei . Und dafür verabschieden wir heute den vorliegenden Gesetzentwurf?
({0})
Der Kollege Fechner hat den Ursprung des Gedankens
ausgeführt . Er hat erklärt, warum man uns den Gesetzentwurf jetzt präsentiert . Der Auslöser war der Fall Amri
und die Diskussion, die danach stattgefunden hat . Und
ich gebe Ihnen sogar recht, dass die Gefahr eines terroristischen Anschlags in Deutschland gegeben ist . Das ist
uns allen durch den Anschlag noch einmal sehr deutlich
und bewusst geworden .
In dieser Diskussion kamen Sie auf die Idee mit der
Fußfessel . Was ist das eigentlich? Die Formulierung
„Fußfessel“ ist eigentlich ein Etikettenschwindel . Die
normale Bürgerin und der normale Bürger sagt wahrscheinlich: Ich bin auch dafür, dass Gefährder gefesselt
werden; dann können sie nämlich nichts Böses mehr anstellen, erst recht, wenn das eine elektronische Fußfessel
ist . - Aber was macht diese Fußfessel? Der Träger der
Fußfessel wird überhaupt nicht daran gehindert, zu laufen, sich irgendwohin zu begeben, in Lastwagen zu steigen oder gar zu morden, wie das Beispiel aus Frankreich
zeigt . Die Fußfessel ist lediglich ein Lederband, das an
einem Fuß befestigt wird, nicht auch an dem anderen,
sodass man schlechter laufen könnte . An diesem Band ist
ein Sender angebracht . Der Sender löst in dem Augenblick ein Signal aus, in dem man einen bestimmten Bereich betritt . Dann blinkt in der Alarmstelle in Frankfurt die gibt es heute schon; die kann man besichtigen - ein
rotes Lämpchen auf . Die rufen dann beim nächstgelegenen Polizeirevier, zum Beispiel in Berlin, an und fragen:
Können Sie da nicht mal hingehen? - Dann fahren die
Polizisten dorthin und gucken, ob er da ist oder nicht . Die
Praxis zeigt, dass diese Lämpchen sehr häufig angehen,
nicht, weil gegen die Auflagen verstoßen wird, sondern
weil jemand daran rummacht, zum Beispiel versucht, das
Bändchen zu lockern, weil es zwickt, weil man es anders
haben möchte, was man aber nicht kann, weil das Bändchen so eng anliegt . Das heißt, Sie erreichen damit erst
einmal gar nichts .
({1})
Sie erreichen höchstens eine gewisse Aufmerksamkeit .
Jetzt ist die Frage: Wo wollen Sie das anwenden? Sie
haben gesagt: Zum Flughafen dürfen sie nicht gehen . Es geht hier um Täter, bei denen Sie davon ausgehen,
dass sie nicht erwischt werden wollen . Wer nicht erwischt werden will, der weiß: Ich trage eine Fußfessel,
und die können feststellen, wenn ich den Flughafen betrete . - Er wird das also niemals machen . Sie werden die
Objekte nie so eingrenzen können, dass das Sinn macht,
weil es allein in Berlin Tausende von Objekten gibt,
U-Bahn-Stationen, Versammlungsorte, Behörden, Deutscher Bundestag, Flughäfen,
({2})
Kreuzungen und Ähnliches, die er nicht betreten darf .
Das alles nützt nichts .
Der eigentliche Grund ist, dass Sie von dem Fehlverhalten der Behörden im Fall Amri ablenken wollen .
({3})
Im Fall Amri hätte man die geltenden Gesetze anwenden
müssen . Man hätte zum Beispiel ein Sammelverfahren
bei einer Staatsanwaltschaft konzentrieren können, in
dem alle Straftaten gleichzeitig bearbeitet werden .
({4})
Das hat keiner gemacht .
Kollege Ströbele, achten Sie jetzt bitte auf die Redezeit .
Ja, letzter Satz . - Im Fall Amri hatten die Ermittlungsbehörden seit Februar 2016, also fast ein Jahr vor dem
Anschlag, ganz klare Anhaltspunkte dafür, dass er mit
IS-Führern, mit seinen Brüdern in Libyen korrespondiert
und sich dort Anweisungen und Ratschläge für einen
Selbstmordanschlag geholt hat . Da hätten Sie gegen ihn
vorgehen müssen . Da hätte ein Haftbefehl beantragt werden müssen .
({0})
Von da an hätten Sie ihn Tag und Nacht nicht mehr aus
den Augen lassen dürfen .
({1})
Da sind die Fehler gemacht worden . Der Fehler war
nicht, dass er keine Fußfessel getragen hat . Er wäre ohnehin kein Aspirant für eine Fußfessel gewesen, weil
sämtliche Voraussetzungen nicht vorlagen .
({2})
Kollege Ströbele, das war ein sehr langer letzter
Satz . - Die Kollegin Bettina Bähr-Losse hat für die
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren oben auf
den Rängen! Wir alle wünschen uns ganz grundsätzlich
und in Ansehung der niederträchtigen Terroranschläge in
den vergangenen Monaten ganz besonders eine hundertprozentige Sicherheit . Wir alle oder wenigstens die Vernunftbegabten unter uns wissen gleichzeitig aber auch,
dass es eine hundertprozentige Sicherheit leider nicht
geben kann . An dieser Stelle stehen wir an einer Weggabelung: Entweder wir stecken den Kopf in den Sand
und geben uns mit der aktuellen Gesetzeslage zufrieden,
oder - für diese Richtung wollen sich die Koalitionsfraktionen mit der Ausweitung des Maßregelrechts bei
extremistischen Straftätern entscheiden - wir sorgen mit
Mitteln, die uns jetzt zur Verfügung stehen, für ein Mehr
an Sicherheit .
Wir müssen die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger,
die auch meine Sorgen sind, ernst nehmen und prüfen,
ob es gesetzliche Lücken gibt und wie wir diese Lücken
schließen können .
Ein Urteil des Oberlandesgerichts München aus dem
letzten Jahr hat uns eine solche Lücke aufgezeigt . In einem dort entschiedenen Fall wegen Unterstützung einer
islamistischen Vereinigung im Ausland scheiterte die
Weisung zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung
daran, dass es sich nicht um eine taugliche Anlasstat handelte und der Verurteilte keine volle drei Jahre in Haft
verbüßt hatte . Die SPD-Bundestagsfraktion hält es in
diesem Zusammenhang für richtig, den Kanon der Anlasstaten zu erweitern . Gründung einer und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, die Finanzierung von Terror, die Unterstützung einer terroristischen
Vereinigung und die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat verfolgen dasselbe Ziel . Wer für
solche Straftaten zu mindestens zwei Jahren Haft verurteilt wurde und weiterhin als radikalisiert angesehen werden muss, soll künftig die volle Aufmerksamkeit unserer
Sicherheitsbehörden erhalten .
Der vorliegende Gesetzentwurf richtet sich also gegen
Verurteilte und nach wie vor gefährliche extremistische
Straftäter . Dass einige hier im Plenum es lieber bei der
bestehenden Gesetzeslage belassen wollen, steht ihnen
selbstverständlich frei . Ich selber habe an der Anhörung
im vergangenen Monat teilgenommen . Dabei habe ich
auch die Argumente gehört, die gegen die sogenannte Fußfessel sprechen sollen . Diese Argumente wurden
in die Meinungsbildung selbstverständlich einbezogen .
Was ich persönlich aber in keiner Weise nachvollziehen
konnte und kann, war, dass man sich ernsthafte Sorgen
darüber machte, dass jemand, der eine solche Fußfessel
tragen muss, dadurch stigmatisiert wird . Unglaublich!
({0})
Es geht hier auf der einen Seite um verurteilte gefährliche extremistische Straftäter, die sich eventuell
stigmatisiert fühlen könnten . Auf der anderen Seite geht
es um den Schutz der Bevölkerung vor einem terroristischen Anschlag . Die SPD-Bundestagsfraktion erachtet
das Recht auf Schutz vor einem terroristischen Anschlag
ganz eindeutig und ohne Wenn und Aber als schützenswerter .
({1})
Gefährdern muss und soll klar sein, dass sie unter Beobachtung stehen und dass wir ihren Terror nicht einfach
hinnehmen . Ich habe eingangs gesagt, dass es hundertprozentige Sicherheit leider nicht gibt . Neben der Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern sollten wir uns auch weiterhin bemühen, Menschen
von ihrem Irrweg aus Gewalt, Hass und blinder Zerstörungswut abzubringen . Aber solange das nicht sichergestellt ist, müssen wir das uns Mögliche tun . Dies ist mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf möglich . Deshalb werbe ich um Ihre Zustimmung .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Professor Dr . Patrick
Sensburg, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Heute Nachmittag haben wir über das Thema Fußfessel im präventiven Einsatz diskutiert, also bei
Gefährdern . Von diesen gibt es - wir haben es eben gehört - in Deutschland fast 600 . Übrigens sind fast 100
dem Land Nordrhein-Westfalen zuzuordnen; auch das
muss man sagen .
({0})
Man muss feststellen, dass allein diese Zahl zeigt, dass
Nordrhein-Westfalen eines der unsichersten Bundesländer ist .
({1})
- Das festzustellen, gehört dazu, wenn man sich die
Kriminalitätsstatistik anschaut . - Wenn man sich zum
Beispiel die Zahl der Einbrüche anschaut, stellt man
fest, dass es in Nordrhein-Westfalen genauso viele Wohnungseinbrüche gab wie in Bayern, Baden-Württemberg,
Hessen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz zusammen .
({2})
Auch das ist eine Zahl, die dafür spricht, dass die nordrhein-westfälische Landesregierung Sicherheit in diesem
Bundesland nicht herstellen kann .
({3})
Darum ist es traurig - das muss ich ganz ehrlich sagen -,
dass Nordrhein-Westfalen, wenn es um Sicherheitsgesetze geht, im Bundesrat immer wieder blockiert und dagegenstimmt .
({4})
Kollege Ströbele hat es gerade angesprochen: Die
Zahl derer, für die die Fußfessel im präventiven Bereich - darüber haben wir heute Nachmittag debattiert angeordnet werden könnte, ist gering . Heute Nachmittag
haben wir den Entwurf eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes beschlossen . Darin ging es um die Fußfessel im Zuständigkeitsbereich
des BKA . Die Länder müssen jetzt natürlich auch ihre
Hausaufgaben machen . Gerade die Länder sind mit ihren
Landespolizeien dafür zuständig, dass auch dort die Fußfessel präventiv eingesetzt wird . Nordrhein-Westfalen
könnte da jetzt sehr aktiv werden und zeigen, dass Nordrhein-Westfalen es mit der Sicherheitspolitik ernst meint .
({5})
Aber ich glaube, dass Nordrhein-Westfalen hier wieder
ein Ausfall sein wird und nichts für die Sicherheit der
Bürgerinnen und Bürger tun wird .
({6})
Herr Kollege Sensburg, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, gerne .
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Sensburg, und vielen
Dank, Frau Präsidentin . - Ich möchte Ihnen eine einfache
mathematische Frage stellen . Wenn von 600 Gefährdern
100 aus NRW kommen, ist das ein Sechstel . Wenn NRW
wirklich so viel gefährdeter sein soll, müsste die Gesamtbevölkerungszahl Deutschlands also mehr als 102 Millionen Einwohner betragen,
({0})
weil Nordrhein-Westfalen, was die Zahl der Gefährder
betrifft, ansonsten unter dem Durchschnitt liegen würde - und liegt .
({1})
Ich habe gesagt, dass sie dem Land Nordrhein-Westfalen zuzuordnen sind . Nicht alle 600 Gefährder - das
wissen auch Sie - sind derzeit in Deutschland . Sie kommen aus verschiedenen Bundesländern, und es besteht
die Gefahr, dass sie dorthin zurückkehren .
({0})
Die Frage ist, was wir in den Landespolizeigesetzen jetzt
präventiv machen .
({1})
Werden die einzelnen Bundesländer präventiv die Fußfessel einführen, werden sie also dem Vorbild des Bundes - Stichwort „BKA-Gesetz“ - folgen, oder werden sie
nichts tun?
({2})
- Ich bin noch bei der Beantwortung Ihrer Frage .
Herr Kollege Lenkert, Sie müssen schon stehen bleiben, bis die Frage beantwortet wurde .
({0})
Doch, ich bin noch mittendrin .
Der Kollege Sensburg entscheidet, was zur Antwort
gehört .
({0})
Sie müssen schon stehen bleiben, bis er fertig ist . - Danke schön .
Es geht um die Frage - ich sage es noch einmal -:
Werden die Bundesländer und gerade das Land Nordrhein-Westfalen präventiv tätig werden, um die ihnen
zuzuordnenden Gefährder auch mit einer Fußfessel
überwachen zu können? Wenn Sie die Debatte heute
Nachmittag verfolgt hätten, hätten Sie gehört, dass der
Kollege Binninger gesagt hat, man brauche 25 bis 30 Polizeibeamte, um einen Gefährder die ganze Zeit zu beobachten. Ich glaube, es ist eine deutlich effektivere
Maßnahme, eine Fußfessel einzusetzen, um zu wissen,
wo sich der jeweilige Gefährder befindet. Wenn man in
einem Bundesland bis zu 100 Personen, die Gefährder
darstellen, zugeordnet hat, dann sollte auch ein Land wie
Nordrhein-Westfalen tätig werden und nicht die Hände in
den Schoß legen .
({0})
Jetzt komme ich zur repressiven Anwendung der
Fußfessel; denn darüber debattieren wir heute . Das ist
eben ziemlich durcheinandergegangen . Auch der Kollege Ströbele hat wieder vom Fall Amri geredet, obwohl
dieser noch gar nicht verurteilt war, sodass es also um
die präventive Fußfessel ging . Schauen wir uns jetzt also
die repressive Anwendung der Fußfessel und die Änderungen im Strafgesetzbuch sowie in der Strafprozessordnung an .
Hier geht es - das ist vom Kollegen Dr . Ullrich gesagt
worden, der eben übrigens seine 100 . Rede in dieser Legislaturperiode hier im Plenum gehalten hat ({1})
um Delikte wie die Bildung einer terroristischen Vereinigung, schwere staatsgefährdende Gewalttaten und
die Finanzierung solcher Straftaten . Ich muss sagen: In
diesen Fällen wäre der Einsatz der Fußfessel richtig . Als
der Kollege Ullrich eben angesprochen hat, dass wir die
Fußfessel bei Sexualstraftätern schon einsetzen, habe ich
aus den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen Zurufe wie:
„Das ist auch richtig!“ gehört .
({2})
Wenn der Einsatz der Fußfessel in diesen Fällen richtig
ist, Sie bei solchen Straftaten nicht die Abschaffung der
Fußfessel fordern, Sie also ihre Brauchbarkeit anerkennen, dann müssen Sie konsequenterweise sagen, dass wir
sie auch bei schweren Straftaten mit terroristischem Hintergrund einsetzen sollten .
({3})
Sie macht Sinn, verhindert Straftaten und lässt Straftaten
zuordnen .
Wir werden erleben, dass immer mehr Täter nach Verbüßung einer Haftstrafe unter Führungsaufsicht gestellt
werden müssen, weil sie die Gefahr bergen, wieder ähnliche Straftaten zu begehen, die Landesgrenzen zu überqueren, sich an Orten zu treffen, die wir kennen, und sich
möglicherweise an Orten zu verabreden, wo Hassprediger ihrem schlimmen Treiben nachgehen . Deswegen ist
es gut, dass wir die Fußfessel nicht nur präventiv einsetzen, sondern auch dann, wenn jemand schon verurteilt worden ist, wir wissen, dass er entsprechende Taten
begangen hat, und er immer noch eine Gefahr birgt . Da
gibt es eben nicht nur Schwarz und Weiß, sondern auch
viele, viele Zwischenstufen . Manche Personen haben
sich vielleicht verleiten lassen . Mit der klaren Ansage:
„Da gehst du nicht mehr hin; das machst du nicht mehr“,
erkennen sie mit der Zeit vielleicht, dass sie auf einem
Irrweg waren .
Den Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die
Grünen und von den Linken sage ich: Wir haben in den
letzten Jahren sehr viele Gesetze beschlossen, im Bereich
Inneres zum Beispiel Polizeigesetze, aber auch viele Gesetze im Bereich der Justiz bzw . der Rechtspolitik . Ich
erinnere an die Debatten über das GTAZ, die Verschärfung der Antiterrorgesetze und die Verschärfung der Regelungen gegen Kinderpornografie. Heute ging es um
die Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten,
insbesondere Polizisten, und Rettungskräften . Sie waren
immer dagegen, oft mit dem Argument, das bräuchten
wir nicht, wir bräuchten keine gesetzlichen Verschärfungen . In der heutigen Debatte über den Schutz von Polizei- und Vollstreckungsbeamten war aus Ihren Reihen zu
hören, das sei Zeitverschwendung . Dies zeigt, dass Sie
ein Problem mit dem Schutz des Rechtsstaates und der
Menschen haben .
({4})
Ich muss ganz ehrlich sagen: Da, wo Sie regieren bzw .
mitregieren, sind die Kriminalitätsraten bei fast allen Delikten am höchsten . Überlegen Sie sich noch einmal, ob
Sie diesen Gesetzentwurf ablehnen und den Schutz der
Menschen zurückdrängen wollen oder ob Sie sich bei
einem gut ausgewogenen und verhältnismäßigen Gesetzentwurf mit engagieren .
Danke schön .
({5})
Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet .
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches - Ausweitung
des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern . Der
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt
unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12155, den Gesetzentwurf der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/11162 in
der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Opposition angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben . - Das ist die Koalition . Wer stimmt dagegen? - Das ist die Opposition . Wer enthält sich? - Niemand . Damit ist der Gesetzentwurf angenommen .
Wir stimmen jetzt ab über die Beschlussempfehlung
des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu
dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung
des Strafgesetzbuches - Ausweitung des Maßregelrechts
bei extremistischen Straftätern . Der Ausschuss für Recht
und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12155,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11584 für erledigt zu erklären . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen .
Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Sigrid
Hupach, Nicole Gohlke, Dr . Rosemarie Hein,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Ausstellungsvergütung gesetzlich verankern Gerechtigkeitslücke für bildende Künstlerinnen und Künstler schließen
Drucksache 18/12094
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keine
weiteren Vorschläge . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat jetzt die Kollegin Sigrid Hupach, Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! „von Kunstausstellungen leben viele“, so beginnt ein Plakat des Berufsverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler mit
Sitz in Berlin aus dem Jahr 2009 . Danach werden über
60 Beteiligte aufgezählt, vom Aufsichtspersonal bis zur
Versicherung, „Nur“ - so endet die Aussage dann - „nur
Künstlerinnen und Künstler nicht“ .
Auf einer Veranstaltung der Initiative „Ausstellungsvergütung jetzt!“ Anfang März forderte eine Teilnehmerin, dass eine Einladung zu einer Ausstellungsbeteiligung nicht zur Existenzbedrohung werden darf . Denen,
die das als Schwarzmalerei abtun wollen, empfehle ich,
in die aktuelle Studie des BBK-Bundesverbandes zu
schauen .
Das Einkommen der in der Künstlersozialkasse versicherten bildenden Künstler lag 2016 bei etwa
18 000 Euro pro Jahr; bei den Künstlerinnen lag es sogar
nur bei 13 000 Euro .
({0})
Wenn sie dann, wie die Befragten der Studie, drei bis
vier Ausstellungen pro Jahr realisieren, wird in der Regel weder die künstlerische Leistung vergütet noch der
Aufwand entschädigt, der ihnen bei der Vorbereitung,
beim Transport, beim An- und Abbau oder der Anreise
entsteht . Hier wird die Tragik deutlich .
Künstlerinnen und Künstler können nicht kostenlos
im Künstlerbedarf einkaufen, den ÖPNV benutzen oder
einen Transporter mieten . Warum also sollen sie ihre
künstlerische Leistung kostenfrei anbieten? Jetzt sagen
manche: weil Künstlerinnen und Künstler auf diese Weise bekannt werden und den Wert ihrer Werke damit steigern, Ruhm und Ehre wegen des schönen Ausstellungsortes eingeschlossen .
Dass dies aber schon lange nicht mehr stimmt und
vermutlich nie der Realität entsprochen hat, zeigt die aktuelle Studie des BBK . Trotz der regen Ausstellungstätigkeit nehmen zwei Drittel weniger als 5 000 Euro im Jahr
durch den Verkauf ihrer Werke ein . Es gibt zwar Ausnahmen; aber fest steht die Tatsache, dass der größte Teil
der professionellen bildenden Künstlerinnen und Künstler von dem Verkauf ihrer Werke nicht leben kann . Das
liegt nun keineswegs an ihrem unternehmerischen Unvermögen, sondern vor allem daran, dass sich die künstlerischen Ausdrucksformen geändert haben, dass sich der
Kunstmarkt wandelt und dass viele Ausstellungsorte entweder gar keine Sammlung oder kein Geld mehr haben,
um Kunst einzukaufen . Und überhaupt: Kunst ist mehr
als eine Ware,
({1})
und Ausstellungen in öffentlichen Häusern dienen vorrangig der öffentlichen Debatte.
