Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie
herzlich zur Plenarsitzung. Den anwesenden Gästen und
den Fernsehzuschauern möchte ich zum Ausräumen von
Irritationen mitteilen, dass die Sitzung nicht deswegen
ein bisschen später beginnt, weil die Kolleginnen und
Kollegen nicht rechtzeitig aus dem Bett gekommen wären, sondern, weil vorhergehende Fraktionssitzungen, die
auch mit Beratungsbedarf verbunden sind, ein bisschen
länger gedauert haben, sodass wir nicht ganz pünktlich
anfangen konnten.
({0})
Dafür haben Sie hoffentlich Verständnis.
Es gibt wieder einmal ein paar Änderungen in der vorgesehenen Tagesordnung, auf die sich die Fraktionen
verständigt haben. Ich möchte Sie darauf aufmerksam
machen, dass das in der Zusatzpunkteliste jeweils aufgeführt ist:
ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Valerie Wilms, Dieter Janecek, Tabea Rößner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die Digitalisierung als Ausweg aus der Schifffahrtskrise nutzen
Drucksache 18/11742
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({1})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss Digitale Agenda
ZP 2 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
({2})
a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3})
Sammelübersicht 428 zu Petitionen
Drucksache 18/11751
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4})
Sammelübersicht 429 zu Petitionen
Drucksache 18/11752
c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5})
Sammelübersicht 430 zu Petitionen
Drucksache 18/11753
d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6})
Sammelübersicht 431 zu Petitionen
Drucksache 18/11754
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7})
Sammelübersicht 432 zu Petitionen
Drucksache 18/11755
ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({8}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald,
Britta Haßelmann, Christian Kühn ({9}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wertstoffgesetz jetzt vorlegen
Drucksachen 18/4648, 18/9693
ZP 4 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Zweiten Gesetzes zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft
von Bürokratie ({10})
Drucksache 18/9949
Beschlussempfehlung und Bericht des
Ausschusses für Wirtschaft und Energie
({11})
Drucksache 18/11778
- Bericht des Haushaltsausschusses ({12}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/11790
Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Nach dem Tagesordnungspunkt 28 soll der Entwurf
eines Zweiten Bürokratieentlastungsgesetzes mit einer
Debattenzeit von 25 Minuten abschließend beraten werden.
Der ohne Debatte vorgesehene Tagesordnungspunkt
41 c - hier geht es um die abschließende Beratung des
Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Deutschen Wetterdienst - wird abgesetzt.
Schließlich mache ich noch auf zwei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam:
Der am 9. März 2017 ({13}) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({14}), dem
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({15}) und dem Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({16}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der
schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung
Drucksache 18/11241
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({17})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Der am 9. März 2017 ({18}) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({19}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung
({20}) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie ({21}) 2016/680 ({22})
Drucksache 18/11325
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({23})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss Digitale Agenda
Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Änderungen einver-
standen sind. - Das ist der Fall. Dann können wir so ver-
fahren.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c sowie
den Zusatzpunkt 1 auf:
3. a) Beratung des Antrags der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD
Innovation und Forschung als Wettbe-
werbsvorteil der deutschen maritimen
Wirtschaft
Drucksache 18/11725
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Maritime Agenda 2025
Für die Zukunft des maritimen Wirtschaftsstandorts Deutschland
Drucksache 18/10911
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({24})
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Fünfter Bericht der Bundesregierung
über die Entwicklung und Zukunftsperspektiven der maritimen Wirtschaft in
Deutschland
Drucksache 18/11150
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({25})
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss Digitale Agenda
ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Valerie Wilms, Dieter Janecek, Tabea Rößner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Präsident Dr. Norbert Lammert
Die Digitalisierung als Ausweg aus der Schifffahrtskrise nutzen
Drucksache 18/11742
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({26})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss Digitale Agenda
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Auch hierzu
höre ich keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
Parlamentarischen Staatssekretär Uwe Beckmeyer das
Wort.
({27})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Anfang dieser
Legislaturperiode haben wir uns zum Ziel gesetzt, dass
wir in diesen vier Jahren die maritime Wirtschaft stärken
und Deutschland zu einem maritimen Hightechstandort
ausbauen wollen;
({0})
denn diese Branche - ich glaube, da sind wir uns einig ist eine Schlüssel- und Zukunftsbranche der deutschen
Wirtschaft. Sie vereint Hochtechnologie mit erheblichem
Innovationspotenzial. Forschung, Entwicklung und Innovation sind dabei unsere Schwerpunkte; denn wir haben - und das ist gut so - einen sehr innovativen Mittelstand. Deshalb hat sich diese Bundesregierung für diese
Legislaturperiode ein sehr ambitioniertes Programm vorgenommen - und wir haben viel erreicht.
Erstens. Schiffbau und Meerestechnik sind integraler
Bestandteil der Hightech-Strategie der Bundesregierung.
({1})
Mit den maritimen Technologieförderprogrammen
setzen wir wichtige Anreize, damit die Unternehmen
noch mehr in Forschung und Entwicklung investieren;
denn wir wollen, dass die maritime Wirtschaft ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit erhält und ausbaut. Deshalb haben wir seitens der Bundesregierung und seitens
des Parlaments für Innovationen an deutschen Werften
sehr viel Geld in die Hand genommen. Es sind alleine
35 Millionen Euro pro Jahr aus Bundesmitteln. Hinzu
kommen die Komplementärmittel der Länder. Weiterhin wenden wir für Forschung und Entwicklung jährlich
rund 32 Millionen Euro auf, ebenfalls mehrere Millionen
Euro pro Jahr für die maritime Sicherheit.
Wenn man sich das anschaut und auf die Legislaturperiode hochrechnet, kommt man alleine auf Bundesmittel
von gut 280 bis 290 Millionen Euro, die hier eingesetzt
werden. Wenn man die Landesmittel und noch die Investitionskraft der einzelnen Unternehmen hinzunimmt,
dann ist das ein x-Faches. Das zeigt: Wir haben es mit
einer sehr potenten Industrie zu tun, und wir tun seitens
des Bundes und der Länder vieles, um diese Innovationsfähigkeit noch stärker herauszubilden.
({2})
Zweitens. Die Bundesregierung bietet exportorientierten Industrien verlässliche Unterstützung durch Hermesdeckung und Investitionsgarantien. Bis Ende 2016 hat
der Bund für den Export deutscher Schiffe ein Entschädigungsrisiko von rund 29 Milliarden Euro abgesichert. Ich
will das an dieser Stelle deutlich unterstreichen.
Drittens. Wir helfen unserem Mittelstand bei der Erschließung von Auslandsmärkten. Unterschätzen Sie das
nicht. Wir tun das durch Geschäftsanbahnungsreisen und
durch Auslandsmessen. Wir sind dort Gott sei Dank international mit den Unternehmen sehr aktiv.
Viertens. Wir haben im Rahmen der Energiewende die Novelle des EEG sowie auch das Windenergie-auf-See-Gesetz hier im Hause verabschiedet. Wir
haben damit einen verlässlichen Ausbaupfad festgelegt.
Die maritime Energiewende ist zudem ein wesentlicher
Baustein auch unserer Industriepolitik. Weniger Schadstoffemissionen, mehr Energieeffizienz, das sind wesentliche Ziele auch für die Schifffahrt.
Im Februar hat das Bundeswirtschaftsministerium daher die Förderinitiative „Energiewende im Verkehr“ gestartet. In unserem maritimen Forschungsprogramm ist
Green Shipping zukünftig eines von vier oberzentralen
Querschnittsthemen. Sie sehen: Wir setzen auf konsequente Technologieförderung, aber auch auf passgenaue
Lösungen.
Das gilt auch für neue Themen, deren Behandlung wir
hier im Parlament verabredet haben und die sinnvollerweise so gestaltet werden, dass keine Einzelinteressen
bedient werden, dass keine Doppelförderung entsteht,
dass ein kluges Konzept und kein Wettlauf von Finanzierungswünschen dabei herauskommt. Ich spreche vom
Deutschen Maritimen Zentrum.
Als Koordinator für die maritime Wirtschaft setze ich
mich gleichermaßen für die Schifffahrt wie für die Interessen der See- und Binnenschifffahrt, aber auch der Seeund Binnenhäfen ein. Prioritäres Ziel hier ist und bleibt
die Sicherung des Schifffahrtstandortes selbst. Mit den
Kollegen aus dem Bundesverkehrsministerium haben wir
deshalb ein Maßnahmenpaket verabredet, das sich sehen
lassen kann: Die Anhebung des Lohnsteuereinbehaltes
auf 100 Prozent - wir haben uns darüber unterhalten -,
die vollständige Erstattung der Lohnnebenkosten, die
Weiterführung der Zuschüsse zu den Ausbildungsplatzkosten, die Anpassung der Schiffsbesetzungsordnung,
die Befreiung von Schiffserlöspools von der Versicherungsteuer - der Strauß ist riesengroß.
({3})
Präsident Dr. Norbert Lammert
Nun müssen aber auch die Reeder ihren Beitrag leisten.
Wir werden uns diese Entwicklung sehr genau anschauen
und vor allen Dingen auch evaluieren. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Häfen gilt es zu stärken. Wir
haben hierzu das Nationale Hafenkonzept, wir fördern
intelligente Hafentechnologien.
Das Letzte, was ich ansprechen möchte, ist die Maritime Agenda 2025. Hier haben wir zum ersten Mal eine
ressortübergreifende Strategie für die Branche vorgelegt.
Sie definiert klare Handlungsfelder: mit Blick auf die
steigenden Anforderungen des Klima- und Umweltschutzes und in Bezug auf die Sicherheit im Seeverkehr, die
schärferen Wettbewerbsbedingungen auf globalen Märkten, die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung von Produktions- und Logistikprozessen sowie Produkten und Dienstleistungen. Die maritime Wirtschaft ist
in vielen Bereichen Vorreiter des digitalen Wandels.
Aber die Transformation läuft rasant. Insofern ist die
Digitalisierung Schwerpunkt der 10. Nationalen Maritimen Konferenz nächsten Dienstag in Hamburg. Wir
müssen und wollen die maritime Branche hier weiter voranbringen. Deshalb, so ist meine Hoffnung, haben wir
alle ins Boot geholt, auch um mit Bund, Ländern, Verbänden und Gewerkschaften eine gemeinsame Erklärung
zu verabschieden. Denn: Wer rastet, der rostet. Das gilt
nicht nur für Schiffe.
({4})
Es freut mich daher, dass sich viele von uns bei der
10. Nationalen Maritimen Konferenz in Hamburg wiedersehen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Herbert
Behrens für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die Anzahl der Seiten des maritimen Berichts, aber auch des
Antrags der Koalition stehen in einem krassen Missverhältnis zu dem, was wir uns heute als maritime Bilanz
vornehmen.
({0})
Wir haben gesehen, dass unendlich viele Millionen Euro
in die maritime Wirtschaft geflossen sind. Wenn wir uns
das Ergebnis anschauen, dann stellen wir fest: Es ist
mehr als dürftig. Das können wir so nicht hinnehmen. Da
müssen wir dringend eine Änderung vornehmen.
({1})
Es geht doch um die Arbeitsplätze der Beschäftigten
bei den Werften, bei den Entwicklungsbüros, in den Häfen und auf den Schiffen selbst. Die Kolleginnen und
Kollegen wollen doch wissen, wie ihre Zukunft aussieht,
was geplant ist, wohin sich dieser Wirtschaftszweig entwickeln soll.
({2})
400 000 Arbeitsplätze in dieser Branche - direkt oder
indirekt - sollen es sein. Der Kollege Beckmeyer hat ja
dargestellt, dass es sich in Teilen um eine Schlüsselbranche handelt, wenn es beispielsweise um neue Technologien geht.
Wir wollen, dass in der maritimen Wirtschaft in Zukunft Tarifverträge noch eine Rolle spielen, dass in den
Unternehmen ordentliche Arbeitsverhältnisse bestehen
und dass kein Wettbewerb um soziales Dumping vorherrscht.
({3})
Das ist das Ziel einer gerechten und guten Hafen- und
maritimen Politik.
Darum haben die Gewerkschaften Verdi und IG Metall direkt zu diesem Anlass ein sehr gutes Papier verfasst. Sie haben konkrete Vorschläge gemacht - auf sehr
viel weniger Seiten, aber dafür mit viel mehr Substanz.
Damit kann man etwas anfangen. Sie geben ganz klar
die Richtung vor und sagen, worum es gehen muss. Die
Linksfraktion begrüßt diese Initiative der Gewerkschaften ausdrücklich.
({4})
Die Kolleginnen und Kollegen haben sich den Kopf
darüber zerbrochen, wie sie mit der digitalen Zukunft der
Arbeitsplätze umgehen wollen. Sie haben darauf hingewiesen, dass in der Hafenwirtschaft in absehbarer Zeit
sehr viel mehr Automatisierung passieren wird als in den
vergangenen Jahren. Sie haben aber auch darauf hingewiesen, was das Ergebnis dieser Automatisierung ist: Es
ist nicht nur die Entlastung auf manch belastendem Arbeitsplatz; es ist auch die Zunahme von Arbeitsintensität,
es ist auch eine Zunahme von Hektik, Stress und möglicherweise Gesundheitsgefahren. Sie haben weiter darauf
hingewiesen, wie die Erträge dieser Automatisierung verteilt werden. Ich zitiere: Bei Produktivitätssteigerungen
durch Automatisierung muss der sich hieraus ergebende
Gewinn gerecht verteilt werden, damit Arbeitsplätze abgesichert werden. - So die Gewerkschaften.
({5})
Das ist der richtige Weg. Mehr Produktivität muss dazu
führen, dass es zu Arbeitszeitverkürzungen kommt. Für
diese Art der sozialen Gerechtigkeit ist die Linke immer
zu haben.
({6})
Solche Instrumente findet man in den hier vorgelegten Papieren nicht. Da stehen ausschließlich die auf Kapitalinteressen, auf Markt- und Wettbewerbsinteressen
ausgerichteten Forderungen; die Zahlen haben wir vom
Kollegen Beckmeyer genannt bekommen. Natürlich lebt
niemand vom Zusetzen - das ist uns allen klar; das ist
banal -, aber trotzdem müssen wir anerkennen, dass die
menschliche Arbeitskraft der Stoff ist, aus dem Wertschöpfung entsteht. Darum kommt es darauf an, dass wir
diesen Teil sehr viel stärker gewichten, als das in den Papieren der Fall ist, die uns hier heute vorgelegt werden.
({7})
Die Bundesregierung wird der Frage von Ausbildung
und Beschäftigung nicht im Mindesten gerecht. Ein Satz
wie „Deutschland hat die Arbeits- und Lebensbedingungen der Seeleute umfassend und modern geregelt“ ist
angesichts der Zukunftsperspektiven der Arbeitsplätze
auf See wirklich mehr ein Hohn als eine vernünftige Beschreibung der Situation. Das können wir so nicht akzeptieren.
({8})
Es muss doch ein Alarmsignal sein, auch für die Bundesregierung, dass mit den zig Millionen, die zur Förderung in diesen Bereich gegangen sind, keine Wende
passiert ist, beispielsweise bei den unter deutscher Flagge fahrenden Schiffen, dass es zu keiner Wende bei den
Arbeitsplätzen geführt hat, dass es zu keiner Wende bei
den Ausbildungsplätzen geführt hat. Alles das, was hier
schon vorgetragen worden ist - der Lohnsteuereinbehalt, der das Ergebnis hat, dass die Reeder die Lohnsteuer nicht mehr an den Staat abführen müssen, wie es bei
jedem normalen Unternehmen der Fall ist; Zahlung von
Ausbildungszuschüssen; Übernahme von Lohnnebenkosten -, alle diese Millionen, die dort hineingegangen
sind, sind seitens der Reeder mit nichts goutiert worden.
Der Niedergang der deutschen Seeschifffahrt ist nicht
aufgehalten, sondern geht weiter voran.
({9})
Die Antwort der Bundesregierung darauf enthält ganz
merkwürdige Formulierungen: Es geht darum, dass man
den Dialog fördern will, die Bedeutung globaler Entwicklung unterstreichen will, die Kommission aktiv begleiten
will, Forschung und Entwicklung verzahnen will, den
passgenauen Zuschnitt bestehender Förderprogramme
weiter stärken will usw. usf. Diese wortreiche Untätigkeit der Bundesregierung muss dringend ein Ende haben.
({10})
Den Unternehmern geht es offenbar blendend. 1995 so die Zahlen des VDR, des Verbands Deutscher Reeder - lag der Umsatz bei 5 Milliarden Euro, im Jahr 2015
bei 24 Milliarden Euro. All das, was seitens der Bundesregierung in den letzten Jahren und Jahrzehnten auf den
Weg gebracht worden ist, nämlich das Pampern der Seeschifffahrt, hat nicht dazu geführt, dass etwas bei denen
angekommen ist, die dort ihren Arbeitsplatz finden und
auf dieser Beschäftigung ihre Zukunft aufbauen wollen.
Das muss jetzt ein Ende haben.
Die Nationale Maritime Konferenz in Hamburg kann
ein Zeichen dafür sein, was die Perspektive sein muss.
({11})
Ich schlage vor, das Motto der Nationalen Maritimen
Konferenz zu verändern und zu formulieren: Die Profiteure zahlen! Das ist die Zukunft der maritimen Wirtschaft in Deutschland.
({12})
Die Situation auf den deutschen Werften ist weiterhin
dramatisch. Die Zahl der Beschäftigten ist in den letzten
Jahren von 22 000 auf 18 000 gesunken. Es wird immer
schwieriger, qualifiziertes Personal zu finden, weil sich
keiner mehr traut, zu sagen: Ich gehe in diese Branche,
weil sie mir eine Zukunft verspricht, weil sie mich und
meine Familie in den kommenden Jahren finanzieren
kann. - Eine Zukunftsperspektive gibt es in der Seeschifffahrt nicht, und das muss dringend verändert werden.
Die Lösungen, die die Bundesregierung dazu vorschlägt, sind: einheitliche Regulierungsmaßnahmen,
mehr globaler Wettbewerb, mehr Abkommen auf der
Grundlage der WTO und anderer bilateraler Handelsabkommen. Da ist einmal wieder ganz klar sichtbar: Es
geht um Freihandel, es geht nicht um fairen Handel, und
das kann doch nicht die Perspektive sein für eine vernünftige maritime Wirtschaft, wie wir sie wollen.
({13})
Nach dem Lesen des maritimen Berichts und des langen Antrags mit 78 Punkten, der hier von der Regierungskoalition eingebracht wird, habe ich den Eindruck, dass
dies ein notdürftiges Zusammenschreiben von Worthülsen ist. Es ist substanzlos, was dort vorgelegt wird, und
das macht noch einmal deutlich, dass die Große Koalition inhaltlich offenbar am Ende ist. Ich denke, dazu gehört auch, dass dieser Großen Koalition auch fühlbar ein
Ende gesetzt wird. Mit dieser Bundesregierung wird die
maritime Wirtschaft auf jeden Fall keine gute Zukunft
haben.
({14})
Rüdiger Kruse ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Herr Behrens, es gibt historische Irrtümer, die
man gern wiederholt. Deswegen muss man dann auch
die richtigen Antworten wiederholen: Umsatz ist nicht
Gewinn. Es kann Ihnen mit 5 Milliarden Euro Umsatz
tierisch gut gehen, und mit 24 Milliarden Euro Umsatz
können Sie große Probleme haben.
Wir haben viel getan, um die Wettbewerbsfähigkeit
der deutschen Schifffahrt wiederherzustellen. Wir haben
nie behauptet, dass wir damit die internationale Schifffahrtskrise beenden; aber wir stellen uns so auf, dass wir
zukunftsfähig sind. Nehmen Sie einen anderen Sektor:
die Werften. Ich komme aus dem Norden, wo wir seit
langer Zeit die Werftenkrise haben. Wenn Sie international schauen, wie sich dieser Bereich entwickelt hat, dann
sehen Sie, dass Europa - und damit schwerpunktmäßig
Deutschland - im Werftensektor wesentlich besser dran
ist als der gesamte Rest der Welt.
({0})
Das liegt daran, dass wir nicht gesagt haben: „Oh,
wunderbare Zeiten, die sind wunderschön, die müssen
wir unbedingt erhalten“, dass wir nicht gesagt haben:
Containerschiffe sind gefälligst in Deutschland zu bauen, und wenn das nicht geschieht, dann akzeptieren wir
das nicht. - Dieser Sektor hat sich, auch mit der Hilfe
des Parlaments, in den letzten Jahren umgestellt auf Innovation, und er hat auf das gesetzt, was wir am besten
können, nämlich Avantgarde sein.
Wir sind in diesem Sektor nicht allein unterwegs. Im
Zehnpunkteplan - man muss es durchaus ernst nehmen,
wenn die Chinesen etwas machen - ist eines der Segmente, in denen sie Weltspitze werden wollen, der Hightechschiffbau, nicht der normale Schiffbau. Der Bereich
der Massenware ist längst entschieden. Es geht um den
Hightechschiffbau, das, was wir machen.
Nun kann man sagen: Na ja, was wollt ihr denn? Wenn
man ein Kreuzfahrtschiff bauen will, dann macht man das
in Deutschland. - Man versuchte das einmal in Japan.
Das wurde für die Firma zu einem hohen Verlust. Das
macht jetzt kein Mensch mehr. Es ist aber nicht gesagt,
dass sich diese Entwicklung für die nächsten zehn Jahre
fortschreiben lässt. Das heißt, hier müssen wir wachsam
sein. Deswegen investieren wir in diesen Bereich eine
gewisse Summe, gar nicht mal so furchtbar viel.
Sie haben gesagt: „Der maritime Bereich ist ein wichtiges Thema“, und Herr Beckmeyer hat ein neues Wort
geprägt - mal sehen, ob es sich durchsetzt -: „oberzentral“. Natürlich bin ich auch davon überzeugt, dass dieses
Thema ganz wichtig ist. Aber selbst die heutige Tagesordnung weist viele andere, ebenfalls wichtige Themen
auf. Vielleicht kann man das einordnen und fragen: Gibt
es eigentlich einen Bewertungsmaßstab, den man für alle
Themen anwenden kann? Die Debatte etwa, die morgen
zur gleichen Zeit laufen wird, gilt dem Thema Nachhaltigkeit.
Deklinieren wir doch einmal den maritimen Bereich
anhand der Nachhaltigkeit durch. Sie hat bekanntermaßen die drei etablierten Säulen Wirtschaft, Umwelt und
Soziales. Nach meiner persönlichen Meinung bedarf es
noch der Säule Kultur. Denn etwas, das kein Narrativ hat,
mit dem man sich nicht auseinandersetzt, kann auch keine nachhaltige Wirkung haben.
Wirtschaft. Ich habe gesagt: Wir haben die Wettbewerbsfähigkeit mit verschiedenen Maßnahmen hergestellt. Ist das auch sozial? Wenn man den Lohnsteuereinbehalt, wenn man die 183-Tage-Regel abschafft, dann
findet das ja nicht auf dem Rücken der Beschäftigten
statt. Beim Lohnsteuereinbehalt haben wir gesagt: Wir
verzichten auf Steuereinnahmen. - Das ist vollkommen
richtig. Aber wir tun das, um die deutsche Schifffahrt zu
erhalten und um diese Arbeitsplätze auch zu sichern. Das
ist, glaube ich, eine gute Entscheidung und in keinster
Weise gegen die Interessen der Arbeitnehmerschaft.
Wenn Sie fragen: „Ist das, was wir gemacht haben,
auch umweltgerecht?“, dann sage ich: Die Innovationen,
die wir fördern, haben zum großen Teil mit dem Thema
Umwelt zu tun. Natürlich ist es ein wirtschaftlicher Vorteil, wenn wir die saubersten Schiffsantriebe bauen und
wenn wir Beiträge leisten, mit denen man auch den Klimaschutz nach vorne bringen kann.
Wir haben uns in unserem letzten Antrag aber auch mit
dem Thema Fischerei beschäftigt. Man muss es wirklich
einmal sagen: Dieser letzte Antrag ist Punkt für Punkt
abgearbeitet worden, mit Parlament und Regierung gemeinsam, und mit Haushaltsbeschlüssen unterlegt worden. Das ist wirklich eine Erfolgsgeschichte, was wir da
gemacht haben.
({1})
- Erfolg kann man auch beklatschen.
Erstmalig haben wir uns auch dem Thema der illegalen Fischerei zugewandt. Das hat einen Umweltaspekt.
Klar, wir machen uns nicht all die Mühe, mit Fangquoten
diesen Eiweißvorrat für die Zukunft zu erhalten, damit
andere Leute die Bestände piratenmäßig plündern und
vernichten und all diese Ziele, die wir haben, torpedieren. Es ist ja auch ein soziales Thema: Wenn man die
Küsten Afrikas illegal leerfischt, haben die Menschen,
die eigentlich vom Fischfang leben, ein Problem. Es ist
ein soziales Thema, weil es hinsichtlich der Beschäftigungsbedingungen an Bord dieser Schiffe teilweise nur
einen einzigen Unterschied zu römischen Sklavengaleeren gibt: Die Jungs müssen nicht rudern. Aber ansonsten
ist das, was da passiert, unmöglich. Wir haben gesagt:
Da wollen wir nicht mitspielen. Wir wollen die Kontrollen verbessern. - Dazu haben wir einen Beschluss gefasst
und diesen im Haushalt mit finanziellen Mitteln unterlegt. Wir haben Stellen geschaffen, damit der angelandete Fisch zukünftig auch entsprechend der Zertifizierung
kontrolliert und gegebenenfalls zurückgewiesen wird.
Sie haben den Freihandel angesprochen. In unserem
Antrag steht, dass wir bei Freihandelsabkommen genau
diesen Aspekt der illegalen Fischerei behandelt haben
wollen und dass wir unsere Partner dazu bringen wollen, dass sie diese internationalen Regeln einhalten, und
dass wir, wenn sie diese nicht einhalten, mit ihnen keinen
freien Handel treiben. Was wollen Sie mehr als solche
konkreten Bedingungen, die der Umwelt nutzen, die dem
Sozialen nutzen und insgesamt auch der Wirtschaft, und
zwar bei uns und in den anderen Ländern? Wir haben auf
dem sozialen Sektor meines Erachtens sowohl für deutsche Beschäftigte als auch für Beschäftigte in anderen
Ländern viel getan.
Im Umweltbereich setzen wir dieses Mal auch noch
einen weiteren Akzent. Es geht dabei um ein Problem,
das viele umtreibt und das auch im Bewusstsein der Bürger einen immer höheren Stellenwert bekommt, nämlich
den Plastikmüll, einmal den, den wir sehen können, weil
wir mittendrin schwimmen, und zum anderen das Mikroplastik, das wir im Zweifelsfall nicht sehen, das aber irRüdiger Kruse
gendwann in der Nahrungskette auf unserem Teller landet. Das ist ein Thema, das weltweit besonders wichtig
ist und das sicherlich nicht damit erledigt ist, dass man
beim Einkauf auf die Plastiktüte verzichtet. Ich hätte
nicht gedacht, dass ein Kunstrasenfußballplatz irgendeine Auswirkung auf die Weltmeere hat. Inzwischen wissen
wir, dass über den Abrieb und über das Regenwasser das
Ganze am Ende irgendwo in den Ozeanen landet. Auch
diese Punkte sprechen wir in diesem Antrag an. Im Sinne
der Nachhaltigkeit sagen wir: Wir wollen rechtzeitig mit
anderen Ländern gemeinsam eine Strategie entwickeln,
damit wir den Plastikmüll wieder aus dem Meer herausbekommen, und wir wollen vermeiden, dass er überhaupt
dorthin gelangt. Ich glaube, dass es ein sehr weitsichtiger
Antrag ist, den wir hier vorlegen.
({2})
Forschung und Entwicklung. Ich habe gesagt: Das
Wichtige für uns ist, bei der Innovation ganz weit vorne zu sein, damit wir einen Platz in dieser Wettbewerbswelt haben. Wir geben - der Koordinator der Bundesregierung hat es erwähnt - eine gewisse Menge Geld für
Forschung und Entwicklung in diesem Bereich aus, aber
immer noch deutlich weniger als im Bereich Luft- und
Raumfahrt. Nun kann man sagen: Schiffe gibt es viel länger als Raketen oder Flugzeuge, mit denen man durch die
Gegend fliegt. - Aber daran liegt es nicht.
Gibt es noch viel zu tun? Es gibt eine ganze Menge
zu forschen und zu entwickeln. Aber es gab bisher keine
Einrichtung, die das zentral koordiniert. Diese wollen wir
schaffen. Koordinator der Bundesregierung heißt auch,
mit allen Ressorts übergreifend zusammenzuarbeiten.
Der maritime Bereich hat nicht nur im Wirtschaftsministerium und nicht nur im Verkehrsministerium seine Konterparts, die er braucht und die man koordinieren muss.
Ich glaube, die Entscheidung, die wir getroffen haben, wo
das DMZ angesiedelt wird, ist eine gute. Das Entscheidende ist, dass es jetzt parallel zur 10. Nationalen Maritimen Konferenz kommt. Ich will das Motto nicht ändern,
das müssen wir nicht. Es ist ein gutes Motto. Aber es
ist ein großer Erfolg, dass der Beschluss vor anderthalb
Jahren im Haushalt auch mit Geld unterlegt wurde, das
nötig ist, damit er in diesem Jahr zum Tragen kommt und
wir das Deutsche Maritime Zentrum bekommen, um an
diesen Themen gemeinschaftlich mit der Wirtschaft, aber
auch mit Umweltverbänden zu arbeiten und die deutsche
maritime Wirtschaft zu stärken.
Herzlichen Dank.
({3})
Valerie Wilms erhält nun das Wort für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Wo bin ich hier heute Morgen
gelandet? Alles still und ruhig. Alles nickert vor sich hin.
({0})
Der Maritime Koordinator erzählt uns etwas, bei dem ich
mich frage: Ist das überhaupt noch realitätsbezogen,
({1})
was aus dem Wirtschaftsministerium in der Scharnhorststraße, Ecke Invalidenstraße auftaucht, oder sind Sie in
einer anderen Welt gelandet, Herr Beckmeyer?
Wir haben im maritimen Sektor seit fast zehn Jahren
eine Krise in der Schifffahrt. Was passiert? Was macht
diese große Stillstandskoalition? Sie redet immer wieder
hier im Hohen Hause mit irgendwelchen Sprechblasen
um den heißen Brei herum. Papiere können Sie produzieren, Herr Beckmeyer. Wir wollen Taten sehen, nicht
nur Papiere!
({2})
In der Realität kommt nichts an. Jetzt zum Abschied des
Maritimen Koordinators - in der nächsten Woche dürfte
es Ihre letzte Maritime Konferenz sein - geht es genauso
weiter. So wracken Sie von der Großen Koalition die maritime Wirtschaft wirklich ab.
({3})
Schauen wir uns das einmal im Detail an. Die Schifffahrtskrise wurde nicht angepackt. Hapag-Lloyd macht
deutlich reduzierte Gewinne. Hamburg Süd ist mittlerweile dänisch. Das wissen wir mittlerweile alles, aber
Sie tun nichts. Die dringend nötige Neuausrichtung der
maritimen Ausbildung wurde verpasst. Mit vernünftigen
Rahmenbedingungen für alternative Treibstoffe in der
Seeschifffahrt lässt die Bundesregierung bis heute auf
sich warten. So darf es nicht weiter gehen.
({4})
Die deutsche maritime Wirtschaft ist eine vielfältige
Branche. Sowohl Häfen als auch Werften oder Reedereien zählen dazu. Diese Branche braucht endlich echte
Zukunftsperspektiven für die kommenden Jahre. Mit
dem üblichen Herumfrickeln, liebe Damen und Herren
von der Großen Koalition - auch wenn Sie hier große
Sprüche klopfen, Herr Grosse-Brömer -, ist es nicht getan. Ein reines Abwickeln der kriselnden Branche darf
es nicht geben. Wir sollten die Krise als Chance für eine
echte Neuaufstellung der Schifffahrtsförderung nutzen.
({5})
Was machen Sie hingegen? Sie gehen weiter mit der
Fördergießkanne durch das Land. Sie schaffen dann noch
ein neues Forschungszentrum, das sogenannte Deutsche
Maritime Zentrum mit Sitz in Hamburg, von dem niemand weiß, wozu es gebraucht wird und was es eigentlich machen soll. Dient es etwa nur zur Wahlkreisbeglückung in Hamburg, werter Kollege Kruse? Aber den Mut
für wirklich ernsthafte Reformen zeigen Sie hier nicht.
({6})
Was muss dringend angepackt werden? Durch die
vielen Zukäufe an Schiffsraum in den 1990er- und
2000er-Jahren haben sich Überkapazitäten aufgebaut,
die jetzt nur sehr schwer wieder wegzubekommen sind.
Dadurch stehen die Reeder, die sich an ihrem damaligen
Erfolg, gerade durch Steuersparmodelle getrieben, berauscht haben, vor einem echten Dilemma: Verkaufen sie
die Schiffe, drückt ein anderer Standort die Schiffsmieten. Verkaufen sie sie nicht, hat die Schiffe zwar nicht
der Konkurrenzstandort, die Schiffsmieten bleiben aber
weiterhin im Keller. Somit wurde über Jahre hinweg Mikado gespielt:
({7})
Wer sich zuerst bewegt und Schiffsraum entfernt, hat verloren. Heraus, werte Kolleginnen und Kollegen, kommen
wir aus dieser Misere nur, wenn ein Großteil der Schiffe
aus dem Markt verschwindet. Ich sage daher: Verschrotten, verschrotten, verschrotten! Nur so kommen wir aus
der Krise.
Herr Beckmeyer, sorgen Sie mal dafür, dass wir nicht
immer nur neu bauen - Spezialschiffe oder so etwas -,
sondern wir uns ernsthaft mit vernünftigen Abwrackwerften in Europa, auch in Deutschland, beschäftigen,
anstatt die Schiffe in Bangladesch an den Strand zu schieben und da ausweiden zu lassen. So geht es nicht weiter.
({8})
Schauen wir als Nächstes auf die Beschäftigten in der
Schifffahrt.
({9})
- Herr Saathoff, Sie kommen nachher noch dran. - Wir
haben hier in Deutschland zwar eine weltweit hoch anerkannte Ausbildung von Seeleuten, doch diese bringt uns
nichts - gar nichts. In der internationalen Seeschifffahrt
sind deutsche Seeleute schlichtweg zu teuer.
({10})
Damit deutsche Seeleute wieder konkurrenzfähig werden, brauchen wir endlich vernünftige, international konkurrenzfähige Lösungen:
({11})
Wir brauchen auch für Seeleute den internationalen Tarif
anstatt des deutschen Heuervertrages bei gleichzeitiger
Steuer- und Sozialversicherungsfreiheit. So schaffen wir
nämlich, dass die Seeleute vor Ort das Gleiche ausgezahlt bekommen, aber wir konkurrenzfähig werden. Das
würde der deutschen Schifffahrt und dem maritimen
Arbeitsmarkt wieder einen kräftigen Schub geben. Die
derzeitige Herumtrickserei und Herumrechnerei mit dem
Lohnsteuereinbehalt durch die Reeder und Ausbildungshilfen von einer Stiftung haben das alles nicht gebracht.
Schaffen wir das noch in dieser Wahlperiode? Ich
glaube, kaum. Sie dauert ja nur noch ein halbes Jahr, Herr
Beckmeyer. In den Ministerien ist die Arbeit größtenteils
bereits zum Erliegen gekommen. Das wird die Aufgabe
einer neuen Bundesregierung sein, dann aber endlich mit
rot-grüner Beteiligung - - dann aber endlich mit grüner
Beteiligung ({12})
vielleicht schaffen wir es ja auch mit Rot-Grün, werte
Kollegen von der Sozialdemokratie -, also: mit einer grünen Beteiligung, damit wir endlich den Blick nach vorne
werfen und nicht immer nur zurück in die Historie.
({13})
Wozu hat die Bundesregierung eigentlich einen Maritimen Koordinator? Man hört und sieht immer nur kurz
vor einer Maritimen Konferenz etwas von ihm. Dann
dürfen wir uns in der Sitzungswoche vorher mal hier
schnell mit der maritimen Wirtschaft beschäftigen. Wenn
ich so in die Runde schaue: Allzu viele Kolleginnen und
Kollegen sind dann nicht da.
({14})
- Dann machen wir doch nächstes Mal eine namentliche Abstimmung; dann werden es noch mehr. - Sonst ist
der Maritime Koordinator untergetaucht. Kein einziges
Thema hat er aufgegriffen, das die maritime Wirtschaft
wirklich nach vorne gebracht hätte. Stattdessen: Verwaltung des Status quo und weder Kraft noch Ideen für einen
zukunftsfähigen maritimen Standort. Seit 2014 liegt das
Thema „maritime Wirtschaft“ in der Bundesregierung
brach. Maßnahmen zur Förderung der Schifffahrtskrise:
wirklich Fehlanzeige! Kann eine inhaltsleere und kaum
greifbare Maritime Agenda von Herrn Beckmeyer mit
vielen, vielen Seiten wirklich eine Antwort auf die Krise sein? Hier hätte ich in solchen Zeiten schon deutlich
mehr erwartet als Worthülsen und Sonntagsreden.
Schauen wir uns ein weiteres Beispiel an. Für eine
umweltfreundliche Schifffahrt brauchen wir dringend
neue Kraftstoffe, weg vom giftigen und schmutzigen
Schweröl. Wir Grüne denken hier an LNG, also verflüssigtes Erdgas.
({15})
Die schädlichen Abgase sind deutlich reduziert. Zukünftig könnte der Treibstoff auch über Power to Gas, also
etwa aus erneuerbaren Energien, erzeugt werden.
({16})
Doch auch damit tut sich die Bundesregierung verdammt
schwer. Damit LNG als Treibstoff in den Häfen einfach
gebunkert werden kann, benötigen wir eine Anpassung
von Regelungen, und zwar einheitlich. Aber jeder Hafen erfindet stattdessen die Welt neu. Jetzt kündigen Sie
an, LNG über den Bundeshaushalt zu fördern. Das passt
aber nicht mit dem Flickwerk an Regularien in den Häfen zusammen. Sobald die ersten Schiffe in den Häfen
LNG bunkern wollen, stehen sie vor unlösbaren Genehmigungsproblemen.
Das Beispiel der LNG-Barge im Hamburger Hafen sei
hier als eines von vielen genannt. Das ist ein Schiff ohne
eigenen Antrieb, mit einer sauberen Stromerzeugung aus
LNG an Bord. Es soll Kreuzfahrtschiffe mit sauberem
Strom versorgen. Und es muss jetzt, wenn es benutzt
wird, Tag und Nacht von einem Schlepper bewacht werden. Hier müssen wir doch einmal zu pragmatischen und
vor allem bundeseinheitlichen Lösungen kommen. Hosenträger und Gürtel für einige ängstliche lokale Bedenkenträger braucht es nun wirklich nicht.
Frau Kollegin.
Werter Herr Präsident, ich komme zum Ende. Sie haben schon gesehen, dass ich in meinem Manuskript weiter nach vorne geblättert habe. Ich hätte noch ein paar
mehr Beispiele.
({0})
Das ist sehr beruhigend.
Um meine Ausführungen zu Ende zu bringen: Es wird
nun darauf ankommen, dass die lieben Kolleginnen und
Kollegen, die in der nächsten Wahlperiode dabei sind,
den Scherbenhaufen, den der Maritime Koordinator hinterlassen hat, aufkehren und aus dem Thema etwas machen. Es gibt wirklich genug zu tun. Packen wir es an!
Holen Sie den Maritimen Koordinator vom Katzentisch
im Wirtschaftsministerium ins Kanzleramt oder zumindest ins Verkehrsministerium!
({0})
Da gehört er hin. Dann passiert auch endlich etwas.
Herzlichen Dank.
({1})
Nun haben Sie, Frau Wilms, beinahe den hohen Wellengang in der Debatte verursacht, den Sie zu Beginn
vermisst haben. Wollen wir einmal schauen, wie es weitergeht.
Kollege Stein ist für die CDU/CSU-Fraktion der
nächste Redner.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Wilms, mit ein paar Punkten, die Sie
genannt haben, kann man durchaus in die Diskussion
gehen, aber 80 Prozent Ihrer Rede hat Ihnen wohl der
Klabautermann geschrieben.
({0})
Der Stimmung war das jedenfalls zuträglich.
Navigare necesse est - das ist der Leitspruch der Hanse, und er gilt noch heute. Schiffe bauen, Waren transportieren, Menschen transportieren, Ozeane und Kontinente
erkunden, Fischfang, Rohstoffe und erneuerbare Energie,
all das gehört heute zur maritimen Wirtschaft, und das
wirkt nicht nur an den Küsten, das wirkt bis tief ins Hinterland, das wirkt in die ganze Welt. Unsere deutsche maritime Wirtschaft hat also eine große gesamtwirtschaftliche Bedeutung, und deshalb liegt Ihnen heute dieser sehr
umfangreiche Antrag der CDU/CSU-geführten Koalition vor. An dieser Stelle möchte ich meinen besonderen
Dank an Rüdiger Kruse und an diejenigen richten, die daran mitgewirkt haben. Und ja, Herr Behrens: Der Antrag
enthält 78 Punkte. Die waren richtig fleißig.
({1})
Wir bekräftigen noch einmal das Engagement der
Bundesregierung auf dem Weg der Umsetzung der Maritimen Agenda 2025. Schätzungen gehen von einem jährlichen Umsatzvolumen in der maritimen Branche von
etwa 50 Milliarden Euro und von geschätzt 400 000 Arbeitsplätzen aus, die direkt oder indirekt in der maritimen
Branche angesiedelt sind. Auch die Bedeutung für den
Außenhandel ist enorm. Etwa 60 Prozent der Warenexporte und ein Großteil der Rohstoffexporte gehen über
den See- und Wasserweg, bei überseeischen Transporten
sind es sogar 90 Prozent.
Unsere maritime Wirtschaft, die See- und Binnenschifffahrt, der Schiffbau, sie alle sind aufs Engste mit
der Entwicklung des Welthandels und der Logistikwirtschaft verbunden. Auch das zeigt die besondere Stellung
der maritimen Branche. Wir sind in diesem Bereich, wie
wahrscheinlich in keiner anderen Branche, von globalen Ereignissen, von Veränderungen und Konjunkturschwankungen abhängig. Das ist der Grund, warum sich
die Bundesregierung und auch die Koalitionsfraktionen
die ganze Legislaturperiode über vehement damit beschäftigt haben, der Branche die Unterstützung zu geben,
die sie braucht.
An den norddeutschen Küsten, so auch in meinem
Bundesland Mecklenburg-Vorpommern und in meinem
Wahlkreis Rostock, sind Häfen die Logistikdrehscheibe und auch der Wachstumsmotor für eine brummende
Wirtschaft insgesamt. Wir haben die Voraussetzungen
zur Neuauflage des Förderprogramms Innovative Seehafentechnologien beim Bundesverkehrsministerium
neu geschaffen. Auch die Gesamtsituation der Werften
hat sich glücklicherweise stabilisiert. Innovation sowie
Forschung und Entwicklung sind dabei der Schlüssel.
Unsere gute Ausbildung, unsere Innovationskraft und
die jahrelange feste politische Begleitung und auch der
feste Wille, unsere Werftstandorte durch alle Tiefen zu
begleiten und zu erhalten, haben dazu geführt, dass die
Auftragsbücher derzeit wieder voll sind. Das erhält Arbeitsplätze. Forschung und Innovation schafft einen
Markt, aber braucht auch einen Markt, braucht Aufträge.
Deshalb gilt ein Teil unserer Aufmerksamkeit dem militärischen Teil der maritimen Industrie. Unsere Deutsche
Marine und unser Schiffbau sind eine Kernkompetenz
der nationalen Verteidigung.
({2})
Neben den Aufträgen aus der Marine trägt insbesondere der Boom im Kreuzfahrttourismus zu einem
Aufwuchs in der Branche bei. Gerade in diesen beiden
Bereichen des Werftbaus hat Deutschland höchste Technologie, erstklassige Qualität und hervorragende Fachkräfte zu bieten. Das Beispiel Mitsubishi zeigt, wie man
sich verheben kann; man hatte technologisch zwar alles
im Griff, aber wirtschaftlich wurde das Projekt völlig
versenkt. Das können wir besser.
({3})
Auch im Spezialschiffbau, in der Tiefseetechnologie
oder bei Offshoreprodukten sind wir quantitativ und
technologisch führend. Das wollen wir erhalten. Deshalb
haben wir die Innovationsförderung im vergangenen Jahr
im Bereich Schiffbau und Meerestechnik vorangetrieben
und den Mittelansatz des Bundes um 10 Millionen Euro
erhöht. Das stärkt die technologische Entwicklung unserer Werften und bei unseren Zulieferern. Das ist unsere
Kontinuität.
Auch die konkrete Umsetzung des Bundesverkehrswegeplans habe ich im Blick. Generell sollten Bund und
Länder gemeinsam auf eine enge Kooperation in der
Planung setzen und diese wirksam werden lassen. Das
gilt insbesondere für das notwendige Personal. Im Bereich der Wasserstraßen hat beispielsweise die Seekanalvertiefung in Rostock auf die notwendige Tiefe von
16,5 Metern Priorität im Vordringlichen Bedarf. Auch die
Fahrrinnenvertiefung in Wismar ist bestätigt. Herzlichen
Dank an alle, auch an die Haushälter, die dazu beigetragen haben, dies zu erreichen.
({4})
Im Zusammenhang mit dem Nationalen Hafenkonzept haben wir ein 350 Millionen Euro schweres Ausbauprogramm für Schienenanbindungen aufgelegt. Der
Abschluss dieser Maßnahmen ist auch ein Bekenntnis
des Bundes, dass die Schiene weiterhin ein wichtiger Teil
des kombinierten Ladungsverkehrs ist. Dadurch werden
unsere Fährstandorte gestärkt.
Die Häfen als Jobmotor fördern wir mit einer gezielten Qualifizierung von zusätzlich 1 000 Facharbeitern.
Wir unterstützen die Digitalisierung der Hafenwirtschaft
durch ein Programm für innovative Verkehrstechnologien. Wir denken bereits heute daran, das Förderprogramm
Innovative Hafentechnologien über das Jahr 2020 hinaus
zu verlängern. Auch das ist Teil unseres Antrages. Auch
das ist Kontinuität.
Den Ansatz zur Fortschreibung der Mobilitäts- und
Kraftstoffstrategie und der Förderung der alternativen
Kraftstoffe haben wir um 8 Millionen Euro erhöht. Weitere 6 Millionen Euro gehen in den Aufbau einer Tankund Ladeinfrastruktur im Bereich der alternativen Kraftstoffe und - Frau Wilms, Sie haben das angesprochen - in
den prioritären Aufbau der LNG-Hafeninfrastrukturen
an unseren Nord- und Ostseehäfen. Auch bundeseigene
Schiffe werden - das ist vom Bund in Auftrag gegeben auf LNG umgestellt. Das hat Vorbildcharakter. Auch das
zeichnet unsere maritime Politik aus.
({5})
Wir reden nicht nur von Technologieoffenheit, sondern wir schreiben sie auch fest, so auch in diesem Antrag. Es sollen weitere Optionen für umweltfreundliche
Antriebe geprüft werden, insbesondere Elektroantriebe.
Aber auch Wasserstoff halte ich für eine sehr interessante
Option für die Zukunft der Schifffahrt.
Zuletzt möchte ich den zunehmend wichtiger werdenden Bereich der Hafen- und Schiffssicherheit ansprechen.
In den Segmenten der Terrorabwehr, der Sicherheit der
Seewege, der Arbeitssicherheit der Crews, des Umweltschutzes, aber auch beim Kampf gegen Schmugglerei,
Piraterie und Menschenschiebereien tragen Forschung
und Entwicklung in unserer maritimen Branche global
erheblich zu Verbesserungen bei.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Schluss:
Die maritime Wirtschaft steht in der Wahrnehmung immer ein wenig im Schatten des Automobilbaus. Da gehört sie definitiv nicht hin.
({6})
Die Schifffahrt hat schon vor Tausenden von Jahren Massen bewegt und große Entfernungen überwunden, und
das mit erneuerbarer Energie als Antrieb. Da muss der
Automobil- und Flugzeugbau erst einmal noch hinkommen - und der Schiffbau wieder. Stimmen Sie mit uns
für diesen Antrag! Stärken Sie so die deutsche maritime
Wirtschaft, nicht nur weil sie es braucht, sondern weil sie
es verdient!
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Johann Saathoff für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Frau Wilms, viele, viele Worte
habe ich von Ihnen gehört, aber kein Wort zu Ihrem eigenen Antrag. Vielleicht ist das auch besser so, aber wenn
ich schon einen Antrag einbringe, dann würde ich darüber schon etwas erzählen. Stattdessen führen Sie hier im
Deutschen Bundestag eine Privatfehde mit dem Maritimen Koordinator.
({0})
Dabei gehe ich davon aus, dass es in ganz Deutschland
keinen Maritimen Koordinator gibt, der Ihre Zustimmung finden würde - keinen außer vielleicht Sie selber.
({1})
Das einzig Tolle an Ihrer Rede war aus meiner Sicht, dass
Sie eine rot-grüne Perspektive aufzeigen wollten, allerdings aus Versehen. An uns, liebe Frau Wilms, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, soll das nicht
liegen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg, dass das mit Ihrem
Beitrag anschließend auch klappt.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wi stahn d’för, wi
mutten d’dör, sagt man bei uns in Ostfriesland, wenn
man vor großen Herausforderungen steht, diese mutig
angehen möchte, ohne zu zögern. Mit diesem Satz habe
ich meine erste Rede in dieser Legislaturperiode begonnen. Dieser Satz gilt auch heute noch. Große Aufgaben,
insbesondere bei der Digitalisierung und der Automatisierung, liegen vor der maritimen Wirtschaft, Herausforderungen insbesondere für die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer in den Häfen und auf See.
Mein erster Job im Leben war Lascher im Emder Hafen, also Autos im Schiff festzubinden; so kann man das
für die Landratten hier unter uns erklären. Daher kann ich
sagen: Auf die Arbeit in und um die Häfen kommen enorme neue Aufgaben zu, und diese Arbeit wird sich maßgeblich verändern. Diese Herausforderung können wir
nur gemeinsam mit den Sozialpartnern angehen. Eines ist
klar: Wir wollen eine starke maritime Wirtschaft. Sie ist
von zentraler Bedeutung für die Exportnation Deutschland, gerade auch angesichts der Renationalisierungstendenzen, die weltweit einsetzen, sich aber hoffentlich
nicht durchsetzen werden. Wir wollen eine starke maritime Wirtschaft. Sie bedeutet Wertschöpfung und Arbeitsplätze für ganz Deutschland, nicht nur für den Norden.
Mit dem Koalitionsvertrag und der Maritimen Agenda
setzen wir die notwendigen Rahmenbedingungen, um die
maritime Wirtschaft zukunftsfähig zu gestalten und um
Wertschöpfung und Beschäftigung in den deutschen Häfen zu sichern. Wir wollen zum Beispiel das Förderprogramm für den innovativen Schiffbau verstetigen. Der
Erfolg der deutschen Werften ist der klaren Ausrichtung
auf Spezialschiffbau zu verdanken. Es geht den deutschen Werften im weltweiten Vergleich relativ gut. In
den Werften findet Hochtechnologie statt, und das wollen wir fördern. Zur Hochtechnologie gehören auch gute
Arbeitsplätze und gute Arbeitnehmer,
({3})
die Menschen also, die Hochtechnologie erst möglich
machen. Holdings zu gründen und die Sitze außerhalb
Deutschlands einzurichten - das will ich an dieser Stelle
auch klar sagen -, passt allerdings nicht in dieses Bild.
Die Menschen, die die Hochtechnologie möglich machen, sind auch in Fragen der Mitbestimmung bestens
geeignet und zu gebrauchen. Das können Sie mir glauben.
({4})
Die Stärke der maritimen Wirtschaft hängt ganz zentral von einer intakten Infrastruktur ab. Der Ausbau von
seewärtigen Zufahrten und Hafenhinterlandanbindungen
sowie der Breitbandausbau in den Häfen müssen weiter
forciert werden. Dabei liegt mir persönlich natürlich der
westlichste Hafen, der Seehafen Emden, ganz besonders
am Herzen. Ich freue mich, dass das bei Ihnen auch so ist.
In unserem letzten Koalitionsantrag im Oktober 2015
haben wir bereits wegweisende Entscheidungen getroffen, die ein klares Bekenntnis zur deutschen Flagge darstellen. Wir haben auch die Überprüfung mit beschlossen - ich bin froh, dass der Maritime Koordinator darauf
hingewiesen hat -, ob diese Maßnahmen anschließend
fruchten. Es wäre natürlich wünschenswert, dass die
deutsche Flagge anfängt zu wachsen, bevor die ersten
Schiffe autonom und ohne Besatzung fahren.
Das Bekenntnis zur deutschen Flagge ist für mich
auch ein Bekenntnis zum Maritimen Bündnis. Nur im
Dialog mit allen Beteiligten an einem Tisch kann die maritime Branche zukunftsfähig gestaltet werden. Deswegen geht mein Dank in diesem Zusammenhang an Uwe
Beckmeyer für seine Arbeit als Maritimer Koordinator.
({5})
Ich danke ihm für die Ausrichtung der Maritimen Konferenzen, für die Erarbeitung der Maritimen Agenda 2025
und vor allen Dingen für den kontinuierlichen, unermüdlichen und manchmal sicher auch leidvollen Dialogprozess mit allen Beteiligten.
({6})
Herr Saathoff, darf der Kollege Behrens Ihnen zwischendurch eine Frage stellen?
Herr Präsident, mit größtem Vergnügen.
Das habe ich mir fast gedacht. - Bitte schön.
Vielen Dank. - Kollege Saathoff, Sie haben eben das
Maritime Bündnis erwähnt. Sie haben sicherlich zur
Kenntnis genommen, dass das Maritime Bündnis - zumindest was den Bündnispartner Gewerkschaften betrifft - eigentlich tot ist. Die Gewerkschaften haben für
sich Folgendes festgestellt: Sie haben über Jahre versucht, zusammen mit Unternehmern und mit der Bundesregierung eine gemeinsame Wende hinzubekommen,
aber am Ende haben die Beschäftigten den Kürzeren geJohann Saathoff
zogen und eine Umverteilung zulasten der Steuerzahler
und zugunsten der Reeder beobachten müssen. Wovon
sprechen Sie, wenn Sie von einer Fortsetzung des Maritimen Bündnisses sprechen?
({0})
Herr Kollege Behrens, es ist in der Wirtschaft ganz
normal, dass es Zeiten gibt, in denen man auf hervorragender Ebene zusammenarbeiten kann, und dass es Zeiten gibt, in denen es schwierig ist, zusammenzuarbeiten.
Der Kern der Schwierigkeiten wurde ja sozusagen auf
der letzten Maritimen Konferenz geboren. Da ging es gar
nicht darum, was beschlossen worden ist, sondern um die
Art und Weise, wie es verkündet worden ist. Wir waren
damals beide anwesend. Trotzdem ist es so - zumindest
aus meiner Sicht -, dass man deshalb nicht von einem
Tod des Bündnisses sprechen kann, sondern ganz im Gegenteil: Gerade wenn die Zeiten schlecht sind, muss man
sich zusammenraufen und versuchen, den Dialog miteinander zu halten. In der SPD-Küstengang machen wir
das regelmäßig, indem wir zum Beispiel versuchen, die
Potenziale abzustecken, auf welcher Basis man wieder
zueinander kommen kann, und zu schauen, wie man das
Maritime Bündnis wieder zu dem machen kann, was es
ursprünglich einmal war bzw. wozu es gedacht ist. Die
Gespräche, die wir geführt haben, lassen mich voller
Hoffnung sein, dass das in Zukunft wieder auf einer vernünftigen Basis vorangeht.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich halte es für
richtig, dass die Maritimen Konferenzen, die ihren Ursprung in Emden gehabt haben, weiter geführt werden.
Hochtechnologie wie im Schiffbau gibt es auch in der
Offshorewindindustrie. Sie sorgt auch für Wertschöpfung und Arbeitsplätze, und zwar in ganz Deutschland.
Die Offshoreindustrie hat gezeigt, welche Chancen die
Generationenaufgabe der Energiewende mit sich bringt.
Die Ziele der Energiewende gelten jedoch nicht nur
für die Offshoreindustrie, sondern sie gelten zugleich für
die maritime Branche. Hier müssen Beiträge geleistet
werden, damit wir die Klimaziele in Paris auch erreichen
können. Alternative Antriebe spielen eine entscheidende
Rolle. Insbesondere Green Shipping ist ins Zentrum der
Aufmerksamkeit gerückt. LNG-Antriebe haben große
klimapolitische Potenziale. Das muss unbedingt gefördert und ausgebaut werden.
Auch Elektromobilität wird eine immer wichtigere
Rolle spielen. Insbesondere beim Fährverkehr und in der
Binnenschifffahrt, aber auch beim Hafenumschlag und
-transport wollen wir Elektromobilität verstärkt fördern.
Der Bund sollte bei öffentlichen Beschaffungen mit gutem Beispiel vorangehen und diese Schiffe mit alternativen Antrieben ausstatten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Sprichwort gilt:
Wi stahn d’för, wi mutten d’dör. Die maritime Wirtschaft
steht vor großen Herausforderungen. Digitalisierung und
Industrie 4.0 werden die Branche nachhaltig prägen.
Ich möchte mich abschließend herzlich bedanken bei
meiner Kollegin Birgit Malecha-Nissen und bei Herrn
Kruse für die gute Zusammenarbeit bei der Erarbeitung
des vorliegenden Antrags, an dem zehn Arbeitsgruppen
mitgewirkt haben. Das allein zeigt schon, dass viele Kolleginnen und Kollegen daran interessiert sind.
Ich freue mich weiterhin auf die gute Zusammenarbeit
und die Kooperation mit dem Bundeswirtschaftsministerium einerseits und dem Verkehrsministerium andererseits zum Wohle der maritimen Wirtschaft in Deutschland.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Philipp Murmann erhält nun das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich
auch noch ein Glas Wasser bekommen könnte, wäre das
ganz toll.
Das ist jedenfalls bis zum Ende der Rede zugesagt, ja.
({0})
Ganz toll, vielen Dank. Ich habe einen wahnsinnig trockenen Mund.
({0})
- Und das bei diesen großartigen Reden. Das ist eigentlich verwunderlich.
Sie haben sich aber vergewissert, dass es kein Salzwasser ist?
({0})
Nein, aber auch damit würde ich zurechtkommen.
({0})
Frau Wilms, eines hat man Ihnen angemerkt: Opposition macht Ihnen richtig Spaß. Das sollte vielleicht
so bleiben, vor allen Dingen wenn ich die Kernthemen
Ihrer maritimen Politik zusammenfasse: Verschrotten,
verschrotten, verschrotten, und was noch übrig ist versenken.
({1})
Das, denke ich, kann nicht die Zukunft der maritimen
Wirtschaft in Deutschland sein. Deswegen, meine Damen und Herren, ist es gut, dass wir Maritime Konferenzen haben.
Die 9. Maritime Konferenz im vorletzten Jahr war
auch von den Themen geprägt, die aus unserem Antrag
hervorgegangen sind. Der Bundesverkehrswegeplan hat
viele Elemente für die maritime Wirtschaft, die wir mit
eingebracht haben: Nord-Ostsee-Kanal, Hafenhinterlandanbindungen, aber auch seewärtige Zufahrten. Wir haben das Nationale Hafenkonzept mit 155 Einzelmaßnahmen. Auch das LNG-Förderprogramm für Greentech, ein
wichtiges Element, wurde schon angesprochen. Insofern
haben wir schon sehr stark mit dazu beigetragen, dass
sich in diesem maritimen Bereich etwas tut.
So soll es natürlich auch bei der 10. Maritimen Konferenz in Hamburg sein, die nun vor uns liegt. Man muss
ehrlich sagen, Herr Beckmeyer: Die Erwartungen der
Branche sind nicht so euphorisch. Sie hätte sich etwas
mehr Dialog, wie es bei der 9. Maritimen Konferenz war,
gewünscht.
({2})
Aber wir haben die Chance, das bei der Maritimen Konferenz mit Dynamik und Angriffslust zu beleben.
Wir haben einen neuen Antrag gestellt. Herzlichen
Dank dafür an Rüdiger Kruse und Herrn Saathoff als die
beiden Federführer für unsere Fraktionen. Ich denke, es
sind sehr viele interessante Sachen herausgekommen.
Auf einige möchte ich gern im Detail noch eingehen.
Das Deutsche Maritime Zentrum wurde angesprochen. Ich meine, das ist eine sehr sinnvolle Sache. Ich bin
froh, dass sich das Verkehrsministerium jetzt der Sache
angenommen hat, das auch umzusetzen.
({3})
Wir haben eine sehr breit aufgestellte Branche im maritimen Bereich: Häfen, Logistik, Lotsen, Werften, Reeder, Schiffstechnologien, Antriebe, Navigation, Meeres-Offshore-Technologie bis hin zu Bootsbauern mit
sehr neuen Materialien. Sie kennen diese Trimarane. Das
sind Hightechgeräte, die jetzt beim America’s Cup segeln. Auch solche Schiffsbauer gibt es in unserem Land.
Auch sie müssen wir mitnehmen. Das Deutsche Maritime Zentrum hat die Chance, das alles zu koordinieren
und auch die Standards auszubauen, über die am Ende in
der IMO entschieden wird. Um in der IMO eine starke
Stimme zu haben, ist es, denke ich, gut, wenn eine möglichst umfassende Koordination stattfindet. Deswegen
bin ich dafür, dass wir das Deutsche Maritime Zentrum
einrichten.
({4})
Drei Themen aus unserem Antrag möchte ich kurz
aufgreifen:
Erstes Thema. Systemfähigkeit ist eine Kernkompetenz der deutschen maritimen Wirtschaft. Es geht nämlich nicht nur darum, gute Komponenten zu fertigen,
sondern auch darum, daraus ein in sich optimiertes System zu machen. Deswegen haben wir schon vor langer
Zeit gefordert - es ist natürlich unsere Bitte, dass das
auch umgesetzt wird -, die Systemfähigkeit zu stärken
und den Überwasserschiffbau wieder zu einer Kernkompetenz zu erklären, sowohl im Verteidigungsbereich als
auch in anderen Bereichen. Denn wir leben in großem
Umfang davon, dass wir aus Hightechkomponenten Systeme bauen, die auch wettbewerbsfähig sind.
Was die Wettbewerbsfähigkeit betrifft, Herr Behrens,
sollten Sie vielleicht einmal mit Ihren Kollegen von der
Kommunistischen Partei in China darüber sprechen, wie
man das Thema „Maritime Wirtschaft“ dort bearbeitet.
({5})
- Ich habe mit denen noch nie gesprochen.
({6})
Das Problem, das wir haben, ist, dass wir bei uns eine
mittelständische Wirtschaft haben, die mit Staatskonzernen im Wettbewerb steht. Das ist übrigens nicht nur in
China so, sondern auch in Frankreich und zum Teil in
Italien. Das alles sind staatliche Firmen. Hier trägt natürlich auch die Politik die Verantwortung, die Rahmenbedingungen für unsere Firmen so zu setzen, dass sie in
diesem Wettbewerb bestehen können. Deswegen ist die
Systemfähigkeit ein wesentliches Element.
({7})
Zweiter Punkt: das nationale Meeresforschungszentrum. Auch dies ist aus meiner Sicht eine sinnvolle Initiative. Wir haben in Deutschland im Bereich der
Meeresforschung eine hervorragende wissenschaftliche
Kompetenz. Das ganze Thema „Bewältigung des Klimawandels“ lässt sich eben nur im Rahmen einer vernetzten
Kommunikation richtig angehen. Dazu zählt die deutsche
Forschungsflotte, die wir unterstützen und ausbauen.
({8})
Aber dazu gehören natürlich auch die Umweltbeobachtung und heutzutage vor allen Dingen in der Meeresforschung die Dateninfrastruktur bzw. die Vernetzung von
Daten.
Ein drittes wichtiges Thema ist für mich als Finanzpolitiker die Einfuhrumsatzsteuer. Dies ist vielleicht ein
etwas spezielles Thema, aber Sie müssen sich einmal
Folgendes vorstellen: Wenn man mit dem Schiff nach
Rotterdam fährt, kann man mit dem Container, den man
an Bord hat, einfach in den Hafen hineinfahren. Man
muss nicht erst Umsatzsteuer bezahlen und dann zwei
Monate warten, bis man sie zurückbekommt, sondern
man kann sie sofort mit der Vorsteuer verrechnen. Das ist
für deutsche Häfen ein großer Nachteil. Deswegen ist unsere Bitte ans Finanzministerium, diesen Wettbewerbsnachteil für deutsche Häfen wie Hamburg, Emden oder
Bremerhaven zu beseitigen. Die Einfuhrumsatzsteuer ist
übrigens auch unnötig, weil sie am Ende gar kein Geld
bringt. Dass die Schiffe aus diesem Grund nach Rotterdam fahren - es gibt solche Beispiele -, ist wirklich sinnlos. Deswegen sollten wir auch dieses Thema angehen,
meine Damen und Herren.
({9})
Letzter Punkt. Die Stärkung der maritimen Wirtschaft
ist eine nationale Aufgabe. Deswegen hätte ich mir eigentlich erhofft, dass etwas mehr Bayern hier wären.
Einige Baden-Württemberger sind ja immerhin da. Dort
ist die Wertschöpfung im maritimen Bereich nämlich
besonders hoch. Der Küstenkreis war im letzten Jahr in
Friedrichshafen, um hier ein Signal zu setzen; ich glaube,
das ist auch gut angekommen. Die Stärkung der maritimen Wirtschaft ist, wie gesagt, eine nationale Aufgabe.
Ich bitte Sie alle, intensiv daran mitzuwirken und unseren
Antrag zu unterstützen.
Vielen Dank.
({10})
Nun hat für die SPD-Fraktion die Kollegin Dr. Birgit
Malecha-Nissen das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geisterschiffe
haben seit jeher die Fantasie der Menschen beflügelt. Die
bekannteste Legende ist sicherlich die vom fliegenden
Holländer, von einem Kapitän, dessen Gotteslästerung
sein Schiff zum ewigen Kreuzen auf den Weltmeeren
verdammte. Künftig könnten Geisterschiffe jedoch nicht
sagenumwoben, sondern als Containerriesen dem Horizont entgegenfahren: ohne Kapitän, ohne Besatzung an
Bord, stattdessen ferngesteuert von einem Terminal und
einer Kapitänin bzw. einem Kapitän am Bildschirm. Das
wäre familienfreundlich. Nach der Schicht könnte man
nach Hause oder zum Sport gehen oder sein Kind von
der Kita abholen. Das hört sich jetzt noch nach Science-Fiction an, ist aber in der Entwicklung - das wissen
viele von Ihnen -, und die grundlegende Technik dafür
gibt es bereits.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn das autonome Fahren noch Zukunftsmusik ist - da stehen noch
viele rechtliche Fragen im Raum -, ist Fakt: Digitalisierung und Automatisierung schreiten immer rasanter voran, und sie werden die Arbeitswelt revolutionieren.
Bereits jetzt ist mehr möglich, als sich der Einzelne
vielleicht vorstellen kann. Hier wollen wir gewappnet
sein. Deshalb ist die Ausrichtung der anstehenden 10. Nationalen Maritimen Konferenz auf das Schwerpunktthema Digitalisierung genau am Puls der Zeit. Ich danke
unserem Maritimen Koordinator, Uwe Beckmeyer, für
diese Weitsicht.
Mit unserem Koalitionsantrag setzen wir einen Meilenstein zur Sicherung und zum Ausbau unserer Marktführerschaft und unseres maritimen Know-hows sowie
zur Sicherung von Arbeit und Beschäftigung. Mein Dank
geht auch an alle Kolleginnen und Kollegen, die mitgearbeitet haben, ganz besonders natürlich an meinen Kollegen von der CDU, Rüdiger Kruse, und meinen Ko-Lotsen aus der Küstengang, Johann Saathoff.
({0})
Tatsache ist, dass wir vor wirklich schwierigen Zeiten
stehen und dass sich die deutsche Handelsflotte seit 2013
um mehr als 20 Prozent reduziert hat. Auch die Zahl der
Schiffe unter deutscher Flagge hat weiter abgenommen.
Zur Sicherung von Arbeit und Beschäftigung haben
wir auf der Maritimen Konferenz 2015 entsprechende
Maßnahmen vereinbart, wie zum Beispiel die Erhöhung
des Lohnsteuereinbehalts von 40 Prozent auf 100 Prozent.
({1})
Man muss sich nun die Frage stellen, ob das auch zielführend ist. Deshalb wird es im Jahre 2020 eine Evaluierung mit scharfem Blick auf Arbeit und Beschäftigung an
Land und auf See geben.
In diesem Zusammenhang weise ich ausdrücklich auf
die Änderung der Schiffsbesetzungsverordnung und die
Reduzierung von fünf auf zwei europäische Seeleute hin.
Der Verband Deutscher Reeder hat sich im Gegenzug in
einer Vereinbarung mit dem Bundesverkehrsministerium
verpflichtet, die Anzahl der deutschen und europäischen
Seeleute zu stabilisieren und zu steigern. Auch das muss
auf den Prüfstand. Auch hier steht eine Evaluierung an,
und zwar 2020. Um es ganz klar zu sagen: Die Anzahl
der Schiffe unter deutscher Flagge sagt nicht direkt etwas
über die tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse aus.
Diese Änderung der Schiffsbesetzungsverordnung ist
ohne den Sozialpartner getroffen worden. Deswegen ist
Verdi aus dem Maritimen Bündnis für Ausbildung und
Beschäftigung ausgestiegen. Das ist sehr schade, jedoch
verständlich. Unser Ziel ist - das hat mein Kollege Johann
Saathoff ja auch ganz klar dargestellt -, alle Bündnispartner wieder an einen Tisch zu bekommen; denn mit Blick
auf die Arbeit von morgen kann die Antwort nur heißen:
Ausbildung, Weiterbildung und Qualifizierung. Dafür
brauchen wir starke Tarifpartner und alle an Bord.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss komme ich noch zu einem anderen Thema: Mir persönlich
liegt der Klimaschutz sehr am Herzen. Ich bin Anrainerin einer Hafenstadt, nämlich der Hafenstadt Kiel. Mit
Blick auf gute Luft in den Hafenstädten und mit Blick
auf die Feinstaubbelastung ist für mich „Landstrom“ das
Zauberwort. Deshalb ist die Ermäßigung - besser noch
der Wegfall - der EEG-Umlage für die Landstromversorgung von Schiffen während der Liegezeiten dringend
notwendig. Das ist mein Ziel für die nächste Legislaturperiode.
Vielen herzlichen Dank.
({3})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Hans-Werner Kammer für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Stein, das Wort
„Klabautermann“ habe ich in der CDU/CSU-Fraktion
für mich geschützt.
({0})
Sie haben aber recht: Bei den Beiträgen der Opposition
darf man es durchaus verwenden.
Bei der Rede des Kollegen Behrens von den Linken
habe ich nicht verstanden, in welchem Land, auf welcher
Welt er überhaupt lebt. Der Redebeitrag war nicht einmal
des Klabautermanns würdig.
({1})
Zum Thema selbst: Es herrscht raue See für die maritime Wirtschaft. Gerade jetzt, da sich die Schifffahrt nach
langer Krise in einer Konsolidierungsphase befindet,
bricht der Markt für den Schiffbau ein. Seit 2013 ist der
Umfang an Schiffbauaufträgen weltweit um 75 Prozent
eingebrochen. Die deutschen Werften sind trotzdem noch
gut im Geschäft, weil sie im Frachtschiffbau keine große
Rolle spielen.
Die maritime Wirtschaft umfasst aber mehr als Werften und Reeder. Betroffen vom Auftragsrückgang sind
vor allem die zahlreichen Zulieferbetriebe aus ganz
Deutschland.
({2})
Wir alle wissen - das gilt auch für die Opposition -: Bei
schönem Wetter kann jeder segeln, erst bei Sturm bewährt sich der gute Kapitän.
({3})
Die unionsgeführten Bundesregierungen haben seit
2005 viel für die maritime Branche bewegt, etwa im
Flaggenrecht, mit der Schiffsbesetzungsverordnung und
mit dem Infrastrukturausbau. In schwierigen Zeiten hat
sich vor allem das Bundesverkehrsministerium als zuverlässiger Partner erwiesen. Die Branche kann sich nicht
nur auf Verkehrsminister Dobrindt, sondern besonders
auch auf den Staatssekretär Enak Ferlemann als erfahrenen Lotsen verlassen. Dafür möchte ich einmal Danke
sagen.
({4})
Daher bin ich zuversichtlich, dass das Bundesverkehrsministerium die verkehrspolitischen Forderungen
unseres Antrages so schnell wie möglich umsetzen wird,
etwa die Reform der Seelotsenausbildung, die Automatisierung und die Digitalisierung der Hafenprozesse, das
Nationale Hafenkonzept und die weitere Modernisierung
der Flaggenstaatsverwaltung. Nicht zu vergessen sind
die Erhaltung und die Weiterentwicklung des maritimen
Know-hows in Deutschland; denn ohne dieses Fachpersonal blutet die maritime Wirtschaft aus.
Wichtigster Schwerpunkt wird jedoch die Abarbeitung
des Bundesverkehrswegeplans sein. Trotz aller Digitalisierung der Wirtschaft, sehr geehrte Frau Wilms, braucht
Deutschland weiterhin eine Optimierung von Straße,
Schiene und Wasserstraße. Unser Verkehrsnetz - von der
Flensburger Förde bis zum Bodensee - ist das Rückgrat
der deutschen Wirtschaft. Damit das so bleibt, setzen wir
auf die seewärtigen Zufahrten und Hinterlandanbindungen der deutschen Seehäfen, Maßnahmen wie die Sanierung des Nord-Ostsee-Kanals, die Elbvertiefung, die
zahlreichen Engpassbeseitigungen im Fernstraßen- und
Schienennetz sowie bei den Binnenwasserstraßen. Ich
persönlich bin davon überzeugt: Ohne klassische Transportinfrastruktur wird die maritime Wirtschaft in Zukunft
nicht funktionieren.
({5})
Aber, liebe Frau Wilms, zur Kehrseite der Medaille:
Aus Niedersachsen kann ich jede Woche in der Presse
eine neue Ankündigung lesen, wie die rot-grüne Landesregierung mit dem SPD-Verkehrsminister mit diesen
wichtigen Verkehrsprojekten umgehen will.
({6})
Egal, ob Ems, Elbe, Weser, Küstenautobahn oder A 39:
Nachhaltig ist bei den Grünen nur die Blockadehaltung.
Während die SPD Segel setzen will, werfen die Grünen
den Anker. Dann steht das Schiff still.
Im Antrag der Grünen macht die Kollegin Wilms den
Maritimen Koordinator Uwe Beckmeyer für vier verlorene Jahre verantwortlich. Dazu sage ich: Jeder kehre vor
seiner eigenen Tür. Die Arbeit, die Ihre grünen Parteifreunde seit 2013 in Hannover geleistet haben, ist vertrödelte Zeit.
({7})
Diese Politik der Verweigerung und des Schlechtredens ist nicht nur ein Handicap für Niedersachsen, sondern für ganz Deutschland. Deshalb machen CDU und
CSU diesen Kurs nicht mit. Die deutschen Arbeitnehmer
und Arbeitgeber können sich auf eines verlassen: Volle
Fahrt voraus für eine maritime Wirtschaft gibt es nur mit
der Union.
Herzlichen Dank.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen damit zur Abstimmung zu dem Tagesordnungspunkt 3 a über den Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD auf der Drucksache 18/11725
mit dem Titel „Innovation und Forschung als Wettbewerbsvorteil der deutschen maritimen Wirtschaft“. Wer
stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist der Antrag mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Zum Tagesordnungspunkt 3 b und 3 c sowie zum Zusatzpunkt 1 wird interfraktionell die Überweisung der
Vorlagen auf den Drucksachen 18/10911, 18/11150 und
18/11742 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Finanzdienstleistungsaufsichtsrechts im Bereich der Maßnahmen
bei Gefahren für die Stabilität des Finanzsystems und zur Änderung der Umsetzung der
Wohnimmobilienkreditrichtlinie ({0})
Drucksachen 18/10935, 18/11420, 18/11472
Nr. 1.5
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
Drucksache 18/11774
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Auch das ist
offensichtlich einvernehmlich. Dann verfahren wir so.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Antje Tillmann das Wort.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Im Finanzbereich waren die letzten Jahre von Krisen geprägt,
für die wir unter Zeitdruck Lösungen finden mussten. In
der Bankenkrise haben wir gefühlt in einer Woche einen
immensen Rettungsschirm aufgebaut. 2010 mussten wir
in der Griechenland-Krise genauso schnell handeln. Und
in der Schuldenkrise haben wir sehr zügig einen Rettungsschirm für europäische Staaten aufgebaut.
Es ist gut, dass wir das Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz heute ganz ohne Zeitdruck und ganz ohne
akute Situationen und Handlungsbedarfe in Ruhe beraten
können. Auch ist gut, dass wir hier beraten können, ob
wir der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
für den Immobilienbereich zusätzlich differenzierte Instrumente an die Hand geben, mit denen sie dann reagieren kann, wenn es Schwierigkeiten in diesem Sektor gibt.
Ich sage ganz deutlich: Weder die Bundesbank noch
die BaFin sehen aktuell eine Immobilienkrise. Die Bundesbank weist darauf hin, dass es für das Entstehen einer
Blase neben stark steigenden Preisen, wie wir sie in einigen Städten sehr wohl haben, sowie einer laxeren Kreditvergabepraxis auch einer stark expansiven Ausdehnung
der Immobilienkredite bedurft hätte. Das Wachstum der
Immobilienkredite lag 2016 um 3,7 Prozent höher als im
Vorjahr und damit absolut im Rahmen des langjährigen
Durchschnitts. Es gibt also keine Krise auf dem Immobilienmarkt.
Beide Aufsichtsbehörden empfehlen aber, prophylaktisch Instrumente einzuführen, um, falls es zu einer solchen Situation käme, auch reagieren zu können. Diese
Auffassung teile ich. Natürlich hätte die BaFin auch heute schon Instrumente, um in einem solchen Fall einzugreifen. Diese Instrumente sind aber so grobschlächtig,
dass davon auch andere Kreditvergaben - zum Beispiel
im Bereich der Wirtschaft, bei der es überhaupt keine
Schwierigkeiten gibt - betroffen wären. Deshalb wollen
wir zielgenauere Instrumente.
Der Ausschuss für Finanzstabilität hat uns hierzu vier
Instrumente vorgeschlagen: erstens Eingriffe in die Kreditvolumen-Immobilienwert-Relation, also bezüglich der
Obergrenze für das Verhältnis zwischen Darlehenshöhe
und Immobilienwert; zweitens für die Anforderungen zur
Amortisation; drittens für Schuldendienstfähigkeit, also
hinsichtlich einer Obergrenze für den Schuldendienst im
Verhältnis zum Einkommen, und viertens für eine Gesamtverschuldung-Einkommen-Relation, also in Bezug
auf eine Obergrenze für das Verhältnis zwischen Gesamtverschuldung und Einkommen.
Nach sehr intensiven Beratungen haben wir uns darauf
verständigt, die ersten zwei Instrumente einzuführen. Mit
diesen kann die BaFin den Kreditgebern bestimmte Mindeststandards für die Vergabe von Neukrediten für den
Erwerb oder den Bau von Wohnimmobilien vorgeben,
wenn dies zur Abwehr einer drohenden Gefahr im Wohnimmobilienmarkt erforderlich ist.
Wir kombinieren diese Instrumente mit einer Bagatellgrenze und mit Schwellenwerten. Kredite bis
50 000 Euro werden von den neuen Instrumenten gar
nicht erfasst. Daneben ziehen wir zwei weitere Schwellenwerte ein. Der erste liegt bei 200 000 Euro. Bei Krediten mit einer Beleihungsgrenze von 80 Prozent des Beleihungswertes bis 200 000 Euro werden auch diese nicht
erfasst. Bei 400 000 Euro liegt die Beleihungsgrenze bei
60 Prozent. Auch solche Kredite bis 400 000 Euro werden nicht von den zusätzlichen Regulierungsmaßnahmen
erfasst. Darüber hinaus hat jede Bank Freikontingente,
wo sie trotz dieser Schwellenwerte bzw. bei Überschreitung Kredite gewähren kann.
Daneben haben wir bestimmte Bereiche im Wohnungsbau von dieser Regulierung komplett ausgenommen, zum Beispiel den sozialen Wohnungsbau, die
Renovierung von Wohnimmobilien und Anschlussfinanzierungen. Auch für diesen großen Bereich gelten die
zusätzlichen Beschränkungen und Regulierungsmaßnahmen überhaupt nicht. Das haben wir deswegen getan,
weil wir Wohnungsbau brauchen. Wir fördern ihn deshalb in erheblichem Umfang auch aus dem Bundeshaushalt. Für den sozialen Wohnungsbau stellen wir jedes
Jahr 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung.
Mit den Instrumenten, die wir über das Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz neu beschließen, wollen
wir den Aufschwung auf dem Wohnungsmarkt nicht belasten. Wir wollen, dass Menschen Wohnungen bauen;
denn der beste Schutz gegen steigende Mieten ist eine
hinreichende Anzahl von Wohnungen. Deshalb treten
die Instrumente, die wir heute beschließen werden, auch
nicht automatisch in Kraft, sondern wir erwarten von der
BaFin, dass sie vor Inkraftsetzen den Finanzausschuss
des Deutschen Bundestages informiert. Das haben wir im
Gesetz festgelegt. Wir haben dann auch noch festgelegt,
dass es eine Frist von sechs Wochen vor Scharfschaltung
dieser Instrumente gibt, um mit den betroffenen Verbänden, mit Wohnungsunternehmen und Bauunternehmen,
aber auch mit der Kreditwirtschaft zu beraten, ob es einer
solchen Scharfschaltung dieser Instrumente tatsächlich
bedarf. Auch da haben wir also noch eine Sicherheitsschwelle eingebaut, um mit diesen neuen Instrumenten
vernünftig umgehen zu können.
In dieser Kombination ist der Gesetzentwurf ausgewogen. Wir erhöhen die Kompetenz der BaFin gegen
Überhitzung auf dem Wohnungsmarkt und schützen so
die Verbraucherinnen und Verbraucher vor Fehlentscheidungen, und wir würgen den Wohnungsbau nicht da ab,
wo wir ihn dringend brauchen.
Wir werden diese Instrumente regelmäßig überprüfen, evaluieren und im Blick behalten. Selbstverständlich
werden wir nachsteuern, wenn es den Bedarf gibt. Aber
vorerst ist es ein gutes Gesetz, ein erster Schritt in die
richtige Richtung, und ich kann Sie guten Gewissens um
die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf bitten.
Ich danke Ihnen.
({0})
Axel Troost ist für die Fraktion Die Linke der nächste
Redner.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Beginn der globalen Finanzkrise liegt bald zehn Jahre
zurück, und nicht nur wir Linken bezweifeln, dass wir
als Parlament genug aus der Krise gelernt haben. Als
Auslöser der globalen Finanzkrise gelten das Platzen der
Preisblase am US-Immobilienmarkt und der nachfolgende Kollaps einer ganzen Gattung windiger Wertpapiere.
Anschließend platzten auch in Island, Irland und Spanien
irrwitzige Immobilienblasen.
Niemand wird bestreiten, dass Immobilienblasen ein
ganz typischer Auslöser für Finanzmarktkrisen sind.
Immobilienblasen sind ein immer wiederkehrendes Problem, weil Immobilien nicht nur ein konkretes Bauwerk
mit Nutzwert sind, sondern weil es auch eine Geldanlage
ist. Sobald es die Erwartung gibt, dass die Preise von Immobilien steigen, werden sie automatisch zum Spekulationsobjekt. Denn man kann damit nicht nur Einnahmen
aus Vermietung erzielen, sondern auch Gewinn beim
Weiterverkauf.
Die Folge: Immer mehr Investoren und Privatleute
kaufen Immobilien auf Kredit. Die Preise für Häuser und
Wohnungen steigen weiter an. Die Blase bläht sich immer weiter auf.
Auch Deutschland ist gefährdet, da zwar die wirtschaftliche Entwicklung gut ist, die Zinsen für Immobilienkredite aber wegen der Krise in den meisten anderen
europäischen Ländern extrem niedrig sind. Schon seit
Jahren beobachten wir Preissteigerungen für Wohnimmobilien in deutschen Ballungsräumen von teilweise bis
zu 10 Prozent jährlich.
Wir haben es daher grundsätzlich sehr begrüßt, dass
die Bundesregierung aus der Krise immerhin die Konsequenz gezogen hat, ein ernstgemeintes Vorwarnsystem
gegen Finanzkrisen aufzubauen. Der dazu installierte
Ausschuss für Finanzstabilität, bestehend aus Vertretern
des Bundesfinanzministeriums, der Finanzaufsicht BaFin
und der Bundesbank, hat seine Aufgabe wirklich ernst
genommen und im Zuge der Finanzmarktbeobachtung
auf eventuelle Gefahren einer Immobilienblase hingewiesen. Dieser Ausschuss hat dem Parlament konkrete
Handlungsempfehlungen vorgelegt, wie durch zusätzliche Instrumente für die Finanzaufsicht die Risiken einer
Immobilienblase reduziert werden können. Dann hat die
Bundesregierung diese Handlungsempfehlungen tatsächlich in einen Gesetzentwurf umgemünzt. Das ist zwar alles nicht revolutionär, aber immerhin solide Handwerksarbeit.
Dann - Tatort Berlin, Februar/März 2017 - lässt sich
die Große Koalition im Gesetzgebungsverfahren zwei
der vom Ausschuss für Finanzstabilität vorgeschlagenen
vier Instrumente gegen eine Immobilienblase kurzerhand
von den Banken wieder ausreden.
({0})
Ich sage nur: Wer den Sumpf trockenlegen will, der darf
nicht die Frösche befragen.
({1})
Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, sind nach
guter alter Tradition der Bankenlobby wieder komplett
auf den Leim gegangen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetzentwurf blamiert sich die Koalition nicht nur selbst,
sondern sie blamiert auch ihre eigene Bundesregierung
und deren Frühwarnsystem. Bundesbank und BaFin sind
sicher unverdächtig, linksradikale Einschnitte ins Bankensystem vornehmen zu wollen, aber selbst deren vorsichtige Vorschläge, wie eine Regulierung zielgerichtet
verschärft werden kann, werden von Ihnen sabotiert.
Die Vertreterinnen und Vertreter der Bundesbank und
auch des Sachverständigenrates haben auf Nachfrage in
der Anhörung betont, dass die vier ursprünglich vorgesehenen Instrumente der Standard seien, den „man eigentlich haben sollte, wenn man die Systemstabilität gewährleisten will“. Andere Länder haben sogar deutlich mehr
Instrumente.
({2})
Sie haben zwei dieser Instrumente beseitigt. Es wurde
schon darauf hingewiesen: Sie haben weitere Maßnahmen zurückgenommen und letztlich sogar beschlossen,
dass die Instrumente, wenn sie überhaupt angewendet
werden sollen - wohlgemerkt: das steht jetzt überhaupt
nicht an -, vorher im Finanzausschuss noch einmal beraten werden müssen. Es gibt sozusagen keine Regelbindung, sondern man fängt dann an, alles noch einmal zu
relativieren und möglicherweise zurückzunehmen.
({3})
So sieht für uns keine vorbeugende Finanzstabilität
aus.
({4})
Deswegen sagt die Linke Nein dazu und wird dem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Danke schön.
({5})
Das Wort erhält nun der Kollege Manfred Zöllmer für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
Autofahrer weiß man: Gleichzeitig Gasgeben und Bremsen ist suboptimal. Das gilt auch für die Finanzmarktstabilität auf dem Markt für Wohnimmobilienkredite, auf
dem wir uns hier befinden. Wir brauchen in Deutschland
mehr Wohnungen. Wir wollen, dass Menschen dort investieren. Die Bundesregierung unterstützt dies mit einer
Vielzahl von Programmen, und das ist auch gut so.
Mit dem Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz und
dem Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie haben wir Gesetze vorliegen, die in der Gefahr
standen, mit einer Überregulierung die Immobilienkreditvergabe übermäßig zu beschränken, also Gasgeben
und Bremsen gleichzeitig. Es ist natürlich richtig, dass
Blasen auf dem Markt für Wohnimmobilienkredite eine
Gefahr für die Finanzmarktstabilität sind. Das haben die
Märkte in den USA, in Spanien und in Irland gezeigt.
Axel, aber du weißt natürlich auch, dass diese Märkte
völlig unterschiedlich sind von den Gepflogenheiten her,
die wir hier haben. In Deutschland hat es keine Immobilienblase gegeben.
({0})
Wir haben hier eine ausgeprägte Festzins- und Langfristkultur. Darüber hinaus ist es nachvollziehbar, dass man
für den Fall des Falles mithilfe eines Instrumentenkastens handlungsfähig sein wollte.
Mit der Wohnimmobilienkreditrichtlinie wurde die
Kreditvergabe bereits in vielfacher Weise in Richtung
Kreditnehmer reguliert; der Kollege wird dazu gleich
noch etwas sagen. Mit dem Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz - ich kann für diesen Titel nichts - haben
wir jetzt einen Kasten mit makroprudenziellen Instrumenten geschaffen, das heißt etwas, was für die gesamte
Volkwirtschaft gilt. Dieser Instrumentenkasten kann im
Bedarfsfall scharfgeschaltet werden.
Wir alle kennen das Struck’sche Gesetz. Dieses Gesetz ist auch in diesem Fall wieder zur Anwendung gekommen. Wir haben den vorgeschlagenen Gesetzentwurf
überarbeitet und modifiziert. Lieber Axel, das ist die Aufgabe eines frei gewählten Parlaments. Wir haben Obergrenzen für Darlehensvolumen, eine Immobilienwertrelation und Amortisierungsanforderungen vorgesehen.
Wir haben diejenigen Instrumente übernommen, die in
vielen europäischen Ländern ebenfalls zu finden sind und
die auf der vorhandenen Datenbasis wirklich eingesetzt
werden können.
({1})
Durch die Konzentration auf diese beiden Instrumente
wird die Gefahr unbeabsichtigter Verzerrungen auf den
Immobilienmärkten deutlich reduziert und die robuste
Schuldentragfähigkeit der deutschen Haushalte berücksichtigt. Daneben gibt es Freikontingente, eine Bagatellgrenze und Abstufungen, die die Kollegin Tillmann
eben erläutert hat. Damit berücksichtigen wir die extrem
unterschiedliche regionale Situation auf den Immobilienmärkten in Deutschland.
({2})
Neben einer Reihe städtischer Hotspots wie München,
Frankfurt, Hamburg, Berlin oder Köln gibt es eine ganze Reihe überwiegend ländlich geprägter Regionen, in
denen man sehr große Probleme hat, eine Immobilie zu
verkaufen. Für diese Regionen wollen wir keine Restriktionen im normalen Kreditgeschäft. Deshalb gibt es diese
Freigrenze. Wir haben auch den sozialen Wohnungsbau
und die Finanzierung des Umbaus einer Wohnung außen
vor gelassen. Ich halte das für absolut richtig.
({3})
Vor einer Scharfschaltung der Instrumente soll der Finanzausschuss informiert werden. Darüber beklagen sich
auf einmal die Linken und die Grünen.
({4})
Ich kann das nicht verstehen; ich halte das für richtig. Ihr
fordert doch sonst immer, dass der Finanzausschuss in
solche Maßnahmen einbezogen wird. Jetzt machen wir
das, und jetzt kritisiert ihr das.
({5})
Nachvollziehbar ist das nicht.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetz
ist es uns insgesamt gelungen, die berechtigten Bedenken
zu berücksichtigen und eine zusätzliche bürokratische
Belastung zu minimieren. Gleichzeitig haben wir ein Instrumentarium geschaffen, das im Krisenfall eingesetzt
werden kann, um eine Immobilienblase zu bekämpfen.
Nach wie vor bleibt aber das Problem der Diagnose:
Wann haben wir eine Blase, und wann sind die Entwicklungen normal?
Die Ökonomen sind sich in der Vergangenheit niemals einig gewesen. Blasen sind im Regelfall immer erst
hinterher diagnostiziert worden. Mit diesem Problem
werden wir leben müssen. Die deutschen Immobilienkreditmärkte sind sehr robust. Eine Immobilienblase hat
es bisher nicht gegeben. Ich bin sicher, das wird auch in
Zukunft so bleiben. Dann werden diese Instrumente im
Koffer bleiben können, und die Menschen, die eine Wohnung suchen, werden auch eine zu bezahlbaren Bedingungen finden.
Wir geben Gas beim Wohnungsbau und bremsen erst,
wenn Gefahr droht.
Vielen Dank.
({7})
Gerhard Schick erhält nun das Wort für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der vorliegende Gesetzentwurf besteht aus zwei Teilen.
Trotzdem zieht sich da ein roter Faden durch.
Der erste Teil bezieht sich auf das, was man makroprudenzielle Regulierung nennt, das heißt, dass man
nicht Regeln für ein einzelnes Institut macht, sondern für
den Gesamtmarkt. Das ist gut.
Dieses Gesetz hat allerdings eine problematische Entwicklungsgeschichte. Der erste Vorschlag stammte aus
einem Gremium - Ausschuss für Finanzstabilität -, in
dem die Bundesbank, die Finanzaufsicht und das Bundesministerium der Finanzen vertreten sind. Dieser Vorschlag hat die fachliche Diskussion sinnvoll abgebildet.
Dann kamen aber die Bankenverbände und haben in
einem ersten Schritt, noch vor dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung, gesagt: Das sind zu große bürokratische Lasten. Wir wollen die ganze Datenerhebung, die da
vorgesehen ist, herausnehmen. - Es ist natürlich schwierig, ohne Datengrundlagen Fehlentwicklungen einschätzen zu können. Damit kam es zum ersten Punktsieg für
die Bankenverbände.
Nach der Einbringung des Gesetzentwurfs hatten wir
in der Anhörung die interessante Konstellation, dass alle
in der Anhörung anwesenden Ökonomen, die Bundesbank und die Finanzaufsichtsbehörde den Gesetzentwurf
der Bundesregierung gemeinsam mit Linksfraktion und
Bündnis 90/Die Grünen unterstützt haben, während aus
den Koalitionsfraktionen heftiger Gegenwind kam, und
zwar wieder aus der Perspektive der Bankenverbände.
Worum geht es? In den USA war die Kreditvergabe
lange Jahre relativ normal. Es wurde nämlich immer geschaut, ob die Haushalte die Kredite auch tragen können.
({0})
Dann kam es ab dem Jahr 2000 in kurzer Zeit dazu, dass
der Anteil der Kredite an Haushalte mit geringem Einkommen, die die Schulden nicht tragen konnten, massiv
angestiegen ist. Er hat sich in sechs Jahren auf 600 Milliarden Dollar verdreifacht. Das zeigt eben, dass in wenigen Jahren eine massive Fehlentwicklung eintreten kann.
Den Schaden hatten dann nicht nur die Banken, sondern
ganz viele Menschen haben das wenige Eigenkapital,
das sie hatten, dadurch verloren, dass sie Kredite aufgenommen hatten; denn nachher hatten sie weder das Haus
noch ihr Kapital, sondern waren ärmer als vorher. Es war
also auch für die Verbraucher schlecht.
({1})
Genau die Regeln, die eine Kreditvergabe vor dem
Hintergrund der Einkommen und der Schuldentragfähigkeit des Haushalts begrenzen würden, wenn es eine
Fehlentwicklung gibt, sind auf Betreiben der Bankenverbände aus diesem Gesetz herausgenommen worden. Das
war der zweite Punktsieg für die Bankenverbände. Wir
halten das für fatal,
({2})
und zwar nicht, weil es schon heute eine solche Fehlentwicklung gäbe, sondern weil uns die Geschichte in anderen Ländern zeigt, dass eine Branche, die vielleicht über
Jahrzehnte seriöse Geschäfte macht, plötzlich zu einer
Fehlentwicklung beitragen kann. Man braucht also ein
Gesetz, um in diesem Fall gegensteuern zu können. Sie
haben dem Gesetzentwurf jedoch auf Betreiben der Bankenverbände die Zähne gezogen. So geht das nicht.
({3})
Im zweiten Teil des Gesetzentwurfes geht es leider
ähnlich weiter. Da geht es darum, die Umsetzung der
Wohnimmobilienkreditrichtlinie zu korrigieren. Aus den
Reihen der Bankenverbände gab es den Impuls, für mehr
Rechtssicherheit zu sorgen. Daraufhin sind Sie ganz
schnell tätig geworden und haben gesagt: Wenn die Banken eine Problemanzeige machen, dann reagieren wir darauf. - An dieser Stelle finden wir das richtig. Rechtssicherheit da zu schaffen, ist gut.
Aber es gibt noch andere Punkte, an denen diese
Richtlinie nicht gut umgesetzt worden ist. Dort gibt es
richtige Probleme - diesmal von Verbraucherseite. Wir
haben gesagt: Lasst uns auch das Problem bei den sogenannten Vorfälligkeitsentschädigungen angehen. Da geht
es darum, was man einer Bank, wenn man einen Kredit
früher zurückzahlt, zum Beispiel, weil man nach einer
Scheidung ein Haus verkaufen muss, zahlen muss. Wir
wissen, dass sich die Banken regelmäßig zulasten der
Verbraucherinnen und Verbraucher verrechnen, dass die
Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigungen völlig intransparent ist und dass die Rechtsetzung in Deutschland
der EU-Richtlinie nicht entspricht. Damit beschäftigt
sich jetzt eine Arbeitsgruppe, sodass es in dieser Legislaturperiode nicht zu einer Regelung kommen wird. - Dritter Punktsieg für die Bankenverbände. So geht das nicht.
({4})
Nächster Punkt: Koppelungsgeschäfte beim Abschluss
von Restschuldversicherungen. Auch da hätte man zügig
etwas machen können. Wir haben vereinbart, dass das
im Rahmen der Umsetzung einer Versicherungsrichtlinie geschieht. Dass wir diesen Zustand überhaupt haben,
hat aber auch etwas damit zu tun, dass bisher stärker auf
die Banken als auf die Verbraucher gehört wurde. Auf
diesem Markt werden teilweise Versicherungsprodukte
am Bankschalter verkauft, obwohl nur 20 Prozent der
Prämienzahlung irgendetwas mit dem Kundennutzen zu
tun hat. Der Rest bleibt im Vertrieb hängen oder ist Gewinn für die Versicherungsgesellschaft. Solche Produkte
braucht man nicht. Es gibt massenweise Fehlberatungen.
Dagegen hätte man schon mit diesem Gesetzentwurf etwas tun müssen.
({5})
Auch da gab es Bremsmanöver auf Betreiben der Bankenverbände. So geht das nicht.
({6})
So ist es auch bei der Frage der Immobilienverzehrkredite. Sie sind aus dem Anwendungsbereich der Regelungen zu Verbraucherdarlehen herausgenommen worden,
obwohl es auch da etwas für die Verbraucher hätte geben
müssen. Wieder ein Punktsieg für die Bankenverbände.
Wir können einem solchen Gesetzentwurf nicht zustimmen, auch wenn da einzelne gute Regelungen drin
sind; denn wir sagen: Es muss faire Bedingungen für Verbraucherinnen und Verbraucher am Finanzmarkt geben.
Große Koalitionen scheinen gut für Bankenverbände
zu sein. Deswegen muss man sie auch ablösen.
Danke.
({7})
Das Wort erhält nun der Kollege Matthias Hauer für
die CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir beraten heute abschließend das Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz. Dass dieses Gesetz aus
zwei Teilen besteht, das haben wir gerade schon gehört.
Wir haben auch sehr viel zum ersten Teil, in dem es um
das Thema „Immobilienblasen vermeiden“ geht, gehört.
Dass wir die Instrumente, die wir nun an die Hand bekommen, vonseiten der Politik hoffentlich nie brauchen
werden, ist, glaube ich, hinreichend erörtert worden.
Ich will mich daher auf den zweiten Teil des Gesetzentwurfes konzentrieren und verweise hinsichtlich des
ersten Teils auf das, was meine Kollegin Antje Tillmann,
die finanzpolitische Sprecherin der Union, schon dargelegt hat.
Der Name des vorgesehenen Gesetzes mag recht sperrig sein. Mit dem zweiten Teil des Gesetzentwurfs wollen
wir aber für etwas sorgen, was für den Verbraucherschutz
in Deutschland sehr wichtig ist: Wir bauen die Hürden
ab, die bei der Vergabe von Wohnimmobilienkrediten
im vergangenen Jahr entstanden sind. Seit einem Jahr
besteht Rechtsunsicherheit. Banken und Sparkassen haben deshalb viele Kredite abgelehnt, gerade Kredite für
junge Familien und Senioren. Gerade habe ich gehört:
Wir brauchen mehr Wohnungen. - Das stimmt sicherlich.
Das gilt aber besonders für junge Familien.
Die Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie hat zu viel Unsicherheit geführt. Der damalige Gesetzentwurf aus dem Hause von SPD-Minister Heiko
Maas - wir haben das schon in der ersten Lesung vor
zwei Monaten diskutiert - hatte erhebliche Mängel. In
meiner damaligen Rede habe ich diese Mängel im Detail
benannt. Ich habe deutlich gemacht, dass ein wichtiger
Halbsatz, der eine Ausnahmeregelung betrifft, nicht ins
deutsche Gesetz übernommen wurde, und auch, dass
durch viele unbestimmte Rechtsbegriffe viel Rechtsunklarheit im deutschen Recht gestiftet wurde. Das reparieren wir heute. Den fehlenden Halbsatz fügen wir ins
Bürgerliche Gesetzbuch und ins Kreditwesengesetz ein.
Für weitere Klarheit wird eine Rechtsverordnung
der Bundesregierung, in diesem Falle eine gemeinsame
Rechtsverordnung des Bundesministeriums der Finanzen
und des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, sorgen. Wir erwarten, dass die Ministerien
in die Beratungen auch Vertreterinnen und Vertreter der
Kreditwirtschaft und des Verbraucherschutzes einbeziehen, damit wir eine praxisnahe Lösung, eine praxisgerechte Ausgestaltung bekommen, damit diejenigen, die
sich einen Kredit leisten können, diesen dann auch bekommen.
Mit dem Gesetz wird es nun wieder möglich, bei der
Kreditwürdigkeitsprüfung stärker auf den Wert der Immobilie abzustellen, was auch viel Sinn macht. Wir erreichen damit, dass junge Familien wieder leichter Wohneigentum erwerben können und dass ältere Menschen den
altersgerechten Umbau ihrer Immobilie besser finanzieren können. Das erreichen wir mit dem Gesetz, und das
war auch stets Anliegen von CDU und CSU.
({0})
Wir haben mit dem Gesetz auch das Thema Koppelungsgeschäfte aufgegriffen. Worum geht es dabei?
Wenn eine Bank einen Kreditvertrag abschließt und das
Ganze an den Abschluss eines weiteren Vertrages koppelt, dann sorgt das schon mal für Unstimmigkeiten. Es
gibt Koppelungen, die Sinn machen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn auch ein Sparkonto eröffnet werden
muss und von diesem Sparkonto dann die Kreditraten
bedient werden. Es gibt aber auch Koppelungen, die jedenfalls für die Kundinnen und Kunden keinen Sinn machen, sondern nur für die Kreditinstitute. Da fügen wir
die Klarstellung ein, dass Koppelungen dem Nutzen für
Kundinnen und Kunden dienen müssen. Das regeln wir
im Kreditwesengesetz und mit Aufnahme eines Verweises im Bürgerlichen Gesetzbuch. Das ist übrigens erst im
Gesetzgebungsverfahren aufs Tableau gekommen. Insofern kann man sagen: Wir haben das Gesetz an der Stelle
noch ein Stück besser gemacht.
Auch das Thema Vorfälligkeitsentschädigung - Herr
Dr. Schick von den Grünen hat es gerade auch angesprochen - haben wir im Gesetzgebungsverfahren intensiv
beraten. Wir haben die Sachverständigen in der Anhörung dazu befragt. Ich habe für die Unionsfraktion sehr
deutlich gemacht, dass es für den durchschnittlichen Kreditnehmer derzeit kaum möglich ist, die Vorfälligkeitsentschädigung annähernd korrekt zu berechnen. Hier
herrscht eine gewisse Intransparenz. Da müssen wir ran.
Da müssen wir Klarheit schaffen.
Wir wollen also mehr Transparenz für diejenigen, die
einen Kredit aufnehmen wollen. Wir wollen aber auch
eine gute Lösung, und auf dem Weg dahin sind wir. Es
gibt eine gemeinsame Arbeitsgruppe des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums der
Justiz und für Verbraucherschutz, die genau das anstrebt,
nämlich Klarheit bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung. Deshalb ist es vernünftig, die Ergebnisse
dieser Arbeitsgruppe abzuwarten. Wir erwarten - diese
Erwartung möchte ich heute noch einmal deutlich formulieren -, dass uns die Ergebnisse zügig zur Verfügung
gestellt werden, damit wir Änderungen im Sinne von
mehr Transparenz vornehmen können. Ich hoffe, dass
es in dieser Legislaturperiode klappt. Falls es in dieser
Legislaturperiode nicht mehr klappt, wird das sicherlich
die nächste unionsgeführte Koalition nach der Bundestagswahl angehen.
({1})
- Nach der kommenden Bundestagswahl.
({2})
Bei der Einbringung des Gesetzentwurfs hatte ich für
die Unionsfraktion betont, dass am Ende der Beratung
eine Lösung stehen muss, die für mehr Rechtssicherheit
sorgt, die aber gleichzeitig bei der Kreditwürdigkeitsprüfung den Bogen nicht überspannt. Das werden wir mit
dem Gesetz, das auch mehr Verbraucherschutz bringen
wird, erreichen. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung
zu dem Gesetz.
