Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/27/2017

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich zu unserer 231 . Sitzung . Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich dem Kollegen Heinz Wiese zu seinem 72 . und dem Kollegen Karl-Heinz Wange zu seinem 71 . Geburtstag gratulieren sowie dem Kollegen Dr. Hans-Ulrich Krüger, der seinen 65 . Geburtstag gefeiert hat . Alle guten Wünsche des Hauses für das neue Lebensjahr und darüber hinaus! ({0}) Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({1}) a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung futtermittelrechtlicher und tierschutzrechtlicher Vorschriften Drucksache 18/12085 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({2}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Petzold ({3}), Stefan Liebich, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transpersonen und Intersexuellen ({4}) in Tschetschenien entgegentreten Drucksache 18/12091 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({5}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr . Julia Verlinden, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klimaschutz stärken - Energiesparen verbindlich machen Drucksache 18/12095 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({6}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zu verschärften Abgastests in Europa ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise Amtsberg, Omid Nouripour, Volker Beck ({7}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen Drucksache 18/12099 ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, Dr . Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ausstellungsvergütung gesetzlich verankern Gerechtigkeitslücke für bildende Künstlerinnen und Künstler schließen Drucksache 18/12094 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Franziska Brantner, Katja Dörner, Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Alleinerziehende stärken - Teilhabe von Kindern sichern Drucksachen 18/4307, 18/11592 ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth, Annalena Baerbock, Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Renteneinheit vollenden - Gleiches Rentenrecht in Ost und West Drucksache 18/10039 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({9}) Ausschuss für Wirtschaft und Energie ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Grenzregionen vor Atomrisiken schützen Export von Brennelementen stoppen Drucksache 18/12093 ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tschernobyl und Fukushima mahnen - Atomausstieg konsequent umsetzen Drucksache 18/11743 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({10}) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 9 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen Drucksache 18/12086 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({11}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Dabei soll wie immer von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden . Der Tagesordnungspunkt 5 - hier geht es um den Antrag mit dem Titel „Gesetzliche Rente stärken, Rentenniveau anheben und die solidarische Mindestrente einführen“ - soll zusammen mit dem Tagesordnungspunkt 38 - „Gesamtkonzept Alterssicherung - Verlässlich, solidarisch und gerecht“ - beraten werden . Die Tagesordnungspunkte 8 a - abschließende Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes - und 8 b - Beratung des Antrags „Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlingen uneingeschränkt gewährleisten“ - sollen abgesetzt werden, und an ihrer Stelle soll der Antrag auf Drucksache 18/12099 mit dem Titel „Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen“ mit einer Debattenzeit von 38 Minuten beraten werden . Der Tagesordnungspunkt 9 - abschließende Beratung des Entwurfs eines Hochwasserschutzgesetzes II - soll ebenso abgesetzt werden, und an dieser Stelle soll der Tagesordnungspunkt 19 - abschließende Beratung des Entwurfes eines Gesetzes zum Ausbau der Kindertagesbetreuung - mit einer Debattenzeit von nunmehr 38 Minuten aufgerufen werden . Des Weiteren soll der Tagesordnungspunkt 14 - abschließende Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto - abgesetzt werden; stattdessen soll der Antrag auf Drucksache 18/12094 mit dem Titel „Ausstellungsvergütung gesetzlich verankern - Gerechtigkeitslücke für bildende Künstlerinnen und Künstler schließen“ unter Beibehaltung der vorgesehenen Debattenzeit von 25 Minuten beraten werden . Die Tagesordnungspunkte 28 - abschließende Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises -, 29 - abschließende Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Sachaufklärung in der Verwaltungsvollstreckung -, 34 - Entwurf eines Gesetzes zu dem Beitrittsprotokoll zum Handelsübereinkommen zwischen der EU sowie Kolumbien und Peru betreffend den Beitritt Ecuadors -, 43 d - Entwurf eines Gesetzes zur Erstellung gesamtwirtschaftlicher Vorausschätzungen der Bundesregierung - und 43 g - abschließende Beratung des Antrags „Missstände und Stillstand beim Tierschutz beenden Gesellschaftlichen Konsens umsetzen“ - sollen ebenfalls heute abgesetzt werden . Schließlich soll nach dem Tagesordnungspunkt 37 der Antrag auf der Drucksache 18/11743 mit dem Titel „Tschernobyl und Fukushima mahnen - Atomausstieg konsequent umsetzen“ in verbundener Beratung mit dem Antrag auf der Drucksache 18/12093 mit dem Titel „Grenzregionen vor Atomrisiken schützen - Export von Brennelementen stoppen“ aufgerufen werden . Die Debattenzeit soll hier 60 Minuten betragen . Schließlich möchte ich noch auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam machen: Der am 23 . März 2017 ({12}) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({13}) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der Umweltverträglichkeitsprüfung Drucksache 18/11499 Präsident Dr. Norbert Lammert Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({14}) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Sind Sie mit diesen Vereinbarungen je einzeln und im Zusammenhang einverstanden? - Das ist erfreulicherweise der Fall . Dann ist es so beschlossen . Auf der Ehrentribüne hat heute Morgen der Präsident der Versammlung der Volksvertreter der Tunesischen Republik, Herr Mohamed Ennaceur, mit seiner Delegation Platz genommen . Ich möchte Sie herzlich begrüßen . ({15}) Sehr geehrter Herr Präsident, Sie gehören mit Ihren inzwischen weit über 80 Lebensjahren nicht nur zu den Veteranen der tunesischen Politik, sondern sind in den vergangenen Jahren zu einer der Säulen des Erneuerungs-, Veränderungs- und Demokratisierungsprozesses Ihres Landes geworden, an dessen Gelingen wir ein gemeinsames Interesse haben und bei dem wir Ihr Land gern weiter nach Kräften unterstützen werden . ({16}) Herzlich willkommen und alle guten Wünsche für die weitere Arbeit! Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 auf: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Sondertreffen des Europäischen Rates zu 27 am 29. April 2017 in Brüssel Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke sowie zwei Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 77 Minuten vorgesehen. - Auch das ist offensichtlich einvernehmlich . Dann verfahren wir so . Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundeskanzlerin, Frau Dr . Angela Merkel . ({17})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lassen Sie auch mich vor Beginn einen herzlichen Gruß an die Vertreter Tunesiens richten; denn ich erinnere mich gern daran, dass ich vor wenigen Wochen im tunesischen Parlament sprechen konnte . Wir wünschen Tunesien allen Erfolg bei seiner Arbeit und auf seinem schwierigen, aber bislang doch sehr hoffnungsfrohen Weg. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Europäische Rat wird sich am Samstag in Brüssel im Kreis der zukünftig 27 Mitgliedstaaten mit dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union beschäftigen . Die Austrittsverhandlungen werden der Europäischen Union genauso wie auch Großbritannien selbst in den zwei Jahren mit Sicherheit einiges abverlangen . Das steht, glaube ich, völlig außer Zweifel . Außer Zweifel steht aber auch, dass diese Austrittsverhandlungen beileibe nicht die einzige Herausforderung sind, die Europa in den nächsten zwei Jahren zu bewältigen hat . Erlauben Sie mir deshalb bitte, dass ich zunächst einige Sätze zur Entwicklung in der Türkei sage . Die Situation dort kann im Rahmen dieser Debatte nicht unangesprochen bleiben, und sie wird sicher auch bei unserem Treffen am Samstag nicht unangesprochen bleiben, obwohl ich darauf hinweisen muss, dass Befassungen mit der Türkei offiziell im Rat der 28 Mitgliedstaaten stattfinden müssen, weil Großbritannien nach wie vor Mitglied der Europäischen Union mit allen Rechten und Pflichten ist, also die eigentliche Befassung am Samstag nicht stattfinden kann. Vorweg: Natürlich respektieren wir das Recht der türkischen Bürgerinnen und Bürger, frei und demokratisch über ihre eigene Verfassungsordnung zu entscheiden . Ich glaube, das versteht sich für uns von selbst . Mit umso größerer Sorge jedoch müssen wir den gemeinsamen Bericht der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarats zum Ablauf dieser Abstimmung zur Kenntnis nehmen . Ich möchte an dieser Stelle den beteiligten Abgeordneten wie auch dem Leiter des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte, Michael Link, für ihre wichtige Arbeit danken . ({1}) Ihrer Einschätzung kommt besondere Bedeutung zu; denn sie stammt von unabhängigen Beobachtern . Die türkische Regierung muss sich an diesem Bericht messen lassen und die darin aufgeworfenen Fragen beantworten . Der im Bericht enthaltene Vorwurf, dass es für die verschiedenen Lager im Referendumswahlkampf keine Chancengleichheit gegeben hat, ist ebenso gravierend wie die Feststellung, dass demokratische Grundrechte unter dem Ausnahmezustand eingeschränkt worden sind . Wir werden sehr aufmerksam verfolgen, wie die Türkei sich bei der Aufklärung möglicher Unregelmäßigkeiten verhält . Gleiches gilt für die weiteren Schritte der türkischen Regierung bei der konkreten Umsetzung der Verfassungsreform und bei ihrer Zusammenarbeit mit dem Europarat . Hierzu gehört auch das umfassende Monitoringverfahren, das die Parlamentarische Versammlung des Europarats an diesem Dienstag beschlossen hat . Die massiven Bedenken, die die Venedig-Kommission des Präsident Dr. Norbert Lammert Europarats hinsichtlich des Verfahrens und des Inhalts der Verfassungsreform geäußert hatte, wiegen schwer . Diesen Bedenken muss die Türkei Rechnung tragen - als Mitglied des Europarats, als Mitglied der OSZE und als Beitrittskandidat der Europäischen Union . Es ist - um das unmissverständlich zu sagen - mit einem Rechtsstaat nicht vereinbar, wenn eine Exekutive - in diesem Fall die türkische Exekutive - Vorverurteilungen vornimmt, wie das etwa mit Deniz Yücel öffentlich geschehen ist. ({2}) Die Bundesregierung wird nicht nur mit Blick auf sein Schicksal, sondern auf die vielen Strafverfahren in der Türkei insgesamt unvermindert und wieder und wieder die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards einfordern, einschließlich des hohen Guts der Meinungs- und Pressefreiheit . Es steht außer Frage, dass die Entwicklungen der vergangenen Woche das deutsch-türkische und das europäisch-türkische Verhältnis stark belastet haben . Wir werden uns in dieser Lage weiterhin darum bemühen, zu einem konstruktiven deutsch-türkischen und europäisch-türkischen Dialog zurückzukehren . Die Außenminister werden sich heute und morgen treffen und dabei auch mit dem türkischen Außenminister zusammenkommen . Eine endgültige Abwendung der Türkei von Europa, aber auch - und das sage ich mit Bedacht - Europas von der Türkei wäre weder im deutschen noch im europäischen Interesse . Es ist also Klugheit ebenso wie Klarheit gefragt . Und genauso - mit Klugheit wie mit Klarheit - werden wir im Kreise der Europäischen Union darüber beraten, welche präzisen Konsequenzen wir zu welchem Zeitpunkt für angemessen halten; die Bundesregierung strebt dabei ein gemeinsames Handeln der europäischen Institutionen an . Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Sondertreffen des Europäischen Rates am kommenden Samstag wurde eingeladen, nachdem das Vereinigte Königreich am 29. März offiziell mitgeteilt hat, dass es aus der Europäischen Union austreten möchte . Die britische Regierung setzt damit das um, wofür sich eine Mehrheit der britischen Wählerinnen und Wähler vor etwas mehr als zehn Monaten bei einem Referendum entschieden hat . Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Wir - Deutschland und die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union - haben uns diesen Austritt nicht gewünscht . Aber auch hier gilt, dass wir - Deutschland und die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union - diese demokratisch getroffene Entscheidung respektieren und jetzt nach vorne schauen . Mit dem offiziellen Schreiben der britischen Regierung hat die zweijährige Frist begonnen . Nach Ablauf dieser Frist wird die Mitgliedschaft Großbritanniens in der Europäischen Union, so wie es in den Verträgen beschrieben ist, enden . Jetzt liegt es an uns, den zukünftig 27 Mitgliedstaaten und den europäischen Institutionen, unsere eigenen Interessen und Ziele für die bevorstehenden Verhandlungen zu definieren. Dazu wird der Europäische Rat am Samstag den ersten Schritt gehen und im Format der 27 gemeinsame Leitlinien für die Verhandlungen verabschieden . Der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, hat hierfür nach intensiven Vorbereitungen, an denen sich natürlich auch die Bundesregierung beteiligt hat, einen, wie wir finden, sehr guten und ausgewogenen Textentwurf vorgelegt - ich möchte Donald Tusk dafür herzlich danken -; ({3}) denn in diesem Entwurf werden nicht nur die Anliegen der 27 Mitgliedstaaten in vollem Umfang berücksichtigt, sondern auch die übergeordneten Interessen der Europäischen Union als Ganzes . Meine vielen Gespräche in den vergangenen Wochen haben gezeigt, dass im Kreise der 27 Mitgliedstaaten und der Institutionen mittlerweile ein großes Einvernehmen über unsere gemeinsame Verhandlungslinie gegenüber Großbritannien besteht . Wir können deshalb davon ausgehen, dass vom Europäischen Rat der 27 übermorgen ein starkes Signal der Geschlossenheit ausgehen wird . Die Leitlinien des Europäischen Rates werden die Grundlage für das Verhandlungsmandat bilden, das die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Kommission in einem weiteren Schritt - voraussichtlich Ende Mai - erteilen werden . Dieses Verhandlungsmandat wird erheblich umfangreicher sein als die Leitlinien, die wir am Samstag verabschieden werden . Ich betone jedoch ausdrücklich, dass ich die Erwartung des Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, teile, dass die eigentlichen politischen Verhandlungen mit Großbritannien erst nach den britischen Unterhauswahlen am 8 . Juni richtig Fahrt aufnehmen werden und richtig Fahrt aufnehmen können . In diesen Verhandlungen wird die Europäische Union durch die Europäische Kommission mit ihrem Chefunterhändler Michel Barnier vertreten sein . Ich habe mich zugleich von Anfang an dafür eingesetzt, dass während des gesamten Verhandlungsprozesses alle wichtigen Entscheidungen nur mit Zustimmung der Mitgliedstaaten getroffen werden. Das gilt natürlich - dies ist auch die Haltung der gesamten Bundesregierung -, und das ist auch sichergestellt; denn das Ausscheiden eines Mitgliedstaates aus der Europäischen Union berührt natürlich die Interessen aller übrigen Mitgliedstaaten unmittelbar . Für uns stehen drei Anliegen im Mittelpunkt der Verhandlungen: Erstens . Es gilt, die Interessen unserer, der deutschen Bürgerinnen und Bürger zu wahren . Dabei geht es insbesondere um die ganz konkreten Alltagsfragen, die die vielen vom Brexit direkt betroffenen Menschen beschäftigen . Das gilt ganz besonders für diejenigen, die derzeit als deutsche und europäische Staatsangehörige in Großbritannien leben. Geschätzt trifft dies im Moment auf ungefähr 100 000 Deutsche zu, alle mit individuellen Biografien und ganz persönlichen Sorgen vor einer ungewissen Zukunft . Denken wir zum Beispiel an eine Rentnerin, die vielleicht schon vor Jahren aus beruflichen Gründen von Deutschland nach Großbritannien gezogen ist, dort ein Haus gekauft hat und jetzt im Ruhestand mit erheblichen rechtlichen Unsicherheiten konfrontiert ist . Oder: DenBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel ken wir an einen jungen Studenten, der den Traum eines grenzenlosen Europas lebt und sich nun sorgt, ob er nach seiner bereits laufenden Hochschulausbildung in Schottland im Vereinigten Königreich bleiben kann . Oder: Denken wir an ein in London lebendes deutsches Elternpaar, dessen Kinder in Großbritannien aufgewachsen sind, und das jeden Tag auf Zugang zu Schule, Arbeitsplatz und Krankenversicherung angewiesen ist . Viele weitere Beispiele könnten folgen . Sie alle stehen dafür, dass sich die Bundesregierung in den Verhandlungen mit Großbritannien intensiv dafür einsetzen wird, im Interesse aller betroffenen deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger so schnell wie möglich Klarheit und Planungssicherheit in all diesen Fragen zu erzielen . Wir werden natürlich alles dafür tun, dass mögliche negative Auswirkungen für den Alltag unserer Bürgerinnen und Bürger so gering wie möglich ausfallen . Im Gegenzug sind wir dann natürlich auch bereit, den bei uns in Deutschland und in den anderen EU-Mitgliedstaaten lebenden britischen Staatsangehörigen ein faires Angebot zu unterbreiten . Sie sind natürlich ein wichtiger Teil unseres Zusammenlebens und sollen dies auch bleiben . Zweitens . Es gilt, Schaden von der Europäischen Union insgesamt abzuwenden, den ein nicht geglückter Übergang Großbritanniens zu seinem zukünftigen Status als Drittstaat mit sich bringen könnte . Unternehmer zum Beispiel wollen wissen, ob sie ihre Produkte weiter auf den jeweils anderen Markt bringen können . Wissenschaftler fragen, ob sie die Zusammenarbeit mit ihren britischen Kollegen fortsetzen können . Deshalb gilt es, vorneweg Rechtssicherheit über die Folgen des Austritts zu schaffen. Dort, wo es unsere Interessen gebieten, werden wir selbstverständlich auch künftig eine enge Zusammenarbeit zwischen der EU und Großbritannien anstreben . Das gilt beispielsweise für den gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus und die organisierte Kriminalität oder für die Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik . Zugleich werden wir aber immer darauf achten, bei dieser Zusammenarbeit die Errungenschaften der europäischen Integration zu wahren und zu stärken . Ich bin fest davon überzeugt: Die Europäische Union wird auch nach dem Ausscheiden Großbritanniens eine einzigartige Wertegemeinschaft und einer der weltweit stärksten Wirtschaftsräume sein . ({4}) Drittens . Es gilt, den Zusammenhalt der Europäischen Union der 27 zu stärken . Vor kaum mehr als einem Monat haben wir in Rom den 60 . Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge gefeiert . Bei dieser Gelegenheit haben sich alle Beteiligten noch einmal ausdrücklich dazu bekannt, dass und wie sehr wir zu unserem Glück vereint sind . 60 Jahre europäischer Integration sind eine einzigartige Erfolgsgeschichte, und diese Erfolgsgeschichte wird mit den zukünftig 27 Mitgliedstaaten fortzuschreiben sein . Ich werde alles daransetzen, dass wir 27 Mitgliedstaaten in allen schwierigen Fragen auch weiter so zusammenstehen, wie uns das seit dem britischen Referendum vor zehn Monaten doch hervorragend gelungen ist; denn wir haben es immerhin geschafft, trotz manchmal divergierender Einzelinteressen geschlossen und vereint aufzutreten. Dass wir das schaffen würden, war am Morgen nach dem britischen Referendum alles andere als ausgemacht, und wir sollten das auch einmal ausdrücklich anerkennen . Alle 27 Mitgliedstaaten, die Europäische Kommission und das Europäische Parlament haben sich an das gehalten, was wir damals vereinbart haben . ({5}) Wir haben gerade keine Vorverhandlungen mit Großbritannien geführt, keine Einzelaspekte vorab in den Vordergrund gestellt; stattdessen haben wir uns als Europäische Union gut auf die Verhandlungen vorbereitet und uns eng abgestimmt . Es gibt natürlich eine Vielzahl von ganz besonderen Interessen . Denken wir nur einmal an die Republik Irland und ihren gemeinschaftlichen Raum mit Großbritannien oder an die Probleme in Nordirland . Deshalb war es eine gute Leistung, so zusammenzuhalten . Im Ergebnis sind wir heute inhaltlich und organisatorisch bestens vorbereitet . Ich begrüße ausdrücklich, dass sich auch die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5 . April auf genau derselben inhaltlichen Linie bewegt, die wir übermorgen im Europäischen Rat beschließen wollen . Ein solches Vorgehen ist allerdings auch unverzichtbar, weil wir uns auf sehr komplexe Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und Großbritannien einstellen müssen, denen im Übrigen zum Schluss nicht nur der Rat, sondern auch das Europäische Parlament zustimmen muss . In 44 Jahren Mitgliedschaft Großbritanniens in der Europäischen Union hat sich ein dichtes Geflecht an Beziehungen entwickelt, das nun Stück für Stück entflochten werden muss . Dabei ist auch der Umgang mit allen finanziellen Verpflichtungen zu klären, die Großbritannien als EU-Mitgliedstaat verbindlich eingegangen ist und die sich auch auf die Zeit nach dem Austritt erstrecken . ({6}) Wir sind der Meinung - das füge ich noch hinzu; ich hoffe, dafür gibt es auch Unterstützung -, dass diese Verhandlungen nicht erst ganz zum Schluss geführt werden können, sondern zu den wichtigen Aspekten gehören, die von Beginn an ein Thema sein müssen . ({7}) Die Reihenfolge unseres Vorgehens dabei ist klar, auch wenn es nicht immer ganz einfach sein wird, dies einzuhalten: Ein Abkommen über das zukünftige Verhältnis mit Großbritannien können wir erst schließen, wenn alle Austrittsfragen zufriedenstellend geklärt sind . Das bedeutet also: Je schneller die britische Regierung zu konstruktiven Lösungen bereit ist, desto eher können wir uns mit ihrem Wunsch befassen, bereits während der Austrittsverhandlungen über das zukünftige Verhältnis zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union zu sprechen . Aber zuerst müssen wir wisBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel sen, wie sich Großbritannien die zukünftigen Beziehungen mit uns vorstellt . ({8}) Es kann und wird nur in dieser Reihenfolge gehen, nicht umgekehrt . Genau auf diese Reihenfolge werden wir 27 Mitgliedstaaten achten und bestehen . Ohne Fortschritte bei den vielen offenen Fragen des Austritts, inklusive der finanziellen Fragen, macht es keinen Sinn, parallel über Details des zukünftigen Verhältnisses zu verhandeln . Die Europäische Kommission mit Jean-Claude Juncker an der Spitze und ihrem Chefverhandler Michel Barnier hat diese Haltung wieder und wieder deutlich gemacht . Jean-Claude Juncker war zusammen mit Michel Barnier gerade gestern in Großbritannien und hat dies dort noch einmal vorgebracht . Dafür hat die Kommission die volle Unterstützung der Bundesregierung . Klar ist außerdem: Ein Drittstaat - und das wird Großbritannien sein - kann und wird nicht über die gleichen Rechte verfügen oder womöglich bessergestellt werden können als ein Mitglied der Europäischen Union . Auch darüber sind sich alle 27 Mitgliedstaaten und die europäischen Institutionen einig . ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht denken Sie, dass das eigentlich Selbstverständlichkeiten sind . Doch ich muss das leider hier so deutlich aussprechen; denn ich habe das Gefühl, dass sich einige in Großbritannien darüber noch Illusionen machen . Das aber wäre vergeudete Zeit . ({10}) Selbstverständlich muss es auch im zukünftigen Verhältnis zwischen Großbritannien und der Europäischen Union wieder ein ausgewogenes Verhältnis von Rechten und Pflichten geben. Wenn Großbritannien hierzu bereit ist, dann sollte einer engen und langfristigen Partnerschaft mit der Europäischen Union allerdings nichts im Wege stehen . Wir als Europäische Union jedenfalls streben gute, enge und vertrauensvolle Beziehungen zu Großbritannien an . Wir haben auch ein Interesse an einem prosperierenden und erfolgreichen Vereinigten Königreich . In einem Wort: Wir werden die Verhandlungen fair und konstruktiv führen, und genau das erwarten wir auch von der britischen Seite . Unser Ziel wird immer sein, das beste Ergebnis für Europa und seine Bürgerinnen und Bürger zu erzielen . So werden wir als EU der 27 die Gespräche führen, und so werden wir sie dann hoffentlich auch erfolgreich beenden können . Natürlich werden in den kommenden beiden Jahren die Parlamente eine enorm wichtige Rolle spielen . Der regelmäßige Austausch der jeweiligen nationalen Regierungen mit den nationalen Parlamenten ist aus meiner Sicht ganz entscheidend, um am Ende zu einem tragfähigen Verhandlungsergebnis zu kommen . Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag werden dies im Rahmen der gewohnt engen Zusammenarbeit handhaben . Ich möchte hier ausdrücklich hervorheben, wie sehr es der Bundesregierung bei den anspruchsvollen Verhandlungen den Rücken stärkt, wenn das Parlament ihr im Rahmen dieser Zusammenarbeit beisteht . Deshalb begrüße ich außerordentlich, dass der Deutsche Bundestag einen Entschließungsantrag zu den Leitlinien vorbereitet hat, der heute zur Abstimmung vorgesehen ist und der sich auf derselben inhaltlichen Linie bewegt, die auch die Bundesregierung vertritt und die wir am Samstag im Europäischen Rat beschließen wollen . Lieber Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, wir sind uns der Größe der Aufgabe, vor allen Dingen auch ihrer Komplexheit bewusst . Wir sind gut vorbereitet, aber es wird noch viel Arbeit mit sich bringen . Unser Ziel ist es dabei, die Erfolgsgeschichte der Europäischen Union fortzuschreiben . Gut leben zu können in Deutschland und Europa, das ist und bleibt das Ziel, das uns leitet . Wir wissen, dass die Zeiten insgesamt fordernd sind . Viel zu ernst, zu tiefgreifend, zu vielfältig sind die Krisen und Konflikte in Europas unmittelbarer Nachbarschaft, zu groß auch die globalen Herausforderungen von Flucht und Migration, von Hunger - wenn wir in diesen Tagen an Afrika denken - und Not, zu groß sind die Herausforderungen des Welthandels, des Klimaschutzes, als dass es sich Europa nun leisten könnte, sich in den kommenden beiden Jahren nur mit sich selbst zu beschäftigen - Brexit hin oder her . Wir 27 wollen unsere Werte und Interessen auch in Zukunft weltweit behaupten . Wir wollen das zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger unserer einzigartigen, großen Wertegemeinschaft tun . Es geht genau um sie, die Bürgerinnen und Bürger, die zukünftig 450 Millionen Unionsbürgerinnen und -bürger . Es geht um unser gemeinsames gutes Leben in Deutschland und Europa in den kommenden Jahren und Jahrzehnten . Hierfür bitte ich um Ihre Unterstützung . ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Sahra Wagenknecht für die Fraktion Die Linke das Wort . ({0})

Dr. Sahra Wagenknecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004183, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundeskanzlerin, ich stimme Ihrer eingangs geäußerten Kritik an den aktuellen Entwicklungen in der Türkei natürlich zu . Aber ich muss schon sagen, dass ich mir gewünscht hätte, dass Sie sich nur einmal dazu durchringen würden, klar und deutlich hier vor diesem Bundestag zu sagen: Ich verurteile die aktuelle Verhaftungswelle in der Türkei, und ich fordere Erdogan auf, den Tausenden unschuldig im Gefängnis Sitzenden endlich die Freiheit zurückzugeben . - Das wäre angemessen gewesen . ({0}) Das hätten wir gerne von Ihnen so gehört . Für die Linke kann ich jedenfalls ganz klar sagen: Wir fordern die Freilassung der Tausenden politischen Gefangenen, und wir halten es für absolut untragbar, dass ungeachtet der Wandlung der Türkei in eine islamistische Diktatur die EU-Beitrittsgespräche immer noch fortgeführt werden und Erdogan weiter mit deutschen Waffen und Panzern hochgerüstet wird . Das ist Politik ohne Anstand und Moral, und eine solche Politik lehnen wir ab . ({1}) In Bezug auf Ihre EU-Politik finden wir die Gleichgültigkeit schon bemerkenswert, mit der die Bundesregierung daran mitwirkt, das Erbe der großen Gründerväter Europas zu verspielen . Ein Ereignis nach dem nächsten widerlegt Ihre Politik, jedes könnte ein Weckruf sein; aber Sie machen ungerührt weiter, als ginge es um Nebensächlichkeiten . Aber die Zukunft Europas ist keine Nebensache, und die großartige Idee eines in seiner Vielfalt und Unterschiedlichkeit geeinten Europas, in dem nach Jahrhunderten der Zwietracht und blutiger Kriege Völkerhass und Nationalismus nie wieder eine Chance bekommen, war und ist aktuell, ({2}) und wir alle sollten uns ihr verpflichtet fühlen, ({3}) allerdings nicht mit hohlen Bekenntnissen, sondern mit einer realen Politik, die den europäischen Zusammenhalt stärkt, statt ihn immer weiter zu untergraben . Schauen Sie sich die Ereignisse des zurückliegenden Jahres an . Im Juni stimmte die Bevölkerung Großbritanniens für den Austritt aus der EU . Statt nur einen Moment darüber nachzudenken, warum die EU so unpopulär geworden ist, dass derartige Entscheidungen möglich werden, feiern Sie auch heute wieder die EU als einzigartige Erfolgsgeschichte . Da hat man wirklich manchmal das Gefühl, man ist im falschen Film . ({4}) Europa droht der Verfall . In den meisten Ländern ist die Arbeitslosigkeit höher und die Wachstumsraten sind niedriger als vor der Einführung des Binnenmarktes, die Mittelschicht hat akute Abstiegsängste, die Armut wächst, und Sie reden von einer Erfolgsgeschichte . Trotz Brexit-Unsicherheit hat sich die britische Wirtschaft im letzten Halbjahr sogar noch besser entwickelt als der Durchschnitt der Euro-Zone, aber das gibt Ihnen offenbar noch nicht einmal zu denken . In vielen Ländern ist die nationalistische Rechte auf dem Vormarsch . Bei den Wahlen in den Niederlanden erzielte Geert Wilders eines seiner besten Ergebnisse . Die Sozialdemokratie wurde mit weniger als 6 Prozent in die politische Bedeutungslosigkeit geschickt . Am letzten Wochenende erreichte der Front National in Frankreich das beste Ergebnis seiner Geschichte . 45 Prozent der Arbeiter haben Le Pen gewählt, die französische Sozialdemokratie wurde pulverisiert, und auch die Konservativen haben es nicht einmal in die Stichwahl geschafft. Aber all das ist offenbar kein Grund - selbst für die SPD nicht -, an der EU-Erfolgsgeschichte zu zweifeln . Immerhin gibt es den smarten Investmentbanker Emmanuel Macron, dessen stramm neoliberales Sozialabbauprogramm nicht nur die Börsianer feiern, sondern auch eine ganz große Koalition in der deutschen Politik, die von Frau Merkel über Herrn Schulz bis zu Cem Özdemir reicht . ({5}) Selbstverständlich ist Marine Le Pen unwählbar, aber es waren Politiker wie Macron, die Le Pen stark gemacht haben . Darauf hat auch der französische Intellektuelle Didier Eribon hingewiesen. Ich finde, das sollte man bedenken, ehe man Macron als angeblich proeuropäischen Politiker bejubelt . ({6}) Ich zumindest würde eine Politik, die belegbar den Nationalismus stärkt, nicht gerade als proeuropäisch bezeichnen . ({7}) Zurück zum Brexit: Statt jetzt wenigstens auf beiderseits vorteilhafte Regelungen zu drängen, unterstützen Sie de facto den unverantwortlichen Kurs der EU-Kommission, den Austritt so abschreckend wie möglich zu gestalten . Damit erweisen Sie nicht nur der deutschen Wirtschaft einen Bärendienst, für die Großbritannien immerhin ein wichtiger Markt ist, sondern Sie merken offenbar auch gar nicht, dass sich die EU mit der Strategie, durch möglichst schlechte Austrittskonditionen potenzielle Nachahmer abzuschrecken, selbst ein Armutszeugnis ausstellt; denn wer glaubt, auf Einschüchterung angewiesen zu sein, um den europäischen Zusammenhalt zu sichern, der hat Europa längst aufgegeben . ({8}) „Europa wird sozial sein, oder es wird nicht sein .“ Davon war schon der französische Präsident Mitterrand überzeugt . Tatsächlich ruhte die europäische Idee der Nachkriegszeit auf zwei Fundamenten: Demokratie und Sozialstaatlichkeit . Von beiden ist heute nicht mehr viel übrig; denn beides wird durch die aktuellen EU-Verträge nicht gefördert, sondern abgebaut und vielfach unmöglich gemacht . Immerhin wurden die Verträge doch extra so verfasst, dass sie Länder daran hindern, sich gegen Dumpingkonkurrenz - sei es bei den Löhnen, sei es bei den Konzernsteuern - zur Wehr zu setzen . Wirtschaftskämpfe unter europäischen Staaten würden der Idee der … Einheit Europas … so vollständig widersprechen, daß nur der Gedanke daran in einem scharfen Gegensatz zu der großen Arbeit stehen würde, die für eine Einigung … geleistet wurde . Es ist wirklich traurig, in welchem Grade die deutsche Politik diese Einsicht Konrad Adenauers in den Wind geschrieben hat . ({9}) Denn seit in unserem Land die Agenda 2010 prekäre, mies bezahlte Jobs zum Boomen gebracht und einen riesigen Niedriglohnsektor geschaffen hat, exportieren wir eben nicht nur gute Autos und Maschinen, sondern Fleisch, Nahrungsmittel und andere arbeitsintensive Produkte, während die Importe wegen fehlender Kaufkraft weit hinter den Exporten zurückgeblieben sind . Im Ergebnis sind die deutschen Überschüsse explodiert und spiegelbildlich dazu natürlich die Defizite und die Arbeitslosigkeit in anderen europäischen Staaten . Das ist genau der unfaire Wirtschaftskampf, vor dem Adenauer so eindringlich gewarnt hat . ({10}) Das heißt - ob Sie es verstehen oder nicht -: Was Sie da machen, das ist antieuropäische Politik . ({11}) Gleiches gilt natürlich auch für das aggressive Steuerdumping, das Luxemburg und andere zu ihrem Geschäftsmodell gemacht haben . Solange sich in Europa die fleißigsten Steuerhinterziehungshelfer für höchste EU-Ämter empfehlen - siehe Herr Juncker - und die Bundesregierung das auch noch unterstützt, so lange wird sich daran wohl nichts ändern . Die EU droht auseinanderzufallen . Schuld daran sind nicht die Menschen, die so abstimmen und so wählen, wie sie es tun; schuld daran ist die Politik, die in Europa gemacht wird und für die die Bundesregierung die Hauptverantwortung trägt . ({12}) Wer ein geeintes Europa will, der darf es eben nicht zum Lohndrückerladen und zur Sozialkürzungsmaschine verkommen lassen . Dass ein Europa, in dem Brüsseler Lobbykraten oder auch deutsche Politiker immer selbstherrlicher in andere Länder hineinregieren, viele Menschen abstößt und nicht gewinnt, das sollte, finde ich, niemanden wundern . ({13}) Deswegen schlagen wir anstelle Ihres Weiter-so drei sofort umsetzbare Signale für eine soziale Wende in Europa vor: ({14}) Erstens. Beenden Sie den Ratifizierungsprozess des CETA-Abkommens mit Kanada . ({15}) Dieses neoliberale Konzernschutzabkommen braucht in Europa kein Mensch . Es wird nur die Standards noch weiter absenken . Es wird aus gutem Grund von der Mehrheit der europäischen Bevölkerung abgelehnt . ({16}) Zweitens . Stoppen Sie die unsozialen Kürzungsdiktate und das Lohndumping, und investieren Sie endlich in die Zukunft des europäischen Kontinents, in gute Schulen und Arbeitsplätze, in umweltfreundliche Energie und Infrastruktur . Nur so können wir die Menschen wieder für Europa begeistern; denn dann spüren sie, dass es ihr Leben verbessert und nicht ihre soziale Lage immer weiter verschlechtert . ({17}) Drittens . Machen Sie einen Vorstoß, die unsäglichen EU-Verträge zu verändern, in denen die Freiheit des Kapitalverkehrs, also die Freiheit von Investmentbankern, Steuerdieben und Geldwäschern, Vorrang vor sozialen Rechten hat . Diese Verträge haben einen wesentlichen Anteil daran, dass sich immer mehr Menschen von Europa abwenden . ({18}) Setzen Sie sich für ein neues europäisches Vertragswerk ein, das Demokratie und Sozialstaat in den einzelnen Mitgliedsländern absichert und nicht immer weiter untergräbt . ({19}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Europäerinnen und Europäer haben ein Recht auf eine friedliche Zukunft ohne Aufrüstung und Kriegsabenteuer . Sie haben ein Recht auf soziale Sicherheit, Wohlstand und Demokratie und auf ein Europa der guten Nachbarschaft ohne deutsche Dominanz . Das war die europäische Idee der Gründerväter Europas, und das ist das Europa, für das die Linke sich einsetzt und engagiert, damit die europäische Einigung am Ende vielleicht wirklich noch eine Erfolgsgeschichte werden kann . ({20})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Thomas Oppermann, der heute seinen Geburtstag feiert . Ich gratuliere ihm herzlich im Namen des Hauses . Alles Gute! ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident . Das größte Geschenk für mich ist allerdings nicht, dass ich an meinem Geburtstag auf die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin antworten darf . ({0}) Das größte Geschenk ist, dass gestern Abend Borussia Dortmund in einem großartigen Spiel 3 : 2 gegen Bayern München gewonnen hat . ({1}) Das müssen Sie aber von der Redezeit abziehen, Herr Präsident .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich werde dazu jetzt keine Abstimmung im Bundestag herbeiführen . ({0}) Insofern empfehle ich, dass wir auf den eigentlichen Gegenstand der Debatte zurückkommen .

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das Ergebnis von gestern könnte man auch mit einer Abstimmung nicht korrigieren . ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am vergangenen Sonntag hat Emmanuel Macron die erste Runde der Präsidentschaftswahlen in Frankreich gewonnen . Viele sind erleichtert über den Ausgang der Wahl . Nach Österreich und den Niederlanden hat jetzt auch Frankreich die Chance, den Vormarsch der Rechten zu stoppen . Deshalb drücken wir alle Macron die Daumen, dass er auch in der zweiten Runde die Nase vorn hat . ({1}) Liebe Frau Wagenknecht, Sie haben es geschafft, in einer zehnminütigen Rede über Europa nicht ein einziges positives Wort über die Europäische Union zu verlieren . ({2}) Sie malen hier ein Krisenszenario und ignorieren, dass die Euro-Zone im Augenblick dabei ist, sich wirtschaftlich zu stabilisieren . ({3}) Ihre Rede strotzte teilweise nur so von alternativen Fakten . ({4}) Trotzdem habe ich eine Bitte an Sie: Springen Sie über Ihren eigenen Schatten . Reden Sie mit Ihren Freunden von der Schwesterpartei in Frankreich; denn das sind die Einzigen, die bisher nicht zur Wahl von Macron aufgerufen haben . Machen Sie das; sonst nehmen Sie billigend in Kauf, dass die kommunistischen Wählerinnen und Wähler in Frankreich Frau Le Pen wählen . Das wollen Sie doch ganz bestimmt nicht . ({5}) - Ich habe das nicht gehört . - Mir gibt das Ergebnis natürlich zu denken: In Frankreich haben es der linksradikale Kandidat und die rechtsradikale Kandidatin geschafft, dass 41 Prozent der Wähler klar gegen Europa votieren . ({6}) Ich finde, der Wahlausgang in Frankreich, aber auch der Brexit zeigen: Wir müssen für ein vereintes Europa kämpfen . ({7}) Richard von Weizsäcker hat einmal gesagt: Die Weimarer Demokratie ist eigentlich nicht daran zugrunde gegangen, dass es zu früh zu viele Nazis gab, sondern daran, dass es zu lange zu wenig Demokraten gab . - Das gilt auch heute: Europa darf nicht daran scheitern, dass es zu wenig überzeugte Europäer gibt . ({8}) Wenn Macron die Wahlen gewinnt, dann ist das auch eine große Chance; denn es ist vielleicht die letzte Gelegenheit, die Mehrheit des französischen Volkes davon zu überzeugen, dass ein solidarisches Europa gut für Frankreich ist . Ein französisches Bekenntnis zu Europa braucht auch deutsche Unterstützung . ({9}) Wir können nicht einfach nur mit dem erhobenen Zeigefinger sagen: Weiter so wie bisher. - Wir müssen die Probleme in Europa anpacken . Wir müssen endlich für mehr Investitionen und Wachstum sorgen, ({10}) die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen, ein soziales Europa schaffen, von dem nicht nur einige wenige, sondern von dem alle Menschen profitieren. ({11}) Wenn wir weitere Austritte wie den Brexit verhindern wollen, dann brauchen wir einen kraftvollen Neubeginn in der Europapolitik . Auch die Präsidentschaftswahlen in Frankreich haben gezeigt, wie gespalten viele westliche Länder in diesen Tagen sind . In der Türkei, in den USA, in Polen und in Großbritannien zieht sich die Spaltung quer durch die Gesellschaft . Wir in Deutschland blicken bisweilen mit Fassungslosigkeit auf die Mehrheitsentscheidungen in diesen Ländern . Wir können uns nicht in demokratische Wahlen einmischen . Aber wir können diejenigen unterstützen, die die europäischen Werte verteidigen, die für die Demokratie kämpfen, die zur europäischen Einheit stehen . Ihnen müssen wir zeigen, dass wir an ihrer Seite stehen . ({12}) In Großbritannien sind es vor allem die Jüngeren . Es ist die jüngere Generation, die sich ihr Land weiterhin in der Europäischen Union gewünscht hätte . Gerade diesen jungen Briten sind wir es schuldig, dass wir in den kommenden zwei Jahren mit Großbritannien fair verhandeln . Aber ebenso klar ist auch: Wir werden keine Sonderbehandlung zulassen . Die EU ist eine Solidargemeinschaft mit Rechten und Pflichten. Wer austritt, kann nicht nur die Vorteile mitnehmen; das muss klar sein . Sonst leisten wir Beihilfe zum Zerfall der Europäischen Union . ({13}) Ich freue mich, Frau Bundeskanzlerin, dass wir, was die Brexit-Verhandlungsstrategie betrifft, wirklich Einvernehmen in der Koalition haben . Um die wirtschaftlichen Beziehungen mit Großbritannien zu regeln, wird ein Handelsabkommen notwendig sein . Da bitte ich die Bundesregierung, Lehren aus unserem Abkommen mit Kanada zu ziehen: Es darf kein Handelsabkommen geben, das ohne demokratische Kontrolle, ohne ordentliche Gerichtsbarkeit und ohne ökologische und soziale Standards daherkommt . ({14}) Meine Damen und Herren, vor einer Woche hat sich die Türkei mit einer knappen Mehrheit gegen die parlamentarische Demokratie und für ein autoritäres Präsidialsystem entschieden . Es ist bitter, dass die demokratische Opposition das Referendum so knapp verloren hat . Aber eines finde ich großartig und mutig: dass sich trotz aller Drohungen und Einschüchterungen, trotz aller willkürlichen Verhaftungen, trotz einer geknebelten Presse 23 Millionen Türkinnen und Türken für die Demokratie entschieden haben . ({15}) Diese Menschen sind die Hoffnung der Türkei. Wir dürfen diese Menschen nicht alleine lassen . Einige hofften, nach dem Referendum werde es besser, Erdogan werde sich mäßigen . Der gestrige Tag - mit der Inhaftierung von 1 000 angeblichen Staatsfeinden hat gezeigt: Nichts wird besser . Es ist falsch, Erdogan in dieser Situation das Gefühl zu vermitteln, dass wir einfach teilnahmslos zusehen . Die türkische Regierung hat Forderungen und Interessen . Sie hat Forderungen an Deutschland und an die Europäische Union . Sie will Visaerleichterungen . Sie will Wirtschaftshilfen . Sie will eine Vertiefung der Zollunion . Wir müssen in dieser Situation ganz deutlich machen - das ist auch mein Appell an die Bundesregierung -: Zugeständnisse wird es nur geben, wenn Zug um Zug die inhaftierten Journalisten und die politischen Gefangenen freigelassen werden, ({16}) wenn Zug um Zug die Demokratie und die politischen Freiheiten wieder in Kraft gesetzt werden . Europa darf Autokraten gegenüber nicht wie ein zahnloser Tiger erscheinen . ({17}) Nun fordern einige das sofortige Ende der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei . Ich höre diese Forderungen in bemerkenswerter Allianz, von Manfred Weber, CSU, bis zu Sahra Wagenknecht, Linke . Ich kann mich da nur wundern . Denn das ist doch genau das, worauf Erdogan wartet: dass er die Schuld für den Abbruch der Verhandlungen den Europäern in die Schuhe schieben kann . ({18}) Natürlich ist klar: Wenn es in der Türkei zur Einführung der Todesstrafe kommt, dann sind die Verhandlungen automatisch beendet. Aber ich finde, diese Verantwortung vor seinem Volk muss Erdogan schon selbst übernehmen . Wir sollten klarmachen, Kollege Kauder da wünsche ich mir ein gemeinsames, kraftvolles Bekenntnis der gesamten Koalition -: Nicht wir schlagen der Türkei die Tür zu Europa zu, sondern es ist allein Erdogan, der sein Land systematisch von der EU und den europäischen Werten wegführt . ({19}) 63 Prozent der türkischen Staatsangehörigen, die in Deutschland an dem Referendum teilgenommen haben, haben sich für die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie ausgesprochen . Das ist zweifellos ein deprimierender Befund . Es gibt nun aber Stimmen auch aus Ihren Reihen, Frau Merkel und Kollege Kauder, die eine Abschaffung der doppelten Staatsangehörigkeit fordern, allen voran Ihr neuer Schatteninnenminister Joachim Herrmann. Ich frage aber alle, die eine Optionspflicht jetzt wieder einführen wollen: Glauben Sie wirklich, dass nur ein einziger Türke bei dem Referendum anders abgestimmt hätte, wenn wir ihm den deutschen Pass weggenommen hätten? ({20}) Wollen Sie wirklich deutsch-türkische Kinder und Jugendliche mit dem Entzug des deutschen Passes und damit der Staatsangehörigkeit dafür bestrafen, weil ein Teil ihrer Eltern jetzt für Erdogan gestimmt hat? Ich glaube, das wäre der falsche Weg . Wir haben in dieser Koalition die doppelte Staatsangehörigkeit für in Deutschland geborene Kinder eingeführt . Wir wollen diesen jungen Menschen zeigen: Ihr gehört zu uns, und zwar auch dann, wenn eure Eltern und Großeltern aus einem anderen Land kommen und ihr diese Verbindung nicht ganz abbrechen wollt . Wer jetzt die Rückkehr zur Optionspflicht fordert, der signalisiert diesen jungen Menschen: Ihr gehört doch nicht dazu, ihr seid keine richtigen Deutschen . Ich sage in aller Klarheit: Wer in diese trübe Vergangenheit zurück will, der wird auf den entschiedenen Widerstand meiner Fraktion stoßen . ({21}) Wir werden nicht zulassen, dass jetzt auf dem Rücken dieser jungen Menschen Wahlkampf um die Stimmen am rechten Rand betrieben wird . ({22}) Frau Merkel, wir haben die doppelte Staatsangehörigkeit in dieser Koalition gemeinsam beschlossen . Ich erwarte von Ihnen eine klare Aussage, ob Sie noch immer zu diesem Beschluss stehen . Meine Damen und Herren, in dieser Woche hat der israelische Ministerpräsident Netanjahu sein geplantes Gespräch mit Außenminister Sigmar Gabriel abgesagt . Das ist sehr bedauerlich . Ich danke Sigmar Gabriel ausdrücklich dafür, dass er die Diskussionsrunde mit kritischen Nichtregierungsorganisationen trotz des politischen Drucks nicht abgesagt hat . Solche Gespräche sind fester Bestandteil der deutschen Außenpolitik . Deutschland trägt eine besondere Verantwortung für die Sicherheit Israels . Unsere beiden Länder verbindet eine tiefe Freundschaft, die vor allen Dingen auf gemeinsamen Werten beruht . Freundschaft bewährt sich gerade da, wo man unterschiedlicher Meinung ist . Deutschland wird auch in Zukunft an der Seite Israels stehen . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({23})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Katrin Göring-Eckardt ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Auf meinem Pass steht ganz oben „Europäische Union“ und darunter „Bundesrepublik Deutschland“ . ({0}) Leider steht nicht „Thüringen“ darauf, aber das muss ich verschmerzen . Dieser Reisepass ist ein Symbol dessen, was wir der EU zu verdanken haben, was ich ihr zu verdanken habe: Mauerfall, Freiheit, Grenzen überwinden . Dieser Pass sagt: Du bist Bürgerin der Europäischen Union, du lebst in Frieden und Freiheit, und du kannst fast überall hinreisen . Wir haben gemeinsam Standards erarbeitet, Standards für Klimaschutz und Umweltschutz, und zwar im Rahmen der Europäischen Union . Das gilt genauso für sozialen Fortschritt, Gleichberechtigung, Datenschutz . Jetzt haben sich 53 Prozent der Britinnen und Briten dafür entschieden, nicht mehr Teil dieser Union zu sein . Das ist ein Drama . Das ist aber auch Auftrag: Auftrag, uns Gedanken zu machen über das Warum und über das Wie . ({1}) Jetzt, Frau Merkel, geht es um das Verhandeln des Brexits . Jetzt muss sich zeigen: Geht es um Größe oder um Kleinmut? Jetzt muss sich zeigen: Sind Sie bei denen, die Sonntag für Sonntag im Rahmen von Pulse of Europe auf die Straße gehen und leidenschaftlich für die Europäische Union, für dieses gemeinsame Europa, streiten, oder landen Sie doch wieder beim Kleinmut und beim ausschließlichen Vertreten der Lobbyinteressen von deutschen Konzernen und von deutscher Politik? Diese Entscheidung steht jetzt an . ({2}) Sie haben zu Recht gesagt: Die Probleme sind groß . Ja, in der Tat . Aber welche Rolle spielen wir eigentlich in Deutschland? Wir haben es gerade wieder erlebt . In dieser Woche ist deutlich geworden: Sie torpedieren in der EU eine stärkere Kontrolle der Abgastrickser, Sie torpedieren, dass es eine unabhängige Kontrolle in Deutschland und in der Europäischen Union gibt . Wenn man sich den Dieselskandal und die Verantwortung der deutschen Autokonzerne anschaut, dann liegt es doch erst recht in Ihrer Verantwortung für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, aber auch für das große Ganze der Europäischen Union zu sagen: Selbstverständlich verschärfen wir die Regeln, und selbstverständlich machen wir das gemeinsam . Die Autokonzerne in Deutschland haben nur dann eine Chance, wenn das gelingt, ({3}) und wir haben nur dann eine Chance, wenn wir das europäisch gemeinsam machen . ({4}) Man kann sich das weiter anschauen: Sie torpedieren weiterhin das Stopfen von Steuerschlupflöchern und verbieten nicht das Ausbringen des giftigen Glyphosats auf die Felder, das am Schluss in unserem Essen landet und unsere Gesundheit gefährdet . Frau Merkel, Sie haben hier sehr viel darüber geredet, was wir in Europa gemeinsam machen müssen . Sie müssen dann auch deutlich sagen: Uns ist dieses gemeinsame Europa wichtiger als die Partikular- und Lobbyinteressen innerhalb Deutschlands . Darum muss es jetzt gehen, wenn dieses gemeinsame Europa Anziehungskraft für alle und nicht nur für die Starken haben soll, sodass man nicht mehr mit dem Finger auf Deutschland zeigen kann, nach dem Motto: Die machen doch nur ihres . Nein, für uns muss klar sein: Wir müssen doch europäischer sein als alle anderen, weil wir so stark sind . ({5}) Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, wie es den Briten geht, die in Deutschland leben, und wie es den Deutschen geht, die derzeit in Großbritannien leben . Sagen Sie ihnen sehr schnell zu - und nicht nur mit wohlfeilen Worten -, was sie zu erwarten haben: unsere Solidarität . Bei den Brexit-Verhandlungen kommt es aus unserer Sicht auf drei große Dinge an: Erstens. Geben Sie den direkt betroffenen Familien noch in diesem Sommer Sicherheit . Sicherheit heißt zum Beispiel Doppelpass . ({6}) Zweitens . Halten Sie den Binnenmarkt zusammen, und opfern Sie die Personenfreizügigkeit am Ende nicht doch noch dem Populismus . Darauf wird es ankommen . Das wird in diesen Tagen das Zeichen für Europa sein . Drittens . Stellen Sie vor allem endlich die vermeintlichen Interessen, die wir Deutschen und die deutschen Konzerne in Einzelfällen haben, hinter das Gemeinwohl des großen Ganzen . Was gut für Deutschland ist, kann in Zukunft nur noch das sein, was gut für das gemeinsame Europa ist . ({7}) Wir wollen, dass von diesen Verhandlungen ein klares Signal ausgeht . Dieses klare Signal muss lauten: Wir brauchen eine Bundesregierung, die endlich wieder in und für Europa kämpft - für eine Klimaschutzpolitik, die ehrlich und mutig ist, für eine Agrarpolitik, die das gesunde Essen in den Mittelpunkt stellt, und gegen Jugendarbeitslosigkeit . Es muss egal sein, ob der Jugendliche aus der Pariser Vorstadt, aus Ostdeutschland oder aus der griechischen Provinz kommt . Sie alle sind unsere europäischen Jugendlichen, für die wir alle gleichermaßen eine gemeinsame Verantwortung haben . ({8}) Kämpfen Sie also für die Anziehungskraft dieses Europas und für eine souveräne EU, die sozial stark ist, die ökonomisch stark ist und die ökologisch stark ist . Alle Anfeindungen, die wir im Moment von Trump aus den Vereinigten Staaten erleben, zeigen doch: Wir müssen als Europa gemeinsam stärker werden und unsere Werte und diese Politik, die uns stark gemacht hat, voranstellen, und wir dürfen uns nicht selber auf Partikularinteressen und nationalstaatliche Interessen zurückziehen . Nur dann werden wir auch diese Auseinandersetzung für die Demokratie, für das Gemeinsame und für die Solidarität bestehen . Das müssen wir jetzt leisten . Ich möchte nicht, dass in Europa am Ende die Nationalstaatlichkeiten wieder wichtiger und wir schwächer sind - auch gegenüber einem amerikanischen Präsidenten, dem es vollkommen egal ist, ob hier eine starke EU ist und ob der Klimaschutz funktioniert, und dem am Ende auch die Solidarität vollkommen egal ist . ({9}) Ja, Sie könnten es sich anschauen: Man kann mit einem proeuropäischen Kurs Wahlen gewinnen . Das haben wir in Österreich mit der Wahl von Alexander Van der Bellen gesehen. Jetzt hoffen wir in Frankreich auf Herrn Macron . Frau Wagenknecht, bei der Wahl zwischen Macron und der rechtsextremen Marine Le Pen muss es doch für Demokratinnen und Demokraten selbstverständlich sein, auf welcher Seite sie stehen . ({10}) Man kann sich doch heute nicht hinstellen und sagen: Herr Macron ist irgendwie kein Linker . - Deswegen riskieren wir, dass die Anhänger von Herrn Mélenchon in Frankreich Marine Le Pen wählen . ({11}) Ich erwarte von Ihnen, ich erwarte von jedem Demokraten in diesem Land, dass, wenn auf der einen Seite Hass, Hetze und Spaltung stehen und auf der anderen Seite Demokratie, Sie sich für die Demokratie entscheiden. Alle anderen in diesem Hause werden das hoffentlich tun, meine Damen und Herren . ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Mittelmeer riskieren täglich Tausende von Menschen ihr Leben . Sie wollen den Weg nach Europa finden: für ein besseres Leben in Frieden, in Wohlstand, in Freiheit, vielleicht auch dafür, dass irgendwann oben auf ihrem Pass „Europäische Union“ steht . In diesem Jahr sind bereits dreimal so viele Menschen ums Leben gekommen wie Anfang des letzten Jahres . Ist das 2017 eigentlich die Europäische Union, wie wir sie uns vorstellen? Erst vor wenigen Tagen sind 16 Menschen vor Lesbos ertrunken . Ist Ihnen auch egal, was vor zwei Jahren noch alle erschüttert hat und worüber wir fast jede Woche eine Debatte geführt haben? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Europa, das seine Werte und seinen Zusammenhalt verteidigen sowie für Menschlichkeit stehen will, in diesen Tagen nicht mehr dafür tut, dass die Seenotrettung funktioniert, nicht mehr dafür tut, dass es einen europäischen Verteilungsmechanismus gibt, nicht endlich mehr dafür tut, dass die Länder Italien und Griechenland bei der Aufnahme von Flüchtlingen unterstützt werden . Meine Damen und Herren, wenn wir dieses gemeinsame Europa wollen, dann heißt das, dass Humanität auch an seinen Außengrenzen selbstverständlich sein muss . Ein gemeinsames Europa heißt Menschlichkeit und heißt auf der anderen Seite auch Sachlichkeit bei der Verteilung der Flüchtlinge . Ich kann nicht verstehen, dass es der Papst sein muss, der Herrn Orban und andere dafür kritisiert, wie die Flüchtlinge in Europa untergebracht werden, und dass Sie mit Herrn Orban noch nicht einmal darüber reden - er gehört zu Ihrer Parteifamilie -, dass es nicht geht, dass die Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen . Wenn wir ein gemeinsames Europa wollen, dann ein menschliches Europa, meine Damen und Herren . ({13}) Es freut mich natürlich sehr, dass Sie heute ein paar Worte über die Türkei gefunden haben . Auch wir sind für eine unabhängige Untersuchung der Wahlen . Ich hätte mir aber noch mehr gewünscht, dass Sie früher etwas gesagt hätten, dass Sie schon vor dem Referendum klar Stellung bezogen hätten . Jetzt sind wir in einer Situation, in der wir klar sagen müssen: Nein, wir werden keine Verhandlungen oder Gespräche abbrechen; das ist Quatsch . Die Verhandlungen zum Beitritt liegen auf Eis; das weiß jeder . Darüber muss man nicht reden . Aber man muss sehr klare Forderungen stellen . Man muss auch selbst klar handeln . Es kann doch nicht sein, dass wir weiterhin Rüstungsgüter in die Türkei exportieren . ({14}) Dieses Land führt Krieg gegen die eigene Bevölkerung . Wenn man Klarheit haben will, so wie Sie es gesagt haben, Frau Merkel, gehört das dazu . Es kann auch nicht sein, dass wir uns weiter mit dem Flüchtlingsdeal von Herrn Erdogan abhängig machen . Es kann auch nicht sein, dass wir nicht klar und deutlich benennen, was dort gerade passiert . Dialog heißt eben auch Klarheit und heißt nicht Kriechen, wenn es uns am Ende doch besser passt . ({15}) Meine Damen und Herren, der Reisepass ist der Schlüssel für die Freiheit, um in andere Länder zu reisen . Er ist natürlich ein Ausweis von Demokratie . Ich frage mich manchmal, wie es gewesen wäre, wenn ich in dem Land weitergelebt hätte, in dem ich geboren bin und das es zum Glück nicht mehr gibt, was da heute auf dem Pass stehen würde . ({16}) Es wäre jedenfalls kein Pass, der verbunden wäre mit Frieden, Freiheit und Einigung . Wenn wir mutig genug sind und wenn wir die Vision verwirklichen wollen, die wir heute auf der Straße erleben, dann wird es vielleicht eines Tages so sein, dass wir nicht mehr darüber diskutieren müssen, ob Herr Özil die Nationalhymne mitsingt . ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin .

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielleicht wird es eines Tages so sein, dass auf unseren Pässen und auf denen unserer Kinder „Europäische Union“ steht und Punkt . Dann kann man gerne Deutsche sein oder Thüringerin und darauf auch stolz sein, aber das eigentlich Verbindende muss das Europäische sein . Das muss die Europäische Union mit ihren Werten, ihrer Menschlichkeit, ihrer Solidarität und ihrem ökonomischen und ökologischen Erfolg sein, meine Damen und Herren . Vielen Dank . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Volker Kauder das Wort . ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ja, es war für Europa keine gute Entscheidung, dass man im Vereinigten Königreich eine Mehrheit für den Austritt aus Europa bekommen hat . ({0}) Aber es war eine schöne Demonstration der Geschlossenheit, dass die 27 sich nicht haben hinreißen lassen, einzelne Abmachungen anzukündigen, sondern gesagt haben: Wir wollen gemeinsam die Verhandlungen mit Großbritannien führen und gemeinsam dafür sorgen, dass die Standards auch eingehalten werden müssen . So hat der Brexit bisher dazu geführt, dass die verbleibenden 27 zu einer Geschlossenheit gekommen sind, die wir in der Vergangenheit immer wieder vermisst haben, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({1}) Deswegen ist es auch richtig, dass am kommenden Samstag der Versuch unternommen wird, gemeinsame Richtlinien für die Verhandlungen zu finden. Als Erstes - das ist ja wohl völlig klar - muss deutlich werden, dass es einen Unterschied bedeutet, ob man Mitglied der EU ist oder nicht . Und dann muss auch deutlich werden, welche Konsequenzen dies hat . Darüber wird nun auch im Detail gesprochen, und es werden schwierige Verhandlungen . Aber genau das, was Großbritannien versucht, nämlich die Zukunft der Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien mit den Austrittsverhandlungen zu vermischen, darf nicht geschehen . Es muss zunächst einmal klar sein, welche Konsequenzen der Brexit hat, und dann reden wir miteinander darüber, wie die Zusammenarbeit in Zukunft aussehen soll . ({2}) Natürlich - die Bundeskanzlerin hat darauf hingewiesen - ist es zwingend, dass auch bei diesen Verhandlungen der Deutsche Bundestag beteiligt wird . Darauf sind wir - das können wir der Bundesregierung auch zusagen - vorbereitet . Auch in der Zeit der Sommerpause, wo wir im Deutschen Bundestag keine regelmäßigen Sitzungen haben, sind wir jederzeit in der Lage, zusammenzukommen, wenn es notwendig ist, um über Fragen zu sprechen, die im Zusammenhang mit den Brexit-Verhandlungen stehen . Der Deutsche Bundestag ist bereit, sich an diesen Verhandlungen zu beteiligen und sich auch entsprechend einzubringen . Dem dient auch der Antrag, den die Koalitionsfraktionen heute vorgelegt haben, in dem deutlich wird, wo wir die Prämissen sehen . Ein zentrales Ziel - und wir erwarten, dass dies in den Verhandlungen deutlich wird - ist für uns, dass in allen Fragen, die mit den Verhandlungen und dem daraus folgenden Vertrag in Zusammenhang stehen, auch in Zukunft der Europäische Gerichtshof zuständig ist, statt, wie die Briten meinen, irgendeine Sonderform . Das muss von Anfang an deutlich werden: Die Rechtskontrolle für die Konsequenzen findet auch in Zukunft beim Europäischen Gerichtshof statt und nicht vor irgendeinem britischen Gericht, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({3}) Natürlich muss eine Antwort auf die Frage gegeben werden: Wie können wir Europa wieder attraktiver machen? Um diese Frage wirklich beantworten zu können, kann man aber nicht eine eigene Ideologie vortragen, sondern muss sich einmal fragen: Was war der entscheidende Grund, der zu der Entscheidung für den Brexit geführt hat? Das war die Freizügigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen . In Großbritannien wurde wegen der 600 000 Polen, die dort arbeiten, eine entsprechende Diskussion begonnen . Da kann ich, an Großbritannien gewandt, nur sagen: Es wird keine besonders gute Zusammenarbeit im wirtschaftlichen Bereich geben, wenn die Personenfreizügigkeit nicht auch in Zukunft eingehalten wird . ({4}) Über diesen ganz zentralen Punkt ist gestritten worden - nicht über Klimaschutz und sonstige Fragen . Wir sollten die Verhandlungen nicht mit etwas belasten, was gar nicht Gegenstand war . Gegenstand war die Personenfreizügigkeit . Auf diese werden wir auch in Zukunft nicht verzichten können; denn sie ist ein wesentliches Element des freien Europas, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({5}) Ich glaube, dass es nicht um solche Detailfragen geht um das auch einmal deutlich zu machen: der Diesel hat beim Brexit nun wirklich keine Rolle gespielt -, ({6}) sondern dass wir uns im Zusammenhang mit dem, was da geschehen ist, in Europa wieder auf einen wichtigen Grundsatz besinnen müssen . Frau Bundeskanzlerin, wir müssen in Europa einmal darüber sprechen: Was soll in Zukunft Europa leisten, und was können genauso gut die Nationalstaaten leisten? ({7}) An dieser Stelle muss ich schon noch einmal auf Folgendes hinweisen: Es gibt Aufgaben, die der Nationalstaat nicht alleine bewältigen kann, weil sie für ihn zu groß sind . Es gibt aber auch Aufgaben, die der Nationalstaat übernehmen kann . Die Sicherung der Außengrenze ist eine Aufgabe für Europa, die Festlegung von Vogelschutzgebieten aber nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({8}) Darüber muss jetzt einmal eine Einigung erzielt werden . ({9}) Wir brauchen also im Zusammenhang mit den Verhandlungen mit Großbritannien eine Aufgabenkritik . Es kann nicht sein, dass sich Europa immer mehr auf kleine Dinge konzentriert und dafür einen Haufen Personal braucht, aber die wirklich große Aufgabe der Sicherung unserer Außengrenze bis zum heutigen Tag noch nicht zufriedenstellend geregelt ist . ({10}) Die Zukunft von Europa wird sich daran entscheiden, ob man erkennt, dass man für die Aufgaben, die man selber nicht erledigen kann, eine Einrichtung hat, nämlich Europa . ({11}) Zweitens . Frau Kollegin Göring-Eckardt, ich bin ja sehr Ihrer Meinung . In der Tat müssen wir in Europa gerade einer jungen Generation Perspektiven geben . Was soll eine junge Generation von Europa halten, wenn die Antwort Jugendarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit ist? Ich bin aber nicht bereit, zu akzeptieren, dass man dann hier erklärt, dafür trage Europa die Verantwortung . ({12}) Europa trägt eine Verantwortung dafür, dass bestimmte Standards, die wir miteinander formuliert haben, nicht eingehalten werden - beispielsweise, dass Haushaltsdisziplin aus politischen Gründen nicht eingefordert wird . Dafür trägt Europa Verantwortung . ({13}) Europa trägt aber keine Verantwortung für die Dinge, bei denen sich die Nationalstaaten ihre eigene Zuständigkeit vorbehalten haben . Ich will noch einmal auf meine Grundsatzthese zurückkommen . Dort, wo die Dinge groß sind und Europa handeln muss, trägt Europa die Verantwortung . Wenn wir gemeinsam vereinbart haben, dass es Bereiche gibt, für die der Nationalstaat zuständig ist, darf man dafür aber auch nicht Europa die Verantwortung geben, sondern muss im Nationalstaat mahnen: Ihr müsst bestimmte Reformen auch umsetzen . - Dass es bei uns in Deutschland so gut funktioniert, hat doch damit zu tun, dass wir Reformen durchgeführt haben, die andere europäische Länder nicht gemacht haben . Man muss immer wieder darauf verweisen, dass solche Reformen zwingend notwendig sind . ({14}) Wenn am kommenden Samstag der europäische Gipfel in Brüssel stattfindet, wird über die eine oder andere wichtige Frage - weil nicht 28 europäische Länder zusammenkommen - nicht beraten werden können; die Bundeskanzlerin hat das bereits angesprochen . Ich halte es aber für zwingend erforderlich, Frau Bundeskanzlerin, dass man im Europa der 28 recht schnell zusammenkommt, um eine gemeinsame Antwort auf die Situation in der Türkei zu finden. Wir alle wissen, dass Entscheidungen über die Verhandlungen mit der Türkei einstimmig gefällt werden müssen . Wenn nun Kolleginnen und Kollegen sagen: „Nicht mit erhobenem Zeigefinger!“, dann kann ich nur erwidern, lieber Herr Kollege Oppermann: Richtig, aber dann sollten wir auch nicht ständig von Deutschland aus öffentlich Ratschläge zum Umgang mit der Türkei geben, bevor wir im Kreis der 28 nicht gemeinsame Grundsätze vereinbart haben . Wenn der Zeigefinger im Zusammenhang mit den Verhandlungen mit der Türkei nicht erhoben werden soll, dann sollte er auch hier nicht erhoben werden . Ich kann nur raten, relativ rasch eine gemeinsame Antwort zu geben . Einen Menschen wie Herrn Erdogan überzeugt nur eines: wenn er auf eine geschlossene Position trifft. Wenn er aber den Eindruck hat, dass er die einzelnen Mitglieder in Europa auseinanderdividieren kann, dann ist das für ihn kein Zeichen der Stärke . Deswegen halte ich die Position der Bundeskanzlerin für richtig, rasch zu einer gemeinsamen Position der 28 in Europa gegenüber der Türkei zu kommen . ({15}) Politik beginnt bekanntlich mit dem Betrachten der Wirklichkeit . ({16}) Manchmal habe ich den Eindruck, dass nicht jeder weiß, dass das so ist . Aber tatsächlich beginnt sie mit dem Betrachten der Wirklichkeit . ({17}) - Bei Ihnen ist das Bewusstsein für die Wirklichkeit durch Ideologie so verdrängt, dass ich mit Ihnen darüber gar nicht rede . ({18}) Ein Teil unserer politischen Wirklichkeit ist die Herausforderung durch den islamistischen Terror . Wir sind uns alle doch darüber im Klaren, dass die Bekämpfung dieses Terrors weder ein Nationalstaat in Europa noch Gesamteuropa leisten können . Vielmehr brauchen wir mehr Anstrengungen . Da ist die NATO ein wesentlicher Teil . Wir haben ein Interesse daran, dass die Briten auch in Zukunft ihren wichtigen Beitrag zur NATO leisten; das wird in den Verhandlungen eine Rolle spielen . Aber es ist auch Tatsache - ich bin gespannt, ob jemand daran etwas ändern will -, dass die Türkei NATO-Mitglied ist . Denjenigen, die sich hier an dieses Rednerpult stellen und sagen: „Das, was für alle NATO-Mitglieder gilt, nämlich dass wir in Rüstungsfragen zusammenarbeiten, gilt für die Türkei nicht mehr“, kann ich nur sagen: Einen größeren Unsinn über die NATO kann man nicht erzählen als mit diesem Satz . ({19}) Wir müssen mit der Türkei natürlich darüber reden, wie es dort zugeht . Aber gleichzeitig kann man der Türkei nicht sagen: In der NATO gibt es Mitglieder erster und zweiter Klasse . - So werden wir den Kampf gegen den IS nicht gewinnen . ({20})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Kauder, darf die Kollegin Hänsel eine Zwischenfrage stellen?

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, die Kollegin Hänsel nicht . ({0}) Wir haben also eine Reihe von großen Herausforderungen vor uns, deren Bewältigung und das, was jetzt in Europa gemacht wird, über das Leben unserer Bürgerinnen und Bürger und über unseren Wohlstand entscheiden . Da kann ich nur mahnen: Redet nicht zu kleinkariert über einzelne Themen! Macht Europa nicht kleiner, sondern reden wir über die großen Herausforderungen, die Europa bewältigen muss . Wenn Europa die besteht, dann bekommt Europa auch wieder Zustimmung . Wenn Europa aber die großen Herausforderungen nicht besteht und sich in kleinlichen, ständig neuen Regularien und Gesetzesvorhaben erschöpft, dann wird dieses Europa keine gute Zukunft haben . ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Hänsel bekommt jetzt die Möglichkeit zu einer Kurzintervention . Bitte schön, Frau Hänsel .

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Herr Kauder, ich musste zu diesem Mittel greifen, weil das, was Sie hier bezüglich der Rüstungsexportpolitik gegenüber der Türkei erzählt haben, wirklich hanebüchener Unsinn ist . Sie haben hier unsere Position angegriffen und gesagt, Ihr Ziel sei der Kampf gegen den islamistischen Terror . Das CDU-geführte Innenministerium hat uns im letzten Jahr geantwortet, dass die Türkei eine Drehscheibe für Unterstützergruppen des islamistischen Terrors ist . Dennoch argumentieren Sie hier, weil die Türkei in der NATO sei, brauche sie trotzdem weiterhin Waffen? Wir halten es für völlig unverantwortlich, ein Land, das nachweislich islamistische Terrorgruppen unterstützt, auch noch mit deutschen Waffen auszustatten. Dazu hätte ich gerne eine Stellungnahme von Ihnen . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Barley . ({0})

Dr. Katarina Barley (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004247, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Gäste! Trotz meiner knappen Redezeit möchte ich die Gelegenheit ganz kurz dazu nutzen, der Kollegin Dorothee Schlegel zum Geburtstag zu gratulieren . Sie ist nämlich eine besonders engagierte Europäerin aus unserem Hause . ({0}) Der Tag des britischen Referendums war definitiv eine Niederlage für die europäische Idee . Ich glaube, darin sind wir uns alle einig . Es lohnt sich aber dennoch, einmal zu schauen: Warum ist es dazu gekommen? Wie ist es dazu gekommen? Ich will Ihnen gerne eine Erfahrung aus meinem persönlichen Bereich schildern . Die meisten hier wissen wahrscheinlich inzwischen, dass ich auch die britische Staatsangehörigkeit habe . ({1}) Weil in Großbritannien ebenso wie sonst in Europa niemand vorher absehen konnte, was der Brexit ganz konkret bedeutet, habe ich mir in meiner Eigenschaft als britische Staatsangehörige erlaubt, in der britischen Presse die Anregung zu unterbreiten, ob man nicht erst einmal verhandelt und dann, wenn man das Verhandlungsergebnis absehen kann, ein neues Referendum durchführt . Die Reaktionen, die ich darauf aus Großbritannien bekommen habe, waren wie folgt: Es gab natürlich vereinzelt Zustimmung, aber ich habe vor allen Dingen einen wahnsinnigen Shitstorm bekommen . Wenn man diesen liest, wird einem klarer, was in Europa eigentlich los ist . Ich glaube, wir müssen das ernst nehmen, weil das nicht nur in Großbritannien so ist, sondern auch in anderen Staaten der Europäischen Union . Da werden ganz viele Fehlinformationen weitergetragen, da werden Vorurteile bestätigt . Ein Satz hat mich aber besonders beeindruckt: Wir haben Deutschland doch nicht militärisch besiegt, um uns jetzt wirtschaftlich über den Tisch ziehen zu lassen . - Das war ein Motiv, das immer wieder kam . Ich will jetzt nicht sagen, dass das stimmt . Ich will nur sagen: Die Wahrnehmung bei viel zu vielen Menschen ist, dass diese Europäische Union nicht für sie da ist, dass das ein Projekt ist, bei dem es um andere geht, bei dem es um Staaten, um Besserverdienende, um Wirtschaft geht, aber bei dem es nicht um ihre Interessen geht . Deswegen ist unsere wichtigste Aufgabe, das Vertrauen der Menschen in die Europäische Union wiederherzustellen . Dafür ist entscheidend, dass unsere eigenen Politiker und Minister nicht wie Schulmeister durch die Europäische Union gehen und Hausaufgaben und Noten an andere Mitgliedstaaten verteilen . Die EU wird scheitern, wenn sie von Politikern geführt wird, die nur in Bilanzen und in Durchschnittswerten denken, die nicht verstehen, dass hinter Bruttoinlandsprodukten und Staatsschuldenquoten Menschen stehen - Menschen, die oft weder Einfluss darauf hatten noch verstehen, wer ihnen die Suppe eingebrockt hat, die aber spüren, dass die EU ihnen nicht dabei hilft, ihre Probleme zu lösen und ihr Leben leichter zu machen . ({2}) Ich habe so wenig Zeit; deswegen muss ich schnell reden . Wir müssen den Mut haben, zu sagen, dass wir als Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht nur Verantwortung für unseren eigenen Staat übernehmen, sondern auch für die anderen Staaten . Das ist ein Stück weit wie in der Familie . Die funktioniert auch nicht nur dann, wenn man an sich selber denkt, sondern man muss die anderen mitdenken . Es ist eben an der Zeit, dass sich Europa den großen sozialen Fragen zuwendet . Frau Wagenknecht, Sie haben klargemacht, dass Sie von der EU wirklich überhaupt keine Ahnung haben: Es gab nie ein soziales Europa . Wir sind auf dem Weg dahin . Das ist ein historischer Weg . Die EU ist entstanden aus einer Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft, und wir müssen in und mit der Europäischen Union dafür kämpfen - das ist der Punkt -, dass es ein soziales Europa gibt, und wir dürfen nicht gegen sie kämpfen . Das haben Sie immer noch nicht kapiert . ({3}) Europa ist das, was wir aus Europa machen, wir Menschen, wir Mitgliedstaaten . Wir müssen eine neue Begeisterung für Europa wecken . Wir sehen das im Moment: junge Menschen, alte Menschen, die auf die Straße gehen . Pulse of Europe ist in aller Munde . Die Europäische Union kann nicht klappen - das spüren diese Menschen -, wenn wir ein Klub von 27 Egoisten sind, wenn sich 27 egoistische Regierungschefs zusammenfinden und jeder nur für sein Land das Größte herausschlagen will . Was passiert, wenn die Leute das Gefühl haben, dass Europa nicht für sie da ist, das sehen wir jetzt in Frankreich wie durch ein Brennglas . Es gibt die einen, die sagen: „Wenn schon Egoismus, dann richtig, dann nationalistisch, dann autoritär; dann gehen wir volle Lotte auf die autoritäre Rechte .“ Es gibt andere, die sagen: Wir wählen den Einzigen, der sich wirklich pro Europa ausspricht . - Trotz aller Schwierigkeiten, die man im Einzelnen mit der Politik von Herrn Macron haben kann, bleibt festzuhalten: Er hat ganz klar gesagt: Was wir brauchen, ist eine ganz starke Europäische Union, in der wir miteinander Verantwortung füreinander übernehmen . - Sie werden es mir nachsehen, dass ich auch deswegen so froh bin, dass die Sozialdemokratische Partei Deutschlands zu ihrem Vorsitzenden und zu ihrem Kanzlerkandidaten einen überzeugten Europäer gewählt hat, der nicht nur mit Verstand, sondern auch mit Herz und mit Leidenschaft diese grundeuropäische Idee vertritt und der weiß, dass man sie verändern muss, der aber auch weiß, wo man sie anpacken muss . ({4}) Ich freue mich sehr darauf, mit Macron und mit Martin Schulz eine neue europäische Idee aufbauen zu können . Vielen Dank . ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Gerda Hasselfeldt für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass mit Großbritannien ein Mitgliedstaat aus der Europäischen Union ausscheidet, das war für viele von uns zunächst gar nicht vorstellbar . Ich bedauere diese Entscheidung; aber wir haben sie zu respektieren . Wir haben nach vorne zu blicken, und wir haben die Gespräche und Verhandlungen konstruktiv und zielgerichtet zu führen . Wir haben sie immer im Interesse der Menschen in Europa zu führen . Wir haben sie zu führen im Blick darauf: Was bedeutet dieser Austritt für die Arbeitsmöglichkeiten, für die Ausbildungsmöglichkeiten, für die Studienmöglichkeiten der Menschen? Was bedeutet dieser Austritt für die wirtschaftliche Entwicklung in Europa, in unserer Heimat? Welche Auswirkungen hat dieser Austritt auf die Arbeitsplätze und damit auf die Menschen? Wir haben sie mit Blick auf die Zusammenarbeit in den Fragen der Sicherheit unseres Landes zu führen, mit Blick auf die Fragen der Zusammenarbeit in der Forschung und Wissenschaft . Das alles hat enorme Auswirkungen - nicht in Rechtstexten, nicht irgendwie theoretisch, sondern ganz konkret auf die Menschen in unserer Heimat, und mit Blick darauf müssen die Verhandlungen geführt werden . ({0}) Bisher hat sich schon gezeigt, dass es ein großes Einvernehmen zwischen den 27 Mitgliedstaaten und den EU-Institutionen in Bezug auf die Zielsetzung und auf die Verhandlungslinie gibt - etwas, was in der Europäischen Union nicht bei allen Themen gleich von Anfang an Usus ist . Es wurden keine Vorverhandlungen betrieben, es wurden keine Einzelaspekte herausgegriffen. Vielmehr gibt es ein Einvernehmen unter den 27 Mitgliedstaaten . Ich finde, das ist ein hervorragendes Signal. Es ist der Geist, der Europa guttut, der Europa auch guttun würde bei so manchen anderen Themen. Deshalb hoffe ich, dass dieses Einvernehmen, gemeinsam zu verhandeln, sich nicht nur auf die Verhandlungen zum Brexit bezieht, sondern auch zur Grundlage für vieles andere wird, was in Europa zu entscheiden ist . ({1}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass es notwendig ist, sich auch über das im Klaren zu sein, was am Ende steht . Auch wenn der Brexit, das Ausscheiden von Großbritannien, für viele schmerzhaft ist und auch wenn manche das für falsch halten, muss für uns klar sein: Am Ende darf nicht ein zerrüttetes Verhältnis zwischen der EU auf der einen Seite und Großbritannien auf der anderen Seite stehen, sondern am Ende muss es zur Fortsetzung der guten, der erfolgreichen und der vertrauensvollen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Großbritannien kommen . Das sollte die Zielsetzung sein, auf die wir uns in den nächsten zwei Jahren hinbewegen . ({2}) Worum geht es? Es geht zum Ersten darum, dass die Rechtsposition für die Bürger - für die vielen EU-Bürger, die in Großbritannien leben und arbeiten, zugleich aber auch für die Briten, die in den europäischen Staaten leben und arbeiten - klargestellt wird . Es geht zum Zweiten darum, Klarheit und Planungssicherheit für die Wirtschaft zu schaffen, und dabei geht es nicht darum, dass wir irgendwelchen Konzernen etwas Gutes tun, sondern darum, die Arbeitsplätze für die Menschen in unserem Land zu sichern und die Grundlagen für eine weitere gute wirtschaftliche Entwicklung in unserer Heimat zu legen . Darum geht es, wenn wir Rechtssicherheit, Planungssicherheit und Klarheit in dieser Frage einfordern . ({3}) Natürlich muss dabei gelten, dass ein Nichtmitglied nicht dasselbe ist wie ein Mitglied . Natürlich muss dabei gelten, dass Rechte und Pflichten ausgewogen verteilt sein müssen . Das wird nicht einfach sein . Es wird über all die Fragen des Binnenmarkts und der Freizügigkeit, über all das, was heute schon Gegenstand der Diskussion war, ernsthaft diskutiert werden müssen - das wird sicher eine schwierige Angelegenheit -, aber immer mit Blick darauf: Was nutzt den Menschen? Wir dürfen uns nicht davon leiten lassen, irgendeine Form von Bestrafung vornehmen oder eine Emotion loswerden zu wollen, weil wir mit dieser Entscheidung von Großbritannien vielleicht nicht so ganz einverstanden waren . Es wird natürlich auch darum gehen: Wie geht es weiter? Wie gehen wir mit den finanziellen Verpflichtungen um? Wie gehen wir mit den Programmen auf EU-Ebene um? Ein ganz wesentlicher Punkt wird auch sein, das weiterzuführen, was außerhalb des Binnenmarkts schon erreicht worden ist: die Zusammenarbeit bei der inneren und äußeren Sicherheit, die Zusammenarbeit bei der Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung, die Zusammenarbeit in Forschung und Wissenschaft . Auch dies gilt es so weiterzuführen, dass es den Menschen und den Ländern jeweils guttut . Ich bedanke mich sehr herzlich, dass die Bundeskanzlerin auch zum Ausdruck gebracht hat: In all diese Verhandlungen auf europäischer Ebene wird das Parlament intensiv mit einbezogen . - Wir stehen dazu bereit . Vorarbeiten für den Verhandlungsprozess sind ja mit unserem Entschließungsantrag, der heute zur Abstimmung steht, schon geleistet worden . Meine Damen und Herren, der Brexit stellt eine Herausforderung, eine Riesenherausforderung für uns alle dar; er bietet aber auch eine Chance . Und machen wir uns nichts vor: Diese Chance müssen wir ergreifen; denn Europa befindet sich einem schwierigen Zustand. Wir haben nationalistische Parteien und Populismus in vielen europäischen Staaten . Wir haben unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungen . Und nicht zu vergessen: Es gibt eine Stimmung im Land, die so nach dem Motto geht: Alles, was gut ist, das ist national gemacht worden, und alles, was kritisch zu sehen ist, wird auf die Europäische Union geschoben . - Deshalb ist es schon wichtig, über die Frage nachzudenken: Wo müssen wir ansetzen? Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, zu sagen, dass in Großbritannien die Entscheidung zum Brexit auch deshalb zustande kam, weil es Missbrauch der Freizügigkeit und daraus resultierend Skepsis gegenüber dieser Freizügigkeit gegeben hat . Das war der Anlass . Deshalb ist es auch richtig, dass die Bundesregierung jetzt zum Beispiel das Thema „Kindergeldbezug von EU-Ausländern hier im Land“ aufgegriffen hat. Deshalb ist es auch richtig, dass wir jetzt zum Beispiel, was den sozialen Missbrauch angeht, Planken insoweit eingezogen haben, als Sozialleistungen erst nach einigen Jahren des Aufenthaltes in Deutschland bezogen werden können . Das, meine Damen und Herren, war noch nicht die ausreichende, aber die richtige Antwort auf so manche Probleme und auf die Skepsis in diesem Punkt . ({4}) Nachdem in der heutigen Debatte gelegentlich angesprochen wurde, dass wir uns in Europa auch mehr um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und um soziale Fragen kümmern müssen, will ich, meine Damen und Herren, deutlich sagen: Auch ich bin dafür, dass alle Menschen in Europa einen Arbeitsplatz haben, dass alle die Möglichkeit haben, sich ihren Talenten entsprechend zu qualifizieren und ausbilden zu lassen. Auch ich bin dafür, dass Armut in allen Regionen bekämpft wird . Auch ich bin dafür, dass Familie und Beruf gut zu vereinbaren sind . Aber, meine Damen und Herren: Nicht jede Aufgabe in Europa ist eine Aufgabe für Europa! ({5}) Die Nationalstaaten müssen ihre Aufgaben schon selbst bewältigen . Sie müssen ihre Hausaufgaben selbst machen . Darauf müssen wir immer wieder hinweisen . Es kann nicht sein, dass beispielsweise im Rahmen einer gemeinsamen europäischen Arbeitslosenversicherung, wie sie manche fordern, die deutschen Beitragszahler für Defizite in anderen europäischen Staaten, zum Beispiel hinsichtlich Strukturreformen, geradestehen . Das ist nicht mein Verständnis von Europa . ({6}) Meine Damen und Herren, ich war am letzten Sonntag - auf meine alten Tage habe ich das noch einmal versucht - bei einer Demonstration, ({7}) auf der Demonstration von Pulse of Europe in München . Und ich war beeindruckt von den vielen jungen und älteren Menschen, die dort mit Begeisterung für Europa auf die Straße gehen . ({8}) Meine Damen und Herren, das muss uns schon immer wieder deutlich gemacht werden: Auch wenn wir so manches in Europa kritisch sehen - wir haben in dieser Hinsicht ja Aufgaben zu bewältigen -, muss festgehalten werden: Diese europäische Einigung ist eine einzige historische Erfolgsgeschichte . Und diese Erfolgsgeschichte wird nicht dadurch geschmälert, dass jetzt ein Land dabei ist, aus der Europäischen Union auszutreten . Sie wird nicht geschmälert, wenn wir diese Aufgabe richtig und gut bewältigen . Und die Leitlinien, die es dazu gibt, bilden - ergänzt durch den heute von der Koalition in den Bundestag eingebrachten Entschließungsantrag - meines Erachtens eine richtige und gute Grundlage . ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Norbert Spinrath für die SPD-Fraktion . ({0})

Norbert Spinrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004411, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Hasselfeldt, es ist gut, zu hören, dass Sie an Demonstrationen für Europa teilnehmen . Gut wäre es, auch zu hören, dass Sie an Terminen mit Herrn Orban nicht mehr teilnehmen . ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Austrittswunsch des Vereinigten Königreichs ist ein tiefer Einschnitt in die europäische Geschichte . Ich bedaure diesen Schritt, ja, ich halte ihn auch für eine epochale Fehlentscheidung . Aber sie ist aus der Mitte der dortigen Gesellschaft heraus getroffen worden. Ich glaube, es ist beinahe wünschenswert, dass das Volk seine Entscheidung noch einmal revidiert, wenn es nämlich erkennt, dass es vor dem Referendum von denselben Protagonisten systematisch belogen wurde, die sich am Tag danach aus dem Staub gemacht haben, wenn es erkennt, dass seine Regierungschefin zwar markige Worte findet, aber keine wirklichen Lösungen präsentieren kann, und wenn es erkennt, dass es über eine sehr lange Zeit massive Einschnitte in praktisch allen Lebensbereichen hinnehmen muss . Zu Letzterem möchte ich klar und deutlich feststellen: Diese Einschnitte werden nicht das Ergebnis einer böswilligen und strafenden EU sein, sondern das Resultat der Entscheidung einer - wenn auch sehr knappen - Mehrheit des britischen Volkes . ({1}) Frau May muss endlich der Legendenbildung Einhalt gebieten . Ohne ein Umsteuern in der Rhetorik und eine Vorbereitung der britischen Öffentlichkeit auf viele schmerzhafte Zugeständnisse werden die Austrittsgespräche scheitern . Dann würde die EU-Mitgliedschaft ungeordnet enden . Manche nennen das einen „hard Brexit“ . Ich bezeichne es eher als einen „dirty“ oder „chaotic Brexit“ . Das wäre aber weder im Interesse der EU, noch hilft es Großbritannien . Der Schlüssel zu vernünftigen Lösungen liegt in London, nicht in Brüssel, nicht in irgendeiner Hauptstadt der EU und auch nicht in Berlin . Unsere Aufgabe hier ist es, unsere Ziele für den Austrittsprozess festzulegen . Das tun wir heute mit dem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen . Für das Protokoll sage ich aber ausdrücklich auch: Mit diesem Entschließungsantrag nehmen wir gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes zum Entwurf der Leitlinien Stellung . Oberstes Ziel, liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Brexit-Verhandlungen ist die Wahrung der Einheit der Europäischen Union . Deutschland hat eine besondere Verantwortung für die europäische Integration und hat in seiner ganz eigenen Weise von ihr profitiert: historisch, staatspolitisch, ökonomisch . Für Großbritannien darf es bei den Verhandlungen keine Rosinenpickerei geben . Ein zukünftiges Verhältnis kann nicht nur mit Rechten, sondern muss auch mit Pflichten einhergehen. Es darf keine Besserstellung Großbritanniens gegenüber anderen Nichtmitgliedern geben, auch nicht gegenüber Nichtmitgliedern, die in einem besonderen Verhältnis zur EU stehen . Bei allem Verständnis für sehr unterschiedliche Partikularinteressen muss deshalb auch für uns in Deutschland gelten: Wir müssen auch von unserer Seite weiterhin jedem Versuch widerstehen, Rosinenpickerei zu betreiben . Ansonsten können wir erst recht nicht von anderen Mitgliedstaaten, die in einer weniger komfortablen Situation sind, dasselbe erwarten . ({2}) Im Gegenteil: Wir müssen von allen EU-Partnern abfordern, gemeinsam, geschlossen und solidarisch zu handeln . Ich bin angenehm überrascht, dass es derzeit keine wesentlichen Aufweichungstendenzen gibt . Unser Höchstmaß an Solidarität muss aber den Menschen gelten, die als EU-Bürgerinnen und -Bürger in Großbritannien leben, und den britischen Staatsangehörigen, die sich in anderen Ländern der EU aufhalten, um dort zu arbeiten, zu studieren oder den Ruhestand zu genießen . Diesen Menschen droht der Brexit den Boden unter den Füßen wegzuziehen, ihre gesamte Lebensplanung über den Haufen zu werfen . Das darf nicht passieren . Sie dürfen nicht zum Spielball der Verhandlungen werden . Deshalb unterstützen wir das Ziel, die Sicherstellung ihrer Statusrechte zu priorisieren . ({3}) Wir werden sehr nachdrücklich darauf achten, dass niemand unter die Räder des Brexits gerät . Auch wenn es rechtlich und verwaltungstechnisch schwierig bleibt und Zeit braucht: Wir müssen alles dafür tun, so schnell wie möglich hohe Planungssicherheit für die betroffenen Menschen zu schaffen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache mir aber auch Sorgen, dass der Brexit-Prozess alle politischen und administrativen Kapazitäten in der EU bindet . Auch das darf nicht sein . Wir müssen uns parallel zum Verhandlungsprozess auch um die Zukunft der EU kümmern . Das Weißbuch der Kommission und die Erklärung von Rom sind wichtige Diskussionsbeiträge dazu . An beidem müssen wir arbeiten: an einem Brexit, der die Prinzipien und die Einheit der Europäischen Union wahrt und dabei den Schaden für alle Beteiligten gering hält, und an einer Zukunft der EU, die als eine sozial gerechte und wirtschaftlich erfolgreiche Gemeinschaft zu einem handlungsfähigen Akteur auf der Weltbühne wird, um unsere gemeinsamen europäischen Werte zu verteidigen und dem Frieden zu dienen . ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Michael Stübgen für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Michael Stübgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002280, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Neben der Tatsache, dass wir heute - wir haben das schon mehrfach gemacht; das ist jetzt nicht das erste Mal - über die Frage des britischen Austrittsprozesses debattieren und die Bundeskanzlerin mit einer Regierungserklärung öffentlich macht, wie wir als Parlament uns daran beteiligen können und welche strategischen Ziele verfolgt werden, gehen mit dieser Debatte zusätzlich noch zwei Dinge einher, auf die ich kurz eingehen will . Punkt eins . Zu dieser Debatte haben alle Fraktionen des Bundestages Entschließungsanträge zu den vorbereiteten Leitlinien des Europäischen Rates zum Austrittsprozess Großbritanniens aus der Europäischen Union eingereicht; die Grünen sogar zwei - Masse ist nicht in jedem Fall Klasse . Ich gehe davon aus, dass der Koalitionsantrag hier eine deutliche Mehrheit findet. Damit signalisiert der Deutsche Bundestag ganz eindeutig, dass er sich mit den Facetten des britischen Austrittsprozesses und dem, was danach folgen soll und kann, sehr detailliert, sehr intensiv beschäftigen und seine Verantwortung wahrnehmen wird, und zwar unabhängig von der Frage, auf welcher rechtlichen Grundlage der Bundestag dies kann, ob freiwillig oder ob er sogar Beschlüsse fassen muss, weil sich die gesetzliche Grundlage während der Austrittsverhandlungen ändert . Wir werden unsere Verantwortung auf jeden Fall wahrnehmen . Das ist ein deutliches Signal an die deutsche Bevölkerung . ({0}) Punkt zwei . Mit unserem Entschließungsantrag zeigen wir auch: Der Deutsche Bundestag stimmt, und zwar bis in einzelne Details, mit der Strategie der EU 27 und insbesondere mit der Strategie der deutschen Bundesregierung für den Austrittsprozess überein . Es gibt in keinem einzigen Punkt unterschiedliche Auffassungen. Wir als Bundestag unterstützen die EU 27 bei der Verfolgung ihrer Leitlinien . Wir werden sie unterstützen, wenn das Mandat ausgehandelt wird . Und wir senden ein Zeichen der Unterstützung insbesondere an die Bundeskanzlerin im Hinblick auf die wichtigen Beratungen und den Beschluss übermorgen beim Europäischen Rat der 27 . ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, am Sonnabend, wenn also die Leitlinien der EU 27 zum Austrittsprozess beschlossen sind, beginnt die zweite Phase des britischen Austrittsprozesses . Die erste Phase währt jetzt schon etwas über zehn Monate. In der breiten Öffentlichkeit ist nicht bekannt geworden, wie kompliziert dieser Prozess im Kern eigentlich war . Dabei weiß jeder Insider, dass der britische diplomatische Dienst unmittelbar nach dem Referendum in Großbritannien den Versuch unternommen hat, mit einigen Ländern der EU 27 einzelne besonders problematische Themen des Austrittsprozesses, die die jeweiligen Länder betrafen, separat zu diskutieren und zu klären . Es ist ja eine Tatsache, dass die Probleme mit dem Austritt Großbritanniens in Polen andere sind als in Deutschland, als in Spanien, als in Zypern . Hier könnte man alle 27 EU-Mitgliedsländer aufzählen . Die Strategie der britischen Regierung ist dabei ziemlich einfach durchschaubar: Sie hat das Ziel verfolgt, eine möglichst uneinheitliche EU 27 zu haben, möglichst auch zerstritten in dieser Frage, um ein leichtes Spiel mit uns zu haben und ihre nationalen Ziele nach dem Austritt selbst besser durchsetzen zu können . Wenn übermorgen die einheitlichen und detaillierten Leitlinien der 27 Staats- und Regierungschefs beschlossen werden, ist dieser Versuch der britischen Regierung allerdings endgültig gescheitert . Zu einem Punkt von alldem, was gerade heute von den Linken erzählt wurde, will ich noch etwas sagen: Natürlich ist die Europäische Union insgesamt in vielen Bereichen in einer schwierigen Phase, teilweise auch zerstritten, teilweise ein bisschen zerrüttet; aber die EU 27 zeigt übermorgen deutlich, dass sie da, wo es darauf ankommt, in der Lage ist, einheitlich und klar zu agieren . Das ist einen Beifall für die EU wert . Deswegen glaube ich: Wir werden diesen Austrittsprozess meistern . ({2}) Lassen Sie mich noch zwei Dinge ansprechen, die als wesentliche Bestandteile für den Austrittsprozess in den Leitlinien definiert werden. Als Erstes komme ich zu der fundamentalen Frage der Rechte der Bürger . Wenn Sie, Frau Kollegin GöringEckardt, da vielleicht zuhören könnten . - Danke . Es nützt nämlich nicht, wie Sie hinsichtlich der Rechte der Bürger Scheinlösungen zu fordern . Ich will das kurz erklären: Ungefähr 3 Millionen Unionsbürger leben und arbeiten in Großbritannien, ungefähr 1 Million britische Bürger in der Europäischen Union, davon allein 300 000 in Deutschland . Den 3 Millionen Unionsbürgern, die in Großbritannien leben, hilft der von Ihnen geforderte Doppelpass gar nicht, den 1 Million britischen Bürgern, die in der Europäischen Union leben, im Allgemeinen auch nicht . Er hilft maximal vielleicht den 300 000 in Deutschland lebenden Briten . Die Forderung nach einem Doppelpass ist aber auch falsch . Der richtige Ansatz hingegen - das ist auch der der Bundesregierung - besteht nämlich in einer einheitlichen Regelung für alle: sowohl für alle britischen Staatsbürger, egal ob sie in Deutschland, in Polen, in Spanien oder woanders in der EU wohnen, als auch für alle EU-Bürger, seien es deutsche, polnische oder etc ., die in Großbritannien wohnen . Der richtige Ansatz ist: Wir müssen versuchen, einheitliche Regelungen - kaum einer kennt die komplizierten Regelungswerke der Europäischen Union - zu erreichen, zum Beispiel in der Frage der Sicherheit von Rentenansprüchen im Heimatland und im Wohnsitzland, zum Beispiel in der Frage der Sicherung der Gesundheitsversorgung, zum Beispiel in Krankenversicherungsfragen, zum Beispiel hinsichtlich der Ansprüche auf soziale Leistungen . Wir müssen verhindern, dass all dies ersatzlos wegfällt, und müssen - bei allem, was notwendig ist - dafür sorgen, dass der bisherige Status bzw . Standard so weit wie möglich erhalten werden kann . Es hat allerdings keinen Zweck, den Menschen vorzumachen, wir könnten denselben Status wie bisher gewährleisten . Aber wir müssen den Schaden, der aufgrund des Austritts Großbritanniens entsteht, so gering wie absolut nötig halten . Das ist der wesentliche Ansatz . Weitere Punkte sind natürlich die Verpflichtungen Großbritanniens sowie Wirtschaft und Handel .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege .

Michael Stübgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002280, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich weiß, es blinkt hier schon . Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Detlef Seif . ({0})

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Einigkeit macht stark . Deshalb begrüßen die Koalitionsfraktionen mit ihrem Entschließungsantrag ausdrücklich das geschlossene Auftreten der Europäischen Union . Verhandlungen dürfen nur in den vorgesehenen Verhandlungskanälen erfolgen . Separate Verhandlungen des Vereinigten Königreichs mit den einzelnen Mitgliedstaaten zum Brexit gab es nicht und wird es auch nicht geben . Die Verhandlungsleitlinien, die der Europäische Rat übermorgen beschließen wird, machen deutlich, dass die Europäische Union und die anderen Mitgliedstaaten an einer weiteren starken und konstruktiven Zusammenarbeit interessiert sind und auch ein faires Abkommen anstreben . Jetzt ist leider unsere Kollegin Wagenknecht nicht mehr im Saal, aber sie hat vorhin behauptet, es werde ein Abkommen angestrebt, das negativ sei und Großbritannien bestrafe . Ich weiß nicht, ob sie den Leitlinienentwurf gelesen hat . Wenn ja, dann hätte sie festgestellt, dass hinsichtlich Form und Inhalt genau das Gegenteil der Fall ist . ({0}) Die Leitlinien lassen nämlich eine flexible Vorgehensweise zu, um Unsicherheiten und Verwerfungen, die das Brexit-Verfahren ganz klar mit sich bringt, weitestgehend auszuschließen . Das ist auch dringend erforderlich; denn in der Nettozeit von 15 Monaten, die für die eigentlichen Verhandlungen zur Verfügung stehen, wird man nicht im Ansatz alle Vereinbarungen zu wichtigen Punkten treffen können, die erforderlich wären. Deshalb sehen die Leitlinien neben Übergangsregelungen sogar die zeitlich begrenzte Verlängerung des EU-Besitzstandes für Großbritannien vor . Auch die Bereitschaft, Großbritannien im Hinblick auf Handelsverträge, die die EU mit Drittstaaten geschlossen hat, zu unterstützen, indem man versucht, sie im Nachhinein, nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU, weiter wirken zu lassen, ist sehr wichtig . Denn sonst würde Großbritannien hier in ein Loch fallen . Man muss doch anerkennen: Es gibt eine grundsätzlich positive Grundhaltung der EU . - Aber bei aller positiver Grundhaltung der Europäischen Union und der anderen Mitgliedstaaten ist für den Deutschen Bundestag eines klar: Sowohl Übergangsregelungen als auch ein Folgeabkommen müssen zwingend auf dem Grundsatz fairer Spielregeln und fairer Wettbewerbsbedingungen beruhen . Die Finanzmarktstabilität der Europäischen Union darf in keiner Phase des Verfahrens infrage gestellt werden . Es findet auch breite Zustimmung, dass die Verhandlungen zweistufig ablaufen. Als erstes sind Fragen des geordneten Austritts zu klären, erst danach kann es um das künftige Verhältnis gehen . Das ist hier im Einzelnen auch schon dargelegt worden . Die Rechte der Bürger sind ganz wichtig, die Rechtssicherheit für die Wirtschaft ist wichtig, um Verwerfungen auszuschließen; aber auch die Klärung von Grenzfragen, insbesondere aufgrund der fragilen Situation zwischen Nordirland und Irland, steht bei uns ganz oben auf der Agenda . Großbritannien darf sich allerdings keinen schlanken Fuß machen und sich davor drücken, Verpflichtungen, die eingegangen wurden und eingehalten werden müssen, zu erfüllen . Natürlich würde Theresa May gerne direkt über Folgevereinbarungen sprechen über das, was die künftigen Beziehungen angeht; aber das werden wir ihr nicht durchgehen lassen . Es ist deshalb richtig, dass wir eine erste Phase vorschalten . Wir erwarten von Großbritannien ein deutliches Signal der Vertrauensbildung in diesem Punkt . ({1}) Es stellt sich dann die Frage: Wie kann das zukünftige Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU überhaupt aussehen? Die Formulierungen kennen wir: Kein Europa à la carte! Kein Rosinenpicken! - Und wir wissen: Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union muss immer einen Mehrwert haben . Aber, meine Damen und Herren, der Teufel steckt im Detail . Das Brexit-Verfahren sollten wir als Chance begreifen, die Zusammenarbeit mit Drittstaaten grundsätzlich neu zu überdenken und gegebenenfalls neue Instrumente zu schaffen. ({2}) Das Schweizer Modell, das norwegische Modell oder übliche Handelsabkommen sind nicht in Stein gemeißelt; vielmehr gibt es auch andere Möglichkeiten . Großbritannien strebt eine maßgeschneiderte Regelung an . Grundsätzlich spricht auch nichts dagegen . Das setzt aber voraus, dass Rechte und Pflichten, dass Leistungen und Gegenleistungen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen . Vor allem darf der Zusammenhalt der Europäischen Union nicht gefährdet werden, und auch die Autonomie der Europäischen Union und ihre Rechtsordnung, einschließlich der Rolle des Europäischen Gerichtshofs, sind zu gewährleisten . Das Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit der Ukraine, das zwar eine Marktöffnung, aber keine Freizügigkeit vorsieht, könnte als Blaupause für die Entwicklung maßgeschneiderter Vereinbarungen mit Drittstaaten dienen. Seien wir offen für flexible Lösungen. Vielen Dank . ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- ßungsanträge . Zunächst kommen wir zum Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf der Drucksa- che 18/12135 . Wer stimmt für diesen Entschließungsan- trag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Entschließungsantrag mit der Mehrheit der Koali- tionsfraktionen angenommen . Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/12136 . Wer stimmt diesem Antrag zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt . Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/12137 . Wer stimmt die- sem Entschließungsantrag zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch hier ist der Antrag bei Zustim- mung des Antragstellers und bei Ablehnung der übrigen Fraktionen abgelehnt . Es gibt einen weiteren Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksa- che 18/12138 . Wer stimmt für diesen Entschließungsan- trag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der Oppositionsfraktionen abgelehnt . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 d auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen Drucksachen 18/11233, 18/11531, 18/11683 Nr. 8 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0}) Drucksache 18/12128 b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften ({1}) Drucksachen 18/11132, 18/11184 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({2}) Drucksache 18/12127 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Lisa Paus, Britta Haßelmann, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine Bundessteuerverwaltung - Gleiche Grundsätze von Flensburg bis zum Bodensee Drucksachen 18/2877, 18/12127 d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr . Sahra Wagenknecht, Dr . Dietmar Bartsch, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Illegale Finanzbeziehungen bekämpfen Steueroasen austrocknen Drucksache 18/8132 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Dazu höre ich keinen Widerspruch . Also können wir so verfahren . Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Mathias Middelberg für die CDU/ CSU-Fraktion . ({4})

Dr. Mathias Middelberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank, Herr Präsident . - Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich beginne mit einem Zitat und bitte um Aufmerksamkeit: „Wenn der kleine Bäckerladen anständig und selbstverständlich seine Steuern zahlt und dadurch unser Gemeinwesen finanziert, der globale Kaffeekonzern sich aber davor drückt und sein Geld in Steueroasen parkt, dann geht es nicht gerecht zu“ in diesem Land . ({0}) Das ist eine zutreffende und richtige Erkenntnis des Kanzlerbewerbers der SPD bei seiner Nominierungsrede Ende Januar . ({1}) Daraus zog der Kollege Schulz den Schluss, Steuerflucht müsse ein zentrales Wahlkampfthema werden . Die erste Erkenntnis war richtig, die zweite halte ich für weniger durchdacht . ({2}) Der Kollege Schulz stellt damit auch Ihre Arbeit quasi unter den Scheffel; denn wir arbeiten hier seit Jahren an der Bekämpfung der Steuerflucht, und zwar, wie ich glaube, mit großem und gutem Erfolg . ({3}) Das werde ich Ihnen jetzt im Einzelnen auseinanderdividieren . Fangen wir einmal an: Vor über sechs Jahren, im Jahr 2011, hat unser Finanzminister Wolfgang Schäuble gemeinsam mit seinem britischen und seinem französischen Kollegen das Projekt gegen die Aushöhlung von Steuerbemessungsgrundlagen und gegen Gewinnverlagerungen - wir kennen das als BEPS-Projekt auf OECD- und G-20-Ebene initiiert . ({4}) Dort sind Regeln gegen die kreative Steuergestaltung der internationalen Konzerne festgelegt . ({5}) Seitdem setzen wir hier regelmäßig und Schritt für Schritt Maßnahmen gegen den illegalen Steuerbetrug und gegen die legale Steuervermeidung um . Ich nenne Folgendes exemplarisch: Im Oktober 2014 hat Wolfgang Schäuble hier in Berlin den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten initiiert . Über 100 Staaten sind diesem Abkommen mittlerweile beigetreten . In Zukunft wird es nicht mehr möglich sein, dass ein deutscher Steuerbürger ein Auslandskonto eröffnet und wir in Deutschland davon nichts erfahren . Diese Dinge werden automatisch gemeldet . Fälle wie Uli Hoeneß oder Alice Schwarzer, über die wir in diesem Hause intensiv diskutiert haben, sind in Zukunft nicht mehr möglich . ({6}) Das ist bisher das effizienteste Vorgehen gegen Steuerbetrug international, und das geht auf die Initiative des Finanzministers Wolfgang Schäuble zurück . ({7}) 2016 haben wir hier das Gesetz zur Umsetzung der EU-Amtshilferichtlinie beschlossen und damit den automatischen Informationsaustausch über die Tax Rulings das sind die Steuerabsprachen - initiiert . Wir kennen alle die Diskussionen über Lux-Leaks, die wir auch hier im Hause intensiv geführt haben . Ich meine, das müsste auch Herr Schulz mitbekommen haben . Er war ja live vor Ort . Irgendwie hat er aber nicht mitbekommen, dass wir ein Gesetz auf den Weg gebracht haben, um dafür zu sorgen, dass Lux-Leaks in Zukunft nicht mehr nötig sind . Wir haben mit diesem Gesetz auch das Country-by-Country Reporting gegenüber den Steuerbehörden beschlossen . Das sorgt demnächst für absolute Transparenz über die steuerlichen Sachverhalte der Unternehmen in den verschiedenen Ländern und ermöglicht eine faire Besteuerung . Heute beschließen wir den Entwurf des Steuerumgehungsbekämpfungsgesetzes . Es ist gegen die Briefkastenfirmen in Steueroasen gerichtet; Stichwort „Panama Papers“ . Dazu wird gleich mein Kollege Feiler das Nähere ausführen . Und wir beschließen den Entwurf gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen. Dabei geht es um Kaffeehausketten wie Starbucks; wir nennen sie hier einmal Buckstars . Buckstars ist in Deutschland tätig, hat viele Filialen, verdient hier viel Geld und müsste eigentlich auch gute Steuern zahlen . Buckstars hat aber irgendeine Partneroder Tochtergesellschaft im Ausland, in den Niederlanden, in Irland - konzernintern -, und zahlt für Lizenzen dahin Geld . Das führt dazu, dass die Gewinne von Buckstars in Deutschland gemindert werden . Deswegen zahlen die hier effektiv wenig Steuern. Das wäre noch okay, wenn sie für die Lizenzeinnahmen im Ausland, in den Niederlanden oder in Irland, adäquat zur Kasse gebeten würden . Das ist aber leider auch nicht der Fall . Das heißt, am Ende zahlt dieser Konzern ganz wenig Steuern . Das ist ungerecht, und das ist wettbewerbsschädlich, vor allen Dingen auch gegenüber unseren Mittelständlern hier in Deutschland . ({8}) Deswegen gehen wir jetzt mit einer Lizenzschrankenregelung dagegen vor . Das ist das gleiche Prinzip wie bei der Zinsschranke . ({9}) Die Zinsschranke funktioniert, und die Lizenzschranke wird in adäquater Weise funktionieren . Wer im Ausland nicht mindestens 25 Prozent Steuern zahlt, der kann das, was er im Ausland für irgendwelche Rechte oder Lizenzen zahlt, bei uns dann demnächst nicht mehr steuermindernd geltend machen . Es ist richtig, dass wir das so regeln . Deswegen - damit komme ich schon zum Schluss verabschieden wir heute zum wiederholten Mal grundlegende Gesetze - heute sind es zwei -, die gegen Steuerflucht und für mehr Steuergerechtigkeit äußerst wirksam sein werden . Uns wäre lieb, wenn Sie dem Kollegen aus Würselen vielleicht einmal eine Kopie dieser Vorlagen zur Verfügung stellen würden; dann wäre er im Hinblick auf den Wahlkampf besser informiert . Herzlichen Dank . ({10})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist jetzt für die Fraktion Die Linke die Kollegin Susanna Karawanskij . ({0})

Susanna Karawanskij (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004322, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Gäste! Die Empörung im Fall Uli Hoeneß, Fußballboss und bekannter Steuerhinterzieher, war ziemlich groß, allerdings auch verhältnismäßig kurz . ({0}) Man kann den Eindruck gewinnen, dass eine Art Gewöhnungsprozess eingetreten ist und dass akzeptiert wird, dass Superreiche und Unternehmen den Staat jährlich um Milliarden von Euros an Steuern betrügen . Panama Papers, Offshore-Leaks, Lux-Leaks, Cum/Ex- und Cum/ Cum-Geschäfte - die Liste ließe sich leider noch weiter fortsetzen . An dieser Stelle möchte ich für uns Linke ganz klar sagen: Steuerhinterziehungen und Steuervermeidung sind kriminell . Nach wie vor ist das für uns ein Megaaufreger . ({1}) Wir werden nicht annähernd so lange tatenlos zusehen, wie es die CDU/CSU-Fraktion in dieser Legislaturperiode getan hat . Die Gesetzentwürfe, die heute aller Voraussicht nach verabschiedet werden, gehen in die richtige Richtung . ({2}) Aber wie immer muss die Bundesregierung erst zum Jagen getragen werden . Das kommt tatsächlich alles mit einer zeitlichen Verzögerung und nur aufgrund des Drucks im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Panama Papers . Gemessen daran, wie schnell andere Gesetze durch den Bundestag getrieben werden - Stichwort Asylverschärfung -, ist das hier schon fast Schneckentempo . ({3}) Auch haben die Gesetze immer noch klare Schwächen . Es gibt Lücken, und ein Großteil der Fälle von Steuerumgehungen wird überhaupt nicht erfasst . Ich möchte an dieser Stelle einige Schwächen deutlich machen: Die Anzeigepflicht für Steuerpflichtige über Geschäftsbeziehungen zu Drittstaatengesellschaften, also Gesellschaften außerhalb der Europäischen Union, auf die sie beherrschenden Einfluss haben, und zwar unabhängig davon, ob sie am Unternehmen formal beteiligt sind oder nicht, ist erst einmal positiv zu bewerten . Aber die Anzeigepflicht greift erst für nach 2017 verwirklichte Sachverhalte . Das heißt, Sie schreiben hier einen Straferlass für bisherige Steuersünder fest . Das ist mit uns Linken nicht zu machen . ({4}) Ebenso halten wir die Mitteilungsverpflichtung von Berufsgruppen wie Anwälten, Steuerberatern oder für Wirtschaftsprüfungsgesellschaften für falsch und halbherzig . Das Zauberwort muss doch grundsätzlich Transparenz heißen . Wir brauchen keine Transparenz nach Gutdünken oder Willkür der Bundesregierung, sondern wir brauchen umfassende Klarheit . Deswegen fordern wir als Linke ein öffentliches Transparenzregister aller wirtschaftlich Berechtigten von Unternehmen bzw . Trusts . ({5}) Kommen wir zum Bußgeldrahmen für die Steuerpflichtigen. Er wird zwar angehoben, ist allerdings viel zu brav . Meinen Sie tatsächlich, dass 25 000 Euro bzw . 50 000 Euro Milliardäre oder Finanzfirmen, die damit beschäftigt sind, Milliardenbeträge verschwinden zu lassen, erzittern lassen oder in Angst versetzen? Das ist naiv und nicht angemessen . ({6}) Eine weitere Schwäche in Ihrem Gesetzentwurf ist, dass der Großteil der Informationspflichten nur in Bezug auf Staaten gilt, die nicht Mitglied der EU bzw . der EFTA, der Europäischen Freihandelsassoziation, sind . Steueroasen wie Luxemburg und Malta werden komplett ausgespart . Die ganzen Steuerumgehungen, die ganzen Verschachtelungskonstruktionen über europäische Steueroasen - ich denke an die Schweiz und Liechtenstein werden ebenso nicht erfasst . Genau diese Staaten fehlen aber bei keiner Auflistung von schwarzen Konten - Stichwort Bankgeheimnis - bzw . von Möglichkeiten zur Steuerumgehung . An dieser Stelle wollen wir für umfassende Transparenz und Information sorgen . Deshalb lehnen wir es ab, dass europäischen Steueroasen damit eine Art Wettbewerbsvorteil verschafft wird. ({7}) An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen: Mir geht es nicht darum, dass wir pauschal alle Bürgerinnen und Bürger, die ein sechsstelliges, achtstelliges oder höheres Jahreseinkommen haben, kriminalisieren . Aber wir können uns doch bestimmt darauf einigen, dass sich innerhalb der Klientel der Panama Papers nicht ein einziger Hartz-IV-Aufstocker, nicht eine einzige Friseurin oder Krankenpflegerin befindet. Die Steuerbetrüger schaden mit ihrem Verhalten uns allen, da sie sich der Finanzierung der Gesamtheit der Gesellschaft entziehen und öffentliche Güter somit nicht mitfinanzieren. Es ist skandalös, dass Hyperreiche dem Staat eine lange Nase zeigen, während alle anderen ganz normal ihre Steuern zahlen . Das kann doch so nicht weitergehen . ({8}) Da kommt bei uns allen natürlich auch ein Stück weit Frust auf . Mir kommen vor allen Dingen Zweifel an der Steuergerechtigkeit, die Sie gerade so sehr beschworen haben, Kollege Middelberg . Dabei geht es nicht allein um höhere Bußgelder; hier scheint der Großen Koalition der Sinn für die Realität ja komplett abhandengekommen zu sein . Man kann sich auch nicht länger querstellen, wenn wir uns darum kümmern wollen, Steuergerechtigkeit zu schaffen. Wir als Linke wollen die fortschreitende Spaltung unserer Gesellschaft in Arm und Reich stoppen . Dafür brauchen wir Umverteilung von oben nach unten . ({9}) Wir wollen, dass sich alle Menschen an der Gesellschaft beteiligen können, dass aber auch alle Menschen zu ihrer Finanzierung herangezogen werden . Alles andere ist ich habe das schon beim letzten Mal gesagt - Betrug, und zwar Betrug an uns allen bei der Mitfinanzierung der Gesellschaft . ({10}) Nun zu den geplanten Änderungen bei den Lizenzbzw . Patentboxen . Unternehmen nutzen sie im Prinzip für Gewinnverschiebungen . Das geht so: Sie gründen ein Tochterunternehmen, zum Beispiel in einer europäischen Steueroase . Dort müssen sie auf den Gewinn, den das Tochterunternehmen macht, nur geringe Steuern zahlen . Dann überträgt das Unternehmen zum Beispiel die Rechte an der eigenen Marke auf das Tochterunternehmen . Damit es die Marke weiterhin nutzen darf, muss es an das eigene Tochterunternehmen Lizenzgebühren zahlen; so weit, so gut . Diese von dem Unternehmen zu zahlenden Lizenzgebühren werden zum Teil mit dem in Deutschland erwirtschafteten Gewinn verrechnet . Am Ende der Kette zeigt sich - urplötzlich -, dass das Unternehmen kaum bzw . nur geringe Steuern zu zahlen hat und arm wie eine Kirchenmaus ist, während das Tochterunternehmen ein sattes Plus macht, für das es in der Steueroase aber gar nicht so viele Steuern abführen muss . Das klingt ein bisschen absurd und sehr kompliziert, ist für Unternehmen wie Google, Apple, Amazon, Ikea und Microsoft allerdings Tagesgeschäft . Nach langer Zeit legt die Bundesregierung heute einen Gesetzentwurf vor, nach dem die entsprechenden Lizenzgebühren hierzulande nicht mehr grundsätzlich abgesetzt werden können . Aber dieses Modell ist wackelig . Wie sonst lässt sich erklären, dass es bei gerade einmal 650 Unternehmen greift und Steuermehreinnahmen von nur 30 Millionen Euro einbringen soll? Hier besteht das grundlegende Problem, dass nur sogenannte nahestehende Unternehmen erfasst sind . An dieser Stelle lassen Sie den Tricksern und Täuschern meines Erachtens viel zu viel Spielraum . Hier brauchen wir einen breiteren Ansatz . ({11}) Nun zu den Vorschlägen, die wir Ihnen unterbreiten . Wir wollen der Steuerbetrügerszene unter anderem - wir haben viele Punkte aufgeschrieben - eine Bundesfinanzpolizei entgegensetzen; ich drücke das jetzt einmal so aus . Dort sollen Kräfte gebündelt werden, um spezialisierten Anwälten, Finanzberatern und der ganzen Oasenmafia Paroli bieten zu können. Denn dass es die Steuertrickser so leicht haben, liegt vor allen Dingen daran, dass es zu wenig Personal gibt, das ihnen auf die Finger schaut . In der Finanzverwaltung fehlen Tausende Stellen . Die Finanzämter sind flächendeckend um circa 20 Prozent unterbesetzt . Steuerfahnder bringen dem Staat deutlich mehr Geld ein, als sie den Staat Geld kosten . Hier muss endlich gehandelt werden . ({12}) - Darauf habe ich gewartet, dass Sie sagen, dafür seien die Länder zuständig . Das ist total richtig . Aber daran sieht man einfach, dass die von Ihnen eingeführte Schuldenbremse völlig kontraproduktiv ist . ({13}) Sie ist nämlich dafür verantwortlich, dass es in den öffentlichen Haushalten in Ländern und Kommunen keine Gestaltungsspielräume mehr gibt, sodass hier nicht gehandelt werden kann . Meine Damen und Herren, der Anfang ist mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gemacht . Allerdings: Die Probleme rund um die aggressive Steuervermeidung sind längst nicht vom Tisch . Wir müssen am Ball bleiben, um alle Steueroasen Stück für Stück auszutrocknen und alle Menschen an der Finanzierung des Gemeinwohls und unserer Gesellschaft teilhaben zu lassen . Vielen Dank . ({14})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion erhält jetzt der Kollege Carsten Schneider das Wort . ({0})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Middelberg hat diese Debatte mit einem Zitat von Martin Schulz begonnen . Ich beginne meine Rede mit einem Zitat des Heiligen Augustinus, um 400 nach Christus, der sagte, ein Staat ohne Gerechtigkeit sei nichts anderes als eine Räuberhöhle . Ich glaube, dem können wir zustimmen . Gerechtigkeit ist eine der entscheidenden Grundlagen in unserem Land . Die Menschen vertrauen darauf, dass der Staat für Gerechtigkeit sorgt . Die Steuerund Finanzpolitik ist hier das zentrale Element . Herr Middelberg, Sie haben Martin Schulz vorgeworfen - Ihre Sorge muss groß sein, dass Sie sich in Ihrer ganzen Rede an ihm abarbeiten -, nicht zu wissen, was in diesem Land passiert . Er weiß es sehr genau . Das will ich Ihnen erläutern . Für die Gesetze, die wir heute hier verabschieden wollen und die sehr wichtig sind - Frau Karawanskij ist ebenso wie Sie auf die Punkte Gewinnverlagerung und Steuerdumping eingegangen -, waren die Veröffentlichungen der Panama Papers entscheidend . Man muss großen Respekt vor der Arbeit der Journalisten haben und ihnen Dank sagen, dass sie deren Veröffentlichung vorangetrieben haben, wofür sie den Pulitzer-Preis bekommen haben . Es war nicht die Staatengemeinschaft, die das geschafft hat, sondern es sind Journalisten gewesen. ({0}) Wir müssen umso mehr Respekt haben, da auch viele Despoten aus Ländern, in denen keine Demokratie herrscht, ihr Geld größtenteils in diesen Oasen versteSusanna Karawanskij cken. Die Veröffentlichung war eine gewaltige Transparenzinitiative . Das reicht aber nicht . Ich sage Ihnen: Der politische Wille der Unionsfraktion, in den Bereichen Steuervermeidung, Steuerhinterziehung voranzugehen, ist sehr unterentwickelt . ({1}) Ich kann es Ihnen hier nicht durchgehen lassen, dass Sie behaupten, Sie waren diejenigen, die das vorangetrieben haben . ({2}) Im Gegenteil: Sie haben immer den Druck der Öffentlichkeit gebraucht, um überhaupt in diesem Bereich voranzugehen und etwas zu machen . Wenn ich an das deutsch-schweizerische Steuerabkommen denke, das Sie im Bundestag mit Stimmen der Union und der FDP beschlossen haben, muss ich feststellen, dass das das glatte Gegenteil war . ({3}) Wir hätten niemals den automatischen Informationsaustausch bekommen, wenn Sie den Entwurf damals durchgesetzt hätten . Es waren im Bundesrat die SPD und die Grünen ({4}) - die Linken waren damals noch gar nicht irgendwo in der Regierung -, die das gestoppt haben, und zwar allen voran Norbert Walter-Borjans in NRW . ({5}) - Der war damals noch nicht Ministerpräsident . Der Ankauf der Steuer-CDs war der entscheidende Hebel, um dem Missbrauch in diesem Bereich, der Steuervermeidung und der Steuerhinterziehung den Boden unter den Füßen wegzuziehen . Das war entscheidend; deshalb sind solche Fälle wie der von Uli Hoeneß öffentlich geworden . Sonst wäre das nicht passiert . ({6}) Nur aus diesem Grund kam es dazu, dass es jetzt in der Schweiz eine Weißgeldstrategie gibt . Das kann man offen sagen. Es gibt bei den Steuerhinterziehern, die ihr Geld dort noch geparkt haben, eher eine Entwicklung zurück . Der letzte Fall war 2014 . Ein Besitzer eines Unternehmens und dessen Sohn wollten Bargeld in Höhe von 200 000 Euro nach Deutschland zurückschleusen und wurden dabei erwischt . Von daher war das der ganz entscheidende Schritt . Die SPD ist hier immer an erster Stelle gewesen und wird hier auch weiterhin immer an erster Stelle stehen . Es ist eine zentrale Gerechtigkeitsfrage, dass die Steuersätze, die wir hier im Deutschen Bundestag politisch festlegen, auch umgesetzt werden und gelten, und zwar nicht nur für den Arbeitnehmer, der die Lohnsteuerkarte abgibt, sondern insbesondere auch für die Unternehmen und die Superreichen . ({7}) In diesem Gesetz steht viel Richtiges, insbesondere was Transparenz betrifft. Der Möglichkeit, dass über Stiftungen und anonyme Konten Geld gewaschen werden kann und verheimlicht werden kann, wer der wirtschaftlich Berechtigte ist, wird der Garaus gemacht . Wir hätten uns gewünscht, dass nicht nur Banken zur Veröffentlichung verpflichtet werden - das steuerliche Bankgeheimnis fällt ja -, sondern auch diejenigen, die beratend tätig sind . Ich würde mich da gar nicht immer hinter dem Vorwand, dass es sich um freie Berufe handelt, verstecken . Anwälte und Wirtschaftskanzleien sind gerade diejenigen, die genau diese Modelle entwickeln und immer wieder Gesetzeslücken suchen und dafür sorgen, dass Steuern nicht gezahlt werden müssen . Wir von der SPD würden diese Leute dazu verpflichten, das anzeigen zu müssen . Doch dagegen haben Sie sich gewehrt . Das ist, glaube ich, ein ganz entscheidender Unterschied . Aus diesem Grund sind wir hier, meine Damen und Herren, noch lange nicht am Ende . Das ist ein erster Schritt, den wir hier machen, aber ein wichtiger . Wir hatten im Vorfeld die Brexit-Debatte . Der Brexit ist doch geradezu absurd in einer Zeit, in der wir enorme Fortschritte gemacht haben hin zu mehr internationaler Zusammenarbeit zwischen den Staaten . Hinsichtlich der G-20-Initiative will ich mich bei Herrn Schäuble bedanken . Das war wichtig . Sie haben dafür gesorgt, dass wir die Führerschaft bei den G-20- und G-7-Prozessen haben, dass wir dort stärker vorankommen und eben nicht zum Steuerdumping zurückkehren . Die Briten und natürlich auch die Ankündigungen der Amerikaner machen mir hier große Sorgen . Natürlich dürfen die Briten ihre Unternehmensteuersätze, die im europäischen und im weltweiten Vergleich hoch sind, senken; das ist gar keine Frage . Das, was jetzt angekündigt wurde, geht aber zu weit . Ich glaube, wir brauchen insbesondere eine Allianz der Völker gegen große globalisierte Konzerne, die sich letztendlich von ihrer Steuerschuld befreien, sodass nur noch die einfachen Leute Steuern vor Ort zahlen . ({8}) Das wollen wir als Sozialdemokraten nicht . Jeden Schritt, der dazu führt, dass wir dort Fortschritte erreichen und zu einer faireren Besteuerung kommen, unterstützen wir . Dann haben wir das Geld - ich komme zum Schluss -, um auch kleinen Unternehmen zu helfen . Wir tun das mit diesem Gesetzentwurf, indem wir die Abschreibungsmöglichkeiten für geringwertige Wirtschaftsgüter verbessern und den Abschreibungsbetrag von 410 Euro auf 800 Euro fast verdoppeln . Ich glaube, das wird auch zu mehr Wirtschaftswachstum führen . Vielen Dank . ({9}) Carsten Schneider ({10})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als Nächster hat jetzt Dr . Thomas Gambke, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort . Bitte schön .

Dr. Thomas Gambke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004037, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich will mit einem Zitat beginnen: „Steuerschlupflöcher schließen . . .“ ist die Überschrift der Drucksache 18/9043 vom 6 . Juli 2016 . Darin steht: Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, ein Gesetz vorzulegen, durch das . . . der steuerliche Abzug von Lizenzaufwand in verbundenen Unternehmen . . . eingeschränkt wird, wenn die effektive Steuerbelastung auf den Lizenzertrag im ausländischen Staat weniger als 15 % beträgt . Das war unser Antrag, den Sie abgelehnt haben . Jetzt bringen Sie einen Antrag ein, in dem aus den 15 Prozent 25 Prozent geworden sind . Sie gehen also noch darüber hinaus . ({0}) Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, dass Sie dem Antrag der Grünen damit stattgegeben haben . ({1}) Es ist sehr wichtig, dass wir das tun . Herr Middelberg und Herr Schneider haben das Steuerabkommen mit der Schweiz thematisiert, und ich thematisiere den Punkt Lizenzbox . Herr Bundesminister Schäuble, ich stand hier an diesem Pult, und Sie saßen dort, wo Sie jetzt sitzen . Wir haben damals die Lizenzschranke gefordert, und ich erinnere mich auch an die Auseinandersetzung in der Presse, nachdem wir aus London zurückkamen . Herr Kollege Middelberg, vielleicht erinnern Sie sich an ein Gespräch mit Herrn Osborne; ich glaube, Sie waren dabei . Er sagte uns: Wir kämpfen jetzt gemeinsam mit euch Deutschen gegen Steuerhinterziehung . - Vier Wochen später wurde die Lizenzbox in UK eingeführt . Wir hatten hier eine erbitterte Debatte darüber, und Herr Schäuble drohte an, dasselbe zu tun . Wir haben damals gesagt: Nein, das ist der falsche Weg . - Ich habe damals in der Presse das Wort „schizophren“ benutzt . Jetzt machen wir mit der Lizenzschranke Gott sei Dank genau das, was man tun muss . Sie kommt zwar leider viel zu spät, um die Wirkung zu entfalten, die man hätte entfalten müssen, um zu so etwas wie einer Mindestbesteuerung zu kommen . Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung . Wir brauchen eine konsolidierte Steuerpolitik in Europa und kein Muskelzeigen bei Lizenzboxen, die immer wieder zu Steuergestaltungen führen . Ich freue mich, dass wir in diese Richtung gehen . Deshalb werden wir diesem Teil des Gesetzentwurfes auch zustimmen . ({2}) Dieses Drehen um 180 Grad - sowohl beim automatischen Informationsaustausch als auch bei der Lizenzschranke - würde ich mir natürlich auch bei anderen Themen wünschen . Ich habe gehört, dass man sich in Bezug auf die steuerliche Forschungsförderung jetzt auch drehen wird . Es freut mich sehr, Herr Bundesminister, dass sich Ihre Meinung hier geändert hat und dass Sie das jetzt unterstützen . Jetzt müssen wir das auch machen und umsetzen . Ich könnte noch andere Themen nennen, die Sie bitte schön auch noch angehen müssen, zum Beispiel - das haben Sie sich ja eigentlich vorgenommen - die Erleichterung von Finanzierungen in der Gründerszene durch ein entsprechendes Gesetz . Hier haben Sie bisher nicht geliefert, und das werden Sie wahrscheinlich auch nicht tun . Es würde mich aber freuen, wenn Sie hier weiterkommen würden; denn wir müssen - wir Grünen stehen dafür - gerade kleine und mittlere innovative Unternehmen fördern, weil viele von ihnen in der heutigen Welt ganz wichtig sind, um mit den schnellen technologischen Entwicklungen Schritt zu halten und die Chancen, die wir hier haben, wirklich zu nutzen . Lassen Sie mich deshalb, Herr Schneider, das Thema GWG ansprechen . Sie haben die Anhebung der GWG-Grenze gelobt . Was Sie machen wollen, ist aber kompletter Blödsinn . Sie erhöhen die GWG-Grenze auf lediglich 800 Euro mit einem fiskalischen Argument, wohl wissend, dass die 800 DM im Jahre 1964 bzw . 410 Euro heute gleichbedeutend mit einem Betrag über 1 500 Euro wären, wenn es einen Inflationsausgleich gegeben hätte; das wäre die eigentliche Messlatte gewesen . Was Sie leider nicht durchgesetzt haben, Herr Middelberg, war, die Grenze auf 1 000 Euro anzuheben und auf die Poolabschreibung zu verzichten . ({3}) Wenn Sie keine Steuerberater fragen, sondern diejenigen, die im operativen Geschäft tätig sind - ich komme aus dem operativen Bereich -, dann wissen Sie, dass die Abschaffung der Poolabschreibung wirklich eine erhebliche bürokratische Vereinfachung gebracht hätte . Leider haben Sie da nicht geliefert. Das ist fiskalisch und ordnungspolitisch nicht zu verstehen . Ich bedauere sehr, dass Sie bei diesem Punkt nicht über Ihren Schatten gesprungen sind und die Grenze bei 1 000 Euro gezogen haben . Wir hätten mit Blick auf die Bürokratie eine deutliche Vereinfachung erreicht . Sie haben diese Möglichkeit noch nicht einmal durchgerechnet . Insofern glaube ich, dass Sie da einen Fehler gemacht haben . Dennoch werden wir dem Gesetz zustimmen, weil es in der Summe wenigstens die Liquidität der Unternehmen ein bisschen erhöht . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die Bundesregierung hat jetzt der Bundesminister der Finanzen, Dr . Wolfgang Schäuble, das Wort . ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kampf gegen Steuerhinterziehung und exzessive Steuervermeidung wird ein immerwährender Kampf sein . Das eigentliche Problem dabei ist, dass wir in einer globalisierten Welt leben und dass durch die Digitalisierung, durch die Verflechtung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Finanzmärkte und durch die Tatsache, dass alle Unternehmen heute weltweit tätig sind, neue Möglichkeiten bestehen . Wir werden diesen Kampf nur erfolgreich führen können, wenn wir ihn europäisch und zugleich international gemeinsam führen . ({0}) Das ist im Übrigen ein ungeheuer mühsamer Kampf . Aber es ist vor allen Dingen wichtig, dass man nicht falsche Erwartungen schürt, weil man sonst hinter der Komplexität der Wirklichkeit zurückbleibt . Das ist dann der Nährboden für die Demagogen, über die wir uns in der vorherigen Debatte ausreichend gesorgt haben . Darauf möchte ich in dieser Debatte gerne hinweisen . ({1}) Wir haben in dieser Legislaturperiode, auch in den Jahren davor, beachtliche Fortschritte erzielt; Herr Kollege Middelberg hat das dankenswerterweise dargestellt . Aber es macht keinen Sinn, Herr Kollege Schneider, wenn man die Geschichte immer wieder falsch darstellt . Für die Schweiz war es über viele Jahrzehnte und über Generationen hinweg völlig undenkbar, ihr Verständnis vom Bankgeheimnis aufzugeben . Deswegen war der automatische Informationsaustausch für die Schweiz ein Thema, das mit ihr überhaupt nicht zu bereden war . Übrigens wäre dieses Problem auch nicht durch die Androhung, die Kavallerie ausreiten zu lassen, und anderen Unsinn zu lösen gewesen . ({2}) Der Wandel kam erst durch den Druck der Vereinigten Staaten von Amerika und von niemandem sonst zustande . ({3}) - Nein, überhaupt nicht . Das ist doch Quatsch . ({4}) - Das ist doch totaler Quatsch . Sie fangen immer wieder damit an, wenn man nur versucht, einmal in aller Ruhe ich weiß, es ist Wahlkampf - darüber zu reden . ({5}) - Nein, das ist doch nicht wahr . Die Wahrheit ist, dass die Amerikaner Druck - Stichwort: amerikanischer Marktzugang - ausgeübt haben . Auch wir haben gelegentlich mit den unangenehmen Nebenwirkungen dieser etwas einseitigen Anwendung zu tun . Jedenfalls hat dieser Druck die Schweiz dazu gebracht, etwas zu machen, was sie vorher niemals für denkbar gehalten hat . Daraufhin haben wir in Europa sofort gesagt: Wenn die Schweiz diesen Austausch mit den Amerikanern macht, dann erklären wir ihn zum europäischen Standard . Daraus ist der automatische Informationsaustausch geworden, den wir in Berlin vorangetrieben haben und der in diesem und im nächsten Jahr mit über 100 teilnehmenden Ländern stattfinden wird. Der Vollzug wird dann übrigens wieder kompliziert sein . Damit sind wir beim nächsten Punkt .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Bundesminister, ehe Sie den nächsten Punkt ansprechen, darf ich Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gambke zulassen .

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Nein, ich möchte jetzt wenigstens ein paar Sätze am Stück sagen .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Okay .

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Wir sind gemeinsam mit den Ländern dabei, diesen Punkt umzusetzen - denn ob es den Linken gefällt oder nicht: wir sind ein föderaler Bundesstaat, in dem die Steuerverwaltung Sache der Länder ist -, und wir sind in einem mühsamen Ringen mit den Ländern, damit wir wenigstens bei der Einführung der Informationstechnik und bei der Software etwas mehr bundeseinheitliche Regelungen zustande bekommen . Es ist ein Kampf um Millimeter mit den Ländern auch in den Bund-Länder-Finanzverhandlungen . Wir werden uns in den nächsten Wochen noch mit dieser Gesetzgebung befassen . Wir werden große Aufwendungen dafür machen müssen, dass es funktioniert . Auch das ist ein wichtiger Punkt. Das betrifft den automatischen Informationsaustausch . Wir haben die Initiative ergriffen - das haben Sie richtig erwähnt, Herr Kollege Schneider -, um auf internationaler Ebene zur Zusammenarbeit in der Bekämpfung unfairer exzessiver Nutzungen unterschiedlicher steuerlicher Regelungen in den verschiedenen Jurisdiktionen zu kommen . Mit dieser BEPS-Initiative sind wir weit vorangekommen . Wir setzen sie übrigens in europäisches Recht um . Herr Kollege Gambke, das haben Sie ein bisschen übersehen: Ich habe mit den Landesfinanzministern schon vor vier oder fünf Jahren darüber geredet, dass wir die missbräuchliche Nutzung der Rechteüberlassung in erster Linie durch europäische Zusammenarbeit bekämpfen wollen . Da sind wir bei der Umsetzung . Was wir jetzt als ergänzende nationale Gesetzgebung machen, ist deswegen in der Anwendung begrenzt: Für die Länder, die sich nicht an den Standard der internationalen Vereinbarungen halten, führen wir mit einer nationalen, der Zinsschranke ähnelnden Regelung eine zusätzliche Sicherung ein . Der eigentliche Ansatz ist aber, durch europäische und weltweite Zusammenarbeit die exzessive Nutzung unterschiedlicher Regelungen stärker zu bekämpfen . Auf diesem Weg sind wir weit vorangekommen . Wir werden ihn aber weiter konsequent gehen müssen . Die große Aufgabe, die jetzt vor uns liegt - auch in den nächsten Legislaturperioden; aber bis vor kurzem gab es überhaupt keine Bereitschaft, weder europaweit noch international, sich mit dem Thema zu beschäftigen; das haben wir inzwischen während unserer Präsidentschaft auf der G-20-Ebene ändern können -, ist, dass wir uns viel intensiver mit den schwierigen Fragen der Besteuerung von im Wesentlichen digital operierenden Gesellschaften beschäftigen müssen . Dabei sind wir ganz am Anfang, und es wird ein langer Weg sein . Mein Rat an alle, die nicht den Demagogen das Feld für leichte Volksverhetzung bieten wollen, ist, dass wir die Kompliziertheit dieser Dinge nicht vereinfachen sollten . Wir haben in den letzten Jahren konsequent Schritt für Schritt die Bekämpfung krimineller Steuerhinterziehung und legaler, aber exzessiver und damit auch missbräuchlicher Nutzung unterschiedlicher steuerlicher Regelungen ein ganzes Stück vorangebracht . Dabei helfen uns auch Veröffentlichungen wie die der Panama Papers . Wir haben sie nicht gebraucht, um anzufangen, aber wir haben sie genutzt, um den internationalen Druck zu verstärken . Denn das, was wir jetzt national machen, haben wir auch international vorangebracht . Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir uns in der Debatte über die erreichten Erfolge freuen . Wir haben in den letzten sechs Jahren im Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung mehr erreicht als in den 30 Jahren zuvor . ({0}) Deswegen brauchen wir uns dieser polemischen Diskussion auch nicht zu stellen, sondern wir können wirklich etwas vorweisen . Aber natürlich wird es auch in der Zukunft noch Möglichkeiten geben . Meine zweite Bitte ist, Herr Kollege Gambke: Schieben Sie nicht jede steuerberatende Tätigkeit in die Richtung einer illegalen oder verwerflichen Tätigkeit! ({1}) - Ja, das klingt in den Debatten immer schnell an . ({2}) Die steuerberatenden Berufe haben die berufliche Verpflichtung, den Steuerpflichtigen zu helfen, nicht mehr Steuern zu zahlen, als sie gesetzlich verpflichtet sind. Auch das ist Ausdruck einer fairen und transparenten Praxis . Die Inkriminierung dieser beratenden Berufe, indem man sagt, dort würde immer nur nach Schlupflöchern gesucht, ist ein Weg, der in Wahrheit eine notwendige Tätigkeit für eine arbeitsteilige Gesellschaft diskriminiert . Auch das ist nicht der Weg, der zu einer fairen Steuerpraxis führt . ({3}) Ich will eine letzte Bemerkung machen . Das hier wird ja eine der letzten steuerpolitischen Debatten in dieser Legislaturperiode sein . Meines Erachtens sollten wir auch - jedenfalls diejenigen, die Wahlkampf mit Blick auf die Verantwortung für die Zeit nach der Wahl führen - im Auge haben, dass wir bei allen Diskussionen und Entscheidungen niemals nur ein Ziel verfolgen können . Natürlich gibt es Debatten, bei denen wir einen Wettbewerb führen, wer die niedrigsten Steuern hat . Es gibt aber auch die Debatten, bei denen wir einen Wettbewerb führen, wer die höchsten Leistungen für Investitionen, Familien, Renten usw . hat . Eine nachhaltige Politik, die den Menschen wirklich dient und dafür sorgt, dass die Löhne steigen, dass die Renten steigen und dass die Arbeitsplätze sicher sind, erreicht man nur dann, wenn man durch einen Ausgleich der verschiedenen Interessen und Gesichtspunkte eine verlässliche und auch ein Stück weit moderate Politik betreibt . Wir haben in den letzten Jahren eine Finanz- und Steuerpolitik betrieben, die einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, dass es den Menschen in diesem Lande besser geht als vielen anderen Menschen außerhalb unseres Landes . Darum werden wir auch beneidet . Wir haben die Möglichkeiten geschaffen, dass wir größere Fähigkeiten haben, in Europa dazu beizutragen, dass Europa insgesamt auf einem guten Wachstumskurs bleibt . Wenn wir diesen Weg der Berechenbarkeit, der Verlässlichkeit und auch der Mäßigung in den kommenden Jahren verlassen sollten, werden wir nicht mehr Gerechtigkeit, sondern mehr Elend und mehr Arbeitslosigkeit ernten . Das wäre der falsche Weg . Deswegen werden wir genau diesen Weg - maßvolle, nachhaltige, verlässliche Finanzpolitik und kontinuierliches, immer wieder mühsames Wirken dafür, dass wir ein faires, verlässliches und transparentes Steuersystem haben - gehen . So dienen wir den Menschen in unserem Lande und auch der Gerechtigkeit . Herzlichen Dank . - Ich bitte um Zustimmung zu den Gesetzentwürfen . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Bevor ich gleich dem nächsten Redner das Wort gebe, komme ich der Bitte des Kollegen Gambke um die Möglichkeit zu einer Kurzintervention nach . Bitte schön . ({0})

Dr. Thomas Gambke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004037, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank . - Herr Bundesminister Schäuble, Sie haben meine Zwischenfrage nicht zugelassen . Es geht mir aber wirklich um Glaubwürdigkeit . ({0}) Es geht mir auch um Ihre Glaubwürdigkeit, die sehr beschädigt ist, wenn Sie weiterhin das behaupten, was Sie vorhin behauptet haben . ({1}) Sie haben ja völlig recht: Es war schwer, die Schweiz zu überzeugen, am automatischen Informationsaustausch teilzunehmen . Das ist gar keine Frage . ({2}) Der Hinweis auf die Kavallerie ist aber nur ein Hinweis . Der zweite Hinweis wäre gewesen, dass parallel zu Ihnen die US-Amerikaner mit der Schweiz über den Foreign Account Tax Compliance Act, kurz FATCA, verhandelt haben . Herr Bundesminister, ich weiß nicht, ob Sie bei unserer öffentlichen Anhörung dabei waren. Dort hatten wir einen wesentlichen Verhandlungsführer der Amerikaner per Video zugeschaltet . Er hat explizit ausgeführt: Wenn das Steuerabkommen mit der Anonymität so vereinbart wird, wie es jetzt auf dem Tisch liegt, werden wir FATCA gar nicht umsetzen können . Das heißt: Die Schweiz war auf dem Weg in die Weißgeldstrategie . Mit dem Steuerabkommen hätten wir das zurückgedreht . - Das ist die historische Wahrheit . Ich bitte Sie, diese endlich anzuerkennen . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Bundesminister, möchten Sie darauf antworten?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Präsidentin! Herr Kollege Gambke, ich hatte in meinen Ausführungen ausdrücklich gesagt, dass es für die Schweiz über Generationen völlig undenkbar war, über ihr Bankgeheimnis überhaupt Gespräche zu führen . Diese Situation, die durch die Kavallerie nicht zu verändern war, war die Ausgangslage für die Verhandlungen mit der Schweiz, um eine Lösung für diese schrecklichen Probleme zu finden. In der Endphase dieser Verhandlungen - auch das habe ich ausgeführt - haben die Amerikaner den Druck ausgeübt, den die Amerikaner und nur die Amerikaner ausüben können, weil sie sagen können: Wer sich nicht an unsere Gesetze hält, bekommt keinen Zugang zum amerikanischen Markt . - Das hat die Schweiz dazu gebracht, ihre Position zu verändern . Das ist die historische Wahrheit . Das können Sie prüfen . In dem Moment, in dem die Schweiz ihre Position verändert hat, haben wir Europäer sofort reagiert . Zusammen mit meinen Kollegen habe ich das damals in Dublin getan . ({0}) Ich weiß noch genau, wie wir gemeinsam vor die Presse getreten sind und gesagt haben: Dann werden wir das, was jetzt - aber nur durch den amerikanischen Druck; das war FATCA - erreicht worden ist, aufgreifen . ({1}) Der Rest entspricht leider nicht der Wahrheit . Sie sollten mir auch nicht die Worte im Munde herumdrehen . ({2}) Denn ich habe ja ausdrücklich gesagt: FATCA war ursächlich für automatischen Informationsaustausch . Deswegen brauchen Sie mich nicht über den Ablauf zu belehren . Sie sollten im Übrigen den baden-württembergischen Ministerpräsidenten - er ist, glaube ich, noch im Amt und gehört Ihrer Partei an - fragen. Er hat damals öffentlich gesagt: Dieses Abkommen kann man doch nicht scheitern lassen . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Wir fangen keine Zwiegespräche an . Jetzt hat der Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Schäuble, Sie haben recht, dass die Schweiz das Bankgeheimnis lange sehr vornehm verteidigt hat . Insofern bin ich der festen Überzeugung, dass es richtig war, dass Peer Steinbrück die vornehme Abwehrhaltung der Schweiz gegenüber jeglichem Vorgehen gegen Steuerbetrug angekratzt hat . Ob „Kavallerie“ das richtige Wort war? - Ja, denn es hat sich gezeigt, dass der Schweiz ihre vornehme Abwehrhaltung nicht zugestanden wurde . ({0}) Deshalb war es überhaupt erst möglich, das Schweizer Abkommen ein bisschen zu entlarven . Besonders geärgert hat uns, dass dieser Ablasshandel, wie ihn Carsten Schneider bezeichnet hat, stilbildend für alle weiteren Abkommen gewesen wäre . Man stelle sich einmal vor: Ein solches Abkommen hätten wir ebenfalls mit allen anderen Staaten weltweit abgeschlossen . Das wäre ein absolutes Desaster . ({1}) Warum haben eigentlich nicht die Europäer oder wir FATCA gemacht? Wir hätten ebenfalls ein mit FATCA vergleichbares Abkommen schließen können . - Nein, die USA haben uns sehr geholfen - das stimmt -, aber auch Peer Steinbrück und - last, but not least - die SPD-geführten Länder . So viel Parteipolitik muss heute erlaubt sein . Ihr wart es nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, sondern es waren die SPD-geführten Länder, die sich quergelegt haben . Wir, die SPD-Fraktion, haben das sehr gerne mitgetragen . ({2}) Heute geht es um den Entwurf eines Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken . Wir sind dafür, dass sich alle fair am Steueraufkommen beteiligen . Deshalb ist es wichtig, dass wir ein Lizenzschrankengesetz machen . Da Kollege Middelberg den Bundestagswahlkampf bereits in den Fokus gestellt hat, will ich sagen: Wir machen zusammen wirklich gute Sachen . Deswegen wollte ich schon alles gegen Frau Karawanskij verteidigen . Aber ich muss sagen, dass wir trotz der guten Sachen immer wieder Dinge tun, die die SPD-Fraktion richtig ärgern . Ich nenne ein paar Beispiele . Das Erbschaftsteuergesetz ist alles andere als gerecht . Dass Minister Schäuble tatsächlich Patentboxen in Erwägung zog, war ein weltweit verheerendes Signal . Wir sind froh, dass wir das aufheben konnten . ({3}) Dass Sie eine Registrierkassenpflicht verhindert haben, ist ein Desaster. Das öffnet dem weiteren Betrug Tür und Tor . ({4}) Dass Sie die Einführung der einzig funktionierenden technischen Software INSIKA verhindert haben, ist ein Desaster und öffnet dem Betrug Tür und Tor. ({5}) Dass Sie den Fremdvergleichsgrundsatz gemäß dem aktuellen OECD-Standard verhindert haben, ist ein Desaster . Das hätte man ganz anders machen müssen . ({6}) Dass wir bei den Verlustnutzungsbeschränkungen Ihretwegen Ausnahmen einführen mussten, ist ein Desaster . ({7}) Noch ein aktuelles Beispiel: Der Schwellenwert für die Niedrigbesteuerung liegt bei 25 Prozent und nicht bei 15 Prozent, wie es die Grünen vorgeschlagen haben; das wäre ein Fehler gewesen . Das haben wir zusammen gut gemacht . Aber was ist im Gesetzgebungsverfahren passiert? Liebe Kollegen von der Union, Ihr habt darüber nachgedacht, ihn auf 15 Prozent festzulegen . Das wäre ein schwerer Fehler gewesen . Das konnten wir Gott sei Dank verhindern . ({8}) Kommen wir zur Steuer-ID . Um es vorwegzunehmen: Wir wollen, dass alle Konten transparent sind . Es soll keine namenlosen, anonymen Konten mehr geben . Dass Name und Adresse angegeben werden müssen, ist nach dem Geldwäschegesetz klar . Wir wollen die Steuer-ID hinzunehmen, damit die Konten sicher identifiziert werden können, sodass man weiß, was alles über ein Konto abgewickelt wird und wer darüber verfügt . Die Bankenverbände haben uns gesagt, dass es dann keine Verbraucherkredite mehr gebe . Wenn jemand in einem Geschäft etwas spontan kaufen wolle, aber seine Steuer-ID nicht angeben könne, dann platze das Geschäft . Die Kollegen von der Union haben daraufhin gesagt, dass es wirklich schlecht sei, wenn jemand eine Waschmaschine als Sonderangebot nicht kaufen könne, weil er seine Steuer-ID nicht angeben könne . Wir haben daraufhin gesagt: Wir machen im Zusammenhang mit Verbraucherkrediten einen Kompromiss . Wir haben lange diskutiert . Dann kam die Idee auf, den Freibetrag im Zusammenhang mit der Steuer-ID auf 25 000 Euro festzulegen . Ich möchte die Gäste auf den Zuschauertribünen fragen, wann sie das letzte Mal eine Waschmaschine für 25 000 Euro gekauft haben . Das machen wohl die wenigsten . Die teuerste Waschmaschine, die ich gefunden habe, kostet 8 000 Euro . Im Ergebnis liegt dieser Waschmaschinenfreibetrag nun bei 12 000 Euro . Das ist im Grunde ein Desaster und lädt dazu ein, das, was wir heute beschließen, zu umgehen . Das ist objektiv ein Fehler . ({9}) Gleichwohl machen wir auch Gutes . Wir erhöhen die Mitwirkungspflichten, verstärken die ErmittlungsmögLothar Binding ({10}) lichkeiten der Finanzbehörden, und wir wollen, dass die Institute Geschäftsbeziehungen über Briefkastenfirmen melden . Das erhöht Transparenz . Das ist das Gute . Auch dass wir das steuerliche Bankgeheimnis aufheben, ist gut . Weiterhin ist positiv, dass jemand, der Anteile an ausländischen Gesellschaften hat oder mit diesen Geschäftsbeziehungen pflegt, das anzeigen muss. Da haben wir, glaube ich, sehr gute Dinge getan . Wir machen oft sehr gute Gesetze, um kurz vor dem Ziel dann doch noch hier und da ein Schlupfloch aufrechtzuerhalten . Deshalb ist es gut, dass die Wahlen das nächste Mal anders ausgehen . ({11}) Dann können wir nämlich diese offenen Punkte noch klären, Schlupflöcher schließen und ein gerechtes Steuersystem schaffen. ({12}) Das ist auch unser gemeinsames Ziel . Dann könnt ihr künftig als Opposition zustimmen . ({13})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat die Kollegin Lisa Paus für Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, es werden tatsächlich jetzt Gesetze vorgelegt, die vorgeben, etwas grundlegend zu verändern . Herr Binding hat vonseiten einer der die Regierung stellenden Fraktion sehr schön dargestellt, dass doch nicht so viel zu erwarten ist . Das ist ziemlich verheerend angesichts dessen, was doch eigentlich ansteht . ({0}) Wir haben alle miteinander die Panama Papers im April 2016 wahrgenommen und gesehen, in welch gigantischem Ausmaß Briefkastenfirmen dazu benutzt werden, Vermögen in Steueroasen zu verstecken, Vermögen, das aus kriminellen Geschäften stammt und so gewaschen wird, Vermögen, das schlichtweg vor der Steuer versteckt wird . Allein die Kanzlei Mossack Fonseca hat 2 000 Milliarden Dollar durch 300 000 Briefkastenfirmen in Panama und auf anderen kleinen Inseln für Klienten in Steuerparadiese geschleust . 14 000 Banken und auch Rechtsanwaltskanzleien waren an den Transaktionen beteiligt - eigentlich unfassbar, meine Damen und Herren . Internationale Steuerhinterziehung kann man nicht ausschließlich national bekämpfen . Das ist wahr . Aber falsch ist es, zu behaupten, dass man es nur international tun könne. Bis zur Veröffentlichung der Panama Papers war aber genau das die Haltung von Ihnen, Herr Schäuble, und von der gesamten Bundesregierung . Mit diesem Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung gibt es - welche Überraschung - jetzt doch Maßnahmen auch auf nationaler Ebene, Maßnahmen, die seit langem im grünen Forderungskatalog standen . Aber leider wurde dann eben doch vieles nicht übernommen, und es fehlen wichtige Maßnahmen . Herr Binding hat mir netterweise schon einiges vorweggenommen . Aber ohne diese Maßnahmen geht es eben nicht, wenn man es wirklich ernst mit der Steuergerechtigkeit meint . ({1}) Ihr Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung ist deswegen bestenfalls halbherzig, vergleicht man es mit dem, was man hätte tun können, tun müssen. So findet sich auch auf Seite 2 des Gesetzentwurfes der schlichte Hinweis, dass mit Steuermehreinnahmen aufgrund dieses Gesetzes jedenfalls nicht gerechnet werden kann . Ich möchte nur zwei Beispiele für Ihre Halbherzigkeit nennen. Ja, die Abschaffung des Bankgeheimnisses ist gut, auch die neuen Anzeigepflichten sind richtig und wichtig. Aber warum gelten diese Meldepflichten nur für Briefkastenfirmen außerhalb der Europäischen Union? Briefkastenfirmen gibt es, wie wir wissen, auch innerhalb der Europäischen Union . Probleme mit Ländern wie Malta, Zypern, aber auch immer noch der Schweiz, sind hinlänglich bekannt . Warum gelten sie nur für Banken, aber eben nicht für Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und andere Dienstleister im Finanzbereich, da doch auch sie Briefkastenfirmen vermitteln? Solange es weiterhin so einfache Auswege gibt, droht dieses Gesetz nur den Sitz und den Vertriebsweg der Briefkastenfirmen deutscher Steuerpflichtiger zu verlagern, statt tatsächlich die Steuersümpfe endlich trockenzulegen . ({2}) Im Übrigen zählen im Kampf gegen die Steuerhinterziehung nicht nur die Tonnen Papier, die man mit Gesetzen produziert . Der Ernst der Absichten spiegelt sich vor allem darin wider, mit welchen Ressourcen man die Behörden zur Umsetzung des Gesetzes ausstattet . Solange in Deutschland völlig unterbesetzte, föderal zersplitterte, für diese Fälle nicht spezialisierte Steuerverwaltungen weiterhin Heerscharen von Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und ganzen Steueroptimierungsabteilungen in Banken allein gegenüberstehen, so lange wird der Kampf gegen Steuerhinterziehung ein aussichtsloser Kampf bleiben . Genau aus diesem Grunde fordern wir Grünen eine neue Steuerspezialeinheit auf Bundesebene, besetzt mit Experten der bestehenden Steuerverwaltungen, mit Fachleuten, die bisher in Steuerberatungsgesellschaften und Konzernsteuerabteilungen tätig sind, sowie mit Wissenschaftlern. Eine so geschaffene neue Behörde wäre für die Veranlagung und Prüfung von Konzernen und Einkommensmillionären zuständig . Sie wäre endlich eine Institution auf Augenhöhe, die dafür sorgt, dass Steuergesetze tatsächlich wieder für alle Steuerpflichtigen in Deutschland gelten, unabhängig vom Geldbeutel, unabhängig vom Steuerberater und unabhängig vom Lothar Binding ({3}) Bundesland . Wir haben einen entsprechenden Antrag eingebracht . Sie haben ihn nicht einmal ernsthaft diskutiert . So bleibt am Ende schlichtweg nur festzuhalten: Herr Schäuble und die Große Koalition sind beim Kampf gegen Steuerhinterziehung ganz groß in der öffentlichen Kampfrhetorik, aber ganz klein in der tatsächlichen Wirkung . ({4}) Spürbar mehr Steuergerechtigkeit wird es mit diesen Gesetzen nicht geben, und die einzig passende Reaktion von unserer Seite darauf ist die Enthaltung . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Jetzt hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr . Hans Michelbach das Wort . ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Von Vorwürfen wie „rückwärtsgewandte Steuerpolitik“ - so lauteten Ihre Vorhaltungen - halte ich grundsätzlich nichts . Heute ist ein guter Tag für mehr Steuergerechtigkeit in Deutschland . Wir verabschieden zwei Gesetzentwürfe, mit denen wir Steuergestaltung, Gewinnverlagerung, Steuerhinterziehung weitere Riegel vorschieben . Das passt der Opposition natürlich auch wieder nicht . Schon mit einem Fragezeichen zu versehen ist, dass ausgerechnet unser Koalitionspartner, die SPD, auch ihre eigene Politik schlechtmacht . Ich kann Ihnen nur sagen: Das ist dem Wahlkampf geschuldet . Das nimmt Ihnen niemand ab . Wir haben gemeinsam Politik gegen Steuervermeidung und Steuerhinterziehung betrieben, und das ist gut so . ({0}) Diese Gesetzentwürfe sind Teil einer ganzen Serie von Gesetzen, mit denen diese Koalition gegen unfaire Steuerpraktiken und fragwürdige Geschäftspraktiken von transnationalen Konzernen und Finanzmarktakteuren vorgeht . Das ist in internationale Lösungen integriert. Ohne unseren Bundesfinanzminister Dr. Schäuble, seine internationale Durchsetzungskraft und sein Ansehen wäre das nicht möglich gewesen . Für Ihre Initiativen danke ich Ihnen ausdrücklich, Herr Minister . ({1}) Meine Damen und Herren, das heutige Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz ist das richtige Instrument im Kampf gegen Steuervermeidung, Steuergestaltung, Steueroasen und Steuerhinterziehung. Was findet statt? Wir bekämpfen die Panama Papers . Wir fördern die Transparenz beim Steuersubstrat . Wir haben zudem mehr Mitwirkungspflichten und Anzeigepflichten von Banken durchgesetzt . Wir haben das steuerliche Bankgeheimnis aufgehoben, und wir haben mit Blick auf die täglichen Markt- und Verbraucherinteressen auch Instrumente mit Augenmaß und Zielgenauigkeit erarbeitet . Darum geht es . Es sollten nicht nur pauschal Forderungen gestellt werden, sondern wir müssen auch bedenken, dass gerade unser Wirtschaftsstandort Deutschland von internationalen Investitionen profitiert und dass wir für Wachstum und Beschäftigung auch die internationalen offenen Märkte benötigen . Auch das gehört dazu, und das muss in die Gesetzesarbeit praxisnah und fachgerecht eingearbeitet werden . Darum geht es, und das werden wir immer wieder im Auge haben . Gerade für uns in Deutschland gilt: Kapitalanlagen und Investitionen im Ausland machen einen wichtigen Teil der Stärke unserer Wirtschaft aus . Was aber natürlich nicht geht, ist, dass dabei getrickst wird, dass sich die Balken biegen, vor allem von internationalen Konzernen, und zwar so lange, bis es praktisch keine Steuerschuld mehr gibt . Diese Rosinenpickerei von internationalen Konzernen wie Apple, Google, Amazon, Starbucks, Ikea und anderen ist unfair gegenüber den Wettbewerbern und unserem Staat . ({2}) Es geht nicht an, dass Arbeitnehmer und Mittelstand in Deutschland ordentlich ihre Steuern zahlen, während andere mit Gewinnverlagerungen oder Briefkastenfirmen jonglieren, um sich ihrer Steuerpflicht zu entziehen oder Geld aus illegalen Geschäften zu waschen . ({3}) Das ist genau das Gegenteil von fairem Wettbewerb . Das ist das Gegenteil von Gemeinwohl . Das ist gemeinwohlwidrig und wird von uns, der CDU/CSU, maßgeblich bekämpft . ({4}) Steuern müssen dort gezahlt werden, wo die Erträge erwirtschaftet werden, und dürfen nicht dort gezahlt werden, wo der niedrigste Steuersatz gilt . Das ist das Prinzip in der Steuerpolitik der Arbeitsgruppe der CDU/CSU . Ich darf sagen: Mit dem Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken und der Lizenzschranke sind wir auf unserem Weg ein wesentliches Stück vorangekommen . Daneben nehmen wir für den Mittelstand zwei wichtige Entlastungen vor . Einmal ist die Verdoppelung der Grenze für Abschreibungen auf geringwertige Wirtschaftsgüter auf 800 Euro zu nennen; das ist eine klare Entbürokratisierung . Zum anderen sehen wir für die Sanierung von Unternehmen steuerliche Verbesserungen vor . Damit werden Insolvenzzerschlagungen im Mittelstand verhindert . Auch das ist ein wesentlicher Punkt . Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich verdeutlichen: Wir haben in dieser Legislaturperiode die Dinge im Kampf gegen Steuerhinterziehung, Steuervermeidung und Gewinnverlagerung durch Regulierung und Reglementierung wesentlich vorangebracht . Meine Hoffnung ist, dass wir in der neuen Legislaturperiode genauso engagiert Steuerpolitik betreiben, nämlich eine Steuerentlastungspolitik . Unsere Arbeitnehmer und Mittelständler brauchen eine Entlastung, eine Wachstumsdividende für die Zukunft . Daran lassen Sie uns arbeiten! Es geht um eine Abflachung des Steuertarifs und eine schrittweise Abschaffung des Solis. Das ist die Steuerpolitik der Zukunft . Es geht nicht um rückwärtsgewandtes Handeln in Steuerfragen . Herzlichen Dank, meine Damen und Herren . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege Jens Zimmermann . ({0})

Dr. Jens Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004603, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Ende haben wir doch noch einmal eine Runde Wahlkampf gehabt; Herr Kollege Middelberg hatte ja die Debatte damit eingeläutet . Da so viele Zitate an den Anfang der Reden gestellt wurden, will ich auch mit einem Zitat beginnen . Es stammt vom 27 . April 2017, nämlich genau von heute . Der Herr Bundesfinanzminister hat vorhin gesagt: Der Kampf gegen Steuerhinterziehung . . . wird ein immerwährender Kampf sein . An dieser Stelle kann ich dem Bundesfinanzminister nur zustimmen . Die Frage, warum die SPD und Martin Schulz sagen: „Das ist ein wichtiges Thema; das muss in unser Wahlprogramm; daran müssen wir in Zukunft alle wieder arbeiten“, hat Ihr eigener Finanzminister mit dieser Aussage meisterlich beantwortet . Umgekehrt muss man daraus schließen: Die Union will mit den Gesetzesvorhaben, die wir jetzt abschließen, offensichtlich einen Schlussstrich darunter ziehen . - Dazu kann ich jetzt schon sagen: Mit der SPD wird es keinen Schlussstrich unter den Kampf gegen Steuervermeidung geben, meine Damen und Herren; wir fangen gerade erst an . ({0}) Ich kann Herrn Schäuble wirklich nur zustimmen: Es ist ein immerwährender Kampf . Wir alle, die wir uns mit dem Thema beschäftigen, wissen: Es gibt immer neue Konstellationen . Es gibt immer neue Ideen . Es gibt sehr viele Leute, die sich den ganzen Tag Gedanken darüber machen, wie sie die Staaten austricksen können . Deswegen ist es unsere Aufgabe, unser aller Aufgabe, den Finger in die Wunde zu legen und immer wieder nachzuziehen, auch wenn das manchmal keine schöne Sache ist, weil man sich ärgert . Hier werden wir immer wieder nachlegen müssen . Alle diejenigen, die suggerieren, dass man jetzt mal ein bisschen langsam machen sollte und dass keine überschießende Wirkung - das ist auch so ein schönes Wort - eintreten dürfe, sind, glaube ich, in einer ganz anderen Richtung unterwegs . Das ist in Ordnung, aber es ist nicht unsere Meinung . Ich will noch ein ganz konkretes Thema nennen . Wir verhandeln gerade über die Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie . In der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie geht es um ein öffentliches Transparenzregister . Die SPD fordert mit den SPD-geführten Bundesländern, dass es einen umfassenden Zugang zu diesen Informationen gibt . Wenn die Union beim Kampf gegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche tatsächlich so weit vorn ist, dann fordere ich sie auf, bei der Debatte - die werden wir an dieser Stelle noch vor der Sommerpause führen - den Weg frei zu machen, sodass wir ein Transparenzregister bekommen, auf das alle Zugriff haben. ({1}) Es ist schon gesagt worden: Wir waren immer wieder auf die Hilfe von Journalisten bzw . NGOs angewiesen . Sie fordern jetzt, den Zugang so bürokratisch und schwer wie irgend möglich zu machen . - An dieser Stelle können Sie liefern . Dann hätten wir noch einmal einen weiteren Schritt im Kampf gegen Steuerhinterziehung getan . Vielen Dank . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Uwe Feiler für die CDU/CSU das Wort . ({0})

Uwe Feiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004271, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bekanntwerden von Steuervermeidungspraktiken mittels Briefkastenfirmen in Panama ist für mich eine weitere Bestätigung dafür, dass es richtig war und auch in der Zukunft bleibt, Herr Kollege Zimmermann, mit großem Nachdruck internationale Schritte gegen Steuerbetrug und unfaire Steuerpraktiken zu vereinbaren . Bundesfinanzminister Schäuble hat bereits heute und auch mehrfach davor dargestellt, welcher Anstrengungen es bedurfte, um unsere Partner davon zu überzeugen, dass sowohl Unterbietungswettbewerbe um Steuersätze als auch die Schaffung von Steuerparadiesen nicht die Wege sein können, wie Staaten miteinander umgehen . Der Zehn-Punkte-Plan des Finanzministers, der national wie international anerkannt wurde und sich auch in das BEPS-Projekt der OECD einfügt, bot ebenfalls eine sehr gute Grundlage für die konkrete Ausgestaltung dieser beiden Gesetzentwürfe . Wir setzten dabei - wie bei anderen Gesetzen auch - auf das Mittel der Transparenz . Damit erhöhen wir das Entdeckungsrisiko für diejenigen, die versuchen, auf Auslandskonten Geld zu parken, um dieses am Fiskus vorbeischleusen zu können . Dazu brauchen wir die Kreditinstitute . Wir nehmen sie durch Anzeige- und Mitwirkungspflichten in die Verantwortung. Im parlamentarischen Verfahren haben wir noch eine ganze Reihe von nicht unwesentlichen Veränderungen und Ergänzungen vorgenommen, damit wir mit den gesetzlichen Regelungen auch die wirkliche Zielgruppe erreichen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei allem Eifer in Bezug auf das, was wir bisher gemacht haben, und auch im Hinblick auf die Gesetze, die wir heute beschließen werden, sollten wir nicht über das Ziel hinausschießen . Lieber Kollege Binding, wenn wir Ihnen in Bezug auf eine flächendeckende Registrierkassenpflicht in Deutschland gefolgt wären, wäre das „Master of Desaster“ gewesen . ({0}) Wir wollen keine Flut von Daten produzieren, mit denen die Finanzverwaltung überhaupt nichts anfangen kann oder will . Das Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz sieht von seiner Systematik her nämlich vor, dass bei allen Kontobeziehungen Name, Adresse und Steuer-ID-Nummer erfasst und dann der Steuerverwaltung zur Verfügung gestellt werden, um eine vollständige und vor allem eindeutige Zuordnung der Daten zu ermöglichen . Speziell bei Kreditkonten, die von Konsumenten eingerichtet werden, weil sie sich zum Beispiel einen neuen Fernseher, eine Waschmaschine, einen Wäschetrockner oder ähnliches kaufen und diesen Kauf finanzieren wollen, macht die Erhebung der Steuer-ID-Nummer jedoch überhaupt keinen Sinn, weil sich diese Kreditkonten überhaupt nicht zur Steuerhinterziehung oder Steuervermeidung eignen . Weltfremd ist ebenfalls die Annahme, dass die Kunden ihre Steuer-ID-Nummer ständig mit sich führen oder fleißig zu Hause auswendig gelernt haben . Ich schaue hier in die Runde: Ich glaube, die wenigsten, die hier sitzen, können ihre Steuer-ID-Nummer auswendig aufsagen . ({1}) Deshalb bin ich dankbar, dass wir uns - das ist von mir übrigens bereits in der ersten Lesung gefordert worden in diesem Gesetz gemeinsam darauf geeinigt haben, den § 154 so neu zu fassen, dass die Konsumenten, die Verbraucherkredite bis zu einer Höhe von 12 000 Euro in Anspruch nehmen, ihre Steuer-ID-Nummer nicht angeben müssen . Bei Kreditgeschäften jenseits dieser Summe kann man davon ausgehen, dass es sich eben nicht um sogenannte Spontankäufe handelt, sondern dass der Kunde diese Kaufentscheidung vorbereitet hat und ihm zugemutet werden kann, dass er zum Beispiel beim Autokauf seine Steuer-ID-Nummer mitbringt . So wird auch vermieden, dass Millionen von Daten nacherhoben werden müssen . Diese Regelung zeugt von Augenmaß, ohne den Kampf gegen Steuerhinterziehung zu beeinträchtigen . In allen anderen Fällen haben Kreditinstitute außerdem die Möglichkeit, für Konten die Steuer-ID durch das maschinelle Abfrageverfahren beim Bundeszentralamt für Steuern innerhalb von drei Monaten nachzuerheben . Sollte der Kunde seine Mitwirkung verweigern, wird dies gesondert vermerkt . Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist leider zu kurz, um auf alle 18 Umdrucke einzugehen . Ich möchte mich zum Abschluss meiner Ausführungen aber ganz herzlich bei den Kolleginnen und Kollegen des Finanzausschusses für die Beratung und beim Bundesfinanzministerium und den Fraktionsmitarbeitern für die hervorragende Unterstützung bei der Umsetzung unserer doch zahlreichen Änderungswünsche bedanken . ({2}) Mit diesem Gesetz kommen wir im Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung ein gutes Stück voran . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Bernhard Daldrup, SPD-Fraktion . ({0})

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zum Thema Steuer-ID möchte ich, ehrlich gesagt, gar nichts mehr sagen. Ich finde, die Einwände sind zu belanglos . Wenn man sich damit auf eine Art und Weise auseinandersetzt, als wäre es eine Qual und eine Fesselung der Menschen, die Steuernummer mitzuführen, dann ist das grotesk . Das lohnt sich nicht . Wir reden ja heute über das Austrocknen von Steueroasen im mehr oder weniger internationalen Kontext . Das ist sozusagen eine Daueraufgabe . Ich will dabei auf eine andere Aufgabe hinweisen, die uns noch bevorsteht . Auch innerhalb Deutschlands nutzen Unternehmen Steuerschlupflöcher. Darum müssen wir uns kümmern. Der Bundesrat hat uns jedenfalls in seiner Sitzung vom Dezember 2016 mit einer Entschließung noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen und darum gebeten . Ich will Ihnen einmal ein konkretes Beispiel vor Augen führen: Leverkusen ist - viele von uns wissen das - eine wirtschaftlich starke Stadt inmitten einer sehr boomenden Region. Die Bayer AG ist ein Flaggschiff der deutschen Wirtschaft . Trotzdem sind die Kassen der Kommune Leverkusen mehr oder weniger leer . Bei 160 000 Einwohnern hatte Leverkusen im Jahre 2014 Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von 25 Millionen Euro . ({0}) - Ganz genau . Bei der Firma Bayer sind die Kassen voll . Da haben Sie in der Tat recht, Herr Michelbach . Ich komme darauf zurück, keine Sorge . ({1}) Andererseits ist es so, dass in Leverkusen Milliardengewinne bei den Firmen Bayer und Lanxess anfallen . Was ist also die Erklärung? Die Nachbarstadt Monheim, 40 000 Einwohner, hat Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von 225 Millionen Euro . ({2}) Der Unterschied: In Leverkusen gibt es einen Gewerbesteuerhebesatz von 475 Prozent, in Monheim, in der direkten Nachbarschaft, sind es gerade noch 265 Prozent . Das sind die Unterschiede bei den Gewerbesteuerhebesätzen . Laut Handelsblatt verändern Firmen wie Bayer ihren unternehmerischen Organkreis entsprechend und gründen in Gemeinden wie etwa Monheim Tochtergesellschaften . Das sind in Wirklichkeit die innerdeutschen Steueroasen . Es ist ein ähnliches Muster wie im internationalen Kontext: Übertragung von Patenten, Lizenzgebühren, geringe Gewerbesteuern . Das ist natürlich, wenn man es so sieht, falsch verstandene kommunale Selbstverwaltung, fehlende interkommunale Solidarität . Aber was kann man machen? Wir hatten diese Debatte schon im Jahre 2000 - da waren Sie auch dabei - im Zusammenhang mit der Gemeinde Norderfriedrichskoog . Sie verzichtete komplett auf die Gewerbesteuer . Bei 47 Einwohnern waren 380 Körperschaften und 180 Personengesellschaften die Folge . Als Konsequenz wurde damals der gewerbesteuerliche Mindesthebesatz von 200 Prozent eingeführt . Das war eine vernünftige Sache . Der Durchschnittshebesatz aller Kommunen - große Städte, kleine Städte - liegt in Deutschland zum gegenwärtigen Zeitpunkt bei etwa 400 Prozent . Es würde also niemandem schaden, wenn der Mindesthebesatz, wie es der Bundesrat ja auch von uns erwartet, beispielsweise auf 300 Prozent angehoben würde . Das wäre jedenfalls ein Schritt in die richtige Richtung . ({3}) Noch besser wäre es, wenn die Differenz zwischen den Hebesätzen etwas geringer wäre . Das könnte man erreichen, indem man die Bemessungsgrundlage beispielsweise durch die Einbeziehung der freien Berufe - die Steuerberater sind ja angesprochen worden - veränderte . In der Tat wäre das eine vernünftige Variante . Auf diese Art und Weise könnte man die Gewerbesteuer national verstetigen, und es bestünde für die Kommunen vielleicht sogar die Möglichkeit - um gewissermaßen das Aphrodisiakum für Sie, Herr Michelbach, zu benennen -, die Gewerbesteuer zu senken . ({4}) Mit anderen Worten: Es wäre auch keine schädliche Entwicklung für die Freiberufler, weil sie ja Betriebsausgaben von der Einkommensteuer abziehen könnten, die Kommunen hätten so auch ein Stück weit Verlässlichkeit, und die Unternehmen müssten nicht innerhalb Deutschlands nach Steueroasen spähen . Es wäre doch eine schöne Aufgabe, wenn wir das anpacken würden . Herzlichen Dank . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet . Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 4 a zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen . Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12128, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11233 und 18/11531 in der Ausschussfassung anzunehmen . Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12148 vor, über den wir zuerst abstimmen . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt . Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte alle, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben . - Das sind CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen . - Wer stimmt dagegen? - Niemand . Wer enthält sich? - Das ist die Fraktion Die Linke . Damit ist der Gesetzentwurf angenommen . Tagesordnungspunkt 4 b . Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften . Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12127, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11132 und 18/11184 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Opposition angenommen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte alle, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen . Tagesordnungspunkt 4 c . Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 18/12127 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2877 mit dem Titel „Für eine Bundessteuerverwaltung - Gleiche Grundsätze von Flensburg bis zum Bodensee“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das sind die Koalitionsfraktionen . Wer stimmt dagegen? - Das ist die Opposition . Wer enthält sich? Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen . Wir haben noch eine weitere Abstimmung, nämlich die Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8132 mit dem Titel „Illegale Finanzbeziehungen bekämpfen - Steueroasen austrocknen“ . Wer stimmt für diesen Antrag? - Das ist die Linke . Wer stimmt dagegen? - Das ist die Koalition . Wer enthält sich? - Die Grünen . Damit ist der Antrag abgelehnt . Jetzt kommen wir zu den Tagesordnungspunkten 5 und 38: 5 . Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias W . Birkwald, Sabine Zimmermann ({0}), Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gesetzliche Rente stärken, Rentenniveau anheben und die solidarische Mindestrente einführen Drucksache 18/10891 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1}) Finanzausschuss 38 . Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth, Kerstin Andreae, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Gesamtkonzept Alterssicherung - Verlässlich, nachhaltig, solidarisch und gerecht Drucksache 18/12098 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({2}) Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss Wenn Sie jetzt Ihre Plätze zügig einnehmen würden, könnten wir in der Debatte fortfahren . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann ist so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Matthias W. Birkwald für die Fraktion Die Linke . ({3})

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der ZDF-Kabarettsendung Die Anstalt vom 4 . April war die Rente wieder einmal das wichtigste Thema. Max Uthoff und Claus von Wagner berichteten vom österreichischen Rentenparadies . Männliche Arbeiter und Angestellte erhalten in Österreich eine durchschnittliche Altersrente von sage und schreibe 1 926 Euro brutto im Monat . Bei den Frauen sind es 1 092 Euro . Für deutsche Verhältnisse ist allein das schon paradiesisch . Aber es wird noch besser: Die Pensionisten - so heißen die Rentner und Rentnerinnen in Österreich - erhalten ihre Renten 14-mal im Jahr . Auf 12 Monate umgerechnet sind das 2 247 Euro brutto bei den Männern und 1 274 Euro brutto bei den Frauen . Zum Vergleich: In Deutschland erhielten Männer 2015 eine Rente von durchschnittlich 1 162 Euro brutto, bei den Frauen waren es 916 Euro brutto, und da sind die Witwenrenten schon mit drin . 1 085 Euro mehr Rente für die Männer in Österreich und immerhin 358 Euro mehr für die österreichischen Rentnerinnen - das zeigt: Es ist beileibe nicht alles gut, was aus Österreich kommt, aber in der Rentenpolitik sollten wir unbedingt von Österreich lernen . ({0}) Auch in Österreich regiert eine Große Koalition aus Sozialdemokraten und Konservativen, und die haben uns glaubhaft versichert, dass das ausgesprochen leistungsfähige Rentensystem Österreichs bis zum Jahr 2060 nachhaltig finanziert ist, weil alle mit Erwerbseinkommen einzahlen . Herr Rosemann und Herr Schiewerling, Sie waren dabei . ({1}) Die Beschäftigten zahlen für die wesentlich höheren Renten in Österreich nur 0,9 Prozentpunkte mehr Beitrag als bei uns, und bei den Arbeitgebern sind es 3,2 Prozentpunkte mehr . Komplizierte Betriebsrenten und teure private Vorsorge brauchen die Österreicherinnen und Österreicher nicht . Darum: Lassen Sie uns die gesetzliche Rente auch in Deutschland wieder stärken; denn die Rente muss für ein gutes Leben reichen . ({2}) Dafür hat die Linke ein Rentenkonzept vorgelegt . Es umfasst elf aufeinander abgestimmte Bausteine für eine lebensstandardsichernde und armutsfeste Rente . Hier die wichtigsten: Erstens . Das Rentenniveau muss wieder auf 53 Prozent angehoben werden, und die Rente muss wieder eins zu eins den Löhnen folgen . ({3}) Das brächte Menschen, die 45 Jahre lang durchschnittlich verdient haben, derzeit jeden Monat netto 122 Euro mehr Rente. Das ist finanzierbar, auch langfristig. Wer zum Beispiel als Erzieherin im öffentlichen Dienst in NRW 3 100 Euro brutto verdient, müsste aktuell nur 32 Euro mehr in die Rentenkasse zahlen, ihr Arbeitgeber ebenso . Union, SPD und Grüne wollen, dass diese Erzieherin jeden Monat 110 Euro Beitrag zur Riester-Rente zahlt . Das wäre dann überflüssig. ({4}) 110 Euro weniger für die Riester-Rente, 32 Euro mehr in die Rentenkasse - das heißt, diese Durchschnittsverdienerin hätte jeden Monat 78 Euro mehr in der Tasche, und im Jahr 2030 wären es trotz des demografischen Wandels immer noch 64 Euro . Meine Damen und Herren, in Österreich zahlen die Arbeitgeber 12,55 Prozent des Lohns in die Rentenkasse . Damit, liebe Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen hierzulande, könnten wir in den kommenden Jahren ein lebensstandardsicherndes Rentenniveau von 53 Prozent Vizepräsidentin Ulla Schmidt finanzieren. Ich sage: Was in Wien geht, das geht auch in Kiel oder in Köln . ({5}) Meine Damen und Herren, die Grünen wollen das Rentenniveau so lassen, wie es ist . Ganz deutlich: Das reicht nicht für eine gute Rente . Zweitens . In Österreich gibt es eine Erwerbstätigenversicherung . Das heißt, alle Menschen mit Erwerbseinkommen zahlen in die Rentenversicherung ein, auch Selbstständige, Freiberufler, Beamte und selbstverständlich alle Abgeordneten, Minister und Staatssekretäre . Meine Damen und Herren, eine solche Erwerbstätigenversicherung will die Linke auch in Deutschland einführen . ({6}) Drittens . Wir Linken wollen die Beitragsbemessungsgrenze anheben . Heute müssen Geschäftsführer mit zum Beispiel 12 700 Euro Monatseinkommen nur Rentenbeiträge für ihr halbes Einkommen zahlen . Das ist sozial ungerecht . Darum fordert die Linke, die Beitragsbemessungsgrenze schrittweise anzuheben und sie perspektivisch abzuschaffen. ({7}) Sehr hohe Renten wollen wir in der Spitze abflachen. Das wäre verfassungsgemäß und sozial gerecht . ({8}) Viertens . Die Rente muss schwierige Lebenslagen wieder ausgleichen. Alleinerziehende, Pflegende, Langzeiterwerbslose und Geringverdienende brauchen unsere Solidarität . Konkret: Wir wollen 93 Euro Mütterrente für jedes Kind - in Leipzig und in Düsseldorf, vollständig steuerfinanziert. Da, liebe Grüne, sind wir uns einig. ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, für Hartz-IV-Betroffene müssen endlich wieder Beiträge in die Rentenkassen gezahlt werden, und zwar so, als ob sie die Hälfte des Durchschnitts verdienten . Das fordert auch der Deutsche Gewerkschaftsbund, und das wäre sozial gerecht . ({10}) In Nordrhein-Westfalen sorgt der Niedriglohnsektor zum Beispiel dafür, dass gut ein Fünftel der Beschäftigten später keine ausreichende Rente erhält . Bis 1991 wurden die Renten dieser langjährig Niedrigverdienenden aufgewertet; Rente nach Mindestentgeltpunkten heißt das . Viele Sozialverbände und die Linke fordern: Die Rente nach Mindestentgeltpunkten muss auch für die Zeit ab 1992 gelten, und sie muss besser werden . ({11}) Denn damit würde die Altersarmut in Ost- und Westdeutschland bekämpft . Das muss drin sein! ({12}) Fünftens . Über die linken Vorschläge für deutlich bessere Erwerbsminderungsrenten und für eine gerechte Angleichung der Ostrenten an das Westniveau werden wir morgen diskutieren und über Betriebsrenten Mitte Mai . Sechstens . Zur Rente erst ab 67 . Union und SPD haben Millionen Menschen die Rente massiv gekürzt, weil sie bis 67 arbeiten sollen, obwohl viele das gar nicht schaffen und es auch keine Jobs für sie gibt. Wer es nicht bis zur persönlichen Regelaltersgrenze schafft, kriegt die Rente durch Abschläge gekürzt . Ich komme aus NRW . Dort hatte 2015 von den rund 1,1 Millionen Einwohnern im Alter von 60 bis 65 Jahren nur jeder Dritte eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, mit der Rentenansprüche aufgebaut werden konnten . Die Folge: Hunderttausenden drohen gekürzte Renten, und das bei einem weiter sinkenden Rentenniveau . Das geht gar nicht! ({13}) Außerdem: In den vergangenen Jahren waren 22 Prozent der Verstorbenen jünger als 70 Jahre . Vor allem die Armen müssen früher sterben . Nach einer Studie des Robert-Koch-Instituts sterben arme Frauen 8,4 Jahre früher als ihre wohlhabendsten Altersgenossinnen . Die armen Männer müssen sogar 10,8 Jahre eher gehen . Und darum ist jede Forderung nach der Rente erst ab 70, Herr Schäuble und Herr Spahn, nach der Rente erst ab 73, liebe Bundesbank, oder nach der Rente erst ab 85, BDI-Vizepräsident Ulrich Grillo, nichts anderes als Klassenkampf von oben . Das ist der völlig falsche Weg! ({14}) Die Menschen müssen wieder ab 65 abschlagsfrei in Rente gehen können - wie in Österreich . Wer 40 Beitragsjahre hat, muss ab 60 abschlagsfrei in Rente gehen dürfen . Bauarbeiter und Krankenschwestern haben dann genug Steine und Patientinnen und Patienten geschleppt . ({15}) Siebter und letzter Punkt . Meine Damen und Herren, wenn alle diese Bausteine im Einzelfall nicht für eine Rente oberhalb der Armutsgrenze reichen sollten, dann wollen wir, dass der Rentner oder die Rentnerin eine einkommens- und vermögensgeprüfte solidarische Mindestrente aus Steuermitteln erhält . Es gibt sie schon - in Österreich . Dort gibt es sogar zwei Mindestrenten . Wer in Österreich auch nur einen Cent Rentenanspruch hat, erhält als Single mindestens 1 038 Euro Rente, mit mindestens 30 Beitragsjahren sind es sogar 1 167 Euro, umgerechnet auf zwölf Monate . Ausgleichszulage nennen die Ösis das offiziell. Die Garantierente der Grünen ist dagegen ein schlechter Witz . Für langjährig Versicherte, also nach 35 Beitragsjahren, ({16}) soll es eine Garantierente in Höhe von 30 Entgeltpunkten geben . Das wären derzeit 914 Euro brutto und 811 Euro netto . Das sind 7 Euro über dem durchschnittlichen Grundsicherungsbedarf im Alter außerhalb von Einrichtungen . 7 Euro - das ist doch nur weiße Salbe . Wir brauchen eine armutsfeste, solidarische Mindestrente, die ihren Namen verdient . Das heißt zum Beispiel, wer als Single eine gesetzliche Rente von nur 800 Euro erreichte und 150 Euro an weiteren Alterseinkommen hätte, hätte einen Anspruch auf einen steuerfinanzierten Zuschlag von 100 Euro . Die würden dann von der Rentenversicherung ausgezahlt . Das wären dann insgesamt 1 050 Euro netto, knapp über der Armutsgrenze nach den Kriterien der Europäischen Union . Wir Linken sagen: Arbeit darf nicht arm machen, auch nicht im Alter . Ich danke Ihnen . ({17})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Karl Schiewerling, CDU/CSU-Fraktion, die Gelegenheit, seine Sicht der Dinge darzulegen . ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Birkwald, Ihre Darstellung des österreichischen Rentensystems glich einem beeindruckenden Feuerwerk . ({0}) Leider haben Sie vergessen, zu sagen, welche Nachteile es hat . ({1}) Es hat zum Beispiel gegenüber dem deutschen Rentensystem den Nachteil, dass man erst einmal 15 Jahre arbeiten muss und nicht 5 Jahre, bis man einen Rentenanspruch hat . Sie haben nicht dargestellt, dass die Österreicher im Augenblick riesige Probleme mit der Finanzierung ihres Rentensystems haben . ({2}) Sie haben nicht dargestellt, dass man im Augenblick dabei ist, die hochgelobte Frauenrente abzusenken, weil sie so nicht mehr zu finanzieren ist. Sie haben völlig vergessen, darzustellen, dass die Österreicher wegen ihrer hohen Haushaltsverschuldung Probleme am Arbeitsmarkt haben und es zu einem Aufwuchs an Arbeitslosigkeit kommt . Sie haben völlig vergessen, darzustellen, dass es einen Zusammenhang zwischen Rente, Arbeitsmarkt, Wirtschaft und Staatsverschuldung gibt . Die Dinge müssen zusammen gesehen werden . Wer den Scheinwerfer solitär, ausschließlich auf glückliche Rentner richtet, darf sich nicht wundern, wenn er hinterher ins kurze Gras kommt . ({3}) Meine Damen und Herren, pünktlich zu den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen und zum Aufgalopp zur Bundestagswahl wird ein Antrag der Linken vorgelegt . Er wurde bereits im Januar beschlossen, wird aber erst jetzt, Ende April, auf den Tisch gelegt, damit vor den Landtagswahlen Drive in die Sache kommt . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Schiewerling, der Kollege Birkwald möchte eine Zwischenfrage stellen .

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich lasse keine Frage zu .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Sie lassen keine Frage zu . Danke schön .

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein . Er kann nachher eine Bündelfrage stellen . Dann ist das gut . ({0}) Meine Damen und Herren, ich will Ihnen deutlich sagen: Wir als Unionsfraktion könnten uns zurücklehnen; denn die Darstellungen der Linken kennen wir mittlerweile . Eigentlich geht es darum, sein Mütchen an der SPD zu kühlen, sich an der SPD abzuarbeiten . Wir von der Union könnten uns zurücklehnen und sagen: „Sollen sie mal“; ({1}) das tun wir aber nicht, weil es in der Tat einige Dinge gibt, die man in aller Deutlichkeit sagen muss . Der erste und wichtigste Punkt ist: Die großen Probleme, die Sie im Rentenbereich beschreiben, existieren in dieser Form nicht . ({2}) Zweitens . Wir müssen natürlich die Gesamtentwicklung, die unseren Planungen bis 2030 zugrunde lagen, berücksichtigen . Die Zahlen sind samt und sonders besser als ursprünglich angenommen . Die Renten steigen, das Rentenniveau steigt, und die Rücklage kann trotz zusätzlicher Ausgaben im Bereich der Rentenversicherung stabilisiert und sogar gesteigert werden . Wir haben stabile Renten mit stabilen Grundlagen . Es geht um die Frage, was in den Jahren ab 2030, passieren wird . Wir stehen miteinander vor großen Herausforderungen und müssen dabei zwei Dinge berücksichtigen, die das Rentensystem in Deutschland betreffen - das gilt übrigens für jedes Rentensystem, für das umlagefinanzierte Rentensystem, das kapitalgedeckte RentenMatthias W. Birkwald system und sogar für das österreichische System -: Es geht um Fragen der demografischen Entwicklung und der wirtschaftlichen Entwicklung . Beide Entwicklungen - demografische und wirtschaftliche Entwicklung bestimmen die Alterssicherung . Da es um die Zukunft der Rente geht, müssen wir alles tun, um unter diesem Eindruck die Stellschrauben richtig zu stellen . Das heißt, wir müssen schauen, dass die umlagefinanzierte Rente als Grundlage einer allgemeinen Alterssicherung erhalten bleibt . Natürlich können wir, wie Sie, Herr Birkwald, den Wunsch äußern, in das Rentensystem alle möglichen Gruppen mit eigenen Versorgungswerken zu integrieren, wie die Österreicher das machen . Das würde die Gruppe derjenigen verbreitern, die Rentenversicherungsbeiträge einzahlen, aber auch die Gruppe derjenigen, die Renten bekommen . Das würde nicht nur mehr Einnahmen, sondern auch mehr Ausgaben bedeuten . ({3}) Und das heißt keineswegs, dass die Risiken, die damit verbunden sind, auf einmal über Nacht verschwunden wären . ({4}) Wir haben eine Situation in Deutschland, in der wir anders als Sie das darstellen, Herr Birkwald - einen Aufwuchs an Beschäftigung der über 60-Jährigen haben; es gibt eine deutliche Zunahme an Menschen, die über ihr 60 . Lebensjahr hinaus in Beschäftigung sind . Das alles kann noch besser werden . Dafür haben wir in dieser Koalition gemeinsam die Flexirente eingeführt . Wir haben dadurch Wege eröffnet, dass man den Ausstieg aus dem Berufsleben gleitend gestalten kann . ({5}) Ich bin sicher, dass die Flexirente ihre Wirkung entfalten wird . Aber was nicht geht, ist, dass das System der umlagefinanzierten Rente aus dem Gleichgewicht gebracht wird . Hierbei gibt es im Wesentlichen vier Stellschrauben: der Beitrag, der eingezahlt wird, das Rentenniveau, die Rücklage bzw . der Zuschuss des Staates und natürlich die Rentenlaufzeit . Es geht nicht, dass wir nach Belieben an den Schräubchen drehen; ({6}) denn letztendlich ist es ein mathematisches System, das in sich stimmig ist und im Gleichgewicht gehalten werden muss . Darüber, wie das zu geschehen hat, gibt es im Augenblick Auseinandersetzungen . Ich freue mich sehr, dass es hier im Hohen Haus eine breite Mehrheit gibt, die nicht infrage stellt, dass die umlagefinanzierte Rente das stabilste System ist, das wir haben . ({7}) Es ist gut, dieses System weiterhin zu stabilisieren . Wir müssen alles tun, dass es weiterhin seine Wirkung entfalten kann . ({8}) Ich will darauf hinweisen, dass wir dabei sind, die betriebliche Altersvorsorge, also die zweite Säule, und die private Altersvorsorge, also die dritte Säule - beide leiden unter den Kapitalmärkten -, zu stabilisieren, damit auch sie für die Bevölkerung besser ihre Wirkung entfalten können, auch für diejenigen, die Geringverdiener sind, die weniger Geld haben . Ihnen wollen wir helfen, über diesen Weg die Basis für ihre Alterseinkünfte zu verbessern . Aber Grundlage dafür, dass die Rente altersfest ist, eine Zukunft hat und auch eine Sicherung für das Alter darstellt, sind im umlagefinanzierten Rentensystem die Beiträge, die man eingebracht hat . Was wir nicht wollen, ist, dass die Rente ein Gemischtwarenladen von Beiträgen, die man selbst erwirtschaftet hat, und von sozialen Fürsorgeleistungen wird . Wenn diese Dinge miteinander vermischt werden, ist nicht mehr klar, was jeder selbst eingebracht hat . Wir werden damit den Menschen, die ihre Rente durch eigene Beiträge erwirtschaftet haben, unter dem Strich nicht gerecht . Deswegen werden wir, was die zukünftige Altersabsicherung angeht, schauen müssen, wie wir die Dinge miteinander kombinieren . Ein wichtiger zentraler Punkt ist natürlich, was wir tun, damit möglichst viele Menschen in Erwerb kommen, in Erwerb bleiben und entsprechend mit guten Einkünften für ihre Alterssicherung sorgen können . Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik besteht eine Aufgabe im Bereich der Bildung . Es geht - das ist gar keine Frage; das bereitet uns große Sorgen - um die Langzeitarbeitslosen im SGB-II-Bereich und vor allem um diejenigen, die noch jung sind, nämlich um die 6 Prozent, die den Schulabschluss nicht schaffen. Das sind jedes Jahr in Deutschland 80 000 Jugendliche, die dadurch eine schlechte berufliche Perspektive haben. Ihre Altersvorsorge treibt uns um . Wir müssen für die Zukunft klären, was wir mit diesen Kindern und Jugendlichen machen . Welche Perspektiven können wir entwickeln? Daran werden wir arbeiten . ({9}) Ich betrachte diese Frage als die eigentliche soziale Frage der Zukunft . Wir sollten jedem in diesem Land Chancen und Wege eröffnen. Wir sollten jedem - das gebietet die soziale Gerechtigkeit - Chancen zur Teilhabe geben. Wir sollten jedem die Möglichkeit eröffnen, seine eigenen Potenziale zu entfalten, sodass er sich seine Alterssicherung selbst erwirtschaften kann und nicht auf Fürsorge des Staates angewiesen ist; sie sollte nur dann notwendig sein, wenn anderes nicht reicht . Diese Wege müssen wir konsequent gehen . Ich glaube, dass wir damit letztendlich den Menschen dienen . Das ist etwas anderes als das Malen eines bunten, hochalpinen Bildes des Herrn Kollegen Birkwald, der glaubt, er könnte einen bestimmten Aspekt aus ÖsterKarl Schiewerling reich hierhin übertragen, alles andere ausblenden und damit völlig außer Acht lassen, vor welchen Herausforderungen auch Österreich steht . ({10}) Es ist eine Frage der Ehrlichkeit, auch dies zu sagen . Ich habe in meiner Rede das deutlich gemacht . Leider ist mein Beitrag im Fernsehen ausgeblendet worden, ({11}) weil es der Berichterstattung nicht passte . ({12})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Bevor der Kollege Markus Kurth das Wort erhält, hat der Kollege Birkwald um eine Kurzintervention gebeten .

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Herr Schiewerling, Sie haben meine Kurzintervention sozusagen provoziert . Zunächst einmal: Das Thema Rente interessiert mittlerweile auch sehr, sehr junge Menschen, auch 20-Jährige . Die Gewerkschaft IG Metall hat eine Beschäftigtenbefragung durchgeführt . 680 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben geantwortet . Sie haben zum Beispiel folgender Aussage zugestimmt: Das Rentenniveau muss stabilisiert und mittelfristig erhöht werden, auch wenn dadurch die Beiträge von Arbeitgebern und Beschäftigten zur gesetzlichen Rentenversicherung steigen . Insgesamt haben dieser Aussage 85 Prozent zugestimmt . Bei den 25- bis 34-Jährigen waren es 75 Prozent . Wenn das so ist, dann kann das Rentensystem nicht so gut sein, wie Sie es hier dargestellt haben . Fakt ist: Die Rentnerinnen und Rentner in Österreich bekommen deutlich höhere Leistungen . Das, werter Kollege Schiewerling, haben Sie ausgeblendet . Zu ihren Einwänden . Erstens zu den 15 Jahren . Nur 7 dieser 15 Jahre müssen Erwerbsarbeit sein; die restlichen Jahre können sich auf Kindererziehungszeiten und andere Zeiten beziehen . Das ist schon ein riesiger Unterschied . Zweitens . Dadurch, dass es sich um eine Erwerbstätigenversicherung handelt, sind auch fast alle drin und haben die meisten auch diese 15 Jahre . Selbst wenn sie die 15 Jahre nicht haben, bekommen sie eine von den Ländern finanzierte Mindestsicherung in Höhe von 889,84 Euro . ({0}) Sie wird in Wien, wo 2,1 Millionen Menschen leben, auch 14-mal im Jahr gezahlt, im Rest Österreichs 12-mal . Selbst das sind 85 Euro mehr, als die Grundsicherung im Alter derzeit in Deutschland durchschnittlich beträgt . Wenn die Ösis das bei einem Preisniveau finanzieren können, das nur 5 Prozent höher ist als das unsere, dann muss man hier schon ganz schön filibustern, um das nicht hinzubekommen . ({1}) Was die Finanzierung angeht, habe ich Ihnen etwas mitgebracht . ({2}) Das Blaue und das Schwarze sind die wichtigen Linien . Sozialminister Alois Stöger hat Ihnen, Herrn Rosemann, Herrn Strengmann-Kuhn und mir persönlich gesagt - das sagt übrigens nicht nur er, sondern auch der Finanzminister -, bis 2060 sei das durchgängig finanziert. Warum schaffen die das? Es ist ganz einfach: Sie haben die Beamten einbezogen, die jetzt einzahlen, da die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, und erst dann eine Rente bekommen werden, wenn wir alle schon da oben oder da unten sind - je nachdem, ob wir brav waren oder nicht und ob wir gläubig sind oder nicht . Deswegen sage ich Ihnen, Herr Schiewerling: Lassen Sie uns eine Erwerbstätigenversicherung auf den Weg bringen, in die alle Menschen mit Erwerbseinkommen einzahlen . Dann bekommen wir das auch hin . ({3}) Weil ich meine Zeit nicht überstrapazieren will, ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Dazu möchte ich auch raten .

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

- will ich mit einer Frage an Herrn Schiewerling enden: Herr Schiewerling, sind Sie für die Rente erst ab 70 - das würde mich interessieren -, oder finden Sie, dass die Rente erst ab 67 reicht? Herzlichen Dank . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Sie haben die Zeit zwar nicht überstrapaziert, aber voll ausgenutzt . ({0}) Jetzt hat der Kollege Schiewerling die Gelegenheit zur Antwort . - Bitte schön .