Im Urheberrecht sind im Unterschied zu allen anderen Sparten die bildenden Künstlerinnen und Künstler
benachteiligt . Sie haben keinen Anspruch auf Vergütung
ihrer künstlerischen Leistung . Selbstverständlich werden
Autoren am Buchverkauf beteiligt . Selbstverständlich
bekommen Komponistinnen Anteile, wenn ihr Werk aufgeführt wird, und das immer, nicht nur beim ersten Mal .
Warum also sollte das bei den bildenden Künstlerinnen
und Künstlern nicht auch so sein?
({2})
Die Summe, um die es dabei geht, ist nicht groß . In
Berlin umfasst der Ausstellungsfonds 300 000 Euro pro
Jahr - als erster Schritt . Es geht nämlich nicht darum,
dass Künstlerinnen und Künstler per Gesetz ein gutes Leben führen können . Nein, es geht erst einmal nur darum,
dass ihnen überhaupt ein Anspruch auf die Vergütung ihrer Leistung zugestanden wird .
({3})
Der BBK-Bundesverband hat 2014 eine Leitlinie veröffentlicht, in der Vorschläge sowohl für die Höhe der
Ausstellungsvergütung als auch für Ausstellungshonorare unterbreitet werden . Sie ist sehr kurz und prägnant .
Sie unterscheidet zwischen Gruppen- und Einzelausstellungen und bezieht auch geldwerte Leistungen des Ausstellers mit ein wie etwa den Druck eines Katalogs oder
einen Ankauf . Es gibt einen Grundbetrag für die Nutzung
eines künstlerischen Werkes pro Woche, der mit einem
Wirtschaftskraftfaktor je nach Veranstalter multipliziert
wird . Ein soziokulturelles Zentrum müsste so lediglich
100 Euro für eine vierwöchige Ausstellung zahlen, ein
Museum dagegen 1 000 Euro . Hinzu käme das Ausstellungshonorar, die Aufwandsentschädigung, entsprechend
differenzierter Stundensätze je nach Art der Leistung.
Also: Reich wird damit keiner . Wichtig ist dieses Einkommen aber, da es als künstlerisches Einkommen zählt
und so den Zugang zur Künstlersozialkasse erleichtert
und sichert .
({4})
Neben der Ausstellungsvergütung im Urheberrecht
wollen wir mit unserem Antrag den Bund in die Pflicht
nehmen . Er soll die Zahlung von Ausstellungsvergütungen und Ausstellungshonoraren verbindlich in seine
Förderkriterien aufnehmen und die dafür nötigen Mittel
im Sinne der Einhaltung sozialer Mindeststandards zur
Verfügung stellen .
({5})
Die Vorbildwirkung wäre nicht zu unterschätzen . Es
wäre auch eine wirkliche Wertschätzung der Leistung
bildender Künstlerinnen und Künstler, von der immer so
viel geredet wird .
({6})
Eines muss uns allen doch klar sein: Ohne die Leistung von bildenden Künstlerinnen und Künstlern gäbe
es keine Ausstellungen . Die anderen auf dem Plakat genannten Beteiligten hätten auch nichts mehr davon .
Vielen Dank .
({7})
Vielen Dank . - Als Nächstes hat für die CDU/
CSU-Fraktion der Kollege Dr . Philipp Lengsfeld das
Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag greift
das Anliegen von Künstlerinitiativen auf, das ich, das wir
durchaus ernst nehmen . Trotzdem sind wir von dem vorgeschlagenen Lösungsansatz nicht überzeugt .
In unserem Land herrscht verfassungsrechtlich verankerte Kunstfreiheit . Das ist gerade in heutigen Zeiten
ein sehr hohes Gut . Als Künstler darf man hierzulande
fast alles tun . Aber die Kehrseite der Medaille ist natürlich, dass die Entscheidung für Kunst als Lebensunterhalt
auch eine freie Entscheidung ist . So hart es klingen mag:
Wer von seiner Kunst leben will, der muss am freien
Markt erfolgreich sein .
({0})
Die bildenden Künstler leben primär vom Verkauf ihrer
Werke . Dazu muss man die Kunden überzeugen und bekannt sein . Dafür sind Ausstellungen das A und O .
Jetzt sind wir beim Kern der Diskussion . Hilft eine
staatlich verordnete Ausstellungsvergütung dabei, dass
es im Land mehr Möglichkeiten zum Ausstellen für junge und noch nicht etablierte Künstler gibt? Das ist fraglich . Aber schauen wir genauer hin: Die Einführung einer
Ausstellungsvergütung würde zum Beispiel eine starke
Belastung für die ohnehin nicht immer üppig finanzierten kleinen Museen und kommunalen Galerien bedeuten,
die - ich weiß aus meinen langen Jahren in der Berliner
Kommunalpolitik genau, wovon ich rede - oft deutlich
unter 5 000 Besucher im Jahr haben und die wirklich
ständig infrage gestellt werden . Meine Befürchtung ist:
Im Ergebnis einer gesetzlich festgeschriebenen Ausstellungsvergütung gibt es weniger Ausstellungen für weniger Künstler in diesem Land . Das kann nicht die Idee
dieser Regelung sein; denn die Ausstellungsvergütung
soll letztlich helfen, die wirtschaftliche Situation von
Künstlern zu verbessern, von denen viele - ja - in prekären Verhältnissen leben . Aber für die soziale Absicherung
haben wir die Künstlersozialkasse, und die haben wir in
dieser Legislatur noch einmal gestärkt .
Die vorgeschlagene gesetzliche Ausstellungsvergütung ist für mich ein Schritt in Richtung einer Art Kunstsozialismus .
({1})
Ich finde es gefährlich, überall den Staat hereinholen zu
wollen .
({2})
- Jetzt mal ganz ruhig! - Wir schafften zusätzliche Bürokratie - das ist schon in der Rede der Kollegin angeklungen -, hätten die Möglichkeit zu mehr staatlichen Eingriffen - das kann nicht gewollt sein - und stärkten eine
Versorgungsmentalität; auch das ist nicht richtig . Das ist
das Gegenteil von Kreativität und Wettbewerb, die gerade für den künstlerischen Bereich so wesentlich sind .
Der politisch richtige Weg ist deshalb, Galerien und
Museen finanziell zu stärken, etwa durch die Erhöhung
des Ankaufetats . Und natürlich kann es nicht sein, dass
ein Künstler mit seiner Ausstellung Verluste macht; das
ist überhaupt keine Frage . Und ja, auch neue künstlerische Ausdrucksformen wie Performanceaktionen muss
man im Blick haben . Sie lassen sich nicht wie Gemälde
oder Skulpturen verkaufen . Auch das ist richtig .
Insgesamt finde ich es auch richtig, dass wir gegen
den Geist der Umsonstkultur, die sich gerade durch das
Internet in den letzten Jahren schon relativ stark ausgebreitet hat, vorgehen . Kreative sollen angemessen für
Leistungen honoriert werden; aber die Kernleistung einer Ausstellung ist die Möglichkeit zur Präsentation der
Werke . Das ist das Zentrale .
Trotzdem unterstütze ich ausdrücklich, dass auch Vergütungen von Ausstellungen stärker angereizt oder gefordert werden, aber auf freiwilliger Basis . So macht es
das Land Berlin gerade - Kollegin Hupach hat es schon
erwähnt - mit einem neu kreierten Fonds für Ausstellungshonorare . Das ist auch gut so . Allerdings ist meine
Heimatstadt Berlin auch in der sehr komfortablen Sondersituation, dass der Bund gut 600 Millionen Euro für
die Hochkultur in Berlin ausgibt . Da bleibt natürlich für
den neu gewählten Senator Lederer Geld zur Verteilung
übrig; das ist klar . Aber das ist eine Sondersituation . Insofern: Es ist eine gute Initiative, aber wir können daraus
keine gesetzliche Legitimation herleiten .
Die Kunst ist frei . Wir müssen in der Tat die wirtschaftliche Lage der Künstlerinnen und Künstler im
Blick behalten, aber eine gesetzlich verordnete Ausstellungsvergütung ist nicht der richtige Weg .
Vielen Dank .
({3})
Vielen Dank . - Als Nächstes hat Ulle Schauws, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Kollege, Sie haben gerade Vergleiche
gezogen und festgestellt, dass Kunst eine freiwillige und
leistungsgerechte Angelegenheit sein muss . Kunst nach
Leistungsprinzip, das kann auf die bildende Kunst angewendet werden . Für alle anderen Kunstsparten haben wir
eine Regelung gefunden . Wir reden hier über die Gerechtigkeitslücke - darauf bezieht sich auch der Antrag, den
wir heute beraten -, und davon haben wir ein deutlich
anderes Verständnis als Sie .
({0})
Die Debatte um die Einführung einer Ausstellungsvergütung - das will ich ganz klar sagen - wird vonseiten
der Kunstverbände und von Verdi seit über 30 Jahren
geführt . Nicht zuletzt 2007 hat die Enquete-Kommission
„Kultur in Deutschland“ klare Forderungen zu diesem
Thema aufgestellt . Wir haben 2011 einen Antrag dazu
vorgelegt und begrüßen den Antrag der Linken deswegen sehr .
Wir reden über einen wirklich alten Hut; denn in der
Praxis hat sich bis heute nichts getan . Einst war die Ausstellungsvergütung ein Steckenpferd der SPD . Seit Sie in
der Großen Koalition sitzen, haben wir zu diesem Thema
von Ihnen leider nichts mehr gehört .
({1})
Ich muss noch einmal festhalten, Herr Kollege: Die
Einführung einer Ausstellungsvergütung - das zeigt
der Blick ins europäische Ausland - ist nicht nur längst
überfällig, sondern vor allem auch machbar . Aber Sie
machen nichts . Schlimmer noch: Die Versäumnisse der
Bundesregierung hinsichtlich der Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage von Kulturschaffenden
sind dramatisch . Niedrige Honorare, mangelnde soziale
Absicherung und infolgedessen Altersarmut - das ist die
ungeschminkte Realität vieler Kulturschaffender und
Kreativer in diesem Land . Es ist weiter brotlose Kunst .
Dagegen können wir etwas tun . Gerade gestern haben
wir Grüne in einem öffentlichen Fachgespräch mit zahlreichen Kulturleuten und Kreativen über wirkungsvolle
Wege zur Absicherung von Arbeitslosigkeit und Krankheit sowie der prekären Situation im Alter diskutiert . Wir
erarbeiten im Dialog mit ihnen neue Konzepte, Konzepte, die zur Lebensrealität von Kreativen und Kulturschaffenden passen . Und darauf kommt es an .
Eine Regelung, die überhaupt nicht zur Beschäftigungsrealität vieler Künstlerinnen und Filmleute passt,
ist zum Beispiel die Sonderregelung für kurz befristet
Beschäftigte . Meine Damen und Herren, worin liegt denn
der Sinn solcher Regelungen, mit denen Konstrukte aufrechterhalten werden, die die Mehrheit dieser Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer überhaupt nicht erreicht und
die nicht zu ihnen passen?
({2})
Deswegen hat meine Fraktion schon 2014, vor drei Jahren, ein Konzept zu Beitrags- und Anwartschaftszeiten in
der Arbeitslosenversicherung vorgelegt . Es geht so: vier
Monate einzahlen, zwei Monate Anspruch auf Arbeitslosengeld. Das würde den Kultur- und Kreativschaffenden
in diesem Land wirklich direkt etwas bringen . Das haben
Sie abgelehnt . Da haben Sie eine große Chance verpasst .
({3})
Konkret zur Ausstellungsvergütung: Die Einführung
allein wird die oftmals schwierige wirtschaftliche Lage
vieler bildender Künstlerinnen und Künstler nicht ändern
können . Die Beträge sind - die Kollegin hat es ausgeführt - einfach zu klein . Sie trägt aber zumindest partiell
zu einer verbesserten Einnahmesituation bei .
Hinzu kommt - und das ist genau das, was ich eingangs sagte -, dass damit eine Gerechtigkeitslücke geschlossen wird, die die bildende Kunst im Vergleich zu
allen anderen Kunstsparten hat . Interpretinnen und Interpreten oder Bühnendarstellerinnen und Bühnendarsteller
haben andere Möglichkeiten, über ihre Werke Einnahmen zu erzielen . Nur die bildenden Künstlerinnen und
Künstler können allein durch den Verkauf ihrer Werke
Einnahmen erzielen, nicht aber durch die öffentliche Präsentation ihrer Kunst . Oftmals müssen sie sogar draufzahlen, wenn sie eine Ausstellung ausrichten . Da besteht
also eine weitere strukturelle Benachteiligung, die möglicherweise on top Geld kostet .
Einige Punkte in diesem Antrag sind mir besonders
wichtig: Es ist völlig richtig und wichtig, die Ausstellungsvergütung auf Orte zu begrenzen, an denen Kunst
gezeigt wird . Die Bereiche des Kunsthandels, also zum
Beispiel Kunsthallen, in denen die Kunst verkauft wird,
müssen von diesen Vergütungen ausgenommen werden;
denn dort ist das Abzielen darauf, dass die Kunst verkauft
wird, Sinn und Zweck der Angelegenheit . Entscheidend
ist für uns, dass eine Unterscheidung zum Beispiel zwischen soziokulturellen Zentren und Museen vorgenommen wird . Da sind die Handlungsspielräume eindeutig
andere und nicht vergleichbar .
Wir unterstützen ganz besonders, dass die Ausstellungsvergütung in die Fördergrundsätze der vom Bund
geförderten Einrichtungen und Projekte aufgenommen
wird . Der Bund muss hier mit gutem Beispiel vorangehen . Das haben übrigens die Sachverständigen im Fachgespräch zur sozialen Lage im Kulturausschuss gestern
noch einmal klar eingefordert .
({4})
Es wäre nett, wenn Sie jetzt auch mit gutem Beispiel
vorangehen und zum Ende kommen würden .
Ich will zum Abschluss Folgendes sagen, Frau Präsidentin: Wir sollten mit diesem Antrag für die bildende
Kunst vorangehen und ein wichtiges Signal der Wertschätzung für künstlerische Arbeit senden . Dieses Signal
sollten wir senden, nicht ein Signal für eine Kunst, die
sich für die Menschen, die dafür viel arbeiten müssen,
nicht weiter lohnt .
Vielen Dank .
({0})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist Burkhard Blienert,
SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, in
der Analyse sind wir uns in vielen Punkten sehr einig .
Die bildenden Künstlerinnen und Künstler tragen seit
Jahren die rote Laterne in den Einkommenstabellen der
künstlerischen Berufe . Sie verdienen nach der KSK-Statistik - die Kollegin hat darauf hingewiesen - im Schnitt
15 740 Euro im Jahr . Das liegt nicht zuletzt daran, dass
sie für die Ausstellung ihrer Werke in der Regel keine
Vergütung erhalten und in einigen Fällen sogar die Kosten der Ausstellung selber tragen müssen . Dieser Umstand stellt zugleich eine Ungleichbehandlung von bildenden Künstlerinnen und Künstlern gegenüber anderen
vergleichbaren kreativen Urheberinnen und Urhebern in
der Musik, im Theater oder in der Literatur dar . Da es
keine sachlichen Unterschiede zwischen den Künstlergruppen gibt, gilt es, diese Ungleichbehandlung tatsächlich zu beseitigen .
Eine Kulturnation wie Deutschland kann es sich
nicht erlauben, so mit ihren Künstlerinnen und Künstlern umzugehen, wenn sie diese Tradition bewahren und
die kulturelle Vielfalt erhalten möchte . Das werden wir
nur können, wenn wir in diejenigen investieren, die das
Hervorbringen von Kunst und Kultur sowie die kreative
Arbeit zu ihrem Erwerb gemacht haben . Vor allem müssen wir als Politik die notwendigen Rahmenbedingungen
schaffen, die es den Betreffenden ermöglichen, durch eigenes Schaffen ein angemessenes Einkommen zu erzielen . Das Ausstellen ihrer Werke ist ein wichtiges Betätigungsfeld der bildenden Künstlerinnen und Künstler und
ist längst eine eigenständige Leistungsform geworden .
Durch eine Vergütung für die öffentliche Nutzung und
Verwertung ihrer Werke wären die bildenden Künstlerinnen und Künstler in der Lage, ihre wirtschaftliche Situation selbst zu verbessern .
Auf die Frage, ob wir eine verbindliche Ausstellungsvergütung brauchen, kann ich aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion nur eindeutig mit Ja antworten . Nicht so
leicht zu beantworten ist die Frage, wie eine solche Regelung auszugestalten ist, damit sie den bildenden Künstlerinnen und Künstlern wirklich hilft und nicht kontraproduktiv wirkt . Diese Frage wird leider im vorliegenden
Antrag unzureichend beantwortet . Ich sage bewusst: leider; denn auch wir als SPD-Bundestagsfraktion sehen in
dieser Frage Handlungsbedarf . Dass der gute Wille allein
manchmal nicht reicht und dass sich die Wirkung sogar
ins Gegenteil kehren kann, hat uns das Beispiel Österreich gezeigt . Deshalb keine vorschnellen Entscheidungen und keine vorschnellen Konzepte!
Auch wenn wir die Initiative der Linken, über diese
Fragen zu diskutieren, grundsätzlich begrüßen, lässt der
Antrag aus unserer Sicht viele wichtige Fragen unbeantwortet . Der Problemaufriss macht dies deutlich . Die
eigentlichen Forderungen an die Bundesregierung bleiben in weiten Teilen unkonkret und oberflächlich. Auch
macht es sich die Linke an einigen Stellen zu einfach,
wenn sie fordert, der Bund möge seinen Einfluss auf Länder und Kommunen geltend machen, ein verpflichtendes
Ausstellungshonorar zu zahlen . In diesem Falle gilt, was
Einstein einmal formuliert hat . Als Politiker ist es nicht
nur sinnvoll, gute Reden zu halten . Vielmehr muss man
in Leistung und Arbeit investieren . - Für Politiker bedeutet das, in Mehrheitsverhältnisse zu investieren, damit sie
die Realitäten verändern können .
Liebe Kollegen von der Linken, Sie sollten schon
genau sagen, wie angesichts der finanziellen Lage vieler Kommunen so etwas finanziert und realisiert werden
kann . Selbst wenn der Bund eine Ausstellungszahlung
in seinen Einrichtungen ermöglichen würde, darf man
nicht vergessen: Der überwiegende, große Teil der Museen und der Ausstellungshäuser befindet sich in der Verantwortung der Länder und Kommunen . Eine wirklich
tragfähige Lösung ist an dieser Stelle nur gemeinsam mit
den Kommunen und den Ländern zu finden. Das sind die
Fragen, an denen wir uns orientieren sollten .
({0})
Beispiel Schweden . Die Schweden haben vielleicht
einen Weg beschritten, der deutlich macht, wie es gehen
kann . In Schweden gibt es seit 2009 eine Übereinkunft,
dass bildende Künstlerinnen und Künstler beim Ausstellen ihrer Werke anteilig an den Einnahmen der Museen
beteiligt werden . Das sogenannte Reko-Label zeichnet
Einrichtungen aus, die eine angemessene Vergütung zahlen . Leider ist es aufgrund unserer föderalistischen Struktur nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar . Wir
brauchen für Deutschland eine passgenaue Lösung . Wir
sollten uns jedenfalls das schwedische Modell anschauen
und darüber reden . Dafür brauchen wir tatsächlich mehr
Zeit .
({1})
Das sollten wir in der kommenden Legislaturperiode
gemeinsam anpacken . Wir dürfen aber nicht vergessen:
Das schwedische Modell hat die schwierige wirtschaftliche Situation der Künstlerinnen und Künstlern nur bedingt auffangen können - so erfolgreich ist es in diesem
Fall auch nicht -, weil die Vergütung zu gering ist und
weil Künstlerinnen und Künstler zu selten in den Genuss
einer öffentlichen Ausstellung kommen. Das wird in
Deutschland leider Gottes nicht anders sein . Deshalb ist
eine Ausstellungsvergütung nur ein Instrument und kein
Allheilmittel .
Wir haben als SPD-Bundestagsfraktion in dieser Legislaturperiode an vielen Stellen unsere Vorstellung
deutlich gemacht und durchsetzen können . Wir haben
die KSK gesichert und zukunftsfähig gemacht . Wir haben beim Urhebervertragsrecht dafür gesorgt, dass es tatsächlich substanzielle Verbesserungen für Künstlerinnen
und Künstler, für die Urheberinnen und Urheber gibt . Bei
der Novelle des Filmförderungsgesetzes haben wir dafür
gesorgt, dass auch soziale Mindeststandards mittlerweile
im Gesetz auftauchen .
Kollege Blienert, darf ich Sie unterbrechen? Gestatten
Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schauws?
Ich würde diese Minute gern zu Ende reden . Danach
können wir gerne in die Diskussion einsteigen .
Nein, danach können Sie die Rede nicht mehr aufnehmen . Entweder jetzt eine Frage oder keine . Ich stoppe
auch die Redezeit . Sie wollen keine Zwischenfrage? Dann ist gut . Aber danach gibt es auch keine .
Wir als SPD-Fraktion haben uns des Themas der
Arbeitslosenversicherung, des Arbeitslosengeldes I angenommen . Da hätten wir uns mehr vorstellen können .