Vielen Dank.
({3})
Johannes Fechner ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Heute
beschließen wir ein wichtiges Gesetz. Es ist wichtig, dass
wir nicht 20 Jahre warten, bis es wieder eine Legislaturperiode mit einer unionsgeführten Bundesregierung gibt,
({0})
sondern dass wir für die jungen Familien und die Seniorinnen und Senioren schnell tätig werden.
({1})
Wir haben noch vor der letzten Sommerpause mit Zustimmung der Union - mit eurer Zustimmung! - das Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie
beschlossen, und es war richtig; dafür gab es gute Gründe. Auf Basis dieses Gesetzes wollten wir verhindern,
dass es in Deutschland zu einer Immobilienblase mit den
katastrophalen Auswirkungen kommt, wie wir sie in den
USA gesehen haben.
Wir haben dann aber relativ bald Klagen gehört, nicht
nur von den Bankenverbänden, sondern gerade auch von
Familien und Senioren, dass die Banken keine Kredite
mehr vergeben mit der Begründung, die Rechtslage sei angeblich - unklar. Dann kann man natürlich die Frage
stellen, ob das tatsächlich so ist oder ob die Banken nicht
deshalb so zurückhaltend sind, weil die große Diskussion
über den sogenannten Widerrufsjoker, die wir hatten, für
Verunsicherungen gesorgt hat. Mein Eindruck war auch,
dass die eine oder andere Privatbank den Schwarzen
Peter nach Berlin geschoben hat, anstatt einem Kunden
zu sagen: Das Einkommen reicht halt nicht. - Da hat man
es sich im Einzelfall durchaus etwas einfach gemacht.
({2})
Jetzt aber stellen wir klar - das halten wir für eine
ganz wichtige Maßnahme -, dass die Umsetzung, wie
Kollege Binding und ich auch gefordert haben, so gemacht wird wie in Österreich, indem von der strengen
Kreditwürdigkeitsprüfung der Bau von Immobilien oder
die Sanierung - etwa der altersgerechte Umbau - ausgenommen wird.
({3})
- Die Möglichkeit dazu steht da drin, und deshalb machen wir es jetzt so, wie es die Österreicher umgesetzt
haben.
Ich finde, es ist eine wichtige Maßnahme, hier in der
Weise für Rechtssicherheit zu sorgen, dass insbesondere
der Wert einer Immobilie als Sicherungsmittel berücksichtigt werden kann. Das wird jungen Familien, das
wird befristet Beschäftigten und das wird Seniorinnen
und Senioren eine große Hilfe sein, weil sie jetzt die
Chance haben, einen Kredit zu bekommen. Das ist eine
ganz wichtige Maßnahme, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Es werden dann in der Rechtsverordnung, die schon
angekündigt ist, die konkreten Faktoren, die für die
Kreditwürdigkeitsprüfung ausschlaggebend sein sollen,
geregelt werden können, also: Wie ist das Schuldnereinkommen zu berücksichtigen? Wie ist sein Vermögen zu
berücksichtigen? - Auch das wird ganz erheblich zur
Rechtssicherheit beitragen. Vor allem gilt dann eines:
Die Banken haben dann keine Ausreden mehr. Die müssen dann auf dieser klaren Rechtsgrundlage die Kredite
bewilligen.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss. Mit diesem wichtigen Gesetz schaffen wir eine
präzise und klare Rechtslage, damit jungen Familien und
Senioren Kredite bewilligt werden können. Die Banken
sind jetzt in der Verantwortung. Es gibt jetzt keine Ausreden mehr. Lassen Sie uns dieses gute Gesetz verabschieden! Es ist kein Punktsieg für die Bankenlobby, lieber
Kollege Schick, sondern es ist ein Punktsieg für Familien, für Senioren und für befristet Beschäftigte. Stimmen
wir dem zu!
({6})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Alexander Radwan
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute das
Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz, das auch eine
Änderung der Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie beinhaltet. Die Kollegen haben ja schon entsprechend die Details aufgeführt. Lassen Sie mich jeweils zwei Punkte vor die Klammer ziehen, bevor ich
dann auf eine grundsätzliche Frage des Aufsichtsrechts
eingehe.
Ich glaube, wir sind uns heute einig, dass wir ein Gesetz für Deutschland machen und nicht für die USA. Darum sollten wir die USA, die in manchen Grundstrukturen gar nicht mit uns vergleichbar sind, nicht permanent
heranziehen, auch wenn sie als Horrorgemälde für den
anstehenden Wahlkampf wunderbar geeignet scheinen.
({0})
Außerdem sollten Gesetzgeber Gesetze immer mit
Blick auf das machen, was am Schluss vor Gericht herauskommt. Darum sollten wir, wenn es hier, verursacht
durch den Gesetzgeber, Unsicherheiten im Markt gibt,
diese nicht vom Tisch wischen, sondern sie auch korrigieren. Das ist angebracht, und das tun wir heute.
Wir tun das, meine Damen und Herren, weil wir aufgrund vieler Rückmeldungen gemerkt haben, dass Senioren, dass Geringverdiener, Herr Kollege Troost, dass
junge Familien Schwierigkeiten haben, Immobilien zu
finanzieren. Das war also die Folge des Gesetzes zur
Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie. Dabei
höre ich regelmäßig von Ihrer Seite, dass Sie fordern,
die Immobilienvergabe an diese zu erleichtern. Darum
ist diese Korrektur, die wir heute machen, dann, wenn sie
die erhoffte Wirkung zeigt, ein Sieg für junge Familien,
für Senioren und für Menschen mit geringen Einkommen
in Deutschland und nicht für die Bankenlobby.
({1})
- Ich rede über den ersten Teil, weil hier regelmäßig gesagt wurde, wir würden nur eine Seite berücksichtigen.
Wir machen hier Gesetze für die Bürger in Deutschland.
Wenn manche Fraktionen hier meinen, sie müssten für
junge Familien und für Senioren und Menschen mit geringen Einkommen keine Politik machen, dann nehmen
wir das so zur Kenntnis, finden es aber schade.
({2})
Zum Thema Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz
hat die Kollegin Tillmann entsprechend vorgetragen,
welche Instrumente wir zukünftig für die BaFin vorsehen wollen. Aber, meine Damen und Herren, neben diesen Instrumenten, die wir diskutiert haben, halte ich es
schon für grundsätzlich von Wert, darüber nachzudenken, welchen Paradigmenwechsel wir mit diesem Gesetz
einführen und wie wir diesen möglicherweise weiterentwickeln. Das, was bei diesem Gesetz neu ist, ist, dass
wir - ausgehend von den Empfehlungen des Ausschusses
für Finanzstabilität - der BaFin Instrumente an die Hand
geben, damit dann, wenn eine Blase drohen sollte - sie
ist also noch nicht da -, entsprechend makroökonomisch
präventiv gehandelt werden kann.
({3})
- Genau, das ist das Entscheidende, Herr Kollege Troost.
Darum war ich immer verwirrt, wenn in diesem Zusammenhang von den USA die Rede war.
Wir sollten aber auch darüber nachdenken - ich halte
diesen Ansatz grundsätzlich für diskussionswürdig -,
({4})
ob wir nicht sagen müssen: Wir können nicht alles gesetzgeberisch regeln. - Das Kernproblem, das sich dahinter verbirgt, ist doch, dass seit der USA-Krise eine
Flut von Gesetzen losgetreten worden ist. Ich habe bis
jetzt niemanden gefunden, der mir gesagt hat: Letztendlich können wir alle Eventualitäten durch Gesetzgebung
erfassen. - Da das nicht der Fall ist, sollten wir der Aufsicht präventiv, damit sie entsprechend flexibel reagieren
kann, Instrumente an die Hand geben, aber gleichzeitig,
wie es auch der Vorschlag der G 20 ist, die Gesetze überprüfen, die möglicherweise noch nicht zu dem beigetragen haben, was wir uns an Finanzstabilität wünschen. Es
kann also ein Paradigmenwechsel sein. Ich denke, wir
sollten diese Diskussion fortführen. Darum halte ich
zwei Elemente für richtig.
Die BaFin soll frei sein in ihrem Agieren im Markt,
aber nicht vogelfrei. Vielmehr braucht sie eine entsprechende Legitimation gegenüber dem Deutschen Bundestag. Darum haben wir Berichtspflichten der BaFin
gegenüber dem Deutschen Bundestag bzw. dem Finanzausschuss für den Fall, dass ein solches Instrument geschaltet wird, vorgesehen. Das dient dazu, dass erklärt
wird, warum ein entsprechendes Instrument angewandt
wird, welche Auswirkungen erwartet werden, und dass
darüber debattiert werden kann.
Ich halte es außerdem für dringend notwendig, dass es
mit dem Ausschuss für Finanzstabilität einen regelmäßigen Dialog gibt. Das darf nicht nur in der Form geschehen, dass uns das entsprechende Papier, die entsprechende Meinung übersandt wird. Vielmehr müssen dessen
Vertreter auch in den Ausschuss kommen und mit uns
darüber diskutieren, welche Entwicklung sie im nächsten Jahr auf dem Finanzmarkt erwarten, damit wir eine
Einschätzung haben. Damit bekommen wir eine gewisse
Stabilität für die Verbraucher, den Gesetzgeber und die
Finanzindustrie. Ich glaube, wir können hier einen guten
neuen Anstoß geben und sollten das andere durchaus kritisch weiter begleiten.
Letztendlich sage ich noch einmal: Es ist ein guter Tag
für Leute mit niedrigem Einkommen, für junge Familien, für Rentner, die zukünftig eine Immobilie finanzieren wollen. Stimmen Sie doch zu! Das wäre ein Signal
an diejenigen, die sich hier entsprechend etwas leisten
wollen.
Besten Dank.
({5})
Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes erhält
die Kollegin Sarah Ryglewski für die SPD-Fraktion das
Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Lieber Herr
Radwan, ja, das ist ein guter Tag für Familien und Seniorinnen und Senioren in Deutschland; das ist in der Tat
so. Ich finde es richtig, dass wir hier diese Änderungen
vornehmen. Wir tragen diese Änderungen gemeinschaftlich, genauso wie wir auch die erste Umsetzung der
Wohnimmobilienkreditrichtlinie gemeinsam getragen
haben. Aber ich finde, wir müssen aufpassen, dass wir die
Debatte nicht verzerren. Es gibt Gründe, warum wir die
Regelungen der Wohnimmobilienkreditrichtlinie auch in
Deutschland brauchen. Natürlich sind wir nicht Spanien,
nicht Griechenland und auch nicht die USA. Aber auch in
Deutschland gibt es Gefahren.
Es wurde ja in der Debatte über den ersten Teil des
Gesetzentwurfs, als es um die Makroebene ging, deutlich, dass es auch auf einem stabilen Markt schnell Entwicklungen geben kann, die zu einer Blasenbildung führen, eben weil Kredite unsauber vergeben werden oder
weil wir in eine Situation kommen, wo Kredite vielleicht
nicht mehr so tragfähig sind. Deswegen war es richtig,
dass wir die Wohnimmobilienkreditrichtlinie hier auch
umgesetzt haben. Wir haben das also nicht nur gemacht,
weil es EU-Recht ist, sondern auch, weil es Sinn macht,
Leute vor Krediten zu schützen, die sie am Ende nicht
mehr bedienen können.
({0})
- Danke schön. - Insofern, finde ich, müssen wir schauen, dass wir die Debatte versachlichen.
Wir verfolgen hier zwei Zielsetzungen: Wir wollen,
dass Menschen, die einen Kredit brauchen und sich leisten können, ihn auch bekommen, aber wir wollen eben
auch die Menschen schützen, die möglicherweise im
Zuge des Immobilienbooms dazu verlockt werden, sich
ein Haus zu kaufen oder zu bauen, und dann am Ende
vor dem Nichts stehen. Wir haben hier entsprechende
Klarstellungen vorgenommen; darauf muss ich im Detail
nicht mehr eingehen.
Mir ist es aber noch einmal ganz wichtig, zu sagen,
dass wir aufpassen müssen, in der Diskussion nicht aus
dem Auge zu verlieren, dass wir jetzt eine Klarstellung
vorgenommen haben, damit die Banken anhand klarer
Kriterien, die wir in der Verordnung regeln werden, die
Kreditwürdigkeit feststellen können. 110-Prozent-Finanzierungen, wie es sie in Deutschland auch gibt, bei denen
zusätzlich zum Immobilienkredit noch einmal der Dispo ins Exorbitante erhöht wird, will ich dann aber auch
nicht mehr sehen; die passen nicht dazu. Wir haben jetzt
klare Kriterien. Das heißt, auch die Banken sind in der
Verpflichtung und auch in der Haftung, wenn sie Kredite vergeben, die für Verbraucherinnen und Verbraucher
nicht tragfähig sind.
({1})
Man bekommt natürlich, Herr Kollege Schick, immer
viel Applaus draußen, wenn man über Lobbyismus und
über die Abgeordneten schimpft, die sich allzu leicht davon beeindrucken lassen. Aber wir haben doch das AnAlexander Radwan
sinnen der Banken in diese Richtung abgelehnt. Wir haben gesagt: Ihr bekommt eure Verordnung, ihr bekommt
Rechtssicherheit, aber ihr seid auch in der Verpflichtung,
entsprechend vernünftig zu prüfen. Wenn ihr das nicht
tut, dann seid ihr in der Haftung. - Das ist richtig, und
dazu stehen wir auch.
({2})
Einen letzten Satz möchte ich zum Thema Vorfälligkeitsentschädigung sagen. Hier ist die Lage aktuell in der
Tat so, dass das Ganze sehr zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher geht: einmal aufgrund von Intransparenz, zum anderen deswegen, weil die Gebühren, die
dafür erhoben werden, teilweise massiv überzogen sind.
Hier hätte ich mir deutlich mehr gewünscht. Das habe
ich auch im Ausschuss gesagt. Ich glaube, das Problem
ist hinlänglich bekannt. Die Arbeitsgruppe hätte hier zügig zu einem Ergebnis kommen sollen. Deswegen finde
ich es wichtig - wir müssen da dranbleiben, Herr Kollege Hauer, und dafür sorgen, dass die vielleicht noch ein
bisschen Gas geben -, dass wir hier noch in dieser Legislaturperiode zu einem Ergebnis kommen.
({3})
- Ich habe nur gesagt, wir als Abgeordnete sollten ein
Auge darauf haben, dass die gemeinsame Arbeitsgruppe
jetzt auch gründlich arbeitet und zu einem guten Ergebnis kommt,
({4})
damit wir am Schluss einen noch besseren Tag für Familien und für Verbraucherinnen und Verbraucher haben.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ergänzung des Finanzdienstleistungsaufsichtsrechts im
Bereich der Maßnahmen bei Gefahren für die Stabilität
des Finanzsystems und zur Änderung der Umsetzung der
Wohnimmobilienkreditrichtlinie. Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/11774, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den beiden Drucksachen 18/10935 und 18/11420 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Linken und bei Stimmenthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist mit den
gleichen Mehrheitsverhältnissen der Gesetzentwurf angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf der Drucksache 18/11784. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? - Wer ist dagegen? - Wer enthält
sich? - Dann ist dieser Entschließungsantrag mit den
Stimmen der Koalition abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zum Verbot des Betriebs lauter Güterwagen
({0})
Drucksache 18/11287
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({1})
Drucksache 18/11769
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch
für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Das
scheint unstreitig zu sein. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst für die
Bundesregierung dem Parlamentarischen Staatssekretär
Enak Ferlemann das Wort.
({2})
Sehr geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich glaube, wir können jetzt, wo wir auf
die Zielgrade der Legislaturperiode einbiegen, sagen,
dass wir wohl eine der erfolgreichsten Legislaturperioden für die Verkehrspolitik seit den Zeiten, als Verkehrsminister Seebohm die Verantwortung für die Verkehrspolitik trug - damals noch von der legendären Deutschen
Partei -, haben. Wir haben in dieser Legislaturperiode
wirklich gemeinsam Unglaubliches geleistet. Ich darf
mich an dieser Stelle ganz herzlich bei den Kolleginnen
und Kollegen der Koalitionsfraktionen bedanken und
insbesondere auch, lieber Michael Meister, beim Finanzminister, weil er uns immer sehr unterstützt hat und das
hoffentlich auch weiter tut.
({0})
Neben den vielen Gesetzen, die wir gemeinsam verabschiedet haben - eine unglaubliche Investitionsinitiative
mit sage und schreibe 271 Milliarden Euro für die Verkehrsinfrastruktur bis 2030 -, und vielem anderen setzen
wir heute mit der Verabschiedung des Schienenlärmschutzgesetzes dem Ganzen noch die Krone auf. Viele
Millionen Menschen haben auf dieses Gesetz gewartet,
und sie haben wahrscheinlich - wenn man ehrlich ist nie geglaubt, dass in dieser Wahlperiode ein solcher GeSarah Ryglewski
setzentwurf von uns vorgelegt wird und von Ihnen heute
beschlossen werden kann. Ich habe mich sehr darüber
gefreut, dass wir im Verkehrsausschuss als dem federführenden Fachausschuss eine einstimmige Beschlusslage
hinbekommen haben. Das ist bei so einem komplizierten
Thema nicht selbstverständlich.
Was regeln wir? Viele Menschen sagen: Ein ICE oder
ein IC läuft relativ leise, das gilt in aller Regel auch für
Nahverkehrszüge, aber warum ist es bei Güterzügen
nicht so? - Hintergrund ist: Güterzüge bremsen wir mit
Stahl auf Stahl, das heißt, das Stahlrad wird mit einer
Stahlbremse gebremst. Das raut das Rad auf, und weil
es dadurch unrund wird, fängt das Rad an zu holpern was wir mit dem menschlichen Auge nicht sehen, aber
das erzeugt die lauten Geräusche. Bei Fernverkehrs- oder
Nahverkehrszügen bremsen wir mit einer Kompositsohle, die das Rad nicht aufraut. Deswegen bleibt das Rad
glatt und erzeugt damit nicht die hohen Lärmfrequenzen.
So war es klug, dass wir vor einiger Zeit ein Förderprogramm aufgesetzt haben und gesagt haben: Wir wollen, dass die Güterwagen von der Bremsung mit Stahl
auf die Bremsung mit Kompositsohle oder sogenannter
Leichtlaufsohle, mit der man nach einer kleinen Nachrüstung den gleichen Effekt erzielen kann, umgerüstet
werden. Das ist sehr erfolgreich gelungen. Wir haben
damals gesagt: Wenn bis 2016 nicht etwa die Hälfte der
Güterwagen, die hier in Deutschland fahren, umgerüstet
ist, wollen wir den entsprechenden Güterverkehr mit bestimmten Maßnahmen eingrenzen.
Da wir mit der Umsetzung des Programmes sehr erfolgreich sind - ich gehe davon aus, dass wir um die
50 Prozent der Güterwagen in Deutschland umgerüstet haben -, haben wir uns dazu entschlossen, den Entwurf eines Gesetzes vorzulegen, das zur Fahrplanperiode 2020/2021 die Fahrten mit lauten Güterwagen in
Deutschland komplett verbietet.
({1})
Vorbild für uns ist dabei - wie bei Eisenbahnthemen
so häufig - die Schweiz. Sie hat das im gleichen Zeitraum vor. Die Niederländer unterstützen es ebenso. Alle
anderen europäischen Länder wundern sich, welches
vermeintliche Luxusproblem da Deutschland bewegt.
Aber wir wollen mehr Verkehr, gerade Güterverkehr, von
der Straße auf die Schiene bringen, und obwohl fast alle
Bürger sagen, das sei grundsätzlich richtig, ist es für die
Leute eine Schreckensnachricht, wenn der Güterverkehr
dann tatsächlich kommt. Sie klagen: Dieser ganze Lärm,
dieser Krach! - Darum ist es im Sinne der Steigerung
der Akzeptanz des Verkehrsträgers Schiene wichtig, dass
wir sagen: Wir müssen mit dem Lärm deutlich runter. Deswegen wollen wir den Lärm bis 2020 im Vergleich
zu den Jahren 2008/2009 in ganz Deutschland halbiert
haben. Dafür brauchen wir diese Maßnahmen.
Damit die Wirtschaft weiß, dass wir nicht nur darüber reden, sondern es ernst meinen, braucht es dieses Gesetz, um auch noch die letzten, vor allem ausländischen
Wagenhalter zur Umrüstung zu bewegen, damit wir das
große Ziel insgesamt erreichen können.
({2})
- Haben Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
Herr Kollege Willsch.
Das ist lieb, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
Sie haben es selbst angesprochen: Es ist eine gute Nachricht, auch für den Rheingau, aus dem ich komme, dass
wir die Klapperkisten wegbekommen. Sie gehören ins
Museum und nicht auf die Schiene. Aber mehr Verkehr
ist dennoch problematisch. Deswegen diskutieren wir ja
auch über eine Alternativtrasse für das Mittelrheintal. Da
ist im Bundesverkehrswegeplan etwas Entsprechendes
vorgesehen. Meine Frage ist: Geht es da vorwärts?
Sehr geehrter Herr Kollege, wir reden zwar heute
über ein Gesetz, das das Rad-Schiene-System verändert,
aber Sie stellen eine Frage zur Infrastruktur. Gleichwohl
will ich sie Ihnen gerne beantworten. - Es ist eine der
größten Herausforderungen, das herrliche Mittelrheintal
vom Schienenlärm zu befreien. Dazu gibt es unter anderem die Maßnahmen, über die wir heute reden. Aber wir
werden um eine neue Infrastruktur nicht herumkommen.
Dieses Projekt steht im sogenannten Potenziellen Bedarf
des Bundesverkehrswegeplans. Bund-Länder-Arbeitsgruppen sind dabei, das zu bewerten. Potenzieller Bedarf
heißt: Fällt die Bewertung positiv aus, rückt das Projekt
automatisch in die höchste Kategorie, den sogenannten
Vordringlichen Bedarf.
Wir haben es hier mit einem Projekt zu tun, bei dem
wir mit rund 7 Milliarden Euro Kosten rechnen. Wir werden keinen durchgängigen Tunnel bauen können. Wir
werden sicherlich Tunnel an Tunnel legen, um dieses
Problem zu beheben. Ich glaube, es ist auf einem sehr
guten Weg. Sie können am Wochenende sehr erfreut zu
den Bürgerinnen und Bürgern Ihres Wahlkreises fahren
und die gute Nachricht überbringen.
({0})
Sollten weitere Fragen dieser Art kommen, will ich sie
gerne beantworten. Das können wir aber auch an anderer
Stelle fortsetzen.
Das Gesetz, das wir heute verabschieden werden, ist
wirklich gut. Es gibt allerdings eine unterschiedliche Bewertung. Der Verkehrsausschuss hat gesagt: Wir wollen
den diskriminierungsfreien Zugang zum deutschen Netz
anders gestalten, als das Verkehrsministerium es vorgesehen hat. Wir haben unsere Bedenken dazu angesichts
des großen juristischen Sachverstandes im Verkehrsausschuss zurückgestellt, weil die Experten gesagt haben,
die Regelung sei europarechtskonform. Wir kennen uns
als Verkehrsministerium damit aus: Auch die Maut ist europarechtskonform gewesen.
({1})
Wir glauben, dass das auch in diesem Fall so sein wird.
Deswegen werden wir das Gesetz mittragen und auch auf
europäischer Ebene vorlegen und durchbringen.
Damit bin ich bei dem letzten Problem. In Europa ist
man noch nicht so weit in Sachen Schallschutz auf der
Schiene, wie wir Deutschen, die Niederländer und die
Schweizer das sind. Es wird viel Überzeugungskraft kosten, die Europäische Kommission dazu zu bringen, das
Gesetz, das wir heute beschließen, europaweit anwendbar zu machen. Es muss unser Ehrgeiz sein, dafür zu
sorgen, dass in ganz Europa der Schienenverkehr leiser
wird.
In diesem Sinne freue ich mich sehr, wenn wir den
vorliegenden Gesetzentwurf heute über die Hürde heben
und auch der Bundesrat in seiner nächsten Sitzung diesen
Gesetzentwurf verabschiedet, sodass das Gesetz in Kraft
treten kann. Es ist ein wahres Highlight der Verkehrspolitik, was wir heute beschließen.
Herzlichen Dank.
({2})
Vielen Dank. - Jetzt hat Dr. André Hahn für die Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine
Heimat, die Sächsische Schweiz mit der Oberelbe, umgeben von einem fantastischen Sandsteingebirge, ist eines der touristischen Kleinode in Deutschland. In diesem
Naturschutzgebiet und in den umliegenden Gemeinden
gibt es zwei Dinge, die Einwohner und Touristen gleichermaßen stören: die im Tiefflug über die Sächsische
Schweiz hinwegdonnernden Militärflugzeuge sowie der
ebenso erheblich lärmverursachende Eisenbahnverkehr
im oberen Elbtal von Coswig hoch bis an die tschechische Grenze in Schmilka, vor allem durch die täglich
130 bis 140 durchfahrenden Güterzüge.
Lärm macht krank, und es ist daher auch Aufgabe der
Politik - hier sind wir uns hoffentlich alle einig -, die
Lärmemissionen auf ein vertretbares Maß zu reduzieren.
({0})
Die Erwartungen an uns Abgeordnete diesbezüglich sind
hoch, wie ich aus meiner Arbeit als Mitglied des Kreistages und nach vielen Gesprächen mit Bürgerinitiativen,
betroffenen Bürgern und Unternehmen in meinen Wahlkreisen Sächsische Schweiz - Osterzgebirge sowie Meißen weiß. Ich kann den Unmut über die derzeit dort bestehende Situation sehr gut verstehen. Hier muss endlich
Abhilfe geschaffen werden.
({1})
Die am 14. März dieses Jahres in Dresden vorgestellte Machbarkeitsstudie zum Lärmschutz im Elbtal war
ein Schritt in die richtige Richtung. Die nachfolgende
Diskussion mit Kommunalpolitikern und Anwohnern
machte aber auch deutlich, welche Fragen noch zu klären
sind. Dies betrifft insbesondere die Gestaltung und Wirksamkeit der vorgesehenen Lärmschutzwände. Ich erwarte vor allem, dass die Bundesregierung die notwendige
Finanzierungsvereinbarung mit der Bahn und dem Land
Sachsen zur Umsetzung der Maßnahmen zur Lärmreduzierung kurzfristig abschließt, damit die Realisierung
noch 2017 beginnen kann.
({2})
Meine Damen und Herren, Schienenlärm ist nicht nur
in meiner Region für die Anwohner ein großes Problem,
sondern existiert entlang vieler Bahnstrecken, insbesondere solchen mit zahlreichen lauten Güterzügen. Deshalb
läuft seit 2012 ein Förderprogramm des Bundesverkehrsministeriums zur Umrüstung alter Graugussbremssohlen
auf sogenannte Flüsterbremsen - auch wenn der Begriff
leider eine Übertreibung ist.
({3})
Damit sollen die Lärmemissionen um bis zu 10 Dezibel
reduziert werden, was allerdings nur funktioniert, wenn
alle Wagen in einem Zug diese neuen Bremsen haben.
Ende 2016 - wir haben es gehört - war bereits rund die
Hälfte der deutschen Güterwagen umgerüstet; bis zum
Jahr 2020 sollen nahezu alle deutlich leiser sein.
Der Entwurf der Bundesregierung für ein Schienenlärmschutzgesetz ist - im Unterschied zu vielen anderen
Gesetzentwürfen aus dem Hause Dobrindt - grundsätzlich sinnvoll.
({4})
- Ja, warum soll man das nicht auch sagen? - Daran haben die zahlreichen Bürgerinitiativen gegen Bahnlärm,
denen ich an dieser Stelle für ihre engagierte Arbeit sehr
herzlich danken möchte, einen großen Anteil.
({5})
Selbst in der Anhörung des Verkehrsausschusses gab es
große Einigkeit in Bezug auf den Gesetzentwurf, und in
der abschließenden Beratung des Ausschusses gestern
wurden weitere Verbesserungen vorgenommen, sodass
die Linke dem Gesetzentwurf in der nun vorliegenden
Fassung zustimmen wird.
({6})
Gleichwohl gibt es aus unserer Sicht noch weitere
Maßnahmen, die sinnvoll und notwendig wären. Ich will
nur drei Punkte nennen.
Erstens sollten neben der Auflage, dass Züge mit lauten Güterwagen nur noch mit verminderter Geschwindigkeit fahren dürfen, diese über ein verändertes Preissystem für die Trassennutzung auch deutlich stärker zur
Kasse gebeten werden, zumal durch langsame Fahrten
die Durchlässigkeit der jeweiligen Strecke eingeschränkt
wird.
Zweitens sollten die Lärmemissionen der Züge nicht
nur anhand von theoretischen Annahmen bewertet werden, sondern auch in der realen Praxis mithilfe der ohnehin im Bahnnetz vorgesehenen Monitoringstationen.
({7})
Laut Antwort der Bundesregierung auf meine Kleine Anfrage vom vergangenen Monat betreibt die DB Netz AG
im oberen Elbtal bislang keine Schienenlärmmessstelle
und beabsichtigt auch nicht, dort eine zu schaffen. Das ist
nicht akzeptabel. Ich meine, dass eine solche Messstelle
dringend benötigt wird.
({8})
Drittens ist und bleibt es Aufgabe der Bundesregierung, sich auch nach Verabschiedung dieses Gesetzes
für ein EU-weites echtes Verbot von lauten Güterwagen
einzusetzen. Mein Landkreis liegt direkt an der tschechischen Grenze. Auf der Bahnstrecke im Elbtal verkehren
viele Güterzüge mit Waggons aus Tschechien, Österreich
und Ungarn. Auch dort muss sich etwas ändern, wenn der
Bahnlärm nachhaltig minimiert werden soll.
Meine Damen und Herren, bis zum 13. Dezember
2020, dem Tag, ab dem mit Inkrafttreten des Netzfahrplans für das Folgejahr die Nutzung lauter Güterwagen
auf dem deutschen Schienennetz verboten sein wird, ist
es noch ein ganzes Stück hin. Aber auch danach wird es
durch Schienenverkehr verursachten Lärm geben, vor
allem, wenn die Güterwagen zwar leiser werden, aber
die Zahl der fahrenden Züge immer größer wird. Wir als
Linke sind der Überzeugung, dass alle Menschen in diesem Land ein Recht darauf haben, vor krankmachendem
Verkehrslärm geschützt zu werden,
({9})
egal ob von der Schiene oder von der Straße verursacht.
Hier muss der Staat seine Hausaufgaben machen. Auch
wenn die Deutsche Bahn und das Verkehrsministerium
bei diesen Themen bisher eher im Schneckentempo unterwegs waren: Der vorliegende Gesetzentwurf ist überfällig und wird von uns unterstützt.
Herzlichen Dank.
({10})
Als nächste Rednerin spricht Annette Sawade für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Besuchertribünen! „Der Zug fährt quasi durch mein Schlafzimmer. Ich habe schon seit Jahren nicht mehr ruhig
geschlafen. Auch tagsüber wird das Gespräch unterbrochen, wenn ein Zug vorbeifährt. Der permanente Lärm
hat mich schon ganz krank gemacht.“ Solche und ähnliche Beschwerden kennen wir alle von Bürgerinnen und
Bürgern, die an lauten Bahnstrecken wohnen. Sie hoffen
auf Gesetze und vor allem auf wirksame Maßnahmen,
die diese Missstände beheben.
Zahlreiche Petitionen, Bürgerinitiativen und Verbände
machen sich seit langem für ein Verbot von lauten Güterwagen stark. Auch als Mitglied im Petitionsausschuss
habe ich viele Petitionen zum Thema Lärm, ob im Elbtal,
im Rheintal oder in Düsseldorf, bearbeitet. Ich habe viele
Besuche an der Strecke gemacht, wurde sogar mit einer
Feuerwehrleiter die Hänge hochgefahren, damit ich höre,
wie laut diese Güterzüge sind. Wir haben uns also auch
vor Ort kundig gemacht. Denn wir alle wissen: Lärm
macht krank und belastet die Mitmenschen in ihrem täglichen Leben. Das nehmen wir ernst.
Mit dem vorliegenden Schienenlärmschutzgesetz
wollen wir nun endlich Abhilfe schaffen. Ab 2020 dürfen
in Deutschland keine lauten Güterwagen mehr fahren.
Wir wollen doch alle, dass mehr Verkehr auf die Schiene
verlegt wird. Aber er muss leiser werden. Dann gelingt
uns die Verlagerung auch, weil die berechtigten Proteste
der Anwohner weniger werden.
({0})
Das Gesetz schafft für alle Beteiligten die geforderte
Rechtssicherheit. Unternehmen können die Umrüstung
und Beschaffung von leisen Güterwagen besser planen.
Auch unsere europäischen Nachbarn können sich entsprechend darauf vorbereiten. In den Anhörungen haben
wir gehört, dass es auch hier eine sehr positive Entwicklung gibt.
Wir wollen den Lärm an der Quelle beseitigen und damit den Lärmschutz für unsere Bürgerinnen und Bürger
verbessern. Es ist einfach sinnvoller, wirtschaftlicher und
auch nachhaltiger, den Lärm an der Quelle zu reduzieren,
als riesige Lärmschutzwände zu bauen.
({1})
Das Schienenlärmschutzgesetz enthält unter anderem
drei wesentliche Bestimmungen, die wir im Laufe der
Debatten so hineinverhandelt haben.
Erstens. Ab 2020 dürfen Züge mit lauten Güterwagen
nicht mehr für den Jahresfahrplan angemeldet werden.
Diese sollen nur noch im sogenannten Gelegenheitsverkehr fahren dürfen. Das ist ein bisschen schwierig zu erDr. André Hahn
klären, aber man kann es ja nachlesen. Der Grund: Um
künftig die Lärmschutzvorgaben einzuhalten, muss ein
lauter Zug entsprechend langsam fahren. Damit blockiert
er die Strecke für nachfolgende Züge - das wurde schon
gesagt -, und die Streckenkapazität wird dadurch erheblich eingeschränkt. Das wäre letztlich eine Bestrafung
für diejenigen, die ihre Züge bereits auf leise Bremsen
umgerüstet haben, und für die Hersteller, die Investitionen getätigt haben. Durch diese Vorgaben wird für laute
Güterzüge die Attraktivität, das deutsche Streckennetz zu
nutzen, erheblich eingeschränkt.
Es ist so, dass bereits einzelne laute Güterwagen den
Gesamtlärm erheblich beeinflussen, da es sich um eine
logarithmische und nicht arithmetische Addition der einzelnen Lärmquellen handelt. Diese Erklärung ist für die
Mathematiker unter uns. Es ist ein bisschen schwierig,
das zu erklären, aber ich glaube, man kann es verstehen.
Das heißt: „Laut plus laut“ gleich laut. „Laut plus leise“
bleibt immer noch laut. Das klingt mathematisch nicht
ganz richtig, aber logarithmisch ist es so.
({2})
Nur „leise plus leise“ ergibt leise. Das heißt also, bereits
ein lauter Güterwagen in einem ansonsten leisen Zug erhöht die Lärmmenge erheblich.
Zweitens. Bei Nichteinhalten der vorgeschriebenen
Geschwindigkeit bei lauten Güterzügen gibt es Bußgelder für die Lokführer. Diese haben wir allerdings auf eine
angemessene Höhe abgesenkt, und sie sind gestaffelt.
Wir haben also auch da eine gute Regelung gefunden.
({3})
- Die Hersteller müssen auch zahlen, und zwar wesentlich mehr. Der Lokführer hat die Information aber vorher,
wie der Zug zusammengestellt ist.
Drittens. Es werden Monitoringstationen eingerichtet,
die die Lautstärke der Güterwagen überwachen; denn,
wie bereits gesagt, auch ein einzelner Güterwagen erhöht
die Lärmmenge. Die Überwachung übernimmt das Eisenbahn-Bundesamt.
Aber auch in Zukunft sind Forschung und Entwicklung von neuer leiserer Technik für Güterwagen essenziell. Deshalb erhalten laute Züge keine Ausnahmegenehmigung mehr, wenn die Technik, um sie umzurüsten, zur
Verfügung steht.
({4})
Unter Berücksichtigung der Anmerkungen des Bundesrates haben wir einige wenige Ausnahmen für den
Betrieb lauter Wagen zugelassen. Diese betreffen zum
Beispiel Fahrten auf Steilstrecken, da solche Fahrten
aus Sicherheitsgründen zurzeit nur mit diesen Graugussbremsen möglich sind. Die entsprechenden Züge dürfen
aber nur auf Steilstrecken fahren und nicht durch die ganze Republik.
Eine weitere Ausnahme gibt es bei Anschlussbahnen.
Dort gilt die TA Lärm. Wir wollen eigentlich immer noch
in Richtung Gesamtlärmbetrachtung gehen, aber im Moment ist es so, dass Anschlussbahnen da ausgenommen
sind.
Auch für Güterwagen mit kleinen Rädern gibt es eine
Ausnahme. Ich habe in der Diskussion darüber viel gelernt. Das sind die Güterwagen für die Autoreisezüge. Es
gibt offensichtlich noch technische Probleme, diese auf
leise Bremsen umzurüsten, aber es gibt wohl Möglichkeiten, dies zu tun. Deshalb müssen wir auch da etwas
ändern.
Für die Fahrten mit Traditionszügen gibt es ebenfalls
eine Ausnahme. Wir alle wollen doch mit unseren Kindern und Enkeln in diesen schönen alten Zügen fahren,
die Krach machen und stinken. In diesem Fall sollte das
erlaubt sein. Insofern finde ich diese Ausnahme sinnvoll.
Ein Verbot wäre meines Erachtens auch ein Affront gegen die Vereine, die sich sehr engagiert um die Instandhaltung der alten Strecken bemühen und die alten Wagen
mühsam erhalten.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es war ein langer
Weg. Bereits im Oktober 2015 hat mein Büro die erste
Anfrage an das Ministerium gestellt und gefragt, wann
dieser Gesetzentwurf endlich vorgelegt wird; es war ja
im Koalitionsvertrag vereinbart. Heute sind wir so weit.
Es ist schön, dass wir den Gesetzentwurf jetzt verabschieden können. Ich kann Ihnen sagen, dass nicht nur
ich, sondern auch - davon bin ich überzeugt - die Verbände, die Unternehmen und vor allem die Bürgerinnen
und Bürger froh sind, dass wir diesen Gesetzentwurf endlich verabschieden, und zwar, wie ich höre, mit großer
Zustimmung aller Fraktionen.
Vielen Dank.
({6})
Matthias Gastel hat als Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen jetzt das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Zu anderen Themen führen wir hier im
Deutschen Bundestag lautere Debatten als zum Schienenlärmschutzgesetz. Denn wir sind uns im Grundsatz einig:
Wir wollen bis zum Jahr 2020 den von den Menschen
empfundenen Schienenlärm halbieren. Wir brauchen diese Lärmreduzierung; denn es geht um die Gesundheit der
Menschen, die entlang der Schienenstrecken wohnen.
Wir brauchen diese Reduzierung auch zur Verbesserung
der Akzeptanz des Schienengüterverkehrs, von dem wir
mehr wollen und nicht weniger.
({0})
Um die Akzeptanz in der Bevölkerung steht es nicht
zum Besten. Wir wissen aus Umfragen des Umweltbundesamtes, dass etwa jeder dritte Bürger, jede dritte
Bürgerin sagt: Ich bin von Schienenlärm betroffen. Mich
stört dieser Lärm. - Wir Grüne haben sehr lange auf
diesen inzwischen vorgelegten Gesetzentwurf gedrängt.
Wir hatten auch einen entsprechenden eigenen Antrag
eingebracht, um dieser Forderung nach einem besseren
Lärmschutz an der Schiene Nachdruck zu verleihen. Jetzt
geht alles ganz schnell. Wir haben letzte Woche eine, wie
ich finde, sehr gute Anhörung durchgeführt, bei der auch
neue Erkenntnisse erzielt wurden. Manches, was wir bereits gefordert hatten, wurde bestätigt. Viele dieser Punkte sind jetzt in die Änderungsanträge der Fraktionen,
auch in die der Großen Koalition, eingeflossen. Das ist
sehr gut. So können wir diesen Gesetzentwurf heute in
verbesserter Form verabschieden.
({1})
Von Anfang an fanden wir an diesem Gesetzentwurf
gut, dass laute Güterzüge ab Dezember 2020 aus dem
deutschen Schienennetz verbannt werden sollen und
müssen. Wir fanden auch gut, dass ein Zug bereits dann
als laut gilt, wenn auch nur ein einziger an den Bremsen
nicht umgerüsteter Wagen in diesem Zugverbund enthalten ist. Das ist auf jeden Fall das Positive.
Leider ist aber die Konsequenz doch nicht ganz so
eindeutig, wie es gerade geklungen hat. Es sind einige
Ausnahmen und Befreiungen zumindest im ursprünglichen Gesetzentwurf enthalten gewesen, beispielsweise
die Regelung, dass auch nichtumgerüstete Züge weiterhin fahren dürfen, wenn sie so langsam fahren, dass sie
trotzdem leiser sind. Das würde aber bedeuten, dass sie
maximal 30 km/h schnell fahren dürften, und hätte gravierende Auswirkungen auf die Netzkapazität. Das können wir nicht wollen, wenn wir mehr und nicht weniger
Güter auf der Schiene haben wollen.
({2})
Problematisch ist auch, dass auf lärmsanierten Strecken auch mit nichtumgerüsteten Zügen gefahren werden darf. Das ist eine weitere Ausnahme, die aus unserer
Sicht nicht notwendig ist.
Jetzt hat es, wie gesagt, einige Änderungen aufgrund
der in der Anhörung gewonnenen Erkenntnisse gegeben.
Dazu gehört, dass ursprünglich vorgesehen gewesen ist,
dass etwa 6 000 Wagen bauartbedingt ohne Umrüstung
hätten fahren dürfen. Hierbei hat sich aber herausgestellt,
dass die Umrüstung technisch möglich ist. Nach dem Gesetzestext muss dann auch die Umrüstung erfolgen. Es ist
gut, dass es hier keine Ausnahme gibt.
Ursprünglich war auch vorgesehen gewesen, dass laute Züge bereits zum Jahresfahrplan und damit lange im
Voraus hätten angemeldet werden müssen. Praktikabel
ist eine solche Regelung nicht. Denn wer weiß schon lange im Voraus, welche Wagen in einem Zug enthalten sein
werden, wenn es erst Monate später tatsächlich auf die
Schiene geht? Hier ist klargemacht worden, dass diese
Züge im Rahmen des Gelegenheitsverkehrs angemeldet
werden können und dies nicht bereits vorab zur Erstellung des Jahresfahrplans erfolgen muss. Diese Änderungen haben wir aufgrund neuer Erkenntnisse beschlossen.
Ich finde es schade - das möchte ich hier auch noch
einfließen lassen -, dass wir keinen gemeinsamen Änderungsantrag zustande gebracht haben.
({3})
Wir haben uns darum bemüht. Das hätten wir machen
können: nicht nur gemeinsam abstimmen, sondern gemeinsam Verbesserungen beantragen.
Es gibt aber auch noch Kritikpunkte, die nicht korrigiert wurden. Dazu gehört der zu geringe Kontrolldruck.
Die Evaluation ist nur in der Gesetzesbegründung und
nicht im Gesetzestext enthalten. Wir hätten sie natürlich
lieber im Gesetzestext gehabt. Ende 2019 muss evaluiert
werden. Da muss klar sein: Wirkt das Gesetz, oder reicht
es nicht?
Wir hätten uns auch eine stärkere Spreizung der Trassenpreise gewünscht, damit laute Güterzüge höher bepreist werden, damit es einen klaren ökonomischen Anreiz zum Umrüsten gibt - und keinen Anreiz, bis zum
letzten Drücker zu warten, weil vielleicht die Politik
doch noch umschwenkt. Dieser ökonomische Druck hat
gefehlt.
Aber viele Dinge sind richtig. Ich möchte noch einen
Hinweis geben: Wir erhöhen mit diesem Gesetz die Akzeptanz des Schienengüterverkehrs. Aber es steht um den
Schienengüterverkehr insgesamt nicht gut. Was wir unbedingt brauchen - das vermissen wir sehr stark bei der
Großen Koalition -, sind innovative, neue Ideen zur Stärkung des Schienengüterverkehrs, damit weniger Lkw auf
der Autobahn unterwegs sind und mehr Güter auf der
Schiene befördert werden.
({4})
Mein letzter Punkt: Wir reden jetzt immer über das
Jahr 2020. Wir müssen uns aber auch Gedanken machen,
wie es danach weitergeht. Unsere Anstrengungen dürfen
nicht mit dem Jahr 2020 aufhören. Es geht auch danach
weiter im Bemühen, den Schienenlärm zu reduzieren.
Dazu müssen wir beispielsweise die Lokomotiven verstärkt in den Blick nehmen. Wir müssen auch andere,
noch innovativere Bremstechnologien in den Blick nehmen. Es geht um die Akzeptanz. Es geht um den Gesundheitsschutz. Der Weg ist gut, auf dem wir gemeinsam
sind, aber er ist noch lange nicht zu Ende.
({5})
Als nächster Redner hat Michael Donth für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Besucher auf den Tribünen! „Der Güterzug ist das
neue Hassobjekt der Deutschen“ - so titelte die Zeitung
Die Welt vor circa einem Jahr. Hintergrund waren masMatthias Gastel
sive Einwohnerproteste in Niedersachsen gegen Neubaustrecken für Güterzüge.
Meine Damen und Herren, ich halte eine solche Entwicklung für fatal für unser Land, das eine Exportnation
ist und gleichzeitig ehrgeizige Klimaschutzziele verfolgt.
Wir wollen, dass unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig
bleibt, und wir wollen mehr Verkehr von der Straße auf
die Schiene verlagern. Das geht aber nur, wenn wir eine
entsprechende Infrastruktur schaffen, und das wiederum
geht nur, wenn wir dafür die Akzeptanz der Bevölkerung
haben. Aber die Menschen sind immer weniger bereit,
donnernde und kreischende Güterzüge zu erdulden. Deshalb haben wir uns im Koalitionsvertrag das Ziel gesetzt,
den Schienenlärm in Deutschland bis zum Jahr 2020,
ausgehend von 2008, zu halbieren.
Es freut mich sehr, dass wir heute mit dem Schienenlärmschutzgesetz einen weiteren ganz wichtigen Baustein
setzen, um dieses Ziel zu erreichen. Das Gesetz verbietet
ab dem 13. Dezember 2020 grundsätzlich den Betrieb
lauter Güterwagen auf unserem deutschen Schienennetz.
Wenn ab diesem Zeitpunkt trotzdem ein Güterzug, in den
laute Wagen eingestellt sind, unterwegs ist, so muss er so
langsam fahren, dass er genauso leise ist wie ein Zug, der
nur aus neuen oder umgerüsteten Wagen besteht.
Bereits heute sind die Trassenpreise, die sogenannte Schienenmaut, lärmabhängig differenziert. Mit lauten Wagen langsam zu fahren, wird die Eisenbahnverkehrsunternehmen in Zukunft zusätzlich viel Zeit und
damit auch viel Geld kosten. Dies sollte schon unter unternehmerischen Gesichtspunkten ein großer Anreiz sein,
bis Ende 2020 alle Güterwagen umzurüsten oder durch
leise zu ersetzen. Dennoch besteht das Risiko, dass einige
Unternehmen aus ganz Europa diese Umstände in Kauf
nehmen und versuchen, das Netz weiterhin mit alten, lauten Wagen, aber dann eben mit niedriger Geschwindigkeit zu befahren. Die Fachleute haben uns davor gewarnt,
dass schon wenige langsame Züge unser gesamtes Netz
schwer belasten würden. Das ist eigentlich logisch; denn
hinter einem lauten und deshalb langsamen Zug muss
auch ein Zug, der schnell fahren dürfte, langsam fahren.
Das wollen wir von SPD, CDU und CSU verhindern.
Unser Ziel ist, den Güterverkehr attraktiv zu machen.
Deshalb ist vorgesehen, dass für solche Züge Einzelfahrgenehmigungen beantragt werden müssen und der
Fahrplan nicht von vornherein vorsorglich für langsame
Trassen blockiert wird; denn meistens wissen die Betreiber von Güterbahnen ein Jahr im Voraus auch noch nicht,
welche Waggons, die sie dann durch Europa ziehen sollen, man ihnen bringt. Wir wollen damit auch verhindern,
dass die Betreiber wegen des Betriebs von Güterwagen,
für die es noch keine Lärmreduktion gibt, bestraft werden. Manche Güterwagen, nämlich solche mit kleinen
Rädern, können technisch noch nicht umgerüstet werden. Die Kollegin hat das gerade angesprochen; auch ich
habe viel über die Technik lernen dürfen. Sie müssen genauso umgerüstet werden wie die anderen; aber es muss
zunächst eine anerkannte und zugelassene Technologie
für die Lärmreduktion vorhanden sein. Deshalb sind sie
so lange ausgenommen, bis es diese Technik gibt. Allerdings kann man sagen: Daran wird bereits mit Hochdruck gearbeitet.
Wir gehen den Weg zum Verbot lauter Wagen nicht
allein. Unsere südlichen Nachbarn in der Schweiz verbieten den Betrieb lauter Güterzüge bereits zum 1. Januar
2020 ohne Ausnahme, ohne Wenn und Aber. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass alle Güterzüge, die aus Südeuropa über die Eidgenossenschaft zu uns kommen oder
dorthin fahren wollen, leise unterwegs sein werden. Das
ist eine sehr gute Nachricht, nicht nur, aber natürlich vor
allem für uns in Baden-Württemberg.
({0})
Mit Blick auf das zukünftige Verbot lauter Güterwagen rüstet die Branche in Deutschland ihren Bestand
schon jetzt kräftig um. Unterstützt werden die Unternehmen dabei durch ein Förderprogramm der Bundesregierung mit einem Volumen von 152 Millionen Euro.
Dieses Programm nutzen übrigens auch ausländische
Wagenhalter, die mit ihren Fahrzeugen bei uns unterwegs
sind. Durch den heute vorgelegten Gesetzentwurf haben
die Unternehmen jetzt auch die Gewissheit, dass sich ihre
Investitionen in die leisere, aber teurere Technik auch in
Zukunft lohnen werden. Dass die Anreize, die die Bundesregierung bisher gesetzt hat, wirken, sieht man daran,
dass schon jetzt die Hälfte der in Deutschland verkehrenden Güterwagen umgerüstet und damit leise ist.
({1})
Mit unserem Schienenlärmschutzgesetz zeigen wir,
dass unsere Politik verlässlich ist.
({2})
Mit fortschreitender Umrüstung wird der Schienenlärm
schon heute - jedes Jahr ein bisschen mehr und nicht erst
nach 2020 - deutlich reduziert.
Der Schienenverkehr in Deutschland wird leiser:
Das ist unser Ziel, und das schaffen wir. Das ist die gute
Nachricht des heutigen Tages an die lärmgeplagten Bürgerinnen und Bürger in unserem Land.
({3})
Kirsten Lühmann hat als nächste Rednerin das Wort
für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!
Sehr verehrte Anwesende! Der Gesetzentwurf, den wir
hier heute verabschieden, ist in unserem Koalitionsvertrag ein zentraler Punkt unserer Schienenpolitik. Er ist
umso wichtiger geworden, weil wir unsere Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen einhalten
müssen, und das können wir nur, wenn wir mehr Verkehr
auf die Schiene bringen.
({0})
Die Regierung war in diesem Punkt nicht untätig. Wir
haben in dieser Legislaturperiode im BundesverkehrsweMichael Donth
geplan Prioritäten auf die Engpassbeseitigung, auf die
Elektrifizierung von wichtigen Güterverkehrsstrecken,
auf die Implementierung des 740-Meter-Netzes und auf
die Grundlagen des Deutschland-Taktes, um auch für den
Personenverkehr attraktiver zu werden, gesetzt.
Das alles reicht aber noch nicht. Ganz wichtig beim
Thema Güterverkehr ist es, die Wirtschaftlichkeitslücke
zwischen der Schiene und der Straße zu schließen. Wir
müssen uns über die Senkung von Trassenpreisen und
der Stromsteuer Gedanken machen. Sonst wird unser
Konzept nicht aufgehen.
({1})
Bei unserer Politik für die Schiene gibt es, wie so oft
im Leben, zwei Seiten einer Medaille. Die zweite Seite
zeigen uns die Anwohner. Unsere Politik bedeutet für die
Menschen, die an der Schiene wohnen, noch mehr Lärm
vor ihrer Haustür. Das haben wir erkannt, und darum haben wir in diesem Punkt auch gehandelt: Mit der sogenannten Schall 03 haben wir die Berechnung des Schienenlärms verändert und aktualisiert, wir haben die Mittel
für den freiwilligen Lärmschutz jährlich um 30 Millionen Euro erhöht, und wir haben neue Techniken für die
Lärmminderung eingeführt - sei es als Versuch oder sei
es im richtigen Betrieb.
Insbesondere wenn wir die großen Bürgerforen durchführen, zum Beispiel an der Rheintalbahn oder an der
Alpha-Bahntrasse in Norddeutschland für den Hafenhinterlandverkehr, sagen uns die betroffenen Menschen: Das
ist schön, aber das reicht uns nicht. - Und sie haben recht.
Denn was nützt es uns, wenn wir 6 Meter hohe Lärmschutzwände hübsch anmalen, damit man besser draufgucken kann? Das bringt nur wenig. Viel wichtiger ist es
doch, den Lärm an der Quelle zu vermeiden.
({2})
Das werden wir mit diesem Gesetzentwurf tun. Bis 2020
wird die Bundesregierung in ihrem Umrüstungsprogramm über 150 Millionen Euro den betroffenen Unternehmen zur Verfügung gestellt haben.
Wir haben heute sehr theoretisch geredet und gesagt:
Ein umgerüsteter Zug ist bis zu 10 Dezibel leiser als ein
nichtumgerüsteter Zug. - Wenn man sich aber einmal an
die Schiene stellt und sich das anhört - über 50 Prozent
der Wagen sind bis jetzt umgerüstet -, dann merkt man
erst, was für ein Vorteil die mehrfache Halbierung des
Lärms ist. Ich empfehle allen, sich einmal an die Schiene
zu stellen und sich einen umgerüsteten Zug anzuhören.
Dann sieht man: Das, was wir hier heute auf den Weg
bringen, ist eine echte Erleichterung für die Betroffenen.
({3})
Natürlich müssen wir auch weiterhin einen diskriminierungsfreien Zugang ermöglichen. Es gibt technische
Grenzen. Auch solche Züge müssen auf die Schiene
kommen. Wir haben aber gesagt: Auch wenn sie nicht
umgerüstet und laut sind, müssen sie unsere Lärmobergrenzen einhalten, wenn sie auf unseren Schienen unterwegs sind. Das geht nur, indem sie langsam fahren.
Wir alle wissen - auch aus dem Straßenverkehr -, dass
wir die Einhaltung einer Regel kontrollieren müssen,
wenn wir sie aufstellen. Wenn wir kontrollieren und feststellen, dass jemand die Regel verletzt, dann muss er ein
Bußgeld zahlen. Wir haben die Bedenken der Gewerkschaften GDL und EVG sehr ernst genommen, die uns
gefragt haben: Warum geht ihr denn an Lokomotivführer
ran? - Das ist richtig, aber wir gehen nicht nur an den
Lokomotivführer ran, sondern das Bußgeld wird auch für
den Unternehmer fällig, der so etwas angeordnet hat. Wir
können den Lokomotivführer aber nicht ganz außen vor
lassen, genauso wie wir den Lkw- oder den Pkw-Fahrer
nicht ganz außen vor lassen können, der eine Ordnungswidrigkeit begangen hat.
Wir haben das, wie gesagt, ernst genommen und gesagt: Die Bußgelder müssen verhältnismäßig sein. Ein
Lokomotivführer hat weniger Geld zur Verfügung als
der Unternehmer; also muss auch die Höchstgrenze für
den Lokomotivführer deutlich geringer sein. Wir haben
den Höchstbetrag halbiert. Er liegt jetzt bei maximal
1 000 Euro. Ich denke, damit haben wir den Interessen
der Betroffenen Rechnung getragen.
Wir haben das Problem der langsam fahrenden Züge,
die unsere Trassen verstopfen, dadurch ein wenig entschärft, indem wir gesagt haben: Sie dürfen nur noch als
Gelegenheitsverkehr fahren, das heißt auf Trassen, die
sowieso leer geblieben sind. Dort, wo sie keinen anderen
stören, dürfen sie also fahren. Das finde ich mit Blick auf
den diskriminierungsfreien Zugang richtig und wichtig.
Abschließend: Das Gesetz, das wir heute beschließen,
ist ein gutes Gesetz für die Umwelt, ist ein gutes Gesetz
für die Anwohnenden. Aber es ist nicht der Schluss der
Debatte. Wir Politiker und Politikerinnen können uns
jetzt nicht zurücklehnen, sondern wir haben den Auftrag,
nach vorne zu schauen und die Entwicklung und Forschung weiter voranzutreiben, um noch leisere Güterwagen, noch leisere Lokomotiven und noch leisere Gleisbaufahrzeuge in Deutschland zu bekommen.
Herzlichen Dank.
({4})
Dirk Fischer hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion als
letzter Redner in dieser Aussprache das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Der Schall von Güterzügen mit alter Bremstechnik ist
mit einem Presslufthammer, der in 7 Metern Entfernung
von uns arbeitet, zu vergleichen. Das entspricht einem
Lärmpegel von 90 Dezibel. Dass ein solcher Lärm von
Anliegern als störend empfunden wird und der Gesundheit schadet, ist ja wohl sonnenklar.
Die Prognose unseres Ministeriums für den Schienengüterverkehr: bis 2030 ein Zuwachs von über 43 Prozent.
Wir tun das dafür Notwendige und unterstützen damit
ausdrücklich das Ziel der Bundesregierung, mehr Güter
auf der Schiene zu transportieren; denn das bedeutet eine
umweltfreundliche und klimaschonende Bewältigung
des Güteraufkommens.
Der Staat als Eigentümer muss dafür natürlich das
Schienennetz weiter ausbauen und neue Kapazitäten
schaffen, um diesen Zuwachs bewältigen zu können. Das
bedeutet aber für die Anlieger von Strecken nicht weniger, sondern in der Zukunft noch viel mehr Verkehr. Dieser Realität müssen wir uns stellen.
Der Schienenlärmschutz für die Bevölkerung ist daher
ein Kernziel dieser Koalition, das sie mit einer Vielzahl
von Maßnahmen und immensen Investitionen - einiges
ist schon angesprochen worden - vorantreibt. So hat sich
der Bund die Strategie „Leise Schiene“ als klares Ziel
gesetzt. Demnach soll der Schienenverkehrslärm, ausgehend vom Jahr 2008, bis 2020 halbiert werden. Dadurch
würde im Volk die Akzeptanz für Schienenverkehr deutlich steigen. Die Parole lautet: Mehr Mobilität bei weniger Lärm!
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist ein Meilenstein für den aktiven Lärmschutz, weil er eine Reduzierung des Lärms direkt an der Quelle vorsieht. Die
neuen innovativen Verbundstoffbremssohlen können die
Rollgeräusche der Güterwagen um bis zu 10 Dezibel reduzieren. Das ist in der menschlichen Wahrnehmung eine
Halbierung des Lärms.
Im Juni 2013 ist die sogenannte LL-Sohle durch den
Internationalen Eisenbahnverband für die europaweite
Umrüstung zugelassen worden. Das ist ökonomisch eine
sehr sinnvolle Lösung, da man nur die Bremsklötze austauschen muss; das kann bei jedem Wartungstermin erledigt werden. Zwar sind in Europa neu angeschaffte Güterwagen und die meisten Personenzüge schon seit 2006
mit einer leisen Bremstechnologie ausgestattet, aber es
verkehren in Europa noch viel zu viele nicht umgerüstete
Güterwagen.
Erfreulich ist die Meldung der DB AG vom Montag
dieser Woche, dass bis Ende 2017 die Zahl der umgerüsteten Wagen des Unternehmens von 33 000 auf
40 000 steigen wird und dass bis Ende 2020 sämtliche
64 000 Wagen der Flotte umgerüstet sein werden. Auch
andere Güterwagenhalter haben bei der Umrüstung vergleichbare Fortschritte erzielt, sodass man mit gutem
Gewissen sagen kann: Die deutschen Güterwagenhalter
haben die Zeichen der Zeit erkannt und können in Europa
als positives Beispiel genannt werden.
({0})
Wir erhöhen mit dem Gesetz den Druck auf diejenigen Wagenhalter, die bislang keine Umrüstung ihrer
Güterwagen vorgenommen haben. Denn laute Güterwagen können, wie dargestellt, für den regulären Fahrplanwechsel 2020/2021 nicht mehr angemeldet werden. Sie
können dann nur noch im Gelegenheitsverkehr auf noch
nicht vergebenen Schienentrassen gefahren werden.
Das vorliegende Gesetz ist insoweit, denke ich, auch
eine sehr sinnvolle regulatorische Ergänzung für das,
was in den letzten Jahren bereits umgesetzt worden ist.
Der Kollege Donth hat ja das Förderprogramm angesprochen. Wir fördern die Umrüstung der auf unserem
deutschen Netz fahrenden deutschen und ausländischen
Güterwagen mit 152 Millionen Euro. Ich fordere hier
aber auch die Europäische Union auf, ebenfalls ein solches Programm mit Umrüstungsbeihilfen für investitionsschwache Länder aufzulegen
({1})
und sich aktiv an der Umrüstung der europäischen Güterwagenbestände zu beteiligen, damit schnellstens eine
einheitliche gesamteuropäische Lösung geschaffen werden kann.
Mit der Umrüstung der Güterwagen auf leisere
Brems technik ist eine flächendeckende Lärmminderung
möglich. Lärmschutzwände und Schallschutzfenster dagegen können nur örtlich und begrenzt ihre Wirksamkeit
entfalten.
Seit dem Fahrplanwechsel 2012/2013 müssen laute
Züge höhere Trassenpreise als leise Züge zahlen. Für
besonders leise Wagen wird auch noch eine Innovationsprämie als Belohnung gezahlt.
Der Bund investiert auf Initiative des Bundestages das sage ich hier mit einigem Stolz - jährlich mittlerweile 150 Millionen Euro in eine freiwillige Lärmsanierung
an bestehenden Schienenwegen. Das Zukunftsinvestitionsprogramm des Bundes für die Jahre 2016 bis 2018
sieht zusätzliche Investitionen für Lärmschutz vor, damit
insbesondere Lärm an Brennpunkten weiter reduziert
werden kann und damit innovative Techniken entwickelt
werden können.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss
möchte ich sagen: Wir können auch noch weitere Maßnahmen ergreifen: superschnelles Schleifen für glatte,
geräuscharme Schienen, Schallabsorber an den Rädern,
neu dimensionierte Schallschutzwände - also konkav
und nicht mehr steil -, Entdröhnung von Brücken und
nahtlose Verschweißung.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich bin am Ende meiner Ausführungen, Frau Präsidentin. - Die nahtlose Verschweißung dient dazu, dass
nicht alle Hundert Meter ein Knacken im Netz zu hören
ist. Da haben wir einiges zu tun. Auch die Digitalisierung
kann einen Beitrag leisten.
Ich bin überzeugt, dass wir in den Jahren bis 2020
deutliche Verbesserungen erleben werden. Ich wünsche
den Anwohnerinnen und Anwohnern der Metropolen,
des Rheintals, des Inntals, des oberen Elbtals und anderer
Dirk Fischer ({0})
Regionen bald ruhigere Nächte und bitte deswegen um
Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich
die Aussprache, und wir kommen zur Abstimmung über
den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzent-
wurf zum Verbot des Betriebs lauter Güterwagen.
Zu der Abstimmung liegt mir eine Erklärung gemäß
§ 31 der Geschäftsordnung vor.1)
Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11769, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/11287 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? Das ist nicht der Fall. Dann ist der Gesetzentwurf in
zweiter Beratung einstimmig angenommen worden.
({0})
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gibt es jemanden, der dagegenstimmen möchte? Möchte sich jemand enthalten? - Das ist auch nicht der
Fall. Dann ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden.
({1})
Das passiert nicht so häufig, ist aber hier - wenn ich mir
erlauben darf, das zu sagen - in der Sache gut.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan
Kühn ({2}), Matthias Gastel, Dr. Valerie
Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Investitionsstau auflösen - Zukunft des ÖPNV
sichern - Jetzt die Weichen für den öffentlichen Verkehr von morgen stellen
Drucksache 18/10747
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({3})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan
Kühn ({4}), Britta Haßelmann, Matthias
Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
1) Anlage 2
Fairen Wettbewerb und kommunale Gestaltungsmöglichkeiten im Nahverkehr sicherstellen
Drucksache 18/10978
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({5})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat
Stephan Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einfach einsteigen und losfahren, ohne sich vorher im Tarifdschungel zu verirren und lange Fahrpläne
zu studieren, bargeldlos ein elektronisches Ticket für
verschiedene Verkehrsmittel oder über Verbundgrenzen
hinweg erwerben, ein Leihfahrrad oder Carsharingauto
in die Reisekette einbauen, und zwar alles mit einem Ticket: Wir wollen, dass das keine Vision bleibt, sondern
endlich Standard im öffentlichen Verkehr wird.
({0})
Wir wollen eine Mobilitätskarte, den MobilPass, um einfach und bequem verschiedene Verkehrsmittel miteinander kombinieren zu können.
Für unsere Idee droht ungewohnte Unterstützung. Verkehrsminister Alexander Dobrindt versprach unlängst
vollmundig die Abschaffung des Papierfahrscheins bis
2019. Doch leider entpuppten sich die Ankündigungen,
wie so oft bei Herrn Dobrindt, bei näherer Betrachtung
als reiner PR-Gag. Jeder Verkehrsverbund darf weiter an
seinen Apps und Plattformen herumbasteln. Eine Strategie für die digitale Vernetzung aller öffentlichen Verkehrsmittel ist das nicht.
({1})
Der Wirrwarr bei den Tarifen muss endlich durch
bundesweit einheitliche Standards beendet werden. Ein
Meilenstein im öffentlichen Verkehr wäre daher ein bundesweit einheitliches Vertriebssystem,
({2})
damit eine Familie in einem Verkehrsverbund auch in
einem anderen Tarifgebiet als Familie gilt. Auch gelten
bisher bei Kindern und Jugendlichen sowie Senioren unterschiedliche Altersgrenzen.
Wir haben in Deutschland etwa 450 Verkehrsbetriebe
und über 130 Tarifverbünde. Die bestehende Exklusivität
der jeweiligen Tickets und die heutigen Vertriebswege
in den Nahverkehrskönigreichen sind nicht mehr zeitgemäß.
({3})
Dirk Fischer ({4})
Sie verhindern das durchgängige Buchen und Bezahlen
über Tarifgrenzen hinweg und damit auch über Verkehrsmittel. Daher sollten regionale Verbundtarife möglichst
bald durch einen für alle Unternehmen im Eisenbahn-,
Regional- und Nahverkehr verbindlichen Deutschlandtarif ergänzt werden. So könnten Bus- und Bahnfahren
einfach und bequem werden.
({5})
Meine Damen und Herren, während in den letzten
Jahren die Bundesmittel für Eisenbahn, Autobahnen und
Wasserstraßen in Milliardenhöhe gestiegen sind, werden
die ÖPNV-Investitionen von dieser Bundesregierung
sträflichst vernachlässigt. Die Infrastruktur bröckelt teilweise kräftig. Der Investitionsstau allein im kommunalen Schienennetz beträgt schätzungsweise 4 Milliarden
Euro. Damit sind die Kommunen überfordert.
Zudem platzt der Nahverkehr in vielen Städten aus
den Nähten. Wer wissen will, wie sich wohl die Ölsardinen in der Dose fühlen, muss nur zur Rushhour in Frankfurt, Berlin oder München mit der S-Bahn fahren.
({6})
Die jährlich vorgesehenen 330 Millionen Euro aus
dem Bundesprogramm reichen hinten und vorne nicht
aus, um mit Ausbau und Neubau adäquat auf die wachsende Nachfrage zu reagieren. Seit 20 Jahren wurde der
Etatansatz nicht erhöht. Das bedeutet praktisch jedes Jahr
weniger Geld zum Bauen. Statt die Investitionen zu erhöhen, plant die Große Koalition mit der Änderung des
Grundgesetzartikels 125c, die Bundesmittel auf der derzeitigen Höhe bis 2025 einzufrieren. Meine Damen und
Herren, das käme einer Investitionsbremse gleich.
({7})
Zwischen dem bereits anerkannten Bedarf und den
bis 2025 verfügbaren Mitteln aus dem Bundesprogramm
klafft mittlerweile eine Lücke von etwa 4 Milliarden
Euro. Zwei von drei Projekten, die im Nahverkehrsprogramm des Bundes aufgelistet sind, haben also absehbar
keine Chance auf Umsetzung, wenn es bei der jetzigen
Förderkulisse bliebe. Die Zuverlässigkeit und die Qualität des Nahverkehrs werden darunter leiden.
Nur mit einer Nahverkehrsoffensive und Bundesmitteln in Höhe von jährlich 1 Milliarde Euro wird es gelingen, den öffentlichen Verkehr zum Leistungsträger einer
ökologischen Verkehrswende zu machen.
({8})
Wer die Klimaziele des Verkehrssektors erreichen will,
wer die Luftqualität in den Städten wirksam verbessern
will, muss jetzt Geld für den Ausbau des öffentlichen
Nahverkehrs in die Hand nehmen.
({9})
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir nehmen in
unseren Anträgen auch die Mobilität in ländlichen Regionen in den Blick. Viele Bürger fühlen sich sprichwörtlich abgehängt. Der ÖPNV ist oft keine Alternative zum eigenen Auto. Bislang fehlt eine Definition des
Mindestangebots, das dem im Grundgesetz verankerten
Anspruch der Daseinsvorsorge gerecht wird. Wir müssen
gemeinsam mit den Ländern darüber diskutieren, wie wir
für die Bürgerinnen und Bürger in ländlichen Regionen
zu einer Mobilitätsgarantie kommen, die dem Anspruch
gleichwertiger Lebensverhältnisse gerecht wird.
({10})
Lassen Sie uns daran gemeinsam arbeiten, und unterstützen Sie unsere Initiative.
({11})
Als nächster Redner hat Michael Donth für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der öffentliche Personennahverkehr auf Schiene und
Straße garantiert jeden Tag die Mobilität von Millionen
Menschen in unserem Land. Die Fahrgastzahlen steigen
erfreulicherweise immer weiter, und ich glaube, man
kann sagen, auch weil wir die Zuständigkeiten den Ländern übertragen haben; diese machen das eigentlich ganz
gut.
Ich finde es daher schön, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, dass Sie sich darüber Gedanken
machen, wie der ÖPNV weiter verbessert werden kann.
Allerdings frage ich mich, warum Sie dann Anträge ohne
jegliche Verbesserungsvorschläge vorlegen. Ihr Antrag
soll dem Titel nach - ich beziehe mich auf Tagesordnungspunkt 6 b - einen fairen Wettbewerb sicherstellen.
Das ist aber eine Mogelpackung; denn Sie fordern genau
die Maßnahmen, die einen fairen Wettbewerb abschaffen
würden.
Wir haben in Deutschland seit Jahrzehnten ein bewährtes Miteinander von kommunalen und privaten
Nahverkehrsunternehmen. Die Privaten sind oft mittelständische Familienunternehmen wie zum Beispiel das
der Familie Steinbrück in Gotha - diesen Betreiber kennen wir alle -, die Buslinien eigenwirtschaftlich betreiben, das heißt ohne kommunale Zuschüsse. Der Wettbewerb zwischen privaten Unternehmen auf der einen und
kommunalen Unternehmen auf der anderen Seite sorgt
für Qualität im Angebot, für Effizienz und auch für Wirtschaftlichkeit.
({0})
Dabei gilt getreu unserer Verfassung der Grundsatz:
Markt vor Staat. - Das heißt, Verkehre, die sich aus den
Fahrgeldeinnahmen alleine finanzieren, haben Vorrang
vor denen, die sich nur mit Zuschüssen realisieren lassen.
Nun baut Ihr Antrag auf zwei Behauptungen auf. Eigenwirtschaftliche Verkehrsanbieter besäßen erstens
einen weitreichenden Konkurrenzschutz und würden
zweitens kommunale Verkehrsunternehmen aus dem
Markt drängen. Beides ist falsch. Dazu ein paar Zahlen:
In den letzten zehn Jahren ist das Marktvolumen der
Stephan Kühn ({1})
Verkehrsleistungen im ÖPNV, das direkt, das heißt ohne
Wettbewerb, vergeben wurde, um 88 Prozent gestiegen.
Von diesen Direktvergaben sind wiederum 96 Prozent
an kommunale Unternehmen gegangen. 96 Prozent! Ein
Krümel von gerade einmal 4 Prozent verbleibt für die
Privaten. Sieht so die von Ihnen behauptete Verdrängung
aus dem Markt aus? Ja, Sie haben recht: Es findet eine
brutale Verdrängung statt, aber bezogen auf die privaten
Verkehrsunternehmen.
({2})
Die Zahl der privaten Busunternehmen ist im gleichen
Zeitraum - das ist ein weiterer Beleg - um fast ein Drittel
zurückgegangen; sie sind vom Markt verschwunden. Da
gab es übrigens keine Beschwerdebriefe von Verdi.
({3})
Daran sieht man, dass der angeblich weitreichende Konkurrenzschutz nicht vorhanden ist, sonst müssten diese
Zahlen bundesweit ganz anders aussehen. Zahlen und
Fakten sprechen eine andere Sprache als Ihre grünlackierten Fake News.
({4})
Fahren wir fort. In Ihrem Antrag behaupten Sie des
Weiteren, die Angebotskonzepte der kommunalen Aufgabenträger ließen sich oft nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen durchsetzen, und deshalb müssten wir
das Gesetz ändern. Nach der geltenden Regelung des
Personenbeförderungsgesetzes kann die Verkehrsgenehmigung versagt werden, wenn der beantragte Verkehr
nicht im Einklang mit dem Nahverkehrsplan steht. Die
Genehmigung muss sogar versagt werden, wenn der Antrag die in der Bekanntmachung beschriebenen Anforderungen nicht erfüllt. Das heißt, die Kommunen können
Anforderungen und Standards, auch Sozial- oder Ökostandards, vorgeben und sind keinesfalls der Willkür der
privaten Anbieter ausgeliefert. Die Kommunen geben die
Richtschnur vor; sie definieren, wie der ÖPNV aussehen
soll. Aber sie müssen sich auch die Mühe machen, einen
Nahverkehrsplan mit allen Beteiligten auszuarbeiten.
Der Kollege Lange kann ein Lied davon singen und ich
auch im Kreistag. Ein Nahverkehrsplan, der Antworten
auf all diese Fragen gibt - das ist, glaube ich, Uli, echt
ein G’schäft.
Sie behaupten weiter, der Vorrang eigenwirtschaftlicher Verkehre - ich zitiere, wenn ich darf - „kann zu einer Genehmigung von Nahverkehrsleistungen führen, …
ohne dass eigene kommunale Unternehmen den vorab
genehmigten eigenwirtschaftlichen Verkehren Konkurrenz machen können“. Dass auch das nicht stimmt, zeigt
ein Blick ins Gesetz. Der eigenwirtschaftliche Antrag des
Privaten erhält nur dann den Zuschlag, wenn er ein besseres Angebot macht. Von den Vorgaben der Kommunen
darf der Antrag, wenn überhaupt, nur unwesentlich abweichen. Obendrein hat der kommunale Bestandsunternehmer bei qualitativ ähnlichem Antrag einen Bestandsschutz und kommt so zum Zuge. Ich finde, diese Regeln
sind ausgewogen und fair. Gleichzeitig sorgen sie für
einen Wettbewerb um die beste Qualität.
Würden wir auf die Forderungen Ihres Antrags eingehen und die Kommunen und ihre Unternehmen noch
stärker stellen, wäre ein Wettbewerb mit privaten Unternehmen nicht mehr möglich, und sie würden vom
Markt verschwinden. Ich erinnere an die Zahlen, die ich
genannt habe. Das entspricht aber nicht dem Ziel, das
Sie im Titel Ihres Antrags genannt haben. Vielleicht entspricht das Ihren Absichten, aber uns, vor allem in der
CDU/CSU-Fraktion, gefällt es auf jeden Fall nicht.
Ich möchte noch kurz auf Ihren zweiten Antrag eingehen. Die Maßnahmen und Instrumente, die Sie darin für
die Zukunft des ÖPNV fordern, sind von der Bundesregierung zum großen Teil schon aufgegriffen worden oder
betreffen die Kompetenz der Länder. Dann wollen Sie
die Finanzmittel des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes, GVFG - Kollege Kühn hat es dargestellt -, mit
dem der Bund große Investitionen im Nahverkehr in den
Ländern mit einem Anteil von 60 Prozent unterstützt,
von 333 Millionen Euro auf 1 Milliarde Euro aufstocken.
Erst vor einem Jahr haben sich Bund und Länder darauf geeinigt, die Regionalisierungsmittel, die hauptsächlich dem Schienenpersonennahverkehr zugutekommen,
um fast 1 Milliarde Euro pro Jahr zu erhöhen. Nun werden auch noch die Mittel aus dem GVFG vom Bund über
2019 hinaus weitergeführt, obwohl die Länder ursprünglich diese Mittel nach 2019 selber aufbringen wollten.
Das zeigt doch, wie stark sich der Bund hier zugunsten
des ÖPNV, für den primär die Länder zuständig sind, engagiert,
({5})
ganz zu schweigen von den 9,5 Milliarden Euro pro Jahr,
die die Länder durch den neuen Länderfinanzausgleich
vom Bund erhalten. Im Jahr 2020 sind das annähernd
20 Milliarden Euro pro Jahr, die im vergangenen Jahr
beschlossen wurden und die die Länder nach dem heute
noch geltenden Grundgesetz nicht bekommen würden.
Und jetzt kommen Sie und sagen: Aber die GVFG-Mittel
muss der Bund auch noch zusätzlich auf 1 Milliarde Euro
erhöhen. - Ich bitte Sie: Das ist fast schon unverschämt.
Da war sogar der grüne Ministerpräsident aus Baden-Württemberg gemäßigter. Der hat nämlich diesem
Kompromiss zugestimmt und war damit mehr als zufrieden. Vielleicht sollten Sie, Kollege Kühn, bei ihm einmal
14 Tage hospitieren.
Vielen Dank.
({6})
Sabine Leidig hat als nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Die Linke will öffentlichen Nahverkehr für
alle, und zwar in guter Qualität, barrierefrei und bezahlbar, am besten zum Nulltarif.
({0})
Erstens können und werden dann wesentlich mehr
Leute vom Auto auf Bahn und Bus umsteigen; das bestätigt übrigens auch der ADAC. Das wiederum bedeutet
weniger Lärm, weniger gesundheits- und klimaschädliche Abgase, weniger Stau und mehr Platz auf den Straßen für schöne Dinge.
Zweitens können mit den Öffis, wie die Österreicher
es nett ausdrücken, wirklich alle mobil sein - Kinder,
Alte, Menschen mit Behinderung, Umweltbewusste und
auch die, die sich kein Auto leisten können -, und genau
das wollen wir.
({1})
Dafür muss umverteilt werden, und zwar vom Autoverkehr hin zum öffentlichen Nahverkehr.
So wie es jetzt ist, sind die Verkehrsverhältnisse
schlicht ungerecht, und zwar sehr konkret. In Kassel zum
Beispiel, wo ich wohne, kostet eine Stunde Parken in der
Innenstadt 2 Euro, aber ein Fahrschein für eine Fahrt in
die Innenstadt kostet 2,90 Euro. Im Kaufhaus wird die
Parkgebühr erstattet, aber nicht das Busticket. Parken
ohne Parkschein kostet 10 Euro, aber Fahren ohne Fahrschein kostet 60 Euro. Für den Haushalt der Stadt sieht
es so aus, dass 88 Prozent der Kosten für den ÖPNV gedeckt sind; aber beim Straßenverkehr sind es nur 34 Prozent. Das heißt, die Stadt legt dafür ordentlich drauf.
Nun unterstützt der Bund - nach langem Ringen auch in Zukunft den ÖPNV über das sogenannte Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz mit 330 Millionen
Euro pro Jahr; so ist es vorgesehen. Das klingt nach viel,
ist aber viel zu wenig. Wenn man diese Summe zum Beispiel mit den Dieselsubventionen vergleicht, stellt man
fest: Es ist nur 5 Prozent davon. Ich rede von einer Dieselsubvention, die vor allen Dingen dem Lkw-Verkehr
nützt, die sage und schreibe 7,4 Milliarden Euro jährlich
kostet, und das, obwohl wir wissen, dass Dieselabgase
besonders gesundheitsschädlich sind, dass immer mehr
Menschen von Reizhusten geplagt sind und dass Kinder
besonders darunter leiden. Ich finde, das ist wirklich unerträglich.
({2})
Diese Subvention muss weg. Mit den Mehreinnahmen
könnte der öffentliche Nahverkehr wirklich ordentlich
gefördert werden.
Ein anderes Beispiel. Im Bundesverkehrswegeplan 2030 ist eine ganze Reihe Straßenbauvorhaben vorgesehen, die überteuert und überdimensioniert sind, die
keinerlei Engpass beseitigen, die aber massiv zur Zerstörung von Natur führen werden.
({3})
Zu diesen widersinnigen Vorhaben gehören zum Beispiel
die Küstenautobahn A 20 quer durch Niedersachsen und
Schleswig-Holstein, die A 100 in Berlin oder die A 46
in Nordrhein-Westfalen. Für zwölf solcher unnützer Projekte sind 10 Milliarden Euro vorgesehen. Der BUND
nennt sie das „dusselige Dutzend“. Dieser Einschätzung
schließen wir uns an.
({4})
Wir sagen Nein zu diesen Fehlinvestitionen. Das Geld
muss anders investiert werden, und zwar in den flächendeckenden Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.
Unser Vorschlag ist ein Verkehrswendefonds, gefüllt
mit 10 Milliarden Euro, die der Bund zweckgebunden
an Kommunen und Länder ausgibt und damit verbindet,
dass eine Mobilitätsgarantie gewährt wird, insbesondere
für die ländlichen Räume, damit alle die Garantie haben,
dass sie binnen einer halben Stunde das nächste Oberzentrum erreichen. Dafür gibt es Konzepte. Das lässt sich
realisieren, und das fordern wir.
({5})
Es muss überall eine gute Alternative zum Auto geben.
Das ist schließlich die Voraussetzung für Freiheit, die Sie
immer einfordern. Mehr und besserer ÖPNV ist also notwendig, auch für eine sozialökologische Verkehrswende.
Außerdem böte ein solches öffentliches Investitionsprogramm sinnvolle Perspektiven auch für viele Beschäftigte in der Automobilindustrie, die jetzt wegen Dieselgate
um ihre Arbeitsplätze bangen.
Vielen Dank.
({6})
Sören Bartol hat als nächster Redner für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mehr Investitionen für den ÖPNV, da sind wir Sozialdemokraten natürlich dabei. Das gilt genauso, wenn es
darum geht, für fairen Wettbewerb im Nahverkehr zu
sorgen. Aber gerade dafür brauchen wir keinen Antrag
der Grünen. Wir müssen den Bund nicht auffordern,
einen Gesetzentwurf zur Änderung des PBefG vorzulegen. Es gibt schon eine gute Initiative des Bundesrates,
zu der sich der grüne Verkehrsminister des Landes Baden-Württemberg übrigens enthalten hat. Diese Initiative
unterstützen wir. Sie sollte schnell beraten werden, damit
soziale und ökologische Standards verbindlich definiert
werden können und nur die Verkehrsunternehmen, die
sie erfüllen, den Zuschlag bekommen.
Der Gesetzesantrag der Länder hat drei Ziele: Das
Nichteinhalten von Anforderungen wie soziale und Umweltstandards soll ein Ablehnungsgrund sein können.
Regelungen zur Tariftreue und zum Personalübergang
sollen in Nahverkehrspläne und Vorabbekanntmachungen aufgenommen werden können. Bei den Anträgen auf
eigenwirtschaftlichen Verkehr muss die wirtschaftliche
Erbringbarkeit über den gesamten Zeitraum dargelegt
werden.
Ich weiß, dass gerade die letzten beiden Punkte von
vielen Omnibusunternehmen kritisch gesehen werden.
Deswegen möchte ich mich auf den Punkt konzentrieren, den ich zentral finde: Die Nichteinhaltung zuvor definierter sozialer Standards muss ein Ablehnungsgrund
sein können - die Hauptforderung auch des Antrages
der Grünen. Hier brauchen wir Rechtssicherheit, die wir
mit der Bundesratsinitiative schaffen können, gerade
auch deshalb, weil wir es mit einem hochkomplexen Zusammenspiel aus öffentlichen und privaten Verkehrsunternehmen, Aufgabenträgern, Genehmigungsbehörden,
Verkehrsverbünden zu tun haben.
Wir haben in der letzten Legislaturperiode das PBefG
novelliert. Ich war an der Kompromissfindung beteiligt
und habe natürlich gehofft, dass der Kompromiss länger
trägt. Aber wenn uns fast 200 Personalräte öffentlicher
Verkehrsunternehmen anflehen, tätig zu werden, wenn
Verdi, VDV, die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft, der Städtetag mit einer Stimme sprechen,
dann kann man das nicht ignorieren; dann zeigt das, dass
es einfach große Sorgen gibt.
({0})
Ich kenne die Einwände. Sicherlich, man kann vorbringen: Es handelt sich nicht um ein Vorhaben des Koalitionsvertrages. Warum der Zeitdruck? Warum nicht
in Ruhe diskutieren, wie das PBefG in der nächsten Legislaturperiode geändert werden sollte? Man kann auch
vorbringen: Die - das kann ich mir jetzt nicht verkneifen: wenig aussagekräftige - Evaluierung des PBefG soll
zunächst beraten werden.
Aber es gibt ein schlagendes Argument dafür, schnell
zu sein: Aufgrund der im Jahr 2019 auslaufenden Übergangsfrist für die entsprechende Verordnung wird in den
kommenden zwei Jahren die Mehrheit der über 500 kommunalen Aufgabenträger Ausschreibungen oder Direktvergaben durchführen. Davon werden nach Schätzungen
von Verdi drei Viertel aller Betriebe in Deutschland, circa
100 000 Beschäftigte direkt und 20 000 bis 30 000 in
Subunternehmen betroffen sein. Aktuell haben sich mit
nur einer Ausnahme alle Kommunen bei abgelehnten
Anträgen auf eigenwirtschaftlichen Verkehr mit Klagen
auseinanderzusetzen und können den Auftrag nicht endgültig rechtssicher vergeben.
Deswegen möchte ich Sie alle an dieser Stelle bitten,
einen Ausgleich zu finden zwischen denen, die sich zu
Recht um ihre Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen
sorgen, und denen, die befürchten, ihre Geschäftsgrundlage, ihre Wettbewerbsfähigkeit einzubüßen.
Ich habe die Art und Weise, wie wir bei der letzten
Novellierung einen Ausgleich erreicht haben, sehr geschätzt. Daran wollen wir anknüpfen und haben deshalb
in den vergangenen Wochen Gespräche mit den antragstellenden Bundesländern und auch mit unserem Koalitionspartner geführt. Die Gespräche mit den Ländern
waren sehr konstruktiv - ihr Gesetzesantrag gibt unsere
Haltung eins zu eins wieder -; die mit dem Koalitionspartner - das hat man gerade vom Kollegen Donth gehört - waren noch nicht ganz so erfolgreich.
({1})
Aber ich möchte trotzdem, dass wir zueinanderkommen können. Denn es geht mir und meiner Fraktion ausdrücklich nicht um die Abschaffung der Eigenwirtschaftlichkeit. Die muss es weiter geben. Was aber nicht geht,
ist, dass Eigenwirtschaftlichkeit durch Sozialdumping
erreicht wird.
({2})
Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Ich gehe
davon aus, dass die meisten Verkehrsunternehmer verantwortungsbewusste Arbeitgeber sind. Angesichts des
Mangels an Personal ist dies ja ohnehin geboten. Aber
wenn ich als Politiker die Möglichkeit habe, durch eine
schlanke Änderung des PBefG - nennen wir es einfach
mal so - eine Präzisierung zu erreichen, nämlich dass,
wer wirtschaftlich ist, weil er Sozialstandards unterläuft,
den Auftrag nicht bekommt, dann will ich die ergreifen.
({3})
Ich verstehe übrigens nicht, wie man sich dem versperren
kann.
Deswegen bitte ich die Verkehrspolitikerinnen und
Verkehrspolitiker insbesondere der Union, sich einen
Ruck zu geben. Lassen Sie sich von Ihren Kolleginnen
und Kollegen aus der Kommunalpolitik überzeugen! Reden Sie mit denen, die bei Ihnen für die Arbeitnehmerinteressen einstehen! Hören Sie auf die Bürgermeister aus
Ihrer Partei! Und dann können Sie eigentlich nur zu dem
Ergebnis kommen - das gilt dann am Ende natürlich auch
für die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen -, den
Gesetzesantrag der Länder zu unterstützen.
Vielen Dank.
({4})
Als nächster Redner hat Thomas Jarzombek für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich wollte ich mehr zur Sache reden, aber nachdem der
Kollege Bartol hier eine Wahlkampfrede gehalten hat,
kann das nicht völlig unwidersprochen bleiben.
({0})
Ich sage nur eines dazu: Natürlich müssen die Dinge,
die wir gemeinsam verabredet haben, auch gemeinsam
getragen werden. Was das Thema „potenzielles SozialSören Bartol
dumping im öffentlichen Nahverkehr“ betrifft, muss erst
einmal ein vernünftiger Regelungsvorschlag her;
({1})
denn, lieber Kollege Bartol, wir in Nordrhein-Westfalen
sind gebrannte Kinder durch Tariftreuegesetze, die den
Mittelständlern und gerade den kleinen Mittelständlern
so viel bürokratisches Blei ans Bein binden, dass kein
kleines Unternehmen mehr Aufträge bekommen kann.
({2})
Deshalb müssen diese Dinge auch umsetzbar sein. Daran, dass sich Andreas Rimkus so aufregt, merke ich,
dass er dadurch offensichtlich getroffen ist.
({3})
Ich kann nur sagen: Das Tariftreuegesetz in Nordrhein-Westfalen, das Unternehmen und Handwerksbetrieben Regelungen vorgibt, um auch noch für den dritten
Subunternehmer zu bürgen, dass auch der sich tariftreu
verhält, und von Zertifikaten und von Siegeln spricht,
von denen keiner weiß, wie er sie bekommen soll, ist
mittelstandsfeindlich. Wir müssen mittelstandsfreundliche Regelungen schaffen, meine Damen und Herren.
({4})
Davon abgesehen, wollte ich Ihnen eigentlich eine
gute Nachricht präsentieren, auch wenn es für einen Düsseldorfer jetzt ein schwerer Gang ist, gerade den in Köln
beheimateten VRS zu zitieren: „Erneuter Rekord bei
Fahrgastzahlen und Einnahmen.“ Das ist eine Pressemitteilung des VRS von Montag. Der öffentliche Nahverkehr schreibt seit Jahren in Deutschland eine riesige Erfolgsgeschichte. Es gibt jedes Jahr mehr Fahrgäste, und
der öffentliche Nahverkehr ist eindeutig ein Gewinner
der Digitalisierung; denn Kunden, die früher nicht wussten, wann eine Straßenbahn kommt, können dies jetzt mit
einer App erfahren. Sie können gleich ein Ticket kaufen.
({5})
Beim Warten an der Haltestelle sind sie jetzt beschäftigt.
Sie sind auch beim Fahren im Verkehrsmittel häufig mit
ihrem Handy beschäftigt. Gerade junge Leute sagen: Ich
fahre lieber mit Bus und Bahn, da kann ich weiter auf
Facebook und Co etwas machen, was ich beim Autofahren nicht kann. Deshalb sind die öffentlichen Nahverkehrsbetriebe Gewinner.
Aber sie müssen es auch bleiben. Hier stehen wir natürlich vor Herausforderungen. Kollege Kühn, zu Recht
haben Sie das herausgestellt: Wir müssen aus dieser
Kleinstaaterei heraus und brauchen endlich eine gemeinsame Plattform. Ich habe auf meinem Handy nachgezählt
und festgestellt, ich habe neun Mobilitäts-Apps, die ich
alle regelmäßig brauche: drei davon für die Rheinbahn,
für die BVG und für die Deutsche Bahn. Diese müssen
integriert werden.
Richtig ist, dass der Bundesverkehrsminister 16 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat, um eine einheitliche Plattform zu machen;
({6})
denn natürlich möchte ich mit der Rheinbahn-App auch
Tickets bei der Bahn und bei der BVG kaufen, und wenn
ich nach Frankfurt, Hamburg oder München fahre, dann
eben auch dort.
({7})
Ich möchte aber insbesondere, und das ist meine
Forderung an die Nahverkehrsunternehmen und an die
Verbünde, weg von diesen albernen Karten. Warum
brauchen Sie als Rheinbahnticket noch eine Karte im
Portemonnaie? Wir machen jetzt gerade die Novelle des
Personalausweisgesetzes. Der Personalausweis sollte als
universelle ID - genauso wie alternativ eine Bankkarte doch ausreichend sein, um als Verkehrsticket zu dienen.
Gerade die Kunden, die wenig fahren, verschrecken Sie
damit, dass man sich erst aufwendig solche Karten beschaffen und diese dann auch noch transportieren muss.
({8})
Ein weiteres wichtiges Thema ist Open Data. Wir
werden hier morgen im Deutschen Bundestag das erste
Open-Data-Gesetz einbringen. Darauf bin ich persönlich
stolz, weil das wirklich ein großer Meilenstein ist. Diese Open-Data-Strategie, nämlich dass die Daten, die der
Allgemeinheit gehören, auch der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden müssen, ist eine Innovationsquelle. Die öffentlichen Nahverkehrsunternehmen dürfen
hier nicht auf Datentöpfen sitzen.
Ich weiß von Leuten, die innovative Verkehrs-Apps
programmieren, wie schwer es ist, mit jedem einzelnen Verkehrsverbund zu verhandeln, wie man an die
Fahrplandaten, an Echtzeitdaten und auch noch an eine
Schnittstelle kommt, um Tickets zu verkaufen. Die Aufgabe der Nahverkehrsunternehmen besteht nicht darin,
Google Konkurrenz zu machen, mit großem Aufwand
eine eigene Plattform zu produzieren und dann die Daten
darin abzuschließen, sondern die Aufgabe der Nahverkehrsunternehmen besteht darin, auf so vielen Plattformen wie möglich für ihr Produkt zu werben. Das bedeutet, dort Verbindungen präsent zu machen, dort Angaben
zu platzieren und Menschen zu ermuntern, mit dem öffentlichen Nahverkehr zu fahren.
Wir stehen darüber hinaus vor einer großen Herausforderung, die damit einhergeht, dass beispielsweise
BMW angekündigt hat, dass schon in vier Jahren Fahrzeuge selbst fahren. In dieser Woche haben wir auch den
Gesetzentwurf zum automatisierten Fahren hier im Plenum. Das wird auch eine große Herausforderung für die
Nahverkehrsunternehmen. In der letzten Woche haben
wir auf der CeBIT mit unserer Arbeitsgruppe schon in
einem selbstfahrenden Bus mitfahren können, der neun
bis zwölf Leute transportieren kann und für die Schweizerische Post im Kanton Wallis unterwegs ist. Das ist ein
tolles Projekt.
Es gibt auf dem EUREF-Campus hier in Berlin etwas
Vergleichbares, und ich glaube, es ist wichtig, dass der
öffentliche Nahverkehr dieses Thema sehr deutlich voranstellt. Die Zeit der großen Gefährte ist langsam, aber
sicher vorbei. Die Menschen haben immer individuellere Bedürfnisse. Gerade über die Apps lernen Nahverkehrsunternehmen, wo Kunden herkommen und wo sie
wirklich hinfahren wollen.
({9})
Und das müssen wir berücksichtigen. Deshalb erwarte
ich von den Nahverkehrsunternehmen, dass sie auch auf
diese Plattform setzen und sich mit diesen selbstfahrenden Fahrzeugen an die Spitze der Bewegung setzen.
Der allerletzte Punkt ist ein ganz wichtiger: Um den
Erfolg, den wir heute haben, auch fortzusetzen, brauchen
wir WLAN, und zwar nicht nur an den Haltestellen, sondern auch in den Verkehrsmitteln. Das ist gerade für junge Leute ein immer wichtigerer Aspekt. Deshalb ist es
wichtig, dass die Nahverkehrsunternehmen beim Thema
WLAN die Initiative ergreifen. Dafür werbe ich und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Kerstin Kassner hat jetzt für die Fraktion Die Linke
das Wort.
({0})
Danke schön. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Werte Gäste auf der Tribüne! Wir haben
es hier mit einem Thema zu tun, das für uns alle sehr
wichtig ist und das, glaube ich, in der Zukunft noch viel
bedeutendere Anforderungen an uns alle stellen wird als
heute. Diesen Anforderungen gilt es zu genügen; das ist
unsere Aufgabe.
({0})
Ich habe eigentlich immer gerne recht.
({1})
Ich hätte mir aber gewünscht, dass das, was meine Kolleginnen und Kollegen in ihrer Erklärung zur Novelle des
Personenbeförderungsgesetzes im Jahre 2012 prognostiziert haben, nicht wahr wird, nämlich dass es einen Verdrängungswettbewerb geben wird und dass der Vorrang
eigenwirtschaftlicher Verkehre dazu führt, dass kommunale Unternehmen verdrängt werden.
({2})
Wer das leugnet, Herr Donth, dem sage ich: Schauen Sie
sich an, was in der Zwischenzeit passiert ist. Ein 104 Jahre altes Unternehmen mit 250 Beschäftigten musste aufgeben.
({3})
In Hildesheim steht Ähnliches bevor. Dort schätzt man,
dass der Tariflohn um 30 Prozent gesenkt werden müsste,
damit die kommunalen Unternehmen mit den sogenannten eigenwirtschaftlichen Verkehren konkurrieren können. Das ist in meinen Augen Dumping. Das muss man
eindeutig so benennen.
({4})
Das wollen wir nicht. Deshalb gehört dieser Vorrang abgeschafft.
({5})
Ich sage Ihnen: Neben diesem ersten Punkt, dass die
Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, für ihre Arbeit ordentlich entlohnt werden, also den sozialen Standards, die mir besonders wichtig sind, gibt es noch einen
zweiten Punkt, der mir auf der Seele brennt. Das ist die
Frage: Bedeutet eigenwirtschaftlich wirklich eigenwirtschaftlich? Wir alle wissen, dass es Ausgleichszahlungen für schwerbehinderte Menschen gibt, damit diese
ein entsprechendes Ticket für die kostenlose Benutzung
des Nahverkehrs bekommen. Das ist gut so; das finde
ich auch richtig. Aber wenn dadurch das Geld fehlt, um
Busse absenkbar zu machen und so die Möglichkeit zu
schaffen, dass man überhaupt in den Bus hineinkommt,
und um zu gewährleisten, dass man mit dem Rollstuhl
einen Platz hat und auch tatsächlich mitgenommen werden kann, dann muss ich sagen, dass bei den Regelungen
tatsächlich etwas fehlt. Hier muss mehr getan werden.
({6})
Als ehemalige Landrätin der Insel Rügen ist mir natürlich auch sehr wichtig, dass es einen kommunalen
Gestaltungsspielraum gibt. Ich kann Ihnen sagen: Der
Kampf um den Nahverkehrsplan ist jedes Mal ein Ringen
um den Status quo. Die Insel Rügen ist vielleicht nicht
das typischste Beispiel, weil wir sehr viele Gäste haben,
die das ÖPNV-System nutzen. Aber ich kenne in meiner
Heimatregion ländlich geprägte Räume, wo wirklich nur
noch der Schulbus in die einzelnen Orte kommt. An der
Stelle, sage ich, muss mehr getan werden.
({7})
Vielleicht erinnern Sie sich alle noch an die Kreativitätsspiele in der Schule, wo man einmal aufmalen sollte,
wie man sich die verkehrliche Anbindung der Kommune
der Zukunft vorstellt. Da gibt es bestimmt viele kreative
Vorschläge und Ideen, was man dort umsetzen könnte.
Es scheitert aber daran, dass die Kommunen diese Ideen
kaum aufnehmen können, weil sie keine Möglichkeiten
haben, das finanziell zu untersetzen. Da sind meiner Meinung nach ein bargeldloses Zahlungssystem oder eine
WLAN-Anbindung für viele wirklich noch lächerliche
Nebensächlichkeiten.
({8})
Erst einmal muss ein Bus kommen. Es muss möglich
sein, aus dem Dorf in das jeweilige Oberzentrum zu gelangen. Dafür brauchen wir Ansätze, die müssen wir gemeinsam finden.
({9})
Da wünschte ich mir, dass es eine Innovationsoffensive gibt, damit den Kommunen Unterstützung gegeben
wird, solche Lösungen zu finden. Der Bürgerbus alleine
wird es nicht lösen. Also machen wir uns auf den Weg.
Gehen wir mit unseren Kommunen in die Zukunft, auch
auf diesem Gebiet.
Vielen Dank.
({10})
Als nächster Redner spricht Sebastian Hartmann für
die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, herzlichen Dank für die Initiative und die Gelegenheit, noch einmal deutlich zu machen, dass wir auch in
einer Großen Koalition deutliche Unterschiede haben.
Das ist gut so, und das ist wichtig, gerade mit Blick auf
den Wahlkampf.
({0})
Das erste Wort deswegen auch an den Kollegen
Jarzombek. Es ist doch absurd, jemandem vorzuwerfen,
eine Wahlkampfrede zu halten. Wahlkampf ist die Hochphase der Demokratie.
({1})
Wir machen deutlich, worin die Unterschiede bestehen,
damit die Wählerinnen und Wähler diese erkennen und
eine gute Wahl treffen können.
({2})
Eine schlechte Wahl würden sie treffen, wenn sie den
Kollegen der Union folgen würden. Zu dem, was Sie als
Nordrhein-Westfale gerade zum Thema Tariftreue gesagt
haben, sage ich: Vorsicht an der Bahnsteigkante! - Das
wollte ich als Verkehrspolitiker unbedingt einmal sagen.
({3})
Wenn Sie dem folgen, was Sie zum Thema Tariftreue
ausgeführt haben, dann schädigen Sie das System Nahverkehr in Deutschland nachhaltig. Sie schädigen die Beschäftigten,
({4})
die auf gute Rahmenbedingungen angewiesen sind. Sie
schädigen auch diejenigen, die auf guten Nahverkehr angewiesen sind, die in den Bussen und Bahnen transportiert werden.
({5})
Lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Sofort.
Bitte, Herr Jarzombek.
Herr Kollege Hartmann, der Unterschied zwischen
uns ist vielleicht der, dass wir noch bis zum Sommer gewählt sind und regieren und konstruktiv arbeiten wollen
({0})
und nicht schon im März in den Wahlkampfmodus gehen.
Meine Frage an Sie: Sie haben gesagt, dass Sie sich
von dem, was ich vorhin gesagt habe, unterscheiden. Ich
habe gesagt, dass wir sehr dafür sind, dass es für die Unternehmen im Nahverkehrsbereich eine Tariftreuepflicht
gibt, aber diese Regelungen so ausgestaltet sein müssen,
dass deren Einhaltung auch für Mittelständler und für
Handwerker leistbar ist und das Ganze nicht zum Bürokratiemonster wird. Was genau haben Sie daran zu kritisieren?
Sehr geehrter Herr Kollege Jarzombek, Sie kommen
auch aus Nordrhein-Westfalen. Ich habe am Freitag der
letzten Woche angekündigt: Wenn die Union mir noch
ein einziges Mal ein Bürokratiemonster vorhält, dann
werde ich Sie daran erinnern, was Sie bei der Pkw-Maut
an Datenkraken usw. beschlossen haben.
({0})
Ich danke Ihnen herzlich, dass ich in meiner ersten Rede
nach der Pkw-Maut nun diese Gelegenheit habe, Ihnen
das mit großer Freude zurückzuspielen.
({1})
Der Punkt ist ein anderer.
({2})
- Nein, Sie müssen jetzt zuhören. Sie haben die Frage
gestellt, und Sie haben mir die Chance gegeben, worüber
ich mich freue.
({3})
Wenn wir in 14 von 16 Bundesländern Tariftreueregelungen haben und zwei Länder nicht, nämlich Sachsen
und Bayern, dann müssen sich doch die beiden Länder
fragen lassen, warum sie diese Regelungen nicht haben.
Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist: Es kann doch nicht sein, dass wir
im öffentlichen Personennahverkehr ein Tarifdumping
bei den Sozialstandards haben und wir noch nicht einmal
in der Lage sind, die Standards zu dokumentieren, die
wir schützen wollen.
Der dritte Punkt ist: Wir haben das Tariftreuegesetz
auf den Weg gebracht. Auch wenn wir nicht im Landtag
von Nordrhein-Westfalen sind, sage ich: Es geht um den
Schutz von Beschäftigten.
({4})
Wenn Sie sich hierhinstellen und das als Bürokratiemonster darstellen, dann sage ich Ihnen, liebe Kolleginnen und
Kollegen, liebe Beschäftigte der Betriebe, all diejenigen
in Nordrhein-Westfalen, die vielleicht an den 14. Mai
denken: Achten Sie darauf, wer die Regelung abschaffen will. Achten Sie darauf, wer sie schützen will. Achten
Sie darauf, wer sie in den Koalitionsvertrag geschrieben
hat. - Danke, Hannelore Kraft.