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank . - Ich bleibe bei meiner Aussage . Wir haben nämlich nicht nur mit dem Finanzminister geredet, sondern auch mit verschiedenen Instituten in Österreich . In diesen Gesprächen kam schon sehr deutlich zum AusKarl Schiewerling druck, dass Österreich vor großen Finanzierungsproblemen steht und dass man dabei ist, die Rente zu verändern, weil man die Leistungen in der jetzigen Form nicht mehr erbringen kann . Das gehört zur Wahrheit dazu . Ich sage Ihnen, Herr Birkwald: Ich verstehe Ihre Begeisterung . 14 Monate Rentenzahlungen lassen die Augen leuchten . Da leuchten die Augen auch bei mir . Ich sage Ihnen aber: Das muss auch finanziert werden. Ich bin strikt dagegen, dass wir uns die Situation in anderen Ländern anschauen, uns die Rosinen herauspicken, ausblenden, welche Nachteile das dortige System hat, ({0}) und glauben, die einzelnen Puzzleteile in Deutschland zum Wohle aller wieder zusammensetzen zu können . Am Ende des Tages bedeutet das Systemveränderungen, und es kostet Geld. Es muss finanziert werden, es muss tragfähig sein, und es muss akzeptiert werden . Ich sage Ihnen: Das ist nicht so einfach, wie Sie es darstellen . Zu Ihrer Frage . Ich bin dafür, dass wir zunächst einmal das, was wir bis zum Jahre 2029 beschlossen haben, umsetzen . Dann nämlich werden wir die Rente mit 67 haben, vorher noch nicht . Sie wird erst dann ihre Wirkung entfalten . Dann schauen wir, wie weit wir sind . Man muss aber zumindest die demografische Entwicklung in Deutschland zur Kenntnis nehmen . Die Menschen leben länger, und es werden weniger geboren . Eine Rolle spielt darüber hinaus die Rentenlaufzeit . ({1}) Jemand, der 1961 in Rente gegangen ist, hatte als Rentner statistisch noch sieben oder acht Jahre zu leben . Jemand, der heute in Rente geht, hat noch 18 bis 19 Jahre zu leben . ({2}) Das muss ich doch zur Kenntnis nehmen, damit Rentensystem finanzierbar bleibt, weil es gleichzeitig auch ein Versicherungssystem ist, und darf den Menschen keinen Sand in die Augen streuen und sagen: Es spielt alles keine Rolle, es wird alles schon so gehen . Ich bin mir sicher, dass sich ab 2029 die eine oder andere Frage im Lichte aktueller Entwicklungen möglicherweise neu stellen wird . Deswegen diskutiere ich nicht über einzelne Dinge . Ich sage nicht: Das Rentenniveau darf auf keinen Fall zu tief sinken oder zu hoch gehen . Ich sage auch nicht: Der Beitragssatz darf eine bestimmte Höhe nicht überschreiten oder unterschreiten . Wir haben hier Regelungen eingeführt . So sage ich auch nicht: Die Rente mit 67 ist das letzte Wort . Wir müssen uns vielmehr die Dinge im Lichte der Gesamtentwicklung, in der wir uns befinden, anschauen. Im Übrigen: Wenn ich zum Thema Rente vortrage, dann wundere ich mich immer, dass die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland die meiste Sorge haben wegen der in ihren Augen zu langen Lebensarbeitszeit . Die jüngeren Menschen wissen längst, dass sie für das, was sich im Augenblick demografisch abspielt, eines Tages mit zu bezahlen haben werden; ({3}) denn die Situation ist so, wie sie ist . Die jungen Menschen sind realistischer als die Linken . Herzlichen Dank . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat aber der Kollege Markus Kurth für Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich glaube, man muss zu diesem Zeitpunkt der Debatte den Menschen draußen im Land und auch den vielen jungen Menschen heute hier auf der Tribüne eines klarmachen: Die gesetzliche Rentenversicherung, die umlagefinanzierte, ist grundsätzlich leistungsfähig, solidarisch und anpassungsfähig . ({0}) - Ja, ich glaube, da können wir eigentlich alle klatschen . Die gesetzliche Rentenversicherung ist so leistungsfähig, dass sie in den mehr als 125 Jahren ihres Bestehens nur in einem einzigen Monat die Rentenzahlung nicht pünktlich geleistet hat, und das war der Mai 1945 . Sie ist so solidarisch, dass sie die große Anstrengung der deutschen Einheit mit bewältigt hat . Wir hätten uns die Finanzierung anders vorgestellt, aber das System der deutschen Rentenversicherung hat das geschafft. Sie ist so anpassungsfähig, dass sie das Leistungsspektrum weiterentwickelt hat. Beispielhaft sei hier nur die berufliche Rehabilitation genannt, wo die gesetzliche Rentenversicherung beispielsweise in ihren Berufsförderungswerken bei Neuausbildungen und anderem Großartiges leistet . Ich glaube, das muss ich zu Beginn meines Beitrages der Schwarzmalerei, die von der Fraktion Die Linke kommt, entgegenstellen . ({1}) Mit dem so beschriebenen Spektrum ist die gesetzliche Rente jedem kapitalmarktgestützten System haushoch überlegen . Manche neoliberalen Ökonomen, die unter Beweis stellen wollen, dass der Aktienmarkt die Alterssicherung genauso gut oder sogar noch besser übernehmen könne, nennen gerne folgendes Argument . Sie sagen, in jedem beliebigen, 20 Jahre umfassenden Zeitraum seit Ende des Zweiten Weltkrieges habe der Aktienmarkt eine positive Rendite gebracht . 20 Jahre! 20 Jahre sind nicht einmal ein halbes Erwerbsleben . 40 Jahre - denken wir in diesen Zeiträumen? 60 Jahre? Nein, es kann bis zu 80 Jahre dauern: von der ersten Beitragszahlung bis zum letzten Schnaufer auf dem Totenbett . Das sind die Zeiträume, mit denen die gesetzliche Rentenversicherung, das Umlagesystem, operiert . Das muss man sich einmal vor Augen halten . ({2}) Deswegen bestreitet die gesetzliche Rentenversicherung auch 90 Prozent der Gesamtausgaben für die Alterssicherung; das sind im Moment knapp 300 Milliarden Euro . Die kapitalgestützte Vorsorge ist eine zusätzliche Alterssicherung, nicht weniger, aber eben auch nicht mehr . Darum sollten wir vielleicht nicht von einem Drei-Säulen-System sprechen, sondern besser von einem Drei-Schichten-System mit einem Fundament - das ist die gesetzliche Rentenversicherung - und darauf aufbauend weiteren Sicherungsbereichen . ({3}) Gleichwohl ist die Rentenversicherung natürlich nichts Statisches, was unveränderlich ist . Man redet in der Öffentlichkeit immer gerne vom Bismarck-System. Wenn die Versicherung immer noch so wäre, wie sie zu Bismarcks Zeiten war, dann gäbe es sie gar nicht mehr . ({4}) Sie hat sich weiterentwickelt, und auch Bündnis 90/Die Grünen wollen sie weiterentwickeln und stabilisieren . Was braucht es dazu? Ich will mich auf drei Kernpunkte beschränken: Wir brauchen eine vernünftige Einkommensversicherung - damit wird das Thema Rentenniveau adressiert -, wir brauchen eine verlässliche Armutssicherung, und wir brauchen eine funktionierende Solidargemeinschaft . Ich will mit dem letzten Punkt anfangen . Wir brauchen diese funktionierende Solidargemeinschaft, und darum wollen wir die Bürgerversicherung - aus zwei Gründen: Zum einen verändert sich die Arbeitswelt . Wir haben es mit neuen Formen von Selbstständigkeit zu tun . Dort drohen auch neue Formen von Altersarmut . Darum ist es eine sozial- und ordnungspolitische Aufgabe, den Kreis der Versicherten zuerst insbesondere um die nicht anderweitig abgesicherten Selbstständigen zu erweitern . Zum anderen brauchen wir als funktionierende Solidargemeinschaft eine Bürgerversicherung, weil die Versicherten - die Mehrheit der Bürger in diesem Land -, glaube ich, merken und es nicht gut finden, dass sich Leute vom Acker machen. Sie unterstellen ihnen - häufig ist es ja auch so -, dass sie in einer wirtschaftlich besseren Situation sind . Wir wollen perspektivisch alle einbeziehen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier blicke ich auch auf uns . Auch wir Abgeordnete müssen in die Bürgerversicherung . ({5}) Es wird viel ausmachen, wenn die Bürgerinnen und Bürger wissen, dass auch wir Abgeordnete das, was wir hier beschließen, in unserer Renteninformation sehen werden . Das ist ein wichtiger Schritt für mehr Akzeptanz . ({6}) Sie von der Großen Koalition - das kann ich Ihnen nicht ersparen - haben in der vergangenen Legislaturperiode durch Sonderregelungen für Honorarärzte und für angestellte Anwälte, sogenannte Syndikusanwälte, die funktionierende Solidargemeinschaft, die besteht, leider sogar noch ausgehöhlt . Das ist genau das Gegenteil von dem, was Bündnis 90/Die Grünen wollen . ({7}) Daneben brauchen wir die Armutssicherung . Wer in seinem Leben mehr als 30 Jahre lang gearbeitet, Kinder großgezogen und Eltern gepflegt hat, vielleicht auch einmal ein, zwei oder drei Jahre arbeitslos war, also eine halbwegs intakte Erwerbsbiografie vorweisen kann, aber nur sehr wenig verdient hat, der muss mindestens 30 Entgeltpunkte, also eine Rente oberhalb des Existenzminimums, haben . ({8}) Wir sagen: Auch Ansprüche aus der Betriebsrente und der Riester-Rente müssen geschützt sein . Sie dürfen auf diese Garantierente nicht angerechnet werden . ({9}) Der letzte Punkt, den ich hier noch ansprechen kann, ist die Einkommensversicherung . Es geht um das Rentenniveau. Hier bildet sich ein neuer Konsens; das finde ich schon einmal gut . Der Arbeitnehmerflügel der CDU hat, wie ich gehört habe, 45 Prozent angepeilt, Andrea Nahles schlägt ein Rentenniveau von 46 Prozent vor . Wir haben auf unserem letzten Parteitag unser Wahlprogramm beschlossen, nach dem das Rentenniveau nicht weiter sinken sollte . Das heißt, wir haben hier schon eine Orientierungsmarke . Die brauchen wir auch, weil sonst die Angehörigen der Mittelschicht, die wir für dieses System brauchen, nicht mehr erkennen können, dass ihr Einkommen anständig versichert ist . Aber natürlich muss man das vernünftig finanzieren. ({10}) Dafür machen wir verschiedene Vorschläge: Wir wollen die Erwerbsbeteiligung von Frauen weiter vorantreiben; ({11}) Zuwanderung kann zwar nicht kurzfristig, aber perspektivisch zur Finanzierung beitragen; auch die Erweiterung des Versichertenkreises im Rahmen einer Bürgerversicherung wird zumindest helfen, den demografischen Buckel zu bewältigen, und natürlich müssen wir durch eine alters- und alternsgerechte Gestaltung der Arbeitswelt die Voraussetzungen dafür schaffen, ({12}) dass wir besser, länger und gesünder arbeiten können . ({13}) Das ist eine Finanzierungsgrundlage, die es erlaubt, dass sich eventuelle Beitragsanstiege im Rahmen halten . Wir könnten mit der Verbesserung der Finanzierung der Rentenversicherung sofort anfangen, wenn wir Dinge wie die Mütterrente nicht aus Beitragsgeldern, sondern aus Steuergeldern finanzieren würden. ({14}) Auch hier, muss man sagen, haben Sie von der Großen Koalition in den letzten vier Jahren wieder etwas versagt . Meine Damen und Herren, Sie sehen also: Die Rentenpolitik von Bündnis 90/Die Grünen, unser Gesamtkonzept, das wir in dieser Debatte vorgelegt haben, versucht, das Wünschenswerte, das Machbare und das Notwendige zusammenzubringen und nachhaltig zu entwickeln . In Anlehnung an unsere Spitzenkandidatin Katrin GöringEckardt möchte ich auf jeden Fall sagen: Was wir hier vorschlagen - lesen Sie es im Internet nach -, das ist ein heißes Ding . Danke schön . ({15})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat Dr . Martin Rosemann für die SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein zentrales Versprechen unseres Sozialstaats ist es, dass diejenigen, die ihr Leben lang gearbeitet und unsere sozialen Sicherungssysteme mit ihren Beiträgen unterstützt haben, im Alter anständig leben können . Rente muss Altersarmut verhindern und muss einen angemessenen Lebensstandard sichern . Das gilt heute, aber auch in Zukunft. Alterssicherung muss verlässlich und finanzierbar sein . Das gilt sowohl für Jung als auch für Alt; das gilt für die Generation von heute und für die Generation von morgen und von übermorgen . Genau da setzt das Gesamtkonzept zur Alterssicherung, das unsere Ministerin Andrea Nahles vorgelegt hat, an . Es stärkt die gesetzliche Rente und die betriebliche Altersvorsorge . Es bekämpft Altersarmut gezielt . Es verbessert die soziale Absicherung von Selbstständigen . Und es schafft 27 Jahre nach der deutschen Einheit ein einheitliches Rentenrecht in Ost und West . ({0}) Meine Damen und Herren, für die SPD ist klar: Die gesetzliche Rente ist und bleibt der zentrale Grundpfeiler unserer Alterssicherung . Wir wollen ein weiteres Absinken des Rentenniveaus verhindern . Deshalb begrüßen wir den Vorschlag der Ministerin für eine doppelte Haltelinie . ({1}) Markus Kurth, dir will ich an dieser Stelle sagen: 46 Prozent sind die gesetzliche Haltelinie im Gesamtkonzept der Ministerin, aber das ist nicht die politische Zielgröße . Natürlich müssen wir alles tun - das muss das politische Ziel bleiben -, damit das Rentenniveau über diesen 46 Prozent bleibt . Mit dieser doppelten Haltelinie wird das Rentenniveau stabilisiert, ohne dass die Beiträge übermäßig steigen . Das ist insbesondere deshalb wichtig, weil wir wissen, dass eben nicht nur die Rentenversicherung von der demografischen Veränderung betroffen ist, sondern auch die Krankenversicherung und die Pflegeversicherung. Beides, eine Stabilisierung des Niveaus und eine Verhinderung eines übermäßigen Anstiegs der Rentenbeiträge, funktioniert nur, wenn wir mehr Steuermittel in Form eines Demografiezuschusses, wie das die Ministerin genannt hat, einbringen und wenn wir gesamtgesellschaftliche Aufgaben konsequent über Steuermittel finanzieren. Dieses Konzept der doppelten Haltelinie ist in der Anhörung, die der Ausschuss für Arbeit und Soziales zur Rentenpolitik gemacht hat, auf positive Resonanz gestoßen . Ich darf mit Erlaubnis der Frau Präsidentin Herrn Dr . Thiede von der Deutschen Rentenversicherung zitieren, der gesagt hat: Wir halten dieses Konzept für sehr sinnvoll, weil es sicherstellt, dass die demographischen Belastungen nicht einseitig einer Gruppe zugewiesen werden . Wenn man gar keine Haltelinie hätte, oder nur eine, dann wäre die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass die demographische Belastung ganz überwiegend oder sogar komplett entweder die Beitragszahler oder die Rentenempfänger tragen müssten . Die gleiche Anhörung hat auch deutlich gemacht, dass Altersarmut eben nicht vorrangig eine Frage des Rentenniveaus ist, sondern eine Frage der Erwerbsbiografie. In diesem Zusammenhang wurden bestimmte Personengruppen genannt: Kleinselbstständige, Erwerbsgeminderte, Langzeitarbeitslose, die von Altersarmut besonders betroffen sind. Auch hier hat die Ministerin mit ihrem Gesamtkonzept zielgerichtete Vorschläge vorgelegt . Wir als Große Koalition verbessern - das werden wir am Freitag debattieren - zum zweiten Mal die Erwerbsminderungsrente, weil Erwerbsminderung ein so zentrales Risiko für Altersarmut ist . Darüber hinaus hat die Ministerin vorgeschlagen, Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen . Das unterstützt unsere Fraktion als ersten konkreten Schritt hin zu einer Erwerbstätigenversicherung ganz ausdrücklich . ({2}) Wir wollen: Wer sein Leben lang gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt hat, der soll, auch wenn das Einkommen gering war, im Alter nicht zum Sozialamt gehen müssen . Das ist für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eine Frage der Würde . Deshalb unterstützen wir den Vorschlag der Ministerin für eine Solidarrente . Wir halten es für einen sehr klugen Vorschlag, dass sie für diese Personen in jedem Fall über der Grundsicherung liegt, unabhängig davon, ob sie auf dem flachen Land in Mecklenburg-Vorpommern oder in Ballungsräumen wie in Stuttgart oder Tübingen leben . Wir fragen uns, warum der Koalitionspartner an dieser Stelle diesen pragmatischen und sinnvollen Vorschlag nicht unterstützen konnte . ({3}) Meine Damen und Herren, um die demografischen Herausforderungen - also Babyboomer, sinkende Geburtenrate und steigende Lebenserwartung - auch in Zukunft bewältigen zu können, braucht es neben einer starken gesetzlichen Rente auch eine möglichst flächendeckende betriebliche Altersvorsorge . Mit unserer Betriebsrente Plus setzen wir genau da an . Wir setzen auf eine zielgenaue Förderung von Geringverdienern, eine stärkere Arbeitgeberfinanzierung bei der betrieblichen Altersvorsorge und auf einfache und attraktive Angebote für Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch die Tarifpartner, von denen auch kleine und mittlere Unternehmen profitieren können . Vor allem setzen wir bei der betrieblichen Altersvorsorge auf Solidarität: große kollektive Systeme statt individuelle Lösungen . Ich komme zum Schluss . Egal ob gesetzliche Rente oder betriebliche Altersvorsorge: Grundlage für gute Renten ist immer eine gute wirtschaftliche Entwicklung . Auch gilt für jede und jeden Einzelnen der Zusammenhang zwischen guter Bildung, guter Arbeit, guten Löhnen und guten Renten . Deswegen fängt gute Rentenpolitik schon mit der Bildungspolitik an und geht auf dem Arbeitsmarkt weiter . Deshalb müssen wir Erwerbsbiografien stärken und gleiche Chancen schaffen. Genau das haben wir in dieser Wahlperiode an unterschiedlichen Stellen begonnen: mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, mit Anreizen für eine bessere Tarifbindung, mit der Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen, mit all dem, was wir getan haben und noch tun wollen, um die Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern zu reduzieren, und vor allem auch dadurch, dass wir es Menschen ermöglichen, länger gesund im Arbeitsleben zu bleiben, mit einem vorsorgenden Sozialstaat, der in Prävention und Rehabilitation und in die Qualifikation der Beschäftigten investiert und sie auf dem Weg durch das Arbeitsleben begleitet und auch bei Umbrüchen unterstützt . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Peter Weiß für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Sie diese Debatte verfolgen! Man kann feststellen: Es nahen Wahlen: in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und dann im September die Bundestagswahl, und das befeuert natürlich die politischen Parteien und die Fraktionen, viel Gutes, Neues, Schönes und auch Teures zu versprechen . ({0}) Ich empfehle, den alten Spruch „Wahltag ist Zahltag“ ernst zu nehmen und sich vielleicht erst einmal anzuschauen, was in der Vergangenheit und vor allem in dieser Legislaturperiode gemacht worden ist . Meine sehr geehrten Damen und Herren, über ein Vierteljahrhundert lang sind in Sachen Rentenpolitik wegen der ökonomischen Zwänge eher Verschlechterungen eingetreten, übrigens vor allem in einer Zeit, in der die Grünen mitregiert haben, Herr Kurth . Diese Legislaturperiode seit 2013 ist die erste seit 25 Jahren, in der in der Rente einmal zusätzliche Leistungen beschlossen worden sind - und kein Minus . Diese Legislaturperiode ist deshalb ein Gewinn für die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland . ({1}) Das Bemerkenswerteste ist erstens die Mütterrente: 10 Millionen Rentnerinnen in Deutschland haben dank der Mütterrente, die wir beschlossen haben, mehr Rente als zuvor . Ein großartiger Erfolg! ({2}) Zweitens zu den Erwerbsminderungsrenten . Darauf ist in den vorherigen Reden zu Recht Bezug genommen worden . Warum? Wenn jemand wegen eines Unfalls oder einer Krankheit vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden muss und nichts mehr für seine Altersversorgung tun kann, dann ist in der Tat der Sozialstaat gefordert, so jemanden finanziell so auszustatten, dass er möglichst ohne zusätzliche staatliche Stütze leben kann . Deswegen haben wir zu Beginn dieser Legislaturperiode die Zurechnungszeit, also die Zeit, wie lange jemand hätte arbeiten können, wenn der Unfall nicht passiert wäre, um zwei Jahre verlängert . Darüber hinaus bringen wir in dieser Woche einen Gesetzentwurf ein, mit dem wir noch einmal drei Jahre obendrauf setzen . ({3}) Noch nie ist in Sachen Erwerbsminderungsrente so viel gemacht worden . Das ist auch richtig so . ({4}) Außerdem hat die Rentenversicherung eine wichtige Aufgabe, die manche manchmal vergessen . Sie soll nämlich auch etwas dafür leisten, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in die Rentenversicherung einzahlen, möglichst gesund und munter bis zum Rentenalter arbeiten können . Hier geht es also um das Angebot von Rehaleistungen . Weil wir sehen, dass wir in unseren Betrieben zunehmend ältere Belegschaften haben, haben wir beschlossen, den Rehadeckel, also das Budget für die Rehaleistungen der Rentenversicherung, hochzusetzen . Das Thema Reha kommt übrigens in den Anträgen der beiden Oppositionsfraktionen überhaupt nicht vor . ({5}) Ja, es ist richtig: Wir wollen mehr Mittel für die Gesundheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Betrieben in Deutschland einsetzen . ({6}) Dazu gehört auch, dass wir der Rentenversicherung erstmals erlaubt haben, mehr in Sachen Prävention, also Vorsorge, zu machen . Wir führen jetzt erste Modellversuche durch . Der Kollege Rosemann, der vor mir gesprochen hat, und ich waren vor einiger Zeit gemeinsam in Stuttgart bei der Auftaktveranstaltung für ein Projekt, mit dem die Rentenversicherung zusammen mit den Berufsgenossenschaften speziell für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege, also einem Berufsfeld, in der man besonderen psychischen und auch physischen Belastungen ausgesetzt ist, neue Vorsorgemodelle ausprobiert. Ich finde, es ist eine großartige Sache, dass wir in dieser Legislaturperiode auch mehr Präventionsleistungen durch die Rentenversicherung neu eingeführt haben . ({7}) Dann komme ich zum Stichwort „Flexirente“ . Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben es möglich gemacht, dass derjenige, der mit 63 oder 64 Jahren vorzeitig mit Abschlägen in Rente gehen will, nicht bestraft wird, wenn er dann noch irgendeine Arbeit ausüben oder einen Job annehmen will, und mehr behalten kann als in der Vergangenheit . Das attraktive Angebot an alle Rentnerinnen und Rentner, Rentenbezug und Hinzuverdienst durch Arbeit miteinander zu verbinden, halte ich für eine Lösung, die zukunftsgerichtet ist; denn so gleitet man langsam aus dem Erwerbsleben heraus und bezieht schon einmal einen Teil Rente, arbeitet aber auch noch einen Teil . Damit haben wir endlich eine Sache umgesetzt, die vernünftig ist und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mehr Wahlmöglichkeiten bei der Rente schenkt . Das ist ein großartiger Erfolg, den wir hinbekommen haben . ({8}) Weil in der Debatte das Thema Steuermittel angesprochen worden ist: Wir geben in diesem Jahr, im Jahr 2017, so viele Steuermittel in die Rente wie noch nie, nämlich 91 Milliarden Euro . Das sind 27,6 Prozent des gesamten Bundeshaushalts . Angesichts der umfänglichen Aufgaben, die der Staat zu erfüllen hat, sind 27,6 Prozent allein für die Rente eine großartige Leistung, die der Staat für die Sicherung unseres Rentensystems erbringt - und das bei dem seit 20 Jahren niedrigsten Beitragssatz zur Rentenversicherung . Er liegt derzeit bei 18,7 Prozent . Bitte denken Sie einmal zurück, wann es das je gegeben hat . Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Wahltag Zahltag ist, dann sollte man sich das anschauen, was wir geleistet haben, und weniger auf das Wolkenkuckucksheim dessen schauen, was einem für die Zukunft Großartiges versprochen wird . ({9}) Trotzdem will ich gerne zugeben, dass die Frage, wie sich das Rentenniveau in der Zukunft entwickelt, für uns eine entscheidende Rolle spielt . Seinerzeit hat Rot-Grün bei der Riester’schen Rentenreform Sicherungsziele, auf die man sich verlassen kann, also gesetzliche Garantien, wie tief das Niveau höchstens sinken darf, nur bis zum Jahr 2030 festgelegt . Deswegen wird es die Aufgabe in der nächsten Legislaturperiode sein - und das wollen wir als Union machen -, festzulegen, dass auch nach 2030 verlässliche Ziele sowohl für die Beitragssätze als auch für das Rentenniveau in Deutschland gelten . ({10}) Jeder weiß, dass die gesetzliche Rente umlagefinanziert ist . Das, was die Jungen heute einzahlen, erhalten morgen die Alten als Rente ausgezahlt . Die gesetzliche Rente ist die wichtigste und verlässlichste Säule in der Altersversorgung . Aber sie bedarf einer Zusatzrente, die nach dem Motto finanziert wird: Das sparen Sie sich für das Alter an . - Deswegen werden wir noch im Mai ein Gesetz beschließen, das die Zielsetzung hat, möglichst jedem Arbeitnehmer in Deutschland die Finanzierung und den Aufbau einer solchen Zusatzrente zu ermöglichen . Wir werden erstmalig einen Geringverdienerzuschuss für die betriebliche Altersversorgung einführen . Wir werden erstmalig eine gesetzliche Regelung einführen, dass das, was man sich als zusätzliche Altersversorgung angespart hat, dann, wenn man im Alter doch zu wenig hat und staatliche Unterstützung beantragen muss, auf die Grundsicherung nicht voll angerechnet wird, sondern dass mindestens 100 Euro zusätzlich übrig bleiben . ({11}) Peter Weiß ({12}) Das ist eine starke Botschaft an die Mitbürgerinnen und Mitbürger: Wenn du zusätzlich für die Altersversorgung ansparst, dann hast du auf jeden Fall 100 Euro jeden Monat mehr in der Tasche als derjenige, der nichts gemacht hat . - Das wird die Bereitschaft vieler Mitbürgerinnen und Mitbürger stärken, zusätzlich etwas für die Rente zu tun; denn sie wissen: Wer zusätzlich für das Alter vorsorgt, steht am Schluss besser da als derjenige, der nichts getan hat . Das ist die Kernbotschaft . ({13}) Die Grundherausforderung, die unsere Gesellschaft gemeinsam stemmen muss, ist folgende: Wir wissen, dass in den kommenden Jahren und Jahrzehnten geburtenstarke Jahrgänge in Rente gehen . Wir werden eine große Zahl neuer Jungrentnerinnen und Jungrentner zu verzeichnen haben . Diese Jungrentnerinnen und Jungrentner werden länger leben und länger Rente beziehen als die heutigen Rentnerinnen und Rentner . Alle sagen uns: Jawohl, die Lebenserwartung steigt weiter an . Diese Chance ist gegeben . - Das ist auch eine schöne Sache . Wir wissen aber auch, dass im Vergleich dazu relativ geburtenschwache Jahrgänge, also wenige junge Leute, neu in das Erwerbsleben eintreten . Das ist die riesige Herausforderung, die wir stemmen müssen . Wer in einer solchen Situation den Mitbürgerinnen und Mitbürgern Wolkenkuckucksheime verspricht nach dem Motto: „Es gibt mehr, und man muss weniger zahlen; es ist keine zusätzliche Anstrengung notwendig, um die Altersversorgung für die Zukunft abzusichern“, der lügt die Bevölkerung schlichtweg an . Vor diesem Hintergrund sage ich: Wahltag ist Zahltag . Schauen Sie sich die Fakten an, die geschaffen wurden, und misstrauen Sie denjenigen, die zu viel versprechen! Vielen Dank . ({14})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Das Wort hat jetzt der Kollege Ralf Kapschack für die SPD . ({0})

Ralf Kapschack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004321, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Gute Arbeit, gute Löhne sind die Grundlage für eine ordentliche gesetzliche Rente . Rente ist eben ein Spiegelbild des Erwerbslebens . Das gilt auch für die betriebliche Altersversorgung, die schon ein paar Mal angesprochen wurde . Grau ist alle Theorie; entscheidend ist auf dem Platz . Das hat man nicht nur gestern Abend bei diesem wunderbaren Fußballspiel gesehen . Das gilt auch im richtigen Leben . ({0}) Bei der betrieblichen Altersversorgung ist der Platz das Unternehmen, in dem man arbeitet . Wer in Großbetrieben und in Branchen mit starken Tarifpartnern arbeitet, hat in der Regel Anspruch auf eine Betriebsrente, und das ist gut so . Wir wollen aber, dass alle Beschäftigten Zugang zur Betriebsrente bekommen . Das ist für uns eine Frage der Gerechtigkeit . Die betriebliche Altersversorgung ist ein eingeführtes Instrument . Deshalb spielt sie bei der Altersversorgung eine wichtige Rolle . In der schon genannten Befragung der IG Metall sprechen sich die Beschäftigten der Metallindustrie für eine stärkere betriebliche Altersversorgung aus . ({1}) Die betriebliche Altersversorgung ist für uns die beste Ergänzung zur gesetzlichen Rente - damit das klar ist: eine Ergänzung und kein Ersatz -, weil sie eine Menge Vorteile gegenüber der privaten Vorsorge bietet, wie Martin Rosemann bereits ausgeführt hat . Die betriebliche Altersversorgung wird im Kollektiv, in großer Zahl organisiert und hat dementsprechend Vorteile, was Kosten und Anlagemöglichkeiten angeht . Sie trägt auch dazu bei, gesellschaftliche Solidarität in die Altersversorgung zu bringen . Ich sage ganz offen: Mir wäre es am liebsten, es gäbe endlich nicht nur eine Verpflichtung der Arbeitgeber, ein Angebot zur betrieblichen Altersversorgung zu machen, sondern auch die Verpflichtung, sich finanziell daran zu beteiligen . ({2}) Dabei gibt es eine deutliche Übereinstimmung mit Bündnis 90/Die Grünen . Politisch durchsetzbar ist das im Moment allerdings leider nicht . Deshalb wählen wir zurzeit einen anderen Weg und setzen auf die Tarifpartner . Tarifpartner können am besten beurteilen, wo es Regelungen der betrieblichen Altersversorgung geben soll, die sich an den jeweiligen Gegebenheiten, Arbeitsbedingungen, Alters- und Qualifikationsstrukturen orientieren. Tarifpartner sind für uns auch diejenigen, die mit ihrer Kompetenz und Erfahrung für die Qualität der betrieblichen Altersversorgung stehen . Ich weiß, das wird bei unserem Koalitionspartner nicht uneingeschränkt so gesehen . Mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz, das wir in den nächsten Wochen verabschieden werden, erfinden wir die betriebliche Altersversorgung nicht neu, nein, wir stärken sie, wir schaffen eine Betriebsrente plus. ({3}) Wir schaffen eine steuerliche Förderung für Arbeitgeber, die einen Beitrag leisten. Wir schaffen eine neue Förderung für Geringverdiener. Wir schaffen einen Freibetrag in der Grundsicherung - das ist eben vom Kollegen Weiß schon angesprochen worden -, und wir wollen - das sage ich an dieser Stelle ganz klar -, dass die eingesparten ArPeter Weiß ({4}) beitgeberbeiträge bei der Entgeltumwandlung vollständig bei den Beschäftigten landen . ({5}) So könnte auch die ärgerliche Belastung durch den vollen Krankenkassenbeitrag auf Betriebsrenten zumindest abgemildert werden . ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Sozialpartnermodell schaffen wir einfache und übersichtliche Zugänge . Gerade die Komplexität und der Aufwand sind in kleinen und Kleinstunternehmen oft der Grund, warum es dort keine Betriebsrenten gibt . Das wollen wir ändern . Wir geben den Tarifpartnern neue Möglichkeiten, aber auch mehr Verantwortung . Mir ist schon klar, dass der Verzicht auf Garantien in diesem Modell eine kommunikative Herausforderung ist . Ich sage aber ganz deutlich an die Adresse der Linken: Es ist nicht nur unredlich, sondern schlicht falsch, zu behaupten, dass der Verzicht auf Garantien mit dem Verzicht auf Sicherheit einhergeht . ({7}) Außerdem stehen die Tarifpartner mit ihrem Renommee für eine seriöse Anlagepolitik . Es ist doch kein Zufall, Matthias, wenn sich gerade in dieser Situation Verdi mit dem Gedanken trägt, ein eigenes Versorgungswerk aufzubauen, um eine zusätzliche betriebliche Altersversorgung im Dienstleistungsbereich zu schaffen. ({8}) Es kann doch nicht wirklich euer Ernst sein, dass ihr glaubt, Frank Bsirske sei ein Zocker, der mit dem Geld von Verkäuferinnen und Putzkräften spielt . Das kann doch wohl nicht ernst gemeint sein . ({9}) Also: Lasst das sein und bringt die Gewerkschaften nicht in Misskredit, die sonst immer euer erster Bündnispartner sind . Klar ist: Bei dem starken Wunsch nach Sicherheit beim Thema Altersversorgung wird es darauf ankommen, das Sozialpartnermodell so darzustellen, dass Chancen und Risiken in einem vernünftigen Verhältnis stehen . Mit der Betriebsrente plus schaffen wir neue Möglichkeiten. Wir schaffen schlicht und ergreifend ein Angebot. Vielleicht haben einige Unternehmen beim Thema Betriebsrente künftig ein bisschen von der Fantasie, der Dynamik und der Entschlossenheit, die Ousmane Dembélé gestern Abend beim 3 : 2 gegen Bayern gezeigt hat . ({10}) Das wäre gut für die künftigen Rentnerinnen und Rentner . Wir zeigen Ihnen gerne, wo das Tor steht . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({11})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Die Kollegin Jutta Eckenbach spricht als Nächste für die CDU/CSU . ({0})

Jutta Eckenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem ich einigen Reden heute Morgen hier zugehört habe, muss ich sagen: Das ist schon sehr polemisch und sehr spaltend . Natürlich gebe ich den Kollegen Peter Weiß und Karl Schiewerling recht: Es geht um Wahlen . Man will hier einfach Wahlveranstaltungen durchführen . Wir müssen schauen, wie wir mit dem umgehen, was wir in Deutschland alle gemeinsam hart erarbeiten . Die Linken haben ihren Rentenantrag bereits im Januar 2017 eingebracht; das wurde schon gesagt . Das geschah erstaunlicherweise kurz nach Vorlage des Alterssicherungsberichtes, und jetzt reden wir über den Armuts- und Reichtumsbericht . Das lässt vermuten, dass Ihre Anträge immer dann eingebracht werden, nachdem zuvor die entsprechenden Berichte vorgelegt worden sind . Aber das lasse ich einmal außer Acht . ({0}) Die Alterssicherung in Deutschland steht nach wie vor auf drei Säulen - das finde ich ganz wichtig -: gesetzliche Rente, betriebliche Altersvorsorge und private Altersvorsorge . Alle drei Säulen - das ist das Wichtigste überhaupt - sind abhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung . Ohne gute wirtschaftliche Entwicklung ist eine Alterssicherung nur sehr schwer erreichbar; ohne sie wird es nicht gehen . In der letzten Legislaturperiode haben wir bewiesen, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland auf einem wirtschaftlich verdammt guten Weg sind . Die Arbeitslosigkeit war noch nie so niedrig wie im Moment, bezogen auf einen Zeitraum von 25 Jahren - auch das muss man an dieser Stelle sagen -, und das bewirkt eine gute Konjunktur . ({1}) Wir haben ein solidarisches Rentensystem im Hinblick auf den Generationenvertrag . Es ist deswegen solidarisch, weil es von allen Steuerzahlern mitfinanziert wird . Diese Solidarität ist auch an den vier Grundlagen des Sicherungssystems erkennbar: den Beiträgen, dem Rentenniveau, der Laufzeit von Renten und dem Bundeszuschuss . Ich will es noch einmal sagen: Die Renten werden auch über Steuern finanziert. Ich glaube, im aktuellen Haushalt sind 13,1 Milliarden Euro hierfür veranschlagt . Das nur noch einmal dazu, dass gefordert wurde, wir müssten hier noch mehr tun . Die Mütterrente hat Kosten in Höhe von 13,1 Milliarden Euro verursacht . Sie ist also steuerfinanziert. All das, was ansonsten dazu gesagt worden ist, ist zumindest an dieser Stelle nicht ganz richtig . ({2}) Lassen Sie mich auch noch etwas zu dem ausführen, was hier immer über das Rentenniveau gesagt wird . Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, Folgendes nachzusehen: Im Jahre 2002 gab es bei einem Durchschnittsverdienst von 23 341 Euro eine Standardrente in Höhe von 12 356 Euro bei einem Rentenniveau von 52,9 Prozent vor Steuern . Im Jahre 2016 gab es bei einem Durchschnittsverdienst von 30 020 Euro eine Standardrente in Höhe von 14 367 Euro bei einem Rentenniveau von 47,9 Prozent . - Das heißt, das Rentenniveau ist zwar eine wichtige Stellschraube, aber nicht die einzige Stellschraube, an der wir drehen müssen . Wir dürfen nicht immer so tun, als ginge es nur um die Höhe des Rentenniveaus . Zu berücksichtigen ist, dass wir es in Deutschland mit unterschiedlichen wirtschaftlichen Lagen zu tun haben . Das ist doch die Ausgangslage dafür, wie wir die Berechnung vornehmen . Worüber wir reden müssen, ist, dass wir gesetzlich beschlossen haben - ich hoffe, ich habe es richtig im Kopf -, dass das Rentenniveau bis zum Jahre 2029 nicht unter 43 Prozent sinkt . Diese Garantie gilt letztendlich . Lassen Sie mich noch - so viel Zeit bleibt ja nicht - einen ganz wichtigen Punkt ansprechen, der meines Erachtens in der Diskussion über die Rente heute ein bisschen zu kurz gekommen ist . Viele Leute interessiert - auf der Besuchertribüne sitzen jüngere und auch ältere -, welche Rentenleistungen sie mit dem vollendeten 65 ., 66 . oder, wenn sie 45 Jahre gearbeitet haben, 63 . Lebensjahr bekommen . Das ist wichtig . Bis 2030 ist das alles gut abgesichert, mit Nachrüstungen . Wir werden über die betriebliche Altersvorsorge, die bAV, reden und an einigen Stellschrauben drehen . Aber die Frage ist: Was ist ab 2030? Wir haben heute 2017 . Ganze Jahrgänge sind in Schule, in Bildung . In die müssen wir investieren . Wenn wir jetzt nicht in Bildung investieren, wenn wir jetzt nicht gut für Bildung in Deutschland sorgen - die Bundesregierung hat eine Menge getan, um den Ländern behilflich zu sein, in Bildung zu investieren -, wenn wir uns nicht um die Jugendlichen kümmern, wenn wir uns nicht darum kümmern, dass die Jugendlichen übergangslos von der Schule auf einen Arbeitsplatz wechseln und damit den Weg in unsere Leistungsgesellschaft finden können, dann wird in den nächsten Jahrzehnten kein Rentensystem, egal wie wir es gestalten, funktionieren . Es ist unsere Aufgabe, mit darauf zu achten: Wie geht es der nächsten Generation, die ins Arbeitsleben kommt? Wie schaffen wir Arbeitsbedingungen, dass Menschen auch über 45 Jahre hinaus Leistung erbringen können? Dazu haben wir in dieser Legislaturperiode Gesetze beschlossen . Ich erinnere hier an die Rehabilitation . Ich erinnere aber auch an das Präventionsgesetz . Das ist etwas wirklich Neues in dieser Legislaturperiode gewesen . Das haben wir beschlossen, um in den nächsten Jahren Menschen behilflich zu sein, am Arbeitsplatz bleiben und Leistung erbringen zu können . Denn eines ist klar: Es geht nur mit einer guten Leistung, einem guten Arbeitsplatz, einer guten Bezahlung; ansonsten wird es keine auskömmliche Rente geben . ({3}) Aber da sind auch die Tarifpartner mit im Boot . Sie werden hier überhaupt nicht genannt . Ich denke, die Tarifpartner müssen an der Stelle mit dafür Sorge tragen; denn das kann doch keine gesetzliche Aufgabe sein . Es ist nicht meine Auffassung, dass wir gesetzlich in Tarifverträge eingreifen sollten . ({4}) - Da sind wir unterschiedlicher Meinung . - Wir sollten eines nicht tun, nämlich als Gesetzgeber dort eingreifen . Wir sollten den Menschen sagen: Es ist nicht erstrebenswert, von Sozialhilfe und Grundsicherung zu leben . Es ist erstrebenswert, sein Leben selbst gestalten zu können, in einer offenen, in einer freiheitlichen Gesellschaft . - Dieses zu ermöglichen, dazu sind wir da, dazu haben wir in Deutschland auch eine Menge getan . Ich würde mir sehr wünschen, dass wir das auch in Nordrhein-Westfalen erreichen könnten, wo am 14 . Mai die Wahl ansteht . Ich wäre sehr froh darüber, wenn wir es schaffen würden, auch in Nordrhein-Westfalen etwas mehr für die Bildung zu tun, etwas mehr dafür zu tun, dass die Menschen in Arbeit kommen, damit unser Land auf gute Füße gestellt wird . Ich sage „unser Land“; denn ich komme aus Nordrhein-Westfalen . ({5}) Dieses Land hat es verdient, eine neue Regierung zu bekommen . ({6}) Herzlichen Dank . ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließende Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Dagmar Schmidt für die SPD . ({0})

Dagmar Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004401, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zum Thema Wahlkampf: Ich kündige an, in meiner Rede nicht einmal Martin Schulz zu erwähnen . ({0}) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war und ist noch eine erfolgreiche Legislatur für Rentnerinnen und Rentner . Mehr fordern, lieber Matthias Birkwald, geht immer . ({1}) Aber lassen Sie mich noch einmal kurz bilanzieren, was wir alles geschafft haben. Die SPD hat dafür gesorgt, dass es seit langem wieder bessere Rentenleistungen für die Bürgerinnen und Bürger gibt, ({2}) erstens mit der abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren, vor allem für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die lange gearbeitet und eingezahlt haben, denen es aber oftmals schwerfällt, bis 65, 66, 67 zu arbeiten . Zweitens haben wir deutliche Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente für diejenigen erreicht, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können . Nach Einführung der Günstigerprüfung und der Verlängerung der Anrechnungszeiten von 60 auf 62 Jahre im Rahmen des Rentenpakets 2014 werden wir morgen in erster Lesung in den Bundestag einbringen, die Anrechnungszeiten noch einmal um drei Jahre auf 65 Jahre zu erweitern . Das ist auch gut und richtig so . Drittens haben wir mit den flexiblen Übergängen in den Ruhestand die Voraussetzungen dafür verbessert, lange gesund im Berufsleben bleiben zu können . Last, but not least hat die Mütterrente - es ist kein Geheimnis, dass wir sie lieber steuerfinanziert hätten - vielen Frauen zu Recht eine bessere Rente verschafft. Am Ende der Debatte möchte ich zwei Punkte besonders hervorheben, nämlich erstens das, was wir für die Rente von Frauen gemacht haben, und zweitens, was wir dafür getan haben, dass Menschen gesund bis zur Rente arbeiten können . Das Thema Altersarmut ist angesprochen worden . 59 Prozent derjenigen, die Grundsicherung im Alter erhalten, sind Frauen . Die Gründe dafür sind uns allen bekannt: Unterbrechung der Erwerbstätigkeit wegen Kindererziehung, geringere Löhne und Teilzeitbeschäftigung . Was haben wir gemacht? Wir haben uns gefragt: Was brauchen die Frauen, um eine bessere Erwerbsbiografie zu bekommen? Die Antwort lautet: Wir brauchen Ordnung auf dem Arbeitsmarkt . Da haben wir mit der Einführung des Mindestlohns einen wichtigen Schritt getan . ({3}) Zwei Drittel derjenigen, die vom Mindestlohn profitieren, sind Frauen . Das IAB hat festgestellt, dass die Einführung des Mindestlohnes dazu geführt hat, dass Minijobs in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse umgewandelt wurden . Dabei geht es um fast 50 000 Arbeitsverhältnisse . Das ist, glaube ich, ein Riesenerfolg . ({4}) Als Zweites nenne ich die Frauenquote in Aufsichtsräten . Jetzt fragen Sie sich: Was hat das mit Altersarmut von Frauen zu tun? Die Quote ist aber nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber Frauen, sie ist auch der Anstoß für unternehmerische Veränderungsprozesse . Es gibt nachweislich dann Veränderungen zum Vorteil für Frauen in Unternehmen, wenn der Anteil von Frauen auch in Führungspositionen eine Mindestgröße erreicht hat . Eine Frau allein macht noch keinen Fortschritt . Deswegen gibt es - statt einer Alibiregelung - die Quote . ({5}) Mit dem Entgeltgleichheitsgesetz befördern wir die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern durch mehr Transparenz . Wir hätten gerne das Rückkehrrecht in Vollzeit eingeführt . Das müssen wir in der nächsten Legislaturperiode mit dem Rückenwind aus Europa nachholen . Was brauchen Frauen noch für eine gute Erwerbsbiografie? Sie brauchen Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf . Wir haben als Bund 4,1 Milliarden Euro in die Hand genommen, um sie in die Kinderbetreuung zu stecken. Wir haben das Pflegeunterstützungsgeld und das Recht auf Familienpflegezeit eingeführt, und wir berücksichtigen die Pflegezeit bei der Rente. Des Weiteren fördern wir zum Beispiel durch das Kindergeld Plus die Partnerschaftlichkeit . All das verbessert die Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und damit auch ihre Rente . ({6}) Mit der Mütterrente haben wir erstmalig auch Verbesserungen bei den Bestandsrenten durchgesetzt . Was haben wir dafür getan, dass Menschen bis zur Rente gesund arbeiten können? Wir haben mit dem Flexirentengesetz einen Paradigmenwechsel herbeigeführt . Wir machen uns nicht mehr ausschließlich Gedanken darüber, was passiert, wenn Menschen krank sind und nicht mehr weiterarbeiten können; das müssen wir auch und haben es getan . Vor allem aber wollen wir Sorge dafür tragen, dass Menschen ihre Gesundheit erhalten und gesund das Rentenalter erreichen können . Dafür brauchen wir mehr Prävention, Gesundheitsschutz und Flexibilität unseres Sozialsystems . Wir haben mit dem Präventionsgesetz die Krankenkassen verpflichtet, mindestens 2 Euro pro Versicherten für die betriebliche Gesundheitsförderung auszugeben; aber wir brauchen noch mehr. Wir brauchen ein flexibles System sozialer Sicherheit, das Schutz gibt, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist bzw . bevor der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin krank und arbeitslos geworden ist . Dieses Prinzip heißt „Prävention vor Reha vor Rente“ . Dem sind wir nachgekommen: ({7}) Wir haben Prävention und Nachsorge im Rehabudget gestärkt und die Kinder- und Jugendreha deutlich verbessert; denn je früher man sich kümmert, desto besser . Wir haben mit dem sogenannten Ü-45-Check-up, den wir in Modellprojekten testen werden, erstmalig eine Verbindung von Gesundheitsschutz und Qualifizierung erreicht. Damit werden wir neue Wege beschreiten . Wir wollen ein individuelles Recht auf Gesundheitsschutz, Beratung und Förderung . Ich glaube, das ist im Sinne der hart arbeitenden Menschen in unserem Land . ({8}) Dagmar Schmidt ({9}) Für eine gute, zukunftsfeste und gerechte Rente braucht es mehr als ein anständiges Rentenniveau . Wir setzten dafür viele Hebel in Bewegung und drehen das Rad nach vorn und nicht zurück . In diesem Sinne: Glück auf! ({10})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit schließe ich diese Aussprache . Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/10891 und 18/12098 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- gen . - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch . Dann sind diese Überweisungen so beschlossen . Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 42 a bis 42 w sowie die Zusatzpunkte 1 a bis 1 c auf: 42 . a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Protokolls vom 24. Juni 1998 zu dem Übereinkommen von 1979 über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung betreffend persistente organische Schadstoffe ({0}) Drucksache 18/11843 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({1}) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Einbeziehung von Polymerisati- onsanlagen in den Anwendungsbereich des Emissionshandels Drucksache 18/11844 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- sicherheit c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Protokolls vom 30. November 1999 ({2}) zu dem Übereinkommen von 1979 über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung betreffend die Verringerung von Versauerung, Eutrophierung und bodennahem Ozon Drucksache 18/11845 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({3}) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Protokolls vom 24. Juni 1998 zu dem Übereinkommen von 1979 über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung betreffend Schwer- metalle Drucksache 18/11846 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- sicherheit e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen von Minamata vom 10. Oktober 2013 über Quecksilber ({4}) Drucksache 18/11847 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- sicherheit f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Juni 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Armenien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/11867 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({5}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 12. November 2012 zur Unterbindung des unerlaubten Handels mit Tabakerzeugnissen Drucksache 18/11868 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({6}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 14. November 2016 zur Änderung des Abkommens vom 13. Juli 2006 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der mazedonischen Regierung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/11869 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({7}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. November 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Panama zur Vermeidung der Doppelbesteuerung Dagmar Schmidt ({8}) auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen betreffend den Betrieb von Seeschiffen oder Luftfahrzeugen im internationalen Verkehr Drucksache 18/11878 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({9}) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Januar 2017 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Moldau über Soziale Sicherheit Drucksache 18/11879 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({10}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union k) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes ({11}) Drucksache 18/11933 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({12}) Innenausschuss l) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes Drucksache 18/11939 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({13}) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Tourismus m) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({14}) Nr. 1143/2014 über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten Drucksache 18/11942 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({15}) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft n) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer wasserrechtlichen Genehmigung für Behandlungsanlagen für Deponiesickerwasser und zur Änderung der Vorschriften zur Eignungsfeststellung für Anlagen zum Lagern, Abfüllen oder Umschlagen wassergefährdender Stoffe Drucksache 18/11946 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({16}) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft o) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Chemikaliengesetzes und zur Änderung weiterer chemikalienrechtlicher Vorschriften Drucksache 18/11949 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({17}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft p) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften Drucksache 18/12041 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({18}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend q) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der am 15. Oktober 2016 in Kigali beschlossenen Änderung des Montrealer Protokolls vom 16. September 1987 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen Drucksache 18/12048 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({19}) Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO r) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Gesetze über Bergmanns- siedlungen Drucksache 18/12049 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss s) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung gebührenrechtlicher Regelungen im Aufenthaltsrecht Drucksache 18/12050 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({20}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz t) Beratung des Antrags der Abgeordneten Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Manuel Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/87/ Vizepräsident Johannes Singhammer EG zwecks Verbesserung der Kosteneffizienz von Emissionsminderungsmaßnahmen und zur Förderung von Investitionen in CO2-effiziente Technologien KOM({21}) 337 endg.; Ratsdok. 11065/15 hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- desregierung gemäß Artikel 23 Ab- satz 3 des Grundgesetzes Drucksache 18/11744 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- sicherheit u) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Menz, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verbot der Haltung wild lebender Tierarten in Zirkussen Drucksache 18/12088 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({22}) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft v) Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrej Hunko, Azize Tank, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Neustart der Europäischen Union auf der Grundlage Sozialer Menschenrechte Drucksache 18/12089 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({23}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales w) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kathrin Vogler, Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann ({24}), weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE Patientinnen und Patienten entlasten - Zuzahlungen bei Arzneimitteln abschaffen Drucksache 18/12090 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ZP 1 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung futtermittelrechtlicher und tierschutzrechtlicher Vorschriften Drucksache 18/12085 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({25}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Petzold ({26}), Stefan Liebich, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transpersonen und Intersexuellen ({27}) in Tschetschenien entgegentreten Drucksache 18/12091 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({28}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr . Julia Verlinden, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klimaschutz stärken - Energiesparen verbindlich machen Drucksache 18/12095 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({29}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Dabei handelt es sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte und ohne eine abschließende Beschlussfassung . Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . Sind Sie mit diesem Verfahren einverstanden? - Das ist der Fall . Dann sind alle diese Überweisungen so beschlossen . Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 43 a bis 43 c, 43 e und 43 f sowie 43 h bis 43 j auf . Dabei handelt es sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist . Es sind aber Tagesordnungspunkte, bei denen entschieden wird . Deshalb werde ich auch, um keinerlei Zweifel, um was es dabei geht, entstehen zu lassen, jeweils in einigen kurzen Sätzen sagen, worum es bei den entsprechenden Themen geht . Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 a: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 29. Juni 2016 über die Vorrechte und Immunitäten des Einheitlichen Patentgerichts Drucksachen 18/11238 ({30}), 18/11746, 18/11822 Nr. 12 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({31}) Drucksache 18/12147 Das Einheitliche Patentgericht ist eine neue internationale Organisation mit Völkerrechtspersönlichkeit . Dem Patentgericht und seinen Mitarbeiterinnen und MitarVizepräsident Johannes Singhammer beitern sollen durch das genannte Protokoll im üblichen Rahmen Vorrechte und Befreiungen eingeräumt werden . Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/12147, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11238 ({32}) und 18/11746 anzunehmen . Zweite Beratung und Schlussabstimmung . Eine dritte Lesung brauchen wir in diesem Verfahren nicht zu machen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen . Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der personellen Struktur beim Bundeseisenbahnvermögen und in den Postnachfolgeunternehmen sowie zur Änderung weiterer Vorschriften des Postdienstrechts Drucksache 18/11559 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({33}) Drucksache 18/12134 Mit diesem Änderungsgesetz wird die bislang bestehende Möglichkeit für die bei den Postnachfolgeunternehmen im Personalüberhang beschäftigten Beamtinnen und Beamten, ab dem vollendeten 55 . Lebensjahr versorgungsabschlagsfrei in den Ruhestand zu treten, in einer modifizierten Weise fortgeführt. Die neue Regelung sieht als weitere Voraussetzung die Bereitschaft vor, im Rahmen eines engagierten Ruhestandes für mindestens zwölf Monate Bundesfreiwilligendienst oder eine vergleichbare Tätigkeit zu leisten . Der Gesetzentwurf enthält darüber hinaus noch administrative und redaktionelle Anpassungen des Postpersonalrechtsgesetzes . Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/12134, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksache 18/11559 anzunehmen . Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke . Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke . Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung der Regelungen über Funkanlagen und zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes sowie zur Aufhebung des Gesetzes über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen Drucksache 18/11625 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({34}) Drucksache 18/12139 Der Gesetzentwurf dient der Umsetzung der Richtlinie 2014/53/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung von Funkanlagen auf dem Markt der Europäischen Union . Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12139, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11625 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen . Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf angenommen mit den Stimmen von CDU/ CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 e: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes Drucksachen 18/11281, 18/11407 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({35}) Drucksachen 18/12081, 18/12126 Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 18/12081 und 18/12126, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11281 und 18/11407 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD Vizepräsident Johannes Singhammer gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen . Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen gibt es keine . Der Gesetzentwurf ist damit angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen . Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 f: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({36}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Sabine Zimmermann ({37}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Befristung von Arbeitsverträgen ohne Sachgrund - zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kein Sachgrund - Keine Befristung Drucksachen 18/11598, 18/11608, 18/11802 Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/11598 mit dem Titel „Keine Befristung von Arbeitsverträgen ohne Sachgrund“ . Wer für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11608 mit dem Titel „Kein Sachgrund - Keine Befristung“ . Wer für die Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen gibt es keine . Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen sowie der Fraktion Die Linke angenommen . Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 h: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({38}) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Pharmazeutische Forschung gegen Infektionskrankheiten stärken - Nationale Wirkstoffoffensive starten Drucksachen 18/10972, 18/12075 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/12075, den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/10972 anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 i: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({39}) - zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD MINT-Bildung als Grundlage für den Wirtschaftsstandort Deutschland und für die Teilhabe an unserer von Wissenschaft und Technik geprägten Welt - zu dem Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu, Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für ein gerechtes und innovatives Deutschland 2030 - Als Konsequenz aus den Ergebnissen von PISA 2015 eine Bildungsoffensive starten Drucksachen 18/11164, 18/11179, 18/12063 Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/11164 mit dem Titel „MINT-Bildung als Grundlage für den Wirtschaftsstandort Deutschland und für die Teilhabe an unserer von Wissenschaft und Technik geprägten Welt“ . Wer für diese Beschlussempfehlung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/11179 mit dem Titel „Für ein gerechtes und innovatives Deutschland 2030 - Als Konsequenz aus den Ergebnissen von PISA 2015 eine Bildungsoffensive starten“ . Wer für die Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen . Vizepräsident Johannes Singhammer Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 j: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({40}) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Gartenbau sowie Garten- und Landschaftsbau als innovativen Wirtschaftszweig stärken und zukunftsfest machen Drucksachen 18/10018, 18/12150 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/12150, den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/10018 anzunehmen . Wer für die Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke . Ich rufe jetzt Zusatzpunkt 2 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zu verschärften Abgastests in Europa Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Oliver Krischer für Bündnis 90/Die Grünen .

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor eineinhalb Jahren erreichte mit den Ermittlungen der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA einer der größten Industrieskandale das Licht der Öffentlichkeit. Heute, eineinhalb Jahre später, müssen wir leider feststellen, dass die Bundesregierung nahezu jede ernsthafte Konsequenz aus diesem Skandal verweigert . Mehr noch: Im Untersuchungsausschuss hat die Bundeskanzlerin zu diesem Skandal von „Vorkommnissen“ und „Verfehlungen Einzelner“ gesprochen . Ich sage: Diese Äußerungen sind ein Hohn für die Tausenden Menschen, die wegen der Stickoxidemissionen in unserem Land jedes Jahr vorzeitig sterben, und für Millionen betrogener Autofahrer . Die Worte der Bundeskanzlerin haben, ehrlich gesagt, das Potenzial für die Verharmlosung des Jahres . ({0}) Ich bin froh, dass wenigstens die EU-Kommission einige Vorschläge - wir würden uns noch sehr viel mehr wünschen - macht, um Konsequenzen zu ziehen, um Verbesserungen zu erreichen und um solche Skandale in Zukunft zu verhindern . Es passt ins Bild, dass die deutsche Bundesregierung in Person von Verkehrsminister Alexander Dobrindt die Umsetzung dieser Vorschläge in Brüssel boykottiert, sabotiert und verhindern will . Auch das zeigt: Man will keine Konsequenzen aus dem Skandal ziehen, meine Damen und Herren . ({1}) Ich sage in aller Deutlichkeit: Der Vorschlag der EU-Kommission, die nationalen Zulassungsbehörden zu überwachen, ist notwendig und richtig . Wir haben in Deutschland erlebt, wie das Kraftfahrt-Bundesamt mit seinem Chef, Herrn Zinke, der Herrn Dobrindt untersteht, den Skandal ignoriert und keine Konsequenzen gezogen hat . Der eigentliche Skandal ist, dass Herr Zinke immer noch im Amt ist, wo er uns doch im Ausschuss erklärt hat, es sei überhaupt nicht seine Aufgabe, nachzuweisen, wie viel Emissionen Fahrzeuge auf der Straße haben . Wenn solche Menschen im Amt bleiben und vom Verkehrsminister gestützt werden, wenn weiter vertuscht wird, dann bedeutet das, dass die notwendigen Konsequenzen nicht gezogen werden . Das zeigt nur, wie richtig die europäische Überwachung der nationalen Zulassungsbehörden ist . ({2}) Das Schärfste ist aber, dass die Bundesregierung auch stärkere Sanktionen und Strafen gegen die Trickser und Betrüger in der Automobilindustrie ablehnt . Wenn irgendwo in Deutschland ein Ladendieb erwischt wird, dann ist sofort ein Unionsabgeordneter zur Stelle, der schärfere Strafen fordert . Aber wenn es um die Trickser und Betrüger in der Automobilindustrie geht, wenn es um diejenigen geht, die die Verantwortung für diesen Skandal tragen, wollen Sie Strafen sogar verhindern . Sie unternehmen schon heute nichts, und Sie sorgen dafür, dass nicht einmal die Europäische Union die Grundlage für Strafen und Sanktionen schaffen kann. Das finde ich, ehrlich gesagt, skandalös . ({3}) Ich finde es genauso skandalös und da passt ins Bild, dass Herr Dobrindt seit inzwischen eineinhalb Jahren CO2-Messungen, die das Kraftfahrt-Bundesamt durchgeführt hat und die ganz offensichtlich nicht den Regeln entsprechen, der Öffentlichkeit vorenthält. Hier soll im Sinne der Konzerne vertuscht und verschwiegen werden . Herr Dobrindt, Sie sind der Schutzpatron der Trickser und Betrüger . Das möchte ich hier in aller Klarheit sagen . ({4}) Meine Damen und Herren, mit dieser Aussage stehe ich nicht alleine . Ich zitiere wörtlich aus Onlinemedien von vorgestern . Da heißt es: Es ist bis jetzt nichts für eine tiefgreifende Verbesserung getan worden . Das hat nicht die Deutsche Umwelthilfe gesagt, das hat nicht Greenpeace gesagt, das hat niemand von der OppoVizepräsident Johannes Singhammer sition gesagt, sondern das hat die sogenannte Umweltministerin, Frau Hendricks, gesagt . ({5}) Ich sage: An dieser Stelle hat Frau Hendricks absolut recht . ({6}) Es ist nichts getan worden, es sind keine Konsequenzen gezogen worden . Dass Sie, Frau Hendricks, im Untersuchungsausschuss vor nicht allzu langer Zeit das exakte Gegenteil erzählt haben und gegenüber Herrn Dobrindt eine regelrechte Schleimspur gezogen haben, müssen Sie mit sich selber ausmachen; ({7}) das ist mir egal . Aber Sie müssen sich schon die Frage gefallen lassen, warum eine Umweltministerin in anderthalb Jahren keinen einzigen Millimeter durchsetzt beim Thema Abgasskandal . Dafür gibt es nur eine Erklärung, meine Damen und Herren: Die Wirkungen Ihrer Forderungen sind geringer, als wenn irgendwo ein Sack Kartoffeln umfällt. Meine Damen und Herren, Sie fordern jede Woche etwas Neues, doch es endet immer im Nichts . So wird es auch jetzt wieder sein . Am Ende wird sich Herr Dobrindt durchsetzen . Das ist das Problem dieser Bundesregierung . ({8}) Ich sage Ihnen: Es kann nicht sein, dass dieser Abgasskandal am Ende bei den Städten und Kommunen abgeladen wird und bei den Autofahrern, die Autos gekauft haben im guten Glauben, dass ihre Fahrzeuge die Grenzwerte einhalten . Wir brauchen Programme zur Umrüstung . Da muss die Bundesregierung tätig werden . Es kann doch nicht sein, dass weiter jeden Tag Tausende nagelneue Euro-6-Fahrzeuge auf unsere Straßen kommen, die ebenfalls die Grenzen um das Fünf-, Sechs-, Sieben- oder Zehnfache überschreiten . Ich erwarte von einer Bundesregierung, dass sie endlich dafür sorgt, dass Grenzwerte Grenzwerte sind und eingehalten werden, ({9}) dass es Sanktionen gibt, dass es Konsequenzen gibt, dass die betroffenen Fahrzeuge entweder umgerüstet oder die Besitzer entschädigt werden .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Kollege Krischer, darf ich Sie an die Redezeit erinnern?

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das wäre notwendig . Das müssen wir endlich machen . Ich danke Ihnen . ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die Bundesregierung hat jetzt das Wort Bundesminister Alexander Dobrindt . ({0})

Alexander Dobrindt (Minister:in)

Politiker ID: 11003516

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Krischer, 2,5 Millionen VW-Fahrzeuge befinden sich gerade im verpflichtenden Rückruf, 680 000 Fahrzeuge anderer Hersteller in Deutschland stehen im Rahmen der Serviceaktion zur Umrüstung an . ({0}) Und Sie reden hier davon, dass nichts getan wird . Das ist pure Heuchelei, weil Sie nicht wissen, wie man mit der ganzen Affäre umgeht. ({1}) Sie haben keinen Plan, was notwendig ist, weil Sie dafür vernünftig in Richtung Brüssel blicken müssten . ({2}) Ich habe bereits im letzten Jahr vor dem Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments klargestellt, was notwendig ist, damit wir in Zukunft in der Tat mehr Kontrolle und bessere Prüfungen haben, damit solche Manipulationen, wie wir sie erlebt haben, vermieden werden . ({3}) Erster und bedeutendster Punkt dabei ist, dass wir natürlich das Recht verändern . Heute steht aufgrund der europäischen Richtlinie ein Scheunentor offen. In dieser Situation ist man für Manipulationen anfällig . ({4}) Wir haben heute eine Richtlinie, die auf der einen Seite besagt, dass Abschalteinrichtungen verboten sind, und auf der anderen Seite besagt, dass es eine ganze Vielzahl von Ausnahmen gibt, die sich die Hersteller zunutze machen können . ({5}) „Motorschutz“ ist an dieser Stelle das Schlüsselwort, auf das sich nach europäischem Recht jeder berufen kann, um am Schluss in die Motorsteuerung einzugreifen, wenn es um die Emissionsstrategien geht . ({6}) Das ist natürlich falsch . Das muss verändert werden . Ansonsten bekommen wir diese manipulationsanfällige Regelung nicht in den Griff. ({7}) Deswegen habe ich bereits im letzten Jahr gegenüber der Europäischen Kommission, im Untersuchungsausschuss und übrigens auch am 7 . Juni 2016 im Verkehrsministerrat gesagt: Wir haben nur eine Möglichkeit durch Veränderung des europäischen Rechts . Wir müssen dafür sorgen, dass sich Hersteller, dass sich Ingenieure nicht mehr darauf berufen können, dass ihr Motor nicht leistungsfähig genug sei, um auf Dauer eine ordentliche Abgasstrategie zu verfolgen . - Ich kann dies sehr plakativ formulieren: Heute ist nach europäischem Recht möglich, dass der schlechteste Ingenieur, dass der schlechteste Motor, dass die unausgereiftesten und unterdimensioniertesten Motoren für sich die meisten Ausnahmen in Anspruch nehmen und dann die meisten Schadstoffe ausstoßen . Das ist grundfalsch und muss geändert werden . ({8}) Im Gesetz müssen der Stand der Technik und die modernsten Technologien vorgeschrieben sein . Dann vermeiden wir in Zukunft solche Manipulationen . ({9}) Mit dieser Sachfrage wollen Sie sich nicht auseinandersetzen . ({10}) Dabei geht es überhaupt nicht um EU-Bashing - das ist der Vorwurf, den Sie machen, anstatt sich mit der Sache auseinanderzusetzen -, sondern geht es darum, dass das, was vor vielen Jahren festgelegt wurde, überholt ist . Die Richtlinie ist von 2007 . Das heißt, 2004 wurde begonnen, darüber zu diskutieren . Damals hat man über Motorengenerationen geredet, bei denen gar nicht vorstellbar war, was durch Digitalisierung, was durch Technisierung an Eingriffen möglich sein wird. Dass diese Richtlinie natürlich irgendwann verändert werden muss, dass das Recht natürlich den technischen Möglichkeiten folgen muss - das, was jetzt möglich ist, muss sich in der rechtlichen Konstruktion wiederfinden -, ist doch geradezu logisch . Das ist kein Vorwurf an diejenigen, die damals dieses Recht geschaffen haben. Aber das ist ein Vorwurf an diejenigen, die sich heute verweigern, dieses Recht zu ändern . Es ist in unserem Interesse, das Recht zu ändern . ({11}) Übrigens ist die EU-Kommission an der Stelle gar nicht so unwillig, unseren Vorschlägen zu folgen . Sie hat am 26 . Januar dieses Jahres Leitlinien herausgegeben, wie man die europäische Verordnung 715/2007 zu interpretieren hat . Interessanterweise schreibt sie genau das in die Leitlinien, was wir an Rechtsänderungen einfordern: Wenn es andere Technologien gibt, die am Markt verfügbar sind, wenn es moderne Technologien gibt, die das Risiko beseitigen, dass der Motor einen Schaden nimmt, dann sollten sie, soweit technisch möglich, verwendet werden . - Das schreibt jetzt die Kommission in ihren Leitlinien . Das ist ein Weg in die richtige Richtung . Das ist ein Zugehen auf unsere Forderungen . Das Problem ist nur: Diese Leitlinien sind für die Mitgliedstaaten nicht rechtlich verpflichtend. ({12}) Wir gehen viel weiter, als es die Kommission vorschlägt . Wir wollen, dass es rechtlich verpflichtend wird, die modernsten Technologien einzusetzen . Das muss jetzt in Brüssel entschieden werden . ({13}) Des Weiteren ist auch der Vorwurf von Ihnen, wir würden uns dem entziehen wollen, dass es mehr Kompetenzen auf europäischer Ebene gibt, vollkommen falsch . Wir haben bereits im letzten Jahr gegenüber der Kommission, im Rat am 7 . Juni und im Untersuchungsausschuss in Brüssel wie auch im Untersuchungsausschuss hier im Bundestag klargemacht, dass wir eine Clearingstelle in Europa brauchen . Wir haben aktuell die Situation, dass die Zulassungsbehörden der Länder und vielleicht auch die Länder zu einer unterschiedlichen Bewertung darüber kommen, was im Rahmen des geltenden Gesetzes an Abgasstrategie zulässig ist oder nicht . Genau solche Diskussionen gibt es aktuell auch zwischen den Zulassungsbehörden in Deutschland und Italien und übrigens auch zwischen den Ministerien in Deutschland und Italien hinsichtlich des Falles Fiat . Wenn man zu unterschiedlichen Bewertungen kommt, braucht man logischerweise einen Schiedsrichter, der in der Lage ist, erstens selber zu prüfen, zweitens auch fachlich zu bewerten und drittens zu einer Entscheidung zu kommen, wer recht hat . Sind es die einen, die sagen: „Ja, da ist wahrscheinlich etwas, was sich außerhalb des Rechts bewegt“, oder haben die anderen recht, die sagen: „Nein, es ist alles in Ordnung“? Solch eine Entscheidungsstelle, eine Clearingstelle wird von uns gefordert . Sie muss in Brüsseler Kompetenz liegen . Wir wollen nicht, dass die Brüsseler nur moderieren und sagen: Wir wissen auch nicht, ob die Deutschen oder die Italiener recht haben . - Sie müssen zum Schluss entscheiden, wer recht hat, ob hier Manipulation stattfindet oder nicht. Auch das ist unsere Forderung ans europäische Recht . Es ist unser Auftrag, dafür zu sorgen, dass diese Kompetenz in Europa geschaffen wird. Aber die Europäer müssen sie auch wollen . Leider ist diese Clearingstelle in dem, was bisher aus Europa gekommen ist, so nicht vorgesehen . Wir fordern sie aber von Brüssel ein . ({14}) - Ich weiß nicht, warum Sie nicht bereit sind, sich mit diesen wichtigen Sachfragen auseinanderzusetzen . ({15}) Wenn wir nicht wollen, dass es zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu ähnlichen Debatten kommt, dann werden wir die Gesetze ändern müssen . Wenn wir nicht wollen, dass zu einem späteren Zeitpunkt die Frage gestellt wird: „Wieso konnte man das wieder nicht verhindern?“, dann müssen wir jetzt an das europäische Recht heran . Die Prüfmechanismen haben wir verbessert . Wir wenden in Zukunft die RDE-Verfahren, die realistischeren Prüfverfahren, an . „Real Driving Emission“ heißt, wir nehmen die Messungen auf der Straße vor - wir gehen also weg von der Rolle - und passen sie stärker an das Fahrverhalten der Bürger an . Das ist schon entschieden und wird in diesem Jahr, übrigens auf Druck der Bundesregierung, umgesetzt . ({16}) Wir erwarten davon natürlich, dass deutlich realistischere Ergebnisse erkennbar werden . ({17}) Wir haben auch Dopingtests eingeführt ({18}) und fordern, dass dies in ganz Europa geschieht . Fahrzeuge müssen auch während ihrer Lebenszykluszeit daraufhin überprüft werden, ob sie noch den Regeln entsprechen . Dafür haben wir portable Messgeräte angeschafft, und wir schaffen beim KBA eigene Test- und Prüfanlagen an . ({19}) Außerdem gehen wir - das ist eine Beratungsleistung, die mit vom Verkehrsausschuss erbracht worden ist - bei den Abgasuntersuchungen wieder auf Endrohrmessungen über . Denn es geht nicht nur um werksseitige Manipulationen, sondern auch darum, dass es im Laufe des Lebenszyklus eines Fahrzeugs natürlich auch zu Veränderungen kommen kann, die nicht dem Recht entsprechen . Das können wir bei den Abgasuntersuchungen zukünftig durch Endrohrmessungen überprüfen und feststellen und es gegebenenfalls auch ahnden . Das ist ein Teil der Maßnahmen, die wir ergriffen haben, um dafür zu sorgen, dass solche Manipulationen zukünftig nicht mehr möglich sind . Jetzt ist die Aufgabe, daran zu arbeiten, dass in Europa die Weichen richtig gestellt werden, damit wir solche Manipulationen in Zukunft verhindern können . Danke schön . ({20})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Herbert Behrens für die Fraktion Die Linke . ({0})

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dobrindt, es geht nicht um Regelungen in der Zukunft, und es geht auch nicht darum, was in Europa entschieden wird und manchmal nicht entschieden worden ist . ({0}) Es geht auch darum, dass denjenigen, die unter den Abgasemissionen leiden - das sind Allergiker, schwache und alte Menschen -, bereits heute die zugesicherten und real existierenden Grenzwerte zugebilligt werden . Sie wollen geschützt werden, und zwar dadurch, dass aktuelle Grenzwerte tatsächlich eingehalten werden und sie sich nicht als völlig fehlerhaft darstellen . ({1}) Die Menschen haben sich darauf verlassen, dass Euro-6-Fahrzeuge saubere Fahrzeuge sind . Da sie die neueste Technologie enthalten, musste man davon ausgehen, dass sie die Grenzwerte einhalten . Es geht schließlich darum, dass die Menschen vor den lebensgefährlichen Stickoxiden, die die alten Dreckschleudern ausgestoßen haben, geschützt werden wollen und sollen . Es geht auch darum, dass es eine vernünftige und wirksame Durchsetzung der Gesetze gibt, die zwar der Gesetze, die heute bestehen, und nicht der, die morgen erst verabschiedet werden müssen . Mit einem Mal bekommt der Begriff „Euro 6“ eine ganz andere Bedeutung . Die UBA-Studie stellt fest, dass Euro-6-Fahrzeuge mit neuester Technologie - seit dem Jahr 2014 gültig - offenbar sechsmal mehr Schadstoffe ausstoßen, als sie ausstoßen dürfen . ({2}) Die Motoren verfügen über die neuesten Bauarten, ({3}) aber die Fahrzeuge stoßen sechsmal mehr aus, als die Automobilkonzerne bei der Typgenehmigung angegeben haben . Das ist nicht nur eine grobe Missachtung geltender Vorschriften, und das ist keine Ordnungswidrigkeit mehr; vielmehr kommt das einem Abgasbetrug gleich . ({4}) Betrogen werden die Behörden, die für die Zulassung der Motoren zuständig sind . Betrogen werden die Bürgerinnen und Bürger, die erwarten können, dass ihre Gesundheit geschützt wird; das hat einen wichtigen Stellenwert für uns . Betrogen werden die Autofahrerinnen und Autofahrer, die ein vermeintlich sauberes Auto fahren wollen, wenn sie denn auf ein Auto angewiesen sind . Auf dieses Handeln der Automobilkonzerne muss doch sofort reagiert werden, und zwar nicht, indem man darauf hinweist, was morgen in Europa geregelt werden muss . Es muss Tacheles geredet werden . Ein Ende muss her bei diesen Betrügereien . ({5}) Doch was unternehmen Sie, Herr Dobrindt, als verantwortlicher Verkehrsminister? Wieder einmal antworten Sie - ich bleibe dabei - mit Nichtstun . Beim Nichtstun sind Sie, Herr Dobrindt, eindeutig ein Wiederholungstäter . ({6}) Wenn Sie, Herr Dobrindt, angesichts dieser Untersuchungsergebnisse des UBA nicht sofort und angemessen scharf reagieren, dann gefährden Sie nicht nur die Gesundheit der Menschen, Sie zerstören auch das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in die Werte, die ihnen immer vorgetragen werden . Sie gefährden damit auch Arbeitsplätze von Zehntausenden von Kolleginnen und Kollegen in der Automobilindustrie . Beenden Sie Ihr Nichtstun! Handeln Sie jetzt! ({7}) Was ist zu tun? Die Automobilkonzerne müssen klar und deutlich nachweisen, ob sie die Abgaswerte, die sie angegeben haben, bei der Motorenprüfung einhalten können . Können sie das nicht nachweisen, dann sind diese Motoren unter Umständen aus dem Verkehr zu ziehen, dann darf es sie nicht geben . ({8}) Nach Nachrüstungen sind Messungen zu machen, und diese sind zu kontrollieren . Die Ergebnisse der Nachmessungen müssen offengelegt werden und dürfen nicht weiterhin verheimlicht werden, wie wir auf unsere Nachfragen in der Fragestunde gestern gehört haben . Abgasbetrüger unter den Automobilkonzernen müssen Strafen zahlen, weil sie sich nicht an geltendes Recht halten . Das ist nicht nur nötig, sondern auch möglich . Auf europäischer Ebene ist verabredet, dass Sanktionen gegenüber den Herstellern verhängt werden können und müssen, die „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sind . So steht es geschrieben . ({9}) Nicht zuletzt müssen Verbraucherinnen und Verbraucher, die durch diesen Betrug einen wirtschaftlichen Schaden erleiden, Anspruch auf Entschädigung haben . Das alles muss, wie schon gesagt, sofort passieren, weil wir die Gesundheit der Menschen schützen wollen, weil wir den Beschäftigten der Automobilindustrie Sicherheit geben wollen . Sie wollen wissen, wohin die Reise in Sachen Antriebstechnologie geht . Wir müssen uns als Gesetzgeber ernst nehmen und dürfen uns nicht zum Büttel der Konzerne machen, die uns bei der Angabe von Grenzwerten offenbar an der Nase herumführen. Jeder Bürger und jede Bürgerin muss sich an geltendes Recht halten . Das gilt genauso für die wirtschaftlich Mächtigen in unserem Land . ({10}) Die Verkehrsminister der Länder beraten zurzeit in Hamburg darüber, wie die Gesundheitsgefährdung durch einen niedrigeren Ausstoß von Stickoxiden und Feinstaub verringert werden kann . Sie behandeln auch die UBA-Studie . Das sind die Themen, die auf den Tisch gehören, die jetzt einer Lösung zugeführt werden müssen. Die Schadstoffausstöße müssen real gesenkt werden. Es darf nicht immer auf das Recht verwiesen werden, das so etwas vermeintlich nicht möglich macht . Wir sind der Meinung, diese rechtlichen Grundlagen sind vorhanden; denn die Motoren sind nach Euro 6 genehmigt, die diese Grenzwerte reißen . Von daher sind wir gehalten, sofort zu handeln . Ich fordere die SPD auf, in dieser Frage zumindest selber ihre Umweltministerin ernst zu nehmen . Fordern Sie Frau Hendricks auf, dem untätigen Verkehrsminister auf die Füße zu steigen, ({11}) damit es zu einem Ende beim Abgasbetrug kommt und es keine Fortsetzung des Abgasbetruges in weiteren Ländern gibt . Vielen Dank . ({12})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Arno Klare spricht jetzt für die SPD-Fraktion . ({0})

Arno Klare (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004329, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In gefühlt ungefähr zehn Aktuellen Stunden - ich sage es etwas salopp - seit dem 15 . September 2015, seit der Skandal bei VW in den Zeitungen stand, habe ich von diesem Pult aus Forderungen erhoben, was gemacht werden müsse . Jetzt möchte ich das Soll, das ich damals aufgestellt habe, mit dem Ist heute vergleichen . Erstens . Wir haben immer gefordert, dass wir realistische Testverfahren brauchen . Wir werden irgendwann heute in der Nacht einen Stichtag beschließen - wahrscheinlich werden die Reden zu Protokoll gegeben -, ab dem der neue Testzyklus WLTP steuerrechtlich relevant wird . Das ist hinsichtlich der Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes ein sehr lapidarer Vorgang, aber was dieses Prüfverfahren angeht, ist es natürlich ein Meilenstein . Das muss man einfach sehen . Wir sagen jetzt: WLTP gilt . Damit haben die Verbraucher deutlich realistischere Verbrauchswerte . Diese Forderung haben wir immer erhoben . Zweitens wurde etwas erledigt - das, was ich jetzt sage, ist sehr technisch -, das ich immer wieder kritisiert habe . Die Ermittlung der Ausrollwerte, nach denen die Versuchsstände, auf denen der WLTP läuft, kalibriert werden, ist endlich normiert und reguliert . Wer in diese WLTP-Gesetzgebung schaut, wird feststellen, dass sogar das Gewicht des Fahrers normiert ist . Hier gab es vorher Tricks . Man hat irgendwelche Fugen abgeklebt, überschwere Räder verwendet etc ., um die Ausrollwerte zu verbessern . Das alles geht nicht mehr . Das ist jetzt auch mit erledigt . ({0}) Der dritte Punkt, den ich immer wieder gefordert habe, war: Wir brauchen RDE, wir brauchen Tests, die wirklich live laufen . Auch das ist jetzt - das gehört übrigens mit dem WLTP zusammen - State of the Art . Ab diesem Jahr wird das gemacht werden . Viertens haben wir immer gefordert - ich war übrigens der Erste, der das überhaupt gefordert hat -, dass die Motorsteuerungssoftware offengelegt werden muss. Die Emissionsstrategie - die Motorsteuerungssoftware ist ein Teil davon - muss bereits seit dem 1 . April 2016 beim KBA hinterlegt werden . Das geschieht also schon seit einem Jahr; das ist also schon vollzogen . ({1}) Ich habe fünftens immer gefordert, Conformity-in-Use-Tests zu machen . So heißt das im schönen Neuhochdeutsch . Die Fahrzeuge sollen also getestet werden, wenn sie im Feld laufen . ({2}) Auch das macht das KBA - der Minister hat gerade darauf hingewiesen - seit dem 1 . Januar 2017 . Das wird jetzt verstärkt sozusagen in der Realität ankommen . Die Endrohrmessungen - Punkt sechs - sind gerade schon erwähnt worden . Der Herr Kollege Wittke - ich weiß nicht, ob er da ist - und ich sind mit den Herstellern von Katalysatoren im Gespräch . Sie haben uns vorgeschlagen, ein Testverfahren zu entwickeln, das sogar in der Lage ist, NOX auf der Rolle in der Werkstatt zu messen . Ich warte einmal darauf, was sie uns liefern . Die von mir sehr geschätzte Umweltministerin hat in den letzten Tagen die Forderung erhoben, Fahrzeuge nachzurüsten . Ich kann nur sagen: Ja, das geht . ({3}) Im Hightechland NRW - das ist jetzt der Werbeblock für NRW ({4}) gibt es eine Firma mit Namen Twintec . Sie sitzt in Königswinter . Sie baut solche Dinge . ({5}) - Hören Sie mal zu . - Sie hat jetzt ein Euro-5-Fahrzeug - einen VW-Diesel mit 1,6 Litern - mit einem Nachrüst-KAT umgerüstet . Dessen Werte sind jetzt um 93,5 Prozent besser als nach der Euro-5-Norm . Das heißt, es geht . ({6}) Es muss nur in Serie hergestellt werden . Insofern sind wir hier auf einem guten Wege . ({7}) Wir müssen in den Städten natürlich zum Beispiel auch die letzte Meile in der Logistik dieselfrei machen . DHL macht vor, wie es geht . Sie hat Elektrofahrzeuge, mit denen die Briefe und Pakete ausgeliefert werden . Diese Fahrzeuge werden übrigens in Aachen, also auch in Nordrhein-Westfalen, produziert . ({8}) Daneben müssen wir die Busflotten entdieseln. Wer fördert das? Die Bundesumweltministerin, die gerade so viel gescholten wurde, hat ein Programm aufgelegt, mit dem die Umrüstung von ÖPNV-Bussen auf E-Busse gefördert wird . ({9}) Das ist sehr sinnvoll . ({10}) - Der Verkehrsminister ist da nicht ganz unbeteiligt; das stimmt . Sorry, dass ich hier jetzt einmal Frau Hendricks erwähnt habe . - Das Land Nordrhein-Westfalen macht das, und das Land Niedersachsen macht das sozusagen zusätzlich . Das sind die richtigen Schritte . ({11}) Daneben müssen wir die Taxiflotten entdieseln, um den Menschen zu nutzen . Das ist der nächste große Schritt . Außerdem müssen wir die Steuerverbesserungen in Bezug auf Erdgas und Autogas, die es im Moment gibt, endlich fortsetzen bzw . fortschreiben, weil das Übergangstechnologien sind . ({12}) - Wir müssen das jetzt noch tun, und ich ermahne uns sozusagen selbst, das jetzt noch einmal auf die Tagesordnung zu heben . Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben . ({13})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Das Wort hat jetzt der Kollege Carsten Müller für die CDU/CSU . ({0})

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hatten heute ja eine ganze Reihe von Werbeblöcken mit Blick auf NRW . Beim ersten Werbeblock hat man gar nicht gemerkt, dass es zwei Werbepartner waren, die in NRW eigentlich Hand in Hand regieren wollen . Die scharfen Angriffe des Kollegen Krischer auf die Bundesumweltministerin Hendricks waren schon ganz bemerkenswert . ({0}) Man wundert sich, dass Ihre beiden Landesverbände dort zusammen etwas zustande bringen wollen . Aber ich sage einmal - damit will ich Ihren Werbeblock abrunden -: Es ist Besserung in Sicht . ({1}) Meine Damen und Herren, in den letzten Tagen hat Frau Göring-Eckardt - sie hat es vorgezogen, an dieser Diskussion nicht mehr teilzunehmen - behauptet: 10 000 Menschen in Deutschland sterben aufgrund der Belastung durch Stickoxide . Der Kollege Krischer ({2}) wusste es noch etwas besser . Er hat nämlich im Untersuchungsausschuss gesagt: Es sind nicht 10 000, sondern genau 10 610 Menschen . ({3}) - Herr Krischer hat es wiederholt, aber auch Herr Resch hat es behauptet . ({4}) Meine Damen und Herren, es ist bemerkenswert, dass Sie in dieser Diskussion, die etwas mehr Sachlichkeit erfordert, unterschlagen haben, dass selbst die Sachverständigen, die auf Vorschlag der Opposition im Abgasuntersuchungsausschuss gehört worden sind, eine Kausalität überhaupt nicht erkennen konnten und auch in Abrede gestellt haben . ({5}) Es hilft in einer Diskussion, die man sehr sachlich führen soll, die Dinge in einen Rahmen einzuordnen . ({6}) Es gibt Stickoxidgrenzwerte für die Umgebungsluft . Der Jahresmittelwert ist danach auf 40 Mikrogramm pro Kubikmeter festgelegt . Der maximale Stundenwert beträgt 200 Mikrogramm pro Kubikmeter und darf 18-mal im Jahr überschritten werden . Das passiert . Jetzt hält sich der Mensch, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, zu 80 Prozent seiner Lebenszeit in geschlossenen Räumen auf . Viele gehen anständig einer Arbeit nach . Deswegen macht es Sinn, sich vergleichbare Grenzwerte an anderen Stellen anzugucken, um das, wie gesagt, einordnen zu können . Es war durchaus überraschend, festzustellen, dass ein Komitee der Europäischen Kommission, die Kommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie der Ausschuss für Gefahrstoffe beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen Stickoxidgrenzwert für Arbeitsplätze festgelegt haben . Er beträgt - das hat mich zugegebenermaßen überrascht - 950 Mikrogramm pro Kubikmeter Raumluft als Dauerbelastung, und zwar acht Stunden am Tag, gemessen über die gesamte Lebensarbeitszeit . Dieses Komitee stellt zur noch größeren Überraschung fest, dass ein Erreichen dieses Grenzwertes zu keiner Gesundheitsbeeinträchtigung führen wird . Vor diesem Hintergrund ist es geradezu ausgeschlossen deswegen gelingt es Ihnen nicht -, die von Ihnen immer wieder leichtfertig behauptete und zur Skandalisierung herangezogene Kausalität zu untermauern . ({7}) Meine Damen und Herren, mein Kollege Klare hat eben die Maßnahmen, die die Bundesregierung ergriffen hat, sinnvoll dargestellt . Der Beitrag von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat die Dinge entsprechend profiliert. Wir müssen insofern die Erkenntnisse des Abgasuntersuchungsausschusses am besten in dieser Aktuellen Stunde - wir führen sie zu diesem Thema nicht das erste Mal durch - rekapitulieren . Es war die BundesArno Klare regierung, die auf europäischer Ebene fortgesetzt für die Einführung von Real Driving Emissions ({8}) und des WLTP-Standards gekämpft und sich dafür eingesetzt hat . ({9}) Sie hat das gemacht, obwohl wir bekanntermaßen ein Kfz-Produktions-Land sind . Die Bundesregierung hat sich durchaus Unterstützung von anderen Ländern gewünscht . Diese gab es sehr spärlich . An unserer Seite waren regelmäßig die Österreicher . Die Niederländer waren dabei . Viele Länder haben sich in Attentismus geübt, im Übrigen auch viele Länder, in denen seinerzeit Grüne an den Regierungen beteiligt waren, und haben diese Verfahren eher blockiert . Deswegen ist es richtig, sinnvoll und gut, dass die Dinge jetzt auf den Weg gebracht werden . Es ist auch richtig, sinnvoll und gut, dass wir entsprechend nachhalten, und zwar mit einer Aufstockung der Mittel für das KBA, um eigene Tests - nicht durch Beauftragte, auch wenn das sicherlich seriöse Unternehmen sind - durchführen und die Ergebnisse überprüfen zu können . Es gibt weitere Maßnahmen, etwa die Offenlegung der Quellcodes bei der Fahrzeugsteuerung . Der Kollege Klare hat für sich in Anspruch genommen, das als Erster gefordert zu haben . Ich glaube, Sie hatten damals in der ersten Aktuellen Stunde zu diesem Thema kurz nach mir gesprochen; auch ich hatte das erwähnt . ({10}) Im Grunde genommen gibt es viele gute Initiativen aus dem Parlament heraus . Auch das gehört dazu . Auch das Stichwort „Endrohrmessung“ ist schon gefallen . Meine Damen und Herren, was müssen wir machen? Wir müssen auf alternative Antriebsformen achten und Gasantriebe weiter fördern . Es ist sinnvoll, Feinstaub und die CO2-Emissionen zu reduzieren; auch darauf müssen wir achten . Die Fokussierung nur auf Stickoxide ist sogar fehlerhaft . Uns geht es doch um Umwelt- und Klimaschutz . Deswegen müssen wir eben auch auf den CO2-Ausstoß achten . Wir müssen Gasantriebe fördern und Endrohrmessungen machen . Wir müssen Filternachrüstungen unterstützen, im Übrigen eine Initiative der Unionsfraktion . Dann kommen wir auf einen guten Weg . Bei dieser Bundesregierung können Sie ganz sicher sein, dass wir das so machen werden und dass wir auf europäischer Ebene die hohen Standards, die wir für uns wollen, umsetzen werden . Vielen Dank . ({11})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Die Kollegin Sabine Leidig spricht jetzt für die Fraktion Die Linke . ({0})

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Fast alle Autohersteller - von VW über Daimler, Fiat, Peugeot und BMW - haben über Jahre bei den Abgaswerten ihrer Automobile betrogen, und sie tun es weiter . Es ist etwa eineinhalb Jahre her, dass dieser Skandal aufgeflogen ist - das wurde gerade schon angesprochen -, aber passiert ist nichts oder nur relativ wenig bzw . nichts Spürbares . ({0}) Wir haben jetzt die Situation, dass gerade heute, am selben Tag, an dem wir tagen, vor dem Landgericht Stuttgart ein Strafverfahren stattfindet, das die Deutsche Umwelthilfe gegen Daimler angestrengt hat, weil dieser Automobilkonzern für ein Fahrzeug mit den niedrigstmöglichen Emissionswerten wirbt und sich bei einer Überprüfung durch unabhängige Teststellen herausgestellt hat, dass auch dieses Fahrzeug die Grenzwerte um ein Mehrfaches überschreitet . Der Betrug geht also weiter, und Sie brüsten sich mit irgendwelchen Spitzfindigkeiten, mit denen Sie vielleicht irgendwann irgendetwas regeln. Ich finde, dass der Skandal damit fortgesetzt wird . Und der größte Skandal ist eigentlich, dass es die Bundesregierung ermöglicht, dass sich an den tatsächlichen Emissionen nichts geändert hat . ({1}) Kollege Carsten Müller hat gerade gesagt, dass das ja nicht so schlimm sei, weil die Leute sich zu 80 Prozent im Haus aufhalten ({2}) und sich von daher diese Grenzwertüberschreitung ohne Probleme verschmerzen ließe . Das kommt mir ein bisschen so vor wie in der Zeit, als die Atomkraft noch sehr umstritten war und man gesagt bekam, wenn es ernst wird, müsse man die Aktentasche über den Kopf halten und sich ansonsten mit Alufolie zudecken; das sei alles nicht so schlimm . ({3}) Es ist schlimm, und es ist deshalb schlimm, weil die unterschiedlichen Schadstoffe, die aus den Autoauspuffen ausgestoßen werden, eben nicht nur Klima und Umwelt schädigen, sondern auch die Gesundheit . Die Atemwege werden angegriffen. Die Schleimhäute werden gereizt. Carsten Müller ({4}) Husten, Augenreizungen, Kreislauf- und Herzerkrankungen können die Folge sein. Besonders betroffen sind Menschen, die mit Asthma geschlagen sind, und Kinder, die einen viel höheren Luftumsatz haben als Erwachsene . Es ist unverantwortlich, dass zugelassen wird, dass die Atemluft permanent vergiftet wird . ({5}) Wenn wir es mit einer Gruppe von habgierigen Menschen zu tun hätten, die es sich in den Kopf gesetzt haben, tröpfchenweise unser Trinkwasser zu vergiften, um daraus Profit zu schlagen, dann - da bin ich mir sicher wäre der Aufschrei auch in diesem Hause groß, und es würde alles darangesetzt werden, diese Leute dingfest zu machen, ihnen das Handwerk zu legen, das Trinkwasser sofort zu reinigen und die Verantwortlichen zu bestrafen . Bei dem Abgasskandal geht es um die Atemluft . Sie ist genauso relevant für die Menschen wie das Trinkwasser, und ich finde, es müssen genauso harte, starke und sichtbare Konsequenzen ergriffen werden. ({6}) Leider ist das nicht der Fall . Schauen Sie sich einmal die ziemlich populäre Kabarettsendung Die Anstalt vom 7 . März dieses Jahres an . Darin werden die Zusammenhänge beleuchtet, wie das Management der Automobilindustrie systematisch die winzigen Gesetzeslücken ausnutzt, wie systematisch nicht nur Herr Dobrindt, sondern auch die Bundeskanzlerin dafür sorgen, dass das möglich ist, wie sie systematisch dafür sorgen, dass es keine unabhängigen Kontrollen gibt, dass es auf europäischer Ebene keine schärferen Maßnahmen gibt, dass selbst die bestehenden Abgasgrenzwerte deutlich zu hoch sind, weil die Bundesregierung darauf Einfluss genommen hat. Dies alles kann man dort hervorragend nachvollziehen . Einer der Sätze, die mir aus dieser Sendung haften geblieben sind und den ich hier gerne zitiere, ist: „Dobrindt organisiert das Verbrechen .“ ({7}) - Ich kann Sie nur anregen, sich diese Sendung anzuschauen . Sie ist noch bis Mitte nächsten Jahres in der Mediathek des ZDF abzurufen . ({8}) - Dann können Sie sich ja mit einer Beschwerde an die Sendungsmacher wenden . ({9}) Ich habe das hier nur zitiert . (Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Da klatschen ja noch nicht einmal Ihre eigenen Leute!