Wir als SPD haben die wesentlichen Beschlüsse schon
gefasst, weil wir in der kommenden Legislaturperiode
auch bei der allgemeinen Rahmenfrist Verbesserungen
umsetzen wollen .
Flexible Beschäftigungsstrukturen, veränderte Erwerbsbiografien, schwierige Einkommensverhältnisse
machen es Solo-Selbstständigen, Freiberuflichen, Künstlerinnen und Künstlern, Kulturschaffenden zunehmend
schwerer, Risiken wie Krankheit, Pflegebedürftigkeit,
Arbeitslosigkeit abzufedern und für das Alter vorzusorgen . Deshalb müssen wir diese Gruppen ganz speziell in
den Fokus nehmen . Auch in diesem Punkt hat das Bundesarbeitsministerium in dieser Legislaturperiode durch
das Weißbuch Arbeiten 4 .0 schon wichtige Voraussetzungen geschaffen, um daran weiterarbeiten zu können.
Ebenso ist die Einführung des Mindestlohns ein wichtiger Bestandteil der sozialen Sicherung von Künstlerinnen und Künstlern . Mindesthonorare, Ausstellungsvergütungen können diese flankieren.
Ich habe anfangs gesagt: Wir sind dafür offen. Wir stehen auch dazu . Wir haben entsprechende Anträge selber
gestellt .
({0})
Das ist eine Möglichkeit, für Künstlerinnen und Künstler
an dieser Stelle noch etwas zu tun .
Ich danke für die Aufmerksamkeit .
({1})
Vielen Dank . - Der Kollege Ansgar Heveling von der
CDU/CSU-Fraktion schließt für heute hier die Debatte
ab .
({0})
Repetitio est mater studiorum - so hat der spätantike
Gelehrte Cassiodorus den Wert der Wiederholung bezeichnet .
({0})
Wenn ein Thema aber letztlich schon ausdiskutiert ist
oder, wie Kollegin Schauws es gesagt hat, ein alter Hut
ist, dann sind die Argumente natürlich auch schon ausgetauscht . Das Thema Ausstellungsvergütung ist eines, das
uns in der Tat heute nicht zum ersten Mal begegnet, sondern das hier schon vielfach diskutiert und mit Anträgen
unterlegt worden ist . Die Argumente haben sich indessen
nicht wesentlich geändert .
({1})
Der Wunsch nach einer Ausstellungsvergütung für
bildende Künstler scheint auf den ersten Blick durchaus
berechtigt zu sein . Wieso, fragt man sich, sollten Malerinnen und Maler, Bildhauer, Fotografen und andere
für die Ausstellung ihrer Werke keinen urheberrechtlich
verbrieften Anspruch auf Vergütung erhalten, zumal die
wirtschaftliche Situation von Künstlern - ich glaube, darüber sind wir uns einig - fraglos oftmals alles andere als
rosig ist?
Bei eingehender Betrachtung indes bewahrheitet sich,
dass das Gegenteil von „gut“ oftmals nur „gut gemeint“
ist . Genau wie Autoren und Musiker bei der Herausgabe
ihrer Texte oder Musik einen Primäranspruch oder eine
direkte Vergütung erhalten, so lebt der bildende Künstler
vom unmittelbaren Verkauf seiner Werke oder auch von
der Nutzung von Abbildungen seiner Werke . Der bildende Künstler lebt also von der Verwertung, der Nutzung
seiner Werke, genau wie jeder andere Künstler auch .
Was Sie mit dem unverzichtbaren Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Ausstellungsvergütung bezwecken, ist letztlich nichts anderes als eine Sozialleistung in
einem anderen Gewand .
({2})
Jean-Paul Sartre hat einmal gesagt: Kunst gibt es nur
für und durch andere . - Gemeint hat er damit, dass das
Kunstwerk als Kunstwerk nur in der Kommunikation mit
seinem Betrachter existiert . Die Gefahr ist, dass genau
diese Kommunikation eingeschränkt würde, wenn es
eine Ausstellungsvergütung gäbe .
({3})
Es sind doch gerade die modernen, zeitgenössischen
Künstler, die auf ein Gezeigtwerden ihrer Werke so dringend angewiesen sind, und das in einem Umfeld, in dem
zeitgenössische Kunst für Museen leider allzu oft ein finanziell kaum mehr zu stemmendes Wagnis ist . Insofern
ist es richtig - was auch der Kollege Lengsfeld schon
angesprochen hat -: Wir müssen andere Wege finden, um
etwa Museen zu unterstützen .
({4})
Der Deutsche Museumsbund warnt beispielsweise
explizit davor, dass gerade die weniger finanzkräftigen
kleineren Museen Leidtragende einer Ausstellungsvergütung sein könnten . Auch privat organisierte Kunstvereine
müssten sich gut überlegen, eine Ausstellung zu organisieren; denn meistens übernehmen sie doch ohnehin die
Kosten für Räumlichkeiten, Werbung und anderes . Das
Risiko, nicht namhafte Künstler auszustellen, würde
dann wohl niemand mehr eingehen .
({5})
Letztendlich führt eine verpflichtende Ausstellungsvergütung also in vielen Fällen zu insgesamt weniger Ausstellungen der Werke lebender Künstlerinnen und Künstler .
Ausstellungen sind immer auch Verkaufsförderungsmaßnahmen, unabhängig davon, ob ein Werk letztlich
gekauft wird oder nicht; denn das entzieht sich ohnehin
der Vorhersehbarkeit . Gerade deshalb erscheint es sinnvoll, möglichst vielen Künstlerinnen und Künstlern zumindest die Chance zu eröffnen, Käufer für ihre Werke
zu finden; denn um wirklich von der eigenen Kunst leben
zu können, muss ein Künstler verkaufen, und dafür muss
die Kunst präsent sein . Zumal: Eine Ausstellungsvergütung würde bei zeitgenössischen Künstlern, die noch
keine größere Bekanntheit erlangt haben, wahrscheinlich
ohnehin nicht in relevantem Maße zur Existenzsicherung
beitragen . Gleichzeitig würde sie aber in vielen Fällen
verhindern, dass der Künstler schnell bekannt werden
kann .
({6})
Das moderne Künstlerbild ist etwas relativ Neues . Bis
tief ins 19 . Jahrhundert hinein regierte die Auftragskunst .
Natürlich wünschen wir keiner Künstlerin und keinem
Künstler, dass ihre oder seine Kunst brotlos bleibe . Natürlich wissen wir, dass der Kunstmarkt seinen eigenen,
oftmals nur schwer nachvollziehbaren Gesetzmäßigkeiten folgt . Das ist bisweilen vielleicht auch schmerzhaft .
Gleichwohl halten wir den mit dem Antrag gemachten
Vorschlag nicht für zielführend . Wir werden den Antrag
natürlich weiter beraten, aber ihm wahrscheinlich nicht
zustimmen .
Vielen Dank .
({7})
Vielen Dank . - Diese Diskussion soll im Ausschuss
für Kultur und Medien fortgesetzt werden . Dazu ist
es notwendig, dass wir die Vorlage auf Drucksache
18/12094 an den Ausschuss überweisen . Sind Sie damit
einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an
europa- und völkerrechtliche Vorgaben
Drucksachen 18/9526, 18/9909, 18/10102 Nr. 8
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({0})
Drucksache 18/12146
Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Wenn die Privatgespräche eingestellt würden, könnten
wir die Aussprache eröffnen. - Jetzt erhält das Wort für
die Bundesregierung die Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter .
({1})
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl . Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz ist zwar erst
knapp zehn Jahre in Kraft, aber es musste schon mehrfach novelliert werden, weil der Europäische Gerichtshof
wesentliche Vorschriften für europarechtswidrig erklärt
hatte . Die letzte Novellierung und damit auch die letzte Bundestagsdebatte sind gerade einmal 18 Monate her .
Genau an dem Tag, an dem wir die letzte Novellierung
beraten haben - das war der 15 . Oktober 2015 - hat der
Europäische Gerichtshof in Luxemburg bereits die nächste Entscheidung zur Vereinbarkeit des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes mit dem europäischen Recht gefällt . Sie
können es erraten: Zum dritten Mal hat der Europäische
Gerichtshof festgestellt, dass das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz nicht den Vorgaben des Unionsrechts entspricht .
Wir sind uns sicher alle einig: Das war keine gute Bilanz
für so ein junges Gesetz . Der vorliegende Gesetzentwurf
der Bundesregierung hat das Ziel, das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz an die europa- und völkerrechtlichen Vorgaben anzupassen .
Der Entwurf setzt erstens die Vorgaben des EuGH-Urteils vom 15 . Oktober 2015 um . So vermeiden wir die
Einleitung eines Zwangsgeldverfahrens wegen fehlerhafter Umsetzung der Umweltverträglichkeitsprüfungsund Industrieemissions-Richtlinie . Auch wenn die Höhe
des Zwangsgeldes eine kleinere Dimension hat als zum
Beispiel bei dem Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung, das wir heute Morgen debattiert haben: Es sind
doch Steuergelder . Deswegen ist es wichtig, dass wir das
Problem jetzt lösen und dass kein Zwangsgeld verhängt
wird .
Zweitens dient der Gesetzentwurf dazu, das völkerrechtliche Compliance-Verfahren gegen Deutschland
im Rahmen der Aarhus-Konvention zu beenden . 2014
hatte die Konferenz der Vertragsstaaten festgestellt, dass
Deutschland in zwei Punkten seinen völkerrechtlichen
Verpflichtungen beim Gerichtszugang in Umweltangelegenheiten nicht nachgekommen ist .
Mit den Änderungen am Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, die die Bundesregierung vorgeschlagen hat, können
diese beiden Ziele erreicht werden . Der Gesetzentwurf
setzt das um, was europarechtlich und völkerrechtlich
zwingend notwendig ist . Dazu gehören unter anderem
die Erweiterung der Klagemöglichkeiten für Umweltverbände und die Abschaffung der materiellen Präklusion.
Gleichzeitig beschreiten wir beim verwaltungsprozessualen Rechtsschutz in einem großen Teil des Anwendungsbereichs des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes aber
auch neue Wege. Wir schaffen die Möglichkeit, dass das
Gericht bei einer Verletzung materieller Rechtsvorschriften die angefochtene Verwaltungsentscheidung nicht
aufhebt, sondern eine nachträgliche Heilung dieses materiellen Fehlers zulässt . Das ist für Investoren und Unternehmen eine ganz erhebliche Erleichterung; denn es
bedeutet konkret, dass nicht mehr das gesamte Genehmigungsverfahren wiederholt zu werden braucht, sondern
eine Korrektur des vom Gericht beanstandeten Fehlers
ausreicht .
Der in den Ausschüssen beratene Gesetzentwurf hat
den Spielraum, der durch das europäische Recht und das
Völkerrecht gegeben wird, voll ausgeschöpft . Die Beschlussempfehlung des Umweltausschusses greift im
Einklang mit der Gegenäußerung der Bundesregierung
Anregungen des Bundesrates auf . Darüber hinaus enthält sie neben Folgeänderungen rechtstechnischer Natur
einige punktuelle Änderungsvorschläge sowie eine Entschließung . Diese Vorschläge entwickeln den Gesetzentwurf fort, um im Rahmen der Beratungen aufgeworfenen
Bedenken so weit wie möglich Rechnung zu tragen .
Meine Damen und Herren, Einstein hat heute Konjunktur .
({2})
Eigentlich wollte ich jetzt genau das Gleiche sagen - das
passt nämlich auch hier -:
Persönlichkeiten werden nicht durch schöne Reden
geformt, sondern durch Arbeit und eigene Leistung .
Aber eigentlich kann man bei diesem Gesetz etwas viel
Besseres anbringen:
Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind .
In diesem Fall hat es etwas länger gedauert, dass die
Denkweisen sich geöffnet haben und wir zu einer Lösung
gekommen sind .
Ich danke Ihnen ganz herzlich, dass wir das Gesetz
heute verabschieden .
Herzlichen Dank .
({3})
Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt
der Kollege Hubertus Zdebel .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz ist ein
sperriges Thema . Außerhalb dieses Hohen Hauses und
abgesehen von einigen Expertinnen und Experten kann
kaum jemand, glaube ich, wirklich etwas damit anfangen . Ich sage ganz kurz Folgendes dazu: Jeder Mensch
hat Klagerechte bei staatlichen Entscheidungen über die
Umwelt . Aber die Bundesregierung setzt die völkerrechtlich bindende Aarhus-Konvention, die Deutschland mit
unterschrieben hat, seit 15 Jahren nur sehr restriktiv um .
Die Entscheidungen des Aarhus Convention Compli ance
Committee und des Europäischen Gerichtshofs haben
deutlich gemacht, dass die deutschen Bestimmungen
über die gerichtliche Kontrolle von umweltbezogenen
Verwaltungsentscheidungen völlig unzureichend sind .
Die Bundesregierung hat jedoch die notwendigen Konsequenzen verweigert .
Ihr Änderungsentwurf zum Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz provoziert neue Verurteilungen . Daran haben die
Ausführungen der Mehrheit der Sachverständigen in der
Anhörung des Umweltausschusses am 26 . September
2016 keinen Zweifel gelassen . Das ist also schon gut und
gerne ein halbes Jahr her, und wir hatten eigentlich gar
nicht mehr damit gerechnet, dass sich die Bundesregierung bzw . die Koalitionsfraktionen in dieser Legislaturperiode noch auf irgendetwas verständigen könnten . Im
Nachgang betrachtet wäre es besser gewesen, sie hätten
sich auf nichts verständigt; denn das, was hier vorgelegt
worden ist, ist definitiv nicht die Umsetzung dessen, was
in der Aarhus-Konvention festgeschrieben worden ist .
Monatelang haben SPD und CDU/CSU die Behandlung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz im Umweltausschuss vor sich
hergeschoben . Doch statt nun einen Antrag vorzulegen,
der die schwerwiegenden Defizite des Regierungsentwurfs beseitigt und europäischen sowie internationalen
Anforderungen genügt, will die Große Koalition die geplanten restriktiven Bestimmungen sogar verschärfen .
Im Interesse der Industrie soll heute ein Artikelgesetz
verabschiedet werden, das effektive und umfassende
Klagerechte von Umweltorganisationen nicht ermöglichen, sondern weitgehend verhindern soll . Das ist ein
handfester Skandal und nicht hinnehmbar .
({0})
Es muss endlich mit der Privilegierung von Bergbauvorhaben Schluss sein . Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz
muss auch für bergrechtliche Erlaubnisse und Bewilligungen zum Beispiel bei Fracking-Vorhaben Anwendung finden.
({1})
Wir Linken fordern: Die Bestimmung, Raumordnungspläne, die Flächen für den Abbau von Rohstoffen ausweisen, von der Klagebefugnis auszunehmen, ist ersatzlos zu
streichen .
({2})
Jedes staatliche Handeln muss gerichtlich auf Übereinstimmung mit den Vorschriften des Umweltrechts überprüfbar sein .
({3})
Auch das ist nicht der Fall .
Bisher war es in Deutschland nicht möglich, Argumente zur Klagebegründung vor Gericht vorzubringen,
falls diese nicht bereits im vorausgegangenen Verwaltungsverfahren vorgetragen wurden . Das war die Vergangenheit . Diese „materielle Präklusion“ - so der Fachterminus - hat der Europäische Gerichtshof inzwischen
gekippt . Nun will die Bundesregierung das EuGH-Urteil
mit einer Missbrauchsklausel aushebeln . Auch das ist
nicht hinnehmbar .
({4})
Diese Einführung der Präklusion durch die Hintertür lehnen wir entschieden ab .
Die Fraktionen von SPD und CDU/CSU setzen dem
Ganzen allerdings mit ihrem Änderungsantrag jetzt noch
die Krone auf . Sie wollen die Klagerechte durch einen
Änderungsantrag, der gestern im Umweltausschuss
schon beschlossen wurde, noch weiter einschränken .
So sollen bestimmte Verwaltungsakte nach zwei Jahren
nicht mehr beklagt werden können . Dies soll sogar gelten, wenn die Kläger gar keine Chance hatten, davon zu
erfahren, selbst wenn sie widerrechtlich verschwiegen
wurden. Damit öffnen Sie Missbrauch Tür und Tor. Auch
das ist nicht hinnehmbar .
({5})
Bei der Klagebegründungsfrist wird noch einmal sehr
deutlich, dass Sie Umweltorganisationen gegenüber Verwaltung und Industrie benachteiligen wollen . Während
Sie dem Gericht für die Kläger eine Fristsetzung von
Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter
zehn Wochen vorschreiben, gelten für Beklagte und Beigeladene keinerlei Fristen für Stellungnahmen .
Die Linke lehnt den Beschlussvorschlag der Bundesregierung und der Großen Koalition ab . Wir fordern eine
rechtskonforme Überarbeitung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes, wie es der Aarhus-Konvention entspricht .
Wir fordern Sie daher auf, Ihren Gesetzentwurf zurückzuziehen, denn der gehört tatsächlich in den Mülleimer .
Danke schön .
({6})
Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt der Kollege Oliver Grundmann .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir sprechen heute über die Neujustierung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes . „Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz“ - das ist ein sperriger Begriff. Die Materie dahinter - das will ich hier nicht verhehlen - ist auch ein Stück
weit sperrig, hochjuristisch und eben auch hochkomplex .
Sie ist aber von einer weitreichenden Bedeutung . Eben
deshalb haben wir uns auch so viele Monate Zeit genommen, darüber zu diskutieren . Wir haben das getan, weil
wir der Auffassung sind, dass Sorgfalt vor Schnelligkeit
geht .
Ich will hier an dieser Stelle sagen: Wir machen die
gebotene Novelle nicht freiwillig . Es geht hier um europa- und völkerrechtliche Vorgaben, die wir nun einmal
umsetzen müssen . Das haben wir mit dem vorliegenden
Entwurf auch vollumfänglich getan .
Fakt ist aber auch: Die Umweltverbände bekommen
wieder mehr Klagerechte . Das muss uns aufhorchen lassen . Stichwort „Energiewende“: Da stehen wir vor einer
gewaltigen Herausforderung . Das muss ich hier in diesem Hause niemandem erzählen . Genau genommen stehen wir schon mitten drin in dieser Herausforderung .
Aber auch das gehört zur Wahrheit: Wir stehen mehr,
als dass wir so richtig vorankommen . Wenn ich mir zum
Beispiel den Leitungsausbau, speziell in Niedersachsen, anschaue, dann muss ich sagen: Da wird gebremst,
diskutiert, abgewogen, aber leider nicht gebuddelt und
verlegt . Da kommt auch unsere Landesregierung leider
überhaupt nicht in dem gebotenen Maße in die Gänge .
Das hat auch Sigmar Gabriel damals als Wirtschaftsminister in aller Schärfe kritisiert .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir die
Energiewende wirklich wollen - ich glaube, darin sind
wir uns hier im Hause alle einig -, dann brauchen wir
den unbedingten Willen der Politik, dann brauchen wir
ein gesundes Klima für Investoren und dann brauchen
wir eben auch Rechtssicherheit, das heißt schnelle und
effiziente Genehmigungsverfahren.
({0})
Wenn wir uns einmal ganz ehrlich machen, muss man
sagen: Die Verbandsklage ist nicht gerade das Gaspedal,
um unsere Projekte auf die Überholspur zu bringen . Im
Gegenteil: Bereits heute werden zahlreiche Projekte gerichtlich angefochten, verzögert oder verschleppt . Teilweise ist das ideologisch motiviert nach dem Motto:
„Jedes größere Infrastrukturprojekt ist per se erst einmal
böse .“ Aber nicht nur ideologischer Übereifer bremst uns
aus . Der andere Übeltäter, der quasi hausgemacht ist, ist
häufig eben auch bürokratischer Irrsinn.
Im Ausschuss hatte ich das sagenumwobene Beispiel
aus einer Samtgemeinde in meinem Wahlkreis genannt .
Dort sollten 2013 sechs neue Windenergieanlagen entstehen . Weil ein Mitarbeiter in der Gemeindeverwaltung
den öffentlichen Aushang einen Tag zu früh wieder weggenommen hatte, musste das gesamte Genehmigungsverfahren komplett neu aufgerollt werden . Ich hatte mir
im Vorfeld der Anhörung vom Betreiber die entstandenen
Zusatzkosten auflisten lassen. Der Fehler eines Gemeindemitarbeiters, einen Tag zu früh den Zettel wieder aus
dem Glaskasten herauszunehmen, verursacht in Deutschland in diesem Fall 100 000 Euro für zusätzliche Bauplanungskosten, 130 000 Euro für ein Uhu-Monitoring
inklusive der Nahrungsfläche von 1 Hektar für den Uhu,
zusätzliche 25 000 Euro an Mehrkosten für die Baugenehmigung wegen einer danach folgenden Gebührenerhöhung und sage und schreibe 1,2 Millionen Euro für
eine geringere Einspeisevergütung für die ersten fünf
Jahre .
({1})
Die Realisierung dieses Windparks wurde um Jahre zurückgeworfen, und der Schaden ging in die Millionen,
und alles im Grunde wegen einer Lappalie .