({5})
Ich bleibe dabei: Wahlkampf ist die Hochphase der
Demokratie. Man muss den Unterschied deutlich machen.
Ich komme zu den anderen Unterschieden. Der Kollege Bartol hat doch völlig recht. Wir wollen das Personenbeförderungsgesetz behutsam weiterentwickeln.
Wir merken, dass wir an Ausschreibungsgrenzen kommen, wenn es darum geht, Eigenwirtschaftlichkeit und
gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen in Einklang miteinander zu bringen.
Natürlich ist es richtig, was die Grünen gesagt haben.
Der ÖPNV ist ein Erfolgsmodell in Nordrhein-Westfalen
wie in anderen Bundesländern auch. Über 10,2 Milliarden Menschen sind mit dem Nahverkehr in Deutschland
unterwegs. Damit tun wir etwas für die Metropolräume
und für den ländlichen Raum. Es ist ganz wichtig, dass
wir den Nahverkehr schützen und weiter ausbauen.
Ich sage als Verkehrspolitiker, der auf Bundesebene Verantwortung trägt: Ja, ich freue mich, dass das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz fortgeschrieben wird. Ja, es
ist eine gute Vereinbarung, dass man sich da entschieden
hat, verschiedene Regelungen der Entflechtung zurückzuführen. Aber ich gebe genauso offen zu - davor verschließe ich nicht die Augen -, dass wir mehr Investitionen in den kommunalen ÖPNV brauchen. Wir müssen
den Erhaltungs- und Sanierungsstau auflösen.
({6})
Auch mit Blick auf die Wahlen, die nun kommen,
sage ich: Lassen Sie uns das als Ausgangspunkt dafür
nehmen, dass diese bundesgesetzliche Regelung fortgeschrieben wird. Aber wir können in einer neuen, besseren
Koalition, als wir sie heute haben, mehr für den öffentlichen Nahverkehr tun, indem wir dort mehr investieren
und sagen: Ja, man muss den kommunalen Investitionsstau abbauen. - Das ist das Ziel der sozialdemokratischen
Verkehrspolitik, meine Damen und Herren auf den Tribünen, die Sie am 24. September darüber entscheiden, wie
zukünftig der Verkehr in Deutschland organisiert wird.
({7})
- Aber das ist doch nicht verwerflich. - Wir haben doch
hier im Plenum jede Menge Alternativen, sodass man
eine freie Wahlentscheidung treffen kann. Das Tolle in
unserem demokratischen, freien Land ist, dass es hier
Entscheidungsmöglichkeiten gibt.
Ich schließe nun an die Frau Landrätin außer Dienst
an. Natürlich, auch ich trage Kommunalverantwortung.
Als stellvertretender Landrat des Rhein-Sieg-Kreises
sage ich: Ja, wir haben Ausschreibungen vorgenommen. - Zu den Ausschreibungen hören wir aus den Kommunen: Wir haben Sorgen, was die Rechtssicherheit
angeht, wir haben Sorgen, wie wir die Sozialstandards
so abbilden können, dass wir europäisches Recht berücksichtigen, weil wir dieses Regime beachten müssen, und
wir wollen es künftig so gestalten, dass Eigenwirtschaft
nicht gegen Gemeinwirtschaft ausgespielt wird. - Man
sollte nicht dem Denkfehler unterliegen, dass der private Unternehmer automatisch raus ist, wenn es um einen
öffentlichen Dienstleistungsauftrag geht. Wer ist denn
Subunternehmer in den Kommunen? Auch dort ist ein
Zusammenspiel erkennbar. Ich kenne jede Menge private Unternehmen, die sich auch an Tarifregeln halten und
dafür sind, dass es gute Arbeit gibt.
({8})
Lassen Sie uns da doch nicht den einen gegen den anderen ausspielen, sondern lassen Sie uns gemeinsam dafür
sorgen, dass demjenigen, der Tarifrecht bricht und mit
Sozialdumping einen Vorteil erlangen will, eine rote Karte gezeigt wird, Kolleginnen und Kollegen.
({9})
Mich freut als Nordrhein-Westfale umso mehr, dass
mein Heimatbundesland Nordrhein-Westfalen, wenn es
darum geht, das Personenbeförderungsgesetz fortzuentwickeln, einen guten Vorschlag eingebracht hat. Wenn
sich die Grünen im Bundesrat nur enthalten haben - Kollege Bartol hat es dargestellt -, heißt das noch lange nicht,
dass der Bundesrat nachher nicht einvernehmlich darauf
achtet, dass wir als Bundestag hier unserer Verantwortung nachkommen. Wir haben Evaluierungspflichten in
das Gesetz geschrieben und gesagt, dass wir uns das Personenbeförderungsgesetz noch einmal anschauen müssen. Das heißt dann für uns als Gesetzgeber: Wenn wir es
in dieser Koalition nicht hinbekommen, dann werden wir
es vielleicht nach der Wahl umso dringender tun müssen.
Wir werden in der nächsten Zeit, nämlich innerhalb der
nächsten zwei Jahre, deutlich mehr Ausschreibungen und
deutlich mehr offene Fragen haben. Darauf zu reagieren,
ist unsere Verantwortung. Wir würden uns freuen, wenn
wir es schon jetzt, in der laufenden Wahlperiode, auf den
Weg bringen könnten.
Herr Jarzombek, da bin ich komplett bei Ihnen: Wir
sind jetzt nicht im Wahlkampfmodus,
({10})
sondern müssen nach wie vor unserer gesetzgeberischen
Verantwortung nachkommen, also das Gesetz jetzt schon
anpacken und nicht erst den Wahltermin verstreichen lassen. So würden wir schneller Rechtssicherheit schaffen.
({11})
Das Angebot steht, ich bleibe dabei. Ich freue mich auch
auf die morgige Aussprache zum E-Government-Gesetz,
das wir auf den Weg bringen werden. Da können wir aber
in der Koalition noch mutiger sein; denn wir sollten als
Bund immer mit gutem Beispiel vorangehen.
({12})
Meine Damen und Herren, der öffentliche Nahverkehr ist in Deutschland auf dem Erfolgsweg. Wir haben
nicht nur mit der Erhöhung der Regionalisierungsmittel
dafür gesorgt, dass deutlich mehr in den schienengebundenen Nahverkehr investiert wird, sondern haben
auch die Chance, das GVFG, das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, fortzuentwickeln. Das ist ein großes
Angebot. Den uns von den Ministerpräsidentinnen und
Ministerpräsidenten zugespielten Ball nehmen wir auf.
Das Gute erhalten, das andere noch viel besser machen,
mehr Investitionen in den Nahverkehr - so schützen wir
Metropolen, so gestalten wir den ländlichen Raum. Das
ist das Ziel der sozialdemokratischen Verkehrspolitik.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({13})
Britta Haßelmann hat als nächste Rednerin für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Wenn Sie so aufheulen und wir hier schon einen
kleinen Vorgeschmack der nächsten fünf Sitzungswochen
bekommen, was das Wahlkampfgeplänkel zwischen Union und SPD angeht, dann kann unser Antrag zu einem
fairen Wettbewerb für die kommunalen Verkehrsunternehmen, für die Menschen vor Ort, die den Nahverkehr
nutzen, nicht so falsch gewesen sein.
({0})
Meine Damen und Herren, eine kleine Vorbemerkung
zur Pkw-Maut: Vorhin fand ein Schlagabtausch zu diesem Thema statt, und man konnte den Eindruck gewinnen, dass eigentlich niemand mehr so recht für dieses
unsinnige, bürokratische und europafeindliche Projekt
Verantwortung übernehmen will.
({1})
Letzten Freitagmorgen ist dieses Projekt mit den Stimmen von Union und SPD wider jede Vernunft hier verabschiedet worden.
({2})
- Herr Donth, ganz kurz zu Ihnen: Dass Sie sich hier in
einer solch platten Art und Weise im Sinne von: „Wir sind
für die Privaten, ihr wollt die Planwirtschaft“ äußern, das
hat doch mit Sachverstand nichts zu tun. Ich bitte Sie!
({3})
Das ist eins zu eins eine Position, die Sie wahrscheinlich
von einer Presseerklärung des Bundesverbandes Deutscher Omnibusunternehmer übernommen haben.
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur sagen:
Das Problem ist wesentlich komplexer. Die kommunalen Spitzenverbände, 200 Personalräte, Verdi und viele
weitere Arbeitnehmervertreterorganisationen, die Sören
Bartol eben genannt hat, warnen uns vor diesem Problem
und bitten uns darum - und zwar nicht nur die Länder,
sondern auch den Gesetzgeber Deutscher Bundestag -,
zu sagen: Beim Personenbeförderungsgesetz ist etwas
aus dem Ruder gelaufen. Die Entwicklung geht in die
falsche Richtung, wenn es um das Thema „fairer Wettbewerb“ geht. Alle, die sich in den Kommunen, in den
Ländern und auch auf Bundesebene mit diesem Thema
beschäftigen, wissen, dass es ein Problem gibt, weshalb
wir nachsteuern müssen. Deshalb ist es bedauerlich, Herr
Donth, dass Sie so eine Linie aufmachen.
({4})
Unterhalten Sie sich doch einmal mit Michael Dreier,
dem Bürgermeister von Paderborn. Er hat kein Parteibuch meiner Partei, sondern er ist CDU-Mitglied. Er bittet uns alle darum, sowohl die Landesebene als auch die
Bundesebene, endlich aktiv zu werden, weil 2016 viele
Verkehrsverträge ausgelaufen sind und weitere 2017 auslaufen, sodass sich die Problematik für die kommunalen
Verkehrsträger zuspitzt. Dann wird es schwer sein, dem
fairen Wettbewerb überhaupt noch eine Chance zu geben.
({5})
Das ist der Grund, weshalb wir das Thema heute auf die
Tagesordnung gesetzt haben. Es geht um nicht weniger
als um die Existenz vieler kommunaler Verkehrsbetriebe.
2012 wurde der Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit
für private Verkehrsunternehmen im Personenbeförderungsgesetz neu justiert. Derzeit machen sich viele Bürgermeister und Gewerkschafter ernsthaft Sorgen darüber, wie die Zukunft ihrer kommunalen Verkehrsbetriebe
aussehen könnte. Sie alle kennen den Fall Pforzheim,
wo ein städtischer Verkehrsbetrieb - das wurde bereits
von zwei Rednern angesprochen - in den letzten Jahren
komplett abgewickelt werden musste, weil eine Tochter
der DB Regio eine eigenwirtschaftliche Genehmigung
zum Betrieb des gesamten Stadtverkehrs bekommen hatte. In Hildesheim lief es ganz ähnlich. Hier konnte der
eigenwirtschaftliche Antrag allerdings gerade noch abgewehrt werden. Was war der Preis dafür? Es mussten
veränderte Arbeitsbedingungen vereinbart werden, um
den Vertrag noch weiterführen zu können. Das alles geschah auf dem Rücken der Beschäftigten, weil Standards
abgesenkt wurden. Das betrifft auch viele andere Städte:
Kiel, Leverkusen, Hamm, Gotha, Esslingen, Oldenburg
und Saarlouis; um nur ein paar zu nennen. Dort lief es
ganz genauso. 2017 werden viele weitere Verkehrsverträge auslaufen. Sich zu positionieren nach dem Motto:
„Privat vor Staat, die wollen das alles ganz anders“, ist
doch völliger Quatsch.
({6})
Wir wollen, dass kommunale Verkehrsunternehmen
faire Wettbewerbschancen haben. Das wird durch den
beschriebenen Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit verhindert. Ich finde es wichtig, dass wir uns als Deutscher
Bundestag dazu verhalten und nicht allein auf den Bundesrat warten oder das Thema nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben.
Die Bundesratsinitiative geht nicht nur von einem
Bundesland aus, sondern von Nordrhein-Westfalen,
von Niedersachsen und von Schleswig-Holstein. Dort
regieren Grüne und SPD gemeinsam und haben eine
entsprechende Initiative auf den Weg gebracht. Hier im
Bundestag ist das für uns aber kein Grund, uns jetzt wegzuducken, uns einen schlanken Fuß zu machen und zu
sagen: Bis zum 24. September passiert gar nichts, wir
warten auf die Bundesratsinitiative. - Jede und jeder von
uns weiß: Eine Bundesratsinitiative kann auch versauern.
Sie wird einfach liegen gelassen.
Frau Kollegin.
Der Bundestag muss sich dazu positionieren, um endlich den fairen Wettbewerb und nicht den Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit für Private so festzuschreiben, wie
er heute festgeschrieben ist. Das sichert nicht die Zukunft
der kommunalen Verkehrsunternehmen. Das verzerrt den
Wettbewerb in den Kommunen, den wir an dieser Stelle
gar nicht scheuen. Deshalb ist es wichtig, dass sich der
Bundestag positioniert.
({0})
Als nächster Redner hat Ulrich Lange für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist ja eine muntere Debatte, die wir aus Nordrhein-Westfalen heraus heute hier in Berlin führen. Wir
sind noch immer der Bundestag und nicht der Landtag.
Liebe Kollegin Haßelmann, ich freue mich, dass Sie sich
heute erstmals zu verkehrspolitischen Themen äußern.
Herzlich willkommen in der Verkehrspolitik heute Vormittag im Deutschen Bundestag!
({0})
Zur Erinnerung - Kollege Bartol hat das eben angesprochen -: Wir haben uns in der letzten Legislaturperiode fraktionsübergreifend mit diesem doch sehr komplexen Thema auseinandergesetzt und haben einen sehr
guten Kompromiss gefunden, in dem sich am Ende alle
wiedergefunden haben.
({1})
All die Positionen, über die wir heute diskutieren, lagen schon damals eins zu eins auf dem Tisch. Sie sind
also nicht neu.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz hat das erlaube ich mir als Kommunalpolitiker zu sagen zumindest bei mir den Praxistest bestanden. Über einen
guten Nahverkehrsplan, für dessen Ausarbeitung man
sich natürlich Zeit nehmen muss und über den man in
den kommunalen Gremien viel diskutieren muss, kann
man Verkehre auch eigenwirtschaftlich organisieren. Das
funktioniert. Das wollten wir damals so. So werden wir
auch in weitere Gespräche dazu gehen.
Liebe Kollegin Kassner von den Linken, liebe Kollegin Haßelmann von den Grünen: Der Angriff der Privaten auf die Kommunen in der Form, wie Sie es beschrieben haben, findet derzeit nicht statt. Die Zahlen
belegen - hören Sie sich das in Ruhe an - etwas anderes:
27-mal ging der Verkehr von Privat an Kommune und
nur ganz selten - dazu zählt das Beispiel Pforzheim, das
von allen rauf- und runterdekliniert wird - anders herum.
Wir sollten es in dieser Debatte also ein bisschen ruhiger
angehen lassen.
Vor allem wissen wir doch, dass wir in dem Personenbeförderungsgesetz - lieber Sören Bartol, Sie waren damals auch in verantwortlicher Position - Sozialstandards
regeln können. Ich verweise auf die Vorabbekanntmachung des § 8 Absatz 2 in Verbindung mit § 13 Absatz 2a
PBefG. Sie nicken. Sie wissen ganz genau, dass an dieser Stelle Sozialstandards geregelt werden können. Man
braucht also kein neues Gesetz, um das zu regeln, was
hier geregelt werden soll. Man muss ein Gesetz umsetzen und sollte nicht immer reflexartig nach einem neuen
Gesetz rufen.
({2})
Ich will jetzt nicht über Bürokratiemonster, Nebelkerzen und sonstige rot-rot-grüne Träume, lieber Kollege
Hartmann, reden. Ich sage nur eines: Es besteht die Möglichkeit, auf Landesebene die Dinge zu regeln und sie so
in den Griff zu bekommen - so schreibt es auch der VDV,
der jetzt nicht verdächtig ist, in einer besonderen Nähe
zu uns zu stehen -, dass es keine Probleme gibt. So hat
man in Bayern die Tarifverträge für allgemeinverbindlich
erklärt. Da kann ich nur Richtung Nordrhein-Westfalen
oder Richtung Brandenburg sagen, in Richtung Rot-Grün
und Rot-Rot: Erklären Sie doch die Tarifverträge für allgemeinverbindlich. Dann haben Sie das Problem nicht.
Danke schön, Horst Seehofer.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch der weitere
Antrag kann nur unter dem Aspekt „Ich ziehe etwas auf“
verstanden werden. Denn die Regionalisierungsmittel im
Schienenpersonennahverkehr betragen 8,2 Milliarden
Euro. Kollege Donth hat es gesagt: Noch nie wurde so
viel Geld für den Schienenpersonennahverkehr bereitgestellt.
({4})
Der Bund stellt Entflechtungsmittel in Höhe von 1,3 Milliarden Euro zur Verfügung. Im Rahmen des GVFG-Bundesprogramms gibt es weitere 330 Millionen Euro. Lieber Enak Ferlemann, der Hinweis vorhin in der Debatte
zum Schienenlärmgesetz, dass es in den letzten Jahren
und Jahrzehnten keine so erfolgreiche Verkehrspolitik
wie diese gegeben hat, ist richtig. Deswegen gibt es auch
keinen Grund, hier daran herumzumäkeln.
({5})
Wir glauben nicht, dass man mit irgendwelchen kleinen schnellen Maßnahmen bei diesem sehr komplexen
Thema derzeit etwas ändern sollte. Man kann ein Gesetz
umsetzen. Dazu fordere ich die Länder auf. Man kann
Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklären; dafür
sind die Länder ebenfalls zuständig. Auch dazu fordere
ich die Länder auf. Eine Bitte an die kommunalen Gremien: Nutzen Sie die Möglichkeiten des Nahverkehrsplans.
Er bietet unendlich viel. In diesem Sinne bin ich sicher,
dass wir den öffentlichen Personennahverkehr weiterhin
mit einem ausgewogenen und sehr guten Personenbeförderungsgesetz stärken.
Herzlichen Dank.
({6})
Birgit Kömpel hat jetzt für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Anträge der Grünen befassen sich mit dem Problem
des öffentlichen Nahverkehrs. Dieses Problem nehmen auch wir in der SPD sehr ernst. Für uns gilt: Wir
brauchen gleichwertige Lebensverhältnisse überall in
Deutschland, egal ob in der Stadt oder auf dem Land.
({0})
Dazu zählt für uns natürlich auch die Mobilität. Wir
haben uns insbesondere im letzten Jahr in unserer Fraktion sehr viele Gedanken gemacht, unter anderem in
verschiedenen Projektgruppen. Eine davon hieß #NeuerZusammenhalt. Dort ging es unter anderem um das Dialogpapier mit dem Titel „Deutschlandweit mobil - auch
in ländlichen Regionen“. Denn besonders der ländliche
Raum ist auf eine gut funktionierende Mobilität angewiesen. Ich komme selber vom Land und kann nur bestätigen: Noch immer fährt man hier mit dem Auto. Es gibt ja
auch wenig Alternativen. Morgens ist der Schulbus zwar
voll ausgelastet - Herr Kühn, Ihr Ausdruck „Ölsardine“
passt da durchaus, gerade was die Schülerbeförderung
betrifft -, aber in den Randzeiten kommt man nicht von
A nach B, weil der Bus oder die Regionalbahn eben nur
zwei-, drei- oder viermal am Tag fährt.
Der im Schichtdienst arbeitenden Krankenschwester
nutzt das überhaupt nichts. Das nutzt dem Facharbeiter,
der morgens um 6 Uhr seine Schicht beginnt, genauso
wenig. Klar ist aber auch: Der ländliche Raum kann niemals ein vergleichbares Angebot an öffentlichen Verkehren bereitstellen wie große Städte oder unsere Ballungszentren. Aber wir brauchen und wir müssen im ländlichen
Raum Wege und Möglichkeiten finden, um jungen und
älteren Menschen sowie mobilitätseingeschränkten Menschen eine aktive Teilnahme am öffentlichen Leben zu
ermöglichen.
({1})
Der Bund muss sich - da sind wir Ihrer Meinung, liebe
Grüne - fortlaufend und in ausreichender Höhe an der
Finanzierung der kommunalen Verkehrsinfrastruktur beteiligen. Dafür steht die SPD-Bundestagsfraktion. Dafür
stehe auch ich als Abgeordnete eines ländlichen Raums.
({2})
Trotzdem: Geld allein wird in Zukunft nicht reichen;
denn unser ländlicher Raum steht vor großen Herausforderungen. Dazu gehört zunächst einmal der demografische Wandel in unseren Dörfern. Die Bevölkerungszahl
nimmt zum Teil erheblich ab, und die Bevölkerungsstruktur verschiebt sich. Es gibt weniger Schülerinnen
und Schüler, dafür gibt es mehr ältere Menschen. Für
die öffentlichen Verkehre bedeuten diese fortlaufenden
Veränderungen ein hohes Maß an Unsicherheiten; dessen
müssen wir uns auch klar sein. Vor diesem Hintergrund
ist es schwierig, langfristig sicher und gut zu planen und
vor allen Dingen die Finanzierung auch zu sichern.
Geld allein reicht nicht, um das Problem der öffentlichen Verkehre zu lösen; das habe ich gerade schon gesagt. Dafür braucht es viel Engagement der Bürgerinnen
und Bürger sowie gute Rahmenbedingungen vonseiten
der Politik. Mehr Mobilitätskonzepte müssen erarbeitet
werden; denn es geht nicht um ein Immer-mehr-und-immer-Schneller, sondern wir brauchen ein ganzheitliches
Konzept.
Konkret heißt das zum Beispiel: In den Randzeiten
sollen Bürgerbusse, Kombibusse und Sammeltaxen flexibel eingesetzt werden. Ergänzen kann man das durch
Fahrgemeinschaften sowie Hol- und Bringdienste. Aber
wie erfahren die Bürgerinnen und Bürger davon? Wie
können sie sich - auch in unseren Städten - informieren
und vernetzen? Meine Damen und Herren und insbesondere Herr Kollege Jarzombek, Carsharing könnte auch
ein Konzept für die Mobilität im ländlichen Raum sein.
({3})
Aber hier wiederum ist eine moderne Telekommunikationsinfrastruktur ganz wichtig. Auch wir Landeier das war eigentlich der Punkt, an dem ich Sie ansprechen
wollte ({4})
benutzen Smartphones. Für uns ist das Internet keinesfalls Neuland. Wir sind daher auf eine flächendeckende
Breitbandversorgung und ein ausreichendes Funknetz
geradezu angewiesen.
({5})
Bei der Daseinsvorsorge gehören im ländlichen Raum
Mobilität sowie Breitbandversorgung und Funknetze
schlicht und einfach zusammen. Das eine geht ohne das
andere nicht. Mit der Breitbandversorgung sind wir bereits auf einem guten Weg. Jetzt muss die Verbindung mit
der Mobilität gestaltet werden. Gute Mobilität im ländlichen Raum wird auch in Zukunft möglich sein, wenn wir
jetzt darangehen und heute die Voraussetzungen dafür
schaffen.
Die SPD-Fraktion hat mit ihrem Positionspapier die
anstehenden Schritte klar benannt und zum Teil bereits
umgesetzt. Wir werden auch in Zukunft dafür sorgen,
dass die Menschen überall in Deutschland gut leben und
mobil sein können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Als letzter Redner in der Aussprache hat Arnold Vaatz
für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Auch für die Zuschauer auf den Tribünen möchte ich jetzt ein bisschen dazu beitragen, die Diskussion
auf den eigentlichen Inhalt der Anträge zu lenken, über
die wir heute reden. Einer der Anträge der Grünen ist mit
den Worten überschrieben: „Investitionsstau auflösen Zukunft des ÖPNV sichern - Jetzt die Weichen für den
öffentlichen Verkehr von morgen stellen“.
Mit genau diesem Thema haben wir uns vor vier Jahren befasst, als wir den Koalitionsvertrag zwischen SPD,
CSU und CDU niedergeschrieben haben. Damals haben
wir uns zu dieser Aufgabe bekannt.
Dabei ist erstens eine der größten Leistungen der Verkehrsfinanzierung in der jüngeren Geschichte nach der
Wiedervereinigung Deutschlands herausgekommen. Wir
haben nämlich jetzt Regionalisierungsmittel für den öffentlichen Personennahverkehr in Höhe von 8,2 Milliarden Euro jährlich mit 1,8 Prozent Steigerung pro Jahr dynamisiert bereitgestellt. Das ist übrigens eine Steigerung
in Höhe von 12 Prozent gegenüber dem Vorzustand und
eine enorme Summe.
Zweitens. Wir haben auch erreicht, dass das Bundesprogramm im Gesetz für Finanzhilfen des Bundes zur
Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden
über das Jahr 2019 hinaus fortgeführt wird und unbefristet mit einer Drittelmilliarde Euro jährlich für kommunale ÖPNV-Vorhaben verwendbar ist. Das schafft
Planungs- und Finanzierungssicherheit, die Sie gefordert
haben.
({0})
Meine Damen und Herren, wir wissen aber, dass allein
mit diesen Mitteln die erforderlichen Sanierungsaufgaben noch nicht zu leisten sind. Deshalb sind wir noch
einen Schritt weiter gegangen. Wir haben außerdem beschlossen, ab dem Jahr 2020 Umsatzsteuerpunkte zur
Verfügung zu stellen. Jetzt hoffen wir, dass diese Umsatzsteuermittel in den Ländern in die Kanäle fließen, für
die sie gedacht sind. Wir haben darauf nämlich keinen
Einfluss.
({1})
Darauf Einfluss haben alle hier vertretenen Parteien,
aber insbesondere die Grünen, die heute diesen Antrag
gestellt haben. Herr Kühn, Sie haben vollkommen recht,
wenn Sie sagen, dass wir noch weit hinter dem zurück
sind, was wir uns für die Zukunft in Sachen Abschaffung
von Kleinstaaterei und bei der Koordinierung und Vereinheitlichung von Zugriffen auf den öffentlichen Personennahverkehr vorstellen können - überhaupt keine
Frage. Aber: Sie regieren in elf Ländern mit. Ich hätte
die Bitte, dass Sie Ihre Verkehrspolitiker einmal zusammenholen und versuchen, wie wir es teilweise schon seit
Jahrzehnten tun, dort eine gemeinsame Sprache hineinBirgit Kömpel
zubringen - ich arbeite da gerne mit Ihnen zusammen -,
damit wir an dieser Stelle mehr Koordination zustande
bringen. Nur, bis jetzt ist das nicht gelungen, und Sie haben verschwiegen, dass das bei Ihnen, in Ihren Reihen,
ganz offensichtlich auch nicht klappt.
({2})
Meine Damen und Herren, ich komme jetzt zu einer
anderen Frage.
({3})
- Ich will jetzt noch kurz etwas zu der Auseinandersetzung über das Personenbeförderungsgesetz sagen; erlauben Sie mir das auch bitte.
({4})
Ich glaube, hier nähern wir uns allmählich einer
Grundfrage. Die Grundfrage, die hier eine Rolle spielt,
wird von der rechten und der linken Seite dieses Parlaments unterschiedlich beantwortet. Sie lautet: Ist der
ÖPNV für den Bürger da, ist der ÖPNV also ein Dienstleister für den Bürger, oder ist der Bürger ein Dienstleister für den ÖPNV?
({5})
Hat der Bürger das Einkommen und die Arbeitsplätze
beim ÖPNV zu sichern, oder hat der ÖPNV nicht vielmehr die Aufgabe, dem Bürger nach dem günstigsten
Preis-Leistungs-Verhältnis eine Dienstleistung anzubieten? Das ist die Frage, um die es geht.
({6})
Unsere Seite des Parlaments sagt: Der ÖPNV ist der
Dienstleister für den Bürger. - Sie hingegen befassen
sich mit der Besitzstandswahrung eines Teils der Öffentlichkeit zulasten eines anderen Teils der Öffentlichkeit,
({7})
nämlich derjenigen, die im privaten Gewerbe tätig sind.
Diese Arbeitsplätze sind Ihnen nicht wichtig.
({8})
Sie senden das Signal aus: Den privaten Verkehrsdienstleistern geht es jetzt an den Kragen. - Das ist Ihre Botschaft.
({9})
Das ist genau die Botschaft, die wir vermeiden wollen.
({10})
Jetzt noch eine Bemerkung zu dem wichtigen Thema
Wahlkampf. Sebastian Hartmann hat sehr richtig gesagt:
Der Wahlkampf gehört zur Demokratie; er ist die Würze
der Demokratie. Da hat man die Möglichkeit, scharf konturiert Unterschiede darzustellen, damit der Bürger weiß,
wem er aus welchem Grund seine Stimme gibt.
({11})
Das ist richtig. Aber es gibt da ein Problem. Im Wahlkampf geht nämlich etwas schief, wenn man die Dinge so
vergröbert, dass am Ende Unwahrheiten herauskommen.
Bei Ihnen ist es so, dass Sie eines nicht erklären: wie Sie
den Wettbewerb im öffentlichen Personennahverkehr
aufrechterhalten wollen, wenn Sie die Wettbewerber, die
zur Verfügung stehen, vom Markt fegen.
({12})
Genau das tun Sie im Augenblick. Sie sind nicht bereit,
Wettbewerb wirklich zuzulassen.
({13})
Jetzt komme ich auf die Situation in Pforzheim zu
sprechen. Sie argumentieren mit dem Alter der Verkehrsbetriebe usw. usf. Ich argumentiere mit dem
Preis-Leistungs-Verhältnis. Das Preis-Leistungs-Verhältnis hat sich dort dramatisch verbessert. Es werden pro
Jahr 3 bis 7 Millionen Euro eingespart, und das bei einer
verbesserten Verkehrsleistung. Jetzt verstehe ich natürlich auch, warum manche öffentliche Personennahverkehrsdienstleister die Hosen voll haben.
({14})
Sie fürchten nämlich, dass sie mit ihrem Preis-Leistungs-Verhältnis nicht mehr zukunftsfähig sind, wenn es
darum geht, die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen.
({15})
Ich sage Ihnen: Wir wollen Marktwirtschaft, und wir
wollen auch im öffentlichen Personennahverkehr vernünftige Bedingungen. Wir wollen kein Lohndumping.
Sie können das Lohndumping verhindern, indem Sie von
Ihren gesetzgeberischen Möglichkeiten in den Ländern
Gebrauch machen. Tun Sie das, und verbreiten Sie hier
keine Illusionen, die Sie am Ende nicht verwirklichen
können.
Vielen Dank.
({16})
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/10747 und 18/10978 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 40 a bis 40 o auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja
Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck ({0}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes ({1})
Drucksache 18/8277
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({2})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Intelligente Verkehrssysteme
Gesetzes
Drucksache 18/11494
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({3})
Ausschuss Digitale Agenda
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 25. Oktober 2016 zur
Errichtung der Internationalen EU-LAK-Stiftung
Drucksache 18/11507
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({4})
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 14. März 2014 über die
Ausstellung mehrsprachiger, codierter Auszüge und Bescheinigungen aus Personenstandsregistern
Drucksache 18/11510
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({5})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Beitrittsprotokoll vom 11. November 2016
zum Handelsübereinkommen vom 26. Juni
2012 zwischen der Europäischen Union und
ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits betreffend den
Beitritt Ecuadors
Drucksache 18/11556
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({6})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung personenstandsrechtlicher
Vorschriften ({7})
Drucksache 18/11612
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({8})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Sachaufklärung in der Verwaltungsvollstreckung
Drucksache 18/11613
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({9})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld
Drucksache 18/11615
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({10})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung der Regelungen über Funkanlagen und
zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes sowie zur Aufhebung des Gesetzes über
Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen
Drucksache 18/11625
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({11})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss Digitale Agenda
j) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Matthias W.
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Neustart für eine friedliche und gerechte Europäische Union
Drucksache 18/11723
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({12})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Menz, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Tierversuche beenden
Drucksache 18/11724
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({13})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
l) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über den Fortgang der eingeleiteten Reformprozesse, mögliche Missstände und sonstige aktuelle Entwicklungen in der Transplantationsmedizin
Drucksache 18/3566
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({14})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
m) Beratung der Unterrichtung durch den Deutschen
Ethikrat
Stellungnahme des Deutschen Ethikrates
Hirntod und Entscheidung zur Organspende
Drucksache 18/4256
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({15})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
n) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Zweiter Bericht der Bundesregierung über
den Fortgang der eingeleiteten Reformprozesse, mögliche Missstände und sonstige aktuelle
Entwicklungen in der Transplantationsmedizin
Drucksache 18/7269
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({16})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
o) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Dritter Bericht der Bundesregierung über den
Fortgang der eingeleiteten Reformprozesse,
mögliche Missstände und sonstige aktuelle
Entwicklungen in der Transplantationsmedizin
Drucksache 18/10854
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({17})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Bei diesen Tagesordnungspunkten handelt es sich um
Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann ist auch das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 41 a und 41 b, 41 d
bis 41 o sowie die Zusatzpunkte 2 a bis 2 e auf.
Hierbei handelt es sich um die Beschlussfassung zu
Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 41 a:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des
BDBOS-Gesetzes
Drucksache 18/11139
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({18})
Drucksache 18/11660
- Bericht des Haushaltsausschusses ({19}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/11664
Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/11660, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11139
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition
bei Enthaltung der Opposition angenommen worden.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Tagesordnungspunkt 41 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({20})
2016/424 des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 9. März 2016 über Seilbahnen
und zur Aufhebung der Richtlinie 2000/9/EG
({21})
Drucksache 18/11258
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({22})
Drucksache 18/11702
Mit diesem Gesetz werden eine Verordnung der Europäischen Union über Seilbahnen umgesetzt und ein
neuer Rechtsrahmen für die Vermarktung und CE-Kennzeichnung von Teilsystemen und Sicherheitsbauteilen
geschaffen.
Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11702, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf der Drucksache 18/11258 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist dieser Gesetzentwurf in der
zweiten Beratung einstimmig angenommen worden.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit
ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 41 d:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
29. August 2016 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und Turkmenistan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet
der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
Drucksache 18/11557
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({23})
Drucksache 18/11766
Da es sich um einen internationalen Vertrag handelt,
erfolgen hierzu nur zwei Lesungen. - Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11766, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11557 anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer enthält sich? - Wer stimmt dagegen? - Damit ist der
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 41 e auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
8. Dezember 2016 zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Agentur für Flugsicherheit über den
Sitz der Europäischen Agentur für Flugsicherheit
Drucksache 18/11558
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({24})
Drucksache 18/11768
Mit der Umsetzung des Abkommens werden der Sitz
der Europäischen Agentur für Flugsicherheit in Köln
({25})
auf eine gesicherte rechtliche Grundlage gestellt sowie
die Rechte und Befugnisse der Agentur und ihres Personals in Deutschland geregelt.
Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/11768, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/11558 anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich möchte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitten, sich zu erheben. - Gibt es jemanden, der dagegenstimmen möchte? Gibt es jemanden, der sich enthalten möchte? - Damit ist
dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 41 f:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({26})
zu dem Antrag der Abgeordneten Sven-Christian
Kindler, Tabea Rößner, Kerstin Andreae, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Telekomanteile veräußern - In Breitbandausbau investieren
Drucksachen 18/9799, 18/11209
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11209, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/9799 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist
diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Tagesordnungspunkt 41 g:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({27})
zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD
Biodiversität schützen - Taxonomische Forschung ausbauen
Drucksachen 18/10971, 18/11700
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11700, den Antrag der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/10971
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der
Koalition bei Enthaltung der Opposition - keine Gegenstimmen - angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 41 h:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({28}) zu
der Verordnung der Bundesregierung
Sechste Verordnung zur Änderung der Elektro- und Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung
Drucksachen 18/11293, 18/11472 Nr. 2.2,
18/11772
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/11772, der Verordnung auf
Drucksache 18/11293 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist diese Beschlussempfehlung
einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 41 i:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({29}) zu
der Verordnung der Bundesregierung
Verordnung über die Bewirtschaftung von
gewerblichen Siedlungsabfällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen ({30})
Drucksachen 18/11294, 18/11472 Nr. 2.3,
18/11773
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11773, der Verordnung auf
Drucksache 18/11294 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist diese Beschlussempfehlung mit
den Stimmen der Koalition ohne Gegenstimmen bei Enthaltung der Opposition angenommen worden.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 41 j bis
41 o sowie den Zusatzpunkten 2 a bis 2 e. Hierbei handelt es sich um Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 41 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({31})
Sammelübersicht 422 zu Petitionen
Drucksache 18/11629
Wer stimmt dafür? - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist die Sammelübersicht 422
einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 41 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({32})
Sammelübersicht 423 zu Petitionen
Drucksache 18/11630
Wer stimmt dafür? - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist auch die Sammelübersicht 423 einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 41 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({33})
Sammelübersicht 424 zu Petitionen
Drucksache 18/11631
Wer stimmt dafür? - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist diese Sammelübersicht mit
den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 41 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({34})
Sammelübersicht 425 zu Petitionen
Drucksache 18/11632
Wer stimmt dafür? - Gibt es jemanden, der dagegenstimmt? - Enthält sich jemand? - Damit ist diese Sammelübersicht einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 41 n:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({35})
Sammelübersicht 426 zu Petitionen
Drucksache 18/11633
Wer stimmt dafür? - Stimmt jemand dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 426 mit
den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 41 o:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({36})
Sammelübersicht 427 zu Petitionen
Drucksache 18/11634
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Wer stimmt für diese Sammelübersicht? - Wer stimmt
dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist die Sammelübersicht 427 ebenfalls einstimmig angenommen
worden.
({37})
- Entschuldigung. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
hat Sammelübersicht 427 nicht angenommen, sondern
dagegengestimmt.
({38})
- Ich muss erst einmal meinen Kloß im Hals hier wegkriegen. - Die Fraktion Die Linke hat bei Sammelübersicht 427 auch dagegengestimmt.
({39})
Zusatzpunkt 2 a:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({40})
Sammelübersicht 428 zu Petitionen
Drucksache 18/11751
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 428 einstimmig angenommen worden.
Zusatzpunkt 2 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({41})
Sammelübersicht 429 zu Petitionen
Drucksache 18/11752
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese Sammelübersicht ebenfalls
einstimmig angenommen.
Zusatzpunkt 2 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({42})
Sammelübersicht 430 zu Petitionen
Drucksache 18/11753
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist diese Sammelübersicht mit den
Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen worden.
Zusatzpunkt 2 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({43})
Sammelübersicht 431 zu Petitionen
Drucksache 18/11754
Wer stimmt zu? - Gibt es jemand, der dagegenstimmt? - Der sich enthält? - Damit ist diese Sammelübersicht einstimmig angenommen worden.
Zusatzpunkt 2 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({44})
Sammelübersicht 432 zu Petitionen
Drucksache 18/11755
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthält
sich jemand? - Damit ist diese Sammelübersicht mit den
Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen durch die Opposition - keine Enthaltung - angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD
Wahl der Mitglieder des Stiftungsrates der
„Kulturstiftung des Bundes“
Drucksache 18/11728
Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/11728? - Wer
stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist der
Wahlvorschlag mit den Stimmen der Koalition und der
Fraktion Die Linke - keine Gegenstimmen - bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen
worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Vereinbarte Debatte
zur Mitteilung des Vereinigten Königreichs
über seine Absicht, aus der Europäischen Union auszutreten
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? - Nein, das ist nicht der Fall. Dann ist das
so beschlossen, und ich kann die Aussprache eröffnen.
Als erster Redner in dieser Aussprache hat der Bundesminister Sigmar Gabriel für die Bundesregierung das
Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gestern hat die britische Premierministerin nun formell
mitgeteilt, dass das Vereinigte Königreich aus der Europäischen Union austreten möchte. Ich denke, alle hier im
Parlament hätten sich kurz nach dem 60. Jubiläum der
Europäischen Union am letzten Wochenende ein anderes
Geburtstagsgeschenk gewünscht. Aber Lamentieren hilft
nichts. Wir respektieren die britische Entscheidung.
Doch machen wir uns nichts vor: Der Brexit zwingt
auch die verbleibenden Mitgliedstaaten der Europäischen
Union dazu, ihren weiteren Weg neu zu vermessen. Wenn
die zweitgrößte Volkswirtschaft der Europäischen Union
sich dazu entschließt, die Union zu verlassen, dann kann
Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
der Rest nicht „business as usual“ machen und so tun, als
sei nichts geschehen.
({0})
Für uns ist nach wie vor klar: Die Europäische Union
ist und bleibt das größte Zivilisationsprojekt des 20. Jahrhunderts, und auch im 21. Jahrhundert gibt es - bis heute - keine Region in der Welt, in der man so frei, so sicher
und auch so demokratisch leben kann wie bei uns in der
Europäischen Union.
({1})
Frieden und Wohlstand für alle sind die Versprechen
der Europäischen Union, und wir sehen gerade, wie
brüchig der Frieden dort ist, wo die friedenstiftende Hand
der Europäischen Union nicht wirksam ist auf unserem
Kontinent. Natürlich ist es eine der wichtigsten Aufgaben
der Europäischen Union, auch das Wohlfahrtsversprechen endlich wieder einzulösen. Nichts untergräbt die
Legitimität der europäischen Einigung so sehr wie mehr
als 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in vielen Ländern
im Süden der Europäischen Union.
Europa wird nur gelingen, wenn es auch für die nächste Generation in Europa ein Projekt der Hoffnung ist, und
nicht ein Projekt der Hoffnungslosigkeit. Deshalb ist der
Kampf um mehr Wachstum, mehr Arbeitsplätze, bessere Bezahlung und mehr soziale Sicherheit so ungeheuer
wichtig.
({2})
Denn wie zuvor in Irland, in Frankreich und in den
Niederlanden haben auch gerade die Arbeiterbezirke des
Vereinigten Königreiches gegen Europa gestimmt. Auch
in Großbritannien sind es Mittelschichten, Menschen mit
nicht so hohen Einkommen, die jedenfalls in der Europäischen Union keine Hilfe für ihre Zukunft mehr gesehen
haben. Sie haben gegen die Mitgliedschaft in der Europäischen Union gestimmt, nicht nur weil sie der dummen
Propaganda von UKIP und anderen aufgesessen sind,
sondern weil sie die Hoffnung verloren hatten, dass sich
ihre Lebenssituation durch Europa verbessert.
Dem Vereinigten Königreich attestiert die Bank of
England für die vergangenen zehn Jahre die schwächste
Reallohnentwicklung seit Mitte des 19. Jahrhunderts, seit
Mitte des 19. Jahrhunderts! Diese eher schwache Entwicklung der Löhne geht zudem einher mit einer unterschiedlichen, vielfach außerordentlich ungerechten Verteilung der Reallohnentwicklung innerhalb des Landes.
Konkret: In einer Zeit, in der der Reichtum zum Beispiel
am Finanzplatz London bereits obszöne Größenordnungen erreicht hatte, wurden große Teile der britischen Gesellschaft vom Wohlfahrtsversprechen ausgeschlossen.
Wer verhindern will, dass es in den Bevölkerungen
der Mitgliedstaaten Europas weiter mehr Frustration als
Hoffnung über ihre eigene Zukunft gibt, der muss vor
allem dafür sorgen, dass das Leben, das Einkommen und
die sozialen Bedingungen in Europa wieder für alle besser werden.
({3})
Für mich ist das deshalb wichtig, weil uns heute in
Europa nicht nur unser zukünftiges Verhältnis zu Großbritannien beschäftigen muss. Nicht nur der Brexit, auch
die zahlreichen anderen Krisen der jüngeren Vergangenheit haben das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in
die Europäische Union beschädigt. Das wirtschaftliche
Abrutschen der Länder am Mittelmeer, der Umgang mit
Flüchtlingen, Unsicherheit und Pessimismus: Die Staatengemeinschaft wirkt so zerbrechlich wie nie zuvor.
Das europäische Einigungsprojekt wird wie selten zuvor von Populisten angefeindet, die einfache Lösungen
vorgaukeln, die Europa zurückbauen oder sogar zerstören wollen. Deswegen war das Signal von Rom am Wochenende mehr als nur eine gute Nachricht. Denn darin
ist endlich ein Bekenntnis zu einem stärkeren sozialen
Europa enthalten.
Damit ich nicht missverstanden werde: Ich bin nicht
naiv. Ich glaube auch nicht, dass der Text allein sofort
alles ändert. Aber er ist ein erstes Zeichen dafür, dass sich
die anderen 27 Mitgliedstaaten auf einen Paradigmenwechsel einlassen und sich auf dem Binnenmarkt von
einem reinen Wettbewerbseuropa hin zu einer sozialen
Marktwirtschaft entwickeln wollen. Dafür ist noch viel
zu tun. Aber der Wechsel in diese Richtung ist endlich
eingeleitet.
({4})
Es gibt aber auch wirklich tolle Nachrichten aus Europa. Es ist erstaunlich: In fast jedem Land Europas - so
zeigen es Umfragen - sind es derzeit eher die Älteren,
die die EU schlecht finden. Das war bei der Gründung
der Europäischen Union anders. Da waren es die Alten,
die ihre Söhne und Töchter im Krieg verloren hatten, deren Kinder gestorben, ermordet oder verwundet waren,
also die Elterngeneration, die nach dem Krieg wusste:
Das wollen wir nicht noch einmal erleben. Wir wollen
nicht, dass wieder Eltern heranwachsen, die ihre Kinder
im Krieg verlieren. - Heute verteidigen die Jungen Europa. Sie treten immer entschiedener für einen europäischen Zusammenhalt ein. Sie wollen ein starkes Europa;
denn sie wissen, dass sie selber und ihre eigenen Kinder in einer sich total verändernden Welt, in der Asien,
Lateinamerika und Afrika größer werden, während wir
schrumpfen, nur dann eine Stimme haben werden, wenn
es eine gemeinsame europäische Stimme ist. Selbst das
starke Deutschland wird in dieser Welt von morgen kein
Gehör finden, es sei denn, unsere Stimme ist eine europäische Stimme.
({5})
Diejenigen, die jetzt jeden Sonntag auf unseren Plätzen
den kräftigen Pulse of Europe zeigen, sind stärker als all
die plumpen Antieuropäer von links und rechts außen.
Die Demonstranten, die den Puls Europas zeigen, sind
übrigens unsere stärksten Verbündeten.
({6})
Großbritannien war jahrzehntelang Teil und wichtiger
Akteur dieser großen Gemeinschaft. Die gemeinsame
Geschichte mit uns Deutschen - keine einfache, oft eine
schmerzvolle - verbindet. Heute sind wir Partner in einem friedlichen Europa mit gemeinsamen Interessen und
Werten. Unzählige Deutsche studieren und arbeiten in
Großbritannien. Junge Briten leben bei uns, beleben die
Kulturszene, führen Unternehmen und gründen Start-ups.
Ich glaube, dass wir trotz aller Auseinandersetzungen
rund um den Brexit sicherstellen müssen, dass diese gewachsene Freundschaft zwischen den Menschen unserer
Länder durch die jetzt anstehenden Verhandlungen nicht
gefährdet wird. Wir müssen Freunde bleiben. Auch wenn
sich dieser Spruch bei privaten Trennungsgeschichten,
die es ja manchmal gibt, nicht immer realisieren lässt: Ich
glaube, dass das eine gute Überschrift für das ist, was wir
anstreben sollten: Wir sollten Freunde bleiben, vielleicht
mit Ausnahme des Fußballplatzes.
Die Brexit-Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich, die die Europäische Union für uns führen wird,
werden nicht einfach. Sicherlich kennt der eine oder
andere den Spruch, dass es zuerst schwer werden wird,
bevor es wieder leichter wird. Das trifft auch auf diese
Verhandlungen zu. Sie werden zuerst schwer werden,
bevor sie wieder leichter werden. Sosehr der Austritt
Großbritanniens aus der EU auch falsch ist, sosehr er
dem Vereinigten Königreich, wie ich glaube, am Ende
mehr schaden wird als uns - man darf keine Zweifel daran haben, dass er auch uns schadet -, so wenig Interesse
haben wir aber, die Verhandlungen so zu führen, dass am
Ende ein völlig zerrüttetes oder verfeindetes Verhältnis
zwischen uns entsteht.
({7})
Für die Bundesregierung ist allerdings klar: Die wichtigste Bedingung bei den Verhandlungen über den Austritt des Vereinigten Königreichs ist die Wahrung der
Interessen der Bürgerinnen und Bürger der verbleibenden 27 Mitgliedstaaten, des Zusammenhalts sowie der
wirtschaftlichen, sozialen und politischen Interessen der
Mitgliedstaaten und übrigens auch der Interessen der Institutionen der Europäischen Union. Bei all dem gibt es
keinen Britenrabatt.
({8})
Viel Detailarbeit wird nötig sein. Wir sollten den Austrittsprozess aber selbstbewusst und ohne Schaden für die
27 verbleibenden Mitgliedstaaten betreiben.
Man braucht klare Leitlinien dafür. Für mich gibt es
vier Aspekte, die wir berücksichtigen müssen.
Erstens werden wir immer besondere Beziehungen
zum Vereinigten Königreich haben, schon wegen der
Bedeutung unserer Zusammenarbeit in der Außenpolitik,
bei der Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus,
bei Forschung und Entwicklung sowie insbesondere bei
unseren sicherheitspolitischen Aufgaben.
Zweitens hat der Brexit ein großes Gefühl der Unsicherheit für unsere Wirtschaft, vor allen Dingen aber
auch für mehr als 3 Millionen EU-Bürger geschaffen, die
im Vereinigten Königreich leben, davon 300 000 Deutsche. Wir werden deshalb vor allen Dingen am Anfang
dafür sorgen müssen, dass sie durch den Brexit möglichst
keine Nachteile erleiden. Das Motto von EU-Chefverhandler Michel Barnier lautet deshalb zu Recht: Citizens
first, Bürgerinnen und Bürger zuerst! So wichtig die
wirtschaftlichen Beziehungen sind: Zuallererst müssen
der Rechtsstatus und die Interessen der Bürgerinnen und
Bürger Europas in Großbritannien gesichert werden.
({9})
Ebenso müssen wir die Finanzierung von EU-Programmen sicherstellen, wie zum Beispiel des Europäischen Sozialfonds oder des Investitionsplans von Kommissionspräsident Juncker. Dafür erwarten wir, dass das
Vereinigte Königreich seine eingegangenen Verpflichtungen einhält.
Drittens ist klar, dass eine Partnerschaft außerhalb der
Europäischen Union, wie sie das Vereinigte Königreich
anstrebt, zwingend weniger als eine Mitgliedschaft in der
Europäischen Union sein muss.
({10})
Ein Freihandelsabkommen - und sei es noch so weitgehend und innovativ - ist zwangsläufig weniger handelsfreundlich als der barrierefreie Binnenmarkt. Wir haben
es immer wieder zu Recht betont: Der Binnenmarkt ist
kein À-la-carte-Menü, seine vier Freiheiten sind unteilbar, und hierzu gehört die Personenfreizügigkeit, die Europa ausmacht. Das hat auch London verstanden.
({11})
Viertens muss unseren britischen Partnern klar sein: Je
enger unsere Partnerschaft sein soll, desto mehr gemeinsame Spielregeln brauchen wir. Das gilt nicht nur für
gleiche Standards bei Wettbewerb, Beihilfe und Arbeitnehmerschutzregeln, sondern auch für andere Bereiche
wie beispielsweise Umwelt- und Datenschutz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie geht es jetzt
weiter? Wir müssen zunächst den Rahmen für die Verhandlungen abstecken. Das werden wir durch die Leitlinie des Europäischen Rates tun. Übrigens: Der Austrittsprozess ist eine „EU only“-Angelegenheit. Der sich
anschließende Verhandlungsprozess über die Frage des
zukünftigen Verhältnisses betrifft dann ein gemischtes
Abkommen, das der Deutsche Bundestag und der Bundesrat ratifizieren müssen.
Trotzdem bin ich der Meinung, dass wir jedenfalls,
auch wenn wir bei den Austrittsverhandlungen nicht unmittelbar eine Rolle spielen - das habe ich gestern auch
im EU-Ausschuss gesagt -, ein Interesse daran haben,
eng miteinander zusammenzuarbeiten, Sie immer zu informieren und, wann immer Sie es für nötig halten, auch
zu Ihnen zu kommen. Auch wenn es dabei, wie gesagt,
nicht um das gemischte Abkommen geht, ist es, finde ich,
angemessen, den Deutschen Bundestag so eng wie möglich in diese Verhandlungen einzubeziehen.
({12})
Wir werden unter den 27 Staaten ein Verhandlungsmandat beschließen und vermutlich ab Ende Mai die
eigentlichen Verhandlungen beginnen, zunächst zu den
zentralen Fragen des Austritts und dann, auf der Basis
dessen, was den Austritt ausmachen soll, auch über ein
zukünftiges Abkommen mit Großbritannien.
Wir müssen die Impulse, die wir in Rom besprochen
haben, aufnehmen, weiterdenken und umsetzen. Wir
brauchen nicht in allen Bereichen mehr Europa, aber in
vielen Bereichen ein besseres und auch ein sozialeres Europa, das sein Wohlfahrtsversprechen ebenso einlöst wie
das Versprechen auf Frieden, Sicherheit der Grenzen und
Schutz seiner Bevölkerung, ein Europa, in dem alle nach
ihren Kräften mitmachen können, ein Europa der Solidarität und des Miteinanders und ein Europa, in dem nicht
einige große Länder für alle anderen reden, sondern in
dem wir alle gleich viel wert sind und uns auf Augenhöhe begegnen, das aber auch gemeinsam handelt und sich
nicht durch andere spalten lässt.
Um es offen zu sagen: Meine größte Sorge ist, dass
dieses Auseinanderdividieren Europas bereits angefangen hat. Ich finde es schmeichelhaft, wenn China, die
USA und Russland immer mit Deutschland verhandeln
wollen. Aber darin liegt auch eine Gefahr. Es ist eine
Falle, in die wir nicht gehen dürfen. Wir müssen immer
klar machen: Ja, wir reden gerne, und wir haben auch
einen Stabilitätsauftrag und Verantwortung für Europa.
Aber am Ende reicht es nicht, mit Deutschland zu reden,
sondern alle sind hier gleich viel wert. Europa besteht aus
viel mehr kleinen als großen Staaten.
Deswegen wollen wir bei niemandem den Eindruck
erwecken, er werde ausgegrenzt. So wichtig selbst das
deutsch-französische Tandem ist - am Ende ist es nicht
genug. Gerade die kleineren Mitgliedstaaten müssen wissen, dass wir sie als gleichberechtigte Partner auf Augenhöhe sehen und dass wir dafür sorgen wollen, dass alle
anderen aus anderen Teilen der Welt am Ende mit Europa verhandeln und nicht nur mit Teilen von Europa. Ich
glaube, dass das von großer Bedeutung ist.
({13})
Meine letzte Bemerkung. Für dieses Europa braucht
man vielleicht ein bisschen Mut; keine Frage. Ich habe
vor ein paar Wochen im Uhrensaal im französischen
Außenministerium gestanden, in dem Robert Schuman
seine berühmte Rede gehalten hat. Ich habe gedacht:
Mein Gott, was müssen das für mutige Frauen und Männer gewesen sein! So kurz nach dem Ende des Zweiten
Weltkrieges - er war ja noch nicht lange vorbei - laden
sie Deutschland ein, an den Tisch der zivilisierten Völker
Europas zu kommen, das Land, das vorher brandschatzend und mordend durch Europa gezogen ist. Ich glaube
nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger in Luxemburg,
in Frankreich, in den Niederlanden, in Belgien, in Italien
oder anderswo damals nur Beifall dafür geklatscht haben, dass ihre politischen Führerinnen und Führer gesagt
haben: Komm, wir laden die Deutschen ein. - Ich glaube,
es hat viel Kritik gegeben. Trotzdem hatten sie den Mut,
das durchzuhalten.
Ich glaube, dass wir auch heute Mut brauchen, aber
ich vermute, nicht so viel Mut, wie sie damals gebraucht
haben. Wenn man sieht, was geht, wenn man weiß, wo
man hinwill, dann, finde ich, kann man diesen Mut aufbringen, und dann muss uns um Europa nicht bange sein.
Vielen Dank.
({14})
Vielen Dank, Herr Minister. - Als nächster hat das
Wort Dr. Diether Dehm von der Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Dennoch: Der Brexit war auch ein Ergebnis des Krisenmanagements der Kanzlerin. Ich habe bei Ihnen, Herr
Bundesminister, zwar neue Töne gehört, aber wie lange
wurden linke Kritiker, die die nicht sozialen Strukturen
der EU ansprachen, als antieuropäisch oder europafeindlich verleumdet?! Wir haben immer gesagt: Diese im
Kern kapitalbesessene EU spaltet Europa.
({0})
Herr Bundesminister, lassen Sie uns doch gemeinsam
die soziale Fortschrittsklausel auf den Weg bringen, wie
es der DGB, die SPD-Arbeitnehmerschaft und die Linke
immer gefordert haben.
({1})
Ich sage Ihnen: Mit mehr Sozialstaatlichkeit wäre es nie
und nimmer zum Brexit gekommen.
({2})
- Nie und nimmer. - Auch in Italien, in den Niederlanden, in Spanien, Griechenland, Dänemark und Frankreich wäre die EU kein Projekt auf Abruf, und ein vereinigtes Europa könnte durchaus Herzenssache für die
arbeitenden Menschen werden, vor allem derer, die
Angst vor Altersarmut haben. Für die aber wurde die
EU zu einem Moloch, der über Marktfreiheiten und Finanzplätze wacht: für RWE, Deutsche Bank, Daimler,
Monsanto-Bayer und all die Superreichen bei uns und im
Königreich.
Seit zehn Jahren werden Arbeitende vom Europäischen Gerichtshof belehrt, dass es absolut vertragskonform sei, wenn Konzerne sie in ein anderes Land
entsenden, aber nach den schlechteren Bedingungen
des Heimatlandes entlohnen. Jahrelang verhinderten
Cameron und Schäuble Arm in Arm, dass die EU für Kapitalverkehrskontrollen und gegen Steuerdumping und
Steuerhinterziehung ermächtigt wird, siehe Panama Papers. Auch „Sankt Martin“ Schulz hat in dieser Zeit in
Brüssel nicht nur Radieschen gezüchtet.
Zockerbanken aber wurden über Nacht mit Steuermilliarden gerettet, während in Großbritannien, in Südeuropa, aber auch in Deutschland Vollzeitarbeitsplätze und
Tarifschutz abgebaut wurden. Die Hunderttausenden von
Demonstranten gegen die Freihandelspläne von TTIP
und TiSA haben Sie anfänglich nur ausgelacht.
Aber der eigentliche Witz ist, dass der Kanzlerin nun
mit Großbritannien ausgerechnet der neoliberale Mitstreiter gegen soziale Rechte von der Fahne geht, mit
dem Sie dem guten Europa diese kranke und viel zu deutsche EU aufgepresst haben.
({3})
- Ja, wir wollen ein europäisches Deutschland, keine
deutsche EU.
({4})
Sie feiern sich zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge, sagen nicht ein Wort zur Krisenanalyse, nichts zu
den Ängsten vor Krieg mit Russland und nichts zu den
sozialen Sorgen und zu den Lohn- und Renteneinbußen.
Nun, per EU-Verteidigungspolitik gemeinsam Waffen
kaufen zu dürfen, wird die EU-Begeisterung auch nicht
in die Höhe treiben. Dann soll für Trump auch noch der
NATO-Kriegsetat auf 2 Prozent erhöht werden.
({5})
- Wahnsinn.
Jetzt wollen die einen den weiteren Marktzugang
zementieren, aber dafür kleinere Mitgliedstaaten übergehen. Die anderen wollen einen „harten Brexit“ als
Strafexpedition. Beides wird aber nicht die Kapitalbesessenen treffen, sondern die Arbeiterklasse und dort
Feindseligkeit mehren, und davon haben wir nicht zu
wenig. Nötig aber ist kein Säbelrasseln, um ein Wort des
Bundespräsidenten an dieser Stelle einmal abzuwandeln,
sondern ein feineres, ein soziales Skalpell beim Brexit.
({6})
London darf sich auch nicht seinen Verpflichtungen
entziehen, weder bei der Überwindung des Nord-Süd-Gefälles noch bei den UN-Umweltzielen. Im Norden Irlands
darf keine undurchlässige EU-Außengrenze entstehen,
damit der Frieden dort um Gottes willen nicht zerbricht.
({7})
Was im Karfreitagsabkommen vereinbart wurde, muss
auch nach dem Brexit gelten.
({8})
Verwöhnt von Rabatten, Sonderklauseln und Opt-outs,
dürfte die City, also die Börse in London, den Brexit für
einen noch gewerkschaftsfeindlicheren Kurs nutzen wollen. Dagegen helfen nur Wachsamkeit und internationale
Solidarität.
({9})
Rechte Scharfmacher, denen der neoliberale Kampf
gegen Löhne und soziale Rechte noch nicht weit genug
geht - wie UKIP und AfD mit Alexander Gauland, einem
alten Frankfurter Elitepartner der Deutschen Bank -, rufen nach EU-Austritt. Aber Sie von der Bundesregierung
haben denen ja über lange Zeit die Hasen in die Küche
getrieben; denn wer Marktextreme nicht bändigt, produziert Rechtsextreme.
({10})
Nur wer beides stoppt, hilft Europa auf die Beine, neu
laufen lernen. Dazu ruft die Linke auf.
({11})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Als Nächster hat das
Wort Ralph Brinkhaus von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Dr. Dehm, lieber Kollege, es sind leider auch einige üble Linksextreme
produziert worden; auch das gehört zur Wahrheit dazu.
({0})
Meine Damen und Herren, gestern hat die britische
Premierministerin die Scheidungsdokumente in Brüssel eingereicht, und das war ein ganz schlechter Tag für
die Europäische Union. Es war übrigens nicht nur ein
schlechter Tag für die Europäische Union. Es war auch
ein schlechter Tag für Deutschland. Es war deswegen
ein schlechter Tag für Deutschland, weil uns so unglaublich viel mit dem Vereinigten Königreich verbindet. Wir
haben sehr viele wunderbare persönliche Beziehungen,
wir haben kulturelle Beziehungen, wir haben unglaubliche viele Städtepartnerschaften. Wir arbeiten im Bereich
Wissenschaft und Forschung sehr gut zusammen. Das
Vereinigte Königreich ist ein unverzichtbarer Partner im
Bereich Sicherheit und Terrorbekämpfung. Wir haben
natürlich auch sehr viele wirtschaftliche Beziehungen.
Das Vereinigte Königreich ist eine der größten Volkswirtschaften in Europa und somit ein ganz wichtiger
Partner für uns.
Es war aber auch deswegen ein schlechter Tag für
Deutschland, weil das Vereinigte Königreich in sehr vielen Punkten mit uns einer Meinung war, weil wir Partner
am Brüsseler Verhandlungstisch waren, weil wir über
viele Dinge gleich gedacht haben. Es war nicht zuletzt
deswegen ein schlechter Tag für Deutschland, weil wir
dem Vereinigten Königreich so unendlich viel zu verdanken haben. Die Demokratie, die Pressefreiheit und viele
andere Dinge, die wir heute wertschätzen, sind nach dem
Zweiten Weltkrieg von unseren britischen Freunden hier
mit entwickelt worden. Deswegen, meine Damen und
Herren, weil die Verbindungen so eng sind, weil das so
eine wichtige Beziehung ist, sollten wir die Verhandlungen, die wir jetzt führen, nicht mit Zorn und Wut, sondern
mit gegenseitigem Respekt führen. Das sind wir unseren
britischen Freunden schuldig.
({1})
Das bedeutet, dass wir miteinander zunächst einmal
fair umgehen. „Fair umgehen“, das bedeutet, dass wir respektieren, egal wie die Kampagne dort auch verlaufen
ist, dass es eine demokratische Entscheidung in Großbritannien war. Das haben wir zu akzeptieren.
Zur Fairness gehört auch, dass wir anerkennen sollten,
dass in dem Austrittsschreiben von gestern von Theresa
May ausdrücklich stand, dass sich diese Entscheidung
nicht gegen Europa richtet, und in diesem Schreiben auf
jegliche Schärfe verzichtet worden ist. Auch das, meine
Damen und Herren, gilt es anzuerkennen.
Ich glaube, wir sollten uns bei diesem Verhandlungsprozess noch etwas vor Augen führen: Mit welchem
Langmut und welcher Geduld haben wir mit einigen
unserer europäischen Partner Verhandlungen geführt!
Großbritannien war immer ein harter Partner bei den Verhandlungen, aber eines ist auch richtig: Das Vereinigte
Königreich hat keine Verträge gebrochen. Das Vereinigte
Königreich hat Zusagen eingehalten. Das Vereinigte Königreich hat nicht mit falschen Zahlen operiert. Auch das
sollten wir uns vor Augen halten. Deswegen geht es in
einem fairen Verhandlungsprozess nicht darum, das Vereinigte Königreich zu bestrafen, sondern es geht darum,
das Beste für uns alle zu erzielen.
({2})
Wenn es aber so ist, dass die Briten, dass das Vereinigte Königreich unsere Freunde sind, dann kann man
auch eines sagen: Unter Freunden kann man offen sein,
und wir sollten auch offen und klar sein. Ich bin dankbar,
dass der Außenminister gerade das eine oder andere klargestellt hat; denn zur Offenheit gehört auch das, was die
Bundeskanzlerin angesichts der Brexit-Debatte letztes
Jahr im Juni hier gesagt hat: Es wird kein Rosinenpicken
geben. Es kann nicht sein, dass man an allen Vorteilen
der Union partizipiert, aber nicht bereit ist, die Lasten der
Union zu tragen.
Offen bedeutet auch, dass wir ganz klar feststellen
müssen: Wenn die Briten einen freien Zugang zu den
Kapitalmärkten, zu den Dienstleistungs- und zu den Gütermärkten haben wollen, dann müssen sie dafür eine
Gegenleistung erbringen. Zu dieser Gegenleistung gehört auch, dass die Bewegungsfreiheit und die Niederlassungsfreiheit der EU-Bürger im Vereinigten Königreich
verhandelt werden müssen. Das sind wir insbesondere
unseren osteuropäischen Partnern schuldig, und da werden wir uns nicht auseinanderdividieren lassen.
Zur Offenheit, meine Damen und Herren, gehört auch
dazu, dass wir der City in London - Herr Kollege Dehm,
Sie hatten sie angesprochen -, sagen, dass wir es nicht
akzeptieren können, dass die wesentlichen Finanzrisiken
der Europäischen Union und der Euro-Zone außerhalb
der Regulierung der Europäischen Union und der Euro-Zone gemanagt werden können. Das ist ganz wichtig.
({3})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, viele von Ihnen haben Gespräche mit den Vertretern der City geführt. Da ist auch eine gewisse Überheblichkeit zu spüren gewesen, nach dem Motto: Ihr seid
auf uns angewiesen, wir sind diejenigen, die eure Realwirtschaft mit Liquidität versorgen. - Um es an dieser
Stelle ganz klar zu sagen: Ein Hard Brexit würde uns vor
das eine oder andere Problem stellen, aber wir werden
uns nicht unter Druck setzen lassen.
Schaut man sich an, was momentan teilweise durch
britische Medien kolportiert wird, nämlich: „Wir müssen
hart kämpfen, wir sind in einer guten Position“, dann ist
das nicht die Grundlage für eine gute Verhandlung. Es
geht um Gemeinsamkeit, es geht um ein gemeinsames
Ziel, es geht darum, dass beide Seiten gesichtswahrend
da herauskommen. Dementsprechend lautet die ganz
klare Adresse an die Freunde im Vereinigten Königreich:
Unter Druck setzen, das bringt gar nichts.
Eines ist auch wichtig in diesen Verhandlungen: Das
Vereinigte Königreich muss zu seinen finanziellen Verpflichtungen stehen, und das sollten wir besser am Anfang des Verhandlungsprozesses klären und nicht am
Ende.
({4})
Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, ich bin froh, dass
Sie eines adressiert haben, was auch ganz wichtig ist: Es
verhandeln 27 gegen einen. Wir werden es nicht zulassen, dass irgendjemand einen Keil zwischen uns treibt,
und bilaterale Verhandlungen wird es nicht geben. Auch
das muss klar unter Freunden gesagt werden. Ich glaube,
wenn wir auf der einen Seite fair verhandeln, aber klar
unsere Linien definieren, dann kommen wir auch zu einem guten Ergebnis.
Meine Damen und Herren, dieses gute Ergebnis ist
auch notwendig. Wir sehen mit großer Sorge, was in
Großbritannien passiert. Das Land hat sich durch diese Abstimmung gespalten: Jung gegen Alt, katholische
Nordiren gegen protestantische Nordiren, Schotten gegen Engländer; das ist nicht gut. Das schottische Parlament möchte das Referendum zur Unabhängigkeit wiederaufleben lassen. Der eine oder andere in Deutschland
hat hier Schadenfreude. Die ist nicht angebracht.
Mit ganz großer Sorge schaue ich nach Irland. Irland
ist wirtschaftlich sowohl von der Europäischen Union
als auch vom Vereinigten Königreich abhängig, und das
muss sich in den Verhandlungen niederschlagen. Die
Botschaft an unsere irischen Freunde ist ganz klar: Wir
werden da an eurer Seite stehen.
({5})
Herr Dehm, Sie haben gerade nicht ganz viele richtige Dinge gesagt, aber ich bin froh, dass Sie eine Sache
angesprochen haben, nämlich Nordirland. Dieses Referendum gefährdet das Karfreitagsabkommen und den
sehr brüchigen Frieden in Nordirland. Wir alle wissen,
wie dünn das Eis dort ist, und wir alle stehen in der Verantwortung, dass dieser Friedensprozess jetzt nicht durch
diese Verhandlungen, die wir führen, scheitert. In Nordirland sind schon viel zu viele Menschen für nichts gestorben. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.
({6})
Wir müssen uns natürlich auch Sorgen machen um die
wirtschaftliche Verfasstheit. Da gibt es Leute, die sagen:
Na ja, die sind selbst schuld, wenn sie kein Wachstum
mehr haben. Die sind selbst schuld, wenn das alles nicht
mehr so läuft. - Wir haben nichts davon, wenn es dem
Vereinigten Königreich wirtschaftlich schlecht geht. Wir
haben etwas davon, wenn es den Menschen dort gut geht:
um der Menschen willen, aber auch um unserer Wirtschaft willen. Deshalb sollten wir daran arbeiten, dass
wir auch dort ein gutes Ergebnis erzielen.
Meine Damen und Herren, das ist der eine Teil der
Wahrheit. Der andere Teil ist - das hatten Sie in Ihrer
Rede angesprochen; das hatten wir auch letztes Jahr im
Juni schon gesagt -: Wir müssen uns natürlich fragen,
warum das alles so gekommen ist, und wir müssen uns
natürlich auch infrage stellen mit all dem, was wir in Europa gemacht haben. Sind die europäischen Institutionen,
sind die europäischen Regeln und sind auch die handelnden Personen auf europäischer Ebene wirklich geeignet,
dieses Europa optimistisch und zuversichtlich in das
21. Jahrhundert bzw. in das nächste Jahrzehnt zu führen,
oder müssen wir da eine ganze Menge infrage stellen?
Man kann natürlich, so wie es in Ihrer Rede angeklungen
ist, sagen: Wir brauchen jetzt noch mehr Geld, das wir
dort hineinstecken können, und wir müssen die Integration weiter vertiefen. - Ich würde stattdessen eine andere
Idee zur Diskussion stellen: das Geld besser ausgeben,
die Institutionen verbessern, die Regeln verbessern und
vor allen Dingen auch darauf achten, dass diese Regeln
eingehalten werden.
({7})
Nichtsdestotrotz muss es auch so sein, dass Europa
immer eine emotionale Frage ist. Bei allem Respekt vor
den Menschen, die sich unglaubliche Verdienste um Europa erworben haben: Vielleicht ist es jetzt an der Zeit,
dass die Geschichte Europas nicht mehr von übernächtigten Politikern in Brüssel oder von grauen Beamtengesichtern erzählt wird, sondern zum Beispiel von meinem
Studienfreund, der durch das Erasmus-Programm seine
Frau in Schweden kennengelernt hat und mit ihr zusammenlebt, oder dem Tischler in meinem Wahlkreis, der
seine Küchen jetzt auch in Großbritannien, in Frankreich
und Spanien verkaufen kann und dadurch einen sicheren Arbeitsplatz hat, oder vielleicht auch von denjenigen,
die sich noch an Krieg und Vertreibung erinnern und die
es wertzuschätzen wissen, was Frieden für diesen Kontinent bedeutet. Ich glaube, wenn wir diese Geschichte
Europas emotional erzählen und wenn wir die Vorteile
klarmachen, dann wird nicht noch einmal das passieren,
was in Großbritannien passiert ist, sondern dann werden
die Völker in Europa sagen: Die Europäische Union ist
eine gute Sache, wir wollen dabei sein, und wir wollen
nicht raus.
Danke schön.
({8})
Vielen Dank, Herr Kollege Brinkhaus. - Als Nächster
hat der Kollege Cem Özdemir von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Countdown für den Brexit hat begonnen. Großbritannien hat sein Austrittsgesuch in Brüssel eingereicht. Damit
steht die Europäische Union vor der größten Belastungsprobe ihrer Geschichte. Erstmals dreht sich das Rad der
europäischen Integration nicht vorwärts, sondern leider rückwärts. So schwer es auch fällt: Wir müssen die
Entscheidung Großbritanniens respektieren. Darauf hat
Bundesaußenminister Gabriel hingewiesen; darauf haben alle Redner bis jetzt hingewiesen. Denn es war ohne
jeden Zweifel eine demokratische Entscheidung. Das
heißt aber auch, dass wir den Blick nach vorne richten
müssen; denn die wichtigste Botschaft heute ist: Einer
geht, aber 27 andere bleiben in der Europäischen Union,
und um die müssen wir uns jetzt gemeinsam kümmern.
({0})
Der Tag eins des Brexit-Countdowns sollte für uns
alle auch der Tag eins sein, um an einer starken und geschlossenen Europäischen Union der 27 zu arbeiten. Das
oberste Verhandlungsziel mit London - ich bin froh, dass
der Bundesaußenminister das so klar gesagt hat - muss
es sein, ein starkes Europa zu haben. Damit meine ich
eine Europäische Union, die fest zusammenhält, eine
EU, die sich fit macht für die Zukunft, die so attraktiv ist,
dass künftig niemand mehr einen Antrag auf Austritt aus
der Europäischen Union stellen möchte.
({1})
Das können wir nur erreichen durch ein Mehr an
Transparenz, durch ein Mehr an Bürgernähe in Brüssel,
aber eben auch durch Investitionen in die Zukunft Europas, durch Strukturreformen, die dringend anstehen. Wir
von Bündnis 90/Die Grünen bezeichnen das als einen
Green New Deal. Wir wollen nicht einfach Investition
um der Investition willen. Wir brauchen sicherlich nicht
mehr Autobahnen im Süden Europas. Wir brauchen nicht
mehr Hochhäuser an den Küsten Europas. Was wir brauchen, ist Breitband in der gesamten Europäischen Union.
Was wir brauchen, sind die besten Hochschulen in der
Europäischen Union. Was wir brauchen, ist eine konkurrenzfähige Wirtschaft in der Europäischen Union. Die
wird es nur geben, wenn die Lebensverhältnisse in der
gesamten Europäischen Union so sind, dass alle wissen:
Europa lohnt sich, Europa ist gut für die Bürger. Das darf
uns ruhig etwas wert sein.
({2})
Aber ich will mich auch an den Kollegen Dehm wenden, weil ich mit Bedauern gehört habe, dass auch die
Kollegen der Linkspartei leider immer wieder in dieses
nationale Horn stoßen.
({3})
Was war denn der Grund dafür, dass die britische Wirtschaft heute so dasteht, wie sie dasteht? Es war doch
nicht die Europäische Union, die gesagt hat: Ihr müsst
euch deindustrialisieren.
({4})
Es war die Entscheidung der britischen Premierministerin Margaret Thatcher, die einseitig auf den Finanzstandort London gesetzt hat. Man muss zur Ehrlichkeit dazu
sagen: Die sozialdemokratischen Nachfolger haben es
auch nicht viel anders gemacht. Das war doch der Grund,
warum Großbritannien so dasteht, wie es dasteht.
({5})
Die Politik, dass man die Verantwortung für nationales
Versagen immer in Brüssel ablegt, muss endlich einmal
ein Ende haben.
({6})
An die Kollegen der Linkspartei gerichtet - nicht
an alle, aber an manche -: Der Linkspopulismus gegen
Europa ist mir nicht sympathischer als der Rechtspopulismus in Europa. Wir brauchen gar keinen Populismus
gegen Europa.
({7})
Wir brauchen endlich Mut, Ehrlichkeit und die Bereitschaft, sich für Europa einzusetzen.
({8})
Wir müssen deutlich machen, dass wir das Mandat
nicht aus der Hand geben. Ich bin froh, dass alle Rednerinnen und Redner bis jetzt deutlich gemacht haben, dass
es dabei auch um die vier Grundfreiheiten geht. Den freien Verkehr für Personen und Waren, für Dienstleistungen
und für Kapital gibt es nur im Paket. Es kann nicht sein,
dass man sich das herauspickt, was man gerne hätte, und
auf den Rest verzichtet. So haben wir in der Europäischen Union nicht gewettet. Deshalb muss die Bundesregierung dafür sorgen, dass am Ende drei Dinge Bestand
haben: Der Zusammenhalt der Europäischen Union, die
Integrität des Binnenmarktes und die Einheitlichkeit des
Europarechts stehen nicht zur Verhandlung. Die gibt es
nur im Paket. Die müssen wir erhalten.
({9})
Wir müssen auf der einen Seite deutlich machen, was
passiert, wenn man sich für den Exit entscheidet. Der
erste Staatsgast, den US-Präsident Trump empfangen
hat, war bezeichnenderweise Theresa May. Jeder, der
in Europa mit Exit-Fantasien herumläuft, sollte sich gut
überlegen, wer einen dann erwartet und was einen dann
erwartet.
({10})
Auf der anderen Seite muss einem auch klar sein: Wenn
ich als Mitglied der Europäischen Union ins Weiße Haus
gehe, wenn ich als Mitglied der Europäischen Union
nach China gehe, dann vertrete ich den größten Binnenmarkt der Welt, dann habe ich doch viel mehr zu sagen,
als wenn ich als Einzelner hingehe. Deshalb bin ich froh,
dass wir hier als Konsens haben: Wir verhandeln nicht
nur als Deutschland, wenn wir irgendwohin gehen, sondern wir sind auch immer als Europäer unterwegs. Wenn
es alle so machen in Europa, dann schaffen wir gemeinsam mehr.
({11})
Ich will noch einmal sagen, dass es jetzt nicht darum geht, verbrannte Erde zu hinterlassen. Wir brauchen
freundschaftliche Beziehungen zu Großbritannien. Sie
haben vieles aufgezählt, was wir von den Briten gelernt
haben, sei es die parlamentarische Demokratie, seien es
andere Dinge, in denen sie heute noch eng mit uns zusammenarbeiten. Ich hätte mir noch den britischen Humor, ich denke da beispielsweise an Monty Python, gewünscht. Davon könnten wir Deutsche auch noch etwas
gebrauchen. Das würde uns in der Europäischen Union
durchaus guttun, insbesondere uns in Deutschland.
Wir werden in vielen Feldern zusammenarbeiten. Aber
der entscheidende Unterschied ist jetzt auch klar: Wir,
die EU der 27, haben uns dafür entschieden, unsere Interessen zusammen zu vertreten. London kämpft ab jetzt
alleine. Wir schauen nach vorne und sind uns hoffentlich
einig darin, dass ein Land alleine die globalen Herausforderungen von der Bekämpfung des Terrorismus bis zum
Klimawandel nicht bewältigen kann. Wir sind stärker,
wenn wir uns als Europäische Union zusammentun: auch
bei der Bekämpfung von Fluchtursachen, auch bei dem
Thema, dass wir die Welt in einen Zustand verwandeln
wollen, dass die Menschen dort, wo sie leben, menschenwürdig leben können. Das kann keiner allein, aber wenn
wir 27 uns zusammentun, macht es einen Unterschied,
meine Kolleginnen und Kollegen.
({12})
Ich will noch auf einen Punkt eingehen, der immer
wieder in Großbritannien genannt wurde, nämlich das
Thema Migration. Ich will daran erinnern, dass die Freizügigkeit im Jahre 2004, als die osteuropäischen Länder
Mitglied der Europäischen Union geworden sind, durch
die Bundesrepublik Deutschland für sieben Jahre ausgesetzt wurde. Die Briten sind damals einen anderen Weg
gegangen, ganz bewusst. Viele vergessen das heute. Das
spielte in der Debatte eine wichtige Rolle. Aber zur Ehrlichkeit würde dazugehören, dass die britische Wirtschaft
nicht gerade unerheblich von den Menschen aus Polen,
aus Osteuropa profitiert hat. Sie jetzt wie den letzten
Dreck zu behandeln, ist auch nicht sehr anständig.
({13})
Das macht man nicht. Das hat mit britischer Kultur, wie
wir sie kennen und wie wir sie schätzen, nicht sehr viel
zu tun.
Insofern wird es sehr darauf ankommen, dass wir jetzt
deutlich machen, dass die Menschen aus Großbritannien,
die bei uns in der Bundesrepublik Deutschland, innerhalb
der Europäischen Union der restlichen 27 leben, bei uns
willkommen sind, dass sie Teil Europas sind. Wir sollten
es ihnen leichter machen, Bürger unseres Landes, deutsche Staatsbürger, und damit auch Unionsbürger zu werden. Es wäre doch schön, wenn wir da jetzt gemeinsam
eine Initiative starten und deutlich machen könnten: Bei
uns sind Briten, die bei uns in Kontinentaleuropa leben,
hier arbeiten, hier ihre Steuern zahlen, herzlich willkommen. Sie sind Europäer, sie bleiben Europäer, und wir
werden sie in unserem Land einbürgern; für uns gehören
sie dazu.
({14})
Dazu gehört aber auch, dass wir uns um über 3 Millionen Menschen kümmern müssen, die in Großbritannien
leben und EU-Bürger sind, die sich gerade große Sorgen
machen, was mit ihnen passieren wird, die Angst haben,
was aus ihrem Status wird. Wir haben von deutschen
Staatsbürgern gehört, von denen man verlangt, dass sie
ihre Ein- und Ausreisen in den letzten Jahrzehnten nachweisen, als Beleg dafür, dass sie dort Anspruch auf die
Staatsbürgerschaft haben. Das kann nicht angehen. Darum bitte ich Sie, dass Sie bei den Verhandlungen auch
die Situation der EU-Bürger in Großbritannien mit behandeln.
({15})
Auch um die müssen wir uns jetzt kümmern. Es kann
nicht sein, dass jetzt innerhalb Europas - nicht innerhalb
der Europäischen Union, aber innerhalb Europas - neue
Grenzen errichtet werden, wo wir doch gerade dabei waren, die alten abzureißen.
Meine Damen, meine Herren, ein starkes Europa ist
Zukunft, ein starkes Europa ist das beste Erbe, das wir
unseren Kindern, unseren Enkeln mitgeben können. Verhalten wir uns auch entsprechend!
Herzlichen Dank.
({16})
Vielen Dank, Herr Kollege Özdemir. - Als nächster
Redner kommt Detlef Seif von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Die britische Premierministerin Theresa May hat gestern in ihrer Rede vor dem
Unterhaus betont, dass sie einen klaren und ehrgeizigen
Plan für die Verhandlungen habe - eine Partnerschaft, die
auf Zusammenarbeit basiere, eine Partnerschaft, die für
Europa, Großbritannien und die Welt am besten sei, denn
genau jetzt brauche die Welt, vielleicht mehr als je zuvor,
die liberalen und demokratischen Werte Europas, Werte,
die auch das Vereinigte Königreich teile.
Kein bestehendes Modell außerhalb der Europäischen
Union kann auch nur annähernd dieselben Vorteile und
denselben Einfluss wie die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union bieten. - Wissen Sie, meine Damen und Herren, wer die Feststellung
in dieser Form getroffen hat? Das war niemand anders
als die britische Regierung selbst in einem Report vom
März 2016.
Stellt man nur auf die wirtschaftliche Seite ab - hierauf legen die Briten ja ganz großen Wert -, so ist festzustellen, dass das Durchschnittseinkommen mutmaßlich
um bis zu 2,6 Prozent schrumpfen wird. Bei dem Bruttoinlandsprodukt geht man sogar von einem Rückgang von
bis zu 55 Milliarden Pfund aus.
Zurzeit reden sich in Großbritannien noch einige oder
sogar viele froh: Die vorhergesagten wirtschaftlichen
Nachteile seien nach dem Brexit-Referendum bekanntlich nicht eingetreten. - Das ist richtig. Aber Großbritannien ist ja noch Mitglied der Europäischen Union, bei
vollem Zugang zum Binnenmarkt. Auf der anderen Seite ist das Pfund Sterling gefallen, sodass ein deutlicher
Anstieg der Nachfrage aus dem Ausland aufgetreten ist.
Dann ist es kein Wunder, dass zurzeit keine deutlichen
wirtschaftlichen Nachteile zu sehen sind.
Es mag sein, dass zukünftig einige protektionistische
Maßnahmen der Briten in dem einen oder anderen Wirtschaftsbereich vielleicht sogar Vorteile für das Land bieten. Aber in einer Zeit, in der der internationale Wettbewerb von Tag zu Tag wichtiger wird und neue, globale
Wirtschaftsbündnisse entstehen, ist das, was die Briten
auf den Weg gebracht haben, mehr als fahrlässig.
Ich bin der Meinung, es wird Zeit, dass die britische
Regierung ihren Bürgern endlich einmal reinen Wein einschenkt.
({0})
Wohlklingende Sätze wie: „Wir werden ein wahrhaft
globales Großbritannien; wir bekommen unsere Souveränität zurück; wir machen aus dem Brexit einen Erfolg;
jedem wird es nach dem Brexit besser gehen“, sind nicht
nur fromme Wünsche, sondern leere Phrasen, die durch
nichts belegt sind und eigentlich genau das Gegenteil von
dem aussagen, was alle Wirtschaftsexperten vorhersehen.
({1})
May wiederholt in ihrem Brief immer wieder - ich
habe es nicht gezählt, aber in vielen Passagen tauchen
diese Wörter auf -: Sie strebt eine neue und tiefe Partnerschaft mit der Europäischen Union an, und zwar in den
Bereichen Wirtschaft und Sicherheit. - Wenn man aber
genau hinschaut, dann stellt man fest: Der Brief lässt den
zwingenden Schluss zu, dass Großbritannien einer Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit nur zustimmen
wird, wenn ein Wirtschaftsabkommen vereinbart wird.
Das ist ein äußerst primitiver Erpressungsversuch.
({2})
Für ein derartiges Vorgehen in der aktuellen Sicherheitslage, gerade angesichts der Terrorerfahrungen Großbritanniens, kann man kein Verständnis haben, und auch die
britische Bevölkerung wird kein Verständnis dafür haben,
dass man nicht jede Möglichkeit nutzt, die Sicherheit zu
stärken und gegen Terroristen und sonstige Schwerverbrecher intensiv und möglichst effektiv zu arbeiten.
({3})
An anderer Stelle betont May - ich glaube, da sind wir
alle auf ihrer Seite; wenn sie es denn ernst meint -: Über
die Rechte der Briten in den anderen EU-Mitgliedstaaten
und von EU-Bürgern in Großbritannien müssen wir möglichst früh eine Vereinbarung treffen.
Die aktuelle Situation ist für die Betroffenen sehr anstrengend, teilweise bis zum Grad gesundheitlicher Beeinträchtigung. Menschen dürfen an dieser Stelle nicht
zur Verhandlungsmasse werden. Wenn wir der Meinung
sind, wir teilen gemeinsame Werte und die Menschen
stehen im Mittelpunkt, dann müssen wir alle ein Interesse daran haben, möglichst frühzeitig eine Vereinbarung
zu erzielen, damit die Betroffenen auch wissen, dass sie
in den jeweiligen Ländern bleiben können und dass sie
sich auf uns verlassen können.
({4})
Die Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien werden beginnen, sobald die Leitlinien stehen und
das Verhandlungsmandat erteilt ist. Niemand kennt den
genauen Zeitpunkt, aber wir gehen von Juni oder Juli aus.
Wir können davon ausgehen, dass die britische Regierung nicht soft verhandeln wird. Sie wird - das ist
legitim - jede Gelegenheit nutzen, um ihre Position zu
stärken. Wir müssen darauf achten, dass die Verhandlungsposition der Europäischen Union stark ist und stark
bleibt. Ich empfand es als sehr vorbildlich - hier wurde
bereits Stärke bewiesen -, dass weder EU-Institutionen
noch Mitgliedstaaten im Vorfeld Vorverhandlungen aufgenommen haben. Je geschlossener wir auftreten, umso
größer ist die Schlagkraft. Es ist sehr wichtig, dass die
Verhandlungsführung allein bei der EU-Kommission, allein bei Michel Barnier liegen wird.
({5})
In diesen Tagen wird viel darüber gesprochen, dass
man Großbritannien in den Verhandlungen zeigen müsse,
dass sich ein Austritt nicht lohne. Es dürften keine Anreize für andere Länder geschaffen werden. Aber das Land
hat sich durch die Brexit-Entscheidung bereits selbst bestraft und ins Abseits gestellt.
({6})
Bereits dies ist das abschreckende Beispiel, das anderen
Mitgliedstaaten den Appetit auf einen Exit völlig verdirbt.
({7})
Mit Großbritannien werden wir auch zukünftig freundschaftlich verbunden sein. Deshalb dürfen wir Großbritannien auch nicht schlechter behandeln als jedes andere
Land, das eine Zusammenarbeit mit der EU anstrebt.
Und es gibt sie noch, die Britenhasser, die Großbritannien schnell und schmerzhaft aus der EU rausschmeißen wollen. Glaubt denn jemand, dass François Hollande
seine Meinung geändert hat, der nach dem Referendum
davon sprach: „Ich will britisches Blut sehen“? Auf der
anderen Seite dürfen wir Großbritannien keine Zugeständnisse machen, die wir anderen Nicht-EU-Ländern
auch nicht zubilligen. Beispiel: Mit der Schweiz hat die
EU viele bilaterale Abkommen geschlossen. Obwohl
sich die Schweiz zur Übernahme der Arbeitnehmerfreizügigkeit verpflichtet hat, ist sie im Banken- und Dienstleistungsbereich leider nur zu circa 20 Prozent beteiligt
und hat hier keinen vollen Zugang zum Binnenmarkt.
Wie soll es da möglich sein, dem Vereinigten Königreich
den vollen Zugang zum Banken- und Dienstleistungsbereich zu geben, wenn es das europäische Recht und die
Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes nicht
akzeptieren will?
({8})
Herr Kollege.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.
Meine Damen und Herren, viel Arbeit liegt vor uns.
Viele Fragen sind zu klären. Ein großer gordischer Knoten ist zu lösen. Wenn alle ein echtes Interesse an einer
guten und engen Beziehung zwischen dem Vereinigten
Königreich und der Europäischen Union haben, dann bin
ich davon überzeugt, dass die Verhandlungen zu einem
positiven Ausgang gebracht werden können.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Seif. - Als nächster Redner hat das Wort Alexander Ulrich von der Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Özdemir, gestatten Sie mir folgenden Einwurf schließlich hatten Sie uns ja auch angesprochen -: Man
muss in Europa schon mit festverschlossenen Augen unterwegs sein, um nicht die riesengroßen sozialen Verwerfungen zu erkennen. Wenn wir diese thematisieren, dann
wird das hier auch noch als Linkspopulismus dargestellt.
Wir haben in Europa riesengroße soziale Probleme,
({0})
nicht nur in Großbritannien, sondern auch in vielen anderen Ländern. Das ist der Grund, warum sich die Menschen von Europa abwenden. In der Analyse war das,
was der Bundesaußenminister heute gesagt hat, dann
auch schon Linkspopulismus; denn er hat diese Themen
sehr deutlich angesprochen. Dafür sind wir dankbar, Herr
Gabriel.
({1})
Wer die europäische Politik versteht, dem ist klar:
Oftmals ist es die Politik der nationalen Regierungen,
die eine sehr große Rolle dabei spielt, wohin sich europäische Politik entwickelt. Es war zum Beispiel das
Schröder/Blair-Papier, das zu einem europaweiten Sozialabbau geführt hat;
({2})
dieses wurde übrigens von den Grünen und Joschka
Fischer unterstützt. Natürlich war das dann auf einmal
Grundlage europäischer Politik, diese Angriffe auf Gewerkschaften und Arbeitnehmer. Deshalb: Es waren immer nationale Regierungen, die auf europäischer Ebene
für solche Entwicklungen gesorgt haben. Der Ball muss
also an beide Seiten gespielt werden, an die jeweiligen
Regierungen und nach Europa zu den Staats- und Regierungschefs.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den Verhandlungen mit Großbritannien wird die erste entscheidende
Aufgabe sein, dass verbindliche Lösungen für die vielen
Menschen gefunden werden, die aus der EU kommen
und in Großbritannien leben, aber auch für die Briten,
die in der EU leben. Hier brauchen wir klare Ansagen,
dass diese Menschen dort leben bleiben können, wo sie
bisher leben, dass sie dort arbeiten können und dass gute
Lösungen bei der Problematik ihrer Sozialversicherung
gefunden werden.
({4})
Wir brauchen darüber hinaus relativ schnell, bevor es
zu neuen Unruhen kommt, Sicherheit hinsichtlich der
Grenzfrage zwischen Irland und Nordirland; das wurde
schon angesprochen. Die Verhandler müssen frühzeitig
dafür sorgen, dass hier keine neue Hard Border entsteht
mit all den Problemen, die in diesem Zusammenhang
entstehen könnten.
Neben dem Austrittsabkommen, Herr Gabriel, wird
es aber auch ein umfassendes Handelsabkommen geben
müssen; starke und berechtigte Interessen an guten, gegenseitigen Marktzugangsbedingungen gibt es schließlich auf beiden Seiten des Ärmelkanals. Es wäre daher
witzlos und falsch, aus Trotz und Angst vor Nachahmern
die Briten abstrafen zu wollen.
({5})
Ein schlechter Deal für Großbritannien wäre auch ein
schlechter Deal für uns in Europa, gerade für uns in
Deutschland. Wenn wir uns die Bedeutung Großbritanniens für die deutsche Wirtschaft ansehen, dann stellen wir
fest, dass sich die deutschen Exporte nach Großbritannien auf jährlich fast 90 Milliarden Euro belaufen. Damit
ist Großbritannien unser drittwichtigster Absatzmarkt.
Gerade im Automobilsektor, aber auch in der Chemieindustrie und im Maschinenbau hängen sehr viele Arbeitsplätze vom Marktzugang auf der Insel ab. Bekennen wir
uns also zum Wunsch nach einer starken Kooperation in
Europa und beginnen konstruktive Gespräche über unsere gemeinsame Zukunft mit Großbritannien.
({6})
Was die Zukunft der EU angeht - ich habe es angesprochen -, müssen sich auch die restlichen 27 EU-Länder die Frage stellen, warum es zum Brexit gekommen
ist. Der Brexit ist unseres Erachtens der letzten Warnschuss, um Europa noch zu retten. Wer das nicht erkennt,
wer den Brexit nur auf die Insel bezieht, auf Großbritannien, der wird Europa in eine noch tiefere Krise führen,
als sie eh schon ist. Die entscheidenden Stimmen kamen
von den Arbeitern in den gebeutelten Industriemetropolen, von Menschen, die mit der EU vor allem noch mehr
Wettbewerb zwischen den Arbeitern und den Standorten,
Lohndrückerei, europarechtliche Angriffe gegen ihre
Rechte und Bürokratie verbinden. Der Brexit war auch
Protest gegen die britische Cameron-Regierung, für die
Europa nicht mehr war als eine Freihandelszone mit Parlament.
Auch die Europavision der Bundesregierung reicht
leider nicht viel weiter. Sie haben die bürgerferne, technokratische und unsoziale EU von heute maßgeblich mit
aufgebaut. Deswegen tragen Sie eine Mitverantwortung
für den Brexit und eine große Mitverantwortung für den
desolaten Zustand der Europäischen Union.
({7})
Das Gerede von Frau Merkel vom Europa mehrerer Geschwindigkeiten ist nicht gerade hilfreich, wenn es darum geht, den Laden zusammenzuhalten. Das Problem
ist nicht die Geschwindigkeit, sondern die politische
Richtung, in die diese EU sich bewegt.
({8})
Die EU braucht jetzt eine politische 180-Grad-Wende,
Deutschland müsste dabei eine Vorreiterrolle übernehmen. Daran glaubt jedoch kaum noch jemand.
Ginge es nach dem Bundesfinanzminister, würden
wir erst einmal Griechenland aus der Euro-Zone schmeißen und sie dann um all die Länder verkleinern, in denen nicht genügend gekürzt, liberalisiert und privatisiert
wird. Dann würden wir einen europäischen Währungsfonds schaffen, der unter deutscher Führung nationale
Haushaltsentscheidungen torpediert. Die Alternative
Martin Schulz steht europapolitisch für noch mehr Macht
für technokratische EU-Institutionen, auch hinsichtlich
der Lohnentwicklung. Er steht vor allem im Bereich
der Verbriefungen für eine weitere Deregulierung der
Finanzmärkte. Er steht für einen mächtigen Euro-Finanzminister, der quasi per Dekret in nationale Politikprozesse eingreift. All das steht in dem Bericht der fünf
Präsidenten, den Schulz als Präsident des EU-Parlaments
mit verfasst hat.
Wir brauchen eine umfassende Demokratisierung
aller Entscheidungsebenen, eine Stärkung des Europäischen Parlaments, starke soziale Rechte für alle
({9})
und militärische Entspannung und Abrüstung.
({10})
Wenn wir das tun, dann ist Europa zu retten. Dann war
der Brexit vielleicht ein unangenehmer, aber noch rechtzeitig erfolgter Warnschuss.
Vielen Dank.
({11})
Vielen Dank, Herr Kollege Ulrich. - Als Nächstes
spricht Axel Schäfer von der SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich mit zwei persönlichen Bemerkungen
beginnen, die meine besondere Traurigkeit ausdrücken.
Erstens. Meine Stadt Bochum ist seit 67 Jahren partnerschaftlich mit Sheffield verbunden. Es haben Schüleraustausche, vielfache Begegnungen und Solidaritätsaktionen für Arbeitsplätze stattgefunden, aber am Ende war
das Gemeinsame schwächer als das Trennende.
Zweitens. Ich bin besonders traurig, dass unsere Labour-Kollegin Jo Cox von einem fanatischen EU-Hasser
ermordet worden ist.
Deshalb sage ich hier ganz offen: Politiker wie Johnson und Farage mit ihren Hetzreden haben eine moralische Mitverantwortung für den Brexit.
({0})
Jetzt wird es darauf ankommen, dass wir im Dialog
mit unseren Bürgerinnen und Bürgern einige Dinge ganz,
ganz klar aussprechen.
Erstens. Der Zusammenhalt dieses vereinten Europas
ist das Allerwichtigste - jeden Tag, bei allen Verhandlungen, bei allem, was wir tun.
({1})
Zweitens. Der Brexit ist nicht gut für die EU, aber er
ist besonders tragisch für Großbritannien. Er verursacht
eine Situation, die bis zu einer Spaltung des Landes führt.
Drittens. In den Verhandlungen wird es letztlich nicht
um möglichst gute Lösungen gehen, sondern darum, dass
wenig Schlechtes dabei herauskommt. Denn wir sind
nicht mehr in einer Win-win-Situation. Am Ende wird
eine Lose-lose-Situation bestehen. Darüber darf es überhaupt keine Illusionen geben.
({2})
Viertens. Stellen wir uns darauf ein, dass die britische
Regierung bei allen Konflikten in den Gesprächen sagen wird: Ihr Europäer behandelt uns schlecht. - Das ist
so, als würde Frau May eine Scheidung anstreben, aber
weiterhin jede Nacht im europäischen Ehebett verbringen und keinen Unterhalt für die gemeinsamen Kinder
zahlen. So geht es weder im richtigen Leben noch in der
Politik.
({3})
Es gibt aber auch Gutes im Schlechten. Ich bin ganz
sicher: Die Verhandlungen werden zeigen, was wir in Europa gemeinsam erreicht haben. Die Verhandlungen werden vielen Menschen die Augen öffnen über die Erfolge
der EU, die so selbstverständlich geworden, jetzt aber
leider gefährdet sind. Ich hoffe, sie werden auch manchen das Wort im Hals stecken bleiben lassen, die immer
wieder über die Bürokratie und alles Schlechte aus Brüssel gelästert oder, christlich formuliert, falsches Zeugnis
wider den Nächsten geredet haben.
({4})
In den nächsten Jahren wird sich zeigen, dass die Europäische Kommission als zentrale Institution mit einer
außergewöhnlichen Kompetenz, mit Power in der Lage
sein wird - übrigens ebenso wie bei der deutschen Einheit -, dieses Regelwerk überhaupt hinzubekommen. Es
gibt nirgendwo in der EU, in keinem Staat so viel Sachverstand, um das überhaupt bewerkstelligen zu können.
Denn am Ende wird es, liebe Kolleginnen und Kollegen, um Lösungen und um Antworten gehen, für die wir
heute noch nicht einmal die Fragestellung kennen.
Ich bleibe optimistisch insbesondere aufgrund der
vielen jungen Menschen, die sich für Europa engagieren. Wir hoffen, dass auch verstockte konservative und
ängstliche Labour-Politiker auf einen anderen Weg zurückkommen. Wir wollen dieses gemeinsame Europa, so
wie wir weiterhin Englisch sprechen, den Fußball lieben
und die Errungenschaften für die Demokratie in Großbritannien wertschätzen.
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege Schäfer. - Als Nächste
spricht Andrea Lindholz von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das vereinte Europa begann als Traum von wenigen, es
wurde zur Hoffnung für viele, und es schafft heute Wohlstand und Frieden für Millionen von Menschen.
Trotzdem hat die britische Regierung gestern offiziell den Austrittswillen für 60 Millionen Briten bekundet.
Das ist ein donnernder Weckruf für Europa. Es war kein
Tag der Freude. Ich bedaure diese Entscheidung sehr;
denn uns verbindet mit Großbritannien viel.
Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union ist ein
Privileg und kein Zwang. Wenn sich ein Land allerdings
entscheidet, auszutreten, ist das legitim. Die Entscheidung des britischen Volkes ist natürlich zu respektieren.
Die Folgen sollten allerdings allen Europäern klar sein.
Aus jedem Trennungsprozess ergeben sich auch
Chancen. Diese Chancen sollten wir für die verbleibenden 27 Mitgliedstaaten nutzen und dringend notwendige
Reformen vollziehen. Europa hat in den letzten Monaten zum Beispiel mit Blick auf die Flüchtlingskrise nicht
immer ein gutes und nicht immer ein einheitliches Bild
abgegeben.
Die Zukunft des Vereinigten Königreiches steht vor
einigen Herausforderungen. Schottlands Regierung und
das schottische Parlament fordern ein neues Unabhängigkeitsreferendum. Die britische Wirtschaft braucht unbedingt den Zugang zum EU-Binnenmarkt. Das Aufenthaltsrecht Tausender EU-Bürger ist plötzlich unklar. Die
Menschen erwarten zu Recht zügig Antworten. Dafür
tragen die Kommission, der Rat und die britische Regierung jetzt die Verantwortung. Denn echte Verantwortung
gibt es nur, wo es wirkliche Antworten gibt - das schrieb
bereits der jüdische Philosoph Dr. Martin Buber.
Wir erinnern uns aber auch an die Brexit-Befürworter.
Sie haben zentrale Wahlversprechen nur wenige Stunden
nach der Abstimmung öffentlich als Fehler bezeichnet
und die Verantwortung verweigert. Die Folgen des Brexit
müssen jetzt andere bewältigen.
Die Antworten, die wir geben müssen, werden nicht
einfach sein. Es geht zum einen darum, die Vereinbarungen für den Austritt Großbritanniens selbst, aber auch für
die künftigen Beziehungen zu regeln. Zum anderen - das
ist viel wichtiger - geht es darum, dass wir die Einheit
und Stärke der verbleibenden Mitgliedstaaten erhalten
und gemeinsam unsere Interessen vertreten und unsere
Werte schützen.
Das Ausmaß der Verhandlungen - wir haben das in den
letzten Monaten hier erlebt und durch unsere Ausschüsse
erfahren - ist gewaltig. Da ist natürlich auch potenzielles
Streitpotenzial in erheblichem Umfang vorhanden. Das
Vereinigte Königreich ist mit der Europäischen Union
auf vielen Ebenen eng verwachsen. Nicht nur die Beziehungen innerhalb Europas sind zu regeln, sondern auch
das Verhältnis zu Drittstaaten muss neu geregelt werden.
Mit dem jetzt zunächst einmal anstehenden Austrittsabkommen ist die Möglichkeit da, einvernehmlich eine
Trennung zu schaffen. Das Verhandlungsmandat wird
in den nächsten Wochen erteilt. Es geht hier erst einmal
um einige technische Angelegenheiten. Es geht vor allen
Dingen auch um die Rechte der Bürger, zum Beispiel um
den Bestandsschutz für erworbene Rechte im Bereich der
Pensionsansprüche. Es geht aber auch um den finanziellen Ausgleich zwischen Europa und Großbritannien. Gerade dieser Punkt wird mit Sicherheit nicht einfach sein.
Parallel dazu müssen noch ein oder mehrere Handelsabkommen hinzutreten, wie man in Zukunft gemeinsam
weiterarbeitet. Es gibt dabei wichtige Themen - sie sind
angesprochen worden - wie den Bereich Sicherheit und
Wirtschaft. Aber - ich bin Herrn Bundesminister Gabriel
sehr dankbar, dass er das heute noch einmal klar formuliert hat - erst einmal müssen die Eckpunkte für den Austritt stehen. Ich halte das für die richtige Vorgehensweise.