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Leidig, das, was Sie sich jetzt hier zu eigen gemacht haben, ist nicht parlamentarisch . Ich erteile Ihnen deshalb einen Ordnungsruf . ({0})

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Okay . Ich gebe ihn dann an das ZDF weiter . Wir haben vor anderthalb Jahren mit einem umfangreichen Antrag der Linken eine ganze Palette von Vorschlägen gemacht, wie mit diesem Abgasskandal konsequent umgegangen werden muss . Eine klitzekleine, aber wirksame Konsequenz wäre zum Beispiel, die Geschwindigkeit zu begrenzen; denn je schneller die Autos fahren, desto mehr Abgase werden ausgestoßen . Angesprochen haben wir aber natürlich auch das ganze Thema der unabhängigen Kontrolle, die Bestrafung der Verantwortlichen und die Pflicht, an die Betrogenen Entschädigungen zu zahlen . Das alles haben Sie nicht in Angriff genommen. Deshalb ist unser Antrag nach wie vor aktuell . Wir werden weiter darum ringen, dass mit solchen ungerechten Verhältnissen gerecht umgegangen wird . ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulli Nissen für die SPD . ({0})

Ulli Nissen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004363, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute nicht zum ersten Mal über dieses Thema, und es wird wohl auch nicht das letzte Mal sein . Die Meldungen der letzten Tage haben uns alle wieder aufgeschreckt . Seit „Dieselgate“ bekannt wurde, ist vieles passiert . Wir haben einen Untersuchungsausschuss dazu eingesetzt, in dem ich selber Mitglied bin, der in langen Sitzungen und Zeugenbefragungen die Hintergründe und Verstrickungen klären soll . Wir haben über Umrüstungsmöglichkeiten gesprochen . Wir haben auf die RDE gesetzt, also auf Tests im realen Fahrzeugbetrieb und nicht im Labor . Was kommt jetzt? Zum einen hören wir, die Bundesregierung blockiere schärfere Kontrollen in Europa . Zum anderen zeigt eine aktuelle Studie des Umweltbundesamtes, dass Diesel der Euro-6-Norm 507 Milligramm Stickoxide pro Kilometer ausstoßen . Der erlaubte Grenzwert liegt bei 80 Milligramm . Das ist also mehr als das Sechsfache . Die Euro-6-Norm ist die strengste der Abgasnormen in der Europäischen Union . Sie gilt seit September 2014 für alle neuen Pkw-Typen und seit September 2015 für alle neuen Pkw . Fahrzeuge, die diese strengste Norm erfüllen sollen, stoßen auf der Straße, also im realen Fahrbetrieb, mehr als das Sechsfache des Erlaubten an Schadstoffen aus. Damit erscheinen jegliche Überlegungen, Fahrverbote zu erlassen und nur noch Dieselfahrzeugen der Euro-6Norm die Zufahrt zu gestatten, eigentlich erledigt . Es überrascht jetzt auch niemanden mehr, dass der UBA-Studie zufolge alle älteren und neuen Dieselautos viel mehr Schadstoffe ausstoßen als angenommen. Statt wie vermutet 575 Milligramm Stickoxide wurden 2016 tatsächlich durchschnittlich sogar 767 Milligramm ausgestoßen . Es geht hier aber nicht nur um die Zahlen und Grenzwerte . Es geht darum, was dahintersteckt und was diese Überschreitungen tatsächlich für Mensch und Umwelt bedeuten . Sie bedeuten, dass die Gesundheitsgefährdung noch höher ist als angenommen . Denn Luftverschmutzung macht krank . Lieber Kollege Müller, ob es nun 10 000, 7 000 oder 1 000 sind: Jeder einzelne Tote ist mir zu viel . ({0}) Das sind Zigtausende Schicksale . Mit ihnen sind auch ihre Angehörigen betroffen. Im Interesse der erkrankten Menschen - denken Sie nur daran, was sie mitmachen müssen wir intensiv handeln . Das sind ebenfalls zigfach mehr als durch Verkehrsunfälle Betroffene. Darum muss es uns gehen, wenn wir über die Überschreitungen der Grenzwerte reden . Ich selber versuche, mit gutem Beispiel voranzugehen . 90 Prozent meiner Wege in Frankfurt mache ich mit meinem Elektroroller oder mit meinem kleinen Elektroauto . Wir müssen schauen, was wir in Zukunft besser machen können . Es muss darum gehen, dass wir den Schadstoffausstoß aus Kraftfahrzeugen deutlich verringern, damit wir die Gefahr für Mensch und Umwelt minimieren . Nun heißt es, die Bundesregierung blockiere in Europa . Jetzt muss ich einmal deutlich trennen . Ich spreche hier als Mitglied des Umweltausschusses . Wenn ich die Äußerungen unserer Bundesumweltministerin Barbara Hendricks - auch aus den letzten Tagen - betrachte, dann kann ich nur sagen: Hier klingt nichts nach Blockade . Was ich von ihr höre, sind vielmehr klare, deutliche Aussagen und Positionierungen . Liebe Barbara Hendricks, dafür großen Dank! ({1}) Die Haltung der Bundesumweltministerin und somit auch eines Teils der Bundesregierung ist klar: Unsere Bundesumweltministerin will die Hersteller stärker in die Pflicht nehmen. Sie fordert eine unabhängige Überwachung des Marktes . - Dabei hat sie meine volle Unterstützung . ({2}) Barbara Hendricks verlangt von den Herstellern, die existierenden Dieselfahrzeuge nachzurüsten . Sie verlangt auch, dass die Hersteller die Kosten dafür tragen . Das wird teuer . ({3}) Aber damit tragen diejenigen die Kosten, die den Schaden verursacht haben, nämlich die Hersteller . ({4}) Formulieren wir es klar: Das Verursacherprinzip kreischt . Herr Krischer, das Wortspiel tut mir leid . Es passt aber so, und damit haben Sie, Herr Krischer, jetzt in mir etwas ausgelöst . ({5}) Das Verursacherprinzip greift . Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Bundesumweltministerin will wirksame Kontrollen und eine bessere Überprüfung der Umweltstandards . Das ist keine Blockade . Man kann sicherlich diskutieren, ob die Vorschläge, die Prüfung von der nationalen auf die europäische Ebene zu verlagern, zielführend sind . Ich bin der Meinung, dass es wichtiger ist, dass nicht mehr die Hersteller selber TÜV oder DEKRA beauftragen . Wer es macht, ist mir egal; aber es muss vernünftig und richtig geprüft werden . ({6}) Herr Dobrindt, hier sind Sie federführend . Wegducken hilft nicht . Die Automobilindustrie zu schützen, hilft hier auch nicht weiter . Der Automobilindustrie hilft es mehr, wenn der Vertrauensverlust endlich beseitigt wird . Deshalb müssen wir handeln . Wir brauchen Tests unter realen Bedingungen, um die tatsächlichen Schadstoffausstöße zu messen. Wir brauchen eine Umrüstung der bestehenden Flotte . Wir brauchen den Einsatz des Know-hows unserer Automobilindustrie, um endlich emissionsarme Pkw auf den Markt zu bringen, Kraftfahrzeuge, die halten, was sie versprechen . Wir brauchen jetzt aber vor allem eines: einen Verkehrsminister, der unsere Bundesumweltministerin bei ihren Vorschlägen unterstützt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit . ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Wir kommen zum nächsten Redner . Der Kollege Stephan Kühn spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen . ({0})

Stephan Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004085, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Schadstoffausstoß von Dieselautos in Deutschland ist immens, und er ist viel höher als bislang angenommen . Das ist das Ergebnis der aktuellen Messungen durch das Umweltbundesamt . Dass die meisten Diesel-Pkws die Abgastests nur im Labor bestehen, aber nicht auf der Straße und dort die Schadstoffe um ein Vielfaches höher sind, ist für mich als Papa eines vierjährigen Sohnes kein abstraktes Technologieproblem . ({0}) Denn die Schadstoffkonzentration ist in Höhe von Kindernasen am höchsten . Es muss deshalb endlich Schluss damit sein, dass Automobilkonzerne zulasten der Gesundheit vieler Menschen mit legalen oder illegalen Tricks die Abgasreinigung drosseln können . ({1}) Denn niemand würde akzeptieren, dass Schadstoffgrenzwerte für Lebensmittel oder Trinkwasser nur unter Laborbedingungen gelten . Das Bundesverkehrsministerium kommentiert die UBA-Messergebnisse mit dem Hinweis, dass kein anderes Land wie Deutschland in der Abgasaffäre so weitgehende Konsequenzen gezogen habe . Einen so schlechten Witz habe ich lange nicht mehr gehört . ({2}) Denn Verkehrsminister Dobrindt betreibt reine Pseudoaufklärung mit Phantommaßnahmen . Bereits im November 2015 hat er Schadstoffantidopingtests angekündigt . Was glauben Sie, wie viele Fahrzeuge bis heute getestet wurden? ({3}) Kein einziges! Jetzt wird immer deutlicher: Auf europäischer Ebene ist Herr Dobrindt einer der zentralen Blockierer von Reformen . Bereits im letzten Jahr hat die EU-Kommission einen Vorschlag zur Reform des Typgenehmigungsverfahrens und der Marktüberwachung von Fahrzeugen vorgelegt . Damit sollen insbesondere die notwendigen europäischen Konsequenzen aus dem Abgasskandal gezogen werden . Wenn Sie, Herr Dobrindt, nun behaupten, Sie wollten das europäische Recht dahin gehend anpassen, dass künftig nur noch die besten Motoren mit der besten Technologie zum Einsatz kommen, dann beantworten Sie endlich einmal die Frage, die Sie im Untersuchungsausschuss nicht beantwortet haben: Wer definiert das eigentlich? Und vor allen Dingen: Wer überprüft das? Nichts anderes als Nebelkerzen werden hier gezündet . ({4}) Die EU-Kommission zum Beispiel hat vorgeschlagen, eigene Prüfungen und Kontrollen von bereits zugelassenen Fahrzeugen durchzuführen, um nachzuprüfen, ob diese Fahrzeuge den Typgenehmigungen auch tatsächlich entsprechen . Aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion geht hervor, dass sich die Bundesregierung bis heute nicht dazu durchringen konnte, diesen Vorschlag zu unterstützen . Dabei war es ausgerechnet Verkehrsminister Dobrindt, der im Fall der Abgasmanipulationen bei Dieselfahrzeugen aus dem Fiat-Konzern zu Recht die italienischen Behörden für ihr Nichtstun kritisiert hat . Mit Umsetzung des EU-Vorschlags würden solche Manipulationen in Zukunft nicht mehr möglich sein . Doch jetzt ist es Herr Dobrindt selbst, der nichts tut . ({5}) Ebenso wären gegenseitige Kontrollen der Typgenehmigungsbehörden angemessen . Die nationalen Kontrollbehörden sollen sich alle zwei Jahre einer Überprüfung durch zwei Behörden anderer Mitgliedstaaten unterziehen . Das ist nicht nur sinnvoll, weil wir in Deutschland mit dem Kraftfahrt-Bundesamt eine Behörde haben, die die Kultur des Wegschauens bis zur Präzision beherrscht, sondern auch, weil man in diesem Zusammenhang einmal die Frage stellen sollte, warum die Automobilhersteller gerade in Ländern wie Luxemburg und Malta, die bisher nicht als Automobilgroßnationen bekannt sind, viele Fahrzeugteile typgenehmigt haben . Für den Betrugsmotor von Audi wurde die Zulassung zum Beispiel in Luxemburg eingeholt . ({6}) Die technischen Dienste werden für die Tests von Fahrzeugen und Fahrzeugteilen direkt von der Automobilindustrie bezahlt . Damit sind wirtschaftliche Interessenkonflikte vorprogrammiert. Die EU-Kommission hat das Problem erkannt, doch die Bundesregierung blockiert schon wieder und lehnt eine unabhängige Finanzierung der technischen Prüfdienste ab . Meine Damen und Herren, in Zukunft muss auch für die Automobilindustrie in Europa gelten: Wer betrügt, wird bestraft . Deshalb will Brüssel bei Fahrzeugen, die den Anforderungen nicht entsprechen, Sanktionen in Höhe von bis zu 30 000 Euro verhängen . Auch hier verweigert die Bundesregierung ihre Zustimmung . Sie hat offenbar keine Eile, die notwendigen Konsequenzen aus dem Abgasskandal zu ziehen . Die Bundesregierung bremst die EU-Kommission ganz klar aus . Insbesondere die Bußgeldfrage macht deutlich: Die Große Koalition legt weiter schützend ihre Hand über die Automobilindustrie . Umweltschutz und die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher bleiben auf der Strecke . ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Patrick Schnieder für die CDU/CSU . ({0})

Patrick Schnieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004146, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach allerlei künstlicher Empörung seitens der Grünen, ({0}) die man gut nachvollziehen kann, Herr Krischer, wenn man aus Nordrhein-Westfalen kommt, wo die Umfragewerte für die Grünen in den Keller gehen und auch der Boden noch nicht absehbar ist, ({1}) sollten wir zu einer sachlichen Betrachtung der Thematik zurückkehren . Bezogen auf das Thema der Aktuellen Stunde „Haltung der Bundesregierung zu verschärften Abgastests in Europa“ kann man zunächst nur festhalten: Die Bundesregierung, Minister Alexander Dobrindt und die Unionsfraktion haben sich in der Vergangenheit für schärfere Abgastests in Europa ausgesprochen, und sie tun es auch heute . ({2}) Die Darstellung, wir würden Brüssel in dieser Frage ausbremsen, ist eine Verdrehung der wirklichen Verhältnisse . ({3}) Wir sind deutlich weiter als alle anderen EU-Staaten . ({4}) Unsere Vorschläge müssen wir in Europa umsetzen . ({5}) Wir haben eine Reihe von Änderungen in Deutschland auf den Weg gebracht . Die Kollegin und der Minister haben das hier schon ausgeführt . Deshalb will ich den Blick darauf lenken, woran das europäische Abgastestsystem krankt . ({6}) Die geltenden europäischen Vorschriften sind nicht mehr als der technische Minimalkonsens . Zwei systemimmanente Probleme treten ganz deutlich zutage . Erstens . Formulierungen der europäischen Prüfvorschriften lassen zu viel Raum für nationale Interpretationen und legale Optimierungen . Anstelle von engmaschigen Vorgaben gelten großzügige Ausnahmetatbestände . Der geltende Gesetzesrahmen hat somit zu Fehlanreizen geführt, die Regeldehnung belohnen und Regeltreue bestrafen . Zweitens . Vorschriften haben Wettbewerb geschaffen, wo wir eigentlich keinen Wettbewerb gebrauchen können, nämlich zwischen den nationalen Typgenehmigungsbehörden . Der Kollege Kühn hat ja eben ausgeführt, wo was genehmigt worden ist . Es war übrigens nicht in Deutschland . Der Zulassungstourismus in EU-Staaten mit zahnlosen Genehmigungsbehörden führt den Freizügigkeitsgedanken ad absurdum und muss unterbunden werden . ({7}) Wir müssen deshalb zunächst, lieber Herr Krischer, die Analyse vornehmen, um dann zu sagen, was wir tun wollen und was wir tun müssen . Der Fehler liegt in beiden Fällen, die ich genannt habe, im europäischen System und seinem Regelrahmen . Die Lösung hierfür kann auch nicht eine europäische Superbehörde sein . Wir müssen nicht alles nach Brüssel delegieren . Stattdessen brauchen wir - da hat der Minister vollkommen recht - einen engmaschigen, vor allem verbindlichen europäischen Rechtsrahmen, der Nachuntersuchungen ermöglicht und Ausnahmen zurückdrängt . Nur dort, wo Unklarheiten verbleiben, sollte eine europäische Clearingstelle im Einzelfall entscheiden, ob Abschalteinrichtungen zum Motorschutz zulässig sind . Wie muss nun der europäische Rechtsrahmen weiterentwickelt werden? Zunächst die Feststellung: Wir brauchen eine Generalüberholung des europäischen Rechtsrahmens, und in diesem müssen die folgenden Ziele umgesetzt werden: Erstens . Wir müssen die Ausnahmetatbestände überprüfen . Nationale Handlungsspielräume machen in vielen Fällen Sinn, aber nicht bei der Interpretation von Abgasvorgaben . Für diejenigen Abschalteinrichtungen, an denen festgehalten werden soll, erwarten wir von den Herstellern überprüfbare Begründungen, warum man auf die jeweilige Vorrichtung nicht verzichten kann . Zweitens. Die Hersteller müssen die Software offenlegen. Die Hersteller müssen hierzu verpflichtet werden. Wir haben das bei uns auf den Weg gebracht . Das müssen wir auch europäisch verankern . Wir wollen nicht nur wissen, dass Emissionsgrenzen eingehalten werden, sondern wir müssen auch verstehen, wie die Hersteller sie einhalten . Die Regelkonformität der Emissionsstrategie muss die Bedingung für die Erteilung der Typgenehmigung sein . ({8}) Drittens . Unabhängige Nachprüfungen müssen möglich sein . Deutschland hat sich dafür eingesetzt, dass das Prüfinstrumentarium erweitert wird. Wir wollten und wir wollen der Feldüberwachung in den europäischen Vorschriften eine prominentere Bedeutung einräumen . Dazu müssen die Prüfabläufe zur einheitlichen Anwendung in allen europäischen Mitgliedstaaten in den Einzelvorschriften verankert werden . An die Stelle der Rollenprüfstände müssen Labormessungen sowie Messungen mit mobilen Messinstrumenten auf der Straße treten . Entscheidend ist und bleibt - das möchte ich noch einmal festhalten -: Diese Regelungen müssen verbindlich sein . Empfehlungen reichen nicht aus . Überall in Europa brauchen wir eine rechtlich bindende Vorschrift, keine Empfehlung aus Brüssel . Ebenso wie Minister Alexander Dobrindt beim Kraftfahrt-Bundesamt angewiesen hat, wie vorzugehen ist, brauchen wir auch auf europäischer Ebene einen verbindlichen Rahmen . Wir können, glaube ich, festhalten: Mit den angestoßenen Prozessen, mit dem, was in Deutschland seit Herbst 2015 unter Alexander Dobrindt auf den Weg gebracht worden ist, sind wir auf einem guten Weg, und den werden wir so fortsetzen . ({9})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Die Kollegin Kirsten Lühmann hat jetzt das Wort für die SPD . ({0})

Kirsten Lühmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Sehr verehrte Anwesende! Warum reden wir heute über dieses Thema? Das hat zwei Gründe: Der erste Grund ist der Klimawandel, der zu einem großen Teil von CO2 verursacht ist . Der zweite Grund ist die Tatsache, dass die Luftqualität in vielen großen deutschen Städten immer schlechter wird . Zu beiden Sachverhalten trägt der Straßenverkehr nicht unerheblich bei . Ja, wir müssen dort mehr tun . Allerdings, liebe Kollegen und Kolleginnen, wenn ich die einfachen Lösungen höre, die hier in einigen Reden präsentiert werden, sage ich: Das greift wesentlich zu kurz und ist vielleicht auch dem beginnenden Wahlkampf geschuldet . Wenn wir zu den Bürgern und Bürgerinnen in unserem Land wirklich ehrlich sind, dann müssen wir ihnen sagen: Einfache Lösungen gibt es nicht, sondern wir brauchen ein abgestimmtes Programm . Ich möchte auf einige Punkte eingehen . Der erste Punkt, auf den ich eingehe, beinhaltet das, was wir für die Zukunft machen müssen . Es wurde schon gesagt: Die Tatsache, dass das UBA festgestellt hat, dass auch die neuesten Fahrzeuge im realen Betrieb sechsmal mehr Abgas ausstoßen, als wir in einer Richtlinie festgelegt haben, kann ich als Betrug bezeichnen . ({0}) Ich verstehe, wenn die Menschen sagen: Wir sind betrogen worden . - Ja . Aber es ist ein Unterschied, ob wir sagen: „Das ist Betrug“, oder ob es in juristischem Sinne Betrug ist . ({1}) Leider, liebe Kollegen und Kolleginnen, ist es im juristischen Sinne kein Betrug; denn sonst könnte die Bundesregierung handeln; sonst könnten wir es unterbinden . Es geht nicht, und das ist das, was uns hier so aufregt . ({2}) Das heißt: Wir müssen das verhindern . Und das tun wir auch . ({3}) Wir haben zukünftig ein neues Prüfverfahren . Eine Überschreitung des Grenzwerts um das Sechsfache ist in Zukunft nicht mehr möglich . Damit wir das noch besser überprüfen können, muss zur Unterstützung noch etwas geschehen . Zukünftig muss, wie gesagt, bei neuen Typgenehmigungen die Motorsteuerungsstrategie offengelegt werden. Das haben wir leider noch nicht überall; in Deutschland ist das von der Bundesregierung angeregt worden . Nur wenn auch die gesamte Motorsteuerung hinterlegt wird, können wir überprüfen, ob das, was angegeben wird, real ist oder ob es hintenherum nicht doch noch irgendeine Betrügerei gibt . Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, wenn wir solche Regeln aufstellen, müssen wir auch deren Einhaltung überprüfen können . Was nützt mir da, sehr geehrter Herr Krischer, eine europäische Behörde, die eine nationale Typgenehmigungsbehörde überprüft, wenn diese Typgenehmigungsbehörde ein zahnloser Tiger bleibt? ({4}) Das bringt uns gar nichts . Wir müssen vielmehr endlich regeln, dass die Feldüberwachungen anders durchgeführt werden, als sie bis jetzt durchgeführt werden, ({5}) dass bei uns das Kraftfahrt-Bundesamt vernünftige Instrumente in die Hand bekommt . Wir zum Beispiel sind der Meinung, dass bei den Feldüberwachungen auch der CO2-Ausstoß mit überprüft werden kann . Natürlich macht das UBA das jetzt schon . Aber die können doch mit den Ergebnissen nichts machen, weil sie keine rechtliche Handhabe haben . Wir wollen also, dass die Feldüberwachungen vernünftig durchgeführt werden . Und wenn wir dann feststellen, dass es zwischen den Nationen unterschiedliche Auffassungen gibt, dann nützt uns auch die von Ihnen vorgeschlagene europäische Behörde nichts; wir brauchen vielmehr eine klare Entscheidung von der EU, welche Rechtsauffassung denn nun die richtige ist. Ob Sie das „Clearingstelle“ oder „Überwachung“ nennen, ist mir völlig egal . Ich will nur, dass so ein Fall nicht wieder eintritt, wie wir ihn jetzt mit Fiat haben: Wir stellen etwas fest, kommen aber an die Typgenehmigungsbehörde in Italien nicht heran, und Europa sagt nur: Wollen Sie nicht einmal ein Gespräch führen? - Das reicht mir nicht . Ich erwarte von Europa, dass zukünftig eingeschritten wird . ({6}) Wir brauchen auch mehr und deutlichere Sanktionen . Wir haben Sanktionsmöglichkeiten in Deutschland . Wir können die Typgenehmigung entziehen . Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das trifft doch die Falschen. Wen trifft das nämlich? Das trifft die Leute, die sich in gutem Glauben ein Auto gekauft haben und das dann plötzlich nicht mehr fahren dürfen. Insofern finde ich das sehr richtig, was wir gemacht haben: nämlich Nachrüstung gefordert, sodass die Leute weiter fahren können . Ich möchte also abschreckende Sanktionen, ohne dass jahrelang überprüft wird: Welcher Ingenieur hat wo eine falsche Zahl eingetragen? - Nein, wer betrügt, muss zahlen, und zwar jetzt und sofort . ({7}) Beim letzten Punkt geht es um das, was wir jetzt machen müssen . Wir müssen dafür sorgen, dass die Luft in unseren Städten besser wird . Herzlichen Dank an unsere Umweltministerin Barbara Hendricks, dass sie deutlich aufgezeigt hat, wo die Handlungsnotwendigkeiten sind, und gesagt hat: Zur Not brauchen wir ein Fahrverbot . ({8}) Ich empfinde das als Warnung für uns. Das wollen wir nicht, weil auch das die Falschen trifft. Aber wenn wir jetzt nichts tun, wird das die letzte Möglichkeit sein . Also müssen wir etwas tun . All denen, die meinen, wir könnten uns als Bund heraushalten, das sei nicht unsere Aufgabe, sage ich ganz deutlich: Wir müssen etwas tun . Wir müssen Elektromobilität mehr fördern . Wir müssen Elektrobusse mehr fördern . Wir müssen Flotten mehr fördern . Und wir müssen uns auch um die Nachrüstung vorhandener Fahrzeuge kümmern . Sie sehen also: Wir haben schon viel getan, aber es ist noch viel zu tun . Ich freue mich auf die nächste Legislatur . Die Arbeit wird uns wahrlich nicht ausgehen . Ich bin sicher: Wenn wir unsere Hausaufgaben machen, werden wir das hinbekommen - zum Wohl unserer Bevölkerung in den Städten und auf dem Land . Herzlichen Dank . ({9})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Frau Kollegin . - Als Nächster hat Ulrich Lange von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt fällt mir schon das Wort „liebe“ schwer, deshalb: Sehr geehrte Frau Kollegin Leidig und sehr geehrter Herr Kollege Krischer ({0}) - Liebe wird das zwischen uns keine mehr -, ({1}) der Stil der Debatte von Ihnen beiden war heute - ich sage das ganz offen - unangemessen und schwer erträglich . ({2}) - Lieber Kollege Krischer, die Süddeutsche Zeitung - sie ist wahrlich kein Parteiorgan der CSU ({3}) hat Ihnen bereits am 3 . Januar ins Stammbuch geschrieben: Erst wird der nächste Skandal ausgerufen, und dann wird geprüft . So führen die Grünen den . . . auf ihr Betreiben vom Bundestag eingesetzten Untersuchungsausschuss, der staatliche Versäumnisse aufarbeiten soll, ad absurdum . Das ist, nicht zum ersten Mal, Populismus statt Aufklärung . Oder, anders ausgedrückt: politische Geschäftemacherei . . . ({4}) Genau das gilt heute so wie im Januar . ({5}) Lieber Kollege Kühn, ({6}) wenn Sie dann gemeinsam mit dem Kollegen Krischer zum großen Bashing gegen die Automobilindustrie ausholen, dann sieht man einmal mehr die ganze Doppelzüngigkeit und Heuchelei der Grünen . Einer der größten Schutzpatrone und Schutzheiligen der Automobilindustrie ist Ihr grüner Ministerpräsident in Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann . ({7}) Er sagt - das können Sie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 15 . März nachlesen -: Es gibt den sauberen Diesel . Den brauchen wir lange . Das ist der beste Verbrennungsmotor . ({8}) Und jetzt geht es erst richtig weiter: Diese Technologie werde aus Gründen des Klimaschutzes und auch aus wirtschaftspolitischen Gründen benötigt, denn schließlich brauche die Automobilindustrie die Gewinne aus dem Dieselgeschäft … ({9}) So Winfried Kretschmann! ({10}) Er hat recht . Natürlich hat er recht . Vor diesem Hintergrund frage ich Sie, wie Sie hier jedes Mal zum Dauerbashing und zur Dauerskandalisierung auflaufen können, wenn wir und Minister Dobrindt uns seit Monaten im Rahmen sachlicher Arbeit mit dieser Dieselaffäre auseinandersetzen. ({11}) Da wäre etwas mehr Seriosität von Ihrer Seite aus wirklich angebracht! ({12}) Über 3 Millionen Rückrufe gab es . Es wurde bereits konsequent gehandelt . Am 7 . Juni des vergangenen Jahres wurde beim Ministerrat die Einrichtung einer Clearingstelle angemahnt bzw . eingefordert . Des Weiteren wurde sofort eine Untersuchungskommission eingesetzt . Außerdem gab es für das KBA neues Geld für eigene Prüftechnik sowie die Wiedereinführung der Endrohrmessung . ({13}) Wer handelt? Das ist unser Minister! Herzlichen Dank, Alexander Dobrindt . ({14}) Insofern freuen wir uns natürlich auch, dass die Bundesumweltministerin im Untersuchungsausschuss das Ganze entsprechend anerkannt und gewürdigt hat . Herzlichen Dank, Frau Bundesumweltministerin, für das Lob für unseren Verkehrsminister . ({15}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind auf europäischer Ebene unterwegs, die Dinge klarzustellen - sie sind heute schon genannt und abgeschichtet worden -, die noch geklärt werden müssen . Wir sind national unterwegs und haben in den letzten Wochen und Monaten in der Großen Koalition vieles gemeinsam umgesetzt . Wir stehen zur Technologie in der Automobilindustrie, und wir werden eines nicht mitmachen: Dinge gegeneinander auszuspielen, die man auf dieser Ebene so nicht gegeneinander ausspielen kann . Wir machen bei dieser allgemeinen Skandalisierung nicht mit . Danke schön . ({16})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege Lange . - Als letzter Redner in der Aktuellen Stunde spricht jetzt Dr . Matthias Heider von der CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Matthias Heider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004051, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich darf als letzter Redner in der Debatte erst einmal feststellen: Von Ordnungsruf bis Heiterkeit ist alles dabei gewesen . - Aber vor allen Dingen darf ich feststellen, dass trotz des Themas, das die Grünen sich heute gewählt haben, der Versuch einer Skandalisierung der Abgastests nicht gelungen ist . Das ist die wichtigste Feststellung . ({0}) Ich will Sie gleich einmal mit einer Zahl konfrontieren, Herr Krischer: 4 Prozentpunkte . Diesen Wert haben die Grünen in Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen seit Januar 2016 verloren . Damit haben die Grünen gut 36 Prozent an Zustimmung verloren, seitdem die Vorschläge der EU-Kommission zur Einhaltung von Umwelt anforderungen durch die Automobilhersteller vorgestellt worden sind . Ich kann verstehen, dass vor dem Hintergrund der anstehenden Wahlen Nervosität bei Ihnen aufkommt und dass diese Nervosität auf 100 Prozent steigt, wenn Sie nach Nordrhein-Westfalen schauen . Was wir hier heute gehört haben, ist ein Beitrag zum Wahlkampf gewesen, aber keine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Sachthema . ({1}) Schauen wir uns einmal die Vorschläge an, die die Kommissarin Bienkowska und der Vizepräsident Katainen gemacht haben . Im Kern geht es bei den Vorschlägen um eine EU-weite Regelung bei den Typenzulassungsverfahren, ({2}) und das soll insbesondere die Motorensoftware betreffen . Diese Regelung, meine Damen und Herren, ist doch grundsätzlich zu begrüßen . Wir setzen einheitliche Standards, um verbindliche Vorgaben für Zulassungsverfahren im gesamten Binnenmarkt zu machen. Das schafft Transparenz, und es ist auch die Aufgabe der Kommission, unterschiedliche Zulassungsregeln anzupassen und gemeinsame Standards zu setzen . Denn so gewinnt im Wettbewerb das umweltfreundlichste Auto und nicht das teuerste Auto oder das Auto aus dem Land mit den vorteilhaftesten Regelungen . Die Bundesregierung lehnt an dieser Stelle im Übrigen an keinem Punkt strengere Abgastests ab . ({3}) Im Gegenteil: Es ist doch schon lange beschlossen, dass ab September dieses Jahres Real-Driving-Emissions-Prüfverfahren gelten, ({4}) mit denen wir die Emissionen der Fahrzeuge im tatsächlichen Fahrbetrieb analysieren . Das ist der richtige Weg . Von den sehr theoretischen Werten der Labortests beim bisherigen Testverfahren sind wir damit weggekommen . Was völlig zu Recht abgelehnt wird, ist ein weiterer Kompetenzzuwachs der Europäischen Kommission . Wir brauchen keine zusätzliche Kontrolle nationaler Behörden durch die Kommission . Die Arbeit nationaler Behörden kontrollieren, das können wir gut selber machen, ({5}) zur Not mithilfe des Parlaments . Was die Prüfdienste, Herr Krischer, angeht, hat die Bundesregierung auch eigene Vorschläge vorgelegt . Durch ein rollierendes Verfahren kann die Unabhängigkeit zwischen Prüfdiensten und Herstellern genauso sichergestellt werden, und das auch mit einem deutlich geringeren Verwaltungsaufwand . Ich stelle einmal fest, dass Sie es mit Ihrem heutigen Beitrag allenfalls geschafft haben, die Themenflaute in Ihrer Partei zu bekämpfen . Dazu haben Sie eine Aktuelle Stunde beantragt. Der Begriff „Themenflaute“ stammt übrigens nicht von mir, sondern aus der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, die heute über das landespolitische Geschick der Grünen in Nordrhein-Westfalen schreibt . Ihre Umfragen sind schlecht . ({6}) Sie kämpfen um Ihre parlamentarische Existenz, sagt Ihre Spitzenkandidatin Frau Löhrmann . ({7}) So langsam kommt das ganze Ausmaß der Zwangsbeglückung der Bürgerinnen und Bürger nämlich ans Licht: Vergesellschaftung von öffentlichen und privaten Flächen in Nordrhein-Westfalen, die Art und Weise des Ausbaus der Windenergie in den ländlichen Regionen, die Überbetonung artenspezifischer Aspekte und, und, und. Die Aktuelle Stunde ist gar nicht lang genug, damit ich Ihnen das alles aufzählen kann, und da ist der Veggieday noch gar nicht mal inbegriffen. Aber, Herr Kollege Krischer, ich hatte auch ein schönes Erlebnis, als ich die Zeitung gelesen habe . Als ich die FAZ in der Hand gehalten habe, habe ich ein Zitat von Ihrem Kollegen Hofreiter - er ist heute leider nicht da; aber das ist ein wichtiges Thema - gesehen . Er hat gesagt: Wir haben großes Interesse an einer umweltfreundlichen Regulierung … Eine Industrie, die nicht mehr in Deutschland ist, kann nicht mehr von deutschen Grünen reguliert werden … ({8}) Sehr wahr, kann ich an der Stelle nur sagen . Insofern verdient die Bundesregierung bei ihren in Brüssel vertretenen Standpunkten Unterstützung: wegen einer umsichtigen Verschärfung der Abgasregelung, aber auch, weil die Automobilindustrie viele Hunderttausende Arbeitsplätze in Deutschland sichert . Deshalb ist Augenmaß gefragt und nicht das, was Sie hier heute aufgeführt haben . Vielen Dank . ({9})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege . - Damit ist die Aktuelle Stunde beendet . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes Drucksache 18/11163 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes Drucksachen 18/11326, 18/11658, 18/11822 Nr. 11 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0}) Drucksachen 18/12076, 18/12141 - Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12077 Zu dem Gesetzentwurf der CDU/CSU und SPD liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesinnenminister Dr . Thomas de Maizière . ({2})

Not found (Minister:in)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Titel des Gesetzes, das wir heute in zweiter und dritter Lesung verabschieden wollen, kommt unprätentiös daher . Aber es geht um weit mehr als um die Neustrukturierung eines Gesetzes . Es geht um nichts weniger als die Zukunft deutscher Polizeiarbeit . Seit einem Jahr ist mein Haus damit beschäftigt, die Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das vor fast genau einem Jahr, am 20 . April 2016, verkündet wurde, zu ziehen und die Anforderungen aus der europäischen Datenschutzrichtlinie für die Zusammenarbeit im Polizei- und Justizbereich umzusetzen . Ich habe mich früh dazu bekannt, diese anspruchsvolle Aufgabe nicht sozusagen minimalinvasiv vorzunehmen, sondern als richtige Chance zu nutzen . Der Gesetzentwurf setzt natürlich alle Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtsurteils um, aber steckt die Aufgaben weiter . Das neue BKA-Gesetz macht den Weg frei für eine moderne polizeiliche IT-Infrastruktur, eine Infrastruktur, die das Fundament für gute, rechtsstaatliche Polizeiarbeit auf einem neuen Niveau darstellt . Jede Polizistin, jeder Polizist soll sämtliche Informationen phänomenübergreifend zusammenführen und nutzen können, die sie oder er braucht und wenn sie oder er dazu berechtigt ist . Eine Unterteilung des Informationsaufkommens in verschiedene Datentöpfe wird überflüssig. All denen - vor allen Dingen den Grünen -, die in der Abkehr von der Datenhaltung in getrennten Dateien den Untergang des datenschutzrechtlichen Abendlandes befürchten, sage ich: Ihre Kritik geht an der Sache vorbei . ({0}) In der Geburtsstunde der polizeilichen Datenlandschaft und der Informationsverbindungen zwischen Bund und Ländern war technisch und organisatorisch schlicht nichts anderes möglich und vorstellbar, als in Dateien zu denken und die analoge, papiergebundene Arbeit in das damals technisch Machbare umzusetzen . Das ist aber heute nicht mehr State of the Art, nirgendwo: weder technisch, auch nicht datenschutzrechtlich, noch kriminaltaktisch, auch nicht sicherheitspolitisch . Mit dem neuen BKA-Gesetz ändern wir das, und zwar in verfassungsrechtlich zulässiger Art und Weise und unter Nutzung modernster Technik, die wir mit modernem Datenschutz verbinden . Der Gesetzentwurf sieht, anders als es in Ihrem Entschließungsantrag steht, keine neuen Speicherbefugnisse für das BKA vor . Die Abkehr von der Speicherung in Dateisystemen führt zu keiner weiter reichenden Speicherung als bisher . Insofern geht Ihre Kritik ins Leere . Aber das neue System ermöglicht es, personen- und ereignisbezogene Daten zusammenzuführen und Zusammenhänge besser zu erkennen . Das ist für die Sicherheit besser. Das ist für die Polizei effektiver. Und das heißt trotzdem eben nicht weniger Datenschutz . Daten werden gekennzeichnet, um jedem Bearbeiter deutlich zu machen, in welchem Umfang das jeweilige Datum weiterverarbeitet werden kann . Und schließlich - das geht in dem System getrennter Datentöpfe, das wir jetzt haben, schon technisch nicht - gibt es eine Vollprotokollierung aller Datenverarbeitungsvorgänge, auf die die Bundesbeauftragte für den Datenschutz vollen Zugriff hat. Mit diesem Gesetz schaffen wir also die Voraussetzungen dafür, dass die deutschen Polizeien die heute verfügbare Technik auch nutzen können - zum Sicherheitsgewinn aller . Die Planungen im Bundeskriminalamt und in den Bund-Länder-Gremien zur Umsetzung dieses Gesetzes laufen auf Hochtouren . Hinter dem Arbeitstitel „Polizei 2020“ verbirgt sich ein Großprojekt, das die Polizeien in Bund und Ländern lange beschäftigen wird . Das neue BKA-Gesetz legt hierfür heute den Grundstein . Daneben - ich habe es schon erwähnt - setzen wir die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um und führen die Möglichkeit ein, dass auch das Bundeskriminalamt im Bereich terroristischer Gefahrenlagen die Fußfessel einsetzen kann, um Gefährder besser beobachten zu können, obwohl wir wissen, dass die Fußfessel nicht die allein selig machende Lösung in der Terrorabwehr ist . Das hat auch niemand behauptet . Meine Damen und Herren, heute werden wir Großes für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger beschließen, und das im Stundenrhythmus . Gleich beschließen wir das BKA-Gesetz . Im Anschluss beschließen wir die Änderungen der §§ 113 und 114 des Strafgesetzbuches . Damit werden wir die Strafen bei Angriffen auf Polizeibeamte und Rettungskräfte bei jeder Diensthandlung erhöhen - ein wichtiger Schritt und ein Zeichen für alle, die Tag und Nacht ihren Kopf für unsere Sicherheit hinhalten . ({1}) Dann stimmen wir über das neue Bundesdatenschutzgesetz ab . Auch das ist ein grundlegendes Werk; ich werde dazu später noch etwas sagen . Ohne das neue Datenschutzrecht, ohne die neuen auf das BKA anwendbaren Regelungen, wäre das neue BKA-Gesetz gar nicht vollständig . Danach weiten wir - auch noch heute - das Maßregelrecht bei extremistischen Straftätern aus . Wir ermöglichen damit eine bessere Überwachung von Gefährdern, um unsere Bürgerinnen und Bürger besser zu schützen . Am Abend machen wir den Weg für den Austausch der Fluggastdaten frei . Dem BKA wird damit als deutsche Fluggastdatenzentralstelle ein wirkungsvolles Instrument im Kampf gegen Terrorismus und schwere Kriminalität in die Hand gegeben . Ferner liegt dann das veränderte Europol-Gesetz zur Beschlussfassung vor, das diesen Kampf grenzüberschreitend erleichtern wird . Mit dem neuen Sicherheitsüberprüfungsgesetz schützen Vizepräsidentin Michaela Noll wir den öffentlichen Dienst noch besser vor Extremisten und Spionen . Dieser Tag ist also ein besonderer Tag . Wir ernten heute gemeinsam die Früchte harter Arbeit der vergangenen Monate auch in der Koalition . Es ist ein Reigen an Sicherheitsgesetzen, der sich in ein sicherheitspolitisches Gesamtgefüge einpasst und den Herausforderungen unserer Zeit gerecht wird . Heute ist ein guter Tag für die Sicherheit und ein guter Tag für Deutschland . ({2})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Herzlichen Dank, Herr Minister . - Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Martina Renner von der Fraktion Die Linke . ({0})

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wo stehen wir eigentlich in der Sicherheitsdebatte? Dass Anis Amri nicht gestoppt wurde, bevor er zwölf Menschen ermordete, lag nicht daran, dass über ihn nicht genügend Daten vorlagen oder dass er keine Fußfessel trug . Man ließ ihn gewähren, weil die Behörden sich einfach nicht vorstellen konnten, dass jemand, der Alkohol trinkt und die Gebete vernachlässigt, ein fanatischer Islamist sein könnte . Falsche Annahmen gab es auch im Fall des rassistischen Attentats am Münchener Olympia-Einkaufszentrum . Der Täter war ein Anhänger von Breivik und Hitler, die Opfer waren Migranten . Es gibt ein schriftliches Bekenntnis . Aber es sei kein rechter Terror - so sagen es die Behörden bis heute . Beides sind Beispiele dafür, dass aus falschen Analysen falsche Schlussfolgerungen gezogen werden . Das ist das wahre Problem Ihrer Sicherheitsarchitektur . ({0}) Wer den Terrorismus bekämpfen und überwinden will, muss verstehen, warum Menschen zu Attentätern werden . Ihr Technikfetisch wird Ihnen darauf keine Antwort geben können . ({1}) Der Gesetzentwurf folgt dem bekannten Muster: Ihr Erzfeind ist eigentlich der Datenschutz . Das sieht man insbesondere an den Regelungen zum Datenpooling: Einmal erhobene Daten können fast ohne besondere Voraussetzungen weiter genutzt, auf Vorrat gehalten und im Ergebnis noch Jahrzehnte später verwertet werden . Nach Verhältnismäßigkeit und Zweckbindung fragt hier niemand mehr . ({2}) Der Besuch eines Fußballspiels oder einer Demonstration, bei denen die Personalien erhoben wurden, ohne dass man sich irgendetwas zu Schulden hat kommen lassen, kann im Zweifel Anlass genug dafür sein, dass die persönlichen Daten fast ewig gespeichert werden - über Jahre hinweg . Das ist ein Albtraum in Big Data . ({3}) Das Bundesverfassungsgericht hat im April 2016 eben nicht eine dauerhafte Vorratsspeicherung gestattet, sondern nur eine unmittelbare Anschlussnutzung inklusive anschließender Löschung . Man braucht keine Glaskugel, um heute schon sagen zu können: Die vorgeschlagenen Regelungen haben gute Chancen darauf, in Karlsruhe wieder kassiert zu werden . Die Linke lehnt außerdem die Einführung der elektronischen Fußfessel gepaart mit Aufenthalts- und Kontaktverboten ab . Wenn ein konkreter Verdacht einer unmittelbar bevorstehenden Straftat vorliegt und der Täter bereit ist, sein Leben dafür zu opfern, dann nutzt die Fußfessel gar nichts . Sie unterliegen auch hier dem Irrtum, fehlendes Personal bei der Polizei und mangelnde Gefahrenprognose durch Überwachungstechnik heilen zu können . Das wird nicht funktionieren . ({4}) Ich nenne Ihnen zwei Beispiele, um das zu belegen . Adel Kermiche stand in der Normandie unter Hausarrest inklusive Fußfessel, als er den 86-jährigen Priester Jacques Hamel tötete . Oder: Der aus der Strafhaft entlassene Rafik Yousef trug eine Fußfessel, als er in Berlin mit einem Messer bewaffnet auf eine Polizistin losging. Hören Sie endlich auf, den Bürgern und Bürgerinnen vorzumachen, diese Maßnahmen würden schützen! Sie gaukeln lediglich Sicherheit vor . ({5}) Die Linke lehnt auch den Einsatz von Staatstrojanern und die Onlinedurchsuchung ab . ({6}) Im Gesetz fehlen jegliche Regelungen über die vom Trojaner einzuhaltenden technischen Anforderungen . Ob der Trojaner tatsächlich nur Daten ausliest, angegriffene Systeme manipuliert oder Daten sogar selbst erzeugt, wissen wohl nur das BKA und die beteiligten externen Ermittler . Die Kontrolleure sind blind, und blind sind auch das Parlament und die Justiz . Das für die Kontrolle zuständige Amtsgericht Wiesbaden ist zur Beurteilung der Eingriffstiefe der Software gar nicht in der Lage. Dies hat das Amtsgericht Wiesbaden in der Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht selbst erklärt . Dann bleibt fraglich, wie das BKA eigentlich Zugriff auf den Rechner bekommt, möglicherweise durch Ausnutzung von Sicherheitslücken in Hard- und Software, gekauft auf einem kriminellen Markt von einem Staat, der im Interesse der Bürger und Bürgerinnen diese Sicherheitslücken eigentlich schließen müsste und sie nicht für sich nutzen sollte . Die Onlinedurchsuchung greift in die Arbeitsgrundlage von Psychologen und Presse ein . Sie kennen die vielen Stellungnahmen, die uns als Parlament zugeganBundesminister Dr. Thomas de Maizière gen sind . Patientengeheimnis, Informantenschutz und Zeugnisverweigerungsrecht sind Kern der freiheitlichen Rechtsordnung . Es ist bedauerlich, dass sie einigen hier im Haus so wenig wert sind . ({7}) Das alles bringt kein Mehr an Sicherheit, nur ein Mehr an Überwachung . Das alles führt zur Preisgabe des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre . Aus diesen Gründen werden wir den Entwurf eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes ablehnen . Danke . ({8})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Danke, Frau Kollegin Renner . - Als nächster Redner spricht Uli Grötsch von der SPD-Fraktion . ({0})

Uli Grötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004282, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe es gestern im Ausschuss gesagt und ich sage es gerne auch heute noch einmal, weil mir das wirklich ein Anliegen ist . Was den Einsatz des sogenannten Staatstrojaners und die Thematik der Onlinedurchsuchung angeht: Eine entsprechende Einschätzung hierzu hat, glaube ich, viel damit zu tun, welchen grundsätzlichen Blick man auf die Sicherheitsbehörden in unserem Land hat . Ich möchte betonen: Unser Blick ist ein klarer, und wir haben keinen Zweifel daran, dass die Polizeibehörden, das Bundeskriminalamt in diesem Fall, die Instrumente, die wir als Gesetzgeber ihnen an die Hand geben, so nutzen, wie es im Gesetz vorgesehen ist und dass sie verantwortungsvoll für die Ermittlungsarbeit und für sonst gar nichts eingesetzt werden . ({0}) Mit dem vorliegenden Gesetz zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes bringen wir einen Gesetzentwurf zum Abschluss, der dem Bundeskriminalamt - eigentlich allen Polizeibehörden in Deutschland die Tür ins 21. Jahrhundert öffnet. Ein Kompliment ist es im Grunde nie, wenn das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz an uns zurückgibt . In diesem Fall aber sagt das Urteil auch, dass die verdeckten Überwachungsmaßnahmen grundsätzlich mit dem Grundgesetz vereinbar sind . Die geforderten Nachjustierungen bezüglich der Bestimmtheit, der Verhältnismäßigkeit oder der richterlichen Kontrolle der Maßnahmen setzen wir mit diesem Gesetz um . Wir begrüßen es, dass das Urteil auch Anlass war, eine komplette Neustrukturierung der polizeilichen Datenbanksysteme von Bund und Ländern unter dem Dach des Bundeskriminalamtes in Angriff zu nehmen; natürlich gab es darüber hier im Parlament Diskussionen . Wir wollen mit einer zentralen Datenbank und einem polizeilichen Informationsverbund, also mit einer komplett neuen IT-Architektur, dem Bundeskriminalamt den Weg ins 21 . Jahrhundert ebnen . Wer sich dem versperrt, setzt weiterhin auf einen Datenflickenteppich aus 19 unterschiedlichen Dateien, auf eine Infrastruktur, die aus den 1970er-Jahren stammt . Das kann nicht der Anspruch einer modernen Sicherheitspolitik sein . ({1}) Wir wollen nicht, dass unsere Polizistinnen und Polizisten sehnsüchtig in unsere Nachbarländer blicken müssen, etwa nach Holland, weil die Kollegen dort mit modernster Technik und entsprechenden Befugnissen ausgestattet sind und dadurch leistungsfähiger fahnden können . Wir wollen technisch auf der Höhe der Zeit sein . Bildlich gesprochen: Wir wollen nicht, dass unsere Beamten Terroristen am Commodore 64 bekämpfen, obwohl Terroristen - das ist hinlänglich bekannt - verschlüsselt mit High-End-Geräten arbeiten . Ich sage Ihnen, dass die Zeit des Nebeneinanderarbeitens, dass die Zeit der Länderbefindlichkeiten in Deutschland vorbei sein muss . ({2}) Wir haben eine Regelung gefunden, wie der Aufwand für die Länder bei der Übernahme der Altdaten in das neue Regime so gering wie möglich bleibt . Unser Vorschlag ist damit praxistauglich . Das haben wir im parlamentarischen Verfahren hinlänglich abgeprüft . Der Terror macht nicht an Ländergrenzen halt . Das ist nun wirklich keine neue Erkenntnis . Das BKA muss und wird deshalb auch in Zukunft als Zentralstelle eine maßgebliche Rolle spielen . Ein Fall wie Anis Amri darf sich natürlich nie wiederholen . Die Maxime dabei lautet: Ein Ermittler in Bayern muss wissen können, dass ein Kollege in Nordrhein-Westfalen oder anderswo am selben Fall bzw . an derselben Person dran ist, ({3}) und zwar nicht erst nach ein paar Tagen, sondern immer sofort . Mit diesem Gesetz ziehen wir Konsequenzen aus dem Zuständigkeitswirrwarr nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz . Das ist immer ein Spagat zwischen Freiheit und Sicherheit; das haben wir auch bei diesem Gesetzentwurf gesehen . Gerade wir Sozialdemokraten schielen immer in Richtung Freiheit und achten sehr genau auf die Verhältnismäßigkeit . ({4}) Frau Renner, weil Sie eben den Albtraum Big Data ewig speichern - angesprochen haben, möchte ich Ihnen eine gute Nachricht überbringen: Sie können aus diesem Albtraum aufwachen . Die Regelung, von der Sie eben gesprochen haben, ist im Gesetzentwurf so nicht mehr enthalten . ({5}) Ich habe diese Regelung auch sehr kritisch gesehen - ich habe das in den Gesprächen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens immer gesagt -, weil sie im schlimmsten Fall bedeutet hätte, dass meine personenbezogenen Daten, auch wenn es sich dabei nur um Bagatelldelikte gehandelt hätte, unbegrenzt gespeichert worden wären . Es wäre gewissermaßen eine lebenslange Polizeiakte entstanden, und jeder neue Eintrag hätte zur Verlängerung der Aussonderungsprüffrist geführt. Ich bin sehr froh, dass das vom Tisch ist und wir den bisherigen Rechtszustand beibehalten, weil jeder die Möglichkeit haben muss, wieder eine weiße Weste zu bekommen . ({6}) Gut, dass auch hier das Struck’sche Gesetz gegolten hat: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es reinkommt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sicherheitslücken, die es gibt, schließen wir . Manchmal schießt unser Koalitionspartner vielleicht ein bisschen übers Ziel hinaus . ({7}) Dann müssen die Sozialdemokraten sie wieder einfangen . ({8}) Das gelingt insbesondere in Zusammenarbeit mit dem Bundesjustizministerium ganz hervorragend . Dafür darf ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken . ({9}) Ein bisschen verwundert war ich daher schon, Herr de Maizière, über die ungewohnte Zurückhaltung des Bundesinnenministeriums bei der anstehenden Änderung des Waffenrechts. Anstatt eine eindeutige Regelung vorzulegen, damit die Waffenbehörden vor jeder Erlaubniserteilung eine Abfrage bei den Verfassungsschutzämtern über verfassungsfeindliche Einträge durchführen können, drucksen Sie herum und unterbreiten einen halbherzigen und sehr ungenauen Vorschlag . Wir sagen: Keine legalen Waffen an Extremisten. ({10}) Sie aber trauen sich nicht und zögern . Die bei allen anderen Fragen der Terrorabwehr an den Tag gelegte Entschlossenheit erwarte ich auch in dieser Sache . Wir werden hier nicht lockerlassen . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({11})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege . - Als Nächste spricht die Kollegin Irene Mihalic von Bündnis 90/Die Grünen .

Dr. Irene Mihalic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Grötsch, Sie haben in Ihrer Rede als Reaktion auf die Ausführungen der Frau Kollegin Renner die Mitziehautomatik angesprochen . Da haben Sie sich in der Tat von den Experten in der Anhörung belehren lassen und die Regelung aus Ihrem Gesetzentwurf genommen . Dennoch - das muss man sagen - bedeutet das neue BKA-Gesetz das Ende des polizeilichen Datenschutzes, wie wir ihn kannten; ({0}) denn ob mit oder ohne Mitziehautomatik: Der zentrale Grundsatz der Zweckbindung von Informationen und Daten, Herr de Maizière, wird in pauschaler Weise aufgehoben . ({1}) Das wissen auch Sie . Die Neuverknüpfung von Daten kommt einer Neuerhebung gleich . Deswegen spielt das schon eine große Rolle. Ich kann offen gestanden nicht nachvollziehen, warum Sie solche verfassungsrechtlichen Risiken, die damit verbunden sind, in Kauf nehmen . Das Einzige, was Sie damit erreichen, ist ein Klageabo in Karlsruhe . Stattdessen sollten Sie lieber die bekannten Probleme im Rahmen der bestehenden Systeme lösen . ({2}) Anstatt massenhaft alles Mögliche zu speichern, wäre es viel besser, valide Informationen möglichst zeitnah und gründlich auszuwerten; das zeigen auch die Sachverhalte, mit denen wir es in der Vergangenheit zu tun hatten . Sie wissen ganz genau, dass Polizeiarbeit immer dann besonders erfolgreich ist, wenn sie spezifisch ist. Spezifische und zielgerichtete Polizeiarbeit hat auch kein Datenschutzproblem . Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zum BKA-Gesetz viele bestehende Befugnisse beanstandet und einen engen Entscheidungskorridor definiert. Mit Ihrem Gesetzentwurf schrammen Sie permanent an der rechten Leitplanke dieses Korridors entlang . Das, was nach Einschätzung des Gerichts gerade noch so verfassungsrechtlich zulässig wäre, haben Sie dann per Copy-and-paste ins Gesetz geschrieben . Copy-and-paste ist aber nicht nur schlechter gesetzgeberischer Stil, sondern Sie verkennen damit auch Ihre Aufgabe, für die Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne zu sorgen . ({3}) Sie gehen nicht minimalinvasiv vor, wie Sie es gerade gesagt haben, Herr de Maizière, sondern Sie gehen richtig in die Vollen . Unser Entschließungsantrag macht diese Versäumnisse noch einmal deutlich . Durch die Neustrukturierung der Datenbanken beim BKA betreiben Sie eine unverhältnismäßig weite Speicherung - und die noch auf Vorrat -, ohne dass in einem einzigen Fall belegt wäre, dass eine solche Neustrukturierung tatsächlich zur Verbrechensverhütung beiträgt . Eine Regelung zu Staatstrojanern, die nicht mindestens auch die technischen Anforderungen an die Software klar definiert, lässt nicht einmal den Versuch erkennen, dass Sie sich mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben beschäftigt haben . Auch der kriminalistische Nutzen eingriffsintensiver Maßnahmen wurde im Rahmen dieses Entwurfs nicht hinreichend berücksichtigt . Das sehen wir am Beispiel der Fußfessel . Die Fußfessel ist als Maßnahme zur Überwachung von Gefährdern schlicht ungeeignet, ({4}) selbst dann, wenn die Überwachung ausnahmsweise einmal nicht verdeckt erfolgen soll . Sie ist ein reines Placebo . Selbst das BKA sagt in seiner internen Einschätzung, die wir alle kennen, eindeutig, dass die Fußfessel so ziemlich das Letzte ist, was Gefährder daran hindert, Anschläge zu begehen . ({5}) Die Fußfessel zur polizeilichen Überwachung von Gefährdern - ich rede jetzt nicht über die Fußfessel im Maßregelvollzug, sondern über die polizeirechtliche Fußfessel, wie sie hier im BKA-Gesetz vorgesehen ist - gibt es nirgendwo sonst auf der Welt . ({6}) Das ist absolutes Neuland; so würden Sie von der Union es vielleicht bezeichnen . Sie planen hier einen groß angelegten Feldversuch, ein riesiges Experiment am offenen Herzen der öffentlichen Sicherheit. Mir wäre es an dieser Stelle lieber, Sie würden endlich einmal konkrete Schlüsse aus dem Fall Anis Amri ziehen, der übrigens niemals ein Kandidat für die Fußfessel gewesen wäre . ({7}) Neben all den verfassungsrechtlichen Fragen macht mich ein Aspekt besonders betroffen. Für uns alle steht die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger ganz oben auf der Agenda . ({8}) - Haben Sie etwa Zweifel daran, dass wir uns um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger sorgen? Wenn das so ist, möchte ich gerne, dass Sie das hier einmal laut sagen . - Deshalb ist es im Sinne der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger keine gute Politik, die Polizei und die Sicherheitsbehörden mit Gesetzen im Regen stehen zu lassen, deren Nutzen fragwürdig ist und die am Ende in Karlsruhe wieder eingesammelt werden . Damit ist niemandem gedient, weder der Polizei noch der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger . Mehr Sorgfalt in der Beratung und mehr Präzision in der Ausgestaltung wären dringend angebracht . All das lassen Sie leider vermissen . Dazu kommt: Die bereits bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten, sowohl repressiv als auch präventiv, wurden in bestimmten Fällen überhaupt nicht ausgeschöpft . Der Fall Amri ist solch ein trauriges Beispiel . Für diese Defizite gibt es klare Belege. Wenden Sie die bestehenden Gesetze an, anstatt immer neue Gesetze zu schaffen, die letztlich sowieso wieder in Karlsruhe landen und niemandem weiterhelfen . ({9})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Frau Kollegin . - Das Wort hat jetzt Stephan Mayer von der CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Die erste Lesung des BKA-Gesetzes fand am 17 . Februar dieses Jahres noch unter dem starken und sehr authentischen Eindruck des schrecklichen, unfassbaren Anschlags vom Breitscheidplatz kurz vor Weihnachten 2016 statt . Aber die Welt ist seitdem nicht stillgestanden . Es gab weitere terroristisch bzw . islamistisch motivierte Anschläge - in London, in Stockholm, in Paris - mit vielen weiteren Toten . Die terroristische Bedrohung ist unvermindert hoch . Ich glaube, man kann mit Fug und Recht behaupten: Sie war nie größer . Auch die vom Bundesinnenminister am vergangenen Montag vorgestellte Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2016 zeigt auf sehr eindrucksvolle Weise, dass insbesondere die Anzahl der Delikte im Bereich der politisch motivierten Ausländerkriminalität von 2015 auf 2016 deutlich gestiegen ist, und zwar um sage und schreibe 66,5 Prozent . ({0}) Damit haben wir die höchste absolute Zahl von politisch motivierten Ausländerkriminalitätsdelikten seit 2001, seit Beginn dieses Meldedienstes, erreicht . ({1}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, unsere Sicherheitsbehörden stehen vor großen, enormen Herausforderungen . In der Sicherheitsarchitektur unseres Landes kommt dem Bundeskriminalamt aufgrund seiner Zentralstellenfunktion eine besondere Bedeutung zu, natürlich auch wegen seiner originären Kompetenz bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der Bekämpfung der organisierten Kriminalität . ({2}) Die Novellierung des BKA-Gesetzes, die wir heute abschließen, ist nicht die erste Novellierung des Bundeskriminalamtgesetzes, das es seit 1951 gibt, aber mit Sicherheit seine umfassendste . Mit der Beschlussfassung über dieses Gesetz schaffen wir es, die Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 20 . April letzten Jahres umzusetzen . Frau Kollegin Renner, es stimmt nicht, dass der Datenschutz durch dieses neue Gesetz unterminiert oder reduziert wird . Der Datenschutz wird sogar ausgeweitet . ({3}) Es gibt mehr datenschutzrechtliche Kontrolle . Es gibt eine Stärkung der Transparenz . Es gibt eine Ausweitung der Löschungspflichten. Es gibt mit diesem Gesetz auch eine Stärkung des individuellen Rechtsschutzes . ({4}) Frau Kollegin Mihalic und Frau Kollegin Renner, Sie müssen sich schon einmal entscheiden . Sie werfen uns einerseits vor, dass wir Copy-and-paste machen und die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu detailgenau im Gesetz niederschreiben . ({5}) Andererseits werfen Sie uns vor, wir würden verfassungswidrig handeln . ({6}) Es kann nur eine Argumentation stimmen . Entweder halten wir uns zu eng an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, oder wir negieren das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und arbeiten mit weit überschießender Tendenz verfassungswidrig . ({7}) Beides kann nicht zusammenpassen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen . ({8}) Ich bin der festen Überzeugung, dass wir hier, insbesondere vor dem Hintergrund des Grundsatzes der hypothetischen Datenneuerhebung, den das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hat, gesetzgeberisch sehr ordentlich und sehr genau gearbeitet haben . ({9}) Wir setzen darüber hinaus die Datenschutzrichtlinie der Europäischen Union für den öffentlichen Sicherheitsbereich um . Auch das ist ein sehr wichtiger Aspekt . Der Austausch von Informationen zwischen den Sicherheitsbehörden in Europa ist von elementarer Bedeutung, auch für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land . Indem wir als erstes EU-Land die EU-Datenschutzrichtlinie in nationales Recht umsetzen, erleichtern wir die Datenweitergabe an andere Sicherheitsbehörden in Europa . Damit stärken wir die Sicherheitslage in unserem Land, aber auch in anderen Ländern . ({10}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ein sehr wesentlicher Punkt ist - das ist, glaube ich, ein wirklich epochaler Schritt -, dass wir die IT-Infrastruktur der gesamten Sicherheitsbehörden in Deutschland auf neue Beine stellen . Die IT-Sicherheitsarchitektur hat über eine zu lange Zeit hinweg immer noch den Geist der 70er-Jahre in sich getragen . ({11}) Es ist richtig, dass wir hier eine Modernisierung bzw . Ertüchtigung vornehmen . Ich bin auch sehr dankbar, dass es insbesondere auf Initiative der Innen- und Sicherheitspolitiker der Unionsbundestagsfraktion gelungen ist, im parlamentarischen Verfahren einen Änderungsantrag zustande zu bringen, der gewährleistet, dass vorhandene Altdaten von den Ländern weiter genutzt werden können . Ich sage hier sehr ernsthaft und sehr eindringlich: Es wäre wirklich unwürdig und aus meiner Sicht der Sicherheit unseres Landes nicht zuträglich gewesen, wenn wir auf Basis des Ausgangsentwurfs die Regelung getroffen hätten, dass die Altdaten zwar weiterhin von den Ländern vorgehalten werden dürfen, wir den Länderpolizeibehörden aber untersagt hätten, diese Daten weiter zu nutzen . Das wäre unverantwortlich gewesen . ({12}) Deswegen ist es richtig, dass wir es mit unserem Änderungsantrag, der heute ebenfalls zur Abstimmung gestellt wird, ({13}) ermöglichen, dass die Länderpolizeibehörden nicht künstlich blind gehalten und künstlich zur Untätigkeit verdammt werden, sondern dass diese Altdaten weiter genutzt und verwertet werden dürfen . ({14}) Stephan Mayer ({15}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die elektronische Fußfessel ist nun mit Sicherheit kein Allheilmittel . ({16}) Frau Kollegin Mihalic, niemand hat behauptet, dass Anis Amri prädestiniert gewesen wäre für das Tragen einer elektronischen Fußfessel . Aber ich bin der festen Überzeugung, Herr Kollege von Notz, dass der Einsatz der elektronischen Fußfessel in dem einen oder anderen Fall ({17}) unterstützend durchaus ein wertvolles Instrument sein kann, um Gefährder, die auch wissen, dass sie als Gefährder eingestuft werden, zu kontrollieren . ({18}) Es ist bekannt, dass die Rund-um-die-Uhr-Überwachung eines Gefährders 24 bis 30 Mitarbeiter des Verfassungsschutzes bindet . ({19}) Gerade vor dem Hintergrund der starken personellen Inanspruchnahme der Verfassungsschutzämter ist es meines Erachtens richtig, dass wir mit der Möglichkeit des Einsatzes der elektronischen Fußfessel hier ein weiteres Instrument zur Unterstützung schaffen. ({20}) Ich sage auch ganz offen: Derzeit gibt es auf Bundesebene keinen einzigen Gefährder, der für das Tragen der elektronischen Fußfessel prädestiniert wäre . ({21}) Deshalb sind mein klarer Wunsch und mein klarer Appell im Rahmen dieser Gesetzgebung, dass sich die Länder bitte ein Beispiel an der Novellierung des BKA-Gesetzes nehmen und in ihren Polizeiaufgabengesetzen die Möglichkeit schaffen, die Gefährder, die bei den Ländern gehalten werden, ({22}) auch mit der elektronischen Fußfessel entsprechend überwachen zu können . ({23}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich bin gespannt - wir werden ja den Praxistest machen können -, welche Länder von dieser Möglichkeit Gebrauch machen . Ich bin mir zum Beispiel sicher, dass mein Heimatland Bayern diese Möglichkeit sehr schnell in das bayerische Polizeiaufgabengesetz übernehmen wird . ({24}) Ich bin mir sehr sicher, dass es auch andere Länder geben wird . Frau Mihalic, wenn Ihr Heimatbundesland Nordrhein-Westfalen so weiterregiert werden würde, wie es jetzt regiert wird, wird es von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch machen . ({25}) Machen wir deshalb in einem Jahr den Praxistest und sehen wir dann, wie viele Länder entsprechend verantwortungsbewusst handeln . Ich bitte um Zustimmung zu diesem wichtigen Gesetzentwurf . Danke für Ihre Aufmerksamkeit . ({26})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Herzlichen Dank, Herr Kollege Mayer . - Als Nächste hat das Wort die Kollegin Susanne Mittag von der SPD-Fraktion . ({0})

Susanne Mittag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004355, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr de Maizière! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit der heute zu beschließenden Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes haben wir es mit einem, wie man bei uns im Norden - da sind die richtigen Bundesländer - sagt, echten Dickschiff zu tun, und zwar nicht nur, was den Tiefgang der Beratungen angeht - wir haben uns damit ordentlich beschäftigt -, sondern auch, welche Bugwelle das Ganze gesetzgeberisch und besonders organisatorisch für das BKA vor sich herschiebt . Denn wir haben es nicht nur mit einer vollkommenen Umstrukturierung - das ist schon erwähnt worden - des Datenbestandes des BKA zu tun, die auch die Länder betrifft, nein, in diesem Geleitzug werden wir heute auch das Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz und das Europol-Gesetz beschließen . Alle drei Gesetze haben Bezüge zueinander . Das Europol-Gesetz wird heute Abend ebenfalls im Plenum behandelt und wurde hinsichtlich der Umsetzungsfristen dem BKA-Gesetz angepasst . Bei der Diskussion und Prüfung wurde deutlich, dass die Gesetze nur bedingt aufeinander bzw . auf die Bundesländer abgestimmt waren . Wir haben nochmals Experten aus den Polizeien der Länder zu Rate gezogen . Stephan Mayer ({0}) Dabei stellte sich heraus, dass das BKA-Gesetz in seinem ersten Entwurf in der Praxis gar nicht hätte umgesetzt werden können . ({1}) Die Daten der Länderpolizeien hätten nicht automatisiert in das neue System übernommen werden können, sondern hätten erst überprüft und katalogisiert werden müssen . Das wäre nur mit einem immensen Personalaufwand möglich gewesen und war damit indiskutabel . Ich möchte mich deswegen ganz ausdrücklich bei den Länderpolizeien aus Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern bedanken, die uns innerhalb kürzester Zeit mit ihrer Expertise geholfen und zu einer praktikablen Lösung beigetragen haben, wie auch beim Kollegen Binninger . Sie haben das Gesetz zusammen mit der SPD gemacht, damit es umsetzbar ist und sich nicht die Länder fragen, was wir hier im Bund beschlossen haben . Ausgangspunkt für die komplette Umstrukturierung der Datensysteme war das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes - das ist hier schon erwähnt worden -, das das BKA-Gesetz in der bisherigen Form in Teilen als nicht rechtmäßig ansah . ({2}) Das hat dazu geführt, dass das BMI uns sicherheitshalber - wie passend - einen Entwurf vorgelegt hat, der sich zum Teil wortwörtlich an den Vorgaben des höchsten deutschen Gerichtes orientiert . In Anhörungen haben einige Sachverständige bemängelt, so genau hätte man das gar nicht machen müssen, das wäre gar nicht nötig gewesen . Das mag sein, verhindert, wie ich denke, aber sicherlich eine neue Verfassungsrechtsproblematik . ({3}) Denn wir müssen dem BKA die nötige Zeit und Sicherheit geben, um die so wichtige Aufgabe der Umstrukturierung neben den bereits erheblich gewachsenen Aufgaben erfüllen zu können . Dabei fangen sie jedoch nicht bei Null an . Ich habe gerade schon die Zusammenarbeit mit den Länderpolizeien bei den Beratungen gelobt . Diese Zusammenarbeit wird sich in den nächsten Jahren noch vertiefen, und zwar als gleichberechtigte Partner . Ich möchte hier klarstellen, dass das Bundeskriminalamt eine Zentralstellenfunktion für das polizeiliche Nachrichten- und Auskunftswesen hat und Dienstleister ist . Das heißt nicht, dass sich daraus eine übergeordnete Vorgesetztenfunktion ergibt . Ziel ist eine informationstechnische Verknüpfung in einem föderalen System . Wir alle haben es mitgekriegt: Das hat in den letzten Jahren nicht immer gut geklappt . Bei endlichen finanziellen und personellen Ressourcen, wachsenden Aufgaben und neuen Phänomenen können wir uns 19 Parallelstrukturen in diesem Land nicht leisten . Man denke nur an das Ausmaß der Netzkriminalität, die zu bearbeiten ist . Bei den Verfahren geht es derzeit locker um Daten im Terabyte-Bereich . Als Beispiel möchte ich hier auch einmal das Hinweisportal des BKA nennen, die sogenannte Boston Cloud . Diese vom BKA betriebene Infrastruktur wird anlassbezogen und für einen begrenzten Zeitraum, in dem die Bürgerinnen und Bürger Fotos und Videos hochladen können, freigeschaltet . Diese Daten stehen dann den Polizeibehörden in den Ländern für ihre Ermittlungen zur Verfügung. Das ist zuletzt nach den Angriffen bei dem Bundesligaspiel des BVB gegen Leipzig am 4 . Februar 2017 der Fall gewesen . Das sind wichtige Strukturen, die die Polizei für ihre länderübergreifende Arbeit benötigt. Durch die flächendeckende Verbreitung und den andauernden Gebrauch von Smartphones kommen hier riesige Datenmengen zusammen, die den Behörden übermittelt werden . Diese müssen auch erst einmal verarbeitet und geschützt werden; denn es gab auch schon Hackerangriffe auf dieses Portal . Es ist zukunftsorientiert, dass das BKA als Zentralstelle diesen Service anbietet und die Arbeit der Polizei vernetzt und unterstützt . Das gilt auch in Bezug auf die Informations-, Einsatz- und Kriminaltechnik in der bisherigen Form - diese ganze Arbeit läuft ja weiter -, in Bezug auf die neuen Bereiche wie die elektronische Aufenthaltsüberwachung - so heißt das nämlich - und in Bezug auf die Organisation des Inneren Sicherheitsfonds - unter anderem zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität -, was nämlich auch beim BKA stattfindet. Ich denke, dieser Gesetzentwurf ist ein wichtiger Schritt zur Verbesserung unserer Sicherheitsstrukturen und zur effizienten Kriminalitätsbekämpfung. Über die haushalterischen Auswirkungen unterhalten wir uns demnächst noch einmal; denn dazu gibt es auch noch einiges zu beschließen . Herzlichen Dank . ({4})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Herzlichen Dank, Frau Kollegin . - Als letzter Redner in dieser Debatte spricht jetzt Clemens Binninger von der CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch an die Adresse der Rednerinnen und Redner der Opposition gewandt, will ich mit einem Fallbeispiel beginnen, das deutlich macht, warum wir dringend eine andere Form der Zusammenarbeit im Bereich des Datenaustausches brauchen . Anfang der 2000er-Jahre gab es in Sachsen und Thüringen eine Serie von Banküberfällen . Es waren immer zwei männliche Täter, die, bewaffnet mit Faustfeuerwaffen, Banken überfallen haben und danach mit Fahrrädern geflüchtet sind. Es war eine Serie von 13 Überfällen. Diese wurden isoliert bearbeitet . Zwei solcher Fälle fanden außerdem in Mecklenburg-Vorpommern statt, und man konnte der Täter nicht habhaft werden . Viel tragischer ist aber: In den alten Bundesländern gab es in der gleichen Zeit eine Mordserie, bei der zehn Menschen - darunter neun ausländische Mitbürger kaltblütig ermordet wurden . Der einzige Hinweis, den man hatte, war, dass es zwei männliche Personen mit Faustfeuerwaffen waren, die mit Fahrrädern geflüchtet sind . - Es war der NSU . Aufgrund der Struktur der Datenbanken und auch durch Recherche war es für die Polizisten in Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern nicht möglich, zu erkennen, dass es im Rest von Deutschland eine Mordserie gab, bei der die Beschreibung der flüchtenden Mörder identisch war mit der Beschreibung der Täter bei den Banküberfällen . So wurden diese beiden Serien parallel bearbeitet, ohne dass man je den Zusammenhang erkannt hat, bevor 2011 der NSU aufflog. Das wird jetzt beseitigt . Dagegen etwas zu haben, kann ich persönlich nicht verstehen und ist wirklich niemandem in diesem Land erklärbar . ({0}) Es geht nämlich beim BKA-Gesetz nicht nur um Terrorismusbekämpfung . Es ist richtig: Ein ganzer Abschnitt befasst sich mit der Terrorismusbekämpfung . Wir setzen damit die Vorgaben um, die uns das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gemacht hat: beim Kernbereichsschutz, beim Schutz von Berufsgeheimnisträgern - dazu haben wir manche Debatte zu führen gehabt - oder bei Eingriffen in den Datenschutz. Ja, Kollege von Notz, wir haben das Urteil, das äußerst anspruchsvoll war - übrigens wurde es im Senat nicht einstimmig beschlossen, sondern im Stimmenverhältnis 5 : 3 -, in vielen Passagen übernommen . Die Sachverständigen haben das aber nicht kritisiert, sondern sie haben selber zugegeben, dass sie angesichts der Komplexität für den Gesetzgeber Verständnis haben, wenn er sagt: Da begibt er sich auf die sichere Seite . Ich glaube, an diesem Punkt kann man keine Kritik an uns festmachen . Sie haben sogar gesagt: Wir gehen an manchen Stellen darüber hinaus . Deshalb verstehe ich die Kritik, dass hier der Datenschutz aufgegeben wird, wirklich nicht . Was wir jetzt bekommen, ist, dass 19 Systeme und über 200 verschiedene Dateien - über 200 verschiedene! -, die es bei den Polizeien in Bund und Ländern gibt, in einer „Polizeicloud“ zusammengeführt werden, in der man dann recherchieren kann . Jedes Datum muss, bevor es in diese Cloud eingegeben wird - die Altdaten sind davon ausgenommen und werden so lange parallel genutzt, bis sie die Voraussetzungen erfüllen -, die erhöhten Anforderungen von § 14 BKA-Gesetz erfüllen . Da die Sorge zu haben, wir könnten den Datenschutz aufgeben, ist wirklich nicht nötig . Wir machen das, was notwendig ist . Dieses Gesetz ist modern . Das Ganze wird ein Riesenprojekt sein, Herr Minister . Ich weiß nicht, ob dieses Projekt 2020 fertig sein wird . Es könnte ein bisschen länger dauern . Aber dieses Projekt ist notwendig, weil die Herausforderungen für die innere Sicherheit sehr groß sind . Wir geben damit eine richtige, präzise und fortschrittliche Antwort . ({1}) Auf die Fußfessel will ich nicht eingehen . Die Regelungen dazu finden sich in einem Paragrafen. Sie sind aber nicht entscheidend . ({2}) Ich will zum Schluss auf etwas eingehen, was schon ein paarmal angesprochen wurde . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir einen umfassenden rechtlichen und technischen Rahmen für das BKA, der für alle Kriminalitätsbereiche gilt: Terror, Allgemeinkriminalität, Zusammenarbeit mit den Ländern und internationale Zusammenarbeit . Wir werden dafür im Haushalt, Frau Kollegin Mittag, vorsorgen: Das BKA bekommt über 1 000 neue Stellen und auch sonst entsprechende Mittel . Also, das Parlament gibt all das, was notwendig ist . Aber ich glaube, an einer Stelle müssen wir in der nächsten Legislatur in diesem Haus oder wo auch immer eine Debatte führen: Sind die Strukturen für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, wie wir sie haben, für den Umgang mit 600 Gefährdern die richtigen? Kann es sein, dass 40 verschiedene Behörden für den Umgang mit Gefährdern in Deutschland parallel zuständig sind? Kann das so bleiben, oder müssten wir Verantwortlichkeiten nicht stärker bündeln? ({3}) Das betrifft den Umgang mit Gefährdern bei Strafverfahren, bei Terrorverfahren und bei der Abschiebung, wenn es um ausreisepflichtige Gefährder geht. Diese Lehren aus dem Fall Amri sind alle noch zu ziehen . Ich will uns einfach ermutigen . Auch ich weiß nicht, was am Ende wirklich hilft oder nicht . Aber die Debatte gar nicht zu führen und zu sagen: „Wir machen mit dieser Struktur einfach weiter, weil das auch den Ländern lieber wäre“, wird den aktuellen Anforderungen in Bezug auf die Sicherheit der Bürger nicht gerecht . Deshalb: Das BKA-Gesetz ist eine gute Grundlage für die Datenverarbeitung und für die Terrorismusbekämpfung . Aber lassen Sie uns über die Strukturen - der Minister hat hierzu einen Aufschlag gemacht - eine wichtige und notwendige Debatte führen, vielleicht mehr im Verhältnis des Bundes zu den Ländern und weniger im Verhältnis der Parteien untereinander . Aber verzichten können wir auf eine solche Debatte nicht . Herzlichen Dank . ({4})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Herzlichen Dank, Herr Kollege . - Damit schließe ich die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 18/12076 und 18/12141, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der DrucksaClemens Binninger che 18/11163 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmergebnis angenommen . Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12131 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt . Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksachen 18/12076 und 18/12141, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/11326 und 18/11658 für erledigt zu erklären . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften Drucksache 18/11161 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften Drucksache 18/11547 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({0}) Drucksache 18/12153 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Parlamentarische Staatssekretär Christian Lange . ({1})

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute beraten wir abschließend den Gesetzentwurf zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften . Die Dringlichkeit dieses Gesetzgebungsvorhabens unterstreicht die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2016 . Im vergangenen Jahr wurden über 71 000 Polizeivollzugsbeamtinnen und -vollzugsbeamte Opfer von Gewaltdelikten: 2016 sind damit 6 345 Polizeivollzugsbeamtinnen und -vollzugsbeamte mehr Opfer solcher vollendeter Gewaltdelikte geworden . Das ist ein Anstieg um 11,2 Prozent . Meine Damen und Herren, die Wirklichkeit ist für die Betroffenen noch düsterer als diese Zahlen. Wenn Sie mit Polizistinnen und Polizisten reden, werden diese bestätigen, dass ihnen immer öfter Hass, Beleidigungen und Gewalt entgegenschlagen . Immer öfter wird ihre Arbeit durch einen Mangel an Respekt erschwert: mangelnder Respekt vor dem Gesetz und vor den Menschen, die es durchsetzen . Auch andere Vollzugsbeamte - beispielsweise Gerichtsvollzieher - sind davon betroffen. Mit dem Gesetz, das wir nun heute beschließen wollen, werden tätliche Angriffe gegen alle Vollzugsbeamte künftig härter bestraft, und dies unabhängig davon, ob sie gerade eine Vollstreckungshandlung vornehmen oder in sonstiger Weise dienstlich handeln . Vollstreckungsbeamte sind als Repräsentanten des Staates besonders exponiert, und sie brauchen alle unseren Schutz . Das ist das Mindeste, was wir für sie tun können . ({0}) Die Neuregelung für Vollstreckungsbeamte kommt außerdem den Männern und Frauen von Feuerwehren, Katastrophenschutz, zum Beispiel dem THW, und den Rettungsdiensten bei Hilfseinsätzen zugute . Das ist ebenfalls längst überfällig; denn auch sie sind leider zunehmend Opfer . In der Ausschussberatung ist nun gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf noch ein wichtiger Punkt hinzugekommen. Als Ergebnis der öffentlichen Anhörung zu dem Gesetzentwurf sollen zukünftig Verhaltensweisen strafbar sein, durch die Rettungsmaßnahmen behindert werden, und zwar unabhängig davon, auf welche Weise die Behinderung geschieht und ob die hilfeleistende Person zu den Rettungskräften im Sinne des § 115 Absatz 3 unseres Strafgesetzbuches in der Entwurfsfassung gehören . Da diese Vorschrift alle Personen schützt, die Hilfe leisten oder Hilfe leisten wollen, soll sie systematisch nicht bei den Widerstandsdelikten in den §§ 113 ff. unseres Strafgesetzbuches eingefügt werden; sie ergänzt vielmehr die Strafvorschrift der unterlassenen Hilfeleistung in § 323c StGB . Mit dieser neuen Vorschrift wird nicht nur die sogenannte Gafferproblematik erfasst, zu der der Bundesrat einen Gesetzentwurf vorgelegt hat . Vielmehr kann sie auch zum Beispiel bei einem Blockieren von Notfallgassen auf der Autobahn oder bei einer Beeinträchtigung der Vizepräsidentin Michaela Noll Tätigkeit von Ärztinnen und Ärzten oder Krankenhauspersonal in der Notaufnahme greifen . ({1}) Meine Damen und Herren, zollen wir also den Polizistinnen und Polizisten sowie den Rettungskräften den notwendigen und, wie ich meine, ihnen auch gebührenden Respekt und Schutz und stimmen dem Gesetzentwurf der Koalition zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften zu . Darum möchte ich Sie herzlich bitten . Herzlichen Dank . ({2})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Staatssekretär . - Als Nächster hat der Kollege Frank Tempel von der Fraktion Die Linke das Wort . ({0})

Frank Tempel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003899, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Linke begrüßt ausdrücklich, dass wir uns als Legislative mit der Gewalt gegen Polizei und Rettungsdienste und natürlich auch mit der Behinderung von Rettungseinsätzen beschäftigen . Als ehemaliger Polizeibeamter macht es mich aber richtig sauer, wenn mir unterstellt wird, die Bekämpfung dieser Phänomene läge mir nicht am Herzen, nur weil wir vielleicht Vorschläge, die die Unionsfraktion macht, hier ablehnen, weil sie nicht zielführend sind . Zunehmende Gewalt muss ganz einfach Ursachen haben . Am Anfang der Woche wurde die Polizeiliche Kriminalstatistik vorgelegt . Wir wissen, dass die Gewaltkriminalität insgesamt gestiegen ist . ({0}) - Da sollten Sie schon einmal zuhören . Denn die Zahlen haben auch Sie bekommen . Es macht zumindest aus Sicht der Linken keinen Sinn, hier einzelne Phänomene wie die Gewalt gegen Polizeibeamte herauszugreifen . Vielmehr müssen wir diesem gesamtgesellschaftlichen Problem ernsthaft auf den Grund gehen . ({1}) Meine Damen und Herren, wenn ein Wasserhahn tropft, wechsele ich nicht den Scheuerlappen, sondern versuche erst einmal, den Wasserhahn zu schließen . Solche einfachen Regeln des täglichen Lebens sollten auch hier langsam einmal eine Rolle spielen . Ich möchte eine mögliche Ursache für die zunehmende Gewaltbereitschaft ansprechen. Wie häufig werden Strafverfahren wegen einfacher Gewaltdelikte in der Praxis auch bei sehr jungen Tätern mittlerweile wegen Geringfügigkeit ohne jegliche Konsequenz eingestellt, weil den Staatsanwaltschaften und Gerichten einfach die personellen Ressourcen fehlen, die Masse dieser Anzeigen tatsächlich zu bewältigen? Das betrifft übrigens auch einfache Straftaten gegen Polizeibeamte oder Feuerwehrleute . Ich habe als Polizeibeamter oft solche Anzeigen geschrieben und Monate später die Bescheide über die Einstellung des Verfahrens ohne jegliche Konsequenzen bekommen . Damit hier keine Missverständnisse aufkommen: Ich beklage nicht fehlende Verurteilungen . Ich rede von zeitnahen Konsequenzen. Das können auch Auflagen in Verbindung mit sozialen Projekten unter Aufsicht geschulten Personals sein, also gewissermaßen Anti-Gewalt-Projekte; denn dadurch könnte man die Anzahl der Täter tatsächlich langfristig reduzieren und damit auch die Anzahl der Straftaten senken . ({2}) Gesetzlich ist zum Umgang mit Gewaltstraftätern alles ausreichend geregelt . Es scheitert aber am Vollzug dieser Möglichkeiten. Sie erfinden lieber neue Straftatbestände, statt Vollzugsdefizite zu beheben. Das hilft niemandem, auch nicht Polizeibeamten und Feuerwehrleuten . ({3}) Vollzugsdefizite haben wir auch bei dem viel diskutierten Problem der Gaffer. Die Gaffer belasten jeden, am meisten natürlich die Opfer und Helfer . Wie wir auch der aktuellen Presse entnehmen können, sind Verurteilungen bereits jetzt möglich. Dazu, dass sich auch Gaffer vor Gericht verantworten müssen, gab es heute ein Urteil . Wir kennen aber auch die personellen Möglichkeiten der Einsatzkräfte vor Ort . Wer, bitte schön, soll denn die Strafanzeigen aufnehmen, wenn 100 Gaffer auf der Autobahn die Einsatzkräfte behindern? Ich hoffe, Sie wissen wenigstens, was an einer solchen Strafanzeige dann noch alles dranhängt: die Identitätsfeststellung, die oft problematisch ist, weil nicht jeder einen Ausweis mit sich führt, die Beschuldigtenvernehmung zur Person, die Beschuldigtenvernehmung zur Sache, eine Zeugenvernehmung oder zumindest Aktenvermerke und dann die Abgabe an die Staatsanwaltschaft . Damit sind wir schon wieder beim Thema „überlastete Polizei und überlastete Staatsanwaltschaften“ . Hätten Sie doch wenigstens zum Beispiel Bußgelder vorgeschlagen! Dann gäbe es für die Gaffer direkt vor Ort eine zeitnahe Konsequenz und damit auch einen Lerneffekt und gleichzeitig für die staatlichen Behörden einen geringeren Aufwand . Aber nein! Sie wollen erneut mittels Strafrecht Wahlkampfsignale setzen und verursachen damit einen erheblichen zusätzlichen Aufwand für Polizei und Justiz, der in der Praxis - wie gesagt; auch die sollte hier eine Rolle spielen - sehr schwer zu stemmen sein wird . Der Fairness halber möchte ich aber anerkennen, dass der Kollege Harbarth von der CDU/CSU-Fraktion in der ersten Lesung von einem Dreiklang gesprochen hat . Das haben wir ja auch gehört . Neben der Verschärfung des Strafrechts erwähnte er auch mehr Personal und eine bessere Ausrüstung bei den Sicherheitsstrukturen . Wenn er damit mehr Personal in der Fläche und bessere Schutzausrüstung meint, ist die Linke einverstanden . Wenn beim Personal auch Justiz und staatliche soziale Programme gemeint sind, dann ist die Linke für Vorschläge offen, obwohl wir wissen, dass hier in erster Linie die Länder zuständig sind . Nur um eines möchte ich bitten: Wer wie die Union jahrelang in Regierungsverantwortung gerade bei moderner Ausrüstung und Personalbedarf geschlampt hat, sollte sich nicht stolz auf die Brust trommeln, wenn er ganz langsam anfängt, die eigenen Fehler zu beheben . Es wird dauern, bis der Investitionsstau bei der Ausrüstung abgebaut ist . Es wird dauern, bis ausreichend zusätzliches Personal bei Polizei und Staatsanwaltschaften aufgebaut ist . Es wird vermutlich noch länger dauern, bis insbesondere die Union erkennt, dass eben nicht Symbolpolitik im Strafrecht, sondern die Stärkung der Prävention in Ländern und Kommunen der zunehmenden Verrohung in der Gesellschaft entgegenwirkt . Das wird Polizeibeamten, Feuerwehrleuten und Rettungsdiensten helfen . Wir müssen daran mit kompetenten Vorschlägen arbeiten und überlegen, wie wir das dann gemeinsam mit den Ländern finanziell stemmen. Da wird die Linke sehr gerne mitmachen . ({4})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege Tempel . - Als Nächster hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr . Günter Krings für die Bundesregierung das Wort . ({0})

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Beginn dieser Woche hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Polizeiliche Kriminalstatistik 2016 vorgestellt . Erfreulicherweise haben wir positive, das heißt zurückgehende Zahlen in vielen Deliktsbereichen zu verzeichnen . Zu den Bereichen mit einem besorgniserregenden Anstieg bei den Straftaten gehören - genauso wie in den vorangegangenen Jahren die allgemeine Gewaltkriminalität und insbesondere Gewalttaten gegen Polizei und Rettungskräfte . ({0}) Angesichts dieser Zahlen dürfen wir nicht zur Tagesordnung übergehen . Diejenigen, die für uns und unsere Sicherheit tagtäglich ihren Kopf hinhalten, dürfen erwarten, dass wir ihnen den Rücken stärken . ({1}) Die Bundesregierung ergreift daher ein ganzes Bündel an Maßnahmen, mit denen wir Polizisten bei ihrer schweren Arbeit unterstützen wollen sowie ihnen und anderen Uniformträgern die Wertschätzung zuteilwerden lassen, die sie für ihren Einsatz für Staat und Gesellschaft verdienen . Dazu gehört in der Tat eine bessere Schutzausrüstung für die Einsatzkräfte des Bundes . Teil des Konzepts ist auch die beschlossene Ausstattung unserer Bundespolizisten mit Körperkameras zu ihrem Schutz und zur Sicherung von Beweisen, um Gewalttäter besser dingfest machen zu können . In diesen Kontext gehört auch ein Aufwuchs bei der Bundespolizei um 6 000 Stellen . Das alles sind Erfolgspunkte dieser Bundesregierung . Da, wo Sie von der Linken mitregieren, sieht es leider ganz anders aus . ({2}) Dazu gehören ferner kommunikative und werbende Maßnahmen, die deutlich machen, dass hinter jeder Uniform nicht nur der Staat steht, sondern dass in ihr auch ein Mensch steckt, der Achtung und Respekt erwarten kann . Das Bundesministerium des Innern wird daher noch in diesem Jahr eine Kampagne für uniformierte Polizei- und Rettungskräfte starten . Sie geht dankenswerterweise auf eine Initiative aus der Mitte des Deutschen Bundestags zurück . Mit der Kampagne werden wir sicherheits- und gesellschaftspolitische Aspekte miteinander verzahnen . Wir wollen damit aber auch dafür sorgen, dass die Missachtung staatlicher Einsatzkräfte nicht vom Rand - wo sie heutzutage stattfindet - auf die Mitte der Gesellschaft überspringt . Gerade aus der Zeit des großen Flüchtlingszustroms aus dem Jahr 2015 haben wir alle noch zu gut die Bilder und die Berichte von Menschen im Kopf, die in Deutschland oft erstmals mit Polizisten zu tun hatten, die sie als Menschen behandelten und ihnen tatsächlich halfen . Umgekehrt können Polizisten und andere staatliche Uniformträger das dann aber auch erwarten . Polizei und Rettungskräfte stehen dabei nicht nur für sich selbst, sondern auch für unseren Staat mit seiner ganzen Ordnungs- und Sanktionsgewalt . Gerade in dieser Funktion verdienen sie Vertrauen, weil der Staat nur durch sie verlässlich und rechtsstaatlich handeln kann . Für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Ausübung unserer Freiheitsrechte ist es essenziell, dass die Bürgerinnen und Bürger darauf vertrauen können, dass sie in Deutschland sicher leben, dass ihnen in der Not geholfen wird und dass der Staat sie erforderlichenfalls - unter Ausübung seines Gewaltmonopols - vor rechtswidrigen Angriffen schützt. Mit einer guten Öffentlichkeitskampagne wollen wir das Bild festigen, dass Polizei und Rettungskräfte Garanten unserer Freiheit sind und uns helfen . Wir wollen aber auch das Bild verankern, dass die Polizeikräfte gerade aus diesem Grund zur Durchsetzung von Recht und Ordnung sowie zum Schutz Dritter nötigenfalls Anweisungen geben müssen oder sogar Gewalt anwenden dürfen und erforderlichenfalls auch anwenden werden . Meine Damen und Herren, es ist in der Tat ein Paradoxon: Allgemein sind in der breiten Masse der Bevölkerung Polizei und Rettungskräfte zu Recht hoch angesehen . Die übergroße Mehrheit der Menschen bringt Polizisten, Feuerwehrleuten und anderen Einsatzkräften daher den Respekt entgegen, den sie auch verdienen . Aber ein Teil der Bevölkerung lässt genau diesen ResFrank Tempel pekt vermissen . Er hindert die Einsatzkräfte an der Arbeit, oder er wendet gar gegen sie Gewalt an . Wir müssen und wir dürfen diesen Respekt vor dem Staat, seinen Regeln und seinem Personal auch von der Minderheit militanter Chaoten in unserem Lande einfordern, die heute noch meinen, sie könnten ihre Verachtung unseres Staates durch die Drangsalierung seiner Repräsentanten zum Ausdruck bringen . Dagegen wollen wir ein klares Zeichen setzen . ({3}) Ein solches Verhalten ist in jeder Hinsicht inakzeptabel . Wir werden es nicht nur mit persönlicher Schutzausrüstung - sie ist Teil des Konzepts, aber nicht nur - und nicht nur mit Öffentlichkeitsarbeit bekämpfen, sondern auch mit der ganzen Härte unseres Strafrechts . Der § 113 StGB, der den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte unter Strafe stellt, hat bereits in der letzten Wahlperiode auf Drängen des damaligen Innenministers - auch der hieß Thomas de Maizière - eine nötige Verschärfung erfahren, und mit dem heutigen Gesetzesbeschluss, durch die Zufügung der §§ 114, 115 StGB, sorgen wir und hoffentlich auch Sie gleich dafür, dass der Schutz von Polizisten und Einsatzkräften auch in seinem Anwendungsbereich erweitert wird . Für die Erarbeitung dieses neuen Gesetzentwurfs, der eine klare rechtsstaatliche Sprache spricht, danke ich dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und den Koalitionsfraktionen sehr herzlich . Während aufgrund des alten § 113 Strafgesetzbuch noch vor wenigen Jahren in Teilen der Angriff auf Polizisten gegenüber allgemeinen Nötigungshandlungen privilegiert wurde, also milder bestraft wurde, ist unser heutiges Regelungskonzept zu Recht ein ganz anderes, nämlich der besondere und verstärkte Schutz von Polizisten, Amtsträgern, Soldaten und anderen Einsatz- und Rettungskräften in ihrer gesamten Tätigkeit für unser Gemeinwesen; denn - ich betone es abschließend noch einmal - denjenigen, die für uns tagtäglich ihren Kopf hinhalten, wollen wir den Rücken stärken . ({4})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Staatssekretär . - Als Nächste hat die Kollegin Irene Mihalic vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Dr. Irene Mihalic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns alle einig, dass wir Gewalt gegen Einsatzkräfte nicht hinnehmen können . Die aktuellen Zahlen - hier ist die PKS gerade mehrfach zitiert worden - zeichnen in der Tat ein düsteres Bild . Aus den Erfahrungen und vielen Einzelberichten ist die Dimension dieses Problems hier allen sehr bewusst . Der Dienst an unserer Gesellschaft ist in Teilen sehr gefährlich, unabhängig davon, ob dieser Dienst auf der Straße, in der Schule, in einer Behörde oder auch vor Gericht geleistet wird . Das können und dürfen wir nicht hinnehmen . ({0}) Das alles ist Ausdruck einer gesellschaftlichen Situation, die wir sehr ernst nehmen müssen, zweifellos . Hier sind wir alle gefragt, mit einer klugen Politik für einen besseren Zusammenhalt in der Gesellschaft zu sorgen, gegen Ausgrenzung und Gewalt zu wirken und darauf zu achten, die gesellschaftliche Stimmung durch politische Maßnahmen nicht noch zusätzlich anzuheizen . Doch was tun wir nun? Bei der Expertenanhörung, die wir zu diesem Gesetzentwurf im Rechtsausschuss hatten, waren sich die Sachverständigen im Grunde alle einig, dass eine höhere Strafandrohung, gerade mit Blick auf die Taten, um die es hier geht, definitiv nichts bringen wird . ({1}) Warum also tun Sie es? Sie, Herr Staatssekretär Lange, und Sie, Herr Staatssekretär Krings, sagen, es gehe Ihnen um Anerkennung und Wertschätzung . Nun, ich sage Ihnen: Wertschätzung für Einsatzkräfte, die einen wertvollen Dienst an unserer Gesellschaft leisten, lässt sich nicht über das Strafgesetzbuch verteilen . ({2}) Sie sollten sich lieber darauf konzentrieren, für eine gute personelle und materielle Ausstattung zu sorgen . Herr Krings, stärken Sie diese Teile Ihres Maßnahmenbündels, das Sie vorhin vorgestellt haben . Damit tun Sie den Einsatzkräften einen weitaus größeren Gefallen . Das nützt der Eigensicherung der Beamtinnen und Beamten und macht deren Job tatsächlich sicherer . Es geht eben darum, Risiken zu vermeiden, die man auch vermeiden kann: mit genügend Leuten vor Ort zu sein beispielsweise; Digitalfunk, der tatsächlich funktioniert, ({3}) also auch in den Gebäuden der Deutschen Bahn; Schutzausstattung, die wirklich schützt . Sie wissen alle, wovon ich rede . Nehmen Sie die Stellungnahmen der Sachverständigen ernst, und setzen Sie sich nicht dem Vorwurf symbolischer Gesetzgebung aus . ({4}) Dass die Täter, um die es hier geht, nicht über das Strafgesetzbuch zu erreichen sind, das wissen Sie ganz genau . Aber ich rufe es Ihnen auch gerne noch einmal ins Gedächtnis: Alle Studien zu diesem Thema belegen, dass die Alkoholisierung der Täter bei der Tatausführung eine wichtige Rolle spielt . Auch die Gruppe der psychisch auffälligen Personen ist hier zu beachten. Bei diesen Tätern findet doch vorher keine rationale Abwägung der strafrechtlichen Folgen statt; das liegt doch auf der Hand . Noch etwas spricht gegen eine weitere Strafverschärfung: Seit 1998 ist auch die versuchte einfache Körperverletzung allgemein strafbar . Damit ist die gesonderte Strafbarkeit des tätlichen Angriffs eigentlich obsolet; denn nahezu jeder tätliche Angriff, der die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, ist ohnehin gleichzeitig als versuchte Körperverletzung strafbar . Ihr Gesetz ist also auch darauf bezogen einfach überflüssig. ({5}) Das gilt auch für das, was Sie mit Ihrem Änderungsantrag erreichen wollen: Sie wollen, dass die Behinderung von Personen, die anderen Menschen Hilfe leisten, bestraft wird . Aber auch das ist bereits heute möglich . Denn wenn Schaulustige, die andere bei der Hilfeleistung stören, dafür nicht zur Rechenschaft gezogen werden, dann liegt das nicht etwa an fehlenden Gesetzen, sondern dann ist das einzig und allein ein Vollzugsproblem: Derjenige, der nicht hilft und nicht beiseitetritt, um andere Helfer durchzulassen, macht sich bereits nach geltendem Recht wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar . Besonders schwer bestraft wird außerdem, wer bei Unglücksfällen Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder eines Rettungsdienstes durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt behindert oder sie tätlich angreift; das ist alles heute schon strafbar . Das Vollzugsproblem erklärt sich aber auch aus den besonderen Umständen der Tat; denn Polizeikräfte, die vor Ort sind, haben bei Unglücksfällen in aller Regel Wichtigeres zu tun, als die Personalien der Schaulustigen aufzunehmen . Da nützen aber auch die vielen neuen Gesetze nichts, wenn die Taten nicht verfolgt werden . ({6}) Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Ich finde es sehr bedauerlich, dass Sie hier Ihre und unsere Zeit mit der Beratung solcher symbolischen Gesetze verschwenden, ({7}) anstatt ernsthaft daran zu arbeiten, die Rahmenbedingungen für Einsatzkräfte im täglichen Dienst spürbar zu verbessern und so für einen besseren Schutz zu sorgen . ({8})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Frau Kollegin . - Als Nächster hat das Wort Dr . Johannes Fechner von der SPD-Fraktion .

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! In der Tat zeigt die schon zitierte Polizeiliche Kriminalstatistik einen erschreckenden Anstieg der Zahl von Gewaltattacken gegen Polizisten . Der Anstieg um 10 Prozent ist erschreckend, und deshalb ist auch für uns in der SPD-Fraktion klar: Wir müssen Polizisten besser vor Gewaltattacken schützen . ({0}) Denn die Polizistinnen und Polizisten sind ja gerade die, die für unsere Sicherheit und für die Sicherheit der Bürger sorgen . Wir müssen die Gewalt gegen Polizisten nicht nur deshalb bekämpfen, weil es hier um die Gesundheit der Bürger in Uniform, der Polizisten, geht, nein, es geht auch darum, das Gewaltmonopol des Staates zu verteidigen und keinen Zweifel daran zu lassen, dass wir die Organe, die die Staatsgewalt für uns ausüben, in diesen oft gefährlichen Tätigkeiten unterstützen und schützen . Wir wollen deshalb vermehrt Bodycams einsetzen, weil sich in den Testläufen schon jetzt gezeigt hat, dass dann Täter von Attacken ablassen, weil sie mit ihrer Identifizierung und einer Verurteilung rechnen müssen . Wir brauchen mehr Personal . Wir haben bei der Bundespolizei Tausende Stellen geschaffen. Auch die nordrhein-westfälische Landesregierung zeigt vorbildliches Engagement, was die Neueinstellung von Polizisten angeht . Außerdem wollen wir - deswegen dieser Gesetzentwurf heute hier - den Schutz der Polizistinnen und Polizisten durch das Strafrecht verbessern . Deswegen erhöhen wir das Strafmaß bei Gewaltdelikten auf ein Höchstmaß von fünf Jahren . Es ist auch richtig, dass wir den Anwendungsbereich ausweiten, dass wir die Polizisten nicht nur schützen, wenn sie Vollstreckungshandlungen ausüben, sondern dass zukünftig bei allen Diensthandlungen tätliche Angriffe bestraft werden. Denn es darf keinen Unterschied machen, ob ein Platzverweis durchgesetzt wird, ob eine Verkehrskontrolle erfolgt oder ob einfach nur auf Streife gegangen wird . Gewalt gegen Polizisten muss generell bestraft werden . ({1}) Aber nicht nur Polizistinnen und Polizisten setzen sich täglich, oft unter Einsatz ihrer Gesundheit, für unsere Sicherheit ein . Deswegen war es uns wichtig, dass ausdrücklich und zur Klarstellung auch die Gerichtsvollzieher in der Gesetzesbegründung genannt sind, dass auch diese wichtige Berufsgruppe geschützt ist . Ein großes Anliegen war es uns in der SPD-Fraktion, diejenigen zu schützen, die sich, oft ehrenamtlich und oft in ihrer Freizeit, für uns, für die Allgemeinheit, einsetzen . Ich spreche von Mitarbeitern beim Roten Kreuz, im Rettungsdienst, von Feuerwehrfrauen und Feuerwehrmännern oder auch von Mitarbeitern beim Technischen Hilfswerk . Diese ehrenamtlichen Helfer - man glaubt es kaum - werden zunehmend Opfer von Gewalt . Deswegen müssen wir diejenigen, die sich in ihrer Freizeit, die sich ehrenamtlich für uns alle engagieren, besser strafrechtlich schützen . Auch dem dient dieser Gesetzentwurf . ({2}) Man kann sich auf YouTube Videos anschauen, die zeigen, wie Retter manchmal nicht zum Unfallort kommen, weil die Rettungsgasse blockiert wird oder weil Gaffer aus Sensationsgeilheit die Rettungswege versperIrene Mihalic ren . Die Sanitäter müssen dann mit dem Rettungsmaterial unter dem Arm neben der Autobahn entlangrennen, um noch Hilfe leisten zu können . Das sind unfassbare Szenen . Deswegen ist es richtig, dass wir hier einen neuen Straftatbestand schaffen. Wer Retter behindert, der gefährdet das Leben der Unfallopfer . Deswegen ist hier eine Strafbarkeit gerechtfertigt, meine sehr geehrten Damen und Herren . ({3}) Nun gab es die Kritik, dass wir keinen eigenen Straftatbestand brauchen . Ja, in der Regel werden hier die Regelungen zu Körperverletzungsdelikten greifen . Aber bei Gewalt gegen Polizisten geht es nicht nur darum, dass die Person, der Polizist, geschützt wird; hier wird auch das Gewaltmonopol des Staates attackiert. Deswegen finde ich, dass die bloße Verurteilung wegen einer Körperverletzung das Unrecht nicht ausreichend zum Ausdruck bringt . Deswegen ist ein solcher Straftatbestand gerechtfertigt . ({4}) Ich möchte noch darauf verweisen, dass wir eine wichtige Regelung im Opferentschädigungsgesetz getroffen haben, nämlich dass Polizisten, die attackiert wurden und ihre Ansprüche nicht geltend machen können, weil bei den Tätern oft nichts zu holen ist, eine staatliche Entschädigung bekommen . Ich glaube, auch das war eine wichtige Maßnahme . Zum Schluss möchte ich noch einmal unterstreichen, dass Polizisten und Rettungskräfte eine wichtige Arbeit für uns alle, für die Sicherheit bei uns leisten . Tun wir deshalb alles uns Mögliche, damit diese Menschen besser geschützt sind! Vielen Dank . ({5})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege . - Als nächster Redner spricht Dr . Volker Ullrich von der CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfs zum Schutz von Vollstreckungsbeamten geben wir die rechtsstaatlich gebotene Antwort auf die Zunahme der Zahl von Gewaltdelikten gegen Polizisten, Rettungskräfte und Feuerwehrleute . Der § 113 Strafgesetzbuch wird geändert . Er schützt die Vollstreckungshandlung, und der tätliche Angriff gegen Personen aus dieser Personengruppe wird in dem neuen § 114 des Strafgesetzbuches geregelt und mit einer höheren Strafdrohung versehen . Das ist eine gesetzliche Maßnahme, die notwendig ist, weil dieser Rechtsstaat nicht bereit sein darf, die Respektlosigkeit und die zunehmende Gewalt gegen Polizeibeamte und Rettungskräfte hinzunehmen . Es ist die deutliche Absage an Gewalt und Respektlosigkeit . ({0}) Ich habe von Ihnen gehört, Frau Kollegin Mihalic: Verschwenden Sie nicht unsere Zeit mit diesem Gesetzentwurf! ({1}) Ich frage Sie, ob Sie diesen Satz auch Polizisten ins Gesicht sagen würden, die Tag und Nacht im Schichtdienst den Kopf für unsere Sicherheit hinhalten . ({2}) Sie, meine Damen und Herren, haben den Sinn und Zweck dieses Gesetzentwurfs nicht verstanden . Polizeibeamte werden nicht allein als Individualpersonen angegriffen; der Angriff gilt ihnen als Repräsentanten des staatlichen Gewaltmonopols und unserer Rechtsordnung, und darauf reagieren wir . ({3}) Natürlich haben Polizeibeamte bereits jetzt einen umfassenden strafrechtlichen Schutz durch die Regelungen zu Beleidigungs- und Körperverletzungsdelikten . ({4}) Das stellt niemand in Abrede . ({5}) Aber Sie verkennen, dass Polizeibeamte im Einsatz einer besonderen Gefahrensituation ausgesetzt sind . ({6}) Sie können der Situation nicht ausweichen . Sie sind aus beruflichen Gründen zur Gefahrtragung verdonnert. Deswegen haben sie auch einen besseren gesetzlichen Schutz verdient . Den lassen wir ihnen mit diesem Gesetz zuteilwerden . ({7}) Ich möchte daran erinnern, dass es nach unserem Verständnis kein Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Bürger und Staat gibt . Unsere Polizei begegnet den Bürgern durch einen offenen Umgang ja gerade auf Augenhöhe. Und gerade weil die Polizei einen offenen Umgang pflegt, müssen wir Polizeibeamte im Dienst auch besser schützen . Das ist die Kehrseite einer demokratischen und offenen Polizei. ({8}) Ich habe mich, meine Damen und Herren, neulich mit einem jungen Polizeibeamten unterhalten, ({9}) der mir von seinen Streifengängen und Schichtdiensten in der Nacht in der Nähe des Hauptbahnhofes und an einigen Brennpunkten erzählt hat . Ich habe ihn gefragt, was denn die Politik für ihn tun könnte . ({10}) Er hat mir geantwortet, dass er gerne Schichtdienst macht und den Kopf hinhält . Für ihn wäre aber ein deutliches Zeichen wichtig, dass die Politik hinter ihm steht . ({11}) Mit diesem Gesetz ({12}) werden wir deutlich machen, dass sich die Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungskräfte auf die Union und diese Koalition verlassen können, meine Damen und Herren . ({13}) Auf uns verlassen können sollen sich auch die Rettungskräfte wie zum Beispiel Sanitäter . ({14}) - Herr Kollege Dr . von Notz, ich weiß, dass gute Argumente manchmal wehtun können . ({15}) Im Augenblick geht es darum, dass wir auch unsere Rettungskräfte schützen, die oftmals nach Feierabend in ihrer Freizeit bei Großveranstaltungen, aber auch bei ganz normalen Einsätzen ehrenamtlich bzw . unbezahlt zur Stelle sind, wenn Menschen verletzt worden sind . Auch sie haben unseren Schutz verdient . Wer spürbar und nicht unerheblich eine Rettungshandlung behindert, wer im Krankenhaus Ärzte und Krankenhauspersonal behindert und wer, obwohl er es könnte, eine Rettungsgasse nicht freimacht, muss mit der strafrechtlichen Antwort dieses Staates rechnen, weil wir die Gefährdung von Menschenleben in Rettungssituationen nicht dulden und akzeptieren wollen . Deswegen haben wir einen neuen § 323c StGB geschaffen, der genau diese Situation zum Schutz der Rettung von Menschen - und aus keinem anderen Grund - regelt . ({16}) Meine Damen und Herren, Respekt für unsere Polizei, für Feuerwehr und Rettungskräfte lässt sich natürlich nicht allein durch das Strafrecht erzielen . ({17}) Wir brauchen neben einer strafrechtlichen Lösung auch eine bessere Ausstattung und mehr Stellen bei der Polizei dort, wo es notwendig ist . ({18}) Der bessere strafrechtliche Schutz aber ist ein wichtiges Zeichen auch für die Haltung dieses Staates, ({19}) dass wir Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungskräfte nicht allein lassen und dass wir bei ihrem schwierigen Dienst für Demokratie und unsere Rechtsordnung an ihrer Seite stehen . Deswegen kann ich Ihnen nur zurufen: Unterstützen Sie diesen Rechtsstaat durch ein Ja zu diesem Gesetz . Vielen Dank . ({20})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Herr Kollege . - Als Nächste spricht die Kollegin Bettina Bähr-Losse von der SPD-Fraktion . ({0})

Bettina Bähr-Losse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004640, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Jeder Mensch verdient Respekt - übrigens auch die Kolleginnen und Kollegen, die hier vorne stehen und reden . Jeder hat ja hier die Möglichkeit, seine Meinung kundzutun . Deswegen fände ich es eigentlich ganz gut, wenn wir uns nicht immer extrem ins Wort fallen würden . Respekt verdienen aber insbesondere Polizistinnen und Polizisten, andere Vollstreckungsbeamte sowie Rettungskräfte in Ausübung ihres Dienstes . Denn es handelt sich um Menschen, die nicht wie Sie und ich frei wählen und entscheiden können, ob sie sich in gefährliche Situationen begeben wollen oder eben nicht . Vielmehr verlangt ihre Arbeit gerade auch das von ihnen . Und sie tun das in unser aller Interesse als Repräsentanten der staatlichen Gewalt . Genau das ist es, was den Unterschied zu einem Angriff auf eine Individualperson ausmacht. Es ist also folgerichtig, einen tätlichen Angriff auf einen Repräsentanten des Staates stärker zu bestrafen als den Angriff auf eine Individualperson. In diesem Zusammenhang finde ich es auch richtig, dass künftig - so jedenfalls unser Wunsch - jede Diensthandlung geschützt wird - und nicht nur die, die unmittelbar in Verbindung mit einer Vollstreckungshandlung steht . Widerstandsdelikte gegen Polizisten und andere Vollstreckungsbeamte hat es auch früher schon gegeben . Leider übertreibe ich aber wohl nicht, wenn ich sage, dass es in unserer Gesellschaft nicht nur eine Verrohung und Enthemmung in der mündlichen und schriftlichen Kommunikation gibt, sondern leider auch durch ein zum Teil schlagkräftiges Handeln gegenüber Menschen, die den Staat repräsentieren, oder gegenüber jenen, die anderen Hilfe leisten wollen . Mit Letztgenannten sind Rettungsdienste, aber beispielsweise auch Hilfskräfte - wir haben es schon gehört - des Katastrophenschutzes und der Feuerwehr gemeint . Bisher war die Behinderung, zum Beispiel von Rettungsdiensten, nur strafbewehrt, wenn sie durch Gewalt, Drohung mit Gewalt oder einen tätlichen Angriff erfolgte . Der Katastrophentourist, der die Rettungs- und Aufräumarbeiten behinderte, und auch der Schaulustige, der dem Notarzt und anderen zu Hilfe eilenden Personen im Weg stand und eine Hilfeleistung verzögerte oder behinderte, konnten nicht bestraft werden . Wir müssen leider feststellen, dass diese Arten von Behinderungen ebenfalls zugenommen haben . Es darf daher auch nicht verwundern, dass in der öffentlichen Anhörung deutlich wurde, dass die Behinderung von Rettungsmaßnahmen strafrechtlich sanktioniert werden muss, und zwar unabhängig davon, auf welche Weise diese Behinderung geschieht, und unabhängig davon, ob die hilfeleistende Person zu dem von § 115 Absatz 3 Strafgesetzbuch erfassten Personenkreis, also Polizei und Rettungskräfte, gehört . ({0}) Aus diesem Grund soll in § 323c Absatz 2 Strafgesetzbuch die Behinderung von Personen unter Strafe gestellt werden, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Dritten Hilfe leisten oder leisten wollen . Damit erweitert die Vorschrift den Schutz für uns alle vor Gefahren durch eine verzögerte oder verhinderte Hilfeleistung . Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt diese neue Sanktionsmöglichkeit ausdrücklich, und ich ganz persönlich erachte es als ausgesprochen wichtig, dass der Gesetzgeber deutlich aufzeigt, dass er die zunehmende Gewalt gegen Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste und die Behinderung von Rettern ernst nimmt und weiter gehend sanktioniert als bisher . Ich verstehe dieses Gesetz als Signal an unsere Vollstreckungsbeamten und Rettungskräfte: Wir stehen hinter euch! Wir wertschätzen und respektieren die Arbeit von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten, ihren Dienst für uns alle . In diesem Sinne bitte ich um Unterstützung für das Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften . Vielen Dank . ({1})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Frau Kollegin . - Als letztem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Armin Schuster von der CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Armin Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kollegin Bähr-Losse und viele Vorredner haben, glaube ich, selbst den Grünen und Linken juristisch sehr gut erklären können, warum das ein sehr gutes Gesetz ist . ({0}) - Doch, da bin ich ganz sicher . ({1}) Ich bedanke mich, dass ich als Innenpolitiker diese Debatte in dem fachfremden Ressort Justiz abschließen darf . Wir fühlen uns als gemeinsames Team . Ich möchte den Grünen recht geben . ({2}) In diesem Gesetzentwurf steckt neben den vielen richtigen rechtlichen Dingen, die wir gemacht haben, ein gutes Stück Haltung und Körpersprache dieses Staates . Das soll eine Signal- und Symbolwirkung haben, nämlich: Null Toleranz gegenüber Angriffen auf den Staat. ({3}) Dass das nach Ihrer Meinung Symbolpolitik ist, finde ich ein gutes Zeichen . Insofern haben Sie uns eigentlich nur bestärkt . Sie haben verstanden, was wir wollen: ({4}) Wer den Staat angreift, wer die Regeln nicht einhalten will, wer die Repräsentanten des Staates angreift, wird, mindestens aus Sicht der Union und der SPD, nicht auf Verständnis stoßen, sondern auf das Gegenteil . ({5}) Meine Damen und Herren, vor allem von den Linken und den Grünen, ich gebe Ihnen recht, dass man mit Präventionsinstrumenten gegen Gewalt und Kriminalität vorgehen muss . ({6}) Ich gebe Ihnen nicht recht, dass das ein Allheilmittel ist . ({7}) - Doch, Sie haben nämlich keine anderen Angebote in Ihrer Rede gemacht . ({8}) Sie haben keine Angebote und keine Lösungsvorschläge gemacht, wie Sie vorgehen würden . ({9})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tempel zu?