Mit dem jetzt vorliegenden Entwurf haben wir deshalb zwei Ziele verfolgt . Zum einen kommen wir unserer
völkerrechtlichen Verpflichtung nach. Klar, die Opposition hätte gerne gesehen, dass wir über die Eins-zu-einsUmsetzung hinausgehen und das Ganze für alle Zeiten
absolut wasserdicht machen . Lieber Peter Meiwald, du
hast ja gestern im Ausschuss gesagt, dass wir in Brüssel
nicht gerade durch Strebertum in Sachen Verbandsklagerecht auffallen würden.
({2})
Da gebe ich dir auch ausdrücklich recht . Das ist so, und
das ist unserer Meinung nach auch gut so .
({3})
Wir als CDU/CSU verfolgen nämlich eine grundsätzlich andere Argumentationslinie . Ich will einmal die
Frage ganz offen stellen: Was ist uns denn überhaupt
wichtiger in unserem Land? Worin sollten wir wirklich
Vorbild in Europa sein? Ist es wichtiger, im vorauseilenden Gehorsam geradezu streberhaft jede EU-Vorgabe
überzuerfüllen, oder ist es wichtiger, als vielleicht erste
Industrienation die Mammutaufgabe Energiewende zu
stemmen, und das auch erfolgreich? Wir als CDU/CSU
haben da für uns eine ganz klare Antwort gefunden: Wir
lassen es jedenfalls nicht zu, dass die Aarhus-Bürokratie
und EuGH-Urteile wichtige Investitionsentscheidungen
lähmen .
({4})
Wie unsinnig und teuer das ist, habe ich anhand dieses
einen Beispiels ja schon vorgerechnet .
({5})
Deshalb haben wir noch ein zweites Ziel ins Auge gefasst: Wir wollen die Verfahren einfacher und schneller
machen . Wir haben intensiv überlegt, wo wir innerhalb
der Eins-zu-eins-Umsetzung Möglichkeiten für mehr
Rechtssicherheit und für spürbare Verfahrensbeschleunigungen schaffen können. Wir haben hierzu entsprechende Änderungsanträge formuliert, die wir als absolut
sinnvoll und auch als absolut notwendig erachten, wie
zum Beispiel die Einführung einer zweijährigen Klagefrist für Rechtsbehelfe, die unseren Investoren endlich mehr Planungs- und Rechtssicherheit gibt, oder die
Einführung einer Klagebegründungsfrist, die also nicht
mehr im Ermessen der Gerichte steht . Auch damit entlasten wir die Gerichte und straffen die Verfahren. Wir
schaffen effiziente Möglichkeiten der Fehlerheilung, damit Genehmigungsverfahren nicht komplett wiederholt
werden müssen, wenn zum Beispiel der Gemeindemitarbeiter den Aushang zu früh wegnimmt . Das ist dann auch
kein Weltuntergang . Dann holt man diesen Tag nach und
erspart unserer Volkswirtschaft Hunderttausende Millionen von Euro . Wir tun wirklich etwas Gutes für die Umwelt, wenn die Windkraftanlagen dadurch zum Beispiel
früher ans Netz gehen können . Warum diese Verfahrensbeschleuniger so wichtig sind, zeigt dieser Windpark in
meiner Samtgemeinde .
Mein Wahlkreis zwischen Elbe und Weser ist vielfältig, groß und wunderschön . Deshalb möchte ich noch ein
zweites Beispiel nennen .
({6})
In der kommenden Woche kommt am Wochenende
der taiwanesische Botschafter zu Besuch . Das wird ein
großartiger Tag . Darauf freue ich mich schon . Wir wollen gemeinsam mit einem Container voller Äpfel in See
stechen und quasi symbolisch den ersten Container Altländer Obst nach Taiwan über das Tor zur Welt in Hamburg verschiffen. Nebenbei ist auch noch Hamburger
Hafengeburtstag . Das wird also eine richtige Sause mit
Matjesbrötchen und Bier auf dem Schiff. Der Botschafter
wird dann am nächsten Tag auch noch die Altländer Blütenkönigin küren . Das wird also eine richtig tolle Sache
werden .
Worauf ich mich aber weniger freue - das will ich an
dieser Stelle auch sagen -, sind die müden und ermatteten Augen seiner Exzellenz, wenn er in Stade erschöpft
aus seinem Wagen steigt . Die Fahrt nach Stade macht
nämlich überhaupt keinen Spaß . Die Luftlinie zwischen
der Hansestadt Hamburg und meiner kleinen Hansestadt
Stade beträgt exakt 34,62 Kilometer, gemessen von Rathaustür zu Rathaustür . Mit meinem VW-Bus - ich habe
einen T5 und bin kein Superschnellfahrer; aber er hat
ordentlich PS - brauche ich je nach Verkehrslage eine
Stunde fünf Minuten bis zu zwei Stunden - zwei Stunden
für nicht einmal 35 Kilometer Fahrstrecke!
({7})
Dann werde ich nächste Woche dem Botschafter - es ist
eigentlich immer das Gleiche, wenn mich Persönlichkeiten in Stade besuchen - erklären müssen, dass wir 40 Jahre lang für die Planung einer Autobahn gebraucht haben .
Vor 40 Jahren war Taiwan in weiten Teilen noch ein armer
Agrarstaat . Heute ist er eine hochtechnologisierte Volkswirtschaft . Wie soll ich meinem Freund Herrn Professor
Dr . Jhy Wey Shieh erklären, warum das so lange dauert?
Wie soll ich ihm erklären, dass Deutschland als eine der
vielleicht stärksten Industrienationen der Welt, ein Land,
dem man im Grunde alles zutraut, sogar die Energiewende - wenn es einer schafft, dann sind wir das -, es nicht
schafft, 40 lächerliche Autobahnkilometer zu bauen?
Ich will damit sagen - hier bin ich ganz schnell bei den
Entschließungsanträgen der Opposition -: Sie wollen,
wenn ich es richtig gelesen habe, die Klagebefugnis der
Umweltverbände ausnahmslos auf alle umweltrelevanten Entscheidungen ausdehnen, also insbesondere auch
den Bundesverkehrswegeplan, den wir im letzten Jahr
beschlossen haben, zum Gegenstand von Verbandsklagen machen .
({8})
Zwei Dinge hierzu . Erstens . Ich möchte in meinem
Wahlkreis keine weiteren 40 Jahre auf die Autobahn A 26
oder die A 20 warten . Ich habe den Bürgern meines Wahlkreises versprochen, dass ich alles dafür tun werde, dass
diese Autobahn endlich fertig wird und dass die Staus
endlich aufhören, die Belastungen für die Anwohner,
Tausende Lkws am Tag, endlich ein Ende haben werden
und dass es - das ist ein ernstes Thema; hier bitte ich Sie
um Ihre Aufmerksamkeit -auf dieser Strecke endlich weniger Verkehrstote gibt . Die B 73 ist die Todesstrecke in
Deutschland . Das können Sie im Internet nachlesen . Sie
ist die Straße mit den meisten Verkehrstoten in Deutschland . Das will und das werde ich ändern .
({9})
Zweitens . Hier muss ich Sie leider enttäuschen:
Den Bundesverkehrswegeplan für Verbandsklagen zu
öffnen, funktioniert auch rechtlich gar nicht. Der Bundesverkehrswegeplan ist nämlich außen vor, weil er
Ausbaugesetze vorbereitet, gegen die ein unmittelbarer
Rechtsbehelf ausgeschlossen ist . Ohnehin fordert die
Aarhus-Konvention nirgendwo, dass oberste Planungsebenen anfechtbar sein müssen .
Damit wir uns nicht falsch verstehen, zum Schluss
noch ein paar versöhnliche Worte . Auch ich bin für den
Schutz der Natur . Ja, die anerkannten Umweltverbände
erfüllen eine wichtige Aufgabe in diesem Land; das ist
überhaupt keine Frage . Aber ich bin auch Praktiker, der
jahrelang im Bereich Umweltdienstleistungen tätig war .
Ich kenne den Umweltschutz daher nicht nur aus Anträgen . Ich weiß, welche Folgewirkungen ein kleiner Pinselstrich in einem solchen Gesetz entfalten kann . Dann
gehen Investitionen schnell in die Binsen, weil das Risiko einfach zu groß ist . Deshalb müssen wir ökologische
und ökonomische Interessen, aber auch die Interessen
der einfachen Bürger unter einen Hut bringen . Ich glaube, das ist uns mit dem vorliegenden Entwurf wirklich
gut gelungen . Wir haben die Eins-zu-eins-Umsetzung .
Wir haben die Verfahrensbeschleunigung, und wir haben mehr Rechtssicherheit . Ich glaube, damit können wir
alle gut leben . Es ist ein wirklicher Fortschritt, ein Erfolg . Deshalb bedanke ich mich ganz herzlich bei Herrn
Dr . Miersch und den Vertreterinnen und Vertretern des
BMUB für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit . Wir haben etwas Gutes gemacht .
Vielen herzlichen Dank .
({10})
Vielen Dank, Oliver Grundmann . - Schönen Abend,
liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben einen Wechsel vorgenommen, wie Sie sehen und hören können . Letzter Redner in dieser Debatte: Peter Meiwald für
Bündnis 90/Die Grünen .
Verehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Warum eigentlich hat die Mehrheit in diesem
Haus so viel Angst davor, dass die Einhaltung von Gesetzen in unserem Land von Gerichten überprüft werden
kann? Sind die Gesetze, die wir hier machen, so schlecht,
dass man Angst davor haben muss, dass bei Gericht
überprüft werden kann, ob sie eingehalten werden? Ein
solches Bild zu vermitteln, kann doch nicht in unserem
Interesse als Parlamentarier sein .
({0})
Es geht heute hier um nicht weniger als die Frage, ob
in Deutschland im Umweltbereich „recht haben“ und
„recht bekommen“ endlich in Einklang gebracht werden,
und das viele Jahre, nachdem die Aarhus-Konvention
von unserer Regierung unterzeichnet und von unserem
Parlament ratifiziert worden ist. Völkerrecht ist doch
nicht immer wieder neu zu diskutieren; Völkerrecht muss
Bestand haben . Wir haben vorhin schon von den Lateinern gehört: Pacta sunt servanda . - Das wissen wir doch
alle hier .
({1})
Lieber Oliver Grundmann, die Beispiele, die gerade gebracht worden sind, zeigen doch: Gerade bei den
großen Infrastrukturprojekten leben wir davon, dass wir
Rechtsklarheit und Rechtssicherheit schaffen. Das tun
wir eben nur, wenn wir die Grundlagen des Rechtsstaates
stabilisieren, und nicht, wenn wir uns davor verstecken,
dass Entscheidungen, die getroffen worden sind, vor Gericht kontrolliert werden .
Was wollen wir erreichen? Umweltverbände sollen
ein umfassendes Verbandsklagerecht erhalten . Was heißt
das denn konkret? Flugrouten werden in der Regel durch
Verordnung festgelegt . Es muss doch kontrollierbar sein,
ob sie mit unseren Umweltgesetzen in Einklang zu bringen sind .
({2})
Das gilt in der Tat auch für Raumordnungspläne im
Zusammenhang mit der Windenergie . Aber wir Grüne
können es nicht auf uns sitzen lassen, wenn Sie glauben machen wollen, die Energiewende in Deutschland
würde durch ein Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz oder das
Verbandsklagerecht für Umweltverbände ausgebremst .
Ausgebremst wird die Energiewende in diesem Land
im Moment von Ihrer Bundesregierung im Verbund mit
Herrn Seehofer aus Bayern .
({3})
Man kann über Sonnensteuer, über Ausbauobergrenzen
reden; das haben wir in den letzten Jahren hier getan .
Welche Geisteshaltung gerade Sie von der Unionsfraktion an den Tag legen, hat uns doch die Rede von Kollege Koeppen vorhin in der anderen Debatte noch einmal
deutlich gemacht . Die Energiewende ist doch in großen
Teilen Ihrer Fraktion - Oliver, da nehme ich dich gerne
aus - gar nicht gewollt; das Ziel ist es doch gerade, sie
auszubremsen . Das kann man nicht den Umweltverbänden in die Schuhe schieben, indem man jetzt sagt, das
Verbandsklagerecht wäre dafür verantwortlich, dass die
Energiewende in Deutschland in den letzten Jahren ins
Stocken gekommen ist . Dafür ist diese Bundesregierung - und nur sie - verantwortlich .
({4})
Konkret: Die Regierungskoalition legt hier mit monatelanger Verzögerung einen Gesetzentwurf vor, der den
Zustand der völkerrechtlichen Kritikwürdigkeit - das ist
noch freundlich ausgedrückt - endlich beenden soll, und
sie legt - das ist das Erstaunliche; wir haben es schon
gehört - gleich noch einen Entschließungsantrag dazu .
Wenn es der Sache wegen nicht so traurig wäre, wäre
das eigentlich ein amüsanter Vorgang: Die Regierungskoalition macht sich selbst zu ihrer Opposition, indem sie
in einem Entschließungsantrag die zukünftige Bundesregierung auffordert, endlich ein Gesetz zu schaffen, das
völkerrechtskonform ist . Das ist absurdes Theater . Da
wird dem Bürger und der Bürgerin vorgespiegelt, dass
dieses Parlament nicht in der Lage ist, selber ein Gesetz
zu machen, das den internationalen Vorgaben gerecht
wird . Das kann nicht sein .
({5})
Alle Experten, bis auf den Vertreter des BDI, haben
in der Anhörung - Hubertus Zdebel hat darauf hingewiesen - deutlich zum Ausdruck gebracht, dass mit diesem
Gesetzentwurf das Völkerrecht weiter ignoriert wird .
Wir haben gedacht, die darauffolgenden sechs, sieben
oder acht Monate würden dafür genutzt, diese Defizite
zu beseitigen . Aber das, was wir heute hier vorgelegt bekommen, wird dem in keiner Weise gerecht . Wir müssen feststellen: Trotz der Dutzenden Veröffentlichungen
in der Rechtsliteratur und einer Reihe von Urteilen der
europäischen Gerichte und drohender Strafzahlungen an
die Europäische Union hat sich die Bundesregierung entschlossen, diesen mehr als ungenügenden Entwurf in die
heutige Schlussabstimmung im Parlament zu geben .
Das Thema der Präklusion hat Hubertus Zdebel gerade schon ausgeführt; dies ist nur eines von vielen Beispielen . Das kann nicht sein . Insofern werden wir Grüne
selbstverständlich diesen fehlerhaften Gesetzentwurf ablehnen .
Vielen Dank .
({6})
Vielen Dank, Peter Meiwald . - Damit schließe ich die
Aussprache .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und an-
derer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vor-
gaben . Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau
und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12146,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
chen 18/9526 und 18/9909 in der Ausschussfassung an-
zunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um das
Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Es gibt keine
Enthaltungen . Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und
die Linke .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetz-
entwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und
die Linke .
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12146 empfiehlt der Ausschuss, eine
Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthal-
tungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren
die Linke und Bündnis 90/Die Grünen .
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge .
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/12160 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Keine Enthaltun-
gen . Der Entschließungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt
haben die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, dagegen
waren CDU/CSU und SPD .
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/12161 . Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Nie-
mand enthält sich . Der Entschließungsantrag ist abge-
lehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die
Linke, dagegen waren CDU/CSU und SPD .
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 16 a bis 16 c
sowie Zusatzpunkt 5 auf:
16 . a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Katja Dörner, Dr . Franziska Brantner, Ulle
Schauws, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Geld, Zeit, Bildung und Teilhabe - Familien gezielt unterstützen
Drucksache 18/12110
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Katja Dörner,
Kerstin Andreae, Dr . Franziska Brantner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Familien stärken - Kinder fördern
Drucksachen 18/10473, 18/12156
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2})
zu dem Antrag der Abgeordneten Katja
Dörner, Dr . Franziska Brantner, Elisabeth
Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zeit für mehr - Damit Arbeit gut ins Leben passt
Drucksachen 18/9007, 18/12156
ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Franziska Brantner,
Katja Dörner, Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Alleinerziehende stärken - Teilhabe von Kindern sichern
Drucksachen 18/4307, 18/11592
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre und
sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich bitte die Kollegen, Platz zu nehmen .
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Katja
Dörner für Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Es wurde ein bisschen geunkt, dass wir
so spät am Abend noch über Familienpolitik diskutieren .
Aber ich denke, wir sind uns alle einig, dass es nie zu spät
ist, etwas für die Kinder und die Familien zu tun . Es ist
ja auch leider so, dass die Legislaturperiode schon relativ weit fortgeschritten ist . Umso wichtiger wäre es, dass
die Bundesregierung wirklich damit anfängt, die Ärmel
hochzukrempeln .
({0})
Wenn es um die Bekämpfung von Kinderarmut geht,
wenn es darum geht, dass Eltern mehr Zeit mit ihren
Kindern haben, wenn es um die Qualität in den Kitas
geht oder wenn es darum geht, Eltern darin zu unterstützen, Erwerbs- und Familienarbeit endlich besser partnerschaftlich untereinander aufteilen zu können: Hier
wünscht sich die große Mehrheit der jungen Eltern Unterstützung . Wenn man sich all diese Herausforderungen
anschaut, dann sieht man, dass sich diese Bundesregierung in den letzten Jahren nicht mit Ruhm bekleckert hat,
und sie darf sich nicht weiter wegducken .
({1})
Wir erleben jetzt - der Bundestagswahlkampf lässt
grüßen -, wie sich Union und SPD darin überbieten, was
sie alles für die Familien zu tun gedenken .
({2})
Sorry, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist wirklich
mehr als durchsichtig . Union und SPD stellen die Bundesregierung . Sie können jetzt handeln, und Sie hatten
dafür schon dreieinhalb Jahre Zeit .
({3})
Im Koalitionsvertrag steht - ich zitiere -: Wir setzen
„auf einen Dreiklang von Zeit für Familien, guter Infrastruktur und materieller Sicherheit .“ Was ist daraus geworden? So gut wie nichts .
Stichwort „Kinderarmut“: Der Anteil armer und von
Armut bedrohter Kinder und Jugendlicher ist in den letzten Jahren sogar gestiegen, und das trotz der guten Wirtschaftslage. Ich finde es skandalös, dass die Bundesregierung hier nicht handelt .
({4})
Noch immer decken die Regelsätze das Existenzminimum der Kinder nicht . So kann Teilhabe in unserer Gesellschaft nicht funktionieren .
({5})
Wahrscheinlich wird sich die Koalition gleich wieder
für die Erhöhung des Kinderzuschlags loben . Aber der
Kinderzuschlag, so wie wir ihn haben, ist eine Fehlkonstruktion, weil nur 30 Prozent der Anspruchsberechtigten
ihn tatsächlich in Anspruch nehmen . Da wir wissen, dass
der Kinderzuschlag gebraucht wird, um in Familien mit
geringem Einkommen das Existenzminimum der Kinder
zu decken, müsste das bei uns allen die Alarmglocken
läuten lassen . Deshalb wollen wir den Kinderzuschlag
weiterentwickeln . Er muss automatisch ausgezahlt werden . Und wir wollen ihn so stricken, dass mehr Familien
einen Anspruch darauf haben .
({6})
Wir wollen Familien grundsätzlich entlasten, auch
Familien mit einem ganz normalen Einkommen . Es ist
einfach ungerecht, dass Familien mit einem besonders
hohen Einkommen über die Freibeträge von der staatlichen Unterstützung überproportional profitieren. Sie
profitieren stärker als Familien, die einfach nur Kindergeld bekommen . Deshalb setzen wir uns auch für eine
einkommensunabhängige Kindergrundsicherung ein .
({7})
Nun gibt es fast überall eine Diskussion über das Ehegattensplitting. Auch in der Union ist es offensichtlich
nicht mehr sakrosankt .
({8})
Was wir aber unter diesem Label „Familiensplitting“ hören, ist kein Fortschritt . Das Kernproblem des Ehegattensplittings ist, dass nur Familien mit hohem Einkommen
davon profitieren, dass nur Paare mit einem unterschiedlich hohen Einkommen davon profitieren. Deshalb sagen
wir ganz klar: Die Unterstützung muss unmittelbar beim
Kind ansetzen; sie muss unabhängig vom Einkommen
der Eltern sein und unabhängig vom Familienstand . Nur
das ist gerecht, und aus unserer Sicht spiegelt nur das
die Vielfalt der Familien wider, so wie wir sie heute in
Deutschland haben .
Stichwort „Mehr Zeit für Familien“: Die Ministerin
macht ja große Ankündigungen . Sogar einen Gesetzentwurf sollte es geben . Aber wenn es darum geht, über konkrete Vorschläge hier im Parlament zu entscheiden, dann
kommt überhaupt nichts . Vier Jahre wurden komplett
verschenkt . Dabei gibt es doch auch hier ganz dringenden Handlungsbedarf .
({9})
Herr Weinberg, Sie haben gestern in der Ausschussbefassung gesagt, unsere KinderZeit Plus sei zu komplex .
Vizepräsidentin Claudia Roth
Wir sagen: Eine Leistung, die flexibel ist, die sich der
Lebenssituation der Familien gut anpasst, die den Familien den größtmöglichen Spielraum gibt, kann halt nicht
150 Euro Betreuungsgeldpauschale sein . Vielleicht sollte man sich eine solche Kritik sparen, wenn man selbst
überhaupt keine Vorschläge macht, wie Familien wieder
mehr Zeit füreinander bekommen können .