({0})
Insgesamt müssen über 200 000 Rechtsakte geändert
werden. Dafür braucht es konstruktive, faire und geordnete Verhandlungen und vor allen Dingen Grundregeln,
auf die wir uns verständigen. Für mich sind es drei - ich
habe sie formuliert -:
Erstens. Die Europäische Union muss hart und geschlossen handeln, ohne unnötig Porzellan zu zerschlagen. Die Werte und Interessen der 27 Mitgliedstaaten
müssen zuerst kommen. Trotzdem wollen und müssen
wir die freundschaftlichen Beziehungen zum Vereinigten
Königreich natürlich wahren.
({1})
Zweitens. Wer die Privilegien der EU beansprucht, der
muss auch ihre Pflichten akzeptieren. Freien Zugang zum
Binnenmarkt darf es nur geben, wenn alle vier Grundfreiheiten - die Freizügigkeit für Waren, Kapital, Dienstleistungen und Menschen - untrennbar miteinander verbunden sind. Eine Rosinenpickerei darf es an dieser Stelle
nicht geben.
({2})
Drittens. Theresa May hat es in ihrem Austrittsschreiben selbst betont: Ein harter Brexit wäre die schlechteste
Lösung. Er würde bedeuten, dass es nach den zweijährigen Austrittsverhandlungen keine Übergangsregelungen
gibt. Das wäre für die nachfolgenden Verhandlungen
denkbar schlecht, vor allen Dingen für das Vereinigte
Königsreich. Denn wenn man Großbritannien wie einen
beliebigen Drittstaat behandeln würde, dann wären die
Folgen allein für den britischen Finanzsektor desaströs.
Axel Schäfer ({3})
Deswegen liegt es an der Europäischen Union und an
Großbritannien, die Verhandlungen mit dem Ziel zu führen, einen harten Brexit zu vermeiden.
({4})
Die Verhandlungen sind das eine, die technische Abwicklung ist das andere. Viel wichtiger ist aber: Es muss
uns in den Verhandlungen darum gehen, unserer Jugend
ein stabiles und starkes Europa zu überlassen. Der Brexit
selbst ist kein existenzielles Risiko für die Europäische
Union - auch Putin, Erdogan, Trump, die Migrationskrise, die Populisten und die Terroristen nicht. Das größte
Risiko für die Zukunft Europas sind der wachsende Nationalismus und Egoismus. Ohne Kompromissbereitschaft
und ohne aufeinander zuzugehen gibt es keine gute Zusammenarbeit.
({5})
Es war der starke politische Wille der Europäer, einen
Beitrag zu Versöhnung, Kooperation und Freundschaft
zu leisten, der Europa nach den Kriegen stark gemacht
hat. Diesen Willen müssen wir auch in diesen Verhandlungen bekräftigen. In diesen Tagen gehen viele junge
Leute auf die Straße: in Paris, in Warschau, in London,
in Berlin, in Madrid, in Frankfurt und auch in meinem
Wahlkreis. Sie demonstrieren für Europa - das ist ein
gutes Zeichen -, und sie wissen: Die beste Antwort im
Hinblick auf die zukünftige Entwicklung in Europa ist
ein gutes, gemeinsames und geschlossenes Europa. Darauf sollten wir hinarbeiten.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz. - Als Nächster
spricht Dr. Jens Zimmermann von der SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern
haben wir alle den berühmten Brief von Frau May zu
lesen bekommen. Eine Woche zuvor waren unser aller
Gedanken bei den Kolleginnen und Kollegen im britischen Parlament, die eine Debatte geführt haben, wie wir
sie gerade führen, und dann von der Polizei im wahrsten
Sinne des Wortes dort eingeschlossen und bewacht wurden. Ich glaube, der verheerende Anschlag in London hat
doch gezeigt, dass uns die gleichen Herausforderungen
umtreiben, dass es nicht darum geht, ob man in Berlin
oder in London ist, sondern dass wir gerade im Bereich
der Sicherheit nur zusammen etwas erreichen können.
({0})
Umso tragischer ist natürlich, dass wir jetzt den Austritt Großbritanniens aus der EU verhandeln müssen.
Aber ich glaube - das ist in dieser Debatte auch deutlich
geworden -, wir alle haben ein Interesse daran, zu einem
konstruktiven Ergebnis zu kommen, um eine gemeinsame, konstruktive und gute Zukunft im Verhältnis zwischen Deutschland, zwischen Europa und Großbritannien zu haben. Wir müssen aber eben auch zur Kenntnis
nehmen: Das wird ein ganz schweres Stück Arbeit.
Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, mir die Titelseiten der britischen Zeitungen von heute Morgen
anzuschauen. Das soll man eigentlich nicht machen,
aber sie spiegeln die Stimmung in Großbritannien doch
ganz gut wider. - Die Times schreibt: „May-Drohung
zum EU-Antiterrorpakt“, der Guardian schreibt: „Die
EU warnt: Erpresst uns nicht“, die Daily Mail schreibt:
„Prost, auf eine großartige Zukunft“ mit Herrn Farage,
und man sieht dort ein Pint Bier, und die Sun schreibt:
„Euer Geld oder euer Leben“, womit sie auf die Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung anspielt.
Das spiegelt ein gutes Stück die Stimmung wider, die
nach wie vor in Großbritannien herrscht. Ich glaube, das
müssen wir in den Verhandlungen berücksichtigen.
Glücklicherweise ist die Stimmung bei uns ein bisschen anders. Ich habe mir heute auch einmal die Zeitung
mit den vier großen Buchstaben angeschaut. Darin geht
es heute darum, dass Hape Kerkeling seinen Freund geheiratet hat.
({1})
Das ist ungefähr der Unterschied zwischen der öffentlichen Debatte in Großbritannien und der öffentlichen Debatte, die wir teilweise hier bei uns haben.
Eigentlich müsste man in Deutschland „Keep calm
and carry on“ sagen. So ist es aber eben nicht. Wir müssen uns anstrengen und alles dafür tun, dass wir uns nicht
auf diese Debatte einlassen, die von gewissen Teilen der
Medien in Großbritannien uns aufzudrängen versucht
werden wird. Das sind nämlich diejenigen, die schon
dafür gesorgt haben, dass es überhaupt zum Brexit gekommen ist. Das sind die Nationalisten, die dort in ihren
Redaktionen sitzen und sich jeden Tag überlegen, was für
eine Sauerei sie am nächsten Tag in der Zeitung schreiben können.
Ich glaube, wir als deutsche und als europäische Seite müssen versuchen, mit der notwendigen Gelassenheit
an diese Verhandlungen heranzugehen, weil wir wissen,
dass wir eine gemeinsame konstruktive Zukunft mit unseren Freunden in Großbritannien haben wollen - sicher
nicht um jeden Preis und sicher nicht auf der Grundlage
der Yellow Press.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank, Herr Kollege Zimmermann. - Als
Nächster hat Dr. Heribert Hirte von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gestern war ein trauriger Tag für alle von uns, und das ist
in vielen der Reden auch schon zu Recht gesagt worden.
Wir wollen - das ist ein Ziel der jetzt beginnenden Verhandlungen - gute Freunde der Briten bleiben. Auch das
unterstütze ich nachdrücklich.
Das Beispiel des Fußballplatzes wurde schon angeführt. Ich sage: Wir wollen solche Freunde bleiben wie
die Spieler auf dem Feld, und wir denken hier eher nicht
an die Tribünen. Die Populisten auf beiden Seiten des
Kanals instrumentalisieren den Brexit nämlich für ihre
Zwecke, um auf diese Weise Stimmung zu machen. Wir
sollten uns an dieser Diskussion nicht beteiligen.
Deshalb gilt: Wir müssen mit den Briten als Erstes
über die Frage reden, wie wir zu fairen Verhandlungen
kommen. Es treibt mich hier schon ein bisschen um, dass
man gesagt bekommt, dass britische Vertreter auch auf
der Seite der Kommission und des Europäischen Parlaments sitzen, also auf beiden Seiten des Tisches, und ein
bisschen an der Formulierung der Position mitarbeiten,
die wir als Europäer gegenüber dem Vereinigten Königreich aufbauen wollen. Das geht so nicht. Man kann nicht
Diener zweier Herren sein.
({0})
Ich gehe nun einen Schritt weiter und könnte eigentlich sagen: Herr Brinkhaus, mein Kollege, hat das alles
schon gesagt. Wir sind nämlich in Scheidungsverhandlungen, und man kann nicht über die rosige Zukunft nach
den Scheidungsverhandlungen nachdenken, solange die
Scheidung nicht durch ist. Bis die Scheidung durch ist,
müssen wir klären, was die Verbindlichkeiten aus dem
aktuellen Stand der Dinge sind. Welche Zahlungen hat
das Vereinigte Königreich noch zu erbringen?
Wir müssen uns nicht an den Diskussionen über die
Frage beteiligen, ob das so und so viele Milliarden Euro
oder Pfund sind; aber wir müssen uns vor allen Dingen
über die Antwort auf die Frage einig sein, wer darüber
entscheidet, wie hoch die Verbindlichkeiten sind. Daran
kann aus meiner Sicht, aus der Sicht des Rechtspolitikers, kein Zweifel bestehen: Für die Auslegung unserer
EU-Verträge und einer etwaig zu schließenden Vereinbarung ist der Europäische Gerichtshof zuständig.
Wenn man sich einmal in einen solchen Streitschlichtungsmechanismus begeben hat, dann kann man nicht
einfach gehen und sagen: Jetzt entscheiden das andere. Das bedeutet für uns: Wir werden gar nicht zustimmen
können, wenn bei solchen Vereinbarungen eine andere
Schiedsinstanz eingerichtet werden soll. Ich sage ganz
deutlich: Ich glaube, wir können das verfassungsrechtlich gar nicht tun, weil wir dann nämlich eine Schiedsinstanz begründen würden, zu deren Einführung uns das
Verfassungsgericht nicht die Kompetenz geben würde.
({1})
Dass die britische Premierministerin ihren Abgeordneten dies offensichtlich so nicht gesagt hat - hier knüpfe
ich an den Kollegen Seif an -, ist mit Sicherheit fahrlässig; denn das wird dazu führen, dass der Europäische Gerichtshof noch für lange Zeit - manche sagen 20, manche
sagen 40 Jahre - für die Auslegung dieser Streitigkeiten
in der Pflicht ist. Das sind für die Kollegen im Vereinigten Königreich keine rosigen Aussichten, weil sie genau
diese Rechtsprechung aus für mich unverständlichen
Gründen nicht akzeptieren wollen.
Damit komme ich zu einem weiteren Punkt. Ja, das
Ziel sollte sein, gemeinsam ein anspruchsvolles Freihandelsabkommen zu verhandeln. Aber auch bei Freihandelsabkommen spielt die Frage eine Rolle: Wie legen
wir die Nichtdiskriminierungsklauseln aus? Wir haben
hier in dieser Konstellation zusammengesessen, auch mit
dem damaligen Wirtschaftsminister Gabriel, und über die
Frage geredet, wie Schiedsgerichtsvereinbarungen bei
TTIP und CETA ausgestaltet werden sollen. Wir haben
erreicht, dass sie anders ausgestaltet werden als bisher.
Es gibt keine sogenannten „privaten Schiedsgerichte“,
sondern institutionelle Gerichte werden entscheiden.
Nun liest man in der britischen Presse, man habe da
alte Erfahrungen, wie man solche Schiedsgerichte ausgestalten könne; daran könne man anknüpfen. - Das sind
dieselben Briten, die gemeinsam mit uns und Ihnen, Herr
Gabriel, damals in Ihrer Funktion als Wirtschaftsminister, mit Kanada über eine moderne Schiedsgerichtsinstitution verhandelt haben. Ich weiß nicht, wie das Problem
mit den Schiedsgerichten gelöst werden soll; das macht
mich wirklich ratlos. Ich bin vor allen Dingen völlig unsicher, warum die Engländer nicht auf die Idee kommen,
das vorher einmal durchzuspielen.
Damit komme ich zu einem weiteren Punkt. Wir verhandeln jetzt - das ist das Ziel der Briten; das ist auch
völlig richtig so - über Übergangsvorschriften. Schon
jetzt hören wir, dass die Übergangsvorschriften eine
Dauer von vielen Jahren haben sollen und dass die Finanzindustrie - da schaue ich den Kollegen Dehm an natürlich besonders lange Fristen für die Übergangsvorschriften fordert. Vor diesem Hintergrund verlaufen die
Verhandlungen in eine Richtung, die dazu führen könnte,
dass die Briten eine Art Sondermitgliedschaft in der Europäischen Union bekommen: Sie bekämen die Vorteile, müssten aber keine Pflichten mehr übernehmen. Das
können wir nicht zulassen, auch - das sage ich wieder als
Jurist - aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht.
({2})
Über all dies darf nicht in Vergessenheit geraten: Was
waren die Gründe für die Brexit-Entscheidung? Vieles
davon ist schon gesagt worden. Es war erstens Unmut
über die Migration und zweitens Unmut über die fehlenden Möglichkeiten, die britische Wirtschaft wieder fit zu
machen. Wir haben über diese Dinge mit den Verantwortlichen aus dem Vereinigten Königreich verhandelt.
Vor etwas mehr als einem Jahr hat der Europäische
Rat eine ganze Reihe von Rechtsänderungen für den Fall
zugesagt, dass das Vereinigte Königreich in der Europäischen Union bleibt. Eine ganz zentrale Änderung, die
in der Diskussion eine große Rolle gespielt hat, war die
Indexierung von Kindergeldzahlungen an EU-Ausländer, deren Kinder im Heimatland verblieben sind. Ich bin
froh, dass der Koalitionsausschuss letzte Nacht genau in
diesem Punkt gesagt hat: Wir in Deutschland gehen weiter in diese Richtung.
Ich erwarte deshalb jetzt von der Bundesregierung,
dass sie auch die entsprechenden europäischen Rechtsänderungen unterstützt, damit diese falschen Anreize
bei den Sozialleistungen zurückgenommen werden.
({3})
Das ist der Korb 4 der damaligen Verhandlungen. Das
kann man eins zu eins kopieren. Das sollten wir auch tun
und fordern, zumal die 26 anderen europäischen Partner
hier schon ihre Zustimmung signalisiert haben.
Letzter Punkt. Ebenfalls dazu gehört natürlich Korb 2,
die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere
für die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Da
haben die Briten schon erkannt, dass es bei uns in der
europäischen Rechtsetzung durchaus Defizite gibt. Das
können und sollten wir aufgreifen. Das sollten wir gemeinsam tun. Dann zeigen wir den Briten als EU Rest27, dass wir am Ende ein stärkeres Europa haben und
dass Europa eine Zukunftsvision ist, für die wir alle gemeinsam stehen.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege Hirte. - Als letzter Redner
in dieser Aussprache spricht nun Stephan Mayer von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Auch ich persönlich bedaure außerordentlich die Entscheidung der Briten, aus
der Europäischen Union auszutreten. Ich sage dies aber
nicht nur als Privatperson, sondern auch in meiner Funktion als Vorsitzender der deutsch-britischen Parlamentariergruppe. Es ist ein schwerer Fehler, den die Briten jetzt
begangen haben. Wir müssen das aber akzeptieren und
auch respektieren.
Es ist mit Sicherheit unbestreitbar: Die jetzt bevorstehenden Verhandlungen werden die schwierigsten und
komplexesten sein, die die Europäische Union, aber auch
Großbritannien jemals geführt haben. Natürlich ist es
auch richtig, dass es in diesen Verhandlungen keine Rosinenpickerei geben darf, keinen Britenrabatt geben darf
und keine Extrawürste für die Briten geben darf.
Es stimmt natürlich auch, dass unser prioritäres Ziel
sein muss, dass die EU der verbleibenden 27 Länder
zusammenbleibt. Ich bin der festen Überzeugung: Kein
Land in der Europäischen Union hat ein so großes Interesse daran, dass die EU zusammenbleibt und noch stärker wird, als Deutschland.
({0})
Deutschland befindet sich im Zentrum Europas. Wir haben die meisten Nachbarn in Europa. Und wir sind das
größte Land, auf das natürlich auch immer sehr intensiv
geblickt wird.
Ich sage aber auch ganz offen: Ich hielte es für falsch,
wenn die anstehenden Verhandlungen mit Großbritannien jetzt mit dem Duktus der Schadenfreude bzw. dem
Duktus der enttäuschten Liebe geführt werden. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass unsere Bundeskanzlerin
Angela Merkel vollkommen recht hat, wenn sie darauf
hinweist, dass es einen klaren Unterschied machen muss,
ob sich ein Land innerhalb oder außerhalb der Europäischen Union befindet. Ich sage aber auch dazu: Auch die
britische Premierministerin Theresa May hat recht, wenn
sie darauf hinweist, dass Großbritannien zwar aus der
EU, aber nicht aus Europa austritt.
Deswegen - das sage ich auch ganz offen, meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen - passt das Beispiel
der Scheidung nicht so ganz gut. Nach einer Scheidung
kann man sich, wenn man will, für immer und ewig aus
dem Weg gehen. Aber Großbritannien bleibt in Europa.
Großbritannien bleibt Mitgliedsland der NATO. Großbritannien bleibt Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Und Großbritannien bleibt ein wichtiger und zentraler Partner für
Deutschland.
({1})
In vielfältiger Hinsicht arbeiten wir bestens und hervorragend mit Großbritannien zusammen. Ich sage ganz
ausdrücklich: Wir dürfen dies auch aus deutschem Interesse bei den jetzt anstehenden Verhandlungen nicht
gefährden. Ich möchte nur die Zusammenarbeit im Terrorismusbereich und in der Sicherheitspolitik erwähnen.
Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft. Hier in Berlin
sind wir im letzten Jahr fünf Tage vor Weihnachten auf
schreckliche und tragische Weise Opfer eines verheerenden Anschlags geworden. Die Briten wurden vor einer
Woche Opfer eines ähnlich gravierenden Anschlags.
Dies schweißt uns auch zusammen; das gilt gerade jetzt
im Hinblick auf den Kampf gegen den internationalen
bzw. islamistischen Terrorismus. Auch im Bereich der
internationalen Friedensarbeit und bei der internationalen Konfliktbewältigung sind die Briten für uns einer der
wichtigsten Partner.
Ich sage auch ganz offen: Natürlich ist die Wirtschaft
nicht alles. Aber ordentliche und vernünftige Wirtschaftsbeziehungen sind die Grundlage dafür, dass wir
uns hier in Deutschland vieles leisten können und dass
sich auch Großbritannien vieles leisten kann. Wir dürfen bei den anstehenden Verhandlungen nicht außer Acht
lassen, dass wir Deutsche für die Briten der wichtigste
Exportmarkt für Güter sind. Und Großbritannien ist für
Deutschland nach den USA der zweitwichtigste Exportmarkt für Güter. Jährlich werden Güter im Wert von fast
100 Milliarden Euro von Deutschland nach Großbritannien exportiert.
Es gibt 2 500 deutsche Unternehmen, die in Großbritannien engagiert sind; sie beschäftigen 400 000 Mitarbeiter. Britische Unternehmen beschäftigen in Deutschland 250 000 Mitarbeiter. Unternehmen wie Siemens,
BMW, Eon, RWE und Bosch sind wichtige Arbeitgeber
in Großbritannien. Wir dürfen dies - das sage ich auch
ganz deutlich - nicht dadurch gefährden, dass wir in den
Verhandlungen, vielleicht getrieben auch von Emotionen, zu stark die Muskeln spielen lassen. Mir ist dies
wirklich sehr ernst, weil ich die große Gefahr sehe, dass
ansonsten wirklich das dabei herauskommt, was Herr
Kollege Schäfer apostrophiert hat, nämlich dass es am
Schluss der Verhandlungen eine Lose-lose-Situation gibt.
Ich sehe es nicht ganz so fatalistisch wie Sie.
({2})
Ich sehe es nicht als gesetzt an. Ich bin der festen Überzeugung: Wenn wir klug sind, dann müssen wir die
Verhandlungen so führen, dass wir die Briten nicht als
unsere Gegner, sondern als unsere Verhandlungspartner
ansehen, getrieben davon, dass wir am Schluss zu einer
für beide Seiten möglichst akzeptablen und vernünftigen
Lösung kommen.
Natürlich, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, bin ich nicht so naiv, anzunehmen, dass die Briten
nicht alles tun werden, um zu einem für sie optimalen
Ergebnis zu kommen. Aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass Großbritannien und Deutschland engstens
verwoben sind, etwa auf Ebene des Parlamentes, etwa
auf Ebene der Städtepartnerschaften. Es gibt ungefähr
600 Partnerschaften zwischen deutschen und britischen
Städten. Die Leiter des British Museum und des Victoria
and Albert Museum sind Deutsche. Der Leiter des Humboldt Forums in Berlin ist Brite.
Ich hoffe also, dass die Verhandlungen nicht von Emotionen getrieben geführt werden, sondern dass uns Ratio
und Klugheit leiten. In diesem Sinne: Die Verhandlungen
sind mit Sicherheit schwierig, aber wenn man sie konstruktiv, vernünftig und mit dem notwendigen Respekt
und der notwendigen Fairness führt, dann kann nach
meiner festen Überzeugung am Ende für beide Seiten ein
ordentliches und vernünftiges Ergebnis herauskommen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Vielen Dank, Herr Kollege Mayer. - Damit schließe
ich die Aussprache.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Militärmission der
Europäischen Union als Beitrag zur Ausbildung der malischen Streitkräfte ({0})
Drucksache 18/11628
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister Sigmar Gabriel.
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ihr könnt ruhig klatschen.
({0})
- Er hat geklatscht? Sie jedenfalls nicht; das weiß ich.
({1})
- Na gut, aber man kann sich im Leben auch mal verändern.
Jetzt aber einmal ernsthaft weiter: Es ist ja nicht immer so im Bundestag, dass aufeinanderfolgende Tagesordnungspunkte auch inhaltlich zusammenhängen, aber
jetzt ist das der Fall. Wir haben gerade im Plenum über
die Absicht des Vereinigten Königreichs debattiert, die
Europäische Union zu verlassen, also den Brexit. Man
könnte sich fragen: Wo ist da der Zusammenhang mit
dem Einsatz der Bundeswehr in Mali? - Ich glaube, er
besteht in zweierlei Hinsicht.
Erstens machen die Entwicklungen in Mali seit Beginn der Krise in den Jahren 2012/2013 eines deutlich:
Wir Europäer sind von den Krisen und Kriegen in der
Welt immer stärker direkt betroffen. Wir können uns
nicht mehr abkapseln. Wir haben deshalb auch nicht den
Luxus, uns allein auf interne institutionelle Fragen in Europa zu konzentrieren. - Vielleicht als Reminiszenz an
die vorangegangene Debatte: So wichtig das ist, darf es
nicht dazu führen, dass wir jetzt ausschließlich über unsere inneren Verhältnisse reden. Es gibt so viele Dinge
um uns herum, die sich verändern, dass wir auch dort gefragt sind. Europa ist mehr denn je als Akteur in der Welt
gefragt, der auch bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, und das, obwohl die Europäische Union gar nicht
als weltpolitischer Akteur konstruiert worden ist. Sie ist
dafür gar nicht gemacht worden. Trotzdem können uns
die Konflikte um uns herum nicht egal sein.
Das bringt mich zu meinem zweiten Punkt: Unser Engagement in Mali zeigt, dass wir dort, wo Europa bereit
ist, sich gemeinsam zu engagieren, durchaus VorzeigStephan Mayer ({2})
bares leisten können. Der Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten in der europäischen Ausbildungs- und
Trainingsmission EUTM Mali gehört dazu. Mehr noch:
Er ist Teil eines umfassenden Ansatzes. Denn unsere
europäische Stärke ist es ja gerade, dass wir Krisen mit
einem breiten Instrumentenkasten angehen: mit diplomatischen, zivilen und polizeilichen Mitteln und auch militärisch. Gerade die Europäische Union ist in der Lage,
alle diese Instrumente zur Verfügung zu stellen. Das ist
ein Markenkern europäischer Außen- und Sicherheitspolitik, den wir beibehalten und ausbauen müssen und den
wir - das sage ich ganz offen - nicht wieder verkleinern
dürfen aufgrund der von den Vereinigten Staaten ausgehenden Debatte, in der Sicherheit auf Militärausgaben
reduziert wird. Diese werden dort ja erhöht, und gleichzeitig werden die Mittel für die zivile Krisenprävention
im Außenministerium gekürzt. Europa ist das genaue Gegenteil davon, und das ist auch gut so.
({3})
Meine Damen und Herren, unser Engagement in Mali
ist auch deshalb so wichtig, weil die Stabilisierung Malis ein Schlüssel für Sicherheit und Entwicklung in der
gesamten Region ist. Denn grenzüberschreitender Terror
und organisierte Kriminalität bedrohen auch die Sicherheit der Nachbarn und mittelbar eben auch die Europas.
Mali gewinnt als Transit- und Herkunftsland für irreguläre Migration und Flucht an Bedeutung. Als eines der
ärmsten Länder der Welt steht Mali außerdem nicht nur
vor enormen politischen Herausforderungen. Es muss
auch durch Bekämpfung von Hunger und Armut der eigenen Bevölkerung eine tragfähige Zukunftsperspektive
bieten.
Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hänsel zu?
Selbstverständlich.
Danke schön. - Herr Minister Gabriel, ich möchte Sie
aus aktuellem Anlass fragen. Sie haben gerade gesagt,
Europa stellt in der Sicherheitspolitik das genaue Gegenteil zu den USA dar. Aber Kriegseinsätze ähneln sich
doch und bedeuten viel Leid und Tote vor Ort. Uns liegen
aktuell Meldungen vor, dass der Tornadoeinsatz der Bundeswehr mit dazu beigetragen hat, dass über 33 Zivilisten
in einer ehemaligen Schule in Syrien getötet wurden.
({0})
- Die Meldungen sind da, und ich hätte gern den Minister
gefragt, was er zu diesen Meldungen sagt
({1})
und ob die Bundesregierung gegebenenfalls erwägt, diesen Tornadoeinsatz zu stoppen bzw. zu beenden und zu
untersuchen, was passiert ist?
Wenn Sie gestatten, würde ich gerne auf beides antworten, sowohl auf Ihren Hinweis, dass militärische Einsätze immer auch schlimme Folgen haben, als auch auf
den konkreten Fall.
Gerade wir Deutsche selbst haben doch erfahren - das
sage ich nicht mit übertriebenem Pathos -, dass wir am
Ende Gewalt und Terror in unserem Volk - zum Beispiel damals durch die Nationalsozialisten - nicht stoppen konnten, ohne dass uns andere mit Militäreinsatz zu
Hilfe gekommen sind. Auschwitz hat sich nicht selbst
befreit, sondern es war die Rote Armee, die Auschwitz
befreit hat. Hätten amerikanische Eltern ihre Söhne und
manchmal auch ihre Töchter nicht in den Zweiten Weltkrieg geschickt, würden wir heute unter Hitler oder unter
Stalin leben. Das zeigt: In der Ultima Ratio können Sie
manchmal das Leben von Menschen nur schützen, wenn
Sie militärische Mittel einsetzen. Wenn die Weltgemeinschaft nicht so lange zugesehen hätte, hätten vielleicht
nicht Millionen Menschen in Ruanda im Völkermord untergehen müssen.
({0})
Auch ich wünsche mir eine Welt, in der man so etwas
nicht braucht. Aber Sie sollten wissen: Man kann sich
schuldig machen durch den Einsatz militärischer Mittel,
man kann sich auch schuldig machen durch die Verweigerung militärischer Mittel.
({1})
Man muss sich immer darüber im Klaren sein, was man
macht.
({2})
Zu Ihrem konkreten Fall. Nach meinem Kenntnisstand ist der Tornadoeinsatz nicht verantwortlich dafür,
was dort passiert ist. Es gab auch eine Unterrichtung im
Verteidigungsausschuss dazu. Insofern kann ich jetzt nur
wiedergeben, dass nach meinem Kenntnisstand, nach
dem Kenntnisstand der Bundesregierung, der Zusammenhang, den Sie beschrieben haben, nicht existiert.
({3})
Ich möchte eigentlich die Mali-Mission begründen,
weil diese gerade dazu dienen soll, das Voranschreiten
von Terrorismus und Mord zu begrenzen. Aber da Sie,
wie ich sehe, anderer Meinung sind, will ich es noch ein
wenig zuspitzen: Was, glauben Sie, würde passieren,
wenn Europa oder die internationale Völkergemeinschaft
im Fall von Mali sagt: „Wir ziehen uns zurück“? Diese Position kann man einnehmen. Dann muss man aber
bereit sein, zu sagen: Ja, ich bin dann auch bereit, die
Verantwortung dafür zu tragen, dass Boko Haram wieder
nach vorne geht, dass sich die Tuareg nicht in einen zivilen Friedensprozess begeben und dass mehr Menschen
weiter unter Terror, Gewalt, Mord und Vergewaltigung
leiden. - Man muss sich einfach über die Konsequenzen
seines Handelns in beiden Fällen im Klaren sein. Man
muss auch wissen: Wenn man militärische Einsätze begleitet, kann das immer dazu führen, dass Unschuldige
sterben.
Wir haben übrigens die Waffen an die Peschmerga
im Wissen geliefert, dass die Waffen in einem späteren
innerirakischen Konflikt vielleicht für falsche Ziele eingesetzt werden. Darum wissend hat uns der viel zu früh
verstorbene Pazifist Rupert Neudeck geraten - wohlgemerkt: als Pazifist -: Ihr müsst Waffen an die Peschmerga
liefern, weil sonst die Volksgruppe der Jesiden ausgerottet wird.
Ich will nur sagen: Es geht hier, wie ich finde, um eine
der schwersten Entscheidungen, die man als demokratischer Politiker treffen kann, aber man muss sich immer
im Klaren darüber sein, dass Verantwortung nicht nur dadurch entsteht, wenn man eine Entscheidung trifft, sondern auch, wenn man eine Entscheidung verweigert.
({4})
Meine Damen und Herren, klar ist: All diese komplexen Herausforderungen kann Mali nicht alleine bewältigen, aber eben auch nicht alleine nur mit deutscher Hilfe.
Unser Engagement in Mali ist daher eingebettet in den
Rahmen der Vereinten Nationen und der Europäischen
Union. Das ist übrigens auch wichtig. Wir haben uns
einmal dazu bekannt, dass Militäreinsätze dann möglich
sind, wenn sie von den Vereinten Nationen gefordert werden. Man kann doch nicht sagen: „Wir wollen weg von
unilateralen Kriegseinsätzen und hin zu einem Mandat
der Vereinten Nationen“, aber dann, wenn die Vereinten
Nationen sagen, dass sie die Menschen nur mithilfe von
Militär und vielem anderen retten können, auf einmal sagen: „Jetzt sind uns die Vereinten Nationen egal.“ Auch
das ist für uns von großer Bedeutung. Europa leistet hier
einen großen Beitrag.
Im Rahmen der europäischen Trainingsmission in
Mali haben militärische Einheiten aus verschiedenen
Mitgliedstaaten der EU, zurzeit auch 140 Soldatinnen
und Soldaten aus Deutschland, seit 2013 über 9 000
malische Soldatinnen und Soldaten ausgebildet. Inzwischen konzentriert sich die Mission verstärkt auf die
Ausbildung der Ausbilder; denn wir können nicht jeden
malischen Soldaten ausbilden. Aber wir können Strukturen aufbauen. Sofern es die Sicherheitslage zulässt,
wird EUTM Mali diese Ausbildung direkt vor Ort an den
Standorten der malischen Armee vornehmen.
Die zivile Schwestermission von EUTM, die
EUCAP Sahel Mali, bildet zudem Polizei, Nationalgarde und Gendarmerie aus. Auch hier ist Deutschland mit
Polizistinnen und Polizisten, zivilen Expertinnen und
Experten engagiert, und wir stellen auch den Leiter der
Mission.
Nicht zuletzt unterstützen wir - das wissen Sie die Friedensmission der Vereinten Nationen in Mali,
MINUSMA. Neben ihrem politischen Auftrag, die Umsetzung der Friedensabkommen zu unterstützen, ist die
Friedensmission im Norden und im Zentrum des Landes
im Einsatz, um Sicherheit zu gewährleisten. Deutschland hat mit seinen aktuell mehr als 800 Soldatinnen
und Soldaten im Einsatz, Hubschraubern und Aufklärungsdrohnen einen wesentlichen Anteil daran. Ich will
mich ausdrücklich bei den eingesetzten Soldatinnen und
Soldaten bedanken, übrigens auch bei den Familien, die,
obwohl zurzeit niemand in Gefahr geraten ist, verwundet
oder getötet wurde, natürlich Angst um ihre Angehörigen haben. Ich will ausdrücklich meinen großen Respekt
vor der Leistung der Soldatinnen und Soldaten und auch
dem, was Familien dort mittragen, ausdrücken.
({5})
Wir unterstützen den Friedensprozess. Wir bekämpfen
die Ursachen des Konflikts, indem wir helfen, die Gräben der malischen Gesellschaft zu überwinden, übrigens
auch durch Förderung von Dezentralisierung, sodass alle
Bevölkerungsgruppen stärker teilhaben können. Und wir
unterstützen Projekte, die die Lebensumstände der Bevölkerung und die staatliche Handlungsfähigkeit spürbar
verbessern.
Insgesamt haben wir aus dem Haushalt des Auswärtigen Amts seit 2010 mehr als 50 Millionen Euro in zivile
Maßnahmen in Mali investiert. Für 2017 sehen wir noch
einmal mehr als 23 Millionen Euro vor, davon 6 Millionen Euro für humanitäre Hilfe.
Meine Damen und Herren, mir geht es nicht um eine
Vergleichsrechnung, aber ich finde, das Beispiel Mali
zeigt, wie wichtig es ist, einen umfassenden Sicherheitsbegriff zugrunde zu legen. Das meinte ich mit dem
Unterschied zu der aktuellen Debatte in den Vereinigten
Staaten.
Natürlich müssen wir uns fragen, welche Ergebnisse
wir in Mali bislang erzielt haben, und nüchtern fragen,
wo wir stehen. Die Sicherheitslage im Norden und zunehmend auch in der Mitte des Landes bleibt angespannt.
Angriffe gegen die Zivilbevölkerung gehören leider
weiterhin zum Alltag für viele Menschen in Mali. Der
Friedensprozess ist fragil, das Tempo der politischen Reformen langsamer, als wir es uns wünschen. Gleichzeitig
gibt es aber auch wichtige Fortschritte:
Im November konnten nach zweijähriger Verzögerung
Kommunalwahlen abgehalten werden, auch in weiten
Teilen des Nordens.
In Gao, Ménaka und Kidal wurden unter Vermittlung
durch die Friedensmission der Vereinten Nationen Übergangsverwaltungen eingesetzt. Das war lange ein erbitterter Streitpunkt zwischen den Konfliktparteien.
Trotz eines verheerenden Anschlags im Januar hat es
erste gemeinsame Patrouillen von Regierungstruppen,
regierungsnahen Milizen und ehemals separatistischen
Tuareg-Gruppen in Gao gegeben.
Das sind keine Meldungen, die es bei uns auf die Titelseiten schaffen, aber es sind wichtige Schritte, auch
wenn sie noch klein sind. Dennoch ist klar: Friedenskonsolidierung ist mühsam, langwierig und verläuft nicht
linear. Aber mich jedenfalls stimmt es positiv, dass die
Konfliktparteien trotz aller Störversuche, weiterhin beBundesminister Sigmar Gabriel
stehenden Misstrauens und Umsetzungsproblemen dem
Friedensprozess verpflichtet bleiben.
Ich will in Kürze nach Mali reisen, auch um die Regierung darin zu bestärken, den Friedensprozess entschlossen voranzutreiben und dafür auch die notwendigen Reformen auf den Weg zu bringen. Natürlich will ich mir
vor Ort auch einen Eindruck verschaffen, was unsere
deutschen zivilen Helferinnen und Helfer sowie Soldatinnen und Soldaten leisten, die dort einen, wie gesagt,
oftmals gefährlichen Dienst tun.
Meine Damen und Herren, die Trainingsmission der
Europäischen Union ist ein wichtiger Bestandteil unseres
Engagements für Frieden und Sicherheit in Mali. Sie ist
gleichzeitig Baustein einer gemeinsamen europäischen
Außenpolitik. Meine Hoffnung ist jedenfalls, dass wir
in Europa gerade auch im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik noch enger zusammenrücken. Ich bitte
deshalb um Ihre Zustimmung zur Fortsetzung unserer Beteiligung an der europäischen Trainingsmission
EUTM Mali.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Vielen Dank, Herr Minister Gabriel. - Als Nächster
hat das Wort Jan van Aken von der Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie wollen hier den Einsatz der Bundeswehr in Mali zur Ausbildung der malischen Armee um ein weiteres Jahr verlängern.
({0})
Ich finde, Sie machen da einen großen Fehler.
({1})
Zum einen, weil die Situation in Mali mittlerweile
ganz fatal an Afghanistan erinnert. Sie unterstützen dort,
in Mali, eine zutiefst korrupte Regierung. Sie bilden dort
eine Armee aus, die auch gegen Minderheiten im eigenen
Land vorgeht. Und Sie sind dort Teil eines Bürgerkrieges, der immer weiter eskaliert. Die Zahl der Anschläge,
auch auf UN-Truppen, steigt unaufhörlich.
Genau wie in Afghanistan fing der Einsatz in Mali
ganz klein, kompakt und überschaubar an.
({2})
Mittlerweile ist dort mit der Operation MINUSMA der
mittlerweile größte Auslandseinsatz der Bundeswehr
unterwegs. Zuletzt haben Sie Kampfhubschrauber in die
Region geschickt. Wie in Afghanistan - das, finde ich, ist
das Entscheidende - haben Sie keinen politischen Plan.
({3})
Außerdem haben Sie - das ist jetzt auch eine militärische Frage - keinerlei messbare Ziele für diesen Einsatz
definiert. Das halte ich für das Fatalste.
({4})
Jetzt machen Sie auch noch genau den gleichen Fehler
wie damals in Afghanistan: Auf eine sich immer weiter
verschärfende Sicherheitslage reagieren Sie mit immer
weiterer militärischer Eskalation. Wenn ich dann lese,
was Sie in Ihrer Mandatsbegründung über den Friedensprozess in Mali und über einen angeblichen Durchbruch
im politischen Prozess schreiben, dann muss ich mich
doch fragen: Auf welchem Planeten leben Sie eigentlich?
Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass sich die Situation in Mali immer weiter verschlechtert, dass sie sich
eben überhaupt nicht stabilisiert. Ihr Bundeswehreinsatz
wird daran überhaupt nichts ändern.
({5})
Herr Gabriel, Sie haben gerade etwas hypothetisch gesagt: Wenn die internationalen Truppen jetzt aus Mali abgezogen werden würden, dann würden zum Beispiel die
Tuareg im Norden nicht mehr am Friedensprozess teilnehmen. - Das zeigt: Sie sind nicht richtig informiert. Im
Moment sind die internationalen Truppen vor Ort und die
Tuareg nehmen nicht teil am Friedensprozess. Sie haben
gerade - zusammen mit einigen anderen Gruppen - ihre
Teilnahme an der internen malischen Friedenskonferenz
abgesagt. Da läuft politisch sehr viel schief, und das hat
nichts mit der Präsenz der internationalen Truppen zu
tun.
Da Sie eben weiter ausgeholt haben, was allgemein
Auslandseinsätze angeht, möchte auch ich ein Stück
weiter zurückgehen. Sie haben gerade die Waffenlieferungen an die Peschmerga als ein schönes Beispiel dafür
genannt, was man Sinnvolles tun kann. Sie haben sinngemäß gesagt: Das wurde getan, um das Überleben der
Jesiden zu sichern. - Das ist aus zweierlei Gründen komplett falsch, und Sie wissen das auch.
Erstens. Es waren damals eben nicht die Peschmerga,
die Sie mit Waffen beliefert haben, die die Jesiden aus
den Bergen gerettet haben, damals, am 4. August 2014,
({6})
als 40 000 Jesiden in den Bergen von Shingal festsaßen.
Es war, ob Ihnen das gefällt oder nicht, die PKK, die die
40 000 Jesiden gerettet hat.
({7})
Zweitens. Mittlerweile sind es - auch das wissen Sie,
Herr Gabriel - die Peschmerga, die mit deutschen Waffen
die Jesiden angreifen. Tatsache ist, dass die Jesiden im
Moment durch die deutschen Waffenlieferungen stärker
bedroht sind, als wenn Sie diese Waffen nicht geliefert
hätten.
({8})
Um noch einen Schritt weiter zurückzugehen - das
ist ja, wie ich finde, eine ganz spannende Debatte -: Sie
sagen, man könne sich nicht nur durch die Entsendung
von Militär, sondern auch, wenn man nicht militärisch
eingreift, schuldig machen. Was Sie dabei aber völlig
ausblenden, ist die dritte Option: Man kann sich noch
viel schuldiger machen, wenn man nicht viel frühzeitiger
politisch und diplomatisch eingreift. Das zu übersehen,
ist der Fehler, den Sie als Bundesregierung immer wieder
machen.
({9})
Dass Sie so lange abwarten und nichts tun, bis militärisch
eingegriffen werden muss, das ist der Fehler, den ich Ihnen vorwerfe.
Ich komme zurück zu Mali. Die entscheidende Frage
ist doch: Was wollen Sie in Mali eigentlich mit dieser
Ausbildungsmission erreichen? Sie sagen in Ihrem Antrag zur Mandatsverlängerung, es gehe um die Stabilisierung des Landes. - Das wäre ein gutes und richtiges
Ziel. Aber dann muss man sich doch auch einmal fragen:
Warum ist Mali denn so instabil? Was sind denn die Ursachen, die darunter liegen, die dazu führen, dass Mali im
Moment so instabil ist?
Das Kernproblem ist doch die malische Regierung
selbst. Die Stiftung Wissenschaft und Politik hat dazu
neulich eine, finde ich, ziemlich kluge Analyse veröffentlicht. Darin wird die malische Regierung als autoritär, als
korrupt und vor allem als reformunwillig bezeichnet. Sie
wissen doch selbst, dass der Großteil der Gewalteskalation in Mali auf eine jahrzehntelange verfehlte Politik der
Zentralregierung zurückzuführen ist. Der Norden wurde
systematisch von der wirtschaftlichen Entwicklung ausgeklammert. Die Tuareg im Norden haben jahrzehntelang vergeblich um Autonomierechte gekämpft - bis vor
vier Jahren die Gewalt eskaliert ist.
Wenn das aber die zentrale Ursache für die Konflikte,
für die Probleme in Mali ist, warum glauben Sie dann,
dass die Lösung militärischer Natur sein kann? Das ist
doch völlig hirnrissig.
({10})
Ihr Bundeswehreinsatz ist überhaupt keine Lösung für
die tatsächlichen Probleme in Mali.
({11})
Wenn die Regierenden in Mali die Reformverweigerer
sind - das sage nicht nur ich; das schreibt auch die Stiftung Wissenschaft und Politik -,
({12})
dann können Sie doch nicht genau diese Regierung auch
noch militärisch unterstützen. Damit machen Sie sich
zum Teil des Problems und sind nicht mehr Teil der Lösung.
({13})
Zum Abschluss möchte ich noch kurz auf einen Punkt
eingehen. Ich finde es wirklich schändlich, dass Sie diesen Bundeswehreinsatz ganz offensiv und unverhohlen
mit der Flüchtlingsabwehr verknüpfen. Auch Sie haben
das eben wieder gemacht, Herr Gabriel. Sie wissen ganz
genau: Die Zentralregierung in Mali braucht die internationalen Truppen und die Bundeswehr als Sicherheitsdienstleister. Damit setzt die EU sie gerade unter Druck
und versucht, ein Abschiebeabkommen durchzusetzen.
Sie benutzen die Bundeswehrsoldaten in Mali als Faustpfand, um Malier schneller aus Deutschland abschieben
zu können. Das ist ein Schlag ins Gesicht aller Malier, die
vor dem Krieg geflüchtet sind, aber noch viel mehr ein
Schlag ins Gesicht der Bundeswehrsoldaten, die Sie jetzt
da runterschicken.
({14})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich bin fertig. - Es galt doch in der Flüchtlingspolitik ganz lange die Grundregel: Keine Abschiebung in
Kriegsgebiete! - Mit dieser richtigen und wichtigen Regel brechen Sie jetzt in Mali. Ich finde das ganz falsch.
Und Sie wissen: Im Übrigen bin ich der Meinung,
dass Deutschland gar keine Waffen mehr exportieren
sollte, Herr Otte.
({0})
- Auch nicht.
Tschüs!
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Henning Otte von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr van Aken, Sie haben eben Tschüs gesagt, aber
Sie sind noch da. Deswegen darf ich kurz auf Ihre Rede
eingehen.
Es ist keine andere politische Meinung, die Sie dargestellt haben, sondern es ist offensichtlich eine bewusste
Falschdarstellung. Es sind gerade die Jesiden ausgebildet
worden, um sie unabhängiger zu machen.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass keiner Ihrer
Beiträge hier einen Verbesserungsvorschlag enthalten
hat; es war lediglich ein Schlechtmachen, und damit wird
die Welt nicht besser.
({0})
Kommen wir zum heutigen Thema, nämlich zur Verlängerung und Ausweitung des Mandats EUTM Mali als
Ausbildungs- und Beratungsmission für die malischen
Streitkräfte mit dem Ziel, dass diese selbst für Sicherheit
und Stabilität im Land sorgen können.
Terroristische Gruppen bedrohen den Friedensprozess, den Reformprozess, der sich seit einigen Jahren
entwickelt. Das stellt gerade in Mali eine hohe Belastung für das Land und für die Bevölkerung dar. Um das
Land zu stabilisieren, ist, wie der Außenminister dargestellt hat, EUCAP Sahel Mali dabei. Es ist eine zweite
Militärmission, nämlich MINUSMA, dabei. Auch dabei
ist Deutschland mit Aufklärungs- und Hubschraubereinheiten beteiligt. Das Ziel ist, die malischen Sicherheitskräfte so auszubilden, dass sie nach und nach selbst für
Sicherheit sorgen können und internationale Kräfte eines
Tages überflüssig machen. Die Missionen in Mali sind
gute Beispiele dafür, wie sich internationale Missionen
gegenseitig ergänzen können.
Die Gesamtstärke von EUTM Mali beträgt zurzeit
550 Soldaten aus 27 Nationen, davon 22 Nationen aus
der Europäischen Union. Deutschland leistet einen Beitrag mit bis zu 300 Soldatinnen und Soldaten. Die Hälfte
davon ist zurzeit als Ausbildungs- und Beratungselement
wie auch als Stabs- und Unterstützungspersonal im Einsatz.
Seit Beginn der Mission im Jahr 2013 sind über
9 000 Soldatinnen und Soldaten der malischen Streitkräfte ausgebildet worden. Die Lage hat sich in Südmali
stabilisiert und kann dort als kontrollierbar bezeichnet
werden. Aus mehreren Besuchen weiß ich selbst, welch
große Herausforderungen und Anstrengungen dies auch
für unsere Soldatinnen und Soldaten bedeutet.
Deswegen ist es wichtig, noch einmal darzustellen,
warum wir diesen Einsatz in Mali unterstützen: Wir müssen mehr Engagement dort zeigen, wo Konflikte entstehen, um diese Konflikte zu deeskalieren, zu entschärfen,
auch, damit Konflikte nicht nach Europa wandern. Dafür
haben wir einen breiten Instrumentenkasten, wie es der
Bundesaußenminister eben dargestellt hat. Das militärische Engagement ist ein Werkzeug darin.
Meine Damen und Herren, Mali hat eine Schlüsselfunktion in dieser Region. Die gesamte Region ist von
dem Konflikt bedroht. Es gibt den IS-Terror, es gibt die
Tuareg-Rebellen, es gibt Boko Haram in Nigeria, und es
muss unbedingt verhindert werden, dass es hier einen Zusammenschluss gibt.
Jetzt gilt es, zusammen mit der internationalen Gemeinschaft das Land weiter zu stabilisieren, hin zu einer
friedlichen Entwicklung. Ein stabiles Mali strahlt in die
gesamte Region positiv aus. Ein zusammenbrechendes
Mali würde in gleicher Weise eine negative Kettenreaktion bedeuten. Deswegen ist es auch für die Sicherheit in
Europa wichtig, dass wir die Ausbreitung des Terrorismus eindämmen und verhindern, dass Migrationsgründe
entstehen. Deswegen kommt EUTM Mali eine so große
Bedeutung zu.
Es verlangt von der Bundeswehr große Anstrengungen und viel Kraft, neben der Bündnisverteidigung vielschichtige Aufgaben auch in der Krisenprävention zu
erfüllen; aber ich glaube, dass solche internationalen Verpflichtungen für uns, für Deutschland, eher mehr werden
als weniger. Wir reagieren darauf mit der Ausweitung des
Auslandsverwendungszuschlags auf die einsatzgleichen
Verpflichtungen, aber auch, indem wir deutlich sagen:
Deutschland nimmt bewusst Verantwortung wahr in der
Gemeinschaft.
Das ist eine Herausforderung für eine moderne Armee
im vernetzten Einsatz. Deswegen sagen wir: Wir müssen
in die Sicherheit Deutschlands investieren. Deswegen
haben wir das 2-Prozent-Ziel weiterhin im Auge, denn
wir sagen: Wir müssen Lücken in der Ausrüstung schließen, wir müssen Systeme modernisieren, wir müssen
eine wirksame Cyberabwehr aufbauen und entsprechendes Personal dafür gewinnen, um die Sicherheit und die
Souveränität Deutschlands zu erhöhen.
Wir haben in dieser Legislaturperiode mit einer Attraktivitätssteigerung und mit den Trendwenden finanziell, personell, aber auch materiell viel unternommen zur
Verbesserung der Leistungsfähigkeit. Diese Ausgaben
sollten in den kommenden Monaten im Wahlkampf nicht
gegen soziale Maßnahmen ausgespielt werden. Ich sage
deutlich: Sicherheitspolitik ist auch soziale Politik, weil
sie dem Schutz der Bürgerinnen und Bürger dient.
Wir nehmen als CDU/CSU-Fraktion diese Verantwortung wahr. Wir danken allen Soldatinnen und Soldaten
und auch zivilen Kräften und Polizisten für den Einsatz.
Wir danken auch den Familien für ihr Verständnis. Wir
werden der Mission EUTM Mali in der parlamentarischen Beratung zustimmen, weil wir dies für notwendig
und sinnvoll erachten und weil dies auch der Sicherheit
unseres Landes dient.
Herzlichen Dank.
({1})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Agnieszka Brugger,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es lohnt
sich, einen Blick auf den Beginn dieser Mission zurückzuwerfen. 2013 hat sich die Europäische Union für die
Ausbildungsunterstützung der malischen Sicherheitskräfte entschieden. Damals war die Lage so, dass ein Teil
der Armee gewaltsam geputscht hatte, nachdem der Norden des Landes von Rebellen und Terroristen überrannt
worden war. Die Armee war in einem sehr schlechten
Zustand.
Ausbildung muss auch Ausbildung mit Anspruch
heißen. Es geht nicht nur darum, militärische Grundfertigkeiten zu vermitteln, sondern auch um solche Dinge
wie die Einhaltung der Menschenrechte oder des Völkerrechts. Das Ziel ist sehr ehrgeizig: eine miteinander
funktionierende Truppe, in der auch verfeindete Gruppen
in gemeinsamen Strukturen handeln, die politisch kontrolliert ist und die sich vor allem dem Schutz der Bevölkerung verpflichtet fühlt.
2012 wäre es sicherlich unvorstellbar gewesen, was
vor kurzem stattgefunden hat und schon vom Minister
erwähnt worden ist, nämlich dass trotz zahlreicher Verzögerungen und Rückschläge gemeinsame Patrouillen
der Rebellengruppen und der malischen Streitkräfte im
Norden stattgefunden haben. Das ist sicherlich ein kleiner Lichtblick.
Heute beraten wir erneut über eine Verlängerung, und
das zeugt von Realismus. Ich kann mich noch erinnern,
wie am Anfang dieser Mission einige meinten, der Zeithorizont würde zwei bis vier Jahre beinhalten, bis die
Aufgabe erfüllt sein würde. Wir Grüne haben damals
schon gesagt, dass es hier einen langen Atem und viel
Geduld und Engagement braucht.
Zu einer realistischen Sicht gehört aber auch ein klares
Bild von den Gefahren, Grenzen und Chancen von Ausbildung. Eine nachhaltige, gut konzipierte und engagierte
Ausbildung kann ein, aber eben nur ein Baustein auf dem
Weg zu einer Stabilisierung sein. Ob Irak, Somalia oder
Mali: Bei der Bundesregierung hat man den Eindruck,
dass das Schlagwort „Ertüchtigung“ ihre Standardantwort auf viele Krisen dieser Welt ist. Wir Grüne sagen
dazu nicht blind Ja und auch nicht reflexartig Nein, sondern wir prüfen jeden Einzelfall sehr sorgfältig und sehr
kritisch. Heute Abend werden wir auch über die Ausbildungsmission in Somalia abstimmen. Dieses Mandat
werden wir als Grüne sehr klar ablehnen, während wir
in den vergangenen Jahren bei Mali immer zugestimmt
haben.
({0})
Ausbildung und Militäreinsätze alleine können natürlich niemals einen Konflikt lösen. Zentral ist es, dass
die Ursachen, die hinter einem Konflikt stehen, bearbeitet werden. Deshalb kommt es auf den Rahmen an,
in dem eine solche Mission stattfindet. Dieser ist zum
Beispiel in Mali sehr anders als in Somalia. Es gibt die
Friedensmission der Vereinten Nationen, deren Aufgabe
es ist, ein Friedensabkommen zwischen vielen Gruppen zu begleiten und zu stützen. Oder man kann es auch
so zusammenfassen wie ein General, den ich auf einer
meiner Mali-Reisen im Rahmen eines Besuches bei der
EUTM-Mission gesprochen habe. Er hat gesagt: Es geht
ja gar nicht darum, die Streitkräfte so auszubilden, dass
sie den Norden erobern und dauerhaft halten können.
Vielmehr müssen beide Seiten endlich verstehen, dass
es Frieden nur gemeinsam und nur durch Kooperation
geben kann.
Ja, es gibt Lichtblicke: die gemeinsamen Patrouillen, das Friedensabkommen, den Versöhnungsprozess.
Trotzdem darf man die Lage in Mali nicht schönreden.
Sie ist fragil, und gerade im Norden ist sie gefährlich
und instabil. Es gibt auch keine Gewissheit, dass dieses
Engagement zum Erfolg führen wird. Ein großes Problem ist aktuell doch, dass alle Akteure, die an diesem
Friedensprozess beteiligt sind, die Gruppen im Norden
ebenso wie die malische Regierung und ihr nahestehende Milizen, diesen Prozess oft genug mit Blick auf den
eigenen Vorteil verschleppen oder gar behindern und
ihn damit auch gefährden. Wenn man möchte, dass das
internationale Engagement, zu dem auch diese EU-Ausbildungsmission gehört, am Ende erfolgreich sein soll,
dann muss das jetzt von allen Seiten mit Nachdruck eingefordert werden, auch von der malischen Regierung. Da
muss ich sagen, dass mir die sanften Worte der Bundesregierung nicht ausreichen. Da müssen Sie dringend mehr
tun, und da müssen Sie mehr einfordern. Hier ist Kritik
angebracht und notwendig.
Völlig fehl geht aber eine andere Kritik, die wir derzeit nachlesen und nachhören können, nämlich die des
konservativen französischen Präsidentschaftskandidaten, der, offensichtlich weil er selbst unter Druck steht,
fordert, dass Deutschland sich in der Sahelzone stärker
militärisch engagieren müsse. Deutschland ist nicht nur
im Rahmen vieler ziviler Projekte und im Rahmen der
Entwicklungszusammenarbeit vor Ort, sondern beteiligt sich auch an der EU-Ausbildungsmission und der
VN-Friedensmission in einem erheblichen Maße, gerade
durch den Einsatz der Aufklärungsfähigkeiten und der
Hubschrauber. Wer das tut und sich hier in hohem Maße
einbringt, der kann auch Ansprüche an den französischen
Freund und Partner stellen. Die Bundesregierung ist aber
nicht bereit, hier Kritik zu äußern. Es wäre doch ein erster Schritt, einmal ein Mindestmaß an Transparenz über
die französischen Antiterroroperationen in der Region
herzustellen.
({1})
Es muss auch klar sein, dass eigene Interessen nicht
über das Ziel gestellt werden dürfen, eine friedliche Zukunft für die Menschen in Mali zu erreichen. Ich möchte
mich bei allen bedanken, die sich dafür in einem sehr gefährlichen Umfeld engagieren, ob sie es in Uniform oder
ohne tun.
({2})
Denn sie liefern einen Beitrag dazu, dass die Chance besteht, dass diese Ausbildungsmission in ein paar Jahren
erfolgreich ist und dass es mehr Frieden und Sicherheit
in Mali gibt.
Vielen Dank.
({3})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Roderich
Kiesewetter.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jeder von uns,
der schon einmal in Mali war, weiß um die schwierige
Lage dort, weiß aber auch um die Fortschritte, die zumindest durch die Ausbildungsmission und einige andere Einsätze vor Ort erreicht wurden. Wenn wir heute
über die Ausbildungsmission sprechen, dann muss uns
bewusst sein, dass sie nur ein Mosaikstein unter vielen anderen ist; der Herr Bundesaußenminister hat das
angesprochen. Ich will aber trotzdem noch einmal die
UNO-Mission MINUSMA ansprechen, weil sie damit
verzahnt ist, ebenso die französische Antiterrormission
Barkhane, eine ganze Reihe ziviler Bereiche wie beispielsweise die EUCAP-Mission und vor allen Dingen
auch unsere Anstrengungen in der Entwicklungszusammenarbeit.
Es freut mich ganz besonders, dass - das finden wir
nicht oft in den Mandatstexten - in diesem Mandatstext
auch sehr klar über die entwicklungspolitischen Anstrengungen gesprochen wird, insbesondere im Bereich Dezentralisierung, gute Regierungsführung, aber auch in so
handfesten Bereichen wie Wasser- und Abwasserversorgung und nachhaltige Landwirtschaft. Das alles zusammen macht den Einsatz in Mali aus.
({0})
Wir dürfen durch die Mechanik unserer Debatten nicht
den Linken auf den Leim gehen, indem wir uns ständig in
eine militärische Debatte ziehen lassen. Es ist ein ganzheitlicher Einsatz, den wir dort haben, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
({1})
Was unsere Debattenkultur im Bundestag angeht, ist
es entscheidend, einmal herauszustellen, wie die Gesamtlage aussieht. Gestern hatten wir hier in Berlin eine
Konferenz über Sicherheit, Frieden und Entwicklung in
Afrika.
({2})
Bei dieser Konferenz wurde auch sehr klar, dass die
erste Voraussetzung für weitere Entwicklungen nun einmal Sicherheit ist. Angesichts dieses Engagements wird
deutlich, dass unsere Anstrengungen beispielsweise
beim Valletta-Gipfel im November 2015 oder bei verschiedenen EU-Gipfeln nicht umsonst waren; denn wir
erleben, dass sich auch die Regionen selber miteinander vernetzen. Es gibt relativ neu eine Gruppe von fünf
Sahelstaaten - Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger
und Tschad -, die versuchen, in einer gemeinsamen Sicherheitskooperation gegen den Terror vorzugehen und
zugleich Entwicklungsperspektiven für ihre Bevölkerungen zu entwickeln.
Warum ist das so entscheidend? In Subsahara-Afrika
leben rund 700 Millionen Menschen. Jedes Jahr kommen
2 Millionen Menschen dazu. Bei uns würde das bedeuten: 2 Millionen Kindergartenplätze, 2 Millionen Schulplätze, 2 Millionen Arbeitsplätze. Dort bedeutet es aber
in der Regel: aufwachsen in der Hoffnung auf Migration.
({3})
Es kann doch nicht unser Ziel sein, die militärischen
Engagements dort einzustellen und die Entwicklungszusammenarbeit nicht mehr zu schützen, um dann noch
mehr Migration zu erzeugen. Unser Ziel muss doch sein,
die Feuer, die dort sind, auszutreten.
Lesen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Linken, einmal das Friedensgutachten. Gerade das unlängst veröffentlichte Friedensgutachten macht deutlich:
Die Präsenz von UN-Truppen stärkt die nachhaltige Entwicklung in der Region, weil sie erstens zur Ausbildung,
zweitens zur Rückversicherung der jeweiligen Regierung, drittens zu einer bestimmten Kontrolle und viertens
auch zu einem gewissen Gefühl wachsender Sicherheit in
der Bevölkerung beiträgt. Das bedeutet für die Entwicklungszusammenarbeit auch das Schaffen einigermaßen
stabiler Umwelten, von denen aus man investieren kann.
700 Millionen Menschen leben in der Region, aber für
Mali selbst bedeutet das: fast 140 000 Flüchtlinge außerhalb des Landes und 40 000 Flüchtlinge innerhalb des
Landes.
Wenn wir also diese Ausbildungsmission betrachten,
stellen wir fest, dass sie eingebettet ist in einen weitaus
größeren Ansatz.
Deshalb möchte ich abschließend einige Punkte ansprechen, die mir am Herzen liegen. Wenn die Europäische Union sich stärker auf Afrika fokussieren will - ich
glaube, darin sind wir uns alle einig - und wenn wir als
Bundesrepublik Deutschland uns stärker um Afrika kümmern wollen, so sollten wir eine abgestimmte Strategie
haben. Die Europäische Union hat in der Handelspolitik
bereits das Zepter übernommen und organisiert die Handelspolitik.
({4})
Deshalb sollten wir in den nächsten Jahren alles daransetzen, dass auch die Entwicklungszusammenarbeit
stärker koordiniert wird. Die Ansätze, die die Bundesrepublik Deutschland gemeinsam mit Frankreich und
vielen anderen Partnern leistet, könnten wir von Brüssel aus stärker koordinieren durch Fordern von unserer
Seite, aber auch durch entsprechende Förderprogramme,
die wir alleine zu leisten nicht in der Lage sind. Deshalb
halte ich es für sehr sinnvoll, solche Mandate, wenn wir
im Bundestag darüber sprechen, im übergeordneten Zusammenhang zu betrachten.
Ein weiterer Aspekt neben der Strategieentwicklung
ist die entwicklungspolitische Orientierung; das heißt,
wir setzen nicht auf die ausschließlich militärische Fokussierung von Einsätzen. Aber, Herr Außenminister, ich
bitte Sie auch, Investitionen in Verteidigung und Sicherheit einerseits und diplomatisches Engagement und Entwicklungsengagement andererseits nicht auseinanderzudividieren.
Wir müssen sehr deutlich und klar sagen, dass das
gemeinsame Engagement für bessere Verteidigungsbemühungen, für mehr diplomatische Anstrengungen und
für nachhaltige Entwicklungspolitik das verdient, was
Ischinger und Altbundespräsident Gauck angesprochen
haben: dass wir das 2-Prozent-Ziel mit verstärktem
entwicklungspolitischem und diplomatischem Engagement verknüpfen und in Richtung eines 2,5- oder 3-Prozent-Zieles gehen, damit wir das, was wir leisten wollen,
stärker miteinander verschränken und vor allen Dingen
unserer Bevölkerung klarmachen, dass es eben nicht wie die Linke ständig suggerieren will - um einen Militäreinsatz geht, sondern um ein abgestimmtes, gemeinsames Engagement für die Stabilisierung Afrikas und für
Partnerschaft auf Augenhöhe.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege
Dr. Hans-Peter Uhl für die CDU/CSU das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Staaten wie Mali, Mauretanien, Tschad, Niger,
Burkina Faso stellen für uns alle eine ganz besondere Herausforderung dar. Heute diskutieren wir unser Bemühen
um eine Militärmission in Mali.
Ich möchte an das anknüpfen, was der Kollege
Kiesewetter gesagt hat: Es geht nicht nur ums Militärische, Herr van Aken. Zunächst geht es natürlich darum,
der Bevölkerung Lebenshilfe zu leisten, ihre akute Not
angesichts der Übergriffe zu lindern und eine Bleibeperspektive zu schaffen.
Es setzt logischerweise einen Hauch von Staatlichkeit
voraus, so etwas zu ermöglichen. Ein Hauch von Staatlichkeit in einer Region mit historisch, kulturell und wirtschaftlich konkurrierenden Volksgruppen kann ja nur in
dezentralen, föderalen Strukturen gelingen. Darum wird
es in der nächsten Zeit gehen.
Am Anfang muss aber die Beendigung bewaffneter
Auseinandersetzungen stehen. Am Anfang müssen gewaltsame Übergriffe auf die Zivilbevölkerung verhindert
werden, und das geht eben auch nur mit Gewalt. Ich bin
deswegen für die klaren Worte von Ihnen, Herr Minister,
dankbar, mit denen Sie das Grundsätzliche und die Ambivalenz unserer Entscheidung dargestellt haben - was
es bedeutet, nichts zu tun, und was es bedeutet, sich auf
militärischem Gebiet zu engagieren.
Für den ganzen nordafrikanischen Raum gilt es, islamistisch-terroristische Landnahmen zu verhindern.
MINUSMA, die robuste Mission, haben wir beschlossen; der Bundestag hat sich entschieden, dass Deutschland sich daran beteiligt. Dennoch ist es nach wie vor
wichtig, der Bevölkerung die Sinnhaftigkeit dieses deutschen Engagements südlich der Sahara, so weit weg von
uns, zu erläutern.
Die Migrationsströme der vergangenen Monate - auch
aus diesem Teil der Welt - nach Europa und insbesondere
zu uns, nach Deutschland, haben deutlich gemacht, dass
es schon aus humanitären Gründen gerechtfertigt ist, Hilfe zu leisten. Aber darüber hinaus ist es unser ureigenes
europäisches Interesse, einen Beitrag zur Stabilisierung
der afrikanischen Staaten zu leisten. Gemeinsam muss es
uns gelingen, für die Menschen in dieser Region Bleibeperspektiven zu schaffen, und das beginnt nun einmal mit
der Aufgabenstellung der Mission, um die es heute hier
geht, nämlich mit dem Einsatz des Militärs und der Beratung und Unterstützung des Militärs durch uns.
Aber auch ich lege Wert darauf, dass darüber hinaus,
wie Kollege Kiesewetter es ausgeführt hat, eine ganzheitliche Entwicklungsperspektive in all diesen Subsahara-Staaten zu erarbeiten ist. Dazu gehören ganz konkrete,
realistische Lösungsansätze, die Hilfe für die Menschen
bedeuten.
Menschen, die wir zu Handwerkern ausgebildet haben, Menschen, die in Gewerbeparks Arbeit finden, Menschen, die Bewässerungsanlagen errichten und reparieren
können, schaffen eine Oase der Zukunft in einer konfliktanfälligen Region. Das ist unsere eigentliche Aufgabe,
unser Ziel, dem wir uns verschrieben haben.
({0})
- Ich habe gerade erläutert - ich hoffe, Sie haben zugehört -, dass dies mit einem Bundeswehreinsatz beginnen
muss, der aber nicht das Endziel sein kann.
({1})
Menschen sollen sich zutrauen, Lebensperspektiven
in ihrer Heimat zu schaffen, statt ihr Leben und ihr Vermögen kriminellen Schlepperbanden anzuvertrauen. Das
ist unser eigentliches Ziel.
({2})
Wenn es uns auch nur ansatzweise gelingt, für viele
Menschen südlich der Sahara Lebensperspektiven zu
schaffen, ist es möglicherweise nicht mehr nötig, nördlich der Sahara Auffangcamps zu errichten, in denen
Rückkehrer aus Europa untergebracht werden können;
denn dann haben wir die Menschen schon überzeugen
können, in ihrer Heimat zu bleiben, statt unter Einsatz
ihres Lebens die Sahara zu durchwandern.
({3})
Der heutige Beschluss über die Fortsetzung der Militärmission EUTM Mali soll also die Grundlage für sehr
viel mehr sein. Das ist die Überlegung, um die es hier
geht. Der intensive Ausbau der Entwicklungszusammenarbeit, die Schaffung von Bleibeperspektiven und damit
die Verringerung von Fluchtgründen für die Menschen in
dieser konfliktbeladenen Region, das sind unsere Aufgaben. Deswegen bedanke ich mich auch bei den Grünen.
Frau Brugger, Sie haben sehr differenziert argumentiert im Gegensatz zum Vertreter der Linken.
({4})
Der Geist, der stets verneint, mit dem sich auseinanderzusetzen einfach keinen Sinn macht.
({5})
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/11628 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Widerspruch sehe
ich keinen. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
Drucksachen 18/11300, 18/11534, 18/11683
Nr. 10
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({0})
Drucksache 18/11776
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache insgesamt 38 Minuten vorgesehen. Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist
das somit beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteilte zu Beginn das
Wort dem Bundesminister Alexander Dobrindt.
({1})
Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Präsident! Das automatisierte Fahren entscheidet, ob Deutschland Innovationsland bleibt oder Stagnationsland wird. Das ist der
Grund, warum wir uns zu Beginn der Wahlperiode für
eine umfassende Strategie für automatisiertes und vernetztes Fahren entschieden haben, die wir mit einer Reihe von Elementen gefüllt haben, beispielsweise mit dem
Digitalen Testfeld Autobahn auf der A 9, einem Leuchtturmprojekt: einer intelligenten Straße, der einzigen
Straße auf der Welt, die mit eigener Sensorik und eigener
Intelligenz ausgestattet ist. Damit haben wir für die Infrastruktur und für die entsprechende Kommunikation
gesorgt, die automatisiertes Fahren im Realverkehr möglich machen. Das ist eines der ganz großen Forschungsprojekte und wird übrigens weltweit von Unternehmen
anerkannt. Viele internationale Firmen erforschen ihre
Produkte auf dem Digitalen Testfeld Autobahn auf der
A 9 in Bayern und entwickeln diese Produkte weiter.
Wir erweitern gerade das Testfeld auch auf städtische
Bereiche, sodass wir den komplexen Zusammenhang im
Stadtverkehr erproben und automatisierte Fahrsysteme
weiterentwickeln können.
Des Weiteren haben wir eine Ethik-Kommission, die
unter dem Vorsitz des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Udo di Fabio tagt, eingesetzt, um die ethischen
Fragen zu den Grundsätzen automatisierten Fahrens zu
erörtern. Die Kommission wird noch im ersten Halbjahr dieses Jahres ihre Ergebnisse präsentieren. Das ist
bedeutsam und wichtig, weil es Vertrauen in die neue
Technologie des automatisierten Fahrens schaffen kann.
Wir bieten übrigens auch Leitplanken für die Hersteller
und für die Programmierer, indem wir klare Vorgaben
machen, innerhalb derer Automobile mit entsprechender
Funktionalität für den Bereich des automatisierten Fahrens angewandt werden können.
Jetzt kommt der nächste große Schritt. Wir machen
nun den Weg frei für die Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen für das automatisierte Fahren und schaffen
mit der heutigen Entscheidung das modernste Straßenverkehrsrecht der Welt. Wir stellen damit den menschlichen Fahrer und den Computer als Fahrer rechtlich
gleich. Das ist ein großes Highlight. Wir sind das erste
Land der Welt, das diesen Schritt jetzt geht. Deswegen
wird intensiv beobachtet, was dieses Gesetz leistet.
Im Klartext steht im Gesetzentwurf: Der Computer
kann in Zukunft ans Steuer. Der Fahrer kann sich in dieser Zeit abwenden, kann im Netz surfen, kann E-Mails
checken, kann Filme streamen. Vieles ist an neuer Zeitgestaltung möglich. Die Haftungsfragen sind in unserem
Gesetzentwurf ebenfalls geklärt: Wenn das Fahrzeug im
automatisierten Modus gesteuert wird, dann ist klar, dass
die Haftung beim Hersteller liegt und nicht beim Menschen, der im Fahrzeug sitzt.
Meine Damen und Herren, das sind ganz wesentliche
Entscheidungen, die wir damit treffen. Wir sorgen auch
für die Sicherheit im Fahrzeug, indem wir vorsehen, dass
eine Blackbox die Überprüfung der Fahrfunktionen ermöglicht, sodass man feststellen kann, wer dieses Fahrzeug gesteuert hat, der Computer oder ein menschlicher
Fahrer.
({0})
Wir wollen durch das Gesetz die Voraussetzungen
schaffen, dass automatisiertes Fahren möglich wird, das
heißt, wir wollen mehr Mobilität schaffen. Das soll nicht
nur bei denjenigen, die eine besondere Affinität zum
Auto haben, zur Freude führen, sondern wird grundlegend die Mobilität in unserem Land verändern: Automatisierte Fahrsysteme können auch Menschen im hohen
Alter individuelle Mobilität ermöglichen. Sie verschaffen mehr Zeit, weil man im Fahrzeug in der Lage ist, sich
anderen Dingen zuzuwenden. Es wird erheblich weniger Unfälle geben; 90 Prozent der Unfälle werden heute
auf menschliches Fehlverhalten zurückgeführt. Es wird
durch automatisiertes Fahren natürlich deutlich weniger
Stau, weniger Parkplatzsuche und weniger Umweltbelastungen geben.
Wir wollen bei dieser technologischen Revolution an
der Spitze stehen. Warum ist das so bedeutsam? Wir sind
das Autoland Nummer eins. Für uns steht in der Tat viel
auf dem Spiel, wenn man dem Grundsatz anhängt, dass
der Wohlstand von heute ohne das Auto nicht denkbar
wäre und der Wohlstand von morgen ohne das Auto nicht
möglich sein wird. Das heißt, wir wollen unsere Kernkompetenz natürlich auch beim digitalen Automobil erhalten, wollen uns dieser Herausforderung stellen. Deshalb sorgen wir dafür, dass in Zukunft Wertschöpfung
nicht nur aus der Karosserie, aus dem Motor möglich
ist und dass in Zukunft Wertschöpfung, die aus der Software, aus den Daten, aus den Algorithmen kommt, nicht
irgendwo auf der Welt stattfindet, sondern in Deutschland, in Europa. Deswegen müssen wir an der Spitze
bleiben, wenn es darum geht, das beste Auto zu entwickeln, nicht nur im Bereich des Maschinenbaus, sondern
Vizepräsident Johannes Singhammer
vor allem, wenn es darum geht, das Betriebssystem für
das moderne Auto zu entwickeln.
({1})
Diesen Wettbewerb müssen wir erfolgreich angehen
und müssen all denjenigen auf der Welt, die sich, sei es
in Asien oder in Amerika, mit diesen Zukunftstechnologien auseinandersetzen, auf Augenhöhe begegnen. Das
erfordert natürlich eine positive Einstellung zu neuen
Technologien, zur Digitalisierung, zum automatisierten
Fahren. Ich habe die Kritik, die es in den vergangenen
Tagen gegeben hat, natürlich sehr wohl wahrgenommen.
Lieber Herr Kühn, Sie haben Ihre Vorwürfe deutlich formuliert. Sie haben einerseits in der ersten Lesung zu diesem Gesetz gesagt, dass wir beim automatisierten Fahren
keine gesetzgeberischen Schnellschüsse brauchen. Sie
haben andererseits im September 2016, als wir hier über
das Wiener Übereinkommen beraten haben, die Bundesregierung aufgefordert, schnellstmöglich ein Gesetz zum
automatisierten Fahren zu erlassen. Sie müssen sich entscheiden, ob Sie wollen, dass wir bei neuen Technologien
Spitzenreiter sind und wir dadurch Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand schaffen, oder ob Sie wollen, dass
wir zu den Skeptikern gehören, die abwarten, dass andere
etwas entwickeln, das sie uns dann verkaufen und für das
wir zahlen können. So können wir aber keine Wertschöpfung schaffen.
({2})
Beides geht nicht. Sie haben an dieser Stelle möglicherweise den Überblick verloren.
({3})
So wie Sie sich wieder aufregen, befinden Sie sich in
der Tradition Ihres Kollegen Michael Cramer aus dem
Europaparlament. Er hat öffentlich gesagt: Das Auto ist
der Irrsinn des Jahrhunderts. - Sie stehen dem offensichtlich nahe. Ich sage: Das Gegenteil ist der Fall. Das Auto
bietet Mobilitätschancen für eine digitale Gesellschaft.
Wir wollen es deswegen mit dem automatisierten Fahren
stärken.
Danke schön.
({4})
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege
Herbert Behrens.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Verkehrsminister hat noch einmal deutlich gemacht, worum es hier eigentlich geht: Es geht nicht darum, eine
moderne Mobilität, eine moderne Verkehrspolitik auf
den Weg zu bringen, sondern es geht darum, ein neues
Geschäftsfeld für die Automobilindustrie in Deutschland
zu entwickeln. Das passt nun wirklich nicht zusammen.
Denn wir müssen darüber nachdenken, wie wir ein sicheres Verkehrssystem schaffen, und zwar für die Leute,
die hinter dem Lenkrad sitzen oder künftig sozusagen
nicht mehr hinter dem Lenkrad sitzen sollen, und für die,
die sich auf der Straße bewegen. Sicherheit ist doch das
oberste Ziel, das wir in der Verkehrspolitik anstreben
müssen. Dazu steht in diesem Gesetzentwurf überhaupt
nichts.
({0})
Im Gegenteil: Hier wird suggeriert, dass wir diesen
Schritt nur zwangsläufig machen, um die neuen Technologien, die es in den Autos gibt, in der Gesetzgebung
nachzuvollziehen. Ich habe den Eindruck, dass die Autofahrerinnen und Autofahrer hier zu Versuchskaninchen
gemacht werden und Folgendes herausfinden sollen: Was
geht im Straßenverkehr mit dem Auto? Wann muss der
Autofahrer übernehmen? Wann schaltet sich die Technik aus? Dann wird festgestellt, ob es funktioniert oder
nicht funktioniert. Das ist keine vorausschauende Politik,
wie wir sie machen müssen. Wir müssen uns das Ganze grundsätzlich anschauen, dann entscheiden, was wir
wollen, und dann ein Gesetz auf den Weg bringen, das
Rechtssicherheit schafft. Sie haben das Ganze von den
Füßen auf den Kopf gestellt, und das geht bei diesem
Thema überhaupt nicht.
({1})
Sie haben die scharfe Kritik des Bundesrats zwar offenkundig wahrgenommen, aber nicht ernst genommen.
In der Stellungnahme des Bundesrates steht beispielsweise, dass die Interessen der Verbraucherinnen und
Verbraucher weitgehend unberücksichtigt bleiben. Dort
steht auch, dass klare Regelungen fehlen, die verlässliche
Bedingungen schaffen. Der Verbraucherzentrale Bundesverband hat festgestellt, dass es aus verbraucherschutzrechtlicher Sicht hoch riskant ist, was Sie bei der Haftung
geregelt haben. Es wird immer wieder darauf hingewiesen: Der Fahrzeughalter, der Fahrzeugführer muss doch
wissen, wofür er haftet. - Das kann nicht erst dann geklärt werden, wenn ein Unfall geschehen ist. Das muss
von vornherein klar sein, und das ist es eben nicht.
Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die
Informationsfreiheit hat deutlich darauf hingewiesen und
versucht, zu erreichen, dass die Regelungen präzisiert
werden. Wenn es denn bei diesem Gesetzentwurf bleibt,
dann sollte man doch zumindest eine Regelung einführen, die besagt, dass der Fahrzeugführer bzw. der Fahrzeughalter festlegt, was gespeichert wird und was nicht,
dass Daten, die erfasst werden, nur dann genutzt werden
dürfen, wenn ein Auto in einen Unfall mit PersonenBundesminister Alexander Dobrindt
oder Sachschaden verwickelt worden ist. Erst dann ist
es doch erforderlich, festzustellen, wer das Auto zu dem
Zeitpunkt geführt hat, ob es der Computer oder der Autofahrer, die Autofahrerin gewesen ist. Dieses Problem
wird zwar wahrgenommen, aber nicht ernst genommen.
Das ist angesichts dieses wichtigen Themas, das hier auf
der Tagesordnung steht, viel zu wenig. Darum ist dieses
Gesetz überhaupt nicht zukunftstauglich.
({2})
Wir haben versucht, die Bedenken und die Hinweise
der Datenschutzbeauftragten im Gesetzentwurf unterzubringen. Darum haben wir einen Änderungsantrag vorgelegt, in dem wir ganz klar das übernehmen, was die Datenschutzbeauftragte gesagt hat. Damit präzisieren wir:
Wann ist der Halter verantwortlich? Wann ist der Fahrer
verantwortlich? Wann ist der Computer verantwortlich?
Wir haben weiterhin gesagt, dass Daten nur erhoben und
gespeichert werden dürfen, wenn es wirklich um die Aufklärung eines Unfalls geht - nicht darüber hinaus.
Es gibt einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen, der aufgenommen worden ist. Darin heißt es zwar:
„Die Speicherzeit der Daten von drei Jahren ist nicht
sinnvoll, wir reduzieren sie daher auf sechs Monate“,
aber all diese Daten werden erhoben, über ein Navigationssystem abgesaugt und an anderer Stelle gespeichert,
ohne dass die Fahrerin oder der Fahrer genau weiß, was
dort über ihn und seine Fahrweise gesammelt worden ist.
Diese Art der Gesetzgebung in diesem wichtigen Feld,
auf dem es wirklich um zukunftsweisende Fragen geht,
können wir so nicht akzeptieren. Da können wir nicht
mitmachen.
Die Ethikkommission - Sie haben es gesagt - ist von
Ihnen eingesetzt worden, und sie hat ihre Arbeit aufgenommen. Aber an den Ergebnissen sind Sie offenbar
nicht interessiert. Im Juni erst wird diese Kommission
ihre Arbeit beenden und wird Handlungsempfehlungen
geben; das hoffe ich zumindest. Diese hätten doch abgewartet werden müssen, um festzustellen: An welchen
Stellen besteht eigentlich Regelungsbedarf? Was haben
wir möglicherweise bei der Gesetzgebung nicht gesehen?
Insofern bleibt es dabei: Dieser Gesetzentwurf ist zu
diesem Zeitpunkt völlig falsch. Damit werden völlig
falsche Signale gesendet, weil die grundlegende Frage:
„Wer soll künftig auf der Straße das Sagen haben - der
Computer oder der Autofahrer?“, vorher geklärt sein
muss - nicht erst dann, wenn das Kind schon in den
Brunnen gefallen ist.
({3})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kirsten Lühmann
für die SPD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe
Kolleginnen! Verehrte Anwesende! Mit der Geschichte
des Automobils ist in eindrucksvoller Weise auch die
Geschichte des technischen Fortschritts verbunden. In
den über 130 Jahren seit der Erfindung des Benz-Patentmotorwagens hat die Menschheit eine rasante technische
Entwicklung erlebt. Viele der technischen Innovationen
im Automobilbereich sind mit dem Namen deutscher Automobilherstellender verknüpft.
Doch dieser Fortschritt ist anfangs von einigen Menschen noch sehr skeptisch betrachtet worden. Dazu passt
der Ausspruch eines ehemaligen deutschen Staatsoberhaupts:
Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.
Dieses bekannte Zitat von Kaiser Wilhelm II. ist, nebenbei bemerkt, nicht die einzige große Fehleinschätzung
des letzten deutschen Kaisers.
Aber lassen Sie uns von der Monarchie zur Demokratie und zu dem Gesetzentwurf zurückkehren, den wir
heute verabschieden wollen. Konkret befassen wir uns
mit der Einführung eines rechtlichen Rahmens für die
Verwendung von hoch- und vollautomatisierten Fahrfunktionen. „Hoch- und vollautomatisiert“ - es geht also
nicht um das autonome Fahren.
({0})
Davon sind wir auf öffentlichen Straßen noch weit entfernt, und eine Prognose zur Serienreife autonomer
Fahrzeuge gebe ich hier besser nicht ab. Das eingangs
erwähnte Zitat zeigt, dass man in Bezug auf technische
Neuerungen oft auch danebenliegen kann.
({1})
Warum benötigen wir diese Gesetzesänderung? Die
Systeme erhöhen die Verkehrssicherheit maßgeblich, und
hierbei gibt es noch sehr viel zu tun, um unsere Vision
Zero, also unser Ziel, dass es keine Verkehrstoten mehr
geben soll, einzuhalten. Trotz abnehmender Tendenz
starben im vergangenen Jahr über 3 200 Menschen auf
Deutschlands Straßen. Mit hoch- und vollautomatisierten
Fahrzeugen können viele dieser Unfälle mit Todesopfern
und Schwerverletzten vermieden werden.
({2})
Die Erhöhung des Fahrkomforts ist sicherlich auch im
Sinne der Verbrauchenden. Wer freut sich nicht darüber,
wenn er zum Beispiel die komplette Fahrzeugsteuerung
auf einer monotonen Autobahnfahrt an das Auto übergeben kann?
Weitere Vorteile sind die bessere Auslastung bestehender Verkehrsinfrastrukturen und die Einsparung von
CO2-Emissionen. Auch wenn viele Kollegen es nicht
wahrhaben wollen: Die Technik fährt nun mal sicherer
und sauberer als der Mensch - auch als der Mann.
({3})
Allerdings haben wir den vom Ministerium vorgelegten Entwurf in einigen Aspekten verändert. Wir haben
die berechtigte Kritik vom Bundesrat, von den Sachverständigen in der Anhörung des Verkehrsausschusses und
auch von den Verbänden ernst genommen. Damit haben
wir Klarheit und Rechtssicherheit für die Verbrauchenden hergestellt. Denn eines muss aus Sicht der SPD klar
sein: Der Fahrende darf nicht das Versuchskaninchen für
die neue Technik sein, Rechte und Pflichten müssen klar
definiert sein. Das haben wir mit diesem Änderungsantrag getan.
Wir haben den Gesetzentwurf in drei wesentlichen Bereichen optimiert: Erstens haben wir klare und verbindliche Vorgaben für die Fahrzeugherstellenden gemacht.
Zweitens haben wir die Rechte von Fahrzeugführenden
deutlich klargestellt. Drittens haben wir eine Konkretisierung vorgenommen, um zu einem guten Datenschutz
zu kommen.
Was heißt das? Das Fahrzeug muss den Fahrenden
technisch sofort darauf hinweisen, wenn er das System
regelwidrig benutzt. Außerdem müssen die Herstellenden verbindlich erklären, dass ihre Fahrzeuge den jeweiligen Bestimmungen entsprechen.
({4})
Und: Das Fahrzeug muss dem Fahrenden die Rückübernahme der Steuerung mit ausreichender Zeitreserve anzeigen. Ja, über die Formulierung „mit ausreichender
Zeitreserve“ haben wir lange diskutiert. Alle Sachverständigen haben uns erklärt: Es ist nicht sinnvoll, eine
feste Sekundenzahl in das Gesetz zu schreiben, weil die
Frage „Ausreichend oder nicht?“ von der jeweiligen Situation und auch von der automatisierten Fahrfunktion
abhängt.
Wir haben auch im Bereich des Datenschutzes vielfältige Verbesserungen eingearbeitet. Zu nennen sind die
deutlich verkürzten Speicherfristen und die Reduzierung
des Umfangs der gespeicherten Daten auf das Nötigste.
Denn, liebe Kollegen und Kolleginnen, wichtig bei einem Unfall, einer Ordnungswidrigkeit oder einer Straftat
ist doch allein die Frage: Wer hat das Fahrzeug gefahren,
Mensch oder Maschine?
({5})
Nur diese beiden Daten werden gespeichert, weil nur sie
erforderlich sind. Wir gehen nicht darüber hinaus, und
das ist gut und richtig.
({6})
Abschließend weise ich darauf hin, dass wir uns im
Bereich der Gesundheit und in vielen anderen Bereichen,
beispielsweise im Flugzeug oder im Operationssaal, bereits heute komplexer Technik anvertrauen. Wichtig ist
aber, dass diese Techniken ausgereift sind und den Vorgaben des Gesetzgebers entsprechen. Dafür haben wir in
Bezug auf hoch- und vollautomatisiertes Fahren mit dieser Gesetzesänderung gesorgt. Deutschland ist damit das
erste Land, das hierfür einen rechtlichen Rahmen schafft:
für die Fahrzeugherstellenden, für unsere Wirtschaft und
auch für die Menschen, die von dieser Technik profitieren.
Herzlichen Dank.
({7})
Als Nächster spricht der Kollege Stephan Kühn für
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Dobrindt, Ihre Angriffe auf uns sind ja mittlerweile sehr erwartbar. Auch
sie scheinen schon im vollautomatisierten Modus abzulaufen.
({0})
Ich finde, Sie sollten den Modus ab und zu einmal wechseln; denn sonst schlafen wir ein, was man weder hier
noch am Steuer tun sollte. Wir brauchen ja auch hier eine
gewisse Grundaufmerksamkeit.
({1})
Meine Damen und Herren, dieses Gesetz verdient angesichts der Tragweite, die es hat, in erster Linie Sorgfalt.
Sie von den Regierungsfraktionen haben den Gesetzentwurf zwar nachgebessert - in der Tat -, aber viele Fragen bleiben offen, und Kernprobleme sind weiter nicht
gelöst. Die Verbraucherinnen und Verbraucher werden
Sie mit diesem Gesetz nicht vom hoch- und vollautomatisierten Fahren überzeugen. Der Automobilindustrie
tun Sie mit Sicherheit auch keinen Gefallen, wenn die
Hersteller dann auf ihren Produkten sitzen bleiben. Ohne
eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, was wir
Maschinen überlassen wollen, wird Deutschland nicht
zum Leitmarkt für hochautomatisiertes oder vollautomatisiertes Fahren oder später vielleicht zum Leitmarkt für
autonomes Fahren.
({2})
Herr Dobrindt, mir fehlt, ehrlich gesagt, jegliches
Verständnis dafür, dass man als Verkehrsminister zu
den ethischen Fragen des automatisierten Fahrens zwar
eine Kommission einrichtet, deren Ergebnisse man aber
nicht abwartet, sondern bereits vorher Gesetzentwürfe
beschließt. Die Ethikkommission will ihren Abschlussbericht im Juni dieses Jahres vorlegen. Das hätte man
abwarten müssen.
({3})
So geht man doch nicht mit einem hochrangig besetzten
Gremium um. So schafft man übrigens auch keine Akzeptanz für neue Technologien.
Wenn es bei Ihrem Gesetz wirklich nicht nur um die
Interessen der Automobilhersteller geht, sondern auch
das Ziel verfolgt wird, automatisiertes Fahren für die
Verbraucherinnen und Verbraucher attraktiv zu machen,
sollten Sie von den Koalitionsfraktionen dieses Gesetz
so nicht beschließen. Es reicht nicht, nur in der Begründung zum Gesetzestext zu formulieren, was der Fahrer
bedenkenlos tun darf, während der Computer das Auto
lenkt. Gesetzesbegründungen binden die Richter nicht.
So schaffen Sie keine Rechtssicherheit für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Das muss schon ins Gesetz
selber hineingeschrieben werden.
({4})
Herr Dobrindt, Sie haben bei der Einbringung des Gesetzentwurfes und auch heute hier großspurig die Gleichstellung von Mensch und Computer angekündigt. Warum
gilt dann weiter: „Das Auto lenkt, der Fahrer haftet?“
Wenn die technischen Systeme das Fahrzeug führen,
dann muss die Haftung auch auf die Hersteller übertragen werden.
({5})
Automatisiertes Fahren soll die Verkehrssicherheit erhöhen und Schäden reduzieren. Die Haftungshöchstgrenze bei Unfällen wird aber von derzeit 5 Millionen Euro
auf 10 Millionen Euro angehoben. Wer zahlt das denn?
Das zahlen die Verbraucherinnen und Verbraucher, und
zwar über höhere Haftpflichtbeiträge.
Nach den Beratungen in den Ausschüssen sind weitere wichtige Fragen offengeblieben. Der Gesetzentwurf
verlangt von den Fahrzeugführern, die technischen Systeme jederzeit manuell übersteuern und deaktivieren
zu können. Ist die Möglichkeit der Übersteuerung und
Deaktivierung durch den Fahrer überhaupt in jedem
Fall sinnvoll? Eine Systemübernahme in kritischen
Verkehrssituationen könnte den Fahrer wohl eher überfordern. Was muss das Auto eigentlich tun, wenn der
Fahrzeugführer die Kontrolle doch nicht so schnell wie
erforderlich übernehmen kann? Muss der Computer den
Warnblinker anschalten und sofort rechts ranfahren und
anhalten? Regelungen, wie das Auto in kritischen Situationen in einen risikominimierten Zustand versetzt wird,
fehlen in diesem Gesetzentwurf.
Die vorgenommenen Konkretisierungen zum Datenschutz täuschen darüber hinweg, dass auch weiterhin viel
zu viele Daten zu lange, nämlich mindestens sechs Monate, gespeichert werden. Ich habe bisher keine Begründung gehört, warum das erforderlich sein soll.
Ein Unding ist auch, dass viele wichtige Regelungen
zur Speicherung der Daten und zum Schutz der Daten
vor Hackern und Manipulationsversuchen erst später in
einer Verordnung getroffen werden sollen. Diese Regelungen brauchen wir jetzt. Auch sie sind entscheidend für
das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher.
({6})
Eine neutrale Stelle, die bei der Datenweitergabe zwischengeschaltet wird, ein sogenanntes Trust-Center, wie
vom Bundesverband der Verbraucherzentralen vorgeschlagen, könnte den Datenschutz stärken und dafür sorgen, dass die Daten rechtmäßig übertragen werden. Aber
auch davon liest man im Gesetzentwurf nichts.
Immerhin enthält der Gesetzentwurf einen Passus,
nach dem mit dem Ablauf des Jahres 2019 eine wissenschaftliche Evaluierung vorgenommen wird. Somit besteht zumindest die Chance, in der nächsten Legislaturperiode die handwerklichen Fehler in diesem Gesetz zu
beseitigen und das automatisierte Fahren dann tatsächlich zum Erfolg zu führen.
Danke.
({7})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Steffen
Bilger.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Von der reinen Quantität her ist das sicherlich ein recht
schlanker Gesetzentwurf, über den wir heute abschließend debattieren. Auf dem Papier handelt es sich ja nur
um einige wenige Änderungen im Straßenverkehrsgesetz. Die Tragweite dieser Änderungen, die wir heute
auf den Weg bringen werden, ist dafür umso größer. Wir
stellen Mensch und Computer beim Autofahren rechtlich
gleich. Damit wird sich auch die Zukunft des Automobils
nachhaltig verändern.
Innovationen und der technische Fortschritt im Automobilbereich sind schon lange ein wichtiger Garant für
den Wohlstand unseres Landes. Wenn wir die Automobilindustrie auch in Zukunft stark halten wollen, dann
muss es uns auch immer um die Arbeitsplätze gehen,
die damit verbunden sind. In Zukunft werden diese Innovationen wichtiger denn je. Daher stellen wir mit dem
Gesetzentwurf auch eine entscheidende Weiche für die
Zukunft unseres Automobilstandortes.
Ich glaube, wir können sagen: Auf dem Gebiet des
automatisierten Fahrens ist Deutschland bereits jetzt
Vorreiter. Diese Erfolgsgeschichte wollen wir weiter
fortsetzen. Das Autoland Deutschland muss auch beim
automatisierten Fahren weltweit an der Spitze stehen.
Die Automobilität wird schon in einigen Jahren nicht
mehr so sein, wie wir sie heute kennen. Der Computer
wird immer öfter die Fahraufgabe übernehmen. Für die
heute geborene Generation werden selbststeuernde Autos
eine Selbstverständlichkeit sein. Die Zahl der Verkehrsunfälle wird durch diese Technologie enorm zurückgehen, aber bis zum vollständigen autonomen Fahren ist
es - das wurde vorhin schon gesagt - zweifelsohne noch
ein sehr weiter Weg. Mit diesem Gesetzentwurf schaffen
wir jetzt aber frühzeitig die Grundlagen, um diesen Weg
konsequent weiterzuverfolgen.
Solch große Veränderungen werfen natürlich viele Fragen auf. Die dringend erforderlichen rechtlichen
Stephan Kühn ({0})
Antworten wurden in diesem Gesetzentwurf auf breiter
Ebene diskutiert und abgestimmt. In den letzten Wochen
haben wir im Ausschuss diskutiert und uns mit unserem
Koalitionspartner intensiv ausgetauscht, um die letzten
strittigen Punkte zu klären. Ich denke, uns liegt ein wirklich hervorragender Gesetzentwurf vor, der auch an den
Verbraucher- und Datenschutz hohe Ansprüche stellt.
({1})
Ich möchte nun nicht noch einmal auf alle Inhalte des
Gesetzentwurfes eingehen, aber schon den Kern der Regelung herausstellen: Der Gesetzentwurf sieht ausdrücklich vor, dass sich der Fahrer vom Verkehrsgeschehen
abwenden kann, wenn das System die Kontrolle über
das Fahrzeug übernommen hat. Mit der Aktivierung von
hoch- und vollautomatisierten Fahrsystemen kann die
Zeit im Auto wirklich für viele sinnvolle Dinge genutzt
werden. Wir schaffen also zusätzliche Vorteile für den
Autofahrer.
Der Fahrzeugführer muss aber wahrnehmungsbereit
sein, sodass er jederzeit in der Lage ist, die Fahrzeugsteuerung wieder zu übernehmen, wenn er dazu aufgefordert wird. Es ist wichtig, zu betonen: Hier geht es um
das hoch- und vollautomatisierte Fahren, nicht um das
autonome Fahren.
({2})
Auch bei offensichtlichen Umständen, wie zum Beispiel
einem geplatzten Reifen, muss der Fahrer aktiv werden. Ich denke, wir regeln damit, rechtlich vernünftig,
das schwierige Zusammenspiel zwischen menschlichem
Fahrer und Computer. Das ist so bislang weltweit einmalig.
Dabei trägt der Gesetzentwurf auch dafür Sorge, dass
für Fahrer und Halter keine neuen Risiken in der Haftung
entstehen können. Zur Klärung von Haftungsansprüchen
ist es zwingend erforderlich, dass aufgezeichnet wird,
ob bei Unfällen oder Schadensereignissen der Computer
oder der Mensch die Fahraufgabe innehatte. Ich glaube,
das ist im Interesse aller Beteiligten: der Fahrzeughalter,
der Fahrzeugführer, möglicher Unfallbeteiligter und natürlich auch der Hersteller. So schaffen wir klare Regelungen in Bezug auf die Haftungsfrage.
({3})
Natürlich müssen wir mit den anfallenden Daten sehr
sensibel umgehen. Daher verbleiben die Daten, die das
Fahrzeug aufzeichnen muss, in einem Datenspeicher, einer Art Blackbox im Auto. Eine Übermittlung ist nur zulässig, wenn sie für die Aufklärung von Unfällen, Schadensereignissen oder Verkehrsverstößen notwendig ist,
und wird auch dann auf das unbedingt notwendige Maß
beschränkt.
Hoch- und vollautomatisierte Fahrsysteme sind bislang noch nicht auf dem Markt, werden aber bereits in
wenigen Jahren verfügbar sein. Wir stellen mit dem Gesetzentwurf sicher, dass die Industrie ihrer Verantwortung nachkommen kann, ausgereifte und sichere Systeme
auf den Markt zu bringen, die auch mit denkbar schwierigen Situationen im Verkehrsgeschehen zurechtkommen.
Zudem haben wir uns im parlamentarischen Verfahren
darauf verständigt, dass die Systeme erkennen müssen,
wenn diese nicht bestimmungsgemäß verwendet werden.
Nun liegt der Ball bei der Industrie. Sie muss entsprechende Systeme zur Marktreife bringen. Dazu erhalten
die Hersteller mit diesen Regelungen die notwendige Sicherheit und Verlässlichkeit.
Meine Damen und Herren, das automatisierte Fahren
ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg in eine intelligente, vernetzte und nachhaltige Mobilität von morgen.
Ich bitte Sie daher um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf, mit dem wir Deutschland als Land der Innovation
weiter nach vorne bringen und Mobilität für den Einzelnen angenehmer, effizienter und sicherer machen.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Andreas Rimkus für
die SPD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Zuhörende auf den Rängen! Liebe autonom Fahrende! Liebe automatisiert Fahrende! Das geht
ja manchmal kreuz und quer, aber dazu werde ich gleich
etwas sagen. Ich glaube, Aufklärung tut not, auch bei der
Frage der Grundaufmerksamkeit, liebe Kollegen.
Wenn wir an utopische Konzepte zur Mobilität denken, sozusagen an Zukunftsvisionen, wie wir sie zum
Beispiel in Filmen, in der Forschung, aber auch in der
Kunst gezeigt bekommen, ist das autonome Fahren davon offenbar immer ein Bestandteil. Mal am Boden, mal
ein wenig schwebend, oftmals auch hoch in der Luft die Vorstellungen von einer Zukunft, in der der Verkehr
so gestaltet ist, sind vielfältig, aber scheinen oft noch
sehr abstrakt.
Mit dem vorliegenden Gesetz machen wir schon sehr
konkret deutlich, was unsere mittelfristige Vision zur
Einbindung dieser Technologien in unser Verkehrssystem ist. Daher wollen wir hier ausdrücklich nicht das
autonome Fahren, sondern ganz gezielt das hoch- und
vollautomatisierte Fahren regeln - natürlich aber immer
in dem Bewusstsein, eines Tages eben nicht mehr Fahrender, sondern tatsächlich Passagier in einem autonom
fahrenden Fahrzeug zu sein. Insofern ist diese Unterscheidung ganz sinnvoll und notwendig. Das geht oftmals durcheinander.
Ich habe gerade noch einmal nachgeschaut: Es gibt
eine Ethikkommission zum automatisierten Fahren. Dieser Name stimmt tatsächlich. Man muss aber sehen, dass
Di Fabio natürlich auch vom autonomen Fahren spricht.
Das ist vollkommen richtig; denn auf diesem Gebiet sind
die ethischen Fragen zu stellen. Deswegen ist es vollSteffen Bilger
kommen korrekt, wenn wir schon heute die Grundlagen
dafür schaffen.
({0})
Ich denke, dass das mehrere Kolleginnen und Kollegen
verstanden haben, Herr Minister. Ich bin aber vielleicht
der Erste, der es ausspricht. Das ist ja in Ordnung.
Mit diesem Gesetz schaffen wir als erster Staat weltweit einen Rechtsrahmen, um auf der einen Seite Innovationen auf unseren Straßen zu ermöglichen, auf der
anderen Seite aber Verbraucherinnen und Verbraucher zu
schützen. Insbesondere mit unserem Änderungsantrag,
den wir eingebracht haben, schlagen wir sehr deutliche
Verbesserungen vor. Diese sind notwendig, weil der Gesetzentwurf in seiner Ursprungsfassung aus Sicht des
Parlamentes, aber auch aus Sicht der Bürgerinnen und
Bürger sowie der Fachleute leider nicht ausreichend war.
Er war eine gute Grundlage, aber nicht ausreichend.
So haben wir beispielsweise im Bereich des Datenschutzes klargestellt, welche Daten wem zu welchem
Zweck zur Verfügung gestellt werden. Auch haben wir
klargestellt, wer diese übermittelt und welche Speicherfristen es gibt. Daten sind ja kein Spielzeug. Sie handeln
nämlich immer von uns, von realen Menschen, und davon, wie wir leben bzw. was wir tun oder auch nicht tun.
Dem Rechnung zu tragen, sollte Grundlage politischer
Entscheidungen sein. Diesem Grundsatz haben wir, wie
ich finde, mit unseren Änderungen zum Umgang mit den
erfassten Daten vollumfänglich entsprochen.
({1})
So soll unter anderem die Übermittlung von Daten
explizit von der Halterin bzw. vom Halter veranlasst
werden. Nur er oder sie kann das tun. Zum Schutz von
Verbraucherinnen und Verbrauchern haben wir ebenfalls
die Beteiligung der Datenschutzbeauftragten bei der Erstellung kommender Verordnungen und Festlegungen im
Hinblick auf Speichermedien und Kriterien zur Datensicherheit festgeschrieben.
Ebenfalls zum Schutz der Nutzenden werden Hersteller nun dazu verpflichtet, Fahrsysteme zu entwickeln, die
technisch so ausgelegt sind, dass eine missbräuchliche
Verwendung - beispielsweise durch Geofencing - nicht
möglich ist oder dass das System die fahrende Person darauf hinweist, dass sie die Technik nicht vorschriftsmäßig
nutzt. Ich will nämlich zukünftig keine Videos mehr im
Internet sehen, wo Fahrende auf den Rücksitz krabbeln
oder irgendeinen anderen Unfug machen. Vielmehr sollen sie das tun, was sie tun dürfen wie das Nutzen von
Entertainmentsystemen und Ähnlichem.
Denn solange wir noch nicht mit autonomen Fahrzeugen unterwegs sind, sind wir immer noch Fahrzeugführerinnen bzw. Fahrzeugführer. Wir müssen natürlich
im Fall der Überforderung dieser technischen Systeme
auch einschreiten können. Deshalb ist es für die fahrende
Person von herausragender Bedeutung, zu wissen, was
das Fahrzeug kann und was es nicht kann. Darum sollten
Hersteller in der Systembeschreibung darauf hinweisen,
was es mit der sogenannten „bestimmungsgemäßen Verwendung“ des Fahrzeugs auf sich hat. Das sollte genau
beschrieben werden. Es muss für Nutzende möglich sein,
transparent und verständlich nachzuvollziehen, wo die
Grenzen der Technik liegen. Das war und ist uns wichtig.
Ganz besonders freue ich mich, dass wir eine deutlich klarere Formulierung zur Haftung gefunden haben.