Armin Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, mit allem Respekt vor den Sachverständigen: ({0}) Es gibt Täter, bei denen Prävention nicht wirkt .

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Herr Kollege, lassen Sie die Zwischenfrage des Kollegen Tempel von der Fraktion Die Linke zu?

Armin Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich führe noch den Gedanken zu Ende . - Es gibt Täter, bei denen weder Prävention noch Deeskalation wirken, (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wirkt auch keine Symbolpolitik! sondern nur eine einzige Sprache: eine kompromisslos konsequente Haltung des Staates, die die Regelhüter einnehmen müssen . ({0}) Und das möchte die Union: Wir möchten eine kompromisslos konsequente Haltung . Jetzt mache ich Ihnen noch den Unterschied zwischen Körperverletzung und dem neuen § 114 Strafgesetzbuch klar, den Sie nicht verstehen . Dass Ihnen das ein Innenpolitiker erklären muss, ist komisch . Wir haben folgenden Einstieg gewählt: Wer rempelt oder tätlich angreift, wird dafür mit Freiheitsstrafe rechnen müssen . Das ist ein ganz starkes Signal eines starken Staates . Bei der Körperverletzung läuft es eventuell auf eine Geldbuße hinaus . So hätten Sie es gerne, wir nicht . Wer einen Polizisten anrempelt oder tätlich angreift, geht künftig mit Freiheitsstrafe nach Hause . ({1}) Das ist das Signal, was wir senden müssen und wollen, meine Damen und Herren . ({2}) Jetzt kann Herr Tempel fragen .

Frank Tempel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003899, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Schuster, wir kommen beide aus dem Polizeidienst .

Armin Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich bin Bundestagsabgeordneter .

Frank Tempel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003899, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Insofern bin ich solidarisch und will noch einmal helfen . Es ist natürlich kein Allheilmittel, hier mit präventiven Mitteln zu arbeiten . Deswegen habe ich auch eine ganze Reihe von Mitteln angesprochen, auf die Sie in Ihrer Antwort gerne noch einmal eingehen können . Wir haben eben gesagt, dass es hauptsächlich an den fehlenden Ressourcen liegt, dass es nach ersten Straftaten eine Konsequenzenlosigkeit gibt . Kein Gewalttäter fällt vom Himmel, sondern es ist eine Entwicklung, in die wir lange Armin Schuster ({0}) nicht eingreifen . Es gibt auch keine sozialen Reaktionen des Staates mit entsprechend geschultem Personal . Das ist eine Baustelle . Es wird seit Jahren angesprochen, dass der Staat viel zu spät reagiert . Das war eine Möglichkeit . Ich habe auch die personellen Ressourcen bei der Staatsanwaltschaft angesprochen . Ich bin nach der ersten Lesung auf Vorschläge Ihrer Fraktion eingegangen . Ich habe gesagt: Selbstverständlich reden wir beim Thema Personal und beim Thema Ausrüstung mit . Auch das habe ich angesprochen . ({1}) Wenn Sie aufmerksam und konzentriert zugehört hätten, dann müssten Sie doch mitbekommen haben - dass ich nur ein Beispiel herausgegriffen habe, das war die Prävention; weil ich in der Opposition bin, habe ich nur fünf Minuten Redezeit -, dass ich aber mehrere Sachen angesprochen habe, ({2}) die sich zum Teil mit Ihren Vorschlägen decken . Ich habe angeboten, dass wir darüber diskutieren . Meine Rede endete mit der Ausführung, dass wir sehr gerne bereit sind, bei allen tatsächlich wirkungsvollen Mitteln zur Senkung der Gewalt - auch gegen Polizeibeamte, aber nicht nur - mitzudiskutieren . Wir wollen keine Placebos, die niemandem helfen; das Strafrecht eignet sich nicht für Symbolpolitik . ({3})

Armin Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Tempel, ich kann das eine tun, ohne das andere zu lassen . ({0}) Ihre Rede begann mit den Worten: Wir müssen uns mit dem gesamten Problem der Gewaltkriminalität - sie erfährt eine große Steigerung, 6,7 Prozent; das ist gewaltig in einem Jahr - auseinandersetzen . Das ist aber nicht Gegenstand dieser Debatte . Gegenstand dieser Debatte ist: Was tun wir, wenn Täter Vollstreckungskräfte, Rettungsdienstler, Ehrenamtler in Ausübung ihres Dienstes angreifen, verletzen? ({1}) Für die Zuschauer: Es gab 67 114 verletzte Polizeibeamte im Jahr 2016 . Was tun wir mit den Tätern? Nur darum geht es jetzt . ({2}) Jetzt kommt der diametrale Unterschied zwischen uns beiden: Ich glaube felsenfest daran, dass der Warnschuss, den der neue § 114 Strafgesetzbuch abgibt - die Androhung einer Freiheitsstrafe -, eine enorme Wirkung erzielt, ({3}) und zwar dann - jetzt kommt der Appell an die deutschen Polizeibehörden -, wenn wir erstens alles konsequent zur Anzeige bringen, ({4}) wenn zweitens die Staatsanwaltschaft - es gibt mittlerweile gute Beispiele in der Republik; Herr Fechner hat eines in seiner Nähe; die Staatsanwaltschaft Offenburg wirbt dafür - konsequent jede Anzeige zur Anklage bringt und die Richter drittens konsequent aburteilen . Meine Damen und Herren, wenn die Sanktionskette erst der Angriff auf einen Staatsdiener, dann die Aburteilung und das Ableisten des Strafvollzugs - wirkt, ({5}) dann ist das das große Signal, das von diesem § 114 Strafgesetzbuch ausgeht . Ich verspreche Ihnen: Dann sinken die Zahlen . ({6}) Im Übrigen kommen Sie mir mit Ihren Vorschlägen vor wie meine Mutti: Egal mit welcher Verletzung ich heimkam, sie hatte immer Mobilat bereit, aber geholfen hat es nie . Es tut mir leid . ({7}) Wir machen Vorschläge, die helfen . Noch einmal eine Idee, Herr Dr . von Notz: ({8}) Sie können Wirkungsanalysen über Politik machen . Schauen Sie sich die Polizeiliche Kriminalstatistik einmal an . Wo sind denn die sichersten Bundesländer in Deutschland? ({9}) Sie sind dort, wo CDU- und CSU-Innenminister regieren und eine klare Sprache sprechen . ({10}) Das ist eine klare Sprache, das sind klare Gesetze . ({11}) - Ich habe mir vorgenommen, diese Debatte friedlich zu Ende zu bringen .

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Herr Kollege Schuster, der Kollege Ströbele von Bündnis 90/Die Grünen drängt darauf, Ihnen eine Frage zu stellen . ({0})

Armin Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne . - Habe ich eigentlich noch Redezeit, oder bin ich schon drüber?

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Noch 1 Minute und 15 Sekunden .

Armin Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann ja mein Manuskript verschenken oder so .

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke . - Herr Kollege Schuster, wir verlassen vielleicht für einen Augenblick Ihren Wahlkampf und kommen auf die konkreten Sachverhalte zurück . Sie haben von 67 000 Verletzten gesprochen . Vorhin haben wir schon die Zahl von über 40 000 angezeigten Straftaten gehört . Können Sie denn auch hinzufügen, in wie vielen Fällen die Täter dingfest gemacht werden konnten, festgestellt werden konnten? Daraus ergibt sich nämlich, dass das eigentliche Problem nicht die Frage der Strafbarkeit ist - nach allgemeinem Strafrecht, nach § 113 StGB, ist es sowieso heute schon strafbar -, sondern es ein Vollzugsproblem gibt . Sie als Polizeibeamter müssen doch wissen, dass es sehr schwierig ist, sich während einer polizeilichen Maßnahme oder in einem Unglücksfall dann auch noch um die Leute zu kümmern, die etwa einen Polizisten angerempelt haben, beleidigt haben oder etwas Ähnliches getan haben - ganz abgesehen davon, dass das alles nichts hilft, wenn ein Polizist beispielsweise alleine auf Streife ist, weil es zu wenige Polizeibeamte gibt, um Doppelstreifen zu besetzen . Da liegt das Problem .

Armin Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ströbele, Sie geben jetzt schon zu, dass das ziemlich schwache Argumente sind, ({0}) wenn Sie von der eigenen Ohnmacht sprechen, es versuchen zu wollen . ({1}) Ich werbe ungerne mit irgendwelchen individuellen Maßnahmen aus irgendwelchen Wahlkreisen und lasse es auch jetzt . Aber ich kann Ihnen eines versichern: Ich könnte Ihnen auf der Stelle einen Polizeipräsidenten benennen, der seine Mitarbeiter mit Einsatzleitlinien, in denen er eine ganz niedrige Toleranzschwelle festlegt, dazu anhält, konsequent jede Beleidigung, jedes Rempeln, jeden Angriff anzuzeigen. ({2}) Jetzt sage ich mal, weil es nicht mein Wahlkreis ist - der rechtspolitische Sprecher der SPD nimmt mir das bestimmt nicht übel; es ist in seiner Nähe -: Die Staatsanwaltschaft Offenburg klagt konsequent bei jeder dieser Straftaten an, sorgt für eine beschleunigte Behandlung und beantragt von vornherein einen höheren Strafrahmen, und sie schafft es. ({3}) Ich gebe zu, dass man damit neue Prioritäten setzt . Das ist das Signal, das von diesem Gesetz ausgehen soll: Der Staat sendet ein Signal der Nulltoleranz . Für die Umsetzung sind die Polizei, die Staatsanwaltschaft und das Gericht verantwortlich . ({4}) Wer das will, wer eine Politik wie in Bayern oder Baden-Württemberg will - Sie wissen, wer da regiert -, ({5}) der kriegt jetzt eine Chance . Wer es nicht will, muss halt damit leben, so wie Nordrhein-Westfalen . Tut mir leid, ich kann es nicht anders sagen - da ist es halt so, wie es ist . Ich bin der Überzeugung, meine Damen und Herren: Wenn Sie diesem Gesetz zustimmen, machen Sie zum ersten Mal in Ihrem Leben etwas Gescheites . ({6}) Beweisen Sie mal, dass Sie in der Innenpolitik Mumm haben . ({7}) Das wäre mal ein Signal der Grünen . Letzter Satz . Herr Dr . von Notz, ich wäre unglaublich froh, wenn Sie im nächsten Bundestag noch vertreten wären - da kann man ja Zweifel haben - und die ChaoArmin Schuster ({8}) ten rechts von uns, die eventuell reinwollen, nicht reinkämen . ({9}) Aber dafür müsst ihr mal eure Frau und euren Mann in der Innenpolitik stehen . ({10}) Das gilt es zu tun, und wir tun das . Es war die Legislaturperiode der inneren Sicherheit in diesem Land - da werden Sie keine vergleichbare finden. Dank an die SPD . Und: Ich stehe gerne für Beratungen zur Verfügung . Danke . ({11})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Ich schließe die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches - Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften . Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12153, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/11161 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Das sind die SPD-Fraktion und die CDU/CSU-Fraktion . Wer stimmt dagegen? - Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke . Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der SPD-Fraktion und der CDU/CSU-Fraktion angenommen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen . Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Strafgesetzbuches - Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften . Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12153, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11547 für erledigt zu erklären . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gibt es Enthaltungen? - Gegenprobe! - Die Beschlussempfehlung ist einvernehmlich angenommen . ({0}) Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise Amtsberg, Omid Nouripour, Volker Beck ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen Drucksache 18/12099 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst Luise Amtsberg von Bündnis 90/Die Grünen .

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Gäste! Eigentlich wollten wir heute in diesem Parlament über unseren Antrag, den Nachzug der Familien geflüchteter Menschen nach Deutschland wieder zu ermöglichen, diskutieren . Dass es dazu nicht kommt, haben wir tragischerweise der SPD zu verdanken, die aus wahltaktischen Gründen die Beratung hier blockiert. Offenbar fürchtet sie sich, hier im Bundestag öffentlich Farbe zu bekennen und öffentlich zuzugeben, dass sie weiter an ihrem Gesetz, mit dem geflüchtete Familien dauerhaft voneinander getrennt werden, festhalten will . Ich kann Ihnen nur sagen: Jeder Tag des Wartens und jeder Tag der Trennung ist für diese Familien ein Tag zu viel . ({0}) Und ich sage Ihnen auch: Sie werden nicht umhinkommen, hier in diesem Parlament zu entscheiden, ob Sie in dieser Frage mit uns sind oder gegen uns sind, liebe SPD . ({1}) In der heutigen Debatte geht es um die Afghanistan-Politik dieser Bundesregierung, die trotz weiter steigender Zahlen ziviler Opfer an Abschiebungen nach Afghanistan festhält . Sie beruft sich dabei auf vermeintlich sichere Gebiete, die sie selbst aber nicht klar benennen kann . Liebe Kolleginnen und Kollegen, erst vergangenen Freitag sind bei einem Taliban-Angriff auf eine Militärbasis in der nordafghanischen Provinz Balkh mindestens 140 Soldaten ums Leben gekommen . Die Sicherheitslage in Afghanistan ist so schlecht wie schon lange nicht mehr . Und während die Bundeskanzlerin nach diesem Blutbad noch kondoliert, verteidigt Außenminister Gabriel, ohne überhaupt Bezug auf den Anschlag zu nehmen, die nächste Sammelabschiebung nach Afghanistan . Mich, uns lässt das sprachlos zurück . Das hat weder etwas mit respektvollem Umgang auf Augenhöhe mit der afghaniArmin Schuster ({2}) schen Regierung zu tun, noch wird es unserer außenpolitischen Verantwortung gegenüber diesem Land gerecht . ({3}) Ich sage es ganz deutlich: Es darf nicht sein, dass nach so einem massiven Anschlag die erste Amtshandlung der Bundesregierung ist, erneut eine Chartermaschine zu buchen, damit abgeschoben werden kann . Wie sollen wir der Bundesregierung vor diesem Hintergrund ernsthaft abnehmen, dass sie die Sicherheitslage täglich prüft und tatsächlich einschätzen kann? Das geht sogar so weit, dass sich in den Antworten auf unsere Frage, aus welchen afghanischen Provinzen die Abgeschobenen kommen, iranische Provinzhauptstädte finden. So viel zum Thema Kenntnis. Ich finde, das zeugt von großer Unkenntnis, aber auch von Ignoranz . ({4}) Deswegen fordern wir in unserem Antrag, dass Außenminister Gabriel seine Sicherheitseinschätzung ändert und endlich die Erkenntnisse und Einschätzungen der Akteure vor Ort mit einbezieht . Selbst unsere Bundeswehr wertet den Angriff auf das afghanische Militärlager als weiteres Zeichen einer verschlechterten Sicherheitslage, nachdem bereits das Generalkonsulat 2016 in Masar-i-Scharif schließen musste . Der UNHCR macht unmissverständlich klar, dass das gesamte Staatsgebiet Afghanistans von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt betroffen ist und man aufgrund der sich ständig ändernden Sicherheitslage eben keine sicheren und unsicheren Regionen ausmachen kann . ({5}) Abschiebungen sind eines der sensibelsten Themen in der Asylpolitik . Deshalb haben wir, die grüne Fraktion, in einer Kleinen Anfrage nach den Umständen der Abschiebungen nach Afghanistan gefragt . Die Antworten der Bundesregierung sind teilweise flapsig, vor allen Dingen aber auch schockierend . So werden wichtige medizinische Informationen über die Betroffenen nicht übermittelt . Es sind reine Zufälle, wenn Mitarbeiter der Ausländerbehörden dem mitfliegenden Arzt Infos oder Medikamente zustecken . Über den Verbleib der Abgeschobenen hat die Bundesregierung keinerlei Kenntnisse . Es ist noch nicht einmal sichergestellt, dass die Abgeschobenen ihren wenigen Besitz mitnehmen können oder Pässe haben . Die einzelnen Flüge sind extrem teuer . So kostet ein Flug mindestens 300 000 Euro . Ich sage an dieser Stelle aus voller Überzeugung: Dieses Geld wäre sinnvoller in der Integrationsarbeit hier in Deutschland oder im Aufbau von Infrastruktur für die freiwillige Rückkehr nach Afghanistan eingesetzt . ({6}) Es ist mitnichten so, wie uns die Generalsekretärin der SPD, Katarina Barley, heute in der Presse glauben machen will, dass es sich bei den Abgeschobenen nur um schwere Straftäter handelt . Ich nenne Ihnen einen Fall, der beispielhaft ist für den Großteil der bislang abgeschobenen Afghanen: Ein 23-jähriger Afghane, der als Minderjähriger in Deutschland Schutz suchte und seit fast sieben Jahren in München lebt, mit einer Deutschen verlobt ist, seit Jahren fest angestellt seinen Lebensunterhalt selbst verdient, nie straffällig geworden ist, wurde von der Arbeitsstelle in die Abschiebehaft nach Mühldorf verbracht und am vergangenen Montag nach Kabul abgeschoben . - Solche Fälle belasten auch die vielen in der Flüchtlingsarbeit engagierten Menschen . Sie haben alles getan, um die Menschen bei uns gut und schnell zu integrieren . Nun müssen sie denen, die ebenfalls alles getan haben, um hier auf eigenen Beinen zu stehen, erklären, warum sie nach so vielen Jahren abgeschoben werden . Ich finde, das geht überhaupt nicht. ({7}) Gut integrierte Menschen werden in ein unsicheres Land abgeschoben, mit mehr als drei Bundespolizisten an der Seite . Ich weiß nicht, aber was ist das anderes als populistischer Wahlkampf auf dem Rücken von Schutzsuchenden? Wir fordern deshalb in unserem Antrag das Einvernehmen des Bundesinnenministeriums zur Verlängerung des Abschiebestopps, eine Aussetzung der gemeinsamen deutsch-afghanischen Erklärung zur Rückführung, keine Widerrufe von Anerkennungen oder Abschiebeschutzentscheidungen bei afghanischen Geflüchteten durch das Bundesamt, wie es derzeit passiert, und schlussendlich eine der Sicherheitslage in Afghanistan angemessene Entscheidungspraxis des Bundesamtes; denn nur so sieht eine würdige und humane Asylpolitik gegenüber diesem Land aus . Herzlichen Dank . ({8})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Frau Kollegin . - Als Nächste hat das Wort die Kollegin Andrea Lindholz von der CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, Afghanistan ist ein sehr armes Land, und es befindet sich seit Jahrzehnten nicht im Friedenszustand . Afghanistan ist aber leider kein Einzelfall . Es leben heute laut Weltbank 2 Milliarden Menschen in Ländern, die unter Konflikten, unter Gewalt, unter schwacher Staatlichkeit leiden, und 80 Prozent aller humanitären Not in der Welt wird von Konflikten verursacht. Es ist besonders traurig, dass dieselben zehn Konfliktherde, die heute 95 Prozent der Flüchtlinge weltweit verursachen, schon vor 25 Jahren existiert haben. Afghanistan ist einer dieser Konfliktherde . Der Sudan, Eritrea, die Demokratische Republik Kongo und Myanmar sind weitere . In Afghanistan engagiert sich Deutschland besonders stark . Wir sorgen dort seit 15 Jahren mit der Bundeswehr für mehr Sicherheit . Wir haben erst im Dezember 2015 unser Bundeswehrmandat mit Zustimmung von Teilen der Fraktion der Grünen verlängert . Wir haben in den letzten drei Jahren viel in die Krisenhilfe dort investiert . Allein für die kommenden drei Jahre sind es 1,7 Milliarden Euro . Die Frage, die sich heute stellt, ist, liebe Frau Kollegin Amtsberg, ob es gerechtfertigt ist, wegen des neuerlichen Anschlags einen vollständigen Rückführungsstopp, einen vollständigen Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan auch politisch zu vertreten . ({0}) Auch nach meinen zwei neuerlichen Anfragen an das Auswärtige Amt ergibt sich keine neue, keine andere Einschätzung der Sicherheitslage . ({1}) Afghanistan ist ein Land, das doppelt so groß wie Deutschland ist . Dort leben 33 Millionen Menschen . Es gibt Gebiete, in denen auch nach Ausführungen des UNHCR keine bewaffneten Konflikte und keine konfliktbezogene Binnenvertreibung stattfinden. Auch die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte sagt, dass es für die zivile Bevölkerung in Teilen Afghanistans Gebiete gibt, in denen die Menschen sicher sind . ({2}) Das ist der Grund, warum wir uns nach wie vor nicht für einen vollständigen Abschiebestopp mit Blick auf Afghanistan einsetzen . Das wäre das falsche Signal . ({3}) Wir sind der Auffassung - dieser Auffassung waren wir schon die ganze Zeit -, dass es immer um eine sorgfältige Einzelfallprüfung gehen muss . Genau das steht auch auf Seite eins des Berichtes des UNHCR . ({4}) Manchmal schadet es nicht, wenn man einen Bericht vollständig liest . Genau das ist auch die Praxis, die in Deutschland erfolgt: Jeder Einzelfall wird geprüft . Wenn Abschiebungen und Rückführungen erfolgen, werden alleinstehende junge Männer und Straffällige abgeschoben und keine Familien . ({5}) Dazu können Sie sich die Zahlen aus dem letzten Jahr und aus diesem Jahr ansehen . Diese legen eindrucksvoll dar, wie vorsichtig Deutschland, die Bundesregierung, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die zuständigen Rückführungsbehörden sind . Im Jahr 2016 hatten wir 25 000 abgelehnte Asylbewerber aus Afghanistan . Von diesen sind nur 67 Menschen zurückgeführt bzw . abgeschoben worden . Im Jahr 2017 hatten wir bis Ende Februar 12 800 vollziehbar Ausreisepflichtige. Davon sind nur 72 Personen zurückgeführt worden, weil eben jeder Einzelfall genau betrachtet wird . Das ist für uns auch weiterhin der Maßstab im Umgang mit Rückführungen nach Afghanistan . ({6}) Im letzten Jahr sind 3 300 Menschen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt . Wir haben die Rückführungshilfen des Bundes auf 90 Millionen Euro aufgestockt . Das muss der richtige Weg sein . Wir können in diesen Fällen nicht pauschal sagen: Wir setzen die Rückführung grundsätzlich aus . - Wir müssen uns auch immer überlegen, was das für ein Signal senden würde . Wollen wir nach Afghanistan das Signal senden, dass alle jungen Männer - diese sind teilweise gut ausgebildet - dieses Land verlassen sollen? ({7}) Es ist auch Aufgabe der Afghanen, in ihrem Land für bessere Verhältnisse zu sorgen . Die Probleme Afghanistans können wir nicht allein und ausschließlich hier bei uns in Deutschland lösen . ({8}) Die Asylanerkennungsquote für Afghanen in Deutschland liegt bei knapp 50 Prozent . In anderen europäischen Ländern liegt sie durchschnittlich bei nur knapp 32 Prozent . Länder wie die Niederlande, Großbritannien, Schweden, Dänemark und Norwegen führen wesentlich mehr Menschen nach Afghanistan zurück, als wir das im Jahr 2016 und auch im Jahr 2017 getan haben . ({9}) Liebe Frau Kollegin, Sie haben gerade Einzelschicksale, Einzelfälle und deren Bleibeperspektiven angesprochen . Dazu sage ich: Wir haben mit dieser Koalition in den letzten anderthalb, zwei Jahren sehr viel gemacht, um insbesondere Härtefälle abzufedern . Einen Fall haben Sie gerade genannt . Wir haben dafür Sorge getragen, dass es bessere Bleibeperspektiven für die Menschen gibt, die - je nachdem, ob sie Familie haben oder nicht - sechs oder acht Jahre hier sind, die für ihren Lebensunterhalt weitestgehend selber aufkommen können, eine Ausbildung gemacht haben oder eine Arbeitsstelle haben . Diese Menschen können einen Anspruch auf ein Bleiberecht erwirken, wenn sie sich entsprechend anstrengen . ({10}) Wir haben mit der Drei-plus-zwei-Regelung im Bereich der Ausbildungsverhältnisse Ausnahmen geschaffen . Wenn wir uns überhaupt einen Vorwurf machen müssen, dann den, dass wir falsche Signale gesendet haben, nach Deutschland zu kommen . Es gibt viele junge Männer, auch in meinem Wahlkreis, die nicht aus Afghanistan hierhergekommen sind. Sie sind in der Hoffnung auf ein besseres Leben aus anderen Ländern hierhergekommen . ({11}) Das ist nachvollziehbar und verständlich . Aber dafür haben wir nicht unser Asylrecht . Für viele dieser jungen Afghanen, die hier sind und jetzt nach Afghanistan zurückkehren, ist es eine schwierige Situation . Deswegen muss es auch für die Zukunft heißen: Wir müssen klarmachen, wer in unserem Land eine Bleibeperspektive hat und wer in diesem Land keine Bleibeperspektive hat . ({12}) Es gibt auch Menschen, die sich aufgrund der langen Asylverfahren schon länger hier aufhalten; das ist richtig . Da gibt es Einzelfälle, bei denen ich, wenn ich mich mit dem einen oder anderen unterhalte, sagen muss: Das ist hart . - Es sind Menschen, die länger hier waren, weil wir mit den Verfahren nicht schnell genug waren . Deswegen haben wir alles darangesetzt, die Verfahrensdauer beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu verkürzen . Die Menschen müssen schnell und zügig Klarheit haben und wissen, ob sie bleiben dürfen oder nicht . Das sind die richtigen Wege . Wir können keine Ausnahmefälle zulassen, wenn jemand keinen Anspruch darauf hat, bei uns zu bleiben . Wenn jemand dieses Land nicht freiwillig verlässt, müssen wir zum letzten Mittel der Rückführung greifen; denn sonst ist unser Asylrecht schlicht nicht glaubhaft . Welches Bild vermitteln wir den Bürgerinnen und Bürgern, wenn wir Recht und Gesetz, die bei uns gelten, schlussendlich nicht auch umsetzen? ({13}) Um zum Schluss zu kommen: Wenn wir Einzelfälle betrachten, bei denen wir vielleicht der Auffassung sind: „Da müsste man noch ein bisschen mehr tun“, dann liegt es an uns, den § 22 unseres Aufenthaltsgesetzes, der besondere Härtefälle normiert, anders auszugestalten . Hierauf hat sich die Koalition im letzten Koalitionsausschuss verständigt . Auch da geht es dann wieder um Einzelfallregelungen, wenn wir vom Generellen abweichen . Für Afghanistan gilt: Solange das Auswärtige Amt keine andere Einschätzung der Sicherheitslage vornimmt ({14}) und solange es Gebiete gibt, in die die Menschen zurückkehren können und in denen es für die zivile Bevölkerung weniger bzw . keine Gefahren gibt, können wir auch keinen generellen Rückführungsstopp nach Afghanistan vertreten . Das wäre der falsche Weg . Vielen Dank . ({15})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz . - Als Nächste spricht Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke . ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Lindholz, ich finde Sie unglaublich zynisch. ({0}) Ich will ganz deutlich sagen, dass auch junge Männer, die Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sind, nach der Genfer Flüchtlingskonvention ein Recht darauf haben, dass wir sie schützen . Es ist einfach nur zynisch, wenn Sie sich hierhinstellen und sagen: Es sind ja nur junge Männer . ({1}) Es sind psychisch Kranke . Es sind Menschen, die in der Ausbildung sind . Es sind Leute, die seit Jahren in Deutschland leben . Also bitte: Schauen Sie sich die Liste derjenigen an, die Sie im Moment in ein Kriegsland - in ein Kriegsland! - zurückschicken! Das ist der entscheidende Punkt . Deswegen sind wir dafür, dass diese Abschiebungen ausgesetzt werden . ({2}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Anlass der heutigen Debatte kommen . Ursprünglich wollten wir - die Kollegin Amtsberg hat es schon gesagt - den Familiennachzug debattieren, der ausgesetzt worden ist, insbesondere für subsidiäre Flüchtlinge, also für Flüchtlinge, die hierzulande nur vorübergehend, für ein Jahr, einen Schutzstatus haben . Dieses Unrecht, das im Rahmen des Asylpakets II beschlossen wurde, hätten wir heute rückgängig machen können . Die Anträge von Grünen und Linken sind abstimmungsreif . In Anhörungen usw . wurde über sie diskutiert . Ich möchte Ihnen nur ein Beispiel für die Grausamkeiten vorführen . Der Soldat Salah J . ist 2015 nach Deutschland gekommen, weil er nicht gegen seine eigene Bevölkerung Krieg führen wollte . ({3}) Seine schwangere Frau und sein Kind musste er zurücklassen . Seine Frau ist nach zwei Jahren Wartezeit, weil er keine Familienzusammenführung genehmigt bekommen hat, auf ein Boot gestiegen . Im März dieses Jahres ist sie ertrunken . Das ist die Familie . ({4}) Ich möchte, dass Sie alle einmal sehen, wie grausam das Schicksal hierzulande ist . Im Grunde genommen wird von der Bundesregierung verhindert, dass Familien zusammengeführt werden . Sie tragen eine Mitverantwortung dafür, dass Menschen zu Tode kommen . Meine Damen und Herren, ich möchte natürlich auch noch einiges zum Thema Afghanistan beitragen . ({5})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lindholz zu?

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, gerne .

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ich glaube, wir waren beide bei der Anhörung, als es um die Aussetzung des Familiennachzuges ging . Er ist bis März nächsten Jahres ausgesetzt . Ich kann mich an die Stellungnahme des Vertreters des Auswärtigen Amtes erinnern, der uns gesagt hat: Wenn zu den Anträgen auf Familiennachzug, die von Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention gestellt worden sind - für sie haben wir den Familiennachzug ja nicht ausgesetzt -, die Anträge auf subsidiären Schutz hinzukommen würden, dann wäre das Auswärtige Amt überhaupt nicht mehr in der Lage, diese Vielzahl an Anträgen so abzuarbeiten, dass ein Einzelner einen schnelleren Familiennachzug genehmigt bekommt . ({0}) Ich frage Sie deshalb: Glauben Sie, dass wir ohne Aussetzung des Familiennachzugs in der Lage gewesen wären, alle Anträge - die von Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention und die von subsidiär Schutzberechtigten - zahlenmäßig zu bearbeiten? Danke schön . ({1})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Lindholz, vielleicht bleiben Sie stehen, damit ich von meiner Redezeit nichts abgezogen bekomme . ({0}) Abgesehen davon, dass ein Vertreter des Auswärtigen Amtes in einer Anhörung natürlich kein unabhängiger Sachverständiger ist, ({1}) sondern jemand, der die Behördenmeinung vertritt, ({2}) also die politische Meinung, die in erster Linie Sie vertreten, ({3}) will ich Ihnen deutlich sagen: Es gab auch ganz viele Sachverständige, die im Grunde das Grundrecht auf Familienzusammenführung betont haben . Das ist ein Grundrecht, das ist ein Menschenrecht . Wir reden hier - Sie übertreiben immer maßlos, was die angeblichen Zahlen angeht - über rund 50 000 Menschen, die gegenwärtig bewilligte Anträge haben . Die subsidiären Flüchtlinge dürfen übrigens erst im nächsten Jahr Anträge stellen - Anträge stellen, wohlgemerkt! ({4}) Das heißt, wir reden hier über eine solche Zahl . Ja, wenn es so ist, dann muss man mehr Menschen in den Botschaften und beim Auswärtigen Amt einstellen, ({5}) damit das menschliche Leid endet, das ich Ihnen gerade mit diesem Bild vorgeführt habe; denn diese Familie gibt es nicht mehr . Die Frau und die Kinder sind ertrunken, weil es keine Genehmigung gab, mit der sie hierherkommen konnten . Ich finde es einen Riesenskandal, dass Sie diesen Punkt heute von der Tagesordnung abgesetzt haben, weil Sie offenbar Angst davor haben, dass hier Kollegen unseren Anträgen zustimmen könnten . ({6}) - Ich denke, ich habe Ihnen die Frage sehr klar beantwortet . Stellen Sie mehr Leute ein! In so einer Situation muss man einfach die erforderlichen Strukturen schaffen. Ich sage Ihnen: Es ist möglich . Sie tun immer so, als wenn es nicht möglich wäre . ({7}) Es ist im Grunde genommen ein Skandal, dass Menschen, die die Bewilligung haben, denen nur noch der Visumsantrag fehlt, damit sie hierherkommen können, über ein Jahr in den Botschaften warten müssen, bis das Visum ausgestellt ist . Ja, wo sind wir denn? Sie tun hier doch immer so, als wenn wir alles machen könnten . ({8}) Kommen wir zur Lage in Afghanistan: Es ist ein Bürgerkriegsland; das ist hier bereits gesagt worden . Die Lage hat sich tatsächlich verschlechtert . Wir müssen davon ausgehen, dass allein 2016 11 418 Zivilisten ums Leben gekommen sind . Das ist eine Verdoppelung der letzten sieben Jahre. Die Dunkelziffer dürfte sehr viel höher liegen . Der Bundesminister argumentiert immer damit, nicht die Zivilbevölkerung sei das Ziel, sondern sie seien nur die Opfer der Angriffe. Es ist meines Erachtens ein Skandal, davon auszugehen, dass die Anschläge - von der NATO oder von Terroristen dort - zufällig auch Zivilisten treffen. Das finden wir eine zynische Argumentation. Zudem will ich Ihnen, Frau Lindholz, sagen: Es ist falsch . Der UN-Bericht aus dem vergangenen Jahr belegte, dass 1 118 Zivilisten Opfer gezielter Mordanschläge waren . Allein im Juli starben 100 Angehörige von den schiitischen Hazara bei einem Anschlag der Islamisten . Die Bundesregierung behauptet immer wieder, es gäbe sichere Gebiete . ({9}) Fragt man die Bundesregierung aber danach, kann sie diese sicheren Gebiete nicht nennen . Hierzu sagt das UN-Flüchtlingskommissariat Ende letzten Jahres ganz klar: Das ganze Staatsgebiet Afghanistans ist von einem bewaffneten innerstaatlichen Konflikt betroffen. Im Klartext heißt das nichts anderes als: Es gibt keine sicheren Gebiete in Afghanistan . Nichts anderes ist hier gesagt worden . ({10}) Trotzdem halten Sie weiterhin daran fest, afghanischen Flüchtlingen immer weniger Schutz zu gewähren . Betrachtet man die Entwicklung, waren es 2015 noch 77,6 Prozent der afghanischen Flüchtlinge, die den Schutzstatus anerkannt bekommen haben . Jetzt, Anfang Februar, sind wir bei 47,9 Prozent . Ja, wie kommt denn das? Die Lage verschlechtert sich, und die Zahl der Menschen, die Schutz bekommen, geht herunter?

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Kommen Sie bitte zum Schluss .

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

So geht es nun wirklich nicht . Das ist Willkür, die Sie hier veranstalten . Das ist eine wahltaktische Überlegung . ({0}) Sie eifern mit Ihrer Abschiebehysterie der AfD nach; das ist ganz offensichtlich. Das kann man hier einfach nicht mitmachen .

Michaela Tadjadod (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003645

Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss .

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss, ja . - Ich will am Ende noch darauf hinweisen, dass man sich wirklich einmal die Berichte von Hilfsorganisationen anschauen muss . Meine Kollegin Frau Amtsberg hat schon darauf hingewiesen . Es ist wirklich erschütternd, was afghanische Flüchtlinge hier in Deutschland zurzeit durchmachen, von welchen Erlebnissen man dort lesen kann: Sie haben ständige Angst vor Abschiebung, sie werden vom Arbeitsplatz abgeholt, sie werden nachts aus dem Bett geholt . Das ist ein Riesenskandal .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Frau Kollegin, wir haben hier oben auch schon den Wechsel gemacht, deshalb kommen auch Sie bitte zum Schluss .

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Stimmen Sie dem Antrag der Grünen zu, damit wir endlich eine andere Politik bekommen! ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat für die SPD-Fraktion Dr . Lars Castellucci das Wort . ({0})

Prof. Dr. Lars Castellucci (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004257, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bereits im Dezember, als der erste Flug mit Flüchtlingen nach Afghanistan entsendet wurde, habe ich hier im Parlament deutlich gemacht, dass ich Abschiebungen nach Afghanistan zum derzeitigen Zeitpunkt für unverantwortbar halte . ({0}) Ich habe damals auch einige Einzelfälle genannt, von denen ich durch Gespräche mit Flüchtlingshelfern in meinem Büro erfahren habe . Es kam dann der Vorwurf, man könne Entscheidungen in der Politik nicht auf irgendwelchen rührseligen Geschichten gründen, sondern man müsse doch ordentliche Grundlagen dafür haben . Dem stimme ich ausdrücklich zu . Deswegen möchte ich heute sehr grundsätzlich begründen, warum ich Abschiebungen nach Afghanistan zum jetzigen Zeitpunkt für unverantwortbar halte . Eines aber will ich vorausschicken: Wenn wir uns von Einzelschicksalen, wie wir sie eben gehört haben - egal zu welchem Thema uns die Menschen diese vortragen -, nicht mehr berühren lassen, dann sind wir als Abgeordnete hier auch fehl am Platz . ({1}) Ich begründe meine Haltung in drei Schritten: Erster Punkt sind die innerstaatlichen Fluchtalternativen . Ich halte es für ein sehr sinnvolles Konstrukt, dass, wenn es innerstaatliche Fluchtalternativen gibt, diese Vorrang vor der Aufnahme in anderen Ländern haben . Ich breche das einmal herunter: Wenn es in Bayern irgendwann einmal unerträglich würde, dann wären Sie im schönen Badener Land herzlich willkommen und müssten nicht in Afghanistan Asyl beantragen . So weit, so gut . ({2}) Im zweiten Schritt müssen wir konkret schauen, ob es diese innerstaatlichen Fluchtalternativen gibt . Das möchte ich sehr grundsätzlich machen und dabei noch einmal den Staatsbegriff ansprechen. Ein Staat ist nicht irgendetwas, was mit einem Pinsel auf die Landkarte gezeichnet wurde, sondern er muss eine bestimmte Qualität haben . Ein Land, das diese Qualität hat, zeichnet sich dadurch aus, dass jemand in diesem Land willens und in der Lage ist, das Gewaltmonopol wahrzunehmen . Genau diese Frage ist in Afghanistan offen. Eigentlich ist es sehr naheliegend, dass heute niemand sagt, dass die staatlichen Stellen in ganz Afghanistan in der Lage sind, das Gewaltmonopol wirklich durchzusetzen . Wenn ein Gericht bei uns entscheidet, dass jemand kein Asyl bekommt, weil nicht der Staat ihn verfolgt, sondern irgendwelche Gruppen, dann muss ich sagen: Das ist aus der Perspektive der Betroffenen das Gleiche, solange der Staat nicht in der Lage ist, diese Verfolgung zu verhindern und einzudämmen . An dieser Stelle will ich klar sagen: Die Bevölkerungsgruppen der Hindus und der Sikhs haben in diesen Abschiebeflügen nichts verloren . Diese Menschen haben in Afghanistan keine Lebensperspektive . ({3}) Vielleicht können wir uns darauf verständigen: Es ist keinesfalls eindeutig, wie die Sicherheitslage in Afghanistan in den einzelnen Bereichen und für einzelne Bevölkerungsgruppen ist . Ich finde es eine Krux - vielleicht können Sie mir hier sogar zustimmen -, dass diejenigen, die eher pro Abschiebung sind, die Zahlen zur Hand nehmen, die besagen, dass es dort einigermaßen sicher ist, während diejenigen, die eher die Schutzbedürfnisse der Menschen in den Vordergrund stellen, die Zahlen und die Bewertungen zur Hand nehmen, die besagen, dass es unsicher ist . Wir müssen zu konsistenten und objektiven Berichten kommen, in die auch die zivilgesellschaftlichen Organisationen eingebunden sind . Es kann nicht dabei bleiben, dass jeder hier im Raum ständig die Zahlen nimmt, die für die eigene Argumentation passen . Das ist völlig unbefriedigend . ({4}) Gehen wir einfach einmal von der Tatsache aus, dass wir uns hier nicht einig sind, dass es nicht eindeutig ist . Damit komme ich zu meinem dritten Schritt, den ich Hans Jonas entliehen habe . Er hat in seinem Buch Das Prinzip Verantwortung einen Grundsatz aufgestellt, der sehr vereinfacht lautet: Wenn es um existenzielle Dinge geht - er hat sich mit der existenziellen Frage des Überlebens der Menschheit beschäftigt -, dann hat die schlechte Prognose Vorrang vor der guten Prognose . - Ich glaube, dass dieses ethische Grundprinzip auch auf diesen Fall anwendbar ist, nämlich auf die Frage der Existenz und der Lebenschancen von Menschen . Es ist nicht unsere Aufgabe, zu sagen: Es wird schon nichts passieren . Vielmehr ist es unsere Aufgabe, das zu tun, was wir tun können und was in unserer Verantwortung liegt, damit diesen Menschen nichts passiert . Mit anderen Worten: Es ist unsere Verantwortung, Abschiebungen nach Afghanistan zum jetzigen Zeitpunkt zu unterlassen . ({5}) Es geht also nicht um Einzelschicksale, sondern um eine sehr grundsätzliche Argumentation . Es geht um ein ethisches Grundprinzip, das ich hier vorgetragen habe . Man kann natürlich auch sagen: Nun gut, die Menschen sind nicht Ziel der Anschläge, sondern nur Opfer der Anschläge . - Aber dabei handelt es sich eben nicht um ein ethisches Grundprinzip, sondern um blanken Zynismus . ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Castellucci, auch wenn Sie nur noch ganz wenig Redezeit haben: Lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Amtsberg zu?

Prof. Dr. Lars Castellucci (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004257, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, selbstverständlich .

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Castellucci, danke, dass Sie die Frage zulassen . - Ich habe die ganze Zeit über auf das Aber in Ihrer Rede gewartet . Sie müssen mir schon nachsehen, wenn sich uns in der Opposition, die wir uns mit diesem Antrag sehr viel Mühe gemacht haben und mit diesem Anliegen immer wieder an die Bundesregierung herantreten, die Frage aufdrängt: Halten Sie die bisherige Einschätzung der Sicherheitslage in Afghanistan seitens des Bundesaußenministers Sigmar Gabriel für richtig? Und finden Sie, dass die verschiedenen Quellen, die wir zur Grundlage machen wollen, nämlich UNHCR, UNAMA und andere Akteure, ausreichend gewürdigt sind?

Prof. Dr. Lars Castellucci (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004257, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe es eben im Grunde vorgetragen, verehrte Kollegin Amtsberg: Ich glaube, dass die Einschätzung der Sicherheitslage uneinheitlich getroffen wird. Das ist die Lage, die sich mir als Parlamentarier stellt . Mein Petitum ist, dass sich die betreffenden zuständigen Organisationen und die Hilfsorganisationen zusammensetzen und auf der Basis von objektivierbaren Kriterien nachvollziehbar und transparent zu einer gemeinsamen Einschätzung kommen . ({0}) Das ist meine Position . ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Es gibt von der Kollegin Jelpke den Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage .

Prof. Dr. Lars Castellucci (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004257, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gerne .

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Kollege, dass ich die Frage stellen kann. - Ich finde es schon sehr bewegend und freue mich natürlich über Ihre Position . Aber zurzeit ist es so, dass beispielsweise Ihr Kanzlerkandidat Schulz eine andere Haltung dazu hat . Auch Ihre Generalsekretärin hat erst gestern in Schleswig-Holstein, wo ein Abschiebestopp verhängt wurde, die eigene Regierung dafür ganz klar kritisiert und sinngemäß erklärt - ich habe es nicht wortwörtlich im Kopf -: Wo wir deutsche Soldaten hinschicken, können wir auch Flüchtlinge zurückschicken . Dazu möchte ich gerne eine Stellungnahme . Wie wird das bei Ihnen diskutiert? Wie werden Sie beispielsweise mit diesem Antrag umgehen? Er ist schon einmal abgelehnt worden; das ist noch gar nicht so lange her . Die Situation hat sich nicht geändert . Wird die SPD noch vor der Sommerpause bereit sein, gemeinsam mit uns diesem Antrag zuzustimmen?

Prof. Dr. Lars Castellucci (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004257, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Was ich vorgetragen habe, ist Basis meiner eigenen Gewissensentscheidung, zu der ich laut Abgeordnetengesetz und Grundgesetz verpflichtet bin. Wenn ich hier meine Gewissensentscheidung vortrage, dann spreche ich damit anderen ihre Gewissensentscheidung nicht ab . Ich glaube, das ist eine Haltung, die wir hier in diesem Haus pflegen sollten. Wenn es immer eindeutig wäre, was uns unser Gewissen aufträgt, dann bräuchten wir diese Passage im Grundgesetz gar nicht . Es geht um Gewissensentscheidungen . Das ist es, was ich hier vorgetragen habe . ({0}) Ich will aber ergänzen - ich habe das im Dezember letzten Jahres bereits ausgeführt und es mir deshalb heute erspart -: Es ist doch eine Qualität von Parteien, um die Fragen, die uns und die Menschen in der Welt umtreiben, zu ringen . Es ist überhaupt nicht angemessen, wenn so getan wird, als könnte man einen Keil in die Parteien treiben . Ich habe bei der letzten Diskussion zu diesem Thema den Grünen entgegnet: Auch in Baden-Württemberg werden Flüchtlinge abgeschoben . Es ist doch nicht so, als gäbe es hier eine Schwarz-Weiß-Verteilung . Also, lassen Sie uns um die Fragen, die uns alle betreffen, sachlich ringen und in Zeiten des Wahlkampfs keine Parteipolitik betreiben . ({1}) Ich habe im Januar dieses Jahres gesagt, dass zum Asylrecht auch Abschiebungen gehören . Zu diesem Grundsatz stehe ich . Niemand versteht, wenn Menschen in Deutschland kein Bleiberecht haben und trotzdem hierbleiben . Es versteht aber auch niemand, wenn bei Leuten, die seit langem hier leben und für den Lebensunterhalt ihrer Familie aufkommen, deren Kinder in der Schule andere in den naturwissenschaftlichen Fächern abhängen, die sich wohlverhalten und deren Arbeitgeber Petitionen lostreten, in denen sie darum bitten, dass sie hierbleiben können, weil sie einen guten Job im Geschäft oder Unternehmen machen, morgens um sieben der Transporter vorfährt, um sie abzuholen . Ich habe von Grundprinzipien gesprochen . Mein Grundprinzip ist zum einen: Menschen, die Schutz brauchen, sollen, solange wir das können, unseren Schutz auch bekommen . Der andere Grundsatz ist: Wer sich in diesem Land anständig verhält und zum Wohlstand in diesem Land beiträgt, der sollte auch eine Bleibeperspektive haben . Vielen Dank . ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat Nina Warken für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Nina Warken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004437, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der neuerliche Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen trägt den Titel „Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen“ . Ich darf aber zu Beginn kurz auf Sie, Frau Kollegin Jelpke, eingehen, weil Sie vorhin das Thema Familiennachzug angesprochen haben. Ich finde, Sie machen es sich einfach, indem Sie ein Einzelschicksal plakativ hervorheben und uns indirekt vorwerfen, wir würden uns nicht darum kümmern, das würde uns nicht berühren . Wir kümmern uns auch um Einzelschicksale . Uns berühren Einzelschicksale; uns berührt aber auch das große Ganze . Wir kümmern uns auch darum . Wir schaffen steuernde Regelungen, treffen dazu Entscheidungen und übernehmen Verantwortung . Das ist nicht immer einfach, aber das tun wir, und ich glaube, das ist eine wichtige Entscheidung gewesen . ({0}) Aber worum geht es in dem vorliegenden Antrag eigentlich? In dem Antrag wird gefordert, dass der Bundesinnenminister das BAMF anweist, allen afghanischen Asylbewerbern zumindest subsidiären Schutz zu gewähren . Die Zusammenarbeit mit Afghanistan soll ausgesetzt werden, und es soll nicht mehr dorthin abgeschoben werden . Es soll also allen afghanischen Asylbewerbern pauschal und unabhängig von den konkreten Umständen Schutz zuteilwerden, ({1}) und das, obwohl die afghanische Regierung ausdrücklich darum bittet, keine weiteren Anreize zu setzen, da dem Land gerade die verloren gehen, die es dringend braucht, und das, obwohl nicht nur Deutschland, sondern auch die EU selbst Vereinbarungen mit Afghanistan geschlossen haben und Deutschland eine der höchsten Schutzquoten für afghanische Staatsangehörige in der EU hat . Was das Thema Schutzquoten angeht, Frau Kollegin Jelpke: Ich glaube, man kann dem BAMF sicherlich nicht vorwerfen, dass es in den letzten Monaten über eine Vielzahl von Asylanträgen - ich glaube, es waren über 68 000 Asylanträge afghanischer Staatsangehöriger im ersten Quartal - entschieden hat; dadurch verändern sich auch die Schutzquoten . ({2}) Daraus kann man dem BAMF keinen Strick drehen; das muss man vielmehr anerkennen und die Zahlen so verwenden, wie sie auf dem Tisch liegen . ({3}) Wenn wir entgegen all diesen Tatsachen eine Abkehr von der individuellen Prüfung vornehmen sollen, dann müssen wir ganz genau hinschauen . Afghanistan ist ein vielschichtiges Land, Afghanistan ist ein kompliziertes Land . Die Menschen sprechen 50 unterschiedliche Sprachen . Hinzu kommen endlos viele Dialekte . Es gibt etliche ethnische Gruppierungen . Drei Viertel des Landes bestehen aus schwer zugänglichen Gebirgsregionen . Zwei Drittel der Gesamtbevölkerung leben in den städtischen Zentren der 34 Provinzen . Dazu gehört auch die Hauptstadt Kabul . Afghanistan ist auch ein unruhiges Land; wir müssen nicht drum herumreden . Die Machtverhältnisse in der afghanischen Gesellschaft sind seit langem extrem komplex . Afghanistan ist ein zerrissenes und gebeuteltes Land . Aber Afghanistan ist auch kein pauschal zu bewertendes Land . Die Sicherheitslage dort weist deutliche regionale Unterschiede auf . Die Situation ändert sich laufend . Für die städtischen Zentren wie Herat und Kabul und für das zentrale Hochland gilt etwas anderes als für andere Regionen . Nicht nur der Lagebericht des Auswärtigen Amtes, sondern auch der aktuelle EASO-Report bestätigen das; auch der EGMR sieht diese starken regionalen Unterschiede . Wir müssen aber nicht nur regional, sondern auch zwischen der Gefahr für Militär und für Zivilisten durch die Konflikte unterscheiden. Der furchtbare Anschlag, auf den die Antragsteller Bezug nehmen, kostete über 140 Soldaten das Leben . Man kann hieraus aber nicht automatisch folgern, dass sich die Sicherheitslage der Zivilbevölkerung allgemein geändert hat . Man kann nicht einfach sagen, dass der Gefahrengrad durch innerstaatliche Konflikte überall so hoch ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre . Hier von einer insgesamt gravierenden Verschlechterung zu sprechen, erscheint mir daher nicht ganz richtig . Die Zahlen der zivilen Opfer sind auch nach dem neuen UNAMA-Report 2015 und 2016 ungefähr gleich geblieben . Meine Damen und Herren, auch die steigenden Zahlen der freiwilligen Rückkehrer zeigen, dass eine pauschale Bewertung falsch ist . Tatsächlich sind über 3 300 afghanische Staatsangehörige im letzten Jahr freiwillig zurückgekehrt . Der UNHCR-Bericht, der viel, aber leider oft pauschal und einseitig zitiert wird, kommt auch zu dem Schluss, dass es für jede Entscheidung über den internationalen Schutzbedarf erforderlich ist, den Fall auf individueller Grundlage unter Einbeziehung sämtlicher Aspekte des Einzelfalls zu bewerten . Das tun wir . ({4}) Die Schicksale der Menschen, die aus Afghanistan zu uns kommen, sind sehr unterschiedlich; das spiegeln die Entscheidungen des BAMF auch wider . Das BAMF schert mitnichten alle über einen Kamm . Vielmehr schaut es genau hin . Afghanische Staatsangehörige bekommen in Deutschland Asyl, Flüchtlingsstatus und subsidiären Schutz . Hinzu kommen viele Fälle von Abschiebungsverboten . Das sieht für mich eben nicht nach Blindheit gegenüber den Realitäten und auch nicht nach irgendwelchen Anweisungen aus . Gerade die vielen nationalen Abschiebungsverbote zeigen, ({5}) dass eine umfassende Prüfung stattfindet und die Mitarbeiter nicht nach Schema F handeln . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Entscheidungen des BAMF vor Gericht überprüft werden können . Das werden sie auch . Auch hier werden die Besonderheiten jedes Einzelfalls noch einmal aktuell gewürdigt . ({6}) Meine Damen und Herren, am Ende all dieser sorgfältigen Prüfungen, Rechtsmittel und Neubewertungen steht eine Entscheidung . Wenn dann festgestellt ist, dass ein Schutzbedarf nicht gegeben ist, muss diese Entscheidung auch Konsequenzen haben; denn eines darf nicht sein: Der Inhalt der Entscheidungen des BAMF darf nicht egal sein . Unsere Bürger und auch die Antragsteller dürfen nicht das Gefühl bekommen, dass die Entscheidungen nichts daran ändern, ob jemand bleiben kann oder gehen muss . Das würde kein Mensch verstehen, und das kann auch nicht sein . Liebe Kolleginnen und Kollegen, genauso wenig, wie pauschal entschieden wird, wird pauschal abgeschoben . In jedem Einzelfall müssen die Ausländerbehörden der Länder genau prüfen, ob eine Rückführung möglich ist . In die Risikoprüfung müssen alle persönlichen Umstände einbezogen werden. Nicht umsonst betreffen die Sammel abschiebungen keine Frauen und Kinder . ({7}) Alle bislang aus Deutschland Zurückgeführten waren junge Männer, viele davon Straftäter . Es wird eben auch geguckt, zu welcher Volksgruppe jemand gehört, aus welcher Region er stammt und welche familiären Strukturen bestehen . Um es noch einmal klar zu sagen: Für diese Auswahl sind die Ausländerbehörden der Länder zuständig . ({8}) Ich vertraue darauf, dass das sorgfältig durchgeführt wird. Aber stattfinden muss es nun einmal. Meine Damen und Herren, nicht nur die Rückführung selbst wird betreut . Die Bundesregierung arbeitet mit der Internationalen Organisation für Migration und dem afghanischen Flüchtlingsministerium zusammen . Auch die deutsche Botschaft stellt sicher, dass die Betroffenen empfangen werden und im Land sicher an ihren gewünschten Zielort gelangen . ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können nicht alle über einen Kamm scheren, weder im Guten noch im Schlechten . Aber eines können und müssen wir vermeiden, nämlich pauschal zu bewerten, pauschal zu entscheiden und pauschal zu agieren . Deshalb werden wir den Antrag ablehnen . ({10})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Rüdiger Veit für die SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal will und muss ich leider der Kollegin Amtsberg und anderen, die das kritisiert haben, ausdrücklich recht geben in dem Bedauern, dass wir heute nicht über den Antrag der Grünen beraten und beschließen, damit die Aussetzung des Familiennachzugs für lediglich subsidiär Geschützte wieder aufgehoben wird, ({0}) und zwar nicht deswegen, weil das hier eine Geschäftsordnungsfrage wäre, sondern aus folgendem Grund: Die Frage, ob man, wenn dieser Antrag denn Erfolg haben sollte, einen weiteren Monat mit einer solchen Entscheidung zuwartet, betrifft Menschen. Sie betrifft Frauen und Kinder, die weitere überflüssige Monate von ihren Männern bzw. ihren Vätern getrennt sind, die es geschafft haben, nach Deutschland zu kommen . Um deren Schicksal mache jedenfalls ich mir meine Gedanken . ({1}) Frau Kollegin Lindholz, um Ihre Frage an Frau Jelpke zu beantworten: Die Tatsache, dass die Anträge derjenigen Flüchtlinge, die Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention genießen, auf Familiennachzug schon jetzt leider nicht zügig bearbeitet werden können, weil es zu viele sind, und die Tatsache, dass ein Verfahren regulär 15 Monate oder noch länger dauert, macht die Sache noch schlimmer . Das ist doch kein Entschuldigungsgrund . ({2}) Umso länger ist doch die Frist, innerhalb derer Väter von ihren Kindern, Ehemänner von ihren Frauen getrennt sind . Daher ist meine Sorge groß - das treibt mich um -, dass die Betreffenden auf nicht legale Wege ausweichen, die für sie lebensgefährlich sind . Deswegen verstehe ich nicht, dass Sie von der Union - obwohl die zahlenmäßigen Voraussetzungen ganz anders sind - mit Ihrem christlichen Familienbegriff vereinbaren können, dass vielleicht 50 000 Frauen und Kinder in eine gefährliche Situation gebracht werden . ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Veit, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lindholz zu?

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja .

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Veit, ich habe zwei Fragen . Ich hätte von Ihnen gerne gewusst, ob es richtig ist, dass man trotz Aussetzung des Familiennachzugs in besonderen Härtefällen einen entsprechenden Antrag stellen kann . Das ist meine erste Frage . Meine zweite Frage lautet: Können Sie bestätigen, dass die kommunalen Spitzenverbände in der Anhörung, die wir zu diesem Thema durchgeführt haben, klar gesagt haben, dass die Kommunen kaum in der Lage sind, einen kompletten Familiennachzug auf einen Schlag zu bewältigen, dass die Kommunen uns ausdrücklich gebeten haben, den Familiennachzug sukzessiv durchzuführen, und dass eine Abstufung - zuerst die Flüchtlinge gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention und dann subsidiär Schutzberechtigte - der richtige Weg ist, wenn wir alle Menschen vernünftig unterbringen wollen? Danke schön .

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es war vielleicht einmal so gedacht - das war für viele in der SPD-Fraktion eine gewisse Erleichterung -, in besonderen Härtefällen von der Aussetzung des Familiennachzugs abzusehen . Die Realität ist aber, dass davon bisher nur ganz wenige - es handelt sich noch nicht einmal um eine zweistellige Zahl - profitiert haben. Was die Koalition vereinbart hat, nämlich nur noch in Einzelfällen die Härtefallregelung anzuwenden, ist - entschuldigen Sie bitte, das sage ich auch an die Adresse meiner Fraktion - eine Verschlimmbesserung der Situation, aber keine Erleichterung . ({0}) Es stimmt, dass die kommunalen Vertreter gesagt haben, sie schafften es im Augenblick nicht, alle auf einmal aufzunehmen . Aber was ich gerade auf die Beantwortung Ihrer Frage von vorhin gesagt habe, ist zutreffend, nämlich dass leider aus Kapazitätsgründen die Anträge gar nicht gleichzeitig bearbeitet werden können, dass der ganz normale Prozess ohnehin schon mehr als ein Jahr dauert und dass daher ein allmähliches und verzögertes Eintreffen der Familienmitglieder leider zwangsläufig die Folge ist . Zurück zum Antrag auf Aussetzung der Abschiebungen nach Afghanistan. Ich bin der Auffassung - das wurde schon mehrfach geäußert -, dass der UNHCR-Bericht nicht die Tatsachen hergibt, die rechtfertigen, ohne Weiteres nach Afghanistan abzuschieben . Ich wundere mich, wie man einen Bericht so unterschiedlich lesen und interpretieren kann . ({1}) Insgesamt heißt es im UNHCR-Bericht, die Sicherheitslage habe sich nochmals deutlich verschlechtert . Es gibt keine eindeutige innerstaatliche Schutzalternative . Das gesamte Staatsgebiet Afghanistans ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt betroffen. ({2}) Die Lage habe sich - so die Zusammenfassung - weiter rapide verschlechtert, und gleichzeitig sei die höchste Anzahl an Flüchtlingen und Opfern unter der Zivilbevölkerung zu verzeichnen . Wenn ich das alles zusammennehme, dann kann ich doch nicht sagen: Neuerdings ist alles viel besser; wir können die Menschen ohne Weiteres zurückschicken . - Das Gegenteil ist der Fall . Ich hebe dabei nicht auf die kürzlich stattgefundenen Anschläge mit zahlreichen beklagenswerten Opfern ab, sondern auf die Würdigung der Gesamtsituation und komme zu dem Ergebnis - bedauernswerterweise nur höchstpersönlich und nicht für die gesamte SPD -, dass Abschiebungen nach Afghanistan derzeit nicht verantwortet werden können . Der immer wieder geäußerten Argumentation, die Zahl der freiwilligen Ausreisen belege, dass man dorthin problemlos zurückkehren könne, und es gebe keine weiteren freiwilligen Ausreisen, wenn es keine Abschiebungen gäbe, liegt doch ein Zirkelschluss zugrunde . Die freiwilligen Ausreisen gab es schon die ganze Zeit . Die sind nicht erst dadurch ausgelöst worden, dass Sammelabschiebungsflüge organisiert worden sind. Von daher gesehen zählt auch dieses Argument nicht . Ich bedaure, um auch das deutlich anzusprechen, dass mein jetzt amtierender Parteivorsitzender das Verhalten der schleswig-holsteinischen Landesregierung und des dortigen Innenministers Stefan Studt, den ich sehr schätze, leider nur als nobel bezeichnet hat, und mein nicht minder geschätzter und geliebter früherer Parteivorsitzender davon gesprochen hat, dass das menschenrechtlich hochverständlich sei, dass beide im Ergebnis aber der Auffassung waren, Abschiebungen nach Afghanistan könnten weiter erfolgen. Ich teile diese Auffassung nicht. Ich halte das nicht für vertretbar . ({3}) Deswegen ist aus meiner Sicht dem Antrag der Grünen in vollem Umfang zuzustimmen . Ich möchte ausdrücklich an den jetzt amtierenden Außenminister die Bitte richten, eine neue Bewertung der Sicherheitslage für Afghanistan vorzunehmen, die dann hoffentlich eine andere Entscheidung zur Folge hat. Danke für die Aufmerksamkeit . ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Damit schließe ich die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12099 mit dem Titel „Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen“ . Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sache . Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung, und zwar zur federführenden Beratung an den Innenausschuss und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss, an den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe sowie an den Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union . Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Ausschussüberweisung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Überweisung so beschlossen . ({0}) - Doch! Die Jastimmen waren eindeutig in der Mehrheit, auch wenn man bei der Opposition enger sitzt . Es war eine eindeutige Mehrheit . Meine beiden Beisitzer sehen das auch so . ({1}) - Es gab wirklich eine klare Mehrheit für die Überweisung . ({2}) - Es ist eine Mehrheit . ({3}) - Hier wurde gezählt . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum weiteren quantitativen und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung Drucksache 18/11408 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4}) Drucksache 18/12158 - Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12159 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Plätze einzunehmen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in dieser Aussprache hat die Bundesministerin Manuela Schwesig das Wort . ({6})

Manuela Schwesig (Minister:in)

Politiker ID: 11005303

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Das ist heute ein guter Tag für Familien in Deutschland, weil Mütter und Väter darauf vertrauen können, dass wir in den nächsten Jahren weitere 100 000 Kitaplätze schaffen. Wir stellen dafür über 1 Milliarde Euro zur Verfügung . Das ist gut und richtig; denn wir brauchen in Deutschland gute Kitaplätze, um Beruf und Familie zu vereinbaren, aber auch, um alle Kinder gut fördern zu können . ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete, mit diesem Gesetz unternehmen wir einen weiteren wichtigen Schritt zum Ausbau der Kindertagesbetreuung in Deutschland. Erstmals schaffen wir als Bund nicht nur Plätze für die unter Dreijährigen - darauf lag in den letzten zehn Jahren der Schwerpunkt -, sondern stellen auch Geld dafür zur Verfügung, dass Plätze für über Dreijährige, also Kindergartenplätze bis zum Eintritt in die Schule, geschaffen werden. Dieses Kitaprogramm schließt endlich die Lücke . Wir fördern Kitaplätze vom Kitaeintritt bis zum Schulübergang, und das ist das, was wir in Deutschland brauchen . ({1}) In den letzten zehn Jahren hat sich das Angebot an Kitaplätzen enorm verbessert . 400 000 neue Plätze sind entstanden . Knapp 720 000 Plätze für unter Dreijährige gibt es mittlerweile . Wir haben gerade in dieser Legislaturperiode viel erreicht . Zu Beginn haben wir 6 Milliarden Euro für den Bildungsbereich inklusive Kindertagesstätten bereitgestellt . Wir haben 2014 ein Kitagesetz verabschiedet, die Kommunen entlastet, das Sondervermögen aufgestockt . 2015 haben wir im Rahmen unseres Qualitätsprozesses mit den Ländern die Wirtschaft für eine gemeinsame Erklärung zur Kinderbetreuung als Zukunftsinvestition gewonnen . 2016 ist das neue Bundesprogramm „KitaPlus“ für flexible Kinderbetreuung in Randzeiten entstanden, und wir haben mit dem Sprachkitaprogramm erheblich die Qualität verbessert . Weil Sprache der Schlüssel für die Bildung von Kindern ist, haben wir die Mittel für das Sprachprogramm verdoppelt, und wir stellen viel mehr Stellen für Spracherzieher in den Kitas zur Verfügung . Dies dient den Bildungschancen, der Chancengleichheit der Kinder . ({2}) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn Da schließen wir 2017 mit diesem Investitionsprogramm an . Inklusive der zusätzlichen Programme investiert der Bund 2017 eine Rekordsumme von 2,5 Milliarden Euro . An dieser Stelle, sehr geehrte Abgeordnete der Grünen, möchte ich das richtigstellen: Sie haben beim letzten Mal behauptet, wir hätten 1,7 Milliarden Euro für 2017 versprochen . Das stimmt . Jetzt liefern wir 2,5 Milliarden Euro und nicht, wie Sie sagen, 1,2 Milliarden Euro . Neben den in diesem Gesetz verankerten Programmen gibt es ja noch mehr Programme, wie ich es eben gesagt habe . 2,5 Milliarden Euro, so viel hat der Bund noch nie in einem Jahr zur Verfügung gestellt . ({3}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, warum brauchen wir diese Plätze? Erstmals seit 15 Jahren werden wieder mehr Kinder geboren, und das jetzt schon im zweiten Jahr in Folge . Immer mehr Mütter und Väter wollen berufstätig sein, brauchen wohnortnahe Kitaplätze . Die Inanspruchnahme steigt also . Außerdem gibt es Kinder, die zu uns geflüchtet sind, und die natürlich schnell in eine Kita gehen sollen, damit sie schnell die deutsche Sprache lernen, damit sie Anschluss finden und gut integriert werden . All das sind Bedarfe . Wir wollen nicht, dass Familien in Deutschland gegeneinander ausgespielt werden . Wir wollen, dass alle Mütter und Väter, die einen Kitaplatz für ihre Kinder brauchen, auch einen bekommen . An dieser Stelle möchte ich mich auch bei den Kommunen und den Ländern für den enormen Aufholprozess bedanken . Außerdem möchte ich mich bei den Erzieherinnen und Erziehern bedanken . Ich selbst durfte heute Morgen bei der Kitaeingewöhnung meiner kleinen Tochter in eine Gruppe von Kleinkindern - sie bestand aus nur fünf Kindern - dabei sein . Ich muss sagen: Ich habe großen Respekt vor den Erzieherinnen und Erziehern . Was sie dort leisten, ist brillante Arbeit . Bei allem Werben dafür, dass die Qualität besser werden muss, dürfen wir nicht vergessen: Das, was in Deutschland bereits geleistet wird, insbesondere von den Erzieherinnen und Erziehern, ist großartig . Dafür einen herzlichen Dank! ({4}) Ich bin sehr froh, dass wir zum Abschluss der Legislatur dieses Investitionsprogramm auf den Weg bringen . Natürlich wird das nicht das Ende sein . Wir werden in den nächsten Jahren die Qualität weiter verbessern . Das ist auch Thema auf der Jugend- und Familienministerkonferenz . Ich habe mich gefreut, dass es im Ausschuss für dieses Programm von allen Unterstützung gab . Ich weiß, dass es auch allen Fraktionen am Herzen liegt . Ich habe mir in den letzten Debatten insbesondere von den Grünen immer wieder anhören müssen: Wo bleibt das Qualitätsgesetz? ({5}) - Von Ihnen auch; stimmt . Gut, dass Sie mich daran erinnern! - Weil es heute auch wieder so sein wird, darf ich mir erlauben, Ihnen Folgendes zu sagen: Politik hat etwas mit Machen zu tun . Dass man etwas macht, hat etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun . Hier immer nur zu fordern und da, wo man selbst regiert, die Dinge nicht nur nicht zu machen, sondern sogar zu behindern, das ist unglaubwürdig . ({6}) Es sind Ihre Ministerpräsidenten von den Grünen - ({7}) - Ja, aber die SPD behauptet nicht, dass es an mir liegt; die SPD unterstützt mich im Qualitätsprozess mit den Ländern . ({8}) Es ist der Ministerpräsident der schwarz-grünen Regierung in Hessen, der in die Ministerpräsidentenkonferenz eingebracht hat, dass es kein Qualitätsgesetz geben soll . ({9}) Ihr linker Ministerpräsident Bodo Ramelow hat mitgestimmt, wie alle anderen . Deshalb ist es unglaubwürdig, dass Sie hier Qualität von uns fordern, aber da, wo Sie selbst regieren, ablehnen . ({10}) Deshalb werbe ich sehr dafür, dass alle die, die wollen, dass sich die Qualität verbessert, den Qualitätsprozess unseres Hauses mit den Ländern unterstützen und dort Einfluss nehmen, wo sie in den Ländern regieren. Das ist dann glaubwürdige Politik. In diesem Sinne hoffe ich, dass es uns gemeinsam gelingt, auf der Jugend- und Familienministerkonferenz auch bei der Qualität voranzukommen . Heute sollten wir dieses Gesetz beschließen, damit wir vor Ort loslegen können . Es geht um 100 000 neue Kitaplätze für die Kinder in unserem Land, die dringend gebraucht werden . Das ist ein guter Tag für die Kinder und die Familien in Deutschland . ({11})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Norbert Müller das Wort für die Fraktion Die Linke . ({0})

Norbert Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004613, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf den Tribünen, die Sie diese Debatte verfolgen! Frau Ministerin Schwesig, ich habe eigentlich direkt darauf gewartet, dass Sie Ihre Rede beginnen mit: Das ist ein guter Tag für die Familien in Deutschland . - Diesen Satz kann ich, ehrlich gesagt, nicht mehr hören . Ich verfolge die Debatte heute mit einem lachenden und einem weinenden Auge . Ja, wir werden dem vierten Ausbauprogramm zustimmen . Ja, die 100 000 Plätze sind dringend nötig . Ja, es ist gut, dass diese 100 000 Plätze in den nächsten Jahren geschaffen werden. ({0}) Das ist das lachende Auge . Das weinende Auge: Der Ausbau - das wissen Sie auch - hinkt den Bedarfen seit Jahren hinterher . ({1}) Ich übersetze Ihnen das einmal praktisch . In der Anhörung im Familienausschuss, die wir zu den Gesetzesvorhaben durchgeführt haben, hat der Direktor des Deutschen Jugendinstituts, Thomas Rauschenbach, auf meine Frage zum Bedarf geantwortet - ich zitiere -: Wenn ich das alles zusammenrechne . . ., dann werden wir nicht 100 000 Plätze, dann werden wir nicht 200 000 Plätze, dann werden wir auch nicht 300 000 Plätze, sondern wir werden 350 000 Plätze in den nächsten Jahren benötigen . Das zeigt, dass das, was möglicherweise beschlossen wird, nämlich 100 000 Plätze mehr, einfach nicht reichen wird . Im Folgenden führt er aus, dass die Dynamik noch zunimmt . Er glaubt, dass der Bedarf von 350 000 Plätzen Status quo - nur eine Zwischenetappe ist, dass es einen enorm steigenden Bedarf an Plätzen gibt . Ich mache das einmal praktisch . An einem Ort, wo das erste Mal eine gut funktionierende Kita errichtet wird, steigt der Bedarf einfach . Dann muss man hinterherkommen und kann nicht sagen: In Zukunft hat jedes Kind wirklich einen Anspruch, der auch mit einem Platz unterlegt ist . - Das ist heute nicht so . Selbst wenn 2020 die 100 000 Plätze sozusagen am Netz sind, haben wir immer noch eine Viertelmillion unversorgter Kinder . Das ist ein erhebliches Problem . Das kann man nicht einfach wegdiskutieren . Man kann sich nicht über kleine Schritte freuen, die man gegangen ist, wenn das Problem einer Viertelmillion fehlender Plätze weiter existiert . Beim Kitaausbau ist es ein bisschen wie im Märchen vom Hasen und dem Igel . Immer dann, wenn die Bundesregierung mit etwas kommt und das Parlament mit Mehrheit sagt: „Wir haben etwas geschafft und sind einen Schritt vorangekommen“, ist der Igel bereits da und sagt: Hier fehlt noch ganz viel . - Das ist die Realität in Deutschland . ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben zum heutigen Gesetzesvorhaben einen eigenen Entschließungsantrag vorgelegt . Wir möchten als Linke in dieser Debatte drei zentrale Forderungen erheben, von denen wir glauben, dass deren Erfüllung notwendig ist . Weil Sie aufgefordert haben, das mit Glaubwürdigkeit zu verbinden, sage ich Ihnen auch einmal, was wir in den linksregierten Ländern in Bezug auf diese Punkte genau tun, um deutlich zu machen, was die Bundesregierung nicht macht . Erstens . Wir brauchen mehr Kitaqualität . Wir als Linke stehen - aber auch Kollegen der SPD vertreten das nach wie vor - weiter für bundesweite Standards in einem Kitaqualitätsgesetz . Das heißt, dass wir uns, was die Fachkraft-Kind-Relation anbetrifft, annähern müssen. Da muss es bundesweite Standards geben . Dies gilt auch für Leitungsfreistellungen und gute Essensversorgung . Des Weiteren muss es vernünftige Standards geben, was Raumkapazitäten und Außenbereiche angeht, usw . Diesen Prozess muss man vorantreiben . Den kann man nicht nur ankündigen . Inzwischen ist es so, dass man das machen muss . Im Grundgesetz ist von gleichwertigen Lebensverhältnissen in Deutschland die Rede . Das muss auch für die Allerjüngsten umgesetzt werden . Ich sage Ihnen jetzt einmal, was Brandenburg gemacht hat . Bevor Rot-Rot an die Regierung kam, hat dort eine große Koalition regiert . Die hat den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz geschliffen. Das geschah, bevor der Bundes-Rechtsanspruch kam . Wir haben diesen Rechtsanspruch wiederhergestellt, und wir haben die Kitaqualität im Land deutlich verbessert . Das rot-rot regierte Brandenburg wird 2019, wenn zehn Jahre Regierungszeit vergangen sind, 1 Milliarde Euro mehr in die Verbesserung des Betreuungsschlüssels investiert haben . Wir haben im Land 3 000 Erzieherinnen und Erzieher - nur zur Verbesserung des Betreuungsschlüssels - zusätzlich eingestellt . Sie brauchen in diesem Zusammenhang nicht über Glaubwürdigkeit zu reden . Die Länder tun so etwas zum Teil, manchmal auch - was sehr bedauerlich ist gegen die Widerstände vonseiten der SPD . Zweitens. Es werden 100 000 neue Plätze geschaffen. Für diese 100 000 neuen Plätze fehlen aber die Erzieherinnen . Faktisch haben wir heute keine Erzieherinnen für diese 100 000 Plätze . Das heißt, dass wir über den Erzieherberuf sowie über eine Aufwertung desselben reden müssen . Wir müssen darüber reden, wie die Erzieherinnen für diese Plätze ausgebildet werden sollen . Ich sage Ihnen noch einmal: Das wird nicht gehen, indem sich die Länder weiter herausmogeln und die Kommunen neue Berufsbilder - wie in Bayern die Fachkraft für Mittagsbetreuung; das wird über die Bundesagentur mit einem Weiterbildungsbedarf von 40 Stunden gefördert erfinden. Vielmehr brauchen wir in den Kindertagesstätten staatlich anerkannte Erzieherinnen und Erzieher mit einer ordentlichen Ausbildung . Das sind wir den Familien schuldig . Das heißt aber auch, den Beruf aufzuwerten, ihn für Männer attraktiver zu machen . ({3}) Das heißt aber auch, diesen Beruf endlich besser zu bezahlen . Da kann man nur noch einmal die Forderungen aus dem Streik der Angehörigen der Erziehungsberufe im letzten Jahr wiederholen: Wir brauchen eine deutliche - auch finanzielle - Aufwertung des Berufsbildes, damit mehr Menschen diesen Beruf ergreifen . Die brauchen wir nämlich in den Kitas . Des Weiteren werden wir darüber reden müssen - eigentlich müssen wir das umsetzen -, dass der ErzieherNorbert Müller ({4}) beruf als Mangelberuf ausgewiesen wird, um ihn auch handhabbarer zu machen . Es kann doch nicht sein, dass wir überall im Land Kitas haben, die aber keine Erzieher finden. Diese Kitas können niemanden einstellen. Die Bundesagentur aber meldet immer, dass es keinen Bedarf gibt . Da passen Realität und das, was hier oben diskutiert wird, längst nicht mehr zusammen . Wir brauchen die Einstufung des Erzieherberufes als Mangelberuf . ({5}) Drittens . Wir brauchen den Einstieg in die Beitragsfreiheit . Ich habe das bis jetzt nicht gesagt, aber der Kollegen Weinberg hat es ja von selber angesprochen . Ich sage ihm aber jetzt noch einmal deutlich: Wir brauchen den Einstieg in die Beitragsfreiheit . ({6}) Warum? Wir brauchen ihn nicht, weil wir Menschen nur einfach so von den Beiträgen entlasten wollen . Nein, Kinderbetreuung ist eine Bildungsaufgabe . Und so, wie wir kein Schulgeld mehr haben, ist es auch völlig richtig, dass frühkindliche Bildung beitragsfrei sein muss . Deswegen brauchen wir den Einstieg in die Beitragsfreiheit . Den werden wir nicht von heute auf morgen bekommen . Aber das rot-rot regierte Brandenburg sowie auch andere Länder mit Regierungsbeteiligung von Linken, Grünen und SPD - zum Teil betrifft das auch, wie in Berlin oder Hamburg, die CDU - haben sich auf den Weg gemacht, die Beitragsfreiheit umzusetzen . Zu gleichwertigen Lebensverhältnissen gehört, diese Beitragsfreiheit in ganz Deutschland umzusetzen . Dafür brauchen wir erste Schritte . ({7}) Wir stimmen heute diesem Ausbauprogramm zu, aber wir werden nicht feiern, weil im Bereich der Kitas nicht alles gut ist und weil die Aufgaben, vor denen wir stehen, größer als das sind, was wir gerade bewältigen . Herzlichen Dank . ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Wir kommen zum nächsten Redner . Das ist Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werter Herr Müller, ich weiß nicht, wo Sie in den letzten Jahren gewesen sind. Ich finde es schon sehr skurril, dass wir im Deutschen Bundestag jetzt ein viertes - viertes! - Investitionsprogramm für den quantitativen und qualitativen Ausbau im Kitabereich - für eine Aufgabe, für die wir originär gar nicht zuständig sind auf den Weg bringen . ({0}) Bei allem Respekt: Hier werden - das ist der erste Punkt - 1,126 Milliarden Euro für eine Aufgabe der Länder ausgegeben . Das ist eine originäre Aufgabe der Länder, die ich an dieser Stelle herzlich bei der Debatte begrüße . Sie werfen der Ministerin - ich hätte mir auch nicht vorgestellt, dass ich jetzt die SPD in Schutz nehmen muss; das ist aber so - vor, sie würde der Erfüllung der Aufgaben wie ein Igel hinterherhecheln . Das ist natürlich völlig falsch . Ich darf im Übrigen an eines erinnern: Seit wir mit dem Kitaausbau angefangen haben, gibt es eine kontinuierliche, gerade Linie des Ausbaus in Bezug auf Qualität und Quantität . Beim Bund sehen wir sie seit 2005 - ups, seit dem Regierungswechsel 2005 . Wenn Sie dann schauen, wie sich die Nachfrage entwickelt hat, dann stellen Sie fest: Es fing einmal mit 32 Prozent im Krippenbereich an, dann waren es 35 Prozent, dann 38 Prozent . Heute liegt die Nachfrage bei 42 Prozent . Wir decken aber bereits eine Nachfrage von nahezu 35 Prozent ab . Natürlich hinken wir immer etwas hinterher . Das ist aber auch klar . Man muss wissen, dass man beim Kitaausbau sozusagen immer ein, zwei, drei oder vier Jahre hinterherhinkt . Trotzdem können wir, glaube ich, stolz darauf sein, dass der Bund dieses Geld zur Verfügung stellt und damit die Länder entlastet . ({1}) Zum zweiten Punkt Ihrer Kritik, zur Höhe der Beiträge. Wir haben dieses Thema hier ja häufig diskutiert. Sie werden demnächst 30 Milliarden Euro für die Beitragsfreiheit aufrufen . Ich weiß nicht, wie hoch die Beiträge in Thüringen sind . Das können Sie mir gerne einmal verraten . Wahrscheinlich haben Sie die Beitragsfreiheit in Thüringen schon erreicht . Ich will einmal aus der Anhörung, aus der Sie auch zitiert haben, eine Passage der Stellungnahme des Deutschen Vereines für öffentliche und private Fürsorge zitieren: Angesichts der schwierigen Haushaltslage in den Kommunen und der bereits bestehenden Beitragsstaffelung nach sozialen Kriterien ist eine Freistellung von Eltern, die durchaus in der Lage sind, die Beiträge zu zahlen, nicht prioritär . Dem können wir nichts hinzufügen . Das ist genau richtig so . Deswegen sage ich: Erst einmal die Quantität ausbauen, dann die Qualität erhöhen, bevor wir uns irgendwann einmal sicherlich auch über Beitragsfreiheit unterhalten können . Aber das kann keine Priorität sein, solange Menschen weiter Kitaplätze suchen . Ein weiterer Punkt, der auch angesprochen wurde, ist die Frage der Qualität . Wir sind der Meinung, dass dies ein Prozess ist, bei dem die Länder, die im föderativen System diese Aufgabe originär haben, gemeinsam mit dem Bund zu einer Lösung kommen müssen . Dieser Prozess ist durchaus gut angelegt, wenn man sagt, dass man das gemeinschaftlich macht . Auch ich hätte mir gewünscht, dass das eine oder andere Bundesland bei der Frage, wie man diesen Prozess entwickelt bzw . ob man ein Entwicklungsgesetz auf den Weg bringt, zustimmt . Da sind wir auch nicht abgeneigt - das sage ich ganz deutlich -, weil wir wollen, dass Standards gesetzt werden . Aber ich glaube, es ist richtig, dass wir das in der Norbert Müller ({2}) Freiwilligkeit der Länder belassen, weil diese letztendlich für den Ausbau verantwortlich sind . Wenn Sie die Geschichte des Kitaausbaus seit 2005 betrachten, dann stellen Sie fest, dass das eine Erfolgsgeschichte ist . Dass wir jetzt noch einmal über 1 Milliarde Euro investieren, ist richtig . Dass wir den Fokus auf die Betreuung von Schulkindern erweitern wollen, ist richtig, weil das der Wunsch der Eltern ist . Die Forderung der Eltern ist: Wir wollen nicht nur bis zum sechsten Lebensjahr unseres Kindes eine gute Ganztagsbetreuung, sondern wir wollen auch darüber hinaus eine Ganztagsbetreuung haben . Insofern ist es, glaube ich, richtig, hier auch diese Erweiterung mit Blick auf Schulkinder anzustreben . Nächster Punkt . Auch die Erweiterung war richtig . Es war richtig, dass wir gefragt haben: Wie sieht es denn aus mit Gesundheitsförderung? Wie sieht es aus mit Familienangeboten? Auch hier kann man, glaube ich, den Ausbau insoweit als Erfolg bezeichnen, als es gelungen ist, auch diese Maßnahmen zu finanzieren. Nun hatte der Bundesrat ja in seiner Stellungnahme drei Wünsche geäußert . Ich habe bei der Debatte zur ersten Lesung schon ganz deutlich gesagt: Mit zwei Wünschen haben wir ein Problem . Wenn wir feststellen, dass Bedarf besteht und dass dieser Bedarf weiterhin vorhanden ist, und wir noch einmal 100 000 neue Plätze schaffen wollen, dann kommt es doch darauf an, dass wir neue Plätze schaffen . Das heißt, wenn wir Geld investieren, muss die erste Voraussetzung immer sein, dass neue Plätze geschaffen werden . Die zweite Voraussetzung muss sein, dass die Länder sich daran beteiligen . Wir werden nicht zu 100 Prozent den Ausbau von Kitaplätzen übernehmen . Das ist nicht unsere Aufgabe, und deswegen werden wir dies auch nicht mittragen . Was wir als Große Koalition mittragen, ist die Entscheidung, die Frist dafür zu verlängern . Ich glaube, dass es sinnvoll und in Ordnung ist, dass wir durch eine Fristverlängerung bis zum 31 . Dezember 2019 für die Länder die Möglichkeit schaffen, ihre Ausbauoption weiterzuentwickeln . Insoweit, glaube ich, können wir in der Großen Koalition sagen, dass wir im Hinblick auf diese Ausbaukapazitäten gut gearbeitet haben . Außerdem ist ja noch etwas passiert . Kitaausbau und Qualitätsausbau heißt ja auch, dass wir schauen - Stichwort „KitaPlus“ -: Wo haben wir denn Maßnahmen ergriffen, bei denen es um die Themen Integration, Sprache oder um Randzeiten geht? Der Kitaausbau und die Qualitätssicherung im Kitabereich sind ja wie ein Mosaik, bei dem einzelne Elemente zusammengreifen müssen . Ich glaube, wir müssen auch betrachten, dass diese einzelnen Punkte, die wir entwickelt haben, jetzt als solche Wirkung entfalten und den Bedarf der Eltern auch abdecken . Die Betreuungsquote - das habe ich bereits gesagt - liegt 2016 bei 32,7 Prozent und kommt von 13,6 Prozent im Jahre 2006 . Man muss sich einmal vorstellen, was in diesen Jahren passiert ist . Herr Müller, ich weiß, dass es Ihre Aufgabe als Oppositionspolitiker ist, auch ein bisschen zu schimpfen . Aber ich würde mir von Ihnen bzw . der Linken ein bisschen mehr Respekt vor der Aufbauleistung in diesem Bereich wünschen, zumal Sie da, wo Sie Verantwortung tragen, auch in Teilen versagen . ({3}) Sie haben die Qualität angesprochen . Nun muss ich leider die SPD doch noch einmal mit in Haftung nehmen . Wenn ich mir überlege, wie die Bundesländer, die von Linken mitregiert werden, mit der Frage des Fachkräftemangels bei Erziehern umgehen, dann kann ich nur sagen: Not macht erfinderisch, aber auch anspruchslos. In Berlin werden beispielsweise die Anforderungen an das Kitapersonal gesenkt . Sie wollen, dass Sozialassistentinnen demnächst als volle Kräfte angerechnet werden . Ich kann aus meinem eigenen Umfeld berichten . Mir wurde gesagt: Dann sind wir bald gar nichts mehr wert . - Da haben Sie Verantwortung . Hier in Berlin können Sie das verhindern, indem Sie einmal das umsetzen, was Sie hier groß verkünden, nicht nur Wolken hin- und herschieben, nicht nur Schein - Schein hat mehr Buchstaben als Sein -, sondern wir erwarten, dass Sie dort, wo Sie Verantwortung übernehmen, auch einmal handeln . Ich erwarte nach Ihrer Rede von Ihnen, dass es demnächst hier eine Erklärung gibt, dass Sie in Berlin Fachkräfte im Bereich der Kindertagesbetreuung vernünftig behandeln . ({4}) 3,28 Milliarden Euro haben wir schon investiert, plus 1,1 Milliarden Euro obendrauf . Frau Künast, als Sie noch regiert haben, haben Sie in diesem Bereich von solchen Investitionen geträumt . ({5}) Zusätzlich - das wurde auch angesprochen - geben wir den Ländern dauerhaft Geld - mittlerweile sind es 945 Millionen Euro - für die Betriebskosten . SprachKitas, „KitaPlus“ - also die Betreuungszeiten flexibler zu gestalten und den Schwerpunkt gerade bei Integration zu setzen -, habe ich gerade angesprochen . Deswegen müssen Sie sich die Frage stellen: Warum ist der Bedarf so gestiegen? Frau Schwesig hat gesagt, eine gute Familienpolitik wirkt auch nachhaltig . Frau Brantner, wir beide freuen uns, denn wir bekommen wieder mehr Kinder; also nicht wir, sondern die Gesellschaft ({6}) bekommt mehr Kinder . Endlich einmal mehr Kinder . Das heißt, endlich ist der Paradigmenwechsel erfolgt, dass wir in Deutschland zum einen mehr Kinder bekommen . Zum anderen haben wir natürlich eine starke Nachfrage, weil wir bei der Bewältigung der Flüchtlingsaufgabe auch den Bereich der Kindertagesbetreuung sehen müssen . Deswegen sind die Anforderungen auch so gestiegen, zum Teil dramatisch gestiegen . Aber die Länder bekommen nicht nur ihre Entlastung im Kitabereich, sondern sie bekommen die Entlastung auch in anderen Bereichen, zum Marcus Weinberg ({7}) Beispiel bei der Frage, wie die Kommunen dieses machen können . Im Übrigen will ich auch darauf verweisen, dass wir nicht nur und ausschließlich über den Bereich der Kindertagesbetreuung reden . Es war für die Union damals ein zentraler Punkt, zu sagen: Ob das Kind in der Kindertagesstätte betreut wird oder bei der Tagespflege, sollten die Eltern entscheiden . Es gibt ja so etwas wie die Freiheit der Eltern . - Deshalb haben wir auch die Qualifizierung der Tagespflege vorangetrieben, auch mit der Konsequenz, dass die Qualitätssteigerung im Bereich der Kindertagespflege immens ist. Das wird auch eine Aufgabe für die Zukunft sein, bei der wir sagen, dass wir bei allem Respekt vor der Bedeutung der Kindertagesstätten nicht die Qualifizierung und die Arbeit von Erzieherinnen in der Tagespflege außer Acht lassen, also die Qualität auch vor Ort steigern . Bei der Qualitätsentwicklung bin ich sehr optimistisch . Die Handlungsfelder, die jetzt erarbeitet wurden, sind definiert worden: Fachkraft-Kind-Schlüssel, Qualifizierung von Fachkräften, Schwerpunkt Leitung oder auch räumliche Gestaltung . Diese Handlungsziele liegen also auf dem Tisch . Deswegen sage ich: Seit 2005 gibt es einen Bereich, bei dem wir sagen, dieser Punkt hatte Priorität . Den haben wir erfolgreich weiter aufgebaut . Den werden wir auch in den nächsten Jahren weiter aufbauen, zumindest wenn wir Regierungsverantwortung übernehmen . Deswegen glaube ich, Herr Müller, bei allem Respekt vor Ihrer Arbeit als Oppositionspolitiker: Wenn Sie sich ernsthaft diesen Bereich in den letzten zwölf Jahren anschauen, dann erkennen Sie: Es ist tatsächlich eine Erfolgsgeschichte . Die zusätzlichen 100 000 Plätze sind ein weiterer Schlüssel, es ist bereits das vierte Programm . Deswegen sind wir froh und glücklich, dass wir das heute so beschließen können . Ich würde mir wünschen, dass wir möglicherweise über ein fünftes und sechstes Programm die nächsten Ziele anstreben . Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Dr . Franziska Brantner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort . ({0})

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das können Sie doch erst nach der Rede sagen . Das können Sie nicht vor der Rede sagen! ({0}) - Oh . Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren heute über Kindertageseinrichtungen, Kindertagespflege und über die Gelder vom Bund dafür. Herr Weinberg, Sie haben gerade gesagt: Das war bis jetzt eine Erfolgsgeschichte . Wir stimmen aber heute nicht über die Vergangenheit ab, sondern darüber, was in der Zukunft kommt . Hier ist das Problem, dass es in Deutschland für die Kitas einen Qualitätsaufbruch bräuchte . Diesen Aufbruch haben wir heute leider nicht vorliegen . Bei uns im Ländle würde man sagen: nicht einmal ein Aufbrüchle . Das ist gar nichts . Das ist nicht einmal das Minimum . Es ist extrem schade, dass wir diesen Aufbruch nicht weitermachen, dass wir diese Erfolgsgeschichte nicht fortführen können . ({1}) Es hätte zu dem Aufbruch kommen können, ist es aber nicht . Es ist natürlich immer noch besser, 100 000 Plätze zusätzlich zu bekommen als keine . Es ist auch besser, dass über Dreijährige mit gefördert werden können . Auch eine Raumgestaltung ist positiv . Aber jetzt schauen wir uns doch einmal an, worum es eigentlich momentan geht . Sie sagen: Wir haben in den nächsten vier Jahren Geld für 100 000 zusätzliche Plätze . - In der gemeinsamen Anhörung haben alle Experten gesagt - es gab nicht einen, der etwas Gegenteiliges gesagt hat -: Das reicht hinten und vorne nicht . - Wir haben die Zahl schon gehört: 350 000 zusätzliche Plätze werden eigentlich gebraucht . - Für 100 000 Plätze wollen Sie Geld bereitstellen . Das heißt, wir haben da schon eine Lücke von 250 000 Plätzen, und da ist noch nicht einmal eingerechnet, dass alle Flüchtlingskinder in die Kitas kommen und hoffentlich mehr Kinder geboren werden. Das heißt, wir haben eine Lücke beim Ausbau . Dann haben wir noch nicht über die Steigerung der Qualität gesprochen, dann wird noch kein Cent für mehr Erzieherinnen, geschweige denn für eine bessere Bezahlung von Erzieherinnen zur Verfügung gestellt . Frau Schwesig, wenn Sie mir sagen, dass es Länder gibt, die da skeptisch sind, dann kann ich nur sagen: Ja, natürlich! Wenn die Länder wissen, dass das Geld für die nächsten vier Jahre nicht einmal für den Ausbau, geschweige denn für die Steigerung der Qualität reicht, dann ist ihre Bereitschaft nicht so hoch, gemeinsam Gesetze zur Qualität zu machen . ({2}) Es ist klar, dass der Bund da mit in die Verantwortung muss . Diese Verantwortung übernehmen Sie nicht, und dann beschweren Sie sich und schieben es auf die Länder . So geht das nicht . Sie sind hier an der Regierung, Sie müssen ein Zeichen setzen . ({3}) Marcus Weinberg ({4}) Das ist Ihre Verantwortung . Das ist kein Angebot . ({5}) Was wir hinsichtlich der Qualität brauchen, ist klar es liegt auf dem Tisch -: Es geht darum, dass Erzieherinnen und Erzieher mehr Zeit für die Kinder haben . Man kann eine Geschichte nicht schneller vorlesen, man braucht dazu Zeit, und davon hängt so viel ab . Die Erzieherinnen und Erzieher sind Vorbilder, Mentorinnen, Spielkameraden - sie sind so viel für unsere Kinder . Und wir wissen: Diese Zeit ist für die Kinder das Wichtigste . Wenn sich keine persönlichen Beziehungen entwickeln, dann leidet darunter die Qualität . Deswegen wollen wir endlich regeln, dass sich in der Betreuung der unter Dreijährigen eine Erzieherin oder ein Erzieher um drei Kinder kümmert - wenn sie älter sind, können es ein paar mehr Kinder sein . Das ist das, was wir gesetzlich regeln wollen . Natürlich kostet das Geld, und da muss sich auch der Bund in die Pflicht nehmen lassen. ({6}) Zu Ihrem Antrag. Wir hören in der Öffentlichkeit von Frau Schwesig, von der SPD - immer wieder etwas zur Beitragsfreiheit . Natürlich ist sie langfristig unser aller Ziel . Wir haben bei den Kitas aber eine Lücke von 250 000 Plätzen, wir haben also nicht einmal ausreichend Plätze, noch nicht genügend Qualität . Ich sage Ihnen jetzt ganz offen: Bevor es dazu kommt, dass ich als Abgeordnete keinen Beitrag mehr leisten muss, möchte ich, dass erst einmal das Gehalt der Erzieherinnen steigt . ({7}) Das ist meine ganz klare Priorität . Ich möchte erst einmal, dass es gute Betreuungsplätze gibt und dass die Erzieherinnen besser bezahlt werden . Wenn ich am Ende keinen Beitrag mehr zahlen muss - von mir aus! Aber das ist nicht erste grüne Priorität . ({8}) Und wenn Sie, Frau Schwesig, obwohl Sie in der Regierung sitzen, es nicht einmal schaffen, den Ausbau voranzubringen, und dann draußen die Beitragsfreiheit versprechen, dann finde ich das echt ziemlich frech. ({9})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Sönke Rix für die SPD das Wort . ({0})

Sönke Rix (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003830, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Frech“ ist es vielleicht auch manchmal, wenn man vergisst, dass man als Mitglied der Regierung auch eine Gesamtverantwortung tragen muss und vielleicht nicht immer eins zu eins das vertreten kann, was die eigene Partei vertritt . Wenn man schon gegen Beitragsfreiheit wettert oder ihre Einführung nicht als Priorität ansieht ({0}) - ich weiß auch nicht, wer davon gesprochen hat, dass die SPD es als erste Priorität ansieht, die Beitragsfreiheit einzuführen; das hat hier niemand behauptet, Frau Brantner -, dann muss man angesichts dieser Frechheit vielleicht auch frech nachfragen, wie es eigentlich in den einzelnen Landesregierungen gelaufen ist, die die Beitragsfreiheit in Schritten eingeführt haben: Sind da die Grünen eigentlich gar nicht in der Verantwortung gewesen? ({1}) Haben sie das alles eigentlich immer nur zulasten der Qualität und der Bezahlung der Erzieherinnen und Erzieher umgesetzt? ({2}) Diesen Vorwurf würde ich als Vertreter der Grünen in Hamburg, in Rheinland-Pfalz oder in anderen Ländern zurückweisen; ich glaube, das würden Ihre Kolleginnen und Kollegen nicht auf sich sitzen lassen . Das haben diese Landesregierungen nämlich auch nicht getan, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({3}) Wie gesagt: Wir haben uns gar nicht die Priorität gesetzt, als Erstes die Beitragsfreiheit zu erreichen . Das hat nie jemand behauptet - weder Herr Schulz noch die Kollegen der Linken noch Frau Schwesig noch ich machen das . Wir wollen, dass das auch in die Diskussion eingebracht wird, dass es Bestandteil der Debatte darüber wird, wie man Familien entlasten kann und wie man in dem Zusammenhang mit der Kita umgeht . Da gehört Beitragsfreiheit genauso dazu wie der Qualitätsausbau und die bessere Bezahlung von Erzieherinnen und Erziehern . Ich will nicht, dass diese Punkte gegeneinander ausgespielt werden . ({4}) In anderen Bereichen machen wir das doch auch nicht . Im Übrigen ist gerade die Opposition schnell dabei, alles auf einmal zu fordern . ({5}) Wir haben eben gehört, was wir noch alles machen sollten . Ich frage mich, warum die Themen „Kinderbetreuung“ und „Entlastung von Familien“ gegeneinander ausgespielt werden . Genau an dieser Stelle sollten wir das nicht tun, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({6}) Lieber Kollege Weinberg, lieber Marcus, ich erinnere an die Positionierung der CDU Niedersachsen. Sie findet, dass die Beitragsfreiheit für Kitas durchaus auf die Tagesordnung gesetzt und umgesetzt werden sollte . Das ist eines der Wahlversprechen der CDU Niedersachsen; als Land ist man ja auch dafür zuständig. Ich finde, das ist von der CDU Niedersachsen keine schlechte Idee . Vielleicht sollte man bei den Grünen und bei der CDU erst einmal in den eigenen Reihen klären, wie man mit dem Thema umgehen will . ({7}) - In Berlin würde es sogar mit der CDU umgesetzt; schönen Dank für den Hinweis . Dann möchte ich darauf hinweisen: So zu tun, als ob wir auf Bundesebene nichts für die Qualitätssteigerung getan haben, ist auch eine Frechheit . Was ist denn zum Beispiel mit den Sprachkursen, die wir unterstützen? Hat das nichts mit Qualität zu tun, wenn wir die Sprachförderung in Kindertagesstätten unterstützen? Natürlich führt das zu einer Qualitätssteigerung . Das außer Acht zu lassen, ist nicht fair, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({8}) Noch zu der Frage: Könnten wir nicht noch viel mehr als das jetzige Programm umsetzen? Es hat keiner gesagt, dass das das letzte Programm ist, mit dem wir den Ländern und Kommunen Mittel für die Kitas zur Verfügung stellen . Wir stellen die größte Summe zur Verfügung, die es jemals für diesen Bereich gab . Wir tun das auch gerne . Natürlich kommen noch weitere Programme hinzu . Wir werden auch weiterhin Mittel für Kindertagesstätten zur Verfügung stellen . So zu tun, als ob das das Einzige ist, was wir jemals gemacht haben, ist nicht richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen . Es werden noch weitere Schritte folgen . Dafür hat sich auch Herr Rauschenbach ausgesprochen . Er hat ja nicht gesagt, das vorliegende Programm reiche nicht aus und das sei zu kritisieren; vielmehr hat er gesagt, er gehe davon aus, dass es auch in Zukunft weitere Programme geben werde, und natürlich wird es in Zukunft weitere Programme geben . Dann wurde noch kritisiert, warum eine Verlängerung des Programms vereinbart wurde . Das ist auf Forderung der Länder passiert . Das ist nicht passiert, weil wir uns das irgendwie ausgedacht haben . Von daher ist es auch richtig, dass wir das Programm verlängern . ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle hier haben bekundet, dass sie dem Gesetzentwurf zustimmen . In der Debatte hörte es sich nicht ganz so an, als ob wir einer Meinung sind . Ich bin aber froh, dass wir einer Meinung sind, sodass wir dem Gesetzentwurf geschlossen zustimmen werden . Nicht nur die Erzieherinnen und Erzieher, sondern auch die Familien und die Kinder haben es verdient, dass wir ein eindeutiges Signal aussenden . Wir gehen die Vorhaben gemeinsam an . Es muss aber auch klar sein, dass das Gesetz nur ein weiterer Schritt ist . Wir regeln damit nur einen Teil dessen, was wir gemeinsam mit Ländern und Kommunen leisten . Es müssen weitere Schritte folgen, aber nicht nur von uns, sondern auch von den zuständigen Ebenen . Herzlichen Dank . ({10})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Maik Beermann für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Maik Beermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004250, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren, auch auf den Tribünen! Sir Winston Churchill sagte einst: Es ist einfacher, eine Nation zu regieren, als vier Kinder zu erziehen . Deswegen möchte ich mich gleich zu Beginn meiner Rede den lobenden Worten der Ministerin anschließen . Diese anerkennenden Worte für jene, die sich um die Erziehung kümmern, zeigen den enormen Anspruch an eine gute Betreuung eines jeden Kindes . Das gilt für die Erzieherinnen und Erzieher, aber auch für die Eltern zu Hause . ({0}) Wir haben in dieser Legislaturperiode viel gemacht . Um den Bedürfnissen von Eltern immer besser gerecht zu werden, haben wir unter anderem bereits in der vorletzten Legislaturperiode unter der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen das Elterngeld eingeführt und in dieser Legislaturperiode zum Elterngeld Plus weiterentwickelt . ({1}) - Warten Sie ab! - In meinen Augen ist das ein Wendepunkt in der Familienpolitik . Durch diese Regelung haben Eltern die Möglichkeit, die Zeit mit ihrem Kind ganz individuell zu gestalten . Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung Familienzeitpolitik und somit ein gesamtgesellschaftlicher Gewinn . Nicht zuletzt die steigenden Geburtenzahlen seit 2010, die aus unserer Sicht durchaus mit dem Elterngeld zusammenhängen, erfordern einen Ausbau des Betreuungsangebotes . Dessen sind wir uns in der Unionsfraktion und in der Koalition bewusst . Die richtigen Rahmenbedingungen für diesen Ausbau werden im heute zur Abstimmung vorgesehenen Gesetzentwurf aufgezeigt: 100 000 zusätzliche Betreuungsplätze für den Kitabereich und für die Kindertagespflege bis zur Einschulung; dafür 1,126 Milliarden Euro bis zum Jahr 2020 . Meine Damen und Herren, an dieser Stelle möchte ich deutlich sagen: Ich fordere die Länder auf, keine klebrigen Finger zu bekommen, sondern die Unterstützung, die wir hier auf den Weg bringen, eins zu eins an die Kommunen weiterzuleiten . ({2}) Wir Abgeordnete des Deutschen Bundestages sollten genau hinsehen und prüfen, ob diese Gelder da ankommen, wo sie dringend benötigt werden . Ich jedenfalls werde das in meinem Wahlkreis, im Schaumburger Land und im Landkreis Nienburg, tun. Ich hoffe, Sie tun das Gleiche. Aber auch die Länder müssen ihrer Verantwortung nachkommen . Sie können nicht immer nur die Hände aufhalten und nach mehr Geld vom Bund schreien . Bei der Kinderbetreuung handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der Bund, Länder und Kommunen gemeinsam in der Verantwortung stehen . Wir als Union haben uns immer wieder für die Kommunen eingesetzt und starkgemacht . Wir haben gemeinsam mit dem Koalitionspartner Förderungen und Entlastungen in Milliardenhöhe geleistet . Insgesamt hat der Bund seit 2007 rund 8 Milliarden Euro allein in den Ausbau und die Betriebskosten der Betreuungseinrichtungen investiert . Das muss und darf von den anderen Sektoren einfach einmal anerkannt werden . ({3}) Noch ein Thema, über das in der Öffentlichkeit derzeit immer wieder diskutiert wird, ist mir wichtig - wir haben das auch heute hier gehört; im Entschließungsantrag der Linken wird das sogar gefordert -: die Beitragsfreiheit für den Besuch einer Kita . Meine sehr verehrten Damen und Herren, verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Alle Kinder sollen die Möglichkeit haben, in eine Kita zu gehen . Das sind wir unseren Familien schuldig . Diese Aufgabe steht auch im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Chancengleichheit . Aber muss alles, was heute staatlich angeboten und organisiert wird, kostenlos bzw . beitragsfrei sein? Kein Kind darf aufgrund sozialer Umstände benachteiligt oder ausgeschlossen werden . Darüber sind wir uns hier im Hohen Haus, glaube ich, alle einig . Auf der anderen Seite kann die Forderung aber nicht lauten: Mehr Plätze, mehr Fachpersonal, mehr Qualität, und das alles am besten frei von jeglichen Kosten . Das passt nicht zusammen. Das steht nach Auffassung der CDU/CSU auch in klarem Widerspruch zur Verantwortung gegenüber der nachfolgenden Generation, weil irgendwer das irgendwann bezahlen muss . Gerecht ist, wenn jeder das leistet, was er leisten kann . Selbstverständlich sollten Elternbeiträge sozialverträglich angepasst werden . Elternbeiträge, die nach Gehaltseinkommen gestaffelt sind, gibt es bereits vielerorts. Vielleicht ist das ein Modell der Zukunft . Die Länder und Kommunen sollten hier noch einmal genau hinschauen; denn auch die Gebühren oder Beiträge für den Kitabesuch sind Angelegenheit der Länder und der Kommunen . Meine Befürchtung ist, dass die Beitragsfreiheit einhergehen würde mit Qualitätsabstrichen bei der Betreuung . Auch Befragungen von Eltern haben deutlich ergeben, dass ihnen die Qualität der Betreuung ihrer Kinder wichtiger ist als die Abschaffung von Kitabeiträgen. Das sollte man an dieser Stelle auch einmal berücksichtigen . ({4}) Ein zentrales Qualitätskriterium ist aus unserer Sicht das haben wir vorhin schon gehört - ein guter Personalschlüssel; denn nur ein guter Personalschlüssel ist ein maßgeblicher Garant für gute Erziehung, Betreuung und Bildung . Es gibt große regionale Unterschiede . In Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise ist der Personalschlüssel bei der Betreuung von Kindern über drei Jahren fast doppelt so hoch wie, Frau Brantner, in Baden-Württemberg . Was wir brauchen, sind einheitliche Qualitätsstandards in den Ländern . Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ansprüche an die Art der Betreuung eines Kindes sind so unterschiedlich wie die Familien selbst . Mehr Flexibilität ist auch hier gefragt. Ein Lösungsansatz kann die Kindertagespflege sein, ein anderer Betriebskitas . Ich hatte gestern Abend eine interessante Diskussion mit einer erfolgreichen Unternehmerin aus Berlin . Wir haben uns eigentlich über den Bereich der Digitalisierung unterhalten . Irgendwann erwähnte sie beiläufig, dass sie vor einigen Jahren versucht hat, in ihrem Unternehmen eine Betriebskita zu installieren, was aber von den Behörden abgelehnt wurde . Über die Details haben wir uns noch nicht unterhalten; das werden wir aber noch tun . Was wollte sie damit erreichen? Sie wollte auf der einen Seite unterstützen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrem Unternehmen flexibel sein können. Auf der anderen Seite wollte sie ihr Unternehmen durch diesen Mehrwert für potenzielle zukünftige Mitarbeiter attraktiver machen . Deswegen wäre es mein Wunsch, liebe Frau Ministerin, dass wir uns entscheiden, das Förderprogramm für die Betriebskitas, das in diesem Sommer ausläuft, nicht auslaufen zu lassen und uns über eine Verlängerung zu unterhalten . Gleichzeitig sollten wir aber auch schauen, ob die Parameter und Stellschrauben, die damals so festgelegt wurden, aktuell noch die richtigen sind oder ob wir da Handlungsbedarf haben . Denn erst die Vielfältigkeit der Angebote schafft Flexibilität und ermöglicht den Eltern eine freie und selbstbestimmte Entscheidung; diese brauchen sie . Aber auch die Digitalisierung wird in der Zukunft wir leben ja schon in einer sehr stark digitalisierten Welt - immer mehr Chancen bieten . Arbeit wird sich verändern . In der nächsten Legislaturperiode werden wir uns hier über ganz andere Herausforderungen und über ganz andere Modelle unterhalten . Eines ist dabei aus meiner Sicht allerdings klar: Das Thema Selbstbestimmung bzw . Wahlfreiheit der Familien steht für die Union eindeutig an erster Stelle . Ich bin stolzer Vater einer fast dreijährigen Tochter . Weil ich mir um die Zukunft unseres Landes bewusst bin und in den letzten Monaten sehr fleißig war, kommen in wenigen Wochen noch zwei weitere Kinder dazu . ({5}) Wir erwarten in den nächsten Wochen Zwillinge . Weil wir schon so viel über Quoten gesprochen haben: Drei Kinder in einer Legislaturperiode - das ist doch auch eine gute Quote . ({6}) Ich möchte damit aber eigentlich sagen, dass man sich, wenn man vor einer solchen Herausforderung steht, natürlich die Frage stellt: Wie geht man mit der Betreuung um? Wie stellt man sich da auf? Wie macht man das? Meine Frau hat sich damals, als unsere erste Tochter geboren wurde, dafür entschieden, unsere Tochter in ihren ersten Lebensjahren selbst zu begleiten und die Erziehung zu übernehmen . Ich unterstütze sie dabei, wo ich kann . Aber Sie wissen genauso gut wie ich: Wir Abgeordnete sind viel unterwegs . Da fehlt manchmal die Zeit, und wir sind nicht so oft zu Hause . - Deswegen habe ich höchsten Respekt für jene, die sich ganz bewusst dafür entscheiden, ihre Kinder zu Hause zu erziehen und nicht in eine staatliche Betreuung zu geben . ({7}) Wir haben aber - das möchte ich fairerweise auch sagen - das große Glück, dass wir mit drei Generationen unter einem Dach leben und meine Eltern uns unterstützen, wo sie können . Meine Schwiegereltern wohnen in unmittelbarer Nähe . Auch sie unterstützen uns da, wo sie können . ({8}) - Genau, das hat eben nicht jeder . - Damit möchte ich sagen, liebe Frau Kollegin: Regelungen, die die Freiheit der Familiengestaltung beeinflussen oder nur ein ganz bestimmtes Familienmodell fördern, lehnen wir ab . Für uns hat eine echte Wahlfreiheit bei familienpolitischen Überlegungen oberste Priorität . ({9})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Beermann, jetzt ist Ihre Wahlfreiheit abgelaufen . Sie haben die Redezeit wirklich deutlich überschritten .