({10})
„Zeit“ ist ein gutes Stichwort .
„Zeit“ ist ein gutes Stichwort . Ich komme zum
Schluss . - Die familienpolitische Bilanz dieser Regierung ist dürftig . Wir legen heute noch einmal zu den
relevanten Bereichen sehr konkrete Vorschläge vor . Es
ist entlarvend, dass wir von Union und SPD in diesem
Zusammenhang nur schöne Reden hören .
({0})
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({1})
Vielen Dank, Katja Dörner . - Nächster Redner:
Markus Koob für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Besucher! Schön, dass trotz der späten
Stunde noch einige auf den Tribünen die Diskussion verfolgen .
Wir haben heute gleich drei Anträge vorliegen, über
die man reden könnte . Ich möchte mich vorwiegend auf
den Antrag mit dem Titel „Familien stärken - Kinder
fördern“ konzentrieren . Das ist ein Motto, dem sicherlich alle Fraktionen hier in diesem Hause vorbehaltlos
zustimmen würden und das sie sich auf die Fahne schreiben würden .
Nachdem ich Ihren Redebeitrag, Frau Dörner, gehört
habe, frage ich mich schon, ob wir in den letzten dreieinhalb Jahren in unterschiedlichen Ausschüssen gearbeitet
haben .
({0})
Es ist naturgemäß so, dass die Opposition das Recht hat,
Dinge zu kritisieren, immer mehr zu fordern und dabei
auch keine Rücksicht darauf nehmen zu müssen, was ihre
Forderungen und Vorschläge eigentlich kosten .
({1})
Aber zu behaupten, dass in den letzten dreieinhalb Jahren
nichts geschehen sei, ist wirklich absurd .
Wir haben gemeinsam mit der SPD in diesen dreieinhalb Jahren das Elterngeld Plus eingeführt . Wir haben
den Unterhaltsvorschuss ausgeweitet . Wir haben den
Mindestlohn eingeführt . Wir haben den Kinderzuschlag
und den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende erhöht .
Wir haben Maßnahmen getroffen, um die Vereinbarkeit
von Familie, Pflege und Beruf zu fördern. Wir haben das ist noch keine vier Stunden her - gerade beschlossen,
dass der Bund weitere Milliarden in die Hand nimmt,
({2})
um weitere 100 000 Plätze für die Kinderbetreuung in
diesem Land zu schaffen, und das, obwohl wir dafür gar
nicht zuständig sind .
({3})
Man kann ja gerne fordern, dass wir immer mehr machen
müssten, aber zu behaupten, dass wir nichts getan hätten,
ist, glaube ich, angesichts dieser Bilanz wirklich absurd .
({4})
Sie legen hier einige Forderungen vor, die man zwar
stellen kann, die allerdings in ihrer Größenordnung einen
zweistelligen Milliardenbetrag bedeuten würden . Allein
zur Umsetzung des Punktes mit der Kindergrundsicherung müssten wir den kompletten Etat des Familienministeriums verdoppeln . Das kann man fordern . Dann
müssen Sie allerdings auch sagen, woher Sie dieses Geld
nehmen wollen, wie Sie das finanzieren wollen.
Bei Ihren Anträgen lassen Sie auch völlig außer Acht,
dass es vor allem zwei Maßnahmen gibt, die dafür sorgen, dass Familien wirtschaftlich in der Lage sind, für
sich und ihre Kinder zu sorgen . Der eine Aspekt ist, dass
Armut am nachhaltigsten nicht durch Sozial- und Transferleistungen, sondern durch Arbeit verhindert wird .
Eltern eine gute Arbeit zu ermöglichen, ist deshalb der
wichtigste Aspekt, um Kinderarmut auch in den nächsten
Jahren anzugehen und zu verhindern .
({5})
Gerade in den letzten Jahren haben wir unter anderem
mit der Einführung des Mindestlohns - das war nicht bei
jedem von uns ein Herzensanliegen - viel erreicht . Wenn
man sich jetzt die Bilanz anschaut, sieht man, dass die
Einführung des Mindestlohns tatsächlich dazu geführt
hat, dass viele Minijobs in sozialversicherungspflichtige
Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt worden sind .
Das ist ein wichtiger Trend, der zeigt, dass immer mehr
Menschen in der Lage sind, von ihrer Arbeit zu leben .
Daran müssen wir als Politik in den nächsten Jahren weiterarbeiten .
Der zweite Aspekt - auch darüber haben wir eben
lange diskutiert - ist der weitere bedarfsgerechte Ausbau
der Kindertagesbetreuung . Wir haben, wie gesagt, vorhin
beschlossen, weitere 100 000 Plätze in diesem Land zu
schaffen. Auch da haben Sie moniert, das alles sei nicht
genug, das alles sei nicht ausreichend . Wir haben vorhin auch schon darüber diskutiert, dass wir wissen, dass
diesem vierten Investitionsprogramm sicherlich noch ein
fünftes und ein sechstes folgen werden . Aber wir haben
in unserem Land eine föderale Ordnung, die Zuständigkeiten vorsieht . Deshalb ist es, glaube ich, angebracht,
zumindest in einem Nebensatz positiv zu erwähnen,
dass der Bund trotz nicht vorhandener Zuständigkeit die
Wichtigkeit der Aufgabe erkennt und sich an dieser Stelle
mit Mitteln engagiert .
({6})
In diesem Zusammenhang ist auch wichtig, dass wir
die Kinderbetreuung nicht nur quantitativ, sondern auch
qualitativ ausbauen . Auch das ist von den Rednerinnen
und Rednern der Opposition vorhin genannt worden . Ich
habe in den Meldungen gelesen, dass Frau Dr . Brantner
sagt, dass wir einen Qualitätsaufbruch in den Kindertagesstätten brauchen . Da haben Sie sicherlich unsere Unterstützung . Wenn ich allerdings sehe, was der rot-rotgrüne Senat in Berlin jüngst auf den Weg gebracht hat,
nämlich genau das nicht zu machen,
({7})
sondern die Berufsanforderungen an das Personal abzusenken, ist das mit Sicherheit nicht der Qualitätsaufbruch, den wir für unsere Kinder benötigen .
({8})
Wir alle haben das gemeinsame Ziel, Kinderarmut
in unserem Land zu bekämpfen . Die Vorstellungen, mit
welchen Maßnahmen das erreicht werden kann, gehen
naturgemäß auseinander . Für uns als Union ist klar, dass
in einer sozialen Marktwirtschaft der Wohlstand immer
erst erarbeitet werden muss, bevor wir Forderungen nach
Sozialausgaben, wie Sie sie hier aufgestellt haben, umsetzen können .
({9})
- Doch, den gibt es . Deshalb können wir ja auch die Projekte, die wir vorhin genannt haben, alle umsetzen . Aber
wir müssen eben auch schauen, dass wir die Familien,
die wir entlasten wollen, nicht mit zusätzlichen Maßnahmen wieder belasten und im Endeffekt ein Negativergebnis erzielen .
In Ihrem Antrag fehlt mir völlig, dass wir bei der Förderung von Familien nicht nur darüber reden sollten, wie
wir sie mit Leistungen oder Rechtsansprüchen fördern
können . Für uns als Union ist auch wichtig, dass wir zum
Beispiel darüber reden, wie wir Familien Wohnraum
ermöglichen können . Wie können wir gerade in dem
Zinsumfeld, das wir im Moment haben, Familien die
Möglichkeit geben, ein Eigenheim zu schaffen oder zu
erwerben? Hierzu haben wir schon konkrete Vorschläge
auf den Tisch gelegt .
({10})
Von den Grünen und den Linken, also von der Opposition, würde ich gerne auch einmal Vorschläge sehen, wie
wir die Familien in unserem Land fördern können .
Es gäbe noch viel zu sagen; leider ist meine Redezeit
schon vorbei .
({11})
Aber ich bin mir sicher, dass der Kollege Lehrieder noch
einige Aspekte aufgreifen wird . Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, die Kinderarmut zu bekämpfen . Dabei dürfen wir die Realität aber nicht außer Acht lassen .
Wir haben schon viel erreicht, und wir werden in den
nächsten Jahren konsequent weiter daran arbeiten, die
Kinderarmut zu reduzieren .
({12})
Vielen Dank .
({13})
Vielen Dank, Markus Koob . - Nächster Redner ist
Norbert Müller für die Linke .
({0})
Sehr gut, ich sehe die große Erwartungshaltung bei
der CDU/CSU; das freut mich natürlich ganz besonders .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! In Deutschland gibt es unermesslichen
Reichtum in den Händen von immer weniger Menschen,
und dieser Reichtum wächst dynamisch . Lieber Kollege
Koob, wenn es darum geht, familienpolitische Leistungen zu refinanzieren, kommen Sie nur auf die Idee, sich
das Geld vom Mittelstand und von den Durchschnittsverdienern zu holen . Sie kommen aber nicht auf die Idee,
sich das Geld vielleicht von den Superreichen und den
Spitzenverdienern zu holen .
({1})
Ich finde, das ist eine deutliche Position der Union. Bei
der nächsten Bundestagswahl werden wir die Frage, wessen Aufgabe es eigentlich ist, den Sozialstaat zu bezahlen, zur Abstimmung stellen . Sind es der Mittelstand und
die Durchschnittsverdiener, oder sind es die Bezieher
von Spitzeneinkommen und diejenigen, die davon leben,
dass sie ein großes Vermögen haben?
({2})
Die hohen Vermögen werden in Deutschland nicht
angemessen besteuert - ja, es gibt keine Vermögensteuer -, und sie können auch noch vererbt werden . Dieser
unermessliche Reichtum wird also auch noch unkontrolliert vererbt . Sie haben die Erbschaftsteuer, leider mit
grüner Unterstützung aus den Ländern, gerade regelrecht
geschreddert, damit niemand an die hohen Erbschaften herangeht . Die Kehrseite dieser Medaille sind 2 bis
3 Millionen arme Kinder . Das gehört zusammen . Denn
die Armut in Familien und der Reichtum in Deutschland
sind zwei Seiten einer Medaille . Wenn man an die Armut
in den Familien heranwill, dann muss man eben auch an
den Reichtum in Deutschland heran . Das tut man nicht
mit Sonntagsreden, sondern mit konkreten sozialpolitischen Maßnahmen .
({3})
Die Folgen der Kinderarmut sind bekannt . Arme Kinder haben schlechtere Bildungschancen, sie haben einen
schlechteren Gesundheitszustand, sie werden häufig
schlechter ernährt, und sie sterben früher als ihre Altersgenossen aus der Kitagruppe oder der Grundschule, die
aus einem vermögenden Elternhaus kommen . Das zeigt
die ganze Dramatik der Kinderarmut .
Die Linke fordert einen mehrdimensionalen Aktionsplan, der im Wesentlichen drei Dimensionen umfasst, um
Kinderarmut nachhaltig zu beseitigen .
Die erste Dimension - da werden Sie wieder stöhnen heißt: Mehr Geld in die Familien . Hier müssen wir von
der Misstrauenskultur wegkommen, dass immer behauptet wird, die Eltern würden das Geld verrauchen, versaufen oder sich davon einen Fernseher kaufen . Nein, der
Regelfall - das ist der Normalzustand - ist, dass Eltern
alles tun, um ihren Kindern das Beste zu ermöglichen .
Wir reden über 2 bis 3 Millionen arme Kinder . 2 Millionen sind im SGB-II-Bezug und leben in Familien, die
finanziell völlig depriviert sind. Jeder Euro, der in diese
Familien fließt, ist eine Hilfe für die Kinder und verbessert ihre späteren Lebenschancen .
({4})
Hier haben wir ganz konkrete Möglichkeiten, die wir
unmittelbar ergreifen können, liebe Kolleginnen und
Kollegen . Eine Möglichkeit, insbesondere Familien mit
geringem Durchschnittseinkommen zu entlasten, ist das
Kindergeld . Es ist im Übrigen die beliebteste familienpolitische Leistung, wie die Evaluation der familienpolitischen Leistungen ergeben hat . Bei der Koalition ist es
die unbeliebteste, weil es Geld kostet, was dazu führen
könnte, dass man möglicherweise hohe Vermögen besteuern muss .
Ja, das Kindergeld ist eine sinnvolle Leistung . Es ist
deswegen eine sinnvolle Leistung, weil eine Familie oder
ein Paar, das ein durchschnittliches Einkommen hat und
das zweite oder dritte Kind bekommt, auf einmal in die
Armut rutschen kann . Genau hier hilft das Kindergeld .
Denn es ist eine Leistung, die verhindert, dass diese Familien arm werden. Ich profitiere mit meinen zwei Kindern vom Steuerfreibetrag bzw . vom Kinderfreibetrag,
und zwar in Höhe von 300 Euro pro Kind, die ich im
Monat an Steuern spare, und das automatisch; da tut sich
überhaupt nichts .
({5})
Das gilt übrigens auch für Sie, Herr Kollege Beermann .
Wenn Sie bald drei Kinder haben,
({6})
sind es durch den Kinderfreibetrag 300 Euro pro Kind .
Das Kindergeld beträgt aber nur etwa 190 Euro . Das
heißt, Menschen mit hohem Einkommen bekommen
über 100 Euro mehr .
({7})
Das ist Geld, das die Gesellschaft für die Kinder ausgibt .
Für die Kinder von Spitzenverdienern sind es 100 Euro
mehr als für die Kinder derjenigen, die bloß vom Kindergeld profitieren. Das Kindergeld muss also erhöht werden, um hier für Gerechtigkeit zu sorgen .
({8})
Zweitens . Der Kinderzuschlag ist das zentrale Instrument - darauf hat Katja Dörner hingewiesen -, um
zu verhindern, dass Familien SGB-II-Leistungen, also
Hartz IV, beantragen müssen . Der Kinderzuschlag ist ein
gutes Instrument . Aber er funktioniert so nicht . Nicht einmal ein Drittel der Anspruchsberechtigten beantragt ihn .
Man kann also nicht sagen: „Indem man den Kinderzuschlag erhöht hat, hat man etwas Tolles getan“, weil ihn
fast keiner nutzt . Also muss man darüber reden, wie der
Kinderzuschlag ausgeweitet werden kann .
({9})
Die Regelbedarfsätze sind viel zu niedrig . Darüber ist
bereits gesprochen worden . Sie müssen hoch .
Den Rest mache ich jetzt im Schnelldurchlauf .
Zur zweiten Dimension: Wir brauchen eine soziale Infrastruktur und eine Teilhabeinfrastruktur . Das heißt zum
Beispiel, wir müssen es armen Kindern ermöglichen, an
einer Ferienfreizeit und am ÖPNV teilzunehmen, und
wir müssen für eine gute Kinder- und Jugendhilfe sorgen,
die kein Reparaturbetrieb ist .
({10})
Zur dritten Dimension: Wir müssen wegkommen von
der Geh-Struktur . Bisher wird gesagt: Familien, geht zu
irgendwelchen Stellen und beantragt Leistungen . - Diese
kennen sie fast gar nicht . Den Familien, die Leistungen
beantragen müssen, die also wirklich arm sind, fällt das
am schwersten .
Nein, wir brauchen eine Komm-Struktur . Wir brauchen eine Struktur mit einer Anlaufstelle, zu der die FaNorbert Müller ({11})
milien hingehen können und wo sie vernünftig beraten
werden, wenn ein Kind geboren wird oder wenn sie in
die Armutsfalle rutschen . Dort wird ihnen geholfen, sich
in dem Wirrwarr unserer familienpolitischen Leistungen,
das viele nicht durchsteigen, zurechtzufinden.
Diesen Vorschlag der Linken - eine Stelle, an der man
konkret hilft; Stichwort: Familienstelle - greifen inzwischen viele Verbände auf . An dieser Stelle können die
Familien eine Leistung unbürokratisch - mit einem einzigen Antrag - beantragen, auch damit es nicht so ist wie
beim Kinderzuschlag, den nur ein Drittel in Anspruch
nimmt .
({12})
- Herzlichen Dank, Frau Präsidentin, für Ihre Geduld .
Wenn wir all diese Vorschläge umsetzen - Herr
Lehrieder wird gleich antworten -, dann werden wir die
Kinderarmut auch beseitigen können .
Danke .
({13})
Vielen Dank, Norbert Müller . - Herr Lehrieder, ich
habe auch eine Uhr, aber es ist nett, dass Sie mir helfen, dass die Redezeiten eingehalten werden . Ich werde das bei Ihnen dann genauso tun wie bei den anderen . - Dr . Fritz Felgentreu ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren!
Zwei Dinge sind zu unserer Arbeit nötig: unermüdliche Ausdauer und die Bereitschaft, etwas, in das
man viel Zeit und Arbeit gesteckt hat, wieder wegzuwerfen .
Das sagte Albert Einstein, und er meinte die Wissenschaft .
({0})
Für die Politik gilt das genauso . Die Grünen halten
sich heute aber nicht daran, sondern sie krönen ihre unermüdliche Arbeit in der zu Ende gehenden Legislaturperiode mit einem Antrag, der die Forderungen von sieben
älteren Anträgen zusammenfasst . Das ist schön; denn das
gibt auch mir die Gelegenheit, einen Überblick darüber
zu geben, was die Koalition in den letzten dreieinhalb
Jahren nicht nur gefordert, sondern auch entschieden und
auf den Weg gebracht hat .
({1})
- Richtig so .
Ihnen wie uns - ich zitiere Ihren Antrag - geht es um
Geld, Zeit, Bildung und Teilhabe, um Familien gezielt
zu unterstützen . Sie werden sehen: Es waren dreieinhalb
gute Jahre für die Familien in Deutschland .
({2})
Das liebe Geld ist natürlich ein zentrales Thema für
die Familienpolitik . Weil Geld etwas mit Teilhabe zu tun
hat, war es für die SPD-Fraktion entscheidend, das Augenmerk auf die Familien zu richten, die eine Unterstützung am nötigsten haben . Deshalb haben wir zum Beispiel die Steuerentlastung für Alleinerziehende um knapp
50 Prozent erhöht .
({3})
Besonders froh sind wir darüber, dass es uns endlich
gelingt, den Unterhaltsvorschuss zu reformieren . Das ist
das Geld, das der Staat vorstreckt, wenn ein getrennt lebendes Elternteil aus welchen Gründen auch immer keinen Unterhalt zahlt .
({4})
In Zukunft wird dieser Vorschuss bis zum 18 . Geburtstag
gezahlt . Das ist ein Riesenfortschritt für Alleinerziehende
und ihre Kinder .
Schließlich haben wir den Kinderzuschlag erhöht; das
ist schon mehrfach erwähnt worden . Diese Leistung können berufstätige Eltern beantragen, wenn ihr Einkommen
so niedrig ist, dass sie ohne den Kinderzuschlag als Aufstocker zum Jobcenter gehen müssten .
Meine Damen und Herren, Sie erkennen den Grundgedanken, den wir bei all diesen Verbesserungen verfolgen: Wir wollen den Eltern dabei helfen, mit ihrer Arbeit
für die eigene Familie zu sorgen und eben nicht in die
Abhängigkeit von staatlichen Leistungen zu geraten .
({5})
Frau Dörner, Sie sagen in Ihrem Antrag selbst völlig
zu Recht:
Das beste Mittel gegen Kinderarmut bleibt die Erwerbstätigkeit ihrer Eltern .
Ich füge auch als Antwort auf den Kollegen Müller hinzu:
Es ist wahrscheinlich sogar das einzige Mittel; denn Armut definieren die Politik und die Wissenschaft bekanntlich nach dem Durchschnittseinkommen . Wer weniger
als die Hälfte vom Durchschnitt einnimmt, gilt als arm .
Das Durchschnittseinkommen wird aber immer deutlich
über dem Einkommen von Menschen ohne Arbeit liegen;
denn sogar wenn wir mehr staatliche Leistungen auszahlen, steigt der Durchschnitt weiter an . Deshalb führt nur
Einkommen aus Arbeit zuverlässig aus der Armut .
Diese Beobachtung spricht übrigens nicht gegen Solidarität mit denen, die staatliche Hilfe brauchen . Sie trägt
nur dazu bei, keine unrealistischen Erwartungen daran zu
knüpfen .
Norbert Müller ({6})
Wenn es aber stimmt, dass nur Arbeit wirksam vor Armut schützt, dann muss sie das auch . Wer 40 Stunden die
Woche arbeitet, muss ein anständiges Auskommen für
sich und seine Familie haben . Deswegen war der SPD
die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns so wichtig . Darin sind wir uns mit Kollegen Koob von der Union
vollkommen einig .
({7})
Für Familien mit niedrigem Einkommen ist der Mindestlohn sicherlich der größte Fortschritt in den letzten drei
Jahren .
Meine Damen und Herren, damit aber die Kinder von
heute morgen selbst in der Lage sind, für sich und ihre
Familien zu sorgen, ist vor allem eine gute Bildung wichtig . Kinder und Familie fördern wir am wirksamsten und
am gerechtesten durch erstklassige Kitas und Schulen .
Die Kinder in den härtesten Kiezen, in den Brennpunktquartieren, brauchen die besten Kitas und Schulen .
({8})
Deshalb sind wir stolz darauf, dass diese Koalition den
Ländern und Kommunen 6 Milliarden Euro zusätzlich
für den Ausbau von Betreuung an Kitas und Horten zur
Verfügung gestellt hat .