Durch die Konkretisierung wird deutlich, dass sich die
Fahrerin bzw. der Fahrer abwenden darf. Die Hände
dürfen vom Lenkrad genommen werden. Der Blick darf
von der Straße abgewendet werden. E-Mails dürfen beantwortet werden. Und es dürfen Infotainmentsysteme
benutzt werden. Dabei muss die fahrende Person aber
grundsätzlich immer wahrnehmungsbereit bleiben. Ich
glaube, dass wir mit dieser Klarstellung ein wichtiges
Problem gut gelöst haben und hier für mehr Klarheit
sorgen konnten. Diese Klarheit wird nicht nur meinem
Kollegen Arno Klare gefallen, sondern - da bin ich sicher - dem gesamten Hause.
Wie ich ja bereits in meiner Rede zur ersten Lesung
gefordert habe, ist eine Ausweitung der Evaluierung auf
die gesamte Gesetzesänderung von herausragender Bedeutung. Wir können heute auf viele Fragen noch keine
Antwort geben. Deshalb ist es wichtig, neue Technologien immer wieder zu überprüfen. Von daher ist es also gut,
dass wir die Evaluation aufgenommen haben.
Den Bedenken des Bundesrates konnten wir, glaube ich, gut Rechnung tragen. Dabei ging es - das war
wichtig - um Anpassungen beim Datenschutz sowie um
Haftung und Verbraucherschutz. Sie sind im Änderungsantrag auf gute Weise berücksichtigt worden.
Wir haben im parlamentarischen Verfahren jetzt fundamentale Änderungen vorgenommen. Dazu haben wir
uns bewusst entschlossen. Was wir gemacht haben, ist für
die Verbraucherinnen und Verbraucher mit Blick auf den
Datenschutz von eminenter Wichtigkeit.
Der Entwurf der Bundesregierung ist damit verbessert
worden. Gerade das Parlament ist somit seiner Aufgabe,
die Nutzenden auch vor Technologien zu schützen, nachgekommen. Der Anspruch ist, Rahmenbedingungen zu
schaffen, die Innovationen fördern, aber auch die Menschen vor zu starken Eingriffen schützen und ihnen Orientierung geben. Ich finde, das ist gelungen.
Ich bedanke mich von dieser Stelle aus für die konstruktive Zusammenarbeit mit der AG, mit den Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, vor allen Dingen aber
auch mit denjenigen, die uns gute Ratschläge gegeben
haben. Ich glaube, es hat sich gelohnt.
Schönen Dank.
({2})
Als letzter Redner in dieser Debatte spricht der Kollege Ulrich Lange für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
diskutieren heute weder über das Roboterauto noch über,
wie ein privater Nachrichtensender berichtet, ein Gesetz
zum autonomen Fahren; es geht vielmehr um das automatisierte Fahren. Es ist schon ein paarmal angesprochen
worden, dass immer wieder Dinge durcheinandergehen
bzw. dem einen oder anderen nicht klar ist, worüber wir
reden.
({0})
Wir reden darüber, dass der Fahrer jederzeit wieder
eingreifen können muss. Wir reden noch nicht über die
übernächste Stufe: vom Fahrer zum Passagier.
Wir reden aber beim automatisierten Fahren über das
Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine, und
wir meinen, dass das in diesem Gesetzentwurf gut austariert ist.
({1})
Ja, wir können es: Wir können technisch innovativ
sein. Die deutsche Industrie nimmt eine Vorreiterstellung
bei der Anmeldung von Patenten zum autonomen und automatisierten Fahren ein.
Ja, wir können auch beim Rechtsrahmen innovativ
sein. Man traut es Juristen gar nicht zu, lieber Bundesminister, dass auch ein Rechtsrahmen innovativ sein kann,
statt nur zu verhindern.
Ja, wir brauchen uns vor dem Silicon Valley und den
Techniken dort nicht zu verstecken. Wir haben keine Innovationsskepsis, und wir warten auch nicht verzagt ab,
was in der EU oder international geregelt wird.
Nein, wir können mutig voranschreiten, lieber Bundesminister. Dieser Gesetzentwurf, den wir heute in
zweiter und dritter Lesung beraten, ist ein Leuchtturm.
Wir haben damit einen Meilenstein geschaffen.
({2})
Wir befinden uns in einem technisch hochinnovativen
Umfeld.
({3})
Deswegen werden wir, wie schon angesprochen, dieses
Gesetz auch immer wieder anpassen. Technik und Gesetz
werden in einem, wie ich meine, interessanten Wechselspiel weiterentwickelt.
Insofern, lieber Kollege Kühn, ist die Generalkritik
wirklich nicht angebracht. Ich verweise nur auf § 1 der
Straßenverkehrsordnung, der übrigens für Fahrrad und
Droschke genauso gilt wie für das automatisierte Fahren:
Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.
Genau diesem Grundsatz folgt auch dieser Gesetzentwurf.
({4})
Sie können also ganz beruhigt zustimmen.
Wir haben bei den Pflichten der Automobilhersteller
parlamentarisch nachgeschärft. Wir haben bei den Regelungen zur Rücknahme nachgeschärft. Wir haben beim
Datenschutz nachgeschärft. Ich denke, wir haben nach
intensiver Diskussion insgesamt einen innovativen Gesetzentwurf geschaffen.
Die Änderungen erhöhen die Rechtssicherheit für den
Fahrer weiter und schaffen gleichzeitig Klarheit für die
Entwickler. Das bedeutet zusammengefasst innovative
Technik in einem innovativen Rechtsrahmen mit den
richtigen Leitplanken.
({5})
Der heute zur Abstimmung vorliegende Gesetzentwurf
hat den ersten TÜV bestanden und ist straßentauglich.
Danke schön.
({6})
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Straßenverkehrsgesetzes. Der Ausschuss für Verkehr
und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11776, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/11300
und 18/11534 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/11786 vor, über den wir zuerst
abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist damit mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.
Jetzt kommen wir zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte nun diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit angenommen mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und von Bündnis 90/Die Grünen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Gohlke, Sigrid Hupach, Dr. Rosemarie Hein,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Soziale Durchlässigkeit bei Zugang und Zulassung zu Hochschulen durchsetzen
Drucksache 18/11418
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Widerspruch
dagegen erhebt sich keiner, sondern es herrscht allgemeine Zustimmung. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Die Linke unterbreitet mit diesem Antrag
Vorschläge, wie Nachwuchssorgen zu lösen sein könnten. Ich meine damit nicht die Geburtenzahlen. Zuerst
einige wichtige Fragen: Wie bekommt unser Nachwuchs
den gewünschten Studienplatz und einen Job, und das
möglichst ohne Vitamin B und unabhängig vom Geldbeutel der Eltern? Wie finden Firmen geeigneten Nachwuchs für ausscheidende Akademikerinnen und Akademiker? Wieso stellen dieselben Firmen eigentlich keine
Bachelorabsolventen ein?
({0})
Wozu sind die entnervenden Warteschleifen vor dem
Studium gut? Warum gibt es zu viele taxifahrende Germanistikabsolventen und zu wenige Mathelehrerinnen an
unseren Schulen? Wieso werden Ärztinnen und Ärzte in
Deutschland gesucht, und wieso dürfen trotzdem wegen
des Numerus clausus, der Studienplatzbegrenzung, viele
Abiturienten nicht Medizin studieren?
({1})
Die Linke möchte diese Zustände verändern.
({2})
Wir wollen, dass Hochschulen genügend Geld erhalten,
um ausreichend Studienplätze zu schaffen, und dass
die Zahlungen des Bundes aus dem Hochschulpakt um
10 Prozent gesteigert werden.
({3})
Wenn die Hochschulen dieses Geld richtig einsetzen
würden, brächte das mehr Studienqualität und weniger
Abbrüche. Größere Studienkapazitäten würden die Wartezeiten auf den Studienplatz und dann auf Pflichtseminare oder Praktika verkürzen.
({4})
Ein weiterer wichtiger Schritt wäre, dass die Bundesagentur für Arbeit zusammen mit Hochschulen und
Studentenwerken in Abiturklassen berät und dass über
alle Fragen zum Studium - angefangen bei Organisation,
über Studienangebot und Inhalte bis zu Jobchancen nach
dem Abschluss - informiert wird. Mancher Studienabbruch, manche schwere Enttäuschung könnte vermieden
werden, wenn Jugendliche wüssten, was sie wollen und
was sie erwartet. Wir wollen, dass jeder, der die Studienbefähigung hat, spätestens nach einem Wartejahr seine
gewünschte Fachrichtung studieren kann.
({5})
Die Linke hält ewige Warteschleifen für Zeitverschwendung, sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft.
Die Wiedereinführung einer gemeinsamen Bund-Länder-Behörde, die stets bundesweit Angebote zu und
Nachfragen nach Studienplätzen sowie Angaben zu Bewerbungen veröffentlichen soll, würde die Vermittlung
der Studierenden verbessern und es allen Beteiligten
leichter machen.
({6})
Wichtig: Der Lebensunterhalt Studierender muss gesichert sein. Niemand bezweifelt doch ernsthaft, dass ein
Student, der vier Stunden täglich an der Supermarktkasse sitzt, dass eine Studentin, die von 22 Uhr bis 2 Uhr
kellnert, nicht wirklich optimal studieren kann. Wer ewig
lange Fahrwege zur Uni hat oder in überfüllten WGs lebt,
hat keine Ruhe zum Lernen. Es wäre logisch und lukrativ
für das Gesamtsystem, BAföG in ausreichender Höhe zu
zahlen und in gutes studentisches Wohnen zu investieren.
({7})
In meiner ehemaligen Firma, bei Zeiss, gab es kaum
Stellenpläne für Bachelorabsolventen nach ihrer dreijährigen Ausbildung. Traditionell waren Arbeitsabläufe auf
Diplom-Ingenieure, heute Master, abgestimmt. Umstellungen benötigen Zeit. Auch deshalb fordert die Linke,
dass jeder Student und jede Studentin mit Bachelorabschluss nahtlos ein fortführendes Masterstudium und bei
Wunsch an derselben Hochschule absolvieren kann.
({8})
Für die Vereinbarkeit von Studium und Kinderwunsch, für die Pflege von Angehörigen oder auch aus
persönlichen Gründen wollen wir Teilzeitstudiengänge
ausweiten. Dafür sollen die Hochschulen zusätzliche
Mittel vom Bund erhalten. Das Zusammendenken von
Familie und Studium ist für die Linke Bestandteil guter
Hochschul- und Forschungspolitik und gut für unsere Familien.
({9})
Damit wir die Familienfreundlichkeit in Deutschland
stärken, damit unser Nachwuchs - das meint die Kinder
armer und durchschnittlich verdienender Eltern ebenso
wie die Kinder reicher Eltern - optimistische Perspektiven durch ein Hochschulstudium erhält, damit genügend
qualifizierter Nachwuchs für unser Bildungssystem, für
Vizepräsident Johannes Singhammer
Firmen, Verwaltungen und Sozialeinrichtungen bereitsteht, dafür unterbreiten wir Linken heute diese Vorschläge. Jetzt sind Sie dran - von SPD, von Grünen und von
der Union.
Vielen Dank.
({10})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Tankred
Schipanski.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Und täglich grüßt das Murmeltier - das ist die
passende Überschrift zu dieser Debatte. Die Fraktion Die
Linke holt hier altbekannte, vom Bundestag mehrmals
abgelehnte Anträge aus ihren Archiven,
({0})
um ihre Ideologie wieder einmal im Plenum des Parlaments, den Besuchern auf der Tribüne und dem Publikum an den Bildschirmen zu präsentieren.
({1})
Diesen Antrag, in sprachlich anderem Kleid, haben
wir in diesem Hohen Hause bereits am 14. April 2011
sowie am 25. Oktober 2012 umfangreich debattiert und
abgelehnt.
({2})
Immerhin will ich Ihnen zugestehen, dass Sie den heutigen Antrag ein bisschen in seiner Struktur geändert haben. Drei große Themenblöcke rufen Sie auf, erstens das
Thema Hochschulzulassung, zweitens das Thema Hochschulpakt und drittens das Thema BAföG.
Ich möchte mich schwerpunktmäßig mit den Ausführungen zur Problematik der Hochschulzulassung auseinandersetzen, ausgehend, wie Sie das in Ihrem Antrag
tun, von verschiedenen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hat einen Grundsatz geprägt, den Sie
leider wieder einmal verzerrt, eigentlich rechtsbeugend
darstellen. Das Bundesverfassungsgericht sagt ausdrücklich, dass ein sogenannter Numerus clausus und das mit
ihm zusammenhängende Verfahren zulässig sind. Das
Bundesverfassungsgericht sagt, dass das Auswahlverfahren jedem Zulassungsberechtigten eine Chance geben
muss. Es sagt gerade nicht, dass durch das Verfahren eine
Zulassung zum Studium garantiert werden muss. Schon
begrifflich schließt die Einräumung von Chancen das Risiko eines Fehlschlages ein.
({3})
Gerne verweise ich auf die Ausführungen in meiner Rede vom 14. April 2011 zu diesem Thema hier
im Parlament. Das Bundesverfassungsgericht hat den
Gleichheitssatz des Grundgesetzes und somit auch das
Gleichheitsverständnis in der Bundesrepublik sehr entscheidend geprägt. Es geht um Chancengleichheit und
nicht um Gleichmacherei.
({4})
Gleichmacherei ist ein Ansatz Ihrer linken Ideologie,
den Sie in diesen Debatten immer wieder propagieren.
Artikel 3 des Grundgesetzes und das Bundesverfassungsgericht sprechen aber von Chancengleichheit und somit
von Chancengerechtigkeit.
({5})
Artikel 3 des Grundgesetzes spricht eben nicht von einer
Ergebnisgleichheit, wie Sie das immer wieder als Fake
News darstellen und verkaufen wollen. Gleiches gilt im
Übrigen für Artikel 12 des Grundgesetzes, auf den sich
Ihr Antrag hier stützt.
Unser Bildungssystem, insbesondere das Hochschulsystem, wird dem Grundsatz der Chancengerechtigkeit
vollkommen gerecht.
({6})
Eine mangelnde Durchlässigkeit, wie Sie in Ihrem Antrag behaupten, gibt es nicht. Wir haben das durchlässigste Bildungssystem der Welt,
({7})
und das Ganze kostenlos für junge Menschen. Unser
Motto ist: Kein Abschluss ohne Anschluss.
({8})
Das deutsche Bildungssystem ist durchlässig wie nie zuvor. So lautet auch das Ergebnis der jüngsten Studie des
Instituts der deutschen Wirtschaft Köln. Diese Durchlässigkeit trägt Früchte. So hat sich der Bildungsstand der
Gesamtbevölkerung in den letzten Jahren deutlich verbessert. Lesen Sie das bitte im nationalen Bildungsbericht aus dem Jahre 2016 nach. Auch die OSZE stellt in
ihrem Bildungsbericht von 2016 im Ergebnis fest, dass
in kaum einem anderen Land Menschen egal welcher
Herkunft einen so erschwinglichen Zugang zu Bildung
haben, wie das in Deutschland der Fall ist.
({9})
Hören Sie also auf, unser Land mit Ihrer Ideologie
schlechtzureden.
({10})
Die Linken behaupten weiter in ihrem Antrag, es gebe
ein Zulassungschaos an Hochschulen und der Bund müsse nun zwingend tätig werden und dieses Chaos auflösen.
Als Allheilmittel schlagen Sie wieder Ihren Gassenhauer,
ein Bundeshochschulzulassungsgesetz, vor. Bereits das
Wort ist ein Ungetüm, der Vorschlag aber erst recht.
({11})
Es bestehen bei der Stiftung für Hochschulzulassung, die
in der Öffentlichkeit mehr unter der Internetadresse www.
hochschulstart.de bekannt ist, keine rechtlichen, sondern
technische Probleme. Diese technischen Schwierigkeiten
kann man durch ein Bundeshochschulzulassungsgesetz
gerade nicht lösen.
({12})
Ferner ist der Bund für Ihre Debatte hier der völlig
falsche Adressat. Die Stiftung für Hochschulzulassung
ist eine auf einem Staatsvertrag beruhende Einrichtung
der Bundesländer. Adressat Ihrer Forderung ist somit die
KMK, die mit Blick auf diese Stiftung wohl auch eine
entsprechende Taskforce eingerichtet hat.
({13})
Meine Damen und Herren, die Linken wissen spätestens seit der Beantwortung einer Kleinen Anfrage an die
Bundesregierung vom 9. Oktober 2015, dass es ein sogenanntes dialogorientiertes Serviceverfahren zur Koordinierung und Zulassung von Studienbewerbern gibt.
({14})
Dessen Software wurde mit finanzieller Förderung des
Bundes in Höhe von 15 Millionen Euro entwickelt und
den Ländern im Zusammenwirken mit der von der Hochschulkonferenz getragenen Stiftung für Hochschulzulassung seit April 2011 einsatzbereit zur Verfügung gestellt.
Die Weiterentwicklung der Software und die Koordinierung mit den Hochschulen sowie die Verantwortung
für die gesamte Durchführung des Verfahrens liegen allein in der Hand der von den Ländern und Hochschulen
getragenen Stiftung für Hochschulzulassung. Es ist somit
mehr als unredlich, dass die Linken heute hier im Plenum
wieder den Eindruck erwecken, die Fragestellung habe
irgendetwas mit dem Bund zu tun; das ist schlichtweg
falsch. Es ist Sache der Länder.
({15})
Die Länder haben sich in Form eines Staatsvertrags
verständigt. Ich erachte es als sinnvoll, dass der Bund
diese Einigung nicht durch ein Bundesgesetz gefährdet
oder gar infrage stellt. Im Übrigen empfehle ich Ihnen
eine Pressemitteilung der Stiftung für Hochschulzulassung vom 9. März dieses Jahres. Darin wird deutlich,
dass es mit dem dialogorientierten Serviceverfahren gut
vorangeht. Mehr Hochschulen beteiligen sich daran,
und die Zahl der Bewerber über dieses Verfahren ist um
20 Prozent gestiegen. Ich habe nicht den Eindruck, dass
eine öffentlich-rechtliche Stiftung Fake News verbreitet;
das tun andere.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der Linken ist wieder ein Spiegelbild dessen, was die linke Ideologie verherrlicht. Es ist eine Absage an die Leistungsbereitschaft der Menschen.
({16})
Forderten Sie schon früher immer populistisch „Master
für alle“ - was Sie heute ja auch wieder tun -, erweitern
Sie heute ihre Utopie und fordern ein Studium für alle.
Gemeint ist - das führen Sie auch aus -, dass es für die
Zulassung zum Studium - auch für die Zulassung zu einem Masterstudium - keine Rolle mehr spielen soll, welche Leistung ein Student erbringt. Sie schreiben wörtlich:
„Zensuren spielen bei der Vergabe keine Rolle.“
Meine Damen und Herren, für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion spielt der Leistungsgedanke eine tragende gesellschaftliche Rolle.
({17})
Wir setzen darauf, dass sich Menschen anstrengen, um
etwas zu erreichen. Wir setzen auf Motivation, auf Bemühen, auf Ansporn.
({18})
Wir sind der Überzeugung, dass nur demjenigen der
nächsthöhere Abschluss zustehen soll, der sich dafür
qualifiziert, und zwar qualifiziert durch Leistung, qualifiziert durch eine gute Note. Wir erteilen der Linkenforderung nach dem Verschenken von Studienplätzen, auch
nach dem Verschenken von Masterstudienplätzen eine
ganz klare Absage. Wir setzen auf Leistung und nicht auf
Geschenke.
({19})
Meine Damen und Herren, abschließend noch ein
Wort zum Hochschulpakt. Ich finde es unredlich, wie
auch bei diesem Thema von den Linken ein völlig falscher Eindruck erweckt wird und die Menschen somit
vorsätzlich falsch informiert werden.
({20})
Wir haben nach dem Grundgesetz bei der Hochschulausbildung eine klare Zuständigkeit der Länder. Freiwillig,
ohne grundgesetzliche Verpflichtung, gibt der Bund im
Rahmen des sogenannten Hochschulpakts allein in der
dritten Phase 9,9 Milliarden Euro an die Länder. Natürlich
leistet der Bund auch einen Riesenanteil zu Bildungsvorhaben von nationaler und internationaler Bedeutung. Wie
http://www.hochschulstart.de
http://www.hochschulstart.de
Sie wissen, geben wir jetzt sogar im Bereich der Schulen
im Rahmen des Digitalpaktes 5 Milliarden Euro.
({21})
Nochmals: Wir wollen kein Verteilen mit der Gießkanne, sondern wir wollen mit den eingesetzten Bundesmitteln einen Mehrwert erreichen. Wir wollen Bundesgeld an klare, überprüfbare Kriterien knüpfen, nachdem
wir bei der Übernahme der BAföG-Finanzierung ein
Debakel erleben mussten, weil manche Länder das Geld
zweckentfremdet eingesetzt haben.
({22})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines muss weiterhin klar sein: Die Finanzierung der Hochschulen
und Schulen ist und bleibt Sache der Länder. Schauen
Sie dazu ins Grundgesetz! Zu gerne wird von Rot-RotGrün verschwiegen, dass Steuermehreinnahmen auch
aufseiten der Länder und Kommunen erfolgen. Daher ist
es gar nicht schlimm, dass diese Zuständigkeit bei den
Ländern liegt. 281 Milliarden Euro haben die Länder laut
Steuerschätzung des BMF im vergangenen Jahr eingenommen. Das sind 5 Prozent mehr als im Vorjahr. Die
Steuerschätzung für die weiteren Jahre sagt eine kontinuierliche jährliche Steigerung voraus. Da kann man wohl
selbstverständlich erwarten, dass die Länder das Geld
dort investieren, wo sie zuständig sind.
({23})
Die Zahlen zeigen deutlich, dass die Länder das auch
können, wenn sie es denn wollen.
({24})
Bei der Nachfolge des Hochschulpakts stellen wir uns
nicht quer. Wir legen Wert auf sinnvolle und zielführende Ideen. Wir wollen die Qualität steigern und nicht die
Quantität.
({25})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zusammenfassend:
Dieser Antrag ist reiner Populismus, gepaart mit linker
Ideologie und gespickt mit linker Utopie. Wir lehnen derartigen Blödsinn ab.
({26})
Als Nächster spricht der Kollege Kai Gehring für
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
Gegensatz zu meinem Vorredner sage ich sehr klar: Wir
haben allen Anlass, über Bildungschancen und die soziale Schieflage beim Zugang zur Hochschule einmal mehr
zu debattieren. Der Mangel an Gerechtigkeit ist weiter
das Hauptproblem des deutschen Bildungssystems.
({0})
Warum Kollege Schipanski im Namen der Unionsfraktion das deutsche Bildungskastensystem verteidigt
und so etwas wie ein Bundesparadies Deutschland aufmalt, ist mit Fakten nicht zu erklären.
({1})
Gerecht - sowohl chancen- als auch leistungsgerecht geht es in Deutschland nämlich erst dann zu, wenn Zugangschancen zu Universitäten und Fachhochschulen
nicht mehr vom Geldbeutel der Eltern abhängen.
({2})
Ob IGLU, PISA, Befragungen von Studienberechtigten:
Alle Studien kommen zu dem Schluss: Die Mission „Bildungsgerechtigkeit und Durchlässigkeit für alle“ ist noch
nicht erfüllt. Wir haben ein Übermaß an sozialer Auslese,
und das muss sich ändern.
({3})
Von 100 Akademikerkindern studieren 77. Von
100 Kindern, deren Eltern keinen Hochschulabschluss
haben, schaffen nur 23 den Sprung an die Hochschule.
Der sogenannte Bildungstrichter ist die wohl bekannteste
Grafik aus der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks. Seine Bekanntheit wurde dem Bildungstrichter
jetzt offensichtlich zum Verhängnis. In der nächsten Sozialerhebung soll er fehlen; das BMBF hat ihn rausgekegelt. Ein Unding, meine Damen und Herren!
({4})
Anstatt den engen Zusammenhang von Chancen und
sozialer Herkunft unter den Tisch zu kehren, möchte ich,
dass Politik in Bund und Ländern dafür sorgt, dass dieser Zusammenhang aufgelöst wird. „Chancen für alle“
und „Jedes Talent optimal fördern“, das sind und bleiben
richtige Ziele.
({5})
In den letzten Jahren gab es einige Rekorde bei den
Studierendenzahlen. Dennoch ist die soziale Öffnung
der Hochschulen weiter eine große Aufgabe. Zuallererst
brauchen wir dafür auch nach 2020 ausreichende Studienplätze; denn auch nach Ende des Hochschulpaktes
werden viele Studieninteressierte erwartet. Der Nachfolger vom Hochschulpakt muss ausreichend Studienplätze
bringen, Lehre und Studienbedingungen verbessern und
auch die soziale Infrastruktur auf dem Campus stärken.
Das steht an.
({6})
Aus Studienanfängern sollen erfolgreiche Absolventen statt Abbrecher werden, und zwar egal mit welchem
Abschluss. Der Bachelor ist nämlich nicht nur eine Fernsehsendung, sondern auch ein ernstzunehmender erster
akademischer Abschluss.
({7})
Mit ihm gibt es in der Mehrzahl der Fächer sehr gute
Einstiegsbedingungen in den Arbeitsmarkt. Darum: Wir
brauchen keinen Masterzwang, wir brauchen Masterstudienplätze für alle, die ein Masterstudium wollen.
({8})
Das drückt im Übrigen auch die NCs runter.
({9})
Ohnehin gilt es, keine Barrikaden vor dem Campus
aufzutürmen. Mich und viele andere Studierende der
ersten Generation hätten Studiengebühren vom Studium
abgehalten.
({10})
Deshalb sagen wir als Grüne im Bundestag und im Landtag NRW klar Nein in Richtung FDP und CDU. Die wollen im größten Bundesland Studiengebühren wieder für
alle einführen.
({11})
Das träfe ein Viertel aller Studierenden bundesweit. Die
Campusmaut soll in der Mottenkiste bleiben; da, wo wir
sie zu Recht hingesteckt haben.
({12})
Studieren öffnet Horizonte; das wissen eigentlich alle.
Dennoch ist es für Arbeiterkinder nicht selbstverständlich, sich für ein Studium zu entscheiden; denn es gibt
sie immer noch, diese gewisse Ehrfurcht vor der fremden
Welt der Wissenschaft. Es gilt, eigene Schranken im Kopf
zu überwinden. Häufig helfen dabei Mutmacher. Bei mir
war es meine Grundschullehrerin, Frau Hennecke. Sie
sagte: Kai, du hast das Zeug fürs Gymnasium und zum
Studium. - Wir brauchen mehr Leute in der Republik wie
diese Frau Hennecke und mehr Unterstützung für Mutmacherinnen und Mutmacher wie sie.
({13})
Darum bin ich wirklich froh, dass Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen ein Talentscouting-Programm aufgelegt
hat. Diese tolle Idee der Westfälischen Hochschule in
Gelsenkirchen hat als ganz kleines Projekt angefangen.
Weil es wirkt, wird es nun schrittweise auf ganz Nordrhein-Westfalen ausgeweitet. Von Arbeiterkind e.V. bis
Talentscouting - wir sagen: mehr davon, mehr Ermutigung, mehr Mentoring.
({14})
- Ich rede zum Antrag der Linken und zu grünen Vorschlägen, falls Sie das nicht gemerkt haben. Talentscouting ist eine tolle Idee. Das sollten Sie sich einmal
angucken; denn es gibt ja noch eine Bundesbildungsministerin, auch wenn man das manchmal gar nicht mehr
merkt.
({15})
Es ist wichtig, für ein Studium zu motivieren, und es
ist richtig, für eine Studienfinanzierung zu sorgen, die
zum Leben reicht. Das BAföG muss substanziell verbessert werden. Dass das BAföG 2017 weniger wert ist als
2010, ist ein Fehler der jetzigen Koalition aus Union und
SPD, den wir Grüne schleunigst korrigieren wollen.
({16})
Auch das wäre ein Gewinn für Zugänge, und deshalb gibt
es Anträge von Linken und von Grünen, noch 2017 das
BAföG zu erhöhen. Das ist wichtig.
({17})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in
Deutschland eine unheimlich vielfältige Wissensgesellschaft mit vielen kreativen Köpfen. Wenn wir künftig
noch stärker darauf setzen, alle Talente zu fördern, dann
brächte das ein Plus für die Chancen jedes Einzelnen und
für den Wohlstand in unserem Land insgesamt.
({18})
Die Kollegin Dr. Daniela De Ridder spricht jetzt für
die SPD.
({0})
Lieber Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und
Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Liebe Studierende! Vor
allem: Lieber Ralph Lenkert! Die Frage der sozialen Gerechtigkeit liegt der Linken am Herzen. Ich verstehe das,
wenn es um das Studium geht. Unserer Fraktion geht es
genauso. Ich komme aber gleich zu den kritischen Punkten.
Die Linke kritisiert das dialogorientierte Serviceverfahren, das irgendwann einmal die zentrale Studienplatzvergabe ersetzt hat. Ja, wir haben eben gehört:
Umstellungen brauchen Zeit, auch die bezüglich der Studienplatzvergabe. Aber man darf zur Kenntnis nehmen,
dass hier Entwicklung stattgefunden hat. In der Tat - wir
haben es vorhin vom Kollegen Schipanski gehört - haben sich die Hochschulen deutlich stärker beteiligt, als
das noch vor einem Jahr der Fall war. Wir haben bei den
Hochschulen, die an diesem Verfahren teilnehmen, einen
Zuwachs von 15 Prozent zu verzeichnen, und auch die
Zahl der Hochschulen, die sich für die Teilnahme an diesem Verfahren bewerben, ist um 30 Prozent gestiegen.
Ja, es ist richtig, lieber Ralph Lenkert: Man darf ab
und zu auch einmal die Regierung fragen, wie es mit einem Zwischenbericht aussieht, zumal dann, wenn man
gehört hat, dass die Umstellung in diesem Verfahren bis
2018 laufen soll. Das ist durchaus kritisch zu würdigen.
Ich hätte mich gefreut, wenn wir heute zu Beginn der Debatte auch noch einmal die Ministerin hätten hören können. In der Tat: Prozesse, die Zeit brauchen, sollte man
sich noch einmal genauer anschauen.
({0})
Da geht es um Qualifizierung des Personals, das die Umstellung vornehmen muss. Da geht es um die Digitalisierung von Prozessen, um die technische Realisierbarkeit
und nicht zuletzt um die Klagefestigkeit. Denn keinem
Studierenden ist geholfen, wenn nachher der Studienplatz wieder kassiert werden muss. Auch diese Kriterien
müssen sichergestellt werden.
Aber, lieber Herr Schipanski, die vielen Millionen
Euro, die Sie hier für die Digitalisierungsstrategie angekündigt haben, sollten am Ende auch zum Teil in dieses
Verfahren einfließen, damit diese Ankündigung keine
Luftnummer bleibt.
({1})
Ich habe mir dann noch einmal angeschaut, lieber
Ralph Lenkert, was der Vorschlag der Linken ist, um Abhilfe zu schaffen. Ich musste es wirklich zweimal lesen
und in meinen Kalender schauen: Ihr Vorschlag ist, eine
neue Behörde zu schaffen.
({2})
So staatstragend habe ich die Linke selten erlebt.
({3})
Ich schaute in den Kalender und dachte: Der 1. April ist
doch erst am Samstag. Die Idee ist also, glaube ich, nicht
die beste.
({4})
Mich ärgert in der Tat, dass immer wieder vonseiten der
Opposition so getan wird, als würden wir nicht genug
tun, um Studienanfängerinnen oder Studierende, die ihr
Studium rechtzeitig absolvieren wollen, ausreichend zu
unterstützen. Auch das haben wir eben schon gehört:
9,9 Milliarden Euro stellen wir bis 2020 zur Verfügung.
({5})
Wer das für wenig Geld hält, der ist strukturblind,
({6})
und es ist mir dann egal, auf welchem Auge, ob auf dem
linken oder auf dem rechten.
({7})
Das ist einfach unzureichend und ungerechtfertigt in Anbetracht dieser hohen Summe.
({8})
Ja, es ist richtig: Wir haben noch eine Menge vor
uns. Ich freue mich darauf und hoffe, dass ich auch im
nächsten Bundestag wieder hier sitzen darf und dass wir
dann noch einmal die Chance haben, an Artikel 91b des
Grundgesetzes weiterzuarbeiten,
({9})
um das Grundgesetz in diese Richtung zu verändern und
die Studierenden im Sinne der sozialen Gerechtigkeit zu
unterstützen. Aber ein „anything goes“ wird es nicht geben, auch nicht mit absurden Ideen. Wenn es tatsächlich
um soziale Gerechtigkeit und um Studienplätze geht,
dann frage ich mich, warum in dem Ansatz, den ihr verfolgt, lieber Ralph Lenkert, nicht einmal die Fachhochschulen Erwähnung gefunden haben.
({10})
Denn das sind wirklich die Institutionen, die soziale Gerechtigkeit für Bildungspioniere garantieren und bei denen, wie gesagt, die Eintrittsschwelle niedrig ist. Das hätte doch zumindest einmal erwähnt werden dürfen. Das
hat mich wirklich geärgert.
({11})
Wenn ich mir anschaue, was hier im Hinblick auf Teilzeitstudiengänge gefordert wird, dann kann man, finde
ich, nicht einfach ignorieren, was die Länder, auf die ja
immer verwiesen wird, an erheblichen Anstrengungen
unternommen haben, sogar was die Unterstützung durch
BAföG angeht. Auch das wird völlig ausgeblendet.
Einen weiteren Punkt, der ausgeblendet wird, will ich
noch einmal erwähnen, weil ich das wirklich ärgerlich
finde. Da geht es um die Beratung von Schülerinnen und
Schülern. Da sollen möglichst viele Akteurinnen und
Akteure zusammenwirken. Warum schaut ihr denn nicht
einmal hin, was an den Hochschulen bereits stattfindet?
Es gibt Abimessen, die Vertreter der Hochschulen gehen
in die Schulen hinein und stehen zum Teil sogar auf den
Marktplätzen und werben für ihre Studiengänge. Was
sollen die denn noch tun? Irgendwann ist auch das saturiert, was die Hochschulen an der Stelle alles leisten können und sollen und warum geht es eigentlich nur um die
Schülerinnen und Schüler bis Sekundarstufe II? Was ist
denn eigentlich mit den beruflich Qualifizierten, die uns
doch eigentlich allen ans Herz gelegt werden? Sollen die
keine Ansprache finden? Da gibt es eine riesige Lücke.
Das hat mich wirklich gewundert. Insofern können wir
hier noch ein bisschen mehr tun.
Ich will noch einmal deutlich machen: 1,17 Milliarden Euro aus den BAföG-Mitteln sind verteilt worden.
Das mag unzureichend sein. Aber auch das ist nicht
nichts; das sollte man zur Kenntnis nehmen. An einem
Punkt - das will ich abschließend sagen - will ich versöhnlich sein. In der Tat: Was die Abschaffung der Studiengebühren und Studienbeiträge angeht, sind wir, glaube
ich, einer Meinung, und das ist auch gut. Niemand, der
ernsthaft das Thema „soziale Gerechtigkeit im Studium“
bedienen will, kann an einer Campusmaut festhalten.
Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({12})
Die Kollegin Katrin Albsteiger spricht jetzt für die
CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Tatsächlich ist es so: Im Antrag der Linken befinden sich altbekannte Forderungen,
die wir schon oft gehört und debattiert haben. Wie es oft
der Fall ist, hat sich an den Forderungen nichts geändert.
Ebenso hat sich an unserer Haltung zu diesen Forderungen nichts geändert. Wir werden sie ablehnen.
Auf drei Punkte möchte ich noch einmal genauer eingehen.
({0})
Vieles ist schon gesagt worden.
Ich konzentriere mich erstens auf das Thema BAföG,
das sich auch in diesem Antrag findet.
({1})
Tatsächlich ist es so: Um unabhängig vom sozialen Hintergrund ein Studium zu ermöglichen, haben wir schon
seit mehr als vier Jahrzehnten dieses sozialpolitisch
wichtige und richtige Instrument.
({2})
An dieser Stelle sind wir uns durch die Bank einig. Weil
es so richtig und wichtig ist, haben wir in dieser Legislaturperiode - man kann es nicht oft genug sagen - eine
riesige BAföG-Reform gemacht.
({3})
Es wurde viel Geld investiert, was den Bundeshaushalt
ganz schön belastet, aber tatsächlich - an dieser Stelle
darf ich das sagen - zu Recht belastet.
({4})
Wir haben nämlich in die Studierenden investiert. Wir
haben die Bedarfssätze und die Einkommensfreibeträge
erhöht, und wir haben von Bundesseite - das wissen wir
hier im Hause alle - die komplette Finanzierung übernommen. Das kostet uns jährlich über 1 Milliarde Euro.
Auf der anderen Seite entlastet es die Länder jährlich um
genau diesen Betrag. Das ist ein ganz schöner Batzen
Geld, den die Länder sinnvoll investieren können.
({5})
Bei der letzten BAföG-Debatte - ich glaube, es ist
gerade erst einmal drei Sitzungswochen her - habe ich
schon gesagt: Die Ausgaben für das BAföG im Bundeshaushalt haben sich in dieser Legislaturperiode massiv
erhöht, und zwar um zwei Drittel. Während wir 2014
noch 1,5 Milliarden Euro für das BAföG ausgegeben haben, haben wir für das Jahr 2017 schon 2,6 Milliarden
Euro eingeplant. Bei uns ist das Glas meistens halb voll,
bei der Opposition ist es im Gegensatz meistens halb leer,
deshalb sage ich: Wir haben das BAföG fast verdoppelt.
({6})
Das ist ganz schön viel, was der Haushalt verkraften
muss. Das muss man auch einmal sehen.
Hinzu kommt: Wir haben jetzt die alleinige Entscheidungshoheit darüber, ob wir die Bedarfssätze und die
Einkommensfreibeträge erhöhen. Selbstverständlich
wollen wir das auch. Aber das kann nur dann passieren,
wenn wir es auch finanzieren können. So leid es mir an
der Stelle tut - ich kann es immer nur wiederholen -: Es
ist in dieser Legislaturperiode nicht mehr möglich. Das
heißt aber selbstverständlich nicht, dass es in der nächsten nicht möglich sein wird. Wir wollen auch, dass das
BAföG familienfreundlicher gestaltet wird. Auch wir
haben Pläne, aber sie müssen verantwortungsvoll gegenüber der jüngeren Generation sein.
Mein zweiter Punkt. Im Zusammenhang mit Ihrer Forderung nach einem einheitlichen Bundeshochschulzulassungsgesetz - ein Zungenbrecher - sprechen Sie auch
den Zugang zum Medizinstudium an. Es wird kritisiert
bzw. dargestellt, dass der Numerus clausus ein Auswahlkriterium ist, das unter den Hochschulbewerbern stark
sozial selektiv ist. Ich stelle hier nicht infrage, dass die
Zahl stimmt. Das mag sogar sein. Ich stelle nur fest: Es
ist ja keine Begründung. Es ist nicht zwangsläufig so,
dass es der NC sein muss, der dafür zuständig oder dafür verantwortlich ist, dass es möglicherweise tatsächlich
mehr Studierende aus bessergestellten Familien gibt, die
ein Medizinstudium aufnehmen. Das hat nicht zwangsläufig etwas mit dem NC zu tun, zumindest lässt es sich
nicht beweisen. Das kann vielleicht auch daran liegen,
dass sich gerade diese jungen Leute dieses Studium zutrauen, weil sie mehr Erfahrungen bei diesem Thema haben, weil es beispielsweise in der Familie Ärzte gibt. Jedenfalls kann man nicht eindeutig darauf schließen, dass
es am NC liegt.
Dennoch sind wir uns wahrscheinlich einig, dass der
NC als alleiniges Auswahlkriterium auch bei der Zulassung zum Medizinstudium keine Aussage darüber trifft,
ob jemand ein guter oder schlechter Arzt wird. Genau
deswegen haben wir uns in den Verhandlungen über das
Medizinstudium 2020 dafür eingesetzt, dass wir auch andere Auswahlkriterien heranziehen. An dieser Stelle kann
man sich eine Menge Kriterien vorstellen. Viele werden
tatsächlich schon von der einen oder anderen Hochschule
berücksichtigt. Das ist absolut gut. Was aber gar nicht
geht, ist die Forderung aus Ihrem Antrag - wir können sie
nicht unterstützen -, die Zulassung beispielsweise zum
Medizinstudium für jeden, der will, zu gewährleisten,
und das auch noch gesetzlich garantiert und selbstverständlich innerhalb von zwei Jahren. Das geht nicht.
({7})
Was würde dann passieren? Man stelle es sich einfach
mal vor! Jeder von uns, der sich damit beschäftigt, weiß,
dass bei einem Medizinstudium die Zahl der Studienplatzbewerber zur Zahl der Studienplätze im Verhältnis
5 : 1 steht. Das bedeutet konkret: Wenn man Ihrem Antrag folgte, müssten wir die Zahl der Medizinstudienplätze, um für wirklich jeden eine Zulassung zu gewährleisten, verfünffachen.
Jetzt wissen wir, dass das Medizinstudium nicht das
günstigste Studium ist, und das im Übrigen zu Recht,
weil es qualitativ sehr gut ist. Es müsste dann so sein,
dass wir im ersten und zweiten Semester radikal aussieben. Man stelle sich mal vor, wie es zu bewältigen wäre,
wenn fünfmal so viele Medizinstudenten an unseren
deutschen Hochschulen wären. Dann müsste man aussieben, und zum Schluss hätten wir tatsächlich nur unzufriedene Studenten, frustrierte Eltern und im Übrigen
eine Opposition - da schließe ich uns sogar mit ein -,
die auch nicht zufrieden sein könnte. Warum nicht? Weil
wir zum Schluss Anträge von der Opposition diskutieren müssten, die sich darüber beklagen würde, wie sozial
selektiv denn das Aussieben an unseren deutschen Hochschulen wäre. Wir wären auch deswegen nicht zufrieden,
weil dann das Geld, das wir in diesen Bereich investieren
müssten, nicht mehr da wäre, um andere sinnvolle Instrumente im Bildungs- und Forschungsbereich auf den Weg
zu bringen und zu verbessern, geschweige denn für eine
ausreichende Finanzierung des BAföG.
({8})
Im Übrigen sind wir uns in einem Punkt einig - das
sage ich auch ganz deutlich -: Studienberatung und auch
Berufsberatung - darauf legen wir ganz besonderen
Wert - sind wichtig; das ist gar keine Frage. Selbstverständlich wollen wir, dass unsere Schüler darüber Bescheid wissen, welche Wege, welche Möglichkeiten es
gibt und was vor allem dahintersteckt. Ja, auch ich wünsche mir Mutmacher. Aber ich wünsche mir Mutmacher,
die nicht nur jemandem zum Studium antreiben - ich
wünsche mir auch Leute, die sagen, dass es kein Fehler
ist, eine berufliche Ausbildung aufzunehmen. Es ist nicht
alles verloren, wenn man zum Schluss nicht an einer Universität oder einer Fachhochschule landet; auch in der
beruflichen Ausbildung gibt es großartige Chancen.
({9})
Drittens. Sie fordern in Ihrem Antrag auch - ich zitiere - „unverzüglich eine Aufstockung und Verstetigung
des bestehenden Hochschulpaktes zu verhandeln“. Sie
wissen, dass wir da tatsächlich unterschiedlicher Meinung sind. Unserer Ansicht nach ist es eben nicht unsere
Aufgabe - die Aufgabe des Bundes -, uns Zuständigkeiten der Länder anzueignen, schon gar nicht langfristig.
Der Hochschulpakt wurde damals richtigerweise von den
Ländern und dem Bund entwickelt, um einer schwierigen Situation gerecht zu werden, in der viele Hochschulbewerber an die Universitäten, an die Fachhochschulen
gedrängt sind sowie die doppelten Abiturjahrgänge und
gleichzeitig die Aussetzung der Wehrpflicht zu bewältigen waren. Und der Schritt war richtig, er war auch notwendig. Wir haben als Bund zusätzliches Geld gegeben
und in dem Fall, obwohl wir nicht zuständig gewesen
sind, bewiesen, dass wir in schwierigen Zeiten Verantwortung übernehmen können und die Länder nicht alleinlassen. Aber es ist keine Entschuldigung und schon
gar keine Garantie dafür, auf Dauer die Übernahme von
so wichtigen Aufgaben der Länder durch den Bund zu
rechtfertigen.
Die Grundfinanzierung der Hochschulen ist eine Kernaufgabe der Bundesländer. Ja, auch wir möchten weiterhin helfen; aber wir setzen da weniger auf Quantität,
sondern mehr auf Qualität, und das ist auch richtig so.
Herzlichen Dank.
({10})
Zum Abschluss dieser Beratungen hat der Kollege
Oliver Kaczmarek für die SPD das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst eine Bemerkung zum Antrag machen und
da anknüpfen, wo auch Frau Albsteiger eingestiegen ist,
nämlich bei der Frage, ob der Numerus clausus wirklich ein zentrales Kriterium im Hinblick auf soziale Ungleichheit ist. Wenn Sie schreiben, dass sich der Numerus
clausus sozial selektiv auswirkt, was sich insbesondere
am Beispiel Medizin zeige, dann stelle ich mir die Frage:
Was heißt das denn ganz konkret?
({0})
Heißt das, dass tatsächlich mehr Arbeiterkinder Medizin
studierten, wenn wir den Numerus clausus abschafften?
Ich halte das für eine ziemlich oberflächliche Betrachtung sozialer Ungleichheit, gerade vor dem Hintergrund,
dass die erste Generation von Studierenden aus Arbeiterfamilien über Leistungen zu ihren besonderen Berufen
kamen, nämlich weil sie herausragende Abiturnoten erworben hatten.
Wer sich mit sozialer Ungleichheit, mit mehr Chancengleichheit und gleichen Zugängen zum Studium beschäftigt, der muss viel tiefer gehen, der darf sich doch
nicht mit solchen Oberflächlichkeiten aufhalten, der
muss sich um frühzeitige Studienorientierung kümmern,
der muss sich um eine gezielte Talentförderung - das
Talentscouting in Nordrhein-Westfalen ist gerade schon
angesprochen worden - kümmern, der muss sich um eine
Strategie gegen Verschuldungsangst kümmern, was gerade für Studierende der ersten Generation ein riesiges
Thema ist, und er muss natürlich dafür sorgen, dass Studiengebühren abgeschafft bleiben; das bleibt von zentraler Bedeutung, weil dieses Dogma von einigen Bundesländern aufgekündigt wird.
({1})
Insofern glaube ich: Man muss das alles genau betrachten, aber der Numerus clausus ist, wenn wir über soziale
Ungleichheit reden, allenfalls ein Thema, aber nur ein
Randthema und nicht so zentral, wie das in Ihrem Antrag
aufgebaut wird.
Kommen wir zur Betrachtung des gesamten Sachverhalts. Ich will an die zentralen Herausforderungen
anknüpfen. Wir, Bund und Länder gemeinsam, haben
enorme Anstrengungen unternommen, um abzusichern,
dass heute so viele Menschen wie noch nie ein Studium
beginnen können. Das ist eine enorme Kraftanstrengung.
Dazu hat natürlich beigetragen, dass wir 1998, als das
BAföG am Boden lag, eine Wende eingeleitet haben, die
tatsächlich von allen nachfolgenden Bundesregierungen
übernommen worden ist, und damit erweiterte Zugänge
zum Studium geschaffen haben. Dazu hat auch beigetragen, dass Bund und Länder Pakte beschlossen haben, wie
den Pakt für Forschung und Innovation, den Qualitätspakt Lehre und insbesondere den Hochschulpakt. Es waren enorme ideelle, aber auch finanzielle Anstrengungen,
die zu diesem Ergebnis geführt haben.
Ich glaube, dass sich die Ergebnisse insgesamt sehen
lassen können. Unser Wissenschaftssystem hat sich deutlich weiterentwickelt. Die Studienkapazitäten sind an die
steigende Nachfrage angepasst worden. Das ist insbesondere ein Verdienst des Hochschulpaktes.
({2})
Die Innovationskraft hat sich erhöht, insbesondere durch
die Möglichkeit, Profilbildung an Standorten durchzuführen, oder durch die strukturelle und strategische
Kooperation von Hochschulen und außeruniversitären
Forschungseinrichtungen. Außerdem ist der Forschungsund Wissenschaftsstandort Deutschland heute sehr viel
internationaler, als er das vor 20 Jahren noch war, und
zwar sowohl für Studierende als auch für Forscherinnen
und Forscher, und das nicht nur an wenigen Orten, sondern überall in Deutschland. Diese Weiterentwicklung in
den letzten 20 Jahren ist ein großes Verdienst des Hochschulsystems, das sich sehen lassen kann.
Es ist richtig: Die Pakte laufen aus. Wir werden uns
spätestens in der nächsten Wahlperiode mit der Frage
beschäftigen müssen, welchen finanziellen Beitrag der
Bund zur Weiterentwicklung des Hochschulsystems leisten will. Wir als SPD schlagen einen Zukunftsvertrag für
Wissenschaft und Forschung vor. Ich glaube, wir müssen
uns zwei zentralen Herausforderungen stellen.
Erstens. Ja, es ist so, die Studierendenzahlen bleiben
hoch. Die Annahme zu Beginn des Hochschulpaktes,
dass die Zahl nach einem Berg wieder abflachen würde,
hat sich nicht bestätigt und wird sich nach allen Prognosen auch nicht bestätigen. Es bleibt eine Herausforderung, allen Menschen, die eine Hochschulzugangsberechtigung erworben haben und studieren wollen, einen
Studienplatz zur Verfügung zu stellen. Das ist auf der
einen Seite eine Herausforderung für die Qualität der
Lehre, auf der anderen Seite aber auch für diejenigen, die
Lehre leisten müssen.
Zweitens. Es ist auch eine Herausforderung, gute Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft bei gleichbleibend
hohen Studierendenzahlen zu schaffen. Deshalb ist für
mich und für uns ganz wichtig: Der Bund muss zu seiner Verantwortung für ein ausreichendes Studienplatzangebot, für gute Lehre und für berechenbare Finanzierungsperspektiven der Hochschulen stehen. Die jetzigen
Hochschulpaktmittel müssen auch weiterhin zu großen
Teilen für gute Lehre und sichere Studienplatzfinanzierung in der Breite eingesetzt werden.
({3})
Wir führen jetzt in Bezug auf die Qualität eine Auseinandersetzung darüber - und es ist wichtig und gut, dass
man in Wahljahren die Alternativen gegenüberstellt -,
ob man sich auf Spitzenförderung allein bezieht, ob der
Bund weiterhin in der Verantwortung für vergleichbare
Lebensbedingungen steht und ob der Bund einen dauerhaften und verlässlichen Beitrag zur Grundfinanzierung
der Hochschulen leistet. Unser Qualitätsverständnis ist
da ein etwas anderes: Verlässliche Rahmenbedingungen
in der Breite lassen sich an guter Lehre ablesen. Nur so
ist eine gute Qualität in der Lehre gewährleistet. Wir sind
der festen Überzeugung: Wer den Beitrag des Bundes
zum Hochschulpakt aufkündigen will, der schwächt die
Qualität unseres Wissenschaftssystems. Das ist die Entscheidung, die bei den jetzt anstehenden Wahlen getroffen werden muss.
({4})
Eine kurze Anmerkung noch zum Thema „Zugang zu
den Hochschulen“. Ich glaube, dass wir weiterhin vor
Herausforderungen stehen werden. Herr Gehring hat es
angesprochen: Die Ungleichheit beim Zugang zu Hochschulen ist nach wie vor das größte bildungspolitische
Problem. Wir werden dazu das BAföG erweitern. Die
25. Novelle war ein guter Wurf, und wir werden auch
eine 26. und eine 27. Novelle verabschieden
({5})
und damit auf die neue Herausforderungen eingehen.
Aber es ist eben auch notwendig, auf die soziale Infrastruktur zu achten. Hierbei geht es um Mensen, um Beratung und um Betreuungsmöglichkeiten, um das Studieren mit Kind zu ermöglichen. Insbesondere geht es aber
auch um einen Beitrag zum studentischen Wohnen; denn
die Wohnbedingungen an attraktiven Studienstandorten
dürfen nicht zu sozialer Auslese führen. Da müssen wir
gegensteuern.
Es geht darum, dass wir für den Ausbau der Infrastruktur Geld in die Hand nehmen und die Zahl der Wohnheimplätze erhöhen. Wir stellen uns vor, dass der Bund
hierbei eine besondere Rolle übernimmt.
Ich komme zum Schluss. Die Wissenschaftsfinanzierung des Bundes muss in den entscheidenden
2020er-Jahren, also in der nächsten Wahlperiode, in eine
verlässliche Architektur überführt werden. Wir sind der
Meinung, der Bund muss die Gesamtverantwortung für
die Grundfinanzierung übernehmen und darf sich nicht
auf eine Nischenfinanzierung zurückziehen.
Herzlichen Dank.
({6})
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/11418 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Dagegen erhebt
sich kein Widerspruch. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a bis 12 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen
Drucksache 18/11133
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
({0})
Drucksachen 18/11727, 18/11733
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
Möhring, Sigrid Hupach, Matthias W.
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Gleichen Lohn für gleiche und gleichwer-
tige Arbeit für Frauen und Männer durch-
setzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-
Gemmeke, Ulle Schauws, Dr. Franziska
Brantner, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Frauen verdienen gleichen Lohn für gleiche
und gleichwertige Arbeit
Drucksachen 18/4321, 18/6550, 18/11727,
18/11733
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Ulle Schauws,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Frauen gerecht entlohnen und sicher beschäftigen
Drucksachen 18/847, 18/11641
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen
drei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vor. Über zwei dieser Änderungsanträge werden
wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Darüber besteht allgemeines Einverständnis.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin Frau Bundesministerin Manuela Schwesig das
Wort.
({3})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Gäste! Es ist heute ein guter Tag.
Ich freue mich, dass wir den Entwurf eines Gesetzes für
mehr Lohngerechtigkeit, für gleichen Lohn für gleiche
und gleichwertige Arbeit für Frauen und Männer beschließen, den Entwurf des sogenannten Entgelttransparenzgesetzes.
Wir haben lange über diesen Gesetzentwurf diskutiert:
in der Koalition, mit Frauenverbänden, mit Vertretern der
Wirtschaft, mit Tarifpartnern. Diskussion gehört in der
Politik dazu; aber man muss auch zum Abschluss kommen und gemeinsam handeln. Ich bin sehr froh, dass
wir gemeinsam zu einem guten Ergebnis gekommen
sind. Wir zeigen damit, dass wir den Auftrag aus Artikel 3 Absatz 2 unseres Grundgesetzes ernst nehmen. Das
Grundgesetz verpflichtet uns, die Gleichberechtigung
von Frauen und Männern durchzusetzen und bestehende Nachteile zu beseitigen. Meine sehr geehrten Damen
und Herren, solange es eine Lohnlücke zwischen Frauen
und Männern in Deutschland von 21 Prozent gibt, besteht Handlungsbedarf. Wir müssen etwas tun. Deshalb
brauchen wir dieses Gesetz.
({0})
Wie jedes Jahr haben sich auch in diesem Jahr viele an
den Demonstrationen anlässlich des Equal Pay Day beteiligt und gegen die Lohnlücke protestiert, weil es eine
Frage der Gerechtigkeit ist, dass Frauen in Deutschland
genauso fair bezahlt werden wie Männer. Nicht mehr für
gleiche und gleichwertige Arbeit, aber eben auch nicht
weniger - darum geht es.
({1})
In der Diskussion wurden oft solche Fragen gestellt:
Gibt es die Lohnlücke überhaupt? Sind die Frauen nicht
selbst schuld, wenn sie einen anderen Beruf haben als
die Männer, wenn sie in Teilzeit arbeiten, wenn sie nicht
gut verhandeln? Meine sehr geehrten Damen und Herren,
das ist das Typische in Deutschland. Ich meine, wenn es
seit Jahrzehnten eine feste, strukturelle Lohnlücke zum
Nachteil von Frauen gibt, die regelrecht manifestiert ist diese Lohnlücke von 21 Prozent führt, egal wie schön
man sie sich rechnet, im Lebensverlauf von Frauen sogar
zu einer Einkommensdifferenz von 50 Prozent -, dann
kann man nicht sagen: Es ist alles gut.
Ich möchte mich an die wenden, die es immer noch
nicht begriffen haben: Wenn es diese Lohnlücke gibt, obwohl Frauen in Deutschland genauso gut ausgebildet sind
wie Männer, obwohl Frauen 80 Prozent der Arbeit für
Kinder und Pflegebedürftige in unserem Land übernehmen, obwohl viele Frauen Berufe haben, in denen sie eigentlich schon längst besser verdienen müssten, obwohl
gerade Frauen soziale Berufe ausüben, dann können wir
nicht sagen: „Die Frauen sind schuld an der Lohnlücke“,
sondern dann müssen wir das Problem ernst nehmen und
gemeinsam handeln. Wer das Bestehen dieser Lohnlücke nicht akzeptiert und sie immer wieder kleinreden
will, der nimmt die Lebenswirklichkeit von Frauen nicht
ernst. Damit muss Schluss sein.
({2})
Deshalb haben wir in der Großen Koalition es uns in
dieser Legislaturperiode zur Aufgabe gemacht, gegen die
verschiedenen Ursachen dieser Lohnlücke vorzugehen.
Nur weil man diese Lohnlücke erklären kann, heißt das
noch lange nicht, dass die Ursachen dafür gerechtfertigt
sind. Zum Beispiel haben viele Frauen weniger Chancen,
länger arbeiten zu gehen, weil die entsprechende Infrastruktur, zum Beispiel Kitaplätze oder Ganztagsschulen,
fehlt. Deshalb haben wir Gelder für den Kitaausbau und
die Ganztagsschulen bereitgestellt. Deswegen haben wir
das Elterngeld Plus auf den Weg gebracht. Damit wollen
wir bewirken, dass nicht immer nur die Frauen für die
Kinder da sind. Auch die Väter, die das wollen, werden
dadurch unterstützt.
({3})
Wir haben das Gesetz für mehr Frauen in Führungspositionen vorangebracht, damit mehr Frauen in Toppositionen kommen und dort über Arbeits- und Lohnbedingungen von Frauen mitentscheiden.
({4})
Wir haben viele strukturelle Gesetze auf den Weg
gebracht, die sozusagen indirekt eine Verringerung der
Lohnlücke bewirken. Aber bisher fehlt Transparenz bei
der Lohnfindung. Immer wieder bekommen Frauen den
Vorwurf zu hören: Dann müsst ihr besser verhandeln. Wie kann ich denn gut verhandeln, wenn ich gar keine
Vergleichsgröße habe,
({5})
wenn die Lohnfindung in großen Teilen eine Blackbox
ist? Deshalb muss mit dem Tabu „Über Geld spricht man
nicht“ Schluss sein. Wir brauchen mehr Transparenz bei
der Lohnfindung. Frauen und Männer in Unternehmen
und im öffentlichen Dienst müssen sich sicher sein, dass
sie fair bezahlt werden. Darum geht es in diesem Gesetz.
({6})
Wir schreiben den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“ für alle fest. Wir fordern
große Unternehmen auf, sich mit den vielschichtigen Ursachen der Lohnlücke auseinanderzusetzen. Das betrifft
auch den öffentlichen Dienst.
({7})
Wir wollen, dass in Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein Auskunftsanspruch
eingeführt wird, damit man sich mit einer Gruppe, die
den gleichen Job macht, die gleichwertige Arbeit macht,
vergleichen kann. So kann man feststellen, ob man fair
bezahlt wird. Wenn es Unstimmigkeiten gibt, hat man
oder eben auch Frau die Möglichkeit, dies zum Beispiel
gemeinsam mit dem Betriebsrat oder mit dem Arbeitgeber zum Thema zu machen und notfalls auch zu klagen.
Alle Frauen, die in diesem Land erfolgreich gegen Lohnunterschiede geklagt haben, hatten ihre Info über diese
Lohnunterschiede oft nur durch Zufall. Damit, dass so
etwas nur durch Zufall bekannt wird, muss Schluss sein.
Frauen und Männer bekommen mit diesem Gesetz das
Recht auf mehr Transparenz. Darum geht es.
({8})
Es gab viele Diskussionen und auch den typischen
Vorwurf, das sei viel zu viel Bürokratie. Dazu muss ich
ganz ehrlich sagen: Es nervt in diesem Land, dass immer
dann, wenn Rechte von Frauen durchgesetzt werden sollen, die Leute um die Ecke kommen und sagen, das sei
ihnen viel zu viel Bürokratie. Es wird Zeit, dass sich die
Gegner ehrlich machen und sagen: Wir wollen das einfach nicht. - Lohntransparenz ist keine Bürokratie, sondern führt auch in den Unternehmen zu mehr Zufriedenheit. Das sagt Christina Boll, die Forschungsdirektorin
des Hamburgischen WeltWirtschaftsinstitutes. Sie sagte
in der Anhörung: Transparenz ist gut für die Gleichstellung in unserer Arbeitswelt, und sie ist ökonomisch sinnvoll.
Ich möchte mich ganz herzlich bei meiner Fraktion
bedanken,
({9})
die dieses Gesetz von Anfang an zu hundert Prozent unterstützt hat. Ich möchte mich aber auch bei den Kolleginnen und Kollegen in den Reihen des Koalitionspartners
bedanken, die gesagt haben: Wir haben diesen Kompromiss in schweren und zähen Verhandlungen gefunden.
Diesen ziehen wir heute gemeinsam durch. - Herzlichen
Dank an die Frauen und Männer in der Unionsfraktion,
die sich dafür eingesetzt haben.
({10})
Es ist wichtig, dass die Frauen in unserem Land, die
hart arbeiten, oft in Jobs, in denen es zu wenig Geld
gibt, zum Beispiel in der Pflege, dass die Frauen, die
zum Beispiel in MINT-Berufen und in der IT-Branche
arbeiten, die genauso gut sind wie Männer, aber immer
noch schlechter bezahlt werden, und dass die Frauen,
die ungewollt in Teilzeit sind, von der Politik Rückendeckung und die Botschaft bekommen: Wir nehmen eure
Lebenslage ernst. Wir wollen, dass ihr Frauen genauso
fair bezahlt werdet wie Männer. - Das ist eine Frage, die
nicht nur Frauen betrifft, sondern auch Männer. Denn
kein Mann kann wollen, dass seine Partnerin schlechter
bezahlt wird, nur weil sie eine Frau ist. Kein Vater kann
wollen, dass seine Tochter schlechter bezahlt wird, nur
weil sie ein Mädchen ist.
Deshalb herzlichen Dank an alle Frauen und Männer,
die gemeinsam für Gleichberechtigung kämpfen und dafür sorgen, dass wir endlich vorankommen, um die Lohnlücke von 21 Prozent zu verkleinern.
({11})
Vielen Dank, Manuela Schwesig. - Ihnen einen schönen Nachmittag von mir. - Weiter geht es mit Sabine
Zimmermann für die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was haben
Deutschland, Estland, die Tschechische Republik und
Österreich gemeinsam? Ich sage es Ihnen: In diesen
Staaten ist der Verdienstabstand von Frauen zu Männern
besonders groß. In Deutschland verdienen Frauen - die
Ministerin hat es gesagt - 21 Prozent weniger als Männer. 21 Prozent bedeuten bei einem Männerverdienst von
3 000 Euro, dass frau 630 Euro weniger hat.
({0})
630 Euro - das ist eine Menge Geld, und dabei reden wir
nur vom Durchschnitt. Das lässt sich auch nicht schönreden. Das ist aus unserer Sicht einfach nur ungerecht.
({1})
Ein sehr beliebtes Argument lautet: Frauen arbeiten
vermehrt in Branchen, in denen schlecht bezahlt wird. Das ist einfach nur falsch. Frauen gehen doch nicht bevorzugt dorthin, wo Löhne am niedrigsten sind, sondern
vielmehr wird dort, wo überwiegend Frauen arbeiten,
schlechter bezahlt. Das ist die Wahrheit, und das muss
sich verändern.
({2})
Auch der internationale Vergleich zeigt deutlich,
wie sehr solche Beschönigungen danebenliegen. In der
gesamten EU beträgt der Verdienstabstand zwischen
Männern und Frauen 16 Prozent. Deutschland liegt mit
21 Prozent 5 Prozentpunkte darüber. Nur in Estland ist
der Abstand noch größer. In Luxemburg, Italien, Belgien
und Polen sind es dagegen nur 6 bis 8 Prozent.
Um 4 Euro liegt der Stundenlohn von Frauen im
Schnitt unter dem von Männern. Jede zweite sozialversicherungspflichtig beschäftigte Frau arbeitet in Teilzeit und nicht immer freiwillig.
({3})
Bei den Männern ist es nur jeder zehnte. 27 Prozent aller
Frauen arbeiten im Niedriglohnsektor. Bei den Männern
sind es halb so viele. Das zeigt deutlich: Frauen werden
in Deutschland am Arbeitsmarkt massiv benachteiligt.
Damit muss Schluss sein.
({4})
Dass eine Benachteiligung der Frauen beim Entgelt
besteht, erkennt nun auch die Bundesregierung. Nur wird
Ihr Gesetzentwurf, Frau Ministerin, an den Verhältnissen
nichts ändern. Sie betreiben eine reine Alibipolitik. Denn
die Frage ist doch, was ein Auskunftsanspruch und die
Aufforderung zur Durchführung von Prüfverfahren überhaupt bringen werden.
({5})
- Genau. - Das nur auf Betriebe mit mehr als 200 Beschäftigten zu begrenzen, schließt doch aber von vornherein viele Frauen aus. Das, meine Damen und Herren, ist
doch das Ungerechte daran.
Außerdem werden viele Frauen ihren Auskunftsanspruch gar nicht erst nutzen; denn sie haben Angst, ihr
Arbeitsverhältnis zu gefährden. Wer es dennoch tut,
müsste den nicht einsichtigen Arbeitgeber mit einer Klage belegen. Davor schrecken natürlich die meisten Frauen zurück, und das ist auch verständlich. Da müssen wir
sie unterstützen.
({6})
Mit Ihrem Gesetzesentwurf, Frau Ministerin, unterstützen Sie die Frauen nicht im Kampf um gleiche Löhne
bei gleicher und gleichwertiger Arbeit, sondern Sie verlagern Ihre Verantwortung als Bundesregierung allein
auf die einzelne Frau im Unternehmen. Das kann es doch
nicht sein. Das verschärft doch die Situation der Frauen
dort. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.
({7})
Wirklich notwendig, um die Diskriminierung von
Frauen zu beenden, ist: ein Verbandsklagerecht, damit
Frauen nicht allein auf sich gestellt sind, ein Auskunftsrecht für alle Beschäftigten in allen Betrieben und eine
Aufwertung frauentypischer Beschäftigung. Das ist notwendig, und das fordern wir.
({8})
Aber letztlich liegt das Problem doch viel tiefer. Immer weniger Unternehmen sind tarifgebunden. Niedriglöhne, befristete und prekäre Beschäftigung und fehlende
soziale Absicherung, gerade im Falle von Erwerbslosigkeit - übrigens sind das alles natürlich Auswirkungen der
Agenda 2010, meine Damen und Herren -, nehmen den
Beschäftigten auch den Mut und die Chance, sich gegen
ungerechte Arbeitsbedingungen zu wehren. Auch davon
sind viele Frauen bzw. überdurchschnittlich Frauen betroffen.
Die Linke steht für eine Politik, die den Gewerkschaften wieder Kraft gibt, berechtigte Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchzusetzen, und
nicht für eine Alibipolitik, wie sie hier betrieben wird.
Eine echte Gleichstellung - das muss ich immer wieder
sagen - geht nur mit einer starken Linken.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Vielen Dank, Sabine Zimmermann. - Nächste Rednerin: Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist nicht
nur eine Selbstverständlichkeit, sondern es ist auch gesetzlich geregelt, dass Frauen und Männer für die gleiche
Arbeit den gleichen Lohn erhalten müssen. Dass das aber
in der Realität nicht immer der Fall ist, zeigen einige Beispiele, die wir aus den Medien zur Genüge kennen. Da ist
zum Beispiel die Firma Birkenstock, die ihren weiblichen
Angestellten über Jahre hinweg mehr als 1 Euro weniger
pro Stunde bezahlt hat als ihren männlichen Kollegen.
Wenn man das einmal summiert, kommt man bei einer
40-Stunden-Woche in fünf Jahren auf über 10 000 Euro
Lohnunterschied. Das kann ja wohl nicht sein.
({0})
Aber das hat die Firma - zur Ehrenrettung muss man das
sagen - glücklicherweise längst geändert. Das war auch
dringend notwendig.
In den Medien wird auch oft die Tischlermeisterin
Edeltraud Walla genannt, die von ihrem Arbeitgeber
monatlich 1 200 Euro weniger Bruttogehalt bekommen
hat und deshalb vor Gericht gezogen ist. Auch ich kenne
es, dass Berufseinsteigerinnen trotz der gleichen Qualifikation weniger Einstiegsgehalt bekommen als ihre
männlichen Kollegen. Diese Beispiele zeigen, dass wir
Maßnahmen brauchen, um das Gebot „Gleicher Lohn für
gleiche Arbeit“ wirksamer umzusetzen. Heute beschließen wir eine davon.
Klar ist: Auch mit diesem Gesetz werden wir nicht auf
Knopfdruck Lohngerechtigkeit herstellen.
({1})
Was wir aber heute schaffen, ist die Möglichkeit für
Frauen, zu beweisen, dass es in ihrem Unternehmen eine
ungleiche und ungerechtfertigte Bezahlung gibt, und dagegen vorzugehen. Wenn eine Frau ahnt, dass ihre männlichen Kollegen in gleicher Position und Verantwortung
mehr verdienen als sie, dann hat sie mit dem heutigen
Gesetz nun einen Auskunftsanspruch. Damit kann sie
Transparenz einfordern.
({2})
Sie erfährt, warum sie wie bezahlt wird, und sie kann
auch erfahren, wie viel eine vergleichbare Gruppe im
Schnitt verdient.
Verdient sie weniger und gibt es keinen sachlichen
Grund dafür, handelt es sich um Diskriminierung. Dann
kann sie bei ihrem Arbeitgeber einen gerechten Lohn einfordern - wenn er diesem Anspruch nicht nachkommt,
natürlich auch vor Gericht.
({3})
Das ist ein großer Fortschritt. Denn Lohndiskriminierung
aufgrund des Geschlechts darf es in unserem Land nicht
geben. Sie muss aufgedeckt und beseitigt werden.
({4})
Sabine Zimmermann ({5})
Gleichzeitig werden die Unternehmen mit diesem Gesetz aufgefordert, Prüfverfahren durchzuführen. Auch
dies ist eine wichtige Maßnahme. Viele von Ihnen kennen ja Prüfverfahren wie Logib-D oder eg-check. Das
sind bewährte Verfahren, um die Entgeltstrukturen in den
Unternehmen zu überprüfen und Rückschlüsse darauf zu
ziehen, ob es Unterschiede zwischen den Geschlechtern
gibt.
Bei mir vor Ort macht ein Unternehmen das schon
sehr lange, und zwar die Marienhausklinik. Ich habe mir
das auch schon einmal selbst angesehen; das ist sehr zu
empfehlen.
Der positive Effekt dieser Prüfverfahren ist, dass es
im Unternehmen regelmäßig eine Diskussion darüber gibt, ob denn für Frauen und Männer gute Chancen
und Möglichkeiten im Unternehmen bestehen und was
man verbessern kann. Dabei kommen automatisch auch
Fragestellungen wie Flexibilität, Kinderbetreuung, Aufstiegschancen, Weiterbildungsmöglichkeiten, Karrieremöglichkeiten und vieles mehr zur Sprache. Genau das
ist es doch, was wir brauchen. Wir brauchen diese Diskussionen, um die strukturellen Probleme zu lösen und
weite Teile der Lohnlücke zu schließen, nämlich die etwa
6 Prozent, die man nicht erklären kann - deshalb führen
wir jetzt den Auskunftsanspruch ein -, und die 15 Prozent, die man dadurch erklären kann, dass Frauen öfter in
Teilzeit arbeiten, öfter aus dem Beruf aussteigen und auf
der Karriereleiter nicht nach oben kommen.
Wir haben gerade in dieser und auch in den vergangenen beiden Legislaturperioden sehr vieles gemacht teilweise zusammen mit Ihnen von der SPD, aber eben
auch in der Koalition, die es dazwischen gab -, damit die
Gleichberechtigung von Frauen und Männern gestärkt
wird, damit es eine bessere Vereinbarkeit von Familie
und Beruf gibt, damit es mehr Partnerschaftlichkeit gibt
und damit Frauen bessere Aufstiegschancen in den Unternehmen haben. Ich erinnere nur an den Kitaausbau, an
das Thema „Frauen in Führungspositionen“ und an das
Elterngeld, das wir in dieser Legislaturperiode mit dem
Elterngeld Plus noch einmal flexibler gemacht haben.
({6})
Wir haben also viel getan, um die Lohnlücke - sowohl
die bereinigte als auch die unbereinigte Lohnlücke - zu
schließen, und ich sage ganz ausdrücklich: Beide Teile
der Lohnlücke sind ein Problem; denn im Alter entwickelt sich die Lohnlücke von 21 Prozent zu einer Rentenlücke, die wesentlich größer ist. Das ist tatsächlich problematisch; denn das ist natürlich ein wichtiger Grund für
die Altersarmut von Frauen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir verabschieden
den Gesetzentwurf heute so, wie er von Frau Schwesig in
den Bundestag eingebracht wurde.
({7})
Das ist ja ziemlich ungewöhnlich, weil es nach dem
Struck’schen Gesetz eigentlich immer Veränderungen
gibt.
Natürlich gibt es viele Wünsche - auch in unserer
Fraktion -, das will ich gar nicht verhehlen. Auf der einen Seite sind die Wirtschaftspolitiker, die sagen: Das ist
eine Belastung für Unternehmen - das kann man ja auch
nicht bestreiten -,
({8})
und das ist zu bürokratisch. Auf der anderen Seite sind
die Frauen, die sagen: Eigentlich ist uns das zu wenig;
wir hätten gerne mehr gehabt.
({9})
An dieser Stelle will ich gerne sagen, dass auch das
Wahlprogramm der Unionsfraktion das Thema „Gleicher
Lohn für gleiche Arbeit“ enthält und dass das Thema
Lohngerechtigkeit auch uns ein Herzensanliegen ist.
({10})
Deshalb wurden gerade von der Unionsfraktion diese
und viele weitere Maßnahmen immer vorangetrieben
und haben wir sehr dafür gekämpft.
({11})
Wir haben uns mit dem Koalitionspartner dazu entschlossen, den Gesetzentwurf jetzt so zu verabschieden,
wie er von Frau Schwesig eingebracht wurde.
({12})
Im Vorlauf gab es einen mühsam ausgehandelten Kompromiss zwischen dem Ministerium und den Sozialpartnern. Das war vielleicht ein ungewöhnliches Verfahren,
aber es trägt dazu bei, dass es einen Mittelweg zwischen
den Anliegen der Sozialpartner - ich sage ausdrücklich:
sowohl der Arbeitgeberverbände als auch der Gewerkschaften - gibt.
Deshalb bin ich froh, dass wir mit dem heutigen Gesetzentwurf einen deutlichen Schritt nach vorne hin zu
mehr Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen
machen. Wir werden die Lohnlücke mit diesem Gesetz
nicht beseitigen, aber wir geben den Frauen damit Werkzeuge an die Hand, mit denen sie dagegen vorgehen können.
({13})
Herzlichen Dank an alle, die uns in den letzten Wochen auf diesem Weg begleitet haben und diesen Gesetzentwurf heute mit uns verabschieden.
({14})
Vielen Dank, Nadine Schön. - Nächste Rednerin: Ulle
Schauws für Bündnis 90/Die Grünen.
Nadine Schön ({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kollegin Schön, Sie haben gerade gesagt,
dass Sie die Lohnlücke mit diesem Gesetz nicht beseitigen werden. Das stimmt.
Die Große Koalition will heute ein Gesetz beschließen lassen, das eigentlich für mehr Lohngerechtigkeit für
Frauen sorgen sollte. Es sollte eigentlich den ungerechten Gender Pay Gap von 21 Prozent in unserem Land
effizient angehen, und die Frauen sollten von Ihnen eigentlich ein wirksames Gesetz erwarten können.
Mit dem Gesetz, mit dem Sie hier heute antreten auch Sie, Frau Ministerin -, verfehlen Sie alle Ziele, die
Sie zu Beginn angekündigt haben.
({0})
Dieses Gesetz schafft keine Entgeltgleichheit. Es sorgt
noch nicht einmal für eine wirkungsvolle Transparenz.
Nein, Sie versuchen hier, ein Gesetz schönzureden, das
wie eine bunt schillernde Seifenblase ist. Wenn man einmal dranstupst, dann zerplatzt sie und dann zeigt sich,
was dahintersteckt, nämlich leider eine Luftnummer.
({1})
Ich will Ihnen auch genau sagen, warum wir Grüne
das so kritisieren: Realistisch ist, dass die allermeisten
Frauen mit diesem Gesetz in Bezug auf das Auskunftsrecht schlicht nicht erreicht werden. Es wird eben für Betriebe ab 200 Beschäftigte gelten, und die meisten Frauen
arbeiten in kleinen oder mittleren Betrieben. Für sie wird
dieses Gesetz einfach nicht gelten. Wenn 60 Prozent der
Frauen nicht erreicht werden, dann ist dieses Gesetz, mit
Verlaub, nicht wirkungsvoll. Im Gegenteil: Es ist ein fatales Signal für die Frauen in diesem Land.
({2})
Wenn Ihr Kanzlerkandidat Schulz, liebe SPD-Fraktion, am Wochenende, kurz vor der Verabschiedung des
vorliegenden Gesetzes, erklärt, er wolle „die Abschaffung einer der größten Ungerechtigkeiten“, nämlich die,
dass Frauen für gleiche Arbeit weniger als Männer verdienen, nach der Wahl sofort angehen, dann muss man
einmal ernsthaft fragen: Was gilt denn nun? Haben Sie
von der SPD bei diesem Gesetz die Federführung, oder
haben Sie sie nicht? Es gehört eine Menge Chuzpe dazu,
auf der einen Seite von der Abschaffung einer der größten Ungerechtigkeiten zu sprechen und auf der anderen
Seite so ein mickriges Gesetz vorzulegen.
({3})
Nein, meine Damen und Herren, ich sage ganz klar:
Das passt nicht zusammen. Das zeigt: Sie meinen es mit
der Lohngerechtigkeit nicht wirklich ernst. Das lassen
wir Ihnen nicht durchgehen. Entgeltgleichheit muss für
alle Frauen gelten. Deshalb hat meine Fraktion einen Änderungsantrag vorgelegt, der einen Auskunftsanspruch
für Frauen in Unternehmen ab zehn Beschäftigten vorsieht. Nur so werden Frauen wirklich erreicht.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, Ihre Annahme, dass dieses Gesetz wenigstens ein erster Schritt hin zu mehr Entgeltgleichheit sei,
stimmt einfach nicht. Sie haben das Gesetz in den letzten
Monaten Ihrer Verhandlungen in den wesentlichen Punkten völlig entkernt. Im ersten Referentenentwurf vom
Dezember 2015 war noch die Verpflichtung zur betrieblichen Prüfung drin. Es war auch noch drin: die Anwendung zertifizierter Prüfverfahren. Diese Kernbestandteile
zur Beseitigung von Entgeltdiskriminierung haben die
Union und die Wirtschaft rausgekickt.
Übrig geblieben ist nur noch die Aufforderung zur
Durchführung von Prüfverfahren.
Der individuelle Auskunftsanspruch ist in der nun
vorgesehenen Ausgestaltung nichts wert.
So hat es der djb in der öffentlichen Anhörung auf den
Punkt gebracht. Ich sage vor allem in Richtung Union:
Das Gesetz ist so mickrig, dass es peinlich ist.
({5})
Meine Damen und Herren, noch einmal: Was Sie hier
machen, ist, dass Sie den Frauen etwas vorgaukeln.
({6})
Sie reden über vermeintlich wirksame Instrumente zur
Erlangung von Lohngleichheit, obwohl Sie nichts vorzuweisen haben. Deshalb haben wir Grünen einen weiteren Änderungsantrag zur Prüfpflicht und zu zertifizierten
Verfahren heute eingebracht. Gerade Sie, Frau Ministerin, wissen doch von dem Quotengesetz, das Sie eben
erwähnt haben, dass unverbindliche Vorgaben bei der
Wirtschaft zu nichts führen. Erst kürzlich haben Sie eine
Verschärfung für die nächste Wahlperiode angedroht.
Seien Sie doch wenigstens hierbei ehrlich! Oder besser
noch: Stimmen Sie unseren Anträgen zu!
({7})
Meine Damen und Herren, was nutzt es letztlich Frauen, wenn sie wissen, dass sie für die gleiche oder gleichwertige Arbeit weniger Lohn bekommen, ihnen aber
wirksame Instrumente zur Durchsetzung von Lohngerechtigkeit fehlen? Da bieten Sie nichts. Da ist Ihr Gesetz
blank.
({8})
Wir fordern daher in einem dritten Änderungsantrag
die Einführung des so wichtigen Verbandsklagerechts.
Diese Einschätzung haben die Sachverständigen in der
Anhörung, insbesondere der Deutsche Juristinnenbund,
der DGB und der Katholische Deutsche Frauenbund, voll
geteilt; denn nur so gibt es eine wirkliche Chance, vor allem gegen strukturelle Entgeltdiskriminierung vorzugehen. Frauen sind dann nicht alleine auf den risikoreichen
individuellen Klageweg angewiesen. Ich sage ganz klar:
Es muss um die Stärkung von Frauen gehen. Da können
wir von Ihnen mehr erwarten.
({9})
Ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren,
dieses Gesetz ist kein Grund zum Feiern, vor allem nicht
für die vielen Frauen, die jahrelang für die Beseitigung
dieser ungerechten Lohnlücke gekämpft haben. Ich appelliere an Sie alle: Hören Sie auf, Frauen etwas vorzugaukeln! Hören Sie auf, Seifenblasen zu produzieren!
Stimmen Sie unseren Änderungsanträgen zu! Lassen Sie
uns gemeinsam Nägel mit Köpfen machen - für echte
Entgeltgleichheit und Fairness für alle Frauen.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank, Ulle Schauws. - Die nächste Rednerin:
Dr. Carola Reimann für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir beschließen jetzt ein wichtiges Gesetz. Mit
dem Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen werden wir dazu beitragen, das Gebot „Gleicher Lohn für gleiche bzw. gleichwertige Arbeit“ endlich
auch in der Praxis umzusetzen. Wir knüpfen damit an
eine ganze Reihe von Maßnahmen an, die wir in dieser
Legislaturperiode auf den Weg gebracht haben, Maßnahmen, mit denen wir der Diskriminierung von Frauen
am Arbeitsmarkt den Kampf angesagt haben. Dazu zählt
der Mindestlohn, von dem vor allem Frauen profitieren.
Auch zählt die Frauenquote dazu, die dafür sorgt, dass
Frauen besser in Führungspositionen aufsteigen können.
Und dazu gehören auch Maßnahmen, die eine bessere
Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen, wie
Elterngeld Plus und Kitaausbau.
({0})
Ja, die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern hat
verschiedene Gründe. Deshalb setzen wir auch an ganz
verschiedenen Stellen an. Das Ziel ist aber immer das
gleiche: gleicher Job - gleiche Leistung - gleiches Geld,
für Frauen und Männer. Das muss in Deutschland endlich eine Selbstverständlichkeit sein.
({1})
Mit dem Gesetz machen wir, Kolleginnen und Kollegen, einen nächsten wichtigen Schritt. Wir gehen nämlich ein lange bestehendes gesellschaftliches Tabu an:
Über Geld spricht man nicht. Wer kennt nicht diese sehr
typisch deutsche Redewendung? Sie wird nicht nur häufig verwendet, nein, fast alle halten sich auch daran. Sie
reden nicht über ihr Erspartes, sie reden nicht über den
Preis des letzten Urlaubs, und schon gar nicht reden sie
über das eigene Gehalt. Vielen ist das gar nicht bewusst.
Aber dieses Tabu bzw. diese Verschwiegenheit hat gravierende Folgen, vor allem für Frauen.
Viele Frauen wissen gar nicht, dass sie schlechter bezahlt werden. Genau hier setzt die Stärke des Gesetzes
an. Es setzt nämlich auf Transparenz. Mit dem individuellen Auskunftsanspruch, mit der Berichtspflicht und mit
der Aufforderung zu Prüfverfahren leistet es einen Beitrag, um Lohnstrukturen und Lohnfindung transparent zu
machen.
({2})
Faire Bezahlung von Frauen und Männern beginnt mit
Transparenz. Und dafür steht dieses Gesetz.
Kolleginnen und Kollegen, gleicher Lohn für gleiche
Arbeit, das ist eine Frage der Gerechtigkeit - aber nicht
nur. Es ist auch ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft.
Wir haben diese Diskussion - auch bei der Quote - ja
schon oft geführt. Chancengleichheit, Offenheit und
Transparenz sind keine Hindernisse für wirtschaftlichen
Erfolg, sondern Grundvoraussetzungen dafür. Ich bin
fest davon überzeugt: Den Wettbewerb um die besten
Fachkräfte wird nur der gewinnen, der eine offene und
wertschätzende Unternehmenskultur hat.
({3})
Es wird höchste Zeit, dass sich Gleichberechtigung
endlich auch auf dem Lohnzettel widerspiegelt.
({4})
Seit zehn Jahren weist der Equal Pay Day auf die bestehende Lohnlücke hin. Ich will, dass dieser Tag nicht im
März und nicht im Februar, sondern gleich am 1. Januar
zu feiern ist.
({5})
Dann haben wir unser Ziel erreicht, ein Ziel, für das sich
ganz viele Frauen seit vielen Jahren einsetzen. Denen gebührt mein besonderer Dank; denn ohne sie wären wir
nicht da, wo wir heute stehen.
({6})
- Genau.
({7})
Großer Dank an all diejenigen, die da mitgeholfen haben.
Ich will, dass die ungleiche Bezahlung von Frauen und
Männern möglichst bald der Vergangenheit angehört.
Deshalb ist dieses Thema für die SPD-Bundestagsfraktion noch lange nicht abgeschlossen. Wir wollen durchaus
noch eine Schippe drauflegen - beim Auskunftsrecht, bei
der Berichtspflicht und auch bei den verpflichtenden und
zertifizierten Prüfverfahren.
Zu Beginn habe ich darauf hingewiesen, dass wir zur
Bekämpfung der Lohnlücke an verschiedenen Stellen
ansetzen müssen. Gestern Abend hatten CDU und CSU
die Möglichkeit, einer weiteren wichtigen Verbesserung
für Frauen am Arbeitsmarkt zuzustimmen - nämlich dem
Rückkehrrecht von Teilzeitarbeit in die vorherige Arbeitszeit.
({8})
Diese wichtige Verbesserung für Frauen haben Sie gestern im Koalitionsausschuss verhindert. Ich bedaure das
sehr - genauso wie die vielen Frauen, die in diesem Land
in der Teilzeitfalle feststecken. Denn auch das Rückkehrrecht in Vollzeit ist ein zentrales Element zur Bekämpfung der Lohnlücke.
({9})
Ich kann Ihnen versichern: Wir bleiben an diesem
Thema dran. Wir wissen: Die Lohnlücke verschwindet
nicht von allein und auch nicht durch gute Reden. Sie
können sicher sein, dass wir, die SPD-Bundestagsfraktion, uns in Zukunft weiter aktiv dafür einsetzen werden.
Danke.
({10})
Vielen Dank, Carola Reimann. - Bevor ich die nächste
Rednerin aufrufe, möchte ich die Kolleginnen und Kollegen darüber informieren, dass wir gerade mitten in einer
Debatte sind und dass es vielleicht sinnvoll ist, bei einer Debatte zuzuhören, zumal Herr Lehrieder auch noch
kommt. Es würde echt Ärger geben, wenn Sie dann dauernd dazwischenquatschen würden. - Aber zuerst kommt
Ursula Groden-Kranich für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Liebe Frauen! Das Gesetz zur Förderung
der Transparenz von Entgeltstrukturen wurde heftig kritisiert und war auch sicher keine leichte Geburt. Aber das
hat schon so manche Mutter erlebt, und das Kind hat sich
dann prächtig entwickelt.
({0})
Erlauben Sie mir daher eine Bemerkung vorab: Wenn
wir lange und intensiv über ein Vorhaben diskutieren und
wenn verschiedene Gruppen mit Herzblut ihre Interessen
vertreten und am Ende einen Kompromiss finden, dann
ist das für mich kein Zeichen von Schwäche oder politischer Inkompetenz,
({1})
sondern genau das Gegenteil: ein Beispiel dafür, wie
Politik ganz praktisch funktioniert, zumindest in einer
intakten Demokratie. Dort, wo Gesetze per Dekret von
oben erlassen werden, dient das in aller Regel nicht den
Frauen und schon gar nicht dem Ziel der Gleichstellung.
Ich habe es hier schon mehrfach gesagt, und ich wiederhole es gerne immer wieder: Die Lohnlücke zwischen
Frauen und Männern schließen wir nicht mal eben mit einem Gesetz und überhaupt mit keinem Einzelgesetz. Das
sehen wir am Beispiel von Skandinavien mehr als deutlich: Weder Transparenz noch irgendeine politische Maßnahme alleine führen zum Ziel. Die unbequeme Wahrheit
lautet: Die Lohnlücke schließen wir mittelfristig nur mit
einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung.
({2})
Wir müssen junge Frauen von Anfang an stärken und
sie viel früher in Sachen Beruf und Finanzen informieren, und wir müssen bei allen Maßnahmen immer auch
den Arbeitsmarkt im Blick haben. Denn in Zeiten von
hybriden Arbeitsverhältnissen und gebrochenen Erwerbsbiografien gehen manche Regelungen, die wir hier
beschließen, an den eigentlichen Bedürfnissen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorbei, oder sie sind
schon wieder überholt, bevor sie in Kraft treten.
Auch wenn dieses Gesetz also nicht die Lösung der
Entgeltfrage bringen wird,
({3})
hat es bereits jetzt einen gar nicht unwichtigen Zweck erfüllt: Wir reden über Gehälter und Transparenz, und zwar
öffentlich und auf allen Ebenen.
({4})
Ich erwarte davon durchaus eine gewisse Signalwirkung,
ähnlich wie bei der Quote, die ja zunächst auch belächelt
wurde, und jetzt stellen wir fest, dass sie dort, wo es sie
gibt, wirkt und dass trotzdem und völlig überraschend
die Welt nicht untergegangen ist.
({5})
Wenn wir über dieses Gesetz reden und wenn wir
durch dieses Gesetz über Gehälter reden, müssen wir
aber auch so ehrlich sein, ein paar unangenehme Fragen
zu stellen: an die Wirtschaft, an die Politik und vor allem
an uns selber. Denn natürlich könnten unterschiedliche
Gehälter innerhalb einer Entgeltgruppe ein Zeichen von
Diskriminierung sein.
Viel spannender ist aber doch die Frage, warum jemand wo eingruppiert wird und wie ich aus einer Entgeltgruppe in die nächste aufsteige. Damit sind nämlich
oft die Bedingungen vorgegeben, die im Laufe des Berufslebens weiter verstärkt werden.
Noch schwieriger wird die Bewertung über Berufe
und Branchen hinweg. Auch hier müssen wir endlich so
ehrlich sein, den Finger in die Wunde zu legen:
({6})
Die typischen Frauenberufe werden nicht nur von Arbeitgebern oder von den Sozialpartnern unterbewertet,
sondern von allen, die diese Dienstleistungen gerne in
Anspruch nehmen, aber nicht wirklich bereit sind, dafür
auch anständig zu zahlen.
({7})
Auch heute noch gilt Familienarbeit wie Pflege und
Erziehungsarbeit als eine Leistung, die Frauen quasi
selbstverständlich und natürlich unbezahlt erbringen sollen. Wie der Bericht über die Schwarzarbeit in privaten
Haushalten gezeigt hat, geht das sogar noch viel, viel
weiter.
Auch die Frage nach den Rollenstereotypen, die unbestritten zum Pay Gap beitragen, bringt ein paar unangenehme Antworten mit sich. Inzwischen belegen nämlich
zahlreiche Studien, dass diese Rollenstereotype nicht
nur in den Köpfen der Männer, sondern genauso in den
Köpfen der Frauen verfestigt sind. Ein US-amerikanisches Fachblatt hat soeben Studienergebnisse veröffentlicht, wonach Frauen und Männer gleichermaßen dazu
neigen, Frauen pauschal geringere Löhne zuzugestehen
als den gleich qualifizierten Männern. Solche unangenehmen Wahrheiten und verfestigten Rollenbilder lösen
wir natürlich nicht mit einem Entgelttransparenzgesetz
auf. Aber ich bin überzeugt, dass das Gesetz mit seinem
Mehr an Transparenz durchaus dazu beitragen wird, die
bestehende Lücke zu schließen. Wenn wir uns häufiger
mit den unterschiedlichen Gehältern von Männern und
Frauen sowie mit den Gründen für die Differenzen beschäftigen, erkennen wir den Wert der eigenen Arbeit
und der Arbeit anderer möglicherweise besser.
Wir müssen Frauen dazu bewegen, aktiver zu werden.
Ich weiß, dass Aktivwerden immer unangenehmer ist, als
wenn der Gesetzgeber alles regelt. Aber das Entgelttransparenzgesetz ist eine Etappe auf dem Weg der Gleichstellung, den Feministinnen seit Einführung des Frauenwahlrechts beschritten haben. Das Ziel dieses Gesetzes
sind Entgelttransparenz und dadurch Entgeltfairness im
Sinne einer leistungsgerechten und geschlechtsunabhängigen Entlohnung. Damit hätten wir dann in der Tat gar
nicht so wenig erreicht und einen gar nicht so kleinen
Schritt auf dem Weg der Gleichstellung getan.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank, Frau Kollegin Groden-Kranich. - Darf
ich noch einmal versuchen, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie daran zu erinnern, entweder die interessanten
Debatten, die Sie hier im Hintergrund führen, draußen
fortzusetzen oder sich hinzusetzen. Das gilt auch für die
Grünen-Männer, die so engagiert reden. Es sind keine
Frauen dabei.
Ich bitte Sie, dem letzten Redner in der Debatte Ihr
Gehör zu schenken.
Der letzte Redner in der Debatte ist Paul Lehrieder für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin aus zwei Gründen sehr
glücklich: zum einen, dass ich als siebter Redner und als
erster Mann in dieser Debatte überhaupt sprechen darf,
({0})
und zum anderen, dass so viele Kolleginnen und Kollegen Interesse an dieser Debatte zeigen.
({1})
Das Plenum füllt sich. Drei leibhaftige Ministerinnen
sitzen bislang auf der Regierungsbank. Mich freut, dass
dieses Thema so viel Resonanz im Parlament findet. Das
verdient es auch.
({2})
Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten
in einer Vielzahl von Berichterstattergesprächen, Abstimmungsrunden und Sitzungen über den Entwurf eines
sogenannten Entgelttransparenzgesetzes debattiert. Wir
haben kontrovers diskutiert und bisweilen gestritten, und
zwar nicht nur zwischen den Koalitionspartnern, sondern
auch intern. Das war nötig, um ein vernünftiges und akzeptables Ergebnis zu erzielen. Doch am Ende herrschte
weitestgehend Einigkeit. Bezüglich geschlechtergerechter Bezahlung besteht Handlungsbedarf. Die bestehende
Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen ist nicht
länger hinnehmbar. Ja, es ist richtig: Kaum jemandem ist
zu vermitteln, dass unsere Töchter bei gleicher Ausbildung später weniger verdienen als unsere Söhne.
({3})
- Frau Schauws, fragen Sie ruhig. Dann habe ich mehr
Zeit. Aber ich werde auch so auf Sie eingehen.
Einigkeit gab es in diesem Punkt schon bei den Verhandlungen über den Koalitionsvertrag „Deutschlands
Zukunft gestalten“ vor knapp dreieinhalb Jahren. Aus
diesem Grund wurde die Forderung nach mehr Transparenz durch einen individuellen Auskunftsanspruch in den
Koalitionsvertrag aufgenommen. Zitat:
Unternehmen werden dazu aufgefordert, mithilfe
verbindlicher Verfahren und gemeinsam mit den
Beschäftigten und unter Beteiligung der Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter im Betrieb in
eigener Verantwortung erwiesene Entgeltdiskriminierung zu beseitigen.
Wir wollen eine Initiative gemeinsam mit den Tarifpartnern starten, um die Muster von struktureller
Entgeltungleichheit in Tarifverträgen zu erkennen
und zu überwinden.
So unser Koalitionsvertrag.
Frau Ministerin, Sie haben zum Auftakt Ihrer Rede die
21 Prozent Lohndifferenz angesprochen. Für die Kollegen, die mit der Materie nicht so vertraut sind: Wir reden
über zwei Entgeltlücken. Die unbereinigte Entgeltlücke
liegt bei 21 Prozent. Sie resultiert daraus, dass viele Frauen in schlecht bezahlten Jobs tätig sind. Aber was wir
mit diesem Gesetz überwinden können und überwinden
wollen, ist die sogenannte bereinigte, nicht erklärliche
Entgeltlücke von 6 Prozent. So viel verdienen Frauen bei
gleicher Beschäftigung und Ausbildung durchschnittlich
weniger als Männer. Wir können nur versuchen, diese
zu schließen. Wir können Frauen nicht verbieten, als
Verkäuferinnen zu arbeiten, oder ihnen geschwind eine
Bezahlung auf dem Niveau eines Diplomingenieurs verschaffen. Das wird nicht funktionieren.
({4})
Wir haben uns in der letzten Debatte zu diesem Thema ausgetauscht. Ich glaube, neben dem Beseitigen der
Entgeltlücke und neben dem Auskunftsanspruch ist es
wichtig, Frauen zu stärken, damit sie selbstbewusster
verhandeln. Wir sollten nicht erst dann handeln, wenn die
Entgeltlücke, Frau Ministerin, erkannt ist. Schon beim
Eintritt in ein Unternehmen sollte die Frau sagen: Ich als
Frau bin diesen Lohn wert. - Sie soll auf den Tisch hauen
und dasselbe wie der Mann bzw. ein ordentliches Gehalt
verlangen.
Es gehört auch dazu, über entsprechende Mentoringverfahren zu diesem Ziel beizutragen. Wir sollten das
eine tun, ohne das andere zu lassen. Dann tun wir den
Frauen alle gemeinsam etwas Gutes.
({5})
Ich freue mich auch, dass es uns mit diesem Gesetz
gelungen ist, die Bürokratie für die Unternehmen, die
zwangsläufig mit diesem Gesetz entsteht, zu kompensieren und sogar abzubauen. So wird eine Regelung eingeführt, wonach in der Vergabeverordnung die Bürokratie,
die zusätzlich auf die Unternehmen zukommt, gegengerechnet werden kann. Das heißt, es gibt keine bürokratische Mehrbelastung für die Unternehmen. Es ist wichtig,
den Menschen zu sagen, dass wir uns an das „One in, one
out“, das Sigmar Gabriel vor Jahren gefordert hat, halten.
Damit sind wir auf dem richtigen Weg. Ich bedanke mich
ausdrücklich bei Ihnen, Frau Ministerin, dass uns das gelungen ist. Das war in der ersten Lesung noch nicht der
Fall, jetzt aber haben wir es hinbekommen.
Es wird auch nach Verabschiedung dieses Gesetzes
möglich sein, verschiedene Arbeitnehmer unterschiedlich zu bezahlen. Sie haben auch jetzt schon die Situation, dass bei ähnlicher Tätigkeit der eine Kollege mehr,
der andere weniger bekommt und dass es Leistungszulagen gibt. Das wird es auch in Zukunft geben. Aber dieses
Gesetz wird bedingen, dass der Chef erklären muss, worauf die Leistungszulage beruht, warum die Frau weniger
als der Mann, der dasselbe tut, bekommt.
Ich glaube, das Gesetz wird einen wichtigen Schritt in
die richtige Richtung bringen. Ich freue mich. Heute ist
ein guter Tag für die Frauen, heute ist ein guter Tag für
das Parlament.
Ich wünsche Ihnen alles Gute und bedanke mich für
die Aufmerksamkeit. Frau Präsidentin, es blieb auch
noch relativ ruhig; wir haben es gut hinbekommen.
({6})
Danke schön, Herr Lehrieder. - Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen.
({0})
- Wir warten jetzt einfach, bis Sie aufpassen, worum es
eigentlich geht.
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Druck-
sachen 18/11727 und 18/11733. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/11133 anzunehmen. Hierzu liegen drei Ände-
rungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Zu zwei dieser Änderungsanträge hat die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen namentliche Abstimmung verlangt.
Wir beginnen zuerst mit der Abstimmung über ei-
nen Änderungsantrag durch Handzeichen. Ich frage
Sie: Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 18/11758? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Damit haben zugestimmt Grüne und die Linken,
dagegengestimmt hat die Große Koalition. Damit ist der
Änderungsantrag abgelehnt.
Nun kommen wir zu den beiden namentlichen Ab-
stimmungen, und zwar zunächst über den Änderungs-
antrag auf Drucksache 18/11756. Ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze
einzunehmen. Ich darf fragen, ob die Plätze an den Urnen
besetzt sind. -
Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung über
den Änderungsantrag auf Drucksache 18/11756.
Gibt es noch Kolleginnen oder Kollegen, die ihre
Stimme nicht abgegeben haben? - Ich stelle fest: Alle
Kolleginnen und Kollegen haben ihre Stimme abgege-
ben. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen. Das Ergebnis dieser Abstimmung wird Ih-
nen später bekannt geben.1)
Wir kommen jetzt gleich zur zweiten namentlichen
Abstimmung, und zwar über den Änderungsantrag auf
Drucksache 18/11757. - Ich frage auch diesmal: Sind die
Plätze an den Urnen besetzt? - Das scheint so zu sein.
1) Ergebnis Seite 22941 C
Dann eröffne ich die Abstimmung über den Änderungs-
antrag auf Drucksache 18/11757.
Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht ab-
gestimmt haben? - Gut. Dann schließe ich die Abstim-
mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen.1)
Bis zum Vorliegen der Ergebnisse der namentlichen
Abstimmungen unterbreche ich die Sitzung.
({1})
1) Ergebnis Seite 22944 C
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich möchte Ihnen nun vorlesen, wie die namentlichen
Abstimmungen über die Änderungsanträge ausgegangen
sind.
Abstimmung über den Änderungsantrag zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen, Drucksachen 18/11133, 18/11727, 18/11733 und 18/11756. Ich
gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 553. Mit Ja haben gestimmt
102, mit Nein haben gestimmt 451, Enthaltungen gab es
keine. Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 553;
davon
ja: 102
nein: 451
enthalten: 0
Ja
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Jan Korte
Katrin Kunert
Caren Lay
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Norbert Müller ({0})
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Alexander Ulrich
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
({1})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({2})
Dr. Franziska Brantner
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({3})
Christian Kühn ({4})
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth ({5})
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Dr. Gerhard Schick
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Beate Walter-Rosenheimer
Nein
CDU/CSU
Stephan Albani
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({6})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Ute Bertram
Peter Beyer
Clemens Binninger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Vizepräsidentin Claudia Roth
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({7})
Axel E. Fischer ({8})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({9})
Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann ({10})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Anette Hübinger
Erich Irlstorfer
Sylvia Jörrißen
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Ronja Kemmer
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({11})
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller ({12})
Dr. Andreas Nick
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({13})
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({14})
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder ({15})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({16})
Christina Schwarzer
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Volker Ullrich
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({17})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr. h.c. Albert Weiler
Marcus Weinberg ({18})
Peter Weiß ({19})
Sabine Weiss ({20})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({21})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Heinrich Zertik
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Bärbel Bas
Lothar Binding ({22})
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Dr. h.c. Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Michael Hartmann ({23})
Hubertus Heil ({24})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Angelika Krüger-Leißner
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({25})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({26})
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({27})
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Joachim Poß
Achim Post ({28})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({29})
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({30})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({31})
Matthias Schmidt ({32})
Dagmar Schmidt ({33})
Carsten Schneider ({34})
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz ({35})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff ({36})
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Brigitte Zypries
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten ({37}) aufgeführt .
Abstimmung über den zweiten Änderungsantrag zum
gleichen Gesetzentwurf. Ich lese nur die letzte Drucksachennummer vor, das ist die Drucksache 18/11757. Ich
gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 551. Mit Ja haben gestimmt
102, mit Nein haben gestimmt 449. Damit ist auch dieser
Änderungsantrag abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 549;
davon
ja: 101
nein: 448
enthalten: 0
Ja
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Jan Korte
Katrin Kunert
Caren Lay
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Norbert Müller ({38})
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Richard Pitterle
Martina Renner
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Alexander Ulrich
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
({39})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({40})
Dr. Franziska Brantner
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({41})
Christian Kühn ({42})
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth ({43})
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Dr. Gerhard Schick
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Beate Walter-Rosenheimer
Nein
CDU/CSU
Stephan Albani
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({44})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Ute Bertram
Peter Beyer
Clemens Binninger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({45})
Axel E. Fischer ({46})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({47})
Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Vizepräsidentin Claudia Roth
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann ({48})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Dr. Mathias Edwin Höschel
Anette Hübinger
Erich Irlstorfer
Sylvia Jörrißen
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Ronja Kemmer
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({49})
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller ({50})
Dr. Andreas Nick
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({51})
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({52})
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder ({53})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({54})
Christina Schwarzer
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Volker Ullrich
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({55})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr. h.c. Albert Weiler
Marcus Weinberg ({56})
Peter Weiß ({57})
Sabine Weiss ({58})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({59})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Heinrich Zertik
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Bärbel Bas
Lothar Binding ({60})
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Dr. h.c. Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Michael Hartmann ({61})
Hubertus Heil ({62})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Angelika Krüger-Leißner
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({63})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({64})
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({65})
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Joachim Poß
Achim Post ({66})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({67})
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({68})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({69})
Matthias Schmidt ({70})
Dagmar Schmidt ({71})
Carsten Schneider ({72})
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz ({73})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff ({74})
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Brigitte Zypries
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten ({75}) aufgeführt .