Maik Beermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004250, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss . - Wir sagen den Familien: Wir lassen euch in Ruhe, aber niemals im Stich . Deswegen freue ich mich, dass wir heute ein wichtiges Gesetz auf den Weg bringen, dem alle Fraktionen zustimmen . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ansonsten haben Sie natürlich jede Wahlfreiheit . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Schluss dieser Aussprache . Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum weiteren quantitativen und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung . Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12158, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11408 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Stimmt jemand dagegen? - Das ist nicht der Fall . Enthält sich jemand? - Das ist auch nicht der Fall . Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen worden . ({0}) Wir sind aber noch nicht am Schluss . Wir müssen noch einmal abstimmen . Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Das ist wiederum nicht der Fall . Dann ist der Gesetzentwurf auch in der dritten Lesung einstimmig angenommen worden . ({1}) - Das ist doch mal was . Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/12164 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen durch die Linken und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden . Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist dieser Tagesordnungspunkt abgeschlossen . Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Andrej Hunko, Dr . Alexander S . Neu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für eine neue Ostpolitik Deutschlands Drucksachen 18/11167, 18/11671 Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen bitten, ihre Plätze einzunehmen, damit wir mit der Aussprache beginnen können . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall . Dann ist das so beschlossen . Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich auf der Besuchertribüne Herrn Andrej Kossolapow, den Oberbürgermeister der Stadt Wolgograd, herzlich begrüßen, ({3}) einer Stadt, die mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte verbunden ist, einer traurigen, für uns Deutsche beschämenden gemeinsamen deutsch-russischen Geschichte . Deshalb, Herr Oberbürgermeister, freue ich mich sehr, dass Sie heute Berlin besuchen und auch an einer Debatte hier im Deutschen Bundestag teilnehmen . ({4}) Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in der Aussprache hat Dr . Gernot Erler für die SPD-Fraktion das Wort . ({5})

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 16 . Februar dieses Jahres hat es in diesem Hohen Haus die erste Beratung des Antrags der Linken mit dem Titel „Für eine neue Ostpolitik Deutschlands“ gegeben . Die Aussprache war ziemlich kontrovers, mit ein paar Abgleitungen ins Polemische . Wer den Antrag liest, ist darüber nicht verwundert, enthält er doch selber polemische, ja provokative Passagen, sowohl in der Analyse als auch im Forderungsteil . Es ist schon erklärungsbedürftig, wenn in einem Antrag zur deutschen Ostpolitik, der sich auf das Erbe von Willy Brandt und Egon Bahr beruft, der Gegenstand des Antrags auf das Verhältnis zu Russland reduziert wird als hätte es den Prager Vertrag mit der ČSSR von 1973 oder den Warschauer Vertrag mit Polen von 1970 als integrale Bestandteile der Ostpolitik nie gegeben . Die historische Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr markiert die überfällige Ergänzung der Westbindung der Bundesrepublik Deutschland, die mit dem Namen Konrad Adenauer verbunden ist, mit einer Vertrauenspolitik gegenüber allen östlichen Nachbarn Deutschlands auf der Basis der Anerkennung der real existierenden Verhältnisse in Europa einschließlich der Grenzen nach dem Zweiten Weltkrieg . ({0}) Das, was die Linkspartei in diesem Antrag aufgeschrieben hat, aber auch das, was sie nicht aufgeschrieben hat - mit all den auffälligen Ausblendungen -, kann in keiner Weise den Anspruch erheben, in der Tradition der deutschen Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr zu stehen . ({1}) Sprechen wir von der heutigen Situation und der Herausforderung für die deutsche und europäische Politik . Wir haben tatsächlich nicht irgendeinen Regionalkonflikt in der Ukraine, sondern die tiefste Krise im Verhältnis des Westens zu Russland seit dem Ende des Kalten Krieges . ({2}) Das ist nicht von heute auf morgen passiert, sondern hat eine längere Vorgeschichte . Sie ist geprägt von einer auseinanderdriftenden Wahrnehmung der politischen Realität in den letzten 25 Jahren . Der Westen nimmt für sich in Anspruch, sich durchaus konstruktiv um ein gutes Verhältnis zur Russischen Föderation bemüht zu haben . Die EU hat 1997 ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen abgeschlossen. Wir haben uns wirtschaftlich verflochten; dies hat 2013 mit einem Volumen von 356 Milliarden Euro einen Höhepunkt erreicht . Wir haben uns in der Energiepolitik wechselseitig voneinander abhängig gemacht . Es gab regelmäßige EU-Russland-Gipfel . In vielen Dokumenten der EU ist von einer strategischen Partnerschaft mit Russland die Rede . Deutschland hat auch jährliche Regierungskonsultationen durchgeführt . Man hat eine strategische Arbeitsgruppe für Großprojekte in der Wirtschaft gebildet . Es gab hier den größten Anteil am EU-Handel mit Russland; dieser hat im Jahr 2013 mit einem Volumen von über 80 Milliarden Euro einen Höhepunkt erreicht . In der Zeit von Dimitrij Medwedew als russischer Präsident gab es die berühmte Modernisierungspartnerschaft, die vorbereitet wurde . Zudem gab es gesellschaftliche Verflechtungen mit 100 Städtepartnerschaften, 950 Hochschulpartnerschaften, zahlreichen Großforschungsprojekten, den Petersburger Dialog, den deutsch-russischen Austausch und viele andere gesellschaftliche Aktivitäten . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das alles sind gute Gründe, die Bemühungen um ein gutes Verhältnis zu Russland als konstruktiv und partnerschaftlich zu bewerten . Das Problem ist nur: Bei den russischen politischen Eliten gibt es eine völlig andere Wahrnehmung und Darstellung derselben Politik . Dort wird behauptet, dass der Westen die Schwäche Russlands nach der Auflösung der Sowjetunion missbraucht hat und dass viel Politik gegen russische Interessen gemacht worden ist . Die Argumente sind immer dieselben: Osterweiterung der EU und der NATO, Kosovo-Krieg und Irakkrieg gegen russische Proteste, die farbigen Revolutionen im Umfeld von Russland, die von Russland als Inszenierungen der amerikanischen Geheimdienste angesehen worden sind, ({3}) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn und schließlich die Weigerung von Washington, Moskau auf gleicher Augenhöhe zu betrachten . Diese völlig unvereinbaren Wahrnehmungen von ein und derselben Politik - in der Fachwelt „diverging narratives“ genannt - haben zum Ukraine-Konflikt und zur Zerrüttung des Verhältnisses zwischen Russland und dem Westen geführt; denn Moskau hat in dem Angebot des EU-Assoziierungsabkommens mit den Ländern der östlichen Partnerschaft eine Fortsetzung der russlandfeindlichen Politik des Westens gesehen - sozusagen als finalen geopolitischen Zugriff auf die russische Nachbarschaft. Durch die Maidan-Erhebung, einem wiederum von den USA gesteuerten Versuch eines Regime Change, sozusagen als Matrix, als Vorbild für die russische Opposition, sah sich Russland legitimiert, zu gravierenden Regelverletzungen zu greifen, wie sie die Annexion der Krim und die Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine darstellen, und im Endeffekt die europäische Friedensordnung zu beschädigen . Wer eine Antwort auf diese tiefe Krise zwischen Russland und dem Westen sucht, der muss an dieses Problem der unvereinbaren Narrative, der unvereinbaren Geschichten von Politik herangehen . Das ist nur möglich durch einen intensiven politischen und gesellschaftlichen Dialog zwischen Russland und dem Westen . ({4}) Deutschland hat sich bemüht, den OSZE-Vorsitz 2016 für erste Dialogversuche zu nutzen; wir werden das fortsetzen . Das ist aber nur machbar auf der Grundlage einer sehr klaren Position in Bezug auf die russischen Regelverletzungen und die russische Infragestellung der europäischen Friedensordnung . Damit muss die permanente Bereitschaft zu einem offenen, fairen und auf gleicher Augenhöhe stattfindenden Dialog verbunden sein. Was finden wir dazu in dem Antrag der Linksfraktion? ({5}) Dort treffen wir auf eine Schuldzuweisung an eine angeblich westliche geostrategische Dominanzpolitik, die für die Konflikte verantwortlich gemacht wird. Dort wird die Osterweiterung der EU und der NATO angeprangert und die Forderung aufgestellt, sich von angeblichen Konzepten des Regime Change in Moskau abzuwenden und dem Narrativ einer russischen Aggression im Ukraine-Konflikt entgegenzutreten. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, heißt nichts anderes, als dass die Linke eins zu eins das negative russische Narrativ, die russische Sicht der Dinge übernimmt . ({6}) Die Linke blendet die Annexion der Krim und die russische Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine aus und gibt die gesamte Schuld der westlichen Politik, die sich gegen diese Verletzung der europäischen Friedensordnung wendet . Für die Linke sind nicht die russischen Regelverstöße und Vertragsbrüche das Problem - darüber schweigt der Antrag komplett -, sondern die westliche Reaktion darauf, einschließlich der Sanktionen . Am schlimmsten in diesem Kontext ist: Es gibt keine Übereinstimmung bei dem gemeinsamen europäischen Ziel, Russland auf die Grundlagen der europäischen Friedensordnung, also auf das Regelwerk von Helsinki von 1975 und die Charta von Paris von 1990, zurückzubringen . Auch hier wird die Position Moskaus übernommen, dass etwas Neues ausgehandelt werden soll . In dem Antrag der Linken heißt es, dass eine neue KSZE entwickelt werden soll, die den veränderten Bedingungen in Europa Rechnung trägt, und es müssten alle Körbe der Helsinki-Konferenz von 1973 überprüft werden . ({7}) Man kann hier ja nur eines fragen: Was ist denn falsch an Helsinki und Paris, den beiden entscheidenden Fundamenten der europäischen Friedensordnung, vielleicht das Prinzip des Gewaltverzichts oder die Anerkennung der Souveränitätsrechte der Staaten, vielleicht die Garantie der Grenzen ({8}) oder die Menschen- und Bürgerrechte, die in diesem berühmten dritten Korb verhandelt wurden? ({9}) Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, nichts daran ist falsch oder nicht mehr zeitgemäß . ({10}) Ein OSZE-Revisionismus, dem die Linke das Wort redet, führt nur in eine falsche Richtung und in eine Sackgasse . Er führt zur Relativierung des KSZE-Regelwerks und zur Rückkehr in ein System, in dem allein das Recht des Stärkeren gilt . Das kann keine Basis für eine neue Russland- und Ostpolitik Deutschlands sein, und deswegen wird meine Fraktion diesen Antrag mit allem Nachdruck ablehnen . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({11})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die Linke das Wort . ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke sehr, Frau Präsidentin . - Ich hätte mir sehr gewünscht, dass in dieser Debatte auch andere Fraktionen Dr. h. c. Gernot Erler zum Beispiel die Sozialdemokraten oder die CDU-Kollegen - inhaltliche Vorschläge dafür unterbreiten, ({0}) wie eine neue Ostpolitik und eine neue Russland-Politik aussehen könnten . ({1}) Diesen Disput würde ich gerne mit euch aufnehmen, aber ihr schweigt euch aus, setzt auf Sanktionen und glaubt, dass Sanktionen die Dinge in Europa positiv verändern würden . Das ist ein grundlegender Fehler . ({2}) Ich fordere Sie auf: Lassen Sie uns tatsächlich über die Fragen reden, die Gernot Erler aufgeworfen hat . Reden: Wir haben nicht zu viel Dialog - auch in Deutschland nicht -, sondern wir haben zu wenig Dialog . Die Kanzlerin fährt in fünf Tagen nach Sotschi und trifft sich mit Putin. Das finde ich völlig richtig, weil der Dialog nicht abreißen darf . ({3}) Reden wir doch einmal über einige inhaltliche Fragen . Wäre es im Interesse der baltischen Länder, wäre es im Interesse von Polen oder von Georgien auf der anderen Seite, wenn sich die Situation in Europa stabilisieren und alles, was in Richtung Krieg geht, durch das Zusammenleben der Völker beseitigt würde? Das wäre doch eine gemeinsame Aufgabe, die man angehen könnte . ({4}) Wir alle müssen die Frage beantworten: Hilft Aufrüstung, um Veränderungen in diese Richtung durchzusetzen - die NATO rüstet auf; das werdet ihr doch nicht bestreiten können -, oder muss man nicht endlich auf Abrüstung setzen, um konkrete Abrüstungsverhandlungen in Gang zu bringen? Das ist das, was wir vorschlagen . ({5}) Ich finde, das ist im Interesse der baltischen Länder, im Interesse Polens, im Interesse Deutschlands und auch im Interesse Russlands . Ich möchte gerne, dass die Sprachlosigkeit, die ich sehe, endlich überwunden wird . Warum sollen die Ausschüsse des Bundestages und der Duma nicht endlich zu Debatten zusammentreffen? Warum weigert ihr euch, dem russischen Auswärtigen Ausschuss der Duma eine Diskussionsplattform zu bieten? ({6}) Es ist doch bekannt, dass ihr euch verweigert habt und das blockiert .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Gehrcke, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Beck zu?

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja .

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, um der Mythenbildung vorzubeugen, dass es keinen Dialog gebe, möchte ich Sie doch einmal fragen, ob Sie mitbekommen haben, dass der EU-Ausschuss, als er vor sechs Wochen nach Moskau gereist ist, große Schwierigkeiten gehabt hat, überhaupt irgendwelche Termine bei den Kollegen in der Duma zu bekommen . Ist Ihnen das bekannt? Von den 42 Telefonaten - inzwischen sind es vermutlich mehr -, die die Bundeskanzlerin mit dem russischen Präsidenten geführt hat, ganz zu schweigen! Es handelt sich um Propaganda, wenn gesagt wird, dass der Dialog von unserer Seite nicht gesucht würde . Ich sage Ihnen: Auch im Europarat stehen die Türen für die Kollegen offen. Sie kommen aber nicht mehr . ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lassen Sie uns erst einmal sachlich festhalten: ({0}) Wenn es für irgendwelche Bundestagsausschüsse Probleme gibt, in Moskau einen Termin zu bekommen, erkläre ich mich gerne bereit, einen Termin zu vermitteln . ({1}) Das dürfte kein Problem sein . Das werden wir selbstverständlich schaffen. Melden Sie sich einfach. Ich habe mich sogar dafür eingesetzt, Frau Beck, dass die Einreisesperre gegen Sie nicht vollstreckt, sondern aufgehoben wird . Ich möchte, dass sich Abgeordnete frei treffen können: in Moskau und in Berlin. ({2}) - In Moskau und in Berlin . ({3}) Deswegen muss zum Beispiel auch der Auswärtige Ausschuss der russischen Duma nach Berlin fahren können . Deswegen muss die Sanktionsliste mit den Namen der Kollegen der Duma endlich eingestampft werden . Das ist doch das Mindeste, was man machen könnte . ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Gehrcke, die Kollegin Beck wünscht eine zweite Zwischenfrage . Ich habe allerdings die Bitte, dass sich das nicht zu einem Dialog auswächst .

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wenn das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Sie sehen doch, dass die Uhr nicht weiterläuft .

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke .

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrter Herr Kollege, jetzt bin ich doch etwas irritiert .

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Warum?

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie scheinen Insiderkenntnisse zu haben, wenn Sie davon sprechen, dass eine Einreisesperre gegen mich, die verhängt werden sollte, durch Ihr Wirken nicht verhängt worden ist . Mir war von einer Einreisesperre noch nichts mitgeteilt worden . ({0}) Haben Sie etwa Kontakte zum russischen Geheimdienst oder zu anderen Stellen? ({1})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Genau . - Ich wusste ja immer, dass die Grünen und die CDU irgendwann zu Schwarz-Grün zusammenkommen . Die alte CDU-Losung „Alle Wege des Sozialismus führen nach Moskau“ haben die Grünen so verinnerlicht, dass sie sie heute wiedergeben . ({0}) Was soll denn dieser Unsinn? Es war doch klar - das wissen Sie auch -, dass Kolleginnen und Kollegen Ihrer Partei nicht nach Russland einreisen konnten . ({1}) Das hat nicht Sie, sondern Frau Rebecca Harms getroffen. Das hat Herrn Wellmann von der CDU getroffen. Selbstverständlich habe ich mich dagegen ausgesprochen, dass Sie auf diese Weise irgendwie belastet werden . Ich bin für eine freie Debatte . Unsere Fraktion ist für eine freie Debatte . Das unterscheidet uns . ({2}) Wenn Sie sich genauso energisch dafür einsetzen würden, dass die Kollegen der russischen Duma, die Leitung der Duma und die Mitglieder des dortigen Auswärtigen Ausschusses frei nach Deutschland einreisen könnten, wäre das prima . Springen Sie doch einmal über Ihren Schatten, und versuchen Sie das einmal . Das tut auch nicht weh . ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Es gibt den Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage von Herrn Hunko .

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Bitte .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Hunko hat jetzt das Wort . Dann sollten wir die Debatte fortsetzen .

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Gehrcke, gerade wurde die Reisetätigkeit des Bundestages und der Ausschüsse angesprochen - der EU-Ausschuss war in Moskau -: Ich bin, wenn ich das richtig sehe, von denen, die daran teilgenommen habe, als einziger Vertreter hier . Ist Ihnen bekannt, dass der Auswärtige Ausschuss eine solche Reise bewusst nicht gemacht hat? Ist Ihnen auch bekannt, dass der EU-Ausschuss hochrangige Termine in Moskau hatte, darunter Treffen mit dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses und des Föderationsrates? Ist Ihnen weiter bekannt, dass an dieser Reise kein Vertreter der Grünenfraktion teilgenommen hat?

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Schönen Dank, dass du das hier vorgetragen hast . Ich könnte zwar sagen: Das ist mir nicht bekannt, aber: Ja, es ist mir bekannt . Es ist auch bekannt, dass insbesondere von dem CDU-Kollegen Herrn Röttgen, dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, ein geregeltes Zusammentreffen der Auswärtigen Ausschüsse des Bundestages und der Duma bislang nicht vorangetrieben, sondern blockiert worden ist . Das ist einfach die Wahrheit . Es ist ja auch bekannt, dass man das sehr schnell ändern könnte . Ich will, dass die Sprachlosigkeit überwunden wird . ({0}) Ich will, dass man aufeinander zukommt . Das heißt nicht, dass man in jeder Frage übereinstimmen muss . Aber man müsste miteinander reden und herausbekommen, warum es möglicherweise so ist, wie Kollege Erler es hier vorgetragen hat, dass die politische Wahrnehmung in Moskau und Berlin höchst unterschiedlich ist . ({1}) Ich finde es ganz vernünftig, dass die russische Seite immer wieder darauf zurückkommt, dass man über Interessen und die Wahrnehmung von Interessen reden muss . Die ganze Wertedebatte hat in der Abstraktheit, mit der sie geführt worden ist, lange Zeit überhaupt nichts gebracht . Es war auch einmal Politik von Willy Brandt und Egon Bahr, dass man über Interessen reden muss, statt über Werte zu schwafeln . Ich würde mir sehr wünschen, dass es auch hier zu einem solchen Umgang miteinander kommt . ({2}) Ich habe mich - das möchte ich betonen - über die Begrüßung des Oberbürgermeisters von Wolgograd und Ihre Bemerkungen, Frau Präsidentin, gefreut . Beim Vorbereiten auf diese Debatte ist mir das große Gedicht des russischen Poeten Jewgenij Jewtuschenko in den Sinn gekommen, der vor einigen Wochen verstorben ist . Seine große Frage an die deutsche und an die russische Bevölkerung war: Meinst du, die Russen wollen Krieg? - Diese Frage kann man doch heute beantworten . Für mich ist es völlig eindeutig: Die russische Bevölkerung will keinen Krieg, und die deutsche Bevölkerung will keinen Krieg . Und ich will alles ausschalten, was möglicherweise bewusst oder unbewusst in eine Kriegssituation hineintreibt . ({3}) Das wäre eine Politik, die man gemeinsam angehen könnte . Meinst du, die Russen wollen Krieg? Nein, die Russen wollen keinen Krieg . Meinst du, die Deutschen wollen Krieg? Nein, die Deutschen wollen keinen Krieg . - Wenn man davon überzeugt ist, dann muss man auch eine dementsprechende Politik machen . Wäre es nicht denkbar, dass man zumindest auf bestimmte Waffensysteme verzichtet? Wäre es nicht denkbar, Kollege Erler, dass man die Debatte darüber wieder aufnimmt, atomwaffenfreie Zonen in Mitteleuropa zu schaffen, die wir einmal gemeinsam geführt haben? ({4}) Wäre es nicht denkbar, dass man in einer solchen Situation des Dialoges auch besser und einfacher über Dinge reden kann, die man höchst unterschiedlich sieht? Wir kommen doch nicht zusammen, weil ein Klima vorherrscht, in dem der andere verurteilt wird, statt eines, in dem über gemeinsame Lösungen nachgedacht wird . Auch die Lösung der Ukraine-Frage kriegt man nur hin, wenn man auf Russland zugeht und bereit ist, mit Russland gemeinsam das Problem zu lösen . ({5}) Der Ostukraine den Strom abzudrehen und die Renten nicht zu zahlen, schafft kein Vertrauen, sondern stört und zerstört Überlegungen, wie man auch künftig in einem gemeinsamen Staat leben kann . Ich bin dafür, dass neues Vertrauen geschaffen wird, dass Vertrauen aufgebaut wird und dass man auch die Ukraine-Frage so löst, dass man über Dialog zu politischen Lösungen kommt . Das ist das, was wir vorgeschlagen haben . Darüber können Sie abstimmen . Ich glaube, dass wir immerhin eine Debatte in Gang gebracht haben . Danke sehr . ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Motschmann das Wort für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Elisabeth Motschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004357, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Gehrcke, Sie wollen die Sprachlosigkeit überwinden . Was Sie vorgetragen haben, macht aber sprachlos . Denn Ihr Blick auf Russland und auch auf Präsident Putin ist seltsam verklärt . Sie nehmen Realitäten nicht wahr und verdrängen sie vielleicht auch . Russland sehen Sie - das hat ja Kollege Erler schon gesagt - als Opfer westlicher Expansionspolitik . Die NATO erklären Sie für überflüssig. Herr Gehrcke, das ist gediegen abwegig, was Sie hier vorgetragen haben . ({0}) In einem Punkt stimme ich Ihnen zu . Ich zitiere aus Ihrem Antrag: Die Verbesserung der deutsch-russischen Beziehungen liegt im Interesse aller friedliebenden Menschen in Deutschland und Russland . Sie sind auch im Interesse gesamteuropäischer Politik . ({1}) Das ist richtig . Da stimme ich zu . Richtig ist sicherlich auch, dass die Konflikte in Europa an seinen Grenzen und die globalen Konflikte im Nahen Osten nur in Zusammenarbeit mit Russland gelöst werden können . Das ist auch richtig . Aber wie soll das gehen? Und wie soll das Verhältnis zu Russland wieder besser werden? Hier liegen unsere Positionen natürlich ganz weit auseinander . Ich will drei Punkte herausgreifen: Erstens . Wo liegen die Ursachen für die Verschlechterung des Verhältnisses? Zweitens . Welche Bedeutung kommt der NATO zu? Drittens . Wie beurteilen wir die Sanktionen? Ähnliche andere Punkte sind auch schon angeklungen . Erstens . Sie fordern in Ihrem Antrag von - Zitat „beiden Seiten in Europa - Ost wie West - … eine Rückkehr zum Völkerrecht“ . ({2}) Sie können doch nicht im Ernst Deutschland und Europa im Hinblick auf die Einhaltung des Völkerrechts auf eine Stufe mit Russland stellen . ({3}) Das ist eine völlige Verdrehung der Tatsachen . ({4}) - Ganz ruhig . Hören Sie zu . Anschließend können Sie ja auch etwas dazu sagen . Nicht ein einziges Mal erwähnen Sie die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die Vorgänge in der Ostukraine . Sie haben ja sicherlich recht: Die Bevölkerung Russlands will keinen Krieg . - Die Politik Russlands führt aber einen Krieg, und zwar in der Ostukraine . Nach wie vor sterben dort täglich Soldaten und Zivilisten, zuletzt auch ein Mitarbeiter der OSZE . Es gibt sicherlich das will ich hier einräumen - in diesem Konflikt auch nicht hinnehmbare Aktionen der Ukraine . Das sollte man ehrlicherweise sagen . ({5}) Aber die Hauptverantwortung für diesen Konflikt - das muss doch klar sein - trägt eindeutig Russland . ({6}) Seine Soldaten, Panzer, Geschütze und Minen haben nichts, aber auch gar nichts in der Ukraine zu suchen . Russland hat der Ukraine 1994 wegen des Verzichts auf Nuklearwaffen territoriale Integrität zugesagt. Sie sollten nicht die Verlässlichkeit und den politischen Kooperationswillen des Westens anmahnen, sondern umgekehrt die Verlässlichkeit und den politischen Kooperationswillen Russlands einfordern . Das wird höchste Zeit . Sie haben ja auch gute Beziehungen - bessere als ich . Ich bin zwar dem Land sehr verbunden . Meine Großmutter ist in Sankt Petersburg geboren, meine Familie hat lange im Baltikum gelebt . Ich habe eine große Liebe zu Land, Leuten und Kultur - aber nicht zur Politik, ganz bestimmt nicht . ({7}) Zweitens . Sie fordern „einen Abbau der Strukturen der NATO und damit eine Auflösung des westlichen Militärbündnisses“ . Dazu gibt es von uns eine ganz klare Antwort, nämlich Nein . Die NATO sollte natürlich nicht abgebaut werden, sondern eher gestärkt werden . Das hat ja sogar Präsident Trump eingesehen, der zunächst ebenso wie Sie davon sprach, dass die NATO obsolet sei . ({8}) Wann werden Sie von den Linken begreifen, dass die NATO nicht auf Angriff aus ist, sondern ein Verteidigungsbündnis ist? Wir verdanken nicht zuletzt diesem Bündnis unsere Freiheit und Jahrzehnte des Friedens in Europa . Dafür sollten wir auch einmal richtig dankbar sein . Sie sind das überhaupt nicht . ({9}) Unsere NATO-Partner Polen, Litauen, Lettland und Estland wären ja entsetzt, Herr Gehrcke - ich weiß nicht, wann Sie zuletzt dort waren oder ob Sie überhaupt je da waren -, wenn wir ein Ende der NATO einläuten würden . Diese Länder haben bittere Erfahrungen mit Russland und der Sowjetunion gemacht . Das Leid der Deportationen nach Sibirien ist nicht vergessen . Diese Länder leiden auch heute unter russischer Desinformation und unter Propaganda in den russischen Medien . Grenzverletzungen durch Überflüge sind ebenfalls an der Tagesordnung . Es ist also völlig abwegig, dass Sie hier fordern, die Strukturen der NATO abzubauen . Drittens: Stichwort „Sanktionen“ . Auf die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und auf die russische Unterstützung der prorussischen Separatisten in der Ostukraine antworteten die USA, Kanada und die EU zunächst mit Sanktionen gegen russische Einzelpersonen und danach mit allgemeinen Finanz- und Wirtschaftssanktionen . Diese Sanktionen sind zurzeit übrigens das einzige Mittel, eine rote Linie gegenüber der Expansionspolitik Putins zu ziehen . Sie von den Linken fordern ein Ende der Sanktionen . Aber dazu müssen Minimalforderungen erfüllt werden: Waffenstillstand, Rückzug schweren Geräts und uneingeschränkter Zugang von OSZE-Beobachtern, eben die Einhaltung des Minsker Abkommens . Russland hat also den Schlüssel für die Beendigung selbst in der Hand . Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . - Natürlich muss der Dialog auf allen Ebenen geführt werden . Das tun Angela Merkel und auch unser neuer Außenminister Gabriel vorbildlich . ({10}) Auch auf anderen Ebenen muss dieser Dialog geführt werden . Aber es ist eine Legende, dass der Dialog von unserer Seite nicht gesucht wird, wie Sie meinen . Das ist falsch . Vielmehr bekommen wir keine Gesprächspartner . Natürlich müssen wir die Zivilgesellschaft unterstützen und den Kulturaustausch im Rahmen unserer Auswärtigen Kulturpolitik vorantreiben . Heute hat es ja eine Pressekonferenz

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kollegin, ich muss Sie bitten, zum Schluss zu kommen .

Elisabeth Motschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004357, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- ja, Frau Präsidentin - in Sotschi gegeben . Eine Kulturolympiade ist geplant, und ein Deutscher ist der Intendant . Wunderbar! Auch der Jugend- und der Studentenaustausch sind wichtig . Das heißt, wir müssen viel tun, aber nicht das, was Sie in Ihrem Antrag fordern . Deshalb lehnen wir ihn ab . Frau Präsidentin, ich habe heute Silberhochzeit mit dem Pult . Das ist nämlich meine 25 . Rede . Deshalb hat sie ein bisschen länger gedauert . Vielen Dank . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich weiß nicht, ob ich zu einer Silberhochzeit mit dem Pult gratulieren soll, Frau Motschmann . ({0}) Aber dass Sie ein Rednerjubiläum haben, ist auch ganz nett . Als nächste Rednerin hat Marieluise Beck das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . ({1})

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich hoffe, dass die richtige Silberhochzeit etwas vergnüglicher war, Frau Kollegin . Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dem, was der Kollege Erler zur Ehrenrettung der neuen Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr gesagt hat, ist nur wenig hinzuzufügen . Ich möchte nur eines noch einmal betonen: Narrative sind das eine . Es gibt aber auch Tatsachenwahrheiten, wie uns Hannah Arendt immer wieder gesagt hat . Es geht hier auch um Tatsachenwahrheiten, und diese sind klar zu benennen, gerade wenn wir in den schwierigen Dialog mit dem russischen Gegenüber treten . Dazu gehört, zu sagen, dass die europäische Friedensordnung durch die russische Annexion der Krim sowie die Aggression Russlands im Donbass und die tätige Unterstützung der Rebellen dort in der Tat infrage gestellt, wenn nicht sogar zerstört worden ist; das wissen wir noch nicht genau . Ich sage den Kollegen von der Linken noch einmal: Diese europäische Friedensordnung ist sogar von dem ZK-Generalsekretär Breschnew mitgestaltet worden . Damals war die Situation also in dieser Hinsicht besser als das, was wir heute erleben . Insofern handelt es sich um eine Propagandafigur, Herr Gehrcke, wenn Sie von Sprachlosigkeit reden . Das ist ein Mythos . Es gibt Städtepartnerschaften, den Petersburger Dialog sowie Zusammentreffen auf kultureller Ebene und in der Wissenschaft . Es gibt also einen ständigen Austausch . Das Problem ist aber die Weigerung Russlands - auch vonseiten der Duma-Kollegen -, in eine ernsthafte Auseinandersetzung mit uns zu treten . Das erleben wir - ich sage das noch einmal - auch in der parlamentarischen Arbeit des Europarats, obwohl dort alle unsere russischen Kollegen Zugangsrechte haben und nicht durch irgendwelche Reisebeschränkungen gehindert werden . Aber sie stellen sich dieser Auseinandersetzung schlichtweg nicht . ({0}) Ich möchte eine, wie ich finde, sehr ehrliche Aussage eines hohen Beamten des Auswärtigen Amts zu Beginn der Ukraine-Krise zitieren: Wir haben verstanden, dass sich mit dieser Aggression die Ausgangslage für jede Politik gegenüber Russland dramatisch verändert hat . Wir wissen nur noch nicht, wie wir auf diese Veränderung strategisch und klug antworten sollen . Die Modernisierungspartnerschaft, die in diesem Haus gewollt war, ist ja von russischer Seite aufgekündigt worden . Eines ist aber jedenfalls klar: Rezepte aus den 80er-Jahren werden keine Antworten auf heutige Herausforderungen liefern . Wer nach neuen Strategien sucht, Herr Gehrcke, der muss auch einen klaren Blick auf die Realitäten im heutigen Russland zulassen . Nicht nur die Annexion der Krim überschreitet die rote Linie der europäischen Friedensordnung, auch die innere Verfasstheit von Russland nach 17 Jahren Putin hat sich dramatisch verändert . Sie haben eben eine Wertedebatte eingeklagt . Ich will Ihnen konkrete Beispiele nennen . In Tschetschenien werden seit Wochen Homosexuelle brutal verfolgt . Mehr als 100 Menschen wurden festgenommen und offenbar in Geheimgefängnissen gefoltert . Mindestens drei Menschen sollen ermordet worden sein . Die Journalistinnen Elena Milaschina und Irina Gordijenko von Nowaja Gaseta werden nach ihrer Berichterstattung über diese Ereignisse mit massiven Drohungen durch die politische und religiöse Führung von Tschetschenien überzogen . Sie mussten aus Moskau fliehen. Ich denke mit Sorge an die Ermordung von Anna Politkowskaja, deren Spuren in eben dieses Tschetschenien führen . ({1}) Es ist Präsident Putin, der Ramzan Kadyrow als seinen Statthalter eingesetzt hat und damit auch für dessen Taten die politische Verantwortung trägt . Ich sage an die Adresse der Bundesregierung: Diese Zustandsbeschreibung aus Tschetschenien muss die Bundesregierung bei Auslieferungsgesuchen aus der Russischen Föderation berücksichtigen . Die staatlich gelenkten russischen Medien schaffen seit Jahren ein Klima des Hasses gegen Schwule, Lesben und all jene, die dem Geschlechterbild der orthodoxen Kirche nicht entsprechen . Das passt nicht zur Europäischen Menschenrechtskonvention . Nicht nur in der Ukraine führt Russlands Politik zur Destabilisierung . Mit seinem Veto zu acht Resolutionen zu Syrien hat Russland diplomatischen Lösungen der internationalen Gemeinschaft den Weg verstellt .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Beck, lassen Sie noch eine Zwischenfrage zu?

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Neu .

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Kollegin Beck, als Obmann der Linksfraktion im Verteidigungsausschuss habe ich schon zu Anfang der Legislaturperiode in der Obleuterunde darum gebeten, dass der Verteidigungsausschuss doch eine Delegationsreise nach Russland machen möge, um die dortigen Duma-Kollegen zu treffen. Das wurde mit einem Lächeln abgelehnt: Wir fahren nicht nach Russland . - Das war noch vor der Krise . Wie viele Anfragen haben Sie eigentlich in der Obleuterunde gemacht, ob der Auswärtige Ausschuss sich mit den russischen Kollegen des Auswärtigen Ausschusses in Moskau treffen möge?

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es hat bei uns keine Debatte gegeben, keine Reise nach Russland zu unternehmen . ({0}) Herr Kollege, erinnere ich mich richtig? ({1}) Ich möchte nichts Falsches sagen . Ich nehme seit vier Jahren am Obleutegespräch teil, aber ich kann mich daran nicht erinnern . Ich würde darum bitten, dass das von den Kollegen klar und in der Sache richtig - darauf haben Sie ein Recht - beantwortet wird . - Ich höre, dass das gleich von den Kollegen der CDU/CSU-Fraktion geklärt werden wird . Ich habe über die Reise des EU-Ausschusses gesprochen . Da bin ich in der Tat nicht mitgefahren, weil letztlich keine politischen Termine mit den Kollegen in der Duma zustande gekommen sind . Das zu dieser Frage . Noch einmal kurz zu Syrien: Auch die unabhängige Untersuchung des Giftgasangriffs bei Idlib wurde durch Russland verhindert . Noch schlimmer: Man muss davon ausgehen, dass die Giftgasangriffe, die Fassbomben und der gezielte Krieg gegen die Zivilbevölkerung durch Assad nur möglich waren, weil Russland dessen politisches und militärisches Überleben gesichert hat . Der Kreml kann der russischen Bevölkerung keine Perspektiven bieten . Stattdessen sichert sich Putin die Macht durch überschwänglichen Nationalismus und imperiale Fantasien. Aber offenbar lässt die Korruptheit in der Führung die jungen Menschen in Russland nicht mehr unberührt, wie die jüngsten Demonstrationen gezeigt haben . ({2}) Wer wie Sie, Herr Gehrcke und Herr Hunko - beide sind da -, über dieses Moskau in den besetzen Donbass fährt, gerät in gefährliche Nähe zu Marine Le Pen und Frauke Petry . ({3}) Das wird in der Tat hier im Hause mit Sicherheit nicht der Maßstab für eine neue Ostpolitik sein . Schönen Dank . ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat der Kollege Hardt noch die Möglichkeit zu einer Kurzintervention, um die Frage von eben zu klären und den Sachverhalt darzustellen .

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte als außenpolitischer Sprecher der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion feststellen, dass wir im letzten Jahr über Monate versucht haben, eine Reise der Obleute des Auswärtigen Ausschusses nach Moskau zu organisieren . ({0}) Wir haben leider keine positiven Antworten aus Moskau bezüglich eines Termins bekommen . Das ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass wir geplant hatten, diese Reise mit einer Reise nach Kiew zu verbinden . Wir hatten ein wenig das Gefühl, dass das vielleicht der Grund sein könnte, warum unsere russischen Kollegen keine Lust hatten, uns zu sehen . ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt als nächster Redner Florian Hahn für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag „Für eine neue Ostpolitik Deutschlands“ der Linksfraktion verwundert leider nicht . Er dient einmal mehr dazu, das Verhalten Russlands zu verklären und jedes aggressive Handeln des Kremls gütig zu übersehen . Es scheint, als wollten Sie mit Ihrem Antrag die Geschichte neu schreiben, indem Sie ganz maßgeblich die Augen vor Tatsachen verschließen bzw . sie schlicht ignorieren . Sie plädieren für eine Neubewertung des Ukraine-Konflikts und werfen dem Westen implizit die Eskalation in der Ostukraine vor . Aber mit keiner Silbe erwähnen Sie den eklatanten und eindeutigen Völkerrechtsbruch durch Russland . Sie sprechen der NATO jede Legitimation ab und machen das westliche Bündnis für die verschlechterten Beziehungen zu Russland verantwortlich . Kein Wort verlieren Sie über das hegemoniale Selbstverständnis Russlands und das daraus abgeleitete Denken in Einflusssphären . Sie sprechen von einer friedlichen Koexistenz und von guter Nachbarschaft mit Russland, lassen aber einen Kernpunkt unbeachtet: die Gleichberechtigung aller Staaten, die sich auch auf die Nachbarländer Russlands erstrecken sollte. Dabei übersehen Sie geflissentlich, dass der Kreml so manche Souveränitätsrechte infrage stellt . Sie fordern einen Wandel von westlicher Seite und eine Annäherung an Russland, vergessen aber vollkommen unsere östlichen Nachbarn und deren Befürchtungen . Ein Abkommen zwischen Moskau und Berlin bei gleichzeitigem Übergehen von Polen und den baltischen Staaten, das wäre geschichtsvergessen . Es war für Europa immer verheerend, ({0}) wenn sich Deutschland und Russland bilateral über ihre Einflusssphären geeinigt haben. ({1}) Es sind gerade unsere östlichen Partner, die angesichts der russischen Bedrohung nach einem starken Deutschland an ihrer Seite rufen . Die Ängste sind weder abstrakt noch übertrieben . Die Liste der Propagandamaßnahmen, der Manövertätigkeiten, der Verletzungen von Luft- und Seeräumen, der Stationierung neuer, modernster Waffensysteme, sie ist lang . Wer behauptet, Russland sei sozial gerechter, verteile Ressourcen fairer und verhalte sich außenpolitisch weniger aggressiv als die westliche Welt, der gibt sich einer Illusion hin . Fallen die Annexion der Krim, die Bombardements in Syrien und die Idee eines Noworossija nicht unter die Kategorie „Imperialismus“? Wer die USA so entschieden wie Sie an die Wand stellt, der müsste sich zumindest ebenso entschieden gegenüber Russland positionieren . Diese erkennbare Vereinfachung der Tatsachen und das Spielen mit subjektiven Erklärungsmustern beschränken sich aber nicht nur auf die Russlandpolitik der Linken . Blickt man auf die sicherheitspolitischen Leitplanken der Linken, bietet sich ein erschreckendes Bild . Lassen Sie mich auf nur einige Beispiele aus dem bereits veröffentlichten Entwurf zum Wahlprogramm für die kommende Bundestagswahl eingehen . Sie möchten alle Soldatinnen und Soldaten aus den Auslandseinsätzen zurückziehen ({2}) und künftig keine mehr entsenden . Auch die Ausbildung anderer Armeen wird strikt abgelehnt . Aber welche Alternativen bieten Sie eigentlich in einer Situation wie beispielsweise 2014 im Nordirak? ({3}) Wie sollen Entwicklungshelfer eine plündernde, vergewaltigende, mordende Horde von IS-Kämpfern aufhalten? ({4}) Ebenso wollen Sie die Beteiligung von Bundes- und Landespolizei an internationalen Polizeieinsätzen beenden . Dabei sind der Aufbau demokratischer Sicherheitskräfte und die Reform des Sicherheitssektors eine elementare Voraussetzung für Stabilität und Ordnung . Welche Alternativen schlagen Sie vor, um in fragilen Gesellschaften verlässliche Strukturen zu etablieren und damit die notwendigen Rahmenbedingungen für eine tragfähige soziale und ökonomische Entwicklung zu schaffen? Wie wollen Sie in Ländern wie Somalia solche Prozesse ohne Sicherheit anregen? Sehr geehrte Damen und Herren, die Bundeswehr befindet sich aktuell in 13 Auslandseinsätzen. Alle Mandate wurden in dieser Legislaturperiode mehrfach beraten und dann verabschiedet . Die Linke hat sie allesamt abgelehnt . ({5}) So unterschiedlich die Positionen hier im Hohen Hause zuweilen sind - eines haben alle anderen Fraktionen gemeinsam: Wir entscheiden nicht aus ideologischen Gründen über Auslandseinsätze der Bundeswehr . Diese konsequente ideologische und realitätsferne Antihaltung der Linksfraktion zeigt vor allem eins: Die Linke war und ist und bleibt, wie das Wahlprogramm sehr klar zeigt, nicht regierungsfähig . ({6}) Würden wir Ihren Positionen folgen, stände Deutschland in kürzester Zeit isoliert auf der Weltbühne . Noch etwas: Die Welt wäre dann sicherlich nicht sicherer . Herr Gehrcke, Sie haben gesagt, in der Zusammenarbeit mit Russland sollten wir über Interessen reden, statt über Werte zu schwafeln. Offensichtlich teilen Sie nicht die gemeinsamen Werte, wie wir es tun, wie die anderen Fraktionen in diesem Hohen Hause, und das zeigt einmal mehr, dass Sie nicht regierungsfähig sind . ({7}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD und der Grünen, bedenken Sie dies, wenn Sie weiterhin an einer rot-rot-grünen Bundesregierung arbeiten . Wir dürfen das nicht ignorieren, und das werden wir auch nicht; ganz im Gegenteil . Wie halten Sie es mit den absurden Positionen der Partei Die Linke zur Außen- und Sicherheitspolitik? Schenken Sie hier reinen Wein ein! Denn das müssen die Bürger wissen, bevor es im September an die Wahlurnen geht; schließlich geht es hier um die Sicherheit Deutschlands und Europas . ({8}) Vielen Dank . ({9})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Dr . Andreas Nick hat als nächster Redner das Wort, ebenfalls für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Andreas Nick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004362, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass es sich bereits beim Titel des Antrags um politische Erbschleicherei handelt, das hat Kollege Erler für die Sozialdemokraten als Hüter des Erbes von Willy Brandt und Egon Bahr schon überzeugend dargelegt . Ganz sicher aber handelt es sich bei diesem Antrag um politischen Etikettenschwindel; denn in dem Antrag geht es nur um Russland und in keinem einzigen Satz um Mittelund Osteuropa . ({0}) Für uns ist eines klar: Deutsche Außenpolitik kann und darf niemals nur Russlandpolitik sein; ({1}) im Gegenteil . Wir wollen beides: gute und partnerschaftliche Beziehungen zu Ost- und Mitteleuropa, gleichzeitig friedliche und konstruktive Beziehungen zu Russland . ({2}) Niemals dürfen wir es zulassen, dass diese beiden Ziele gegeneinander ausgespielt werden . Unser Verhältnis zu Russland darf nicht über die Köpfe der Völker in Mittelund Osteuropa hinweg entwickelt werden - und schon gar nicht auf deren Kosten . ({3}) Niemals mehr darf die Region zwischen Russland und Deutschland zur Verhandlungsmasse von ihren beiden großen Nachbarn werden . Das entspricht unserer historischen Verantwortung gegenüber unseren unmittelbaren Nachbarn in Mitteleuropa wie auch gegenüber den Bloodlands, wie Timothy Snyder sie genannt hat, die unter den Gräueltaten der Nazis und der Sowjets gleichermaßen leiden mussten . Kulturell und gesellschaftlich sind wir über Jahrhunderte eng mit den Partnerländern in Mittel- und Osteuropa verbunden . Die Solidarnosc in Polen und die Reformer in Ungarn haben 1989 den ersten Stein aus der Mauer gebrochen . Das werden wir Deutsche den Polen und den Ungarn niemals vergessen . ({4}) Wie eng die Beziehungen inzwischen sind, wird am erreichten Maß wirtschaftlicher Verflechtung deutlich. Die vier Visegradstaaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn sind zu einem der größten Handelspartner Deutschlands geworden . Insgesamt ist das Volumen unseres Handels mit ihnen größer als das jeweilige Volumen unseres Handels mit Frankreich, den USA oder China . In unseren Beziehungen zu diesen Ländern setzen wir uns auch für freiheitliche Werte ein . Deshalb bringen wir aktuell auch schwierige innenpolitische Entwicklungen in dieser Region zur Sprache . Unsere Politik gegenüber Russland hat einen unverrückbaren Bezugspunkt, nämlich die Charta von Paris . ({5}) Darin haben sich die Staaten Europas im Jahr 1990 zu Demokratie, Menschenrechten und Grundfreiheiten bekannt. Sie haben sich verpflichtet, sich jeder gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit eines Staates gerichteten Androhung oder Anwendung von Gewalt zu enthalten . Diese vermeintlichen Gewissheiten unserer europäischen Friedensordnung sind jedoch durch das Verhalten Russlands in der Ukraine infrage gestellt . In aller Klarheit: Die glaubwürdige Rückkehr Russlands zu den Prinzipien der Charta von Paris ist grundlegende Voraussetzung für eine nachhaltige Verbesserung der Beziehungen und Intensivierung der Zusammenarbeit . ({6}) Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht Jalta oder gar Rapallo, sondern Helsinki und die Charta von Paris sind der Maßstab unserer Politik gegenüber Russland . Wenn Russland die im Minsker Abkommen festgeschriebenen Vereinbarungen einhält bzw . umsetzt Russland hat diese Regelungen ja selbst als Resolution in den UN-Sicherheitsrat eingebracht -, dann wäre dies auch ein wichtiger Schritt hin zur Lockerung und schrittweisen Aufhebung der wirtschaftlichen Sanktionen . Der Schlüssel für eine Verbesserung der Beziehungen in der Region liegt in Russland . Russland sollte insbesondere das Verhältnis zu seiner Nachbarschaft neu bewerten und den offenkundigen Phantomschmerz in Bezug auf den Verlust des ehemaligen Sowjetimperiums überwinden . Demokratie und Prosperität in seiner Nachbarschaft sollten von Russland nicht länger als Bedrohung empfunden werden, sondern als Chance für umfassende Stabilität und Kooperation . Unsere Hand gegenüber Russland ist und bleibt ausgestreckt . Das ist nicht nur ein Gebot unserer leidvollen gemeinsamen Geschichte, es entspricht auch der geografischen Lage und ist deshalb Ausdruck unserer strategischen Interessen . Auch als verantwortlich handelnder Akteur im internationalen System wäre Russland ein willkommener strategischer Partner . Russlands derzeitige Politik aber ist - anders als viele glauben - kein Ausdruck von Stärke, sondern eher ein Beleg für systematische Schwäche . Wolfgang Ischinger hat dazu schon Ende der 90er-Jahre bemerkt: Russlands Größe bemisst sich nicht an der Zahl seiner Nuklearsprengköpfe oder seiner Soldaten . Größe resultiert im 21 . Jahrhundert vielmehr aus Wirtschaftskraft, Humankapital, einer dynamischen Gesellschaftsordnung, einem international attraktiven Bildungssystem . Großmacht sein kann nicht gleichbedeutend sein mit einem Freibrief für mangelnde Rücksichtnahme auf Kleinere . Meine Damen und Herren, das wünschen wir uns als Ausgangspunkt für die weitere Ausgestaltung der Beziehungen zu Russland und für eine neue Ostpolitik . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich diese Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Für eine neue Ost- politik Deutschlands“. Der Ausschuss empfiehlt in sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11671, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11167 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es jemanden, der sich enthält? - Das ist nicht der Fall . Dann ist die Be- schlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung ({0}) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie ({1}) 2016/680 ({2}) Drucksachen 18/11325, 18/11655, 18/11822 Nr. 10 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({3}) Drucksachen 18/12084, 18/12144 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Frank Tempel, Dr . André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Datenschutzrechte der Bürgerinnen und Bürger stärken Drucksachen 18/11401, 18/12084, 18/12144 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall . Dann ist das so beschlossen, und ich kann die Aussprache eröffnen. Als erster Redner in der Aussprache hat Bundesminister Dr . Thomas de Maizière für die Bundesregierung das Wort . ({5})

Not found (Minister:in)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Datenschutz schützt die Freiheit und die Persönlichkeitsrechte von Menschen . Das ist der Auftrag des Datenschutzrechts, und darum geht es . ({0}) Was heißt das praktisch? Das heißt zum Beispiel, dass der Datenschutz kein Selbstzweck - zum Schutz der Daten selbst - ist . Die Regeln der 90er-Jahre bringen uns angesichts der rasant fortschreitenden technischen Entwicklung nicht weiter - weder was die Sicherheit noch was die Forschung, die Wirtschaft oder die Digitalisierung angeht . Das Prinzip der Datensparsamkeit um ihrer selbst willen ist in Zeiten von Big Data überholt . Wir wollen und werden auch angesichts neuer technischer Entwicklungen das hohe Niveau des Datenschutzes aufrechterhalten und gleichzeitig die modernen technischen Möglichkeiten nutzen - und das in ganz Europa mit demselben Recht . Das war das Anliegen der europäischen Datenschutz-Grundverordnung, und das ist auch das Ziel des vorliegenden Gesetzes . Mit diesem Gesetz setzen wir zwei europäische Rechtsakte um - wobei das Wort „umsetzen“ bei der Grundverordnung nicht ganz zutrifft -: die europäische Datenschutz-Grundverordnung einerseits und die Datenschutzrichtlinie für die Zusammenarbeit von Polizei und Justiz andererseits . Die verbundene Umsetzung beider europäischen Rechtsakte in einem Gesetz ist auch so etwas wie ein Symbol . Das zeigt nämlich: Schutz vor Kriminalität und Datenschutz sind zwei Seiten derselben Medaille, zwei Seiten unserer Freiheit, und deswegen müssen wir sie auch beide zusammen denken . Ab Mai 2018 werden in Deutschland und allen europäischen Mitgliedstaaten einheitliche Datenschutzregeln und Datenschutzstandards gelten . Das ist eine datenschutzrechtliche Zäsur in Europa, und genau das war auch beabsichtigt . Unternehmen mit niedrigen Datenschutzstandards können sich in Zukunft nicht mehr gezielt in solchen Mitgliedstaaten ansiedeln, die niedrige Standards akzeptieren oder eine unzureichende Datenschutzaufsicht haben. Davon profitieren die Menschen, die Nutzer, die Anwender, die Forscher, und davon profitieren auch die Unternehmen in unserem Land. Es gibt Rechtssicherheit für alle . Schluss mit dem Rosinenpicken beim europäischen Datenschutz: Unser Markt, unsere Regeln gelten für alle, ausnahmslos - auch für Unternehmen, die etwa aus den USA ihre Dienste in Deutschland anbieten . Das ist ein großer Fortschritt . ({1}) Mit diesem Gesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen, regeln wir auch Teile der Datenverarbeitung im Interesse der öffentlichen Sicherheit. Wir ermöglichen zum Beispiel, dass Informationen, die durch Private erhoben wurden, an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden dürfen . Das ist eine sehr wichtige Regelung . Ohne eine solche Regelung können zum Beispiel Aufnahmen einer privaten Überwachungskamera, die eine Straftat belegen, nicht an die Polizei übergeben werden. Das kann nicht sein. Jetzt schaffen wir auch hierfür Rechtssicherheit . Mit diesem Gesetzentwurf halten wir uns eins zu eins an die europarechtlichen Vorgaben . Wir sind mit den notwendigen Anpassungen so schnell wie kaum ein Land in Europa . Wir halten das auch für nötig . Denn ab Mai 2018 gilt das neue europäische Recht unmittelbar, und bis dahin sind noch etliche Fachgesetze zu ändern: beim Bund, aber insbesondere auch in den Bundesländern . Dort, wo der europäische Gesetzgeber Gestaltungsspielraum gelassen hat, machen wir davon in verantwortlicher und selbstbewusster Weise Gebrauch . So verzichten wir zum Beispiel darauf, die Altersgrenze für die Einwilligung eines Kindes national unter 16 Jahre abzusenken, was wir europarechtlich könnten . Wir halten das nicht für vernünftig; deswegen machen wir es nicht . Dieser Gesetzentwurf - ich komme zum Anfang zurück - schützt nicht die Daten . Er schützt die Persönlichkeitsrechte der Menschen in unserem Land, und er stärkt den Standort Deutschland in einem starken Europa . Das ist entscheidend . Ich bitte sehr herzlich um eine möglichst breite Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf . ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Petra Pau für die Fraktion Die Linke das Wort . ({0})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim vorliegenden Antrag geht es um den Datenschutz, konkret um die Anpassung des deutschen Rechts an Vorgaben der Europäischen Union . Das ist der formale Hintergrund . Inhaltlich geht es um mehr; denn Datenschutz ist nicht, wie gelegentlich unterstellt wird, Täterschutz . Datenschutz ist ein verbrieftes Bürgerrecht und obendrein eine unverzichtbare Basis für jedwede Demokratie . ({0}) Bürgerinnen und Bürger, die nicht mehr wissen oder nicht mehr wissen können, wer was über sie weiß, sind manipulierbar und nicht souverän . So hat es das Bundesverfassungsgericht mehrfach bekräftigt, und das ist die politische Dimension dieser Debatte . Folglich heißt heute die Frage: Schafft dieses Gesetz mehr Datenschutz? Stärkt es den Souverän und die Demokratie, oder schwächt es den Datenschutz und mithin Bürgerrechte und Demokratie? Meine Antwort lautet: Das Gesetz schwächt den Datenschutz . Und deshalb wird die Linke als moderne sozialistische Bürgerrechtspartei diesen Gesetzentwurf auch ablehnen . ({1}) Mit diesem Nein stehen wir keineswegs allein da . Im Innenausschuss des Bundestages hat es am 27 . März eine öffentliche Expertenanhörung zu diesem Gesetzesvorhaben gegeben . Das Gros der Datenschutzexperten äußerte dabei erhebliche Kritik an der Vorlage von CDU/CSU und SPD . Trotz aller Änderungen im Detail kommt die Deutsche Vereinigung für Datenschutz, DVD, zu dem Schluss: Der vorliegende Gesetzesvorschlag verkehrt europäische Regelungen in ihr Gegenteil und bedeutet einen massiven Rückfall Deutschlands im Bereich des Datenschutzes . Ich füge hinzu: Niemand hier im Rund, auch nicht die Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, kann hinterher sagen, sie oder er hätte das nicht gewusst . Ich will heute hier nur drei gravierende Kritikpunkte anreißen . Erstens . Die weitgehende Regelung zur Videoüberwachung stellt eine vermeintliche Sicherheit über verbriefte Grundrechte dar und ist mithin verfassungswidrig . Zweitens. Die Rechte betroffener Bürgerinnen und Bürger werden eher eingeschränkt als ausgeweitet . Drittens . Kontrollmöglichkeiten und Sanktionen bei Verstößen gegen den Datenschutz werden unverantwortlich kleingeschrieben . So werden im Übrigen auch die Rolle und die Möglichkeit der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit tatsächlich wieder kleingemacht . Das sollte nicht unser Ziel sein . Wir müssen sie stärken . ({2}) Datenschutzinitiativen gehen sogar davon aus, dass dieses Gesetz vom Europäischen Gerichtshof kassiert werden könnte . Eine solche Blamage sollte der Deutsche Bundestag nicht sehenden Auges riskieren . Die Linke jedenfalls tut das nicht . ({3}) Schließlich sollte niemand davon ausgehen, dass die Datenschutzdebatte mit der Abstimmung heute Abend beendet ist . Wir leben in einer Zeit fortschreitender Digitalisierung, und wir beschreiten damit, wie es die Bundeskanzlerin Merkel einmal formulierte, tatsächlich Neuland . Sie hat damals sehr viel Häme dafür geerntet, allerdings nicht von mir; denn sie hat recht . Immer mehr Daten werden erfasst, gespeichert, verarbeitet, auch persönliche, übrigens nicht nur von Geheimdiensten, die mit diesem Gesetz eine Art Freibrief erhalten, sondern ebenso von weltumspannenden Monopolen, für die die Datenverarbeitung sozusagen eine Art Goldrausch ist . Das alles stellt an den Datenschutz noch viel weiter reichende Fragen, als sie mit diesem Gesetz aufgenommen wurden. So habe ich die dringende Hoffnung, dass sich der nächste Bundestag endlich dieser Herausforderung annimmt . Das sei mir noch gestattet: Seitdem ich Mitglied des Bundestages bin, reden wir über die NotBundesminister Dr. Thomas de Maizière wendigkeit eines tatsächlichen und modernen Beschäftigtendatenschutzes . Auch mit dieser Gesetzesnovelle haben wir nicht die Chance ergriffen, nun endlich einmal anzufangen . ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner hat Gerold Reichenbach für die SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Gerold Reichenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003615, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer und Zuschauer auf der Tribüne! Wir haben fast alle ein Smartphone in der Tasche . Viele Haushalte haben inzwischen Geräte, die mit dem Internet verbunden sind und die Kamerafunktionen und Mikrofonfunktionen haben . Überall dort fallen massenweise Daten an: über uns als Person, über unser Verhalten . Wir gehen im Internet einkaufen . Wir nutzen elektronische Medien, um unseren Alltag zu organisieren . Überall fallen Daten an, die unser ganz persönliches Verhalten widerspiegeln . In Zukunft werden wir intelligente fahrende Autos haben . Hinzu kommt das sogenannte Smart Home: Häuser, die technisch, elektronisch gesteuert werden, die sozusagen schon im Voraus wissen, wann wir unsere Heizung anschalten wollen oder wann das Garagentor geöffnet werden soll . Für all das braucht man Daten, in denen unser ganz persönliches Verhalten abgebildet ist . Deswegen ist es richtig und wichtig - das hat der Innenminister in seiner Rede deutlich gemacht -, dass wir diese Daten, die Aussagen über uns beinhalten, schützen, dass nur derjenige Kontrolle über diese Daten hat und sie freigeben darf, über den sie teilweise intimste Details enthalten . Darum geht es beim Datenschutz . Wir haben in Deutschland durchaus ein gutes Datenschutzrecht . Aber in der digitalen Welt werden solche Dienste länderübergreifend angeboten . Herr Minister hat es angesprochen: Unser Datenschutz war oft nicht durchsetzbar, weil die Unternehmen, die uns ihre Dienste hier in Deutschland anboten, häufig in einem Land ansässig waren, in dem die Kontrolle oder die rechtlichen Anforderungen geringer waren . Das ist ein Zustand, der für uns als Bürger - übrigens auch im Hinblick auf das Vertrauen in die weitere Digitalisierung, das Vertrauen in moderne Technik, die Daten kreiert - unhaltbar ist . Denn die Akzeptanz für moderne Technik hängt auch von Vertrauen ab . Und das Vertrauen wiederum hängt davon ab, ob ich sicher sein kann, dass am Ende mit dem, was andere über mich wissen, kein Missbrauch gegen mich betrieben wird . Darum geht es, wenn wir über Datenschutz reden . Wir reden hier nicht über die Daten, die auch Teil der modernen digitalen Welt und von Big Data sind und uns viele Informationen für die Verkehrslenkung, die Forschung und anderes bieten . Mit der Datenschutz-Grundverordnung - Herr Minister hat es angesprochen - haben wir endlich die Möglichkeit, dies europäisch zu regeln . Das ist ein Riesenvorteil, weil jetzt der Verbraucher, der Bürger seine Rechte durchsetzen kann . Es gilt das Marktortprinzip: Da, wo Daten von europäischen Bürgern erhoben werden, gelten einheitliche Gesetze . Das ist auch ein Vorteil für Unternehmen, denn jetzt gibt es Konkurrenzgleichheit: Überall in Europa werden sie auf die gleichen rechtlichen Voraussetzungen stoßen . Das ist auch eine Chance; denn damit haben wir erstmals einen einheitlichen Markt . Natürlich ist es nicht sehr interessant, bestimmte Dienstleistungen oder Geräte, die, was den Persönlichkeitsschutz betrifft, datenschutzfreundlich sind, nur für Deutschland zu entwickeln . Zudem gibt es die Konkurrenz der großen Märkte in Asien und den USA . Aber jetzt werden wir einen Markt haben, in dem all diese Regeln gelten, und damit gibt es für Unternehmen eine neue Chance . Wir diskutieren heute die Anpassung des Bundesdatenschutzgesetzes an die europäische Verordnung . Mit Verlaub: Ein Teil der Kritik, die Frau Kollegin Pau vorgebracht hat, scheint von einem etwas älteren Sprechzettel zu stammen. Ja, es gab in der öffentlichen Debatte durchaus die eine oder andere Kritik an der Vorlage, die das Kabinett geliefert hat . ({0}) Lassen Sie mich vorab sagen: Es gab im Vorfeld eine breite Auseinandersetzung und Diskussion, weil zum Beispiel Unternehmen gesagt haben, dass sie dieses oder jenes Geschäftsmodell gerne weiter betreiben würden . Ich danke ausdrücklich Heiko Maas und seinem Ministerium, die sich im Vorfeld, bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfes, sehr stark für die Interessen der Verbraucher und für die Wahrung der Bürgerrechte eingesetzt haben . ({1}) Trotzdem gab es eine Reihe von Punkten, bei denen wir als SPD-Fraktion entweder der Auffassung waren, dass sie nicht ganz mit der europäischen Verordnung in Übereinstimmung zu bringen sind, oder bei denen wir meinten, es müsse im Sinne der Verbraucher und der Nutzer nachgebessert werden . Es gab innerhalb der Koalition - dafür bin ich dankbar - eine sehr intensive Diskussion über die vorgebrachte Kritik, auch über das, was in den Ausschüssen und Anhörungen an Kritik vorgebracht wurde . Wir haben intensiv über das, was öffentlich zu dem Entwurf geäußert wurde, diskutiert. Der Ausfluss dessen war eine ganze Reihe von Änderungsanträgen, mit denen wir in der Koalition - wie ich glaube, im richtigen Maß - die kritischen Punkte ausgeräumt haben, aber gleichzeitig nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet haben . Unser Ziel ist: Wir wollen die Persönlichkeitsrechte und die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher im digitalen Zeitalter erhalten und stärken und die Menschen nicht einer scheinbar unabwendbar grenzenlosen Ausforschung preisgeben . Wir haben den Entwurf durch Änderungsanträge an entscheidenden Stellen verbessert; darüber wurde auch in der Öffentlichkeit breit diskutiert. Im Zentrum der Kritik - es ist angesprochen worden stand die Wahrung der Rechte der Betroffenen. Grundsätzlich gilt, dass ein Betroffener darüber informiert werden muss, wenn seine Daten für andere Zwecke genutzt werden als jene, denen er zugestimmt hat . Der Regierungsentwurf sah zunächst vor, dass dies nicht mehr gelten soll, wenn dies für das Unternehmen mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden ist und dabei das Interesse des Betroffenen als geringer anzusehen ist. Das würde aber bedeuten: Wenn ein Unternehmen besonders viele Daten sammelt, dann könnte es einen unverhältnismäßig hohen Aufwand bei der Information der Betroffenen geltend machen. Es könnte sozusagen mithilfe der Konstruktion seiner eigenen Datenverarbeitung dem Verbraucher seine Rechte vorenthalten, indem es sich auf diese Ausnahmeregelung beruft . Dies war nicht so gewollt; denn nur ein Kunde, der über die Weiterwendung seiner Daten informiert ist, kann dem widersprechen . Und darum haben wir die Regelung auf den Kern begrenzt - das wurde in der Debatte zu Recht vorgetragen -, indem wir eine Ausnahme nur dort vorsehen, wo sie sinnvoll ist, nämlich dann, wenn es sich bei der Weiterverarbeitung um analoge Daten handelt . Denn es ist nicht sinnvoll, die Regelungen bei der automatisierten Datenverarbeitung, wo dies einfach zu bewerkstelligen ist, zu übernehmen . Wir wollen den Bäckermeister nicht dazu zwingen - wenn er seine Lieferantendatei dazu nutzen will, um zum Betriebsjubiläum einzuladen -, vorher eine Postkarte zu verschicken, auf der er ankündigt, dass er demnächst die Daten für die Einladung zum Betriebsjubiläum nutzen will . Deswegen haben wir die Ausnahme auf diesen engen Bereich der analogen Datenverarbeitung beschränkt, sodass am Ende die großen Datenverarbeiter dieses Argument des unverhältnismäßig hohen Aufwands eben nicht als Ausflucht heranziehen können . Gleichzeitig werden die kleinen Unternehmer nicht übermäßig belastet . Das Gleiche gilt für das Recht auf Löschung . Auch hier war ursprünglich der unverhältnismäßig große Aufwand als Möglichkeit für eine Ausnahme vorgesehen . Aber auch hier gilt: Man könnte seine Datenbank ja so gestalten, dass die Löschung der Daten einen hohen Aufwand erfordert . Man könnte also von vornherein die Ausnahme sozusagen hineinprogrammieren . Deswegen haben wir die entsprechende Regelung auf den analogen Teil beschränkt . Der dritte Punkt beinhaltete die Ausnahme für den Fall, dass die allgemein anerkannten Geschäftszwecke gefährdet würden . Auch hier waren weiter gehende Interpretationen möglich . Am Ende hätte man sogar die Aushebelung der Betroffenenrechte per se zum Geschäftszweck machen können . Das war so nicht gewollt . Daher haben wir uns darauf beschränkt, dass die Möglichkeit der Betrugsprävention etwa beim Versicherungsbetrug oder die Durchsetzung eigener Rechtsansprüche nicht behindert werden darf. Der Betroffene kann nachfragen: Welche Daten habt ihr von mir gespeichert? Das Gleiche gilt für das Recht auf Löschung . Mit den vom Bundesrat angeregten Verbesserungen und mit einigen anderen Punkten haben wir insgesamt ein Gesetz gemacht, das im Bundesrat Zustimmung finden wird . ({2}) Wir haben dort, wo Ausnahmeregelungen möglich sind, zum Beispiel beim Beschäftigtendatenschutz, diese zunächst einmal - das hat natürlich mit der Kürze der Zeit zu tun - dazu genutzt, die jetzigen Regelungen im Bestand zu erhalten . Aber meine Fraktion ist nach wie vor der Auffassung, dass wir ein eigenes Beschäftigtendatenschutzgesetz brauchen . ({3}) Denn auch beim Beschäftigtendatenschutz muss man in der Lage sein, mit den neuen Herausforderungen einer digitalisierten Arbeitswelt zurande zu kommen . Dazu brauchen wir die entsprechenden Anpassungen . Mit den bestehenden Regelungen alleine werden wir die Herausforderungen der Zukunft nicht meistern . Ähnliches haben wir mit den Regelungen zum Scoring getan, also bei der Frage, was Auskunfteien über jemanden speichern und weitergeben dürfen . Auch da haben wir zunächst einmal das jetzige Verbraucherschutzniveau in den Entwurf des Anpassungsgesetzes übertragen . Es ist völlig unbestritten, dass der Datenschutz an dieser Stelle eigentlich der falsche Ansatz ist, weil es nicht um die Frage der Erhebung der Daten geht, sondern darum, welche Daten ich für das Profiling benutzen darf. Auch hier gilt: Wir von der SPD werden einen eigenen Gesetzentwurf zu diesem Bereich des Verbraucherschutzes auf der Tagesordnung behalten . Insgesamt ist uns - das glaube ich im Gegensatz zu denjenigen, von denen wir hier Unkenrufe gehört haben - mit diesem Gesetzentwurf eine gute, europarechtskonforme Regelung gelungen, mit der wir den Zukunftsherausforderungen beim Persönlichkeitsschutz in einer immer weiter digitalisierten Welt gerecht werden . Ich muss ehrlich sagen: Ich bin auch ein Stück weit stolz auf das, was am Ende des Diskussionsprozesses herausgekommen ist . Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit . ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr . Konstantin von Notz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa ist die Zukunft unseres Landes in einer globalisierten Welt . Dieses Europa hat sich ein Zukunftsthema auf die Fahne geschrieben: die Digitalisierung . Und das ist gut so . Doch die Aufbruchstimmung ist vielfach einem Unbehagen gewichen. Massenüberwachung, Cyberangriffe und Datenwillkür dominieren seit Jahren die Schlagzeilen . Die politische Großwetterlage zwischen autoritären Herrschern wie Erdogan und Orban und einer unberechenbaren Trump-Administration tut ihr Übriges zur Verunsicherung . Dieser Verunsicherung gilt es auch hier, im Bereich des Datenschutzes, entgegenzutreten . ({0}) Deshalb war und ist es richtig, dass die EU gerade das Thema Datenschutz als einen fundamentalen Bestandteil einer digitalen Agenda erkannt und priorisiert hat; denn Datenschutz ist nicht einfach ein schönes Feature, das man haben kann oder auch nicht . Für Bürger bedeutet es Grundrechts- und Privatsphärenschutz und für Verbraucher und Wirtschaft unverzichtbaren Vertrauensschutz . Es ist der über Jahre vernachlässigte Datenschutz, der sich heute als der vielleicht wichtigste Vertrauensanker der Menschen im digitalen Zeitalter herausstellt; denn der von Ihnen oft verpönte Datenschutz ist nichts weniger als eine Schutzgarantie des Staates gegenüber den Bürgern, die da lautet: Wir sorgen dafür, und komme, was da wolle, an weiteren Modernisierungen, an Onlinegeschäften, an vermeintlich intelligenten Services, dass deine persönlichen Informationen, dass deine Daten, dass deine Privatsphäre, dass deine Menschenwürde geschützt sind . Das ist der Kern von Datenschutz, und das geht weit über Symbolpolitik und Fensterreden hinaus . ({1}) Bei aller nachvollziehbaren Kritik an der europäischen Datenschutz-Grundverordnung in Detailfragen: Sie war richtig, und sie ist richtig . Sie ist ein Schritt auf dem Weg, die Facebooks, Googles und Microsofts daran zu hindern - das sehe ich genauso wie der Minister -, uns, die Mitgliedstaaten gegeneinander auszuspielen . Ich denke an Forum Shopping und Ähnliches . Mein Kollege Jan Philipp Albrecht und ein wackeres EU-Parlament haben hier tatsächlich Großes geleistet . ({2}) - Nicht alleine, aber eben auch . Die Datenschutz-Grundverordnung überträgt zentrale Elemente eines modernen Datenschutzes wie das hohe Privacy by Design, Datenportabilität und einen hohen Standard bei den Betroffenenrechten wie die Einwilligung auf die europäische Ebene . Europa hat das im Wesentlichen nicht wegen, sondern trotz der Bundesregierung und trotz der Großen Koalition geschafft, Herr de Maizière . So haben Sie natürlich in Ihrem Umsetzungsgesetz nichts unversucht gelassen, um diese hohen Standards zu hintertreiben . Das klang in Ihrem Eingangsstatement an, als Sie sagten: Die Zeit der Datensparsamkeit ist eigentlich vorbei . - Das ist genau das Aufbohren dieser Grundsätze . Deswegen können wir Ihrer Vorlage hier nicht zustimmen . ({3}) Wir lehnen nämlich den Versuch ab, die Informationspflichten der Unternehmen wie auch Auskunfts- und Löschungsrechte nach Wünschen der Wirtschaft zurückzuschneiden . Wir halten es für völlig inakzeptabel, dass Kontrollen der Aufsichtsbehörden in Krankenhäusern und Arztpraxen behindert oder unmöglich gemacht werden sollen . Zusätzlich versuchen Sie tatsächlich und völlig unverhohlen, die unabhängige Bundesbeauftragte für den Datenschutz mit diesem Gesetz politisch mundtot zu machen; ({4}) denn sie soll den Ausschüssen dieses Hohen Hauses nicht mehr Bericht erstatten dürfen und Gebäude von deutschen Geheimdiensten unter Umständen zukünftig nicht mehr betreten können . Das ist völlig inakzeptabel . ({5}) Diese Sitzungswoche ist eine Schicksalswoche für die Bürgerrechte . Das hat der Minister vorhin auch schon in anderen Reden gesagt . Massenhafte Sammlung von Fluggastdaten, vollautomatisierte Geheimdienstabgriffe von Passbildern, ein BKA-Google und Vorratsdatenspeicher zeigen einen Abgrund an achselzuckender Gleichgültigkeit, ja sogar an Grundrechtsnegierung . Das machen wir nicht mit . ({6}) Auf einen Punkt will ich noch hinweisen: Sie haben uns in dieser Sitzungswoche mit Fristverkürzungen und kurzfristigen Sachverständigenanhörungen getrollt . Ich habe auf der Internetseite der CDU/CSU-Fraktion gesehen, dass heute Ihr Tag der inneren Sicherheit ist . ({7}) - Gestern . Heute ist der Bericht darüber auf der Internetseite - punktgenau . - Es ist interessant, dass die SPD diesen Wahnsinn parlamentarisch mitmacht, diese unseriösen Beratungen, ({8}) die wir hier durchführen, damit die Union hier eine Punktlandung, eine Wahlwerbeveranstaltung durchziehen kann . Das geht so nicht . ({9}) Sicherheit ist ein wichtiges Thema . Wir haben immer gesagt, Herr Minister: Wir sind dabei . - Aber Sicherheit in einem Rechtsstaat heißt eben auch Bürgerrechte . Das können Sie nicht . Das haben Sie hier heute vielfach bewiesen . Deswegen werden wir nicht zustimmen . Ganz herzlichen Dank . ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Stephan Mayer für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich möchte jetzt nicht so weit gehen und behaupten, dass das Gesetz, das wir heute verabschieden, ein Meilenstein ist . ({0}) Aber die europäische Datenschutz-Grundverordnung ist mit Sicherheit ein Meilenstein . ({1}) Dieses Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz, das wir heute verabschieden, ist die notwendige und richtige Ausformung und Umsetzung dieser Datenschutz-Grundverordnung . Herr Kollege von Notz, es ist ja gut, wenn Sie sich weiterbilden und sich auf der Homepage der CDU/ CSU-Fraktion kundig machen . ({2}) Ja, dort steht ein Bericht über den Tag der inneren Sicherheit, aber für die Unionsfraktion ist jeder Tag ein Tag der inneren Sicherheit . ({3}) Wenn Sie behaupten, diese Woche sei eine Schicksalswoche für die Bürgerrechte, dann möchte ich Ihnen entgegnen: Diese Woche ist eine gute Woche für die innere Sicherheit in unserem Land . ({4}) Denn in dieser Woche verabschieden wir sehr viele wichtige und auch zeitlich drängende Gesetze, ({5}) die insbesondere die innere Sicherheit in unserem Land stärken . ({6}) Bei der Datenschutz-Grundverordnung geht es schlichtweg um die Harmonisierung des Datenschutzrechts in der gesamten Europäischen Union, in einem Raum mit 500 Millionen Einwohnern, mit noch 28 Ländern; bald sind es leider nur noch 27 Länder . Ich möchte klar sagen: Diese Datenschutz-Grundverordnung ist im deutschen Interesse, und davon wird Deutschland, werden die deutschen Verbraucher, aber auch die deutschen Unternehmer profitieren. Denn - das ist für mich ein ganz entscheidender Inhalt - mit dieser Datenschutz-Grundverordnung wird das Datenschutzrecht in Europa insgesamt verbessert, und zwar in vielerlei Hinsicht . Es wird an das schon hohe deutsche Datenschutzrechtsniveau angepasst . Es stimmt einfach nicht, Herr Kollege von Notz, wenn Sie behaupten, wir hätten für Datenschutz nichts übrig und Datenschutz wäre bei uns verpönt . Ich möchte hier wirklich ausdrücklich betonen: Ich gehe nicht so weit, zu behaupten, Datenschutz sei Täterschutz . Das stimmt so nicht . Datenschutz ist aus meiner Sicht in unserer heutigen Zeit, in unserem Zeitalter der Digitalisierung ein sehr, sehr wichtiges Bürgerrecht . Deswegen tun wir gut daran, dem Datenschutz eine große Bedeutung beizumessen . Dies tun wir mit diesem Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz . Deutschland ist das erste Land, das diese Datenschutz-Grundverordnung umsetzt . Insoweit sind wir in Europa beispielgebend . Ich habe durchaus die Hoffnung, dass sich das eine oder andere Land an unserem Umsetzungsgesetz orientieren wird . Ich möchte auch auf die Feststellung Wert legen, dass wir von den sich bietenden Öffnungsklauseln - es sind insgesamt ungefähr 80 - in sehr reduzierter und sehr behutsamer Weise Gebrauch machen . Wir orientieren uns mit diesem Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz sehr stark an der Datenschutz-Grundverordnung . Wir schaffen damit auch die Voraussetzungen, dass die Länder, aber auch der Bund in ungefähr 300 weiteren Gesetzen die notwendigen Änderungen werden vornehmen können . Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Inhalt dieses Gesetzentwurfes ist auch die Frage: Wer vertritt Deutschland im Europäischen Datenschutzausschuss? Ich bin der festen Überzeugung: Die Regelung, die mit den Ländern getroffen wurde, ist eine sehr vernünftige und verträgliche . Mir ist sehr wichtig, darauf hinzuweisen, dass mit diesem Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz der Datenschutz in Deutschland nicht reduziert und unterminiert, sondern ausgeweitet wird . Trotzdem, trotz dieser Stärkung des Datenschutzes in Deutschland, ist es möglich, bewährte Geschäftsmodelle in Deutschland weiterhin zu betreiben . Es war uns als Unionsfraktion ein wichtiges Anliegen, dass bewährte Geschäftsmodelle im Bereich von Inkassounternehmen, von Auskunfteien, von Direkt- und Dialogmarketing, die nach dem heutigen Bundesdatenschutzgesetz legal betrieben werden, auch in Zukunft betrieben werden können . Das ist der Fall . Ich lege insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit Wert auf die Feststellung dazu gab es nämlich immer wieder Fragen -, dass von Verbrauchern nach dem heute geltenden Bundesdatenschutzgesetz abgegebene Einwilligungen fortgelten . Sie müssen, um dies klar zu sagen, nicht erneuert werden, wenn sie den Voraussetzungen der Datenschutz-Grundverordnung entsprechen . Es wäre natürlich mit erheblichem bürokratischem Aufwand verbunden, wenn Millionen von Verbrauchern ihre Einwilligung noch einmal neu erteilen müssten . Dies ist aus meiner Sicht eine wichtige klarstellende Feststellung . Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, darüber hinaus möchte ich Wert auf die Feststellung legen, dass man, was das Thema Profiling anbelangt, klar differenzieren muss . Artikel 22 der Datenschutz-Grundverordnung differenziert deutlich zwischen Profilingmaßnahmen, die eine unmittelbare, rechtlich bindende Wirkung oder beispielsweise eine erhebliche Beeinträchtigung der Person zur Folge haben, und Profilingmaßnahmen zum Zwecke der Werbung oder des Marketings, die bei weitem nicht so beeinträchtigend sind . Von Artikel 22 der Datenschutz-Grundverordnung sind Profilingmaßnahmen zu Marketing- und Werbezwecken nicht umfasst . Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ein großer Schritt nach vorne ist der parlamentarische Änderungsantrag, den wir mit vorangetrieben haben und der insbesondere dazu beiträgt - auch das ist mir wichtig -, dass die Betroffenenrechte gestärkt werden. Sie werden nicht reduziert, sondern deutlich gestärkt, insbesondere im Bereich der Auskunftsrechte, der Informationspflichten und der Löschungspflichten der Unternehmen. Um es kurz auf den Punkt zu bringen: In Zukunft wird für Facebook & Co nicht mehr die Ausrede gelten können, dass die Information von Millionen Kunden einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert, wenn es darum geht, zu begründen, dass man seine Kunden, die Verbraucher, nicht informiert . Wir reduzieren die Ausnahmemöglichkeiten ausschließlich auf die Unternehmen, deren Datenverarbeitung nicht automatisiert, also analog erfolgt . Ich glaube, das ist gerade im Sinne kleiner und mittelständischer Unternehmen . Darüber hinaus stärken wir auch die Rechte der Betroffenen, was die Löschungspflichten anbelangt. Es muss der Grundsatz gelten, dass Daten auch gelöscht werden können. Ausnahmen von diesen Löschungspflichten sind sehr reduziert . Das war uns in den Verhandlungen ein wichtiges Anliegen, immer verbunden mit dem Hinweis darauf, dass bewährte Geschäftsmodelle dabei nicht zu Fall kommen dürfen . Durch einen parlamentarischen Änderungsantrag verändern wir die Zuständigkeit bei Bußgeldverfahren . Ich glaube, es ist sachgerecht, dass dann, wenn Bußgelder in Höhe von mehr als 100 000 Euro erhoben werden - das mag nicht die Regel sein, kann aber durchaus einmal vorkommen, insbesondere bei großen Unternehmen wie den genannten, also bei Facebook, Google & Co -, nicht der einzelne Amtsrichter vor Ort zuständig ist, sondern zumindest eine Kammer am Landgericht die Zuständigkeit bekommt . Ich glaube, dass dies auch die Rechtsprechung insgesamt stärkt . Vor diesem Hintergrund möchte ich dringend an die Opposition appellieren, noch einmal der Überlegung näherzutreten, diesem Gesetzentwurf doch zuzustimmen . Herr Kollege von Notz, Sie haben erwähnt, dass ein grüner Europaabgeordneter maßgeblich an der Datenschutz-Grundverordnung mitgearbeitet hat . Ich habe die leise Hoffnung, dass im Bundesrat auch grün mitregierte Bundesländer diesem Gesetzentwurf zustimmen werden . Ich glaube wirklich, dass wir stolz auf dieses Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz sein können und dass es den Datenschutz für Millionen von Menschen in Deutschland - für Verbraucher, für Arbeitnehmer, für Arbeitgeber, für Patienten, für Studenten, für Rentner - stärken und nicht schwächen wird . Deshalb habe ich noch einmal die herzliche Bitte: Geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß, und stimmen Sie diesem guten und wichtigen Gesetzentwurf zu . Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ebenfalls für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Thomas Jarzombek das Wort . ({0})

Thomas Jarzombek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004061, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden heute über einen Gesetzentwurf, der nicht nur ein Gesetzentwurf zum Schutz der Bürger oder aus dem Bereich der Innenpolitik ist, sondern wir reden hier auch über aktive Wirtschaftspolitik . Es ist fast eine Plattitüde, wenn man sagt, dass Daten der Treibstoff für die Ökonomie 2.0 sind. Man muss einfach sagen, dass in diesen Zeiten, in denen wir uns mit globalen Unternehmen auseinandersetzen, ein nationales Datenschutzrecht keine Perspektive bietet; denn derjenige, der mit seinem Start-up hier in Berlin, in Düsseldorf oder von mir aus auch in den Tiefen des ländlichen Raumes beginnen möchte, braucht überall in Europa - in allen 28 Nationen - den gleichen Rechtsrahmen . Deshalb ist diese Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union eine sehr gute Entwicklung . Wir standen vor der Herausforderung, den gesamten deutschen Datenschutz komplett auf neue Beine zu stellen, und ich bin der Regierung wirklich dankbar; das war ein Kraftakt . Lieber Konstantin von Notz, ich sehe es nicht als ein Problem, sondern als eine gute Lösung an, dass wir diese Neuregelung des kompletten Datenschutzrechts noch vor der Bundestagswahl geschafft haben; denn die Umstellungszeiträume für die Unternehmen sind aufgrund all der komplexen Veränderungen, die sich dort jetzt ergeben, sehr lang . Es kann teilweise sogar Jahre in Anspruch nehmen, die Systeme umzuprogrammieren, wie wir nicht zuletzt bei der Umsetzung des IT-Sicherheitsgesetzes gesehen haben . Stephan Mayer ({0}) Deshalb haben wir auch als Fraktion die Regierung immer wieder angesprochen und gesagt: Lasst uns das bitte noch vor der Wahl fertigbekommen . Dafür, dass das gelungen ist, geht mein Kompliment an den Bundesinnenminister und auch an die Kolleginnen und Kollegen aus dem Innenausschuss . Das war wirklich eine große Leistung . ({1}) Bei all den Dingen, die Kollege Stephan Mayer hier benannt hat und die zeigen, dass der Gesetzentwurf, der hier vorgelegt wurde, wirklich gut ist, heißt das aber noch lange nicht, dass wir mit der Diskussion über das Thema Datenschutz und die Frage, wie wir damit umgehen, am Ende sind . Ganz im Gegenteil: Es gibt durchaus Dinge, bei denen wir hier in diesem Hause nicht alle einer Meinung sind . Ich habe vorhin gesagt, wie wichtig es für das Startup aus Düsseldorf ist, dass es mit einem einheitlichen Rechtsrahmen in ganz Europa agieren kann . Man muss aber feststellen, dass wir zumindest für Unternehmen nicht einmal in ganz Deutschland den gleichen rechtssicheren Standard haben; denn es macht eben schon einen Unterschied, ob jemand mit seinem Start-up im Kreis Pinneberg ({2}) oder möglicherweise in Garching bei München startet . All das unterliegt nämlich erst einmal der Hoheit der Landesdatenschutzbeauftragten, die Entscheidungen treffen, die - das sieht man in der praktischen Umsetzung - teilweise sehr stark voneinander abweichen . ({3}) Das ist der Grund, warum zumindest eine ganze Reihe bei uns hier am Ende zu einheitlicheren Standards kommen möchte . Nun komme ich zu der Frage, wie man das gesamte Thema weiterentwickelt . Es ist vorgesehen, dass die Gruppe 29 auch Vorschläge dazu unterbreitet, wie die Datenschutz-Grundverordnung weiterentwickelt wird . Das Thema Datenverarbeitung sollte nicht immer nur aus einer negativen, risikobehafteten Perspektive betrachtet werden, sondern es muss ebenfalls Institutionen geben, die das Thema durch eine Innovationsbrille betrachten und feststellen, was eigentlich passieren muss, damit unsere Unternehmen die gleichen Chancen haben . Im jetzigen Regime muss man zu vielen Dingen seine Zustimmung geben, und es besteht das Risiko, dass die Zustimmungsgiganten aus Amerika trotz der Datenschutz-Grundverordnung am Ende die Zustimmung für viele Dinge bekommen werden, die sie brauchen . Derjenige, der sich für fast 1 000 Euro ein iPhone gekauft hat, wird bei dem Softwareupdate nach zum Beispiel drei Monaten, bei dem er darum gebeten wird, erneut die Zustimmung für bestimmte Datenverarbeitungen zu geben, nämlich ganz sicherlich nicht sagen: Ich lehne das jetzt ab und mache mein schickes neues Gerät unbrauchbar . Das ist eben der Unterschied zu einem Start-up, das sich in den Markt hineinbewegt und sich seine Reputation erst noch erarbeiten muss . Hier sagen die Menschen vielleicht: Ich musste doch schon bei Apple, bei Google und bei Facebook zustimmen . Ohne die kann ich gefühlt gar nicht leben . Ich musste vielleicht sogar einem Update bei meinem Auto zustimmen . Aber jetzt reicht es, und ich sage am Ende einfach Nein . - Diese Entwicklung müssen wir genau beobachten . Da ist eine Evaluierung notwendig, um zu gucken, ob das, was wir hier machen, am Ende unseren Unternehmen hilft, sich gegen die großen amerikanischen Unternehmen zu behaupten . Der letzte Punkt ist - ich hoffe, dass uns das gelingt -, dass wir das vorhandene Recht tatsächlich durchsetzen . Ich darf sagen: Die Amerikaner haben eindrucksvoll deutlich gemacht, wie sie gegenüber deutschen Automobilherstellern ihr Recht mit immensen Schadenersatzzahlungen durchsetzen . Ich glaube, es ist an der Zeit, dass auch wir eindrucksvoll deutlich machen, wie wir unser Datenschutzrecht gegenüber amerikanischen Unternehmen durchsetzen . Vielen Dank . ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung ({0}) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie ({1}) 2016/680. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 18/12084 und 18/12144, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11325 und 18/11655 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12132 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt . Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 11 b und setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf den Drucksachen 18/12084 und 18/12144 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11401 mit dem Titel „Datenschutzrechte der Bürgerinnen und Bürger stärken“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Jürgen Trittin, Dr . Frithjof Schmidt, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schlüssel für eine globale, ökologische und gerechte Energieaußenpolitik Drucksachen 18/10147, 18/11694 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . - Ich bitte, die notwendigen Umgruppierungen zügig vorzunehmen . Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat als Außenminister einmal gesagt, Energieaußenpolitik sei ein langes Wort . Aber es ist auch ein wichtiges Anliegen . Wenn wir die Antworten auf unsere Große Anfrage zusammenfassen, kann man eigentlich nur feststellen: Die Große Koalition kann keine Energieaußenpolitik . Sie können nur fossile Außenwirtschaftspolitik . ({0}) Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Angeblich streitet die Kanzlerin für die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft bis 2050 . Angeblich fühlen Sie sich den Klimaschutzvorgaben von Paris verpflichtet. Was heißt das? Das heißt, dass vier Fünftel - wahrscheinlich mehr - der heute bekannten Vorräte an Kohle, Öl und Gas unter der Erde bleiben müssen . Und was machen Sie? Seit 2009 hat die Bundesregierung unter Führung von Frau Merkel 19 Milliarden Euro für Exportgarantien für fossile Projekte ausgegeben . Das sind drei Viertel der Exportgarantien im Bereich der Energie . Noch schlimmer ist es bei den Investitionsgarantien . Bei den Investitionsgarantien gingen 96 Prozent an fossile Projekte . Allein Ägypten hat 4 Milliarden Euro bekommen . Sie, meine Damen und Herren, fördern aktiv die Klimaerhitzung . Mir kommt das ziemlich trumpig vor . ({1}) Sie erzählen in Broschüren des Auswärtigen Amts, die Energiewende in Deutschland sei ein Vorbild für die Welt . Aber das war einmal . Sie sind im Inland, was die Energiewende angeht, mit Sonnensteuer, Ausbaudeckel und ganz viel Bürokratie mittlerweile voll auf der Bremse . Das hat uns über 40 000 Arbeitsplätze in Deutschland gekostet . Es sind heute China und Indien, die vormachen, wie man Klimaschutzziele und vertragliche Verpflichtungen einhält, die diese Koalition für 2020 nicht einhalten wird und wahrscheinlich auch 2030 nicht, wenn Sie denn weiterregieren würden, aber da habe ich meine Zweifel . ({2}) Mit dieser Politik schaffen Sie aber auch neue Abhängigkeiten . Sie erzählen uns beispielsweise, Nord Stream 2 sei ein rein unternehmerisches Projekt . ({3}) Sie erzählen uns auch, der südliche Korridor sei ein rein unternehmerisches Projekt. Ich finde es sehr spannend, Gazprom als reines Unternehmen zu betrachten, aber wenn Sie das so sehen, Herr Kollege, bitte . Aber sehen wir uns einmal den südlichen Korridor an . Was ist daran rein unternehmerisch? Es gibt 500 Millionen Anträge auf Millionen Exportgarantien . Es gibt einen Antrag auf einen 2-Milliarden-Euro-Kredit bei der Europäischen Investitionsbank . Und wer soll all dieses Geld bekommen? Das Gasfeld wird von Lukoil erschlossen . Das ist ein russischer Konzern . Die Pipeline läuft durch Aserbaidschan und finanziert die korrupte Autokratie von Alijew. Anschließend verläuft die Pipeline 2 000 Kilometer lang durch die Türkei von Erdogan . Mit anderen Worten: Sie machen sich mit Ihrer Energiepolitik von Erdogan, Alijew und Putins Oligarchen abhängig . Ich sage Ihnen: Energieunabhängigkeit bzw . Energieversorgungssicherheit geht nicht so; sie geht ganz anders . ({4}) Sie geht übrigens auch nicht, wenn Sie als Ergänzung dazu sagen: Wir importieren ganz viel Flüssiggas aus dem Fracking der USA, aus Katar oder anderswoher und landen das dann in Swinoujscie an . Ich will Ihnen sagen, wie es geht: Würden wir in Deutschland 3 Prozent unseres Gebäudebestandes jedes Jahr energetisch wärmedämmen, dann würden wir nicht nur Zehntausende von Arbeitsplätzen im Handwerk sichern, sondern wir würden bis 2030 so viel Gas einsparen, wie wir jetzt jährlich aus Russland importieren . So geht Energieversorgungssicherheit, und so geht Energieaußenpolitik: mit Erneuerbaren, Effizienz und Energieeinsparung . ({5}) Vizepräsidentin Petra Pau

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Jens Koeppen hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Jens Koeppen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003789, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Energieaußenpolitik ist mehr als Energiepolitik .“ Kollege Trittin, das sind die ersten Worte in der Vorbemerkung Ihrer umfangreichen Großen Anfrage mit fast 180 Fragen . Und da gebe ich Ihnen uneingeschränkt recht, weil es schlicht und ergreifend so ist . Energieaußenpolitik ist natürlich auch Sicherheitspolitik und Klimapolitik, wie Sie schreiben . Das ist völlig klar . Ihre Schlussfolgerung allerdings erscheint mir im Hinblick auf unsere eigene Energieversorgung und Energiewende ein wenig ungeeignet, vielleicht sogar kontraproduktiv . Darauf will ich mich auch beziehen, nämlich auf die Hausaufgaben, die wir im Inland zu machen haben . Denn Außenpolitik steht in unmittelbarer Kohärenz mit der nationalen Energiepolitik . Wenn wir hier im Lande die Akzeptanz für unsere Energiewende verlieren, haben wir global gesehen ganz schlechte Karten . ({0}) Energieaußenpolitik ist auch mehr als nur reine Klimapolitik, wie Sie es gerade beschrieben haben . Es darf daraus auch keine Glaubensfrage gemacht werden . Energiepolitik ist selbst mehr als der bloße Zubau von Erneuerbare-Energie-Anlagen ohne die Abnahmemöglichkeit und ohne die Nutzbarkeit . Es darf bei unserer Energiepolitik und bei unserer Energiewende keinen Aktionismus geben . Ihre Fragestellungen und Ihre Debattenbeiträge - auch der Beitrag eben - machen sehr deutlich, dass das energiepolitische Zieldreieck, das wir uns gemeinsam gesetzt haben, von Ihnen nicht mehr verinnerlicht wird . ({1}) Ich darf das noch einmal in Erinnerung rufen . Da ist zum einen die Versorgungssicherheit - Sie haben sie angesprochen; sie kommt mir aber zu kurz -, da ist die Bezahlbarkeit, und da ist natürlich die saubere Energieversorgung . Wir haben immer gesagt, dass es sich um ein gleichschenkliges Dreieck handelt . Es ist also alles gleichwertig . Dieses Zieldreieck wird leider zunehmend rein „klimapolitischen Anstrengungen“ - in Anführungsstrichen - geopfert . Sie schreiben nämlich in Ihren Vorbemerkungen - ich darf zitieren -: Energiesicherheit wird es … auf Dauer nur geben, wenn es gelingt, die Klimakrise aufzuhalten und den Klimawandel zu begrenzen . ({2}) Das ist natürlich richtig . Da könnte jeder von uns auch klatschen . Aber Sie ordnen alle anderen energiepolitischen Ziele, die es auch noch gibt - ich habe sie ja erwähnt -, dem Klimaschutz unter . Eine solche einseitige Energiepolitik hat keine Chance auf Erfolg, ({3}) findet keine Mehrheit in der Bevölkerung und führt in eine Sackgasse . Das muss man ganz deutlich sagen . ({4}) Eine abgestimmte Energieaußenpolitik ist enorm wichtig . Energie muss für alle Menschen in Zukunft verfügbar sein und muss bezahlbar sein . ({5}) Energie, Wärme, Strom dürfen niemals zu einem Luxusartikel werden . ({6}) Dazu gehört aber auch, anzuerkennen, dass unterschiedliche nationale Energiemixe mit einer gemeinsamen europäischen Energieaußenpolitik vereinbar sind . Wir brauchen so viel Europa wie nötig und nicht so viel Europa wie möglich . ({7}) Gemeinsame Ziele kann man gerade hier auch mit national unterschiedlichen Energiemixen und Wegen erreichen . So viel Akzeptanz müssen wir auch mitbringen . Wir können doch nicht unseren europäischen Nachbarn entsprechende Vorschriften machen und zum Beispiel den polnischen Nachbarn sagen, sie dürften ihre Kohle nicht nutzen . Wir dürfen doch den französischen Nachbarn nicht sagen: Wir verordnen euch jetzt den Atomausstieg . ({8}) Damit werden wir scheitern und letztendlich gar nichts erreichen . Dann werden mehr und mehr Menschen aufgrund der Bevormundung vielleicht sogar Europa verlassen wollen . Das müssen wir verhindern . ({9}) Wenn Deutschland Motor einer weltweiten Energiewende oder auch Motor für den Ausbau der erneuerbaren Energien sein will, dann müssen wir selbst erfolgreich sein . Wir müssen den anderen zeigen, wie es funktioniert . Und hier müssen wir uns ehrlich machen . Lieber Kollege Trittin, was wir gegenwärtig in dem Bereich tun, ist wenig stimmig . Es ist zu teuer und vor allen Dingen auch umweltpolitisch sehr fragwürdig . ({10}) - Ja, selbstverständlich . Mit „wir“ meine ich aber uns alle und das, was wir in Deutschland in der gesamten Gesellschaft machen . ({11}) Lieber Kollege Trittin, ich erinnere an unser Stromeinspeisungsgesetz . Das haben Sie auch mitgetragen . Aber die Stimmigkeit fehlt mir . Es geht doch gar nicht darum, wer jetzt für die Politik zuständig ist . ({12}) Es geht darum, was wir letztendlich in der Gesellschaft daraus machen . ({13}) Allein für die Stromwende - jetzt kommen wir einmal zu den Fakten - zahlen die Verbraucher und Unternehmen in Deutschland über 30 Milliarden Euro im Jahr . Hinzu kommen die Netzentgelte sowie die Kosten durch Zubau und Redispatch . Ich befürchte, lieber Kollege Trittin, dass allein dieser Kostenblock viele Länder von einer europäischen Energiewende abhält, ganz zu schweigen von einer globalen . ({14}) Die Energiewende verliert zudem massiv an Rückhalt in der Bevölkerung . Der Ausbau der erneuerbaren Energien kann aber nur zusammen mit der Bevölkerung gelingen . ({15}) Ich will Ihnen ein paar schlechte Beispiele aus Brandenburg nennen . ({16}) Die Windeignungsgebiete werden in Brandenburg, aber auch anderswo gesetzlich durchgedrückt . Sie werden regelrecht durch die regionalen Planungsgemeinschaften gepeitscht . ({17}) Eine Dorfgemeinschaft nach der anderen wird in Opposition zur Energiewende gebracht. Geringe Abstandsflächen zur Wohnbebauung sind inakzeptabel . ({18}) Stellen Sie sich vor: Eine Windenergieanlage mit einer Nabenhöhe von 230 Metern ({19}) kommt in der Uckermark auf bis zu 800 Meter an die Wohnbebauung heran, bei Zielabweichungsverfahren sogar auf bis zu 500 Meter . ({20}) Erklären Sie das den Betreffenden einmal! Ich lade Sie ein, ein Haus zu betreten, das neben einer Windenergieanlage mit einer Nabenhöhe von 230 Metern steht . Selbst wenn Sie Türen und Fenster schließen, werden Sie den Infraschall und die Lärmbelästigung nicht leugnen können . ({21}) Sie müssen die Ängste und Sorgen der Menschen ernst nehmen . ({22}) Die Akzeptanz geht verloren . Aber die Energiepolitik benötigt Akzeptanz . Zudem werden die Netzentgelte nicht bundesweit umgelegt . Nun kommt der größte Treppenwitz: Windkraftanlagen werden in den Wald gestellt . ({23}) Der größte CO2-Speicher ist nun einmal der Wald . Um eine energiearme Versorgung zu gewährleisten, wollen wir nun den Wald hektarweise abholzen . Das ist absolut unlogisch . ({24})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Koeppen, Sie haben nicht bemerkt, dass ich gerade die Uhr angehalten habe . Sobald ich überwiegend das Wort habe, stelle ich Ihnen die Frage, ob Sie eine Bemerkung oder eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zulassen?