Die SPD hat außerdem durchgesetzt, dass nach Abschaffung des Betreuungsgeldes unseligen Angedenkens,
Kollege Lehrieder, die dafür vorgesehenen Mittel zusätzlich an die Länder gehen, um Betreuung zu finanzieren.
({9})
Und das sind 2 Milliarden Euro .
Als Sahnehäubchen hat der Bundestag heute beschlossen, über 1 Milliarde Euro für weitere 100 000 Kitaplätze
in den nächsten vier Jahren bereitzustellen .
({10})
Das sind Maßnahmen, von denen alle Familien in
Deutschland massiv profitieren.
({11})
Damit Eltern mehr Zeit für ihre Kinder haben, haben
wir die Elternzeit reformiert und das Elterngeld um das
Elterngeld Plus ergänzt . Damit unterstützt der Staat Eltern dabei, sich gemeinsam um ihre ganz kleinen Kinder
kümmern zu können .
({12})
Die Bilanz der Großen Koalition kann sich wirklich
sehen lassen .
({13})
Aber dieser gemeinsame Erfolg bedeutet natürlich nicht,
dass wir die Hände in den Schoß legen können . Die Grünen weisen zum Beispiel zu Recht darauf hin, dass der
Kinderzuschlag erstens nicht allen bekannt ist, die einen
Anspruch darauf haben,
({14})
und dass er zweitens mit ziemlich viel Bürokratie verbunden ist . Deshalb hat die SPD vorgeschlagen, den Kinderzuschlag in ein nach Einkommen gestaffeltes Kindergeld einzubeziehen .
Wir haben durchaus ehrgeizige Pläne für eine moderne Familienpolitik . Über die werden wir im Wahlkampf
sicherlich noch heftig diskutieren . Dazu gehört zum Beispiel ein Programm für kostenlose Kitas und Schulhorte .
Wir wollen nämlich keine finanziellen Hürden vor diesen
wichtigen Bildungseinrichtungen aufbauen .
({15})
Die Grünen kritisieren das . Sie sagen, wohlhabende Eltern seien gerne bereit, für gute Kitas zu bezahlen . - Das
stimmt sicherlich auch . Wir Sozialdemokraten sind garantiert die Ersten, die sich dafür einsetzen, dass die starken Schultern mehr tragen als die schwachen .
({16})
Aber das wollen wir über ein gerechtes Steuersystem organisieren, nicht über Gebühren auf Bildung .
({17})
Wer Schulgebühren ablehnt, der muss auch für gebührenfreie Kitas sein .
({18})
Diese gebührenfreie Kita muss trotzdem gut ausgestattet
sein, vor allem mit genug Erzieherinnen und Erziehern .
Das ist die nächste Baustelle . Auch da ist noch viel zu
tun .
({19})
Wir wollen einen Zuschuss für Eltern, die etwas weniger arbeiten wollen, um mehr Zeit für die Kinder zu haben . Wir nennen das Familienarbeitszeit, und die Union
ist dagegen .
({20})
Darüber müssen wir im Wahlkampf streiten; dafür ist er
da .
Über eines, lieber Kollege Marcus Weinberg - gerade tief ins Gespräch versunken -, müssen wir eigentlich
nicht mehr streiten: Von Arbeitsministerin Andrea Nahles
liegt ein wirklich guter Gesetzentwurf vor, mit dem wir
Beschäftigten das Recht geben, aus Teilzeit wieder in
Vollzeit zurückzukehren, wenn sie das denn wollen . Das
betrifft eben ganz oft Mütter, wenn die Kinder aus dem
Gröbsten heraus sind . Wir verstehen überhaupt nicht, warum die CDU/CSU diese vernünftige, familienfreundliche Regelung immer noch blockiert .
({21})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns das
doch vor der Sommerpause noch gemeinsam anpacken .
Wir helfen gerne dabei mit, Ihren Wirtschaftsflügel zu
überzeugen .
({22})
Eine familienfreundliche Arbeitswelt ist für die Zukunft
unseres Landes heute wichtiger denn je .
({23})
- Ja, das ist so .
Jetzt ist aber die Redezeit deutlich abgelaufen .
Frau Präsidentin, Sie haben vollkommen recht . „Zeit
ist das, was man an der Uhr abliest“, sagt Einstein . Deswegen höre ich jetzt auch auf .
Danke schön .
({0})
Das sagt nicht nur Einstein . Vielen Dank, lieber
Dr . Felgentreu . - Zum Schluss dieser Debatte spricht zu
guter Letzt Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Danke schön, Frau Kollegin . Es war richtig, dass Sie
das gesagt haben .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau
Dörner, Sie sind eigentlich eine ganz Nette . Aber dass Sie
jetzt sagen, dass wir Ihren Antrag aus Gründen des aufziehenden Bundestagswahlkampfes ablehnen würden, ist
natürlich ein Stück weit auch der Tatsache geschuldet,
dass der Antrag von Ihnen zu einem Zeitpunkt vorgelegt
wird, wo der Bundestagswahlkampf die Parteien allmählich entsprechend polarisiert . Von daher gilt: Wer mit einem Finger auf die anderen zeigt, zeigt mit drei Fingern
auf sich . Das haben Sie vorhin mit Ihren einleitenden
Worten getan, Frau Dörner . Das wäre nicht nötig gewesen, weil in Ihrem Antrag auch einige vernünftige Erwägungen enthalten sind .
({1})
Meine Damen und Herren, Beruf, Familie, Freunde,
Hobbys: Viele Eltern kennen das Gefühl, den vielfältigen
Anforderungen des Alltags nicht immer vollumfänglich
gerecht werden zu können . Der Spagat zwischen Job,
Haushalt und dem Leben mit Kindern verstärkt oft das
diffuse Gefühl, früher schlichtweg mehr Zeit gehabt zu
haben . Die Suche nach der Work-Life-Balance bestimmt
zunehmend das Leben in der modernen Gesellschaft . Von
daher ist es legitim, dass auch Oppositionsparteien auf
diese Problematik hinweisen . Aber die Konsequenzen,
die Conclusio, müssen wir nicht teilen .
Um mehr Zeit für ihre Familie zu haben, sind viele Eltern auch dazu bereit, beruflich kürzerzutreten. Auch das
wissen wir . Die Zeitpolitik, ein zugegebenermaßen noch
relativ neuer Begriff in der gesellschaftlichen Debatte,
gehört ohne Frage zu den wichtigsten familienpolitischen Themen . Um gute Zeitpolitik für Familien machen
zu können, müssen die Arbeits- und Familienpolitik aufeinander abgestimmt werden . Nur so kann es gelingen,
optimale Rahmenbedingungen für familienfreundliche
Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen. Die Flexibilisierung der Elternzeit und das Elterngeld Plus sind
erste Schritte in diese Richtung . Darauf haben meine
Vorredner bereits hingewiesen .
Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf möchte ich
auch auf vom Familienministerium geförderte Initiativen wie zum Beispiel „Lokale Bündnisse für Familie“
oder „Erfolgsfaktor Familie“ verweisen, die sich für eine
familienfreundliche Arbeitswelt einsetzen, in der es zum
Beispiel Betriebskitas, Sabbaticals, Homeoffice-Angebote gibt . Hier wird es sicherlich auch in Zukunft sehr viel
geben, das die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert . Ja, wir werden auch unbeschadet des Auftrags,
den uns der Wähler am 24 . September geben wird, in Zukunft konstruktiv über dieses Thema nachdenken .
Herr Kollege Felgentreu, die Lösungen, die Sie uns
hektisch auf den letzten Drücker vorschlagen wollen,
sind relativ unprobat, weil nicht nur die Familie, sondern
Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen und deshalb Ihre Lösungen von
uns mit Sicherheit in den nächsten Wochen nicht mehr
angegangen werden .
({2})
So langsam polarisieren wir uns in unterschiedliche
Richtungen . Auch das ist richtig . Gleichwohl freut es
mich aber - auch das gehört der Ehrlichkeit halber dazu,
Frau Kollegin Dörner -, dass Sie in Ihren Antrag „Geld,
Zeit, Bildung und Teilhabe“ hineingeschrieben haben:
Jedes Kind hat das Recht auf ein gutes Aufwachsen .
Wir wollen kein Kind zurücklassen und Chancengleichheit endlich verwirklichen .
({3})
- Ihr könnt alle klatschen . Das stimmt ja sogar .
Ich möchte mich auch ausdrücklich bei unserem Berichterstatter Eckhard Pols, der Kollegin Bahr von der
SPD, aber auch bei der Kollegin Walter-Rosenheimer bedanken, dass es uns jetzt auf den letzten Drücker in dieser
Wahlperiode gelungen ist,
({4})
dass wir uns anhand eines Antrags noch einmal mit der
Situation von Kindern psychisch belasteter Eltern befassen und prüfen, ob in diesem Bereich genug getan worden ist . Auch das gehört zu dem Antrag dazu, auch wenn
es nicht expressis verbis erwähnt ist .
Aber Sie sehen, dass wir trotz der sich abzeichnenden
Gewitterwolken des Bundestagswahlkampfs noch konstruktiv zusammenarbeiten können .
({5})
Die Bevölkerung erwartet von uns, dass wir bis zum letzten Tag konstruktiv zusammenarbeiten und jetzt nicht in
die Schützengräben gehen, meine Damen und Herren .
Ich wünsche Ihnen alles Gute und, wie gesagt, eine
schöne Nacht .
Ich habe meine Zeit nicht überzogen, Frau Präsidentin .
Sie können noch eine Minute reden .
Gibt es eine Zugabe?
Sie haben noch eine Minute .
Ja, ich will aber nicht .
Sie wollen gar nicht? Warum wollen Sie nicht?
Einen schönen Abend und alles Gute .
Danke schön .
({0})
Danke schön, Herr Lehrieder . Ich wünsche Ihnen einen guten Abend, aber der schöne Abend ist noch nicht
für alle angebrochen .
({0})
- Für Sie ja; das kann sein .
Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/12110 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Sie sind einverstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Tagesordnungspunkt 16 b . Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Familien stärken - Kinder fördern“. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12156, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/10473 abzulehnen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und
SPD . Dagegen war Bündnis 90/Die Grünen, und enthalten hat sich die Linke .
Tagesordnungspunkt 16 c . Wir setzen die Abstimmung zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 18/12156 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9007 mit dem Titel „Zeit für mehr - Damit
Arbeit gut ins Leben passt“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen war
Bündnis 90/Die Grünen, und enthalten hat sich die Linke .
Zusatzpunkt 5 . Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Alleinerziehende stärken - Teilhabe von Kindern sichern“ .
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11592, den Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4307
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen waren die Linke und
Bündnis 90/Die Grünen .
Wir kommen zum nächsten Tagesordnungspunkt . Ich
werde wieder langsam vorlesen, weil wahrscheinlich ein
paar Plätze getauscht werden . - Schönen Abend, Herr
Lehrieder!
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes
Drucksache 18/9951
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({1})
Drucksache 18/11811
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Klaus
Barthel für die SPD-Fraktion .
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute ist ein guter Abend für die Kundinnen und Kunden
von Telekommunikationsunternehmen und Internetanbietern . Warum? Wir beschließen heute das Dritte Gesetz
zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes .
Worum geht es dabei?
({0})
Wir haben es jetzt wieder schwarz auf weiß bekommen:
Der Ende März dieses Jahres von der Bundesnetzagentur
veröffentlichten Breitbandstudie ist zu entnehmen, wie
die Verbraucherinnen und Verbraucher, die Kundinnen
und Kunden von den Internetanbietern in die Irre geführt
werden . Nur jeder achte Kunde, nämlich 12,4 Prozent,
erhält die volle Bandbreite, die zugesagt ist, die beworben wird . 70 Prozent bekommen gerade einmal die Hälfte dieser Bandbreite .
Stellen wir uns das einmal auf andere Produkte, auf
andere Märkte übertragen vor: Wir wollen bis zu 1 Kilogramm Kartoffeln und kriegen 125 Gramm, wir wollen
bis zu 3 Kilogramm Waschmittel und kriegen die Hälfte
davon, oder wir kriegen eine ganz schlecht eingeschenkte Maß Bier .
({1})
Im Geschäft oder in der Gaststätte würde man das nachwiegen oder nachmessen lassen und sofort reklamieren .
Bisher konnte der Kunde von Telekommunikationsunternehmen gar nichts dagegen tun. Es fing schon damit
an, dass er gar nicht feststellen konnte, welche Bandbreite
er tatsächlich hat . Bereits mit der Transparenzverordnung
haben wir die Voraussetzung geschaffen, das eindeutig
zu ersehen . Es muss jetzt ein standardisiertes Produktinformationsblatt geben, in dem ganz klar festgelegt ist,
worin das Angebot besteht, worüber der Vertrag besteht .
Außerdem haben wir dafür gesorgt, dass die Bundesnetzagentur ein Mess-Tool anbietet . Das heißt: Jeder kann
jetzt nachmessen lassen, welche Bandbreite tatsächlich
bei ihm anliegt . In Zukunft können die Kundinnen und
Kunden entweder die vertragliche Erfüllung einfordern,
den Vertrag anpassen lassen, also möglicherweise einen
günstigeren Tarif bekommen, die Schlichtungsstelle der
Bundesnetzagentur anrufen oder eine Vertragsbeendigung anstreben .
Wir haben jetzt länger gebraucht, um diese dritte Lesung durchzuführen, weil wir auf die gerade erwähnte
Messstudie der Bundesnetzagentur und den daraus folgenden Umsetzungsvorschlag warten wollten . Wir können damit die Vorgaben der Europäischen Union wirksam umsetzen und den Anforderungen der Kundinnen
und Kunden gerecht werden . Es ist ganz wichtig, dass die
Bundesnetzagentur diese umfangreiche Studie erstellt
und dabei Ross und Reiter genannt hat . Es ist nämlich
nicht selbstverständlich, dass - blame and shame - gesagt wird, welche Unternehmen gut und welche schlecht
sind . Nun können wir umsetzen und festlegen, was die
unbestimmten Rechtsbegriffe im europäischen Recht
bedeuten, also was eine erhebliche, eine kontinuierliche
oder eine regelmäßig wiederkehrende Abweichung bei
der Geschwindigkeit des Breitbandanschlusses ist .
Anders als die Grünen sind wir der Ansicht, dass das
nicht der Gesetzgeber festlegen kann . Das geht weder aus
rechtlichen Gründen - die europäische Regelung gibt etwas anderes vor - noch aus sachlichen Gründen . Wir halten es vielmehr für vernünftig, dass unsere nationale Regulierungsbehörde, die Bundesnetzagentur, das macht,
indem sie einen praktikablen und umsetzbaren Vorschlag
macht, indem sie eine Anhörung dazu durchführt - die
läuft jetzt gerade -, indem es in Zukunft einen jährlichen
Bericht darüber geben wird, wie sich die Geschwindigkeiten tatsächlich entwickeln, also ob die Angaben eingehalten werden . Außerdem wird die Bundesnetzagentur
in Zukunft vorschlagen, welche Maßnahmen zu ergreifen
sind, damit die Bandbreiten tatsächlich erhöht werden
können . Das heißt, das wird ein laufender Prozess sein .
Das wäre durch eine starre gesetzliche Regelung nicht
möglich; denn dann müssten wir andauernd das Gesetz
ändern . Die Bundesnetzagentur ist nun dafür da, praktikable Vorschläge zu machen .
Nunmehr wird Folgendes vorgeschlagen: Bei stationären Breitbandanschlüssen liegt eine erhebliche, kontinuierliche oder regelmäßig wiederkehrende Abweichung
vor, wenn nicht mindestens einmal 90 Prozent des Maximums erreicht werden, wenn die normale Geschwindigkeit nicht bei 90 Prozent der Messungen erreicht wird
und wenn die Mindestgeschwindigkeit auch nur einmal
unterschritten wird . Das ist die sogenannte 90/90/0-Regelung . Auch Art und Umfang der Messungen werden
festgelegt . Man kann da also nicht schwindeln . Die Bundesnetzagentur und das Mess-Tool messen zu vorgegebenen Zeiten . Das heißt, wir haben das, was im Entschließungsantrag der Grünen gefordert wird, übererfüllt .
({2})
Das Einzige, was übrig bleibt, sind die sogenannten
wirksamen, abschreckenden Sanktionen . Auch wir wolVizepräsidentin Claudia Roth
len solche Sanktionen . Aber wir müssen sehen, dass wir
uns hier im Privatrecht bewegen . Alle, die immer für
Privatisierung und Wettbewerb sind, müssen sich daran gewöhnen, dass das Zivilrecht Verstöße nicht ohne
Weiteres als Ordnungswidrigkeit qualifizieren und sanktionieren kann, sondern dass es dafür besondere Regelungen braucht. Nun schaffen wir allerdings in einem
zweiten Schritt die Voraussetzungen, dass Sanktionen
und Bußgelder verhängt werden können, und zwar in
nicht unerheblicher Höhe, aber nur dann, wenn Abweichungen festgestellt worden sind .
Da die Redezeit nicht mehr ausreicht, will ich nur noch
darauf hinweisen, dass dieses Gesetz weitere sinnvolle
Regelungen enthält, wie beispielsweise die Ausweitung
des Zugangs für Gehörlose und Gehörgeschädigte sowie
das Redirect-Verfahren, das Verbraucherinnen und Verbraucher vor Abzocke durch Drittanbieter schützt .
Wer jetzt noch in Anträgen behauptet oder der Presse
erklärt, dass das alles nichts nutzt und dass die Kunden
weiterhin wehrlos sind, liebe Grüne, begeht nicht nur
Fehlinformation, sondern erweist uns allen, insbesondere den Verbraucherinnen und Verbrauchern, auch einen
Bärendienst . Der Eindruck, dass man sich nicht dagegen
wehren kann, ist völlig falsch . Man betreibt nur das Geschäft der Schwindler, wenn man behauptet, dass sich die
Kunden sowieso nicht wehren können . Nach dieser Gesetzesänderung ist das nicht mehr der Fall .
Deswegen bitte ich Sie alle, den Entschließungsantrag
der Grünen abzulehnen und unserer Gesetzesänderung
zuzustimmen .
Ich danke für die Aufmerksamkeit zu später Stunde .
({3})
Vielen Dank, Klaus Barthel . - Nächster Redner: Ralph
Lenkert für die Linke .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Internetnutzerinnen und Mobildatennutzer! Meine Kollegin wollte mehr als 6 Mbit/s im
Internet . Die Ansage im Shop nach Adressencheck klang
gut: Flatrate mit 50 Mbit/s kein Problem . Sie freute sich,
vertraute auf die Zusage und unterschrieb . 50 Mbit/s hat
sie bis heute nicht . Nach ewigem Hin und Her konnte sie
zum alten Vertrag zurück . Fast jeder kennt solche Beispiele .
Wenn Internetprovider, die bis zu 16 Mbit/s verkaufen, wissen, dass jeder dritte Kundenanschluss aus technischen Gründen nicht einmal 8 Mbit/s erreicht, dann ist
das Betrug . Wenn Mobilfunkanbieter eine Downloadrate
von 20 Mbit/s verkaufen und wissen, dass aus technischen Gründen die Hälfte der Nutzer nicht einmal eine
Mindestübertragungsrate von 4 Mbit/s erhält, dann ist
das Betrug .
({0})
Die Linke fordert: Wer den vollen Preis für eine angebotene Leistung bezahlt, hat auch ein Anrecht auf die volle
Leistung .
({1})
Stellen Sie sich einmal vor, Sie wollten mit dem ICE
von Berlin nach München fahren .
({2})
Gemäß dem Maßstab der Mobilfunkanbieter würde man
bei jeder zweiten Fahrt erst nach 30 Stunden in München
ankommen . Schon bei 60 Minuten Verspätung könnten
Sie die Reise abbrechen und den vollen Fahrpreis zurückverlangen . Bei Ihrem Provider erhalten Sie derzeit nicht
einmal eine Entschädigung, und das ist eine Sauerei .
({3})
Immerhin sieht der Gesetzentwurf für die Zukunft wenigstens Bußgelder und Vertragsanpassungen vor . Aber
das reicht nicht . Betrug gehört in den Bereich des Strafrechts . Wir fordern zusätzlich zu saftigen Bußgeldern
Schadenersatz für Kundinnen und Kunden .
({4})
Darum unterstützt die Linke den Entschließungsantrag
der Grünen .
({5})
Die Linke fordert mehr Transparenz in den Verträgen .
Wir fordern, dass Anbieter offenlegen müssen, in welchen Regionen sie welche Leistungen tatsächlich anbieten können, und wir wollen eine rigorose Verfolgung von
falschen Versprechungen durch die Bundesnetzagentur
und durch Strafverfolgungsbehörden .
({6})
Kolleginnen und Kollegen, Netzneutralität, die
Gleichbehandlung aller Nutzer und Inhalte im Netz, ist
für die Linke unerlässlich . Ich zitiere jetzt aus dem Gesetz:
Eine angemessene Verwaltung des Datenverkehrs
({7}) ist zulässig, um die Netzwerkressourcen effizient zu nutzen und die Qualität der Dienste entsprechend den Anforderungen zu
gewährleisten . Dabei dürfen die Internetzugangsanbieter zwischen Verkehrskategorien unterscheiden,
soweit diese verschiedene Anforderungen beispielsweise in Bezug auf Verzögerung, Verzögerungsschwankung, Paketverlust und Bandbreite stellen .