Wir kommen jetzt zum Gesetzentwurf auf Drucksa-
che 18/11133.
Mir liegen zum Gesetzentwurf zwei Erklärungen nach
Artikel 31 der Geschäftsordnung vor.1)
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt da-
gegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt hat die
Große Koalition, dagegengestimmt haben die Grünen,
enthalten hat sich die Linke.
1) Anlage 3
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen mit Zustimmung der Großen Koalition - CDU/CSU, SPD -, Gegenstimmen von
Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Linken.
({76})
Tagesordnungspunkt 12 b. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung und dem Bericht des
Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
auf Drucksachen 18/11727 und 18/11733 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/4321 mit dem Titel „Gleichen
Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit für Frauen und
Männer durchsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zustimmung von CDU/CSU und SPD, Gegenstimmen von
der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen.
Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6550 mit dem Titel „Frauen
verdienen gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige
Arbeit“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben
die CDU/CSU, die SPD, Gegenstimmen von Bündnis 90/
Die Grünen und von der Linken.
Tagesordnungspunkt 12 c. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Arbeit und Soziales zum Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Frauen
gerecht entlohnen und sicher beschäftigen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11641, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/847 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben
CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die
Grünen und die Linke.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf - möglicherweise gibt es einen Platzwechsel; deswegen lese ich
langsam vor -:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Frithjof Schmidt, Uwe Kekeritz, Tom
Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Südsudan - Hungersnot abwenden, Völkermord verhindern
Drucksache 18/11732 ({77})
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({78})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, andersartige
Gespräche, die nichts mit dem Thema, über das wir jetzt
debattieren, zu tun haben, draußen zu führen. Das meine
ich wirklich ernst, sonst eröffne ich die Debatte nicht.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Uwe
Kekeritz für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Der VN-Nothilfekoordinator, Stephen O’Brien, wies
neulich darauf hin, dass die größte humanitäre Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg auf uns zurollt. Er
spricht in erster Linie von der Hungersnot in den Ländern
Jemen, Südsudan, Somalia und Nigeria. Es sind weit
über 20 Millionen Menschen vom Hunger bedroht. Laut
UNICEF sind inzwischen 1,4 Millionen Kinder stark unterernährt, sie kämpfen bereits mit dem Tod. Um wirklich
helfen zu können, braucht die Weltgemeinschaft circa
4,4 Milliarden Dollar. Die deutsche Bundesregierung hat
allerdings noch keine klaren Aussagen über Mittelfreigaben gemacht, plant aber gleichzeitig, den Wehretat bis
2020 um 5 Milliarden Euro zu erhöhen.
Der Südsudan ist im Würgegriff des Hungers, gleichzeitig gibt es immer mehr Gewaltexzesse bestialischer
Art. Die Gewaltspirale verstärkt sich laufend, trotz internationaler Schutztruppen, die zurzeit leider hilflos zusehen müssen, wie sich die Situation täglich verschlechtert.
Trotzdem ist auch die weitere Unterstützung der Blauhelme von UNMISS unabdingbar. Frithjof Schmidt hat
in seiner letzten Rede zum UNMISS-Mandat darauf hingewiesen.
Trotzdem ... müssen wir dringend über eine qualitative Aufstockung und Verbesserung dieser UN-Mission reden. Sie reicht so, wie sie ist, einfach nicht
aus.
({0})
Ich wende mich an dieser Stelle an die Linke. Bitte
denken Sie schon einmal darüber nach: Alles abzulehnen, ist gut, aber wir würden von Ihnen gerne Alternativen hören.
({1})
Eine Schwächung oder gar ein Abzug von UNMISS wäre
für all diese Menschen, die Schutz finden, eine absolute
Katastrophe.
({2})
Der UN-Sonderberater zur Verhinderung von Völkermord, Adama Dieng, warnte bereits im letzten Jahr vor
Völkermord im Südsudan, und er vergleicht die Situation heute mit der Situation in Ruanda 1994. Ich muss
niemandem erklären, was damals passierte. Seit neun
Monaten eskaliert die Gewalt. Menschenrechte werden
bestialisch mit Füßen getreten. Die Folge davon: Über
2 Millionen Menschen sind innerhalb des Landes auf der
Flucht, 1,5 Millionen Menschen sind in die Nachbarländer geflohen. Zivilisten sind inzwischen Zielscheibe der
Gewalt. Massenvergewaltigungen, Folter, Plünderungen,
Tötungen und willkürliche Inhaftierungen sind an der Tagesordnung. Dörfer werden niedergebrannt, Kirchen und
Krankenhäuser angegriffen und Menschen zwangsrekrutiert, auch Kinder.
Die VN-Menschenrechtskommission spricht von einem ungeheuerlichen Ausmaß der sexualisierten Gewalt
gegen Frauen und Mädchen. Die sexuelle Versklavung
gehört leider dazu. Frauen und Mädchen wird unendliVizepräsidentin Claudia Roth
ches Leid zugefügt, sie haben oftmals nach einer Vergewaltigung oder einer Schwangerschaft aufgrund einer
Vergewaltigung keine Möglichkeit mehr, zu ihren Familien zurückzukehren. Sie werden verstoßen.
Im Oktober letzten Jahres traf ich mich mit dem Generalvikar der katholischen Diözese von Tambura. Der
Vikar bot mir Bilder an. Er sagte: Hier können Sie einmal
sehen, was passiert, wenn Regierungssoldaten ein Dorf
überfallen. - Er erklärte allerdings, diese Bilder sind
nicht zum Anschauen. Diese Bilder muss man aushalten. Und diese Bilder muss man ertragen. Er hatte leider recht. Ich erspare Ihnen jetzt die Beschreibung dieser
Bilder. Ich glaube, jeder von Ihnen kann sich vorstellen,
was ich zu sehen bekam. Aber die Bilder bestätigten die
beängstigende bestialische Brutalität und die Menschenverachtung in diesem Land. Deswegen muss die Bundesregierung unverzüglich mit den europäischen Partnern
einheitlich vorgehen. Auch die schmutzige verbrecherische Rolle von Salva Kiir muss auf das Tableau.
({3})
Deutschland und Europa müssen mit China, Russland,
den USA, der AU und anderen Ländern nach Lösungsmöglichkeiten suchen, die zu einer Stabilisierung des
Landes führen. Der Weg über den Sicherheitsrat muss gut
vorbereitet und schnell gefunden werden. Es ist jedoch
unabdingbar, in einem ersten Schritt ein UN-Waffenembargo durchzusetzen.
({4})
Neben vielen Maßnahmen, die wir im Antrag aufzählen, muss die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft
verstärkt werden. Aus den Gefängnissen der Regierung
Salva Kiir müssen Menschenrechtsverteidiger und Journalisten sofort befreit werden.
({5})
Das Thema der Straflosigkeit und, damit zusammenhängend, die Frage der Beweissicherung müssen jetzt
aufgegriffen werden. Jeder, der sich heute an Verbrechen
gegen die Menschlichkeit beteiligt, sollte wissen, dass er
mit einer strafrechtlichen Verfolgung zu rechnen hat.
Deutschland und Europa müssen ihre Beiträge zur
Bekämpfung der Hungersnot deutlich erhöhen und auch
die kaum mehr vorhandene medizinische Versorgung
verbessern.
({6})
Das alles muss sehr schnell gehen; denn die Regenzeit
kommt, und mit der Regenzeit werden weite Teile des
Landes einfach nicht mehr passierbar sein. Mit Beginn
der Regenzeit können also kaum mehr Unterstützung und
Hilfe geleistet werden. Wenn es uns nicht gelingt, jetzt
Hilfestellung zu leisten, kommt mit dem Regen auch der
massenhafte Tod in den Südsudan, und das können und
wollen wir nicht verantworten.
Danke schön.
({7})
Vielen Dank, Uwe Kekeritz. - Nächster Redner:
Michael Brand für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Achol Amman ist damit beschäftigt, dass ihre Kinder schon jetzt Hunger leiden. Die Mutter sitzt vor
dem Eingang des Saint Mary’s Hospital in einem
Dorf unweit von Wau auf einer Mauer und wiegt
den dreijährigen Majok auf dem Schoß. In ihrer Hütte blieben Majoks Geschwister mit leeren Bäuchen
zurück. Ammans Mann ist in irgendeiner Schlacht
gefallen, und die Südsudanesin hatte in den vergangenen Wochen nichts als Brennholz zu verkaufen,
um ihren Kindern etwas Hirse zu beschaffen.
Majoks Kopf wirkt riesig im Vergleich zum verzehrten Rest seines Körpers. An Ärmchen und Beinchen ist kein Fleisch mehr an den Knochen. Seine
Augen treten aus dem eingefallenen Gesicht hervor.
Die Haare sind in Büscheln ausgefallen. Was wird
die Mutter tun, wenn sie den nach Erdnussbutter
schmeckenden Kalorienkuchen aus UN-Beständen
von den Helfern erhält?
Die Ärzte werden verlangen, dass sie die Kalorienmedizin Majok gibt. Denn der Junge ist dabei, zu
verhungern. Dann bekommen aber seine Geschwister auch weiterhin nur Hirse - zu wenig. Teilt sie
den Kuchen unter ihren Kindern auf, wird Majok
sterben. Die Mutter muss sich entscheiden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, so beschreibt es in einer aktuellen Reportage ein Journalist, der gerade mit
der Aktion Deutschland Hilft, einem Bündnis deutscher
Hilfsorganisationen, im Südsudan unterwegs war.
Ja, „Hungersnot abwenden, Völkermord verhindern“ - so heißt es im Grünenantrag -, das ist in der Tat
der Auftrag, der an alle geht. Die Lage im Südsudan ist
eine schiere Katastrophe. Und ja, die Gewalt birgt das
Potenzial eines Völkermords. Mädchen werden vergewaltigt, Jungen werden wie Tiere abgeschlachtet, wie
Augenzeugen in diesen Tagen berichten. Die Lage spitzt
sich weiter zu. Hunger wird auch als Waffe eingesetzt.
Hunderttausende müssen fliehen. Wer die Menschen im
Südsudan jetzt im Stich lässt, wird bald mit den Bildern
von sterbenden Kindern konfrontiert werden, von Menschen, die dreckiges Wasser trinken und krepieren.
Die Mittel der Staatengemeinschaft für humanitäre
Hilfe im Südsudan - das ist meine Sicht der Dinge müssen verdoppelt werden. Allein das BMZ hat im letzUwe Kekeritz
ten Jahr über 50 Millionen Euro für die Aufbereitung von
Wasser zur Verfügung gestellt. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich glaube, Europa muss sich insgesamt stärker für Afrika interessieren und engagieren.
({0})
Ich meine es nicht parteipolitisch, sondern glaube,
dass es eine breite Mehrheit hier im Deutschen Bundestag so sieht - ich könnte auch alle anderen aufzählen, die
seit vielen Jahrzehnten in dem Bereich aktiv sind und
denen das Schneckentempo viel zu langsam ist -: Der
Appell von Gerd Müller und auch von Ursula von der
Leyen gestern auf der Konferenz der Bundesregierung zu
Sicherheit, Frieden und Entwicklung in Afrika war zutreffend; denn Afrikas Stabilität beeinflusst die Stabilität
Europas. Auch das ist meine Einschätzung: Wir brauchen
einen Paradigmenwechsel in der Entwicklungszusammenarbeit, auch um stärker zu unterstützen, dass zum
Beispiel die lokale und auch die internationale Privatwirtschaft in Arbeitsplätze investiert, um Einkommen
und Entwicklung in Afrika zu sichern.
Und ja, vieles ist von afrikanischen Politikern, von den
sogenannten Eliten hausgemacht. Korruption, Macht und
fehlendes Interesse an der eigenen Bevölkerung gehören
zu den größten Versagen. Wahr ist auch: Die UN-Missionen am Golf von Guinea und an Afrikas großen Seen haben tatsächlich zur Friedenssicherung beigetragen. Auch
in Mali hat der internationale Einsatz Erfolg gebracht;
Herr Kollege Kekeritz, die Differenzierung, die Sie eben
vorgenommen haben, trifft es ziemlich gut.
Es ist an der Zeit, endlich aufzuwachen und mehr zu
tun. Und da Sicherheit niemals rein militärisch verengt
werden darf, muss das 2-Prozent-Ziel - vielleicht kommt
das in der heutigen Diskussion noch zum Tragen - auf
3 Prozent des BIP erhöht werden, und zwar für Verteidigung und eben auch - und jetzt kommt der Schwerpunkt - für die Entwicklungszusammenarbeit,
({1})
für die humanitäre Hilfe und für die Diplomatie. Das ist
machbar, das ist erforderlich, und ich glaube, dass dieser
strategische Mix auch zielführend ist. Er dient der Krisenprävention und der Krisenbewältigung. Sie müssen
endlich aus den ideologischen Gräben rauskommen.
({2})
Wir brauchen beides. Wir brauchen diese Anstrengung
an allen Ecken und Enden. Sie wissen doch auch, dass
die humanitären Helfer an vielen Stellen gar nicht ihre
Arbeit tun können, wenn sie kein sicheres Umfeld haben. Genauso wahr ist, dass Militär allein keinen Frieden
schaffen kann.
Deutschland engagiert sich auf vielen politischen
Ebenen für die Bewältigung der Krise im Südsudan. Im
Jahr 2016 wurde ein Schwerpunkt gesetzt - Staatsminister Roth sitzt hier auf der Regierungsbank -: Fast 60 Millionen Euro wurden zur Verfügung gestellt, 2017 werden
es 40 Millionen Euro sein. Ich prognostiziere: Es werden
mehr als 40 Millionen Euro werden müssen, wenn man
dem Elend nicht zuschauen will.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Bemerkung oder Zwischenfrage von Frau Keul? - Ja oder Nein?
Ja.
Gut.
({0})
Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. - Ich möchte nachfragen, ob ich das mit den 3 Prozent richtig verstanden habe. Wir haben gerade gehört, dass die Bundesregierung 2016 für den Südsudan rund 50 Millionen Euro
zur Verfügung gestellt hat; Sie haben zu Recht gesagt,
das muss mehr sein, man muss die Mittel auf 100 Millionen Euro verdoppeln. Jetzt fordern Sie 3 Prozent vom
BIP. Ich habe das ausgerechnet. Das hieße im Groben,
dass sich der Einzelplan 14 des Bundeshaushalts, der
Verteidigungshaushalt, von 30 auf etwa 55 Milliarden
Euro erhöhen würde. Wir sprechen von 25 Milliarden
Euro zusätzlich für den Verteidigungshaushalt. Können
Sie mir erklären, wie das im Verhältnis stehen soll zu den
50 Millionen Euro für die Trinkwasseraufbereitung?
Das haben Sie falsch verstanden; vielleicht auch nicht
ganz unbeabsichtigt. Ich habe davon gesprochen, dass
die Ausgaben von 2 Prozent auf 3 Prozent des BIP erhöht
werden sollten, aber nicht nur für das Militär, sondern
auch für einen Mix aus Entwicklungszusammenarbeit
und Diplomatie.
({0})
Die Diskussion kennen Sie vielleicht auch von Herrn
Ischinger, der diesen Vorschlag im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz gemacht hat.
Ich glaube, dass der Vorschlag, Mittel zu erhöhen Sie haben meine Aussage auf das Militär reduziert; dabei
habe ich ausdrücklich gesagt: auch in den anderen Bereichen sind die Mittel deutlich zu erhöhen -, ein Beitrag ist, um das System der vernetzten Sicherheit, an dem
wir seit Jahren in unterschiedlichen Konstellationen der
Regierungsarbeit und der Parlamentsarbeit hier im Deutschen Bundestag arbeiten, zu unterstützen. Dazu bedarf
es einer Kraftanstrengung an mehreren Stellen.
Wir sollten die Mittel, die durch die Erhöhung auf
3 Prozent des BIP zusätzlich kommen, in allen Bereichen
nutzen - nicht allein im Rüstungsbereich, sondern vor
allen Dingen in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe und Diplomatie -,
({1})
um den gemeinsamen Ansatz zu stärken. Wir brauchen
nicht die Diskussionen von gestern zu führen, die am
Ende vielleicht manche Ideologie bedienen, aber den
Menschen vor Ort wenig helfen.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein großes Problem ist der Zugang zu humanitärer Hilfe. Das ist ein
ganz wichtiger Punkt; denn humanitäre Hilfe kommt
oftmals gerade nicht dort an, wo sie am dringendsten
gebraucht wird. Ich will auch sagen, dass humanitäre
Hilfe - deswegen müssen wir in Bezug auf das 2- oder
3-Prozent-Ziel über den Tag hinausdenken und nicht nur
bei der Tagespolitik bleiben, Frau Keul - neben der Erhöhung der Mittel nicht zum Alibi der Staatengemeinschaft
verkommen darf, Konflikte nicht politisch zu lösen. Es
braucht neben der Verdopplung der Mittel für die humanitäre Hilfe durch die Staatengemeinschaft endlich das,
was Kollege Kekeritz gesagt hat: ein Waffenembargo,
Reisebeschränkungen und das Einfrieren ausländischer
Bankkonten der Rädelsführer im Südsudan. Es muss
Schluss damit sein, dass das viele Geld aus Ölexporten
in den Taschen einiger weniger Familien landet oder in
einem schmutzigen Krieg verpulvert wird, während die
Bevölkerung hungert. Deswegen ist die Blockade des
Beschlusses des UN-Sicherheitsrates durch China und
Russland eine Schande. Sie ist auch Salz in den Wunden
der hungernden Bevölkerung. Das muss ein Ende haben.
Es gibt eine moralische Verpflichtung, alles zu versuchen, auch um die Sicherheit dort zu stabilisieren. Der
Sudan grenzt an Libyen, und Millionen werden sich auf
den Weg machen, wenn das Elend weitergeht. Das sind
sogenannte vergessene Krisen.
({3})
- Ja, das gehört auch dazu.
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich muss Perspektiven für die Leute vor Ort schaffen,
damit sie sich nicht auf den Weg machen. Auch das ist
praktizierte Nächstenliebe.
Ich glaube, Deutschland tut eine ganze Menge in dem
Bereich. Wahr ist aber auch - das ist die bittere Wahrheit -: Man kann nie genug tun. Deswegen müssen wir
unsere Anstrengungen weiter stärken.
Ich möchte abschließend eine Aussage des früheren Bundespräsidenten Horst Köhler zitieren, der sich
seit Jahrzehnten für den Kontinent Afrika engagiert. Er
schaut nicht nur mitleidig auf Afrika, sondern sieht auch
die Chancen, die in diesem Kontinent liegen. Er hat recht,
wenn er sagt: Kein Land der Welt, so reich und mächtig es auch sein mag, kann auf Dauer seinen Wohlstand
erhalten, ohne auf die Perspektiven der anderen Länder
Rücksicht zu nehmen. Daher müssen wir zu einem neuen
Verständnis von nationalem Interesse finden, das sich im
Kontext eines globalen Gemeinwohls definiert.
Vielen Dank.
({0})
Darf ich die Kollegen bitten, sich tendenziell oder
ziemlich konkret an die Redezeit zu halten? Das gilt
wirklich für alle. - Danke schön.
Nächste Rednerin: Kathrin Vogler für die Linke.
({0})
- Vorsicht jetzt, bitte! Jetzt ist Frau Vogler dran, und wir
kommen bitte wieder runter. - Frau Vogler, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich finde auch, da dies
ein ernstes Thema ist, sollten wir versuchen, uns darauf
zu konzentrieren.
Ich kann mich noch gut erinnern an die Menschen, die
ich, als ich Ende 2010 im Südsudan war, dort kennengelernt habe. Ich wollte mir selber ein Bild machen von
der Lage vor dem Referendum. Ich weiß noch, wie sehr
das ganze Land vor lauter Anspannung und Aufregung
gebebt hat. Viele haben sich damals dafür starkgemacht,
dass die Abstimmung über die Abspaltung vom Norden
friedlich und ohne Gewalt vonstattengeht.
Die Hoffnungen, die die Menschen mit einem eigenen
Staat verbunden haben, waren damals wirklich riesengroß. Sie haben gehofft, dass es endlich Frieden, Wohlstand und Sicherheit für alle Menschen im Land geben
würde. Aber schon damals haben wir gespürt, dass das
nicht so einfach werden würde; denn die inneren Konflikte in der südsudanesischen Gesellschaft - Konflikte
um knappe Ressourcen, Konflikte zwischen Ackerbauern
und Viehzüchtern und Konflikte zwischen den verschiedenen Stämmen - standen schon damals auf der Tagesordnung. Sie wurden nur überlagert vom großen Konflikt
mit dem Norden.
Die neue Regierung unter Salva Kiir hat die Bürgerkriegsmilizen damals nicht einfach aufgelöst, sondern sie
zum größten Teil bewaffnet in einen gigantischen Militär- und Polizeistaatsapparat integriert. Es kam so, wie
wir es schon damals befürchtet haben: Seit 2013 herrscht
wieder Bürgerkrieg im Südsudan, und die Zivilbevölkerung leidet massiv, vor allem die Jugendlichen und die
Frauen. Ja, die Berichte sind erschreckend: Mord, Folter,
Vergewaltigung als Kriegswaffe und Hunderttausende
auf der Flucht. Allein im Nachbarland Uganda erwartet
man bis Ende Mai 800 000 Geflüchtete.
Hier dürfen wir nicht untätig zusehen. Deshalb ist es
gut, dass die Grünen das Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt haben. Vielen Dank dafür.
({0})
Die Bundesregierung schlägt uns immer wieder dasselbe oder mehr vom Selben vor: die Verlängerung, den
Ausbau des Bundeswehreinsatzes im Südsudan. Nun
fordern leider auch die Grünen eine Ausschöpfung oder
Aufstockung des Bundeswehrmandats für die UN-Mission UNMISS. Ich finde es ein bisschen widersprüchlich,
wenn man auf der einen Seite die Bemühungen der Bundesregierung um eine massive Erhöhung des Rüstungsetats beklagt und auf der anderen Seite die Aufstockung
von Militärmissionen fordert.
({1})
Aber damit müssen Sie klarkommen. Die Lösung, die Sie
uns hier vorschlagen, ist keine Lösung.
({2})
Schon bisher hat UNMISS die Bevölkerung nicht wirksam schützen können.
({3})
UNMISS selbst verursacht immer wieder Negativschlagzeilen, weil die Soldaten zu spät reagieren oder sogar
untätig dabeistehen, wenn Frauen vergewaltigt werden,
wenn sexuelle Gewalt verübt wird. Das belegen interne
Berichte der UNO. In diesen Untersuchungen wird auch
das Problem beschrieben, dass die Soldaten auf ihren Patrouillen häufig nur durch die Sehschlitze ihrer Panzerfahrzeuge schauen können und gar nicht mitkriegen, wo
sich Gewalt anbahnt, wo Frauen bedrängt und Jugendliche bedroht werden.
({4})
- Das heißt, dass man sich auch über andere Dinge Gedanken machen muss.
({5})
Die Linke hat bereits vor drei Jahren einen Antrag eingebracht, der genau diese Lücke füllen sollte. Zumindest
die nicht abgerufenen Mittel aus der Bundeswehrmission
wollten wir dafür verwenden, den unbewaffneten Schutz
der Zivilbevölkerung, wie er von zivilgesellschaftlichen
Organisationen im Südsudan musterhaft praktiziert wird,
zu unterstützen.
({6})
Dass diese Maßnahmen wirksam sind - dies wird da
und dort immer wieder bestritten -, hat inzwischen auch
der UN-Sicherheitsrat festgestellt. Ich wundere mich
ein bisschen, dass dieses Instrument des unbewaffneten
zivilen Peacekeeping, zu dem wir eine wunderbare Anhörung im Bundestag hatten, von den Grünen gar nicht
zur Kenntnis genommen wird und nicht in dem Antrag
auftaucht.
Viele andere Vorschläge können wir mittragen, etwa
die sehr wichtigen Forderungen nach einem Waffenembargo sowie nach verstärkten Bemühungen um Verhandlungslösungen und die Forderung, dass zivilgesellschaftliche Akteure besser geschützt werden. Das finden wir
richtig. Ich will darauf hinweisen: Das Allerwichtigste,
das nun sofort getan werden muss, ist der massive Ausbau der humanitären Hilfe.
({7})
Wir haben es mit zwei Krisen zu tun. Das sind der
Bürgerkrieg und die Hungerkrise. Beide hängen miteinander zusammen und verschlimmern sich gegenseitig.
Die UN befürchten, dass in kürzester Zeit bis zu 250 000
Kinder verhungern werden, wenn nicht schnell Hilfe
kommt. Hier könnte die Bundesregierung ganz konkret Menschenleben retten. Die bisherigen Zusagen der
Bundesregierung an die Vereinten Nationen sind völlig
unzureichend. Allein für den Südsudan fehlen akut noch
1,4 Milliarden US-Dollar für die Nothilfe. Die Bundesregierung hat jetzt 43 Millionen Dollar bereitgestellt; das
ist ein Zweiunddreißigstel. Würden wir nur nach unserem Bruttoinlandsprodukt gehen, dann müsste dieser Anteil mindestens 100 Millionen US-Dollar betragen.
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Gut. - Auch weil die Regenzeit bevorsteht und die
Hilfe die Menschen dann nicht mehr erreichen wird, fordere ich Sie auf: Handeln Sie jetzt. Handeln Sie schnell.
Zeigen Sie Menschlichkeit. In vier Wochen kann es zu
spät sein.
({0})
Vielen Dank, Frau Vogler. - Nächste Rednerin:
Gabriela Heinrich für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und
Kolleginnen! Liebe Gäste! Stellen Sie sich vor, alle
Menschen in Niedersachsen wären auf Hilfe angewiesen,
um zu überleben, ganz Berlin wäre auf der Flucht, alle
unter 18-Jährigen in Hamburg wären akut vom Hungertod bedroht. Dieser Vergleich mit Deutschland zeigt die
Dimension der aktuellen Hungerkatastrophe im Südsudan. Stephen O’Brien - Kollege Kekeritz hat es bereits
erwähnt -, der Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen, spricht von 7,5 Millionen Menschen, die akut Hilfe
brauchen. Das sind ungefähr so viele, wie Niedersachsen
Einwohner hat. Stephen O’Brien hat an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen geschrieben:
Wir stehen an einem kritischen Punkt der Geschichte. Schon am Anfang des Jahres stehen wir vor der
größten humanitären Krise seit der Gründung der
Vereinten Nationen.
Dieses Zitat bezieht sich, wie auch bereits erwähnt,
nicht allein auf den Südsudan, sondern auf die aktuelle
Hungerkatastrophe in Teilen der Länder Nigeria, Kenia,
Somalia und Jemen. Insgesamt 20 Millionen Menschen
könnten verhungern, wenn sich die internationale Gemeinschaft nicht bewegt.
Im Südsudan hungern die Menschen jedoch nicht in
erster Linie wegen Dürre oder Überschwemmungen, wegen Klimaveränderungen oder fehlendem Saatgut. Hier
im Bundestag werden wir seit Jahren auf die drohende
Katastrophe im Südsudan hingewiesen. Jedes Mal geht
es um brachliegende Felder und ausbleibende Ernten,
weil die Menschen auf der Flucht sind vor Gewalt in ihrem eigenen eigentlich reichen und fruchtbaren Land.
58,5 Millionen Euro an humanitärer Hilfe hat das Auswärtige Amt 2016 allein für den Südsudan bereitgestellt.
2017 werden weitere Gelder folgen. Die bilaterale Entwicklungsarbeit musste in weiten Teilen ausgesetzt werden, weil die Sicherheitslage außerhalb der Hauptstadt
jede Unterstützung unmöglich macht.
Alle Konfliktparteien greifen immer wieder ganz gezielt Zivilisten an. Menschen wurden in Frachtcontainer
eingepfercht und zum Sterben in die Sonne gestellt. Milizen und die Regierungsarmee plündern und brennen
Häuser nieder. Krankheiten, zum Beispiel die Cholera,
breiten sich aus.
Und die Frauen? Auch vor dem Krieg wurden die
Menschenrechte von Frauen im Südsudan massiv verletzt. Jetzt im Krieg, in diesem Bürgerkrieg, in dem die
Frauen marodierenden Banden schutzlos ausgeliefert
sind, ist alles noch viel schlimmer. Täter vergewaltigen
Frauen ganz systematisch.
Diese sexuelle Gewalt scheint auch eine ethnische Dimension bekommen zu haben. Soldaten des Regierungslagers vergewaltigen gezielt Frauen, die nicht der Bevölkerungsgruppe der Dinka angehören. Die Täter gehen
natürlich straflos aus, während die vergewaltigten Frauen
nicht nur völlig traumatisiert, sondern oft auch aus ihrer
Gemeinschaft ausgestoßen werden. Alle beteiligten Konfliktparteien verüben solche Verbrechen: Regierungstruppen, Mitglieder des nationalen Sicherheitsdienstes,
Polizisten, Rebellen.
Die Kriegsgewinnler sind vor allem die beiden verfeindeten Anführer, Präsident Salva Kiir und sein ehemaliger Stellvertreter, Riek Machar. Ihre Familien leben
beide in einem Nobelviertel von Nairobi. Kinder und Enkel gehen dort auf teure Privatschulen. Finanziert wird
das alles über intransparente Kanäle, durch Baufirmen,
durch Öl.
Im Antrag, der heute auf der Tagesordnung steht, ist
zu lesen:
Die südsudanesische Regierung ist für den Schutz
von Zivilistinnen und Zivilisten verantwortlich und
derzeit nicht ... in der Lage, ihre Zivilbevölkerung
vor der endemischen Gewalt zu schützen.
({0})
Sie haben auch recht, dass die südsudanesische Regierung ihre Zustimmung zu einer internationalen
Schutztruppe widerrufen hat und keinerlei Anstrengungen unternimmt, die schweren Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land zu unterbinden und die Täter zur
Rechenschaft zu ziehen.
Man wird an dieser Stelle auch nicht weiterkommen;
denn die Hauptakteure selbst sind für diese Menschenrechtsverletzungen verantwortlich.
Das muss ein Ende haben. Im Antrag nennen Sie
durchaus viele wichtige Maßnahmen. Gezielte Sanktionen gegen alle maßgeblichen Akteure des Konflikts halte
ich für sinnvoll, wie das Einfrieren von Konten und die
Einschränkung der Reisefreiheit.
Die humanitäre Katastrophe werden wir nicht allein
durch humanitäre Hilfe abwenden können. Wir müssen
uns weiter dafür einsetzen, eine politische Lösung zu finden. Dazu gehört auch dringend die Übereinkunft über
ein Waffenembargo.
({1})
Dazu gehört meiner Auffassung nach auch UNMISS;
denn wir werden die Hilfe zu den Menschen kommen
lassen müssen. Bei der Unterstützung ist völlig zu Recht
die Zivilgesellschaft genannt. Wir müssen vor allen Dingen auch die Frauen schützen und dafür sorgen, dass Vergewaltigungen und Verbrechen an Frauen und Kindern
angeklagt werden.
Bis es mit einer politischen Lösung so weit ist, müssen wir weiter die Not lindern. Der eingangs zitierte
UN-Nothilfekoordinator Stephen O’Brien hat an den Sicherheitsrat geschrieben:
Es ist möglich, die Krise, die Hungersnot und die
drohende menschliche Katastrophe abzuwenden.
Allerdings braucht er für den Südsudan, Jemen, Somalia, Nord-Nigeria 4,4 Milliarden Dollar bis Juli 2017.
({2})
Vielen Dank, Gabriele Heinrich. - Nächste Rednerin:
Dagmar Wöhrl für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Unity“ bedeutet im Englischen „Einheit“; es bedeutet
aber auch „Einigkeit“ und „Geschlossenheit“. Im Bundesstaat Unity im Südsudan leben 1,4 Millionen MenGabriela Heinrich
schen. Sie sind im Südsudan zurzeit am stärksten von der
Hungersnot, von Kämpfen, von permanenter Angst und
vielem mehr bedroht, und viele Kinder sind traumatisiert.
Diese Menschen haben nichts von Einigkeit, Einheit und
Geschlossenheit. Im Südsudan wurde eine offizielle
Hungersnot ausgerufen. Das ist nicht nur die erste Stufe einer Warnung, die ausgerufen wird, bevor sich eine
Hungersnot anzeigt. Eine offizielle Hungersnot ist der
schlimmste aller Fälle, das Schlimmste, was man sich in
diesem Bereich überhaupt vorstellen kann.
Südsudan ist der jüngste Staat der Welt. Wie euphorisch waren wir alle hier im Plenum gewesen - viele
Kolleginnen und Kollegen erinnern sich noch daran -,
als wir diesen Staat nach 22 Jahren Bürgerkrieg endlich
haben aus der Taufe heben können! Zwei Jahre hat das
gehalten. Danach ging wieder der Bürgerkrieg los. Der
Bürgerkrieg ist der entscheidende Unterschied zu anderen Ländern Afrikas, die zurzeit auch bedroht sind von
Dürre oder Überschwemmungen, ausgelöst von Naturkatastrophen wie El Niño, die die Ernten vernichten. Im
Bürgerkrieg wird Aushungern als Waffe eingesetzt, Bauern werden ausgeplündert, das Vieh getötet - man sagt,
zuerst stirbt das Vieh, und dann stirbt der Mensch. Das
Getreide wird vernichtet, es kommt zu Massenvergewaltigungen, Zivilisten werden gezielt bombardiert, Kinder
zu Kindersoldaten rekrutiert und vieles andere mehr.
Es findet eine ethnische Säuberung statt - eine ethnische Säuberung im Zuge des Konflikts zwischen zwei
rivalisierenden Gruppen, und zwar denen von Salva Kiir,
also den mit der Regierung verbündeten Milizen, und den
Truppen seines Gegners, denen des Rebellenführers Riek
Machar. Beide stehen sich hier in nichts nach. Es ist ein
gewolltes Chaos, das hier herbeigeführt wurde.
Das Vermögen beider hat sich während des Bürgerkriegs - das ist von den Kolleginnen und Kollegen schon
angesprochen worden - um ein Vielfaches vermehrt.
Es geht um die Macht im Land. Es geht aber auch um
die großen Ölvorkommen im Land, die 97 Prozent der
Staatseinnahmen ausmachen und die ausschließlich an
China fließen. Da braucht man sich nicht zu wundern,
dass das Waffenembargo, das der Weltsicherheitsrat verhängen wollte, an China und Russland gescheitert ist.
Auch wenn der Sicherheitsrat diese Woche einen neuen
Anlauf unternommen hat, sind wieder nur Empfehlungen
herausgekommen. Auch diesen Worten werden keine Taten folgen.
Wir müssen sehen, dass es hier um ein Verbrechen
gegen die Menschlichkeit geht. Es gibt im Land über
3 Millionen Flüchtlinge, allein 2 Millionen Binnenflüchtlinge, und 1,5 Millionen Menschen haben Zuflucht
in den Nachbarländern gesucht. Allein in Uganda sind
es 800 000 Menschen. Der Kollege hat vollkommen
zu Recht gesagt, dass die Menschen bisher noch in die
Nachbarländer fliehen - vor Hunger und Vergewaltigungen, aus Angst und um ihre Familien in Sicherheit
zu bringen. Aber die Grenze zum Sudan ist offen, und
Sudan grenzt an Libyen. Wir wissen, was vor der libyschen Küste liegt, nämlich Europa. Auch das muss man
in diesem Zusammenhang sehen.
({0})
Das ist eine Conditio, die gewichtig ist. Die Weltgemeinschaft muss aufwachen. Wir müssen sehen, was hier passiert.
Ich bin Ihnen für diese Debatte dankbar; denn zu
1 Million Menschen haben wir keinen humanitären Zugang. Das Ministerium hat inzwischen auf Hungermodus
umgeschaltet. Wir unterstützen jetzt primär die vulnerable Bevölkerung, also Familien, Kinder und Frauen, die
vergewaltigt wurden. Wir müssen deswegen dafür sorgen, dass wir Zugang zu den entsprechenden Gegenden
bekommen. Auch internationale Hilfsorganisationen
werden zurzeit daran gehindert, in große Teile des Landes vorzudringen. UNMISS wird ebenfalls daran gehindert, unterstützend tätig zu werden.
Ich glaube, ein ganz großes Dankeschön müssen wir
den vielen Helfern sagen, die dort trotz großer Gefahr für
Leib und Leben noch im Land aktiv sind.
({1})
Seit 2013 sind dort 97 Helfer und Helferinnen gestorben,
die für die Ärmsten der Armen da waren - allein 6 in der
letzten Woche, als sie versucht haben, mit einem Konvoi
mit Hilfsmitteln nach Unity vorzudringen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die dortige Regierung schämt sich auch nicht, mit diesen Hilfeleistungen Geld zu machen. Früher hat ein Visum 100 Dollar
gekostet, jetzt kostet das Visum für einen Helfer fast
10 000 Dollar - das muss man sich einmal vorstellen -,
nur damit sich die Regierung und die vielen an der Spitze
dieses Landes die Taschen vollmachen können.
({2})
Ich möchte zum Schluss kommen. - Ich glaube, eines
muss man auch sehen: Auch wir sind gefragt, die Weltgemeinschaft ist gefragt. Manchmal habe ich das Gefühl,
dass sich die Weltgemeinschaft an die Katastrophen gewöhnt hat. Es ist selbstverständlich geworden, dass man
darüber redet. Die Welt ist aber nicht mehr aufgeschreckt.
Ich glaube, wir dürfen nicht mehr wegschauen.
1,6 Milliarden US-Dollar sind notwendig, um das
Überleben der Menschen im Südsudan zu sichern. Davon
fehlen immer noch 1,4 Milliarden US-Dollar. Das darf
einfach nicht sein und ist eine Schande für uns Christen.
Ich glaube, alle sind hier gefordert.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank, Dagmar Wöhrl. - Nächster Redner:
Christoph Strässer für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Vor ungefähr zweieinhalb
Jahren habe ich auf Vermittlung einer großen internationalen Kinderrechtsorganisation - ich kann den Namen nennen und ein bisschen Werbung machen; es war
Plan International - eine Patenschaft für einen Jungen
aus dem Südsudan übernommen. Das ist ganz einfach;
das kann jeder machen. Das kostet nicht viel Geld, aber
mit dem wenigen Geld konnte vieles finanziert werden:
der Zugang zur Schule, Kleidung und alles, was man so
braucht. Vor ungefähr vier Monaten habe ich von Plan
International die Nachricht erhalten, dass sie die Patenschaft leider nicht mehr aufrechterhalten können, weil
sie nicht mehr gewährleisten können, dass erstens dieser
Junge noch lebt und dass zweitens irgendetwas, was sie
tun können, bei diesem Kind auch ankommt.
Dieser Junge - ich habe ihn selber nie live gesehen,
aber einige Mitteilungen von ihm bekommen - kommt
aus der Nähe von Rumbek, einer Stadt im Bundesstaat
Lakes im Südsudan. Das liegt noch nicht im Zentrum der
Auseinandersetzung, aber auch dort ist die Situation natürlich dramatisch schlecht. Das Schicksal dieses Jungen
teilen Millionen von Menschen im Südsudan.
Ich spreche darüber aber auch noch aus einem anderen
Grund: Der Menschenrechtsausschuss des Bundestages
hatte im Jahre 2004, also ein Jahr, bevor der umfassende - ich sage das jetzt einmal in Anführungsstrichen „Friedensvertrag“ zwischen dem Sudan und der damaligen Provinz Südsudan abgeschlossen wurde, Zugang
zum Südsudan. Wir sind dort mit einem sogenannten
Buschflieger, einer privaten Maschine, eingeflogen und
auf einer Piste mitten im Busch gelandet. Anders war der
Südsudan damals nicht erreichbar. Nachdem wir ausgestiegen waren, sahen wir neben dieser Piste zwei große
Lagerstätten - Holzlager ohne Dach. Wir haben unsere
Begleiter gefragt, was das ist und was darin ist, und sie
sagten: Geht mal hin und guckt euch das an. - Wir haben in diese Lager mitten im Südsudan geschaut und gesehen, dass sie vollgepackt waren mit funktionsfähigen
Kleinwaffen und allem, was man sich vorstellen kann und das für jedermann zugänglich.
Das sage ich auch deshalb, weil wir hier über ein Waffenembargo reden. Natürlich muss es dieses Waffenembargo geben. Ich glaube, darüber sind wir uns alle einig.
Aber selbst wenn es das geben würde, wären die Probleme im Südsudan dadurch nicht gelöst, weil das Land
vor Kleinwaffen überläuft, und das sind die gefährlichen
Waffen, die gerade gegen Kinder, Frauen und Zivilisten
allgemein eingesetzt werden.
Nach der Vereinigung der beiden Staaten ist unter anderem falsch gelaufen, dass keine wirkliche Entwaffnung
stattgefunden hat. An der einen oder anderen Stelle sind
den Kämpfern zwar die Waffen weggenommen worden,
aber sie sind im Land geblieben und in solchen Lagern
gelandet, die für alle möglichen Menschen zugänglich
sind. Das kann in einem Land, das 22 Jahre lang - und
davor noch einmal 15 Jahre lang - im Bürgerkrieg gewesen ist, nicht funktionieren. Deshalb ist das Waffenembargo wichtig; ich glaube aber, man muss der Ehrlichkeit
halber auch sagen, dass die EU vor einigen Jahren schon
ein Waffenembargo gegen den Südsudan ausgesprochen
und Lieferungen dorthin verboten hat.
Man muss sich zugleich die Frage stellen, woran ein
entsprechendes Waffenembargo der UN eigentlich scheitert. Bei der letzten Abstimmung im Sicherheitsrat haben sich nur 7 von 15 Ländern für ein Waffenembargo
ausgesprochen, 8 haben sich enthalten. Unter diesen acht
Ländern - das muss man auch einmal sagen - waren zwei
ständige Mitglieder des Weltsicherheitsrates, nämlich
China und Russland. Auch das ist ein Teil der Wahrheit,
der uns nicht davon abhalten sollte, die Umsetzung des
Waffenembargos weiter zu verfolgen.
Neben diesem Aspekt möchte ich gerne noch zwei
Dinge sagen, die für die politische Situation im Südsudan wichtig sind.
Uwe, ich finde euren Antrag gut; das sage ich ganz
deutlich.
({0})
Er hat aber an einer Stelle eine Macke - das hat auch Frau
Wöhrl schon angesprochen -: Es findet sich in eurem Antrag kein Satz dazu, dass die Verrohung des Völkerrechtes im Südsudan eine neue Dimension dadurch erfahren
hat, dass es eben nicht mehr gelingt, wie Sie es gesagt
haben, humanitäre Hilfe dorthin zu bringen, wo sie gebraucht wird. Wenn Helferinnen und Helfer bei ihrer Arbeit in Lebensgefahr sind, dann wird man sich sicherlich
die Frage stellen müssen: Was passiert dort eigentlich?
Ein weiterer Punkt, den ich noch ansprechen möchte,
ist der sogenannte nationale Dialog, der dort stattfinden
sollte, aber nicht funktioniert. Ich behaupte - das ist wissenschaftlich nicht bewiesen -: Ein nationaler Dialog
zwischen zwei Männern, die nichts anderes gelernt haben, als Krieg zu führen, und zwar auf Kosten der Zivilbevölkerung, ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
Deshalb ist meine dringende Bitte an die Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass dieser nationale Dialog, wenn
er denn erfolgreich sein soll, in einem inklusiven Prozess, also unter Einbeziehung von zivilgesellschaftlichen
Organisationen, insbesondere von Frauenorganisationen,
durchgeführt wird. Nur dann bietet dieser politische Prozess eine Lösungsperspektive.
({1})
Frau Präsidentin, als ich zum Pult gekommen bin,
hatte ich eine Vision. Sie alle kennen ja den Ausspruch
des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt: Wer Visionen hat, der soll nicht ins Parlament, sondern zum Arzt
gehen. - Ich habe trotzdem diese Vision. Der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen zur Verhinderung von
Genozid, Dieng, hat sehr deutlich gesagt: Das, was im
Südsudan passiert, ist etwas Neues - wie es damals in
Ruanda, wie es damals in Srebrenica etwas Neues war -,
nämlich ein permanenter Prozess des Völkermordes.
Meine Vision, bei allen Differenzen, die wir in vielen
Fragen haben, war: Das, was den Menschen hilft - das
wissen sie vielleicht nicht -, wäre eine starke und einhellige Abstimmung, eine Resolution dieses Hohen Hauses
zur Verhinderung von Genozid - nicht nur im Südsudan,
aber da ganz besonders.
Ich hoffe, wir bekommen das hin. Das wäre ganz toll.
Ich glaube, die Menschen würden sich über ein solches
Signal nicht nur freuen, sondern sie würden auch etwas
davon haben.
Herzlichen Dank.
({2})
Vielen Dank, Christoph Strässer. - Der letzte Redner
in dieser sehr intensiven Debatte: Frank Heinrich für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist tatsächlich eine sehr intensive Debatte,
genau. - Was kann man denn, nachdem man sich die Daten und Fakten, die wir gehört haben, vergegenwärtigt
hat, noch hinzufügen?
Zunächst ein Dank an Sie als Grüne, dass wir als
Parlament dieses Thema zu dieser Tageszeit diskutieren
können und das Thema nicht nur für uns, sondern auch
für die Öffentlichkeit präsent machen. Das Bewusstsein
für die verheerende Lage ist mir persönlich tatsächlich
noch viel zu gering ausgeprägt. Es ist wichtig, dass die
Situation im Südsudan, die wir heute debattieren und von
der Sie als Zuschauer ein bisschen schockiert sind, den
Menschen draußen klargemacht wird.
Was sollte man noch hinzufügen? Ich werde natürlich ein paar Dinge noch einmal in Erinnerung rufen,
die schon von den Kollegen gesagt wurden. Aber wir als
Weltgemeinschaft müssen handeln, und wir dürfen uns
nicht mit weniger als dem Besten, was wir haben, zufriedengeben.
Im Südsudan droht Völkermord; Herr Strässer hat es
zum Schluss seiner Rede gesagt. Auch die UN haben das
aufgenommen. Es ist ein schleichender, aber ein voranschreitender Prozess, der möglicherweise dahin führt,
was wir in unseren Erinnerungen mit Ruanda verbinden.
Täglich sterben 20 Menschen den Hungertod, viele davon sind Kinder. 1 Million Kinder sind akut unterernährt.
Es droht eine verlorene Generation. Und die Krise ist das haben wir mehrfach gehört - keine neue Krise: seit
drei Jahren Bürgerkrieg, 300 000 Tote, Vertreibung eines
Drittels der Bevölkerung und Kollaps der Wirtschaft. Die
Inflation schießt um 800 Prozent in die Höhe; nicht nur
Visa sind also exorbitant teuer. Die Regierung hat kein
Geld mehr übrig, zumindest nicht für Humanitäres.
Was machen Menschen, wenn sie kein Geld haben,
der Handel nicht funktioniert und sie nicht selber etwas
produzieren können? Viele Familien haben alle Wege
ausgeschöpft, sich ohne Hilfe von außen am Leben zu
erhalten. Wenn Beeren da sind, werden die gesammelt.
Sonst aber - das habe ich gelernt - müssen sie auf Zweige, Baumrinden und Wasserlilien zurückgreifen. Humanitäre Hilfe, auch von uns, ist die einzige Hoffnung und
Chance.
Natürlich spielt der Klimawandel mit der Dürre in Ostafrika eine Rolle. Wirklich verantwortlich für das Leid
der Menschen in den vergangenen Jahren sind aber - das
ist hier mehrfach angesprochen worden - die südsudanesischen Machtkämpfer. Auch da stehen wir, was den
Geist dessen anbelangt, was ihr Grüne vorschlagt - das
sollt ihr wissen -, natürlich voll hinter euch.
Obwohl die Wirtschaft am Boden liegt, scheint es immer noch Möglichkeiten der persönlichen Bereicherung
der Eliten zu geben. Der Sentry-Report belegt, dass mit
dem Beginn des Krieges 2013 für die Herrscherclique
wirtschaftlich fette Jahre begonnen haben. Er listet auf,
wo die Mächtigen ihre mondänen Häuser im Ausland haben und wie sie das Land ausplündern. Ich erinnere mich
in diesem Zusammenhang an die Werbung „Mein Haus,
mein Boot, mein Auto“. Der Kampf der kleptokratischen
Netzwerke um politische Macht und um den Zugang zu
den Ölressourcen hat den Zusammenbruch des Landes
herbeigeführt. Die Verantwortung liegt oben, den Preis
zahlen die unten. Dem Leid der eigenen Bevölkerung
steht - zumindest sieht es so aus - die Elite nicht nur
gleichgültig gegenüber, sondern das, was zum Leid führt,
wird von der Clique noch angetrieben.
Genau in der Region, wo die UN die Hungersnot
ausgerufen haben, führt die südsudanesische Regierung
eine Art Vernichtungskrieg gegen ihre eigene Bevölkerung. Sie wird gezielt ausgehungert. Massenvergewaltigungen - das wurde mehrfach genannt - betreffen zwei
Drittel bis drei Viertel aller Frauen. Vermehrt ethnisch
motivierte Gewalt und Hassrhetorik sind Vorboten genozidärer Gewalt. Davor hat der gerade genannte Adama
Dieng schon im November gewarnt.
Natürlich bin ich - auch das ist hier schon zitiert worden - dankbar für das, was unser Land bzw. die Bundesregierung schon tut. Ich denke dabei an die regionale
Schutztruppe zur Verstärkung von UNMISS, an die zivile Konfliktprävention und an den von uns unterstützten
Ausbau der Friedens- und Sicherheitsarchitektur der Afrikanischen Union. Das alles ist toll. Und dann kommen
wir nicht einmal diplomatisch damit durch, dass das Waffenembargo tatsächlich klappt und dass gezielte Sanktionen verhängt werden. Das ist so, weil sich auch Länder,
mit denen wir sehr befreundet sind, nicht zu mehr als einer Enthaltung durchringen können.
Wir stoßen an die Grenzen unserer diplomatischen
Mittel. Tun wir aber genug? Die Aufforderungen nehmen
wir sehr wohl wahr. Wenn wir die humanitäre Hilfe mit
dem zusammenrechnen, was das BMZ gibt, kommen wir
auf knapp 100 Millionen Euro. Tun wir genug?
Für Frieden, Sicherheit und Stabilität ist der politische
Wille der verantwortlichen Akteure vor Ort unerlässlich.
Die Machthaber müssen endlich die Krise anerkennen
und ihre Verantwortung gegenüber den 13 Millionen
Südsudanesen übernehmen. Natürlich müssen sich auch
die Afrikanische Union und die Nachbarländer mit ihren
Einflussmöglichkeiten - allein wegen ihres Eigeninteresses an Stabilität und Frieden in der Region - stärker in
die Pflicht nehmen lassen. Ich appelliere auch an die afrikanischen Nachbarländer, unsere Partner, mehr Druck
auf diese Regierung auszuüben, sich zusammenzuschließen, um Frieden zu schaffen.
Gestern Abend gab es eine Konferenz - sie wurde vorhin genannt -, auf der Ministerin von der Leyen
und Minister Müller betonten, dass Sicherheit, Frieden
und Entwicklung einander bedingen. Deshalb ist es gut,
wenn wir mit dem Marshallplan und dem „Compact with
Africa“ den Schwerpunkt in der G 20 auf Afrika legen.
Aber beide Seiten müssen ihrer Verantwortung gerecht
werden. Wir müssen das diplomatisch, finanziell und moralisch und mit vielem anderen, was in dem Antrag steht,
machen. Aber wir müssen den Akteuren des Bürgerkrieges auch sagen: Übernehmt in eurem schönen Land, dem
Südsudan, die Verantwortung für eure 13 Millionen Bürger.
Ich danke.
({0})
Vielen Dank, Frank Heinrich. - Ich schließe die Aussprache.
Vielleicht, lieber Christoph Strässer, können wir uns
daran orientieren, wie Ernst Bloch „Vision“ definierte:
als das noch nicht Seiende. - Vielen herzlichen Dank für
diese Debatte.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/11732 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federführung beim Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe liegen soll. Sind Sie damit einverstanden? - Ich
sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so
beschlossen. Vielen Dank.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses
({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungs- und Beratungsmission
EUTM Somalia
Drucksachen 18/11273, 18/11673
- Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/11674
Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind
25 Minuten für die Aussprache vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze einzunehmen, damit ich die Aussprache eröffnen kann.
Ich gebe Jürgen Coße für die SPD als erstem Redner
das Wort.
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Krisenprävention ist besser, als einen Konflikt lösen zu
müssen, wenn er schon ausgebrochen ist. Aktive Krisenprävention und Friedensförderung sind jede Mühe von
uns allen in diesem Haus wert und braucht die breiteste
Unterstützung, die wir bekommen können.
Aber was ist, wenn die Krise schon da ist? Wir alle
kennen die schockierenden Bilder der Hungernden aus
Somalia. Von der Wasserknappheit sind dort zurzeit
6,2 Millionen Menschen betroffen. Das ist über die Hälfte der Bevölkerung.
Mitte März hat das Auswärtige Amt die humanitäre
Hilfe für das Horn von Afrika verdoppelt. Es stimmt: Humanitäre Hilfe ist unabdingbar, aber für eine langfristige
Stabilisierung müssen wir viel mehr tun. Ja, wir müssen
die somalische Regierung in die Lage versetzen, das
Land effektiv zu regieren und auch die humanitäre Hilfe
zu schützen. Anders gesagt: Ohne Frieden und Sicherheit
kann es keine tragfähige Entwicklung in Somalia geben.
Deswegen bildet die EU seit 2010 Soldaten der somalischen Armee in der Mission EUTM Somalia aus. Sie
stützt sich auf eine Einladung der somalischen Regierung
und auf eine Resolution des Sicherheitsrates. Diese Ausbildungs- und Trainingsmission leistet mit 155 Soldaten
einen zahlenmäßig kleinen, aber wichtigen Beitrag zur
Stabilisierung Somalias. So konnten bereits mehr als
5 400 somalische Soldaten ausgebildet werden.
Vielen Dank an die elf deutschen Soldaten, die derzeit
dort ihren Dienst tun! Sie leisten unter schwierigen Bedingungen sehr, sehr gute Arbeit.
({0})
Ja, die Sicherheitslage in Somalia ist zwar immer noch
angespannt, hat sich aber verbessert. Auch der politische
Prozess macht Hoffnung. Gemessen an den Umständen
waren die letzten Monate ein kleiner Erfolg. Nach einem komplizierten Auswahlprozess und der friedlichen
Machtübernahme ist Mohamed Abdullahi als Präsident
vereidigt worden. Er ist demokratisch legitimiert; er hat
vielleicht sogar die höchste demokratische Legitimation,
die ein Präsident in Somalia je hatte.
Der neue Präsident kommt aus dem Exil und hat sich
bereits 2010 als Premierminister mit seinem Eintreten
gegen Korruption einen Namen gemacht. Er sorgte damals dafür, dass die Soldaten regelmäßig ihren Sold erFrank Heinrich ({1})
hielten. Lassen Sie uns ihm und seiner Regierung jetzt
und auch weiterhin eine Chance geben.
Eine Chance hat die Regierung aber nur, wenn sie
über ein gut ausgebildetes Militär verfügt. Dafür vermittelt EUTM Somalia Spezialwissen, hauptsächlich an
Offiziere. Der Lehrplan umfasst unter anderem zivil-militärische Zusammenarbeit, humanitäres Völkerrecht und
Menschenrechte. Damit wird ein Grundstein für eine Armee gelegt, die Zivilisten schützen kann.
Zweifellos gibt es bei der Ausbildung einiges zu verbessern. Das tut die EU aber auch. 2016 beschloss die
EU, die Ausbildung stärker stammübergreifend auszurichten. Bereits Anfang dieses Jahres hat die Mission die
Ausbildung einer stammübergreifenden Infanteriekompanie abgeschlossen. Diese Fortschritte können sich sehen lassen, auch wenn sie klein sind.
Trotzdem macht sich heute keiner meiner Kolleginnen
und Kollegen in diesem Haus die Entscheidung leicht.
({2})
Wer gegen den Antrag stimmt, muss eine Frage beantworten: Was ist denn die Alternative? Wenn wir uns nicht
in Somalia engagieren, überlassen wir das Land auf jeden
Fall den Terroristen von al-Schabab. Das kann niemand
in diesem Hause ernsthaft wollen.
Sicherlich: Die Parole „Afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme“ ist ein gutes Ziel. Es zu erreichen,
liegt auch im europäischen Interesse. Aber so weit sind
wir noch nicht. Noch gibt es eine geteilte Verantwortung
bei der Bewältigung von Krisen und Konflikten auf unserem Nachbarkontinent. Was nicht nationalstaatlich
gelöst werden kann, wird auf Ebene der afrikanischen
Regional organisationen oder der Afrikanischen Union
gehoben, und es wird versucht, eine Lösung anzustreben.
Erst danach kommen die Vereinten Nationen und die Europäische Union ins Spiel.
Im Bundestag, liebe Kolleginnen und Kollegen, reden
wir häufig über Krisen und Konflikte in Afrika, die bislang noch nicht gelöst worden sind. Aber es gibt auch
Erfolge. Über diese sollten wir vielleicht öfter reden. Erst
Anfang des Jahres gelang es der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS, in Gambia einen letztlich friedlichen Machtwechsel durchzusetzen. Auch die
Afrikanische Union macht Fortschritte. Für den neuen
Generalsekretär der Afrikanischen Union stehen Sicherheit und Frieden ganz oben auf der Agenda. Er hat sich
in Somalia ein Bild von der Lage vor Ort gemacht. Auf
jeden Fall müssen wir anerkennen, welche Entwicklung
die afrikanische Sicherheitsarchitektur bereits genommen hat. Die Afrikanische Union gibt es erst seit 15 Jahren. Ihre Vorgängerin, die Organisation für Afrikanische
Einheit, stand noch klar unter dem Prinzip der Nichteinmischung. Interventionen, wie sie die Afrikanische Union heute vornimmt, wären damals undenkbar gewesen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir etwas
umfassender zurückblicken, sehen wir: Die afrikanische
Sicherheitsarchitektur ist auf dem Weg nach vorne, auch
wenn es langsam vorangeht. Bis das Ziel „Afrikanische
Lösungen für afrikanische Probleme“ erreicht ist, wird
allerdings noch viel Wasser Nil, Kongo und Niger hinunterfließen. Bis es so weit ist, sollten wir uns nicht verweigern, wenn wir helfen können. Genau deswegen stimmt
die SPD diesem Antrag zu.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Vielen Dank, Herr Kollege Coße. - Nächste Rednerin:
Sevim Dağdelen für die Linke.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir haben in der gerade vorangegangenen Debatte über die Hungersnot im Südsudan gesprochen. Hier
kann man eigentlich nahtlos anschließen. Somalia steht
nämlich am Abgrund. Die Menschen in Somalia stehen
vor einer humanitären Katastrophe. 6,2 Millionen Menschen hungern, davon allein 300 000 Kinder. Wenn nicht
schnell Hilfe ankommt, werden Tausende Menschen
sterben. Das Welternährungsprogramm berichtet davon,
dass massiv Mittel fehlen, um auch nur die nötigste humanitäre Hilfe in Somalia zu leisten.
Die Bundesregierung hat im letzten Jahr 38 Millionen
Euro ausgegeben. Ende Februar 2017 hat sie zusätzlich
16,5 Millionen Euro bereitgestellt. Das begrüßen wir
ausdrücklich. Das ist gut. Aber es ist nur ein Tropfen auf
den heißen Stein. Sie stellen den Hungernden in Somalia
damit pro Kopf 2,66 Euro zur Verfügung. Tausende Menschenleben, die gerettet werden könnten, werden so nicht
gerettet. Den Vereinten Nationen, sagt der Sondergesandte von UN-Generalsekretär Guterres, Michael Keating,
fehle es an Geld. Zitat:
Das Vorbeugungsprogramm gegen Hunger braucht
864 Millionen Dollar bis Juni, um 5,5 Millionen
Menschen zu erreichen. 30 Prozent des versprochenen Geldes ist da.
Da fragt man sich natürlich: Was tut man, was tut
die Bundesregierung, um den Hungernden zu helfen,
also einer existenziellen Krise entgegenzuwirken, und
das notwendige Geld aufzutreiben? Warum ist die Bundesregierung nicht bereit, wenigstens die 8 Prozent, die
Deutschland zum UN-Budget leistet, oder sogar 10 Prozent - das wäre angesichts der schwerwiegenden Situation mehr als angemessen - als Anteil zu übernehmen?
Warum ist man dazu nicht bereit? Das wäre eigentlich
angemessen angesichts der wirtschaftlichen Kraft, die
wir haben, und entspräche dann 86 Millionen Dollar.
({0})
In diese Richtung gehen Sie aber einfach nicht. Stattdessen soll die Ausbildungsmission für somalische Sicherheitskräfte durch die Bundeswehr fortgeführt werden. Für diese Mission sollen heute hier im Bundestag
4,1 Millionen Euro für ein Jahr bereitgestellt werden, also
ein Viertel der Summe, die Sie hier zusätzlich für humanitäre Hilfe einsetzen wollen. Das geschieht, obwohl Sie
noch nicht einmal sagen können, wie viele der von Ihnen
ausgebildeten Soldaten desertiert oder beispielsweise
mitsamt der ganzen Ausrüstung und den Waffen zu den
Al-Qaida-Milizen übergelaufen sind. Es gibt überhaupt
keine Kontrolle. Sie sind seit sieben Jahren die Antwort
auf die Frage schuldig, wo die ausgebildeten Soldaten
letztendlich geblieben sind.
Mit dieser Mission beteiligt sich die Bundesregierung weiterhin am somalischen Bürgerkrieg und unterstützt natürlich auch fragwürdige Akteure wie die somalische Regierung. Die Präsidentschaftswahlen fanden
erst jüngst durch nichtgewählte Abgeordnete in einem
Hangar in Mogadischu statt, der von der AMISOM bewacht wurde. Es gibt keinerlei Strukturen in Somalia, um
Kriegsverbrechen der somalischen Regierungstruppen
oder der AMISOM zu ahnden.
Aber es ist genau diese Straflosigkeit, die das internationale Recht immer weiter erodieren lässt. Auch die
Bundesregierung muss in puncto Straflosigkeit endlich
Farbe bekennen, und das gilt nicht nur für Somalia. Wir
müssen endlich eine lückenlose Aufklärung über die
Kriegsverbrechen, an denen die Bundeswehr beteiligt ist,
erhalten. Frau von der Leyen, lassen Sie mich hier sagen:
Wenn sich die Berichte über die Beteiligung der Bundeswehr an dem Angriff auf die Schule in Syrien erhärten,
dann müssen Sie hier natürlich auch die politische Verantwortung übernehmen und die Konsequenzen ziehen.
({1})
Die Bundesregierung beteiligt sich auch an den
US-Kriegsverbrechen in Somalia durch die Drohnenmordaktionen. Das wissen Sie schon seit längerem. Hier
in Deutschland wird weiterhin die notwendige Infrastruktur für diese Drohnenmorde auch in Somalia vorgehalten. Das empfinden wir als unerträglich. Wir fordern
Sie deshalb auf: Beenden Sie diese Beihilfe zu Kriegsverbrechen! Leisten Sie in Somalia eine ausreichende
humanitäre Hilfe, statt immer wieder die Verlängerung
von Militärmissionen zu beschließen, über deren Bilanz
offen und transparent zu sprechen Sie bis heute nicht in
der Lage sind.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Dr. Johann Wadephul für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben gerade wieder einen typischen Beitrag aus der Linksfraktion erlebt,
({0})
den ich aber dennoch kurz einordnen muss. Ich muss
schon sagen: Diesen kleinen Beitrag zu einer Ausbildungs- und Trainingsmission mit neun oder elf Soldaten
hier als einen Beitrag zur Beteiligung an Kriegsverbrechen
({1})
zu diskreditieren, das ist infam, Frau Kollegin. Dafür
sollten Sie sich entschuldigen. Das sollten Sie zurücknehmen.
({2})
Für mich ist das Anlass, den Soldatinnen und Soldaten
der deutschen Bundeswehr, die dort Ausbildung betreiben und die die Soldatinnen und Soldaten der somalischen Streitkräfte in die Lage versetzen,
({3})
sich gegen eine terroristische Al-Schabab-Miliz zur Wehr
zu setzen, einmal herzlich für den schweren Dienst, den
sie in Somalia leisten, zu danken.
({4})
Unsere Soldaten leisten einen Beitrag zu mehr Frieden
in diesem Land - überschaubar, aber es ist ein Beitrag
dazu, dass dieses Land befriedet werden kann. Das ist
die Wahrheit.
({5})
Es sollte auch schon angesichts der Zahl, über die wir
gesprochen haben - der Kollege Coße hat es aus meiner Sicht vollkommen richtig einsortiert -, jetzt nicht der
Eindruck erweckt werden, als wären diese Soldatinnen
und Soldaten, die in der Tat schon über 5 000 Angehörige
der Streitkräfte in den vergangenen Jahren dort ausgebildet haben - das ist beachtenswert genug -, die Lösung
aller somalischen Probleme. Diesen Eindruck hat hier
niemand erweckt,
({6})
und das ist auch gar nicht der Anspruch, den wir mit dieser Mission verfolgen.
Aber wir müssen schon zur Kenntnis nehmen, dass es
in diesem Land, das in den letzten Jahren und Jahrzehnten einige Heimsuchungen hat erleben müssen, doch eine
vorsichtige Entwicklung zum Positiven gegeben hat.
({7})
Es gibt in der Tat - auch darauf ist vom Kollegen Coße
hingewiesen worden - einen neuen Präsidenten, der aus
dem Exil kommt, der das Richtige will, der eine integrative Regierung gebildet hat, der sich dafür einsetzt, dass
Menschenrechte in diesem Land geachtet werden, und
der Korruption bekämpfen will. Man kann nicht einfach
einen Schalter umlegen und in dem Land etwas Neues
herbeiführen.
({8})
Aber diese neue Regierung braucht unsere Unterstützung. Sie braucht erst einmal Sicherheit in diesem Land.
({9})
Dazu müssen wir einen bescheidenen, aber doch notwendigen Beitrag auch mit dieser Mission leisten. Das
ist richtig.
({10})
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, an die Kolleginnen und Kollegen der Grünenfraktion zu appellieren,
noch einmal darüber nachzudenken, ob man hier nicht
doch zustimmen kann, wenn sie nach wie vor anstreben in welcher Konstellation auch immer; die Zahlen lassen
dieses Vorhaben ein wenig wackelig erscheinen -, nach
der Bundestagswahl an einer Bundesregierung beteiligt
zu sein.
({11})
- Herr Kollege Lindner, Sie strahlen eigentlich immer
aus, dass Sie dabei sein wollen, wenn regiert wird.
({12})
Deshalb sollten Sie noch einmal darüber nachdenken, ob
Sie diesem Einsatz nicht doch zustimmen.
({13})
- Frau Lemke, Sie wollen vielleicht nicht beteiligt werden. Das zeigt die Zerstrittenheit der Grünen. Aber das
müssen Sie untereinander regeln.
Sie fordern doch immer wieder ein, dass wir klare völkerrechtliche Grundlagen für die Einsätze brauchen. Wir
haben es hier mit einer somalischen Regierung zu tun,
({14})
die die Europäische Union eingeladen hat. Es gibt eine
Resolution des UN-Sicherheitsrates. Sie verlangen immer wieder, dass wir die Autorität des Sicherheitsrates
unterstützen und dass wir ihm dadurch zu Glaubwürdigkeit verhelfen, dass wir diese Missionen auch wahrnehmen.
({15})
Hier sind wir nun einmal gemeinsam mit unseren europäischen Partnern diejenigen, die in Somalia auf einer
klaren völkerrechtlichen Grundlage tätig werden können.
Insofern sollte man das auch tun.
Sehen Sie doch die in der Tat bescheidenen, aber
durchaus vorhandenen Vorteile dessen, was sich in Somalia entwickelt hat: eine neue Regierung, ein neuer Ansatz.
({16})
Man versucht, die verschiedenen Strukturen des Landes
einzubeziehen. Berücksichtigen Sie das, was wir an Entwicklungshilfe, was wir an humanitärer Hilfe dort leisten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will den
Einsatz nicht überhöhen. Diese Zahl von Soldatinnen
und Soldaten kann in diesem Land nicht alles regeln. Wir
können sicherlich nicht versprechen, dass nur deswegen,
weil unsere Soldatinnen und Soldaten dort sind, alles
besser wird. Aber auch hier gilt der Grundsatz: Es gibt
nichts Gutes, außer man tut es. - Wir tun ein bisschen etwas Gutes. Wir leisten einen Beitrag dazu, dass dieses so
gescholtene Land, das sich in so schwierigen Verhältnissen befindet, zu ein bisschen mehr Stabilität finden kann.
Sie sollten Ihren Teil dazu beitragen, indem Sie diesem
Einsatz zustimmen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({17})
Das Wort hat die Kollegin Agnieszka Brugger für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben in der vorhergehenden Debatte über die drohenden
Hungerkatastrophen im Südsudan, aber auch schon in
Nigeria, im Jemen und in Somalia gesprochen. 1,4 Millionen Kinder, die vom Hungertod bedroht sind, das ist
schockierend. In Somalia ist allein die Hälfte der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen. Damit sich die
Hungerkatastrophe von 2011 mit 250 000 Toten nicht
wiederholt, muss jetzt schnell geholfen und gehandelt
werden.
({0})
Düster ist auch die Sicherheitslage. Auch wenn
al-Schabab mittlerweile an Macht und Territorium eingebüßt hat, werden nach wie vor in hoher Regelmäßigkeit
grausame Anschläge auf Regierungsgebäude, Hotels und
Sicherheitskräfte verübt. Die Vergangenheit hat für die
Menschen in Somalia viele Grausamkeiten, enttäuschte
Hoffnungen und Rückschläge bedeutet. Viele von ihnen
geben aber trotzdem die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft nicht auf, und sie gilt es zu unterstützen.
Leider ist es nicht gelungen, den neuen Präsidenten
in einer freien, fairen Wahl direkt durch die Bürgerinnen
und Bürger bestimmen zu lassen. Trotzdem: Insbesondere vor der Folie der korrupten Vorgängerregierung bedeuten ein neues Parlament und ein neuer Präsident auch
neue Chancen. Positiv ist auch, dass Deutschland wieder
Entwicklungszusammenarbeit leistet.
Aber angesichts der extrem schwierigen Lage in Somalia gibt es eine Sache, an der es da nicht mangelt:
Das ist die Vielzahl der Akteure, gerade wenn es um den
Sicherheitssektor geht. Die Afrikanische Union, die Europäische Union, die Türkei, Großbritannien, die USA,
die Vereinigten Arabischen Emirate und sogar private
Militärfirmen sind in diesem Bereich aktiv - mit ihren jeweils eigenen Interessen und auf eigene Rechnung. Was
in Somalia nämlich eindeutig fehlt, das ist eine Strategie
für einen nachhaltigen Aufbau politisch kontrollierter
Sicherheitskräfte, die im Dienste aller Menschen stehen.
In diesem Umfeld findet die europäische Ausbildungsmission EUTM Somalia statt. Sie wurde 2010 begonnen, hat die ersten Jahre in Uganda stattgefunden, und
die Bundesregierung hat sich damals aus guten Gründen
nicht daran beteiligt, weil sie berechtigte Zweifel hatte,
ob diese Mission so zum Ziel führt. Statt wirklich auf
eine echte und nachhaltige Neuausrichtung dieser Mission zu drängen, hat die Bundesregierung sich irgendwann
entschieden, sich doch einfach daran zu beteiligen.
Im Mandat umschreiben Sie die zahlreichen Probleme, die diese Mission hat, mit der Formulierung, sie habe
ihre Aufgaben nicht wirksam genug umsetzen können.
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, das
ist verharmlosende Schönrederei.
({1})
In den letzten Jahren gab es eine Reihe von wirklich
sehr vielen glaubwürdigen Hinweisen dazu, was bei dem
Versuch, die somalische Armee auszubilden, alles schiefgelaufen ist. Es gibt die Analyse des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze, unheimlich viele Berichte,
Augenzeugenberichte von Nichtregierungsorganisationen und sogar eine eigene Auswertung der Europäischen
Union. Sie alle stellen dieser Mission ein verheerendes
Zeugnis aus. Es gibt Berichte über uniformierte Soldaten, die die eigene Bevölkerung ausrauben, statt sie zu
schützen, über Soldaten, die keinen Sold bekommen und
nach der Ausbildung mit ihrer Ausstattung zu den Milizen überlaufen. Das ist wirklich kein Beitrag zu mehr
Sicherheit in Somalia.
({2})
Seit Jahren ist immer wieder die Rede von hohen
Desertionsraten. Wir Grüne haben oft nachgefragt, die
Linken auch. Ich lese Ihnen einfach einmal vor, was man
dann so als Antwort von der Bundesregierung bekommt,
zum Beispiel am 8. März dieses Jahres von Herrn
Brauksiepe aus dem Verteidigungsministerium:
Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse zu
Desertionen von somalischen Soldaten nach dem
Abschluss ihrer Ausbildung im Rahmen der EU-geführten militärischen Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM Somalia oder über generelle Desertionsraten in der somalischen Armee vor.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung handelt hier nach dem Motto: Was ich nicht sehen will, das
gibt es einfach nicht. - Ihre Devise ist, mit einem möglichst geringen Beitrag dazubleiben, auf den ersten Blick
schöne Statistiken zu präsentieren und kleine Kurswechsel als große Lehren zu verkaufen.
({3})
Da fragt man sich schon: Ist das noch naiv und blauäugig, oder ist das nicht schon verantwortungslos?
Meine Damen und Herren, wir Grüne können dem
Appell des Kollegen Wadephul nicht folgen, sondern wir
appellieren an die Bundesregierung, das alles endlich
ernst zu nehmen; denn so können wir dem Mandat natürlich auf keinen Fall zustimmen, und zwar nicht deshalb,
weil wir die Menschen in Somalia alleinlassen wollen,
sondern deshalb, weil Sie seit Jahren nicht bereit sind,
die zahlreichen Fehler zu korrigieren, und so ganz sicher
nicht zu einem nachhaltigen Aufbau von Sicherheitsstrukturen in Somalia beitragen.
Vielen Dank.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz
zu nehmen und auch dem nach unserer Redeliste letzten
Beitrag in dieser Debatte vor der namentlichen Abstimmung die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken.
({0})
Ich meine diese Bitte sehr ernst und richte sie an alle
Fraktionen.
({1})
Das gilt auch für die Kolleginnen und Kollegen der SPD,
die dort hinten stehen.
({2})
- Nein, wir werden nicht weitermachen. Ich werde dem
Kollegen Höschel zu seiner ersten Rede im Hohen Hause
nicht das Wort erteilen, bevor nicht die notwendige Aufmerksamkeit hergestellt ist.
({3})
Ich bitte, das auch in die Unionsfraktion hinein und gegebenenfalls an die Vertreter, die auf der Regierungsbank
Platz nehmen könnten, zu übermitteln. Wir werden hier
nicht fortfahren, bevor Ruhe eingekehrt ist.
Der Kollege Höschel hat das Wort.
({4})
Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute
die Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr an der
EU-geführten Mission in Somalia, an der EUTM Somalia, einer Ausbildungs-, Beratungs- und Trainingsmission. Somalia ist eines der am wenigsten entwickelten
Länder der Welt. Es ist eines der ärmsten Länder. Es
ist eines der krisengeplagtesten Länder der Welt. Dürre, Hungersnöte, Krankheiten und Leid bestimmen das
Leben dort - und das alles bei einem gewaltigen Bevölkerungszuwachs. In den letzten 20 Jahren hat sich die
Bevölkerung in Somalia verdoppelt, nämlich von 6 auf
12 Millionen Menschen.
Große Teile der Menschen dort brauchen humanitäre
Hilfe zum Überleben. Hinzu kommt der brutale Terror
der al-Schabab-Miliz. 1 Million Somalier sind ins Ausland geflüchtet. Ebenso viele werden als Inlandsflüchtlinge gezählt. Nur der Raum Mogadischu gilt als einigermaßen sichere Region. Diese Faktoren - Dürre, Hunger,
Krankheiten und Terror - haben nicht nur Somalia zu
einem Failed State gemacht, sondern sie sind auch die
Grundlage für die Destabilisierung der ganzen Region.
Unsere Aufgabe ist es, dort Hilfe zu leisten:
({0})
im Rahmen eines ganzheitlichen und internationalen
Konzepts; humanitäre Hilfe durch die Verbesserung der
Lebensmittelversorgung und auch durch Entwicklungshilfeprojekte. Aber gleichzeitig gilt es, einen Beitrag dazu
zu leisten, Sicherheit und Stabilität zurückzugewinnen.
Über diese Unterstützung, über diesen Beitrag unterhalten wir uns heute hier. Es geht um die weitere Entsendung von bis zu 20 Soldaten nach Somalia, die die
Aufgabe haben, Soldaten auszubilden, Ausbilder auszubilden und den dort Verantwortlichen strategische Beratung in Sicherheitsfragen zu geben.
Das deutsche Kontingent ist ein kleiner, aber wichtiger Teil dieser internationalen Mission; denn in dem
Antrag der Bundesregierung wird als Auftrag der deutschen Streitkräfte auch explizit die Zusammenarbeit mit
anderen EU-Missionen und EU-Operationen in der Region genannt. Hieran sehen wir den Stellenwert des ganzheitlichen Ansatzes der Bundesrepublik und der Europäischen Union in Somalia. Die militärische Mission ist nur
eine Komponente in diesem Bemühen. Der ganzheitliche
Ansatz umfasst auch die humanitäre und die diplomatische Komponente.
Es gibt, wenn wir über Somalia sprechen, natürlich
eine Reihe von Problemen, diese Sicherheitskonzepte
auch zu realisieren. Es gibt die Probleme mit den Clanstrukturen in der Wirtschaft, in der Politik, aber auch in
der Armee. Es gibt die gewaltige Korruption, die den
Staat in seiner Funktion fast zum Erliegen bringt, und es
gibt das Problem der Überläufer in der Armee. Aber das
sind doch keine Gründe dafür, die Ausbildung sein zu
lassen, sondern ganz im Gegenteil: Das muss uns doch
dazu treiben, die Ausbildung in Somalia und diese Mission zu unterstützen.
({1})
Wir haben ja auch Erfolge: mehr als 5 000 ausgebildete Soldaten oder die Mission Atalanta, die in den Gewässern um Somalia erfolgreich zu einem erheblichen
Rückgang der Piraterie geführt hat. Atalanta bekämpft
die Piraten auf See, und wir sorgen mit unserer Ausbildungsmission dafür, dass die Kriminellen an Land
bekämpft werden. In der Gesamtheit kann das funktionieren.
Wir müssen uns aber auch die Frage stellen: Was
passiert, wenn wir uns nicht beteiligen, wenn wir unser
Engagement in Somalia beenden? Wollen wir das Land
und seine Bevölkerung dem islamistischen Terrorregime
überlassen?
({2})
Ich glaube, das können wir nicht ernsthaft wollen.
In meiner ersten Rede als Abgeordneter möchte ich
nicht versäumen, meinen Dank den Soldaten und deren
Familien auszusprechen für die Bereitschaft, in solch gefährlichen Missionen Deutschland, Europa, der NATO
und auch den Vereinten Nationen zu dienen. Mein herzlicher Dank!
({3})
Ich bin mir sicher, meine Damen und Herren, dass wir
mit einem langen Atem und mit der Kombination aus militärischer und ziviler Hilfe die Situation der Menschen
in Somalia auf lange Sicht verbessern werden. Ich bedanke mich, wenn Sie dem Antrag der Bundesregierung
zustimmen.
({4})
Kollege Höschel, Sie sind am 7. Dezember 2016 in
den Deutschen Bundestag eingetreten. Ihre Fraktion
hat entschieden, dass Sie Ihre erste Rede hier als letzter
Redner vor der namentlichen Abstimmung, das heißt vor
dem gesamten Haus, halten können. Ich wünsche Ihnen
viel Erfolg für Ihre Arbeit.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck-
sache 18/11673 zu dem Antrag der Bundesregierung
zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungs- und Bera-
tungsmission EUTM Somalia. Der Ausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der Bundes-
regierung auf Drucksache 18/11273 anzunehmen. Wir
stimmen nun über die Beschlussempfehlung namentlich
ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Schrift-
führer an ihrem Platz? - Ich eröffne die namentliche Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgeben konnte? - Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird
Ihnen später bekannt gegeben.1)
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Harald
Weinberg, Sabine Zimmermann ({2}),
Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Gerechte Krankenkassenbeiträge für
Selbstständige in der gesetzlichen Krankenversicherung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Harald
Weinberg, Sabine Zimmermann ({3}),
Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Gerechte Krankenkassenbeiträge für freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherte
Drucksachen 18/9711, 18/9712, 18/11771
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Reiner Meier für die CDU/CSU-Fraktion.
({4})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
wird in diesen Tagen viel von Gerechtigkeit geredet. Ich
denke, jeder von uns im Hohen Haus strebt nach Gerechtigkeit. Das ist nichts, was Einzelne für sich gepachtet haben. Mit der Gerechtigkeit ist es aber so eine Sache: Jeder
weiß, was für ihn selbst gerecht ist. Aber der Nächste kann
etwas völlig anderes darunter verstehen. Klar ist: Wenn
Gerechtigkeit mehr als eine leere Worthülse sein soll, dann
muss sie sich mit den Tatsachen auseinandersetzen.
Meine Damen und Herren, wenn heute so getan wird,
als würden Selbstständige in der GKV geschröpft, dann
müssen wir uns natürlich fragen: Was vergleichen wir
denn? Ein Arbeitnehmer bezahlt von seinem Bruttoeinkommen 7,3 Prozent Krankenversicherungsbeitrag plus
Zusatzbeitrag, dazu kommen 7,3 Prozent Arbeitgeberbeitrag.
({0})
Bei den Selbstständigen gibt es weder ein Bruttoeinkom-
men noch einen Arbeitgeberbeitrag; stattdessen wird das
steuerlich relevante Netto nach Abzug der Betriebsaus-
gaben herangezogen. Das ist genauso kompliziert, wie es
klingt. Insbesondere kann der Gewinn in gewissen Gren-
zen gesteuert werden.
1) Ergebnis Seite 22963 C
Netto kann man nicht mit Brutto vergleichen. Deshalb
ist es richtig und gerecht, wenn die GKV von einem typisierten Einkommen ausgeht. Der Selbstständige kann
wiederum nachweisen, dass er weniger verdient, und bezahlt dann abgesenkte Beiträge.
Wenn man nicht - wie Sie - Äpfel mit Birnen vergleicht, ist diese Logik auch sachgerecht. Denn was Sie
bei Ihrem Obstsalat ausblenden, ist die Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts: Danach müssen die Beiträge
der freiwillig Versicherten im Durchschnitt die Kosten
decken. Davon sind Ihre Anträge weit entfernt, und das
wissen Sie auch.
Statt uns mit Schaufensteranträgen zu befassen, haben
wir deshalb konkrete Verbesserungen für die freiwillig
Versicherten verabschiedet. So werden pro Kind künftig
drei Jahre auf die Vorversicherungszeit in der GKV angerechnet. Damit zahlen viele Rentnerinnen und Rentner
nur noch den günstigeren Beitrag in der Krankenversicherung der Rentner. Ebenso haben wir Waisenrentner
bis zum 25. Lebensjahr von den Krankenversicherungsbeiträgen befreit. Beides war wichtig und richtig, meine
Damen und Herren. Natürlich beziehen nicht alle Selbstständigen Spitzeneinkommen.
({1})
Das gilt besonders in der Gründungsphase eines Unternehmens. Deshalb gibt es hierfür völlig zu Recht Unterstützung.
Ein anderes Thema ist aber, wenn Menschen dauerhaft
nicht von ihrer Arbeit leben können, sei es nun aufgrund
von Scheinselbstständigkeit oder weil sie sich in ihrer
Selbstständigkeit finanziell überhoben haben und es sich
nicht lohnt.
So gewichtig diese Probleme sind: Es sind Fragen des
Arbeits- und Sozialrechts, nicht der Gesundheitspolitik.
Schon gar nicht geht es hier um eine alleinige Aufgabe
der gesetzlich Versicherten, meine Damen und Herren.
Ebenso wenig ist es übrigens eine Aufgabe der GKV,
Doktoranden oder Langzeitstudierende zu finanzieren.
Wer ohne besondere Gründe nach 14 Fachsemestern keinen Abschluss erreicht, braucht vielleicht auch von außen einen Anreiz.
Meine Damen und Herren, wenn wir darüber sprechen, die Beitragslast für freiwillig Versicherte neu zu
regeln, sollten wir auch an die Gerechtigkeit gegenüber
der Solidargemeinschaft denken. Natürlich werden wir
uns die Beitragsbemessung bei den Selbstständigen genau ansehen.
({2})
Wir sollten es aber nicht isoliert tun, sondern im Kontext
der Beitragsstrukturen insgesamt.
({3})
Vizepräsidentin Petra Pau
Es ist niemandem geholfen, wenn die vermeintliche
Lösung einer Fragestellung an anderer Stelle neue Fragen
aufwirft oder dadurch gar Ungerechtigkeiten auftreten.
Ihr Antrag kommt diesem Gedanken in keinster Weise
nach, und deshalb werden wir ihn heute auch ablehnen.
Ich danke Ihnen.
({4})
Bevor wir in der Debatte fortfahren, gebe ich Ihnen das
von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt - es
ging um die Drucksachen 18/11273 und 18/11673 -: abgegebene Stimmen 538. Mit Ja haben 435 Kolleginnen
und Kollegen gestimmt, mit Nein 103. Es gab keine Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 537;
davon
ja: 435
nein: 102
enthalten: 0
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Ute Bertram
Peter Beyer
Clemens Binninger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({1})
Axel E. Fischer ({2})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Klaus-Dieter Gröhler
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({3})
Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann ({4})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Dr. Mathias Edwin Höschel
Anette Hübinger
Erich Irlstorfer
Sylvia Jörrißen
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Ronja Kemmer
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({5})
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller ({6})
Stefan Müller ({7})
Dr. Andreas Nick
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({8})
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({9})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({10})
Christina Schwarzer
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Volker Ullrich
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({11})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr. h.c. Albert Weiler
Marcus Weinberg ({12})
Peter Weiß ({13})
Sabine Weiss ({14})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({15})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Heinrich Zertik
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Matthias Bartke
Bärbel Bas
Lothar Binding ({16})
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Michaela Engelmeier
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Michael Hartmann ({17})
Hubertus Heil ({18})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Angelika Krüger-Leißner
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({19})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({20})
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({21})
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Joachim Poß
Achim Post ({22})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({23})
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({24})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({25})
Matthias Schmidt ({26})
Dagmar Schmidt ({27})
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz ({28})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Nein
SPD
Klaus Barthel
Dr. Ute Finckh-Krämer
Cansel Kiziltepe
Christian Petry
Waltraud Wolff ({29})
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Jan Korte
Katrin Kunert
Caren Lay
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Norbert Müller ({30})
Dr. Alexander S. Neu
Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Alexander Ulrich
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Hubertus Zdebel
({31})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Dr. Franziska Brantner
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({32})
Christian Kühn ({33})
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth ({34})
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Dr. Gerhard Schick
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Beate Walter-Rosenheimer
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten ({35}) aufgeführt .
Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Harald Weinberg für die Fraktion Die Linke.
({36})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenden wir uns
einfach einmal den Tatsachen zu. Über welches Problem
reden wir eigentlich? Wir haben in Deutschland 4,2 Millionen Selbstständige. Über 50 Prozent davon - also
mehr als die Hälfte, nämlich 2,3 Millionen - sind Solo-Selbstständige, haben also selber keine Beschäftigten.
Es ist insofern keine kleine Gruppe. Ein Drittel davon jeder Dritte von den 2,3 Millionen - hat einen Verdienst
von unter 1 100 Euro im Monat. Das ist Tatsache. Die
nächste Gruppe, das nächste Drittel, hat ebenfalls ein
sehr niedriges Einkommen.
Wir erleben eine Strukturverschiebung: Waren früher
viele der Solo-Selbstständigen in der Landwirtschaft, im
Handel oder auf dem Bau zu finden, so sind sie heute
vielfach im Bereich der personen- und unternehmensnahen Dienstleistungen beschäftigt. Ich mache es mal an
ein paar Beispielen deutlich: Es ist der Paketzusteller,
der als Subunternehmer des Subunternehmers von DHL,
Hermes oder UPS usw. usf. tätig ist. Es sind Menschen
in der Gastronomie. Es sind Pflegekräfte als Subunternehmer von Pflegediensten. Es sind ehemals angestellte Kraftfahrer, denen dann plötzlich gesagt worden ist:
Du arbeitest jetzt auf eigene Rechnung, wir stellen dir
das Fahrzeug, und du bist jetzt ein Selbstständiger. - Es
sind Lehrkräfte, beispielsweise in den Integrationskursen - im Moment durchaus ein relativ großes Thema -,
denen auch einfach gesagt worden ist: Es gibt kein Angestelltenverhältnis mehr, ihr seid jetzt selbstständige Honorarkräfte. - Es sind Crowd- und Clickworker. Es sind
Reinigungskräfte. - Das sind alles Berufe, die jetzt nicht
gerade besonders gut und üppig bezahlt werden.
Wo kommt das her? Da hat der Vertreter des DGB
in der Anhörung schon das Zutreffende gesagt: Diese
prekäre Selbstständigkeit ist Ergebnis einer jahrelangen
Deregulierung des Arbeitsmarktes, und sie hat einen Namen - das muss man sehen -: Es war die Agenda 2010.
({0})
Neben der Schaffung eines Niedriglohnsektors wurde
der Bereich der prekären Selbstständigkeit gefördert.
Natürlich müsste man dort auch in der Arbeitsmarktpolitik ansetzen - da gebe ich Ihnen sogar recht - und eine
neue Ordnung der Arbeit schaffen. Dann hätten wir viele
dieser Probleme nicht.
({1})
Was bewirkt das im Bereich der Krankenversicherungsbeiträge? Da ja ein Mindesteinkommen von
2 178 Euro angenommen wird, das unter sehr strengen
Bedingungen auf 1 452 Euro abgesenkt werden kann,
kommen teilweise absurde Beitragsbelastungen auf geringverdienende Solo-Selbstständige zu. Zwischen 30
und 50 Prozent ihres Einkommens müssen sie dann für
Krankenversicherungsbeiträge berappen. Sie müssen
also ein Drittel bis die Hälfte dessen, was sie verdienen,
ausgeben, um krankenversichert zu sein. Häufig führt das
zu Beitragsschulden und dadurch faktisch zu einem Wegfall des Rechts auf gesundheitliche Versorgung für diese
Betroffenen.
({2})
Die andere Möglichkeit ist: Die kleinen Selbstständigen werden in die private Krankenversicherung abgedrängt, die sie in jungen Jahren mit durchaus noch günstigen Beiträgen ködert. Diese steigen dann allerdings
relativ schnell, und das wird ebenfalls zu einem riesengroßen Problem.
Die Beitragsschulden sind übrigens auch für die Krankenversicherungen selber zunehmend ein Problem. Die
Höhe der Beitragsschulden nimmt von Jahr zu Jahr zu.
Bei den gesetzlichen Krankenversicherungen haben sich
inzwischen Beitragsschulden in Höhe von über 5 Milliarden Euro angehäuft.
Ist das alles ein von den Linken neu entdecktes Problem? Nein, das ist es nicht. Wir haben dazu schon in
der 16. Wahlperiode etliche parlamentarische Initiativen
ergriffen, wir hatten in der letzten Wahlperiode mehrere parlamentarische Initiativen ergriffen, und wir haben
auch in dieser Wahlperiode eine Große Anfrage zu diesem Problem an die Regierung gerichtet und dafür gesorgt, das im Februar eine Debatte zu diesem Thema geführt wurde. Wir stehen vor der Situation, dass wir seit
zehn Jahren auf das Problem aufmerksam machen, aber
seit zehn Jahren ist nichts passiert. Seit mehr als zehn
Jahren warten die Betroffenen auf eine Lösung, und das
ist aus unserer Sicht ein Skandal.
({3})
Kleine und mittlere Unternehmen, Selbstständige und
Freiberufler sind in der Tat gut beraten, ganz genau hinzuschauen, wer ihre Interessen wirklich ernst nimmt, und
das ist mit Sicherheit die Linke.
({4})
Zu unserer Politik für kleine und mittlere Unternehmen, für Selbstständige und Freiberufler gehört auch der
vorliegende Antrag, der in der Anhörung immerhin das
kleine Wunder bewirkt hat, dass alle dort Anwesenden bis auf den Vertreter der PKV natürlich - gesagt haben,
dass die Beitragshöhen ein Problem seien und unbedingt
etwas getan werden müsse. Nun werden Sie gleich wortreich begründen - wir haben es ja eben schon gehört -,
warum Sie unseren Antrag ablehnen werden; das war ja
schon im Ausschuss so. Aber ich fordere Sie auf: Hören
Sie auf, zu reden, und tun Sie endlich etwas!
({5})
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Heike Baehrens
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Expertenanhörung hat gezeigt: Es besteht
Handlungsbedarf.
({0})
Aber ganz so einfach geht es nicht, wie es die Linke in
ihren Anträgen vorschlägt. Einerseits ist die Forderung
nach einer Senkung der Bemessungsgrenze für den Mindestbeitrag zwar berechtigt und wirtschaftlich vernünftig, andererseits sollten wir tunlichst alles vermeiden,
was benutzt werden könnte, um Menschen in ungesicherte Solo-Selbstständigkeit zu drängen.
Seit längerem beobachten wir einen Wandel in der
Arbeitswelt: Die Formen der Erwerbstätigkeit verändern
sich, individuelle Erwerbsbiografien verlaufen weniger
geradlinig, Erwerbstätige wechseln häufiger zwischen
den verschiedenen Arbeitsformen, bauen sich kleine
Existenzen auf oder wechseln wieder ins Angestelltenverhältnis. Von wem also reden wir heute? Wir reden von
jenen Solo-Selbstständigen, die nur geringe Einkommen
erzielen. Vor allem bei Dienstleistern und in der Kulturund Kreativwirtschaft gibt es solche Formen schlecht bezahlter Arbeit. Da muss man oftmals tatsächlich bis zur
Hälfte des Bruttoeinkommens für die Krankenkassenbeiträge aufwenden. Das führt zu Überforderung, und das
muss geändert werden; darin stimmen wir mit den Antragstellern durchaus überein. Wir haben auch bereits gehandelt und im Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz
durch die Verfahrensvereinfachung immerhin eine erste
Verbesserung auf den Weg gebracht, die ab dem kommenden Jahr greift.
({1})
Mehr war mit unserem jetzigen Koalitionspartner bisher an dieser Stelle nicht zu erreichen. Aber wir als SPD
werden an diesem Thema dranbleiben. Darauf können
sich die Betroffenen verlassen; denn Menschen, die in
Arbeitsfeldern tätig sind, in denen sie kaum Verdienstmöglichkeiten haben, dürfen durch Sozialversicherungsbeiträge in einem solidarischen System der Krankenversicherung nicht überfordert werden. Aber - das sage ich
für uns als SPD ganz klar - wir wollen genauso wenig,
dass Arbeitgeber Druck auf Beschäftigte ausüben, eine
bislang sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in
eine selbstständige Tätigkeit umzuwandeln. Genau das
ist nicht nur in Industriebetrieben oder bei Gebäudereinigern, sondern zum Beispiel auch im Umfeld von Pflegedienstleistern der Fall.
Dieser Aspekt muss bei der Lösungssuche sehr sorgfältig mitbedacht werden. Das ist im Interesse stabiler
Beitragseinnahmen in der gesetzlichen Krankenversicherung, aber noch viel mehr im Interesse der betroffenen
Menschen; denn als Solo-Selbstständige müssen sie ihren Krankenkassenbeitrag und ihren Beitrag zur Alterssicherung allein aufbringen, während sie als Arbeiter oder
Angestellte bei den Sozialversicherungsbeiträgen zur
Hälfte vom Arbeitgeber entlastet werden. Gerade bei der
Rente hat das oft fatale Auswirkungen; denn Lücken im
Versicherungslauf führen zu erheblichen Renteneinbußen, bis hin zu Armut im Alter.
Daher, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken,
können wir bei der Analyse Ihrer Anträge mitgehen, aber
nicht bei der vermeintlich einfachen Lösung, die Sie vorschlagen. Es braucht eine klare Antwort gegenüber Arbeitgebern, die sich aus der sozialen Verantwortung stehlen wollen. Dazu haben Sie heute etwas gesagt; aber in
Ihrem Antrag haben Sie dazu keinen Vorschlag gemacht.
Ich kann es auch hier nur noch einmal betonen: Solch ein
Ausnutzen unserer Solidarsysteme tragen wir als SPD
nicht mit.
({2})
Wir haben in der nächsten Legislaturperiode die
Chance, unser Gesundheitssystem weiterzuentwickeln,
damit es auf Dauer gerecht, solidarisch und finanzierbar
bleibt. Darum setzen wir als SPD auf den Einstieg in die
Bürgerversicherung
({3})
- ich habe erwartet, dass Sie so reagieren -; denn eine
solche Krankenversicherung für alle bezieht selbstverständlich auch jene Selbstständigen mit ein, die wenig
verdienen. Die Bemessungsgrenze muss daher so festgelegt werden, dass der Beitrag auch für sie bezahlbar ist.
Gleichzeitig tragen dann Gutverdienende, und zwar auch
selbstständige Gutverdienende, einen Beitrag entsprechend ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit.
Meine Damen und Herren, so funktioniert aus unserer
Sicht Solidarität.
({4})
Als SPD werden wir den Weg bereiten für eine solidarische Lastenverteilung in unserem Gesundheitssystem.
Die Bürgerversicherung wird kommen.
Vielen Dank.
({5})
Die Kollegin Maria Klein-Schmeink hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen hier im Saal! Es ist nicht das erste Mal,
dass wir über die soziale Situation von Selbstständigen
in Deutschland sprechen. Wir haben viel Grund, darüber
zu sprechen. Das hat die Anhörung zu den Anträgen der
Linken deutlich gezeigt. Sie hat gezeigt: Auch die Selbstständigen brauchen unsere Solidarität. Da, denke ich,
müssen wir vorankommen.
({0})
Wenn wir uns das anschauen, stellen wir fest, dass
es um eine ziemlich komplizierte Thematik geht. Unserem gesetzlichen Krankenversicherungssystem lag ja
ursprünglich ein ganz anderer Gedanke zugrunde. Es
wurde vorausgesetzt, dass ein Selbstständiger gut verdient, Vermögen hat und daher in allen sozialen Lagen
für sich selber sorgen kann. Die Realität heute ist eine
vollkommen andere. Dabei geht es nicht nur um die prekäre Beschäftigung, die nach der Agenda 2010 weiter um
sich gegriffen hat, sondern es geht um ganz viele Formen
der Selbstständigkeit, gerade im Dienstleistungsbereich.
Der Pizzabäcker, die Schneiderin, die Dolmetscherin,
die Frau, die für das BAMF einen Sprachkurs gibt - die
Bandbreite ist groß. Wir wissen, dass auch die Probleme
groß sind. Das hat uns die Anhörung zu den Anträgen
noch einmal deutlich gezeigt.
({1})
Von daher reicht es nicht, zu sagen: „Wir werden die
Bürgerversicherung einführen“; denn ein wesentliches
Grundproblem, nämlich dass bestimmte Bevölkerungsgruppen originär nicht in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen wurden, werden wir damit allein
nicht lösen können. Wir lösen damit die Probleme des
Verschiebebahnhofs zwischen PKV und GKV. Wir müssen uns aber ganz grundsätzlich darüber Gedanken machen, wie wir einen Selbstständigen verbeitragen wollen.
Das bleibt unabhängig davon, ob wir die Bürgerversicherung einführen oder bei dem jetzigen Zustand bleiben,
ein Problem, das wir lösen müssen.
({2})
Da sind wir leider in dieser Wahlperiode an der mangelnden Erkenntnis und Bereitschaft der CDU/CSU, überhaupt etwas zu tun, gescheitert, aber auch an einer SPD,
die sich dieses Themas - bislang jedenfalls - nicht angenommen hat. Das muss man ganz klar sagen.
({3})
Herr Meier, es geht nicht darum, dass die GKV kleine Selbstständige übervorteilen will. Vielmehr haben wir
als Gesetzgeber Regelungen geschaffen, die besagen:
Wir setzen für den gesetzlich Versicherten Mindesteinkommen voraus, die dann zu verbeitragen sind, und
zwar unabhängig davon, ob die Menschen genau dieses
Mindesteinkommen überhaupt erlösen oder nicht. Dafür
brauchen wir eine Lösung.
({4})
- Ich gebe Ihnen recht.
Auch viele der Sachverständigen haben betont, dass
der Königsweg nicht unbedingt darin liegen kann - so
hat es die Linke vorgeschlagen -, das Einkommen, das
vorausgesetzt wird, auf die Geringfügigkeitsgrenze abzusenken. Denn dann hätten wir tatsächlich ein Problem,
weil wir zwischen Brutto- und Nettoeinkommen unterscheiden müssten. Die Höhe der Beiträge, die ein versicherungspflichtig Beschäftigter heute in die gesetzliche
Krankenversicherung einzahlt, richtet sich nach dem
Bruttolohn und eben nicht nach dem Nettoeinkommen.
Dieser wesentliche Unterschied muss natürlich mit in
Betracht gezogen werden; sonst haben wir kein gerechtes
System. Zur Lösung dieses Problems machen Sie keinen
konkreten Vorschlag.
Wir haben einen anderen Vorschlag gemacht, der Sie
demnächst hier im Hause beschäftigen wird. Dieser sieht
die Absenkung auf das Niveau der sonstigen freiwillig
Versicherten vor, das heißt, dass round about 1 000 Euro
vorausgesetzt werden. Das würde dazu führen, dass wir
eine vergleichbare Einkommensbetrachtung hätten, und
wir würden einen Ausgleich zwischen Selbstständigen
und versicherungspflichtig Beschäftigten möglich machen. Darum muss es im Kern gehen.
({5})
Was nicht geht, ist, gänzlich zu ignorieren, dass wir
eine Lösung brauchen. Das müssen wir jetzt anpacken,
und wir müssen es so anpacken, wie es zum Beispiel der
Verband der Gründer und Selbstständigen nahegelegt
hat, als er sagte: Es gibt nicht nur ein Problem bei der
gesetzlichen Krankenversicherung und der Krankenversicherungsabsicherung allgemein, sondern auch bei der
Rente. - Vielen Menschen in den Gruppen, über die wir
hier reden - immerhin, so wird geschätzt, betrifft dies
320 000 Menschen in Deutschland; diese Zahl wurde
genannt -, fehlen auch die Mittel für eine vernünftige
Alters absicherung. Das müssen wir zusammenbringen.
Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit?
Zu diesem Thema haben wir Ihnen einen Vorschlag
vorgelegt, über den wir hier irgendwann nach Ostern debattieren werden. Ich hoffe, dass Sie sich dann mit etwas
mehr Sorgfalt mit diesem Thema auseinandersetzen. Die
vielen kleinen Selbstständigen, die einen wesentlichen
Beitrag für die gesellschaftliche Entwicklung hier in
Deutschland leisten, haben es verdient, dass Sie da genauer hinschauen.
({0})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht die Kollegin
Maria Michalk.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Grundlage für
diese Debatte sind zwei Anträge der Linken. Ich möchte
einmal die Titel vorlesen: „Gerechte Krankenkassenbeiträge für Selbstständige in der gesetzlichen Krankenversicherung“ und „Gerechte Krankenkassenbeiträge für
freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherte“. Ich sage: Man könnte, wenn man nicht weiterliest, glauben, die Linke habe jetzt ihr Herz für alle
Selbstständigen entdeckt.
({0})
Das wäre auch gut; denn Selbstständige verdienen - und
zwar immer, nicht nur in dieser Debatte - unsere Hochachtung, weil sie für sich selbst, ihren Arbeitsplatz und
ihre Mitarbeiter zuständig sind. Sie kümmern sich selbst
und ständig um Arbeitsplätze. Das muss hier einfach einmal gesagt werden. Deshalb haben sie unsere Hochachtung verdient.
({1})
Jeder Unternehmer arbeitet mit großem Risiko, und
jeder Unternehmer haftet ganz allein für das, was er tut:
für seine Gesellschaft, für sein Unternehmen, für seinen
Arbeitsplatz. Er verschuldet sich gelegentlich, auch in
Form von Bürgschaften, bis zur letzten Kaffeetasse im
Schrank. Das muss man einmal sagen. Denn gerade von
Ihrer Seite höre ich immer wieder: Das sind die Schurken
der Nation.
({2})
Jetzt sage ich es noch einmal - dies ist wichtig -, dass
jeder Selbstständige Hochachtung verdient.
In Deutschland - Sie haben die Zahl 4,2 Millionen
genannt, in der Anhörung wurde auf 3,5 Millionen abgestellt; das lasse ich einmal dahingestellt sein - sind
60 Prozent der Selbstständigen freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert; das sage ich zur
allgemeinen Kenntnisnahme. 50 Prozent derjenigen, die
in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind,
haben ein Jahreseinkommen von maximal 23 000 Euro.
Das ist das Problem.
({3})
Da sind wir uns in der Analyse fraktionsübergreifend einig. Davon kann man keine Familie ernähren.