Jens Koeppen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003789, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich erwarte nicht sehr viel Erkenntniszugewinn . Deswegen lassen wir das lieber . ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Entschuldigung, gilt das auch für die Frage der Kollegin Eva Bulling-Schröter, die sich ebenfalls zu einer Zwischenfrage meldet?

Jens Koeppen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003789, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja . - Anlagen werden wegen fehlender Leitungen abgeschaltet . ({0}) Die Windmüller bekommen trotzdem ihren Anteil ausgezahlt . Das ist gut für Investoren, aber nicht gut für die Energiewende; denn sie verliert an Akzeptanz . ({1}) Es dürfte nur der Strom vergütet werden, der letztendlich durch den Zähler fließt. Wenn das nicht der Fall ist, dann haben wir keine Chance, neue Innovationen, Speichertechnologien und bedarfsgerechte Angebote zu finden . Dann laufen wir mit unserem jetzigen Know-how unter der hohen Messlatte hindurch . Nun kommt ein letzter Aspekt, der sehr wichtig ist und den Sie bereits angesprochen haben, Herr Trittin . ({2}) Die Abhängigkeit von Energieimporten müssen wir senken . Dazu gehört auch eine ehrliche Energieaußenpolitik . Daher ist es notwendig - das sage ich ganz deutlich -, unsere heimischen Ressourcen sinnvoll und so sauber wie möglich zu nutzen . ({3}) - Selbstverständlich die Braunkohle . ({4}) Es ist absolut scheinheilig, die heimische Braunkohle zu verteufeln und dann über eine Energieaußenpolitik zu philosophieren . ({5}) Wenn wir auf die heimischen Energieträger verzichten, steigt unsere Abhängigkeit, und zwar von fossilen Energieträgern . Das ist unredlich und verschiebt nur das Unliebsame ins Ausland . Wir sind sauber, und die Dreckspatzen sitzen woanders . Wir müssen vielmehr auf Prozesse und Techniken setzen, die die Kohleverstromung sauberer und umweltverträglicher machen . Wir können zurzeit nicht auf die heimischen Ressourcen verzichten, da sie zu einer bezahlbaren und sicheren Energieversorgung beitragen . ({6}) In diesem Sinne plädiere ich an das Umweltministerium, im Rahmen des sogenannten Best-Prozesses in Brüssel - das sind die Verhandlungen über die bestverfügbare Technik - nichts auszudealen . Das führt möglicherweise zu mehr Ausstoßmöglichkeiten und einem vermeintlich freiwilligen Ausstieg aus der Braunkohle bis 2030 . ({7}) Das ist energiepolitisch nicht darstellbar . Wir können bis zum Jahre 2030 aus der Kohle nicht aussteigen, und zwar aus Gründen der Energieaußenpolitik und aufgrund der Herausforderungen, die wir bei den erneuerbaren Energien bezüglich der Kosten, der Verfügbarkeit, der Schwankungen, der Akzeptanz, der Versorgungssicherheit, der Grundversorgung und des Lastmanagements haben . Lassen Sie uns Ihren komplexen Fragenkatalog also dazu nutzen, um eine moderne Energieversorgung im Kontext des Zieldreiecks und eine faire, realistische und ideologiefreie Energieaußenpolitik zu gestalten . Dazu haben Sie die herzliche Einladung . ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Bulling-Schröter, ich bitte Sie einen Moment um Geduld . ({0}) - Es gibt die Anmeldung von zwei Kurzinterventionen . Als Erster hat der Kollege Harald Petzold das Wort .

Harald Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004374, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Ich will es ganz kurz machen . Zum Ersten will ich hier feststellen, dass die Aussagen des Kollegen Koeppen, was den Ausbau der erneuerbaren Energien, vor allem der Windenergie, in Brandenburg anbelangt, nicht den Tatsachen entsprechen . ({0}) Ich finde es unredlich, dass er keine Zwischenfrage zulässt, damit man das wenigstens richtigstellen kann . Zum Zweiten möchte ich feststellen, dass die Akzeptanzprobleme, was die Energiewende anbelangt, zumindest im Land Brandenburg damit zu tun haben, dass es eine übergebührliche Belastung vor allen Dingen der ostdeutschen Bundesländer durch die Stromeinspeisungsgebühren gibt, die abzubauen die CDU/CSU nicht bereit ist und die dazu führen, dass die Menschen in Ostdeutschland höhere Stromgebühren zu bezahlen haben . Der Kollege sollte sich an die eigene Nase fassen, wenn er hier solche Thesen zur Akzeptanz der Energiewende in den Raum stellt . Danke schön . ({1})

Jens Koeppen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003789, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollege Petzold, das, was in Brandenburg passiert, habe ich Ihnen gesagt . Ich selbst arbeite in der Regionalen Planungsgemeinschaft Uckermark-Barnim mit . Das, was ich Ihnen gesagt habe, sind alles Tatsachen . Windenergieanlagen von 230 Metern Nabenhöhe kommen bis 500 Meter durch Repoweringanlagen an die Bebauung heran . Sie können gerne kommen, ich lade Sie ein . Sie müssen sich einfach vor Ort informieren . ({0}) Das Zweite ist: 800-Meter-Anlagen sind gang und gäbe . Durch ein Zielabweichungsverfahren ist es sogar möglich, bis zu 500 Meter an die Bebauung heranzukommen . Jetzt stellen Sie sich einmal diese Anlagen vor . Das ist das Problem . Das machen die Leute nicht mit . Die 1 000 Meter Abstand haben alle mitgetragen, aber jetzt durch Repowering so nahe heranzukommen, ist nicht möglich . Ein Wort zu der bundeseinheitlichen Umlage der Netzentgelte . Soweit ich mich erinnern kann, hatten wir das im November vergangenen Jahres mit den Ministerpräsidenten alles wasserdicht gemacht . Dann hat sich der Kollege Gabriel, damals in der Funktion des Wirtschaftsministers, mit Frau Kollegin Kraft getroffen, der Ministerpräsidentin von NRW . ({1}) Die Kollegin Kraft hat gesagt, dass sie eine Wahl zu bestehen habe und der Wirtschaftsminister darauf hinwirken möge, dass das Versprechen, endlich eine bundeseinheitliche Umlage der Netzentgelte einzuführen, nicht eingelöst wird, jedenfalls nicht bevor die NRW-Wahl gelaufen ist . Das hat er auch in vorauseilendem Gehorsam gemacht . Das war seine letzte Amtshandlung . Die war sehr schlecht . Wir sind seit über 15 Jahren dafür - da können Sie die Beschlüsse der ostdeutschen Landesgruppen nachlesen -, eine bundeseinheitliche, gerechte, faire Umlage der Netzentgelte zu erreichen . ({2}) Das ist leider wegen der NRW-Wahl nicht gelungen . Vielen Dank . ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren und letzten Kurzintervention an dieser Stelle hat die Kollegin Annalena Baerbock das Wort .

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Brandenburg hat viele Abgeordnete . Die sind alle an der Energieaußenpolitik interessiert: global denken, lokal handeln . Aber mir geht es ähnlich wie Herrn Petzold . Wir wollen unser Bundesland hier nicht so darstellen, als würden dort nur Gegner der Windkraft wohnen . Ich möchte deswegen klarstellen, dass es ein Volksbegehren gegen Windkraft in Brandenburg gab, bei dem die Unterschriften das Quorum bei weitem unterschritten haben . Das Bild, das Sie hier gezeichnet haben, ist mehr als falsch . ({0}) Dasselbe gilt für die Darstellung der Kohle in Brandenburg . Wenn Sie die Hektar Wald, die Sie hier angesprochen haben - dabei muss man sagen, dass es in Brandenburg vor allen Dingen Kiefernforst gibt ({1}) und die für die Errichtung von Windkraftanlagen abgeholzt werden, mit denen vergleichen, die für die Kohleverstromung in der Lausitz abgebaggert werden, dann sehen Sie, dass da eine Riesendiskrepanz klafft. Das jetzt hier so darzustellen, als würden Windkraftanlagen die Heimat in Brandenburg zerstören, ist absolut falsch . ({2}) - Natürlich werden einzelne Bäume auch wegen Windkraftanlagen abgeholzt . Herr Freese, Sie können sich in dieser Debatte gern zu Wort melden . Da Sie den Menschen hier dargelegt haben, wie lange die Kohle noch reicht, möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass es nicht die Grünen waren, die vor kurzem eine Entscheidung für die Lausitz getroffen haben, sondern das Energieunternehmen LEAG; Herr Freese kann auch dazu gleich vielleicht noch etwas sagen . Dieses Unternehmen hat selbst festgestellt, dass man auf weitere Tagebaue in Brandenburg verzichten wird . Wenn Sie jetzt mit der Energiewende Schluss machen wollen, frage ich Sie, wie Sie die Energiesicherheit, von der Sie hier immer gesprochen haben, weiter gewährleisten wollen . Dann noch eine abschließende Anmerkung - schließlich haben wir hier über Energieaußenpolitik gesprochen; zu der außenpolitischen Dimension haben Sie herzlich Harald Petzold ({3}) wenig gesagt -: Wir reden hier auch über Nord Stream 2 . Vom Kollegen Ramsauer habe ich gehört, dass der ganze Bundestag das Vorhaben unterstütze . Ich stelle das zwar sehr infrage, aber sei’s drum . Diese Pipeline soll deutschen Boden bekanntlich in Mecklenburg-Vorpommern erreichen . In der Folge soll sie durch Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen weitergeführt werden; nach Tschechien führt die EUGAL . Mich würde einmal sehr interessieren, wie Sie als Brandenburger Abgeordneter dazu stehen, kilometerweite Flurstücke neuaufzureißen, um da eine neue Leitung zu legen, die über die nächsten Jahrzehnte dort liegen würde . Das wäre fossile Abhängigkeit . Das bedeutete weitere Zerstörung und Abhängigkeit von Russland für die nächsten Jahrzehnte . Das hätte nichts mit Versorgungssicherheit in Deutschland zu tun . ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Koeppen hat das Wort zur Erwiderung .

Jens Koeppen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003789, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, dass Sie die Gasverfechter sind . Es steht ja auch in Ihren Fragestellungen, dass Sie letztendlich die Gasleitungen wollen . ({0}) - Sie bauen nicht Nord Stream; aber Sie wollen das Gas haben . Es gibt noch kein Wireless für Gas . Da müssen Sie schon aufpassen . Ich will auf das Land Brandenburg zurückkommen . Sie müssen auch einmal dem einen oder anderen Abgeordneten, der nicht aus Ihrer Fraktion kommt, zuhören . Niemand, aber auch niemand hat gesagt, dass irgendeiner in diesem Hause gegen die Energiewende ist . ({1}) - Nein . Deswegen sage ich ja: Wer zuhört, ist klar im Vorteil . Ich habe gesagt: Wir werden die Akzeptanz für die Energiewende verlieren, wenn wir die Energiewende ideologisch so weiterbetreiben, dass es keine Möglichkeit gibt - weder durch Netze noch durch andere Dinge -, dass wir zubauen, sodass der Strom letztendlich genutzt werden kann . ({2}) Das ist in Brandenburg der Fall . Die Uckermark-Leitung kann nun einmal nicht gebaut werden, weil ihr Bau beklagt wurde . Jetzt sind in unserem Planungsgebiet 750 Windkraftanlagen - mittlerweile sind es schon mehr - vorgesehen, aber nur die Hälfte davon steht . Die Windmüller werden trotzdem bezahlt . Was ist denn das für eine Logik? Diese Frage will ich stellen . Es hat doch keiner etwas gegen die Energiewende, wir haben nur etwas dagegen, wie die Energiewende durchgeführt wird . Das ist nicht stimmig; das geht so nicht . Noch etwas zu den Anlagen im Wald; schließlich setzen Sie sich so dafür ein . Es ist der größte Treppenwitz der Geschichte der Energiewende, dass man den größten Energiespeicher dafür opfert, dass eine energiearme Energieversorgung von dort aus geleistet werden soll . Das können Sie niemandem erklären . Ich kann das nicht erklären, und ich werde es auch niemandem erklären . Windenergieanlagen haben im Wald nichts, aber auch gar nichts zu suchen . ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir fahren in der Debatte fort . Das Wort hat nun die Kollegin Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke . ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Energieaußenpolitik geht es nicht etwa um Energydrinks; es geht um Erdöl, um Gas und um Erneuerbare, also um die Art und Weise, wie wir außerhalb unserer Grenzen den Grundstoff organisieren, der unseren Wohlstand am Laufen hält: Energie . Darum ist es gut, dass wir heute über Außenpolitik und Energie sprechen . Energieaußenpolitik bearbeitet nicht nur die Frage, ob Erdgas aus Russland preisgünstig und verlässlich ankommt, nicht nur die Frage, wie wir als Industrieland ohne Rohstoffe immer neue Lieferanten finden, und nicht nur die Frage, ob sich die Exportwirtschaft beim Boom der Erneuerbaren ein Stück vom Kuchen sichert . Wir Linken sagen immer wieder: Es geht bei Energieaußenpolitik um Gerechtigkeitsfragen . Wie wird der Energiereichtum dieser Welt verteilt? Es geht um politische Einflussnahme. Es geht um Macht, um Kontrolle über Rohstoffe und Handelswege. Es geht um Pipelines und Marktanteile . Es geht bei Energie immer auch um Krieg und Frieden. Deswegen finden wir eure Anfrage auch so gut, wobei sich die Bundesregierung in ihren Antworten um klare Worte drückt . Damit dieser Staat an billiges Erdöl für deutsche Autos und Fabriken sowie an billiges Gas für unsere Heizungen kommt, machen sich deutsche Konzerne und die Bundeswehr in vielen Teilen dieser Erde die Hände schmutzig . Allein unter Deutschlands 15 wichtigsten Erdöllieferländern sind 10 Staaten, in denen entweder Kriege oder ein undemokratisches Regime herrschen . Die Liste liegt uns vor, liebe Kolleginnen und Kollegen: Nigeria auf Platz 4: Krieg und Terror; Kasachstan auf Platz 5: keine Opposition; Aserbaidschan auf Platz 6: Folter und Korruption; ({0}) Ägypten auf Platz 8: Putschisten; Libyen auf Platz 9: Bürgerkrieg; Irak auf Platz 10: Chaos und IS; Saudi-AraAnnalena Baerbock bien auf Platz 11: Bombenkrieg im Jemen, Demokratie gleich null - um nur einige zu nennen . In der Anfrage ist mir diese Beschaffungskriminalität bei Energierohstoffen ein wenig zu kurz gekommen. ({1}) Deutschland ist eben leider kein Land der friedlichen Saubermänner und Sauberfrauen . Ein Blick in die Verteidigungspolitischen Richtlinien reicht, um zu verstehen, dass die Bundesregierung auch heute, 2017, bereit ist, für Energie zur Waffe zu greifen und Regime zu unterstützen . Deutsches Sicherheitsinteresse sei es - jetzt zitiere ich -, „einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen“ . Die Verknappung oder Engpässe bei der Versorgung mit natürlichen Ressourcen und Rohstoffen werden als Bedrohung ausgemacht . Wie in alten Zeiten verteidigt Deutschland seine Energieversorgung nach vorne . Weil die „Erschließung, Sicherung von und der Zugang zu Bodenschätzen, Vertriebswegen und Märkten weltweit neu geordnet“ wird, so das Verteidigungsministerium, „werden Transport- und Energiesicherheit … künftig auch für unsere Sicherheit eine wachsende Rolle spielen“ . - Das war alles Zitat . Für Energie rückt die Bundeswehr aus, auch in „geografisch entfernte Regionen“, wie das im Militärsprech so heißt . Wir sagen: Das ist der falsche Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({2}) Auf 2 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung will Schwarz-Rot die Armeeausgaben erhöhen, von 37 Milliarden Euro auf 60 bis 70 Milliarden Euro bis 2024 . Noch einmal: auf 60 bis 70 Milliarden Euro, die wir woanders, zum Beispiel bei den regenerativen Energien, besser einsetzen könnten . ({3}) Deshalb sagt die Linke: Nie wieder Krieg, auch nicht für klimaschädliches Öl und Erdgas! ({4}) Zum Schluss möchte ich noch etwas zum Thema „Windkraft im Wald“ sagen . Wie man hört, komme ich aus Bayern . Dort wurde gerade das 100 . Windrad im Wald geplant, und das wird jetzt zur Ausführung kommen . Es ist der Bayerische Staatswald . Ihre Bruderpartei sieht das ein bisschen anders als Sie . ({5}) Ihr seid euch da also nicht einig - wie in vielen Dingen nicht . Danke . ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Johann Saathoff für die SPD-Fraktion . ({0})

Johann Saathoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004393, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Energiepolitik ist ein gutes Stück auch Außenpolitik - na sicher . Energiepolitik ist auch Entwicklungspolitik . Es geht um Zugang zu Energie für die Menschen . Es geht um Ausgleich der Lebensqualität auf der Welt . Es geht um die Voraussetzungen für Menschen und Regionen, sich entwickeln zu können . Es geht bei Energiepolitik natürlich auch um Verteilungsgerechtigkeit . Energiepolitik, meine Damen und Herren, ist auch Sicherheitspolitik . Es geht um den Kampf um Rohstoffe und Ressourcen . Es geht auch darum, dass fehlender Zugang zu Energie ein Fluchtgrund sein kann - genauso wie der Klimawandel durchaus ein Fluchtgrund sein kann . Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist Energiepolitik natürlich auch Klimapolitik . ({0}) Energiepolitik - das will ich an dieser Stelle betonen ist auch Wirtschaftspolitik . Wir müssen aufpassen, dass die Menschen in den anderen Ländern nicht glauben, die Energiewende sei in erster Linie eine deutsche Exportinitiative . Vielmehr müssen wir sie davon überzeugen, dass die Energiewende nicht nur aus deutscher wirtschaftspolitischer Sicht notwendig ist, sondern dass sie letzten Endes auch, was das Innenverhältnis angeht, für ihr eigenes Land wichtig ist . Wir müssen aufzeigen, dass die Einwohner mit der Energiewende von passiven Verbrauchern zu aktiven Marktteilnehmern werden können . Energiepolitik ist also auch Wirtschaftspolitik und Außenpolitik . Das alles ist - keine Frage - richtig . Im Hinblick auf die Feststellung, dass die Energiepolitik aber auch primäres Element der Außenpolitik sein muss, würde ich an dieser Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Fragezeichen setzen . Für uns als Energiepolitiker ist das natürlich nachvollziehbar, wahrscheinlich sogar zwingend geboten, für die normalen Menschen aber, glaube ich, eher nicht . Dazu reicht ein Blick in die Europäische Union . Im Ranking der Probleme - so weit sind wir ja schon an dieser Stelle - der Europäischen Union liegt die Energiepolitik - das ist traurig genug - nicht unter den drei Topplätzen . Das ist so trotz jahrelanger Diskussionen über eine Energieunion und trotz der neuerlichen Diskussion über die neuen Anreize im Clean Energy Package, mit dem wir aber nicht uneingeschränkt einverstanden sind . Wie schwierig die internationale Zusammenarbeit in der Energiepolitik ist, sieht man auf der Ebene der Europäischen Union zum Beispiel schon am Strommix . Polen und Tschechien favorisieren unter anderem den Kohlestrom . Frankreich ist mehr ein Fan von Kernenergie . Die einen legen also keinen Fokus auf eine CO2-Reduzierung, die anderen schon - aber nicht zwingend unseren . Alle zusammen - das ist noch viel schlimmer - denken, dass sich doch nur die reichen Deutschen die Energiewende leisten können . Wenn die Diskussion auf europäischer Ebene schon kompliziert ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann ist sie auf globaler Ebene noch um ein Vielfaches komplexer . Die Herausforderungen sind - da gibt es überhaupt keinen Zweifel - global . Das habe ich im Ausland - zum Beispiel in Peking - kennengelernt . Unsere Besuchergruppe hatte Glück . Der deutsche Grenzwert für Luftverschmutzung wurde am Tag unseres Besuches nur um das Dreißigfache überschritten . In Australien kann man erleben, dass Steinkohle im Tagebau mit dem Bagger einfach vom Boden abgekratzt wird. Sie kann dann gleich weltweit verschifft werden. In Sambia kann man sehen, wie in einem Bauerndorf auf dem Land zwar jeglicher Zugang zu Energie fehlt - das kann eigentlich schon als Problem an sich identifiziert werden -, dass die Menschen aber noch viel größere Probleme haben, um die sie sich kümmern müssen . Sie müssen sich nämlich zum Beispiel irgendwie vor dem um sich greifenden Landgrabbing schützen . Ich glaube, dass in diesem Zusammenhang auch wichtig ist, dass hier im Parlament deutlich darauf hingewiesen wird, dass es darauf ankommt, dass wir Parlamentarier, was die Energiepolitik angeht, in einem internationalen Austausch stehen . ({1}) „Liggt di wat dran, dat man di in dien Kollontje mag, musst du een von de Kollontje ween“ . Albert Einstein hat das wie folgt - Achtung, ich zitiere - übersetzt: Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muss man vor allem ein Schaf sein . ({2}) Man muss für den Weg der Energiewende aus der Herde ausbrechen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und bereit sein, neue Wege zu gehen . Und es gibt mindestens eine Trillion Gründe, den Weg der Energiewende zu beschreiten . Überall in der Welt gibt es großes Interesse am deutschen Weg der Energiewende . Wenn ich im Ausland danach gefragt wurde, habe ich das an der einen oder anderen Stelle durch folgendes Bild deutlich gemacht: Die Energiewende ist so, als wenn man einen Ball auf einem Finger balanciert . Das kann in der Regel jeder von uns . Man darf dabei nur nicht einschlafen . Das heißt, man hat ständigen Nachregelungsbedarf . Es ist keinesfalls so, dass man ein schlechtes Gesetz gemacht hat, wenn man später nachregelt, sondern das Gegenteil ist der Fall . Die Wirkungen des vorherigen Gesetzes gelten, und deswegen muss man neu an die Gegebenheiten anpassen . Der zweite Hinweis, den ich den ausländischen Parlamentariern gebe, ist folgender: Es gibt keine Blaupause und keinen Königsweg . Man kann nicht die Energiewende eines Landes auf ein anderes Land übertragen; denn die Geologie ist in jedem Land anders . Und es gibt politische Rahmenbedingungen, die den einen oder anderen Weg vielleicht möglich oder auch unmöglich machen . Des Weiteren kann es traditionelle Gründe geben, das eine oder andere nicht durchzuführen . In diesem Zusammenhang war mir bei den Gesprächen mit den Kollegen aus dem Ausland aber auch wichtig, auf einen Zusammenhang hinzuweisen, auf den man nicht sofort kommt, dass nämlich Energiewende, wenn man sie in einem Land plant, auch immer mit dem damit einhergehenden Strukturwandel verbunden sein muss . Man kann die Menschen mit dem Strukturwandel nicht allein lassen . Man kann verantwortungsvolle Energiepolitik nur machen, wenn man auch den Strukturwandel gleich mitorganisiert . Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt auch für Deutschland . ({3}) Wir werden uns daran messen lassen müssen, wie wir den Strukturwandel, der durch die Energiewende eintritt, in Deutschland meistern . Die Welt wird uns natürlich auch auf die Finger schauen, wenn es um die Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens geht . Da geht es aus meiner Sicht vor allen Dingen um die Vertragstreue Deutschlands . ({4}) Es geht also um Werte und um Standortfaktoren, die Deutschland auf der ganzen Welt einmalig machen: Es geht um Vertragstreue, es geht um Zuverlässigkeit, und es geht um Glaubwürdigkeit . Diese Glaubwürdigkeit dürfen wir nicht durch die Infragestellung des Pariser Klimaschutzabkommens verspielen; denn das hätte enorme Auswirkungen auf die Wirtschaft . ({5}) In Zeiten, in denen andere große Nationen beginnen, den Klimawandel wieder infrage zu stellen, muss - davon bin ich fest überzeugt - Deutschland eine Vorreiterrolle einnehmen - das sind wir unseren Kindern und unseren Enkelkindern schuldig -, damit die Energiewende auch in einem globalen Kontext gelingen kann . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache und rufe nun den Tagesordnungspunkt 13 auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern Drucksache 18/11162 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern Drucksache 18/11584 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({0}) Drucksache 18/12155 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr . Johannes Fechner für die SPD-Fraktion . ({1})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne! Die Berichte unserer Verfassungsschutzbehörden zeigen es: Leider ist auch in Deutschland die Gefahr von terroristischen Anschlägen gestiegen . Deshalb müssen wir als Gesetzgeber genau prüfen, ob es Gesetzeslücken gibt, die wir zur Verhinderung von Anschlägen schließen müssen . Dabei gilt der Satz von Helmut Schmidt, auch im Zorn einen kühlen Kopf zu bewahren, um effektiv Kriminalität und Terrorismus zu bekämpfen . Genau dies tun wir mit diesem Gesetz . Mit diesem Gesetz werden wir das Maßregelrecht für extremistische Straftäter erweitern . Insbesondere wollen wir die elektronische Aufenthaltsüberwachung, also die sogenannte Fußfessel, auf extremistische Straftäter ausweiten . Soweit es in den Diskussionen im Vorfeld Kritik daran gab, dass dies rechtsstaatlich bedenklich sei, ist zu sagen: Ja, die Fußfessel ist ein ganz erheblicher Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen. Aber wenn feststeht, dass eine Person gefährlich ist und dass sie schon gerichtlich festgestellt Straftaten begangen hat, dann ist eine solche Maßnahme zum Schutz unserer Bevölkerung gerechtfertigt . ({0}) Wir erweitern deshalb den Anwendungsbereich der Fußfessel, damit zukünftig die Fußfessel auch Straftätern auferlegt werden kann, die sich wegen einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, wegen Terrorismusfinanzierung oder wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung strafbar gemacht haben . Denn wenn durch eine solche Straftat erwiesen ist, dass diese Person gefährlich ist, dann muss es möglich sein, sie durch die Fußfessel zu überwachen, um weitere Straftaten zu verhindern . ({1}) Das ist verfassungsgemäß und rechtsstaatlich; denn die Fußfessel kann nach unserem Gesetzesvorschlag eben nur Personen auferlegt werden, deren Gefährlichkeit erwiesen ist . Nur wer sich wegen bestimmter Straftaten, die ich genannt habe, strafbar gemacht hat, dem kann die Fußfessel auferlegt werden . Das ist auch richtig so . Hier gelten also ganz klare rechtsstaatliche Kriterien für die Fußfessel . Richtig ist, dass die Fußfessel kein Allheilmittel ist . Der schreckliche Mord an einem Priester in Frankreich hat gezeigt, dass Täter, die zu allem entschlossen sind, von solchen Taten nicht abgehalten werden können . Dennoch sprechen zwei Argumente für die Fußfessel: Die Überwachung durch die Fußfessel führt dazu, dass der Fußfesselträger weiß, dass die von ihm begangene Straftat aller Wahrscheinlichkeit nach sofort ihm zugerechnet wird, weil ja festgestellt werden kann, dass er am Tatort war . Zumindest dem Täterkreis, dem die Entdeckung der Tat nicht egal ist, wird das Entdeckungsrisiko zu hoch sein, und man wird von der Straftat absehen . Vor allem hat aber nicht zuletzt die Sachverständigenanhörung ergeben, dass gerichtliche Weisungen an Extremisten, bestimmte Orte wie etwa Flughäfen, Großveranstaltungen, Bahnhöfe oder Treffpunkte von Extremisten nicht zu betreten, durch die Fußfessel effektiv überwacht werden können . Wenn gegen ein solches Verbot verstoßen wird, dann kann die Polizei informiert werden, und die örtliche Polizei kann sofort einschreiten . Deshalb nochmals: Die Fußfessel mag kein Allheilmittel sein, aber sie ist eine Möglichkeit, Straftaten zu verhindern, weil für den Täter ein hohes Entdeckungsrisiko besteht . Und sie ist ein wirksames Mittel, um zu verhindern, dass sich Gewalttäter in potenziellen Anschlagszielen wie etwa Flughafengebäuden aufhalten . Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetz erweitern wir den Anwendungsbereich der Fußfessel maßvoll, damit erwiesenermaßen gefährliche Terroristen überwacht werden können, um zu verhindern, dass diese sich in bestimmten Örtlichkeiten aufhalten . Angesichts der leider bestehenden Bedrohungslage ist diese maßvolle Ausweitung der Anwendung der Fußfessel sinnvoll . Wir schaffen insbesondere eine rechtsstaatliche Grundlage, damit nicht ins Blaue hinein unbescholtenen Bürgern diese Fußfessel auferlegt wird, sondern nur erwiesenermaßen gefährlichen Gewalttätern . ({2}) In diesem Sinne rufe ich Sie auf, diesem maßvollen Gesetz zuzustimmen . Vielen Dank . ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Frank Tempel für die Fraktion Die Linke . ({0})

Frank Tempel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003899, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Gefahr von Terroranschlägen ist tatsächlich traurige Realität . Und deswegen ist es unsere gemeinsame Pflicht, nicht Aktivität in Sicherheitsfragen zu simulieren, sondern mit effektiven und wirkungsvollen Gegenmaßnahmen in die Gänge zu kommen . ({0}) Vizepräsidentin Petra Pau Wenn wir in diesem Zusammenhang über extremistische Straftäter reden, also über Menschen, die in solchem Zusammenhang eine Haft verbüßt haben, dann reden wir ganz offensichtlich über Menschen, die mindestens zwei Jahre im staatlichen Gewahrsam waren . Was die Linke jetzt erwartet, ist eine Debatte, die zeigt, wie die Zeit dieser Haft noch intensiver zur Deradikalisierung des Straftäters, also zu seiner Resozialisierung, genutzt werden kann . Wir brauchen Programme, die sich spezialisiert genau dieses Phänomens annehmen . ({1}) Ich kann jetzt bereits ankündigen, dass die Linke für solche Programme zu den Haushaltsverhandlungen 2018 Anträge vorlegen wird . Ganz ähnliche Programme werden wir übrigens auch brauchen, um grundsätzlich der Radikalisierung von Menschen während ihrer Haftzeit entgegenzuwirken . Italien wird das zum Beispiel laut dpa-Meldungen demnächst verstärkt tun . Auch Deutschland sollte darauf einen deutlich stärkeren Fokus legen . ({2}) Die Voraussetzung dafür ist natürlich Wissen . Wann, warum und auf welche Weise radikalisieren sich Menschen derart, dass sie bereit sind, selbst zum Preis des eigenen Lebens, Menschen zu töten? Genau diese Frage wird seitens der Bundesregierung zu selten gestellt . Im sechsten Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission zu einer wirksamen und echten Sicherheitsunion, der vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde, wird das Aufklärungsnetz gegen Radikalisierung und sein Exzellenzzentrum angesprochen . Solche Netzwerke und natürlich Forschung im eigenen Land - davon sind wir nicht befreit - müssen genutzt werden, um mehr Tempo in diese Prozesse zu bringen . Geld, meine Damen und Herren, wollen Sie ganz offensichtlich für die Sicherheit in die Hand nehmen . Aber Geld für Fußfesseln auszugeben, für die notwendigen Systeme zur Kontrolle der Fußfesselträger, für das Personal zur Kontrolle dieser Systeme, ist nach meiner Meinung rausgeschmissenes Geld . ({3}) Ich nenne ihnen aus Sicht eines ehemaligen Polizeibeamten drei Beispiele dafür, warum das so ist . Erstens . Ein großer Teil der Gefährder muss zunächst verdeckt beobachtet werden, um festzustellen, ob sie tatsächlich eine Gefahr darstellen oder nur radikale Ansichten vertreten . Dann würden sie sinnvollerweise keine Fußfessel tragen . ({4}) - Ja, das habe ich schon mitbekommen . Da saß ich übrigens im Gegensatz zu Ihnen im Plenum . Aber wir brauchen auch Hinweise, ob jemand, wenn er aus der Haft entlassen wird, weiter eine Gefahr darstellt . ({5}) Zweitens . Bei ehemaligen extremistischen Straftätern muss es so oft wie möglich gelingen, diese zu deradikalisieren; denn sonst wird die Zahl der Gefährder immer größer und damit gefährlich unübersichtlich . Eine Fußfessel nach der Haftentlassung ist aber eine Ausgrenzung und hemmt die Deradikalisierung und Resozialisierung . ({6}) Dann, Herr Fechner, muss ich Sie natürlich fragen: Was soll eine Fußfessel tatsächlich bewirken: die Durchsetzung von Aufenthalts- und Kontaktverboten, des Verbots des Besuchens potenzieller Anschlagsziele oder des Verbots des Beschaffens von Tatmitteln? Das würde in der Realität, in der Praxis heißen, der Träger von Fußfesseln dürfte überall da nicht hin, wo viele Menschen sind - das sind eben nicht nur Flughäfen . Er dürfte auch nicht dorthin, wo Lkw geparkt werden, wo Messer zu kaufen sind . Das durchzusetzen, ist absolut unrealistisch . ({7}) Da kann man nicht einfach mal die Flughäfen herausgreifen . Der Justizminister hat bei der Einführung des Gesetzes gesagt: „Die Fußfessel ist kein Allheilmittel .“ Das ist richtig . Sie ist ein Placebo für besorgte Menschen im Wahlkampf . In der Realität sagt uns die Fußfessel gerade mal den Aufenthaltsort des Trägers . Sie sagt uns gar nichts über seine Gefährlichkeit . Sie sagt uns nicht, womit er sich beschäftigt . Stellen Sie sich das mal bei jemandem vor, der wegen Terrorismusfinanzierung gesessen hat . Was soll uns eine Fußfessel da sagen? Aber das Bewusstsein, eine Fußfessel zu tragen, wird sein Verhalten beeinflussen. Er weiß, dass er sie trägt, er kann sich leicht darauf einstellen und seine wirklichen Absichten verschleiern . Eine Reaktion von Gefährdern auf die technischen Möglichkeiten der Sicherheitsbehörden mussten wir doch in der Vergangenheit feststellen: Terroristen nutzen häufiger alltägliche Gegenstände, und selbst bei strengster Beobachtung ist es sehr schwer und fast nicht möglich, die tatsächliche Absicht zu erkennen . Anis Amri hat einen Lkw zum Tatmittel gemacht . Mal abgesehen davon, dass er verdeckt beobachtet wurde, hätte hier eine Fußfessel gar nichts genutzt, und spätestens vor seiner Flucht hätte er die Fußfessel leicht zerstören und wegschmeißen können . Meine Damen und Herren, lassen Sie uns deswegen bitte nicht die Zeit mit Debatten zu Fußfesseln und Ähnlichem verplempern . Lassen Sie uns gemeinsam nach den besten Mitteln suchen, um aus Gefährdern ehemalige Gefährder zu machen; denn das wäre der beste Weg zur Sicherheit . Danke schön . ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr . Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung das Gesetz zur Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern . Damit soll das Strafgesetzbuch so geändert werden, dass im Rahmen der Führungsaufsicht eine elektronische Aufenthaltsüberwachung angeordnet werden kann . Bereits im Jahr 2011 ist die elektronische Aufenthaltsüberwachung im Rahmen der Führungsaufsicht in das Gesetz hineingenommen worden, um beispielsweise Gebots- und Verbotszonen für verurteilte Straftäter zu definieren, damit sie von weiteren Straftaten abgehalten werden und ihre Resozialisierung in unserer Gesellschaft gefördert wird . Voraussetzung für die Anordnung der Führungsaufsicht war bislang, dass der Straftäter zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt wurde und eine sogenannte Katalogstraftat vorlag . Diese Maßnahme - das will ich heute Abend auch festhalten - hat sich beispielsweise im Bereich der Sexualstraftaten bewährt . Straftäter, die wegen einer Sexualstraftat verurteilt wurden, haben gewisse Kontaktverbote einzuhalten und gewisse Bereiche zu meiden, ({0}) damit sie von weiteren Straftaten abgehalten werden und potenzielle Opfer - was uns sehr wichtig ist - vor ihnen geschützt werden . Das, was sich im Bereich der Sexualstraftaten bewährt hat, wollen wir im begrenzten Umfang auch für Straftäter einführen, die wegen gefährlicher Straftaten verurteilt worden sind, wegen schwerer staatsgefährdender Gewalttaten, wegen beispielsweise Terrorismusfinanzierung oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung . Wer wegen dieser Straftaten verurteilt wurde, der ist nicht unschuldig, sondern ist ein Extremist und ein Gefährder . Der Rechtsstaat muss im Interesse der Sicherheit, der Resozialisierung und des Opferschutzes darauf achten, dass von diesen Menschen keine weitere Gefahr ausgeht . Die elektronische Fußfessel, die im Rahmen der Führungsaufsicht zur Anwendung kommen kann, ist eine gute und rechtsstaatlich angemessene Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen . ({1}) Natürlich wissen wir auch, dass ein zu allem entschlossener Täter - das schreckliche Beispiel des Mordes an einem Priester nahe Rouen hat es gezeigt - damit nicht unbedingt von einer weiteren schweren Straftat abgehalten werden kann . Aber es geht nicht allein um die Schwarz-Weiß-Fälle. Gerade bei der Terrorismusfinanzierung geht es beispielsweise um die Frage: Welches Netzwerk liegt der Struktur zugrunde? Mit wem hat der Terrorist Kontakt gehabt? Indem man Verbotszonen definiert, macht man deutlich: Wenn sich jemand in dieser Verbotszone bewegt, dann wird die Polizei alarmiert . Dann hängt es von der Polizeitaktik ab, ob sie innerhalb von fünf oder zehn Minuten vor Ort ist . ({2}) Das zeigt: Durch die Fußfessel werden die Aufklärungswahrscheinlichkeit und die Verhinderungswahrscheinlichkeit von schweren Straftaten gesteigert . Auch das ist ein wichtiger Wert in einem Rechtsstaat . Wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass Menschen, die bereits verurteilt worden sind, weitere Straftaten begehen, dann muss der Rechtsstaat seine Stärke ausspielen . ({3}) Das sind wir dem Rechtsstaat und der Sicherheit unserer Bürger schuldig . ({4}) Es wird immer wieder eingewandt, das sei nicht richtig wirksam . Von Ihnen, Herr Kollege Tempel, haben wir heute Nachmittag immer wieder gehört, das sei doch alles Symbolpolitik . ({5}) Ich will Ihnen eines deutlich sagen: Wir haben heute im Deutschen Bundestag mehrere wichtige und gute Gesetze für den Bereich der inneren Sicherheit verabschiedet . ({6}) Wir haben dafür gesorgt, dass Polizisten besser geschützt werden, wir haben das BKA-Gesetz reformiert, und wir werden heute noch über die Fluggastdatenspeicherung sprechen . All diese Mittel zusammen ergeben ein rundes Bild . ({7}) Wir dürfen Freiheit und Sicherheit nicht gegeneinander ausspielen; denn wir werden nur dann frei leben können, wenn wir auch unsere Sicherheit verteidigen . Dazu braucht es viele Mosaiksteine, und die elektronische Fußfessel für bereits verurteilte Straftäter zur Verhinderung weiterer Straftaten ist ein weiterer Mosaikstein, den wir heute bitte beherzt beschließen - für die Sicherheit in unserem Land . Vielen Dank . ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege Hans-Christian Ströbele hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon zum zweiten Mal an diesem Tag beschäftigt sich der Deutsche Bundestag mit der Einführung einer Sicherheitsvorkehrung . In diesem Fall geht es um einen völlig anderen Bereich als heute Mittag . Das Bedürfnis nach Sicherheit in der Gesellschaft, bei den staatlichen Organen oder bei den Sicherheitsbehörden muss ungeheuer groß sein, wenn sich der Deutschen Bundestag zweimal an einem Tag in einer ausgewachsenen Debatte mit diesem Thema beschäftigt . Warum eigentlich die Eile? Ich habe gestern bzw . heute erst gelernt: Die Fußfessel, die heute Mittag beschlossen worden ist, soll - so hat der Kollege Mayer das hier verkündet - in keinem einzigen der über 600 Gefährderfälle zur Anwendung kommen . Er hat gesagt: Bei keinem, der jetzt als Gefährder bekannt ist, treffen die Voraussetzungen zu, dass er ein Aspirant für die Fußfessel sein könnte; bei keinem einzigen von den vielen Gefährdern! Also, so ganz dringend notwendig scheint es nicht zu sein, eine Regelung auf den Weg zu bringen . Wie ist es mit der Fußfessel, über die wir jetzt diskutieren? Wir haben es gestern gehört: Für die Anwendung der Fußfessel kommen - so haben Sie es gesagt, Herr Staatssekretär - Personen in einem geringen einstelligen Bereich in Betracht, das heißt fünf oder weniger, ein oder zwei . Und dafür verabschieden wir heute den vorliegenden Gesetzentwurf? ({0}) Der Kollege Fechner hat den Ursprung des Gedankens ausgeführt . Er hat erklärt, warum man uns den Gesetzentwurf jetzt präsentiert . Der Auslöser war der Fall Amri und die Diskussion, die danach stattgefunden hat . Und ich gebe Ihnen sogar recht, dass die Gefahr eines terroristischen Anschlags in Deutschland gegeben ist . Das ist uns allen durch den Anschlag noch einmal sehr deutlich und bewusst geworden . In dieser Diskussion kamen Sie auf die Idee mit der Fußfessel . Was ist das eigentlich? Die Formulierung „Fußfessel“ ist eigentlich ein Etikettenschwindel . Die normale Bürgerin und der normale Bürger sagt wahrscheinlich: Ich bin auch dafür, dass Gefährder gefesselt werden; dann können sie nämlich nichts Böses mehr anstellen, erst recht, wenn das eine elektronische Fußfessel ist . - Aber was macht diese Fußfessel? Der Träger der Fußfessel wird überhaupt nicht daran gehindert, zu laufen, sich irgendwohin zu begeben, in Lastwagen zu steigen oder gar zu morden, wie das Beispiel aus Frankreich zeigt . Die Fußfessel ist lediglich ein Lederband, das an einem Fuß befestigt wird, nicht auch an dem anderen, sodass man schlechter laufen könnte . An diesem Band ist ein Sender angebracht . Der Sender löst in dem Augenblick ein Signal aus, in dem man einen bestimmten Bereich betritt . Dann blinkt in der Alarmstelle in Frankfurt die gibt es heute schon; die kann man besichtigen - ein rotes Lämpchen auf . Die rufen dann beim nächstgelegenen Polizeirevier, zum Beispiel in Berlin, an und fragen: Können Sie da nicht mal hingehen? - Dann fahren die Polizisten dorthin und gucken, ob er da ist oder nicht . Die Praxis zeigt, dass diese Lämpchen sehr häufig angehen, nicht, weil gegen die Auflagen verstoßen wird, sondern weil jemand daran rummacht, zum Beispiel versucht, das Bändchen zu lockern, weil es zwickt, weil man es anders haben möchte, was man aber nicht kann, weil das Bändchen so eng anliegt . Das heißt, Sie erreichen damit erst einmal gar nichts . ({1}) Sie erreichen höchstens eine gewisse Aufmerksamkeit . Jetzt ist die Frage: Wo wollen Sie das anwenden? Sie haben gesagt: Zum Flughafen dürfen sie nicht gehen . Es geht hier um Täter, bei denen Sie davon ausgehen, dass sie nicht erwischt werden wollen . Wer nicht erwischt werden will, der weiß: Ich trage eine Fußfessel, und die können feststellen, wenn ich den Flughafen betrete . - Er wird das also niemals machen . Sie werden die Objekte nie so eingrenzen können, dass das Sinn macht, weil es allein in Berlin Tausende von Objekten gibt, U-Bahn-Stationen, Versammlungsorte, Behörden, Deutscher Bundestag, Flughäfen, ({2}) Kreuzungen und Ähnliches, die er nicht betreten darf . Das alles nützt nichts . Der eigentliche Grund ist, dass Sie von dem Fehlverhalten der Behörden im Fall Amri ablenken wollen . ({3}) Im Fall Amri hätte man die geltenden Gesetze anwenden müssen . Man hätte zum Beispiel ein Sammelverfahren bei einer Staatsanwaltschaft konzentrieren können, in dem alle Straftaten gleichzeitig bearbeitet werden . ({4}) Das hat keiner gemacht .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Ströbele, achten Sie jetzt bitte auf die Redezeit .

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, letzter Satz . - Im Fall Amri hatten die Ermittlungsbehörden seit Februar 2016, also fast ein Jahr vor dem Anschlag, ganz klare Anhaltspunkte dafür, dass er mit IS-Führern, mit seinen Brüdern in Libyen korrespondiert und sich dort Anweisungen und Ratschläge für einen Selbstmordanschlag geholt hat . Da hätten Sie gegen ihn vorgehen müssen . Da hätte ein Haftbefehl beantragt werden müssen . ({0}) Von da an hätten Sie ihn Tag und Nacht nicht mehr aus den Augen lassen dürfen . ({1}) Da sind die Fehler gemacht worden . Der Fehler war nicht, dass er keine Fußfessel getragen hat . Er wäre ohnehin kein Aspirant für eine Fußfessel gewesen, weil sämtliche Voraussetzungen nicht vorlagen . ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Ströbele, das war ein sehr langer letzter Satz . - Die Kollegin Bettina Bähr-Losse hat für die SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Bettina Bähr-Losse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004640, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren oben auf den Rängen! Wir alle wünschen uns ganz grundsätzlich und in Ansehung der niederträchtigen Terroranschläge in den vergangenen Monaten ganz besonders eine hundertprozentige Sicherheit . Wir alle oder wenigstens die Vernunftbegabten unter uns wissen gleichzeitig aber auch, dass es eine hundertprozentige Sicherheit leider nicht geben kann . An dieser Stelle stehen wir an einer Weggabelung: Entweder wir stecken den Kopf in den Sand und geben uns mit der aktuellen Gesetzeslage zufrieden, oder - für diese Richtung wollen sich die Koalitionsfraktionen mit der Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern entscheiden - wir sorgen mit Mitteln, die uns jetzt zur Verfügung stehen, für ein Mehr an Sicherheit . Wir müssen die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger, die auch meine Sorgen sind, ernst nehmen und prüfen, ob es gesetzliche Lücken gibt und wie wir diese Lücken schließen können . Ein Urteil des Oberlandesgerichts München aus dem letzten Jahr hat uns eine solche Lücke aufgezeigt . In einem dort entschiedenen Fall wegen Unterstützung einer islamistischen Vereinigung im Ausland scheiterte die Weisung zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung daran, dass es sich nicht um eine taugliche Anlasstat handelte und der Verurteilte keine volle drei Jahre in Haft verbüßt hatte . Die SPD-Bundestagsfraktion hält es in diesem Zusammenhang für richtig, den Kanon der Anlasstaten zu erweitern . Gründung einer und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, die Finanzierung von Terror, die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat verfolgen dasselbe Ziel . Wer für solche Straftaten zu mindestens zwei Jahren Haft verurteilt wurde und weiterhin als radikalisiert angesehen werden muss, soll künftig die volle Aufmerksamkeit unserer Sicherheitsbehörden erhalten . Der vorliegende Gesetzentwurf richtet sich also gegen Verurteilte und nach wie vor gefährliche extremistische Straftäter . Dass einige hier im Plenum es lieber bei der bestehenden Gesetzeslage belassen wollen, steht ihnen selbstverständlich frei . Ich selber habe an der Anhörung im vergangenen Monat teilgenommen . Dabei habe ich auch die Argumente gehört, die gegen die sogenannte Fußfessel sprechen sollen . Diese Argumente wurden in die Meinungsbildung selbstverständlich einbezogen . Was ich persönlich aber in keiner Weise nachvollziehen konnte und kann, war, dass man sich ernsthafte Sorgen darüber machte, dass jemand, der eine solche Fußfessel tragen muss, dadurch stigmatisiert wird . Unglaublich! ({0}) Es geht hier auf der einen Seite um verurteilte gefährliche extremistische Straftäter, die sich eventuell stigmatisiert fühlen könnten . Auf der anderen Seite geht es um den Schutz der Bevölkerung vor einem terroristischen Anschlag . Die SPD-Bundestagsfraktion erachtet das Recht auf Schutz vor einem terroristischen Anschlag ganz eindeutig und ohne Wenn und Aber als schützenswerter . ({1}) Gefährdern muss und soll klar sein, dass sie unter Beobachtung stehen und dass wir ihren Terror nicht einfach hinnehmen . Ich habe eingangs gesagt, dass es hundertprozentige Sicherheit leider nicht gibt . Neben der Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern sollten wir uns auch weiterhin bemühen, Menschen von ihrem Irrweg aus Gewalt, Hass und blinder Zerstörungswut abzubringen . Aber solange das nicht sichergestellt ist, müssen wir das uns Mögliche tun . Dies ist mit dem vorliegenden Gesetzentwurf möglich . Deshalb werbe ich um Ihre Zustimmung . Vielen Dank . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Professor Dr . Patrick Sensburg, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Prof. Dr. Patrick Sensburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004155, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Nachmittag haben wir über das Thema Fußfessel im präventiven Einsatz diskutiert, also bei Gefährdern . Von diesen gibt es - wir haben es eben gehört - in Deutschland fast 600 . Übrigens sind fast 100 dem Land Nordrhein-Westfalen zuzuordnen; auch das muss man sagen . ({0}) Man muss feststellen, dass allein diese Zahl zeigt, dass Nordrhein-Westfalen eines der unsichersten Bundesländer ist . ({1}) - Das festzustellen, gehört dazu, wenn man sich die Kriminalitätsstatistik anschaut . - Wenn man sich zum Beispiel die Zahl der Einbrüche anschaut, stellt man fest, dass es in Nordrhein-Westfalen genauso viele Wohnungseinbrüche gab wie in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz zusammen . ({2}) Auch das ist eine Zahl, die dafür spricht, dass die nordrhein-westfälische Landesregierung Sicherheit in diesem Bundesland nicht herstellen kann . ({3}) Darum ist es traurig - das muss ich ganz ehrlich sagen -, dass Nordrhein-Westfalen, wenn es um Sicherheitsgesetze geht, im Bundesrat immer wieder blockiert und dagegenstimmt . ({4}) Kollege Ströbele hat es gerade angesprochen: Die Zahl derer, für die die Fußfessel im präventiven Bereich - darüber haben wir heute Nachmittag debattiert angeordnet werden könnte, ist gering . Heute Nachmittag haben wir den Entwurf eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes beschlossen . Darin ging es um die Fußfessel im Zuständigkeitsbereich des BKA . Die Länder müssen jetzt natürlich auch ihre Hausaufgaben machen . Gerade die Länder sind mit ihren Landespolizeien dafür zuständig, dass auch dort die Fußfessel präventiv eingesetzt wird . Nordrhein-Westfalen könnte da jetzt sehr aktiv werden und zeigen, dass Nordrhein-Westfalen es mit der Sicherheitspolitik ernst meint . ({5}) Aber ich glaube, dass Nordrhein-Westfalen hier wieder ein Ausfall sein wird und nichts für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger tun wird . ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Sensburg, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Prof. Dr. Patrick Sensburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004155, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne . ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Kollege Sensburg, und vielen Dank, Frau Präsidentin . - Ich möchte Ihnen eine einfache mathematische Frage stellen . Wenn von 600 Gefährdern 100 aus NRW kommen, ist das ein Sechstel . Wenn NRW wirklich so viel gefährdeter sein soll, müsste die Gesamtbevölkerungszahl Deutschlands also mehr als 102 Millionen Einwohner betragen, ({0}) weil Nordrhein-Westfalen, was die Zahl der Gefährder betrifft, ansonsten unter dem Durchschnitt liegen würde - und liegt . ({1})

Prof. Dr. Patrick Sensburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004155, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe gesagt, dass sie dem Land Nordrhein-Westfalen zuzuordnen sind . Nicht alle 600 Gefährder - das wissen auch Sie - sind derzeit in Deutschland . Sie kommen aus verschiedenen Bundesländern, und es besteht die Gefahr, dass sie dorthin zurückkehren . ({0}) Die Frage ist, was wir in den Landespolizeigesetzen jetzt präventiv machen . ({1}) Werden die einzelnen Bundesländer präventiv die Fußfessel einführen, werden sie also dem Vorbild des Bundes - Stichwort „BKA-Gesetz“ - folgen, oder werden sie nichts tun? ({2}) - Ich bin noch bei der Beantwortung Ihrer Frage .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Lenkert, Sie müssen schon stehen bleiben, bis die Frage beantwortet wurde . ({0})

Prof. Dr. Patrick Sensburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004155, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Doch, ich bin noch mittendrin .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Der Kollege Sensburg entscheidet, was zur Antwort gehört . ({0}) Sie müssen schon stehen bleiben, bis er fertig ist . - Danke schön .

Prof. Dr. Patrick Sensburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004155, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es geht um die Frage - ich sage es noch einmal -: Werden die Bundesländer und gerade das Land Nordrhein-Westfalen präventiv tätig werden, um die ihnen zuzuordnenden Gefährder auch mit einer Fußfessel überwachen zu können? Wenn Sie die Debatte heute Nachmittag verfolgt hätten, hätten Sie gehört, dass der Kollege Binninger gesagt hat, man brauche 25 bis 30 Polizeibeamte, um einen Gefährder die ganze Zeit zu beobachten. Ich glaube, es ist eine deutlich effektivere Maßnahme, eine Fußfessel einzusetzen, um zu wissen, wo sich der jeweilige Gefährder befindet. Wenn man in einem Bundesland bis zu 100 Personen, die Gefährder darstellen, zugeordnet hat, dann sollte auch ein Land wie Nordrhein-Westfalen tätig werden und nicht die Hände in den Schoß legen . ({0}) Jetzt komme ich zur repressiven Anwendung der Fußfessel; denn darüber debattieren wir heute . Das ist eben ziemlich durcheinandergegangen . Auch der Kollege Ströbele hat wieder vom Fall Amri geredet, obwohl dieser noch gar nicht verurteilt war, sodass es also um die präventive Fußfessel ging . Schauen wir uns jetzt also die repressive Anwendung der Fußfessel und die Änderungen im Strafgesetzbuch sowie in der Strafprozessordnung an . Hier geht es - das ist vom Kollegen Dr . Ullrich gesagt worden, der eben übrigens seine 100 . Rede in dieser Legislaturperiode hier im Plenum gehalten hat ({1}) um Delikte wie die Bildung einer terroristischen Vereinigung, schwere staatsgefährdende Gewalttaten und die Finanzierung solcher Straftaten . Ich muss sagen: In diesen Fällen wäre der Einsatz der Fußfessel richtig . Als der Kollege Ullrich eben angesprochen hat, dass wir die Fußfessel bei Sexualstraftätern schon einsetzen, habe ich aus den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen Zurufe wie: „Das ist auch richtig!“ gehört . ({2}) Wenn der Einsatz der Fußfessel in diesen Fällen richtig ist, Sie bei solchen Straftaten nicht die Abschaffung der Fußfessel fordern, Sie also ihre Brauchbarkeit anerkennen, dann müssen Sie konsequenterweise sagen, dass wir sie auch bei schweren Straftaten mit terroristischem Hintergrund einsetzen sollten . ({3}) Sie macht Sinn, verhindert Straftaten und lässt Straftaten zuordnen . Wir werden erleben, dass immer mehr Täter nach Verbüßung einer Haftstrafe unter Führungsaufsicht gestellt werden müssen, weil sie die Gefahr bergen, wieder ähnliche Straftaten zu begehen, die Landesgrenzen zu überqueren, sich an Orten zu treffen, die wir kennen, und sich möglicherweise an Orten zu verabreden, wo Hassprediger ihrem schlimmen Treiben nachgehen . Deswegen ist es gut, dass wir die Fußfessel nicht nur präventiv einsetzen, sondern auch dann, wenn jemand schon verurteilt worden ist, wir wissen, dass er entsprechende Taten begangen hat, und er immer noch eine Gefahr birgt . Da gibt es eben nicht nur Schwarz und Weiß, sondern auch viele, viele Zwischenstufen . Manche Personen haben sich vielleicht verleiten lassen . Mit der klaren Ansage: „Da gehst du nicht mehr hin; das machst du nicht mehr“, erkennen sie mit der Zeit vielleicht, dass sie auf einem Irrweg waren . Den Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen und von den Linken sage ich: Wir haben in den letzten Jahren sehr viele Gesetze beschlossen, im Bereich Inneres zum Beispiel Polizeigesetze, aber auch viele Gesetze im Bereich der Justiz bzw . der Rechtspolitik . Ich erinnere an die Debatten über das GTAZ, die Verschärfung der Antiterrorgesetze und die Verschärfung der Regelungen gegen Kinderpornografie. Heute ging es um die Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten, insbesondere Polizisten, und Rettungskräften . Sie waren immer dagegen, oft mit dem Argument, das bräuchten wir nicht, wir bräuchten keine gesetzlichen Verschärfungen . In der heutigen Debatte über den Schutz von Polizei- und Vollstreckungsbeamten war aus Ihren Reihen zu hören, das sei Zeitverschwendung . Dies zeigt, dass Sie ein Problem mit dem Schutz des Rechtsstaates und der Menschen haben . ({4}) Ich muss ganz ehrlich sagen: Da, wo Sie regieren bzw . mitregieren, sind die Kriminalitätsraten bei fast allen Delikten am höchsten . Überlegen Sie sich noch einmal, ob Sie diesen Gesetzentwurf ablehnen und den Schutz der Menschen zurückdrängen wollen oder ob Sie sich bei einem gut ausgewogenen und verhältnismäßigen Gesetzentwurf mit engagieren . Danke schön . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet . Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches - Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern . Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12155, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/11162 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben . - Das ist die Koalition . Wer stimmt dagegen? - Das ist die Opposition . Wer enthält sich? - Niemand . Damit ist der Gesetzentwurf angenommen . Wir stimmen jetzt ab über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Strafgesetzbuches - Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern . Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12155, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11584 für erledigt zu erklären . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen . Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, Dr . Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ausstellungsvergütung gesetzlich verankern Gerechtigkeitslücke für bildende Künstlerinnen und Künstler schließen Drucksache 18/12094 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keine weiteren Vorschläge . Dann ist so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat jetzt die Kollegin Sigrid Hupach, Fraktion Die Linke . ({0})

Sigrid Hupach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004309, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „von Kunstausstellungen leben viele“, so beginnt ein Plakat des Berufsverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler mit Sitz in Berlin aus dem Jahr 2009 . Danach werden über 60 Beteiligte aufgezählt, vom Aufsichtspersonal bis zur Versicherung, „Nur“ - so endet die Aussage dann - „nur Künstlerinnen und Künstler nicht“ . Auf einer Veranstaltung der Initiative „Ausstellungsvergütung jetzt!“ Anfang März forderte eine Teilnehmerin, dass eine Einladung zu einer Ausstellungsbeteiligung nicht zur Existenzbedrohung werden darf . Denen, die das als Schwarzmalerei abtun wollen, empfehle ich, in die aktuelle Studie des BBK-Bundesverbandes zu schauen . Das Einkommen der in der Künstlersozialkasse versicherten bildenden Künstler lag 2016 bei etwa 18 000 Euro pro Jahr; bei den Künstlerinnen lag es sogar nur bei 13 000 Euro . ({0}) Wenn sie dann, wie die Befragten der Studie, drei bis vier Ausstellungen pro Jahr realisieren, wird in der Regel weder die künstlerische Leistung vergütet noch der Aufwand entschädigt, der ihnen bei der Vorbereitung, beim Transport, beim An- und Abbau oder der Anreise entsteht . Hier wird die Tragik deutlich . Künstlerinnen und Künstler können nicht kostenlos im Künstlerbedarf einkaufen, den ÖPNV benutzen oder einen Transporter mieten . Warum also sollen sie ihre künstlerische Leistung kostenfrei anbieten? Jetzt sagen manche: weil Künstlerinnen und Künstler auf diese Weise bekannt werden und den Wert ihrer Werke damit steigern, Ruhm und Ehre wegen des schönen Ausstellungsortes eingeschlossen . Dass dies aber schon lange nicht mehr stimmt und vermutlich nie der Realität entsprochen hat, zeigt die aktuelle Studie des BBK . Trotz der regen Ausstellungstätigkeit nehmen zwei Drittel weniger als 5 000 Euro im Jahr durch den Verkauf ihrer Werke ein . Es gibt zwar Ausnahmen; aber fest steht die Tatsache, dass der größte Teil der professionellen bildenden Künstlerinnen und Künstler von dem Verkauf ihrer Werke nicht leben kann . Das liegt nun keineswegs an ihrem unternehmerischen Unvermögen, sondern vor allem daran, dass sich die künstlerischen Ausdrucksformen geändert haben, dass sich der Kunstmarkt wandelt und dass viele Ausstellungsorte entweder gar keine Sammlung oder kein Geld mehr haben, um Kunst einzukaufen . Und überhaupt: Kunst ist mehr als eine Ware, ({1}) und Ausstellungen in öffentlichen Häusern dienen vorrangig der öffentlichen Debatte. Im Urheberrecht sind im Unterschied zu allen anderen Sparten die bildenden Künstlerinnen und Künstler benachteiligt . Sie haben keinen Anspruch auf Vergütung ihrer künstlerischen Leistung . Selbstverständlich werden Autoren am Buchverkauf beteiligt . Selbstverständlich bekommen Komponistinnen Anteile, wenn ihr Werk aufgeführt wird, und das immer, nicht nur beim ersten Mal . Warum also sollte das bei den bildenden Künstlerinnen und Künstlern nicht auch so sein? ({2}) Die Summe, um die es dabei geht, ist nicht groß . In Berlin umfasst der Ausstellungsfonds 300 000 Euro pro Jahr - als erster Schritt . Es geht nämlich nicht darum, dass Künstlerinnen und Künstler per Gesetz ein gutes Leben führen können . Nein, es geht erst einmal nur darum, dass ihnen überhaupt ein Anspruch auf die Vergütung ihrer Leistung zugestanden wird . ({3}) Der BBK-Bundesverband hat 2014 eine Leitlinie veröffentlicht, in der Vorschläge sowohl für die Höhe der Ausstellungsvergütung als auch für Ausstellungshonorare unterbreitet werden . Sie ist sehr kurz und prägnant . Sie unterscheidet zwischen Gruppen- und Einzelausstellungen und bezieht auch geldwerte Leistungen des Ausstellers mit ein wie etwa den Druck eines Katalogs oder einen Ankauf . Es gibt einen Grundbetrag für die Nutzung eines künstlerischen Werkes pro Woche, der mit einem Wirtschaftskraftfaktor je nach Veranstalter multipliziert wird . Ein soziokulturelles Zentrum müsste so lediglich 100 Euro für eine vierwöchige Ausstellung zahlen, ein Museum dagegen 1 000 Euro . Hinzu käme das Ausstellungshonorar, die Aufwandsentschädigung, entsprechend differenzierter Stundensätze je nach Art der Leistung. Also: Reich wird damit keiner . Wichtig ist dieses Einkommen aber, da es als künstlerisches Einkommen zählt und so den Zugang zur Künstlersozialkasse erleichtert und sichert . ({4}) Neben der Ausstellungsvergütung im Urheberrecht wollen wir mit unserem Antrag den Bund in die Pflicht nehmen . Er soll die Zahlung von Ausstellungsvergütungen und Ausstellungshonoraren verbindlich in seine Förderkriterien aufnehmen und die dafür nötigen Mittel im Sinne der Einhaltung sozialer Mindeststandards zur Verfügung stellen . ({5}) Die Vorbildwirkung wäre nicht zu unterschätzen . Es wäre auch eine wirkliche Wertschätzung der Leistung bildender Künstlerinnen und Künstler, von der immer so viel geredet wird . ({6}) Eines muss uns allen doch klar sein: Ohne die Leistung von bildenden Künstlerinnen und Künstlern gäbe es keine Ausstellungen . Die anderen auf dem Plakat genannten Beteiligten hätten auch nichts mehr davon . Vielen Dank . ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als Nächstes hat für die CDU/ CSU-Fraktion der Kollege Dr . Philipp Lengsfeld das Wort . ({0})

Dr. Philipp Lengsfeld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004338, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag greift das Anliegen von Künstlerinitiativen auf, das ich, das wir durchaus ernst nehmen . Trotzdem sind wir von dem vorgeschlagenen Lösungsansatz nicht überzeugt . In unserem Land herrscht verfassungsrechtlich verankerte Kunstfreiheit . Das ist gerade in heutigen Zeiten ein sehr hohes Gut . Als Künstler darf man hierzulande fast alles tun . Aber die Kehrseite der Medaille ist natürlich, dass die Entscheidung für Kunst als Lebensunterhalt auch eine freie Entscheidung ist . So hart es klingen mag: Wer von seiner Kunst leben will, der muss am freien Markt erfolgreich sein . ({0}) Die bildenden Künstler leben primär vom Verkauf ihrer Werke . Dazu muss man die Kunden überzeugen und bekannt sein . Dafür sind Ausstellungen das A und O . Jetzt sind wir beim Kern der Diskussion . Hilft eine staatlich verordnete Ausstellungsvergütung dabei, dass es im Land mehr Möglichkeiten zum Ausstellen für junge und noch nicht etablierte Künstler gibt? Das ist fraglich . Aber schauen wir genauer hin: Die Einführung einer Ausstellungsvergütung würde zum Beispiel eine starke Belastung für die ohnehin nicht immer üppig finanzierten kleinen Museen und kommunalen Galerien bedeuten, die - ich weiß aus meinen langen Jahren in der Berliner Kommunalpolitik genau, wovon ich rede - oft deutlich unter 5 000 Besucher im Jahr haben und die wirklich ständig infrage gestellt werden . Meine Befürchtung ist: Im Ergebnis einer gesetzlich festgeschriebenen Ausstellungsvergütung gibt es weniger Ausstellungen für weniger Künstler in diesem Land . Das kann nicht die Idee dieser Regelung sein; denn die Ausstellungsvergütung soll letztlich helfen, die wirtschaftliche Situation von Künstlern zu verbessern, von denen viele - ja - in prekären Verhältnissen leben . Aber für die soziale Absicherung haben wir die Künstlersozialkasse, und die haben wir in dieser Legislatur noch einmal gestärkt . Die vorgeschlagene gesetzliche Ausstellungsvergütung ist für mich ein Schritt in Richtung einer Art Kunstsozialismus . ({1}) Ich finde es gefährlich, überall den Staat hereinholen zu wollen . ({2}) - Jetzt mal ganz ruhig! - Wir schafften zusätzliche Bürokratie - das ist schon in der Rede der Kollegin angeklungen -, hätten die Möglichkeit zu mehr staatlichen Eingriffen - das kann nicht gewollt sein - und stärkten eine Versorgungsmentalität; auch das ist nicht richtig . Das ist das Gegenteil von Kreativität und Wettbewerb, die gerade für den künstlerischen Bereich so wesentlich sind . Der politisch richtige Weg ist deshalb, Galerien und Museen finanziell zu stärken, etwa durch die Erhöhung des Ankaufetats . Und natürlich kann es nicht sein, dass ein Künstler mit seiner Ausstellung Verluste macht; das ist überhaupt keine Frage . Und ja, auch neue künstlerische Ausdrucksformen wie Performanceaktionen muss man im Blick haben . Sie lassen sich nicht wie Gemälde oder Skulpturen verkaufen . Auch das ist richtig . Insgesamt finde ich es auch richtig, dass wir gegen den Geist der Umsonstkultur, die sich gerade durch das Internet in den letzten Jahren schon relativ stark ausgebreitet hat, vorgehen . Kreative sollen angemessen für Leistungen honoriert werden; aber die Kernleistung einer Ausstellung ist die Möglichkeit zur Präsentation der Werke . Das ist das Zentrale . Trotzdem unterstütze ich ausdrücklich, dass auch Vergütungen von Ausstellungen stärker angereizt oder gefordert werden, aber auf freiwilliger Basis . So macht es das Land Berlin gerade - Kollegin Hupach hat es schon erwähnt - mit einem neu kreierten Fonds für Ausstellungshonorare . Das ist auch gut so . Allerdings ist meine Heimatstadt Berlin auch in der sehr komfortablen Sondersituation, dass der Bund gut 600 Millionen Euro für die Hochkultur in Berlin ausgibt . Da bleibt natürlich für den neu gewählten Senator Lederer Geld zur Verteilung übrig; das ist klar . Aber das ist eine Sondersituation . Insofern: Es ist eine gute Initiative, aber wir können daraus keine gesetzliche Legitimation herleiten . Die Kunst ist frei . Wir müssen in der Tat die wirtschaftliche Lage der Künstlerinnen und Künstler im Blick behalten, aber eine gesetzlich verordnete Ausstellungsvergütung ist nicht der richtige Weg . Vielen Dank . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als Nächstes hat Ulle Schauws, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege, Sie haben gerade Vergleiche gezogen und festgestellt, dass Kunst eine freiwillige und leistungsgerechte Angelegenheit sein muss . Kunst nach Leistungsprinzip, das kann auf die bildende Kunst angewendet werden . Für alle anderen Kunstsparten haben wir eine Regelung gefunden . Wir reden hier über die Gerechtigkeitslücke - darauf bezieht sich auch der Antrag, den wir heute beraten -, und davon haben wir ein deutlich anderes Verständnis als Sie . ({0}) Die Debatte um die Einführung einer Ausstellungsvergütung - das will ich ganz klar sagen - wird vonseiten der Kunstverbände und von Verdi seit über 30 Jahren geführt . Nicht zuletzt 2007 hat die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ klare Forderungen zu diesem Thema aufgestellt . Wir haben 2011 einen Antrag dazu vorgelegt und begrüßen den Antrag der Linken deswegen sehr . Wir reden über einen wirklich alten Hut; denn in der Praxis hat sich bis heute nichts getan . Einst war die Ausstellungsvergütung ein Steckenpferd der SPD . Seit Sie in der Großen Koalition sitzen, haben wir zu diesem Thema von Ihnen leider nichts mehr gehört . ({1}) Ich muss noch einmal festhalten, Herr Kollege: Die Einführung einer Ausstellungsvergütung - das zeigt der Blick ins europäische Ausland - ist nicht nur längst überfällig, sondern vor allem auch machbar . Aber Sie machen nichts . Schlimmer noch: Die Versäumnisse der Bundesregierung hinsichtlich der Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage von Kulturschaffenden sind dramatisch . Niedrige Honorare, mangelnde soziale Absicherung und infolgedessen Altersarmut - das ist die ungeschminkte Realität vieler Kulturschaffender und Kreativer in diesem Land . Es ist weiter brotlose Kunst . Dagegen können wir etwas tun . Gerade gestern haben wir Grüne in einem öffentlichen Fachgespräch mit zahlreichen Kulturleuten und Kreativen über wirkungsvolle Wege zur Absicherung von Arbeitslosigkeit und Krankheit sowie der prekären Situation im Alter diskutiert . Wir erarbeiten im Dialog mit ihnen neue Konzepte, Konzepte, die zur Lebensrealität von Kreativen und Kulturschaffenden passen . Und darauf kommt es an . Eine Regelung, die überhaupt nicht zur Beschäftigungsrealität vieler Künstlerinnen und Filmleute passt, ist zum Beispiel die Sonderregelung für kurz befristet Beschäftigte . Meine Damen und Herren, worin liegt denn der Sinn solcher Regelungen, mit denen Konstrukte aufrechterhalten werden, die die Mehrheit dieser Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer überhaupt nicht erreicht und die nicht zu ihnen passen? ({2}) Deswegen hat meine Fraktion schon 2014, vor drei Jahren, ein Konzept zu Beitrags- und Anwartschaftszeiten in der Arbeitslosenversicherung vorgelegt . Es geht so: vier Monate einzahlen, zwei Monate Anspruch auf Arbeitslosengeld. Das würde den Kultur- und Kreativschaffenden in diesem Land wirklich direkt etwas bringen . Das haben Sie abgelehnt . Da haben Sie eine große Chance verpasst . ({3}) Konkret zur Ausstellungsvergütung: Die Einführung allein wird die oftmals schwierige wirtschaftliche Lage vieler bildender Künstlerinnen und Künstler nicht ändern können . Die Beträge sind - die Kollegin hat es ausgeführt - einfach zu klein . Sie trägt aber zumindest partiell zu einer verbesserten Einnahmesituation bei . Hinzu kommt - und das ist genau das, was ich eingangs sagte -, dass damit eine Gerechtigkeitslücke geschlossen wird, die die bildende Kunst im Vergleich zu allen anderen Kunstsparten hat . Interpretinnen und Interpreten oder Bühnendarstellerinnen und Bühnendarsteller haben andere Möglichkeiten, über ihre Werke Einnahmen zu erzielen . Nur die bildenden Künstlerinnen und Künstler können allein durch den Verkauf ihrer Werke Einnahmen erzielen, nicht aber durch die öffentliche Präsentation ihrer Kunst . Oftmals müssen sie sogar draufzahlen, wenn sie eine Ausstellung ausrichten . Da besteht also eine weitere strukturelle Benachteiligung, die möglicherweise on top Geld kostet . Einige Punkte in diesem Antrag sind mir besonders wichtig: Es ist völlig richtig und wichtig, die Ausstellungsvergütung auf Orte zu begrenzen, an denen Kunst gezeigt wird . Die Bereiche des Kunsthandels, also zum Beispiel Kunsthallen, in denen die Kunst verkauft wird, müssen von diesen Vergütungen ausgenommen werden; denn dort ist das Abzielen darauf, dass die Kunst verkauft wird, Sinn und Zweck der Angelegenheit . Entscheidend ist für uns, dass eine Unterscheidung zum Beispiel zwischen soziokulturellen Zentren und Museen vorgenommen wird . Da sind die Handlungsspielräume eindeutig andere und nicht vergleichbar . Wir unterstützen ganz besonders, dass die Ausstellungsvergütung in die Fördergrundsätze der vom Bund geförderten Einrichtungen und Projekte aufgenommen wird . Der Bund muss hier mit gutem Beispiel vorangehen . Das haben übrigens die Sachverständigen im Fachgespräch zur sozialen Lage im Kulturausschuss gestern noch einmal klar eingefordert . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Es wäre nett, wenn Sie jetzt auch mit gutem Beispiel vorangehen und zum Ende kommen würden .

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich will zum Abschluss Folgendes sagen, Frau Präsidentin: Wir sollten mit diesem Antrag für die bildende Kunst vorangehen und ein wichtiges Signal der Wertschätzung für künstlerische Arbeit senden . Dieses Signal sollten wir senden, nicht ein Signal für eine Kunst, die sich für die Menschen, die dafür viel arbeiten müssen, nicht weiter lohnt . Vielen Dank . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner ist Burkhard Blienert, SPD-Fraktion . ({0})

Burkhard Blienert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, in der Analyse sind wir uns in vielen Punkten sehr einig . Die bildenden Künstlerinnen und Künstler tragen seit Jahren die rote Laterne in den Einkommenstabellen der künstlerischen Berufe . Sie verdienen nach der KSK-Statistik - die Kollegin hat darauf hingewiesen - im Schnitt 15 740 Euro im Jahr . Das liegt nicht zuletzt daran, dass sie für die Ausstellung ihrer Werke in der Regel keine Vergütung erhalten und in einigen Fällen sogar die Kosten der Ausstellung selber tragen müssen . Dieser Umstand stellt zugleich eine Ungleichbehandlung von bildenden Künstlerinnen und Künstlern gegenüber anderen vergleichbaren kreativen Urheberinnen und Urhebern in der Musik, im Theater oder in der Literatur dar . Da es keine sachlichen Unterschiede zwischen den Künstlergruppen gibt, gilt es, diese Ungleichbehandlung tatsächlich zu beseitigen . Eine Kulturnation wie Deutschland kann es sich nicht erlauben, so mit ihren Künstlerinnen und Künstlern umzugehen, wenn sie diese Tradition bewahren und die kulturelle Vielfalt erhalten möchte . Das werden wir nur können, wenn wir in diejenigen investieren, die das Hervorbringen von Kunst und Kultur sowie die kreative Arbeit zu ihrem Erwerb gemacht haben . Vor allem müssen wir als Politik die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, die es den Betreffenden ermöglichen, durch eigenes Schaffen ein angemessenes Einkommen zu erzielen . Das Ausstellen ihrer Werke ist ein wichtiges Betätigungsfeld der bildenden Künstlerinnen und Künstler und ist längst eine eigenständige Leistungsform geworden . Durch eine Vergütung für die öffentliche Nutzung und Verwertung ihrer Werke wären die bildenden Künstlerinnen und Künstler in der Lage, ihre wirtschaftliche Situation selbst zu verbessern . Auf die Frage, ob wir eine verbindliche Ausstellungsvergütung brauchen, kann ich aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion nur eindeutig mit Ja antworten . Nicht so leicht zu beantworten ist die Frage, wie eine solche Regelung auszugestalten ist, damit sie den bildenden Künstlerinnen und Künstlern wirklich hilft und nicht kontraproduktiv wirkt . Diese Frage wird leider im vorliegenden Antrag unzureichend beantwortet . Ich sage bewusst: leider; denn auch wir als SPD-Bundestagsfraktion sehen in dieser Frage Handlungsbedarf . Dass der gute Wille allein manchmal nicht reicht und dass sich die Wirkung sogar ins Gegenteil kehren kann, hat uns das Beispiel Österreich gezeigt . Deshalb keine vorschnellen Entscheidungen und keine vorschnellen Konzepte! Auch wenn wir die Initiative der Linken, über diese Fragen zu diskutieren, grundsätzlich begrüßen, lässt der Antrag aus unserer Sicht viele wichtige Fragen unbeantwortet . Der Problemaufriss macht dies deutlich . Die eigentlichen Forderungen an die Bundesregierung bleiben in weiten Teilen unkonkret und oberflächlich. Auch macht es sich die Linke an einigen Stellen zu einfach, wenn sie fordert, der Bund möge seinen Einfluss auf Länder und Kommunen geltend machen, ein verpflichtendes Ausstellungshonorar zu zahlen . In diesem Falle gilt, was Einstein einmal formuliert hat . Als Politiker ist es nicht nur sinnvoll, gute Reden zu halten . Vielmehr muss man in Leistung und Arbeit investieren . - Für Politiker bedeutet das, in Mehrheitsverhältnisse zu investieren, damit sie die Realitäten verändern können . Liebe Kollegen von der Linken, Sie sollten schon genau sagen, wie angesichts der finanziellen Lage vieler Kommunen so etwas finanziert und realisiert werden kann . Selbst wenn der Bund eine Ausstellungszahlung in seinen Einrichtungen ermöglichen würde, darf man nicht vergessen: Der überwiegende, große Teil der Museen und der Ausstellungshäuser befindet sich in der Verantwortung der Länder und Kommunen . Eine wirklich tragfähige Lösung ist an dieser Stelle nur gemeinsam mit den Kommunen und den Ländern zu finden. Das sind die Fragen, an denen wir uns orientieren sollten . ({0}) Beispiel Schweden . Die Schweden haben vielleicht einen Weg beschritten, der deutlich macht, wie es gehen kann . In Schweden gibt es seit 2009 eine Übereinkunft, dass bildende Künstlerinnen und Künstler beim Ausstellen ihrer Werke anteilig an den Einnahmen der Museen beteiligt werden . Das sogenannte Reko-Label zeichnet Einrichtungen aus, die eine angemessene Vergütung zahlen . Leider ist es aufgrund unserer föderalistischen Struktur nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar . Wir brauchen für Deutschland eine passgenaue Lösung . Wir sollten uns jedenfalls das schwedische Modell anschauen und darüber reden . Dafür brauchen wir tatsächlich mehr Zeit . ({1}) Das sollten wir in der kommenden Legislaturperiode gemeinsam anpacken . Wir dürfen aber nicht vergessen: Das schwedische Modell hat die schwierige wirtschaftliche Situation der Künstlerinnen und Künstlern nur bedingt auffangen können - so erfolgreich ist es in diesem Fall auch nicht -, weil die Vergütung zu gering ist und weil Künstlerinnen und Künstler zu selten in den Genuss einer öffentlichen Ausstellung kommen. Das wird in Deutschland leider Gottes nicht anders sein . Deshalb ist eine Ausstellungsvergütung nur ein Instrument und kein Allheilmittel . Wir haben als SPD-Bundestagsfraktion in dieser Legislaturperiode an vielen Stellen unsere Vorstellung deutlich gemacht und durchsetzen können . Wir haben die KSK gesichert und zukunftsfähig gemacht . Wir haben beim Urhebervertragsrecht dafür gesorgt, dass es tatsächlich substanzielle Verbesserungen für Künstlerinnen und Künstler, für die Urheberinnen und Urheber gibt . Bei der Novelle des Filmförderungsgesetzes haben wir dafür gesorgt, dass auch soziale Mindeststandards mittlerweile im Gesetz auftauchen .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Kollege Blienert, darf ich Sie unterbrechen? Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schauws?

Burkhard Blienert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich würde diese Minute gern zu Ende reden . Danach können wir gerne in die Diskussion einsteigen .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Nein, danach können Sie die Rede nicht mehr aufnehmen . Entweder jetzt eine Frage oder keine . Ich stoppe auch die Redezeit . Sie wollen keine Zwischenfrage? Dann ist gut . Aber danach gibt es auch keine .

Burkhard Blienert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir als SPD-Fraktion haben uns des Themas der Arbeitslosenversicherung, des Arbeitslosengeldes I angenommen . Da hätten wir uns mehr vorstellen können . Wir als SPD haben die wesentlichen Beschlüsse schon gefasst, weil wir in der kommenden Legislaturperiode auch bei der allgemeinen Rahmenfrist Verbesserungen umsetzen wollen . Flexible Beschäftigungsstrukturen, veränderte Erwerbsbiografien, schwierige Einkommensverhältnisse machen es Solo-Selbstständigen, Freiberuflichen, Künstlerinnen und Künstlern, Kulturschaffenden zunehmend schwerer, Risiken wie Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Arbeitslosigkeit abzufedern und für das Alter vorzusorgen . Deshalb müssen wir diese Gruppen ganz speziell in den Fokus nehmen . Auch in diesem Punkt hat das Bundesarbeitsministerium in dieser Legislaturperiode durch das Weißbuch Arbeiten 4 .0 schon wichtige Voraussetzungen geschaffen, um daran weiterarbeiten zu können. Ebenso ist die Einführung des Mindestlohns ein wichtiger Bestandteil der sozialen Sicherung von Künstlerinnen und Künstlern . Mindesthonorare, Ausstellungsvergütungen können diese flankieren. Ich habe anfangs gesagt: Wir sind dafür offen. Wir stehen auch dazu . Wir haben entsprechende Anträge selber gestellt . ({0}) Das ist eine Möglichkeit, für Künstlerinnen und Künstler an dieser Stelle noch etwas zu tun . Ich danke für die Aufmerksamkeit . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Der Kollege Ansgar Heveling von der CDU/CSU-Fraktion schließt für heute hier die Debatte ab . ({0})

Ansgar Heveling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004056, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Repetitio est mater studiorum - so hat der spätantike Gelehrte Cassiodorus den Wert der Wiederholung bezeichnet . ({0}) Wenn ein Thema aber letztlich schon ausdiskutiert ist oder, wie Kollegin Schauws es gesagt hat, ein alter Hut ist, dann sind die Argumente natürlich auch schon ausgetauscht . Das Thema Ausstellungsvergütung ist eines, das uns in der Tat heute nicht zum ersten Mal begegnet, sondern das hier schon vielfach diskutiert und mit Anträgen unterlegt worden ist . Die Argumente haben sich indessen nicht wesentlich geändert . ({1}) Der Wunsch nach einer Ausstellungsvergütung für bildende Künstler scheint auf den ersten Blick durchaus berechtigt zu sein . Wieso, fragt man sich, sollten Malerinnen und Maler, Bildhauer, Fotografen und andere für die Ausstellung ihrer Werke keinen urheberrechtlich verbrieften Anspruch auf Vergütung erhalten, zumal die wirtschaftliche Situation von Künstlern - ich glaube, darüber sind wir uns einig - fraglos oftmals alles andere als rosig ist? Bei eingehender Betrachtung indes bewahrheitet sich, dass das Gegenteil von „gut“ oftmals nur „gut gemeint“ ist . Genau wie Autoren und Musiker bei der Herausgabe ihrer Texte oder Musik einen Primäranspruch oder eine direkte Vergütung erhalten, so lebt der bildende Künstler vom unmittelbaren Verkauf seiner Werke oder auch von der Nutzung von Abbildungen seiner Werke . Der bildende Künstler lebt also von der Verwertung, der Nutzung seiner Werke, genau wie jeder andere Künstler auch . Was Sie mit dem unverzichtbaren Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Ausstellungsvergütung bezwecken, ist letztlich nichts anderes als eine Sozialleistung in einem anderen Gewand . ({2}) Jean-Paul Sartre hat einmal gesagt: Kunst gibt es nur für und durch andere . - Gemeint hat er damit, dass das Kunstwerk als Kunstwerk nur in der Kommunikation mit seinem Betrachter existiert . Die Gefahr ist, dass genau diese Kommunikation eingeschränkt würde, wenn es eine Ausstellungsvergütung gäbe . ({3}) Es sind doch gerade die modernen, zeitgenössischen Künstler, die auf ein Gezeigtwerden ihrer Werke so dringend angewiesen sind, und das in einem Umfeld, in dem zeitgenössische Kunst für Museen leider allzu oft ein finanziell kaum mehr zu stemmendes Wagnis ist . Insofern ist es richtig - was auch der Kollege Lengsfeld schon angesprochen hat -: Wir müssen andere Wege finden, um etwa Museen zu unterstützen . ({4}) Der Deutsche Museumsbund warnt beispielsweise explizit davor, dass gerade die weniger finanzkräftigen kleineren Museen Leidtragende einer Ausstellungsvergütung sein könnten . Auch privat organisierte Kunstvereine müssten sich gut überlegen, eine Ausstellung zu organisieren; denn meistens übernehmen sie doch ohnehin die Kosten für Räumlichkeiten, Werbung und anderes . Das Risiko, nicht namhafte Künstler auszustellen, würde dann wohl niemand mehr eingehen . ({5}) Letztendlich führt eine verpflichtende Ausstellungsvergütung also in vielen Fällen zu insgesamt weniger Ausstellungen der Werke lebender Künstlerinnen und Künstler . Ausstellungen sind immer auch Verkaufsförderungsmaßnahmen, unabhängig davon, ob ein Werk letztlich gekauft wird oder nicht; denn das entzieht sich ohnehin der Vorhersehbarkeit . Gerade deshalb erscheint es sinnvoll, möglichst vielen Künstlerinnen und Künstlern zumindest die Chance zu eröffnen, Käufer für ihre Werke zu finden; denn um wirklich von der eigenen Kunst leben zu können, muss ein Künstler verkaufen, und dafür muss die Kunst präsent sein . Zumal: Eine Ausstellungsvergütung würde bei zeitgenössischen Künstlern, die noch keine größere Bekanntheit erlangt haben, wahrscheinlich ohnehin nicht in relevantem Maße zur Existenzsicherung beitragen . Gleichzeitig würde sie aber in vielen Fällen verhindern, dass der Künstler schnell bekannt werden kann . ({6}) Das moderne Künstlerbild ist etwas relativ Neues . Bis tief ins 19 . Jahrhundert hinein regierte die Auftragskunst . Natürlich wünschen wir keiner Künstlerin und keinem Künstler, dass ihre oder seine Kunst brotlos bleibe . Natürlich wissen wir, dass der Kunstmarkt seinen eigenen, oftmals nur schwer nachvollziehbaren Gesetzmäßigkeiten folgt . Das ist bisweilen vielleicht auch schmerzhaft . Gleichwohl halten wir den mit dem Antrag gemachten Vorschlag nicht für zielführend . Wir werden den Antrag natürlich weiter beraten, aber ihm wahrscheinlich nicht zustimmen . Vielen Dank . ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Diese Diskussion soll im Ausschuss für Kultur und Medien fortgesetzt werden . Dazu ist es notwendig, dass wir die Vorlage auf Drucksache 18/12094 an den Ausschuss überweisen . Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben Drucksachen 18/9526, 18/9909, 18/10102 Nr. 8 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({0}) Drucksache 18/12146 Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Wenn die Privatgespräche eingestellt würden, könnten wir die Aussprache eröffnen. - Jetzt erhält das Wort für die Bundesregierung die Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter . ({1}) Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl . Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz ist zwar erst knapp zehn Jahre in Kraft, aber es musste schon mehrfach novelliert werden, weil der Europäische Gerichtshof wesentliche Vorschriften für europarechtswidrig erklärt hatte . Die letzte Novellierung und damit auch die letzte Bundestagsdebatte sind gerade einmal 18 Monate her . Genau an dem Tag, an dem wir die letzte Novellierung beraten haben - das war der 15 . Oktober 2015 - hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg bereits die nächste Entscheidung zur Vereinbarkeit des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes mit dem europäischen Recht gefällt . Sie können es erraten: Zum dritten Mal hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz nicht den Vorgaben des Unionsrechts entspricht . Wir sind uns sicher alle einig: Das war keine gute Bilanz für so ein junges Gesetz . Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung hat das Ziel, das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz an die europa- und völkerrechtlichen Vorgaben anzupassen . Der Entwurf setzt erstens die Vorgaben des EuGH-Urteils vom 15 . Oktober 2015 um . So vermeiden wir die Einleitung eines Zwangsgeldverfahrens wegen fehlerhafter Umsetzung der Umweltverträglichkeitsprüfungsund Industrieemissions-Richtlinie . Auch wenn die Höhe des Zwangsgeldes eine kleinere Dimension hat als zum Beispiel bei dem Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung, das wir heute Morgen debattiert haben: Es sind doch Steuergelder . Deswegen ist es wichtig, dass wir das Problem jetzt lösen und dass kein Zwangsgeld verhängt wird . Zweitens dient der Gesetzentwurf dazu, das völkerrechtliche Compliance-Verfahren gegen Deutschland im Rahmen der Aarhus-Konvention zu beenden . 2014 hatte die Konferenz der Vertragsstaaten festgestellt, dass Deutschland in zwei Punkten seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen beim Gerichtszugang in Umweltangelegenheiten nicht nachgekommen ist . Mit den Änderungen am Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, die die Bundesregierung vorgeschlagen hat, können diese beiden Ziele erreicht werden . Der Gesetzentwurf setzt das um, was europarechtlich und völkerrechtlich zwingend notwendig ist . Dazu gehören unter anderem die Erweiterung der Klagemöglichkeiten für Umweltverbände und die Abschaffung der materiellen Präklusion. Gleichzeitig beschreiten wir beim verwaltungsprozessualen Rechtsschutz in einem großen Teil des Anwendungsbereichs des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes aber auch neue Wege. Wir schaffen die Möglichkeit, dass das Gericht bei einer Verletzung materieller Rechtsvorschriften die angefochtene Verwaltungsentscheidung nicht aufhebt, sondern eine nachträgliche Heilung dieses materiellen Fehlers zulässt . Das ist für Investoren und Unternehmen eine ganz erhebliche Erleichterung; denn es bedeutet konkret, dass nicht mehr das gesamte Genehmigungsverfahren wiederholt zu werden braucht, sondern eine Korrektur des vom Gericht beanstandeten Fehlers ausreicht . Der in den Ausschüssen beratene Gesetzentwurf hat den Spielraum, der durch das europäische Recht und das Völkerrecht gegeben wird, voll ausgeschöpft . Die Beschlussempfehlung des Umweltausschusses greift im Einklang mit der Gegenäußerung der Bundesregierung Anregungen des Bundesrates auf . Darüber hinaus enthält sie neben Folgeänderungen rechtstechnischer Natur einige punktuelle Änderungsvorschläge sowie eine Entschließung . Diese Vorschläge entwickeln den Gesetzentwurf fort, um im Rahmen der Beratungen aufgeworfenen Bedenken so weit wie möglich Rechnung zu tragen . Meine Damen und Herren, Einstein hat heute Konjunktur . ({2}) Eigentlich wollte ich jetzt genau das Gleiche sagen - das passt nämlich auch hier -: Persönlichkeiten werden nicht durch schöne Reden geformt, sondern durch Arbeit und eigene Leistung . Aber eigentlich kann man bei diesem Gesetz etwas viel Besseres anbringen: Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind . In diesem Fall hat es etwas länger gedauert, dass die Denkweisen sich geöffnet haben und wir zu einer Lösung gekommen sind . Ich danke Ihnen ganz herzlich, dass wir das Gesetz heute verabschieden . Herzlichen Dank . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege Hubertus Zdebel . ({0})

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz ist ein sperriges Thema . Außerhalb dieses Hohen Hauses und abgesehen von einigen Expertinnen und Experten kann kaum jemand, glaube ich, wirklich etwas damit anfangen . Ich sage ganz kurz Folgendes dazu: Jeder Mensch hat Klagerechte bei staatlichen Entscheidungen über die Umwelt . Aber die Bundesregierung setzt die völkerrechtlich bindende Aarhus-Konvention, die Deutschland mit unterschrieben hat, seit 15 Jahren nur sehr restriktiv um . Die Entscheidungen des Aarhus Convention Compli ance Committee und des Europäischen Gerichtshofs haben deutlich gemacht, dass die deutschen Bestimmungen über die gerichtliche Kontrolle von umweltbezogenen Verwaltungsentscheidungen völlig unzureichend sind . Die Bundesregierung hat jedoch die notwendigen Konsequenzen verweigert . Ihr Änderungsentwurf zum Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz provoziert neue Verurteilungen . Daran haben die Ausführungen der Mehrheit der Sachverständigen in der Anhörung des Umweltausschusses am 26 . September 2016 keinen Zweifel gelassen . Das ist also schon gut und gerne ein halbes Jahr her, und wir hatten eigentlich gar nicht mehr damit gerechnet, dass sich die Bundesregierung bzw . die Koalitionsfraktionen in dieser Legislaturperiode noch auf irgendetwas verständigen könnten . Im Nachgang betrachtet wäre es besser gewesen, sie hätten sich auf nichts verständigt; denn das, was hier vorgelegt worden ist, ist definitiv nicht die Umsetzung dessen, was in der Aarhus-Konvention festgeschrieben worden ist . Monatelang haben SPD und CDU/CSU die Behandlung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz im Umweltausschuss vor sich hergeschoben . Doch statt nun einen Antrag vorzulegen, der die schwerwiegenden Defizite des Regierungsentwurfs beseitigt und europäischen sowie internationalen Anforderungen genügt, will die Große Koalition die geplanten restriktiven Bestimmungen sogar verschärfen . Im Interesse der Industrie soll heute ein Artikelgesetz verabschiedet werden, das effektive und umfassende Klagerechte von Umweltorganisationen nicht ermöglichen, sondern weitgehend verhindern soll . Das ist ein handfester Skandal und nicht hinnehmbar . ({0}) Es muss endlich mit der Privilegierung von Bergbauvorhaben Schluss sein . Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz muss auch für bergrechtliche Erlaubnisse und Bewilligungen zum Beispiel bei Fracking-Vorhaben Anwendung finden. ({1}) Wir Linken fordern: Die Bestimmung, Raumordnungspläne, die Flächen für den Abbau von Rohstoffen ausweisen, von der Klagebefugnis auszunehmen, ist ersatzlos zu streichen . ({2}) Jedes staatliche Handeln muss gerichtlich auf Übereinstimmung mit den Vorschriften des Umweltrechts überprüfbar sein . ({3}) Auch das ist nicht der Fall . Bisher war es in Deutschland nicht möglich, Argumente zur Klagebegründung vor Gericht vorzubringen, falls diese nicht bereits im vorausgegangenen Verwaltungsverfahren vorgetragen wurden . Das war die Vergangenheit . Diese „materielle Präklusion“ - so der Fachterminus - hat der Europäische Gerichtshof inzwischen gekippt . Nun will die Bundesregierung das EuGH-Urteil mit einer Missbrauchsklausel aushebeln . Auch das ist nicht hinnehmbar . ({4}) Diese Einführung der Präklusion durch die Hintertür lehnen wir entschieden ab . Die Fraktionen von SPD und CDU/CSU setzen dem Ganzen allerdings mit ihrem Änderungsantrag jetzt noch die Krone auf . Sie wollen die Klagerechte durch einen Änderungsantrag, der gestern im Umweltausschuss schon beschlossen wurde, noch weiter einschränken . So sollen bestimmte Verwaltungsakte nach zwei Jahren nicht mehr beklagt werden können . Dies soll sogar gelten, wenn die Kläger gar keine Chance hatten, davon zu erfahren, selbst wenn sie widerrechtlich verschwiegen wurden. Damit öffnen Sie Missbrauch Tür und Tor. Auch das ist nicht hinnehmbar . ({5}) Bei der Klagebegründungsfrist wird noch einmal sehr deutlich, dass Sie Umweltorganisationen gegenüber Verwaltung und Industrie benachteiligen wollen . Während Sie dem Gericht für die Kläger eine Fristsetzung von Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter zehn Wochen vorschreiben, gelten für Beklagte und Beigeladene keinerlei Fristen für Stellungnahmen . Die Linke lehnt den Beschlussvorschlag der Bundesregierung und der Großen Koalition ab . Wir fordern eine rechtskonforme Überarbeitung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes, wie es der Aarhus-Konvention entspricht . Wir fordern Sie daher auf, Ihren Gesetzentwurf zurückzuziehen, denn der gehört tatsächlich in den Mülleimer . Danke schön . ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Oliver Grundmann . ({0})

Oliver Grundmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004283, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über die Neujustierung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes . „Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz“ - das ist ein sperriger Begriff. Die Materie dahinter - das will ich hier nicht verhehlen - ist auch ein Stück weit sperrig, hochjuristisch und eben auch hochkomplex . Sie ist aber von einer weitreichenden Bedeutung . Eben deshalb haben wir uns auch so viele Monate Zeit genommen, darüber zu diskutieren . Wir haben das getan, weil wir der Auffassung sind, dass Sorgfalt vor Schnelligkeit geht . Ich will hier an dieser Stelle sagen: Wir machen die gebotene Novelle nicht freiwillig . Es geht hier um europa- und völkerrechtliche Vorgaben, die wir nun einmal umsetzen müssen . Das haben wir mit dem vorliegenden Entwurf auch vollumfänglich getan . Fakt ist aber auch: Die Umweltverbände bekommen wieder mehr Klagerechte . Das muss uns aufhorchen lassen . Stichwort „Energiewende“: Da stehen wir vor einer gewaltigen Herausforderung . Das muss ich hier in diesem Hause niemandem erzählen . Genau genommen stehen wir schon mitten drin in dieser Herausforderung . Aber auch das gehört zur Wahrheit: Wir stehen mehr, als dass wir so richtig vorankommen . Wenn ich mir zum Beispiel den Leitungsausbau, speziell in Niedersachsen, anschaue, dann muss ich sagen: Da wird gebremst, diskutiert, abgewogen, aber leider nicht gebuddelt und verlegt . Da kommt auch unsere Landesregierung leider überhaupt nicht in dem gebotenen Maße in die Gänge . Das hat auch Sigmar Gabriel damals als Wirtschaftsminister in aller Schärfe kritisiert . Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir die Energiewende wirklich wollen - ich glaube, darin sind wir uns hier im Hause alle einig -, dann brauchen wir den unbedingten Willen der Politik, dann brauchen wir ein gesundes Klima für Investoren und dann brauchen wir eben auch Rechtssicherheit, das heißt schnelle und effiziente Genehmigungsverfahren. ({0}) Wenn wir uns einmal ganz ehrlich machen, muss man sagen: Die Verbandsklage ist nicht gerade das Gaspedal, um unsere Projekte auf die Überholspur zu bringen . Im Gegenteil: Bereits heute werden zahlreiche Projekte gerichtlich angefochten, verzögert oder verschleppt . Teilweise ist das ideologisch motiviert nach dem Motto: „Jedes größere Infrastrukturprojekt ist per se erst einmal böse .“ Aber nicht nur ideologischer Übereifer bremst uns aus . Der andere Übeltäter, der quasi hausgemacht ist, ist häufig eben auch bürokratischer Irrsinn. Im Ausschuss hatte ich das sagenumwobene Beispiel aus einer Samtgemeinde in meinem Wahlkreis genannt . Dort sollten 2013 sechs neue Windenergieanlagen entstehen . Weil ein Mitarbeiter in der Gemeindeverwaltung den öffentlichen Aushang einen Tag zu früh wieder weggenommen hatte, musste das gesamte Genehmigungsverfahren komplett neu aufgerollt werden . Ich hatte mir im Vorfeld der Anhörung vom Betreiber die entstandenen Zusatzkosten auflisten lassen. Der Fehler eines Gemeindemitarbeiters, einen Tag zu früh den Zettel wieder aus dem Glaskasten herauszunehmen, verursacht in Deutschland in diesem Fall 100 000 Euro für zusätzliche Bauplanungskosten, 130 000 Euro für ein Uhu-Monitoring inklusive der Nahrungsfläche von 1 Hektar für den Uhu, zusätzliche 25 000 Euro an Mehrkosten für die Baugenehmigung wegen einer danach folgenden Gebührenerhöhung und sage und schreibe 1,2 Millionen Euro für eine geringere Einspeisevergütung für die ersten fünf Jahre . ({1}) Die Realisierung dieses Windparks wurde um Jahre zurückgeworfen, und der Schaden ging in die Millionen, und alles im Grunde wegen einer Lappalie . Mit dem jetzt vorliegenden Entwurf haben wir deshalb zwei Ziele verfolgt . Zum einen kommen wir unserer völkerrechtlichen Verpflichtung nach. Klar, die Opposition hätte gerne gesehen, dass wir über die Eins-zu-einsUmsetzung hinausgehen und das Ganze für alle Zeiten absolut wasserdicht machen . Lieber Peter Meiwald, du hast ja gestern im Ausschuss gesagt, dass wir in Brüssel nicht gerade durch Strebertum in Sachen Verbandsklagerecht auffallen würden. ({2}) Da gebe ich dir auch ausdrücklich recht . Das ist so, und das ist unserer Meinung nach auch gut so . ({3}) Wir als CDU/CSU verfolgen nämlich eine grundsätzlich andere Argumentationslinie . Ich will einmal die Frage ganz offen stellen: Was ist uns denn überhaupt wichtiger in unserem Land? Worin sollten wir wirklich Vorbild in Europa sein? Ist es wichtiger, im vorauseilenden Gehorsam geradezu streberhaft jede EU-Vorgabe überzuerfüllen, oder ist es wichtiger, als vielleicht erste Industrienation die Mammutaufgabe Energiewende zu stemmen, und das auch erfolgreich? Wir als CDU/CSU haben da für uns eine ganz klare Antwort gefunden: Wir lassen es jedenfalls nicht zu, dass die Aarhus-Bürokratie und EuGH-Urteile wichtige Investitionsentscheidungen lähmen . ({4}) Wie unsinnig und teuer das ist, habe ich anhand dieses einen Beispiels ja schon vorgerechnet . ({5}) Deshalb haben wir noch ein zweites Ziel ins Auge gefasst: Wir wollen die Verfahren einfacher und schneller machen . Wir haben intensiv überlegt, wo wir innerhalb der Eins-zu-eins-Umsetzung Möglichkeiten für mehr Rechtssicherheit und für spürbare Verfahrensbeschleunigungen schaffen können. Wir haben hierzu entsprechende Änderungsanträge formuliert, die wir als absolut sinnvoll und auch als absolut notwendig erachten, wie zum Beispiel die Einführung einer zweijährigen Klagefrist für Rechtsbehelfe, die unseren Investoren endlich mehr Planungs- und Rechtssicherheit gibt, oder die Einführung einer Klagebegründungsfrist, die also nicht mehr im Ermessen der Gerichte steht . Auch damit entlasten wir die Gerichte und straffen die Verfahren. Wir schaffen effiziente Möglichkeiten der Fehlerheilung, damit Genehmigungsverfahren nicht komplett wiederholt werden müssen, wenn zum Beispiel der Gemeindemitarbeiter den Aushang zu früh wegnimmt . Das ist dann auch kein Weltuntergang . Dann holt man diesen Tag nach und erspart unserer Volkswirtschaft Hunderttausende Millionen von Euro . Wir tun wirklich etwas Gutes für die Umwelt, wenn die Windkraftanlagen dadurch zum Beispiel früher ans Netz gehen können . Warum diese Verfahrensbeschleuniger so wichtig sind, zeigt dieser Windpark in meiner Samtgemeinde . Mein Wahlkreis zwischen Elbe und Weser ist vielfältig, groß und wunderschön . Deshalb möchte ich noch ein zweites Beispiel nennen . ({6}) In der kommenden Woche kommt am Wochenende der taiwanesische Botschafter zu Besuch . Das wird ein großartiger Tag . Darauf freue ich mich schon . Wir wollen gemeinsam mit einem Container voller Äpfel in See stechen und quasi symbolisch den ersten Container Altländer Obst nach Taiwan über das Tor zur Welt in Hamburg verschiffen. Nebenbei ist auch noch Hamburger Hafengeburtstag . Das wird also eine richtige Sause mit Matjesbrötchen und Bier auf dem Schiff. Der Botschafter wird dann am nächsten Tag auch noch die Altländer Blütenkönigin küren . Das wird also eine richtig tolle Sache werden . Worauf ich mich aber weniger freue - das will ich an dieser Stelle auch sagen -, sind die müden und ermatteten Augen seiner Exzellenz, wenn er in Stade erschöpft aus seinem Wagen steigt . Die Fahrt nach Stade macht nämlich überhaupt keinen Spaß . Die Luftlinie zwischen der Hansestadt Hamburg und meiner kleinen Hansestadt Stade beträgt exakt 34,62 Kilometer, gemessen von Rathaustür zu Rathaustür . Mit meinem VW-Bus - ich habe einen T5 und bin kein Superschnellfahrer; aber er hat ordentlich PS - brauche ich je nach Verkehrslage eine Stunde fünf Minuten bis zu zwei Stunden - zwei Stunden für nicht einmal 35 Kilometer Fahrstrecke! ({7}) Dann werde ich nächste Woche dem Botschafter - es ist eigentlich immer das Gleiche, wenn mich Persönlichkeiten in Stade besuchen - erklären müssen, dass wir 40 Jahre lang für die Planung einer Autobahn gebraucht haben . Vor 40 Jahren war Taiwan in weiten Teilen noch ein armer Agrarstaat . Heute ist er eine hochtechnologisierte Volkswirtschaft . Wie soll ich meinem Freund Herrn Professor Dr . Jhy Wey Shieh erklären, warum das so lange dauert? Wie soll ich ihm erklären, dass Deutschland als eine der vielleicht stärksten Industrienationen der Welt, ein Land, dem man im Grunde alles zutraut, sogar die Energiewende - wenn es einer schafft, dann sind wir das -, es nicht schafft, 40 lächerliche Autobahnkilometer zu bauen? Ich will damit sagen - hier bin ich ganz schnell bei den Entschließungsanträgen der Opposition -: Sie wollen, wenn ich es richtig gelesen habe, die Klagebefugnis der Umweltverbände ausnahmslos auf alle umweltrelevanten Entscheidungen ausdehnen, also insbesondere auch den Bundesverkehrswegeplan, den wir im letzten Jahr beschlossen haben, zum Gegenstand von Verbandsklagen machen . ({8}) Zwei Dinge hierzu . Erstens . Ich möchte in meinem Wahlkreis keine weiteren 40 Jahre auf die Autobahn A 26 oder die A 20 warten . Ich habe den Bürgern meines Wahlkreises versprochen, dass ich alles dafür tun werde, dass diese Autobahn endlich fertig wird und dass die Staus endlich aufhören, die Belastungen für die Anwohner, Tausende Lkws am Tag, endlich ein Ende haben werden und dass es - das ist ein ernstes Thema; hier bitte ich Sie um Ihre Aufmerksamkeit -auf dieser Strecke endlich weniger Verkehrstote gibt . Die B 73 ist die Todesstrecke in Deutschland . Das können Sie im Internet nachlesen . Sie ist die Straße mit den meisten Verkehrstoten in Deutschland . Das will und das werde ich ändern . ({9}) Zweitens . Hier muss ich Sie leider enttäuschen: Den Bundesverkehrswegeplan für Verbandsklagen zu öffnen, funktioniert auch rechtlich gar nicht. Der Bundesverkehrswegeplan ist nämlich außen vor, weil er Ausbaugesetze vorbereitet, gegen die ein unmittelbarer Rechtsbehelf ausgeschlossen ist . Ohnehin fordert die Aarhus-Konvention nirgendwo, dass oberste Planungsebenen anfechtbar sein müssen . Damit wir uns nicht falsch verstehen, zum Schluss noch ein paar versöhnliche Worte . Auch ich bin für den Schutz der Natur . Ja, die anerkannten Umweltverbände erfüllen eine wichtige Aufgabe in diesem Land; das ist überhaupt keine Frage . Aber ich bin auch Praktiker, der jahrelang im Bereich Umweltdienstleistungen tätig war . Ich kenne den Umweltschutz daher nicht nur aus Anträgen . Ich weiß, welche Folgewirkungen ein kleiner Pinselstrich in einem solchen Gesetz entfalten kann . Dann gehen Investitionen schnell in die Binsen, weil das Risiko einfach zu groß ist . Deshalb müssen wir ökologische und ökonomische Interessen, aber auch die Interessen der einfachen Bürger unter einen Hut bringen . Ich glaube, das ist uns mit dem vorliegenden Entwurf wirklich gut gelungen . Wir haben die Eins-zu-eins-Umsetzung . Wir haben die Verfahrensbeschleunigung, und wir haben mehr Rechtssicherheit . Ich glaube, damit können wir alle gut leben . Es ist ein wirklicher Fortschritt, ein Erfolg . Deshalb bedanke ich mich ganz herzlich bei Herrn Dr . Miersch und den Vertreterinnen und Vertretern des BMUB für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit . Wir haben etwas Gutes gemacht . Vielen herzlichen Dank . ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Oliver Grundmann . - Schönen Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben einen Wechsel vorgenommen, wie Sie sehen und hören können . Letzter Redner in dieser Debatte: Peter Meiwald für Bündnis 90/Die Grünen .