Das ist der Anfang vom Ende der Netzneutralität .
({8})
Diese genehmigten Ausnahmen zum sogenannten Verkehrsmanagement, wie auch beispielsweise StreamOn
der Telekom, lehnt die Linke ab .
({9})
Die Bundesnetzagentur, die nach diesem Gesetzentwurf möglichen Missbrauch unterbinden soll, hat schon
heute zu viele Aufgaben und zu wenig Personal . Die
kann kommenden Betrug nicht wirksam bekämpfen .
({10})
Deshalb fordert die Linke mehr Personal für die Bundesnetzagentur .
({11})
Liebe Bürgerinnen und Bürger, diese Koalition hat es
in vier Jahren nicht geschafft, eine vernünftige Novelle
des Telekommunikationsgesetzes vorzulegen . Wenn der
Betrug bei Übertragungsraten Ihres Handyvertrages enden soll, wenn Sie die Netzneutralität im Internet sichern
wollen, dann haben Sie eine Chance: Wählen Sie die Linke!
({12})
Vielen Dank, Ralph Lenkert . - Dann kommt der
nächste Redner, und das ist Andreas Lämmel für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Herr Lenkert, das, was Sie gesagt haben, war sozusagen das Tiefgehendste, was ich heute Abend gehört
habe .
({0})
Ich meine, wenn Sie Wahlkampf machen wollen, dann
sollten Sie einen Stand vor dem Reichstag aufbauen, und
dann können Sie das erzählen .
Das, was Sie hier geboten haben, ist doch unwürdig .
Zudem war es fachlich zum Teil auch völlig falsch .
({1})
Das wissen Sie ganz genau . Sie betreiben einfach Massenverdummung . Das Gleiche hat Herr Barthel zum
Entschließungsantrag der Grünen gesagt . Sie behaupten
einfach falsche Dinge; das müssen Sie sich einmal klarmachen . Wie gesagt, wir sind hier nicht, um Wahlkämpfe
auszufechten; das können wir draußen machen .
({2})
Die wesentlichen Punkte im Entwurf eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes hat Klaus Barthel schon beschrieben . Nur muss man
zu der Messstudie schon sagen, Klaus Barthel: Ganz so
einfach ist es nicht . Die Zahlen stimmen; ganz klar, keine
Frage .
({3})
Man muss ein bisschen Ahnung von Technik haben; dann
kann man das auch besser werten . Man muss eben ein gewisses Verständnis von der Materie haben, Herr Lenkert .
({4})
Das haben Sie noch nie gehabt, und das haben Sie jetzt
eigentlich wieder bewiesen .
Es ist natürlich so: Die Zahlen, wie gesagt, stimmen
schon; das kann man erst einmal nicht bezweifeln . Aber
letztendlich hängen Bandbreite und Downloadgeschwindigkeit nicht ausschließlich davon ab, ob der Provider die
Leistung ins Haus bringt; vielmehr spielen dabei viele
weitere technische Parameter eine Rolle . Selbst die Hausinstallation bzw . das Homenetzwerk oder das WLAN zu
Hause können technisch so beschaffen sein, dass sie gar
nicht in der Lage sind, verschiedene Dinge zu leisten .
Insofern finde ich, das Mess-Tool ist eine hervorragende Sache - das haben eigentlich alle sehr begrüßt -,
weil man damit erstmals zertifiziert nachweisen kann,
welche Leistungsparameter ein Anschluss bringt .
Herr Lenkert konnte schon genügend Wahlkampf betreiben . Das muss ich mir nicht noch einmal antun, indem ich eine Zwischenfrage zulasse .
Danach wollte ich fragen . Danke schön für die Antwort .
Was das Mess-Tool angeht: Man kann das im Übrigen
auch mit dem Mobiltelefon an jeder Stelle, an der man
sich aufhält, machen . Insofern halte ich die ganze Sache
für einen großen Fortschritt .
Es gibt in der Messstudie folgenden Widerspruch das ist ganz interessant -: Auf der einen Seite erhalten
70 Prozent der Nutzer offensichtlich weniger als die
Hälfte der vereinbarten Leistung . Auf der anderen Seite
erhalten 12 Prozent der Nutzer mindestens die vereinbarRalph Lenkert
te Leistung oder sogar mehr . Aber wenn man das MessTool einmal selber ausprobiert, dann ist die erste Frage,
die gestellt wird, bevor man irgendein Messergebnis
bekommt: Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Internetanschluss? Dann kann man ankreuzen: „sehr zufrieden“,
„zufrieden“, „nicht zufrieden“, „sehr unzufrieden“ . Der
Witz an der Sache ist: Interessanterweise kreuzen im
Prinzip zwei Drittel der Internetnutzer als Erstes „sehr
zufrieden“ oder „zufrieden“ an .
({0})
Daran kann man auch sehen: Da stimmen zwei Aspekte nicht überein: zum einen die reinen Zahlen, was die
Leistung des Anschlusses angeht, und zum anderen die
Einschätzungen, die die Nutzer letztendlich selbst vornehmen .
Klaus Barthel hat ja auch beschrieben, dass wir im
Prinzip über die Bundesnetzagentur ein Messverfahren
entwickelt haben . Das heißt, wenn man sich als Nutzer
beschweren will, dann muss man 20 Messungen nach
einem gewissen Schema machen, um auf Werte zu kommen, die es erlauben, einen gewissen Durchschnitt zu
bilden . Ich denke, wenn das intensiv genutzt wird, wird
das sehr viel Transparenz in den Markt bringen . Im Gesetz steht ja, dass die Bundesnetzagentur jedes Jahr einen
Bericht vorlegen muss . Da kann man dann sehen, wie die
Tendenzen sind . Ich bin mir sicher, dass sich die Provider, zumindest die großen, die seriösen, nicht jedes Jahr
an den Pranger stellen lassen wollen, weil sie zu wenig
Leistung anbieten . In jedem Vertrag steht übrigens - Herr
Lenkert, Sie müssen Verträge, die Sie unterschreiben,
auch richtig lesen - „bis zu . . .“ . Sie haben wohl vergessen, das zu sagen .
Sie haben nur die halbe Wahrheit gesagt, als es um das
Thema Netzneutralität ging .
({1})
Bei der im Gesetzentwurf geregelten Netzneutralität geht
es um die Umsetzung einer EU-Richtlinie; es ist einfach
EU-Recht, das hier umgesetzt wird . Da kann man als nationaler Gesetzgeber relativ wenig machen; wenigstens
das müssen Sie dazusagen . Das Gleiche gilt für die Regelungen zum Roaming . Auch sie sind das Ergebnis der
Umsetzung einer EU-Richtlinie .
Ich möchte noch etwas zu zwei Dingen sagen, die ich
sehr wichtig finde, auch weil ich selber das alles schon
einmal ausprobiert habe .
Ich meine zum einen die Drittanbietersperre . Ich habe
einmal gemeinsam mit der Telekom einen Betrügerring
auffliegen lassen.
({2})
- Wir tun eben im Gegensatz zu Ihnen etwas, Herr
Lenkert . Sie reden; wir machen etwas .
({3})
Die Direktanbietersperre ist natürlich ideal, um Abofallen zu vermeiden . Das ist der erste Punkt . Das Zweite ist
das Redirect-Verfahren . Das ist eigentlich der Kernpunkt
der ganzen Geschichte, weil damit verhindert wird, dass
im Prinzip über die Telefonrechnung Leistungen abgerechnet werden, die man überhaupt nicht in Anspruch
genommen hat .
Klaus Barthel hat es gesagt: Für behinderte Menschen,
für Gehörlose bringt das Gesetz sehr große Fortschritte,
weil die Informationsdienste für behinderte Menschen
24 Stunden am Tag geschaltet sein müssen . Das heißt:
Rund um die Uhr haben diese Menschen die Möglichkeit, auf Notdienste und Ähnliches zurückzugreifen .
Zusammenfassend kann ich nur sagen: Der Gesetzentwurf zeigt den hohen Stellenwert, den die Koalition der
Transparenz und dem Verbraucherschutz im Telekommunikationsmarkt beimisst . Deswegen kann ich Ihnen
eigentlich nur empfehlen, diesem Gesetz zuzustimmen
und den Entschließungsantrag der Grünen abzulehnen,
weil er Unwahrheiten in die Welt setzt; den Tatsachen
entspricht das schon lange nicht mehr .
Vielen Dank . - Ich habe drei Minuten gespart . Dafür
gebt ihr mir dann gleich ein Bier aus .
({4})
Super! Es nützt uns aber nicht viel; denn das Wort zu
einer Kurzintervention hat der Kollege Ralph Lenkert .
Sehr geehrter Herr Kollege Lämmel, ich weiß nicht,
wer in der Industrie mehr Erfahrung hat: jemand, der
seit seinem Studium in Verwaltungen und im Ministerium gearbeitet hat, oder jemand, der 20 Jahre lang in
Deutschland, in Tschechien und in China in der Industrie gearbeitet hat . Die kleinen Unterschiede können
Sie mir vielleicht mal erklären . Wahrscheinlich hat man
am Schreibtisch mehr Ahnung von Wirtschaft als in der
Wirtschaft selber .
Um jetzt zu den technischen Fakten zu kommen: Sie
haben behauptet, ich hätte Sie falsch dargestellt . Ich zitiere jetzt aus dem Bericht „breitbandmessung“:
Stationäre Breitbandanschlüsse
Über alle Bandbreiteklassen und Anbieter hinweg
erhielten im Download 70,8 % der Nutzer mindestens die Hälfte der vertraglich vereinbarten maximalen Datenübertragungsrate . . .
({0})
Das heißt im Umkehrschluss: Die 30 Prozent, die ich genannt habe, sind korrekt . Das ist keine falsche Aussage,
wie Sie es hier dargestellt haben .
Ich zitiere weiter, jetzt zu den mobilen Breitbandanschlüssen:
Erreichten im Download bei den stationären Breitbandanschlüssen knapp über 70 % der Nutzer 50 %
der vertraglich vereinbarten maximalen Datenübertragungsrate oder mehr, lag der entsprechende Wert
bei den mobilen Breitbandanschlüssen unter 30 % .
Das heißt im Umkehrschluss, wenn man nur andersherum rechnet, genau das, was ich gesagt habe .
Ich bitte Sie also, nicht nur die eigentlichen Zahlen zu
nehmen, sondern auch die Gegenrechnung zu machen .
Das sollten Sie gelernt haben .
Vielen Dank .
Herr Lämmel, wenn Sie mögen, haben Sie die Möglichkeit, zu antworten .
({0})
- Sie mögen nicht .
Dann hat die letzte Rednerin in dieser Debatte das
Wort: Tabea Rößner für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Stellen Sie sich vor, Sie würden nur 50 Prozent Ihrer Telefonrechnung bezahlen . Was würde da passieren? Die
Tele fon anbieter würden wahrscheinlich Mahnungen
schreiben, eventuell ein Inkassobüro beauftragen und
wahrscheinlich auch vor Gericht gehen, um die volle
Zahlung einzuklagen . Die Telefonanbieter würden damit
recht bekommen, und das ist auch richtig so .
({0})
Stellen wir uns das andersherum vor: Ich habe einen
Vertrag über einen Internetanschluss über 16 Mbit pro
Sekunde und bekomme nur 8 . Welche Möglichkeiten
habe ich, dagegen vorzugehen? Keine .
({1})
Das ist so, weil es keine konkreten Vorgaben gibt und
Verbraucherinnen und Verbraucher mit diesem Problem
im Regen stehen gelassen werden, und das ist nicht richtig .
({2})
Es ist eine Riesensauerei, wenn Nutzerinnen und Nutzer
von Internetanbietern mit irreführenden „Bis zu soundso
viel Mbit pro Sekunde“-Angeboten gelockt werden und
dann nur einen Bruchteil dessen bekommen .
Die Verstöße - sie wurden hier schon angesprochen sind bekannt . Nur 12 Prozent der Haushalte bekommen
demnach die vertraglich zugesicherte Maximalgeschwindigkeit . Sie hier sind doch auch alle Verbraucher . Ärgern
Sie sich nicht, wenn das Internet abends so langsam ist,
dass jedes Video ruckelt oder das Laden von Webseiten
eine Ewigkeit braucht? Das ist echt zum Haareraufen!
Es gibt aber Lösungen wie zum Beispiel Mindeststandards, damit Verbraucherinnen und Verbraucher wissen,
womit sie tatsächlich rechnen können . Wir Grüne sagen
daher: Die minimale Datenübertragungsrate muss mindestens 70 Prozent der maximalen Übertragungsrate betragen . Und die normalerweise zur Verfügung stehende
Übertragungsrate sollte an mindestens 95 Prozent eines
Tages auch wirklich zur Verfügung stehen . Das haben
wir uns nicht selbst ausgedacht: Nein, das sind Empfehlungen der BEREC zur Umsetzung der EU-Verordnung .
Das sind ganz praktikable Lösungen, Kollege Barthel .
Wir müssen sie nur umsetzen .
({3})
Außerdem fordern wir pauschalierte Schadenersatzansprüche, ein Sonderkündigungsrecht und ein Recht auf
Tarifanpassung, wenn sich Anbieter eben nicht an diese Zusagen halten . Das wären Mechanismen, mit denen
wir Verbraucherinnen und Verbraucher vor Verstößen der
Netzbetreiber wirksam schützen könnten . Also lassen Sie
es uns doch einfach tun .
({4})
Auch beim Thema Netzneutralität macht die Verordnung klare Vorgaben . Angebote wie der neue Zero-Rating-Tarif StreamOn der Telekom drohen aber die
Netzneutralität auszuhöhlen . Die Telekom nutzt ihre
Marktmacht hier aus und sucht nach Schlupflöchern, die
in der Praxis zu einer Diskriminierung kleiner Start-ups
und vor allen Dingen zur Drosselung von Videodiensten bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern führen
werden. Es ist unsere Aufgabe, diese Schlupflöcher zu
stopfen .
({5})
Daher fordern wir auch im Bereich Netzneutralität
Mindeststandards . Wenn diese nicht eingehalten werden,
muss es auch hier Sanktionen geben .
({6})
Statt die Verantwortung auf die Regulierungsbehörden
abzuschieben, sollten wir diesen Behörden wirksame Instrumente an die Hand geben, diese Standards dann auch
durchzusetzen . Die Erfüllung dieser Aufgabe, Kollege
Barthel, haben Sie leider völlig verfehlt . Insofern ist das
heute kein guter Tag für die Verbraucherinnen und Verbraucher .
({7})
Ein weiteres Problem im Telekommunikationsbereich
sind unzulässige Abbuchungen über die Mobilfunkrechnung von Drittanbietern . Auch in diesem Punkt sind Sie
auf halber Strecke stehengeblieben . Wir fordern eine
voreingestellte Drittanbietersperre, die Verbraucherinnen
und Verbraucher nachträglich aufheben können, wenn sie
es wünschen . Dies im Gesetz zu verankern, wäre wirklich nicht schwer gewesen .
({8})
Effektiver Verbraucherschutz ist kein Hexenwerk.
Trotzdem fehlen in Ihrem Gesetzentwurf viele wichtige Konkretisierungen . Ihr Vorschlag bleibt an den entscheidenden Stellen leider Wischiwaschi, da Sie keine
spezifischen Sanktionstatbestände geschaffen haben. Das
bedeutet in der Praxis: Die Verbraucherinnen und VerRalph Lenkert
braucher schauen weiter auf den Ladebalken . Deshalb
haben wir unsere Vorschläge in einem Entschließungsantrag eingebracht, für den ich um Zustimmung bitte .
Vielen Dank .
({9})
Vielen Dank, Tabea Rößner . - Damit schließe ich die
Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes . Der Ausschuss
für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11811, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9951 in
der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um das Handzeichen . - Wer stimmt
dagegen? - Es gibt keine Enthaltung . Zugestimmt haben
CDU/CSU und SPD . Dagegen waren Bündnis 90/Die
Grünen und die Linke . Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen gibt es keine . Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/
CSU und SPD . Dagegen waren die Linke und Bündnis 90/Die Grünen .
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/12133 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Keine Enthaltungen . Der Entschließungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt
haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Dagegen
waren CDU/CSU und SPD .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({0})
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Rosemarie
Hein, Sigrid Hupach, Karin Binder, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE
Kein Lobbyismus im Klassenzimmer
Drucksachen 18/8887, 18/12064
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . -
Damit sind Sie einverstanden . Ich sehe und höre man-
ches, aber nichts anderes .1)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12064, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/8887 abzulehnen . Wer stimmt für diese
1) Anlage 2
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen
war die Linke, Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai
2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt
Drucksache 18/12037
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .2)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/12037 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes über die Verarbeitung von Fluggastdaten zur Umsetzung der Richtlinie
({2}) 2016/681 ({3})
Drucksache 18/11501
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({4})
Drucksachen 18/12080, 18/12149
- Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/12157
Auch dazu sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . - Sie sind einverstanden .3)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
chen 18/12080 und 18/12149, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/11501 in der Aus-
schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD . Dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und
die Linke .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer
2) Anlage 3
3) Anlage 4
stimmt dagegen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen waren
Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Europol-Gesetzes
Drucksachen 18/11502, 18/11931
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({6})
Drucksache 18/12122
Auch dazu sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . - Sie sind einverstanden .1)
Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung . Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12122, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/11502 und 18/11931 in der
Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/
CSU und SPD . Dagegen war die Linke . Enthalten hat
sich Bündnis 90/Die Grünen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben
CDU/CSU und SPD . Dagegen war die Linke . Enthalten
hat sich Bündnis 90/Die Grünen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie ({7})
2016/1148 des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 6. Juli 2016 über Maßnahmen
zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen
Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Union
Drucksachen 18/11242, 18/11620
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({8})
Drucksache 18/11808
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .2)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/11808, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/11242 und 18/11620 in der Aus-
schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
1) Anlage 5
2) Anlage 6
len, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Es
gibt keine Enthaltungen . Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung angenommen . CDU/CSU und SPD waren dafür . Bündnis 90/Die Grünen und die Linke waren
dagegen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Dann gibt es keine Enthaltungen . Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen waren die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts zum Schutz
vor der schädlichen Wirkung ionisierender
Strahlung
Drucksachen 18/11241, 18/11622, 18/11822
Nr. 6
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({9})
Drucksache 18/12151
Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen vor .
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Sie
sind damit einverstanden .3)
Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung . Der Aus-
schuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/12151, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/11241 und 18/11622 in der Aus-
schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD . Dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und
die Linke .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe-
ben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Nie-
mand enthält sich . Der Gesetzentwurf ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen waren
Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge . Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/12162 . Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt .
Zugestimmt hat die Linke, dagegen waren SPD und
CDU/CSU, enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen .
3) Anlage 7
Vizepräsidentin Claudia Roth
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/12163 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt .
Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linken . Dagegen waren SPD und CDU/CSU . Enthalten hat
sich niemand .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
- Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anlage VI des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag vom 14. Juni 2005 über die Haftung
bei umweltgefährdenden Notfällen ({10})
Drucksache 18/11530
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Ausführung der Anlage VI
des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag vom 14. Juni 2005 über die Haftung bei umweltgefährdenden Notfällen
({11})
Drucksache 18/11529
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({12})
Drucksache 18/12145
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Sie
sind damit einverstanden .1)
Dann kommen wir zur Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Anlage VI des Umweltschutzprotokolls zum Antark-
tis-Vertrag vom 14 . Juni 2005 über die Haftung bei um-
weltgefährdenden Notfällen . Der Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12145, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/11530 anzunehmen .
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen . Da es ein Vertrags-
gesetz ist, gab es hier nur die zweite Lesung .
Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Ausführung der Anlage VI
des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag vom
14 . Juni 2005 über die Haftung bei umweltgefährden-
den Notfällen . Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12145,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/11529 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
1) Anlage 8
Gesetzentwurf zustimmen wollen, jetzt um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Damit gehe ich davon aus, dass niemand dagegenstimmt
und sich niemand enthält . Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung
({13}) 2015/848 über Insolvenzverfahren
Drucksache 18/10823
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({14})
Drucksache 18/12154
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .2)
Dann kommen wir gleich zur Abstimmung . Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12154,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10823 in der Ausschussfassung anzunehmen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, Bündnis 90/Die
Grünen und SPD . Enthalten hat sich die Linke .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/
CSU, Bündnis 90/Die Grünen und SPD . Dagegen war
niemand . Enthalten hat sich die Linke .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu bereichsspezifischen Regelungen der
Gesichtsverhüllung
Drucksache 18/11180
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({15})
Drucksache 18/11813
Der Gesetzentwurf beinhaltet in der Fassung der Be-
schlussempfehlung des Innenausschusses auch Änderun-
gen weiterer dienstrechtlicher Vorschriften .
2) Anlage 9
Vizepräsidentin Claudia Roth
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .1)
Dann kommen wir zur Abstimmung . Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11813, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11180 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Keine
Enthaltungen . Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD, dagegen waren die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen gibt es keine . Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die
Grünen und die Linke .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes
Drucksachen 18/11236, 18/11535, 18/11683
Nr. 11
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({16})
Drucksache 18/12082
- Bericht des Haushaltsausschusses ({17}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/12083
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Parlamentarischen Staatssekretärin Dorothee Bär für die Bundesregierung das Wort .