Trotzdem muss ich darauf hinweisen, dass auch Solo-Selbstständige in Ehe- oder in Bedarfsgemeinschaften
mit Partnern zusammenleben. Deshalb ist auch bei ihnen
die Frage der Versicherung zu prüfen. Denn wenn man in
Partnerschaft lebt, ist es für Bezieher geringer Einkommen nicht so einfach, Aufstockerleistungen zu bekommen, weil man die Bedürftigkeitsprüfung erst einmal
überstehen muss. Deshalb ist Ihre einfache Antwort - das
betrifft leider auch unseren Koalitionspartner -, das Problem könne man in der nächsten Legislaturperiode durch
Einführung der Bürgerversicherung lösen, nicht richtig.
Da lobe ich mir eine differenzierte Betrachtung.
Denn man muss auch wissen, dass, wenn Sie das
einführen, alle Betroffenen, egal ob sie ein großes oder
ein kleines Unternehmen führen, eingebunden sind. Allerdings haben diejenigen mit höherem Einkommen die
finanzielle Möglichkeit, sich neben der Bürgerversicherung noch zusätzlich zu versichern. Damit schaffen Sie
auch keine Einheitsversicherung, die ich persönlich aufgrund der Erfahrung der letzten 40 Jahre vor der Wiedervereinigung ablehne.
({4})
Deshalb ist es wichtig, dass wir an unserem gegliederten Versicherungssystem festhalten.
({5})
Aber ehrlich gesagt: Die Betrachtung der Wirtschaftsstärke von Selbstständigen ist ein Thema. In der Anhörung wurden uns Vorschläge - das machen Sie auch - mit
Blick auf die Mindestbemessungsgrenze auf den Tisch
gelegt. Sie wissen auch, dass da unterschiedliche Betrachtungsweisen vorgetragen worden sind. Der GKV-Spitzenverband spricht von einer Herabsetzung der Grenze
von 2 231 Euro um ein Drittel, also auf 1 487 Euro. Der
vdek spricht von einer Herabsetzung auf 991 Euro. Sie
haben jetzt von 1 000 Euro gesprochen. Vorschläge gibt
es viele. Das beweist, dass eine einfache Lösung eben
nicht so einfach zu erreichen ist.
Deshalb ist es richtig - Herr Weinberg, Ihre letzte Feststellung ist falsch -: Die Koalition hat jedenfalls bis zur
Bemessungsgrenze eine Lösung für die freiwillig Versicherten im Gesetzblatt stehen, die sich - das kann man
nicht oft genug sagen - an der Belastbarkeit orientiert. Es
ist ein fließender Beitragssatz zu zahlen. Das heißt: Wer
in einem Jahr Umsatzeinbrüche hatte, für den wird der
Beitrag abgesenkt. Mit diesem niedrigen Beitrag geht er
in das nächste Wirtschaftsjahr. Ist die Ertragslage besser,
muss er vielleicht nachzahlen. Diese Struktur der Belastbarkeit ist gerecht.
Gleiche Leistungen, wenn man medizinische Hilfe
braucht: Das ist die Grundphilosophie, auf der die Union mit ihren Konzepten für die Zukunft weiter aufbauen
wird.
Ich danke Ihnen.
({6})
Der Kollege Dirk Heidenblut hat für die SPD-Fraktion
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Erst
einmal muss ich sagen: alle Hochachtung dafür, wie man
es mit Anträgen, die ein kleines Segment herausgreifen,
schafft, eine so breite Diskussion aufzumachen. Das ist
aller Ehren wert; das kann man nicht anders sagen.
Ich muss zugeben: Das freut an der einen oder anderen Stelle; denn ich habe schon aus dem ersten Beitrag
des Kollegen Meier in dieser Debatte herausgehört - ich
hoffe, das habe ich nicht falsch verstanden -, dass wir
uns einig sind, dass wir bei vielen Fragen, um die es hier
geht, doch noch einmal an arbeitsrechtliche und andere
Dinge heranmüssen. Das wird man auch im Ministerium
mit Sicherheit gern hören.
Ich habe darüber hinaus gehört - ich zitiere da einmal -, dass wir über das Ganze im Kontext der gesamten
Beitragsstrukturen diskutieren müssen. Wir sind ja sehr
dafür, über die Beitragsstrukturen insgesamt zu diskutieren. Ich will nicht - die Kollegin Baehrens hat das schon
gemacht; das führt ja immer zu großen Freudenstürmen das Wort „Bürgerversicherung“ erneut in den Mund nehmen - ach, jetzt habe ich es gemacht! -,
({0})
aber es ist natürlich durchaus ein Herzensanliegen von
uns, an dieser Stelle voranzukommen.
Übrigens: Wer bei der Anhörung der Sachverständigen
aufgepasst hat - ich bin mir nicht ganz im Klaren darüber, warum die Kollegin Klein-Schmeink bei der Frage,
welche Probleme die Bürgerversicherung lösen und welche sie nicht lösen kann, auf einmal so kleinmütig wird -,
({1})
der hat sehr deutlich gehört, dass einer der Sachverständigen gesagt hat, die Lösung liege darin, alle Selbstständigen in die gesetzliche Krankenversicherung einzubeziehen, und zwar zwingend.
({2})
Das ist ein Aspekt, der sich mit der Bürgerversicherung
durchaus deckt.
({3})
- Dass wir die Frage der Verbeitragung an dieser Stelle
trotzdem lösen müssen, allerdings im Rahmen eines Gesamtkonzepts der Bürgerversicherung, will ich gar nicht
bestreiten; das ist auch nicht ganz so einfach.
({4})
In Ihren Anträgen werden positive Aspekte angerissen, und sie beinhalten viele Punkte, an denen wir weiterarbeiten können. Sie sind aber - das ist zur Genüge
gesagt worden - ein wenig zu kleinräumig und nicht zielführend. Es ist auch nicht wirklich gerecht, wenn man die
Lösung des Problems an einer im Zweifel gewürfelten
Größenordnung festmachen möchte. Deshalb können wir
natürlich nicht zustimmen. Aber wir wollen diesen Weg
weiter beschreiten. Die kleinen Selbstständigen standen
nämlich schon immer im Fokus unserer Betrachtungen.
Das hat auch etwas mit der Bürgerversicherung zu tun.
Vielen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksache 18/11771. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9711 mit
dem Titel „Gerechte Krankenkassenbeiträge für Selbstständige in der gesetzlichen Krankenversicherung“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die
Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/9712 mit dem Titel „Gerechte Krankenkassenbeiträge für freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherte“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Mutterschutzrechts
Drucksache 18/8963
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
Drucksache 18/11782
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Manuela Schwesig.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Heute ist ein guter Tag für die Frauen; denn nachdem wir vor einigen
Stunden hier im Parlament das neue Gesetz für mehr
Lohngerechtigkeit auf den Weg gebracht haben, wollen
wir nun auch das neue Mutterschutzgesetz auf den Weg
bringen.
Der Mutterschutz ist für das Kind, aber auch für die
Mutter ganz wichtig. Es gibt ihn in Deutschland schon
lange, und das ist auch gut so. Das entsprechende Gesetz ist aber aus 1952, und man kann sich vorstellen, dass
sich seitdem sehr viel verändert hat und dass wir dieses
Gesetz modernisieren und auf die Höhe der Zeit bringen
müssen.
Mir ist besonders wichtig, dass wirklich jede Mutter
und jedes Kind von diesem Schutzgedanken erfasst wird.
Das ist bisher nicht so. Für Schülerinnen, Praktikantinnen und Studentinnen gab es bisher keinen Mutterschutz,
und es ist gut, dass das jetzt so kommt.
({0})
Ein weiterer Punkt liegt mir besonders am Herzen.
Wenn Kinder mit einer chronischen Erkrankung oder einer Behinderung geboren werden, dann ist das eine ganz
besondere Situation und Herausforderung. Deshalb war
es mir besonders wichtig, dass wir den Mutterschutz im
Falle einer Behinderung des Kindes ausbauen und verbessern. Auch das sieht dieser Gesetzentwurf vor.
({1})
Wir haben auch eine bessere Regelung für die wirklich schwierige Situation einer Fehlgeburt gefunden. Das
ist auch sehr wichtig.
Daneben sorgen wir dafür, dass der Mutterschutz
wirklich einen Schutz bietet. Das bisherige Gesetz in der
neuen Form soll aber nicht dazu führen, dass man auf
einmal ein Arbeitsverbot erhält, nur weil man schwanger
ist. Ich wurde von vielen Frauen angesprochen, die gesagt haben: Der Schutz in der Schwangerschaft und nach
der Geburt ist wichtig, er darf aber nicht dazu führen,
dass ich nur deshalb, weil ich schwanger bin, auf einmal
ein Arbeitsverbot erhalte.
({2})
So geht es gerade vielen im Gesundheitswesen. Viele
Ärztinnen haben sich deshalb gewünscht, dass wir mit
der neuen Regelung eine gute Balance zwischen dem
Schutz und der Selbstbestimmung der Frau finden, damit
sie selbst mitentscheiden kann, ob sie noch weiterarbeiten kann oder nicht. Auch das ist uns gelungen.
({3})
Auch um diesen Gesetzentwurf wurde lange gerungen, weil es immer wieder Details gab, die man miteinander abstimmen musste. Ich bin sehr froh, dass das
den beiden Fraktionen gelungen ist, wofür ich mich ganz
herzlich bedanken möchte.
Ich möchte meine kurze Redezeit nutzen, um auch der
Parlamentarischen Staatssekretärin Frau Widmann-Mauz
zu danken. Es ist schön, dass Sie heute auf der Regierungsbank sitzen. Sie haben mit mir gemeinsam federführend diese Punkte des Koalitionsvertrages verhandelt.
Fast am Ende dieser Legislaturperiode können wir jetzt
sagen: Bei vielen Dingen, die wir zur Verbesserung der
Situation von Frauen verhandelt haben - Frauenquote,
Lohngerechtigkeit, Elterngeld Plus und auch den Schutz
von Prostituierten -, waren die Verhandlungen nicht
leicht, und es war auch nicht leicht, diese Dinge hier auf
den Weg zu bringen. Es ist uns aber gemeinsam gelungen, und deshalb sage ich auch Ihnen persönlich vielen
Dank für die gute Grundlage.
({4})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue
mich, dass wir jetzt den Mutterschutz für die Frauen in
unserem Land weiter verbessern. Wenn wir gemeinsam
auch noch das Pflegeberufsgesetz hinkriegen, dann können wir, glaube ich, sagen: Wir haben gemeinsam für die
Familien und vor allem für die Frauen in unserem Land
geliefert.
Vielen Dank.
({5})
Die Kollegin Jutta Krellmann hat für die Fraktion Die
Linke das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Während früher Schwangere vor dem Zugriff
der Arbeitgeber geschützt waren, sollen sie nun verhandeln dürfen, in welchem Umfang sie Schutz für sich und
ihr ungeborenes Kind in Anspruch nehmen.
({0})
Als Frau und als Gewerkschafterin schrillen bei mir die
Alarmglocken, wenn ich so etwas höre.
({1})
Im ersten Moment liest sich der Gesetzentwurf so, als
sei alles im grünen Bereich. Gut ist zum Beispiel - das ist
ja auch schon gesagt worden -, dass Schülerinnen, Studentinnen und Praktikantinnen in das Mutterschutzgesetz
aufgenommen werden - und einiges mehr. Wir haben
eben ja auch schon einiges gehört.
Dass die Bundesregierung gleichzeitig aber Schutzrechte für Frauen im Mutterschutzgesetz aufweicht, geht
gar nicht.
({2})
Diese Bundesregierung stellt sich wieder einmal klar an
die Seite der Arbeitgeber und ihrer Lobbyisten. Diese
haben nun den Fuß in der Tür, um weitere Schutzrechte
für alle Beschäftigten abzubauen. Es muss doch niemand
glauben, dass es, wenn es einmal beschlossen ist, bei
diesem einen Abbau bleibt. Bisher garantierte und organisierte der Staat den Schutz. Nun sollen die einzelnen
Beschäftigten individuell darüber verhandeln, wie viel
Schutz sie in Anspruch nehmen.
({3})
Wer da der Sieger sein wird, wissen wir doch.
({4})
Meine Damen und Herren von der CDU und SPD,
dieses Spiel lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
({5})
Schutzrechte von Beschäftigten sind nicht verhandelbar.
Bisher waren Schwangere vor Nachtarbeit ab 20 Uhr und
vor Sonn- und Feiertagsarbeit geschützt. Diese Regelung
weichen Sie nun auf und erlauben, dass Schwangere bis
22 Uhr und am Wochenende arbeiten können. Sie haben
eine falsche Vorstellung von Selbstbestimmung. Ich frage Sie: Welche Verkäuferin - nicht Ärztin, nicht Höherqualifizierte - kann denn ihrem Chef widersprechen und
sagen, dass sie nicht bis 22 Uhr an der Kasse sitzen will?
({6})
Welche Angestellte im Service kann den Wunsch ihres
Chefs ablehnen, am Wochenende zu arbeiten?
({7})
Wer wie die CDU ein Gesellschaftsbild hat, bei dem die
Frauen hinter dem Herd stehen,
({8})
der braucht wahrlich keinen Mutterschutz für beschäftigte Arbeitnehmerinnen.
({9})
Mit diesem Gesetzentwurf laufen Sie weiter gegen die
Rechte der Beschäftigten Amok. Zuerst haben Sie mit
den Hartz-Gesetzen die Axt an den Schutz der sozialen
Sicherungssysteme gelegt: Sie haben die Bezugsdauer
beim Arbeitslosengeld gekürzt, die Zumutbarkeitsregeln
abgeschafft und Hartz IV eingeführt. Anschließend haben Sie mit der Agenda 2010 den Arbeitsmarkt zerlegt:
Sie zwangen Menschen in prekäre Beschäftigung und haben damit den größten Niedriglohnsektor in ganz Europa
geschaffen.
({10})
Sie nahmen den Beschäftigten die Sicherheit und den
Schutz des Normalarbeitsverhältnisses.
Dank Ihrer Politik gibt es für viele Menschen nur noch
die Arbeitsschutzgesetze, die zwischen ihnen und den
Arbeitgebern stehen. Diese demontieren Sie jetzt auch
noch. Dass Sie damit bei den Verletzlichsten in der Gesellschaft anfangen, ist regelrecht ekelhaft.
({11})
Sie verstehen einfach nicht, dass Beschäftigte im Kapitalismus per Gesetz geschützt werden müssen.
({12})
Sie brauchen keine Wahlfreiheiten für alle möglichen
Optionen. Selbst das Bundesarbeitsgericht hat festgestellt, dass Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und
Arbeitnehmern eben nicht auf Augenhöhe stattfinden.
({13})
Wenn diese Erkenntnisse und medizinische Grundlagen nicht das Handeln bestimmen, dann sind wir mittlerweile im postfaktischen Zeitalter angekommen. So geht
das nicht.
({14})
Finger weg vom Mutterschutz! Arbeitsrechte sind
Schutzrechte! Schutzrechte sind nicht verhandelbar. Deshalb werden wir als Linke diesem Gesetzentwurf nicht
zustimmen.
({15})
Der Kollege Marcus Weinberg hat für die CDU/CSU
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Krellmann, ich habe Sie in den letzten Jahren
bei den intensiven Debatten über den Mutterschutz im
Familienbereich nicht erlebt. Ich muss sagen: Schade! Es
hätte wahrscheinlich viel Spaß gemacht, mit Ihnen darüber zu diskutieren. Diese Mischung aus Kapitalismuskritik im Allgemeinen und Unwissenheit über einen vorliegenden Gesetzentwurf:
({0})
Das - darf ich sagen - hat Ihrer Fraktion nicht gutgetan.
Wie bei allen guten Dingen im Leben gilt: Das Beste
dauert - zumindest meistens - neun Monate. Eigentlich
heißt es: „Der Weg ist das Ziel“, aber dieses Mal ist es
das Ergebnis. Auch dieses Gesetz haben wir intensiv
beraten und neun Monate lang diskutiert. - In der Psychoanalyse wird man vielleicht irgendwann feststellen,
warum Gesetzesberatungen mit der SPD immer neun
Monate dauern.
({1})
Ob man daraus irgendwelche Rückschlüsse ziehen kann,
weiß ich nicht.
Wichtig ist uns, die Bedeutung dieses Themas klarzumachen - Frau Krellmann, ich komme gleich auf Ihre
Kritik im Einzelnen zu sprechen -; denn genau diese drei
Punkte hatten bei uns in der Diskussion Priorität.
Erstens. Es gibt natürlich kein Wenn und Aber bei den
Themen „Gesundheitsschutz für die Schwangere“ und
„Gesundheitsschutz für das ungeborene Leben“. Das hat
immer oberste Priorität.
({2})
Der zweite Punkt ist die Selbstbestimmtheit der Frauen. Es gibt Veränderungen in der Arbeitswelt. Auch
wir - das gilt also auch für mich - reden gelegentlich
mit Frauen. Dabei haben wir mitgenommen, dass viele
Frauen gesagt haben: Wir wollen doch die Freiheit haben, zu entscheiden, ob wir möglicherweise bis 22 Uhr
arbeiten. In dem Zusammenhang stimmt Ihre Darstellung
des bisherigen Gesetzes nämlich nicht. Danach gab es
Branchen, die komplett freigestellt waren. Dort mussten
die Frauen bis 22 Uhr arbeiten. Jetzt sagen wir: Die Frau
muss entscheiden, der Arzt muss es bestätigen. Das ist
auch gut so. Danach wird es gemeldet. Wenn dann die
dafür zuständige Behörde sieht, dass es möglicherweise
Probleme mit dem Arbeitgeber gibt, kann auch ein Verbot ausgesprochen werden. Das ist klug so, weil es die
Selbstbestimmtheit der Frau stärkt.
({3})
Es ist auch nicht verwerflich, wenn man in diesem
Land sagt: Wir wollen doch gerade, dass Frauen eingestellt werden. Wir wollen, dass Arbeitgeber sagen: Es
macht für mich im Vergleich zu anderen Personen keinen
Unterschied, eine Frau einzustellen, die möglicherweise
schwanger wird und wo es möglicherweise gewisse Einschränkungen durch den Mutterschutz gibt. Deswegen
war es uns wichtig, zu sagen: Viele Maßnahmen müssen
tatsächlich auch im Hinblick auf die Folgewirkungen für
die Wirtschaft abgestimmt werden.
Unternehmer müssen sagen können: Ich finde es toll,
wenn bei mir eine Frau arbeitet, die Mutter wird. Das ist
für einen kleinen mittelständischen Betrieb gut. Deswegen war es auch eine unserer Aufgaben, uns zu fragen:
Wo können wir Bürokratie abbauen? Und wo können wir
die Entlastung bzw. Flexibilität so gestalten, dass Unternehmen sagen: Jawohl, das machen wir gerne mit. Der
dritte Punkt war also, auch die Interessen der Wirtschaft
mit im Auge zu haben.
({4})
Das alte Gesetz stammt aus dem Jahr 1952. Auch damals hat man schon zwei Jahre darüber diskutiert. Wir
haben hier das letzte Mal, glaube ich, intensiv über den
Begriff der Lustbarkeiten diskutiert. Ich will noch einmal daran erinnern und verdeutlichen, in welchem Maße
wir uns weiterentwickelt haben und wie dieses Gesetz
zwischenzeitlich weiterentwickelt wurde: Damals, in den
50er-Jahren, wurde beispielsweise beim mutterschutzrechtlichen Kündigungsschutz während der Schwangerschaft eine Ausnahmeregelung eingeführt. Sie bestand
darin, dass Tagesmädchen und Haushaltsgehilfinnen
nach dem fünften Schwangerschaftsmonat gekündigt
werden durfte. Man stelle sich das einmal vor: In der
Bundesrepublik Deutschland gab es einmal eine solche
Regelung. Damals - so konnte man nachlesen - haben
die Ausschussmitglieder darüber beraten, ob denn dem
Arbeitgeber eine schwangere Haushaltsgehilfin zuzumuten ist. Ich stelle einmal die These auf: Vielleicht hatte
der eine oder andere Arbeitgeber auch Angst, dass das
Kind der Haushaltsgehilfin eine gewisse Ähnlichkeit mit
ihm haben könnte. Deswegen konnte man ihr nach dem
fünften Schwangerschaftsmonat kündigen. Sie sehen
also: Wir sind weitergekommen.
({5})
Was war uns wichtig? Unser Leitgedanke ist, dass wir
so viel Mutterschutz wie notwendig haben wollen. Das
haben wir - nach den Debatten mit der SPD, unserem
Koalitionspartner - am Ende, glaube ich, auch in ein sehr
gutes Gesetz gegossen.
Natürlich hat der Staat eine Schutzfunktion für Schwächere. Er hat eine Schutzfunktion für diejenigen, die einen besonderen Schutz brauchen. Und Schwangere sind
eine Gruppe, die einen besonderen Schutz benötigt. Es
kann aber auch nicht richtig sein, eine Schutzglocke zu
schaffen, die die Freiheiten der Frau einschränkt.
Die Ministerin hat das Thema Beschäftigungsverbot
angesprochen. Es wäre nicht gut, wenn Frauen, die arbeiten wollen, durch staatliche Regelungen in ein Beschäftigungsverbot gedrängt werden. Das wäre, glaube ich, sowohl für die Schwangeren als auch für die Unternehmen
völlig kontraproduktiv.
Kollege Weinberg, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Wunderlich?
Aber natürlich.
Vielen Dank, Herr Kollege. - Herr Kollege Weinberg,
ich würde mich freuen, wenn Sie in dem Kontext auch
noch etwas zur Gefährlichkeit oder Gefährdung bei der
Arbeit sagen würden. Früher war es ja so: Wenn eine Gefährdung vorlag, war die Arbeit im Rahmen des Schwangerschafts- oder Mutterschutzes untersagt. Inzwischen
wird in dem Gesetzentwurf zwischen zumutbarer und
unzumutbarer Gefährdung differenziert.
({0})
- Oder „verantwortbarer“ und „unverantwortbarer“. - Ab
wann ist denn eine Gefährdung für die Schwangere und
ihr Kind verantwortbar oder nicht mehr verantwortbar?
Gilt das ab 50 Prozent oder ab 70 Prozent Gesundheitsgefährdung? Ab wann ist es nicht mehr verantwortbar?
({1})
Vielen Dank. - Ich bin verzweifelt, dass ich Ihnen das
in zwei Minuten erklären muss.
({0})
Eigentlich aber steht es im Gesetzentwurf. Vielleicht stellen wir ganz einfach die Frage, was für uns wichtig ist.
Wichtig für uns ist, dass es drei Möglichkeiten gibt. Zunächst einmal muss man den Unternehmen auch sagen,
dass zur Klarstellung des Gefährdungsbegriffs und der
Gefährdungsbeurteilung die Verordnung zum Schutze
der Mütter am Arbeitsplatz jetzt in das Gesetz aufgenommen wird. Anhand der Verordnung hätte man auch schon
vor vielen Jahren die abstrakte Gefährdungsbeurteilung
überprüfen können.
Danach gibt es doch drei Möglichkeiten. Erstens sollte am Arbeitsplatz sichergestellt werden, dass es keine
Einschränkungen für die schwangere Frau gibt. Dann
steht die Ampel auf „Grün“. Dann gibt es zweitens die
Möglichkeit, zu schauen, ob es unter Umständen Gefährdungen geben kann. Das muss im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung konkretisiert werden. Das heißt, es
muss genau gefragt werden, ob eine bestimmte Tätigkeit
in einem bestimmten Zusammenhang gefährlich ist oder
nicht. Danach wird entschieden, ob es ein Beschäftigungsverbot gibt. Drittens gibt es den Bereich oder die
Berufe, wo ganz klar feststeht, dass eine Schwangere
dort nicht mehr arbeiten kann. In einem Bereich, wo es
um chemische Giftstoffe oder Ähnliches geht, sollte sie
sowieso nicht arbeiten. Es geht also um Bereiche, wo
mit Stoffen gearbeitet wird, welche die Schwangere geMarcus Weinberg ({1})
fährden. Das heißt, es wird festgestellt, ob die Ampel auf
„Grün“, „Gelb“ oder „Rot“ gestellt ist.
Wenn es darüber hinaus sozusagen individuelle Problemlagen der Frau gibt, dann gibt es selbstverständlich
immer noch die Möglichkeit, den Arzt zu konsultieren.
Ich glaube, das stärkt noch weiter die Flexibilität der Arbeitnehmerinnen.
({2})
Ich weise Ihre Unterstellung ganz klar zurück. Wir haben den Gesundheitsschutz als allererste Priorität sichergestellt. Darüber hinaus haben wir die Regelungen aus
Achtung vor der Selbstbestimmtheit der Arbeitnehmerin
dahin gehend flexibilisiert, darüber zu entscheiden, wann
und wie sie arbeitet.
({3})
- Vielen Dank, Herr Wunderlich.
Ich will aber noch auf wichtige Punkte kommen, die
die Ministerin schon angesprochen hat. Denn es gibt Regelungen, die bereits vor dem 1. Januar 2018 umgesetzt
werden müssen. Wir haben den 1. Januar 2018 deshalb
festgelegt, weil Unternehmen wie auch Verwaltungseinheiten darauf angewiesen sind, dass noch Konkretisierungen für die Umsetzung erfolgen.
({4})
In diesem Zusammenhang ist es unsere Forderung als
Parlament an das Ministerium, dass das geleistet wird.
Die Unternehmen müssen wissen, was sie zu tun haben.
Deswegen ist es richtig, dass wir grundsätzlich das Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Januar 2018 festgelegt
haben.
Aber für gewisse Gruppen gilt das nicht. Das ist etwa
dann der Fall, wenn ein Kind eine Behinderung hat. Die
verlängerte Schutzfrist nach der Geburt eines Kindes
mit einer Behinderung tritt ebenso wie der Kündigungsschutz nach einer Fehlgeburt sofort in Kraft. Das war uns
wichtig; wir wollten, dass das sofort gilt. Das ist, glaube
ich, auch für die Betroffenen das richtige Signal.
In dem Zusammenhang gab es in der Diskussion einen Gedanken der Opposition, den ich gerne aufgreifen
möchte. Sie fordern die Mutterschutzfristen auch für
Frauen, die eine Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche erlitten haben. Auch wir haben uns darüber Gedanken gemacht. Wir haben uns aber dagegen
entschieden. Ich spreche das an, weil das ein wichtiger
Punkt ist, und ich finde, man sollte auch darstellen, warum man sich dagegen ausspricht.
Wir sind der Auffassung, dass die Frau selbst entscheiden sollte, ob sie ihren Arbeitgeber über eine Fehlgeburt
informiert. Mit der von Ihnen vorgeschlagenen Regelung
müsste sie das aber tun, weil es sich bei der nachgeburtlichen Mutterschutzfrist um ein absolutes Beschäftigungsverbot handelt. In diesem Fall einer Fehlgeburt ist - ich
glaube, das kann man sagen - die Krankschreibung möglicherweise der bessere Weg; so wird wahrscheinlich verfahren. Deswegen werden wir Ihren Vorschlag ablehnen.
Ich kann zusammenfassend feststellen: In neun Monaten entsteht, wie gesagt, viel Gutes. Wir haben jetzt einen
guten Gesetzentwurf, finde ich, der Schutzfunktionen auf
der einen Seite und Freiheit auf der anderen Seite, aber
auch den Schutz der Wirtschaft zusammenbringt. Deswegen war es richtig, dass wir jetzt nach über 60 Jahren
endlich das Mutterschutzgesetz reformiert und auf einen
vernünftigen Weg gebracht haben. Deswegen bitte ich
herzlich um Unterstützung.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Beate Müller-Gemmeke für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau
Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir
Grünen wollen einen modernen und diskriminierungsfreien Mutterschutz. Wir wollen schwangere und stillende Frauen schützen. Was wir aber nicht wollen, sind unsinnige Beschäftigungsverbote. Darin sind wir uns also
einig.
({0})
Und doch ist der Mutterschutz nichts anderes als Arbeits- und Gesundheitsschutz. Deshalb brauchen wir einheitliche Regelungen. Genau das ist an manchen Stellen
nicht wirklich gut gelungen. Das hätten Sie vermeiden
müssen.
({1})
Bei der Arbeitszeit beispielsweise geht es im Mutterschutzgesetz vor allem darum, wann Frauen arbeiten
dürfen und wann nicht. Im Arbeitsschutzgesetz aber sind
die Arbeitszeitbedingungen ein wesentlicher Teil der Gefährdungsbeurteilungen. Da gibt es einen Unterschied.
Ganz abstrus ist - das wurde schon angesprochen der neue Begriff der „unverantwortbaren Gefährdung“.
Was bitte schön ist das? Gibt es jetzt auch verantwortbare Gefährdungen? Eine solche Unterscheidung kennt das
Arbeitsschutzgesetz bisher nicht.
Es wird jetzt lange dauern, bis der Ausschuss für Mutterschutz diesen neuen Begriff definiert und mit Leben
füllt. Bis dahin ist die Rechtslage unklar, und das wird
nicht zu weniger, sondern, im Gegenteil, wieder zu mehr
Beschäftigungsverboten führen. Denn welcher Betrieb
wird es schon wagen, eine Gefährdung als verantwortbar
zu beurteilen? Natürlich keiner.
Gefährdungen müssen vermieden oder beseitigt werden, und wenn das nicht gelingt, dann müssen SchutzMarcus Weinberg ({2})
maßnahmen greifen. Das sind die Grundsätze im Arbeitsschutzgesetz, und genauso muss das auch beim
Mutterschutz gelten.
({3})
Daran ändert auch Ihr komischer Entschließungsantrag
nichts. Sie hätten den Begriff der „unverantwortbaren
Gefährdungen“ einfach streichen müssen.
({4})
Es gibt einen weiteren weißen bzw. blinden Fleck im
Mutterschutzgesetz. Gefahrstoffe, Druckluft, Strahlung,
Zwangshaltung, Hitze oder Lärm, all diese Belastungen
werden aufgezählt, weil sie den Frauen nicht guttun. Die
psychische Gesundheit wird aber nur an einer Stelle ganz
beiläufig erwähnt. Die negativen Auswirkungen von
arbeitsbedingten psychischen Belastungen auf die Gesundheit schwangerer Frauen und auf die Entwicklung
ungeborener Kinder sind aber bekannt. Wir haben diese
Lücke immer wieder kritisiert und einen entsprechenden
Änderungsantrag im Ausschuss gestellt. Aber es bleibt
dabei: Stress und psychische Belastungen werden weiterhin ignoriert. Das ist für uns nur schwer nachvollziehbar.
Das entspricht vor allem in keiner Weise einem ganzheitlichen Mutterschutz.
({5})
Mit dem neuen Mutterschutzgesetz bekommen die
Frauen zu Recht mehr Selbstbestimmungsrechte. Sie
können selber mitentscheiden, ob sie arbeiten oder nicht.
({6})
Grundsätzlich ist das richtig. Aber wir sind auch skeptisch. Es muss natürlich gewährleistet sein, dass die Frauen freiwillig arbeiten und nicht auf Druck der Arbeitgeber. Deshalb haben wir eine frühere und regelmäßige
Evaluierung des Gesetzes im Ausschuss gefordert. Das
ist aber abgelehnt worden. Hier hätten wir uns mehr Problembewusstsein gewünscht.
({7})
Für uns gibt es also Licht und Schatten bei diesem Gesetz. Es geht in die richtige Richtung. Wir haben es uns
wahrlich nicht leicht gemacht und lange darüber nachgedacht, aber wir können nicht dafürstimmen. Wir werden
uns enthalten. Ein wesentlicher Grund sind die ungleichen Regelungen, was den Arbeitsschutz betrifft. Als
Beispiel habe ich den Begriff „unverantwortbare Gefährdung“ genannt. Weil es bei diesem Gesetz um die Gesundheit der Frauen und der ungeborenen Kinder geht,
werden wir aber ganz genau beobachten und nachfragen,
wie das Gesetz tatsächlich umgesetzt wird und wie es
sich am Ende auswirkt. Der Mutterschutz ist uns wichtig.
Deshalb bleiben wir dran. Das kann ich Ihnen versichern.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Yüksel für die Fraktion der
SPD.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vater und
Mutter zu werden, ist etwas Wunderschönes. So schön
dieses Ereignis ist, so belastend kann eine Schwangerschaft für werdende Mütter aber auch sein, sowohl körperlich als auch psychisch. Wichtig ist, Mutter und Kind
bestmöglich in der Schwangerschaft und darüber hinaus
zu schützen. Das geltende Mutterschutzgesetz ist nun
65 Jahre alt. Es ist also an der Zeit, es an die heutige gesellschaftliche Realität anzupassen; denn Frauen gehören
mittlerweile ganz selbstverständlich in die Arbeitswelt,
und das ist richtig und gut so.
({0})
Unser Ziel war deshalb, eine Balance zu finden zwischen dem Gesundheitsschutz für die Frau und ihr Kind
sowie den individuellen Wünschen der Frau, ihrem Beruf auch in Schwangerschaft und Stillzeit nachzugehen.
Mit der Streichung der Branchenausnahmen und neuen
verständlichen Regelungen können Frauen nun selbst
entscheiden, ob sie sonn- oder feiertags arbeiten wollen.
Dafür müssen sie sich ausdrücklich bereiterklären, und
Alleinarbeit muss zu ihrem Schutz ausgeschlossen sein.
({1})
Für Nachtarbeit zwischen 20 und 22 Uhr muss zusätzlich ein ärztliches Attest vorgelegt werden. Außerdem
war es uns wichtig, hier deutlich zu machen, dass es sich
um keinen Regelfall handelt, und dass die Frauen, die
während dieser Uhrzeit arbeiten, besonders geschützt
sind. So haben wir in den Verhandlungen ein behördliches Genehmigungsverfahren durchsetzen können, bei
dem die zuständige Behörde den Antrag auf Nachtarbeit
prüfen muss und gegebenenfalls ablehnen kann.
({2})
Bei der Mehrarbeit haben wir durchgesetzt, dass nun
auch Teilzeitbeschäftigte entsprechend ihrer vertraglich
vereinbarten Arbeitszeit berücksichtigt werden, ein wichtiger Verhandlungserfolg, da gerade Frauen überdurchschnittlich häufig in Teilzeit arbeiten. Darüber hinaus
haben wir dafür gesorgt, dass im Gesetz ein Rückkehrrecht auf einen gleichen oder vergleichbaren Arbeitsplatz
verankert wird.
Ich freue mich auch, dass der Mutterschutz nun noch
mehr Frauen zugutekommt; denn künftig werden auch
Praktikantinnen, Schülerinnen und Studentinnen in den
Mutterschutz aufgenommen.
({3})
Außerdem gibt es mehr Schutz schon ab dem 1. Juli dieses Jahres für Frauen, die Kinder mit einer Behinderung
zur Welt bringen. Ihr nachgeburtlicher Mutterschutz wird
von acht auf zwölf Wochen verlängert.
({4})
Auch der Kündigungsschutz für Frauen, die nach der
zwölften Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt erleiden, wird verbessert: Er gilt mindestens vier Monate
nach der Geburt. Generell sind kündigungsvorbereitende Handlungen durch den Arbeitgeber während der
Schwangerschaft und Schutzfrist verboten.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, Schwangerschaft, Geburt und Stillen,
das sind natürliche Dinge. Sie sind ein Teil des Lebens.
Dadurch, dass sich Betriebe frühzeitig mit dem Thema
Mutterschutz beschäftigen und diesen in ihren Alltag integrieren müssen, werden Schwangerschaft und Stillzeit
entstigmatisiert. Mit der Reform des Mutterschutzgesetzes gehen wir heute deshalb auch einen wichtigen Schritt
hin zu mehr Gleichberechtigung und Partizipation.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Bettina Hornhues für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Bereits während der
ersten Lesung haben wir einstimmig festgestellt, dass
die Novellierung des Mutterschutzgesetzes ein wichtiges
und mehr als überfälliges Vorhaben ist. Umso mehr freue
ich mich, dass wir dieses wichtige Gesetz heute verabschieden können. Für uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion standen während der Gesetzesberatungen immer
zwei Dinge im Vordergrund:
Erstens. Der Schutz der Schwangeren und der des ungeborenen Lebens stehen an vorderster Stelle.
Zweitens. Das Mutterschutzgesetz ist ein Gesetz für
die Praxis. Das heißt, es muss verständlich und anwenderfreundlich sowohl für die betroffenen Frauen als auch
für ihre Arbeitgeber sein.
({0})
Darum haben wir uns während der Gesetzesberatungen dafür eingesetzt, Bürokratie abzubauen und Rechtssicherheit zu schaffen. Schließlich soll das Gesetz für
schwangere und stillende Frauen kein Hemmnis sein, zu
arbeiten; wir wollen vielmehr, dass die Frauen selbstbestimmt entscheiden, möglichst lange im Beruf zu bleiben. Schwangerschaft ist eben keine Krankheit, Frau
Krellmann, sondern eine besonders schöne und aufregende Zeit im Leben einer Frau.
({1})
Wenn das Wort „Mutterschutz“ fällt, denken viele zunächst nur an die Schutzfristen von sechs Wochen vor
und acht Wochen nach der Geburt. Aber beim Mutterschutz geht es um so viel mehr. Das Mutterschutzgesetz
greift ab dem Zeitpunkt, wo eine Frau ihrem Arbeitgeber
von der Schwangerschaft berichtet. Dementsprechend
sind sowohl viele Aspekte des Arbeitsschutzes beinhaltet
als auch die Frage, wie Arbeitgeber und Frauen während
dieser Zeit miteinander umzugehen haben.
Zwischen allen Beteiligten die richtige Balance zu finden, war die große Herausforderung bei diesem Gesetz,
welche wir meiner Meinung nach sehr gut gelöst und einer modernen Arbeitswelt angepasst haben.
Ich möchte im Folgenden auf drei wichtige Aspekte
eingehen, die für uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion
besonders wichtig sind.
Erstens: das Verbot der Nachtarbeit. Aus einem umgestalteten Paragrafen zur Nachtarbeit, § 5 Mutterschutzgesetz, geht nun deutlich hervor, dass Ausnahmen vom
Nachtarbeitsverbot, also auch Arbeit nach 20 Uhr, branchenunabhängig möglich sind. Arbeit nach 20 Uhr muss
zwar von der Aufsichtsbehörde genehmigt werden. Ein
großer Erfolg für uns ist hierbei aber, dass die Frau während dieser Zeit der Prüfung, in der die Aufsichtsbehörde über den Antrag entscheidet, weiterarbeiten kann und
eben nicht währenddessen im Beschäftigungsverbot landet, was der ursprüngliche Entwurf so vorgesehen hatte.
Zweitens: die Gefährdungsbeurteilungen. Dieses war
während der gesamten Verhandlungen für uns mit der
wichtigste Punkt. Auch hier konnten wir die Vorschläge
im ursprünglichen Entwurf noch ändern: Individuelle Eigenschaften und Bedürfnisse der Frauen spielen bei der
Gefährdungsbeurteilung auch zukünftig keine Rolle. Natürlich hat aber der Arbeitgeber die Pflicht, Schutzmaßnahmen für die Frau festzulegen, sollten diese notwendig
sein.
Neu ist jetzt, dass der Arbeitgeber der Frau ein Gespräch über weitere Anpassungen ihrer Arbeitsbedingungen anzubieten hat. Daraus folgen allerdings keine
Pflichten für den Arbeitgeber. Steht also sinnbildlich die
Ampel auf Grün, gehen von dem Arbeitsplatz also keine
Gefahren für die Schwangere und das ungeborene Kind
aus, kann hinter die Gefährdungsbeurteilung unbürokratisch ein Haken gemacht werden.
Drittens: Verbotsvorbehalt für die getaktete Arbeit.
Auch der von uns stark kritisierte Punkt des Verbots der
getakteten Arbeit im Gesetzentwurf konnte von uns entschärft werden: Getaktete Arbeit mit vorgeschriebenem
Arbeitstempo wird auch weiterhin möglich sein, sofern
für die Schwangere und ihr Kind keine unverantwortbare
Gefährdung vorliegt. Schließlich muss man bedenken,
dass man bei getakteter Arbeit nicht immer gleich von
Akkordarbeit ausgehen darf. Viele Taktungen können
so dem Arbeitstempo der Schwangeren angepasst werden, dass sie möglichst lange ihre Arbeit weiterverfolgen
kann, was den Wünschen der Frauen entspricht.
Und mit den Wünschen der Frauen möchte ich auch
schließen. Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion und
speziell als AG Familie haben uns dafür eingesetzt, den
Wünschen von modernen Frauen in einer modernen Arbeitswelt mit diesem Gesetz gerecht zu werden - sei es,
dass sie noch Schülerinnen oder Studentinnen sind oder
dass sie als Arbeitnehmerinnen bzw. arbeitnehmerähnliche Personen beschäftigt werden. Wir müssen zwar die
besonders Schutzbedürftigen unter ihnen schützen, dürfen mit zu viel Bürokratie und Verboten den Frauen aber
auch nicht die Teilhabe an der Arbeitswelt verwehren.
Schließlich haben wir nicht mehr das Jahr 1952, sondern
das Jahr 2017.
Vielen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neu-
regelung des Mutterschutzrechts. Der Ausschuss für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/11782, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/8963 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal-
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzent-
wurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11782 empfiehlt der Ausschuss, eine Ent-
schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Künast, Tabea Rößner, Dr. Konstantin von Notz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Nutzungsrechte digitaler Güter für Verbraucherinnen und Verbraucher verbessern
Drucksache 18/11416
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({1}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Nicole Maisch, Renate Künast,
Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mehr Transparenz und Klarheit bei Buchungs- und Vergleichsportalen schaffen
Drucksachen 18/10043, 18/11471
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Man glaubt es ja nicht, aber es ist 50 Jahre her, dass der erste Taschenrechner auf den Markt
kam. Das war die technische Revolution. Die Sorge war
groß. Es hieß nämlich, es könnte sein, dass wir alle das
Kopfrechnen vergessen. Wenn man das einmal überlegt:
Es ist 50 Jahre her, dass wir diese Sorgen hatten. Jetzt
sagen wir schon: Die Zeit, in der wir heute leben, ist ein
digitales Zeitalter, da können die Geräte miteinander
kommunizieren. Alles ist technischer geworden. Ohne
Smartphone geht keiner aus dem Haus. Aber wissen Sie,
was auch geschehen ist? Die Unsicherheit ist größer geworden. Die Unsicherheit der Menschen, auch der Kundinnen und Kunden, darüber ist größer geworden, was
eigentlich ihre Rechte sind und wie sie diese durchsetzen.
Nehmen wir einmal zwei Punkte aus unseren beiden
Anträgen. Früher hatte eine Bibliothek ein Regal oder
mehrere, gefüllt mit Büchern. Wenn Sie Bücher aus Ihrer
privaten Bibliothek verleihen, verschenken oder vererben
wollten, dann konnten Sie das problemlos tun. Heute hat
man E-Books. Das ist die Weiterentwicklung nach dem
Taschenrechner. Was machen wir aber mit dem E-Book?
Man hat heutzutage mit seinen E-Books auch eine große, umfangreiche Bibliothek, aber weniger Rechte als im
analogen Zeitalter mit damals analogen Gütern.
Die Regeln, die wir haben, kommen aus dem Zeitalter,
bevor es Tablets, Smartphones und Streaming-Dienste
gab. Deshalb sagen wir Grüne mit unserem Antrag zum
Urheberrecht: Wir wollen das Urheberrecht an dieser
Stelle fit machen für das digitale Zeitalter.
({0})
Es soll nämlich so sein, dass die Verbraucher nicht mehr
schlechtergestellt sind, und da muss ich Sie von der Bundesregierung kritisieren. Sie haben zwar beim Urheberrecht Novellierungen vorgenommen, aber die Nutzungsrechte digitaler Güter haben Sie schlicht nicht angepackt,
meine Damen und Herren, obwohl dies im Koalitionsvertrag angekündigt war. Dazu machen Sie ja hin und
wieder mit Hingabe nächtliche Koalitionsrunden. Angekündigt war, das Urheberrecht an die Erfordernisse und
Herausforderungen des digitalen Zeitalters anzupassen.
Passiert ist aber nichts.
Wir legen jetzt den Grundstein. Man muss nämlich
ein Buch zum Beispiel weiterverschenken können. Die
Verbraucherzentrale hat dazu eine Umfrage gemacht und
festgestellt: Eine Weiterveräußerbarkeit wünschen sich
80 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer. Ich finde, das
muss auch möglich sein, meine Damen und Herren.
({1})
Uns wird vorgemacht, dass das digitale Buch billiger ist. Aber wenn Sie nicht gleich Ihr ganzes Gerät mit
weggeben wollen, dann können Sie das E-Book gar nicht
weiterverschenken, verleihen oder Ähnliches. Dadurch
ist es faktisch wieder teurer.
({2})
Das ist auch eine Form, uns hinters Licht zu führen,
meine Damen und Herren. Wir meinen, wir brauchen
endlich Klarheit darüber, was eigentlich die Eigentumsund Besitzverhältnisse in diesem Bereich sind.
({3})
Bei den Massen an Geld, um die es da geht, kann ich
Ihnen nur sagen: In anderen Bereichen wäre das unvorstellbar.
Gleichwertige Nutzungsmöglichkeiten, geräteunabhängige, plattformneutrale Nutzung und ein Weiterveräußerungsrecht - das alles können Sie mit dem Schutz
der Urheberrechte am Ende problemlos verbinden, wenn
Sie eine Balance und einen Ausgleich schaffen, meine
Damen und Herren.
In dem zweiten Antrag - die Präsidentin hat es gesagt - geht es um Buchungs- und Vergleichsportale.
72 Prozent aller Nutzer des Internets nutzen beim Kauf
von Fernsehern und vielem anderen und auch bei der Buchung von Reisen Buchungs- und Vergleichsportale und
kaufen oder buchen nicht direkt. Sie glauben an die Ehrlichkeit und die Fairness dieser Portale, und das ist der
Fehler. Das ist ein echter Fehler. Warum? Wie kommen
die angezeigten Preise zustande, ist die Frage. Sind das
tatsächlich finale Preise? Oder merke ich am Ende des
Buchungsvorgangs, wenn ich nur noch auf „Ja“ drücken
muss, dass von überallher noch Summen dazukommen?
Wie wird die Auswahl getroffen? Wer kommt eigentlich
bei den Angeboten nach vorn?
Wir hören Beispiele, dass Versicherungen am Ende
noch eine oder zwei Vertragsbedingungen verändern und
das Ganze noch einen Cent billiger machen, und schon
stehen sie vorn. Die Versicherung oder der Kühlschrank
steht dann oben auf der Liste. Das ist schön für das Unternehmen, aber der Verbraucher ist betrogen. Deshalb
brauchen wir gerade auch in diesem Bereich Regeln. Wir
brauchen Transparenz.
({4})
Wir sagen: Buchungs- und Vergleichsportale brauchen
einheitliche Standards. Sie müssen offenlegen, wer der
Betreiber ist, ob es ein Buchungs- oder ein Vergleichsportal ist, ob Provisionen gezahlt werden, ob andere
Zahlungen fließen, ob es Absprachen gibt und was die
ausschlaggebenden Kriterien sind, meine Damen und
Herren.
Kollegin Künast, ich bitte Sie, einen Punkt zu setzen.
Letzter Satz. - Sie können nicht ständig von digitaler
Agenda reden und davon, dass wir uns fit für das digitale
Zeitalter machen müssen, wenn Sie die Alltagsverträge
der Kunden, die im Netz abgeschlossen werden, in keiner
Weise zugunsten der Kunden regeln. Das ist unsozial.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Kathrin Rösel für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Zuschauer, die zu später Stunde auf der
Zuschauertribüne sitzen! Wir befassen uns hier mit zwei
Anträgen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die zwar
nicht den gleichen Inhalt, aber doch einiges gemeinsam
haben. Alle Verbraucher werden von Ihnen mal wieder
über einen Kamm geschoren, wie kleine Kinder behandelt und bevormundet. Anbieter von digitalen Dienstund Serviceleistungen sind Ihrer Auffassung nach alle
kriminell, müssen reglementiert, kontrolliert und sanktioniert werden.
({0})
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
lassen sie mich Ihnen drei Dinge sagen.
({1})
- Die nehme ich von Ihnen gerne.
({2})
Erstens. Die Verbraucher, die Sie hier ansprechen,
sind erwachsene Menschen.
Zweitens. Die Welt ist nun einmal nicht schwarz-weiß.
Drittens. Auch Sie werden die neuen Märkte, die sich
uns durch die digitale Welt bieten, nicht aufhalten können.
Aber nun zur Sache.
Antrag 1. Sie möchten, dass sich die Nutzungsrechte von käuflich erworbenen digitalen Gütern, also zum
Beispiel E-Books, wie Sie es schon sagten, nicht von denen unterscheiden, die in gebundener Form, also analog,
vorliegen. Auf den ersten Blick ist das ja eine gute Idee.
({3})
Allerdings würden wir mit einer vollständigen Gleichstellung digitaler und analoger Güter Urheberrechte entwerten und bestehende Lizenzsysteme außer Kraft setzen;
({4})
denn digitale Güter können nun mal völlig ohne Qualitätsverlust in unendlicher Zahl kopiert werden. Schon allein hieran wird deutlich, dass digitale Waren eben nicht
mit analogen gleichzusetzen sind.
({5})
Wie wollen Sie es technisch umsetzen, dass bei der Weitergabe, zum Beispiel eines E-Books, keine Kopie zurückgehalten wird?
({6})
Im Übrigen fordern Sie an einer anderen Stelle ausdrücklich, dass Privatkopien angelegt werden dürfen.
({7})
Damit wir wissen, worüber wir überhaupt beraten sollen,
Frau Künast, wäre es schön, zu wissen, was genau Sie
nun eigentlich wollen.
({8})
Antrag 2. Dieser Antrag ist inhaltlich anders, beruht
aber auf der gleichen Annahme. Die Anbieter von Onlinevergleichsportalen und -buchungsportalen haben
nach Ihrer Auffassung ein und dasselbe Ziel, nämlich
die Verbraucher über den Tisch zu ziehen. Aber auch das
kann ich so nicht stehen lassen. Allerdings: Ja, es ist korrekt, dass immer mehr Verbraucher diese Vergleichsportale nutzen. Ja, es ist korrekt, dass bei vielen Vergleichsportalen nicht der gesamte Markt abgebildet wird. Ja, es
ist korrekt, dass die Betreiber von Vergleichsportalen ihre
Waren und Dienstleistungen eben auch verkaufen wollen. Aber es entspricht eben auch der Realität, dass die
Verbraucher bei der Nutzung von Vergleichsportalen nur
eine Orientierung wollen und gar keinen Anspruch erheben, den vollständigen Markt abgebildet zu bekommen.
({9})
- Frau Künast, hören Sie mir doch zu. Wenn Sie eine
Frage haben, melden Sie sich bitte. Die beantworte ich
gerne. - Erst letzte Woche habe ich mit der Verbraucherzentrale gesprochen. Mir wurde bestätigt, dass die Nutzer regelrecht erwarten, über diese Portale angebotene
Waren und Dienstleistungen auch käuflich erwerben zu
können. Sie wollen außerdem, dass derlei Portale genau
auflisten müssen - das haben Sie ja schon gesagt -, wie
viel sie bei ihrem Service verdienen. Sie wollen die Anbieter gesetzlich verpflichten, alle Angebote tagesaktuell
aufzulisten. Wenn wir Ihre Forderung wirklich umsetzen
wollen, frage ich mich: Wie wollen wir das ernsthaft kontrollieren?
({10})
Gerade aus Ihren Reihen habe ich am letzten Freitag den
Begriff „Bürokratiemonster“ extrem oft gehört. Dieser
Begriff trifft Ihre Anträge ja besser als irgendetwas anderes.
({11})
Die Europäische Union hat bereits im letzten Jahr gemeinsam mit den Anbietern von Vergleichsportalen und
Verbraucherportalen beschlossen, verbraucherfreundliche und verbraucherschützende Prinzipien für diese
Branche zu erarbeiten und diese nun auch anzuwenden.
Diese Leitlinien beinhalten unter anderem, wie Sie es
schon gefordert haben, dass objektive Vergleiche durchgeführt werden, Geschäftsmodelle deutlich gemacht und
Werbebanner als solche gekennzeichnet werden müssen.
Diese Prinzipien fließen in das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ein; meiner Meinung nach vollkommen
ausreichend.
Wir als Union werden Ihre Anträge ablehnen, weil sie
weit über das hinausgehen, was wir unter Verbraucherschutz verstehen.
({12})
Wir sind der Überzeugung, dass Menschen zu selbstbestimmten Entscheidungen durchaus fähig sind, und wir
trauen ihnen etwas zu, ohne sie alleinzulassen.
({13})
Das, meine Damen und Herren, verstehen wir Christdemokraten unter verantwortungsvollem Verbraucherschutz.
Lassen Sie mich bitte eines zum Schluss sagen. Sie,
liebe Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen, müssten spätestens seit letztem Sonntag wissen, dass allein
die Fähigkeit, die Schilder „Dagegen“ und „Verbieten“
wechselseitig hochzuhalten, nicht ausreicht, um die Verantwortung für unser Land und seine Menschen zu übernehmen.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Petra Sitte für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es soll
hier noch Kollegen bzw. Abgeordnete geben, die sich gut
daran erinnern, als Henne Gensfleisch zum Gutenberg
den Buchdruck mit beweglichen Lettern erfand. Zu seiner Zeit war die Vervielfältigung von Texten revolutionär
und hatte bedeutenden kulturellen Einfluss auf die Kommunikation und auf die Informationswege. Mit nur einer
Vorlage konnte man damals schnell und mit niedrigen
Kosten Tausende Exemplare herstellen und weitergeben.
Sechs Jahrhunderte später reden wir nun wieder über
einen demokratischen und partizipativen Umgang mit
kulturellen, diesmal digitalen Gütern. Digitale Güter
wie elektronische Bücher, Musikdateien, Fotografien,
Texte und Software sind im Unterschied zu körperlichen
Gütern nicht einfach öffentlich verleih- oder tauschbar,
zu vererben oder weiterzuverkaufen. Es war schon die
Rede davon. Was für den einen oder die andere private
Anwenderin ärgerlich ist, wird für öffentliche Bibliotheken richtig kompliziert. Viele Lesende fragen elektronische Bücher immer stärker nach. Doch die rechtlichen
und finanziellen Hürden für die elektronische Ausleihe
sind immer höher geworden. Es können nur diejenigen
elektronischen Bücher zur Ausleihe angeboten werden,
für die der Verlag mit der jeweiligen Bibliothek einen Lizenzvertrag ausgehandelt hat.
Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ hat damals die Handlungsempfehlung ausgesprochen, neben einer höheren Grundfinanzierung der
Bibliotheken stärker als bislang digitale Medien zur Nutzung bereitzustellen und deren Verleihbarkeit entsprechend analoger Werke sicherzustellen.
({0})
- Na ja, da waren wir ja auch dabei. - Auch wenn der
EuGH in seinem Urteil vom November 2016 entschieden hat, dass die Regeln für das Ausleihen von Büchern
grundsätzlich auch für E-Books gelten sollen, braucht es
eine gesetzliche Klarstellung im Urheberrecht, um öffentliche Bibliotheken zukunftsfähig zu machen und sie
in die Lage zu versetzen, ihren Nutzerinnen und Nutzern
ein aktuelles E-Book-Angebot anzubieten und das zu einem fairen Preis und fairen Lizenzkonditionen.
Meine Fraktion hat dies bereits vor zwei Jahren - übrigens vor fast genau zwei Jahren - in einem Antrag zur
Sicherstellung der Verleihbarkeit digitaler Medien entsprechend analoger Werke in öffentlichen Bibliotheken
konkretisiert.
({1})
Zudem würde aber auch eine allgemeine Bildungsund Wissenschaftsschranke Studierenden, Forschenden,
Schülerinnen und Schülern erleichtern, publizierte Werke für den nichtgewerblichen, für den wissenschaftlichen
Gebrauch genehmigungsfrei und ohne Einschränkung zu
nutzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich warte auf
den Referentenentwurf zu § 52a Urheberrechtsgesetz.
Dort könnten wir endlich alles klären.
({2})
Ganz grundsätzlich sind wir der Meinung, dass digitales
Secondhand, also der temporäre Verleih oder der Weiterverkauf, möglich sein muss.
Auf den zweiten Antrag, zu dem Renate Künast als
Erste gesprochen hat, möchte ich nur kurz eingehen. Zu
Recht wird in diesem Antrag auf die Studie der EU-Kommission aus dem Jahr 2014 verwiesen. Fast zwei Drittel der Verbraucherinnen und Verbraucher hatten bereits
Probleme bei der Nutzung von Vergleichsplattformen,
meist verursacht durch unvollständige Information.
Wenn man nicht wahrnehmen kann, dass ein Portal bestimmte Anbieter durch eine Provision bevorzugt, wird
eine Neutralität nur vorgespiegelt, die tatsächlich gar
nicht gegeben ist.
({3})
Das Gleiche gilt natürlich, wenn es sich bei dem Angebot um ungekennzeichnete Werbung handelt. Hierfür
klare Kriterien zu schaffen, wäre ein ganz wichtiger
Schritt, um Kundinnen und Kunden vor Fehlentscheidungen zugunsten der Anbieter zu schützen. Wir unterstützen daher den Antrag, den Sie dazu gestellt haben.
({4})
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Petra RodeBosse das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und
Kolleginnen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf der
Tribüne! Wer hat nicht schon einmal ein Buch oder eine
Musik-CD an Freunde oder Familie verschenkt oder ein
solches Gut in einem Sozialkaufhaus oder einer Leseecke
abgegeben, damit andere es nutzen können? In vielen Cafés finden wir eine Auswahl an Zeitschriften, die wir lesen dürfen, ohne sie erwerben zu müssen.
An diesen Beispielen, liebe Kolleginnen und Kollegen, zeigt sich der Unterschied zwischen der Nutzung
von analogen, körperlichen Gütern und digitalen Gütern.
Denn ein Buch oder eine CD oder DVD kann man weitergeben, ohne einen Rechtsbruch zu begehen, digitale
Güter dagegen nach aktueller gesetzlicher Lage so nicht.
Jede Lizenz für ein Computerprogramm muss man einzeln erwerben, und man kann sie nicht für ein weiteres
Endgerät nutzen, sofern es nicht ausdrücklich zugelassen
ist. Videos, die man über das Internet gekauft und heruntergeladen hat, darf man auch nicht weitergeben. So
lauten die aktuellen gesetzlichen Regelungen.
Der Markt für digitale Güter hat sich rasant entwickelt,
ist Bestandteil des Alltags, wird überproportional von der
jungen Generation genutzt, jedoch allgemein mit steigender Tendenz. Wir brauchen daher praxisnahe Regeln, die
allen Beteiligten gerecht werden, also den Verbrauchern
und Verbraucherinnen, aber auch den Urheberinnen und
Urhebern, den beteiligten Verlagen und Internetportalen.
Eine solche Regelung zu finden, ist wahrlich nicht einfach.
Auf der einen Seite bringen digitale Güter uns Nutzerinnen und Nutzern viele Vorteile, und es eröffnen sich
viele neue Möglichkeiten. Sie stellen uns aber auch vor
große Herausforderungen, was die Verbraucherrechte,
den Datenschutz und die Urheberrechte angeht. Wir als
SPD-Bundestagsfraktion verfolgen auch den Ansatz,
Nutzungsrechte für digitale und analoge Güter so weit
wie möglich gleichzustellen. Vereinfachung und Rechtssicherheit sind dabei das Ziel. Doch beachten müssen
wir, was möglich ist.
Im Vergleich zu analogen Gütern lassen sich die digitalen Güter einfacher und viel schneller verändern und
aktualisieren - was ein Vorteil ist -, aber ebenso einfach
und schnell auch kopieren und weitergeben, und zwar,
ohne dass sie neu hergestellt werden müssen. Hinzu
kommt die Anfälligkeit digitaler Datensätze für die Manipulationen Dritter. Dieser Kontrollverlust ist bei den
digitalen Gütern, vor allem bei jenen, die nur online vorhanden sind, erheblich größer als bei Gütern mit eingebetteten digitalen Inhalten wie CDs oder DVDs. Sie sind
mit einer Internetverbindung permanent abrufbar. Das
heißt, dass sie nicht einfach verloren gehen können und
sich somit rasant - und meistens wohl auch unwiderruflich - verbreiten lassen, und zwar, noch bevor die Kosten
der Herstellung sich amortisiert haben oder Urheberinnen und Urheber ihr angemessenes Honorar für das Werk
erhalten konnten. Daher braucht es durchaus Verständnis
für eine realistische Umsetzung von Nutzungsrechten.
({0})
Denn die Stärkung der Verbraucherrechte ist das
eine - und ich glaube, sie wollen wir alle -, aber der
Schutz der Urheberrechte und damit auch die Sicherung
der Existenzgrundlage der Urheberinnen und Urheber
ist das andere. Wer würde noch Schriftstellerin, Musiker oder Ähnliches werden wollen, wenn die Existenzgrundlage entzogen wäre? Das Urheberrecht sichert den
Schöpfern und Produzenten sowohl die Kontrolle als
auch die Beteiligung an der wirtschaftlichen Verwertung
ihrer geschützten Güter, Werke und Leistungen.
Die Koalitionsfraktionen haben das Urheberrecht in
dieser Legislaturperiode bereits gestärkt, und zwar mehr
als in den meisten Legislaturperioden davor.
({1})
Das Urhebervertragsrecht wurde reformiert, das Verwertungsgesellschaftengesetz wurde beschlossen, und
zumindest wir wollen auch die Bildungs- und Wissenschaftsschranke einführen, die vorhin schon erwähnt
worden ist.
({2})
Ich kann sehr gut verstehen, dass Bündnis 90/Die Grünen vorstellig werden; denn die digitalen Güter stellen
das Urheberrecht und die Verbraucherrechte im Allgemeinen vor große Herausforderungen.
({3})
Ich kann Ihnen aber versichern: Wir nehmen die Herausforderung an, für alle Beteiligten gerechte Regeln auf
dem digitalen Markt zu schaffen.
({4})
Das Wort hat der Kollege Dr. Volker Ullrich für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die digitale Revolution der letzten Jahre hat zu
völlig neuen Formen des Konsums von Kunst und Kultur
geführt: Menschen hören sich gestreamte Musik an, sie
lesen ihre E-Books und schauen sich digitale Filme an.
Und da liegt es nahe, die rechtliche Bewertung von digitalen und analogen Gütern genauer zu betrachten.
Die Grünen fordern in ihrem Antrag, eine rechtliche
Gleichstellung zu prüfen. Ich will Ihnen aber sagen, dass
Sie den Umfang und den Charakter von digitalen Gütern
nicht vollumfänglich verstanden haben; denn Sie vergleichen in diesem Antrag etwas, was nicht vergleichbar ist.
({0})
Zwar mögen die Inhalte die gleichen sein - und das Werk
wirkt gleich, ob Sie es sich auf einem E-Book ansehen
oder in gedruckter Form -, aber der Unterschied liegt in
der Kopierbarkeit und in der Reproduzierbarkeit.
({1})
Im Mittelalter musste ein Buch teilweise in monatelanger Handarbeit abgeschrieben werden, um eine Kopie
zu bekommen.
({2})
Zu Zeiten des Buchdruckes mussten die Druckplatten angefertigt werden,
({3})
um eine Kopie zu erzeugen. Heutzutage können Sie digitale Inhalte ohne weitere Kosten durch einen Mausklick
reproduzieren. Im Fachjargon nennt man das: Diese digitalen Inhalte haben in Bezug auf die Reproduzierbarkeit
sogenannte Nullgrenzkosten.
Wenn Sie ein Produkt haben, bei dessen Vervielfältigung keine Grenzkosten entstehen, dann können Sie
dieses Produkt nicht mit einem Produkt vergleichen, bei
dem Kosten bei der Reproduktion entstehen. Sie vergleichen Dinge, die nicht vergleichbar sind; das muss ich Ihnen so ehrlich sagen. Ich glaube, die Grünen haben die
digitale Welt noch nicht richtig begriffen.
({4})
Der amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin hat in seinem Buch Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft ganz klar
dargelegt, dass wir angesichts der großen Herausforderung, die die Digitalisierung darstellt, neue Rechtsformen benötigen und dass wir nicht einfach die analoge
Welt eins zu eins in die digitale Welt übertragen können.
({5})
Deswegen brauchen wir im Urheberrecht völlig neue
Modelle.
({6})
Wir müssen über Lizenzmodelle sprechen. Wir müssen
über eine patentähnliche Möglichkeit sprechen, digitale
Urheberrechte zu schützen. Uns geht es nämlich um den
Schutz des Urhebers.
({7})
Denn selbst wenn Sie ohne weitere Kosten ein E-Book
unendlich reproduzieren können: Sie können nicht die
Wohnung und nicht das Essen des Autors ohne Grenzkosten multiplizieren. Auch Autoren und Kreative müssen im digitalen Zeitalter von ihren Werken leben können.
({8})
Qualität kostet. Wer als Kreativer unterwegs ist, der
muss sich auch weiterhin darauf verlassen können, dass
ihm der Staat schützend zur Seite steht, dass der Staat
sich um ein Urheberrecht kümmert, damit kreative Leistungen auch zukünftig vergütet werden.
({9})
Das ist unser Anspruch.
({10})
Frau Künast, Sie haben in Ihrer Rede überhaupt nicht
erwähnt,
({11})
dass der Urheber von seinem Werk leben können muss.
({12})
Wir können das Prinzip, dass der Urheber von seinem
Werk leben können muss, auch im digitalen Zeitalter
nicht einfach aus den Angeln heben, Frau Künast.
({13})
Ich lade Sie ein,
({14})
mitzuwirken bei einer sinnvollen und guten Umstrukturierung des Urheberrechts im digitalen Zeitalter.
({15})
Ich lade Sie ein, mitzumachen, wenn wir zukünftig die
Wissenschaftsschranke einführen, damit Bildung und
Wissenschaft im Urheberrecht gut abgebildet sind.
({16})
Meine Damen und Herren, mit Ihren Anträgen zeigen
Sie, dass Sie das digitale Zeitalter nicht verstanden haben.
({17})
Aber ich kann den Menschen klar und deutlich sagen,
dass sich die Autoren, dass sich Kreative im digitalen
Zeitalter an der Seite der Union am besten aufgehoben
fühlen werden.
Herzlichen Dank.
({18})
Nächster Redner ist der Kollege Dirk Heidenblut,
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um
eines vorab klarzustellen: Ich bin nicht der Kollege, der
den Buchdruck von Grund auf kennt. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum ich hier nicht zu den digitalen Büchern reden darf, sondern etwas zu den Onlineportalen
sage.
({0})
Das macht letzten Endes ja auch Sinn.
Wer von uns nutzt nicht Onlineportale? Wahrscheinlich auch fast alle hier.
({1})
- Okay, Frau Künast nicht. Das ist dann schon mal geklärt. - Aber die meisten anderen nutzen sie. Wir nutzen
sie natürlich nicht nur zu Informationszwecken, sondern
es werden auch Buchungen oder ähnliche Dinge darüber getätigt. Ja, es macht natürlich Sinn, Verbraucherinnen und Verbraucher an der Stelle zu schützen und dafür
Sorge zu tragen, dass vernünftige Transparenzregelungen
und Richtlinien gelten. Nein, damit wird nicht unterstellt,
dass alle Onlineportalbetreiber Verbrecher sind und das
Ganze ausnutzen, sondern es ist einfach eine Notwendigkeit im Geschäftsleben - und Onlineportale sind Teil
des Geschäftslebens -, für die Verbraucher so etwas wie
Augenhöhe herzustellen.
({2})
Da gehen wir durchaus mit; das ist überhaupt keine Frage.
Ihr Antrag geht uns aber zu weit, weil er ein wenig den
Eindruck vermittelt, dass die Onlineportale im Internet
sich in einem komplett rechtsfreien Raum bewegen. Das
ist natürlich nicht der Fall.
({3})
Wir haben Rechtsregelungen, die natürlich auch da gelten. Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ist
eine solche Regelung. Erst vor kurzem wurde in einem
Urteil sehr deutlich gesagt, welche Offenlegungspflichten bei einem Versicherungsportal bestehen. Das heißt,
es gibt Rechtsregelungen. Einiges von dem, was Sie in
Ihrem Antrag benennen, wird von diesen Rechtsregelungen durchaus erfasst.
Es gibt einen zweiten Punkt, an dem Ihr Antrag in die
falsche Richtung zielt, nämlich in die nationale Richtung.
Vieles von dem, was Sie ansprechen, muss eigentlich
nicht auf unserer Ebene, sondern auf der europäischen
Ebene geregelt werden.
({4})
Auch die EU - das muss man sagen - schläft an der Stelle
nicht.
({5})
Wir wissen, dass sie gerade wieder eine Expertise dazu
einholt; ich glaube, das wird als „Fitnesscheck“ bezeichnet. Es soll geprüft werden - das ist genau die Richtung,
in die Ihr Antrag zielt -, inwieweit der Verbraucherschutz
wirklich greift und ausreichend ist.
({6})
Wir erwarten die Ergebnisse dieser Prüfung im zweiten
Quartal dieses Jahres. Aus unserer Sicht macht es Sinn,
unabhängig von der Frage, wo und auf welcher Ebene
etwas zu regeln ist, diese Ergebnisse abzuwarten, um sie
in vernünftige Entscheidungsprozesse einzubeziehen.
Vor diesem Hintergrund werden auch wir Ihrem Antrag nicht zustimmen.
({7})
Aber wir werden den Verbraucherschutz, auch bezogen
auf Onlineportale, selbstverständlich weiterhin hoch
schätzen und aufrechterhalten.
Danke schön.
({8})
Vielen Dank. - Damit sind wir am Ende der Debatte.
Tagesordnungspunkt 17 a. Interfraktionell wird die
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/11416 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das
ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 17 b. Wir kommen zur Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Ver-
braucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen mit dem Titel „Mehr Transparenz und Klar-
heit bei Buchungs- und Vergleichsportalen schaffen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/11471, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10043 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? - Das ist die
Opposition. Wer enthält sich? - Niemand. Damit ist die
Beschlussempfehlung angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bevorrechtigung des Carsharing
({0})
Drucksache 18/11285
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({1})
Drucksache 18/11770
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur ({2}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Matthias Gastel, Stephan Kühn
({3}), Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Intelligente Mobilität fördern - Rechtssichere Regelung zur Ausweisung von Carsharing-Stationen schaffen
Drucksachen 18/7652, 18/11770
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Hier höre ich
keinen Widerspruch von Ihnen. Dann ist das so beschlossen.
Wenn jetzt alle die Plätze eingenommen haben, eröffne ich die Aussprache. - Das Wort hat Herr Bundesminister Dobrindt für die Bundesregierung.
({4})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir nutzen die
Stärken der Sharing Economy und bringen die intelligente Mobilität in unsere Städte und Regionen. Mit unserem
Gesetz fördern wir den Trend zum Teilen und nutzen die
enormen Potenziale des Carsharing für noch mehr individuelle Mobilität. Was wir derzeit erleben, ist mit Sicherheit die größte Mobilitätsrevolution seit der Erfindung
des Automobils. Dazu gehören die Elektromobilität, das
automatisierte Fahren und die vernetzten Verkehre.
Shared Mobility ist heute ja längst keine Vision mehr,
sondern sie ist spätestens mit dem Siegeszug von Smartphones und Apps voll in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Immer mehr Menschen wollen den Komfort
der individuellen Mobilität durch das Auto, aber ohne
selber eines zu besitzen. Die Potenziale dieser Entwicklung sind enorm. Carsharing bringt mehr Mobilität bei
weniger Emissionen und kann - das zeigen alle Studien den CO2-Ausstoß erheblich reduzieren. Ein Carsharingfahrzeug kann bis zu 20 private Pkws ersetzen und macht
100 Meter Parkplätze am Straßenrand frei.
Es gibt auch eine Reihe von neuen Geschäftsmodellen, die damit verbunden sind. Deutschland geht hier
seit langem voran. Wir sind heute schon Europameister
im Carsharing. Mehr als die Hälfte aller Carsharingnutzer und mehr als die Hälfte der Carsharingautos fahren
in Deutschland. Dabei gibt es immer noch ein enormes
Wachstum. Im Jahre 2011 gab es 50 000 Nutzer von
Carsharingautos in Deutschland. Heute sind es mehr als
1,7 Millionen. Allein im letzten Jahr ist die Zahl der Nutzer noch einmal um 36 Prozent gestiegen, und die Zahl
der am Carsharing teilnehmenden Städte und Gemeinden
ist um weitere 60 gewachsen. Wir wollen, dass diese Dynamik noch weiter ausgebaut wird. Dafür haben wir das
Carsharinggesetz erarbeitet. Dabei geht es um drei zentrale Punkte.
Erstens. Wir definieren erstmals Carsharing und schaffen damit die Grundlage für eine Bevorrechtigung. Dabei
beziehen wir alle mit ein, sowohl die stationsgebundenen
als auch die stationsunabhängigen Carsharinganbieter.
Zweitens. Wir machen Parkbevorrechtigungen möglich. Das heißt, wir schaffen die Grundlage, damit die
Straßenverkehrsbehörden vor Ort Sonderparkplätze für
Carsharingfahrzeuge ausweisen können. Stationsbasierten Carsharinganbietern geben wir die Möglichkeit, spezielle reservierte Abhol- und Rückgabestellen an ausgewählten Standorten in den öffentlichen Verkehrsraum zu
verlagern. Durch das Vernetzen der Carsharingangebote
mit dem öffentlichen Personennahverkehr, mit Rad- und
Fußgängerverkehr und vielem mehr schaffen wir auch
lokale Mobilitätshubs.
Drittens. Wir ermöglichen eine Parkgebührenbefreiung. Wir schaffen die Möglichkeit, dass die Länder auf
Parkgebühren verzichten.
Mit diesen Maßnahmen tragen wir dazu bei, dass der
Flächenbedarf für Parkplätze deutlich geringer wird und
die Parkplatzsuchverkehre in unseren Städten massiv zurückgehen.
({0})
Aktuell sind bis zu 40 Prozent der Verkehre in den
Städten reine Parkplatzsuchverkehre. Das kostet nicht
nur Zeit für diejenigen, die da fahren, sondern das schadet auch der Umwelt und belastet unsere Städte. Wir
können das mit Carsharingangeboten deutlich reduzieren. Das verstehen wir unter intelligenter Mobilität. So
erreicht man mehr Mobilität bei weniger Emissionen.
Meine Damen und Herren, liebe Kollegen, wir arbeiten in allen Bereichen intensiv an der Mobilität 4.0. Wir
haben Anfang dieses Monats unser Programm für eine
flächendeckende Elektroladeinfrastruktur gestartet.
({1})
15 000 Ladesäulen bauen wir in Deutschland mit
300 Millionen Euro auf.
Gestern haben wir in meinem Haus, im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, den ersten
Regierungs-Start-up-Pitch veranstaltet, eine Veranstaltung mit 32 Start-up-Teams mit jungen Gründern. Wir
haben uns die Innovationen im digitalen Bereich mit
Blick auf Mobilität präsentieren lassen. Wir haben uns
zeigen lassen, was die Branche in Deutschland kann.
Gerade heute haben wir als erstes Land der Welt den
Weg frei gemacht für das automatisierte Fahren. Wir haben ein Gesetz beschlossen, in dem wir die rechtliche
Gleichstellung von Mensch und Computer im Auto geschaffen haben.
Jetzt beschließen wir das Carsharinggesetz. Ich bin
überzeugt, dass wir mit diesem Maßnahmenpaket in
Deutschland Innovationsführer bei der Mobilität bleiben - und damit auch an der Spitze von Wachstum,
Wohlstand und Arbeit.
Danke schön.
({2})
Vielen Dank. - Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt
der Kollege Herbert Behrens.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sich heute, 30 Jahre nachdem die ersten Carsharingangebote realisiert worden sind - damals noch auf Vereinsbasis -, an die Spitze der Bewegung zu setzen und,
nachdem im Jahr 2005 zum ersten Mal im Bundestag
Carsharing auf der Tagesordnung stand, im März 2017
einen Gesetzentwurf auf den Tisch zu legen - das ist mit
der Rede vom Innovationsführer nicht ganz zusammenzubringen. Aber immerhin: Das gibt es heute.
Wenn in jedem Jahr, in dem dieses Thema auf der Tagesordnung stand, eine Verbesserung stattgefunden hätte,
hätten wir hier heute einen super Gesetzentwurf vor uns
liegen, der möglicherweise sogar hätte einstimmig beschlossen werden können. Aber dieses Gesetz ist, nachdem es 2005 zum ersten Mal hier besprochen worden ist,
nicht besser geworden, sondern es hat eigentlich in jedem
Jahr an Substanz verloren. Ich glaube, das ist keine gute
Voraussetzung, um ein zukunftsweisendes Gesetz zu machen.
({0})
Es wäre vor längerer Zeit schon möglich gewesen,
etwas zu unternehmen. Aber vielleicht haben wir eine
Chance verpasst: Wir hätten lieber das Ende der Großen
Koalition abwarten sollen, um vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt ein richtig gutes Gesetz auf den Weg zu
bringen.
({1})
Aber nun gut: Heute, im März 2017, liegt es vor, und wir
haben uns damit zu befassen.
Wir haben damit zu tun, dass wir einen kleinen Einstieg in das Carsharing bzw. in die Unterstützung von
Carsharing angeboten bekommen. Die Bundesebene
will möglich machen, dass das, was findige Kommunen
schon seit Jahrzehnten machen, auch andere Kommunen
machen dürfen, nämlich Sonderflächen schaffen, damit
Fahrer von Carsharingautos bevorzugt ihren Parkplatz
finden können und nicht lange herumsuchen müssen.
Das hat dazu geführt, dass in den Kommunen, in Bremen beispielsweise, schon seit langem Sonderflächen zur
Verfügung gestellt worden sind und jeder Carsharingnutzer weiß: Dort findet er einen guten Parkplatz, möglicherweise sehr nahe an seiner Wohnung.
Denn das ist das Ziel: Carsharing soll als eigenständiger Teil der städtischen Verkehrspolitik das ersetzen, was
uns häufig nervt, nämlich die vielen, vielen Autos, die im
Schnitt nur 36 Minuten pro Tag genutzt werden und nicht
dazu beitragen, dass man individuell mobiler ist. Vielmehr sind es häufig Fahrzeuge, die Wohnquartiere zustellen und Flächen in Beschlag nehmen, weil sie Parkraum
benötigen. Wir wollen durch bessere Carsharingangebote
dafür sorgen, dass der Flächenverbrauch in den Städten
geringer wird, sodass wir in der Lage sind, Wohnquartiere möglichst autofrei zu halten, damit die Belastungen
dort sinken. Darum sind Carsharingangebote sehr wichtig und ein wichtiger Bestandteil der Verkehrswende.
({2})
- Ja, es wäre schön, wenn wir mitstimmen könnten. Aber
man ist an einer Minimallösung kleben geblieben, die
wir so nicht wollen. Es hat den Vorschlag des Bundesumweltministeriums gegeben, diese Regelung auf eine anBundesminister Alexander Dobrindt
dere gesetzliche Basis zu stellen. Dann wäre es nämlich
möglich gewesen, von der Bundesebene aus sehr weit in
die Kommunen hineinzuwirken und entsprechende Vorschläge zu machen, um wirklich einheitliche Angebote
zu schaffen.
({3})
Bei der E-Mobilität - das haben wir gesehen - war der
Verkehrsminister etwas mutiger; das hat wahrscheinlich
damit zu tun, dass Automobilkonzerne dahintersteckten
bzw. -stecken.
({4})
Da war es möglich, zu sagen: E-Automobile dürfen auch
die Busspuren benutzen. - So etwas hätte ich mir auch
für das Carsharing gewünscht.
({5})
Das wäre ein wirklich richtungweisendes Angebot gewesen, mit dem wir der Verkehrswende, die wir in den
Städten brauchen, ein Stück näher hätten kommen können. Aber da bleibt die Große Koalition einfach kleben.
Wir werden uns daher der Stimme enthalten, wenn es zur
Abstimmung über diesen Gesetzentwurf kommt.
({6})
Vielen Dank. - Für die Bundesregierung erhält jetzt
die Parlamentarische Staatssekretärin Rita SchwarzelührSutter das Wort.
({0})
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! 2005 war der Megatrend „Teilen statt besitzen“ vielleicht noch nicht da, Herr Behrens.
({1})
Deswegen ist dies das richtige Gesetz zum richtigen Zeitpunkt; denn es schafft tatsächlich Rechtssicherheit.
({2})
Sie haben schon recht: Jetzt ist dieser Megatrend da,
und er geht einher mit dem Megatrend der Verstädterung. Dieses Potenzial heben wir jetzt, auch im Rahmen
anderer Gesetze wie des Elektromobilitätsgesetzes. Außerdem fördert unser Haus auch Hybrid- bzw. künftig
Elektrobusse.
({3})
- Ja, wir wissen, dass wir gut sind.
({4})
Die Hälfte der Autofahrten, die in Ballungszentren unternommen werden, sind weniger als 5 Kilometer lang.
Man kann es auch so sagen: 23 Stunden am Tag steht
das Auto in der Regel. Das macht die Städte natürlich
nicht attraktiver, weil der städtische Raum bisher darauf
ausgerichtet ist, dass Autos dort ihren Platz finden. Unser
Ziel ist deshalb, eine flexiblere, attraktivere und zweckmäßigere Mobilität zu ermöglichen. Das schätzen auch
die Nutzerinnen und Nutzer; circa 1,7 Millionen Kunden
gibt es bereits. Letztes Jahr war das Kundenwachstum
enorm; es betrug etwa im Bereich des stationsbasierten
Carsharing 51 Prozent. Das bestätigt, dass dieser Megatrend weiter voranschreitet. Ich freue mich deshalb sehr,
dass wir diese Entwicklung mit dem Carsharinggesetz
unterstützen können.
Im Kern geht es jetzt darum, dass man die Geschäftsmodelle auf sichere Füße stellt und neue Geschäftsmodelle ermöglicht, zum Beispiel durch die Reduzierung
der Kosten, die Erhöhung der Verfügbarkeit der Fahrzeuge und nicht zuletzt auch durch die höhere Sichtbarkeit
der Fahrzeuge im öffentlichen Raum. Mit diesem Gesetz
erhalten die zuständigen Behörden vor Ort die Möglichkeit, für Carsharingfahrzeuge und -unternehmen Bevorrechtigungen im öffentlichen Straßenraum anzuordnen.
Geplant sind folgende Privilegien - wir haben es schon
gehört -: die Einrichtung von Sonderparkflächen für
Carsharingfahrzeuge und die Möglichkeit der Reduzierung der Parkgebühren; das müsste auch Ihnen entgegenkommen.
Noch etwas weiter gehen wir im Hinblick auf das stationsbasierte Carsharing, dem insgesamt die größeren
Umweltentlastungspotenziale zukommen. Während sich
die Free-Floating-Systeme nur auf wenige große Städte
beschränken, decken stationsbasierte Carsharingangebote mittlerweile einen großen Teil Deutschlands ab. Sogar
im ländlichen Raum sind Carsharingangebote durchaus
gang und gäbe. Sie tragen zu einer nachhaltigen Mobilität bei, da viele Menschen zum Beispiel für die Strecke
zwischen dem Bahnhof und ihrem Ziel ein Carsharingauto nutzen.
Anbieter des stationsbasierten Carsharing sind bislang
darauf angewiesen, teures Privatgelände anzumieten,
um Abholung und Rückgabe der Autos zu organisieren.
Meistens geschieht dies auf wenig attraktiven Plätzen,
entweder auf Hinterhöfen oder in Parkhäusern. Entsprechend gering ist auch die Sichtbarkeit der Angebote.
Deswegen ist es gut, dass wir das jetzt verbessern.
Ich muss aber auch dazusagen, dass wir diese Art der
Privilegierung nach langer Diskussion nur für den Bereich der Bundesstraßen regeln konnten; denn nur für sie
sind wir vom Bund zuständig. Es gibt also durchaus auch
Potenzial bei den Ländern, sich hier mit einzubringen
und ihre Landes- und Gemeindestraßen anzubieten, und
ich glaube, das ist in unser aller Interesse.
({5})
Frau Kollegin.
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Ich komme gleich zum Ende. - Wichtig ist uns allerdings auch, dass das Carsharinggesetz alle Carsharingmodelle - das stationsbasierte und das stationsunabhängige, das Free Floating - gleichermaßen berücksichtigt.
Es geht hier auch darum, dass Wettbewerbsverzerrungen
verhindert werden.
Ich glaube, insgesamt kann man sagen, dass es ein
gutes Gesetz ist. Carsharing schont die Umwelt, die Nutzer sparen, und eine lange Parkplatzsuche kann man sich
auch schenken.
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Matthias Gastel.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Teilen ist in. Wer durch mittelgroße
Städte und erst recht durch große Städte läuft, der kann
das leicht erkennen. Gerade in Berlin ist das unübersehbar. An jeder Ecke stolpert man über ein Leihfahrrad,
an jeder zweiten Ecke findet man einen zur Verleihung
zur Verfügung gestellten E-Roller, und wenn man guckt,
welche Autos herumfahren, dann sieht man immer häufiger solche mit Aufschriften von car2go, DriveNow oder
anderen Anbietern.
Das passt in eine Gesellschaft, die mobil sein will und
mobil sein muss und in der die Menschen für ihre Mobilität immer häufiger verschiedene Verkehrsmittel individuell kombinieren und für ihre Reisekette einsetzen. Je
nach Ziel und Zweck der Reise nutzen sie verschiedene
Verkehrsmittel, und unterschiedliche Angebote konkurrieren um einen knappen Verkehrsraum.
Das Auto beansprucht mit Abstand am meisten Fläche. Das durchschnittliche Auto steht aber 23 Stunden
am Tag. Der Radverkehr fordert mehr Fläche für sich ein
und will nicht mehr im Dauerkonflikt mit dem Fußgänger- und dem Kraftfahrzeugverkehr stehen. Und dann
geht es auch noch um die Lebensqualität der Menschen.
Sie fordern mehr Grün in ihren Städten und mehr Aufenthalts- und Ruheflächen. Auch Flächen für Außengastronomie werden sehr stark nachgefragt.
Genau hier liegt der größte Vorteil des Carsharing.
Ein Carsharingauto ersetzt im Durchschnitt sieben Privatfahrzeuge, und damit macht es Flächen frei für andere
Nutzungen.
({0})
Es ist gut, dass der Bund jetzt endlich einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, auf den wir sehr lange, nämlich über
zehn Jahre, gewartet haben. Es geht um die Privilegierung des Carsharing und damit auch um die Würdigung
des Carsharing als eines Beitrags zur Lebensqualität und
für eine bessere Umwelt - zugunsten der Menschen.
Dieses Gesetz hat aber erhebliche Schwächen; denn es
ist weder ambitioniert noch unbürokratisch:
({1})
Erstes Beispiel. Die Verringerung des Flächenverbrauchs durch den Kfz-Verkehr wird in diesem Gesetzentwurf schlicht und ergreifend ignoriert.
Zweites Beispiel. Dieser Gesetzentwurf gilt ausschließlich für die Flächen an Bundesstraßen. - Herr
Minister Dobrindt, ich muss hier schon sagen: Dass
ausgerechnet Sie, der keinerlei Skrupel hat, sich bei der
Ausländermaut über sämtliche rechtliche Warnungen
hinwegzusetzen, rechtliche Bedenken haben, auch andere Straßen durch diesen Gesetzentwurf zu erfassen,
({2})
und das Gesetz an dieser Stelle ausbremsen, muss doch
sehr stark verwundern. Es ist geradezu ein Witz, dass diese Bedenken ausgerechnet von Ihnen kommen.
({3})
Drittes Beispiel. Hinsichtlich der konkreten Umsetzung ist noch vieles unklar. Die Rechtsverordnung fehlt
nämlich noch.
Wir haben einen Antrag zum Thema Carsharing gestellt, mit dem wir deutlich mutiger und entschlossener
gewesen sind, um dieses wichtige Thema voranzubringen; denn das Potenzial für Carsharing ist riesig. Eine
neue Studie von Allensbach sagt: Das Potenzial ist etwa
zehnmal höher als der Kreis derer, die Carsharing bisher
bereits nutzen. Wir bedauern, dass die Entschlossenheit
der Bundesregierung, ein Gesetz zum Carsharing vorzulegen, nicht damit einhergeht, ein wirklich gutes und
konsequentes Gesetz vorzulegen.
({4})
Ein so halbherziges Gesetz kann nicht unsere volle Zustimmung erhalten.
({5})
- Die halbe!
Vielen Dank. Wir sehen dann bei der Abstimmung,
was das heißt. - Jetzt hat der Kollege Steffen Bilger für
die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach unserer Debatte heute Nachmittag zum automatisierten Fahren wurde in meiner Fraktion schon Kritik
laut, in dieser Debatte sei zu wenig Stimmung aufgekommen. Jetzt habe ich mir gedacht: Ich weiß gar nicht, wie
ich das in der Diskussion über das Carsharing hinbekommen soll.
({0})
- Genau. Herr Krischer ist weiterhin bereit, viele Zwischenrufe zu machen. - Aber bei anderen Themen, wenn
es nicht um das Carsharing geht, scheint das noch möglich zu sein.
An und für sich herrscht bei dem Thema Carsharing
große Harmonie und Übereinstimmung, wenn die Linken
fast und die Grünen halb zustimmen können. Sie haben
noch ein bisschen Zeit, sich zu überlegen, ob daraus noch
eine richtige Zustimmung wird, wenn wir nachher darüber abstimmen.
({1})
Aber, meine Damen und Herren, wie auch immer: Es ist
gut, dass wir nun endlich ein Gesetz verabschieden können, auf das wir alle so lange gewartet haben. Wir wollen
damit Carsharing in Deutschland dauerhaft fördern und
neue Potenziale erschließen.
({2})
Wie ich bereits in meiner Rede vor drei Wochen zu
diesem Thema deutlich gemacht habe, hat das Carsharing
in den letzten Jahren ein beeindruckendes Wachstum verzeichnet, sowohl bei den stationären Anbietern als auch
bei den stationsunabhängigen Anbietern, dem sogenannten Free Floating. Die Angebote, vor allem von unseren
deutschen Firmen, in Großstädten werden wirklich gut
genutzt und sind äußerst erfolgreich. Die Nutzerzahlen
steigen kontinuierlich.
Dieser Trend nimmt in jüngster Zeit noch einmal
Fahrt auf. Dieses Gesetz soll dieser Entwicklung einen
weiteren Schub geben, damit die Dynamik anhält. Deswegen soll möglichen Hemmnissen, die die Attraktivität
des Carsharing in Zukunft gefährden könnten, mit diesem Gesetz frühzeitig begegnet werden.
Wir haben schon in der letzten Debatte viel über die
Vorteile gesprochen, die sich durch Carsharing eröffnen.
Zwischendurch haben wir im Verkehrsausschuss eine
Anhörung mit Sachverständigen durchgeführt, in der
es viele positive Rückmeldungen zu unserem Vorhaben
gab. Es wurde noch einmal deutlich, dass das Carsharing sowohl aus Verkehrs-, Umwelt- als auch stadtplanerischer Sicht große Potenziale in den großen Städten
bietet, in denen wir Probleme mit der Luftqualität und
mit einem Mangel an Flächen haben. Diese Ziele in den
Großstädten haben wir mit dem Carsharinggesetz ebenso
im Blick wie den ländlichen Raum.
Als Berichterstatter meiner Fraktion für alternative
Antriebe möchte ich betonen, dass gerade das Carsharing
große Chancen eröffnet und schon heute kräftig dazu beiträgt, verstärkt Elektroautos auf die Straßen zu bringen.
Dadurch wird die Akzeptanz für die Elektromobilität
weiter erhöht und werden Berührungsängste abgebaut.
({3})
Immerhin 10 Prozent der Carsharingfahrzeuge sind bereits Elektroautos.
Vor dem Hintergrund dieser vielen positiven Aspekte
ist es sehr erfreulich, dass hier im Hause unterm Strich
große Einigkeit besteht, das Carsharing weiter zu fördern
und auszubauen. Auch über die Frage, wie diese Förderung gestaltet werden könnte, gibt es - das ist alles andere als selbstverständlich - im Großen und Ganzen über
die Fraktionsgrenzen hinweg und unter den Sachverständigen einen erfreulichen Konsens.
Wir benötigen Privilegien und Bevorrechtigungen für
Carsharingfahrzeuge, vorrangig für das Abstellen und
Parken im öffentlichen Straßenraum. Gerade in den innerstädtischen Gebieten ist das ein entscheidender Erfolgsfaktor für das Carsharing.
In der rechtlichen Umsetzung - das sage ich auch für
die noch aus der vorherigen Debatte anwesenden Rechtspolitiker - gab es bei diesem Gesetz doch einige Kontroversen. Hier ging es vorrangig um die rechtliche Verankerung der vorgesehenen Privilegien. Eine Regelung zur
Bevorrechtigung im Straßenverkehrsrecht wäre aufgrund
der Privilegienfeindlichkeit dieses Rechtsgebiets äußerst
problematisch gewesen. Daher war es richtig, dieses
wichtige Vorhaben rechtlich sauber als eigenständiges
Gesetz auf den Weg zu bringen. Diese Sichtweise wurde
auch in der Anhörung von Sachverständigen ausdrücklich bestätigt.
({4})
Das Gesetz sieht nun im Kern vor, Ländern und Kommunen die Möglichkeit einzuräumen, Sonderstellflächen
einzurichten und Carsharingfahrzeuge von den Parkgebühren zu befreien. Dazu enthält das Gesetz die notwendigen Definitionen und Ermächtigungsgrundlagen für die
Bevorrechtigung und die Kennzeichnung der Fahrzeuge.
Ein Dank gilt unserem Koalitionspartner, vor allem Arno Klare als Berichterstatterkollege, auch Sören
Bartol, mit dem man nicht nur die Maut voranbringen
kann, sondern auch andere sinnvolle Projekte.
({5})
Die Zusammenarbeit im parlamentarischen Verfahren
war ja wirklich konstruktiv. Wir konnten uns mit dem
Koalitionspartner auch noch auf einige kleinere Änderungen einigen. So haben wir uns beispielsweise in der
letzten Woche darauf verständigt, die Befristung des
Zeitraums, in dem die Flächen zur Verfügung gestellt
werden, von längstens fünf auf längstens acht Jahre
hochzusetzen. So sinkt der Verfahrensaufwand für die
betroffenen Behörden, und den Anbietern kann die notwendige Planungssicherheit eingeräumt werden.
Mit dem Gesetzentwurf, dem wir heute zustimmen
werden, meine Damen und Herren, haben wir auf Bundesebene unsere Hausaufgaben erledigt. Jetzt sind Länder und Kommunen gefordert, die Möglichkeiten dieses
Gesetzes auch zu nutzen und die Potenziale auszuschöpfen. Ich bitte um Ihre Zustimmung.
({6})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion hat jetzt der
Kollege Arno Klare die Möglichkeit, die Debatte abzuschließen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist
schon ein sehr guter Tag für die Mobilität in Deutschland. Die Gäste, die da oben sitzen, haben natürlich nicht
alles mitbekommen. Wir haben heute aber schon ein
Schienenlärmschutzgesetz - übrigens einstimmig, wohlgemerkt - verabschiedet. Des Weiteren haben wir das
Straßenverkehrsgesetz geändert und an das angepasst,
was auf uns zukommt, nämlich automatisiertes Fahren.
Es ging nicht um autonome Fahrzeuge, sondern um automatisiertes Fahren. Das wurde leider nicht einstimmig
verabschiedet.
Ich habe jetzt noch genau 3:31 Minuten Zeit, um
eventuell noch einmal Einstimmigkeit für etwas ganz
Vernünftiges hinzubekommen, dem eigentlich alle zugestimmt haben.
({0})
In der Anhörung haben alle, die dort saßen - auch der
Bundesverband CarSharing, auch der VCD, der Verkehrsclub Deutschland -, zwar Kritisches angemerkt, am Ende
aber gesagt: Das ist ein vernünftiges Gesetz. Dem muss
man jetzt zustimmen.
({1})
Dieser Verband ist ja, wie wir alle wissen, eher grün.
Trotzdem duze ich den Gerd Lottsiepen, der dort geredet
hat. Ich hoffe aber, dass da nur noch ein wenig Überzeugungsarbeit vonnöten sein wird. Der Deutsche Städtetag
hat zugestimmt. Alle kommunalen Spitzenverbände stehen dahinter. Alle sagen: Da gibt es jetzt endlich - zugegeben, nach langer Zeit - den Durchbruch. Das ist aber
etwas Vernünftiges. Dem kann man doch, bitte schön,
zustimmen.
({2})
Es geht um den vernünftigen Zusammenhang zwischen öffentlichem Verkehr und Carsharing. Dabei geht
es sozusagen um eine Symbiose. Damit wird eine Ergänzung vorgenommen. Carsharing ist - das ist jetzt ein
großes Wort - auch ein Element nachhaltiger Suffizienzstrategie.
({3})
Das ist jetzt etwas für die Gelehrten. Das heißt, es geht
darum, Individualverkehre zu vermeiden, ohne - gut
zuhören! - den Zuwachs von Mobilitätsoptionen zu beschneiden. Genau darum geht es.
Carsharing schließt die Lücke, die es beim öffentlichen Verkehr immer gibt, nämlich die Tür-zu-Tür-Verbindung. Das ist aber - Herr Gastel hat gerade darauf
hingewiesen - sehr wichtig. Es muss eine Integration in
den öffentlichen Verkehr geben. Genau das leistet auch
dieses Gesetz. Es macht dies jetzt rechtlich möglich.
({4})
Insofern kann ich mir nicht genau erklären, warum man
da nicht zustimmen kann.
„Es gibt keine Energiewende ohne Verkehrswende“:
Das ist doch eine Überschrift, die wir immer wiederholen.
Herr Rimkus wird ja nicht müde, genau das zu wiederholen. Er hat auch völlig recht, wenn er das sagt. Carsharing
ist ein Teil davon. Gerade ist darauf hingewiesen worden, dass 10 Prozent der Fahrzeuge, die in Carsharingflotten laufen, E-Fahrzeuge - elektrisch betrieben - sind.
Wenn man den jetzigen Anteil der Elektrofahrzeuge am
Gesamtverkehr sieht, der im Nullkomma-Bereich liegt,
erkennt man, dass es um einen Riesenanteil - und damit
auch um eine Riesenchance - geht.
Ich hoffe, dass dieser Tag heute ein sehr guter Tag für
die Mobilität wird. Das wird so sein, wenn dieses Haus
diesem Carsharinggesetz jetzt komplett zustimmen wird.
({5})
Im Grunde warten jetzt alle darauf, dass es heute eine
große Zustimmung geben wird. Denn im Grunde ist es darauf hat Gerd Lottsiepen vom VCD sehr richtig hingewiesen - relativ egal, ob das im Rahmen des Straßenverkehrsrechts oder des Wegerechts gelöst wird. Letzteres
passiert jetzt. Vielmehr geht es darum, dass es, rechtlich
gesehen, für die Kommunen möglich wird. Und genau
das schaffen wir mit diesem Gesetz.
({6})
Auch ich hätte mir eine andere Lösung auf der straßenverkehrsrechtlichen Ebene gewünscht. Verfassungsrechtler haben mir aber gesagt, dass der Bund dafür gar
nicht zuständig ist.
({7})
- Nein, das haben mir Verfassungsrechtler aus dem
BMJV - sozusagen die Gralshüter unserer Verfassung,
unserer Gesetze - gesagt. Deshalb muss ich irgendwann
einmal damit anfangen, das ernst zu nehmen. Und weil
ich das ernst nehme, bitte ich Sie jetzt um die Zustimmung. Das wäre ein wunderbarer Abschluss für den gesamten Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages.
({8})
Vielen Dank. Das war jetzt ein sehr engagierter Abschluss der Debatte.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Bevorrechtigung des Carsharing. Der Ausschuss für Verkehr
und digitale Infrastruktur empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11770,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11285 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der
Opposition angenommen.
Jetzt warten alle auf die zweite Hälfte der Abstimmung.
({0})
Deshalb gebe ich die Gelegenheit zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis ange-
nommen.
Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infra-
struktur auf Drucksache 18/11770 fort. Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung
die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/7652 mit dem Titel „Intelli-
gente Mobilität fördern - Rechtssichere Regelung zur
Ausweisung von Carsharing-Stationen schaffen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank
Tempel, Sabine Zimmermann ({1}),
Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Entkriminalisierung von Drogenkonsumie-
renden
Drucksache 18/11610
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Frank
Tempel, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktionen DIE LINKE
sowie der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Maria
Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Beabsichtigte und unbeabsichtigte Auswirkungen des Betäubungsmittelrechts überprüfen
Drucksachen 18/1613, 18/10445
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Fraktion Die Linke Frank Tempel.
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Die Grundlagen des Drogenstrafrechts kenne ich vorrangig aus der polizeilichen Praxis. Ich war
unter anderem drei Jahre stellvertretender Leiter einer
mobilen Rauschgiftbekämpfungsgruppe.
Offizieller Zweck des Drogenstrafrechts ist es, Angebot und Nachfrage zahlreicher Drogen zumindest deutlich zu reduzieren. Der Weg ist gegenwärtig, Menschen
nicht nur wegen des Handels, sondern auch wegen Besitzes und Erwerbs dieser Substanzen mit einer Strafandrohung zu konfrontieren. Das Ergebnis ist: Angebot und
Nachfrage werden ganz offensichtlich nicht reduziert. Im
Gegenteil: Wir haben einen ausufernden Schwarzmarkt
mit Betäubungsmitteln als Hauptfinanzierungsquelle der
organisierten Kriminalität.
Substanzen werden unter den Rahmenbedingungen
des Schwarzmarktes oft noch gefährlicher, sind vielfach
verunreinigt und gestreckt und damit noch unberechenbarer. Gerade jungen Menschen ist dieser Schwarzmarkt
sehr leicht zugänglich. Drogen sind ganz einfach zu geArno Klare
fährlich, um sie Kriminellen auf einem Schwarzmarkt zu
überlassen.
({0})
Es erweist sich: Umso gefährlicher die Droge an sich
bereits ist, umso gefährlicher sind die Nebenwirkungen
des Verbots. Trotzdem setzen Sie die Strafverfolgung
bereits sehr früh, nämlich beim Konsumenten direkt an.
Das heißt, wer einen Joint raucht, besitzt ihn auch und
macht sich damit strafbar. Er schädigt möglicherweise
auch sich selbst, lebt ungesund, aber er schadet definitiv
keiner anderen Person.
Heute entscheiden wir über eine wissenschaftliche
Evaluierung, also eine Überprüfung genau dieses Drogenstrafrechts. Parallel kann aber auch die Praxis ein
Weg der Überprüfung sein. In Berlin, Bremen, Münster,
Düsseldorf, Frankfurt am Main und Köln wird darüber
diskutiert, Cannabis in Modellprojekten legal anzubieten
und somit dem Schwarzmarkt zu entziehen. Im Wesentlichen von den Unionsparteien bekommen wir hierfür
häufig den Vorwurf einer falschen Signalwirkung. Macht
aber zum Beispiel Bremen ein solches Modellprojekt und
ermöglicht kontrolliert den legalen Erwerb von Cannabis,
kann sehr genau evaluiert werden, welche Signalwirkung
tatsächlich entsteht: Wie wird sich das Konsumverhalten
in der Bevölkerung dann entwickeln? Steigen oder sinken die Risiken für Jugendliche? Gelingt es, den konsumierten Wirkstoffgehalt THC zu reduzieren? Verbessern
sich die Möglichkeiten, durch begleitende Prävention
und Beratung den riskanten Konsum zu reduzieren?
Sind diese Modellprojekte erfolgreich, erweist sich die
jahrelange Prohibition von Cannabis als völlig absurd,
({1})
erweist sich ein wesentlicher Bestandteil der heutigen
Drogenpolitik als absurd. Solche Modellprojekte funktionieren aber nur, wenn dem Konsumenten nach Verlassen der Abgabestelle keine Strafanzeige droht und wenn
die Polizei zum Beispiel die gekauften 5 Gramm Cannabis nicht beschlagnahmt. Im Gesetz steht aber bislang:
Besitz und Erwerb sind strafbar. - Die Lösung wäre eine
gesetzliche Entkriminalisierung des Besitzes geringer
Mengen.
({2})
Selbst das Bundesverfassungsgericht hat 1994 in einer Entscheidung zumindest die Strafbarkeit geringer
Mengen infrage gestellt. Nach der jetzigen Rechtslage
werden bei diesen Mengen von der Polizei mit hohem
Aufwand Anzeigen gefertigt, die die Justiz dann mit
ebenfalls nicht geringem Aufwand oft wieder einstellt.
Die Linke schlägt deswegen vor, unterhalb einer festgelegten Menge keine Strafanzeigen mehr zu stellen und
damit den Weg für die genannten Modellprojekte in den
Ländern zu eröffnen.
({3})
Nach unserem Vorschlag gälte das - im Gegensatz zu den
geltenden Regelungen - im gesamten Bundesgebiet. Das
heißt, wer einen Joint kauft, bekommt keine Strafanzeige
mehr. Der Joint wird nicht beschlagnahmt, und man wird
von der Polizei auch nicht mehr in der Falldatei Rauschgift registriert. Wenn man nicht unter Rauscheinfluss ein
Fahrzeug geführt hat, bleibt auch der Führerschein unangetastet. Portugal wird übrigens genau für diesen erfolgreichen Weg international gelobt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch Strafanzeigen,
die wieder eingestellt werden, wirken kriminalisierend.
Diese Kriminalisierung ist falsch und muss aufhören.
Egal wie lange sich die Union - sie ist hauptsächlich der
Gegner - diesen Veränderungen noch entgegenstemmt,
zumindest die Linke wird diesen Kampf fortsetzen und
gewinnen.
({4})
Vielen Dank. - Als Nächste hat Emmi Zeulner, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Fangen wir doch einmal mit etwas Positivem
an. Die Forderung der Linken nach einer einheitlichen
Regelung für die Bundesländer zur Eigenbedarfsmenge
bei Cannabis ist nicht verkehrt und sollte diskutiert werden.