Peter Meiwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004351, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Warum eigentlich hat die Mehrheit in diesem Haus so viel Angst davor, dass die Einhaltung von Gesetzen in unserem Land von Gerichten überprüft werden kann? Sind die Gesetze, die wir hier machen, so schlecht, dass man Angst davor haben muss, dass bei Gericht überprüft werden kann, ob sie eingehalten werden? Ein solches Bild zu vermitteln, kann doch nicht in unserem Interesse als Parlamentarier sein . ({0}) Es geht heute hier um nicht weniger als die Frage, ob in Deutschland im Umweltbereich „recht haben“ und „recht bekommen“ endlich in Einklang gebracht werden, und das viele Jahre, nachdem die Aarhus-Konvention von unserer Regierung unterzeichnet und von unserem Parlament ratifiziert worden ist. Völkerrecht ist doch nicht immer wieder neu zu diskutieren; Völkerrecht muss Bestand haben . Wir haben vorhin schon von den Lateinern gehört: Pacta sunt servanda . - Das wissen wir doch alle hier . ({1}) Lieber Oliver Grundmann, die Beispiele, die gerade gebracht worden sind, zeigen doch: Gerade bei den großen Infrastrukturprojekten leben wir davon, dass wir Rechtsklarheit und Rechtssicherheit schaffen. Das tun wir eben nur, wenn wir die Grundlagen des Rechtsstaates stabilisieren, und nicht, wenn wir uns davor verstecken, dass Entscheidungen, die getroffen worden sind, vor Gericht kontrolliert werden . Was wollen wir erreichen? Umweltverbände sollen ein umfassendes Verbandsklagerecht erhalten . Was heißt das denn konkret? Flugrouten werden in der Regel durch Verordnung festgelegt . Es muss doch kontrollierbar sein, ob sie mit unseren Umweltgesetzen in Einklang zu bringen sind . ({2}) Das gilt in der Tat auch für Raumordnungspläne im Zusammenhang mit der Windenergie . Aber wir Grüne können es nicht auf uns sitzen lassen, wenn Sie glauben machen wollen, die Energiewende in Deutschland würde durch ein Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz oder das Verbandsklagerecht für Umweltverbände ausgebremst . Ausgebremst wird die Energiewende in diesem Land im Moment von Ihrer Bundesregierung im Verbund mit Herrn Seehofer aus Bayern . ({3}) Man kann über Sonnensteuer, über Ausbauobergrenzen reden; das haben wir in den letzten Jahren hier getan . Welche Geisteshaltung gerade Sie von der Unionsfraktion an den Tag legen, hat uns doch die Rede von Kollege Koeppen vorhin in der anderen Debatte noch einmal deutlich gemacht . Die Energiewende ist doch in großen Teilen Ihrer Fraktion - Oliver, da nehme ich dich gerne aus - gar nicht gewollt; das Ziel ist es doch gerade, sie auszubremsen . Das kann man nicht den Umweltverbänden in die Schuhe schieben, indem man jetzt sagt, das Verbandsklagerecht wäre dafür verantwortlich, dass die Energiewende in Deutschland in den letzten Jahren ins Stocken gekommen ist . Dafür ist diese Bundesregierung - und nur sie - verantwortlich . ({4}) Konkret: Die Regierungskoalition legt hier mit monatelanger Verzögerung einen Gesetzentwurf vor, der den Zustand der völkerrechtlichen Kritikwürdigkeit - das ist noch freundlich ausgedrückt - endlich beenden soll, und sie legt - das ist das Erstaunliche; wir haben es schon gehört - gleich noch einen Entschließungsantrag dazu . Wenn es der Sache wegen nicht so traurig wäre, wäre das eigentlich ein amüsanter Vorgang: Die Regierungskoalition macht sich selbst zu ihrer Opposition, indem sie in einem Entschließungsantrag die zukünftige Bundesregierung auffordert, endlich ein Gesetz zu schaffen, das völkerrechtskonform ist . Das ist absurdes Theater . Da wird dem Bürger und der Bürgerin vorgespiegelt, dass dieses Parlament nicht in der Lage ist, selber ein Gesetz zu machen, das den internationalen Vorgaben gerecht wird . Das kann nicht sein . ({5}) Alle Experten, bis auf den Vertreter des BDI, haben in der Anhörung - Hubertus Zdebel hat darauf hingewiesen - deutlich zum Ausdruck gebracht, dass mit diesem Gesetzentwurf das Völkerrecht weiter ignoriert wird . Wir haben gedacht, die darauffolgenden sechs, sieben oder acht Monate würden dafür genutzt, diese Defizite zu beseitigen . Aber das, was wir heute hier vorgelegt bekommen, wird dem in keiner Weise gerecht . Wir müssen feststellen: Trotz der Dutzenden Veröffentlichungen in der Rechtsliteratur und einer Reihe von Urteilen der europäischen Gerichte und drohender Strafzahlungen an die Europäische Union hat sich die Bundesregierung entschlossen, diesen mehr als ungenügenden Entwurf in die heutige Schlussabstimmung im Parlament zu geben . Das Thema der Präklusion hat Hubertus Zdebel gerade schon ausgeführt; dies ist nur eines von vielen Beispielen . Das kann nicht sein . Insofern werden wir Grüne selbstverständlich diesen fehlerhaften Gesetzentwurf ablehnen . Vielen Dank . ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Peter Meiwald . - Damit schließe ich die Aussprache . Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und an- derer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vor- gaben . Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12146, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa- chen 18/9526 und 18/9909 in der Ausschussfassung an- zunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Es gibt keine Enthaltungen . Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetz- entwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12146 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthal- tungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren die Linke und Bündnis 90/Die Grünen . Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschlie- ßungsanträge . Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/12160 . Wer stimmt für diesen Entschlie- ßungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Keine Enthaltun- gen . Der Entschließungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt haben die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, dagegen waren CDU/CSU und SPD . Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12161 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Nie- mand enthält sich . Der Entschließungsantrag ist abge- lehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke, dagegen waren CDU/CSU und SPD . Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 16 a bis 16 c sowie Zusatzpunkt 5 auf: 16 . a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Dörner, Dr . Franziska Brantner, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Geld, Zeit, Bildung und Teilhabe - Familien gezielt unterstützen Drucksache 18/12110 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Kerstin Andreae, Dr . Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Familien stärken - Kinder fördern Drucksachen 18/10473, 18/12156 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Dr . Franziska Brantner, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zeit für mehr - Damit Arbeit gut ins Leben passt Drucksachen 18/9007, 18/12156 ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Franziska Brantner, Katja Dörner, Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Alleinerziehende stärken - Teilhabe von Kindern sichern Drucksachen 18/4307, 18/11592 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre und sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich bitte die Kollegen, Platz zu nehmen . Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Katja Dörner für Bündnis 90/Die Grünen .

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es wurde ein bisschen geunkt, dass wir so spät am Abend noch über Familienpolitik diskutieren . Aber ich denke, wir sind uns alle einig, dass es nie zu spät ist, etwas für die Kinder und die Familien zu tun . Es ist ja auch leider so, dass die Legislaturperiode schon relativ weit fortgeschritten ist . Umso wichtiger wäre es, dass die Bundesregierung wirklich damit anfängt, die Ärmel hochzukrempeln . ({0}) Wenn es um die Bekämpfung von Kinderarmut geht, wenn es darum geht, dass Eltern mehr Zeit mit ihren Kindern haben, wenn es um die Qualität in den Kitas geht oder wenn es darum geht, Eltern darin zu unterstützen, Erwerbs- und Familienarbeit endlich besser partnerschaftlich untereinander aufteilen zu können: Hier wünscht sich die große Mehrheit der jungen Eltern Unterstützung . Wenn man sich all diese Herausforderungen anschaut, dann sieht man, dass sich diese Bundesregierung in den letzten Jahren nicht mit Ruhm bekleckert hat, und sie darf sich nicht weiter wegducken . ({1}) Wir erleben jetzt - der Bundestagswahlkampf lässt grüßen -, wie sich Union und SPD darin überbieten, was sie alles für die Familien zu tun gedenken . ({2}) Sorry, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist wirklich mehr als durchsichtig . Union und SPD stellen die Bundesregierung . Sie können jetzt handeln, und Sie hatten dafür schon dreieinhalb Jahre Zeit . ({3}) Im Koalitionsvertrag steht - ich zitiere -: Wir setzen „auf einen Dreiklang von Zeit für Familien, guter Infrastruktur und materieller Sicherheit .“ Was ist daraus geworden? So gut wie nichts . Stichwort „Kinderarmut“: Der Anteil armer und von Armut bedrohter Kinder und Jugendlicher ist in den letzten Jahren sogar gestiegen, und das trotz der guten Wirtschaftslage. Ich finde es skandalös, dass die Bundesregierung hier nicht handelt . ({4}) Noch immer decken die Regelsätze das Existenzminimum der Kinder nicht . So kann Teilhabe in unserer Gesellschaft nicht funktionieren . ({5}) Wahrscheinlich wird sich die Koalition gleich wieder für die Erhöhung des Kinderzuschlags loben . Aber der Kinderzuschlag, so wie wir ihn haben, ist eine Fehlkonstruktion, weil nur 30 Prozent der Anspruchsberechtigten ihn tatsächlich in Anspruch nehmen . Da wir wissen, dass der Kinderzuschlag gebraucht wird, um in Familien mit geringem Einkommen das Existenzminimum der Kinder zu decken, müsste das bei uns allen die Alarmglocken läuten lassen . Deshalb wollen wir den Kinderzuschlag weiterentwickeln . Er muss automatisch ausgezahlt werden . Und wir wollen ihn so stricken, dass mehr Familien einen Anspruch darauf haben . ({6}) Wir wollen Familien grundsätzlich entlasten, auch Familien mit einem ganz normalen Einkommen . Es ist einfach ungerecht, dass Familien mit einem besonders hohen Einkommen über die Freibeträge von der staatlichen Unterstützung überproportional profitieren. Sie profitieren stärker als Familien, die einfach nur Kindergeld bekommen . Deshalb setzen wir uns auch für eine einkommensunabhängige Kindergrundsicherung ein . ({7}) Nun gibt es fast überall eine Diskussion über das Ehegattensplitting. Auch in der Union ist es offensichtlich nicht mehr sakrosankt . ({8}) Was wir aber unter diesem Label „Familiensplitting“ hören, ist kein Fortschritt . Das Kernproblem des Ehegattensplittings ist, dass nur Familien mit hohem Einkommen davon profitieren, dass nur Paare mit einem unterschiedlich hohen Einkommen davon profitieren. Deshalb sagen wir ganz klar: Die Unterstützung muss unmittelbar beim Kind ansetzen; sie muss unabhängig vom Einkommen der Eltern sein und unabhängig vom Familienstand . Nur das ist gerecht, und aus unserer Sicht spiegelt nur das die Vielfalt der Familien wider, so wie wir sie heute in Deutschland haben . Stichwort „Mehr Zeit für Familien“: Die Ministerin macht ja große Ankündigungen . Sogar einen Gesetzentwurf sollte es geben . Aber wenn es darum geht, über konkrete Vorschläge hier im Parlament zu entscheiden, dann kommt überhaupt nichts . Vier Jahre wurden komplett verschenkt . Dabei gibt es doch auch hier ganz dringenden Handlungsbedarf . ({9}) Herr Weinberg, Sie haben gestern in der Ausschussbefassung gesagt, unsere KinderZeit Plus sei zu komplex . Vizepräsidentin Claudia Roth Wir sagen: Eine Leistung, die flexibel ist, die sich der Lebenssituation der Familien gut anpasst, die den Familien den größtmöglichen Spielraum gibt, kann halt nicht 150 Euro Betreuungsgeldpauschale sein . Vielleicht sollte man sich eine solche Kritik sparen, wenn man selbst überhaupt keine Vorschläge macht, wie Familien wieder mehr Zeit füreinander bekommen können . ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

„Zeit“ ist ein gutes Stichwort .

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

„Zeit“ ist ein gutes Stichwort . Ich komme zum Schluss . - Die familienpolitische Bilanz dieser Regierung ist dürftig . Wir legen heute noch einmal zu den relevanten Bereichen sehr konkrete Vorschläge vor . Es ist entlarvend, dass wir von Union und SPD in diesem Zusammenhang nur schöne Reden hören . ({0}) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Katja Dörner . - Nächster Redner: Markus Koob für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Markus Koob (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004331, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher! Schön, dass trotz der späten Stunde noch einige auf den Tribünen die Diskussion verfolgen . Wir haben heute gleich drei Anträge vorliegen, über die man reden könnte . Ich möchte mich vorwiegend auf den Antrag mit dem Titel „Familien stärken - Kinder fördern“ konzentrieren . Das ist ein Motto, dem sicherlich alle Fraktionen hier in diesem Hause vorbehaltlos zustimmen würden und das sie sich auf die Fahne schreiben würden . Nachdem ich Ihren Redebeitrag, Frau Dörner, gehört habe, frage ich mich schon, ob wir in den letzten dreieinhalb Jahren in unterschiedlichen Ausschüssen gearbeitet haben . ({0}) Es ist naturgemäß so, dass die Opposition das Recht hat, Dinge zu kritisieren, immer mehr zu fordern und dabei auch keine Rücksicht darauf nehmen zu müssen, was ihre Forderungen und Vorschläge eigentlich kosten . ({1}) Aber zu behaupten, dass in den letzten dreieinhalb Jahren nichts geschehen sei, ist wirklich absurd . Wir haben gemeinsam mit der SPD in diesen dreieinhalb Jahren das Elterngeld Plus eingeführt . Wir haben den Unterhaltsvorschuss ausgeweitet . Wir haben den Mindestlohn eingeführt . Wir haben den Kinderzuschlag und den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende erhöht . Wir haben Maßnahmen getroffen, um die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf zu fördern. Wir haben das ist noch keine vier Stunden her - gerade beschlossen, dass der Bund weitere Milliarden in die Hand nimmt, ({2}) um weitere 100 000 Plätze für die Kinderbetreuung in diesem Land zu schaffen, und das, obwohl wir dafür gar nicht zuständig sind . ({3}) Man kann ja gerne fordern, dass wir immer mehr machen müssten, aber zu behaupten, dass wir nichts getan hätten, ist, glaube ich, angesichts dieser Bilanz wirklich absurd . ({4}) Sie legen hier einige Forderungen vor, die man zwar stellen kann, die allerdings in ihrer Größenordnung einen zweistelligen Milliardenbetrag bedeuten würden . Allein zur Umsetzung des Punktes mit der Kindergrundsicherung müssten wir den kompletten Etat des Familienministeriums verdoppeln . Das kann man fordern . Dann müssen Sie allerdings auch sagen, woher Sie dieses Geld nehmen wollen, wie Sie das finanzieren wollen. Bei Ihren Anträgen lassen Sie auch völlig außer Acht, dass es vor allem zwei Maßnahmen gibt, die dafür sorgen, dass Familien wirtschaftlich in der Lage sind, für sich und ihre Kinder zu sorgen . Der eine Aspekt ist, dass Armut am nachhaltigsten nicht durch Sozial- und Transferleistungen, sondern durch Arbeit verhindert wird . Eltern eine gute Arbeit zu ermöglichen, ist deshalb der wichtigste Aspekt, um Kinderarmut auch in den nächsten Jahren anzugehen und zu verhindern . ({5}) Gerade in den letzten Jahren haben wir unter anderem mit der Einführung des Mindestlohns - das war nicht bei jedem von uns ein Herzensanliegen - viel erreicht . Wenn man sich jetzt die Bilanz anschaut, sieht man, dass die Einführung des Mindestlohns tatsächlich dazu geführt hat, dass viele Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt worden sind . Das ist ein wichtiger Trend, der zeigt, dass immer mehr Menschen in der Lage sind, von ihrer Arbeit zu leben . Daran müssen wir als Politik in den nächsten Jahren weiterarbeiten . Der zweite Aspekt - auch darüber haben wir eben lange diskutiert - ist der weitere bedarfsgerechte Ausbau der Kindertagesbetreuung . Wir haben, wie gesagt, vorhin beschlossen, weitere 100 000 Plätze in diesem Land zu schaffen. Auch da haben Sie moniert, das alles sei nicht genug, das alles sei nicht ausreichend . Wir haben vorhin auch schon darüber diskutiert, dass wir wissen, dass diesem vierten Investitionsprogramm sicherlich noch ein fünftes und ein sechstes folgen werden . Aber wir haben in unserem Land eine föderale Ordnung, die Zuständigkeiten vorsieht . Deshalb ist es, glaube ich, angebracht, zumindest in einem Nebensatz positiv zu erwähnen, dass der Bund trotz nicht vorhandener Zuständigkeit die Wichtigkeit der Aufgabe erkennt und sich an dieser Stelle mit Mitteln engagiert . ({6}) In diesem Zusammenhang ist auch wichtig, dass wir die Kinderbetreuung nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ ausbauen . Auch das ist von den Rednerinnen und Rednern der Opposition vorhin genannt worden . Ich habe in den Meldungen gelesen, dass Frau Dr . Brantner sagt, dass wir einen Qualitätsaufbruch in den Kindertagesstätten brauchen . Da haben Sie sicherlich unsere Unterstützung . Wenn ich allerdings sehe, was der rot-rotgrüne Senat in Berlin jüngst auf den Weg gebracht hat, nämlich genau das nicht zu machen, ({7}) sondern die Berufsanforderungen an das Personal abzusenken, ist das mit Sicherheit nicht der Qualitätsaufbruch, den wir für unsere Kinder benötigen . ({8}) Wir alle haben das gemeinsame Ziel, Kinderarmut in unserem Land zu bekämpfen . Die Vorstellungen, mit welchen Maßnahmen das erreicht werden kann, gehen naturgemäß auseinander . Für uns als Union ist klar, dass in einer sozialen Marktwirtschaft der Wohlstand immer erst erarbeitet werden muss, bevor wir Forderungen nach Sozialausgaben, wie Sie sie hier aufgestellt haben, umsetzen können . ({9}) - Doch, den gibt es . Deshalb können wir ja auch die Projekte, die wir vorhin genannt haben, alle umsetzen . Aber wir müssen eben auch schauen, dass wir die Familien, die wir entlasten wollen, nicht mit zusätzlichen Maßnahmen wieder belasten und im Endeffekt ein Negativergebnis erzielen . In Ihrem Antrag fehlt mir völlig, dass wir bei der Förderung von Familien nicht nur darüber reden sollten, wie wir sie mit Leistungen oder Rechtsansprüchen fördern können . Für uns als Union ist auch wichtig, dass wir zum Beispiel darüber reden, wie wir Familien Wohnraum ermöglichen können . Wie können wir gerade in dem Zinsumfeld, das wir im Moment haben, Familien die Möglichkeit geben, ein Eigenheim zu schaffen oder zu erwerben? Hierzu haben wir schon konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt . ({10}) Von den Grünen und den Linken, also von der Opposition, würde ich gerne auch einmal Vorschläge sehen, wie wir die Familien in unserem Land fördern können . Es gäbe noch viel zu sagen; leider ist meine Redezeit schon vorbei . ({11}) Aber ich bin mir sicher, dass der Kollege Lehrieder noch einige Aspekte aufgreifen wird . Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, die Kinderarmut zu bekämpfen . Dabei dürfen wir die Realität aber nicht außer Acht lassen . Wir haben schon viel erreicht, und wir werden in den nächsten Jahren konsequent weiter daran arbeiten, die Kinderarmut zu reduzieren . ({12}) Vielen Dank . ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Markus Koob . - Nächster Redner ist Norbert Müller für die Linke . ({0})

Norbert Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004613, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr gut, ich sehe die große Erwartungshaltung bei der CDU/CSU; das freut mich natürlich ganz besonders . ({0}) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Deutschland gibt es unermesslichen Reichtum in den Händen von immer weniger Menschen, und dieser Reichtum wächst dynamisch . Lieber Kollege Koob, wenn es darum geht, familienpolitische Leistungen zu refinanzieren, kommen Sie nur auf die Idee, sich das Geld vom Mittelstand und von den Durchschnittsverdienern zu holen . Sie kommen aber nicht auf die Idee, sich das Geld vielleicht von den Superreichen und den Spitzenverdienern zu holen . ({1}) Ich finde, das ist eine deutliche Position der Union. Bei der nächsten Bundestagswahl werden wir die Frage, wessen Aufgabe es eigentlich ist, den Sozialstaat zu bezahlen, zur Abstimmung stellen . Sind es der Mittelstand und die Durchschnittsverdiener, oder sind es die Bezieher von Spitzeneinkommen und diejenigen, die davon leben, dass sie ein großes Vermögen haben? ({2}) Die hohen Vermögen werden in Deutschland nicht angemessen besteuert - ja, es gibt keine Vermögensteuer -, und sie können auch noch vererbt werden . Dieser unermessliche Reichtum wird also auch noch unkontrolliert vererbt . Sie haben die Erbschaftsteuer, leider mit grüner Unterstützung aus den Ländern, gerade regelrecht geschreddert, damit niemand an die hohen Erbschaften herangeht . Die Kehrseite dieser Medaille sind 2 bis 3 Millionen arme Kinder . Das gehört zusammen . Denn die Armut in Familien und der Reichtum in Deutschland sind zwei Seiten einer Medaille . Wenn man an die Armut in den Familien heranwill, dann muss man eben auch an den Reichtum in Deutschland heran . Das tut man nicht mit Sonntagsreden, sondern mit konkreten sozialpolitischen Maßnahmen . ({3}) Die Folgen der Kinderarmut sind bekannt . Arme Kinder haben schlechtere Bildungschancen, sie haben einen schlechteren Gesundheitszustand, sie werden häufig schlechter ernährt, und sie sterben früher als ihre Altersgenossen aus der Kitagruppe oder der Grundschule, die aus einem vermögenden Elternhaus kommen . Das zeigt die ganze Dramatik der Kinderarmut . Die Linke fordert einen mehrdimensionalen Aktionsplan, der im Wesentlichen drei Dimensionen umfasst, um Kinderarmut nachhaltig zu beseitigen . Die erste Dimension - da werden Sie wieder stöhnen heißt: Mehr Geld in die Familien . Hier müssen wir von der Misstrauenskultur wegkommen, dass immer behauptet wird, die Eltern würden das Geld verrauchen, versaufen oder sich davon einen Fernseher kaufen . Nein, der Regelfall - das ist der Normalzustand - ist, dass Eltern alles tun, um ihren Kindern das Beste zu ermöglichen . Wir reden über 2 bis 3 Millionen arme Kinder . 2 Millionen sind im SGB-II-Bezug und leben in Familien, die finanziell völlig depriviert sind. Jeder Euro, der in diese Familien fließt, ist eine Hilfe für die Kinder und verbessert ihre späteren Lebenschancen . ({4}) Hier haben wir ganz konkrete Möglichkeiten, die wir unmittelbar ergreifen können, liebe Kolleginnen und Kollegen . Eine Möglichkeit, insbesondere Familien mit geringem Durchschnittseinkommen zu entlasten, ist das Kindergeld . Es ist im Übrigen die beliebteste familienpolitische Leistung, wie die Evaluation der familienpolitischen Leistungen ergeben hat . Bei der Koalition ist es die unbeliebteste, weil es Geld kostet, was dazu führen könnte, dass man möglicherweise hohe Vermögen besteuern muss . Ja, das Kindergeld ist eine sinnvolle Leistung . Es ist deswegen eine sinnvolle Leistung, weil eine Familie oder ein Paar, das ein durchschnittliches Einkommen hat und das zweite oder dritte Kind bekommt, auf einmal in die Armut rutschen kann . Genau hier hilft das Kindergeld . Denn es ist eine Leistung, die verhindert, dass diese Familien arm werden. Ich profitiere mit meinen zwei Kindern vom Steuerfreibetrag bzw . vom Kinderfreibetrag, und zwar in Höhe von 300 Euro pro Kind, die ich im Monat an Steuern spare, und das automatisch; da tut sich überhaupt nichts . ({5}) Das gilt übrigens auch für Sie, Herr Kollege Beermann . Wenn Sie bald drei Kinder haben, ({6}) sind es durch den Kinderfreibetrag 300 Euro pro Kind . Das Kindergeld beträgt aber nur etwa 190 Euro . Das heißt, Menschen mit hohem Einkommen bekommen über 100 Euro mehr . ({7}) Das ist Geld, das die Gesellschaft für die Kinder ausgibt . Für die Kinder von Spitzenverdienern sind es 100 Euro mehr als für die Kinder derjenigen, die bloß vom Kindergeld profitieren. Das Kindergeld muss also erhöht werden, um hier für Gerechtigkeit zu sorgen . ({8}) Zweitens . Der Kinderzuschlag ist das zentrale Instrument - darauf hat Katja Dörner hingewiesen -, um zu verhindern, dass Familien SGB-II-Leistungen, also Hartz IV, beantragen müssen . Der Kinderzuschlag ist ein gutes Instrument . Aber er funktioniert so nicht . Nicht einmal ein Drittel der Anspruchsberechtigten beantragt ihn . Man kann also nicht sagen: „Indem man den Kinderzuschlag erhöht hat, hat man etwas Tolles getan“, weil ihn fast keiner nutzt . Also muss man darüber reden, wie der Kinderzuschlag ausgeweitet werden kann . ({9}) Die Regelbedarfsätze sind viel zu niedrig . Darüber ist bereits gesprochen worden . Sie müssen hoch . Den Rest mache ich jetzt im Schnelldurchlauf . Zur zweiten Dimension: Wir brauchen eine soziale Infrastruktur und eine Teilhabeinfrastruktur . Das heißt zum Beispiel, wir müssen es armen Kindern ermöglichen, an einer Ferienfreizeit und am ÖPNV teilzunehmen, und wir müssen für eine gute Kinder- und Jugendhilfe sorgen, die kein Reparaturbetrieb ist . ({10}) Zur dritten Dimension: Wir müssen wegkommen von der Geh-Struktur . Bisher wird gesagt: Familien, geht zu irgendwelchen Stellen und beantragt Leistungen . - Diese kennen sie fast gar nicht . Den Familien, die Leistungen beantragen müssen, die also wirklich arm sind, fällt das am schwersten . Nein, wir brauchen eine Komm-Struktur . Wir brauchen eine Struktur mit einer Anlaufstelle, zu der die FaNorbert Müller ({11}) milien hingehen können und wo sie vernünftig beraten werden, wenn ein Kind geboren wird oder wenn sie in die Armutsfalle rutschen . Dort wird ihnen geholfen, sich in dem Wirrwarr unserer familienpolitischen Leistungen, das viele nicht durchsteigen, zurechtzufinden. Diesen Vorschlag der Linken - eine Stelle, an der man konkret hilft; Stichwort: Familienstelle - greifen inzwischen viele Verbände auf . An dieser Stelle können die Familien eine Leistung unbürokratisch - mit einem einzigen Antrag - beantragen, auch damit es nicht so ist wie beim Kinderzuschlag, den nur ein Drittel in Anspruch nimmt . ({12}) - Herzlichen Dank, Frau Präsidentin, für Ihre Geduld . Wenn wir all diese Vorschläge umsetzen - Herr Lehrieder wird gleich antworten -, dann werden wir die Kinderarmut auch beseitigen können . Danke . ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Norbert Müller . - Herr Lehrieder, ich habe auch eine Uhr, aber es ist nett, dass Sie mir helfen, dass die Redezeiten eingehalten werden . Ich werde das bei Ihnen dann genauso tun wie bei den anderen . - Dr . Fritz Felgentreu ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion . ({0})

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zwei Dinge sind zu unserer Arbeit nötig: unermüdliche Ausdauer und die Bereitschaft, etwas, in das man viel Zeit und Arbeit gesteckt hat, wieder wegzuwerfen . Das sagte Albert Einstein, und er meinte die Wissenschaft . ({0}) Für die Politik gilt das genauso . Die Grünen halten sich heute aber nicht daran, sondern sie krönen ihre unermüdliche Arbeit in der zu Ende gehenden Legislaturperiode mit einem Antrag, der die Forderungen von sieben älteren Anträgen zusammenfasst . Das ist schön; denn das gibt auch mir die Gelegenheit, einen Überblick darüber zu geben, was die Koalition in den letzten dreieinhalb Jahren nicht nur gefordert, sondern auch entschieden und auf den Weg gebracht hat . ({1}) - Richtig so . Ihnen wie uns - ich zitiere Ihren Antrag - geht es um Geld, Zeit, Bildung und Teilhabe, um Familien gezielt zu unterstützen . Sie werden sehen: Es waren dreieinhalb gute Jahre für die Familien in Deutschland . ({2}) Das liebe Geld ist natürlich ein zentrales Thema für die Familienpolitik . Weil Geld etwas mit Teilhabe zu tun hat, war es für die SPD-Fraktion entscheidend, das Augenmerk auf die Familien zu richten, die eine Unterstützung am nötigsten haben . Deshalb haben wir zum Beispiel die Steuerentlastung für Alleinerziehende um knapp 50 Prozent erhöht . ({3}) Besonders froh sind wir darüber, dass es uns endlich gelingt, den Unterhaltsvorschuss zu reformieren . Das ist das Geld, das der Staat vorstreckt, wenn ein getrennt lebendes Elternteil aus welchen Gründen auch immer keinen Unterhalt zahlt . ({4}) In Zukunft wird dieser Vorschuss bis zum 18 . Geburtstag gezahlt . Das ist ein Riesenfortschritt für Alleinerziehende und ihre Kinder . Schließlich haben wir den Kinderzuschlag erhöht; das ist schon mehrfach erwähnt worden . Diese Leistung können berufstätige Eltern beantragen, wenn ihr Einkommen so niedrig ist, dass sie ohne den Kinderzuschlag als Aufstocker zum Jobcenter gehen müssten . Meine Damen und Herren, Sie erkennen den Grundgedanken, den wir bei all diesen Verbesserungen verfolgen: Wir wollen den Eltern dabei helfen, mit ihrer Arbeit für die eigene Familie zu sorgen und eben nicht in die Abhängigkeit von staatlichen Leistungen zu geraten . ({5}) Frau Dörner, Sie sagen in Ihrem Antrag selbst völlig zu Recht: Das beste Mittel gegen Kinderarmut bleibt die Erwerbstätigkeit ihrer Eltern . Ich füge auch als Antwort auf den Kollegen Müller hinzu: Es ist wahrscheinlich sogar das einzige Mittel; denn Armut definieren die Politik und die Wissenschaft bekanntlich nach dem Durchschnittseinkommen . Wer weniger als die Hälfte vom Durchschnitt einnimmt, gilt als arm . Das Durchschnittseinkommen wird aber immer deutlich über dem Einkommen von Menschen ohne Arbeit liegen; denn sogar wenn wir mehr staatliche Leistungen auszahlen, steigt der Durchschnitt weiter an . Deshalb führt nur Einkommen aus Arbeit zuverlässig aus der Armut . Diese Beobachtung spricht übrigens nicht gegen Solidarität mit denen, die staatliche Hilfe brauchen . Sie trägt nur dazu bei, keine unrealistischen Erwartungen daran zu knüpfen . Norbert Müller ({6}) Wenn es aber stimmt, dass nur Arbeit wirksam vor Armut schützt, dann muss sie das auch . Wer 40 Stunden die Woche arbeitet, muss ein anständiges Auskommen für sich und seine Familie haben . Deswegen war der SPD die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns so wichtig . Darin sind wir uns mit Kollegen Koob von der Union vollkommen einig . ({7}) Für Familien mit niedrigem Einkommen ist der Mindestlohn sicherlich der größte Fortschritt in den letzten drei Jahren . Meine Damen und Herren, damit aber die Kinder von heute morgen selbst in der Lage sind, für sich und ihre Familien zu sorgen, ist vor allem eine gute Bildung wichtig . Kinder und Familie fördern wir am wirksamsten und am gerechtesten durch erstklassige Kitas und Schulen . Die Kinder in den härtesten Kiezen, in den Brennpunktquartieren, brauchen die besten Kitas und Schulen . ({8}) Deshalb sind wir stolz darauf, dass diese Koalition den Ländern und Kommunen 6 Milliarden Euro zusätzlich für den Ausbau von Betreuung an Kitas und Horten zur Verfügung gestellt hat . Die SPD hat außerdem durchgesetzt, dass nach Abschaffung des Betreuungsgeldes unseligen Angedenkens, Kollege Lehrieder, die dafür vorgesehenen Mittel zusätzlich an die Länder gehen, um Betreuung zu finanzieren. ({9}) Und das sind 2 Milliarden Euro . Als Sahnehäubchen hat der Bundestag heute beschlossen, über 1 Milliarde Euro für weitere 100 000 Kitaplätze in den nächsten vier Jahren bereitzustellen . ({10}) Das sind Maßnahmen, von denen alle Familien in Deutschland massiv profitieren. ({11}) Damit Eltern mehr Zeit für ihre Kinder haben, haben wir die Elternzeit reformiert und das Elterngeld um das Elterngeld Plus ergänzt . Damit unterstützt der Staat Eltern dabei, sich gemeinsam um ihre ganz kleinen Kinder kümmern zu können . ({12}) Die Bilanz der Großen Koalition kann sich wirklich sehen lassen . ({13}) Aber dieser gemeinsame Erfolg bedeutet natürlich nicht, dass wir die Hände in den Schoß legen können . Die Grünen weisen zum Beispiel zu Recht darauf hin, dass der Kinderzuschlag erstens nicht allen bekannt ist, die einen Anspruch darauf haben, ({14}) und dass er zweitens mit ziemlich viel Bürokratie verbunden ist . Deshalb hat die SPD vorgeschlagen, den Kinderzuschlag in ein nach Einkommen gestaffeltes Kindergeld einzubeziehen . Wir haben durchaus ehrgeizige Pläne für eine moderne Familienpolitik . Über die werden wir im Wahlkampf sicherlich noch heftig diskutieren . Dazu gehört zum Beispiel ein Programm für kostenlose Kitas und Schulhorte . Wir wollen nämlich keine finanziellen Hürden vor diesen wichtigen Bildungseinrichtungen aufbauen . ({15}) Die Grünen kritisieren das . Sie sagen, wohlhabende Eltern seien gerne bereit, für gute Kitas zu bezahlen . - Das stimmt sicherlich auch . Wir Sozialdemokraten sind garantiert die Ersten, die sich dafür einsetzen, dass die starken Schultern mehr tragen als die schwachen . ({16}) Aber das wollen wir über ein gerechtes Steuersystem organisieren, nicht über Gebühren auf Bildung . ({17}) Wer Schulgebühren ablehnt, der muss auch für gebührenfreie Kitas sein . ({18}) Diese gebührenfreie Kita muss trotzdem gut ausgestattet sein, vor allem mit genug Erzieherinnen und Erziehern . Das ist die nächste Baustelle . Auch da ist noch viel zu tun . ({19}) Wir wollen einen Zuschuss für Eltern, die etwas weniger arbeiten wollen, um mehr Zeit für die Kinder zu haben . Wir nennen das Familienarbeitszeit, und die Union ist dagegen . ({20}) Darüber müssen wir im Wahlkampf streiten; dafür ist er da . Über eines, lieber Kollege Marcus Weinberg - gerade tief ins Gespräch versunken -, müssen wir eigentlich nicht mehr streiten: Von Arbeitsministerin Andrea Nahles liegt ein wirklich guter Gesetzentwurf vor, mit dem wir Beschäftigten das Recht geben, aus Teilzeit wieder in Vollzeit zurückzukehren, wenn sie das denn wollen . Das betrifft eben ganz oft Mütter, wenn die Kinder aus dem Gröbsten heraus sind . Wir verstehen überhaupt nicht, warum die CDU/CSU diese vernünftige, familienfreundliche Regelung immer noch blockiert . ({21}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns das doch vor der Sommerpause noch gemeinsam anpacken . Wir helfen gerne dabei mit, Ihren Wirtschaftsflügel zu überzeugen . ({22}) Eine familienfreundliche Arbeitswelt ist für die Zukunft unseres Landes heute wichtiger denn je . ({23}) - Ja, das ist so .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Jetzt ist aber die Redezeit deutlich abgelaufen .

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, Sie haben vollkommen recht . „Zeit ist das, was man an der Uhr abliest“, sagt Einstein . Deswegen höre ich jetzt auch auf . Danke schön . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das sagt nicht nur Einstein . Vielen Dank, lieber Dr . Felgentreu . - Zum Schluss dieser Debatte spricht zu guter Letzt Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön, Frau Kollegin . Es war richtig, dass Sie das gesagt haben . ({0}) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Dörner, Sie sind eigentlich eine ganz Nette . Aber dass Sie jetzt sagen, dass wir Ihren Antrag aus Gründen des aufziehenden Bundestagswahlkampfes ablehnen würden, ist natürlich ein Stück weit auch der Tatsache geschuldet, dass der Antrag von Ihnen zu einem Zeitpunkt vorgelegt wird, wo der Bundestagswahlkampf die Parteien allmählich entsprechend polarisiert . Von daher gilt: Wer mit einem Finger auf die anderen zeigt, zeigt mit drei Fingern auf sich . Das haben Sie vorhin mit Ihren einleitenden Worten getan, Frau Dörner . Das wäre nicht nötig gewesen, weil in Ihrem Antrag auch einige vernünftige Erwägungen enthalten sind . ({1}) Meine Damen und Herren, Beruf, Familie, Freunde, Hobbys: Viele Eltern kennen das Gefühl, den vielfältigen Anforderungen des Alltags nicht immer vollumfänglich gerecht werden zu können . Der Spagat zwischen Job, Haushalt und dem Leben mit Kindern verstärkt oft das diffuse Gefühl, früher schlichtweg mehr Zeit gehabt zu haben . Die Suche nach der Work-Life-Balance bestimmt zunehmend das Leben in der modernen Gesellschaft . Von daher ist es legitim, dass auch Oppositionsparteien auf diese Problematik hinweisen . Aber die Konsequenzen, die Conclusio, müssen wir nicht teilen . Um mehr Zeit für ihre Familie zu haben, sind viele Eltern auch dazu bereit, beruflich kürzerzutreten. Auch das wissen wir . Die Zeitpolitik, ein zugegebenermaßen noch relativ neuer Begriff in der gesellschaftlichen Debatte, gehört ohne Frage zu den wichtigsten familienpolitischen Themen . Um gute Zeitpolitik für Familien machen zu können, müssen die Arbeits- und Familienpolitik aufeinander abgestimmt werden . Nur so kann es gelingen, optimale Rahmenbedingungen für familienfreundliche Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen. Die Flexibilisierung der Elternzeit und das Elterngeld Plus sind erste Schritte in diese Richtung . Darauf haben meine Vorredner bereits hingewiesen . Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf möchte ich auch auf vom Familienministerium geförderte Initiativen wie zum Beispiel „Lokale Bündnisse für Familie“ oder „Erfolgsfaktor Familie“ verweisen, die sich für eine familienfreundliche Arbeitswelt einsetzen, in der es zum Beispiel Betriebskitas, Sabbaticals, Homeoffice-Angebote gibt . Hier wird es sicherlich auch in Zukunft sehr viel geben, das die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert . Ja, wir werden auch unbeschadet des Auftrags, den uns der Wähler am 24 . September geben wird, in Zukunft konstruktiv über dieses Thema nachdenken . Herr Kollege Felgentreu, die Lösungen, die Sie uns hektisch auf den letzten Drücker vorschlagen wollen, sind relativ unprobat, weil nicht nur die Familie, sondern Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen und deshalb Ihre Lösungen von uns mit Sicherheit in den nächsten Wochen nicht mehr angegangen werden . ({2}) So langsam polarisieren wir uns in unterschiedliche Richtungen . Auch das ist richtig . Gleichwohl freut es mich aber - auch das gehört der Ehrlichkeit halber dazu, Frau Kollegin Dörner -, dass Sie in Ihren Antrag „Geld, Zeit, Bildung und Teilhabe“ hineingeschrieben haben: Jedes Kind hat das Recht auf ein gutes Aufwachsen . Wir wollen kein Kind zurücklassen und Chancengleichheit endlich verwirklichen . ({3}) - Ihr könnt alle klatschen . Das stimmt ja sogar . Ich möchte mich auch ausdrücklich bei unserem Berichterstatter Eckhard Pols, der Kollegin Bahr von der SPD, aber auch bei der Kollegin Walter-Rosenheimer bedanken, dass es uns jetzt auf den letzten Drücker in dieser Wahlperiode gelungen ist, ({4}) dass wir uns anhand eines Antrags noch einmal mit der Situation von Kindern psychisch belasteter Eltern befassen und prüfen, ob in diesem Bereich genug getan worden ist . Auch das gehört zu dem Antrag dazu, auch wenn es nicht expressis verbis erwähnt ist . Aber Sie sehen, dass wir trotz der sich abzeichnenden Gewitterwolken des Bundestagswahlkampfs noch konstruktiv zusammenarbeiten können . ({5}) Die Bevölkerung erwartet von uns, dass wir bis zum letzten Tag konstruktiv zusammenarbeiten und jetzt nicht in die Schützengräben gehen, meine Damen und Herren . Ich wünsche Ihnen alles Gute und, wie gesagt, eine schöne Nacht . Ich habe meine Zeit nicht überzogen, Frau Präsidentin .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Sie können noch eine Minute reden .

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gibt es eine Zugabe?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Sie haben noch eine Minute .

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, ich will aber nicht .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Sie wollen gar nicht? Warum wollen Sie nicht?

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Einen schönen Abend und alles Gute . Danke schön . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön, Herr Lehrieder . Ich wünsche Ihnen einen guten Abend, aber der schöne Abend ist noch nicht für alle angebrochen . ({0}) - Für Sie ja; das kann sein . Damit schließe ich die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/12110 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Sie sind einverstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Tagesordnungspunkt 16 b . Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Familien stärken - Kinder fördern“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12156, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 18/10473 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen war Bündnis 90/Die Grünen, und enthalten hat sich die Linke . Tagesordnungspunkt 16 c . Wir setzen die Abstimmung zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 18/12156 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9007 mit dem Titel „Zeit für mehr - Damit Arbeit gut ins Leben passt“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen war Bündnis 90/Die Grünen, und enthalten hat sich die Linke . Zusatzpunkt 5 . Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Alleinerziehende stärken - Teilhabe von Kindern sichern“ . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11592, den Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4307 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen waren die Linke und Bündnis 90/Die Grünen . Wir kommen zum nächsten Tagesordnungspunkt . Ich werde wieder langsam vorlesen, weil wahrscheinlich ein paar Plätze getauscht werden . - Schönen Abend, Herr Lehrieder! Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes Drucksache 18/9951 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({1}) Drucksache 18/11811 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Klaus Barthel für die SPD-Fraktion . ({2})

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Abend für die Kundinnen und Kunden von Telekommunikationsunternehmen und Internetanbietern . Warum? Wir beschließen heute das Dritte Gesetz zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes . Worum geht es dabei? ({0}) Wir haben es jetzt wieder schwarz auf weiß bekommen: Der Ende März dieses Jahres von der Bundesnetzagentur veröffentlichten Breitbandstudie ist zu entnehmen, wie die Verbraucherinnen und Verbraucher, die Kundinnen und Kunden von den Internetanbietern in die Irre geführt werden . Nur jeder achte Kunde, nämlich 12,4 Prozent, erhält die volle Bandbreite, die zugesagt ist, die beworben wird . 70 Prozent bekommen gerade einmal die Hälfte dieser Bandbreite . Stellen wir uns das einmal auf andere Produkte, auf andere Märkte übertragen vor: Wir wollen bis zu 1 Kilogramm Kartoffeln und kriegen 125 Gramm, wir wollen bis zu 3 Kilogramm Waschmittel und kriegen die Hälfte davon, oder wir kriegen eine ganz schlecht eingeschenkte Maß Bier . ({1}) Im Geschäft oder in der Gaststätte würde man das nachwiegen oder nachmessen lassen und sofort reklamieren . Bisher konnte der Kunde von Telekommunikationsunternehmen gar nichts dagegen tun. Es fing schon damit an, dass er gar nicht feststellen konnte, welche Bandbreite er tatsächlich hat . Bereits mit der Transparenzverordnung haben wir die Voraussetzung geschaffen, das eindeutig zu ersehen . Es muss jetzt ein standardisiertes Produktinformationsblatt geben, in dem ganz klar festgelegt ist, worin das Angebot besteht, worüber der Vertrag besteht . Außerdem haben wir dafür gesorgt, dass die Bundesnetzagentur ein Mess-Tool anbietet . Das heißt: Jeder kann jetzt nachmessen lassen, welche Bandbreite tatsächlich bei ihm anliegt . In Zukunft können die Kundinnen und Kunden entweder die vertragliche Erfüllung einfordern, den Vertrag anpassen lassen, also möglicherweise einen günstigeren Tarif bekommen, die Schlichtungsstelle der Bundesnetzagentur anrufen oder eine Vertragsbeendigung anstreben . Wir haben jetzt länger gebraucht, um diese dritte Lesung durchzuführen, weil wir auf die gerade erwähnte Messstudie der Bundesnetzagentur und den daraus folgenden Umsetzungsvorschlag warten wollten . Wir können damit die Vorgaben der Europäischen Union wirksam umsetzen und den Anforderungen der Kundinnen und Kunden gerecht werden . Es ist ganz wichtig, dass die Bundesnetzagentur diese umfangreiche Studie erstellt und dabei Ross und Reiter genannt hat . Es ist nämlich nicht selbstverständlich, dass - blame and shame - gesagt wird, welche Unternehmen gut und welche schlecht sind . Nun können wir umsetzen und festlegen, was die unbestimmten Rechtsbegriffe im europäischen Recht bedeuten, also was eine erhebliche, eine kontinuierliche oder eine regelmäßig wiederkehrende Abweichung bei der Geschwindigkeit des Breitbandanschlusses ist . Anders als die Grünen sind wir der Ansicht, dass das nicht der Gesetzgeber festlegen kann . Das geht weder aus rechtlichen Gründen - die europäische Regelung gibt etwas anderes vor - noch aus sachlichen Gründen . Wir halten es vielmehr für vernünftig, dass unsere nationale Regulierungsbehörde, die Bundesnetzagentur, das macht, indem sie einen praktikablen und umsetzbaren Vorschlag macht, indem sie eine Anhörung dazu durchführt - die läuft jetzt gerade -, indem es in Zukunft einen jährlichen Bericht darüber geben wird, wie sich die Geschwindigkeiten tatsächlich entwickeln, also ob die Angaben eingehalten werden . Außerdem wird die Bundesnetzagentur in Zukunft vorschlagen, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, damit die Bandbreiten tatsächlich erhöht werden können . Das heißt, das wird ein laufender Prozess sein . Das wäre durch eine starre gesetzliche Regelung nicht möglich; denn dann müssten wir andauernd das Gesetz ändern . Die Bundesnetzagentur ist nun dafür da, praktikable Vorschläge zu machen . Nunmehr wird Folgendes vorgeschlagen: Bei stationären Breitbandanschlüssen liegt eine erhebliche, kontinuierliche oder regelmäßig wiederkehrende Abweichung vor, wenn nicht mindestens einmal 90 Prozent des Maximums erreicht werden, wenn die normale Geschwindigkeit nicht bei 90 Prozent der Messungen erreicht wird und wenn die Mindestgeschwindigkeit auch nur einmal unterschritten wird . Das ist die sogenannte 90/90/0-Regelung . Auch Art und Umfang der Messungen werden festgelegt . Man kann da also nicht schwindeln . Die Bundesnetzagentur und das Mess-Tool messen zu vorgegebenen Zeiten . Das heißt, wir haben das, was im Entschließungsantrag der Grünen gefordert wird, übererfüllt . ({2}) Das Einzige, was übrig bleibt, sind die sogenannten wirksamen, abschreckenden Sanktionen . Auch wir wolVizepräsidentin Claudia Roth len solche Sanktionen . Aber wir müssen sehen, dass wir uns hier im Privatrecht bewegen . Alle, die immer für Privatisierung und Wettbewerb sind, müssen sich daran gewöhnen, dass das Zivilrecht Verstöße nicht ohne Weiteres als Ordnungswidrigkeit qualifizieren und sanktionieren kann, sondern dass es dafür besondere Regelungen braucht. Nun schaffen wir allerdings in einem zweiten Schritt die Voraussetzungen, dass Sanktionen und Bußgelder verhängt werden können, und zwar in nicht unerheblicher Höhe, aber nur dann, wenn Abweichungen festgestellt worden sind . Da die Redezeit nicht mehr ausreicht, will ich nur noch darauf hinweisen, dass dieses Gesetz weitere sinnvolle Regelungen enthält, wie beispielsweise die Ausweitung des Zugangs für Gehörlose und Gehörgeschädigte sowie das Redirect-Verfahren, das Verbraucherinnen und Verbraucher vor Abzocke durch Drittanbieter schützt . Wer jetzt noch in Anträgen behauptet oder der Presse erklärt, dass das alles nichts nutzt und dass die Kunden weiterhin wehrlos sind, liebe Grüne, begeht nicht nur Fehlinformation, sondern erweist uns allen, insbesondere den Verbraucherinnen und Verbrauchern, auch einen Bärendienst . Der Eindruck, dass man sich nicht dagegen wehren kann, ist völlig falsch . Man betreibt nur das Geschäft der Schwindler, wenn man behauptet, dass sich die Kunden sowieso nicht wehren können . Nach dieser Gesetzesänderung ist das nicht mehr der Fall . Deswegen bitte ich Sie alle, den Entschließungsantrag der Grünen abzulehnen und unserer Gesetzesänderung zuzustimmen . Ich danke für die Aufmerksamkeit zu später Stunde . ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Klaus Barthel . - Nächster Redner: Ralph Lenkert für die Linke . ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Internetnutzerinnen und Mobildatennutzer! Meine Kollegin wollte mehr als 6 Mbit/s im Internet . Die Ansage im Shop nach Adressencheck klang gut: Flatrate mit 50 Mbit/s kein Problem . Sie freute sich, vertraute auf die Zusage und unterschrieb . 50 Mbit/s hat sie bis heute nicht . Nach ewigem Hin und Her konnte sie zum alten Vertrag zurück . Fast jeder kennt solche Beispiele . Wenn Internetprovider, die bis zu 16 Mbit/s verkaufen, wissen, dass jeder dritte Kundenanschluss aus technischen Gründen nicht einmal 8 Mbit/s erreicht, dann ist das Betrug . Wenn Mobilfunkanbieter eine Downloadrate von 20 Mbit/s verkaufen und wissen, dass aus technischen Gründen die Hälfte der Nutzer nicht einmal eine Mindestübertragungsrate von 4 Mbit/s erhält, dann ist das Betrug . ({0}) Die Linke fordert: Wer den vollen Preis für eine angebotene Leistung bezahlt, hat auch ein Anrecht auf die volle Leistung . ({1}) Stellen Sie sich einmal vor, Sie wollten mit dem ICE von Berlin nach München fahren . ({2}) Gemäß dem Maßstab der Mobilfunkanbieter würde man bei jeder zweiten Fahrt erst nach 30 Stunden in München ankommen . Schon bei 60 Minuten Verspätung könnten Sie die Reise abbrechen und den vollen Fahrpreis zurückverlangen . Bei Ihrem Provider erhalten Sie derzeit nicht einmal eine Entschädigung, und das ist eine Sauerei . ({3}) Immerhin sieht der Gesetzentwurf für die Zukunft wenigstens Bußgelder und Vertragsanpassungen vor . Aber das reicht nicht . Betrug gehört in den Bereich des Strafrechts . Wir fordern zusätzlich zu saftigen Bußgeldern Schadenersatz für Kundinnen und Kunden . ({4}) Darum unterstützt die Linke den Entschließungsantrag der Grünen . ({5}) Die Linke fordert mehr Transparenz in den Verträgen . Wir fordern, dass Anbieter offenlegen müssen, in welchen Regionen sie welche Leistungen tatsächlich anbieten können, und wir wollen eine rigorose Verfolgung von falschen Versprechungen durch die Bundesnetzagentur und durch Strafverfolgungsbehörden . ({6}) Kolleginnen und Kollegen, Netzneutralität, die Gleichbehandlung aller Nutzer und Inhalte im Netz, ist für die Linke unerlässlich . Ich zitiere jetzt aus dem Gesetz: Eine angemessene Verwaltung des Datenverkehrs ({7}) ist zulässig, um die Netzwerkressourcen effizient zu nutzen und die Qualität der Dienste entsprechend den Anforderungen zu gewährleisten . Dabei dürfen die Internetzugangsanbieter zwischen Verkehrskategorien unterscheiden, soweit diese verschiedene Anforderungen beispielsweise in Bezug auf Verzögerung, Verzögerungsschwankung, Paketverlust und Bandbreite stellen . Das ist der Anfang vom Ende der Netzneutralität . ({8}) Diese genehmigten Ausnahmen zum sogenannten Verkehrsmanagement, wie auch beispielsweise StreamOn der Telekom, lehnt die Linke ab . ({9}) Die Bundesnetzagentur, die nach diesem Gesetzentwurf möglichen Missbrauch unterbinden soll, hat schon heute zu viele Aufgaben und zu wenig Personal . Die kann kommenden Betrug nicht wirksam bekämpfen . ({10}) Deshalb fordert die Linke mehr Personal für die Bundesnetzagentur . ({11}) Liebe Bürgerinnen und Bürger, diese Koalition hat es in vier Jahren nicht geschafft, eine vernünftige Novelle des Telekommunikationsgesetzes vorzulegen . Wenn der Betrug bei Übertragungsraten Ihres Handyvertrages enden soll, wenn Sie die Netzneutralität im Internet sichern wollen, dann haben Sie eine Chance: Wählen Sie die Linke! ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Ralph Lenkert . - Dann kommt der nächste Redner, und das ist Andreas Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Lenkert, das, was Sie gesagt haben, war sozusagen das Tiefgehendste, was ich heute Abend gehört habe . ({0}) Ich meine, wenn Sie Wahlkampf machen wollen, dann sollten Sie einen Stand vor dem Reichstag aufbauen, und dann können Sie das erzählen . Das, was Sie hier geboten haben, ist doch unwürdig . Zudem war es fachlich zum Teil auch völlig falsch . ({1}) Das wissen Sie ganz genau . Sie betreiben einfach Massenverdummung . Das Gleiche hat Herr Barthel zum Entschließungsantrag der Grünen gesagt . Sie behaupten einfach falsche Dinge; das müssen Sie sich einmal klarmachen . Wie gesagt, wir sind hier nicht, um Wahlkämpfe auszufechten; das können wir draußen machen . ({2}) Die wesentlichen Punkte im Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes hat Klaus Barthel schon beschrieben . Nur muss man zu der Messstudie schon sagen, Klaus Barthel: Ganz so einfach ist es nicht . Die Zahlen stimmen; ganz klar, keine Frage . ({3}) Man muss ein bisschen Ahnung von Technik haben; dann kann man das auch besser werten . Man muss eben ein gewisses Verständnis von der Materie haben, Herr Lenkert . ({4}) Das haben Sie noch nie gehabt, und das haben Sie jetzt eigentlich wieder bewiesen . Es ist natürlich so: Die Zahlen, wie gesagt, stimmen schon; das kann man erst einmal nicht bezweifeln . Aber letztendlich hängen Bandbreite und Downloadgeschwindigkeit nicht ausschließlich davon ab, ob der Provider die Leistung ins Haus bringt; vielmehr spielen dabei viele weitere technische Parameter eine Rolle . Selbst die Hausinstallation bzw . das Homenetzwerk oder das WLAN zu Hause können technisch so beschaffen sein, dass sie gar nicht in der Lage sind, verschiedene Dinge zu leisten . Insofern finde ich, das Mess-Tool ist eine hervorragende Sache - das haben eigentlich alle sehr begrüßt -, weil man damit erstmals zertifiziert nachweisen kann, welche Leistungsparameter ein Anschluss bringt .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Lenkert konnte schon genügend Wahlkampf betreiben . Das muss ich mir nicht noch einmal antun, indem ich eine Zwischenfrage zulasse .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danach wollte ich fragen . Danke schön für die Antwort .

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Was das Mess-Tool angeht: Man kann das im Übrigen auch mit dem Mobiltelefon an jeder Stelle, an der man sich aufhält, machen . Insofern halte ich die ganze Sache für einen großen Fortschritt . Es gibt in der Messstudie folgenden Widerspruch das ist ganz interessant -: Auf der einen Seite erhalten 70 Prozent der Nutzer offensichtlich weniger als die Hälfte der vereinbarten Leistung . Auf der anderen Seite erhalten 12 Prozent der Nutzer mindestens die vereinbarRalph Lenkert te Leistung oder sogar mehr . Aber wenn man das MessTool einmal selber ausprobiert, dann ist die erste Frage, die gestellt wird, bevor man irgendein Messergebnis bekommt: Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Internetanschluss? Dann kann man ankreuzen: „sehr zufrieden“, „zufrieden“, „nicht zufrieden“, „sehr unzufrieden“ . Der Witz an der Sache ist: Interessanterweise kreuzen im Prinzip zwei Drittel der Internetnutzer als Erstes „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“ an . ({0}) Daran kann man auch sehen: Da stimmen zwei Aspekte nicht überein: zum einen die reinen Zahlen, was die Leistung des Anschlusses angeht, und zum anderen die Einschätzungen, die die Nutzer letztendlich selbst vornehmen . Klaus Barthel hat ja auch beschrieben, dass wir im Prinzip über die Bundesnetzagentur ein Messverfahren entwickelt haben . Das heißt, wenn man sich als Nutzer beschweren will, dann muss man 20 Messungen nach einem gewissen Schema machen, um auf Werte zu kommen, die es erlauben, einen gewissen Durchschnitt zu bilden . Ich denke, wenn das intensiv genutzt wird, wird das sehr viel Transparenz in den Markt bringen . Im Gesetz steht ja, dass die Bundesnetzagentur jedes Jahr einen Bericht vorlegen muss . Da kann man dann sehen, wie die Tendenzen sind . Ich bin mir sicher, dass sich die Provider, zumindest die großen, die seriösen, nicht jedes Jahr an den Pranger stellen lassen wollen, weil sie zu wenig Leistung anbieten . In jedem Vertrag steht übrigens - Herr Lenkert, Sie müssen Verträge, die Sie unterschreiben, auch richtig lesen - „bis zu . . .“ . Sie haben wohl vergessen, das zu sagen . Sie haben nur die halbe Wahrheit gesagt, als es um das Thema Netzneutralität ging . ({1}) Bei der im Gesetzentwurf geregelten Netzneutralität geht es um die Umsetzung einer EU-Richtlinie; es ist einfach EU-Recht, das hier umgesetzt wird . Da kann man als nationaler Gesetzgeber relativ wenig machen; wenigstens das müssen Sie dazusagen . Das Gleiche gilt für die Regelungen zum Roaming . Auch sie sind das Ergebnis der Umsetzung einer EU-Richtlinie . Ich möchte noch etwas zu zwei Dingen sagen, die ich sehr wichtig finde, auch weil ich selber das alles schon einmal ausprobiert habe . Ich meine zum einen die Drittanbietersperre . Ich habe einmal gemeinsam mit der Telekom einen Betrügerring auffliegen lassen. ({2}) - Wir tun eben im Gegensatz zu Ihnen etwas, Herr Lenkert . Sie reden; wir machen etwas . ({3}) Die Direktanbietersperre ist natürlich ideal, um Abofallen zu vermeiden . Das ist der erste Punkt . Das Zweite ist das Redirect-Verfahren . Das ist eigentlich der Kernpunkt der ganzen Geschichte, weil damit verhindert wird, dass im Prinzip über die Telefonrechnung Leistungen abgerechnet werden, die man überhaupt nicht in Anspruch genommen hat . Klaus Barthel hat es gesagt: Für behinderte Menschen, für Gehörlose bringt das Gesetz sehr große Fortschritte, weil die Informationsdienste für behinderte Menschen 24 Stunden am Tag geschaltet sein müssen . Das heißt: Rund um die Uhr haben diese Menschen die Möglichkeit, auf Notdienste und Ähnliches zurückzugreifen . Zusammenfassend kann ich nur sagen: Der Gesetzentwurf zeigt den hohen Stellenwert, den die Koalition der Transparenz und dem Verbraucherschutz im Telekommunikationsmarkt beimisst . Deswegen kann ich Ihnen eigentlich nur empfehlen, diesem Gesetz zuzustimmen und den Entschließungsantrag der Grünen abzulehnen, weil er Unwahrheiten in die Welt setzt; den Tatsachen entspricht das schon lange nicht mehr . Vielen Dank . - Ich habe drei Minuten gespart . Dafür gebt ihr mir dann gleich ein Bier aus . ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Super! Es nützt uns aber nicht viel; denn das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Ralph Lenkert .

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Kollege Lämmel, ich weiß nicht, wer in der Industrie mehr Erfahrung hat: jemand, der seit seinem Studium in Verwaltungen und im Ministerium gearbeitet hat, oder jemand, der 20 Jahre lang in Deutschland, in Tschechien und in China in der Industrie gearbeitet hat . Die kleinen Unterschiede können Sie mir vielleicht mal erklären . Wahrscheinlich hat man am Schreibtisch mehr Ahnung von Wirtschaft als in der Wirtschaft selber . Um jetzt zu den technischen Fakten zu kommen: Sie haben behauptet, ich hätte Sie falsch dargestellt . Ich zitiere jetzt aus dem Bericht „breitbandmessung“: Stationäre Breitbandanschlüsse Über alle Bandbreiteklassen und Anbieter hinweg erhielten im Download 70,8 % der Nutzer mindestens die Hälfte der vertraglich vereinbarten maximalen Datenübertragungsrate . . . ({0}) Das heißt im Umkehrschluss: Die 30 Prozent, die ich genannt habe, sind korrekt . Das ist keine falsche Aussage, wie Sie es hier dargestellt haben . Ich zitiere weiter, jetzt zu den mobilen Breitbandanschlüssen: Erreichten im Download bei den stationären Breitbandanschlüssen knapp über 70 % der Nutzer 50 % der vertraglich vereinbarten maximalen Datenübertragungsrate oder mehr, lag der entsprechende Wert bei den mobilen Breitbandanschlüssen unter 30 % . Das heißt im Umkehrschluss, wenn man nur andersherum rechnet, genau das, was ich gesagt habe . Ich bitte Sie also, nicht nur die eigentlichen Zahlen zu nehmen, sondern auch die Gegenrechnung zu machen . Das sollten Sie gelernt haben . Vielen Dank .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Lämmel, wenn Sie mögen, haben Sie die Möglichkeit, zu antworten . ({0}) - Sie mögen nicht . Dann hat die letzte Rednerin in dieser Debatte das Wort: Tabea Rößner für Bündnis 90/Die Grünen .

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Stellen Sie sich vor, Sie würden nur 50 Prozent Ihrer Telefonrechnung bezahlen . Was würde da passieren? Die Tele fon anbieter würden wahrscheinlich Mahnungen schreiben, eventuell ein Inkassobüro beauftragen und wahrscheinlich auch vor Gericht gehen, um die volle Zahlung einzuklagen . Die Telefonanbieter würden damit recht bekommen, und das ist auch richtig so . ({0}) Stellen wir uns das andersherum vor: Ich habe einen Vertrag über einen Internetanschluss über 16 Mbit pro Sekunde und bekomme nur 8 . Welche Möglichkeiten habe ich, dagegen vorzugehen? Keine . ({1}) Das ist so, weil es keine konkreten Vorgaben gibt und Verbraucherinnen und Verbraucher mit diesem Problem im Regen stehen gelassen werden, und das ist nicht richtig . ({2}) Es ist eine Riesensauerei, wenn Nutzerinnen und Nutzer von Internetanbietern mit irreführenden „Bis zu soundso viel Mbit pro Sekunde“-Angeboten gelockt werden und dann nur einen Bruchteil dessen bekommen . Die Verstöße - sie wurden hier schon angesprochen sind bekannt . Nur 12 Prozent der Haushalte bekommen demnach die vertraglich zugesicherte Maximalgeschwindigkeit . Sie hier sind doch auch alle Verbraucher . Ärgern Sie sich nicht, wenn das Internet abends so langsam ist, dass jedes Video ruckelt oder das Laden von Webseiten eine Ewigkeit braucht? Das ist echt zum Haareraufen! Es gibt aber Lösungen wie zum Beispiel Mindeststandards, damit Verbraucherinnen und Verbraucher wissen, womit sie tatsächlich rechnen können . Wir Grüne sagen daher: Die minimale Datenübertragungsrate muss mindestens 70 Prozent der maximalen Übertragungsrate betragen . Und die normalerweise zur Verfügung stehende Übertragungsrate sollte an mindestens 95 Prozent eines Tages auch wirklich zur Verfügung stehen . Das haben wir uns nicht selbst ausgedacht: Nein, das sind Empfehlungen der BEREC zur Umsetzung der EU-Verordnung . Das sind ganz praktikable Lösungen, Kollege Barthel . Wir müssen sie nur umsetzen . ({3}) Außerdem fordern wir pauschalierte Schadenersatzansprüche, ein Sonderkündigungsrecht und ein Recht auf Tarifanpassung, wenn sich Anbieter eben nicht an diese Zusagen halten . Das wären Mechanismen, mit denen wir Verbraucherinnen und Verbraucher vor Verstößen der Netzbetreiber wirksam schützen könnten . Also lassen Sie es uns doch einfach tun . ({4}) Auch beim Thema Netzneutralität macht die Verordnung klare Vorgaben . Angebote wie der neue Zero-Rating-Tarif StreamOn der Telekom drohen aber die Netzneutralität auszuhöhlen . Die Telekom nutzt ihre Marktmacht hier aus und sucht nach Schlupflöchern, die in der Praxis zu einer Diskriminierung kleiner Start-ups und vor allen Dingen zur Drosselung von Videodiensten bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern führen werden. Es ist unsere Aufgabe, diese Schlupflöcher zu stopfen . ({5}) Daher fordern wir auch im Bereich Netzneutralität Mindeststandards . Wenn diese nicht eingehalten werden, muss es auch hier Sanktionen geben . ({6}) Statt die Verantwortung auf die Regulierungsbehörden abzuschieben, sollten wir diesen Behörden wirksame Instrumente an die Hand geben, diese Standards dann auch durchzusetzen . Die Erfüllung dieser Aufgabe, Kollege Barthel, haben Sie leider völlig verfehlt . Insofern ist das heute kein guter Tag für die Verbraucherinnen und Verbraucher . ({7}) Ein weiteres Problem im Telekommunikationsbereich sind unzulässige Abbuchungen über die Mobilfunkrechnung von Drittanbietern . Auch in diesem Punkt sind Sie auf halber Strecke stehengeblieben . Wir fordern eine voreingestellte Drittanbietersperre, die Verbraucherinnen und Verbraucher nachträglich aufheben können, wenn sie es wünschen . Dies im Gesetz zu verankern, wäre wirklich nicht schwer gewesen . ({8}) Effektiver Verbraucherschutz ist kein Hexenwerk. Trotzdem fehlen in Ihrem Gesetzentwurf viele wichtige Konkretisierungen . Ihr Vorschlag bleibt an den entscheidenden Stellen leider Wischiwaschi, da Sie keine spezifischen Sanktionstatbestände geschaffen haben. Das bedeutet in der Praxis: Die Verbraucherinnen und VerRalph Lenkert braucher schauen weiter auf den Ladebalken . Deshalb haben wir unsere Vorschläge in einem Entschließungsantrag eingebracht, für den ich um Zustimmung bitte . Vielen Dank . ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Tabea Rößner . - Damit schließe ich die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes . Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11811, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9951 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Es gibt keine Enthaltung . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen gibt es keine . Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/ CSU und SPD . Dagegen waren die Linke und Bündnis 90/Die Grünen . Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12133 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Keine Enthaltungen . Der Entschließungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Dagegen waren CDU/CSU und SPD . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Karin Binder, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE Kein Lobbyismus im Klassenzimmer Drucksachen 18/8887, 18/12064 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Damit sind Sie einverstanden . Ich sehe und höre man- ches, aber nichts anderes .1) Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 18/12064, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8887 abzulehnen . Wer stimmt für diese 1) Anlage 2 Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen war die Linke, Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt Drucksache 18/12037 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .2) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/12037 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verarbeitung von Fluggastdaten zur Umsetzung der Richtlinie ({2}) 2016/681 ({3}) Drucksache 18/11501 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({4}) Drucksachen 18/12080, 18/12149 - Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12157 Auch dazu sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden . - Sie sind einverstanden .3) Wir kommen zur Abstimmung . Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- chen 18/12080 und 18/12149, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11501 in der Aus- schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol- len, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer 2) Anlage 3 3) Anlage 4 stimmt dagegen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Europol-Gesetzes Drucksachen 18/11502, 18/11931 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({6}) Drucksache 18/12122 Auch dazu sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden . - Sie sind einverstanden .1) Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung . Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12122, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/11502 und 18/11931 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/ CSU und SPD . Dagegen war die Linke . Enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen war die Linke . Enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie ({7}) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Union Drucksachen 18/11242, 18/11620 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({8}) Drucksache 18/11808 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .2) Wir kommen zur Abstimmung . Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 18/11808, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11242 und 18/11620 in der Aus- schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol- 1) Anlage 5 2) Anlage 6 len, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Es gibt keine Enthaltungen . Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . CDU/CSU und SPD waren dafür . Bündnis 90/Die Grünen und die Linke waren dagegen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Dann gibt es keine Enthaltungen . Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen waren die Linke und Bündnis 90/Die Grünen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung Drucksachen 18/11241, 18/11622, 18/11822 Nr. 6 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({9}) Drucksache 18/12151 Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen vor . Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Sie sind damit einverstanden .3) Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung . Der Aus- schuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- heit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 18/12151, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11241 und 18/11622 in der Aus- schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol- len, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe- ben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Nie- mand enthält sich . Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- ßungsanträge . Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/12162 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt hat die Linke, dagegen waren SPD und CDU/CSU, enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen . 3) Anlage 7 Vizepräsidentin Claudia Roth Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12163 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linken . Dagegen waren SPD und CDU/CSU . Enthalten hat sich niemand . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anlage VI des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag vom 14. Juni 2005 über die Haftung bei umweltgefährdenden Notfällen ({10}) Drucksache 18/11530 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung der Anlage VI des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag vom 14. Juni 2005 über die Haftung bei umweltgefährdenden Notfällen ({11}) Drucksache 18/11529 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({12}) Drucksache 18/12145 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Sie sind damit einverstanden .1) Dann kommen wir zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Anlage VI des Umweltschutzprotokolls zum Antark- tis-Vertrag vom 14 . Juni 2005 über die Haftung bei um- weltgefährdenden Notfällen . Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 18/12145, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11530 anzunehmen . Zweite Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz- entwurf ist einstimmig angenommen . Da es ein Vertrags- gesetz ist, gab es hier nur die zweite Lesung . Abstimmung über den von der Bundesregierung ein- gebrachten Gesetzentwurf zur Ausführung der Anlage VI des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag vom 14 . Juni 2005 über die Haftung bei umweltgefährden- den Notfällen . Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12145, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa- che 18/11529 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem 1) Anlage 8 Gesetzentwurf zustimmen wollen, jetzt um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Damit gehe ich davon aus, dass niemand dagegenstimmt und sich niemand enthält . Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({13}) 2015/848 über Insolvenzverfahren Drucksache 18/10823 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({14}) Drucksache 18/12154 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .2) Dann kommen wir gleich zur Abstimmung . Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12154, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10823 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und SPD . Enthalten hat sich die Linke . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/ CSU, Bündnis 90/Die Grünen und SPD . Dagegen war niemand . Enthalten hat sich die Linke . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung Drucksache 18/11180 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({15}) Drucksache 18/11813 Der Gesetzentwurf beinhaltet in der Fassung der Be- schlussempfehlung des Innenausschusses auch Änderun- gen weiterer dienstrechtlicher Vorschriften . 2) Anlage 9 Vizepräsidentin Claudia Roth Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .1) Dann kommen wir zur Abstimmung . Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11813, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11180 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Keine Enthaltungen . Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren die Linke und Bündnis 90/Die Grünen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen gibt es keine . Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes Drucksachen 18/11236, 18/11535, 18/11683 Nr. 11 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({16}) Drucksache 18/12082 - Bericht des Haushaltsausschusses ({17}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12083 Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache und erteile der Parlamentarischen Staatssekretärin Dorothee Bär für die Bundesregierung das Wort . ({18})

Dorothee Mantel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003586

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem heute zur Beratung anstehenden Gesetz liefern wir einen maßgeblichen Beitrag zur Verkehrsinfrastruktur- planung und ergänzen so unseren wunderbaren und von 1) Anlage 10 einigen als „perfekt“ bezeichneten Bundesverkehrswegeplan 2030 . ({0}) Gero Storjohann hat heute keine Stimme und kann daher nicht sprechen . Er hat mich darum gebeten, für ihn die harten Fakten zu präsentieren, und das tue ich selbstverständlich . Im Bundesverkehrswegeplan 2030 haben wir festgehalten, dass sich der Bund im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Möglichkeiten stärker am Bau von Radschnellwegen beteiligen wird. Wir schaffen mit diesem Gesetz eine Ermächtigungsgrundlage für die Gewährung von Finanzhilfen zum Bau von Radschnellwegen in der Baulast von Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden . ({1}) Für das Haushaltsjahr 2017 sind im Bundeshaushalt dafür insgesamt 25 Millionen Euro vorgesehen . ({2}) Mit der Förderung von Radschnellwegen machen wir das Radfahren attraktiver, besonders für den Pendlerverkehr . Wir sorgen dafür, dass Staus vermieden werden und dass der Verkehrsfluss noch weiter verbessert wird, als er durch unsere Politik ohnehin schon verbessert wurde . ({3}) Die Einzelheiten der Gewährung von Finanzhilfen regeln wir mit den Ländern in einer Verwaltungsvereinbarung . Diese wird gerade parallel zum Gesetzgebungsverfahren vorbereitet . Aber der Gesetzentwurf beinhaltet noch einen zweiten bedeutsamen Bereich . Hier geht es um die Beschleunigung des Planungs- und Baurechtsverfahrens für wichtige Bundesfernstraßenprojekte . Die Planungsbeschleunigung ist für uns ein zentraler Schritt, um die Leistungsfähigkeit unserer Verkehrsinfrastruktur an neuralgischen Punkten sicherzustellen . Mit der Gesetzesänderung werden wir die Vorhabenliste in der Anlage des Bundesfernstraßengesetzes fortschreiben, die die Projekte beinhaltet, für die erstinstanzlich das Bundesverwaltungsgericht zuständig ist . Mit dieser Vorhabenliste konzentrieren wir den Klageweg für wichtige Bundesfernstraßenprojekte, aber natürlich bleiben Bürgerbeteiligung und Rechtsschutz gleichwohl gewährleistet . Die Vorhabenliste ist bereits seit Dezember 2006 Anlage zum Bundesfernstraßengesetz; sie wurde 2015 bereits einmal ergänzt . Aber mit dem Bundesverkehrswegeplan 2030 wurde es notwendig, die Vorhabenliste fortzuschreiben und grundsätzlich anzupassen . Das heißt, wir berücksichtigen die gesetzlichen Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit ein Vorhaben in die Anlage aufgenommen werden kann . Wir konzentrieren uns zum Beispiel auf die Verbesserung der Hinterlandanbindung Vizepräsidentin Claudia Roth der deutschen Seehäfen oder auf die Beseitigung schwerwiegender Verkehrsengpässe . Mit dem Gesetz sind 46 Projekte in der Vorhabenliste. Wir schaffen damit optimale Rahmenbedingungen für wichtige Infrastrukturvorhaben . Wir verkürzen auch den Zeitraum bis zur Baurechtsschaffung bei wichtigen Bundesfernstraßenprojekten um bis zu eineinhalb Jahren . Ich glaube, ich sage nichts Falsches, wenn ich sage, dass es für uns insgesamt noch schneller gehen könnte, ({4}) dass es wünschenswert wäre, wenn es bei der Schaffung von Verkehrsinfrastruktur nicht immer so wäre, Frau Kollegin Wilms, wie bei der katholischen Kirche, wo man manchmal eher in Jahrhunderten denkt . Wir würden uns wahnsinnig freuen, wenn die Vorhaben von Ihnen und Ihren Freunden nicht immer blockiert würden . ({5}) Wenn wir mehr Jasager und weniger Neinsager hätten, würden wir uns freuen . ({6}) Wir tun alles, damit wir im Bereich der Infrastruktur schnell Fortschritte erzielen, weil wir ganz fest der Überzeugung sind - damit ist auch unser Ministerium überschrieben -, dass eine zukunftsfähige Infrastruktur die Voraussetzung für Wohlstand und für Wachstum in unserem Land ist . Daher sind wir sehr stark für Mobilität und nicht gegen Mobilität . Deswegen freue ich mich ganz besonders, Frau Wilms, dass es Ihnen heute Abend so wichtig war, die Bundesregierung hier noch einmal loben zu können . Vielen Dank . ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Bär . - Jetzt kommen wir zum ers- ten krankheitsbedingten Ausfall in dieser Debatte . Die Kollegin Sabine Leidig liegt krank zu Hause . Sie woll- te eigentlich kommen, konnte aber doch nicht kommen . Die Rede liegt vor und geht mit Ihrem Einverständnis zu Protokoll.1) - Ich sagte, dass das der erste Ausfall ist . Es kommt noch einer . Der Redner ist zwar da, aber nicht redefähig . Danke schön, Frau Kollegin Leidig, für die Rede und gute Besserung . - Nächster Redner: Gustav Herzog für die SPD-Fraktion . ({0}) 1) Anlage 11

Gustav Herzog (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003148, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kurz vor Mitternacht läuft der Deutsche Bundestag noch einmal zur Höchstform auf . ({0}) Wenn wir uns alle anstrengen, dann werden wir gleich einen Gesetzentwurf mit zwei guten Botschaften für die Menschen draußen im Lande beschließen: Wir helfen mit, damit es einfacher wird, große Strecken mit dem Fahrrad zurückzulegen, und wir sorgen dafür, dass ganz wichtige Verkehrsprojekte im Straßenbau weiterhin in einem beschleunigten Verfahren realisiert werden können . ({1}) Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, setzen wir konsequent unsere Priorisierungsstrategie fort, die wir in der Diskussion über den Bundesverkehrswegeplan immer wieder aufgezeigt haben: Erhalt vor Neubau . Jetzt kommt es: Insbesondere wollen wir investieren in die Beseitigung von Engpässen und den Ausbau von Verkehrsknotenpunkten . Wir haben eine vernünftige Verteilung auf die Verkehrsträger . Frau Staatssekretärin, der Bundesverkehrswegeplan war gut, die Ausbaugesetze des Parlaments waren natürlich noch besser, weil wir seitens der Koalition noch das eine oder andere hinzugefügt haben . ({2}) Im Dezember haben wir die Rechtsgrundlage geschaffen . Geld ist vorhanden; das ist der berühmte Investitionshochlauf . Beim Personal ist es etwas schwieriger . In den nächsten Tagen und Wochen werden wir eine intensive Diskussion darüber führen, ob der Bund die Arbeit besser und mit mehr Personal machen kann als die Länder bisher . Was die Planungsvereinfachung angeht, gibt es mittlerweile unzählige Kommissionen und Vorschläge . Ich habe immer den Eindruck, dass das viel Papier ist, am Schluss aber das Instrument fehlt, damit die Projekte, die wir alle für notwendig halten, schneller umgesetzt werden können . Heute Abend geht es weiterhin um die Verfahrensbeschleunigung, um die berühmte Liste in der Anlage zu § 17e des Bundesfernstraßengesetzes, in der wir die Projekte aufgeführt haben, die wir für besonders wichtig halten . Wir hatten im Ausschuss eine sehr gute Anhörung . Alle Sachverständigen haben uns auf unserem Weg bestätigt und gesagt: Das ist das richtige Instrument, und ihr seid bei der Auswahl der Projekte sehr sorgfältig vorgegangen . Deswegen sage ich in Richtung der Linken - Kollegin Leidig konnte das jetzt nicht vortragen -: Diesen Paragrafen und die Anlage zu streichen, wie Sie es in Ihrem Änderungsantrag fordern, wäre ein falsches Signal . Wenn wir sagen: „Wir priorisieren die wichtigen Projekte“, dann heißt das auch: Das Verfahren muss schneller sein, als wenn die Sache vom Gericht zum Bundesverwaltungsgericht und wieder zurückgeht . Ihr Antrag ist falsch . Deswegen werden wir ihn ablehnen . ({3}) Eine rein qualitative Betrachtung der Projektliste, also nicht des Projektvolumens oder der verkehrlichen Bedeutung, macht noch einmal klar: Wir sind sehr sorgfältig an die Aufgabe herangegangen . Die Liste ist von 61 auf 46 Projekte reduziert worden . 34 Projekte haben sich zum Teil erledigt, weil sie unter Verkehr sind, weil sie im Bau sind, weil es einen neuen Zuschnitt gibt oder weil wir sie mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan als nicht mehr notwendig erachten . Frau Kollegin Wilms, diese haben wir dann auch gestrichen . 15 neue Projekte sind dazugekommen, die in der neuen Priorisierung „Vordringlicher Bedarf - Engpassbeseitigung“ sind . Außerdem - das hatten wir schon 2015 gemacht - sind auch Autobahnbrücken dazugekommen, die in einem schwierigen Zustand sind; dort müssen wir sehr schnell für Ersatzneubauten sorgen . Ich glaube, wir schlagen hier den richtigen Weg ein . Am Montag hat Kollege Stefan Zierke zusammen mit 150 anderen Teilnehmern die zwölfte parlamentarische Radtour durch Berlin durchgeführt . Sie sind 18 Kilometer gefahren . Das ist zwar deutlich mehr als die zehn Kilometer, die wir als Mindestlänge für einen Radschnellweg als notwendig ansehen, aber ich habe gehört, dass es keine schnelle Fahrt war, sondern dass man sich Zeit genommen hat, um sich etwas in Berlin umzuschauen . Wir wollen das, was der Bund bislang schon gemacht hat, noch einmal deutlich erweitern . Der Bund baut bereits entlang von Bundesstraßen Radwege . Das machen wir gut . In diesem Zusammenhang möchte ich die B 47 in Rheinland-Pfalz erwähnen - wen wird es wundern -, im schönen Zellertal zwischen Harxheim und Albisheim . Das ist ein Radweg, der nicht nur von Radfahrern, sondern auch von Fußgängern, also Spaziergängern oder Joggern, genutzt wird . Es gibt kluge Investitionen des Bundes nicht nur entlang von Bundesstraßen, sondern auch entlang von Bundeswasserstraßen . Dort, wo unsere Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sagt: „Dieser Betriebsweg kann in Absprache mit den Kommunen genutzt werden“, ist es möglich, diese Wege entlang des Wassers - sie sind natürlich besonders toll - zu nutzen . Wir haben mit dieser Gesetzesänderung aber etwas anderes im Blick . Wir wollen, dass der Bund Radwege baut . Es soll entsprechende Angebote für Pendler geben, lange Strecken schnell fahren zu können . Wir wollen, dass dort über 2 000 Fahrradfahrten pro Tag stattfinden. Wir fordern einen Fahrbahnquerschnitt von 4 Metern Breite . Das ist etwas anderes als ein touristischer Radweg . Wir brauchen deswegen eine saubere Abgrenzung . Wir wollen unsere Straßen entlasten. Wir schaffen die Möglichkeit für mehr Bewegung, für mehr Gesundheit, und natürlich schaffen wir auch Zeitersparnis. Wenn auf der Straße Stau ist, ist es allemal besser, mit dem Rad zu fahren . Dies ist also ein gutes Gesetz, dem die SPD-Fraktion gerne zustimmt . Vielen Dank . ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Herzog . - Nächste Rednerin: Dr . Valerie Wilms für Bündnis 90/Die Grünen .

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auch den einsamen Besucher auf der Tribüne herzlich begrüßen . Kommen wir doch einmal zu dem, was Frau Bär, unsere liebe Staatssekretärin, eben gesagt hat . Es ist erstaunlich, ich beginne die Rede mit etwas, das Sie gar nicht erwarten, Frau Bär: mit einem Lob für das BMVI . - Was ist los? ({0}) Jetzt wird es richtig gefährlich . ({1}) Das, was Sie hinsichtlich der Radschnellwege gemacht haben, also dass Sie das als Bund jetzt angehen und für Förderung sorgen, ist in Ordnung . Das unterstützen auch wir . ({2}) Wir hätten uns nur gewünscht, dass Sie ein bisschen mehr Geld dafür finden. ({3}) Jetzt kommen wir zu den harten Fakten . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf planen Sie erneut eine Beschränkung des Rechtsweges bei Straßenprojekten . Das heißt, Bürger und klageberechtigte Verbände haben für ihren Klageweg nur noch eine statt drei Instanzen zur Verfügung . Für eine stark verlängerte Liste an Projekten, für die diese Rechtswegausnahmen gelten, geht es dann nur noch zum Bundesverwaltungsgericht nach Leipzig . Sie haben wieder viele, viele Projekte dazugeschrieben . Sie haben auch ein paar gestrichen; das wissen wir . ({4}) Sie wollen viele Projekte aus der Wahlkreisbeglückungsnummer Bundesverkehrswegeplan so vermeintlich schneller durchziehen . Dabei ist Ihnen selbst das eigentlich hohe Gut der Gerichtsinstanzen nicht mehr heilig . In der Liste, die Sie mit dem Gesetzentwurf vorlegen, stecken einige Projekte - das wissen auch Sie, Kollege Herzog; nicht immer falsche Sachen erzählen -, die eine hohe Umweltbetroffenheit aufweisen. Das sollte eigentlich gerade ein Argument sein, den Bürgern, VerGustav Herzog bänden oder allgemein Betroffenen vollen Rechtsschutz zuzusichern und nicht diese verkürzte Nummer . ({5}) Wie wäre es, wenn Sie die Betroffenen vor Ort auch einmal von Anfang an in die Planungen einbeziehen würden? Fehlanzeige! ({6}) Stattdessen gaukeln Sie den Bürgern Beteiligung vor und nehmen ihnen dann auch noch Klageinstanzen weg . Das zeugt nicht gerade davon, dass Sie verstanden haben, was Bürgernähe bedeutet . Erstaunlich für die Sozialdemokraten! ({7}) Für Sie findet Beteiligung nur in der obrigkeitsstaatlichen Auslegung der Planungsunterlagen statt . Das läuft dann so: Die Planfeststellungsbehörde legt den Ordner in einem Amt aus . Das war es . ({8}) Eine echte Beteiligung sieht jedoch anders aus . Dass es die Bundesregierung mit der uferlosen Ausweitung der Liste im Gesetz übertreibt, zeigt ein kurzer Blick zurück . Das Gesetz war nämlich eigentlich für den Ausnahmefall gedacht ({9}) - das war damals die deutsche Einheit, und es waren dann die Brückenprobleme -, wenn etwa Gefahr im Verzug ist, wie vor wenigen Jahren an den Beispielen Leverkusener Rheinbrücke oder Rader Hochbrücke zu erkennen war . Die haben wir aufgenommen . Die Planungen für Ersatzbauwerke wurden nämlich über lange Zeit vernachlässigt . Nicht nur diese beiden Brücken mussten wegen Baufälligkeit auch teilweise gesperrt werden . Da muss es jetzt also schnell gehen . In solchen Fällen, wenn es also um dringend nötige Ersatzmaßnahmen geht, macht die Klausel zur Klagewegverkürzung durchaus noch Sinn . Dann kann man sich das ernsthaft vorstellen . Denn dann geht es darum, unser Verkehrsnetz, also die bereits geschaffenen Werte, zu erhalten . Aus diesem Grund können wir der pauschalen Ablehnung, die die Linke mit ihrem Änderungsantrag erreichen will, nicht zustimmen . ({10}) Die Bundesregierung geht aber deutlich zu weit und meint, zweifelhafte neue Projekte wie die A 20 oder die A 39 schneller planen und bauen zu können . Sowohl Koalition als auch Linke überdrehen ihre gegensätzlichen Positionen . Wir plädieren für kluge Ausgewogenheit . Der Gesetzentwurf erscheint wie ein Placebo gegen Planungsverzögerungen; denn viel Zeit in der Gesamtplanung wird nicht gewonnen . Die meiste Zeit nehmen nach wie vor die unheimlich schleppenden Planungsprozesse in Anspruch, nicht nur bei Fernstraßenprojekten . Hier regiert die organisierte Verantwortungslosigkeit zwischen Bund und Ländern. Ich hoffe, dass wir dieses Problem langsam gelöst bekommen . Die Schuld an der Dauer der Planungsprozesse den Bürgerinnen und Bürgern und den Verbänden zuzuschreiben, klingt da nur zynisch . ({11}) Wir lehnen die Rechtswegeinschränkung für so viele umstrittene Straßenprojekte daher ganz klar ab . Verschonen Sie die Kollegen, die in der nächsten Wahlperiode wieder dabei sind, künftig vor solchen Anträgen und Gesetzentwürfen! ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Valerie Wilms . - Nächster Redner in der Debatte wäre Gero Storjohann . Er ist aber so heiser - bzw . er ist ohne Stimme -, dass er seine Rede zu Proto- koll gegeben hat . Vielen Dank, dass Sie bei der Debatte dennoch dageblieben sind .1) ({0}) Ich schließe die Aussprache . Wir kommen zur Ab- stimmung über den von der Bundesregierung einge- brachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesfern- straßengesetzes . Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12082, den Gesetzentwurf der Bun- desregierung auf Drucksache 18/11236 und 18/11535 anzunehmen . Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/12129 vor, über den wir zuerst abstimmen . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Ände- rungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt hat die Linke, enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen, und dagegen waren SPD und CDU/CSU . Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu- stimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be- ratung angenommen . Zugestimmt hat die CDU/CSU, dagegen waren die Linke und Bündnis 90/Die Grünen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Dann gibt es keine Enthaltungen . Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt haben Bünd- nis 90/Die Grünen und die Linke . 1) Anlage 11 Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes Drucksachen 18/11234, 18/11532, 18/11683 Nr. 9 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1}) Drucksache 18/12143 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Sie sind damit einverstanden .1) Wir kommen zur Abstimmung . Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12143, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/11234 und 18/11532 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen war niemand, enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen Drucksache 18/11936 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({2}) Finanzausschuss Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Sie sind einverstanden .2) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 18/11936 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sie haben sicher keine anderen Vorschläge dazu . - Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a und 33 b auf: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 11. Juli 2016 zwischen der Regierung der Bun- desrepublik Deutschland und der Regierung der Arabischen Republik Ägypten über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich 1) Anlage 12 2) Anlage 13 Drucksache 18/11508 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({3}) Drucksache 18/11812 b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. September 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tunesischen Republik über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich Drucksache 18/11509 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({4}) Drucksache 18/11797 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .3) Tagesordnungspunkt 33 a . Wir kommen zur Abstim- mung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem eben genannten Abkommen mit der Regierung der Arabischen Republik Ägypten über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich . Der Innen- ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11812, den Gesetzentwurf der Bundesre- gierung auf Drucksache 18/11508 anzunehmen . Zweite Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen - das ist auch ein Ver- tragsgesetz -, sich zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt ha- ben CDU/CSU und SPD, dagegen waren die Linke und Bündnis 90/Die Grünen . Tagesordnungspunkt 33 b . Wir kommen zur Abstim- mung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit der Regierung der Tunesischen Republik über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11797, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa- che 18/11509 anzunehmen . Zweite Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfüh- rung eines Wettbewerbsregisters Drucksache 18/12051 3) Anlage 14 Vizepräsidentin Claudia Roth Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({5}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Sie sind damit einverstanden .1) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/12051 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Es gibt keine anderweitigen Vorschläge . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({6}) zu der Verordnung der Bundesregierung Siebenunddreißigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ({7}) Drucksachen 18/11283, 18/11472 Nr. 2.1, 18/12152 1) Anlage 15 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .2) Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12152, der Verordnung auf Drucksache 18/11283 zuzustimmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Dann enthält sich niemand . Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Nicht nur die Tagesordnung ist erschöpft . ({8}) Damit berufe ich die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 28 . April 2017, 9 Uhr, ein . Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen einen langen schönen Restabend . Vielen Dank für die Konzentration . Vielen Dank auch den Parlamentsassistenten und -assistentinnen .