({18})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit
dem heute zur Beratung anstehenden Gesetz liefern wir
einen maßgeblichen Beitrag zur Verkehrsinfrastruktur-
planung und ergänzen so unseren wunderbaren und von
1) Anlage 10
einigen als „perfekt“ bezeichneten Bundesverkehrswegeplan 2030 .
({0})
Gero Storjohann hat heute keine Stimme und kann daher
nicht sprechen . Er hat mich darum gebeten, für ihn die
harten Fakten zu präsentieren, und das tue ich selbstverständlich .
Im Bundesverkehrswegeplan 2030 haben wir festgehalten, dass sich der Bund im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Möglichkeiten stärker am Bau von Radschnellwegen beteiligen wird. Wir schaffen mit diesem
Gesetz eine Ermächtigungsgrundlage für die Gewährung
von Finanzhilfen zum Bau von Radschnellwegen in der
Baulast von Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden .
({1})
Für das Haushaltsjahr 2017 sind im Bundeshaushalt dafür insgesamt 25 Millionen Euro vorgesehen .
({2})
Mit der Förderung von Radschnellwegen machen wir
das Radfahren attraktiver, besonders für den Pendlerverkehr . Wir sorgen dafür, dass Staus vermieden werden und
dass der Verkehrsfluss noch weiter verbessert wird, als
er durch unsere Politik ohnehin schon verbessert wurde .
({3})
Die Einzelheiten der Gewährung von Finanzhilfen regeln
wir mit den Ländern in einer Verwaltungsvereinbarung .
Diese wird gerade parallel zum Gesetzgebungsverfahren
vorbereitet .
Aber der Gesetzentwurf beinhaltet noch einen zweiten bedeutsamen Bereich . Hier geht es um die Beschleunigung des Planungs- und Baurechtsverfahrens
für wichtige Bundesfernstraßenprojekte . Die Planungsbeschleunigung ist für uns ein zentraler Schritt, um die
Leistungsfähigkeit unserer Verkehrsinfrastruktur an neuralgischen Punkten sicherzustellen . Mit der Gesetzesänderung werden wir die Vorhabenliste in der Anlage des
Bundesfernstraßengesetzes fortschreiben, die die Projekte beinhaltet, für die erstinstanzlich das Bundesverwaltungsgericht zuständig ist . Mit dieser Vorhabenliste
konzentrieren wir den Klageweg für wichtige Bundesfernstraßenprojekte, aber natürlich bleiben Bürgerbeteiligung und Rechtsschutz gleichwohl gewährleistet .
Die Vorhabenliste ist bereits seit Dezember 2006
Anlage zum Bundesfernstraßengesetz; sie wurde 2015
bereits einmal ergänzt . Aber mit dem Bundesverkehrswegeplan 2030 wurde es notwendig, die Vorhabenliste fortzuschreiben und grundsätzlich anzupassen . Das
heißt, wir berücksichtigen die gesetzlichen Kriterien, die
erfüllt sein müssen, damit ein Vorhaben in die Anlage
aufgenommen werden kann . Wir konzentrieren uns zum
Beispiel auf die Verbesserung der Hinterlandanbindung
Vizepräsidentin Claudia Roth
der deutschen Seehäfen oder auf die Beseitigung schwerwiegender Verkehrsengpässe .
Mit dem Gesetz sind 46 Projekte in der Vorhabenliste. Wir schaffen damit optimale Rahmenbedingungen für
wichtige Infrastrukturvorhaben . Wir verkürzen auch den
Zeitraum bis zur Baurechtsschaffung bei wichtigen Bundesfernstraßenprojekten um bis zu eineinhalb Jahren .
Ich glaube, ich sage nichts Falsches, wenn ich sage,
dass es für uns insgesamt noch schneller gehen könnte,
({4})
dass es wünschenswert wäre, wenn es bei der Schaffung
von Verkehrsinfrastruktur nicht immer so wäre, Frau
Kollegin Wilms, wie bei der katholischen Kirche, wo
man manchmal eher in Jahrhunderten denkt . Wir würden
uns wahnsinnig freuen, wenn die Vorhaben von Ihnen
und Ihren Freunden nicht immer blockiert würden .
({5})
Wenn wir mehr Jasager und weniger Neinsager hätten,
würden wir uns freuen .
({6})
Wir tun alles, damit wir im Bereich der Infrastruktur schnell Fortschritte erzielen, weil wir ganz fest der
Überzeugung sind - damit ist auch unser Ministerium
überschrieben -, dass eine zukunftsfähige Infrastruktur
die Voraussetzung für Wohlstand und für Wachstum in
unserem Land ist . Daher sind wir sehr stark für Mobilität und nicht gegen Mobilität . Deswegen freue ich mich
ganz besonders, Frau Wilms, dass es Ihnen heute Abend
so wichtig war, die Bundesregierung hier noch einmal
loben zu können .
Vielen Dank .
({7})
Vielen Dank, Frau Bär . - Jetzt kommen wir zum ers-
ten krankheitsbedingten Ausfall in dieser Debatte . Die
Kollegin Sabine Leidig liegt krank zu Hause . Sie woll-
te eigentlich kommen, konnte aber doch nicht kommen .
Die Rede liegt vor und geht mit Ihrem Einverständnis
zu Protokoll.1) - Ich sagte, dass das der erste Ausfall ist .
Es kommt noch einer . Der Redner ist zwar da, aber nicht
redefähig .
Danke schön, Frau Kollegin Leidig, für die Rede und
gute Besserung . - Nächster Redner: Gustav Herzog für
die SPD-Fraktion .
({0})
1) Anlage 11
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kurz vor Mitternacht läuft der Deutsche Bundestag noch
einmal zur Höchstform auf .
({0})
Wenn wir uns alle anstrengen, dann werden wir gleich
einen Gesetzentwurf mit zwei guten Botschaften für die
Menschen draußen im Lande beschließen: Wir helfen
mit, damit es einfacher wird, große Strecken mit dem
Fahrrad zurückzulegen, und wir sorgen dafür, dass ganz
wichtige Verkehrsprojekte im Straßenbau weiterhin in einem beschleunigten Verfahren realisiert werden können .
({1})
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, setzen wir
konsequent unsere Priorisierungsstrategie fort, die wir in
der Diskussion über den Bundesverkehrswegeplan immer wieder aufgezeigt haben: Erhalt vor Neubau . Jetzt
kommt es: Insbesondere wollen wir investieren in die
Beseitigung von Engpässen und den Ausbau von Verkehrsknotenpunkten . Wir haben eine vernünftige Verteilung auf die Verkehrsträger . Frau Staatssekretärin, der
Bundesverkehrswegeplan war gut, die Ausbaugesetze
des Parlaments waren natürlich noch besser, weil wir seitens der Koalition noch das eine oder andere hinzugefügt
haben .
({2})
Im Dezember haben wir die Rechtsgrundlage geschaffen . Geld ist vorhanden; das ist der berühmte Investitionshochlauf . Beim Personal ist es etwas schwieriger . In
den nächsten Tagen und Wochen werden wir eine intensive Diskussion darüber führen, ob der Bund die Arbeit
besser und mit mehr Personal machen kann als die Länder bisher . Was die Planungsvereinfachung angeht, gibt
es mittlerweile unzählige Kommissionen und Vorschläge . Ich habe immer den Eindruck, dass das viel Papier ist,
am Schluss aber das Instrument fehlt, damit die Projekte,
die wir alle für notwendig halten, schneller umgesetzt
werden können .
Heute Abend geht es weiterhin um die Verfahrensbeschleunigung, um die berühmte Liste in der Anlage
zu § 17e des Bundesfernstraßengesetzes, in der wir die
Projekte aufgeführt haben, die wir für besonders wichtig
halten . Wir hatten im Ausschuss eine sehr gute Anhörung . Alle Sachverständigen haben uns auf unserem Weg
bestätigt und gesagt: Das ist das richtige Instrument, und
ihr seid bei der Auswahl der Projekte sehr sorgfältig vorgegangen .
Deswegen sage ich in Richtung der Linken - Kollegin Leidig konnte das jetzt nicht vortragen -: Diesen
Paragrafen und die Anlage zu streichen, wie Sie es in Ihrem Änderungsantrag fordern, wäre ein falsches Signal .
Wenn wir sagen: „Wir priorisieren die wichtigen Projekte“, dann heißt das auch: Das Verfahren muss schneller
sein, als wenn die Sache vom Gericht zum Bundesverwaltungsgericht und wieder zurückgeht . Ihr Antrag ist
falsch . Deswegen werden wir ihn ablehnen .
({3})
Eine rein qualitative Betrachtung der Projektliste,
also nicht des Projektvolumens oder der verkehrlichen
Bedeutung, macht noch einmal klar: Wir sind sehr sorgfältig an die Aufgabe herangegangen . Die Liste ist von
61 auf 46 Projekte reduziert worden . 34 Projekte haben
sich zum Teil erledigt, weil sie unter Verkehr sind, weil
sie im Bau sind, weil es einen neuen Zuschnitt gibt oder
weil wir sie mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan als
nicht mehr notwendig erachten . Frau Kollegin Wilms,
diese haben wir dann auch gestrichen . 15 neue Projekte sind dazugekommen, die in der neuen Priorisierung
„Vordringlicher Bedarf - Engpassbeseitigung“ sind . Außerdem - das hatten wir schon 2015 gemacht - sind auch
Autobahnbrücken dazugekommen, die in einem schwierigen Zustand sind; dort müssen wir sehr schnell für Ersatzneubauten sorgen . Ich glaube, wir schlagen hier den
richtigen Weg ein .
Am Montag hat Kollege Stefan Zierke zusammen mit
150 anderen Teilnehmern die zwölfte parlamentarische
Radtour durch Berlin durchgeführt . Sie sind 18 Kilometer gefahren . Das ist zwar deutlich mehr als die zehn Kilometer, die wir als Mindestlänge für einen Radschnellweg als notwendig ansehen, aber ich habe gehört, dass
es keine schnelle Fahrt war, sondern dass man sich Zeit
genommen hat, um sich etwas in Berlin umzuschauen .
Wir wollen das, was der Bund bislang schon gemacht
hat, noch einmal deutlich erweitern . Der Bund baut bereits entlang von Bundesstraßen Radwege . Das machen
wir gut . In diesem Zusammenhang möchte ich die B 47
in Rheinland-Pfalz erwähnen - wen wird es wundern -,
im schönen Zellertal zwischen Harxheim und Albisheim .
Das ist ein Radweg, der nicht nur von Radfahrern, sondern auch von Fußgängern, also Spaziergängern oder
Joggern, genutzt wird . Es gibt kluge Investitionen des
Bundes nicht nur entlang von Bundesstraßen, sondern
auch entlang von Bundeswasserstraßen . Dort, wo unsere Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sagt: „Dieser
Betriebsweg kann in Absprache mit den Kommunen genutzt werden“, ist es möglich, diese Wege entlang des
Wassers - sie sind natürlich besonders toll - zu nutzen .
Wir haben mit dieser Gesetzesänderung aber etwas
anderes im Blick . Wir wollen, dass der Bund Radwege
baut . Es soll entsprechende Angebote für Pendler geben,
lange Strecken schnell fahren zu können . Wir wollen,
dass dort über 2 000 Fahrradfahrten pro Tag stattfinden.
Wir fordern einen Fahrbahnquerschnitt von 4 Metern
Breite . Das ist etwas anderes als ein touristischer Radweg . Wir brauchen deswegen eine saubere Abgrenzung .
Wir wollen unsere Straßen entlasten. Wir schaffen die
Möglichkeit für mehr Bewegung, für mehr Gesundheit,
und natürlich schaffen wir auch Zeitersparnis. Wenn auf
der Straße Stau ist, ist es allemal besser, mit dem Rad zu
fahren . Dies ist also ein gutes Gesetz, dem die SPD-Fraktion gerne zustimmt .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege Herzog . - Nächste Rednerin: Dr . Valerie Wilms für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte auch den einsamen Besucher auf der Tribüne herzlich begrüßen . Kommen wir doch einmal zu dem,
was Frau Bär, unsere liebe Staatssekretärin, eben gesagt
hat . Es ist erstaunlich, ich beginne die Rede mit etwas,
das Sie gar nicht erwarten, Frau Bär: mit einem Lob für
das BMVI . - Was ist los?
({0})
Jetzt wird es richtig gefährlich .
({1})
Das, was Sie hinsichtlich der Radschnellwege gemacht
haben, also dass Sie das als Bund jetzt angehen und für
Förderung sorgen, ist in Ordnung . Das unterstützen auch
wir .
({2})
Wir hätten uns nur gewünscht, dass Sie ein bisschen
mehr Geld dafür finden.
({3})
Jetzt kommen wir zu den harten Fakten . Mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf planen Sie erneut eine Beschränkung des Rechtsweges bei Straßenprojekten . Das
heißt, Bürger und klageberechtigte Verbände haben für
ihren Klageweg nur noch eine statt drei Instanzen zur
Verfügung . Für eine stark verlängerte Liste an Projekten,
für die diese Rechtswegausnahmen gelten, geht es dann
nur noch zum Bundesverwaltungsgericht nach Leipzig .
Sie haben wieder viele, viele Projekte dazugeschrieben .
Sie haben auch ein paar gestrichen; das wissen wir .
({4})
Sie wollen viele Projekte aus der Wahlkreisbeglückungsnummer Bundesverkehrswegeplan so vermeintlich schneller durchziehen . Dabei ist Ihnen selbst das
eigentlich hohe Gut der Gerichtsinstanzen nicht mehr
heilig . In der Liste, die Sie mit dem Gesetzentwurf vorlegen, stecken einige Projekte - das wissen auch Sie,
Kollege Herzog; nicht immer falsche Sachen erzählen -,
die eine hohe Umweltbetroffenheit aufweisen. Das sollte
eigentlich gerade ein Argument sein, den Bürgern, VerGustav Herzog
bänden oder allgemein Betroffenen vollen Rechtsschutz
zuzusichern und nicht diese verkürzte Nummer .
({5})
Wie wäre es, wenn Sie die Betroffenen vor Ort auch
einmal von Anfang an in die Planungen einbeziehen würden? Fehlanzeige!
({6})
Stattdessen gaukeln Sie den Bürgern Beteiligung vor und
nehmen ihnen dann auch noch Klageinstanzen weg . Das
zeugt nicht gerade davon, dass Sie verstanden haben, was
Bürgernähe bedeutet . Erstaunlich für die Sozialdemokraten!
({7})
Für Sie findet Beteiligung nur in der obrigkeitsstaatlichen
Auslegung der Planungsunterlagen statt . Das läuft dann
so: Die Planfeststellungsbehörde legt den Ordner in einem Amt aus . Das war es .
({8})
Eine echte Beteiligung sieht jedoch anders aus .
Dass es die Bundesregierung mit der uferlosen Ausweitung der Liste im Gesetz übertreibt, zeigt ein kurzer
Blick zurück . Das Gesetz war nämlich eigentlich für den
Ausnahmefall gedacht
({9})
- das war damals die deutsche Einheit, und es waren
dann die Brückenprobleme -, wenn etwa Gefahr im
Verzug ist, wie vor wenigen Jahren an den Beispielen
Leverkusener Rheinbrücke oder Rader Hochbrücke zu
erkennen war . Die haben wir aufgenommen . Die Planungen für Ersatzbauwerke wurden nämlich über lange Zeit
vernachlässigt . Nicht nur diese beiden Brücken mussten
wegen Baufälligkeit auch teilweise gesperrt werden . Da
muss es jetzt also schnell gehen .
In solchen Fällen, wenn es also um dringend nötige
Ersatzmaßnahmen geht, macht die Klausel zur Klagewegverkürzung durchaus noch Sinn . Dann kann man
sich das ernsthaft vorstellen . Denn dann geht es darum,
unser Verkehrsnetz, also die bereits geschaffenen Werte,
zu erhalten . Aus diesem Grund können wir der pauschalen Ablehnung, die die Linke mit ihrem Änderungsantrag
erreichen will, nicht zustimmen .
({10})
Die Bundesregierung geht aber deutlich zu weit und
meint, zweifelhafte neue Projekte wie die A 20 oder die
A 39 schneller planen und bauen zu können . Sowohl Koalition als auch Linke überdrehen ihre gegensätzlichen
Positionen . Wir plädieren für kluge Ausgewogenheit .
Der Gesetzentwurf erscheint wie ein Placebo gegen
Planungsverzögerungen; denn viel Zeit in der Gesamtplanung wird nicht gewonnen . Die meiste Zeit nehmen nach
wie vor die unheimlich schleppenden Planungsprozesse
in Anspruch, nicht nur bei Fernstraßenprojekten . Hier regiert die organisierte Verantwortungslosigkeit zwischen
Bund und Ländern. Ich hoffe, dass wir dieses Problem
langsam gelöst bekommen . Die Schuld an der Dauer der
Planungsprozesse den Bürgerinnen und Bürgern und den
Verbänden zuzuschreiben, klingt da nur zynisch .
({11})
Wir lehnen die Rechtswegeinschränkung für so viele
umstrittene Straßenprojekte daher ganz klar ab . Verschonen Sie die Kollegen, die in der nächsten Wahlperiode
wieder dabei sind, künftig vor solchen Anträgen und Gesetzentwürfen!
({12})
Vielen Dank, Valerie Wilms . - Nächster Redner in der
Debatte wäre Gero Storjohann . Er ist aber so heiser -
bzw . er ist ohne Stimme -, dass er seine Rede zu Proto-
koll gegeben hat . Vielen Dank, dass Sie bei der Debatte
dennoch dageblieben sind .1)
({0})
Ich schließe die Aussprache . Wir kommen zur Ab-
stimmung über den von der Bundesregierung einge-
brachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesfern-
straßengesetzes . Der Ausschuss für Verkehr und digitale
Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/12082, den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf Drucksache 18/11236 und 18/11535
anzunehmen .
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/12129 vor, über den wir zuerst
abstimmen . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Ände-
rungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt hat die Linke,
enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen, und dagegen
waren SPD und CDU/CSU .
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt
dagegen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung angenommen . Zugestimmt hat die CDU/CSU,
dagegen waren die Linke und Bündnis 90/Die Grünen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . -
Wer stimmt dagegen? - Dann gibt es keine Enthaltungen .
Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben
CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt haben Bünd-
nis 90/Die Grünen und die Linke .
1) Anlage 11
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes
Drucksachen 18/11234, 18/11532, 18/11683
Nr. 9
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
Drucksache 18/12143
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Sie
sind damit einverstanden .1)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12143, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksachen 18/11234 und 18/11532 anzunehmen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD . Dagegen war niemand, enthalten haben sich
Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der
Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung
schweigepflichtiger Personen
Drucksache 18/11936
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({2})
Finanzausschuss
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Sie
sind einverstanden .2)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/11936 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sie haben
sicher keine anderen Vorschläge dazu . - Dann ist die
Überweisung so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a und 33 b auf:
a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
11. Juli 2016 zwischen der Regierung der Bun-
desrepublik Deutschland und der Regierung
der Arabischen Republik Ägypten über die
Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich
1) Anlage 12
2) Anlage 13
Drucksache 18/11508
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({3})
Drucksache 18/11812
b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
26. September 2016 zwischen der Regierung
der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tunesischen Republik über die
Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich
Drucksache 18/11509
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({4})
Drucksache 18/11797
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .3)
Tagesordnungspunkt 33 a . Wir kommen zur Abstim-
mung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Gesetzentwurf zu dem eben genannten Abkommen mit
der Regierung der Arabischen Republik Ägypten über
die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich . Der Innen-
ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11812, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 18/11508 anzunehmen .
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen - das ist auch ein Ver-
tragsgesetz -, sich zu erheben . - Wer stimmt dagegen? -
Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt ha-
ben CDU/CSU und SPD, dagegen waren die Linke und
Bündnis 90/Die Grünen .
Tagesordnungspunkt 33 b . Wir kommen zur Abstim-
mung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit der Regierung
der Tunesischen Republik über die Zusammenarbeit im
Sicherheitsbereich. Der Innenausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11797,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/11509 anzunehmen .
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer
stimmt dagegen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren
Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfüh-
rung eines Wettbewerbsregisters
Drucksache 18/12051
3) Anlage 14
Vizepräsidentin Claudia Roth
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({5})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Sie
sind damit einverstanden .1)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 18/12051 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Es gibt keine
anderweitigen Vorschläge . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({6}) zu
der Verordnung der Bundesregierung
Siebenunddreißigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes
({7})
Drucksachen 18/11283, 18/11472 Nr. 2.1,
18/12152
1) Anlage 15
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .2)
Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12152, der Verordnung auf Drucksache 18/11283
zuzustimmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Dann enthält sich niemand . Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren
Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .
Nicht nur die Tagesordnung ist erschöpft .
({8})
Damit berufe ich die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestages auf morgen, Freitag, den 28 . April 2017,
9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen von
ganzem Herzen einen langen schönen Restabend . Vielen
Dank für die Konzentration . Vielen Dank auch den Parlamentsassistenten und -assistentinnen .