({0})
Abstrus finde ich allerdings, wie hoch der legale Eigenbedarf Ihrer Meinung nach sein soll. Man könnte meinen,
Sie nehmen den bundesweit niedrigsten Wert als Maßstab. Aber nein, Sie wollen mit 15 Gramm Cannabis den
bundesweit höchsten Wert nehmen. Faktisch wollen Sie
somit wieder einmal eine völkerrechtswidrige Legalisierung nicht nur beim Eigengebrauch; denn diese Menge
reicht für 30 Joints und sichert einem Kleindealer somit
wunderbar sein Geschäft. Was Sie wollen, ist die bundesweite Möglichkeit zum Dealen mit staatlichem Segen.
Eine solche Zusage bekommen Sie von mir natürlich
nicht.
({1})
Herr Tempel, Sie wollen einen Görlitzer Park in ganz
Deutschland,
({2})
ein Park, bei dem die rot-rot-grüne Regierung Berlins bereits kapituliert hat. Im „Görli“ sollen dem Konsum und
dem Handel freien Lauf gelassen und zusätzlich soll die
Polizeipräsenz verringert werden. Meiner Ansicht nach
ist das eine weitere Fehlentscheidung der rot-rot-grünen
Regierung in Richtung rechtsfreien Raum.
Frau Kollegin Zeulner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tempel?
Ja.
Bitte schön.
Normalerweise wollte ich um diese Uhrzeit keine
Zwischenfrage mehr stellen.
({0})
Aber Sie haben mehrfach ganz klar die Unwahrheit
gesagt. Ist Ihnen bekannt - darüber wird seit mehreren
Jahren eine Diskussion geführt -, dass wir nicht eine
komplette Freigabe wollen, also dass wir nicht wollen,
dass der Dealer nun das, was er zuvor illegal verkauft
hat, legal verkaufen kann, sondern dass wir eine streng
kontrollierte, legale und regulierte Abgabe von Cannabis fordern - genauso wie bei anderen Substanzen -,
dass wir nicht wollen, dass die Dealer offiziell und mit
staatlichem Segen handeln dürfen, sondern dass wir eine
staatliche Kontrolle der Einhaltung der Regelungen zum
Jugendschutz und zum Verbraucherschutz fordern und
bestimmte Projekte fördern wollen?
Nicht umsonst habe ich übrigens von mehreren Parteien befürwortete Modellprojekte angesprochen. Den
Verantwortlichen mehrerer Städte - Bremen, Münster,
Frankfurt am Main, Berlin usw. - müssten sie genau das
Gleiche wie mir jetzt hier unterstellen: dass sie das Tun
der Dealer legalisieren wollen. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass es bereits eine ganze Reihe von anderen Vorschlägen gibt, wie man sehr vorsichtig kontrolliert, dass
man genau diesem Schwarzmarkt etwas entgegensetzen
und ihn eben nicht legalisieren will?
({1})
Zur Kenntnis nehme ich das selbstverständlich. Ich
würde Ihnen aber empfehlen, Ihr Parteiprogramm zu lesen; denn da fordern Sie etwas ganz anderes.
({0})
- Ja, über die Anträge. Aber Fakt ist doch, was dahintersteht.
({1})
Bitte, lesen Sie das Parteiprogramm der Linken.
Herr Tempel, keine Zwiegespräche.
Am Ende des Tages stellt sich die Frage: Wie wollen Sie kontrollieren, wenn Sie 15 Gramm Cannabis zur
Verfügung stellen, ob da etwas weitergegeben wird oder
nicht? Das können Sie gar nicht kontrollieren. Deswegen
bleibt meine Aussage so bestehen.
({0})
Aber die Kapitulation auf das, was im Görlitzer Park
passiert, kann natürlich nicht die richtige Antwort, kann
kein Ausdruck einer verantwortungsvollen Drogenpolitik sein.
Wir als Politiker - ich bin Gesundheitspolitikerin; Sie
sind Polizist von Beruf, ich bin gelernte Krankenschwester - haben einen Schutzauftrag, den man nicht einfach
wegwischen kann.
({1})
Mir ist es wichtig, zu sagen, dass wir in Deutschland ein
in höchstem Maß differenziertes Strafverfolgungssystem
bei Cannabisdelikten haben. Wir verfolgen eben nicht
pauschal, wie Sie es immer wieder hervorbringen; denn
es wird in jedem Abschnitt des Verfahrens - in jedem
Abschnitt! - eine Einzelfallentscheidung getroffen, und
die Möglichkeit zur Einstellung ist gegeben. Bereits die
Staatsanwaltschaft kann das Ermittlungsverfahren nach
dem Betäubungsmittelgesetz einstellen. Hier spielen die
Schwere der Tat, die individuelle Schuld und gerade auch
der Eigenbedarf eine Rolle.
Auch im Hauptverfahren ist eine Einstellung nach
der Strafprozessordnung und dem Jugendgerichtsgesetz
noch möglich. Selbst bei der Vollstreckung - das wissen
Sie ganz genau - ist eine Zurückstellung der Strafe nach
dem Betäubungsmittelgesetz möglich, wenn sich der Betroffene beispielsweise einer Therapie unterzieht. Gerade
bei Umsetzung Ihrer Forderung, dass die Strafverfolgung
eingestellt werden muss - Sie haben ein „muss“ in Ihrem
Antrag -, verhindern Sie die so wichtige Einzelfallbetrachtung, die unser Strafsystem so wertvoll macht.
Deswegen sind wir auch in dieser Legislatur deutlich
differenzierte Wege gegangen. Auf der einen Seite wollen wir Cannabis als Medizin. Wir haben die rechtliche
Grundlage dafür geschaffen. Das war uns zum Beispiel
im Hinblick auf Schmerzpatienten ein ganz wichtiges
Anliegen. Aber auf der anderen Seite wollen wir uns
ganz klar gegenüber dem Freizeitgebrauch abgrenzen.
({2})
Auch mir ist es ein Anliegen, zu sagen: Bitte hören Sie
endlich auf, Cannabis zu verharmlosen.
({3})
- Doch. - Cannabis ist eben keine harmlose Freizeitdroge.
({4})
- Selbstverständlich habe ich zugehört.
In vielen Fällen dient es als Einstiegsdroge, und das
bestreiten Sie immer wieder.
({5})
- Hören Sie einmal zu! - Ich denke an all die Fälle von
Jugendlichen, die in einer Abhängigkeit sind. Ich persönlich habe in Suchtkliniken Gespräche geführt, und
in jedem einzelnen Gespräch mit den jungen Leuten
war immer ganz klar die Aussage: Der erste Kontakt mit
Suchtmitteln kam über Cannabis zustande. Dann haben
die Jugendlichen gesagt, sie hätten Interesse an mehr
gehabt. Sie wollten schauen, wie sie Erfahrungen in einem breiteren Spektrum sammeln konnten. Deswegen ist
Cannabis für mich ganz klar eine Einstiegsdroge. Cannabis kann auch schwere Psychosen, Schizophrenien auslösen, vor allem bei den Jugendlichen; das wissen Sie ganz
genau. Es führt zu Konzentrationsstörungen usw. Aufklärung darüber ist deswegen ein wichtiger Teil der Prävention. Bei mir steht im Mittelpunkt, darauf hinzuweisen,
welche Gefahren vom Cannabiskonsum ausgehen.
Ich habe zum Beispiel in einer Fachambulanz für junge Suchtkranke in München nachgefragt. Da ist es so,
dass fast 60 Prozent der Patienten die Hauptdiagnose
Cannabisstörung haben. Es muss uns doch einfach zu
denken geben, dass da wirklich etwas im Argen liegt.
({6})
Sie wissen, dass der THC-Gehalt bei Cannabis in den
letzten Jahren um das Dreifache gestiegen ist.
({7})
Herr Kollege Tempel, jetzt hat wirklich Frau Zeulner
das Wort.
Eine Legalisierung ist deswegen für mich ganz klar
nicht der richtige Weg.
Zum Beispiel Colorado - Herr Tempel, Sie haben Portugal zitiert -: Hier ist mit der Legalisierung von Cannabis für Erwachsene der Konsum bei den Jugendlichen um
71 Prozent höher als in Staaten, in denen es keine Legalisierung gibt. Das zeigt deutlich, dass die Begrenzung der
Legalisierung auf Erwachsene gerade keinen ausreichenden Jugendschutz bietet. Das ist aber das, worauf wir uns
konzentrieren wollen.
Was Sie mit dem Antrag machen, ist reine Klientelpolitik, aber keine Politik, die dem Schutz der Gesundheit dient. Ich möchte das nicht. Ich möchte, dass unsere
Parks, auch der Görlitzer Park, den Familien gehören und
dass die Familien nicht aus den Parks verdrängt werden.
Unsere Prioritäten müssen ganz woanders liegen. Wir
müssen Lösungen schaffen, wie wir junge Leute davon
abhalten, überhaupt zum Joint zu greifen, wie wir diejenigen stärken, die Nein zu Drogen sagen, wie wir die
Eltern, Erzieher und Lehrer in ihrer Schutzaufgabe stärken und ihnen Hilfestellungen geben, wie wir denjenigen, die bereits in einer Abhängigkeit sind, helfen, aus
dieser Abhängigkeit wieder herauszufinden. Das sind die
Prioritäten, die ich persönlich als Gesundheitspolitikerin
setze, und da haben wir genug Arbeit vor uns.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank. - Für Bündnis 90/Die Grünen spricht
jetzt Dr. Harald Terpe.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste im Bundestag! Wir haben jetzt eine ganze
Menge darüber gehört, wie die Motivation für die Haltung ist, die meine Kollegin Emmi Zeulner eben vorgetragen hat. Glaube mir bitte, liebe Emmi: Mich treibt das
Gleiche um. Alles, was du an Problemen geschildert hast,
ist aber genau unter den Bedingungen der Prohibition
entstanden.
({0})
Alle Negativfolgen - das ist völlig richtig - sind in der
jetzigen Welt entstanden.
({1})
Ich will als Arzt etwas dagegen unternehmen, nämlich
die Prävention stärken.
({2})
Das geht nur, wenn man die Prävention auch zulässt, in
die Legalität holt
({3})
und die Konsumenten nicht kriminalisiert; sonst kommen sie nicht in die Legalität.
({4})
Also: Wer weiterhin behauptet, dass das Drogenverbot eine generalpräventive Wirkung hat, ignoriert diese
Realität,
({5})
in der das Betäubungsmittelgesetz selbst Teil des Problems ist.
({6})
An der Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit des geltenden Betäubungsmittelrechts bestehen erhebliche Zweifel,
auch weil die Studien beispielsweise nicht sagen, dass
Cannabis eine gesicherte Einstiegsdroge ist, weil Studien
sagen, dass Entkriminalisierung die Bedingungen für die
Prävention verbessert.
({7})
Das Drogenverbot basiert auf keinerlei wissenschaftlichen Risikobewertung der einzelnen Substanzen, erschwert vielmehr Prävention mit Blick auf Drogen, die
bei uns illegal sind. Es ist unverhältnismäßig und schadet
mehr, als es nützt; das haben wir eigentlich schon gehört.
Deswegen ist es so wichtig, das Betäubungsmittelgesetz zu evaluieren. Gegen Evaluation und wissenschaftliche Bewertung kann nun wirklich keiner in diesem
Hause etwas haben.
({8})
Wir wissen doch alle, dass die Hälfte aller Strafrechtsprofessoren dahintersteht, dass es unterstützt wird von der
Neuen Richtervereinigung, von der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin, von Experten aus der Suchthilfe, von Sozialarbeitern, Konsumentenverbänden, aus der
Erziehungswissenschaft und der Präventionsforschung.
({9})
Es gibt also viele Unterstützer für den Gedanken, das Gesetz zu evaluieren.
({10})
Ich kann es nicht nachvollziehen, liebe Kolleginnen
und Kollegen aus der Union - das gilt möglicherweise
auch für einen Teil der Kollegen der SPD -, wenn Sie
sich vor dem Hintergrund dieser wissenschaftlichen Expertise gegen eine Evaluation stellen und unseren Antrag
heute ablehnen.
({11})
- Wir reden heute über zwei Anträge. Ich habe jetzt über
den Antrag gesprochen, den wir gemeinsam mit den Linken eingebracht haben und in dem es darum geht, eine
Evaluation durchzuführen. Diesem Anliegen verweigern
Sie sich.
({12})
Eine unabhängige Evaluation des Betäubungsmittelgesetzes ist längst überfällig und dringend notwendig.
Wir brauchen in Deutschland eine ideologiefreie, auf
wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Drogenpolitik, eine Drogenpolitik der Fakten und nicht des Bauchgefühls - das muss ich einmal sagen -,
({13})
eine akzeptierende Drogenpolitik, die Drogen nicht
verteufelt, sondern sachlich über Risiken aufklärt, eine
Drogenpolitik, die einen zuverlässigen Jugendschutz etabliert, eine Drogenpolitik, die die Drogenkonsumenten
nicht unter Generalverdacht stellt, sondern Maßnahmen
bereitstellt, um die Schäden durch riskanten Drogenkonsum zu reduzieren,
({14})
eine Drogenpolitik, die nicht länger auf die Diskriminierung und Ausgrenzung setzt, sondern Drogenabhängige
mit ihren Problemen ernst nimmt. Der Mensch muss da
im Mittelpunkt stehen.
({15})
Deswegen frage ich Sie noch einmal: Was also spricht
gegen eine unabhängige Evaluation des Betäubungsmittelrechts?
({16})
Vielen Dank. - Der nächste Redner ist Burkhard
Blienert, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen Terpe und Tempel,
Sie wissen ganz genau: Wir werden den Anträgen auch
heute nicht zustimmen. Das ist so, wenn man in einer
Koalition sitzt und vertragstreu ist.
({0})
Deshalb wird es von uns auch in keinem Fall eine andere
Entscheidung geben.
Ich möchte aber deutlich machen, auf welchem Weg
ich mich in den letzten drei Jahren befunden habe, mit
welchen Fragen ich mich auseinandergesetzt habe und
zu welchem Ergebnis ich persönlich an dieser Stelle
komme und wofür ich auch werbe. Man muss sich die
Frage stellen, warum Handlungsoptionen im Bereich der
Cannabis politik notwendig sind.
Sie sind notwendig, weil wir wissen, dass trotz des Verbotes Millionen von Menschen in Deutschland Cannabis
konsumieren, weil darunter leider auch viele Jugendliche
sind, weil Cannabis dann entweder verbotenerweise angebaut wird oder die Menschen es sich in Deutschland
auf dem Schwarzmarkt besorgen. Diese Menschen sind
keine Kriminellen. In der Regel stehen sie fest im Leben.
Sie erfüllen ihre Aufgabe, sie belästigen niemanden, sie
bedrängen niemanden und sind auch sonst nicht gewalttätig. Kiffer sind halt nicht die langhaarigen Ökos, die
mit verfilzter Mähne ungewaschen auf der Couch liegen
und sich nicht mehr bewegen können, so der Schauspieler Moritz Bleibtreu, der vor wenigen Tagen in der Sonntagsausgabe der Zeitung mit den vier großen Buchstaben
dazu Stellung bezogen hat.
({1})
Warum müssen wir etwas tun? Wir müssen etwas tun,
weil wir es aus meiner Sicht als Gesellschaft leider zulassen, dass all diese Menschen gedrängt werden, etwas
Illegales zu tun, weil sie sich halb im kriminellen Milieu
bewegen,
({2})
weil wir es leider zulassen, dass Milliarden an Schwarzgeld in diesem Bereich generiert werden,
({3})
weil allzu deutlich wird, dass wir gesellschaftlich heute
viel weiter sind im Umgang mit Drogen und mit Suchterkrankungen, und weil ich weiß, dass diese Gesellschaft
stark und selbstbewusst genug ist und leider Gottes die
Menschen allein lässt, die aber entscheiden könnten, ob
sie kiffen wollen oder nicht.
Moritz Bleibtreu sagt wie viele Menschen in Deutschland auch - ich zitiere noch einmal -:
Ich halte eine Liberalisierung der Cannabispolitik
definitiv für den gesünderen Weg, mit der Droge
umzugehen.
Ich begrüße daher persönlich alle Diskussionen, die in
den einzelnen Bundesländern, in den Städten und Kommunen über Cannabismodellprojekte geführt werden.
Dort nämlich tauchen die Probleme auf, die es durch den
Konsum von Rausch- und Suchtmitteln gibt. Natürlich
haben diese Probleme auch mit Verstoß gegen Recht und
Ordnung zu tun, weil es nicht in Ordnung ist, was heute
auf deutschen Schulhöfen und in den dunklen Ecken der
Städte passiert. Daher ist es mir wichtig, auch die Grenzen zu benennen, in denen wir über einen sachgerechten
Umgang mit Drogen reden. Deshalb möchte ich über den
Umgang reden und nicht über die Freigabe.
Sie wollen in Ihrem Antrag auch den Eigenanbau ermöglichen. Hiervon kann ich nur abraten, weil Sie mit
einem solchen Schritt genau das Teilziel der Prävention
konterkarieren. Denn wer sagt dem Konsumenten, wie
hoch der THC-Gehalt seiner Pflanze ist? Wer sagt dem
Konsumenten, wie hoch der Schadstoffgehalt seiner
Pflanze ist? Die Gesundheitsgefahren, die wir mit einer
regulierten Abgabe zu minimieren versuchen, würden
hierdurch wieder erhöht werden.
Drogen am Steuer: Auch hier teile ich, dass Verbesserungen nötig sind, ganz klar. Es darf nicht sein, dass das
bloße Mitführen von geringen Mengen einer berauschenden Substanz wie zum Beispiel Cannabis zum Verlust der
Fahrerlaubnis führt, Alkohol am Steuer aber mit einem
Grenzwert versehen ist. Trotzdem sehe ich die Ausweitung auf alle Suchtstoffe in Ihrem Antrag als eher problematisch an. Das wirft noch weitere nicht zu lösende
juristische und ordnungspolitische Fragen auf.
Wie gehen wir mit beiden Anträgen um? Wir werden
sie heute ablehnen. Wir wissen aber ganz genau: Anträge
brauchen gesellschaftliche Mehrheiten. Diese notwendigen Mehrheiten führt man aber nicht herbei, indem man
permanent die gleichen Anträge vorlegt und wir uns permanent über das Gleiche unterhalten. Ich plädiere eher
dafür, diese Aufbruchsstimmung, die wir in den Städten
und in den Kommunen haben, zu nutzen und auf Bundesebene in der nächsten Legislaturperiode die notwendigen
Voraussetzungen zu schaffen, damit diese Modellprojekte auf den Weg gebracht werden können. Wir sollten gleichzeitig den Austausch mit den Bundesländern
suchen, um neue Wege in der Drogenpolitik zu gehen.
Ich denke, dass wir einen Punkt hier ganz klar benennen
müssen: Es ist nicht nur der Bund, der hier liefern kann.
Zur ganzen Wahrheit gehört auch, dass die Bundesländer
ihrerseits ihren Einfluss über die Länderkammer geltend
machen können.
Sie haben in den letzten Jahren feststellen können, dass
die Große Koalition einige wichtige drogenpolitische
Entscheidungen getroffen hat; meine Kollegin Emmi
Zeulner hat diese eben benannt. Wir haben in diesem Bereich viel getan. Was wir vereinbart haben: Cannabis als
Medizin, Regelungen zu neuen psychoaktiven Substanzen, oder die Verordnung zur Substitutionstherapie haben
wir auf den Weg gebracht. Drogenpolitik eignet sich aus
meiner Sicht nicht einseitig für Wahlkampfzwecke.
({4})
Vielmehr müssen wir ernsthaft und vernünftig über die
Folgen des missbräuchlichen Umgangs mit Drogen reden. Ich denke, ich bin an dieser Stelle recht unverdächtig, dass ich mich neuen Ansätzen wie beispielsweise
Modellprojekten versperre; denn in vielen Gesprächen,
die wir teilweise gemeinsam im In- und Ausland geführt
haben, hat sich bei mir die Einschätzung verfestigt, dass
ein Umdenken in dieser Frage sinnvoll und notwendig
wäre.
({5})
Ich bin zuversichtlich, dass wir das in der nächsten
Legislaturperiode schaffen werden. Ich möchte zum
Schluss noch Gustav Radbruch zitieren, der in der Weimarer Republik Rechtspolitiker der Sozialdemokratie
war. Er sagte:
In der deutschen Politik geschieht das Vernünftige,
nicht weil es vernünftig ist, sondern erst, wenn gar
nichts anderes mehr übrig bleibt, als das Vernünftige
zu tun.
In diesem Sinne: Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank. - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Tino Sorge, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Doch, das hat er sehr wohl gesehen, Herr Kollege Tempel. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir debattieren ja heute zu später Stunde ein
altbekanntes Thema, nämlich die Frage: Wollen wir den
Konsum illegaler Substanzen entkriminalisieren? Ich
kann ja durchaus nachvollziehen, dass die Linke und
einige andere, auch die Grünen, meinen, dass man mit
einer Entkriminalisierung, dass man mit einer Legalisierung die Zahl der Drogensüchtigen senken kann, weniger
Drogenkriminalität generiert und es für alle besser wird.
Die Frage ist eben nur, ob wir uns Experimente erlauben
wollen oder ob wir sagen: Wir machen das mit Vorsicht
und Augenmaß. - Oftmals trügt eben der schöne Schein.
Lassen Sie mich deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch auf ein paar Fakten hinweisen.
Die Zahl ist hier nur am Rande angesprochen worden: 200 Millionen Menschen weltweit nehmen illegale Drogen. Dazu gehören Cannabis, Kokain, Heroin. In
Deutschland gibt es 600 000 Menschen, deren Konsum
von Cannabis und anderen illegalen Drogen als problematisch gilt. Gerade die Anzahl, die Art und die Verfügbarkeit sogenannter neuer psychoaktiver Stoffe auf dem
europäischen Markt nimmt ja stetig zu. Aktuell werden
fast 600 neue psychoaktive Substanzen beobachtet. Allein 2015 wurden davon 98 Substanzen erstmals gemeldet.
Vor allem synthetische Cannabinoide und synthetische Cathinone als Substitute für Cannabis sind auf dem
Markt, obwohl wir alle wissen, dass diese hochgradig
giftig und gefährlich sind. Sie tun hier so, als sei das alles
kein Problem und als müssten wir diesen Bereich weiter legalisieren und entkriminalisieren, um dem Problem
Herr zu werden.
Schauen Sie sich die Zahlen an. Im Februar 2016 gab
es eine EU-weite Warnung bezüglich des Cannabinoids
MDMB-CHMICA, das in Europa seit 2014 13 Todesfälle verursacht hat. 23 nichttödliche Vergiftungen sind
damit in Verbindung gebracht worden. Ich könnte Ihnen
noch eine Menge anderer Beispiele nennen, die belegen,
dass es nicht einfach entspannend läuft und keine Gefahren zu verzeichnen sind.
({0})
Deshalb sagen wir: Hier geht es nicht um Entwarnung,
hier geht es um Entkriminalisierung, hier geht es einfach
darum, dass wir mit Augenmaß darauf achten, dass keine
Bereiche legalisiert werden, bei denen wir zum Schluss
nicht mehr wissen, was passiert.
({1})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir als Regierungskoalition haben deshalb darauf reagiert. Wir
haben im November 2016 das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz verabschiedet. Hintergrund war, dass wir damit effektiver gegen Händler vorgehen wollen. Harmlos
wirkende Produkte enthalten meist Betäubungsmittel in
unterschiedlicher Konzentration. Für jugendliche Konsumenten ist nicht erkennbar, was dort letztendlich drin ist.
({2})
Die verführen die Konsumenten zum Rauchen, zum
Schniefen, zum Schnupfen zu Rauschzwecken. Sie sagen: Das alles ist kein Problem. Wir müssen das legalisieren. - Wir haben einen anderen Ansatz. Wir wollen
nicht legalisieren, wir wollen auch nicht bagatellisieren,
sondern wir wollen sensibilisieren, wir wollen aufklären,
und wir wollen Leid vermeiden.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Kollegin
Emmi Zeulner hat schon darauf hingewiesen, dass das
keine harmlosen Einstiegsdrogen sind.
({4})
Es beginnt mit dem ersten Versuch, der passenden Clique,
dem passenden Verhalten - das erscheint dann normal, es
wird verharmlost, es wird gesagt: Es spielt keine Rolle,
ob wir Cannabis, Heroin oder Amphetamin nehmen. Das
sind synthetische Suchtstoffe. Deswegen verbietet sich in
diesem Bereich jedes Verharmlosen.
({5})
- Genau das machen Sie, Herr Kollege Tempel.
({6})
Sie stellen sich hierher und sagen: Ich war einmal Polizist. Ich weiß, wie schlimm es auf der Straße ist, wenn
die Konsumenten kriminalisiert werden, weil sie keine
Drogen bekommen. - Das ist genau der falsche Weg. Wir
müssen den Menschen helfen, wir müssen Therapien anbieten, wir müssen über Drogengefahren aufklären. Wir
können doch nicht sagen: Weil wir das auf dem Schwarzmarkt nicht in den Griff bekommen, legalisieren wir den
Bereich einfach. Das ist der völlig falsche Weg, Herr
Kollege.
({7})
Herr Kollege Sorge, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Tempel?
Ja, natürlich.
Bitte schön.
Der Kollege Blienert hat vorgeführt, wie man trotz
unterschiedlicher Position ohne Lügen auskommt. Ich
weise Sie noch einmal darauf hin, dass ich bei keiner
einzigen Veranstaltung die Gefährlichkeit von Cannabis infrage gestellt habe. Ihre permanente Behauptung
lautet, hier würde irgendetwas verharmlost. Mehrfach
habe ich darauf hingewiesen, dass große Risiken da sind.
All das, was Ihre Kollegin Zeulner aus der Suchtklinik
erzählt hat, all das, was auch Sie an synthetischen Substanzen von Produkten, die Cannabis ersetzen sollen,
erzählt haben, sind Rahmenbedingungen, die durch Ihre
Prohibition entstanden sind. Wer bräuchte denn synthetische Cannaboide, wenn Cannabis legal wäre und man auf
eine natürliche, rohstoffbasierte Substanz zurückgreifen
könnte?
({0})
Sie unterstellen hier permanent, dass wir das gut finden,
was erst durch Ihre Prohibition entstanden ist.
({1})
Wir haben mehrfach Angebote gemacht, auch auf den
Wirkstoffgehalt von THC bezogen, dass gerade legale
Modelle die Möglichkeit wären, diesen Wirkstoffgehalt
unter Kontrolle zu bringen.
({2})
Ich diskutiere gerne mit dem Kollegen Blienert, ob der
Eigenanbau die richtige Variante ist oder nicht. Aber wir
machen genau dazu Vorschläge, übrigens mit der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, mit dem Bund Deutscher Kriminalbeamter, mit vielen anderen Bereichen.
Der Kollege von den Grünen hat das aufgezählt. Sie sind
in der Gesellschaft fast isoliert, sich bei dieser Thematik
in der Drogenpolitik einem anderen Weg zuzuwenden.
({3})
Sie arbeiten permanent mit Unterstellungen, dass wir
Drogen verharmlosen würden. Nein, wir wollen Schadensminimierung. Wir wollen weniger Suchterkrankungen, wir wollen weniger Begleiterkrankungen, und wir
wollen vor allen Dingen weniger Todesfälle. Wenn Sie
hier permanent etwas anderes ohne jeglichen Beleg unterstellen, dann bitte ich Sie, sich für solche Lügen zu
entschuldigen.
({4})
Als Erstes, Herr Kollege Tempel, ist es absolut unterirdisch, wenn Sie jemandem mit einer anderen Meinung
immer Lügen unterstellen.
({0})
Das ist eine Art der Argumentation, die Sie gerne mit
Ihren Kollegen machen können, aber dieses Niveau ist
einfach nur unterirdisch.
({1})
Sie sagen immer, Sie würden auf Gefahren hinweisen
und würden nicht für eine Bagatellisierung sein. Genau
das Gegenteil ist der Fall:
({2})
Sie sagen immer, es gebe gar keine Probleme.
({3})
Es gab letztens eine Studie der Techniker Krankenkasse
und des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kinder- und Jugendalters. Gerade im rot-grün regierten Niedersachsen fangen die jüngsten Kiffer mit 14 Jahren an;
({4})
frühester Einstieg in die Drogenkarriere. Sie sagen, sie
werden alle in die Illegalität gedrängt,
({5})
weil sie keinen guten Stoff bekommen, und dadurch,
dass sie Stoff kaufen, werden sie kriminalisiert, und deshalb muss man es legalisieren.
({6})
Da sage ich Ihnen auch ganz offen: Sie sollten die Studien lesen und zur Kenntnis nehmen,
({7})
was beispielsweise der Leiter des Deutschen Zentrums
für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters, Herr Thomasius, gesagt hat. Sehen Sie, Sie kennen ihn.
({8})
Er sagte nicht nur, dass aufgrund des intensiven Cannabisgebrauchs Hirnschäden und Schizophrenie auftreten
können - das ist bereits ausgeführt worden -, sondern
auch, dass im Grunde besorgniserregende Zustände
herrschen. Da können Sie doch nicht das Ursache-Wirkungs-Prinzip umkehren und sagen: Wir müssen alles
legalisieren, dann wird alles besser. - Das ist der völlig
falsche Weg, Herr Kollege.
({9})
Ich will auf einen anderen Aspekt in der Diskussion
und auch in einem Ihrer Anträge hinweisen. Sie haben
gesagt, wir müssten auch darauf achten, dass wir im Hinblick auf die Auswirkungen auf die Verkehrstüchtigkeit
im Straßenverkehr nicht zu einer Kriminalisierung derjenigen kommen, die Drogen konsumieren. Ich will nur auf
die Zahlen hinweisen: Laut Weltverkehrsforum werden
14 bis 17 Prozent aller Autounfälle mit Toten und Verletzten unter dem Einfluss von Drogen,
({10})
von Cannabis und Benzodiazepinen, verursacht. Meine
Frage ist dann: Wollen Sie tatsächlich beispielsweise den
Eltern dieser Verkehrsopfer erklären, es sei richtig gewesen, es sei gut gewesen, dass ein Mensch, der unter Drogen stand, fahren durfte?
({11})
- Schauen Sie in Ihren Antrag! In Ihrem Antrag steht,
dass er erst bei einem Drogengebrauch in riskanten Situationen
({12})
oder nach einer wiederholten Drogenfahrt kriminalisiert
werden soll, und das ist der völlig falsche Weg.
({13})
- Hören Sie auf, Herr Tempel, die Leute hier immer der
Lüge zu bezichtigen. Sie sitzen da, Sie behaupten Dinge,
die durch nichts unterlegt sind,
({14})
Sie stellen sich als Polizist hierhin.
({15})
Ich sage Ihnen einfach mal:
({16})
Die Leute, die ich kenne und Polizisten sind und das hören, was Sie reden, sind einfach nur peinlich berührt.
({17})
Sie sagen: Wenn Leute wie Sie auf Streife wären, dann
wäre das einfach unterirdisch.
({18})
Jetzt lassen Sie bitte den Kollegen Sorge reden.
Wenn Sie von Drogenkonsum und Einstiegswegen
reden, dann klingt das immer sehr abstrakt. Ich will es
mal an einem Beispiel festmachen. Ich komme aus dem
Bundesland Sachsen-Anhalt. Da ist es tatsächlich so,
dass mittlerweile - wie in vielen anderen Bundesländern
auch - Cannabis und seine Variationen die unangefochtene Nummer eins sind und bei über 70 Prozent aller Drogendelikte eine Rolle spielen, insbesondere auf Schulhöfen und an Schulen. Man sieht daran, dass eine gewisse
Affinität gerade der jungen Menschen dazu besteht, dass
es da einen enormen Anstieg gibt. Dafür ist natürlich die
schleichende gesellschaftliche Verharmlosung von Cannabis ein zentraler Grund; sie führt letztendlich zu solchen Zahlen.
Meine Damen und Herren, ich will mich damit nicht
zufriedengeben. Wir, die Unionsfraktion, kämpfen dafür,
dass der Drogeneinstieg erschwert wird,
({0})
dass Drogensucht klar als Krankheit benannt wird. Wir
wollen Prävention mit allen Mitteln, wir wollen die Heilung unterstützen, aber wir wollen auch die Auswirkungen der Drogensucht nicht arglos hinnehmen. Sie wollen
Bagatellisierung, Sie wollen Legalisierung,
({1})
wir wollen Sensibilisierung. Deshalb wird es Sie nicht
überraschen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir
Ihren Anträgen heute hier nicht zustimmen werden.
Herzlichen Dank.
({2})
Vielen Dank. - Diese sehr emotionale Debatte ist jetzt
zu Ende.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktionen
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel
„Beabsichtigte und unbeabsichtigte Auswirkungen des
Betäubungsmittelrechts überprüfen“. Das ist jetzt der
Tagesordnungspunkt 19 b. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10445,
den Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/1613 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen
der Opposition angenommen.
Jetzt kommt der Tagesordnungspunkt 19 a. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11610 mit dem Titel „Entkriminalisierung von
Drogenkonsumierenden“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 sowie Zusatzpunkt 3 auf:
20. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der haushaltsnahen
Getrennterfassung von wertstoffhaltigen Abfällen
Drucksache 18/11274
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({0})
Drucksache 18/11781
ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({1}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald,
Britta Haßelmann, Christian Kühn ({2}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wertstoffgesetz jetzt vorlegen
Drucksachen 18/4648, 18/9693
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache, und das Wort hat der
Parlamentarische Staatssekretär Florian Pronold für die
Bundesregierung. - Bitte schön.
({3})
Seit nahezu 20 Jahren sind die ökologischen Anforderungen an die Verwertung von Verpackungsabfällen nicht
mehr verändert worden.
({0})
Sie zu erhöhen, ist überfällig. Liebe Kolleginnen, liebe
Kollegen, sehr geehrte Frau Präsidentin, heute liegt ein
Gesetzentwurf vor, auf den wir alle lange gewartet haben. Das Verpackungsgesetz ist ein Kompromiss, und
dieser Kompromiss steht am Ende eines langen und zähen Ringens.
Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks hat das Vorhaben mit höchster Priorität und mit Nachdruck vorangebracht. Ich möchte mich ganz herzlich bei den Berichterstattern der Koalition bedanken, die über zwei Jahre
intensiv an diesem Gesetzentwurf gearbeitet haben. Vielen Dank, liebe Dr. Anja Weisgerber, lieber Dr. Thomas
Gebhart und lieber Michael Thews. Ich möchte mich
auch ganz herzlich bei meiner zuständigen Abteilung mit
ihrem Abteilungsleiter Helge Wendenburg bedanken. Ich
glaube, wir alle haben in diesem Prozess viel gelernt und
auch viel dazugelernt. Ich habe schon manche komplizierte politische Materien in meinem Leben bearbeitet,
aber ich hatte nicht geahnt, dass die komplizierteste dieses Verpackungsgesetz wird.
({1})
Im Vordergrund steht die deutliche Erhöhung der
Recyclingquoten; ich finde, nach 20 Jahren ist das längst
überfällig. In unserer Bevölkerung ist ein hohes Bewusstsein für die Wichtigkeit der Trennung von Müll, auch für
die Trennung von Kunststoffverpackungen vorhanden.
Aber bis heute dürfen fast zwei Drittel der Kunststoffverpackungen in die Verbrennung gehen, statt recycelt zu
werden.
({2})
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden wir die
Anforderungen an die Recyclingquote für Kunststoffverpackungen umdrehen: Zukünftig werden zwei Drittel
recycelt. Wir werden die Recyclingquoten bei Metall,
Glas und Papier auf fast 90 Prozent erhöhen. Das ist die
wichtigste Botschaft in diesem Gesetz. Es ist gut, dass
wir das Recycling nach über 20 Jahren noch einmal deutlich verbessern.
({3})
Wir verpflichten zudem die Dualen Systeme, die
Nachhaltigkeit oder ökologische Vorteilhaftigkeit von
Verpackungen bei der Gestaltung ihrer Lizenzentgelte
stärker zu berücksichtigen. Da die Kommunen vor Ort
immer die Ansprechpartner sind - unabhängig davon, ob
sie tatsächlich zuständig sind oder nicht: die Bürgerinnen und Bürger wenden sich in erster Linie immer an
die Kommunen, wenn etwas schiefgeht -, haben wir alles
getan, um den Kommunen Einfluss- und Steuerungsmöglichkeiten vor Ort zu geben:
({4})
Sie können die Sammlungen vor Ort besser aufeinander
abstimmen, sie können über den Abholrhythmus bestimmen, und sie können bestimmen, in welcher Form gesammelt wird.
({5})
Das ist ein entscheidender Fortschritt im praktischen
Umgang mit der Abfallbeseitigung und der Verpackungssammlung vor Ort.
({6})
Außerdem garantieren wir durch die Einrichtung einer
Zentralen Stelle einen faireren Wettbewerb. Gerade für
die kommunalen Wertstoffhöfe ist es eine Vereinfachung,
wenn sie nicht mehr mit elf unterschiedlichen Dualen
Systemen verhandeln müssen,
({7})
sondern mit einer Zentralen Stelle, die über die Spielregeln wacht und die dafür Sorge trägt, dass die schwarzen
Schafe ordentlich geschoren werden, damit nicht so viele
Lizenzentgelte umgangen werden können.
({8})
Ganz wichtig ist auch das von den Koalitionsfraktionen wieder eingebrachte Konzept zur deutlichen Stärkung des Mehrwegsystems.
({9})
Wir haben in der Anhörung ziemlich viel darüber diskutiert, und ich glaube, dass es wichtig ist, entsprechende
Maßnahmen zu ergreifen. Aber ich sage auch: Es kann
nicht bei einer symbolischen Anforderung bleiben.
({10})
Vielmehr werden wir in den nächsten Jahren ernsthafte
Schritte unternehmen müssen, um zu gewährleisten, dass
das System auch wirklich funktioniert.
({11})
Es reicht nicht, dass wir bei Bierflaschen eine hohe
Mehrwegquote haben. Es gibt auch andere Probleme.
Niemand hat bisher eine Lösung aufgezeigt, auch nicht in
der Anhörung, wie wir de facto zu einer höheren Mehrwegquote kommen. Aber wir alle wissen, dass das gerade
für kleine Brauereien, für viele mittelständische Betriebe
und für die Arbeitsplätze in Deutschland ein wichtiger
Punkt ist.
({12})
Deswegen ist es gut, dass das aufgenommen wird.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Umwelt profitiert durch ökologische Weiterentwicklung, der Wettbewerb profitiert durch einen besseren rechtlichen Rahmen
und einen stärkeren Vollzug, die Bürgerinnen und Bürger
profitieren durch eine effiziente und bürgernahe Entsorgung, und die Kommunen profitieren durch mehr Gestaltungsmöglichkeiten - das sind vier gute Gründe, um dem
Gesetzentwurf zuzustimmen.
({13})
Vielen Dank. - Für die Linke spricht jetzt der Kollege
Ralph Lenkert.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Hinter
blumigen Worten wie „Produktverantwortung“ oder
„Recyclingquote“ werden in diesem Entwurf eines Verpackungsgesetzes knallharte Profitinteressen privater
Unternehmen versteckt.
Zur Geschichte: Die Dualen Systeme sollten seit den
90er-Jahren das System der gelben Tonne und des gelben Sacks für Verpackung organisieren. Betrug bei der
Abrechnung sorgte für märchenhafte Sammelquoten
von 250 Prozent. Angeblich wurden nur 800 000 Tonnen
Verpackungen verkauft; aber es landeten 2,5 Millionen
Tonnen Verpackung in gelben Säcken oder Tonnen. Trotz
Lohndumping, trotz ruinöser Vergaben von Dienstleistungen durch die Dualen Systeme führte dieser Betrug
fast zu deren Bankrott. Mit der Änderung der Verpackungsverordnung rettete diese Koalition die betrügerischen Dualen Systeme und verhinderte eine Rekommunalisierung. Mit dem Wertstoffgesetz von 2015 sollte
dann die Privatisierung der Wertstoffe im Hausmüll erfolgen. Die Einnahmen aus dem Verkauf dieser Wertstoffe senkten die Kosten der kommunalen Abfallwirtschaft.
Fehlen den Kommunen diese Einnahmen, steigen die
Müllgebühren für alle Gebührenzahlerinnen und Gebührenzahler um circa 10 Euro pro Jahr. Linke und Grüne
verhinderten gemeinsam im Bundesrat dieses Privatisierungswertstoffgesetz.
({0})
Jetzt versucht die Koalition, auf den letzten Metern
der Wahlperiode mit dem neuen Verpackungsgesetz wenigstens die Tür zur Privatisierung zu öffnen. Eine privat organisierte Zentrale Stelle soll als Schiedsrichter für
die Verpackungserfassung und -verwertung dienen. Das
nimmt den Kommunen ihren Gestaltungsspielraum und
bereitet einen späteren, neuen Anlauf zur Privatisierung
vor. Das lehnt die Linke ab.
({1})
Der Koalition aus Union und SPD standen als Paten des
Gesetzentwurfs unter anderem Rewe, Edeka, Procter &
Gamble und andere Handelsketten und Konzerne zur Seite. Die Paten gründeten eine private Projektgesellschaft
zur Vorbereitung dieses Verpackungsgesetzes, und die Paten bezahlten diese Gesellschaft aus ihrer Tasche. Genau
diese private Gesellschaft hat dann das Bundesumweltministerium beraten und den Gesetzentwurf vorgeschrieben
und - natürlich - von den Segnungen einer privat betriebenen Zentralen Stelle überzeugt. Da hatten die Einwände
des Verbandes kommunaler Unternehmen und sogar des
Bundeskartellamt keine Chance, gehört zu werden. Wer
da an eine neutrale Beratung glaubt, der glaubt auch, dass
Zitronenfalter Zitronen falten.
({2})
Der Gesetzentwurf lässt sich noch heilen. Dazu bringt
die Linke ihren Entschließungsantrag mit drei Punkten
ein:
Erstens. Die Zentrale Stelle wird als unabhängige,
staatliche Behörde unter Fachaufsicht des Umweltbundesamtes eingerichtet.
Zweitens. Wertstofferfassung - ob Papier, Glas oder
Pappe - als Teil der Abfallentsorgung ist öffentliche Daseinsvorsorge und damit Pflichtaufgabe der Kommunen.
({3})
Drittens. Eine Mehrwegquote für Getränkeverpackungen von 80 Prozent vermeidet Verpackungsabfälle und
schont die Ressourcen.
Stimmen Sie einfach unserem Antrag zu.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt Dr. Thomas Gebhart.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Seit Jahren wird über eine neue Verpackungsgesetzgebung intensiv diskutiert. Es wurden Vorschläge
gemacht. Wir haben in unzähligen Diskussionsrunden
miteinander debattiert. Jetzt ist es nach jahrelangem Ringen endlich gelungen, den Weg für ein mehrheitsfähiges
Gesetz frei zu machen. Es ist uns gelungen, eine vernünftige Balance zwischen den unterschiedlichen Interessen
zu finden. Ich möchte mich ebenfalls herzlich bei allen
bedanken, die sich in diesen schwierigen Prozess konstruktiv eingebracht und zu seinem Gelingen beigetragen
haben.
({0})
Dieses Verpackungsgesetz ist ein Fortschritt. Es ist ein
Fortschritt für die Verbraucherinnen und Verbraucher in
Deutschland. Es ist ein Fortschritt für die Umwelt. Wir
schonen Ressourcen, weil von diesem Gesetz Anreize
ausgehen, Verpackungen möglichst zu vermeiden. Wenn
Verpackungen gebraucht werden, dann werden sie nach
höheren Quoten als bisher recycelt. Es entstehen neue
Wertstoffe. Das ist überfällig. Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land erwarten zu Recht, dass von dem,
was sie sorgsam in den gelben Sack hineinsortieren, mehr
recycelt wird und weniger in der Müllverbrennungsanlage landet. Genau dies leisten wir mit diesem Gesetz.
({1})
Dieses Verpackungsgesetz ist ein Fortschritt, der Innovationen unterstützt. Wir haben es bei der Anhörung
gehört: Bereits im Vorfeld zu diesem Gesetz haben viele
Unternehmen in Deutschland angekündigt, in moderne
Anlagen zum Kunststoffrecycling zu investieren. Genau
darin liegt die Chance, dass wir unsere Vorreiterrolle in
Deutschland behaupten und ausbauen. Es ist eine Chance
auf zukunftsträchtige Arbeitsplätze. Auch das gehört in
diese Debatte.
({2})
Dieses Verpackungsgesetz ist ein Fortschritt für die
soziale Marktwirtschaft. Wir setzen weiterhin auf wettbewerbliche Lösungen und auf das Prinzip der Produktverantwortung. Das heißt, Unternehmen übernehmen
auch Verantwortung für die spätere Entsorgung ihrer
Verpackungen. Damit werden die Kosten für die Entsorgung dieser Verpackungen Teil des Verkaufspreises
der Produkte. Sie werden Teil des Wettbewerbs. Damit
entstehen auf intelligente Art und Weise Anreize, Verpackungen einzusparen.
({3})
Umwelt und Wirtschaft werden so in Einklang gebracht.
Wir stärken die soziale Marktwirtschaft, indem wir Rahmenbedingungen für einen fairen und funktionierenden
Wettbewerb setzen.
({4})
Dieses Verpackungsgesetz ist auch ein Fortschritt für
die Kommunen.
({5})
Denn die Rechte der Kommunen werden im Vergleich
zur heutigen Situation eindeutig gestärkt. Die Kommunen können künftig Vorgaben für die Sammlung von
Kunststoffen, Metallen und Verbundverpackungen machen. Sie können zum Beispiel Vorgaben machen, ob diese Abfälle im gelben Sack oder in einer Tonne gesammelt
werden. Sie können Vorgaben über Art und Größe dieser
Gefäße machen. Sie können auch darüber Vorgaben machen, wie oft diese Gefäße abgeholt werden.
({6})
Wir haben die parlamentarischen Beratungen intensiv
genutzt, um eine Reihe von Verbesserungen herbeizuführen. Wir haben Regelungen eingeführt, die zu mehr
Rechtssicherheit, die zu mehr Klarheit führen. Wir haben
die Mehrwegquote wieder ins Gesetz geschrieben.
({7})
Aber wir sagen auch - das ist ein ganz entscheidender
Punkt -: Wir brauchen Ökobilanzen. Erst dann, wenn wir
saubere Ökobilanzen auf dem Tisch haben, haben wir die
notwendige Entscheidungsgrundlage, um weitere Entscheidungen hinsichtlich Mehrweg und Einweg treffen
zu können. Das ist ein ganz entscheidender Punkt, bei
dem wir uns ganz klar unterscheiden.
({8})
In diese Debatte gehört auch - ich will es noch einmal
ausdrücklich sagen -: Ein Pfand auf Weinflaschen wird es
nicht geben. Das ist vom Tisch. Wir haben von Anfang an
klar gesagt, als die entsprechende Debatte im Bundesrat
aufgekommen ist: Mit uns wird es dieses Zwangspfand
auf Weinflaschen nicht geben, weil es unverhältnismäßig
wäre. - Wir haben Wort gehalten.
({9})
Was wäre die Alternative zu diesem Verpackungsgesetz? Natürlich kann man sagen: ein Wertstoffgesetz. Das
hätten auch wir uns gewünscht.
({10})
Aber ich sage heute noch einmal ausdrücklich: An der
Union ist dieses Wertstoffgesetz nicht gescheitert.
({11})
Die Alternative zu diesem Verpackungsgesetz wäre
heute, dass alles so bleibt wie bisher. Das wäre Stillstand,
und Stillstand in diesem Bereich bedeutet Rückschritt.
Diesen Rückschritt können wir uns nicht leisten, den
wollen wir uns nicht leisten, und den werden wir uns
nicht leisten. Deswegen bitte ich Sie ausdrücklich um
Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf.
({12})
Vielen Dank. - Britta Haßelmann spricht jetzt für
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Herr Gebhart, ich frage mich: An wem ist denn
ein Wertstoffgesetz gescheitert?
({0})
- An uns Grünen sicherlich nicht;
({1})
denn wir verlangen und diskutieren das seit Jahren.
({2})
In die politische Debatte haben wir in dieser Legislaturperiode seit 2015 Vorschläge eingebracht. Doch wir
diskutieren heute, meine Damen und Herren, kein Wertstoffgesetz. An diesem Wertstoffgesetz sind diese Bundesregierung und diese Koalition gescheitert.
({3})
Aus dem Wertstoffgesetz ist heute maximal ein Verpackungsgesetz geworden, obwohl Sie seit Ihrem Koalitionsvertrag große Ankündigungen gemacht haben, dass es
ein Gesetz zur Verwertung von Wertstoffen geben sollte.
Ihr ursprüngliches Ziel, nicht nur Verpackungen, sondern auch sogenannte stoffgleiche Nichtverpackungen
wie die Bratpfanne oder das Bobbycar zu sammeln, war
doch richtig.
({4})
Aber bei der Umsetzung sind Sie, meine Damen und
Herren, kläglich gescheitert. Wenn Sie es mit der Kreislaufwirtschaft wirklich ernst meinen, muss der Abfall
nach Materialien, also etwa nach Metallen, Kunststoffen,
Papier oder Glas, getrennt werden, aber eben nicht nach
Produkten.
({5})
Das ist doch klar. Das haben wir immer wieder betont.
Das sagt die gesamte Fachwelt.
({6})
Den vorliegenden Gesetzentwurf versteht jedoch kein
Mensch, meine Damen und Herren. Deshalb ist es ein
frommer Wunsch, Herr Gebhart, dass er etwas mit Transparenz und Verbrauchern zu tun haben soll. Deshalb machen ja viele sogenannte intelligente Fehlwürfe. Sie werfen, obwohl es gegen das Gesetz ist, auch Produkte aus
Plastik in die gelbe Tonne für Verpackung, weil es keine
Transparenz gibt und weil es die Leute nicht verstehen.
Die Mülltrennung nach Material hätten Sie bundesweit
zum Gesetz machen müssen, wie Sie es im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Dann könnten nämlich bundesweit Sachen wie Bobbycars, Bratpfannen oder vieles
mehr mit den Verpackungen in einer Wertstofftonne gesammelt werden.
Dieses Gesetz, meine Damen und Herren, ist ein Fehlwurf, und zwar kein besonders intelligenter.
({7})
Es ist ein Zeichen des Einknickens vor der Abfalllobby,
vor dem Handel und vor den Kommunen. Das wissen
alle, die sich mit der Sache beschäftigen, genau. Statt
eine bundesweite Wertstoffsammlung zu organisieren,
lassen Sie es zu, dass alle Beteiligten, Unternehmen und
Kommunen, nur ihre eigenen Claims abstecken zulasten der Bürgerinnen und Bürger, die immer noch nicht
durchblicken, was eigentlich in die gelbe Tonne gehört.
Statt die Sammlung endlich für alle transparent neu
zu organisieren - das war eigentlich auch Anspruch und
Ziel -, zementieren Sie mit dem Gesetz doch die ineffiziente und krisengeschüttelte Struktur der Dualen Systeme,
die weiterhin parallel besteht.
({8})
Dieses Gesetz verabschiedet sich von der Kreislaufwirtschaft und von der Ressourcenschonung. Instrumente zur
Vermeidung von Abfall fehlen.
Jetzt loben Sie sich auch noch selbst dafür, dass Sie
erst die Mehrwegquote aus dem Gesetzentwurf gestrichen haben und diese jetzt wieder hineinbringen. Ich fasse es nicht, meine Damen und Herren, dass Sie sich dafür
jetzt auf einmal loben!
({9})
Wir Grüne haben schon 2015 dem Bundestag Vorschläge für eine Wertstoffsammlung gemacht, die ökologisch, effizient, transparent und bürgernah organisiert ist.
({10})
Die Kommunen sollten Hausmüll und Wertstoffe in einer Hand sammeln. Die Bundesländer haben unsere Vorschläge in einem Bundesratsbeschluss unterstützt. Und,
meine Damen und Herren, es ging nicht darum, dass
jede Kommune hier selbst sammelt, sondern dass sie die
Steuerungsfähigkeit in diesem Bereich hat. Das ist der
entscheidende Punkt.
({11})
Da unterscheiden wir uns ganz massiv im Vergleich zu
Ihren Vorschlägen, meine Damen und Herren.
({12})
Mit diesem Gesetz wird die Abfallsammlung kompliziert, bürokratisch, teuer. Darüber hinaus ist sie nicht
ökologisch. Deshalb lehnen wir es ab. Die Mülltrennung
nach Material hätte die Regierung bundesweit zum Gesetz machen müssen, so wie im Koalitionsvertrag beschrieben.
({13})
Dann könnten nämlich bundesweit Quietscheentchen,
Bratpfannen und vieles mehr zusammen mit Verpackungen in einer Wertstofftonne gesammelt werden.
450 000 Stoffe mehr hätten so recycelt werden können.
Hier haben Sie wirkliche eine Chance vertan.
({14})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion hat jetzt Michael
Thews das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Das Thema Abfall ist den Deutschen
wichtig. Das merken wir an der aktuellen Berichterstattung über dieses Gesetz; aber das haben wir auch in den
letzten Jahren immer wieder erfahren, wenn es um dieses
Thema ging.
Wir in Deutschland sind Weltmeister beim Abfalltrennen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten allerdings
völlig zu Recht, dass das, was sie trennen, anschließend
stofflich hochwertig recycelt wird, dass die Wertstoffe
zurückgewonnen werden und daraus neue Produkte entstehen können. Wir wissen seit langem, dass diese Entwicklung sinnvoll ist und wir dafür strengere Recyclingquoten brauchen. Das ist technisch möglich, wurde aber
seit Jahren blockiert. Mit diesem Gesetz bekommen wir
sie jetzt. Deswegen sind wir sehr froh, dass wir jetzt mit
diesem Gesetz vorankommen - das ist eigentlich auch
der Kern des Gesetzes - und hier endlich für Klarheit
sorgen. Ich würde mich freuen, wenn auch Sie von der
Opposition dieses Gesetz unterstützen würden.
({0})
- Zu Frau Haßelmann komme ich gleich.
Ich halte es für enorm wichtig, dass wir eine Einigung
erzielt haben, die zu einer Stärkung der Kommunen gegenüber den Dualen Systemen führt. In den Städten und
Kreisen ist es häufig so, dass die gewählten Vertreter ihre
Ansprüche formulieren, zum Beispiel hinsichtlich des
Einsatzes von Säcken bzw. Tonnen oder der Abholrhythmen, die in den Kreisen und Kommunen eingehalten
werden sollen, die Kommunen aber diese Anforderungen gegenüber den Dualen Systemen in der Vergangenheit nicht immer durchsetzen konnten. Wir haben gerade
schon gehört: Es gibt elf Duale Systeme, mit denen man
sich abstimmen muss. Das war oft eine endlose Streiterei.
Im vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir Klarheit.
Nun können die Kommunen diese Dinge vorgeben und
sie auch gegenüber den Dualen Systemen durchsetzen.
({1})
Das war dringend notwendig. Hierdurch haben wir, wie
ich finde, eine deutliche Verbesserung erzielt.
Ich bin auch sehr froh, dass wir eine Einigung im
Hinblick auf die Mehrwegquote erzielt haben. Ich weiß,
dass sich viele Verbraucherinnen und Verbraucher ganz
bewusst für Mehrweg entscheiden. Ich möchte, dass das
auch in Zukunft noch möglich ist. Wenn Mehrweg erst
einmal verschwunden ist, geht das nämlich nicht mehr.
Was auch wichtig ist, ist die Kennzeichnung am Regal. Denn häufig erkennt der Verbraucher gar nicht: Handelt es sich um Mehrweg oder Einweg? - Diese Unterscheidung wird in Zukunft eindeutig möglich sein. Es
gibt auch eine freiwillige Initiative der Getränkeindustrie - auch das ist sehr gut -, die Flaschen entsprechend
zu kennzeichnen. Je besser das erkennbar ist, desto besser für die Verbraucherinnen und Verbraucher.
Bei all der Freude darüber, dass wir heute dieses Gesetz beschließen,
({2})
ist aber auch klar: Wir werden die Entwicklung hin zu
einem Wertstoffgesetz nicht aus den Augen verlieren.
Weil es gerade um die Frage ging, wer eigentlich dafür
verantwortlich ist, dass wir kein Wertstoffgesetz bekommen haben, muss ich Ihnen, Frau Haßelmann, sagen: Es
waren teilweise auch die grünen Umweltminister in den
Ländern,
({3})
die durch ihre Forderungen die Diskussion über ein Wertstoffgesetz deutlich erschwert haben.
({4})
Wir werden weiterhin versuchen, ein Wertstoffgesetz
auf den Weg zu bringen. Es ist natürlich erforderlich,
dass auch solche Abfälle, die keine Verpackung sind,
aber häufig aus denselben Materialien bestehen, einem
hochwertigen Recycling zugeführt werden.
In Zukunft werden mehr Anreize notwendig sein, auch
auf europäischer Ebene, damit Produkte von Anfang an
ökologisch geplant und gestaltet werden. Die Menschen
in unserem Land erwarten langlebige, reparierbare, wiederverwertbare und recyclingfreundliche Produkte. Ich
meine, dass wir mit dem Verpackungsgesetz hier und
heute einen großen Schritt vorangekommen sind; weitere
müssen folgen.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank. - Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Dr. Anja Weisgerber, CDU/
CSU-Fraktion. Bitte schön.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Ja, heute ist ein guter Tag für die Umwelt.
Denn mit dem Verpackungsgesetz erhöhen wir die Recyclingquoten, und damit werden mehr Sekundärrohstoffe
wiedergewonnen und in den Stoffkreislauf zurückgeführt.
({0})
- Nein, diese haben wir nicht herausgestrichen; das war
die Mehrwegquote. Am besten hören Sie mir besser zu!
({1})
Außerdem werden die Lizenzentgelte stärker ökologisiert. Das bedeutet, dass die Beteiligungsentgelte für
die Hersteller nach dem Verpackungsmaterial, nach der
Menge und nach der Recyclingfähigkeit bemessen werden. Dadurch erhalten Hersteller weitere Anreize, auf
Verpackungsmaterialien zu verzichten und recyclingfähige Materialien zu verwenden.
({2})
- Genau, das ist super. Deswegen ist das ein guter Tag
für die Umwelt.
Liebe Frau Haßelmann, ich muss jetzt schon einmal
fragen - das wurde auch von meinem Kollegen Thews
bereits angesprochen -: Wer hat denn das vorgelegte
Wertstoffgesetz in den Bundesländern und im Bundesrat
massiv kritisiert? Das waren vor allen Dingen die grünen
Umweltminister,
({3})
und deswegen ist das Wertstoffgesetz so nicht gekommen. Das ist die Wahrheit.
({4})
Die Vorschläge, die Sie auf den Tisch gelegt haben,
hätten den Wettbewerb ausgeschaltet. Es wäre für die
Verbraucher teurer geworden, und es wäre der Abschaffung der Dualen Systeme gleichgekommen. Weil es eine
Abkehr von der Produktverantwortung und damit ein
ökologischer Rückschritt gewesen wäre, haben wir genau das abgelehnt, liebe Frau Haßelmann.
({5})
Ja, wir haben die Mehrwegquote wieder im Gesetzentwurf verankert. Wir als Gesetzgeber haben nämlich
gesagt: Wir wollen den Gesetzentwurf an der Stelle nachbessern. Das war auch richtig, und das war auch ein perMichael Thews
sönliches Anliegen von mir, da wir sonst das bestehende
Mehrwegsystem ad absurdum geführt hätten.
({6})
Das ist eine gute Botschaft - gerade auch an die kleinen
Brauerinnen und Brauer, die mit viel Aufwand Mehrwegstrukturen aufgebaut haben.
({7})
In unserer zur Beschlussempfehlung vorgelegten Entschließung steht auch, dass wir das Ganze mithilfe der
Ökobilanzen im Auge behalten müssen. Das ist genau
der richtige Weg; denn die Ökobilanzen geben hier Aufschluss.
({8})
Das Verpackungsgesetz ist auch ein Fortschritt für die
Kommunen; denn die Kommunen sind die Ansprechpartner für die Bürgerinnen und Bürger bei der Abfallentsorgung. Wenn im Winter bei Eis und Schnee gelbe
Säcke mal nicht abgeholt werden, dann wenden sich die
Bürgerinnen und Bürger doch an die Kommunen und beschweren sich dort, obwohl die Dualen Systeme für die
Sammlung der Verpackungsmaterialen aus Kunststoff
und Metall verantwortlich sind. Bislang hatten die Kommunen aber nicht die Rechte - vor allen Dingen nicht
die Durchgriffsrechte -, die sie gegenüber den Dualen
Systemen brauchen. Liebe Frau Haßelmann, das ändert
sich durch diesen Gesetzentwurf.
({9})
Wenn man den Gesetzentwurf einmal liest, dann sieht
man auch, wo sich Verbesserungen für die Kommunen
ergeben. Sie bekommen nämlich mehr Einflussmöglichkeiten und können letztendlich auch gegenüber den Dualen Systemen genau bestimmen, wie die Sammlungen
konkret ausgestaltet werden sollen. Sie können die Größe
der Behälter festlegen, sie können sagen, ob per Tonne
oder per Sack gesammelt werden soll, und sie können die
Abholintervalle bestimmen.
({10})
Eine weitere wichtige Botschaft an die Kommunen
ist auch: Alle Landkreise und Gemeinden, die per Wertstoffhof sammeln, können dies auch in Zukunft tun. Das
heißt, die gut funktionierenden bestehenden Strukturen
können auch in Zukunft erhalten bleiben.
Die Kommunen können diese Rechte auch rechtssicher ausüben; denn wir haben den Gesetzentwurf auch in
der Form entscheidend verändert, dass wir die Bedingungen, unter denen die Kommunen den Dualen Systemen
Vorgaben machen können, zugunsten der Kommunen
noch einmal nachgebessert haben. Die Vorgaben, die
die Kommunen machen, müssen nun nicht mehr „erforderlich“, sondern nur noch „geeignet“ sein, um eine
effektive und umweltverträgliche Erfassung der Abfälle
sicherzustellen. Das sind zwar nur zwei kleine Worte,
aber das führt doch zu einem sehr großen Unterschied in
der Rechtsauslegung. Auch an der Stelle haben wir die
Kommunen noch einmal gestärkt.
Hinzu kommt letztendlich auch das Durchgriffsrecht.
Das heißt, für den Fall, dass etwas schiefgeht, können
die Kommunen selbst für eine Ersatzvornahme sorgen
und dann den Dualen Systemen die Kosten in Rechnung
stellen.
Ich hoffe, ich habe Ihnen jetzt noch einmal ausführlich
darlegen können, wie die Rechte der Kommunen gestärkt
werden.
({11})
Sie werden nämlich durch das Gesetz gestärkt, und das
merkt man auch, wenn man sich den Gesetzentwurf
durchliest.
Im gesamten Prozess war es wichtig, die Belange der
Wirtschaft nicht außer Acht zu lassen und einen fairen
Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen der
Kommunen auf der einen Seite und den Interessen der
meist mittelständischen Entsorger auf der anderen Seite
zu erzielen. Auch das ist meiner Meinung nach gut gelungen.
Die Pfandpflicht für Weinflaschen und damit auch für
den fränkischen Bocksbeutel ist ebenfalls vom Tisch.
Das ist mir auch ein persönliches Anliegen gewesen.
({12})
Das Gesetz sieht ambitionierte Recyclingquoten vor
und wird so die Kreislaufwirtschaft im Sinne der Umwelt
stärken.
({13})
Also lassen Sie uns heute gemeinsam das Verpackungsgesetz auf den Weg bringen.
Vielen herzlichen Dank.
({14})
Vielen Dank. - Die Aussprache ist damit beendet.
Ich darf Sie jetzt noch einmal alle um Ihre allerhöchste Konzentration bitten; denn wir haben jetzt eine ganze
Reihe von Abstimmungen vorzunehmen, und die Umweltpolitiker dürfen nachher noch einmal reden.
({0})
Wir beginnen mit der Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Fortentwicklung der haushaltsnahen Getrennterfassung von wertstoffhaltigen Abfällen. Der Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empDr. Anja Weisgerber
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11781, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11274 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11781 empfiehlt der Ausschuss, eine
Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das ist die Koalition. Wer stimmt
dagegen? - Das ist niemand. Wer enthält sich? - Das ist
die Opposition. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11781 empfiehlt der Ausschuss, eine weitere Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11789. Wer stimmt für
diesen Entschließungsantrag? - Das ist die Opposition.
Wer stimmt dagegen? - Das ist die Koalition. Wer enthält
sich? - Niemand. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.
Zusatzpunkt 3. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Wertstoffgesetz jetzt vorlegen“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/9693, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4648 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({1})
zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm,
Norbert Müller ({2}), Caren Lay, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Keine Beteiligung des Bundes am Wiederauf-
bau der Garnisonkirche Potsdam
Drucksachen 18/10061, 18/11642
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. -
Damit sind Sie einverstanden.1)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushaltsaus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11642, den Antrag der Fraktion Die Lin-
ke auf Drucksache 18/10061 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte
({3})
Drucksachen 18/10936, 18/11290, 18/11472
Nr. 1.4
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({4})
Drucksache 18/11775
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({5}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz,
Dr. Gerhard Schick, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
zu dem Vorschlag für eine Delegierte Verordnung der Kommission zur Ergänzung
der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen
Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards für die Anwendung von Positionslimits für Warenderivate
K({6})4362 endg.; Ratsdok. 15163/16
hier: Stellungnahme des Deutschen Bundes-
tages gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes i. V. m. § 8 des Gesetzes
über die Zusammenarbeit von Bundes-
regierung und Deutschem Bundestag
in Angelegenheiten der Europäischen
Union
Nahrungsmittelspekulationen stoppen - Kom-
missionsvorschlag zurückweisen
Drucksachen 18/11173, 18/11775
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Finanzausschusses ({7})
zu dem Antrag der Abgeordneten Susanna
Karawanskij, Klaus Ernst, Jutta Krellmann, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Finanzaufsicht nach Anlagepleiten zum
Schutz von Verbraucherinteressen stärken
Drucksachen 18/8609, 18/9734
1) Anlage 4
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen
ein Änderungsantrag und ein Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke vor.
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.1)
Dann kommen wir zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften aufgrund
europäischer Rechtsakte.
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11775,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck-
sachen 18/10936 und 18/11290 in der Ausschussfassung
anzunehmen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/11787 vor, über den wir zuerst
abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? -
Das ist die Linke. Wer stimmt dagegen? - Das ist die Ko-
alition. Wer enthält sich? - Das sind die Grünen. Damit
ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem glei-
chen Stimmenverhältnis angenommen.
Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschluss-
empfehlung ist einstimmig angenommen.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 18/11788. Wer stimmt für
diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 22 b. Wir setzen die Abstimmung
zu der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf
Drucksache 18/11775 fort. Der Ausschuss empfiehlt un-
ter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
mit dem Titel „Nahrungsmittelspekulationen stoppen -
Kommissionsvorschlag zurückweisen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
1) Anlage 5
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 c. Beschlussempfehlung des
Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Finanzaufsicht nach Anlagepleiten
zum Schutz von Verbraucherinteressen stärken“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/9734, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8609 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Halina Wawzyniak, Jan Korte, Dr. André Hahn,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE
LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Artikel 10-Gesetzes
und weiterer Gesetze mit Befugnis für die
Nachrichtendienste des Bundes zu Beschränkungen von Artikel 10 des Grundgesetzes
({8})
Drucksache 18/5453
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({9})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.2)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 18/5453 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es von Ihrer Seite aus dazu andere Vorschläge? - Ich sehe, das ist
nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 24:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({10}) zu dem Antrag des Bundesmi-
nisteriums für Wirtschaft und Energie
Anpassungsvertrag ERP-Förderrücklage
Einholung eines zustimmenden Beschlusses
des Deutschen Bundestages gemäß § 6 Ab-
satz 3 des
ERP-Verwaltungsgesetzes
Drucksachen 18/10825, 18/11779
Die Reden werden zu Protokoll gegeben. - Ich sehe,
Sie sind einverstanden.3)
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie
auf Drucksache 18/11779. Der Ausschuss empfiehlt un-
ter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/11779, dem Antrag des Bundesministeriums
2) Anlage 6
3) Anlage 7
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
für Wirtschaft und Energie auf Drucksache 18/10825
zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch diese Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 25:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe ({11}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Annette Groth, Inge Höger,
Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE
Willy-Brandt-Korps für eine solidarische hu-
manitäre Hilfe
Drucksachen 18/8390, 18/8649
Die Reden werden zu Protokoll gegeben. - Ich sehe,
Sie sind damit einverstanden.1)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Menschenrechte und humanitäre Hilfe empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8649, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8390
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({12})
- zu dem Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates über
den Elektrizitätsbinnenmarkt ({13})
KOM({14}) 861 endg.; Ratsdok. 15135/16
- zu dem Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates zur
Gründung einer Agentur der Europäischen
Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden ({15})
KOM({16}) 863 endg.; Ratsdok. 15149/16
hier: Stellungnahme gemäß Protokoll Nr. 2
zum Vertrag von Lissabon ({17})
Drucksachen 18/11229 A.16 und A.17,
18/11777 ({18})
Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben. -
Ich sehe, auch hiermit sind Sie einverstanden.2)
1) Anlage 8
2) Anlage 9
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11777 ({19}), in Kenntnis
der auf Drucksache 18/11229 unter Buchstaben A.16 und
A.17 genannten Unterrichtungen eine Entschließung gemäß Protokoll Nummer 2 zum Vertrag von Lissabon in
Verbindung mit § 11 des Integrationsverantwortungsgesetzes anzunehmen. Mit der Annahme dieser Entschließung rügt der Deutsche Bundestag die Verletzung der
Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Opposition angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über das Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften
Drucksachen 18/10937, 18/11289, 18/11472
Nr. 1.3
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({20})
Drucksache 18/11706
Die Reden werden zu Protokoll gegeben. - Ich sehe,
Sie sind damit einverstanden.3)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11706,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
chen 18/10937 und 18/11289 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung
der Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem glei-
chen Stimmenverhältnis angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 d auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Neufassung des Gesetzes zur Regelung
von Sekundierungen im Rahmen von Einsät-
zen der zivilen Krisenprävention
Drucksache 18/11134
3) Anlage 10
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({21})
Drucksache 18/11672
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({22}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kathrin
Vogler, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Für eine aktive zivile Friedenspolitik
Drucksachen 18/11166, 18/11670
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({23}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Franziska Brantner, Annalena Baerbock,
Marieluise Beck ({24}), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Zivile Krisenprävention und Friedensförde-
rung stärken - Neue Lösungsansätze erarbei-
ten und umsetzen
Drucksachen 18/11174, 18/11669
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({25}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Franziska Brantner, Tom Koenigs, Annalena
Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
„Group of Friends“ für Konfliktprävention
im Rahmen der Vereinten Nationen
Drucksachen 18/11175, 18/11668
Die Reden werden zu Protokoll gegeben. - Ich sehe
keine Einwände.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neufas-
sung des Gesetzes zur Regelung von Sekundierungen im
Rahmen von Einsätzen der zivilen Krisenprävention. Der
Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/11672, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11134 an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte alle, die für den Ge-
setzentwurf sind, sich von den Plätzen zu erheben. - Wer
ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist
mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 28 b. Beschlussempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion
Die Linke mit dem Titel „Für eine aktive zivile Friedens-
politik“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/11670, den Antrag der
1) Anlage 11
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11166 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 28 c. Beschlussempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Zivile Krisenprävention und Friedensförderung stärken - Neue Lösungsansätze erarbeiten und umsetzen“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11669, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/11174 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 28 d. Beschlussempfehlung
des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „‚Group of
Friends‘ für Konfliktprävention im Rahmen der Vereinten Nationen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11668, den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11175 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Entlastung insbesondere der
mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie
({26})
Drucksache 18/9949
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({27})
Drucksache 18/11778
- Bericht des Haushaltsausschusses ({28})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/11790
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.2)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/11778, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9949 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen.
2) Anlage 12
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte alle, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu er-
heben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis
wie zuvor angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes
Drucksache 18/11276
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({29})
Drucksache 18/11659
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({30}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Sylvia KottingUhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Sicherheit hat Vorrang - Ohne Stand von Wissenschaft und Technik keine Inbetriebnahme
von Schacht Konrad
Drucksachen 18/6773, 18/11690
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung
erhält jetzt das Wort die Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter.
({31})
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sicherheit von Atomkraftwerken im In- und
Ausland - was sind die notwendigen Maßnahmen? Auf
diese Frage haben wir nach Fukushima national eine eindeutige Antwort gegeben, die das Bundesverfassungsgericht in allen wesentlichen Teilen bestätigt hat. Deshalb
werden wir den Ausstieg aus der Atomenergie fortsetzen
und vollenden. Daneben treffen wir mit dem Gesetz, über
dessen Entwurf wir heute abschließend beraten, die notwendigen Maßnahmen zur lückenlosen Umsetzung des
geltenden Europarechts im Hinblick auf die zurzeit noch
betriebenen Anlagen in Deutschland.
Mit dem Gesetz gehen wir aber auch einen Schritt
weiter, indem wir den Topical-Peer-Review-Mechanismus der EU-Richtlinie über nukleare Sicherheit im
deutschen Recht verankern. Über diesen Mechanismus
wird auf EU-Ebene in den nächsten sechs Jahren eine
Untersuchung zu Fragen des Alterungsmanagements von
Atomkraftwerken durchgeführt. Wir wirken für die Restlaufzeit der Atomkraftwerke in Deutschland entschlossen
darauf hin, diese mit höchstmöglicher Sicherheit zu betreiben. Aber - und das ist besonders wichtig - das Fachwissen muss auch für die Phase der Stilllegung erhalten
bleiben.
Darüber hinaus müssen wir aus gutem Grund die Entwicklungen in unseren Nachbarstaaten und auf internationaler Ebene kritisch begleiten. Zwar liegt die Entscheidung für oder gegen die Nutzung der Atomkraft bei jedem
einzelnen Staat; es muss aber in unserem gemeinsamen
Interesse liegen, dass diese Nutzung unter Beachtung des
internationalen Wissenstandes in der Kerntechnik erfolgt.
Dies gilt insbesondere für die grenznahen Atomkraftwerke in unseren Nachbarstaaten. Unsere Bürgerinnen und
Bürger erwarten völlig zu Recht, dass wir, gestützt auf
unsere Expertise und unsere Sachverständigenorganisationen, Fragen zu den technischen Bewertungen stellen.
({32})
Hier haben wir im Vergleich zu anderen Staaten, die der
Atomenergienutzung kritisch gegenüberstehen, den Vorteil, dass wir über großes Know-how verfügen und dass
wir das auch erhalten wollen.
Dieses Fachwissen nutzen wir heute und werden es
auch in Zukunft nutzen, um andere Staaten davon zu
überzeugen, dass mit der Kernenergienutzung inakzeptable Risiken verbunden sind.
({33})
Wir müssen das Fachwissen auch nutzen, um in den
technischen Diskussionen, Herr Krischer, zu überzeugen
und einen Betrieb auf höchstem technischem Niveau zu
erreichen, wenn wir ihn schon nicht verhindern können.
({34})
Wie die Fälle in jüngster Vergangenheit zeigen, ist diese
Diskussion durch einen Austausch zum konkreten Fall
zu führen. Abstrakte Regeln auf EU-Ebene, die wie ein
Sicherheitszertifikat wirken und verbindlich festlegen
sollen, wie sicher „sicher genug“ ist, sind da nicht förderlich.
({35})
Bundesministerin Hendricks hat sich deshalb intensiv
für eine Vereinbarung mit Belgien über eine bilaterale
Kommission eingesetzt, zu deren Abschluss wir jüngst
gekommen sind. Auch mit den Nachbarländern, in denen
Atomkraftwerke betrieben werden, wurden solche bilateralen Kommissionen eingesetzt.
({36})
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
- Ach, wissen Sie, Herr Krischer, ich frage mich eigentlich, warum nicht schon 2002 und in den Folgejahren
eine solche Kommission mit den Belgiern eingerichtet
wurde. Das müssen Sie vielleicht auch einmal erklären.
({37})
Wenn in unseren Nachbarländern Laufzeitverlängerungen vorgesehen werden, dann setzen wir uns für eine
verpflichtende grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung ein. Soweit es noch nicht rechtsverbindlich vorgeschrieben ist, werden wir uns außerdem für
freiwillige Beteiligungen der betroffenen Öffentlichkeit
auch über die Staatsgrenzen hinweg einsetzen. Das tun
wir zum Beispiel bei der Suche des Endlagers an der
deutsch-schweizerischen Grenze. Da unterstützt die
Bundesregierung die Kommunen und die Landkreise vor
Ort mit der Expertengruppe Schweizer Tiefenlager.
({38})
- Ich will Ihnen einmal etwas sagen, Herr Krischer: Ich
wohne - man hört es am Dialekt - in Südbaden. Dort sind
Atomkraftwerke nicht 60, sondern 5 Kilometer entfernt.
({39})
Wir nehmen die Ängste der Menschen sehr ernst.
({40})
Wir setzen uns dafür ein, dass unsere Bedenken und kritischen Fragen auch von den jeweiligen Aufsichtsbehörden aufgegriffen werden. Wir schlagen durchaus auch
kritische Töne an, wenn zum Beispiel ein Reaktor wie
Leibstadt nach einem Dryout-Effekt wieder angefahren
wird.
Lassen Sie mich abschließend sagen, dass aus meiner Sicht das beste Argument gegen die Kernenergie
der erfolgreiche Ausbau der erneuerbaren Energien in
Deutschland ist.
({41})
Deshalb lehnen wir eine EU-Förderung für AKWs entschieden ab. Aus unserer Sicht darf es eine EU-Förderung nur für die Technologien geben, die sicher, nachhaltig und kohlenstoffarm sind.
({42})
Herzlichen Dank.
({43})
Vielen Dank. - Für die Linke hat jetzt der Kollege
Hubertus Zdebel das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Mit der heute zu debattierenden Atomgesetzänderung will die Bundesregierung eine Euratom-Richtlinie in nationales Recht umsetzen. Dabei geht es, so der
Anspruch, um die Verbesserung der Information der Öffentlichkeit, um die Verbesserung der Zusammenarbeit
der Atomaufsichtsbehörden zwischen den EU-Staaten
und um die Verbesserung der Sicherheit der in Europa
und Deutschland noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke. Es sollen also alles Verbesserungen sein.
Machen wir doch einmal den Realitätscheck, was
das Ganze angeht. Von sichereren Reaktoren ist in der
Wirklichkeit nichts zu spüren. Immer ältere Atommeiler
sind am Netz. Sie werden unter immer abenteuerlicheren
Bedingungen von der jeweiligen Atomaufsichtsbehörde
gesundgebetet. Ein Blick über die Grenze nach Belgien genügt: Trotz aller toller EU-Richtlinien und deren
jeweils nationaler Umsetzung bleiben selbst so marode
Atommeiler wie die in Tihange und Doel in Betrieb.
Gleichzeitig lässt es die Bundesregierung zu, dass Uranbrennstoff aus deutschen Fabriken in Gronau und Lingen
in großem Stil für den Weiterbetrieb der Atommeiler in
Belgien sorgen, und das, obwohl diese selbst aus Sicht
des Bundesumweltministeriums dringend abgeschaltet
gehören. Es ist eine überaus kuriose Sicherheit, die uns
hier verkauft werden soll. Was hier erklärt wird, passt
doch hinten und vorn nicht zusammen.
({0})
Auch in Sachen verbesserter Informationspolitik gegenüber der Bevölkerung kann man nur den Kopf schütteln. Am 10. März - das ist gerade einmal drei Wochen
her - blockierten Atomkraftgegnerinnen und -gegner das
AKW Brokdorf. Während der laufenden Aktion wurden
sie in Anwesenheit von Pressevertretern aufgefordert,
ihre Aktion zu unterbrechen. Wäre das nicht passiert,
hätte niemand in Deutschland je von dem Flugterroralarm „Renegade“ und von der teilweisen Evakuierung
der Mitarbeiter in den Atomkraftwerken erfahren. Eine
sofortige Information der Bevölkerung über solche Vorgänge ist nämlich nicht vorgesehen.
({1})
- Das haben Sie selber in der Antwort auf eine Anfrage
gesagt, die ich letztens gestellt habe. - So weit zur Realität.
Das wird durch die Gesetzesnovelle nicht besser.
Lediglich Informationen über Sicherheitsprobleme von
Atomkraftwerken zwischen den EU-Staaten auszutauschen, wie jetzt vorgesehen, reicht bei weitem nicht aus;
denn die wesentlichen Entscheidungen werden weiterhin
durch die jeweilige nationale Behörde getroffen.
Die Bundesregierung hat es versäumt, mehr Mitspracherechte für die EU-Kommission und die betroffenen
Anrainerstaaten einzufordern, um auf den weiteren BeParl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter
trieb störanfälliger Atomkraftwerke wie in Tihange in
Belgien unmittelbar einwirken zu können.
({2})
Das ist nämlich nicht Bestandteil der Umsetzung der
EU-Richtlinie.
Die radioaktiven Wolken machen nicht an Grenzen
halt. Deswegen fordern wir Linken schon seit langem
mehr Mitbestimmungsrechte für die betroffenen Staaten
in den Grenzregionen.
({3})
Wir fordern von der Bundesregierung jetzt ganz aktuell, im Zuge der anstehenden Brexit-Verhandlungen, bei
denen es auch um den Euratom-Vertrag gehen wird, über
gemeinsame Sicherheitsüberprüfungen sowie gemeinsame Entscheidungen der Behörden bei grenznahen Kraftwerken zu verhandeln. Setzen Sie das bitte durch!
({4})
Ein Wort noch zum Grünenantrag zum Schacht
Konrad, der hier auch zur Abstimmung steht, auf den ich
aus Zeitgründen aber leider nicht lange eingehen kann.
Natürlich kann eine Inbetriebnahme als Endlagerstandort für schwach- und mittelradioaktiven Müll nur auf
Basis des aktuellen Standes von Wissenschaft und Technik erfolgen. Insofern folgen wir dem Grünenantrag.
Aber auch beim Schacht Konrad - zumindest das will
ich ansprechen - fehlt jeder Alternativenvergleich mit
anderen Standorten, genauso wie er bei Gorleben fehlt
und gefehlt hat. Deswegen fordern wir Linken: Ohne
ein vergleichendes Suchverfahren und entsprechende Sicherheitskriterien, wie es jetzt bei den hochradioaktiven
Abfällen laufen soll, darf Konrad nicht in Betrieb gehen.
Hier darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden.
({5})
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit zu später
Stunde.
({6})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Steffen Kanitz,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Zdebel, ich würde Sie doch herzlich bitten, diese beiden
Sachen nicht zu vermischen, Schacht Konrad und Gorleben nicht in einen Topf zu werfen. Schacht Konrad ist ein
planfestgestelltes genehmigtes Endlager für schwachund mittelradioaktive Abfälle. Gorleben - das haben wir
gerade in einem langen Verfahren in der Endlagerkommission gemeinsam beschlossen - ist möglicherweise
einer von ganz vielen Standorten. Wir wissen überhaupt
nicht, ob er im Verfahren bleibt, wie lange er im Verfahren bleibt; er muss sich dem Vergleich stellen. Insofern,
glaube ich, ist es richtig, dass man die beiden Dinge nicht
vermischt.
Ich möchte gern das tun, was Sie aufgrund der Zeit
nicht tun konnten, nämlich auf den Antrag der Grünen
zum Schacht Konrad eingehen, der aus dem November
des vorletzten Jahres stammt und insofern leider schon
ein bisschen veraltet ist. Inzwischen hat sich relativ viel
getan.
({0})
- Das ist so. - Wir haben ein Nationales Entsorgungsprogramm aufgestellt, in dem die Bundesregierung sehr
klar gesagt hat, um wie viel Abfälle es sich handelt, gerade auch im schwach- und mittelradioaktiven Bereich.
Es ist auch dem Engagement der Endlagerkommission
geschuldet, dass wir uns sehr klar auf die 303 000 Kubikmeter festgelegt haben. Das loben Sie in dem Antrag
völlig zu Recht. Ich glaube, es ist richtig, dass man den
Menschen in der Region klarmacht: Es geht jetzt um eine
feste Größe von rund 300 000 Kubikmetern, die wir einlagern wollen - hoffentlich ab 2022. Für alles das, was
darüber hinausgeht, müsste man ein ganz neues Planfeststellungsverfahren machen. Das haben wir im Nationalen
Entsorgungsprogramm so festgelegt.
Das BfS als derzeit noch zuständiger Betreiber sagt
sehr klar - ich glaube, da missverstehen Sie das BfS im
Moment -, dass schon aktuell Sicherheitsuntersuchungen
laufen, um die Planfeststellung hinsichtlich des aktuellen
Standes von Wissenschaft und Technik zu untersuchen.
Und es will das noch einmal sehr konkret tun, bevor
Schacht Konrad 2022 in Betrieb genommen werden soll.
In Ihrem Antrag sagen Sie, das darf nicht erst vor Verschluss des Endlagers geschehen. Das ist völlig richtig.
Das ist der Grund dafür, warum das BfS das vor Inbetriebnahme noch einmal tun will. Deswegen glaube ich,
dass Ihr Antrag in der Tat überholt ist. Ich finde, man
kann dann auch ganz ehrlich sagen: Gut, wenn er überholt ist, dann kann man ihn auch zurückziehen. - Aber
Sie werden mir vielleicht gleich erklären, Frau KottingUhl, warum er immer noch aktuell sein soll.
Ich will aber gern die Chance nutzen, noch einmal
kurz auf Schacht Konrad einzugehen, weil das für uns
ein extrem wichtiges Projekt ist, das wir wirklich zeitgerecht realisieren müssen. Es ist das Endlager in Deutschland für schwach- und mittelradioaktive Abfälle. Es ist
so, dass vom Abfallvolumen her etwa 90 Prozent aller
radioaktiven Abfälle schwach- und mittelradioaktive Abfälle sind. Das ist in Bezug auf die Radioaktivität nicht
wahnsinnig relevant; das ist ungefähr 1 Prozent der Radioaktivität. Aber es handelt sich insbesondere um die
Abfälle, die beim Rückbau der Kernkraftwerke anfallen
werden, nämlich um kontaminierte Anlagenteile, um
Werkzeuge, um Schutzkleidung, aber natürlich auch um
Forschungsabfälle aus dem schwach- und mittelradioaktiven Bereich.
Die gesamte Radioaktivität, die wir in Schacht Konrad
einlagern werden, wird der von wenigen Castoren, in
etwa vier bis fünf Castoren, entsprechen. Das ist natürlich relevant; das ist völlig klar. Aber es ist vom GefährHubertus Zdebel
dungspotenzial nicht mit dem vergleichbar, was wir in
einem HAW-Endlager vorfinden werden. Trotzdem und
gerade deswegen halten wir uns beim Schacht Konrad
natürlich an höchste Sicherheitsstandards.
Um dies einmal international einzuordnen: Es gibt
schon einige Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle. Viele Länder - Frankreich, Spanien, Großbritannien, die USA - lagern schwach- und mittelradioaktive Abfälle oberflächennah. Ebenso ist es in Schweden
und Finnland. Dort geht man knapp unter die Oberfläche.
Deutschland ist neben der Schweiz das einzige Land, das
in die Tiefengeologie geht. Das hat auch gute Gründe,
denn wir sagen: Wenn wir ein gutes Wirtsgestein haben - und im Schacht Konrad haben wir das; wir haben
dort eine 400 Meter dicke Tonschicht, die das Endlager
von unten abdichtet -, dann ist das besser, als wenn wir
das Lager an der Oberfläche haben. Das zeigt aber, dass
der Sicherheitsanspruch Deutschlands auch im Bereich
schwach- und mittelradioaktiver Abfälle enorm hoch ist,
und das ist, glaube ich, auch richtig.
Wir haben ein langes Planfeststellungsverfahren hinter uns gebracht, um Schacht Konrad zu genehmigen.
2002 ist die Genehmigung nach einer übrigens relativ
umfangreichen Bürgerbeteiligung erteilt worden. Man
kann immer nach mehr rufen, aber ein Blick in die Geschichte zeigt, dass an 75 Tagen Erörterungen stattgefunden haben. Ich finde, so ganz wenig ist das nicht. Dann
hat es 2007 noch eine höchstinstanzliche Entscheidung
vom Bundesverwaltungsgericht gegeben, das die Planfeststellung noch einmal bestätigt hat.
Seit 2008 wird Schacht Konrad umgerüstet zu einem
Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle,
und alle Beteiligten planen im Moment für das Jahr 2022
die Inbetriebnahme. Ich glaube, daran müssen wir auch
alle gemeinsam festhalten, damit wir dieses Zieldatum
erreichen, weil wir dann, wenn wir 2022 abschalten,
möglichst schnell mit dem Rückbau beginnen wollen.
Schacht Konrad bildet natürlich gewissermaßen den Flaschenhals für den Rückbau. Insofern haben wir ein Interesse daran, diesen Zeitplan einzuhalten.
Es gibt teilweise Vergleiche mit der Asse, die angestellt werden, die aber, so finde ich, nicht zutreffend sind
und die man sehr klar zurückweisen muss. Der Unterschied ist natürlich, dass wir es hier erstens mit einem
trockenen Stollen zu tun haben. Zweitens fahren wir völlig neue Einlagerungskammern auf. Wir gehen also nicht
in ein altes Grubengebäude, in das wir die Fässer einfach
reinwerfen, sondern wir haben - die Konrad-Behälter
sind bekannt - eine sehr gute und robuste Art und Weise,
die Endlagergebinde in ein sehr robustes Bergwerk einzulagern.
Frau Kotting-Uhl, das, was ich gerade gesagt habe, ist
in der Tat das, was uns das BfS im Ausschuss gesagt hat
und was auch öffentlich nachzulesen ist. Das BfS sagt,
dass die Planfeststellungsunterlagen ständig und auch
aktuell hinsichtlich des Standes von Wissenschaft und
Technik untersucht werden. Ständig heißt, dass man eben
nicht nur vor 2022, also vor der Inbetriebnahme, eine abschließende Sicherheitsuntersuchung macht. So, wie ich
Herrn König verstehe, ist es so, dass schon aktuell, seit
2014, damit begonnen wird, die Unterlagen zu sichten
und zu gucken: Was ist alt, und wo gelten die Sicherheitsmargen der Vergangenheit möglicherweise immer noch?
Ich glaube, hier wird extrem verantwortungsvoll gehandelt. Deswegen darf das jedenfalls kein Grund sein, hier
in eine Verzögerungsschleife zu kommen.
Wir haben in dieser Legislaturperiode eine ganze
Menge dafür getan, dass wir den Zeitplan einhalten können und bis 2022 fertig werden. Wir haben eine völlig
neue Behördenstruktur aufgebaut, auch dank der Arbeit
der Endlagerkommission. Ich glaube, es ist gut und richtig, dass wir eine klare Trennung haben zwischen Regulierer auf der einen Seite und Vorhabenträger auf der
anderen Seite.
Ich habe mir die Entscheidungsmuster der Vergangenheit genau angeschaut. Wir haben das in der Endlagerkommission besprochen. Das lief über DIN-A3-Blätter.
Und wenn man im Bereich der Schachtsanierung jemanden brauchte, dann waren die Entscheidungswege relativ
kompliziert. Das haben wir jetzt deutlich gestrafft und
vereinfacht. Es ist jetzt so, dass nicht mehr drei oder
vier Behörden darüber entscheiden, wie lang die Anker
eigentlich sein müssen, die da angebracht werden; vielmehr wird das vom Vorhabenträger vorgeschlagen und
vom Regulierer genehmigt, und dann kann das auch in
Auftrag gegeben werden. So haben wir sehr dazu beigetragen, dass das Projekt Konrad ein Erfolg werden kann.
Gleichzeitig übernimmt der Bund ab 2019 bzw. 2020
die Zwischenlager. Insofern sind wir über ein zentrales
Abfallmanagement in der Lage, zu disponieren und zu
schauen, welche Abfälle wann eingelagert werden. Eigentlich haben wir also alle Voraussetzungen geschaffen,
um jetzt auch zeitnah in den Betrieb einzusteigen - immer unter Sicherheitsgesichtspunkten; das hat das BfS
zugesagt -, und ich glaube, das ist auch richtig. Aber
unser Anspruch als Union ist es eben - so haben wir es
in der Kommission auch immer besprochen -, dass die
Zwischenlager, die wir haben, nicht zu faktischen Endlagern werden. Das sind wir den Leuten vor Ort schuldig.
Deswegen müssen wir Schacht Konrad auch 2022 in Betrieb nehmen.
Ich will, Herr Kollege Zdebel, weil Sie es angesprochen haben, noch einmal kurz auf das Thema eingehen,
das die Menschen in Gronau und in Lingen im Moment
in der Tat sehr bewegt, und auf den Pressezirkus, der in
den letzten drei, vier Tagen um das Thema entstanden ist.
Ich will das sehr deutlich sagen: Wir als Unionsfraktion
stehen ganz klar an der Seite der Beschäftigten der Urenco und der ANF in Lingen.
({1})
Wir sind aus der Kernkraft ausgestiegen; das ist völlig
klar. Wir sind uns auch absolut einig: Bis 2022 schalten
wir die Kernkraftwerke ab. Das heißt aber in der Konsequenz nicht, dass wir sämtliches kerntechnisches Knowhow in Deutschland verlieren wollen,
({2})
auch deswegen nicht, weil wir Doel und Tihange bewerten wollen, weil wir in der Lage sein wollen, gute Experten auszubilden,
({3})
und weil es darum geht, dass wir mit der Areva einen
echten Kompetenzverbund an drei Standorten hier in
Deutschland haben,
({4})
durch die wir in der Lage sind, über den Rückbau zu diskutieren.
({5})
Brechen Sie einen dieser Bausteine heraus, dann können Sie sich ganz sicher sein, dass sich der neue Eigentümer in Frankreich sehr genau überlegen wird, wo die
Arbeitsplätze in Zukunft entstehen, ob hier bei uns in
Deutschland oder ob er das nicht alles nach Frankreich
verlagert.
({6})
Das sind hochqualifizierte Arbeitsplätze, die gut funktionieren. Lieber Herr Kollege Krischer, auch dank Ihres Engagements hat die rot-grüne Landesregierung in
Nordrhein-Westfalen im Jahr 2013 ein Rechtsgutachten
in Auftrag gegeben. Man hat ja, politisch motiviert, versucht, die Standorte zu schließen, und gefragt: Welche
Möglichkeiten gibt es?
({7})
Das Gutachten ist diesbezüglich zu ganz klaren Ergebnissen gekommen,
({8})
die da lauten: Die Genehmigung ist unbegrenzt, sie ist
erteilt, sie gilt, und es gibt keinen rechtlichen Weg, Kernkraftwerke zu schließen.
({9})
Insofern, finde ich, müssen Sie sich am Ende des Tages
auch ehrlich machen. Sie wollen, dass die Kerntechnik
aus Deutschland in Gänze verschwindet. Wir wollen das
Know-how nicht nur erhalten, sondern selbstverständlich
auch ausbauen,
({10})
weil wir in der Lage sein wollen, zu bewerten, ob die
Kernkraftwerke an den deutschen Grenzen sicher sind
oder nicht. Das geht nur mit eigenem Know-how, und
deswegen brauchen wir auch weiterhin beide Standorte
in Deutschland.
({11})
Herzlichen Dank.
({12})
Vielen Dank. - Für Bündnis 90/Die Grünen spricht
jetzt Sylvia Kotting-Uhl.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Frau Staatssekretärin, bei aller Wertschätzung des BMUB muss ich sagen: Ihre Rede hat klargemacht, warum das Bundesumweltministerium sich nicht
dafür eingesetzt hat, diese Richtlinie zur sogenannten
nuklearen Sicherheit zu verbessern.
({0})
Es ist ein großes Versäumnis des Bundesumweltministeriums, dass Sie nichts dafür getan haben, diese
Richtlinie irgendwie zu verbessern. Ihre Rede war eine
Mischung aus den Stichworten „Souveränität der Nachbarländer“, „keine verbindlichen Standards auf EU-Ebene“ und „bilaterale Kommissionen, in denen alles geregelt wird“.
({1})
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich habe lange bei Ihnen
dafür geworben, dass Sie so eine bilaterale Kommission
mit Belgien einrichten. Ich habe immer dazugesagt: Machen Sie sie nicht so zahnlos wie die anderen Kommissionen, die nicht einmal Dokumente austauschen. Und was
ist mit der bilateralen deutsch-belgischen Kommission?
Sie ist genauso zahnlos wie andere. Nicht einmal Dokumente werden ausgetauscht.
({2})
Das kann man sich in der Tat auch sparen.
Die Richtlinie, um deren Umsetzung es heute geht, ist
eine Euratom-Richtlinie. Das sagt eigentlich schon alles.
Wir finden darin in Artikel 6 unter c) den wunderbaren
Satz, dass Kernkraftwerke nur dann nachgerüstet werden
sollen, wenn das vernünftigerweise umsetzbar ist. Was
heißt denn „vernünftigerweise“? Es muss wirtschaftlich
sein. Also wird die Sicherheit in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit relativiert. Oder es geht gar nicht mehr, weil die
Anlagen zu alt sind. Das sind doch die Gründe, warum
Fessenheim läuft, obwohl das Fundament viel zu dünn
ist, warum Cattenom weiterhin läuft, obwohl die Sicherheitseinrichtungen vermascht sind, warum Tihange mit
Löchern im Herzen weiterhin läuft. Diese Gründe sind
in Euratom zu suchen. Bei solchen zahnlosen Richtlinien
brauchen Sie mir nicht mit einer Kommission zu kommen, die auch nichts an der Sache verbessert.
({3})
Es gibt noch weitere Dinge in der Richtlinie, die wir
heute umsetzen, die absolut zahnlos sind: alle zehn Jahre
eine Selbstbewertung, Selbsteinschätzung - finden wir
uns gut, finden wir uns vielleicht nicht so gut? -, dazu ein
Peer Review ohne Umsetzungspflicht. Das alles bringt
nichts. Ich muss noch einmal sagen: Ich hätte von einer
Bundesregierung, die jetzt den breiten fraktions- und parteiübergreifenden Atomausstieg im Deutschen Bundestag beschlossen und im nationalen Gesetz verankert hat,
erwartet, dass sie sich auf EU-Ebene anders einsetzt und
nicht hier etwas zur Abstimmung vorlegt, was völlig unverbindlich ist und diese Unverbindlichkeit festschreibt.
Ich habe leider nicht so viel Zeit wie der Kollege
Kanitz, um noch auf den Schacht Konrad einzugehen.
Aber ich will einmal sagen, Herr Kanitz: Vieles, was Sie
gesagt haben, kann ich unterstreichen. Da habe ich gar
keinen Widerspruch. Ich finde auch Ihre Bewertung des
Antrags sehr gut. Sie haben gefragt: Warum ist er überhaupt noch aktuell, nachdem das Bundesamt für Strahlenschutz - das ist ja bald die neue Behörde BfE - bereits
alles tut, was in diesem Antrag steht? Ich muss sagen:
Die Forderung, sich nach dem Stand von Wirtschaft und
Technik auszurichten und nicht einzulagern, bevor dieser
Stand von Wirtschaft und Technik nachgewiesen ist - es
geht mir darum, dass dieser nachgewiesen wird, bevor
durch Einlagerungen Fakten geschaffen werden -, kann
durchaus vom Bundestag als richtig bestätigt werden,
auch wenn es im Moment tatsächlich so aussieht, als
würde die zuständige Behörde diesen Weg auch von alleine gehen. Ich glaube, es wäre trotzdem nicht schlecht,
als Bundestag zu sagen: Wir wollen den Stand von Wissenschaft und Technik nachgewiesen haben.
({4})
Deswegen, glaube ich, tun auch Sie nichts Verkehrtes, wenn Sie diesem Antrag zustimmen. Wir geben dann
noch einmal ein deutliches Zeichen an die zuständige
Behörde, dass wir wollen, dass dieser Weg fortgesetzt
wird und nicht aus irgendwelchen Gründen - Personalwechsel zum Beispiel - die ganze Sache plötzlich wieder anders aussieht. Also geben Sie sich einen Ruck, und
stimmen Sie zu! Allerdings können wir der Umsetzung
dieser zahnlosen EU-Richtlinie in die AtG-Novelle nicht
zustimmen.
({5})
Vielen Dank. - Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist Hiltrud Lotze, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bei der 15. Novelle des Atomgesetzes geht es im Wesentlichen um drei Punkte:
Erstens geht es um eine Änderung der Informationspflicht für Betreiber kerntechnischer Anlagen. Diese werden künftig verpflichtet, die Öffentlichkeit über Betrieb
und gegebenenfalls Störfälle in enger Abstimmung mit
den Behörden zu informieren. Das bringt mehr Transparenz, und es ist immerhin ein Fortschritt.
({0})
Zweitens wird mit dem Gesetz unmissverständlich
klargestellt, dass die Verantwortung der Betreiber für die
nukleare Sicherheit auch dessen Auftragnehmer und die
Unterauftragnehmer einschließt; auch ein Subunternehmer muss also zukünftig Personal angemessen einsetzen,
wenn er dort arbeitet.
Drittens enthält das Gesetz Vorgaben zu den europarechtlich vorgeschriebenen Peer Reviews für kerntechnische Anlagen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dieser Anpassung machen wir, wenn auch in kleinen Schritten, den
Restbetrieb der Kernkraftwerke ein Stück sicherer. Wir
können die Zeit nicht zurückdrehen. Wir haben in unserem Land die Atomkraft genutzt. Jetzt geht es darum,
in den nächsten Jahren möglichst alle Sicherheitsrisiken
auszuschließen und für einen geregelten Ab- und Rückbau sowie für ein sicheres Endlager zu sorgen.
Wir haben in der letzten Woche das Standortauswahlgesetz beschlossen. Die Suche nach einem Endlager wird
neu gestartet. In den vergangenen Monaten haben wir
auch die Frage nach den Kosten für Rückbau und Endlagerung geregelt, und wir haben ein Abwälzen der Kosten
auf die Allgemeinheit weitestgehend verhindert.
Wir von der SPD hätten uns in mancherlei Hinsicht
mehr und Besseres gewünscht. Aber das, was wir trotzdem in dieser Koalition in Sachen Atomausstieg und
Abwicklung erreicht haben, kann sich durchaus sehen
lassen ({1})
auch wenn dieser Export von Brennstäben nach Belgien
die Bilanz jetzt nicht verbessert.
({2})
Es ist nicht wünschenswert, dass so etwas passiert; es
passt auch nicht zu unserem Atomausstieg. Aber die
Rechtslage lässt eben nicht immer das zu, was politisch
wünschenswert ist.
({3})
Und dass die Regierung sich an Recht und Gesetz hält,
das wollen wir doch wohl alle hier.
({4})
Weil es so ist, konnte die Umweltministerin den Export
eben auch nicht verhindern.
Da ich Barbara Hendricks nun schon erwähnt habe:
Die Umweltministerin hat sich vehement dafür eingesetzt, dass die Schrottreaktoren in Belgien abgeschaltet
werden;
({5})
alle zur Verfügung stehenden Mittel hat sie ausgeschöpft.
Es ist doch so: Wir wollen doch auch nicht, dass unsere
europäischen Nachbarn uns in die Energiewende reinquatschen. Hier gibt es Grenzen für den Einfluss. Das
müssen wir leider zur Kenntnis nehmen, auch wenn uns
das nicht gefällt. Ich möchte Barbara Hendricks dafür
danken, dass sie sich so vehement dafür eingesetzt hat.
({6})
Damit bin ich schon am Ende und wünsche einen
schönen Abend und eine gute Nacht.
Vielen Dank.
({7})
Ja, aber ich bitte, noch ein bisschen wach zu bleiben,
bis wir alle Abstimmungen durchgeführt haben. - Die
Aussprache ist beendet.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Atomgesetzes. Der Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11659,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11276 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte nun diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den
Plätzen zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 29 b. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen mit dem Titel „Sicherheit hat Vorrang - Ohne
Stand von Wissenschaft und Technik keine Inbetriebnahme von Schacht Konrad“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11690,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/6773 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Das ist die Koalition. Wer
stimmt dagegen? - Das ist die Opposition. Enthaltungen? - Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren für die elektronische
Abgabe von Meldungen für Schiffe im Seeverkehr über das Zentrale Meldeportal des
Bundes und zur Änderung des IGV-Durchführungsgesetzes
Drucksache 18/11292
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({0})
Drucksache 18/11703
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden.1)
Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11703,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11292 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen aller Fraktionen
angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Eisenbahnunfalluntersuchung
Drucksache 18/11288
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({1})
Drucksache 18/11666
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden.2)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11666, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
18/11288 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer ent-
1) Anlage 13
2) Anlage 14
hält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte alle, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis
angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
19. Mai 2016 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa zur Änderung des Abkommens vom 13. März 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
dem Obersten Hauptquartier der Alliierten
Mächte Europa über die besonderen Bedingungen für die Einrichtung und den Betrieb
internationaler militärischer Hauptquartiere
in der Bundesrepublik Deutschland
Drucksache 18/11280
Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({2})
Drucksache 18/11665
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden.1)
Der Verteidigungsausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/11665, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/11280 anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
1) Anlage 15
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Umsetzung der Richtlinie ({3}) 2016/97 des
Europäischen Parlaments und des Rates vom
20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb
und zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes
Drucksache 18/11627
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({4})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden, Ihr Einverständnis vorausgesetzt.2)
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/11627 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
von Ihrer Seite aus dazu anderweitige Vorschläge? - Ich
sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung
angekommen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 31. März 2017, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen einen
schönen Restabend.